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Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode - 76. Plenarsitzung am 1.

Juli 2010

durch den gestrigen Tag nicht repariert worden.


Stefan Schostok (SPD):
Diese Bundespräsidentenwahl hätte eigentlich ein
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Festtag der Demokratie sein müssen.
Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich
zu Beginn einem guten demokratischen Brauch Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeord-
folgen und zum Wechsel dem ehemaligen Minis- nete, auch ein Aufbruch zu einer neuen politischen
terpräsidenten Herrn Wulff einen Dank ausspre- Kultur ist gestern wahrlich verpasst worden.
chen. Die mehr als 20 Jahre seiner demokrati- (Beifall bei der SPD und bei den
schen Arbeit für Niedersachsen werden in Erinne- GRÜNEN)
rung bleiben. Für das neue Amt wünschen wir ihm
alles Gute! Herr Ministerpräsident McAllister, auch Opposition
ist natürlich kein Selbstzweck. Wir bieten Ihnen
(Lebhafter Beifall) weiterhin eine kritisch-konstruktive Zusammenar-
Ihnen, Herr Ministerpräsident McAllister, darf ich beit hier im Parlament an. Wir nehmen unsere
auch im Namen der SPD-Fraktion ganz herzlich Kontrollfunktion wirklich ernst, wir nehmen sie
gratulieren. Wir wünschen Ihnen eine glückliche wahr, und wir werden dort bessere Vorschläge
Hand bei allen Entscheidungen und uns, dass unterbreiten, wo uns Ihre als nicht ausreichend
diese Entscheidungen zum Wohle unseres Landes erscheinen. Sie können also mit einer ganzen Rei-
Niedersachsen sein mögen. Vielen Dank! he von Vorschlägen rechnen.

(Beifall bei der SPD sowie Zustim- (Beifall bei der SPD und bei den
mung bei der CDU und bei der FDP) GRÜNEN)

Bei allen Glückwünschen - ich stehe hier als Op- Mit uns wir es kein „Weiter so“ geben. Herr Minis-
positionsführer, der die Sorgen und Nöte der Men- terpräsident, Sie haben wahrlich eine schwierige
schen in Niedersachsen im Blick hat. Lassen Sie Aufgabe übernommen, aber dies vor allem wegen
mich deswegen zunächst ein Wort zur Präsiden- der Erblasten Ihres alten und Ihres neuen Kabi-
tenwahl am gestrigen Tag sagen. netts. Wir haben von Ihnen heute eine Zäsur in der
Regierungspolitik erwartet. Dieses Signal haben
Aus meiner Sicht war das ein Tag der verpassten wir durch Ihre Regierungserklärung heute leider
Chancen. nicht vernommen, Herr Ministerpräsident.
(Beifall bei der SPD und bei den (Beifall bei der SPD und bei den
GRÜNEN) GRÜNEN)
Der selbst beschworene Neuanfang von Schwarz- Aus unserer Sicht ist diese Regierungserklärung
Gelb ist Ihnen nicht gelungen. Die Wahl des Bun- eher ein untauglicher Versuch Ihrerseits gewesen,
despräsidenten ist leider in das politische Gezänk sich eine staatsmännische Attitüde zu geben. Sie
hineingezogen worden. waren wirklich redlich bemüht, den alten Politiker
(Karl-Heinz Klare [CDU] lacht - Zurufe McAllister hinter sich zu lassen. Sie waren ja bis-
von der CDU-Fraktion) her der Mann fürs Grobe in der Regierungsfraktion.
Nun wollen Sie den Staatsmann geben. Aber wir
Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass Herr haben Ihre Angriffe und Ihre Unbeherrschtheit in
Gauck eine so große Zustimmung erfahren hat - der Vergangenheit nicht vergessen. Deshalb wer-
sogar aus Ihren Reihen. Das sollte uns und Ihnen den wir jetzt sehr sorgfältig beobachten, ob Sie
wirklich zu denken geben. wirklich wandlungsfähig sind, Herr McAllister.
(Beifall bei der SPD und bei den (Beifall bei der SPD und Zustimmung
GRÜNEN sowie Zustimmung von bei den GRÜNEN)
Dr. Manfred Sohn [LINKE])
Meine sehr verehrten Damen und Herren Abge-
Aber auch die Linke hat durch die Nichtwahl von ordnete, vor Ihrer Regierungserklärung fragten wir
Joachim Gauck die Chance verpasst, sich als poli- uns vor allem, ob Sie tatsächlich in der Lage sind,
tisch ernst zu nehmende Kraft zu beweisen. Das dem Land eine neue Zukunftsperspektive zu ge-
sehen wir als sehr problematisch an. ben oder sie zu entwickeln. Wir sind durch Ihre
Die Beschädigung des Amtes, die durch den Rück- Regierungserklärung wirklich enttäuscht worden.
tritt von Herrn Köhler eingetreten ist, ist leider auch

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(Beifall bei der SPD sowie Zustim- Landesvorsitzender wurden. Als Wulffs Adlatus
mung bei den GRÜNEN und bei der wurden Sie mitsamt Ihrer CDU-Fraktion nur als
LINKEN) Anhängsel dieser Landesregierung verstanden.
Sie wurden nur als Stütze Ihres Ministerpräsiden-
Aber, meine Damen und Herren, woher soll es
ten wahrgenommen.
denn auch kommen? - Ich will einen kleinen Rück-
blick wagen. Wulffs Agenda 2003 bis 2008 war (Lebhafter Beifall bei der SPD)
schnell verbraucht. Ich erinnere an das Sparpro-
Wir erinnern uns an die Zeit vor acht Wochen, die
gramm, das Sie bis auf die Knochen betrieben
letzte Regierungserklärung von Herrn Ministerprä-
haben. Ich erinnere an Ihre antiquierte Umwelt-
sidenten Wulff. Es ging um die Frage: Wie gehen
und Wirtschaftspolitik. Ich erinnere an die Politik,
wir mit der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise um?
die gegen die Interessen der Menschen in diesem
Welche Perspektive hat Niedersachsen bis zum
Land gerichtet war. Ich möchte Sie an das Strei-
Jahr 2020? - Wir waren ratlos. Wir waren hilflos
chen des Landesblindengeldes erinnern. Ich
hinterlassen worden. Sie haben mit dieser Regie-
möchte Sie an das Totalerrichtungsverbot für Ge-
rungserklärung keine einzige Antwort gegeben.
samtschulen erinnern. Ich möchte Sie an die Mas-
senproteste von Schülern, Eltern und Lehrern er- (Beifall bei der SPD)
innern. Ich möchte Sie auch an die zahlreichen
Auch Ihre Regierungserklärung heute hat sehr viel
Verfassungsbrüche im Rahmen der Haushaltsge-
Pathos enthalten, keine Frage. Aber Sie haben im
setze und der Innenpolitik erinnern.
Kern keine einzige Antwort gegeben. Es gibt kei-
(Beifall bei der SPD und bei den nen einzigen neuen Impuls. Sie haben mit dieser
GRÜNEN sowie Zustimmung bei der Regierungserklärung keinen einzigen neuen Ak-
LINKEN) zent gesetzt.
Nicht vergessen ist auch die unsägliche Umweltpo- (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
litik dieser Koalition, auch die Unzufriedenheit der den GRÜNEN)
Kommunen mit Ihrer Arbeit. Das alles stellt keine
Herr McAllister, man nennt das dann immer: Es
Ruhmesbilanz dieser Arbeit in den vergangenen
war ein ganz großes Kino. Aber es war eine ext-
Jahren dar.
rem dünne Handlung, Herr McAllister.
(Beifall bei der SPD und bei den
(Beifall bei der SPD und Zustimmung
GRÜNEN)
bei den GRÜNEN)
Aber vor zweieinhalb Jahren, zu Beginn der zwei-
Wir haben Ihr Programm genau gehört. Ich habe
ten Legislaturperiode, sollte ja alles besser wer-
für mich einige Punkte herausgenommen. In der
den. Doch daraus wurde nichts. Nach einem ver-
Schulpolitik bilden Sie mit den Kommunen zukünf-
patzten Neustart 2008 mit einem katastrophalen
tig eine Arbeitsgruppe. Die Arbeitsgruppe wird
Ringtausch der Ministerinnen und Minister wurde
mehr Flexibilität für wohnortnahe Schulstrukturen
es noch schlimmer. Ich erinnere mich an die Kul-
prüfen.
tusministerin. Sie kam mit der Bildungspolitik in
Niedersachsen vom Regen in die Traufe. Ich erin- (Zuruf von der SPD: Donnerwetter!)
nere mich an die Umweltpolitik. Sie setzten seit- In der Hochschulpolitik bitten sie die Wissen-
dem wieder auf das Atomklo Niedersachsen. Ich schaftsministerin, eine Analyse in Auftrag zu ge-
erinnere auch an die Wirtschaftspolitik. Dazu ist ben,
Ihnen bisher außer Streichungen kein einziger
innovativer Ansatz eingefallen. (Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Wow!)

(Beifall bei der SPD sowie Zustim- damit sie herausfinden kann, was die entschei-
mung bei den GRÜNEN und bei der denden Hindernisse dafür sind, dass die Quote der
LINKEN) Studierenden aus den sogenannten bildungsfer-
nen Schichten so niedrig ist.
All das haben Sie, Herr Ministerpräsident, immer
wieder hartnäckig verteidigt. Sie waren sehr gut, (Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Was
und Sie waren immer dann zur Stellen, wenn es könnte das wohl sein?)
nötig war, Ministerinnen und Minister herauszu- Da könnten wir Ihnen helfen. Das Geld könnten
hauen. Sie haben aber in den letzten Jahren keine Sie sich sparen, Herr McAllister.
eigene Akzente gesetzt, selbst dann nicht, als Sie
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(Beifall bei der SPD und bei den - Ich bin schon einmal durchgefahren. - Spätestens
GRÜNEN) ab 2013 werden Sie dafür wieder viel mehr Zeit
haben. Denn Sie sind ein Ministerpräsident des
Ein dritter Vorschlag: In der Wirtschafts- und Wis-
Übergangs!
senschaftspolitik geben Sie jetzt ein Innovations-
konzept in Auftrag, um den Wissenstransfer zu (Starker, lang anhaltender Beifall bei
fördern. Was war denn mit Ihrem Innovations- der SPD, bei den GRÜNEN und bei
fonds? - Der scheint gescheitert zu sein. Kein Wort der LINKEN)
von Ihnen dazu in dieser Regierungserklärung!
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, es
Oder die Förderung des Ehrenamtes, des ehren- liegen wahrlich große Herausforderungen des
amtlichen Engagements: Sie bilden jetzt mit den Landes vor uns. Dazu will ich sechs benennen: die
kommunalen Spitzenverbänden eine Gesprächs- Bewältigung des demografischen Wandels - auch
runde. Sie erwähnten sie -, die Perspektive des Wirt-
schafts- und Wissenschaftsstandortes Niedersach-
Oder in der Familienpolitik lassen Sie jetzt eine
sen, die Zukunft der Schule, die Energiepolitik und
Bestandsaufnahme erstellen, um Strukturen zu
der Klimaschutz, die Frage der sozialen Gerechtig-
prüfen,
keit - das Stichwort tauchte bei Ihnen nicht auf -
(Dr. Gabriele Andretta [SPD]: Mutig!) und schließlich die Finanzierung der öffentlichen
Haushalte.
also Doppelstrukturen, die Sie in Niedersachsen
selber eingeführt haben. Diese Fragen müssen wir ab heute wirklich ent-
schlossen angehen. Dann werden wir morgen
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
Antworten für die Zukunftsfähigkeit Niedersach-
den GRÜNEN)
sens haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Um die Zusammenarbeit von Ärzten, Krankenhäu-
(Lebhafter Beifall bei der SPD)
sern und Pflegediensten zu fördern, soll zukünftig
mindestens in einer Region ein Modellprojekt für Zum demografischen Wandel, Herr Ministerpräsi-
die Gesundheitsversorgung auf den Weg gebracht dent: In der letzten Wahlperiode waren Sie doch
werden. an den Ergebnissen aus der Enquetekommission
zum demografischen Wandel wirklich interessiert.
In der Migrationspolitik lassen Sie jetzt eine Infor-
Warum haben Sie gerade jetzt keine Antworten auf
mationskampagne vom Stapel. Die Berufsbilder
die dadurch verursachten Probleme? - Ich gebe
des öffentlichen Dienstes sollen dadurch bekann-
Ihnen eine Erklärung dazu: Sie selbst haben die
ter gemacht werden.
Entwicklung sehr lange verkannt. Sie haben keine
Finden Sie nicht, Herr Ministerpräsident, dass das Antworten auf die unterschiedliche Entwicklung der
für eine Regierung nach sieben Jahren ein biss- Lebensbedingungen in den Regionen Niedersach-
chen dürftig ist? sens. Ihnen fehlt ein Gesamtkonzept für das Land.
(Lebhafter Beifall bei der SPD und Sie stellen keine passgenauen Hilfestellungen für
Zustimmung bei den GRÜNEN) die Regionen zur Verfügung. Es fehlen öffentliche
Unterstützungsmodelle für die Sicherung der Da-
Der Titel Ihrer Regierungserklärung war: „Mut zur seinsvorsorge. Auch die Verwaltungsstrukturen
Verantwortung“. Was wir gehört haben, war höchs- sind nicht durchdacht. Und Sie haben überhaupt
tens Mut zur Verwaltung und zur Bildung von Ar- keine Aufgabenanalyse und damit auch kein Ge-
beitsgruppen. samtkonzept für eine zukunftsfähige öffentliche
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Verwaltung!
den GRÜNEN) (Starker Beifall bei der SPD und bei
Herr McAllister, in der Hannoverschen Allgemeinen den GRÜNEN - Johanne Modder
Zeitung vom Sonnabend gibt es ein wunderbares [SPD]: So ist das!)
Zitat von Ihnen: Das schönste Amt ist das Amt des Sie erwähnten die Politik mit den Fusionsprämien
Schützenkönigs in Bederkesa. von Herrn Schünemann. Aber Sie können das
(Ministerpräsident David McAllister doch nicht ernsthaft als einen Versuch für die Ge-
[CDU]: Waren Sie schon da?) staltung des Landes ansehen! Sie müssten wirklich
einmal Farbe bekennen, wie die kommunale
Selbstverwaltung in Zukunft aussehen soll. Oder
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haben Sie einen ganz anderen grandiosen Plan in lieren. Es gibt auch die Gefahr eines Verlusts von
der Tasche? - Das glaube ich aber kaum! Eher Demokratie in Deutschland.
kürzen Sie im nächsten Haushalt wieder den kom-
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
munalen Finanzausgleich, wenn es nicht reicht.
den GRÜNEN sowie Zustimmung bei
Für die Kommunen ist nichts mehr übrig, und die
der LINKEN)
Zwangsverwaltung durch das Land wird zukünftig
zur Regel. Wir haben so etwas gehört: Wenn Sie Sie haben die Kommission auf der Bundesebene
von „freiwillig“ reden, befürchten wir eher die eben noch als Chance verkauft. In Wahrheit ist es
Zwangsverwaltung. so: Ihr Bundesfinanzminister Schäuble will die
Gewerbesteuer weg haben; das ist sein erklärtes
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
Ziel. Ich finde, Schäuble muss gestoppt werden!
den GRÜNEN)
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
Oder - Sie haben es angedeutet - müssen unsere
den GRÜNEN sowie Zustimmung bei
Landesbeschäftigten wieder als Sparschwein her-
der LINKEN)
halten, wie Sie es in Ihrer Regierungserklärung
angekündigt haben? Noch sehr vorsichtig, aber wir Herr Ministerpräsident, Sie haben uns doch um
befürchten bei Ihnen Schlimmstes. Mitwirkung gebeten. In diesem Fall biete ich Ihnen
an, dass wir den Wegfall der Gewerbesteuer ge-
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
meinsam verhindern. Vielleicht können wir sogar
den GRÜNEN)
noch einen drauflegen, indem wir die Gewerbe-
Herr Ministerpräsident, Sie sind ein wirklich über- steuer auf noch breitere Schultern stellen können.
zeugter Kommunaler; das weiß ich. Sie werden Dann hätten wir dort eine wirklich gute gemeinsa-
selbst am Besten wissen, was das für das Leben in me Initiative aus Niedersachsen.
den Städten und Gemeinden bedeutet. Sie wissen
(Starker Beifall bei der SPD und bei
auch, was das für die Menschen vor Ort bedeutet.
den GRÜNEN sowie Zustimmung bei
Für viele Regionen in Niedersachsen wird es einen
der LINKEN)
schweren Verlust an Lebensqualität bedeuten,
wenn Schwimmbäder, Spielplätze und Bibliotheken Ich biete Ihnen an, dass wir eine breite und ergeb-
geschlossen werden müssen, wenn die Straßen nisoffene Diskussion über eine gute Raumord-
immer mehr einem Schweizer Käse ähneln oder nungs- und Strukturpolitik führen. Diese ist wirklich
wenn die Preise für Busse und Theater in Zukunft bitter nötig. Wir nehmen Ihre Angebote gerne an.
steigen werden. Deswegen stellen wir an Sie For- Wir unterstützten Sie gerne auch in dieser Hin-
derungen: Setzen Sie endlich die in unserer Ver- sicht.
fassung verankerte Konnexität um! Wer die Musik
Ich komme zum zweiten Punkt: Wirtschafts- und
bestellt, der soll sie bitte auch bezahlen, Herr Mi-
Wissenschaftsstandort Niedersachsen. - Nieder-
nisterpräsident!
sachsen ist ein Land mit einer wirklich großen in-
(Starker Beifall bei der SPD und bei dustriellen Basis. Unser Land steckt aber auch
den GRÜNEN - Zurufe von der CDU) mitten in einem großen Strukturwandel. Deshalb
kommt es jetzt darauf an, diesen Wandel eher mit
Sichern Sie die kommunale Investitionsfähigkeit!
aktiver Innovations- und Industriepolitik zu gestal-
Das hilft auch dem Handwerk, das hilft auch den
ten. Ihre Antwort darauf war ein schon nach sehr
kleinen und mittelständischen Unternehmen. Ich
kurzer Zeit in gescheiterter Innovationsfonds. Ich
will deshalb auch ein Wort zu der von Ihren Leuten
erinnere Sie daran, dass Sie noch in Ihrem Wahl-
in Berlin geplanten Reform der Gewerbesteuer
programm eine Einlage von 500 Millionen Euro
sagen. Ich will dazu einen Vorschlag bringen. Die
gefordert haben. Ich habe mich erkundigt. Heute
Kommunen gehen im Augenblick wirklich am
sind es gerade noch 60 Millionen Euro, die zur
Stock. Die Kämmerer blicken in den Abgrund. Es
Verfügung stehen. Was soll denn aus diesen ge-
gibt Kassenkredite in schwindelerregender Höhe.
ringen Zinsen an Innovationen in der Industrie hier
Die Kommunen selbst haben große Angst, dass
gefördert werden? - Sie fangen mit Ihrem Vor-
sie nichts mehr gestalten können, sondern dass
schlag wieder von vorn an, wenn Sie dort nur ein
sie nur noch abwickeln können. Es steht viel mehr
Konzept fordern!
auf dem Spiel, als dass die Bürger auch noch das
Vertrauen in die Gestaltungskraft des Staates ver- (Starker Beifall bei der SPD und bei
den GRÜNEN)
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Beim bisherigen Ministerpräsidenten gab es Wirt- demografischen Wandel negativ betroffen sind,
schaftspolitik nur als Politik à la Einzelintervention. eine Wachstumsperspektive bieten. Die Landkrei-
Meine Befürchtung ist: Sie werden das so weiter- se wird es deshalb besonders interessieren, was
führen. - Aber, meine Damen und Herren, Krisenin- Sie gemeint haben, als Sie sagten: Wir als Land
tervention allein, von Fall zu Fall, reicht überhaupt wollen weiterhin selbst über die Verwendung der
nicht aus. Wir brauchen schlüssige Konzepte. Das EU-Mittel entscheiden. - Das wird eine auch für die
scheint aber nicht Ihre Stärke zu sein. In Ihrer Landkreise entscheidende Frage sein.
Wirtschaftspolitik sucht man danach vergebens. Ihr
(Lebhafter Beifall bei der SPD)
Minister Bode hat dieses System sogar noch per-
fektioniert: Nach dem Motto „mehr Schein als Sein“ Wir brauchen für Niedersachsen ein umfassendes,
arbeitet er ein Thema nach dem anderen ab, und langfristiges Zukunftskonzept. Wir brauchen Impul-
zwar - Sie erinnern sich! - immer als Pressemittei- se für Investitionen, für nachhaltiges Wachstum
lung! und für Beschäftigung. Wir müssen deshalb auch
die Binnennachfrage aus eigener Kraft stärken,
(Starker Beifall bei der SPD)
und wir müssen aus eigener Kraft auch Innovatio-
Damit kann er natürlich keinen großen Schaden nen fördern.
herbeiführen. Einen großen Schaden haben Sie in
Deshalb möchte ich Ihnen auch als Qualitätsoppo-
der einzelbetrieblichen Wirtschaftsförderung her-
sition einige Vorschläge machen, Herr McAllister.
beigeführt. Vor der Bundestagswahl wurde durch
Minister Rösler massiv Werbung für diese Förde- (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
rung gemacht, obwohl schon damals absehbar den GRÜNEN - Karl-Heinrich Lang-
war, dass diese Töpfe überzeichnet sein würden. specht [CDU]: Als was?)
Die Fördersätze wurden dann ganz schnell abge-
Der Wissenschaftsstandort muss mit der Wirtschaft
senkt. Zur Krönung haben Sie am 31. März die
stärker vernetzt werden. Das sagen auch Sie. Aber
Förderung auf den 1. April, von einem Tag auf den
ein gelungenes Beispiel für Vernetzung finden Sie
anderen, eingestellt. Wie sollen sich Unternehmen
auch vor unserer Haustür. Das ist das, was in einer
und Landkreise auf so eine Politik von Ihnen ein-
der forschungsintensivsten Regionen Europas,
stellen?
nämlich Braunschweig/Hannover, passiert. Das
(Starker Beifall bei der SPD und bei muss Ihnen doch als Vorbild für eine wirklich inno-
den GRÜNEN) vative und zukunftsfähige Politik Niedersachsens
dienen. Lernen Sie doch aus den realen guten
Ich finde, so kann man mit Unternehmen und
Beispielen, selbst wenn Sie dazu recht wenig bei-
Landkreisen nicht umgehen. Wir schlagen vor:
getragen haben, Herr McAllister.
Machen Sie doch zukünftig erst ein Konzept, und
dann gestalten Sie eine Förderung um. Damit kann (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
jeder umgehen. Was heißt das denn für Planungs- den GRÜNEN)
sicherheit in Niedersachsen? Was heißt das für
Sie haben die konkreten Felder benannt; das will
eine konjunkturelle Perspektive? Was sagen wir
ich Ihnen zugestehen. Wir müssen regenerative
den Bürgerinnen und Bürgern auf ihre Frage, was
Energien ausbauen. Wir müssen niedersächsische
für eine Wirtschaftspolitik Sie da machen?
Stärken wie die Mobilitätswirtschaft, die Energie-
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei wirtschaft und die Gesundheitswirtschaft weiter-
den GRÜNEN) entwickeln. Unser Ziel ist eine ökologische Indust-
riepolitik in Niedersachsen, von der auch der Mit-
Als Lehre aus der Wirtschaftskrise bin ich in mei-
telstand profitiert. Das schafft dann Arbeit und
ner Überzeugung bestärkt worden: Die Landkreise
Ausbildung in Niedersachsen.
und die Regionen in Niedersachsen brauchen eine
aktive Wirtschafts- und Strukturpolitik. Gerade vor (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
dem Hintergrund begrüßen wir Ihre Ankündigun- den GRÜNEN)
gen zur neuen EU-Förderperiode 2014 ff. Hier
Aber auch Arbeit und Zukunft müssen zukünftig
brauchen wir wirklich ein konzentriertes Vorgehen.
von uns positiv und positiver formuliert werden.
Die Stärken Niedersachsens müssen weiterentwi-
Der Berufseinstieg junger Menschen darf nicht
ckelt werden. Aber wir müssen gerade auch den
mehr nur noch durch Warteschleifen, befristete
Regionen, über die Sie heute nicht viel erzählt
Arbeitsverhältnisse oder Leiharbeit geprägt sein.
haben, denen es nicht so gut geht und die vom
Das zu ändern ist unsere gemeinsame politische

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Aufgabe. Wie Sie sich zum Teil hier in den Aus- Warum Sie dazu noch eine Analyse in Auftrag
schussberatungen oder im Plenum verhalten ha- geben müssen, das ist mir wirklich schleierhaft.
ben, als es um Schutzrechte von Arbeitnehmerin- Schaffen Sie einfach die Studiengebühren ab!
nen und Arbeitnehmern und um die Begrenzung Dann können Sie das evaluieren.
der Leiharbeit ging, sprach wirklich Bände. Sie
(Starker Beifall bei der SPD und bei
haben diese Rechte bisher nicht ernst genommen.
den GRÜNEN)
Das müssen Sie in Zukunft viel stärker tun.
Der Kampf um die Köpfe hat in Deutschland schon
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
längst begonnen. Es ist ganz klar: Kluge Köpfe
den GRÜNEN)
braucht das Land. Aber dafür reichen keine Wett-
Ich will das einmal mit Ihrem Pathos sagen: Ent- bewerbe, dazu reichen auch keine Shows, so nett
scheidend ist nämlich, wie wir hier im Lande mit sie auch wie die IdeenExpo sind. Was wir brau-
dem Gelernten, mit dem Elan und mit der Freude chen - und das ist ein Vorschlag von uns -: Wir
der jungen Menschen umgehen. Wir müssen viel müssen die Zukunftswerkstatt und die Forscherla-
mehr Möglichkeiten schaffen, dass ihre Motivation bors in die Schulen bringen. Da helfen sie direkt.
und ihre Kreativität gefördert werden. Wir dürfen
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
nicht allein nur über Wertschöpfung reden, son-
den GRÜNEN)
dern, meine Damen und Herren Abgeordnete, es
geht auch um die Wertschätzung unserer jungen Wenn wir den Zukunftstransfer mit den Menschen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. in Niedersachsen schaffen wollen, dann wird es
zukünftig nicht mehr gehen, dass man ein zerstö-
(Starker, anhaltender Beifall bei der
rendes Gegeneinander hat, sondern dann geht es
SPD und bei den GRÜNEN)
um das gestaltende Miteinander. Wir brauchen
Ich will aber ein weiteres Problem benennen. Das dafür die sozial verantwortlich denkenden und
betrifft die Wissenschaft und die Hochschule. Be- handelnden Unternehmer. Wir brauchen dazu das
reits jetzt sind die Wachstumskräfte durch einen bewährte konstruktive Engagement der Gewerk-
Fachkräftemangel gebremst. Das ist die Bremse schaften und der Betriebsräte, meine Damen und
Nummer eins in der Wirtschaft in Niedersachsen. Herren.
Schon jetzt fehlen 6 000 Ingenieurinnen und Inge-
(Starker Beifall bei der SPD und bei
nieure, es fehlen aber auch Lehrerinnen und Leh-
den GRÜNEN)
rer, es fehlen Erzieherinnen und Erzieher, es feh-
len auch Ärzte, es fehlen auch Informatiker. Des- Wir brauchen dazu aber auch - deswegen will ich
halb muss es uns besser als in der Vergangenheit sie nicht vergessen - die Wissenschaftlerinnen und
gelingen, die jungen Menschen für diese Tätigkei- Wissenschaftler, wir brauchen die Kulturschaffen-
ten zu gewinnen. Wir sind an dieser Stelle leider den, und wir brauchen auch die jungen Medien-
Entwicklungsland. Wir haben viel zu wenig Studie- treibenden. Das ist unsere Zukunft in Niedersach-
rende in Niedersachsen. sen, meine Damen und Herren.
(Starker Beifall bei der SPD und bei (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
den GRÜNEN) den GRÜNEN)
Eine Studierquote von 30 % in Niedersachsen, im Ich komme zum traurigsten Kapitel Ihrer Regie-
Bund von 36 % und angestrebten 40 %, das zeigt, rungsbilanz, ich komme zur Zukunft der Schule,
wo wir in Niedersachsen stehen. Das ist ein Rie- zur Schul- und Bildungspolitik. Es geht hier, auch
senproblem. wenn Sie uns im Zweifel einmal anderes unterstellt
haben, um mehr als nur individuelle Bildungschan-
(Zuruf von der CDU: Wir liegen bei
cen, für die wir uns hier einsetzen. Es geht uns um
42 %!)
Teilhabechancen. Aber - und das mögen Sie uns
Wir unterstützen Ihr Konzept der offenen Hoch- wirklich abnehmen; auch wir können ökonomisch
schule. Das ist sehr gut, keine Frage. Wir haben es denken - es geht auch um die Zukunftsfähigkeit
von Anfang an unterstützt. Aber dass Sie an den unseres Landes. Deswegen: Bei uns werden sozi-
Studiengebühren festhalten, das ist wieder zwei ale Gerechtigkeit und Innovation immer zusammen
Schritte zurück, meine Damen und Herren. gesehen. Das gehört auch für die Schulpolitik da-
zu.
(Starker Beifall bei der SPD und bei
den GRÜNEN)
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(Starker Beifall bei der SPD und bei immer weniger Köpfe. Um die müssen wir uns jetzt
den GRÜNEN) intensiver bemühen. Deswegen muss das Geld in
diesem Bereich erhalten bleiben.
Aber ich frage mich: Wie gehen Sie mit den Talen-
ten und mit dem Potenzial in Niedersachsen um? - (Starker Beifall bei der SPD, bei den
Wenn ich mir allein die letzten beiden Wochen GRÜNEN und bei der LINKEN)
angucke: Drei Studien hintereinander weg haben
Ich finde, das ist eine ganz einfache, verständliche
das Scheitern Ihrer Politik belegt, und Sie nehmen
Formel. Die kann jeder verstehen. Wir müssen
es heute einfach nicht zur Kenntnis.
aber bei den Kleinsten anfangen. In der frühkindli-
(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei chen Bildung wird wirklich das Fundament gesetzt,
den GRÜNEN) auch für die Zukunftsfähigkeit dieses Landes. Wir
fordern mehr Betreuungskräfte und kleine Gruppen
Der Bundesbildungsbericht, die erste Studie, be-
und mehr Ganztagsplätze. Das bedeutet konkret:
scheinigt Ihnen ganz eindeutig, dass Niedersach-
weniger Kinder, weniger Schülerinnen und Schü-
sen unter den westlichen Flächenländern den
ler, aber bitte bei gleichbleibenden Ressourcen in
höchsten Anteil von Kindern in Risikolagen der
kleineren Gruppen und Klassen. - Das ist ein Zu-
Elternhäuser und Familien hat. Da geht es um
kunftsmodell für Niedersachsen!
Erwerbslosigkeit, um Alleinerziehende und um
Migrationshintergrund. Wir sind ganz weit hinten. (Starker Beifall bei der SPD)
Die zweite Studie, die Schulvergleichsstudie, die Um diese Schlusslichtposition in Niedersachsen zu
vor Kurzem auf den Markt gekommen ist, belegt, verlassen, ist es wirklich nötig, dass wir gemein-
dass in Niedersachsen nach Baden-Württemberg sam mit den kommunalen Trägern in den nächsten
und Bayern die Chancen eines Akademikerkindes, drei Jahren eine Aufholjagd starten. Starten Sie,
Abitur zu machen, mindestens fünfmal höher sind und beginnen Sie jetzt damit! Denn es müssen
als bei einem Facharbeiterkind. Wohlgemerkt: bei noch 25 000 Plätze geschaffen werden, und es
gleicher Begabung! Diese große Abhängigkeit von muss dort das notwendige Personal zur Verfügung
der sozialen Herkunft ist und bleibt für Niedersach- gestellt werden - eine wirklich große Aufgabe, die
sen wirklich beschämend. Sie sich da jetzt eigentlich vornehmen müssten.
(Starker Beifall bei der SPD und bei (Lebhafter Beifall bei der SPD)
den GRÜNEN)
Aber Ihr Versagen setzt sich auch im Schulbereich
Zu guter Letzt: in dieser Woche der Ländermonitor fort. Nahezu zwei Drittel der bestehenden Haupt-
der Bertelsmann-Stiftung. schulen - Sie haben es richtig beschrieben - wer-
den im fünften Schuljahrgang unterhalb der vorge-
(Minister Dr. Bernd Althusmann: Von
schriebenen Mindestzügigkeit betrieben. Viele
2005!)
Hauptschulen müssen sogar jahrgangsübergrei-
Er belegt wieder einmal - drei Jahre hintereinan- fenden Unterricht anbieten. Dann kommen noch
der; wir warten mal, ob sich die Kurve ändert - die die ganzen Wünsche der Eltern dazu, gerade was
Schlusslichtposition Niedersachsens in der früh- die Anwahl der weiterführenden Schulen angeht.
kindlichen Bildung. Wie viele Negativzeugnisse Immer mehr Menschen wollen Schulen mit Abitur-
und Beweise wollen Sie eigentlich noch haben, option. Wir finden, dass sich diesen Anforderungen
bevor Sie endlich anfangen zu handeln? auch Niedersachsen stellen muss. Sie als Nieder-
sächsische Landesregierung und als die sie tra-
(Starker Beifall bei der SPD und bei
genden Fraktionen haben diese Rahmenbedin-
den GRÜNEN)
gungen bisher einfach ignoriert. Wir wollen, dass
Meine Damen und Herren Abgeordnete, es geht das in Niedersachsen anders wird.
wirklich um die Frage, welche Antwort wir jetzt auf
(Starker Beifall bei der SPD)
den demografischen Wandel geben. Wir werden
zukünftig weniger Kinder haben. Ihre Konsequenz Eine SPD-geführte Landesregierung würde mit
ist, Kürzungen im Bildungsbereich nicht auszu- einer solchen verfehlten Schulpolitik relativ schnell
schließen oder sie am Ende vielleicht sogar noch Schluss machen.
vorzuschlagen. Wir sagen: Machen Sie das nicht!
(Beifall bei der SPD - Dr. Gabriele
Lassen Sie uns die Chancen des demografischen
Andretta [SPD]: Sofort! - Unruhe bei
Wandels wirklich ausnutzen! - Wir haben zukünftig
der CDU)

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Auch die Eltern haben das schon lange verstan- Aber eine in die Zukunft gerichtete Wirtschaftspoli-
den. Ebenfalls die Kommunen haben das verstan- tik findet in Niedersachsen nicht mehr statt. Was
den. Das gegliederte Schulsystem in Niedersach- wir vor allem lösen müssen, ist das Problem mit
sen hat wirklich keine Zukunft mehr. Nehmen Sie den derzeitig einzigen Lagerstätten für radioakti-
das bitte endlich zur Kenntnis! ven Müll der Kernkraftwerke in Niedersachsen. Der
Untersuchungsausschuss Asse steht jetzt wirklich
(Starker Beifall bei der SPD sowie
sinnbildlich für die einseitigen und politisch moti-
Beifall bei den GRÜNEN und bei der
vierten Genehmigungsverfahren der Vergangen-
LINKEN)
heit.
Eine kleine Petitesse noch am Schluss - vielleicht
(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Um
haben Sie es mitbekommen -: Die beste Abiturien-
die ihr euch ja immer gekümmert
tin kommt in diesem Jahr von der IGS Geismar. -
habt! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Herr
Darauf wollte ich noch hingewiesen haben.
Jüttner war nie da!)
(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei
Meine Damen und Herren, auch ein Wort zu Gor-
den GRÜNEN und bei der LINKEN -
leben: Nehmen Sie Ihre Eidesformel ernst, Herr
Karl-Heinz Klare [CDU]: Das gehört
Ministerpräsident! Wenden Sie Schaden vom Land
aber auch zu unserem Schulsystem!)
ab!
- Wunderbar! Großes geleistet!
(Starker Beifall bei der SPD sowie
Weil Sie dazu bisher gar nichts gesagt haben, zum Beifall bei den GRÜNEN und bei der
Schluss zur Schulpolitik noch Folgendes: Eine LINKEN)
weitere große Herausforderung, die nicht erwähnt
Suchen Sie endlich nach Alternativen! Interessant
worden ist, und auch eine Herausforderung für
fand ich wirklich, dass Sie sich hier überhaupt nicht
soziale Gerechtigkeit ist die Inklusion. Das Thema
festlegen wollten. Suchen Sie nach Alternativen
wurde von Ihnen ausgelassen. Die UN-Menschen-
zum Endlager, und halten Sie am Atomausstieg
rechtskonvention fordert einen Paradigmenwech-
fest! Dazu fordern wir Sie auf.
sel in der Bildungspolitik. Eine riesige Aufgabe!
Das bedeutet jetzt aber: Es wird bei allen Schul- (Starker Beifall bei der SPD und Bei-
formen und allen Beteiligten eine neue Haltung fall bei den GRÜNEN)
erforderlich. Wir fordern von Ihnen: Legen Sie end-
Sie können hier nicht auf der einen Seite die Ener-
lich auch für Niedersachsen einen Aktionsplan zur
giepolitik und die Frage der erneuerbaren Energien
Umsetzung der Inklusion auf den Tisch!
als Zukunftsfeld für die wirtschaftliche Entwicklung
(Starker Beifall bei der SPD sowie beschreiben und auf der anderen Seite den Struk-
Beifall bei den GRÜNEN und bei der turwechsel in der Energieversorgung voranbringen,
LINKEN) wenn Sie hier nicht gleichzeitig ein ganz fettes
Stoppschild setzen, indem Sie an der Laufzeiten-
Die Energiepolitik und der Klimaschutz, ein beson-
verlängerung von Kernkraftwerken festhalten.
deres Kapitel dieser Regierung. - Meine Damen
Kernkraftwerke und die Atomenergie sind keine
und Herren, ich erinnere Sie daran: Niedersachsen
Brücke für erneuerbare Energien. Das muss Ihnen
hatte früher die Spitzenposition im Bereich der
jetzt endlich klar werden.
Umweltpolitik. Dort hatte eine SPD-geführte Lan-
desregierung Maßstäbe gesetzt. Mit Sicherheit (Starker Beifall bei der SPD und Bei-
wird Herr Jüttner Ihnen das bestätigen können; fall bei den GRÜNEN)
denn wir sind sehr stolz auf seine Arbeit damals, in
Was wir für Niedersachsen brauchen, ist ein klares
den 90er-Jahren bis über das Jahr 2000 hinaus.
Klimaschutzkonzept. Wir brauchen wirklich einen
(Starker Beifall bei der SPD - Karl- Strukturwechsel in der Energieversorgung. Wir
Heinrich Langspecht [CDU]: Er ist hätten von Ihnen ein klares Ziel und eine Ausspra-
niemals in der Asse gewesen!) che zum Ziel erwartet. Wir sagen: bis 2050 eine
100-prozentige Versorgung mit regenerativen
Diese Spitzenposition gehört aber mittlerweile
Energien! Das ist die richtige Politik für Nieder-
wirklich der Vergangenheit an. Das Umweltressort
sachsen.
wird buchstäblich nur abgewickelt. Dabei gilt doch:
Zeitgemäße Umweltpolitik ist ein wesentlicher Fak-
tor für eine zukunftsgewandte Wirtschaftspolitik. -
Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode - 76. Plenarsitzung am 1. Juli 2010

(Starker Beifall bei der SPD sowie Pflege muss auch bei Ihnen ganz oben auf die
Beifall bei den GRÜNEN und bei der politische Agenda! Denken Sie an die Millionen
LINKEN) Menschen in Niedersachsen, die davon betroffen
sind und auch in Zukunft betroffen sein werden!
Ich komme zum Kapitel soziale Gerechtigkeit.
Denken Sie an die Beschäftigten in diesen Berei-
(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Die müss- chen! Stellen Sie sich den Diskussionen! Gehen
te mehr nach vorne!) Sie in diese Einrichtungen hinein! Selbst wenn wir
es noch nicht vollständig verstanden hätten: Wir
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch in
würden uns jetzt dort hineinbegeben. Deshalb
Niedersachsen geht es um mehr soziale Gerech-
machen wir eine Pflegekampagne, um Ihnen noch
tigkeit. Die Menschen haben wirklich nicht das
mehr Druck zu machen. Lernen Sie bitte dort dazu!
Gefühl, dass es hier gerecht zugeht. Sie haben
Widmen Sie sich diesem Thema!
Angst vor Abstieg, sie haben Angst vor Statusver-
lust. Das geht ganz tief in die Mittelschichten hin- (Starker Beifall bei der SPD)
ein, und das wird zur zunehmenden Spaltung der
Der zweite Bereich sind Migration und Integration.
Gesellschaft führen. Kinder und Altersarmut sind
Ich will ausdrücklich Herrn Wulff noch einmal zitie-
auch in Niedersachsen heute keine Ausnahme
ren, da er bei seiner Sommerreise erstmals eine
mehr.
bahnbrechende Äußerung gemacht hat. Er sagte,
Aber damit das für uns keine politischen Phrasen dieses Thema sei nicht nur Bringschuld der Mig-
sind: Wir wollen zwei Bereiche konkret anspre- ranten, sondern es sei Holschuld von Personal-
chen, die Sie nicht oder nur sehr wenig angespro- chefs der Unternehmen.
chen haben.
(Johanne Modder [SPD]: Sehr richtig!)
Nicht ohne Grund laufen derzeit Kirchen und Sozi-
Und er sagte, Integration gehe am besten über
alverbände Sturm gegen Ihre Pflegepolitik. Diese
Bildung und Arbeit.
fordern, dass ein eigenständiges Leben im Alter
auch dann möglich sein muss, wenn es durch (Karl-Heinz Klare [CDU]: Ja!)
Krankheit und Pflegebedürftigkeit schwieriger wird.
Ich frage mich: Warum kommen diese Erkenntnis-
Dafür ist es nötig, dass endlich eine menschen-
se erst jetzt?
würdige und qualitativ hochwertige Pflege sicher-
gestellt wird. (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei
den GRÜNEN)
(Starker Beifall bei der SPD und Bei-
fall bei der LINKEN) Eine interessante Zahl haben wir in den letzten
Tagen vernommen: Die Einbürgerungen sind in
Für uns ist das eine selbstverständliche Aufgabe.
Niedersachsen entgegen dem Bundestrend rück-
Bei Ihnen sind wir uns da nicht sicher - nicht nur,
läufig. - Ändern Sie erst einmal die Politik Ihres
weil Sie das Thema nicht erwähnt haben.
Innenministers, bevor Sie hier weiter über dieses
(Karl-Heinz Klare [CDU] bespricht sich Thema reden!
an der Regierungsbank mit Minister-
(Starker Beifall bei der SPD und bei
präsident David McAllister - Uwe
den GRÜNEN)
Schwarz [SPD]: Ich finde das Verhal-
ten von Herrn Klare rüpelhaft!) Ich sage es ausdrücklich: Wir begrüßen die Arbeit
der neuen Ministerin Özkan. Aber unsere Kritik
Für die CDU und die FDP scheint diese Politik für
bleibt: Integration ist in Ihrer Regierung wirklich
ältere Menschen eher ein Fremdwort zu sein; je-
kein Querschnittsthema - Sie haben es heute deut-
denfalls lassen sie dort jede Anstrengung vermis-
lich gemacht -, obwohl es politisch, strategisch und
sen. Das soll auch kein hohler Vorwurf sein. Aber
auch volkswirtschaftlich von allergrößter Bedeu-
dass Niedersachsen seit Jahren bundesweit in der
tung für uns ist. Dieses Thema ist ein Thema des
Altenpflege Schlusslicht ist, ist für uns ein Beleg.
Jahrzehnts. Dieses Thema müsste bei Ihnen, Herr
Beweisen Sie das Gegenteil!
McAllister, Chefsache werden.
(Starker Beifall bei der SPD sowie
(Lebhafter Beifall bei der SPD)
Beifall bei den GRÜNEN und bei der
LINKEN) Lassen Sie mich zum sechsten und letzten Punkt
kommen. Dabei geht es um die finanzielle Ausstat-

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Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode - 76. Plenarsitzung am 1. Juli 2010

tung der öffentlichen Haushalte. Über allem Sie endlich auch einmal zu den Auswirkungen
schwebt zurzeit die miserable Finanzlage des Lan- Ihrer Politik! Dazu fordere ich Sie auf.
des. Wenn es um Ihre Verantwortung geht, dann
(Lebhafter Beifall bei der SPD)
haben Sie in der Vergangenheit immer gesagt - in
den letzten zweieinhalb Jahren durfte ich das re- Sie reden immer vom Sparen. Doch in Wirklichkeit
gelmäßig hören -, alles sei nicht Ihre Schuld. Im- ruinieren Sie zurzeit systematisch den Bundes-
mer gab es andere Schuldige. Entweder ist es die haushalt, Sie ruinieren auch den Landeshaushalt,
SPD-Regierung in den 90er-Jahren gewesen, und Sie ruinieren damit auch die kommunalen
Haushalte. Schwarz-Geld - und Sie haben alle
(Beifall bei der CDU)
Macht in der Hand - hat im Bund und mit steter
- ja, ich habe es gehört; Sie haben bei meiner Re- Zustimmung aus Niedersachsen ein Milliardenge-
de das erste Mal geklatscht; genau - schenk an die Hoteliers gemacht und Vergünsti-
gung bei der Umsatzsteuer gewährt. Sie verwei-
(Zurufe: Gerd Schröder! - Die Mond-
gern sich jedem Versuch, das Dickicht in der Um-
phasen fehlen!)
satzsteuer zu bereinigen. Sie widersetzen sich der
oder Sie bemühen die Finanzmarktkrise. Aber Sie Wiedereinführung der Vermögensteuer. Wenn man
können Ihr Unvermögen an der Stelle wirklich nicht Sie ließe, würden Sie sogar noch die Steuersätze
überdecken. Die SPD hat jedenfalls in ihrer Regie- absenken, am besten als erstes den Spitzensteu-
rungsverantwortung nicht ständig die Schuld auf ersatz.
das massive Versagen z. B. einer Albrecht-
(Ingrid Klopp [CDU]: Jetzt ist es aber
Regierung geschoben.
genug!)
(Lachen bei der CDU - Karl-Heinz Kla-
Den Staat ärmer zu machen, als er ist, und dann
re [CDU]: Hinrich Wilhelm Kopf! - Wei-
auch noch die Ausgaben zu beschneiden, das ist
tere Zurufe von der CDU)
wirklich falsche Politik, meine Damen und Herren.
Ich habe mir sehr bewusst die Regierungserklä-
(Starker, anhaltender Beifall bei der
rung Albrecht und die Erwiderung von Peter von
SPD und bei den GRÜNEN)
Oertzen angeschaut. Schauen auch Sie einmal
nach! Das wird ein großes Vorbild auf die nächste Es handelt sich wirklich um ein hausgemachtes
Haushaltsdebatte in diesem Parlament sein, meine Problem von Schwarz-Gelb. Das müssen Sie zu-
Damen und Herren. gestehen. Ich komme auf Ihr Angebot an uns als
Opposition zurück. Wir können Probleme gemein-
(Starker Beifall bei der SPD)
sam lösen. Wir bieten Ihnen an: Wenn Sie in die-
Eines gebe ich auch zu: Die Schuld an der Weltfi- ser entscheidenden Situation endlich Rückgrat
nanzkrise trifft wirklich nicht die Landesregierung. zeigen und der schwarz-gelben Bundesregierung
Sie trifft nicht die Landesregierung Wulff, und sie in Berlin die Gefolgschaft verweigern, können wir
trifft auch nicht die Landesregierung McAllister. Sie mitmachen. Hierfür sagen wir Ihnen heute unsere
trifft aber auch nicht die Landesregierung Gerhard Unterstützung zu.
Schröder oder Vorgängerregierungen.
(Starker Beifall bei der SPD)
(Vizepräsidentin Astrid Vockert über-
Eine SPD-geführte Landesregierung würde jeden-
nimmt den Vorsitz)
falls die Einnahmeseite nicht so systematisch ver-
Aber zur Ehrlichkeit gehört es auch zu sagen, nachlässigen. Sie werden in der Realität sogar
wessen Geist eigentlich diese weltweite Finanz- noch überholt.
marktkrise entsprungen ist. Mit der Parteinahme
(Zurufe von der CDU)
für immer stärkere Marktliberalisierung und Dere-
gulierung sind Sie doch mit Wegbereiter dieser Selbst Teile Ihrer bisherigen Klientel, etliche Wirt-
gravierendsten Wirtschafts- und Finanzmarktkrise. schaftsverbände, etliche Vermögende, selbst Un-
ternehmer in der CDU, MIT, die Mittelstandsverei-
(Starker Beifall bei der SPD)
nigung in Nordrhein-Westfalen, gehen in ihrer For-
Ich merke, es fällt Ihnen schwer. Aber stehen Sie derung nach einer Erhöhung der Spitzensteuersät-
endlich einmal zu Ihrer Verantwortung. Wenn Sie ze mittlerweile viel weiter als Sie. Am Ende hören
eine Ordnungspolitik immer wieder so beschrei- Sie nicht einmal mehr auf die Kirchen. Sie hören
ben, wie das hier im Landtag passiert, dann stehen nicht einmal mehr auf die Verbände. Diese fordern
Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode - 76. Plenarsitzung am 1. Juli 2010

mehr Gerechtigkeit und mehr Solidarität von Ihnen.


Wissen Sie, was gerade passiert? - Sie verlassen
die Mitte der Gesellschaft in diesem Punkt.
(Starker, anhaltender Beifall bei der
SPD, bei den GRÜNEN und bei der
LINKEN)
Gerade die FDP sollte sich bei ihren Umfrageer-
gebnissen einmal sehr kritisch und nachdenklich
mit diesem Thema befassen.
Politik braucht konzeptionelle Kraft, Politik braucht
auch fiskalische Fantasie. Diese ist Ihnen mit Si-
cherheit verloren gegangen. Aber es kann auch
sein, dass Sie sie nie hatten. Es geht eben nicht
nur um Streichen und Sparen, sondern es geht um
Sparen und Gestalten, meine Damen und Herren.
Sparen Sie die Zukunft nicht kaputt!
(Starker Beifall bei der SPD)
Zum Schluss zu Ihrer Erbauung noch einige Über-
schriften: „Niedersachsen ist pessimistisch wie
nie“, „Schlusslicht“, „Die Niedersachsen blicken mit
Sorgen in die Zukunft“. - Gibt Ihnen das nicht zu
denken?
(Zuruf von Ursula Körtner [CDU])
Eine aktuelle Allianz-Studie stellt fest, dass im
Augenblick nur 12 % der Niedersachsen der Ge-
samtsituation positiv entgegengehen. Letztes Jahr
waren es noch 22 %. Was ist denn los hier in Nie-
dersachsen, meine Damen und Herren?
(Starker Beifall bei der SPD)
Ich bin nicht pessimistisch; ich bin optimistisch.
Aber wo man warnen muss, muss man warnen.
Ihre Politik funktioniert nur noch nach einem Mus-
ter: Entweder zerstören Sie sinnvolle Strukturen,
oder Sie unternehmen einfach nichts, um die wirk-
lichen Probleme des Landes anzupacken. Statt-
dessen setzen Sie auf Konzepte, die von der Rea-
lität schon längst überholt sind. Nach allem, was
Sie heute an Strategien und Plänen präsentiert
haben, ist uns eines klar, Herr Ministerpräsident:
Ihr Kabinett ist nur ein Kabinett des Übergangs.
Wir freuen uns auf 2013.
(Zurufe von der CDU: Wir auch!)
Wir werden Qualitätsopposition machen, und 2013
werden wir Regierung sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Stürmischer, nicht enden wollender
Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN
und bei der LINKEN)

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