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»Sterbliches Denken«
Eine neuerliche theologische Erinnerung an Martin Heidegger1
Michael Trowitzsch
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»Sterbliches Denken« 473
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474 Michael Trowitzsdi
II
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»Sterbliches Denken« 475
32 ZThK 81/4
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476 Michael Trowitzsdi
III
12 Sprache, 190.
13 Vgl. V.Weizsäcker (s. Anm. 3), 244 f; H.-G. Gadamer, Martin Heideg
ger - 75 Jahre (1964; in: Ders., Heideggers Wege. Studien zum Spätwerk,
1983, 18-28), 20; K.Jaspers, Notizen zu Martin Heidegger, hg. ν. H. Saner,
1978, 47: »... er scheint zu merken, was noch niemand sah ...«
14 Im Gespräch mit Hölderlins »Germanien« formuliert Heidegger (Hol
derlins Hymnen, 81 f): »Dieser Schmerz des Rufens, dieses Klagen entspringt
und schwingt in einer Grundstimmung der Trauer. Es muß aber hier im vor
aus mit Bezug auf diese und jede Grundstimmung gesagt werden, daß es sich
hier nicht handelt um schwächlich müdes Sichbaden in sogenannten Gefüh
len, um eine Sentimentalität, die nur den eigenen Seelenzustand >bebrütet<.
Im besonderen ist diese Trauer kein ohnmächtiges In-sich-zusammensinken.
Die Grundstimmungen sind, um eine übliche Unterscheidung hier zu ge
brauchen, nichts Seelisches, sondern etwas Geistiges. Der Schmerz und das
Leiden ist überhaupt nur kraft des Aushaltens des Widerstreites.« Vgl. zur
Grundstimmung der Trauer ebd. 87 f. 93 f. 148. 223 sowie Hölderlins Dich
tung, 26 f. Heidegger nennt in diesem Zusammenhang den Schmerz »die
Grundform des *Wissens des Geistes« (Hölderlins Hymnen, 135). Dieses Wis
sen ist zumal in der Dichtung bewahrt. So bedenkt Heidegger in Zwiesprache
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»Sterbliches Denken« 477
IV
mit Gedichten Georg Trakls und Stefan Georges das Wesen des Schmerzes und
der Trauer (vgl. Sprache, 26-30. 45. 61-66. 72 f. 169. 234-236; Wegmarken,
403 f; Technik, 38; Holzwege, 275; Vorträge und Aufsätze, 78. 90.136-138). -
Daß besonders Ernst Fuchs das Denken Heideggers als von der Klage be
stimmt verstanden habe, stellt H. Franz heraus (Das Denken Heideggers und
die Theologie [in: Heidegger. Perspektiven zur Deutung seines Werks, hg. v.
O.O. Pöggeler, 19702, 179-216], 187 f). Vgl. auch O. Pöggeler, Heidegger und
die hermeneutische Theologie (in: Verifikationen. FS f. G. Ebeling zum
70. Geb., hg. ν. E. Jüngel u.a., 1982, 475-498), 483: »Die Grundstimmung
im Anfang des Denkens war das Staunen; nun, im Zeitalter des Nihilismus,
ist die Grundstimmung bezeichnet durch den Schrecken und das Entsetzen,
zugleich auch durch jene Scheu und jene Verhaltenheit, die dem Sein die Un
Verfügbarkeit seiner Wahrheit wahren.« Von einer »heimlichen Melancholie«
im Denken Heideggers spricht D. Sternberger (Martin Heidegger im Ge
spräch, hg. v. R. Wisser, 1970, [42-44] 43).
15 AaO (s. Anm. 13) 31. 33. 56. 86. 147. 171 u. ö.
16 AaO 136.
17 Also sprach Zarathustra (Zarathustras Vorrede 5).
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478 Michael Trowitzsch
18 Holzwege, 203.
19 Identität, 45. - Heideggers »Gott-losigkeit« hat Jaspers vielfach notiert
(31.(31. 33. 51. 56. 125).
20 Verantwortung des Glaubens, 95.
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»Sterbliches Denken« 479
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480 Michael Trowitzsch
VI
Der Untergang - ein Untergang ohne Würde, ohne Gestalt noch Schöne -
hat sich schon ereignet. Das Entsetzliche ist, in einem geschichtlich eher
beiläufigen Vorkommnis, schon geschehen. Den Abgrund des Verstum
mens erblickt die christliche Theologie im Kreuz Jesu Christi. Die Klage
des Gekreuzigten, der als der authentische Augenzeuge dem unendlich
Menschenwidrigen ins Angesicht schaut und bei ihm zu verweilen ver
mag - die Klage des Sehenden steigt in die Tiefe des Leidens hinab.
Welcher Moment, wenn nicht dieser, kann im eigentlichen Sinne »Welt
nacht« heißen: da eine Finsternis war über das ganze Land von der
sechsten bis zur neunten Stunde (Mk 15, 33). Die Anrede an den Vater
scheint schwerer als möglich. Der Gekreuzigte, und allein er, erfüllt mit
dem Ersten auch das Zweite Gebot - noch angesichts dessen, daß Gott
auszubleiben und sich zu entziehen scheint. Die Gewalt schreitet über
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»Sterbliches»Sterbliches Denken« 481
VII
Das Denken, das sich das Hochfahrende, das Verstiegene der Meta
physik und deren angestrengte Haltung des Wollens verboten sein läßt,
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482 Michael Trowitzsdi
28 Vorträge und Aufsätze, 70. - Zur Haltung des Wollens vgl. H. Arendt,
Vom Leben des Geistes II: Das Wollen, 1979, 164-185 (Heideggers Wille zum
Nicht-Wollen).
29 Sache des Denkens, 66.
30 Vorträge und Aufsätze, 229.
31 Vorträge und Aufsätze, 179.
32 Vgl. Identität, 65; Vorträge und Aufsätze, 180; Sprache, 216; Nietzsche
II,II, 368. 370.
33 Vgl. Vorträge und Aufsätze, 221.224 f; Hölderlins »Andenken«, 150 f;
Hölderlins Dichtung, 122 f.
34 Wegmarken, 352. 364.
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»Sterbliches Denken« 483
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484 Michael Trowitzsdi
VIII
Tritt damit eine unerwartete Provokation des Ersten Gebots auf? Kein
Heilsratschlag, der das Sicherheitsverlangen stillt, kein Weg, keine Wei
sung im Denken; die Werke, das Handeln - es wird uns nicht retten.
»Nur noch ein Gott kann uns retten.« Bringt sich also, überraschender
weise aus dem Munde des Philosophen, die harte Anwendung des usus
theologicus legis zu Wort - dessen Anwendung auf eine verzweiflungs
41 Vgl. dazu den von Jüngel und mir verfaßten Beitrag (s. Anm. 2). -
Heideggers ausdrückliche Abwehr »kein Heilsweg« (Vorträge und Aufsätze,
183) zusammengenommen mit den vielfachen Einschränkungen und betonten
Vorbehalten bei Aussagen über eine Möglichkeit zur Rettung steht m. E. einer
Interpretation des Denkens Heideggers als eines »Heilsdenkens« entgegen
(so A. Jäger, Gott. Nochmals Martin Heidegger, 1978, 83. 359. 400. 419. 438.
441 f). Dabei soll das zeitweilige Durchbrechen dieses Elementes zumal im
Spätwerk nicht bestritten werden. Im ganzen wird man Gadamer recht geben
dürfen (Der Weg in die Kehre [in: Heideggers Wege (s. Anm. 13), 103-116],
113 113 f): »Selbst Äußerungen, mit denen Heidegger dem kalkulierenden Den
ken, das Möglichkeiten der Zukunft erwägt, entgegenzutreten versucht, er
halten etwas von der mißlichen Vorgreiflichkeit, die dem Begreifen anhaftet.
Gewiß ist es wahr, daß alle Vorausschau, die auf ein Neues, Anderes, Retten
des hofft, kein wirkliches Berechnen oder Vorausberechnen einschließt, und
wenn Heidegger deshalb von der Ankunft des Seins redet und etwa hinzu
setzt >jäh vermutlich< (VuA 180) und in jenem berühmten Interview sagt
>Nur ein Gott kann uns retten!, so sind dies mehr Zurückweisungen, die das
rechnende Wissenwollen und Beherrschenwollen der Zukunft abweisen wol
len, als daß sie wirkliche Aussagen sind. Das >Sein< läßt sich nicht ermitteln
oder als durch etwas uns Zugängliches vermittelt denken. Eben deshalb aber
sind solche Äußerungen nicht etwa Voraussagen.«
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»Sterbliches Denken« 485
42 BSLK, 436.
43 Verantwortung des Glaubens, 95 f.
44 Zum soteriologischen Anspruch des Denkens qua Denken vgl. W. Mo
stert, Sinn oder Gewißheit? Versuche zu einer theologischen Kritik des
dogmatistischen Denkens (HUTh 16), 1976.
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486 Michael Trowitzsch
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»Sterbliches Denken« 487
IX
Es ergibt sich daraus nun eine klarere Einsicht in die Armut der Theo
logieis.
Daß es der Gekreuzigte ist, der sich der christlichen Theologie zu
verstehen gibt, teilt sich der Weise ihres Redens mit. Nicht das Bewußt
sein des Wesens Verlustes des Menschen, sondern die Erinnerung an die
Klage des am Kreuz Sterbenden weist sie dem Vorläufigen zu, dem
Fragmentarischen, nicht nur als äußerer Gestalt, sondern als innerem
Formprinzip, über das sie, dieser Erinnerung wegen und darum »um
der gebrechlichen Einrichtung der Welt willen«49, nicht hinauswachsen
kann50. Theologie hat sich gegen diese Erinnerung hin offenzuhalten
und sich deshalb zur Geduld und zum Hiersein zu entschließen. Sie
wird ein gebrochenes Denken bleiben, wie gerade der Verfasser der
monumentalen »Kirchlichen Dogmatik« eingeschärft hat51. Vielleicht,
so kann man fragen, verträgt sich diese Gebrochenheit mit höherer
Ironie? Der Versuchung jedenfalls, sich absolut zu gebärden, der dem
menschlichen Denken immanenten Tendenz auf Einheit, auf das sich
vollendende System52, auf ausgedachte Geschlossenheit, hält eine theo
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488 Michael Trowitzsch
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»Sterbliches Denken« 489
XI
54 Vgl. Ε. Jüngel, Der Schritt des Glaubens im Rhythmus der Welt (in:
Ders., Unterwegs zur Sache [s. Anm. 48], 257-273), bes. 260 f.
55 Vgl. Nietzsche II, 318.
56 Erfahrung des Denkens, 21.
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490 Μ. Trowitzsch, »Sterbliches Denken«
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mutlich die größte Herausforderung an den Glauben und an das Ver
trauen des Menschen, wahrhaft einzusehen, daß es kein Schweigen Got
tes mehr geben kann, das nicht erfüllt wäre von jenem »kündlich großen
Geheimnis«: daß er, Christus, wie ich die Stelle aus dem 1. Timotheus
brief nun übersetzen möchte, »offenbart ist im Durchgang durch die
Sterblichkeit des Fleisches; unvergessen und erhört vom Geist; schei
nend ohne Abschied den Engeln; nicht versagt, sondern gepredigt den
Völkern; als Antwort geglaubt in der Welt und ihrer Nacht; nur noch
von Gott aus dem Untergang gerettet in die Herrlichkeit«. Auch das
Schweigen Gottes handelt ebendavon. Gottes Schweigen kann unter
keinen Umständen das Evangelium dementieren. Vielmehr wohnt es
verborgen auch ihm inne. Daß aber präzise von etwas geschwiegen
werden kann, weiß die alltägliche Erfahrung. Es wird dann beredt ge
schwiegen. Gottes Schweigen bleibt in diesem Sinne durchdrungen von
Sprache. Auch wo er nicht spricht, im Schweigen, in der Stille, bekun
det er sich als derselbe. Denn Gott kann den Namen Gottes nicht un
nützlich führen noch unnützlich verschweigen. Er kennt keine lieder
liehe Rede. Und sein Schweigen ist auch noch von ihm.
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