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»Sterbliches Denken«: Eine neuerliche theologische Erinnerung an Martin Heidegger

Author(s): Michael Trowitzsch


Source: Zeitschrift für Theologie und Kirche, Vol. 81, No. 4 (1984), pp. 472-490
Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG
Stable URL: http://www.jstor.org/stable/23585010
Accessed: 12-12-2017 19:21 UTC

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»Sterbliches Denken«
Eine neuerliche theologische Erinnerung an Martin Heidegger1

Michael Trowitzsch

Im Werk Martin Heideggers2 erscheint zuletzt die Härte der sprach


liehen Fügung bis zur Unverständlichkeit gesteigert. Ein Sehender, ein
Augenzeuge offensichtlich, teilt mit, »was heute ist«. Der da indessen

1 Antrittsvorlesung an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Uni


versität Münster, gehalten am 26.1. 1984. - Die Werke Heideggers werden
mit folgenden Abkürzungen zitiert:
Aus der Erfahrung des Denkens, 19774 = Erfahrung des Denkens;
Der Satz vom Grund, 1957 = Satz vom Grund;
Die Technik und die Kehre, 1962 = Technik;
Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, GA I. Abt., Bd. 4, 1981 = Hölderlins
Dichtung;
Gelassenheit, 1959 = Gelassenheit;
Hölderlins Hymne »Andenken«, GA II. Abt., Bd. 52, 1982 = Hölderlins »An
denken«;
Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein«, GA II. Abt., Bd. 39,
1980 = Hölderlins Hymnen;
Holzwege, GA I. Abt., Bd. 5, 1977 = Holzwege;
Identität und Differenz, 1978® = Identität;
Nietzsche. Erster Band, 19612 = Nietzsche I;
Nietzsche. Zweiter Band, 19612 = Nietzsche II;
Unterwegs zur Sprache, 19714 = Sprache;
Vorträge und Aufsätze, 19592 = Vorträge und Aufsätze;
Wegmarken, GA I. Abt., Bd. 9, 1976 = Wegmarken;
Zur Sache des Denkens, 1969 = Sache des Denkens.
2 Maßgebliche Orientierung für die Interpretation des Werkes Martin
Heideggers haben mir vor allem zwei Arbeiten vermittelt: G. Ebeling, Ver
antwortung des Glaubens in Begegnung mit dem Denken M. Heideggers. The
sen zum Verhältnis von Theologie und Philosophie (1961; in: Ders., Wort
und Glaube II: Beiträge zur Fundamentaltheologie und zur Lehre von Gott,
1969, 92-98); E. Jüngel, Gott entsprechendes Schweigen? Theologie in der
Nachbarschaft des Denkens von Martin Heidegger (in: Martin Heidegger.
Fragen an sein Werk. Ein Symposion [Reclam 9873], 1977, 37—45). Vgl. auch
E. Jüngel/M. Trowitzsch, Provozierendes Denken. Bemerkungen zur theolo
gischen Anstößigkeit der Denkwege Martin Heideggers (NHP 23, 1984, 59
bis 74).

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»Sterbliches Denken« 473

den Abstieg aus der zur Herrschaft gelangten


hat dabei eine Zone der Sprachlosigkeit dur
kömmliche Sprache zerfiel, das bislang dom
löste: sich als ohnmächtig, ja als verderblich e
auffinden müssen, auf dem Weg zur Sprac
Sprache und einem sich zunehmend diskreditie
sei. Was sich für den Leser wie unzumutba
Formung ausnimmt, schont in Wahrheit das
und tatsächlich wie ein Spiegel zersplitterte W
zumal in Heideggers Spätwerk zunächst als ge
gänzlich willkürliche Wortbildung darstellt, d
seines Stils, das forciert Abweisende - wir
lesen, inmitten der Katastrophe an der Schaff
gens mitzuwirken, wo vielleicht Sprache u
werden können. Vielleicht. Kaum mehr darf g
ein Gott kann uns retten«, hat Heidegger in
»Spiegel«-Interview bekannt3. - Welche Katast
Augen gehabt?
Der dem Geist des Philosophen in bestimmte
Celan - aus einer Begegnung mit Heidegger
nauberg« - hat bei Gelegenheit eben diese grun
Sprache benannt. Heidegger, wie wir sehen w
Bedingungen der Katastrophe her, Celan un
reich ihrer geschichtlichen Wirklichkeit. In d
auf das Deutschland des Dritten Reiches, s
»mußte nun hindurchgehen durch ihre eigene
durchgehen durch furchtbares Verstummen,
tausend Finsternisse todbringender Rede. S
keine Worte her für das, was geschah .. . G
wieder zutage treten .. .«4

3 DER SPIEGEL, Nr. 23, 1976, 209. - Vgl. C. F


gen in vier Jahrzehnten (in: Erinnerung an Mart
1977, 239-247), 246: »... Die Debatte war lang u
schweigend dabei. Zuletzt wandte ich mich an
sagen Sie zu diesem Gespräch?< Er zögerte kurz,
>Ihr macht alle die Rechnung ohne den Wirt. N
retten.««

4 Ansprache anläßlich der Entgegennahme des Literaturpreises der F


Hansestadt Bremen (Ausgewählte Gedichte. Zwei Reden. Nachwort von
Allemann [edition suhrkamp 262], 1968, [125-129] 128). In diesen Zu
menhang gehört Celans Gedicht:

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II

Für Heidegger nehmen die geschichtlichen Katastrophen des Jahrhun


derts ihren Ausgang von weither. In ihnen exekutiert sich lediglich der
abendländische Nihilismus5. Dessen innerer Herd aber heißt Metaphysik.
In ihr vollendet sich die Neuzeit. Die ihr entwachsende Technik führt
eine Bedrohung für den Menschen herauf, die freilich, käme sie in der
Verwüstung der Erde zur Verwirklichung, nur einen bereits erfolgten
Untergang besiegelte. »Der Untergang«, so schreibt Heidegger in einem
der vielleicht verzweiflungsvollsten Texte der Geistesgeschichte, »Der
Untergang hat sich schon ereignet.«
Der Satz stammt aus einer Zusammenstellung von einzelnen Über
legungen aus den Jahren 1936 bis 1946, deren Überschrift »Überwin
dung der Metaphysik« lautet. Ich zitiere einen Abschnitt: »Die Meta
physik läßt sich nicht wie eine Ansicht abtun. Man kann sie keineswegs
als eine nicht mehr geglaubte und vertretene Lehre hinter sich bringen.«
Wir dürfen «nicht wähnen, auf Grund einer Ahnung des Verendens der
Metaphysik außerhalb ihrer zu stehen. ... Der Untergang der Wahrheit
des Seienden ereignet sich notwendig und zwar als die Vollendung der
Metaphysik. Der Untergang vollzieht sich zumal durch den Einsturz der
von der Metaphysik geprägten Welt und durch die aus der Metaphysik
stammende Verwüstung der Erde. Einsturz und Verwüstung finden den
gemäßen Vollzug darin, daß der Mensch der Metaphysik, das animal
rationale, zum arbeitenden Tier fest-gestellt wird. ... Ehe das Sein sich
in seiner anfänglichen Wahrheit ereignen kann, muß das Sein als der
Wille gebrochen, muß die Welt zum Einsturz und die Erde in die Ver
wüstung und der Mensch zur bloßen Arbeit gezwungen werden. ... Im
Untergang geht alles, d. h. das Seiende im Ganzen der Wahrheit der
Metaphysik, zu seinem Ende. Der Untergang hat sich schon ereignet.«

EIN BLATT, BAUMLOS


für Bertolt Brecht:
Was sind das für Zeiten,
wo ein Gespräch
beinah ein Verbrechen ist,
weil es so viel Gesagtes
mit einschließt?
(Gedichte in zwei Bänden II, 1975, 385)
5 »Der Nihilismus ist, in seinem Wesen gedacht, ... die Grundbewegung
der Geschichte des Abendlandes. Sie zeigt einen solchen Tiefgang, daß ihre
Entfaltung nur noch Weltkatastrophen zur Folge haben kann.« (Holzwege,
218)

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»Sterbliches Denken« 475

Und Heidegger fährt fort, zuletzt in bes


Folgen dieses Ereignisses sind die Begebenhe
ses Jahrhunderts. Sie geben nur noch den A
Sein Verlauf wird im Sinne des letzten Stad
risch-technisch geordnet. ... Dem Menschen
noch verborgene Wahrheit des Seins verwei
dem Taumel seiner Gemächte überlassen, da
und in das nichtige Nichts vernichte.«8
Der Untergang - es ist ein Untergang oh
ereignet. Das Entsetzliche, so wird an and
gezogen, ist schon geschehen7. Wiederholt h
gegeben, daß auch die Abwendung der V
einen atomaren Krieg den Menschen einer u
bleiben ließe8. Diese Gefahr kommt herau
dessen Wesen zu ersticken droht, besteht
innerer Verwesung, in seinem rücksichts
Rohstoff, als technisch nutzbarer Menschen
an vollendete Sinnlosigkeit, an die »Weltnac
Gefahr - sie ist bereits in allen Lebensbereic
sich zusehends Bahn in rasender Steigeru
lieh geräuschlos erlischt das Wesen des Men
Leben erhalten bleiben mag. An die Stelle
tritt das arbeitende Tier: Funktionär der Technik10. »Die technische
Produktion« aber, so schreibt Heidegger, »ist die Organisation des Ab
schieds.«11 Sie schreitet über den Menschen hinweg. Dem Menschen wird
6 Vorträge und Aufsätze, 72 f. - Zu Heideggers Begriff der Metaphysik
nenne ich lediglich zwei Arbeiten aus jüngster Zeit: A. J. Bucher, Martin
Heidegger. Metaphysikkritik als Begriffsproblematik, 19832; G. Haefener,
Heideggers Begriff der Metaphysik, 19812.
7 »Alles wird in das gleichförmig Abstandlose zusammengeschwemmt. Wie?
Ist das Zusammenrücken in das Abstandlose nicht noch unheimlicher als ein
Auseinanderplatzen von allem? Der Mensch starrt auf das, was mit der Ex
plosion der Atombombe kommen könnte. Der Mensch sieht nicht, was lang
schon angekommen ist und zwar geschehen ist als das, was nur noch als seinen
letzten Auswurf die Atombombe und deren Explosion aus sich hinauswirft,
um von der einen Wasserstoffbombe zu schweigen, deren Initialzündung, in
der weitesten Möglichkeit gedacht, genügen könnte, um alles Leben auf der
Erde auszulöschen. Worauf wartet diese ratlose Angst noch, wenn das Ent
setzliche schon geschehen ist.« (Vorträge und Aufsätze, 164)
8 Vgl. Nietzsche II, 391-398; Identität, 21-30; Gelassenheit, 18-28; Satz
vom Grund, 198-211; Sprache, 46. 50.
8 Vgl. Holzwege, 236 f. 270. 289; Nietzsche II, 20-27.
10 Holzwege, 294.
11 Ebd.

32 ZThK 81/4

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definitiv der Abschied gegeben. »Der Res


res 1959, »... der technische Vorgang d
rungsmaschinerien, wäre nur die letzte f
sinns in das Sinnlose.«12

III

Heideggers Sprache ist durch die Einsicht in diese zutiefst menschen


widrige Situation hindurchgegangen. Der Einblick in das, was ist, läßt
den Entzug des Seins erblicken. Diesem Anblick hat sich sein Denken
preisgegeben; auf ihm beruht, was seine Augenzeugenschaft ausmacht13.
Martin Heidegger gibt sich uns nicht lediglich als der Denker des
Seins zu verstehen - er ist des näheren der Denker des Ausbleibens des
Seins, des andringenden Nichts. In seinem Denken, wenn man so reden
darf, bebt der Schmerz. Seine Sprache verkörpert eine hohe Form der
Klage:Klage: beherrschter, in strenges Denken gefaßter, in die Tiefe hinab
steigender Klage, wo die Fähigkeit zur Trauer ein bewahrendes, scho
nendes, seinlassendes Denken entbindet und die Klage dem Gedanken
das Hochfahrende untersagt. Heideggers Philosophie, seltsam zu sagen,
ist ihre Zeit, in der Trauer des Gedankens erfaßt.
Die Klage nimmt sich ein letztesmal des Zerstörten an, gibt dem Ver
lorenen eine Stimme. In ihr geben sich Worte her auch für den Unter
gang. Die eilige Formulierung gestattet sie sich nicht mehr. Sie ist die
Sprache des Abschieds14.

12 Sprache, 190.
13 Vgl. V.Weizsäcker (s. Anm. 3), 244 f; H.-G. Gadamer, Martin Heideg
ger - 75 Jahre (1964; in: Ders., Heideggers Wege. Studien zum Spätwerk,
1983, 18-28), 20; K.Jaspers, Notizen zu Martin Heidegger, hg. ν. H. Saner,
1978, 47: »... er scheint zu merken, was noch niemand sah ...«
14 Im Gespräch mit Hölderlins »Germanien« formuliert Heidegger (Hol
derlins Hymnen, 81 f): »Dieser Schmerz des Rufens, dieses Klagen entspringt
und schwingt in einer Grundstimmung der Trauer. Es muß aber hier im vor
aus mit Bezug auf diese und jede Grundstimmung gesagt werden, daß es sich
hier nicht handelt um schwächlich müdes Sichbaden in sogenannten Gefüh
len, um eine Sentimentalität, die nur den eigenen Seelenzustand >bebrütet<.
Im besonderen ist diese Trauer kein ohnmächtiges In-sich-zusammensinken.
Die Grundstimmungen sind, um eine übliche Unterscheidung hier zu ge
brauchen, nichts Seelisches, sondern etwas Geistiges. Der Schmerz und das
Leiden ist überhaupt nur kraft des Aushaltens des Widerstreites.« Vgl. zur
Grundstimmung der Trauer ebd. 87 f. 93 f. 148. 223 sowie Hölderlins Dich
tung, 26 f. Heidegger nennt in diesem Zusammenhang den Schmerz »die
Grundform des *Wissens des Geistes« (Hölderlins Hymnen, 135). Dieses Wis
sen ist zumal in der Dichtung bewahrt. So bedenkt Heidegger in Zwiesprache

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»Sterbliches Denken« 477

IV

Wenn man in dieser Weise Heidegger als Klagenden versteht, so erlan


gen dadurch m. E. Grundzüge seines Werkes und seiner Erscheinung
bestimmtere Deutlichkeit. Zum Beispiel die von Karl Jaspers so häufig
vermerkte »Kommunikationslosigkeit«15, die aus Heideggers Arbeiten
zweifellos spricht. Offensichtlich ist der Klagende für viele Weisen gei
stiger Kommunikation verloren. Ihm das anzulasten ist freilich unge
mäß. In denselben Zusammenhang gehört Jaspers' Frage: »Ist hier«,
nämlich Heideggers Arbeiten gegenüber, »überhaupt Kritik möglich?«19
Das vergleichsweise Unzugängliche und zur Korrektur nicht Bereite
oder Fähige, die Weise der Rede, der das Gefällige fremdgeworden ist,
die auf Kritik nicht wartet noch darauf angewiesen erscheint, ja die
der Zustimmung mißtraut - all dies wird aus der Grundhaltung der
denkenden Klage vielleicht erklärlicher. Diese Haltung läßt einsam
werden und langsam. Die Schmerzempfindung wird durch die kritische
Rückfrage nach der Berechtigung des Schmerzes nicht rückgängig ge
macht, ja der Betroffene wird diese Rückfrage als unbedarft oder als
zudringlich empfinden. Wer den zu beklagenden Verlust, die eingetre
tene Katastrophe, das vorliegende Entsetzliche nicht sieht - er mag
wie Nietzsches »letzte Menschen« sagen »Wir haben das Glück erfun
den« und blinzeln17, er soll aber dem Sehenden und Augenzeugen nicht
ausreden wollen, daß etwas geschehen ist.

mit Gedichten Georg Trakls und Stefan Georges das Wesen des Schmerzes und
der Trauer (vgl. Sprache, 26-30. 45. 61-66. 72 f. 169. 234-236; Wegmarken,
403 f; Technik, 38; Holzwege, 275; Vorträge und Aufsätze, 78. 90.136-138). -
Daß besonders Ernst Fuchs das Denken Heideggers als von der Klage be
stimmt verstanden habe, stellt H. Franz heraus (Das Denken Heideggers und
die Theologie [in: Heidegger. Perspektiven zur Deutung seines Werks, hg. v.
O.O. Pöggeler, 19702, 179-216], 187 f). Vgl. auch O. Pöggeler, Heidegger und
die hermeneutische Theologie (in: Verifikationen. FS f. G. Ebeling zum
70. Geb., hg. ν. E. Jüngel u.a., 1982, 475-498), 483: »Die Grundstimmung
im Anfang des Denkens war das Staunen; nun, im Zeitalter des Nihilismus,
ist die Grundstimmung bezeichnet durch den Schrecken und das Entsetzen,
zugleich auch durch jene Scheu und jene Verhaltenheit, die dem Sein die Un
Verfügbarkeit seiner Wahrheit wahren.« Von einer »heimlichen Melancholie«
im Denken Heideggers spricht D. Sternberger (Martin Heidegger im Ge
spräch, hg. v. R. Wisser, 1970, [42-44] 43).
15 AaO (s. Anm. 13) 31. 33. 56. 86. 147. 171 u. ö.
16 AaO 136.
17 Also sprach Zarathustra (Zarathustras Vorrede 5).

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478 Michael Trowitzsch

Außerordentlich empfindlich aber reagier


gegenüber allen trivialen, vordergründigen
auch und gerade theologisch bestimmten Trö
lieh über die Verstrickung ihrer eigenen Spr
den Nihilismus, in das Gestell der Technik
die mithin nicht einmal ahnen, in welche
Nichtigwerden alles Seienden befördern. D
tretenen Verlustes sicher. Sie kommt von dort
bringen zu wollen, wäre sinnlose Gewaltsam
Mitklagende will, so solche, denen dieser S
Nicht zuletzt darum wohl Heideggers Näh
Werken der Dichtung. Die gedankenlosen T
ächtlich, im besten Falle arglos, ahnungslos i
mit der Rede von Gott daher, so ist zu argwö
Gottes unnützlich führen.
Heidegger hat der theologischen Rede von
Die christliche Theologie, so urteilt er, ist
wie sie ihr Gewußtes weiß, Metaphysik«18, sc
daraus folgt: »Wer die Theologie, sowohl
Glaubens als auch diejenige der Philosophie, a
erfahren hat, zieht es heute vor, im Bereich
schweigen.«19
Ihm gegenüber gibt die Sprache nicht mehr die Mittel her; sie hat
darum im gegenwärtigen Bann der Zeit dem, der wahrhaft Gott ge
nannt zu werden verdient, mit Bedacht zu entsagen.

Unter anderem in diesem ausdrücklich gemachten Argwohn und in


dieser bedächtigen Entsagung sehe ich die unmittelbare Bedeutung des
Denkens Martin Heideggers für die Theologie. Gerhard Ebeling hat
Heidegger als einen Interpreten dessen verstanden, was theologisch »Ge
setz« heißt20. Ich möchte diesen Zusammenhang genauer fassen: Heideg
ger hält die Theologie zunächst zu verstärkter Aufmerksamkeit auf das
Zweite Gebot an: daß der Name Gottes des Herrn nicht zum Nichtigen

18 Holzwege, 203.
19 Identität, 45. - Heideggers »Gott-losigkeit« hat Jaspers vielfach notiert
(31.(31. 33. 51. 56. 125).
20 Verantwortung des Glaubens, 95.

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»Sterbliches Denken« 479

aufgehoben21, nicht eitel ausgekramt werde


führt werden darf.
In der Konsequenz dieses Gebotes liegt
Aufgabe zukommt, darüber zu wachen, daß
so schwer wie möglich, aber - unter alle
nötig wird23. Verfügt doch die uns so ge
fertige Rede, die bequeme oder - um es m
aus Lübeck zu sagen - verfügt doch die »
(als solche integral jeder Theologie und V
viel Spielraum; ergeht sie sich doch bered
zeln und Kathedern und füllt mühelos (oder
Bücher. In der liederlichen Rede von Gott b
durch Anhäufung und Uberfüllung zum
führten Worte ist kein Ende. Sie erhält sich
durch Mangel an Gehalt am Leben. Heid
Zeit« vom »Gerede«.
Umgehend jedoch verfällt auch unser theologisches Gerede beim
Hörer der Gleichgültigkeit, wenn eine Macht hinzutritt: vielleicht die
Grundmacht der Bewährung und Prüfung des Menschlichen, die Macht
des Schmerzes.
In Georg Büchners »Dantons Tod« heißt es: »Man kann das Böse
leugnen, aber nicht den Schmerz. ... warum leide ich? Das ist der Fels
des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes ... macht einen Riß
in der Schöpfung von oben bis unten.«24 Die Unleugbarkeit des Schmer
zes desavouiert oder bewährt die Rede von Gott. In diesem Sinne kann
gefolgert werden, daß jede Rede von Gott sich vereinbaren lassen muß
mit der Klage vor Gott.
Wenn nicht vor Gott und zu Gott geklagt werden kann: rückhaltlos
oder verhalten, reflektiert oder naiv, unter Aufbietung aller Mittel der
Sprache oder bei weitgehendem Verlust ihrer Möglichkeiten und zuletzt
nur noch mit einem Schrei, geklagt werden kann wie in den Psalmen
des Alten Testaments, wie bei Jeremia und Hiob, wie der Gekreuzigte
klagt mit den Worten des 22. Psalms - so bleibt der Schmerz der Fels

21 Vgl. G. ν. Rad, Theologie des Alten Testaments I, 19828, 197.


22 Friedrich von Schiller, Wallensteins Lager, 8. Auftritt.
22 Vgl. Jüngel, Gott entsprechendes Schweigen? (s. Anm. 2), 41; G. Ebe
ling, Diskussionsthesen für eine Vorlesung zur Einführung in das Studium
der Theologie (in: Ders., Wort und Glaube [I], 1967', 447-457), 447: »Die
Theologie ist notwendig, um dem Prediger das Predigen so schwer wie nötig
zu machen.«
24 1. Szene des III. Aktes.

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480 Michael Trowitzsch

des Atheismus. Gewiß gibt es auch die v


stürzende Schweigen wie im Gottesknechts
ward, litt er doch willig und tat seinen M
Schaf, das verstummt vor seinem Schere
auf.« Doch auch noch das schließlich sch
an Gott wenden, wenn anders auch das S
Adressaten haben kann. Vor Gott der Kl
vor Gott klagend zu verstummen - beide
Unendlichkeit von der anredelosen Klage
schweigt zum Zeichen verzweifeltster in
ins Nichts hinausschreit und allenfalls ih
»Hören Sie denn nichts?«, so ruft Büchners
die entsetzliche Stimme, die um den ganz
man gewöhnlich die Stille heißt?«25
In der Klage zu Gott ist der Name Gottes
Sie muß jede Rede von Gott begleiten könn
ist die Rede von Gott so schwer wie nötig.
Die theologisch angemessene Rede von G
aufgerufen haben, soll sie den Namen Gott
heben: sie muß - um erneut auf die Worte Paul Celans zurückzukom
men - von einem Hindurchgehen wissen: durch Antwortlosigkeiten,
durch furchtbares Verstummen, durch die tausend Finsternisse todbrin
gender Rede ...

VI

Der Untergang - ein Untergang ohne Würde, ohne Gestalt noch Schöne -
hat sich schon ereignet. Das Entsetzliche ist, in einem geschichtlich eher
beiläufigen Vorkommnis, schon geschehen. Den Abgrund des Verstum
mens erblickt die christliche Theologie im Kreuz Jesu Christi. Die Klage
des Gekreuzigten, der als der authentische Augenzeuge dem unendlich
Menschenwidrigen ins Angesicht schaut und bei ihm zu verweilen ver
mag - die Klage des Sehenden steigt in die Tiefe des Leidens hinab.
Welcher Moment, wenn nicht dieser, kann im eigentlichen Sinne »Welt
nacht« heißen: da eine Finsternis war über das ganze Land von der
sechsten bis zur neunten Stunde (Mk 15, 33). Die Anrede an den Vater
scheint schwerer als möglich. Der Gekreuzigte, und allein er, erfüllt mit
dem Ersten auch das Zweite Gebot - noch angesichts dessen, daß Gott
auszubleiben und sich zu entziehen scheint. Die Gewalt schreitet über

25 Werke und Briefe, dtv-GA, 1965, 84.

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»Sterbliches»Sterbliches Denken« 481

die ohnmächtige Liebe hinweg. Erlischt dort das Wesen Gottes, de


Wesen Liebe ist? Wird der Gekreuzigte vollendeter Sinnlosigkeit, d
Nichts, ausgeliefert? Der gekreuzigte Gott stirbt, wird ins Grab g
der ‫־‬Verwesung übergeben.
Der Hebräerbrief weiß von einem Durchgang des Gekreuzigten d
»Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen, geopfert
der ihm von dem Tode konnte aushelfen« (5, 7). Der christliche
kündigung bleibt diese Klage eingezeichnet, so gewiß sie indessen a
um die Fortsetzung des Verses im Hebräerbrief weiß: daß nämli
Klage erhört worden ist. Die Auferweckung des Gekreuzigten gibt
als erhörte Klage zu erkennen26.
Gott, so lautet das Zeugnis des Neuen Testamentes, vermag
Tod; sein Leben ist des Todes fähig. Was Heidegger für den Mensch
für die Sterblichen, geltend gemacht hat27, gilt in Wahrheit nur
Gott: den Tod als Tod vermögen, ihn als Tod erfahren und üb
men können.
In der Begegnung von Tod und Gott erlischt das Wesen des T
dessen Wesen Nichtigkeit und Fluch ist: Jesus Christus hat dem
die Macht, hat dem Tod das Wesen genommen und unvergäng
Wesen ans Licht gebracht (2Tim 1,10). -
Verkündigung und Theologie legitimieren mithin ihre Rede
Gott nicht durch ihr eigenes Hindurchgehen durch die Klage
Vollmacht verdankt sich der Erfüllung des Zweiten Gebots durch
Gekreuzigten (so gewiß das unnützliche Führen des Namens G
durch Verkündigung und Theologie liederlich genannt bleiben muß).
Sehe ich recht, so ergeben sich daraus weitreichende Folgerungen
die Form theologischen Denkens und seinen Geltungsbereich. Es we
diese Folgerungen unmittelbare Ableitungen dessen sein, daß si
Theologie wesentlich auf den am Kreuz Klagenden und den in
Klage Erhörten bezieht. Wir fragen in diesem Sinne zunächst, w
Folgen für Denken und Sprache der erwähnte Durchgang durc
Sprachlosigkeit bei Heidegger zeitigt.

VII

Das Denken, das sich das Hochfahrende, das Verstiegene der Meta
physik und deren angestrengte Haltung des Wollens verboten sein läßt,

2» Vgl. Ο. Bayer, Erhörte Klage (NZSTh 25, 1983, 259-272).


27 Vgl. etwa Vorträge und Aufsätze, 150.177; Sprache, 215; Satz vom
Grund, 209.

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482 Michael Trowitzsdi

führt nach Heidegger in die »Armut der B


sam Atem schöpfend, nimmt es sich zur
bisherige Philosophie29. »Das Wort der
»hat keine Autorität. ... Das Wort des Denkens ist bildarm und ohne
Reiz. Das Wort des Denkens ruht in der Ernüchterung.. .«3° Die »An
maßung alles Unbedingten« unterbleibt31. Es geht den »Schritt zu
rück«32 und wird zu »sterblichem Denken«33.
In Heideggers Brief »Über den Humanismus« heißt es dementspre
chend: »Das Denken überwindet die Metaphysik nicht, indem es sie,
noch höher hinaufsteigend, übersteigt und irgendwohin aufhebt, son
dern indem es zurücksteigt in die Nähe des Nächsten. Der Abstieg ist,
zumal dort, wo der Mensch sich in die Subjektivität verstiegen hat,
schwieriger und gefährlicher als der Aufstieg. Der Abstieg führt in die
Armut der Ek-sistenz des homo humanus.« Und einige Seiten später
wird formuliert: »Das Denken ist auf dem Abstieg in die Armut seines
vorläufigen Wesens.«34
Von »Antwortlosigkeit« hatte Paul Celan gesprochen. Es ist ein
Kennzeichen des sich zurücknehmenden Denkens Heideggers, daß es
weithin für Antworten verloren ist.
In dem erwähnten Interview mit dem »Spiegel« wird gefragt: »Hilfe
erwarten wir vom Philosophen, wenn auch natürlich nur indirekte
Hilfe, Hilfe auf Umwegen. Und da hören wir nun: Ich kann euch
nicht helfen.« Heidegger: »Kann ich nicht, weil die Fragen so schwer
sind, daß es wider den Sinn dieser Aufgabe des Denkens wäre, gleich
sam öffentlich aufzutreten, zu predigen und moralische Zensuren zu
erteilen. Vielleicht darf der Satz gewagt werden: Dem Geheimnis der
planetarischen Übermacht des ungedachten Wesens der Technik ent
spricht die Vorläufigkeit und Unscheinbarkeit des Denkens, das ver
sucht, diesem Ungedachten nachzudenken.« Der Spiegel: »Sie zählen
sich nicht zu denen, die, wenn sie nur gehört würden, einen Weg wei
sen könnten.« Heidegger: »Nein! Ich weiß keinen Weg zur unmittel

28 Vorträge und Aufsätze, 70. - Zur Haltung des Wollens vgl. H. Arendt,
Vom Leben des Geistes II: Das Wollen, 1979, 164-185 (Heideggers Wille zum
Nicht-Wollen).
29 Sache des Denkens, 66.
30 Vorträge und Aufsätze, 229.
31 Vorträge und Aufsätze, 179.
32 Vgl. Identität, 65; Vorträge und Aufsätze, 180; Sprache, 216; Nietzsche
II,II, 368. 370.
33 Vgl. Vorträge und Aufsätze, 221.224 f; Hölderlins »Andenken«, 150 f;
Hölderlins Dichtung, 122 f.
34 Wegmarken, 352. 364.

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»Sterbliches Denken« 483

baren Veränderung des gegenwärtigen Weltzu


che sei überhaupt menschenmöglich.«35
Und in einem Gespräch, das Heidegger un
terung der Gelassenheit« gebildet hat, wir
»Forscher« gefragt: »Was soll ich dann in
wort lautet provozierend genug: »Wir solle
ten.«3e
Carl Friedrich von Weizsäcker berichtet
Zeit zu Zeit von seinen politischen Analysen u
Heidegger »begegnete meinen politischen St
mit Sympathie, er wünschte aufrichtig ihren
mit wenigen Fragen mein unter dünner Deck
darüber, warum sie vergeblich bleiben mußten
Dieses Denken, das es auf nichts abgesehen h
aussetzt:aussetzt: das ein vernehmendes Erblicken
ist, wie Heidegger mit Bezug auf einen Brief
das sterbliche Denken, in seiner Armut, Vorl
in all den von Heidegger in verschiedenen Zus
Bestimmungen der Zurücknahme: Gelassenhei
Wachsamkeit, Schonen ... - es hat entschl
Heilsweg Heilsweg zu sein39; es vermag keine Sch
nicht vorgeben. Es steht beiseite. Von Heid
moralismus ist gesprochen worden40. Das
maßen hartgesottenen »Spiegel«-Reporter ersc
es das sonst, daß Denken, vom moralischen A
mit zugegebenen oder uneingestandenen Heils
fen; Erleuchten; Fördern; Bessern)? daß ei
licherweise im Jahrhundert nicht ihresgleich
keinen Weg weisen, schon gar nicht die begri
auf den richtigen Weg stoßen zu können, und

35 AaO (s. Anm. 3) 212.


36 Gelassenheit, 36 f. Vgl. Technik, 40.
37 AaO (s. Anm. 3) 242.
38 Satz vom Grund, 117 f.
33 Vorträge und Aufsätze, 183 f.
40 Vgl. etwa P. Sloterdijk, Kritik der zynische
kamp 1099), 1983, 392 (in einer Anmerkung sp
»reflektierten Amoralismus«, »der paradoxerwe
einer authentischen Sittlichkeit in sich trägt«).
kung zur »Forderung einer Ethik der technisch
tisch Jaspers (aaO [s. Anm. 13] 222): der Ansp
existentiell Auflösendes, im Nein faktisch alles Böse

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484 Michael Trowitzsdi

von der Änderung der Verhältnisse du


eines nur vermeintlichen Weges zur Rett
als zu warten?
Zwar gibt es Anlaß, auf gravierende
rücknahme in Heideggers Denken hinz
diesem Zusammenhang nicht zu interessi
die Theologie dieses Denken insofern eine
partner ab, als es soteriologischer Qual
zipiell keine Handhaben zu praktischer
zuläßt, daß man Hoffnungen an es knü
dringende Diagnose immer noch als zu
den wird, als daß sich aus ihr die gemä
der Technik bleibt ungedacht. »Nur noch

VIII

Tritt damit eine unerwartete Provokation des Ersten Gebots auf? Kein
Heilsratschlag, der das Sicherheitsverlangen stillt, kein Weg, keine Wei
sung im Denken; die Werke, das Handeln - es wird uns nicht retten.
»Nur noch ein Gott kann uns retten.« Bringt sich also, überraschender
weise aus dem Munde des Philosophen, die harte Anwendung des usus
theologicus legis zu Wort - dessen Anwendung auf eine verzweiflungs

41 Vgl. dazu den von Jüngel und mir verfaßten Beitrag (s. Anm. 2). -
Heideggers ausdrückliche Abwehr »kein Heilsweg« (Vorträge und Aufsätze,
183) zusammengenommen mit den vielfachen Einschränkungen und betonten
Vorbehalten bei Aussagen über eine Möglichkeit zur Rettung steht m. E. einer
Interpretation des Denkens Heideggers als eines »Heilsdenkens« entgegen
(so A. Jäger, Gott. Nochmals Martin Heidegger, 1978, 83. 359. 400. 419. 438.
441 f). Dabei soll das zeitweilige Durchbrechen dieses Elementes zumal im
Spätwerk nicht bestritten werden. Im ganzen wird man Gadamer recht geben
dürfen (Der Weg in die Kehre [in: Heideggers Wege (s. Anm. 13), 103-116],
113 113 f): »Selbst Äußerungen, mit denen Heidegger dem kalkulierenden Den
ken, das Möglichkeiten der Zukunft erwägt, entgegenzutreten versucht, er
halten etwas von der mißlichen Vorgreiflichkeit, die dem Begreifen anhaftet.
Gewiß ist es wahr, daß alle Vorausschau, die auf ein Neues, Anderes, Retten
des hofft, kein wirkliches Berechnen oder Vorausberechnen einschließt, und
wenn Heidegger deshalb von der Ankunft des Seins redet und etwa hinzu
setzt >jäh vermutlich< (VuA 180) und in jenem berühmten Interview sagt
>Nur ein Gott kann uns retten!, so sind dies mehr Zurückweisungen, die das
rechnende Wissenwollen und Beherrschenwollen der Zukunft abweisen wol
len, als daß sie wirkliche Aussagen sind. Das >Sein< läßt sich nicht ermitteln
oder als durch etwas uns Zugängliches vermittelt denken. Eben deshalb aber
sind solche Äußerungen nicht etwa Voraussagen.«

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»Sterbliches Denken« 485

volle Situation nun nicht nur des einzelnen Sü


Erde als der Schöpfung Gottes? In diesem G
nach Luthers »Schmalkaldischen Artikeln« der
demutigt, verzagt, verzweifelt, wollte gern,
und weiß nicht, wo aus«42. Die dem entsprech
schrei, die Klage de profundis oder das ers
der Mensch mundtot gemacht wird und sich
die Traurigkeit der Welt, wie Paulus schre
wirkt. »Nur noch ein Gott kann uns retten
Gesetzes bedeutet dieser Satz nicht nur soteri
das Eingeständnis völligen Scheiterns; zugleich
Anklage.
Als Interpretation des Gesetzes, wie gesagt, versteht Ebeling Heideg
gers Denken. »Jedoch«, so wendet Ebeling ein, »als Gesetz und Evan
gelium nicht unterscheidendes Denken bringt es gerade nicht das Gesetz
als als Gesetz zur Sprache.. .«43
Zu fragen bleibt, ob Heidegger nicht gerade dadurch Gesetz und
Evangelium mindestens voneinander zu unterscheiden beginnt, daß er
bewußt und bedacht vom Evangelium schweigt, indem er sich zu soterio
logischer Rede ausdrücklich nicht hergibt44. Im unansehnlich erschei
nenden Modus des Schweigens könnte in diesem Denken sehr wohl das
Evangelium präsent sein.
Wir können bei Heidegger etwas zunächst Befremdliches über die
Bedeutung des Schweigens erfahren. Das Wesentliche wird nicht erar
beitet, erinnert, erdacht. Es wird erschwiegen, wobei für Heidegger die
ses Schweigen zugleich die reinste Form des Denkens darstellt. Im ersten
Band des Nietzsche-Buches zitiert Heidegger Nietzsches Wort: »Um
den Helden herum wird Alles zur Tragödie, um den Halbgott herum
wird Alles zum Satyrspiel; und um Gott herum wird Alles - wie? viel
leicht zur >Welt<? -« In Aufnahme dieses Satzes schreibt Heidegger:
»Der Denker ... denkt hinaus auf Jenes, worum herum eine Welt zur
Welt wird. Dort, wo dieses Worum-herum nicht ständig und laut ge
nannt, sondern im innersten Fragen verschwiegen wird, ist es am tief
sten und reinsten gedacht. Denn das Verschwiegene ist das eigentlich
Bewahrte und als das Bewahrteste das Nächste und Wirklichste. ...
Das höchste denkerische Sagen besteht darin, im Sagen das eigentlich zu

42 BSLK, 436.
43 Verantwortung des Glaubens, 95 f.
44 Zum soteriologischen Anspruch des Denkens qua Denken vgl. W. Mo
stert, Sinn oder Gewißheit? Versuche zu einer theologischen Kritik des
dogmatistischen Denkens (HUTh 16), 1976.

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486 Michael Trowitzsch

Sagende nicht einfach zu verschweigen, son


im Nichtsagen genannt wird: das Sagen d
gen. Dieses Sagen entspricht auch dem tiefs
ihren Ursprung im Schweigen hat.«45
Ich möchte meinen, daß Heideggers aus
Gott in diesen Zusammenhang gehört. D
nähme von soteriologischer Rede, das ste
ner Mitte einen Bereich des Schweigens, ein
Es läßt dieses Verschwiegene sein. Um diese
freilich in sich zutiefst ambivalent bleibt,
kann von den Wegen der Welt die Rede sein
wege zu weisen. Trifft es zu, daß Heideg
des Gesetzes darstellt, so kann darin die ers
von Gesetz und Evangelium dann enthalt
gelium herum alles zum Gesetz wird.
So verstanden verhält sich das Denken
gegenüber komplementär46. Es dürften sic
hältnisses von Theologie und Philosophie
für eine solche Relation finden.
Damit sind freilich die Differenzen wenig
um so klarer ersichtlich. Das in Heidegge
heimnis bietet sich der christlichen Verkün
dar: als das »kündlich groß Geheimnis«
deutbar im Wort und in der Stille. Sprache
zu einer Atemwende zusammen, die dem
stocken lassende Ambivalenz nimmt und
aufrufende Bejahung vernehmbar macht47.

45 Nietzsche I, 471 f. Vgl. Hölderlins Hym


hat ihren Ursprung im Schweigen«; Sprache,
Denkweg Martin Heideggers, 19832, 276; D. Si
(PhR 14, 1967, 81-182), 164.
48 Der Begriff des Komplementären muß fre
um die Bedeutung des voneinander abgründig V
(vgl. Nietzsche II, 132: »Viereck und Kreis ko
sie räumliche Gebilde sind, während christlic
gründig verschieden bleiben.«). Zum Verhältnis
bei Heidegger vgl. A. Gethmann-Siefert, Da
und Theologie im Denken Martin Heideggers (Sy
47 Im Heidegger-Kapitel seiner »Hermeneut
Fuchs: »Im Gewissen horcht der Mensch in d
meldet sich schon eine Macht an, die sich nähe
als Sprache schon nicht mehr der Verlorenhe
sehen jenes Plus zu, das ihn als das Wesen de

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»Sterbliches Denken« 487

ein Gott kann uns retten« kann, leicht v


vernommen werden.

IX

Es ergibt sich daraus nun eine klarere Einsicht in die Armut der Theo
logieis.
Daß es der Gekreuzigte ist, der sich der christlichen Theologie zu
verstehen gibt, teilt sich der Weise ihres Redens mit. Nicht das Bewußt
sein des Wesens Verlustes des Menschen, sondern die Erinnerung an die
Klage des am Kreuz Sterbenden weist sie dem Vorläufigen zu, dem
Fragmentarischen, nicht nur als äußerer Gestalt, sondern als innerem
Formprinzip, über das sie, dieser Erinnerung wegen und darum »um
der gebrechlichen Einrichtung der Welt willen«49, nicht hinauswachsen
kann50. Theologie hat sich gegen diese Erinnerung hin offenzuhalten
und sich deshalb zur Geduld und zum Hiersein zu entschließen. Sie
wird ein gebrochenes Denken bleiben, wie gerade der Verfasser der
monumentalen »Kirchlichen Dogmatik« eingeschärft hat51. Vielleicht,
so kann man fragen, verträgt sich diese Gebrochenheit mit höherer
Ironie? Der Versuchung jedenfalls, sich absolut zu gebärden, der dem
menschlichen Denken immanenten Tendenz auf Einheit, auf das sich
vollendende System52, auf ausgedachte Geschlossenheit, hält eine theo

er einer Kommunikation zugehört, einer immer schon verstandenen und eben


darum verfehlbaren und faktisch verfehlten Nähe zu der in der Sprache allem
Menschlichen zuvor waltenden Macht.« Und später (72): »Die Liebe ruft
der Klage. Und weil sie das tut, ist der Mensch am Ende auch nicht mehr
das Wesen der Klage, sondern das Wesen, das dankt.« - Eindrücklich formu
liert auch Ebeling (Dogmatik des christlichen Glaubens I, 19822, 237): »Wenn
das Stillewerden vor Gott nicht zur Quelle eines nicht auszusagenden Lob
preises wird und das Reden von Gott sich nicht in der ständigen Nachbar
schaft des Verstummens vollzieht, dann ist beides leer und nichtssagend, das
Schweigen wie das Reden.«
48 Vgl. E. Jüngel, »Theologische Wissenschaft und Glaube« im Blick auf
die Armut Jesu (in: Ders., Unterwegs zur Sache. Theologische Bemerkungen
[BEvTh 61], 1972, 11-33).
49 So im Schlußabschnitt von Kleists »Die Marquise von Ο ...«.
59 Vgl. O. Bayer, Systematische Theologie als Wissenschaft der Geschichte
(in: Verifikationen [s. Anm. 14], 341-361).
51 Vgl. etwa Kirchliche Dogmatik III/3, 1979s, 332-334.
52 Zu Heideggers Widerstand gegen das Denken im System vgl. Pöggeler
(s. Anm. 14), 482 f: »Heidegger ermäßigt nicht die Forderung eines Systems
zur Forderung eines Restes von Systematik; er macht sich auch nicht Nietz
sches Wort zu eigen, der Wille zum System sei ein Mangel an Rechtschaffen
heit. Heidegger fordert für das Gefüge seiner Fuge eine größere Strenge, als

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488 Michael Trowitzsch

logia crucis die Einsicht entgegen, daß u


τό έκ μέρους, und daß das Bewußtsein der
merklich in die Bestimmungen der Theol
verfahrende Theologie wird sich das Tota
dürfte es sich doch am Ende als eine Ersc
herausstellen.
Ich möchte mögliche Konsequenzen diese
Abstiegs der Theologie in die Armut zu
kurze Hinweise erläutern. Es handelt sich u
gegenwärtig mit zwei anscheinend defizient
des Denkens zu halten haben könnten: mi
Daß sich diese Themen breiter Aufmerksamk
gerade sagen können.

Zunächst das Vergessen. Der Theologie steht


eine Unterscheidung vor Augen: das, was ni
und das, was sehr wohl vergessen werden m
senheit anheimfallen muß. »Ich vergesse, w
im Philipperbrief geschrieben (3, 13). In
scheidet, vermag sie möglicherweise ein bes
wendig gewordenes Vergessen zuzumuten, m
erneut zu bedenken, was Vergessen bedeute
ger konstatiert hat, daß wir von einer B
Vergessenheit noch weit entfernt sind53.
Was uns heute im Blick auf die Zukunft
stört, ist der durch alle Erfahrung erhärte
tel, die die Katastrophe herbeiführen könn
vermögen. Vielleicht niemals mehr werde
totalen Herrschaft des Todes über die Erde
Mag die Wirklichkeit ausbleiben - nicht kön
Pläne, nicht die Gedanken der Erfinder der
welches jederzeit das Mögliche wiederum

sie dem System oder dem bloß Systematischen


die Abschnitte »Totalitätsanspruch?« (323 ff)
Buch von H. Mörchen, Adorno und Heidegg
sophischen Kommunikationsverweigerung, 1981.
53 Wegmarken, 415. Heidegger fügt hinzu: »
wo wir das Wesen der Vergessenheit in seine
leicht in die Gefahr, das Vergessen nur als m
verstehen.« - Vgl. Vorträge und Aufsätze, 264 f

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»Sterbliches Denken« 489

technische Welt schafft sich auch hinsichtl


lichkeiten ein quasi-uneingeschränktes Gedä
vor notwendig sein, das Gedächtnis des ei
alles und jedes »behalten« wird - das allgem
»behält« einschränkungslos, was immer e
schaft verfährt prinzipiell kumulativ un
reichte loszulassen. Mag der einzelne Men
vergessen wollen - als Gattung wollen wir i
gessen. Die Frage ist, ob wir dazu überhaupt
Nicht zu vergessen hat längst soteriolog
uneingeschränkte Gedächtnis beglaubigt sic
unentbehrlich und unterbreitet mithin ein
leicht tatsächlich widermenschliche Geset
rade die angstvolle Bemühung um Selbstbeh
liehe Sicherheitsverlangen ist, das es kate
und gedanklichen Voraussetzungen der Vern
Wir können uns nicht einmal mehr vorstel
schehen könnte.
Vielleicht kann ein vom Evangelium eing
ken diese Vorstellung vorbereiten helfen
vorstellbar erscheinen lassen und somit »Entbehrlichkeit« kultivieren.
Ein Denken müßte erwartet werden, das sein Gedachtes, ohne es zu
verleugnen55, zu vergessen versteht: das an ihm festhalten kann, nicht
aber sich an ihm festklammern muß; das sich gewonnener Möglichkeiten
in Freiheit auch wieder begeben kann. Heidegger sprach von einem
Denken, das »unvermögend« wird, zu sagen, »was ungesprochen blei
ben muß«56. Wir sehen dieses Denken schwerlich schon vor uns. Es ist
noch nicht gefunden, noch nicht einmal erwartet. Womöglich wird es
mit der Klage verwandt sein: als mit der Sprache der Erschöpfung, der
Entsagung und des Abschieds, in der wir uns jedenfalls anschicken zu
vergessen und loszulassen.

XI

Eine Schlußbemerkung zum bereits angesprochenen Thema Schweigen.


Im Blick auf das Sinnlose und Katastrophale reden wir zuweilen vom
»Schweigen« Gottes und denken an eine panische Stille. Es bedeutet ver

54 Vgl. Ε. Jüngel, Der Schritt des Glaubens im Rhythmus der Welt (in:
Ders., Unterwegs zur Sache [s. Anm. 48], 257-273), bes. 260 f.
55 Vgl. Nietzsche II, 318.
56 Erfahrung des Denkens, 21.

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490 Μ. Trowitzsch, »Sterbliches Denken«
1 ‫ל״״ייל‬- ‫— ־י■*« "־י‬

] X. ‫י‬
mutlich die größte Herausforderung an den Glauben und an das Ver
trauen des Menschen, wahrhaft einzusehen, daß es kein Schweigen Got
tes mehr geben kann, das nicht erfüllt wäre von jenem »kündlich großen
Geheimnis«: daß er, Christus, wie ich die Stelle aus dem 1. Timotheus
brief nun übersetzen möchte, »offenbart ist im Durchgang durch die
Sterblichkeit des Fleisches; unvergessen und erhört vom Geist; schei
nend ohne Abschied den Engeln; nicht versagt, sondern gepredigt den
Völkern; als Antwort geglaubt in der Welt und ihrer Nacht; nur noch
von Gott aus dem Untergang gerettet in die Herrlichkeit«. Auch das
Schweigen Gottes handelt ebendavon. Gottes Schweigen kann unter
keinen Umständen das Evangelium dementieren. Vielmehr wohnt es
verborgen auch ihm inne. Daß aber präzise von etwas geschwiegen
werden kann, weiß die alltägliche Erfahrung. Es wird dann beredt ge
schwiegen. Gottes Schweigen bleibt in diesem Sinne durchdrungen von
Sprache. Auch wo er nicht spricht, im Schweigen, in der Stille, bekun
det er sich als derselbe. Denn Gott kann den Namen Gottes nicht un
nützlich führen noch unnützlich verschweigen. Er kennt keine lieder
liehe Rede. Und sein Schweigen ist auch noch von ihm.

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