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Die Auseinandersetzung zwischen Argentinischem Tageblatt und der Deutschen La Plata Zeitung
Tageblatt
Von Georg Ismar
„Eigentlich sind es zwei Dör-
fer, das republikanische und das
nationalistische, (...) die beiden
Dörfer sind unübersteiglich ge-
trennt. (...) Wir haben nämlich ein
Theater, die anderen haben auch
eins, wir haben jeder eine Zeitung,
jeder eine Schule, Vereine, Vorträ-
ge – in einer Umwelt deutsche
Welt und deutsche Unwelt. (...)
Aber die Trennung ist so absolut,
daß man in einem Dorf vergessen
kann, daß das andere existiert.“
Mit diesen Worten beschrieb
der Exilant Balder Olden den Zu-
stand der deutschen Gemeinschaft
am Río de la Plata während der
Zeit des Nationalsozialismus. Zu
einem Spiegelbild der „zwei Dör-
fer“ wurde der Konflikt zwischen
den beiden größten deutschspra-
chigen Zeitungen in Argentinien:
dem Argentinischen Tageblatt
(AT) und der Deutschen La Plata
Zeitung (DLPZ).
Mit der Ernennung Adolf Hit-
lers zum Reichskanzler am 30. Ja-
nuar 1933 entwickelte sich der la- Argentinisches Tageblatt, 4. März 1933. Warnung vor Pogromen in Deutschland.
tent schwelende Konflikt zwi-
schen den beiden Zeitungen zu schen Zeitungen und eine derar- Als 1917 die Herausgeber der „Reichsdeutschen“ avancierte, der
einem regelrechten „Pressekrieg“. tig klare Positionierung zweier im Deutschen La Plata Zeitung, Emil Weimarer Republik negativ ge-
Während die Deutsche La Plata öffentlichen Leben des Gastlandes und Hermann Tjarks, aufgrund ei- genüberstand, stets die Konservie-
Zeitung hundertprozentig den of- und der deutschen Gemeinschaft ner aufgedeckten Subventionie- rung des deutschen Elements in
fiziellen Standpunkt des Reiches fest verankerten deutschsprachi- rung seitens des Deutschen Kai- Argentinien betonte und zu einer
und des Nationalsozialismus ver- gen Zeitungen ist nach bisheri- serreichs für die von ihnen heraus- deutschen Zeitung in Argentinien
trat, zögerte das Argentinische gem Forschungsstand ohne Bei- gegebene Zeitung La Unión aus wurde, entwickelte sich das AT
Tageblatt nicht einen Augenblick, spiel. dem Círculo de la prensa ausge- zum Organ der Republikaner, das
„zur Attacke gegen die neuen Her- schlossen wurden, trat der Heraus- eher die Belange der „Volksdeut-
ren des Reiches vorzugehen“ (Pe-
Erste Konfrontation geber des AT, Theodor Alemann, schen“ vertrat, sich für eine stär-
ter Bussemeyer am 29. April 1939 aus Solidarität ebenfalls aus dem kere Assimilierung der Deutsch-
im AT). Eine solche Konfrontati- Zur ersten direkten Konfronta- Círculo de la prensa aus. Das AT stämmigen am La Plata einsetzte
on zwischen zwei auslandsdeut- tion zwischen beiden Zeitungen bezahlte seine klare Positionie- und sich als argentinische Zeitung
war es bereits 1907 gekommen. rung während des Ersten Weltkrie- in deutscher Sprache verstand. Die
Die Deutsche La Plata Zeitung or- ges mit tätlichen Angriffen von Auseinandersetzungen zwischen
ganisierte einen letztlich erfolglo- argentinischen Demonstranten. dem monarchistisch gesinnten und
sen Anzeigenboykott gegen das Nachdem 1917 Telegramme des dem republikanischen Lager, aber
Tageblatt, weil es ihrer Meinung deutschen Gesandten Graf von auch zwischen den Zeitungen,
nach zu positiv über Wahlerfolge Luxburg (er bezeichnete darin den gewannen in der Folgezeit an
der Sozialdemokraten in Deutsch- argentinischen Außenminister Schärfe, das Toleranzniveau wur-
land berichtet hatte und ein Glück- Puyerredón als notorischen Esel) de geringer. Während das AT of-
wunschtelegramm der La Plata von den Alliierten dechiffriert fensiv bestimmte Entwicklungen
Zeitung an den Kaiser, das hagio- worden waren, kam es zu einem ansprach und die DLPZ direkt kri-
graphische Züge aufwies, von Angriff auf das Redaktionsgebäu- tisierte, agierte die Gegenseite
dem Tageblatt ins Lächerliche ge- de des Tageblatts. nicht offen, sondern organisierte
zogen worden war. im Hintergrund bestimmte Aktio-
Während des Ersten Weltkrie- Weimar oder Kaiserreich? nen, um den „Gegner“ entschei-
ges kam es zu einer in der Ge- dend zu treffen.
schichte der Deutschen in Argen- Nach dem Ersten Weltkrieg 1924 verschwanden neun gro-
tinien fast einmaligen Phase der und dem Übergang zur Weimarer ße Unternehmen mit ihren Anzei-
Zusammenarbeit, in der selbst das Republik spiegelten sich die Span- gen aus dem Tageblatt. Das AT sah
Argentinische Tageblatt und die nungen in der Heimat auch inner- in der Deutschen La Plata Zeitung
Deutsche La Plata Zeitung ihre halb der deutschen Gemeinschaft einen der Drahtzieher des Anzei-
von Konkurrenz und Missgunst in Argentinien wider. Während die genboykotts. In dem Leitartikel
Karikatur von Clément Moreau. geprägten Differenzen vergaßen. DLPZ zum Sprachrohr der am 6. März 1924 schrieb die Zei-
Sonnabend, 1. Oktober 2005 ARGENTINISCHES TAGEBLATT 2
dentums stellt. (...) Bei uns in Ar- der Telegramme eine „Greuelmel-
gentinien gibt es eine Rassenfra- dung“ der UP über die Lage im
ge wie bei ihnen nicht, es wäre Dritten Reich nicht auffiel und sie
dies auch bei der großen Blutver- von der DLPZ publiziert wurde,
mischung nicht denkbar. Nur der druckte das AT diese in seinen
Jude hat sich rassenrein erhalten Spalten ab. Die DLPZ hingegen
und ihn bekämpfen wir und müs- ignorierte das AT weitgehend,
sen ihn bekämpfen, weil er, wie ge- weil es seine Haltung als „un-
sagt, stets staatsfeindlich ist.“ deutsch“ und jüdisch“ definierte.
Den Zorn über die Zeitung aus
Am Rande des Ruins dem Hause Alemann reagierte die
DLPZ über den Umweg befreun-
Wie Tjarks in dem Interview deter rechts-nationalistischer ar-
angab, musste bei der Besonder- gentinischer Zeitungen wie Clari-
heit Argentiniens als Einwande- nada oder El Crisol ab. Diese bil-
rungsland den ethnischen Emp- deten den Ausgangspunkt für
findlichkeiten Rechnung getragen zahlreiche Diffamierungen gegen
werden. Gelang dies nicht, nutzte das Tageblatt.
das Tageblatt jede Gelegenheit, Das AT fungierte in dieser Pha-
um jüdische Geschäftsleute von se als aufmerksamer Beobachter
der antisemitischen Einstellung der journalistischen Praxis seines
der DLPZ zu überzeugen und in Gegenspielers und lancierte in den
die eigene Berichterstattung mit „Randglossen“ fast täglich An-
einzubinden. Diese Taktik war er- griffe gegen die DLPZ. Die Spra-
folgreicher als die Überzeugungs- che wurde dabei immer rauher:
arbeit bei den nationalsozialistisch „Subventioniertes Nazipapier,
gesinnten Deutschen in Argenti- Goebbelsorgan, ersterbend rük-
nien. Durch den Verlust wichtiger kenmarkloser Bückling.“ Mit die-
jüdischer Anzeigenkunden geriet sen Zuschreibungen charakteri-
die DLPZ 1938 an den Rand des sierte das Argentinische Tageblatt
Ruins, weil sie stattdessen in gro- die Deutsche La Plata Zeitung.
ßer Aufmachung und gratis die Diese fand nicht minder scharfe
Aufrufe der NSDAP-Landesgrup- Formulierungen und titulierte die
pe Argentinien abdruckte. AT-Redakteure als „Pressereptili-
Um ihrer Berichterstattung den en“, die eine „Hetzpropaganda“
Eindruck von Meinungspluralität betreiben würden, „die sich selbst
zu verleihen, verwendete die mit Jauche besudelt“.
DLPZ den Agenturdienst der Uni- Die DLPZ verteidigte das Drit- Deutsche La Plata Zeitung, 3. April 1938. Ankündigungsplakat für
ted Press. Wenn der Zeitung bei te Reich gegen alle Anfeindungen die Feier des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich
der redaktionsinternen Durchsicht von außen, während das AT die am 10. April im Luna-Park von Buenos Aires.
Grausamkeit der Nationalsoziali- chen. Am 30. Juni 1934 sollte der
sten betonte und schon früh von Stolz deutscher Ingenieurkunst,
Judenverfolgungen und Konzen- der Zeppelin, Buenos Aires in
trationslagern berichtete. niedriger Höhe überfliegen. Eine
Um das Bild vom „neuen Landung war nicht möglich, da es
Deutschland“ auch der argentini- keinen Ankermast gab. Propagan-
schen Öffentlichkeit näher zu distisch hatte der Tag für die na-
bringen und Zweifel innerhalb der tionalsozialistisch gesinnten Deut-
deutschen Gemeinschaft auszu- schen und die Deutsche Gesandt-
räumen, berichtete die DLPZ in- schaft eine enorme Bedeutung.
tensiv über Deutschlandreisen Doch als der Zeppelin in Buenos
wichtiger argentinischer Persön- Aires eintraf, ereignete sich auf
lichkeiten. So besuchte im Som- der anderen Seite des Atlantiks et-
mer 1934 der Bischof Miguel de was, dass die Taktik der National-
Andrea verschiedene deutsche sozialisten in Argentinien und der
Städte, und im Dezember des glei- Deutschen La Plata Zeitung kon-
chen Jahres reisten 16 argentini- terkarierte: Im Rahmen einer als
sche Doktoranden in das Deutsche Röhm-putsch bekannt geworde-
Reich. Mit Hilfe dieser indirekten nen Aktion wurde praktisch die
Propaganda sollten gerade argen- gesamte Führung der SA durch die
tinische Eliten über wissenschaft- Nationalsozialisten ermordet. Die
liche und kulturelle Austauschpro- Hauptseiten der Zeitungen waren
gramme „deutschlandfreundlich“ am nächsten Tag „voll des ‚deut-
gestimmt werden, um sie zu Ex- schen Wunders’ und nicht gerade
ponenten deutscher Politik am La des technischen, das man soeben
Plata zu machen. Ende Juni 1934 genossen hatte“ (AT-Redakteur
Argentinisches Tageblatt, 23. April 1933. Karikatur von Clément bot sich auch den Argentiniern vor Peter Bussemeyer). In Buenos
Moreau anlässlich des Einfuhrverbotes für das Argentinische Ort die Möglichkeit, sich ein Bild Aires wurden den Verkäufern am
Tageblatt im Deutschen Reich.
vom „neuen Deutschland“ zu ma- 1. Juli die Zeitungen aus der Hand
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