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Der Autor
Harald Schmidt, geboren 1957, Kabarettist und Gastgeber der
täglichen Harald-Schmidt-Show m SAT l seit Dezember 1995.
Harald Schmidt
Warum?
Ermutigung, 11
Kleiner Millionärsratgeber, 13
Kleine Immobilienkunde, 17
Schon wieder Superbörsenjahr, 19
Hosen runter, DAX rauf, 21
Börsenwahnsinn, 23
T-Aktie, 25
T-Day, 27
Legale Sparpaket-Tricks, 28
Deutschland spart, 30
Meine Rente, 32
Echt legale Steuertricks, 34
3. Auflage 1998
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3. Ab und zu mal ein cooles Zitat einstreuen, a la »serious-
ness of purpose and lightness of touch« (C.P. Scott, Man-
chester Guardian). Heißt soviel wie: Auch beim Thema
WKII schön locker bleiben.
10. Sollte Ihnen mal wirklich absolut gar nichts einfallen, be-
ginnen Sie Ihren Text mit dem Satz »Nicht umsonst gilt
Beharrlichkeit als das Ideal der Jesuiten«.
11. Kündigen Sie zehn Punkte an und bringen Sie elf. Ihre
Gegner werden staunen.
Weit verbreitet ist der Irrglaube, viel Geld zu verdienen sei
schwierig. Hat man erst einmal genügend zusammengerafft,
dann fangen die Probleme so richtig an. Wohin mit der
Penunze? Wie schütze ich mein Vermögen vor Inflation,
Finanzamt und Verwandtschaft?
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übrigens gern mitnehmen für den Wintergarten in seinem Schon wieder Superbörsenjahr
neuen Haus, für Zwanzigtausend extra (»nicht mal die Mate-
rialkosten«) läßt er sie aber auch drin, obwohl's ihm schwerfällt. Unglaublich! Wer in diesem Jahr noch arbeiten geht, ist selbst
Wir wischen eine Träne aus dem Auge und stoßen auf das schuld. An unseren Börsen, da sind sich die Experten einig,
Wort Maisonetteverdächtig. Hier ziehen Sie am besten gleich läßt sich Geld wie Heu verdienen. 2700 Pünktchen für den
mit Ihrem Orthopäden ein, denn an der höchsten Stelle dieser DAX sind sozusagen Normalzustand. Außer zur Jahresmitte.
Wohnung können Sie maximal auf allen vieren krabbeln. Der Da liegt der faule DAX bei 2400 Punkten in der Sonne und
Hinweis Nur noch wenige Wohnungen frei signalisiert ein blinzelt zum Dollar hoch, der dann garantiert bei 1,60 liegt.
Zwölffamilienhaus mit gnadenlos überzogenen Außer, es treten unvorhersehbare Ereignisse auf. Oder ein.
Quadratmeterpreisen, die einzelnen Wohnungen (38 bis 71 qm) Wenn's um den Dollar geht, ruft übrigens der Schalker
lassen sich nicht mal mit Waffengewalt losschlagen. Bevor Sie Finanzexperte Olaf Thon bei Uli Hoeneß in München an.
eine Wohnung unter dem Begriff Für den Studentenfilius Viele kannten Thon bisher nur als Fußballkapitän, doch in
kaufen, ist es günstiger, den Sohn in einer Hotelsuite WELT am SONNTAG verriet er jetzt: »Für Zahlen bin ich
einzuquartieren. Verkäufern, die ihr trautes Heim als geboren.«
Schnäppchen! ankündigen, sei an dieser Stelle empfohlen: Der passionierte Skat- und Schafskopfspieler ist ein ausge-
Nachts anzünden und der Versicherung melden. Ansonsten sei buffter Finanzprofi. »Vorsicht bei Immobilien im Osten«,
auf den demnächst erscheinenden Beitrag hingewiesen: Wie warnt der clevere Spielmacher, der traumwandlerisch sicher
ich beim Neubau total viel Geld sparte, weil ich nach Rentenfonds von Pfandbriefen unterscheiden kann. Leider
Feierabend mit meinem Schwager alles selbst gemacht habe wissen wir nicht, was O. Thon über die Volksaktie der Telekom
(bevor er vom Gerüst fiel)! an der Börse denkt.
Der Einstandspreis von 30 Mark war immerhin deutlich gün-
stiger als ein Ortsgespräch zu Neujahr.
Kleiner Tip am Rande: Bei AT&T, eine US-Telekom, kam es zu
einem deutlichen Kursanstieg, nachdem die Entlassung von
40 000 Mitarbeitern bekanntgegeben wurde. »Zeit auf-
bringen«, rät Deutschlands letzter Straßenfußballer speziell im
Hinblick auf die US-Börsen.
Fast alle Börsenexperten haben einen sensationellen Tip parat:
Daimler, VW, BMW und Siemens! Sie empfehlen den Kauf
dieser bisher kaum bekannten Nebenmarken. Wer noch
riskanter spielen will, der wagt sich gar an Familienbetriebe
wie VEBA und Lufthansa. Letzte Instanz ist selbstverständlich
der FAZ-Wirtschaftsteil. Hier wird geradezu Insiderwissen
preisgegeben: »Über den Erfolg entscheidet... natürlich
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auch der Kaufs- und Verkaufszeitpunkt.« Und: »Titelauswahl Hosen runter, DAX rauf
und Timing bleiben Trumpf.« Ja, das klingt kompliziert, ist aber
ganz einfach: Wenn Sie zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Besserverdiener sind verunsichert. Fällt der Deutsche
Aktien kaufen und verkaufen, dann klingelingeling! Außerdem Aktienindex (DAX) wirklich bald auf 1300 Punkte, um dann
wird empfohlen »Unternehmen und Management eingehend zu für zwei Jahre noch mal auf 2500 hochzugehen, bevor er bis
untersuchen«. Die Herren Schrempp, Pie'ch und Sommer zum Jahr 2005 auf mindestens 400 Punkte fällt? Und sind wir
warten schon. Ruf doch mal an! dann zu Hause oder gerade in Luxemburg, wo Theo jetzt
endgültig alles dicht machen will?
In solchen schwierigen Zeiten, in denen kettenrauchende,
pommesmampfende Bulgaren in New York den dicken Larry
machen, ist es unbezahlbar, in heimatlichen Gefilden ein
Finanzgenie mit breiten Hosenträgern zu kennen und als
Sparer seine mühsam gerafften Kohlen von einem Team »aus-
gebuffter, hochspezialisierter Profis« (Selbsteinschätzung) in
Sekundenbruchteilen vervielfachen zu lassen. Staunend
vernimmt der Laie, daß gerade in »japanischen Bas-kets«
Renditen zwischen dreißig und vierundsechzig (»nageln Sie
mich da nicht fest«) Prozent fast schon gesetzlich garantiert
sind. Zudem verfügt Mr.Triple-A über Spezialwis-sen, das dem
gemeinen Wirtschaftsteilleser leider fehlt. Krachen zum
Beispiel Standardwerte wie Daimler oder Siemens innerhalb
weniger Tage bombastisch nach unten, analysiert unser
Börsenprofi blitzartig einen »Abwärtstrend, der vermutlich
noch weitergeht«. Wenn dagegen selbst der lahmste
Optionsschein zehn Mark pro Tag zulegt, wird in Fachkreisen
gerne von »sehr guten Gewinnchancen« gesprochen. Daraus
lernen wir: Wenn der Banker dreimal klingelt, boomt die Börse
sowieso (Fachausdruck: »Hausse«). In Zeiten erfrischender
Vermögenshalbierung (Fachausdruck: »Lief leider bißchen
dumm«) bleibt das Telefon erstaunlich stumm. Dann will auch
der Banker »erst mal abwarten, was New York macht«, denn
leider hat man von der deutschen Filiale aus »keinen Einfluß
auf den Dollar«. Überhaupt kann nur ein maßgeschneidertes
Finanzkonzept
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erarbeitet werden, wenn der Kunde wichtige Daten wie Blut- Börsenwahnsinn
gruppe, Leberwerte und sexuelle Neigungen dem Bankcom-
puter anvertraut. Auf unverschämte Kundenfragen wie »Was Jeder kennt Theo Waigel. Alle haben gelernt, wer Ron Sommer
ist denn mit Festverzinslichen in Peseten oder Lire?« reagiert ist. Doch am Nikolaustag '96 hat der deutsche Kleinsparer
der künftige Weltbankpräsident mitleidig bis geschockt. seinen natürlichen Feind kennengelernt: Alan Greenspan, Chef
Sicher, da gäbe es schon mal so um die elf Prozent, aber dieses der amerikanischen Notenbank Fed. Gerade als es so richtig
»waaahnsinnige Kursrisiko, gerade in diesen Ländern«. knallte an den deutschen Börsen, als der gute alte DAX über
Warum nicht statt dessen einen hochinteressanten Fonds aus die 2900-Marke kletterte, als BMW an einem Tag um 68
dem eigenen Haus, Rendite unklar, aber in jedem Fall sehr zu Punkte nach oben raste, als die BASF und Hoechst
empfehlen? Wahrscheinlich hat der nette Bankangestellte explodierten, als n-tv Börsenjunkie Friedhelm Busch schrie:
»seine« Ersparnisse ähnlich investiert, vielleicht sogar im »Die Allianz geht auf die 3000 zu«, da faselte dieser Herr
Großherzogtum, denn wie sonst wäre die Ansichtskarte der Greenspan im fernen New York irgendwas von höheren
dortigen Kollegen zu erklären: »Deine schwarzen Zahlen hier Zinsen, Luftblasen und »Platzen der Seifenblase«. Von da an
lassen uns rot werden?« ging's bergab. Um sage und schreibe vier Prozent raste der
DAX nach unten. Selig die Telekom-Aktionäre, denn diese
Aktie hat striktes Bewegungsverbot, weder nach oben noch
nach unten.
Rrrrrums, machte es bei VEBA, obwohl der Konzern just an
diesem Tag ein Rekordergebnis gemeldet und Dividenden-
erhöhung in Aussicht gestellt hatte. Macht nix, Panik muß
sein. Zwischen sieben und neun Prozent bewegten sich die
Lieblinge der Saison, die Chemiewerte, im freien Fall nach
unten.
Der schlimmste Börsentag »seit dem Putsch gegen Gorbi«.
Doch als sich der erste Rauch verzog, als Friedhelm Busch
wieder Luft bekam (O-Ton am 2900-Donnerstag: »Warum
bin ich nicht in Spanien?«), da konnte man beruhigt fest-
stellen: abgestürzt, aber auf welchem Niveau! Alpinistisch
gesprochen mußten sich die Börsianer auf dem Gipfelgrat
zum Everest einige hundert Meter zurück begeben, während
die Festgeldsklaven und Sparbuchopfer sich seit Jahren
freuen, daß im Hunsrück die Wanderwege schneefrei sind.
Allein in den letzten 52 Wochen hat der DAX über 23 Pro-
zent zugelegt. Diese Steigerung bieten nicht einmal an-
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onyme Geldvermittler mit Briefkasten auf den Cayman-Inseln T-Aktie
an.
Oder nach Professor Pi mal Daumen: Wer am Jahresanfang Schon immer haben einzelne Buchstaben in unserer Ge-
gute, alte deutsche Standardwerte gekauft hat (Daimler. sellschaft eine hervorragende Rolle gespielt. Zum Beispiel das
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H. Es machte uns mit so unterschiedlichen Dingen wie H-
BASF, VEBA) hat aber ganz locker mindestens 25 Prozent
gewonnen. Haßobjekte wie die Siemens-Aktie bestätigen als Milch und H-Bombe vertraut, wer möchte noch O-Saft oder
Ausnahme diese Regel. Vor allem Fondsbesitzer werden sich F-Wörter missen. Auch S-Klasse, B-Filme und C-Waffen
freuen zu hören, daß »viele institutionelle Anleger den Bör- gehören zu unserem multikulturellen Alltag, ebenso wie U-
senboom regelrecht verschlafen haben«. Doch schon am Haft und E-Musik. Stellt nicht der G-Punkt das I-Tüpfelchen
folgenden Montag waren fast alle Verluste wieder aufgeholt im Leben moderner Frauen dar, oder hat uns der V-Mann im
durch ein Börsenphänomen, das mir bis heute niemand richtig R-Gespräch falsch unterrichtet?
erklären konnte: steigende Arbeitslosenzahlen in den USA. Nun scheint es, als müsse die Geschichte des T neu geschrieben
Wieso? werden. Zwar waren T-Shirts und T-Bone-Steak allgemein
geschätzte Kulturgüter, doch neuerdings lauert uns immer und
überall die T-Aktie auf. Und das kurz vor Ende der D-Mark.
Für Aktionäre ist die T-Aktie ein echtes Leckerli. Zwar weiß
keiner, was sie kosten soll (auf jeden Fall billiger als ein
Klinsmann-Trikot), dafür steht die Dividende schon fest: 60
Pfennig bzw. 1,20 DM in den nächsten beiden Jahren. Beim
Kauf von 200 Millionen T-Aktien (von mir telefonisch am 10.
Oktober reserviert) sind das garantierte 360 Mio. Die nimmt
man doch mit. Kleiner Börsenkurs am Rande: Dividende ist
das, was es bei Daimler Benz '96 nicht gibt.
Und weiter geht's: Wer seine T-Aktie drei Jahre lang nicht
verkauft, bekommt für je 10 Aktien eine Treue-Aktie
geschenkt. Ähnliches kennen wir von den Bonuspunkten auf
der Cornflakespackung. Super für uns Verbraucher: Ende
nächsten Jahres verliert die Telekom ihr Telefonmonopol!
Natürlich kaufen wir uns vom bei der Konkurrenz gesparten
Geld dann neue T-Aktien. Kriegt die eigentlich auch Manfred
Krug, oder nimmt der noch Geld?
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P. S.: Sollte übrigens die geplante Gewinnbesteuerung bei T-Day
Aktienverkauf außerhalb der 6-Monatsfrist tatsächlich kom-
men, empfehlen Insider Aktien der Deutschen Bank. Seit Es war neblig an jenem 18. November 1996, als an den alliierten
Jahren garantiert gewinnfrei. Börsen der T-Day begann. An diesem Montag endlich würde
das deutsche Volk vom größten Werbefeldzug befreit werden,
den es je in seiner Geschichte zu erdulden hatte. Im Gegensatz
zu vergleichbaren Operationen in der Vergangenheit kam T-
Day nicht überraschend und an unerwarteter Stelle. Seit
Monaten hatten die einen mitgeteilt, wann und wo sie gestürmt
werden konnten, und die anderen hatten sich in lange Listen
eintragen lassen, um bei der ersten gelungenen Fusion von
Sommerschlußverkauf und Generalmobilmachung mit dabei
zu sein. Volkssturm im Zeitalter des Communication
Highway. Für mich begann T-Day mit dem Abhören der
Radiosender. Würde es Verletzte geben? Hatten alle begriffen,
wie es geht, oder stürmten fehlgeleitete Kleinsparer persönlich
in die Börsen? War die Deutsche Bank gewappnet, eventuell
am ersten Tag der Notierung von der Telekom überflügelt zu
werden? Um zehn Uhr bei n-tv reingeschaut, wo der fesche
Friedhelm Busch heute noch fescher war als sonst (blauer
Zweireiher mit Silberknöpfen, Einstecktüchlein).
Dann hieß es warten auf 11.30 Uhr, auf die erste Taxe. 31/34
DM, irgendwie nicht so aufregend, aber Herr Busch war be-
ruhigt, weil bei diesem Kurs nicht gleich alle wieder ihre 100
Aktien verkaufen und 300 Mark Sensationsgewinn einstrei-
chen. Um 12.27 Uhr schließlich erfahren wir von Kursmakler
Ralf Brauburger den ersten Kurs der T-Aktie: 33,20DM.
Wahnsinn! Irre! Super! Here we are! I persönlich go essen,
weil es meine Aktien an diesem T-Day ziemlich gebeutelt hat.
Mahlzeit!
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nach Mururoa zum zweitenmal die Herrschenden in die Knie Mein 8. Mai
zwang. Wer Lafontaine an diesem Samstag in Bonn erlebt hat,
dem wird klar: Wo der dicke MP auf dem Weg zur Sonne, zur Viele Prominente berichten in diesen Tagen über ihre indivi-
Freiheit einherschreitet, dort übt die Straße keinen Druck duelle Erinnerung an den 8. Mai. Auch ich werde diesen 8.
mehr aus. Mai nie vergessen.
Jetzt auch offiziell: Oskar L. ist für die deutsche Politik so Sofort nach dem Aufwachen fühle ich mich irgendwie
unverzichtbar wie Lothar Matthäus für die Nationalmann- befreit. Von meinen Kopfschmerzen. Es hat sich also doch
schaft. gelohnt, daß ich noch vor dem Schlafengehen ein Aspirin
genommen habe.
Aus dem Radio tönt amerikanische Musik. Ziemlich schwarz.
Sie klingt verboten, aber so geht es jetzt fast den ganzen
Tag. Heute genieße ich besonders, mich zu rasieren, denn es
gibt wieder Schaum und Klingen. Leider wurden sie mir nicht
von einem GI zugesteckt, sondern ich habe sie in der dm-
Drogerie gekauft.
Unten vor dem Haus bremst ein Jeep. Schade, keine Amis
drauf, die Kaugummi und Cola verschenken, sondern nur die
Frau des Sonnenstudio-Besitzers, die Brötchen holt. Die
letzte Woche hatte es auch im Fernsehen in sich. Unsere ge-
samte Serienelite trug entweder Uniform oder Kopftuch.
Waren Trümmerfrauen wirklich so sexy? Einzelne Augen-
zeugen (»Hitler ging fünfmal an mir vorbei. Er wirkte wie ein
lebender Leichnam.«) sah ich in sechs verschiedenen Sendungen.
Ich koche echten Bohnenkaffee und gieße frische Milch über
amerikanische Cornflakes. Außerdem belege ich je eine Bröt-
chenhälfte mit ungarischer Salami und französischem Käse.
Ja, es ist wieder alles zu haben, wenn man nicht vergißt, vor
dem Wochenende einzukaufen. Doch ich hatte keine Zeit,
denn ich verbrachte das Wochenende in Österreich, im
grenznahen Vorarlberg zwischen der Schweiz und Deutsch-
land. In einer letzten Großoffensive sollten noch einmal Mil-
lionen mitgerissen werden. Das Ergebnis steht noch aus, als
ich im Schein der Notbeleuchtung diese Zeilen tippe. Aber
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sollte es mir nicht gelungen sein, will man es mit Männern Sorry, Jungs. Deauville complet!
versuchen, die zum Teil schon 60 und älter sind. Die ARD
scheint zu allem entschlossen. Am D-Day ist kein Zimmer frei. Dies ist nicht der Titel einer
Draußen vor der Tür klingelt es. Der Russe? Oder Walter leicht frivolen Militärklamotte auf SAT l, sondern eine pein-
Kempowski, der aus diesem Text eine Serie machen will? Es liche Mitteilung von normannischen Hotelbesitzern an kana-
ist mein Nachbar, ich soll mein Auto wegfahren. Plötzlich dische Veteranen, die für den 6. Juni schon gebucht und
fangen meine Hände an zu zittern, kalter Schweiß steht mir bezahlt hatten, jetzt aber in den Luxushotels plötzlich uner-
auf der Stirn. Klare Ursache: Seit einer halben Stunde habe wünscht sein sollen. Pourquoi ca? Am sechsten Juni 1994
ich keinen Film zum 8. Mai gesehen. jährt sich zum fünfzigsten Mal die Landung der Alliierten in
Ich krieche in meine Wohnung zurück und lege eine Kassette der Normandie, und wer von den Teilnehmern damals heute
ein. Volkssturm, Nazis, Trümmerfrauen - langsam beruhige noch lebt, der möchte es noch mal so richtig krachen lassen.
ich mich wieder. Achtzigjährige Omaha-Beach-Boys wollen sich - laut Veran-
So war er, mein 8. Mai. stalter an Fallschirmen - aus den Wolken stürzen, Entertainer
Bob Hope liefert den vermutlich besten Auftritt seit dem
Golfkrieg. Und nun der plötzliche Zimmermangel, der sogar
höchste Kreise in Paris zu Entschädigungszahlungen bewogen
haben soll. Vielleicht furchten die Hoteliers in Deauville um
ihr Image, obwohl tough guys, die mit siebzig verweht noch
vom Himmel fallen, nicht unbedingt im Gegensatz zum
morbiden Charme des Badeortes stehen. Oder fürchtet man
um die Benimmregeln. Wie werden Mom und Dad zum
Frühstück erscheinen? Zackig in Uniform (er) und mit bläu-
licher Betondauerwelle (sie), oder - how are you today - mit
Jogginganzügen und Baseballmütze? Mon Dieu! Verbriide-
rungsszenen mit dem ehemaligen Feind sind nicht zu be-
fürchten, denn die Krauts sind nicht eingeladen, obwohl, tres
elegant, man ja nicht den Sieg über Deutschland feiert, sondern
den gegen Hitler, der ja - oft gehört als Kind bei Opas
Frühschoppen - die deutschen Panzer in der Normandie
stoppen ließ. Ein Fall für Professor Nolte? Obwohl es dem
spät geborenen Verfasser dieser Zeilen irgendwie ungerecht
erscheint, daß wir Deutschen erst nächstes Jahr zum
fünfzigsten Jahrestag des Kriegsendes kommen dürfen. Von
Henryk M. Broder bis Reginald Rudorf sind sich
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die Talkshowgäste einig: Ohne Deutschland kein WK zwo,
und ohne 2. WK kein D-Day. Ist doch historisch einwandfrei,
oder?
Vielleicht gibt es ja noch die Möglichkeit, daß die Bundes-
wehr sich an das Modell »Somalia« erinnert und aus huma-
nitären Gründen mal in der Normandie vorbeischaut, etwa Reisetagebücher, ziemlich verweht
um Veteranen ohne Hotelzimmer mit Wohncontainern und
Nahrungsabwürfen aus der Luft behilflich zu sein. Bleibt nur
zu hoffen, daß das Wetter an der Kanalküste mitspielt. Wäre
doch zu schade, wenn die Greise samt ihren Fallschirmen im
Nebel über Sarajewo absprängen.
Reisen bildet. Es wäre doch wirklich schade gewesen, hätte
man auf die gute, alte Binse an dieser Stelle verzichtet.
Die Texte des folgenden Kapitels habe ich aus den exotischsten
Winkeln unseres Erdballs (heißa, da ist mir ein poetischer
Leckerbissen geglückt!) in die Heimat gefaxt.
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Sie vom Duft frischen Kaffees, warmer Brötchen oder der Ta- Mallorca-Tagebuch
schenlampe des Hausmeisters geweckt werden. Die beste
Himbeermarmelade (für Insider: Mmmhbeermar-melade) An einem jener Abhang-Tage, »über die man mit vollem
gibt's übrigens gleich hinter der Kirche bei Frau Ewermann. Schwung und singend hinunterläuft«, wie Marcel Proust
Dreimal klingeln und dann kurz ans Fenster klopfen. An schrieb, las ich in Ingomar von Kieseritzkys Buch »Unter
guten Tagen rückt »Männchen«, wie sie alle nennen, auch zwei Tanten und andere Stilleben« von einer Frau, die mit dem
Gläser raus. Wichtig für diese wieder zu entdeckende Art des Chirurgen, der sie totaloperiert hatte, durchgebrannt war.
Reisens: Wissen, wo es das Beste von irgendwas gibt. Wenig später erwarb ich in einem ziemlich neu wirkenden
Meistens »beim Bauern«. Oder bei Madame Lafayette in St. Supermarkt in Palma de Mallorca in Cellophan verpackte
Odile im Elsaß, die eigentlich eine Schnellreinigung betreibt, Erdbeeren, die nach nichts schmeckten. Holla, höre ich da
auf Nachfrage aber listig mit den Äuglein zwinkert, sich manchen einwenden, wie kann etwas nach nichts
einen Schnurrbart anklebt und Spaghetti a la Meuse kocht schmecken? Hat das Nichts etwa Geschmack? Recht hat der
(Zwiebeln, zwei Jahre alte Butter, mundgeblasener Parmesan Einwender, eher waren die Erdbeeren aromatisch gleich null.
und einen Schuß Menthe ä l'Eau nach dem Zähneputzen. Die Gedanken bei Kieseritzkys totaloperierter Durchbren-
Süperb!). nerin, im Mund die geschmacksneutralen Erdbeeren, steuerte
Wer so reist, kommt vielleicht nicht unbedingt ans Ziel, wird
&. ich meinen total geschmacklosen Leihjeep in den Norden der
dafür jedoch um vieles reicher an Herzensbildung den künf- größten der balearischen Inseln. Mein weißer Leihjeep hatte
tigen Stürmen des Lebens entgegentreten. total peinliche pinkene Blitze auf den Türen, und Carlo Fon-
tana, der gestrenge Meister des römischen Spätbarock, wäre
P. S.: Herr Armani, ist das schwarze T-Shirt, in dem Sie im- bei ihrem Anblick sicher rot angelaufen wie eine Erdbeere.
<*>:
mer fotografiert werden, eigentlich auf tätowiert? •$<•
Nachmittags eine l,7-Mio.-Mark-Villa besichtigt. Hanglage,
Meerblick. An den Wänden laut Makler nur echte Bilder. Er-
kenne auf den ersten Blick: später Kaufhof, etwa um 1991,
dazwischen vereinzelt auch einige echte Horten aus der mitt-
leren Phase. Viel offene Schenkel mit Melonen. In solchen
Villen deponieren reiche Düsseldorfer rauschgiftsüchtige
Söhne, welche nicht zur Leitung des Familienbetriebs taugen,
oder Ehefrauen, die nach der Menopause als Innenarchitektin
in südliche Gefilde verfrachtet werden. Essen gegangen, auf
dem Weg zur Toilette von einem Deutschen mit der
Videokamera verfolgt worden^-Habe Villa nicht gekauft (Pool
zu klein, außerdem meine Bremer Vulkan drastisch gefallen).
Gegen Abend nach Are-nal gefahren, in einem kleinen
Biergarten mehrmals unter
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großem Beifall der Nachbartische Gottfried Benns Gedicht Ferienhaus, total billig
»Satzbau« rezitiert. »Alle haben den Himmel, die Liebe und
das Grab...« Aber nicht einmal auf n-tv können sie die Dy- Kürzlich im Reisebüro, erfuhr ich zufällig den aktuellen Hit:
namik der VEBA-Aktie erklären. Eine Woche Dominikanische Republik für 860 Mark, alles
inklusive. Auch den Beginn dieser Buchungswelle konnte mir
der Angestellte präzise verraten: einen Tag nach dem Ab-sturz.
Vermutlich erfuhren viele Sonnenhungrige erst durch die
Flugzeugkatastrophe, wie billig man in der Karibik Ur-laub
machen kann. Der Rest ist Statistik. Wild anläßlich solcher
Meldungen nicht der Wunsch vieler v, Intellektueller nach
einem eigenen Ferienhaus verständlich, , und zwar »dort, wo
keine Touristen sind?« Zum Beispiel auf Gran Canaria. Ein
dem Elend der Anonymität ausgelieferter WDR-
Fernsehredakteur hat dort vor fünf Jahren in einer »dieser
urigen Kneipen« Jose kennengelernt, der ihm nicht nur ein
»altes Fischerhäuschen« besorgen wollte, sondern sich auch
gleich zur Renovierung anbot, selbstverständlich »ohne den
Charakter des Hauses zu verändern«. Zwei Fragen bleiben an
dieser Stelle offen: Woher hatte der Fernsehredakteur 30 TDM
in bar für die Anzahlung an Jose, und wie dicht war er, als er sich
darauf einließ? Als kleiner, unaufdringlicher Hinweis sei an
dieser Stelle die Bemerkung erlaubt, daß Prozesse zwischen
Deutschland und Gran Canaria sehr schleppend verlaufen und
alle Gran Cana-rier miteinander verwandt sind. Ich verbiete
dem Redakteur übrigens, Jose in meiner Gegenwart als
»schnauzbärtige Drecksau« zu diffamieren.
Andere Bekannte (Dipl.-Geologe und Gartenbauarchitektin
mit Spezialgebiet »Feuchtbiotop in Reihenhausgarten«) hatten
mehr Glück. Sie fanden nicht nur ein 250 Jahre altes Bau-
ernhaus in der Bretagne, sondern auch Handwerker, die sie
als Deutsche »voll akzeptiert haben«, obwohl sämtliche
Handwerkerfamilien der Resistance angehört hätten. Als erstes
hat der antifaschistische Maurer in eigener Entscheidung
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den 250jährigen Original-Kamin rausgerissen und einen zeit-
& Klau & More
gemäßen mit gelblicher Rigipsverkleidung gemauert. Sieht
erstens besser aus, und zweitens hat er zu Hause denselben. LH-Flug 912 Köln-München is now ready for boarding. ad es
Sein Schwiegersohn auch. Alle. Die Gartenbauarchitektin noch die Hochwasser-Spätfolgen, oder bedroht die neue
schluckte schwer und sagte wenig, bis der Sanitärbretone Armut jetzt auch das mittlere Management unter den
(Schwager der Frau des Mannes) die Original-Wanne auf den Passagieren? Verbieten unsere Topkonzerne ihren Mitarbei-tern
Müll warf und ein rosa Teil mit Massagestrahl installierte. Die nicht nur die Taxifahrt vom Münchner Flughafen in die City
mittlerweile leicht ausrastende Geologengattin lernte bei ihren (»außer wir sind mindestens vier«), sondern auch den '
Protesten den fließenden Übergang zwischen Resistance und käuflichen Erwerb von Nahrung?
Renitenz kennen. Merke: Willst Du für Dein Haus das Wie sonst ist der beidhändige Griff unserer Leistungsträger
Doppelte, verkaufe es einem Holländer. Willst Du das in die Obst-, Joghurt- und Schokoriegelkörbe zu erklären,
Dreifache, verkauf es einem Deutschen. (Alte belgische die in den Warteräumen der Flughäfen bereitstehen? Immer
Volksweisheit). mehr Jungdynamiker mit beängstigend kreativen Krawatten
sowie mittelalterliche Führungskräfte in grauen Einheitstre-
tern (»Mephisto«) zum dunkelblauen Zweireiher füllen sich
kurz vor Abflug die Taschen, als ginge es zum Picknick nach
Bosnien. Brauchen wir in Zukunft eine Gewichtskontrolle
für Snacktüten (selbstverständlich gegen eine Sicherheitsge-
bühr von DM 5,-)? Nach Abflug kommt es noch schlimmer.
Denn wer fünf »Nuts« in die Hosentasche steckt, der ant-
wortet auch im Flugzeug auf die Frage »Tee oder Kaffee?« -
»Piccolo«. Nur der erste Piccolo wird gleich gekippt, der
zweite verschwindet klingklong im Aktenkoffer, schließlich
muß man ja während der Besprechung auch mal auf die Toi-
lette. Halt, da hätten wir doch fast das Angebot an Gratis-
Zeitschriften vergessen (im Fach oben gleich neben den Woll-
decken), hier scheint die Abgabe unter vier Exemplaren
verboten.
Auch reife Herren blättern vor dem take-off gerne mal in Da-
menzeitschriften, die Dessous-Werbung ist meistens auch
geiler gemacht als die Fotos in den Magazinen, in denen an-
geblich alles steht.
Wir bleiben unterhalb der Sicherheitsgurtlinie, denn wäh-
rend die Maschine zum Start rollt, erhebt sich die Frage:
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Kann sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz schöner sein als Eggs, Bacon, Giacometti
die, welche den Flugbegleiterinnen widerfährt, während sie
uns »mit den Sicherheitsmaßnahmen vertraut machen«? Vor London ist so nah. Der Flug dauert nur fünf Minuten (Ab-
allem ungefährlicher, weil nur optisch? Natürlich halten sich flug 11.00 Uhr, Ankunft 11.05 Uhr). Vorher aber unbedingt
die meisten Passagiere sofort nach dem Anschnallen gute Freunde fragen, was angesagt ist. Oder guten Freunden
irgendeinen Wirtschaftsteil vors Gesicht, schließlich muß man vom geplanten London-Trip erzählen, dann verraten gute
ja wissen, um wieviel zu früh man wieder aus den Freunde unaufgefordert, wo es die besten Croissants gibt.
Optionsscheinen ausgestiegen ist (der VEBA 93er ist Warum nach London, wenn nicht wegen der Croissants?
übrigens schwer im Kommen, Anm. d. Verf.), aber Oder wo Sting Cappucino (oder Capuccino?) trinkt. Viel-
spätestens, wenn die Flugbegleiterin die Schwimmweste erklärt leicht im »Kahn's«, dem »quietschblau bemalten Schuppen
und zu diesem Behufe den Stöpsel sanft an die Lippen führt, mit lauter indischer Kantinenatmosphäre«?
signalisieren mindestens dreißig männliche Augenpaare über
der Halbbrille (ist übrigens gnadenlos out) einen Sofort nach Ankunft mit »Tube« nach Soho, dann Bummel
herzkranzgefährdenden Anstieg des Hormonpegels. Im In- durch Läden mit den »schrillsten Schuhen, verrücktesten
teresse des weiblichen Personals bitten wir Sie, während des Hüten und flippigsten Jacken«, vielleicht überraschende Be-
gesamten Fluges angeschnallt zu bleiben! gegnung mit den Pet shop Boys beim Schrille-Schuhe-Kauf.
Anschließend kurzer Walk durch die prickelnde Frage: Lu-
xuslimousine oder Autobombe mit Karosserie?
Auf dem Weg aus Museum noch vorbei an Bacon and Giaco-
metti, danach beste Bacon and Eggs bei »Joe's«. Abends
Musical. Absolut hyper-trendy: Previews gucken. »Hot
show Shuffle«, opens 22 March, wird wahrscheinlich
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Riesenerfolg (Vermutung d. Verf., weil Preview-Publikum Prollfreier Urlaub
raste vor Begeisterung). Inhalt: Sieben Brüder steppen mit
totgeglaubtem Vater und unbekannter Schwester, daß die Das bevorstehende Osterfest deutet an: Der nächste Urlaub
Luft brennt. Am nächsten Abend in »Crazy for you«. (In: kommt bestimmt. Wohin also in diesem Jahr? Kaum einer
Mit New Yorker Aufführung vergleichen.) Inhalt: 22 Mit- steht noch unter dem Zwang, vor Freunden das Urlaubsziel
wirkende tanzen und steppen, daß die Luft brennt. Nach rechtfertigen zu müssen, sogar Mallorca ist seit einigen Jah-
dem Rückflug nach Deutschland (dauert zwei Stunden. ren für bisher klassische Nicht-Mallorcaurlauber gestattet.
Pfusch?) alles mit cooler Kennermiene guten Freunden er- Empfehlenswert ist allerdings noch immer der Zusatz: »Die
zählen oder an Focus faxen. Insel selber ist ja traumhaft schön.« Damit angedeutet ist, daß
man a) selbst die Insel kennt (Westküste, Chopin etc...) und .b)
nicht das vom Arenal geprägte Negativbild übernommen hat.
Denn im Arenal ist nur der Proll.
Womit wir bei der dringend notwendigen Klärung eines
neuen soziologischen Begriffs wären: Wer gehört zum Proll,
und wo ist er anzutreffen? Letzteres ist schnell beantwortet:
Der Proll ist überall. Ob Bermudas, Malediven oder Kanaren -
der Proll ist schon da, vor allem in Bermudas auf den Ka-
naren. Geld spielt keine Rolle, denn das internationale Proll-
tum zieht sich quer durch alle Schichten, lediglich der Voll-
oder Megaproll ist einigermaßen zuverlässig in den klassi-
schen Reservaten auffindbar (z. B. bei Schlechtwetter nackt
mit Pudelmütze im Supermarkt eines Nudisten-Camping-
platzes). Charakteristisch ist, daß sich Prolls gegenseitig als
Prolls verachten, mit denen sie nichts zu tun haben wollen.
Prollfreie Zonen scheinen kaum noch auffindbar, seit die
Putzfrau den Schmuck der Chefarztgattin als »irgendwie
prollig« analysiert. Kein Wunder, wenn im Urlaub der proll-
freie Einkauf immer schwieriger wird.
Immer häufiger anzutreffen ist der Kohleproll. Hat absolut
nichts mit Bergbau zu tun, ist aber ganzjährig braun und wird
häufig freilaufend in Düsseldorfer und Hamburger Einkaufs-
galerien gesichtet (in München entsprechend der Trachten-
proll).
60 61
Tarnt sich gern als »Makler« oder »Broker«, hat Bömmel- Feng Shui
chen an den Schuhen und violett getönte Brillengläser im
Porsche-Design-Rahmen. Wenn der Kohleproll nicht zur Neulich war ich mal in Hongkong. Wie der interessierte Be-
Sektaufnahme in Einkaufsgalerien weilt, läßt er einen Whirl- obachter vielleicht weiß, handelt es sich dabei um eine Art
pool über Eck einbauen oder setzt überteuerte Küchen in sein Osten, in dem die Landschaften schon blühen. Nun ist in der
Landhaus. Mallorca erreicht der Kohleproll zwecks sympathischen Hafenmetropole eine gewisse Nervosität
Kurzurlaub entweder mit LH ab Frankfurt oder mit LTU ab spürbar, denn am l. Juli 1997 fällt die britische Kronkolonie
DUS, ist »schneller und billiger«, dafür nimmt er sogar »die zurück an China. Ganz legal, der Pachtvertrag läuft aus, und
ganzen Prolls in Kauf«. London hat die Umzugskartons bestellt, bevor Bejing auf
Wohin also in den Ferien? Vielleicht nach Balkonien? Wirkt Eigenbedarf klagen mußte. Bejing heißt bei uns übrigens
zwar irgendwie prollig, dafür hat man seine Ruhe, denn die Peking, aber die Bejing-Schreibweise läßt den Sinologen
Ultraprolls aus der Nachbarschaft sind in Südafrika, Australien ahnen.
und der Dominikanischen Republik. In Bejing steht man für die Zeit danach volles Rohr auf Tung
Chee-hwa, der in der örtlichen Presse starke Zuneigung
spürt, weil er bereits sein Hauptwahlkomplott verwirklicht:
»Zwei Jahre keinen Urlaub.« Nicht, weil er es sich nicht leisten
könnte - bisher verbrachte Familie Tung (oder Chee-hwa?)
die Zeit zwischen den Jahren immer in »kalifornischer Sonne
und Sand« - aber jetzt hat man wg. »Handover« noch tierisch
viel zu tun.
Beispielsweise Einzug in neue Büroräume (100 TDM Mo-
natsmiete) und die Frage: Welches wird der neue Dienstwa-
gen? Bisher fährt ein Chauffeur Herrn Tung Chee-hwa im
privaten BMW durch Hongkong. Der aktuelle und letzte bri-
tische Gouverneur von Hongkong, Chris Patten, verfügt
übrigens über (Achtung, Rita!) drei Autos. Zwei Mercedesse
und einen Rolls Royce. (Ist der Plural von Mercedes korrekt,
oder heißt es: zwei Benze?)
Mr. Patten residiert mit Gattin Lavender und Tochter Alice
in einem Haus nahe der Bank of China. Beim Gebäude der
Bank of China wie auch beim Haus von Familie Patten spre-
chen Kenner von einem schlechten Feng Shui. Feng Shui ist
ein enorm wichtiger Begriff in Hongkong und bedeutet Wind
(Feng) und Wasser (Shui). Wie steht das Haus
62 63
in Bezug auf Wind und Wasser? (Vergl. hierzu auch Feng Shui The Papal Visit
des Schürmann-Baus.)
An dieser Stelle wird es notwendig, Herrn Dr. Abel Yeung Kann es für den katholischen Pauschalreisenden etwas Schö-
KiYve vorzustellen, Feng-Shui-Experte und Astrologe. Er neres geben, als gleichzeitig mit dem Papst in New York zu
warnt Herrn Tung Chee-hwa vor einem Umzug ins Haus sein? Sicher, es gibt Unterschiede. Der Papst landet in New-
von Chris Patten (Schlechtes bei Feng Shui), sagt Hongkong ark. Nicht etwa, weil von dort das Taxi nach Manhattan bil-
aber ansonsten eine Riesenzukunft voraus, auch weil Mr. liger ist als von JFK, sondern weil er gleich nach der Ankunft
Tung »das Gesicht eines Führers hat«, denn Dr. Abel Yeung in New Jersey eine Messe feiert. Muß der Hl. Vater eigentlich
ist auch spezialisiert auf Gesichterlesen. Tief fundiert und sehr auch vor der Landung diese komischen grünen Zettel ausfüllen,
allgemein läßt sich sagen, daß der Deutsche und der wo man ankreuzen soll, ob man Tiere einführt, eine an-
Hongkonger sich sehr verbunden fühlen können. Beide steckende Krankheit oder früher mal einen Sabotageanschlag
haben sich schon mal nach langen Jahren einem fremden auf die USA geplant hat? Tief gerührt beobachte ich vor dem
System angeschlossen, nur fällt im Falle von Hongkong Fernseher, wie John Paul II dem Ehebrecher Bill Clinton die
irgendwie ein riesiges Frankfurt/Main an die DDR. Fünfzig Hand reicht. Toll, wie locker meine Kirche jetzt mit diesen
Jahre lang soll Hongkongs Wirtschaftssystem noch Dingen umgeht! Da genehmige ich mir als lediger Vater doch
garantierten Bestand haben. gleich ein Bud light. Enjoy it!
Übrigens: Hat mal irgendein Wahrsager das Feng Shui der Übrigens landet mein Kirchenoberhaupt mit nahezu über-
DDR gecheckt? irdischem Timing einen Tag nach Verkündigung des Urteils
gegen O. J. Simpson. Beides gleichzeitig hätte wahrscheinlich
sogar die Cleverness des US-Fernsehens überfordert.
Vielleicht hätte ich mich auch in meinen religiösen Gefühlen
verletzt gefühlt, nur eine »Pope Update« innerhalb der O.J.-
Berichterstattung zu sehen:
Der Freigesprochene im weißen Bronco auf der Fahrt nach
Hause, und The Pope nur in einem kleinen Kreis rechts unten,
wie er afro-amerikanischen Schulmädchen die Hand auf die
Stirn legt. Der Papst wohnt in der New Yorker Residenz des
Vatikans in der 72. Straße East. Davor ist eine Art Käfer-
Partyzelt aufgebaut, in dem die Stretchlimo des Heiligen Vaters
verschwindet. Vorhänge zu - und tschüs! Ich selbst muß einige
Straßen weiter im Hotel Unterkunft finden. Beim Frühstück
erhebt sich neben mir ein älteres Ehepaar, das mir irgendwie
bekannt vorkommt. Richtig, Richard von Weiz-säcker und
Gattin! Gehen sie zum Papst? Nein, sie müssen
64 65
zu 50 Jahre UNO. Das erklärt auch die vielen Schwerhörigen
auf den Hotelfluren. Es sind nämlich keine Schwerhörigen,
sondern Sicherheitsbeamte, die sich über Knopf im Ohr
mitteilen, wo es gerade geknallt hat. Have a safe trip! Ein
bißchen schade finde ich, daß der Papst keine Handschuhe
trägt. Im Gegensatz zu denen von O.J. hätten seine bestimmt Heimwerker Harald
perfekt gepaßt, und schon als Kind hat es mich immer stark
beeindruckt, wenn der Bischof über seine eleganten weißen
Handschuhe den Ring gestreift hatte.
Am Abend lasse ich dann auf dem Hotelbett eine weitere
Büchse Bud light zischen: Der Stellvertreter Christi landet im
Kampf gegen das Böse mit seinem Hubschrauber auf dem
Wall Street Heliport! War es ein Bud zuviel, oder droht vom
Empire State Building auch noch Küng Kong?
Kommen wir nun zu einem Themengebiet, welches sich in
meiner Welt mehr und mehr zu einem Kontinent auszuweiten
anschickt:
, Als echter Katholik steht bei mir der Christbaum bis Maria
Lichtmeß am 2. Februar. Die nadelintensive Spanne zwischen
6. Januar, wenn Nicht- und Andersgläubige ihre Bäume neben
den Carports stapeln und eben jenem 2. Februar, an welchem
früher Knechte und Mägde den Herrn wechselten, erfordert
eine wesentlich höhere Staubsaugereinsatzfrequenz als der
Rest des Kirchenjahres.
Was nun folgt, ist das Hochschreiben einer profanen Haus-
frauentätigkeit auf dem Level, der uns zum Volk der Dichter
und Denker werden ließ: Wie ein metallicgrünes Reptil
schiebt und schlängelt sich mein BOSCH perfecta 82 unter
den Zweigen durch, bald hier gefräßig einen Nadelhaufen
mampfend, bald dort mit bösem Brummen erst ein Staub-
wölkchen, sodann ein vorwitziges Nädelchen im schwarzen
Schlund verschwinden zu lassen, welches Rettung unter dem
Christbaumständer suchte. Doch, potzblitz - plötzlich ist des
Saugens ein Ende!
Wie ich auch mit dem Schlauch über den Boden wedle - frech
bleiben Staub und Nadeln liegen und rufen mir zu: »Ei, saug
doch soviel Du willst, uns kriegst Du nimmermehr.« Die rote
Kontrollampe leuchtet, und sosehr ich auch am doppelwan-
digen Papierfilter, am antimikrobiell ausgerüsteten Filtercon-
tainer oder an der Filterkassette mit Mikrofeinfilter rüttle -die
Lampe leuchtet, und es hat sich ausgesaugt. Schließlich gehe
ich eindeutig über meine technischen Verhältnisse und nehme
den Anschlußstutzen (1) des Saugschlauches (6) aus der
Saugöffnung, wobei ich die Entriegelungstaste (2) drücke. Ich
schaue durch den Schlauch wie weiland Colum-bus kurz vor
Indien durch sein Fernrohr, ich puste durch - nichts. Auch die
englische, spanische und finnische ; Gebrauchsanweisung auf
Recyclingpapier helfen mir nicht -weiter, da fällt mein Blick auf
eine Telefonnummer: BOSCH
71
hat eine Staubsaugerhotline, die echte Katholiken nicht in Preisgekröntes 5m2-Bad
dem Nadelhaufen untergehen läßt! Und plötzlich geht ein
Stern auf über dem finsteren deutschen Dienstleistungshim- Am Wahlabend fiel mir eine Zeitschrift in die Hände mit meiner
mel. Am anderen Ende der Leitung erklang eine freundliche Lieblingsrubrik »Ihr Traumbad auf 5 m2«. Ähnlich gern lese
Frauenstimme mit leicht fränkischem Akzent, die mich auf- ich nur noch Artikel zum Thema »Dachbodenausbau -so
forderte, das Gerät neben mich zu stellen, und genau ihren gibt's Geld von Vater Staat« oder »Dschungel im Wohn-
Anweisungen zu folgen. Und siehe: Nach einer Minute blies zimmer - so geht's«.
ich noch mal kräftig durch den Schlauch, heraus flog ein Während die Elefantenrunde von »hauchdünnen Mehrhei-
Staubklumpen wie aus dem Drehbuch einer deutschen Vor- ten« und »fehlender Euphorie trotz Wiedereinzug« sprach,
abendsitcom, und dank der freundlichen Dame sauge ich versuchte ich mir vorzustellen, wie groß 5 m2 sind. Hat man in
durch bis Ostern! einem 5 m2 großen Bad etwa ähnlich wenig Bewegungs-
freiheit wie Theodor Waigel im Monitor, zugeschaltet aus
München?
5 m2-Bäder in Zeitschriften sehen immer toll aus. Designer-
waschbecken, Wasserspülung mit Blickkontakt, Dusche mit
Blick auf den mittelalterlichen Stadtkern. Häufig stand ich
allerdings schon in Badezimmern, die aussahen wie preis-
gekrönte 5m2-Bäder, konnte mich aber nur in Schräglage
(vergl. Idealhaltung beim Skispringen) rasieren. Maisonettestil.
Auch hätte ich einmal beinahe mein Augenlicht eingebüßt, als
ich mich etwas zu rasch von der Leichtmetall-Toilette erhob
und dabei mit dem Auge knapp am unauffällig integrierten
Handtuchhalter vorbeischrammte. Was mich versöhnte, war
farbliche und formliche Korrespondenz zwischen Handtuch-
und Toilettenpapierhalter. Übrigens konnte man beim
Duschen tatsächlich bequem aufrecht stehen, vorausgesetzt
man kippte das (staatl. geförderte) Dachfenster.
Duschen mit dem Kopf im Freien - Lebensqualität auf 5 m2.
Vorbei die Zeiten, in denen man unter einem nicht regulier-
baren Boiler kniend in der Wanne duschte und den flötenden
Ruf aus der Küche »Vorsicht, das Wasser kommt sehr heiß«
im ersten Schmerztaumel nicht mehr wahrnahm. Preisge-
krönte Badezimmer erkennt man schon von außen. Sie befin-
72 73
den sich meistens in leicht baufälligen Häusern, die jedoch im Kleine Einrichtungspsychologie
Dachgeschoß blaugestrichene Fensterrahmen aufweisen und
deren Balkon mit wenigen Handgriffen in eine 0,3 m2 große Die Ursache vieler psychischer Probleme ist jetzt geklärt:
Loggia verwandelt wurde. Häufigste Besitzer: Nichteheliche Das Parkett ist falsch verlegt. Wer sich in einem engen Flur
Lebensgemeinschaft aus Grafikerin und freiem Journalisten die Eichenstäbchen auch noch quer legen läßt, darf sich nicht
(gerne auch mit Katze - geh mal runter vom Tisch, Zorro - wundern, wenn er plötzlich eine rätselhafte innere Blockade
die wahrscheinlich bald operiert werden muß). Diese Le- auf dem Weg von der Küche ins Bad verspürt. Ein frühzeitiges
bensgemeinschaft hat den Badezimmerumbau natürlich so Gespräch mit einem einfühlsamen Parkettleger hätte ihn
gut wie geschenkt bekommen, weil die beiden »alles zwi- darüber aufgeklärt, daß querliegende Stäbchen ihm ein Gefühl
schen lOe und Denkmalschutz gnadenlos ausgenutzt haben«. vermitteln, als müsse er über etwas darüber steigen, obwohl da
Wertvoller Tip: Alte Drehknöpfe statt Mischbatterie am gar nichts ist. Da nutzt ihm auch die sorgfältige Überlegung
Waschbecken gibt Zuschuß! Gerade lege ich die Zeitung weg, da wenig, ob Erst- (ohne Äste), Zweit- (mit Ästen, aber schönen)
höre ich den Kanzler in der Elefantenrunde sagen: »Wichtigstes oder Drittsortierung (mit Ästen, auch verkrüppelten) verlegt
Ziel im neuen Koalitionsprogramm: Der Badezimmerumbau werden soll. Diese Entscheidung ist zudem davon abhängig, ob
bis zu 5 m2 wird nur noch gefördert, wenn sich ab sofort auch der Raum später als Tanzstudio oder Kinderzimmer genutzt
Menschen über einsfünfzig gefahrlos die Zähne putzen
werden soll, und welcher Wohnungsbesitzer kann das schon
können.« Weiter so!
auf Anhieb sagen. Das psychologisch korrekt verlegte Parkett
verläuft immer »zum Licht«, besonders wichtig in
Wohnungen, in denen kein Licht ist. Vielleicht, weil die
Kühlschranktür falsch angeschlagen ist, was häufig erst nach
vielen Jahren bemerkt wird, in denen man zum Butter holen
aus der Küche in den Flur mußte. Da helfen auch die schicken
Vorhänge nichts, die in besser verdienenden Kreisen immer
leicht auf dem Boden aufliegen. Es sind Fälle bekannt, in
denen Wohnungen vier Wochen nach Einzug komplett neu
gestrichen werden mußten, weil die Gardinen auf der RAL-
Liste einen anderen Weißton aufwiesen als die Wände. So was
macht fertig, und man weiß nicht warum. Wer glaubt, sich
dieses Problems durch die Entscheidung für Rollos statt
Gardinen entledigen zu können, steht möglicherweise vor der
schwersten Krise seines Lebens: 1,5 oder 2,5 cm
Lamellenbreite? Der Unterschied wird nämlich erst im leicht
gekippten Zustand (der Lamellen) sichtbar,
74 75
zunächst lautet die Frage: »Zu welcher Tageszeit soll das Putzfrau gesucht
Zimmer denn überwiegend genutzt werden?« Da atmet man
erleichtert durch, wenn wenigstens die neue Waschmaschine Ein befreundetes Lebensabschnittspartnerpärchen sucht eine
mit drei Schleuderstufen 30 % weniger Wasser verbraucht als Putzfrau. Im Originalton suchen sie »eine Putze, weil sonst die
veraltete (Baujahr '93) Modelle. Wohnung noch total versifft«. Obwohl beide politisch
hyperkorrekt sind (Paris-Trip verschoben, allerdings weniger
Im Bereich der Sitzmöbel gibt es neuerdings übrigens ein er- wegen Mururoa, sondern mehr wegen Schiß vor Bistrobom-
frischendes Todesurteil, das garantiert vom Kauf abhält: ben), gestehen sie nach vier Margaritas mit gehacktem Eis (sie
»Dieser Stuhl? Na ja, der steht halt auch bei no sports.« ohne Salz), daß sie von einer »taubstummen Filipina« träu-
men, die »noch dankbar ist und nicht tratscht«. Schade, daß
ihnen mein kürzlich verstorbener Versicherungsmakler nicht
mehr helfen kann. Der hatte »eine Polin, die auf die Knie
geht«.
Die Diskretion verbietet es auszuplaudern, daß das putzfrau-
enlose Pärchen auf die Namen Ralph und Claudia hört und in
Köln (Aachener Straße) wohnt. Auch tut es nichts zur Sache,
daß er beim WDR arbeitet und sie Referendarin bei Gericht ist.
Nach längerem Gezänk (»du willst doch unbedingt eine
Putze«) bleibt die Sache mit der Annonce an Claudia hängen.
Es melden sich zwölf Frauen, die bereit sind, einmal
wöchentlich einer »Volljuristin bei der Haushaltsreinigung zu
helfen«. Allerdings klang die erste schon am Telefon »total
prollig« und fragte gleich, »ob sie auch in die Nischen muß«.
Die nächste wollte »auf keinen Fall bügeln und Fenster
putzen« und konnte außerdem »nur vormittags«. Sogar eine
Filipina war unter den Bewerberinnen, allerdings nicht
taubstumm, dafür in Begleitung ihres Ehemannes (deutsch,
weiß, arbeitslos). Der wäre im Putzfall mitgekommen. An-
geblich um zu helfen, aber für Claudia war klar, daß »der die
aus dem Katalog geholt hatte und tierisch eifersüchtig war«.
Zwei Raumpflegeaspirantinnen »kriegten voll hysterische
Lachanfälle am Telefon«, als sie den Stundenlohn von fünf-
zehn Mark angeboten bekamen. Eine sagte: »Da gehe ich lieber
weiter Blut spenden.«
76 77
Also suchen Ralph und Claudia weiter. Zunächst aber mal Mein Rohrbruch
keine Putzfrau, sondern einen Kammerjäger. Silberfischchen
hinterm Badezimmerspiegel. Hätte eine Putze aber auch nix Neulich war ich mal im Urlaub. Da klingelte das Urlaubs-
machen können, sagt Ralph. Hat nämlich nichts mit putzen telefon, und am anderen Ende höre ich: In deiner Wohnung
zu tun, die kriechen irgendwie durch den Müllschacht hoch ist ein Rohrbruch. Ist doch kein Beinbruch (haha!), denke
ins Bad. Auch Biomehl kommt den beiden nicht mehr ins ich, schließlich haben ungefähr 528 Menschen einen Schlüssel
Haus. Alles voller Würmer. Noch eine Margarita? zu meiner Wohnung. Geht doch rein und laßt es richten. Ich
Laie! In meiner Wohnung ist nämlich nichts zu sehen
(großer Vorteil beim Rohrbruch in der eigenen Wohnung),
nur beim Rest der Hausgemeinschaft tropft es aus Lüftungen
in Wannen und auf Parketts. Eine sehr gute Installations-
firma, die mehrmals wöchentlich bei mir was richtet (Heiz-
körper, Hähne, Ventile, Schläuche, Therme...) ist sofort zur
Stelle. Zunächst muß die kaputte Stelle gefunden werden.
Drei Herren mit Kopfhörern und einem supermodernen
Gerät gehen durch die Wohnung. Mit dem Gerät kann man
hören, wo's tropft. Wegen der vielen Nebengeräusche kann
man bei mir leider nicht hören, wo's tropft, aber was in der
unteren Wohnung gesprochen wird. Ich will das Gerät kaufen!
Plötzlich hören die Herren ganz klar: In der Wand zum
Eßzimmer tropft's. Aus Rücksicht wird die Eßzimmerwand
von der Küche her aufgeschlagen, dazu wird die Therme
schnell abgebaut. Tatsächlich: Die Eßzimmerwand ist feucht,
aber das Rohr ist o. k. Bedeutet: Aus der Dusche muß das
Wasser unter dem Küchenboden in die Eßzimmerwand laufen
(»Ihre Wohnung hat ein leichtes Gefalle!«). Einzelne Kacheln
im Bad müssen testweise entfernt werden. Dabei bricht nacktes
Entsetzen aus, wie katastrophal schlecht mein Bad gekachelt
ist. Man empfiehlt mir: alles neu. (»Wo doch eh schon alles
aufgeschlagen ist.«) Nachdem die Duschwanne
herausgehoben wurde, lautet das Urteil: Alles trocken! Muß in
der Wand dahinter sein. Runter mit den Kacheln, auf mit der
Wand, und tatsächlich - da haben wir das Leck! Kein Wunder,
wenn auf Kupfer so gelötet wurde!
78 79
Empfehlung durch den Fachmann: Kupferrohre raus, Kunst- Meine Gasetagenheizung
stoffrohre rein. Bitte, gern!
Seit dem Rohrbruch ist eine Woche vergangen, und nach dem Dies ist nicht der Ort für Floskeln, aber das war's ja wohl mit
Wochenende wird das perfekt gemacht. Bitte beachten Sie dem »Sommer«! An den kühler werdenden Abenden kann es
auch die folgenden Kapitel: Rigips hält die Kacheln nicht - vereinzelt vorkommen, daß menschliche Wärme nicht mehr
Veralterte Armaturen - Defekte Ventile in der Therme - und, reicht, und wir »die Heizung aufdrehen«. Das heimelige
einen Sonderteil: Welche Versicherungen bei Rohrbruch Ticken, welches mein Ohr in den vergangenen Wintern strei-
nicht zuständig sind! chelte, war seit einiger Zeit verstummt, oder fachmännisch
formuliert: Die Uhr vom Thermostat ist kaputt. Bereits nach
einer Stunde schickte die Installationsfirma meines Vertrauens
einen Kollegen, der nach eingehender Inspektion ein Relais
brauchte, das vor dem Wochenende leider nicht mehr zu
kriegen war. Kein Problem, so kalt ist es ja noch nicht, und
außerdem stärke ich mich in diesen Fällen mental mit dem
Satz: »In Bosnien haben sie überhaupt keine Heizung.« Am
folgenden Montag klingelte es pünktlich, allerdings kam nicht
mein Installateur vom Freitag, sondern der Mitarbeiter eines
namhaften deutschen Heizungsherstellers, der sozusagen
online mit meiner Heizungsproblematik vernetzt war, und
nach einer Stunde Messungen, Probeläufen und Daten-
vergleichen die Diagnose stellte: »Die Uhr ist o. k., aber sie
kriegt keinen Saft. Das macht dann die Installationsfirma.« Die
schickt auch am nächsten Tag zwei mir neue Mitarbeiter,
obwohl ich inzwischen fast alle schon bei mir beherbergt
habe (siehe das letzte Kapitel »Mein Rohrbruch«). Der Fall
ist klar: Das Kabel von der Heizung zur Uhr muß kaputt
sein. Dieses Kabel läuft von der Heizung in die Wand, raus
aus der Küche, hoch oder runter (genaues könnten nur die sagen,
die es 1632 verlegt haben...) in die Decke oder den Fußboden
und dann durch die Wand zur Uhr. Auf Wunsch stemmen wir
auf: Die Wände, den Fußboden, die Decke. Wird aber 'ne
Mordssauerei. In einem kurzen Flash sehe ich zerbombte
Häuser, mit offenen Wänden, in denen problemlos alle
Kabel dieser Welt zu verlegen sind. Aber ich will nicht
80 81
undankbar sein. Durch ein kleines Loch wird ein neues Kabel
ins Nebenzimmer verlegt, der Thermostat ist an einer »ganz
guten Stelle« verlegt, und vor Wärme ist es kaum auszuhalten.
Dieses leichte Pfeifen nach dem Klappern, wenn die
Heizung anspringt, geht doch sicher noch weg, oder?
Für Hippokrates
.1:
Und nun zu einem meiner absoluten Lieblingsgebiete, zur
Medizin, zur Fehldiagnose, zur lebensverlängernden Maß-
nahme, zur Erhaltung der Lebensqualität bei gleichzeitigem
Einsatz von Intensivmedizin, zu geschätzten zwanzigtau-send
vorzeitig Verblichenen durch Infektionen in unseren
Krankenhäusern, zu Hypochondern, Psychopathen und
Hirntoten, zu Pankreas, Ösophagus und Rektum, zu Ca und
CT, Aspirin und Heroin, kurz - zu allem, was das Leben
lebenswert macht.
Und ewig gilt: Alles ist Gift, nur die Dosis macht, daß ein
Ding Gift ist.
Aspirin
87
Markenbewußtsein, man gilt nicht direkt als Tablettensüchtiger, Blaue Karte nach HPGO 3
ist aber doch gestreßt genug, um sich dem neuen Tag nicht
völlig ohne Pharmazeutikum darzubieten. Natürlich weiß Zu den segensreichen Einrichtungen der modernen Hotelzi-
man, daß durch regelmäßiges Aspirin-tschokken leichte vilisation gehört der Zimmerservice. Wer ist nicht glücklich,
Magen-Darm-Blutungen auftreten können, aber macht nicht wenn er sich gegen einen geringfügigen Aufschlag von zwanzig
auch Handy Hirntumor? Außerdem haben wir kürzlich ge- Prozent zu später Stunde noch eine Tomatensuppe mit
lesen: Rotwein schützt vor Krebs! Der Wunderstoff Resve- Ginsahnehäubchen oder Carpaccio vom Lachs im Dialog mit
ratrol, enthalten in der Schale von Weintrauben, in Erdnüssen, Creme fraiche aufs Zimmer kommen lassen kann? Schon leicht
und den Wurzeln des Chinarindenbaums, hemmt Entstehung ermattet griffen wir kürzlich in einem führenden Haus in Trier
und Wachstum von Tumoren und senkt den nach der Karte, um festzustellen, daß wir nicht das Menue vor
Cholesterinspiegel! Wir merken uns ab sofort für die Bar: Augen hatten, sondern das neueste Angebot seit dem
»Herr Ober, bitte einen schönen Beaujolais, Erdnüßchen, Lilien I.November '94: Im 2.UG ist eine Naturheilpraxis. Die
auf dem Tisch, und rücken Sie noch den Chinarindenbaum Heilpraktikerin verfügt sogar über die Slane Karte nach
näher an den Barhocker. Und ein Aspirin. Tschok!«
HPGO 3 für Ozontherapie. Interessiert weiten sich unsere
Kleinkünstlerpupillen. »Kleine Eigenblutwäsche« schon für
DM 80.-. Klingt verlockend, Eigenblutwäsche zum Preis von
zehn Gulaschsuppen. Leider ist unsereins fast sklavisch der
Schulmedizin verfallen, und wir können mit den meisten Be-
griffen nichts anfangen. Was bitte ist eine »Beutelbegasung«?
Wird einem für achtzig Mark der Beutel begast, oder wird
man mit Hilfe eines Beutels begast? Recht verlockend klingt
die Schröpfkopfmassage für DM 30.-. Sicher könnte uns die
Heilpraktikerin erklären, wie der Schröpfkopf massiert wird,
aber wir haben mit dem letzten Pils an der Hotelbar schon
das obligate Aspirin eingeworfen, und irgendwie klingt
Schröpfkopfmassage, als ob einem die schon leicht dröh-
nende Pilsbombe platzt. Fast so teuer wie eine Flasche Möt
oder Witwe Klicko ist eine »Ohrkerzenbehandlung und
Massage« (120.-). Eine prickelnde Vorstellung: Ich stecke mir
Kerzen in die Ohren und lasse mich massieren! Klingt nach
einem Thema für Schreinemakers.
Wer war übrigens Hunecke? Zumindest war er solide im
Preis, denn die Neuraltherapie nach Hunecke gibt's schon für
ganze vierzig Mark. Leicht ermattet gleitet uns die Liste aus
89
den Händen, und wir holen ein Pils aus der Minibar. Die Burn out
Fernbedienung führt uns traumwandlerisch sicher ins Angebot
der »Adults only«-Filme (18 Mark von 12-12!). Keine Immer häufiger verlassen Leistungsträger in den Jahren, die
Beutelbegasung, keine Ohrkerzenmassage, aber eine Hausfrau gemeinhin als die besten gelten, wichtige Meetings mit den
im Slip, die schon stöhnt, als sie zwei muskulösen Handwerkern Füßen nach vorn.
die Haustür öffnet. Es lebe das Naturheilverfahren! Dabei ist es nicht nur der gemeine Herzkasper, der unsere
Elite mit kalten Schweißperlen auf der Stirn in sich zusam-
mensacken läßt, vielmehr greift das Burn-out-Syndrom immer
kälter an die Kranzgefäße, besonders in der Endstufe. Wie
kann man dem entgegenwirken? Nehmen wir den Musterfall
eines Menschen mit gesundem, ausgeglichenem Lebenswandel
- nehmen wir mich. Wenn es um sechs Uhr morgens klingelt,
steh' ich bereits vor der ersten Entscheidung: War das mein
Wecker (voice control), das Telefon, das Handy, das Fax oder
die Haustür? Und falls es das Handy war - welches? Das mit
der Geheimnummer (kennen nur etwa 10 Personen), oder das
mit der Mega-Geheimnummer (kennen nur genau 4 Personen).
Es war mein Wecker, schließlich bin ich ja nicht taub. Im
Gegensatz zu meinen Armen, neuerdings auch immer häufiger
mein linkes Bein. Besonders mein linker Arm ist morgens taub
wie Beethoven. Als ich mich mit diesen erschreckenden
Warnzeichen einer befreundeten Arztgattin anvertraute, erntete
ich ein teilnahmsloses »Vielleicht bist Du kurz vorher mit dem
Kopf drauf gelegen.« In letzter Zeit gesellt sich zum
Taubheitsgefühl in meinem linken Arm immer häufiger ein
Stechen in der Brust, begleitet von Herzrasen mit leichtem
Stolpern, vor allem, wenn ich in Blättern, welche nicht dem
investigativen Journalismus zugerechnet werden, Artikel wie
»Die 10 Warnzeichen des Herzinfarktes« lese. Früher, als ich
der festen Meinung war, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein,
habe ich die Herzinfarktartikel überblättert. Aber seit ich
diverse 5-Jahres-Fri-sten mehrfach überlebt habe, dämmert mir,
wie sträflich vernachlässigend ich bisher mit dem Herz-
Kreislauf-Komplex
90 91
umgegangen bin. Und das bei der Todesursache Nr. l, trotz Nase dicht
Krebs und AIDS. Seither läßt mich in Restaurants die Anwe-
senheit von mehr als 1,3 Gästen in Panik verfallen, und immer Aus Hans Werner Henzes Biographie »Reiselieder mit
häufiger renne ich während der Vorspeise an die frische Luft, böhmischen Quinten« erfahre ich, daß der Komponist wie-
um nicht über dem Carpaccio zusammenzubrechen. Sowas derholt an einer Sinusitis laborierte. Einmal wurde ihm
irritiert die Kellner, und mein hingenuscheltes »ich glaub', während einer Behandlung sogar das Trommelfell durchsto-
ich habe das Licht brennen lassen«, wirkt irgendwie nicht chen, worauf er gar nichts mehr hörte. Vorübergehend. Auch
überzeugend. meine Nase ist häufig dicht, weshalb des Schniefens kein
Dabei versuche ich ständig, mich mittels konzentrierter Ende ist und ich fürchten muß, für einen geläuterten
Atemübungen ruhig zu halten. Wenn ich bei einer Ampel, die Liedermacher oder für ein Mitglied der Chefredaktion einer
auf Grün springt, nicht gleich losfahre, und hinter mir hupt großen deutschen Boulevardzeitung gehalten zu werden, allein
einer, steige ich nicht etwa aus und knalle seinen Kopf zwan- der Symptome wegen.
zigmal gegen die Windschutzscheibe (vergl. Robert de Niro in Ein im vergangenen »Sommer« von mir konsultierter HNO-
»Good Fellows«), sondern hebe entschuldigend beide Hände. Arzt ritzte mir bei der Schmalzentfernung den Gehörgang,
Sowas strotzt doch vor Normalität, oder? Deshalb habe ich lapidar kommentiert mit: »Wenn das Fell geritzt wird, bleiben
Konzentrationskeinerlei überhaupt Schwierigkeiten, meine Haare dran.« Das ist die von mir tief verehrte Wild-West-
Batterie ist immer voll aufgetankt. Hat es eigentlich etwas zu Doktor-Mentalität, die der voreiligen Verabreichung von Pe-
bedeuten, wenn man immer häufiger einen Geschmack auf der nicillin allemal vorzuziehen ist.
Zunge hat, als hätte man an einer Batterie geleckt? Befreundete Arztgattinnen haben mir dringend vom Durch-
stoßen der Nebenhöhlen abgeraten, ebenso vom Begradigen
der Nasenscheidewände. Von beidem ist auch bei Henze
nichts zu finden. Statt dessen nehme ich jetzt dreimal täglich
50 Tropfen Sinupret, was über einen längeren Zeitraum hin
geradezu sensationell wirken soll. Braucht aber Geduld. Habe
ich schon erwähnt, daß nach dem morgendlichen Erwachen
bei mir mal das rechte, mal das linke Nasenloch verstopft ist?
Vielleicht bin ich in diesem Staat, der nur von den Tätern
spricht, das unschuldige Opfer einer jahrzehntelang
unentdeckten Staubmilbenallergie? Hätte dies aber nicht zur
Folge, daß ich mein Bettzeug Bedürftigen schenken, alle zwei
Minuten Staubsaugen und alle Räume mit Alufolie verkleiden
müßte? Wo finde ich eine Selbsthilfegruppe »Nase dicht«?
Gibt es so etwas wie die »Bundesvereinigung der
Staubmilben-Allergiker e.V.«, wo nicht nur der Jahresbeitrag
92 93
steuerlich absetzbar ist, sondern auch lange Listen mit den Nase dicht, II
richtigen Materialien für Fußbodenbeläge und Kopfkissen-
füllungen zu erhalten sind? Während eines akuten Niesanfalls Hatschi. Wer hätte das gedacht? Im letzten Kapitel schilderte
höre ich plötzlich Töne, die den Anfang zu Hans Werner ich in Selbstdiagnose meine verstopfte Nase. Mehr als ein
Henzes abendfüllender Funkoper »Die Staubmilbe« bilden Dutzend HNO-Ärzte vom Homöopathen bis zum Uni-
können. Ist der Musikwelt derartiges bekannt? Professor schickten mir daraufhin Briefe mit Therapievor-
schlägen. Herzlichen Dank, individuelle Schreiben folgen
noch. Doch wer hätte gedacht, welche Palette die Erben des
Medicus zur Therapie vorschlagen würden? Ein HNO-Pro-
fessor empfahl mir ein cortisonhaltiges Präparat, da er jedoch
die deutsche Panik bei Cortison kennt, schickte er die Ent-
warnung gleich mit: Wird durch die Nasenschleimhaut abge-
baut. Hab's mir besorgt, wird bei nächster Gelegenheit ein-
gepfiffen!
Sodann erreichte mich Nachricht von zwei Dr. med. aus Te-
gernsee, die mir eine Lasertherapie zur Verkleinerung der
Nasenmuschel vorschlugen. Klingt hip, klingt cool, soll nur
schmerzfreie 5 Minuten dauern, leider komme ich aber in
nächster Zeit nicht an den Tegernsee. Schlimme Prügel bezog
ich jedoch von einem pensionierten passionierten HNO-
Arzt aus München, der mir in fast jedem Satz gravierende
medizinische Fehler nachwies. Dabei habe ich nur die Aus-
künfte von Ärzten weitergegeben. Ehrlich! Deshalb hat mich
diese Kritik ins Mark getroffen, da ich den Medizinern hörig
bin und das Cortison gewissermaßen mit dem Laserstrahl
einpfeife. Besonders abfällig äußerte sich der Münchner
Doktor über »Arztgattinnen«. Er schreibt sie in An-
führungszeichen, als wären es »Spielerfrauen«. Dabei hat mir
eine Arztgattin mal empfohlen, »geh doch öfter mal an die
frische Luft«, als ich mir einen Bypass wegen Kribbelns im
Arm legen lassen wollte. Sie hatte recht! Ich erspare mir den
Hinweis, daß der Brief aus München medizinisch zwar ein-
wandfrei, orthographisch jedoch an mindestens zwei Stellen
fehlerhaft ist. Nichtsdestotrotz werde ich auch weiterhin un-
94 95
erschrocken medizinische Aufklärung leisten. Demnächst: Nicht-mehr-Raucher und Vegetarier
»Wie mir ein Proktologe das Zahnfleisch beschädigte« sowie
»Wie mein gebrochener Arm im Gips des Augsburger Zen- »Zigarette? - Nein, danke!« Diese klare Ablehnung können
tralklinikums abrutschte«. wir nur von einem Nichtraucher erwarten, der Nicht-mehr-
Raucher ergänzt sie um die Bemerkung »nicht mehr«. Ich
P. S.: Meine Nase ist wieder frei! rauche nicht mehr - dieser Satz signalisiert Charakter und
Willensstärke, da hat es einer geschafft! Nikotinpflaster,
Akupunktur, Meditation - nichts wurde unversucht gelassen,
um der Abhängigkeit zu entkommen. Hat der eine sich von
zwei Schachteln täglich »runtergeschraubt« auf null, so hat es
der andere sogar nach der moralisch wertvollsten Methode
gepackt: »Von jetzt auf nachher«. Ehrlich? Doch, ganz be-
stimmt. Von jetzt auf nachher, obwohl es medizinisch nicht
mal nötig gewesen wäre, bei »Pulswerten und einer Lunge
wie ein Ruderer«.
Übrigens greift der Nicht-mehr-Raucher gern mal zur Ziga-
rette, begleitet von der Bemerkung: »Eigentlich rauche ich
nicht mehr.« Er kann es sich leisten, »hin und wieder mal eine zu
rauchen«, weil er jederzeit wieder aufhören kann. Vor allem
die ganz schlimmen Zigaretten - vor dem Frühstück, an der
roten Ampel, nachts beim Aufwachen - die ist er hun-
dertprozentig los. Die Umgebung des Nicht-mehr-Rauchers
sollte immer genügend Zigaretten parat halten, denn er selbst
kauft natürlich keine mehr. Humorvolle Schnorrer arbeiten
beim Griff in die fremde Schachtel gern mit Standardwitz Nr.
26: »Kann ich mal 'ne Zigarette haben, meine sind noch im
Automaten?« Der Nicht-mehr-Raucher läßt keine Gelegenheit
aus, seinem Umfeld mitzuteilen, wie stark seine Lebensqualität
gestiegen ist, seit er nicht mehr raucht. Dieser kalte Mief
morgens in der Bude, das Gehuste, nachts nochmal zum Kiosk
rennen - alles vorbei.
Ähnlich angenehme Zeitgenossen sind übrigens Vegetarier.
Und zwar nicht die ganz Konsequenten, sondern jene, welche
zwischendurch »schon mal Bock auf Currywurst ha-
96 97
ben«. Wird in geselliger Runde opulent geordert, hören wir
von der Vegetarierin (meistens weiblich): »Nur einen Salat,
bitte.« Sollten sie nun irritierte Blicke treffen, folgt ein erha-
benes »ich bin Vegetarierin« im Sinne von »ich werfe keine
Atombomben ab« oder »ich war nicht schuld an Vietnam«.
Wenn dann der Salat kommt, bemerken wir, ein irritiertes Ecce Homo
Stochern und Fühlen mit der Gabel - Speckwürfel! Die größte
Gemeinheit, die einer Vegetarierin zugefügt werden kann.
Nachdem die Speckwürfel an den Tellerrand aussortiert
wurden, schiebt sie nach wenigen Bissen den ganzen Teller von
sich, denn das Dressing schmeckt »irgendwie nach Fleisch«.
Muß speziell erwähnt werden, daß die sich fleischlos
Ernährenden häufig aussehen wie gekotzt? Vor allem, wenn
sie die sinnloseste aller Fragen stellen: »Ist in der Gu-
laschsuppe viel Fleisch?« Welche Restaurantgulaschsuppe
enthält überhaupt Fleisch? Wir ertragen Vegetarier, wir ertragen
Nichtmehr-Raucher. Doch merke: »Auf nicht-mehr-rauchende
Vegetarier darf geschossen werden!«
Für dieses Kapitel wurde eine betont gebildete Überschrift ge-
wählt, nicht nur, um den Humanisten unter den Leserinnen
ein zustimmendes, wissendes Nicken zu ermöglichen, sondern
hauptsächlich als verbaler Kontrast zu den teilweise nur mühsam
als Satire getarnten Haßausbrüchen gegen alles, was einem so
auf den Sack geht. Auch hier mußte eine Auswahl erfolgen,
auch hier konnte leider kein wöchentlicher Beitrag
erscheinen, aber Fortsetzungen sind garantiert.
Schokoküsse
Ist es ein Zufall, daß der Weltfrauentag uns das erste perfekte
Frühlingswochenende dieses Jahres bescherte? Ich glaube
nicht. Eine rote Ampel will es, daß auch ich im hektischen
Treiben unserer Zeit ein paar Gänge zurückschalte. Zeit,
innezuhalten, den jungen Müttern mit ihren Buggies nach-
zuschauen, während ich leise ein Lied des leider viel zu früh
erschossenen John Lennon summe: »Woman is the Nigger of
the world«.
Der sympathische Pilzkopf hat dieses Lied natürlich kritisch
gemeint, es sollte uns zum Nachdenken anregen, das ist ihm
auch durch die Entschiedenheit in der Behauptung besser ge-
lungen, als wenn z. B. Roland Kaiser verneinend gesungen
hätte »Frauen sind keine Nigger«.
Während ich aus dem Wagen steige und zum Kiosk schlen-
dere, denke ich noch schnell in der Ausführlichkeit einer mitt-
leren Doktorarbeit über die Bedeutung des Begriffes »Nigger«
bei Mark Twain nach und daß dieses Wort bei uns zu Recht
verboten ist.
Dann kaufe ich zwei Schokoküsse (unvorstellbar, daß diese
klebrigen Leckereien in meiner Kindheit, nur knapp zwanzig
Jahre nach dem Ende des schwärzesten Kapitels unserer Ge-
schichte, leichtfertig »Mohrenköpfe« oder »Negerküsse« ge-
nannt wurden).
Auch die politisch korrekte Übersetzung »Afroamerikani-
scher Schleimhautkontakt« hätte irgendwie etwas Diskrimi-
nierendes, und ein Land, dessen männliche Einzeltouristen in
Dom Rep das schwarze Personal schon mal mit »Eh, Kohle-
kasten, bring mir mal n'Bier« zur Bar schicken, ist mit Scho-
kokuß ganz gut bedient. Beschwingt von so viel analytischem
Einfühlungsvermögen erstehe ich eine »Welt am Sonntag«.
Was muß ich da lesen: »Triebleben - im Neger wird da drinnen
fortwährend gekocht.« Unter dieser Überschrift wird die
103
Diskussion wg. Rassismus von Rudolf Steiner fortgesetzt, Das Balkonkonzert
dem Waldorf-Astoria unter den Schulgründern. Nun steht es
keinem weniger zu als meiner Person, Kritik am Urvater der Endlich ist der Sommer da! Nein, ich scheue mich nicht, meinen
Anthroposophen zu üben. Habe ich doch selbst dereinst auf heutigen Besinnungsaufsatz mit dieser Floskel zu beginnen -
dem Schulhof eine junge Maid verspottet, welche durch Ge- im Gegenteil: Ich wiederhole sie noch einmal: Endlich ist der
wand und Haartracht ihre Nähe zu Steiners Gedankengut zum Sommer da!
Ausdruck brachte (»Cordula, die Waldischlunze«). Während Wunderbar, wenn es da die Nachbarschaft des Abends auf
ich mir den zweiten Schokokuß mit fast uneuropäischer den Balkon zieht und man sanfte Gitarrenklänge von jener
animalischer Gier reinstopfe, lese ich das Steiner-Zitat: »Der Seite des Häuserquadrats hört, auf der die Quadratmeter-
Neger hat also ein starkes Triebleben.« Sollte diese preise schon wieder sinken. Der Musikus greift in die Saiten,
hochwissenschaftliche These auch in ihrer Umkehrung gelten, ohne jemals seinen Amateurstatus zu gefährden. Im Schwä-
dann wären die Fernsehunterhaltungsschaffenden ein Stück bischen nennt man diese Methode: »I pack's am Hals und
Afrika mitten in Deutschland. zupf's am Loch.«
Rot wie ein Forscher im Kochtopf versinkt die Frühlingssonne An jenem Abend hörten wir die Klassiker der Wandergitarre in
am Ende der ersten Woche im »Europäischen Jahr gegen den dieser Reihenfolge:
Rassismus«, als ich den Biergarten betrete. Unter den spielenden 1. We shall overcome
Kindern ist ein schwarzer Junge. Als der deutsche Kellner mein 2. Blowin' in the wind (für Hugh Grant?)
Bier bringt, höre ich die nette Omi am Nebentisch sagen: »Als 3. This land is your land, this land is my land
Kinder sind sie ja süß.« 4. Lady in Black 5.1
am sailing
6. Knocking on heaven's door
7. Yesterday
8. House of the rising sun
Dabei brachte der Nachbarbalkongitarrist das Kunststück
fertig, alle Stücke im selben Rhythmus und mit derselben
Schlagtechnik zu spielen. Ähnlich grausames Tun war mir
nur aus dem Katholischen Gemeindehaus in Nürtingen in
Erinnerung, wo gerne »Satisfaction« nach Noten gespielt
wurde.
Können wir uns die Balkonparty zum Sound vorstellen? Ver-
mutlich steht auf dem Tischchen eine Schüssel mit Rest vom
griechischen Bauernsalat, über den die begleitende Sängerin,
die von jedem Lied nur die Hälfte der ersten Textzeile kennt,
hin und wieder lethargisch mit der Hand wedelt, um die Flie-
104 105
gen zu vertreiben. Nach dem ersten Set des Balkongigs steigt Mein Kurzzeitnachbar
der Gitarrist von Orvieto um auf Bier. Da alle Gläser schmutzig
sind, trinkt er es aus einer Art Pokal, aus dem morgens auch Er setzte sich im Wartesaal des Flughafens neben mich und
das Müsli gelöffelt wird. Als Aschenbecher dient ein legte sein »Gleich-spreche-ich-Dich-an-Gesicht« auf. Wenn
geklauter Gitanes-Aschenbecher, zwei Blumenkübel mit ich nur ungefähr in seine Richtung schaute, ging eine leichte
vertrockneten Tomatenstauden sowie die Markise des Unter- Spannung durch seinen Oberkörper, und seine Augen
mieters. leuchteten. Er trug schwarze, ausgetretene Slipper, deren
Kerzen in Einmachgläsern illuminieren das Geschehene - Sohlenränder auf Höhe der Fußballen gebrochen waren.
kurz: Hier herrscht mentales Lagerfeuer! Kennt die Dazu eine dunkelgrüne Hose, blaue, ziemlich filzige Socken,
Meteorologie eigentlich auch Wolkenbrüche mit Hagel und ein fliederfarbenes Zweireiher-Sakko und ein gelbes Hemd
Gewitter, auf einen einzigen Balkon beschränkt? Kennt die aus gewaschener Seide. Beide Kragenspitzen waren nach
Medizin Gichtanfälle in allen Fingern, sobald jemand nach 18 oben gebogen, denn der Knopf am Hals platzte fast weg. Die
Uhr auf einem Balkon zur Gitarre greift? Ist Mord immer Grundfarbe der Krawatte läßt sich nicht beschreiben, denn
strafbar? Hilfe! die Krawatte war knallig gemustert. Extrem knallig. Hab ich
schon erwähnt, daß mein Nachbar-auf-Zeit einen
straßenköterfarbenen Schnäuzer trug? Sein bleiches Gesicht
wurde von den Schläfen zum Kinn hin breiter, die Wulst
zwischen Kinn und Hals war gesprenkelt mit kleinen
Blutkrusten, wie sie entstehen, wenn man sich zu hastig, mit zu
alter Klinge gegen den Strich rasiert. Mein Kurzzeitnachbar
trug das Haar stufig geschnitten, wobei die Nackenhaare
fransig über dem Kragen hingen und das Haupthaar dünn zu
Berge stand. Im kleinen, fleischigen rechten Ohr (Läppchen
angewachsen) hing ein Ring. Auch an diesem
Septembermorgen bestätigte sich die Hausfrauenweisheit, daß
der Schweiß aus Seidenhemden nicht ausgewaschen, sondern
nur immer tiefer reingebügelt wird. Als das
Aufmerksamkeitshüsteln und Beachte-mich-mal-Schniefen
nebenan immer bedrohlicher wurde, bestätigte ich das
hammermäßige 4:0 von Stuttgart gegen Köln und gab
meinem Nachbarn Autogramme für seine Kinder Kevin und
Kimberly, damit er nicht mit leeren Händen nach Pforzheim
kommt.
106 107
Herr N. will«, zieht er mit seinen Zeigefingern die unteren Augenlider
nach unten. Ich beschließe, diese Geste zu übernehmen. Als
In einem Stuttgarter Hotel setzt sich Herr N. unaufgefordert wir uns verabschieden, sage ich Herrn N., daß ich mich freue,
zu mir an den Frühstückstisch. Die Diskretion verbietet es wenn wir uns in Köln mal zusammenfunken.
mir, an dieser Stelle auszuplaudern, daß Herr N. sich vorstellt
»wie Kneipp ohne K«.
Durch Körpergröße und fehlende Haarpracht erinnert Herr
N. spontan an einen Deo-Roller. Herr N. »dreht« verschie-
dene Dinge. Er bringt Ärzte an einen Tisch, besorgt Investoren,
und zwar in der Größenordnung »30, 80 und 300 Mio«. Herr
N. spricht auch die Abkürzung. Er sagt nicht Millionen,
sondern Mio. Finanztechnisch hat Herr N. »hochkarätige
Jungs« an der Hand, die für ihn gerade alles checken. Sollte sich
bestätigen, was Herr N. über die Finanzwelt vermutet, wäre
sein Weltbild völlig verrückt. Dies zeigt er mir auch gestisch.
Er wirkt sehr stolz bei dieser Geste, die das Wort verrückt
analysiert bis auf die Wurzeln. Tough guy. Dieser
Anglizismus ist erlaubt, denn Herr N, empfindet mich im
Fernsehen als fun. Dann holt Herr N. einen Prospekt seiner
Firma aus seinem Wagen. Beim Anblick der Farben in diesem
Prospekt hätte sich van Gogh mindestens das zweite Ohr
abgerissen, wahrscheinlich wäre er auch noch erblindet.
Wenn man die im Prospekt fotografierten Menschen nach
deren Äußerem beurteilt, so wurde auf das Engagement von
Models verzichtet.
Ein eng mit Herrn N. befreundeter Italiener plant übrigens
die Eröffnung einer Piano-Bar. Gerade wollte ich fragen, ob
ich dort auch einen gebrauchten Ferrari kaufen kann, da wird
mir ein geplantes »Car-In« in Ludwigsburg geschildert.
Wenn ich mit dem richtigen Ohr weggehört habe, soll man
dort mit seinem Wagen an Bistro-Tische ranfahren und einen
Prosecco kriegen. Als Herr N. sagt, daß man schließlich auch
»gesehen werden
108 109
Im Sanyassi-Taxi Das strohblonde Deckhaar endete auf halber Höhe, die kurzen
Haare drunter waren dunkler. »Seit ich Sanyassi bin, komm'
Als leidenschaftlicher Taxifahrgast stehe ich fast bei jeder ich in Deutschland kaum noch zurecht«, hörte ich an der
Fahrt unter schier unerträglicher Spannung: Zu welchem ersten Kreuzung. Überraschenderweise sähen die Italiener
Fahrertyp werde ich einsteigen? Ausländischer Student kurz alles spielerischer. Ganz schlimm wäre es für den Sanyassi-
vor der Doktorarbeit? Blondierte Endfünfzigerin mit dem Taxler, wenn er in sich reinginge. Dann spürt er nämlich, daß
Schmuck einer halben Drogerieboutique an Hals und Füßen? die anderen so boff und zack sind. Eben zu. Auch er habe
Haßbolzen kurz vor dem Rentenalter mit Stretchhose und jahrelang tierische Schwierigkeiten gehabt, Schmerzen an sich
Kaffeebecher auf der Mittelkonsole? ranzulassen. Aber jetzt sei wieder Energie da, weshalb er auch
Höhepunkt dieser Typologie war bisher ein Endfünfziger bald eine Platte mache. Früher sei ja auch Fernsehen der totale
mit Ernte-23-Stimme, weißer Strickjacke und lilagetönten Kult gewesen.
Gläsern in der Pilotenbrille, der häufig im Auftrag einer Kurz vor Fahrtende verneine ich die Frage, ob Hans Rosenthal
Krankenkasse Senioren aus dem Heim zum Arzt fuhr und während seiner Sendungen bekifft gewesen sei. 20 Mark,
mir erzählte, einmal sei er beim Abholen Zeuge der ge- Quittung, dann noch viel Spaß in Italien!
schlechtlichen Vereinigung einer achtzigjährigen Altersheim-
bewohnerin mit einem jungen türkischen Malergesellen ge-
wesen, der in ihrem Zimmer die Fenster neu gestrichen hätte.
Er schilderte diesen Vorgang in etwas anderen Worten, aber
ich will ja, daß der Text gedruckt wird.
Ein anderer Fahrer (nach oben gezwirbelter Schnäuzer)
schilderte mir das Ende seiner Ehe innerhalb einer Minute
nach dem Einsteigen mit dem Satz: »Ich hab mir den Mund
abgeputzt und bin gegangen.«
Manche Fahrgäste lassen ja den Taxifahrer sofort anhalten,
wenn er sich ausländerfeindlich oder rassistisch äußert. Ich
dagegen weiß, daß solcherlei sinnlos ist, und heize den haß-
erfüllten Droschkenkutscher durch zustimmendes Brummen
(mmh, mmh) und Nicken weiter hoch. Im Glücksfall läuft
uns noch an einer Ampel eine Frau über den Weg, die sich
über eine Vergewaltigung nicht zu wundern braucht, wenn
»der Mini so kurz ist, daß der Faden noch raushängt«. 20
Mark, Quittung, stimmt so.
Kürzlich erlebte ich eine neue Variante. Der junge Fahrer
hatte eine Frisur wie eine weibliche Halbtagskraft bei Rewe:
110 111
Fasse Dich kurz! Reinhold Messner-mäßig verändert. Eiszapfen hängen von
den Augenbrauen, meine Nase erinnert mich an das unent-
Überraschend ist Ende März der Winter zurückgekehrt, als deckte Schubert-Lied »Gefrorner Rotz«. Während ich
ich auf das Kartentelefonhäuschen zustürze. Der Schneeregen beobachte, wie sich mein türkischer Freund fast orientalisch
peitscht, und schon aus der Entfernung sehe ich: Die Zelle ist heiter am Telefonhörer krümmt, bildet sich in meinem Kopf
besetzt. Vielleicht habe ich Glück, und der Telefonierer kennt die Assoziationskette Zelle - Zellteilung - Zel-lulitis - erhängt
noch die alte Parole »Fasse Dich kurz«. Um gleich mal die in seiner Zelle aufgefunden. Auch war mir ein altes türkisches
Spannung rauszunehmen: Er kennt sie nicht. Er hat mir den, Sprichwort unbekannt, welches da lautet: »Wenn Du in einer
Rücken zugewandt, von Zeit zu Zeit nickt er bestätigend. öffentlichen Telefonzelle angerufen wirst, sollst Du Dir alle vier
Toll, hier steht ein Mensch, der noch zuhören kann. Minuten eine neue Zigarette anzünden, oder Dein Weinberg
Scharping? wird sieben Jahre keine Oliven tragen.« Als der Anwärter auf
Ich klappe nicht nur den Kragen hoch, sondern ziehe den die doppelte Staatsbürgerschaft ungefähr einen Monat später
Mantel halb über den Kopf. Unser Klima spinnt wirklich. Die aufhängt, halte ich ihm die Tür auf. »Hat bißchen dauert«,
Malediven saufen ab, und Deutschland friert. Malediven ist ein lächelt er. Macht doch nichts - wir alle sind Ausländer, überall!
glänzendes Stichwort, denn in mir keimt der Verdacht, daß der
Zelleninsasse mit den Malediven telefoniert. Plötzlich
entdecke ich etwas Schreckliches: Die Gebührenanzeige
schreibt den für Wartende tödlichen Begriff: Anruf! Es handelt
sich um eine Telefonzelle, in der man sich anrufen lassen kann!
Das kann dauern. Ich reiße also die Zellentür auf und checke
kurz die möglichen Kontakte des Telefonierers zur
Boulevardpresse. Je nachdem hört er von mir ein »Entschul-
digung, dauert es noch lang?« oder »Verpiß Dich mal so lang-
sam«. Da wendet sich mir ein Gesicht zu, das ich ganz spontan
dem türkischen Kulturraum zuordne. Es liegt nicht nur am
Schneetreiben, daß ich nicht auf Anhieb sagen kann, ob es sich
um einen Türken oder einen Kurden handelt. Ich kann
überhaupt keine türkischen und kurdischen Mitbürger un-
terscheiden. In wenigen Sekunden schießt mir die komplette
deutsche Geschichte durch den Kopf, vor allem die »dunkelsten
Kapitel«. Nein, ich bin kein Faschist, der einen (politisch
Verfolgten?) ausländischen Mitbürger daran hindert, sich ge-
schlagene 20 Minuten in einer Telefonzelle anrufen zu lassen. Im
Glas der Zellentür sehe ich, wie sich mein Antlitz langsam
112 113
Deutsche in der Kälte Wehe aber jenen, die ganz ohne Winterbekleidung vor die Tür
treten: Frierst Du nicht? Du wirst Dich erkälten? Zieh Dir
Kaum etwas bietet mehr Gelegenheit zur Darstellung von In- doch wenigstens einen Pullover an! Vielen Dank, aber ich hasse
dividualität als die kalte Jahreszeit. Wie frösteln Deutsche? Zu Schals, mag keine Handschuhe und hab's lieber kalt, weil ich
meinem Lieblingstyp gehört die fröstelnde Halbintellektuelle. an einer Schilddrüsenfehlfunktion leide. Hatschi.
Meistens zweite Hälfte dreißig, weichen Stoffhut tief in die
Stirn gezogen, weiten Wollmantel (»da wohn' ich richtig drin«) P. S.: Ganz toll sind auch Männer über vierzig mit Wollstirn-
und mehrfach um den Hals gewickelter Schal - Alternative: bändchen und lustigen Bommelmützen. Und mit Wollhand-
erste Schalhälfte um den Hals, zweite Hälfte als Kopftuch. schuhen, bei denen jeder Finger eine andere Farbe hat.
Natürlich alles schwarz. Dazu schwarze Samtschnürschuhe
mit kleinem Fellrand. Eine Lage des Schals ist rollkragenartig
bis unter die Nase gezogen. Der fast immer bebrillte Blick
darüber signalisiert: Die böse Kälte wird als Eingriff in die
Privatsphäre empfunden, aber da kuscheln wir uns schon
durch, hm? Gleich sind wir zu Hause, dann gibt's ne schöne
heiße Zitrone, mit der Katze in die Sofaecke gekrochen und
ein langes Telefonat mit der Freundin! Ein anderer Kältetypus
trägt zu enge Jeans, zu kurze Kunstlederjacken, massive
Turnschuhe und friert im Fünferpulk an einer roten Ampel
gegenüber einem Kaufhaus. Dicht gedrängt tritt man von
einem Fuß auf den anderen, mindestens drei der Fünf rauchen,
schon die Optik signalisiert: Wir sind vom Spitzensteuersatz
unberührt. Man überquert die Straße eng aneinander gedrängt,
um menschliche Restwärme bis zum Gebläse der Kaufhaustür
zu retten. Richtig fröhlich werde ich beim Antreffen
persönlicher Lieblingsexemplare - Ehepaare im identischen
Lodenlook, kleine Frauen mit knöchellangem Pelzmantel und
mit oben angesetztem Brillenbügel mit Knick nach unten, sowie
Träger von gefütterten Jeansjacken mit blau gefrorener Akne.
Ständig muß man fast akrobatisch Menschen ausweichen, die in
Restaurants zurückstürmen mit der Frage: »Ist mein Schal
noch da?« oder: »Hat jemand meine Handschuhe abgegeben?«
114 115
Dorfschlampe, Lokalmacho, Supermarktdödel wollte schon das Auto.« Für fast überbordende Heiterkeit
sorgt auch die Benennung mit Promi-Namen bei Personen, die
Zu den Lieblingsbeschäftigungen des empfindsamen Deut- genau das Gegenteil verkörpern. »Schau mal, Kate Moss«, wenn
schen gehört das Sitzen in Straßencafes (auch bei Temperaturen, ein Schiff vorüberzieht, für das das Erreichen der 92-Kilo-
die in mediterranen Gefilden als Minusgrade gelten) und die Grenze ein Traum ist. Oder ein leise gehauchtes »Herr
schnelle Beurteilung der vorbeieilenden Menschen. Ob es sich Rushdie ist gerade auf die Toilette gegangen«, wenn sich am
um Dorfschlampen, Lokalmachos, Banktussis oder Nebentisch leicht arabisch wirkende Mitbürger niedergelassen
Supermarktdödel handelt - der analytische Blick hinter der haben.
Sonnenbrille erkennt in Sekundenschnelle. Klar ist, daß bei
dieser Art von Beurteilung den Opfern keine zweite Chance P. S.: All diese lustigen Spiele funktionieren nur sehr zäh mit
gewährt werden kann. Wer ein weißes oder schwarzes oder Leuten in der Runde, die lebenslang ein soziales Jahr absol-
überhaupt Gold-Cabrio fährt, weiße Jeans mit Bügelfalte trägt vieren.
oder die Sakkoärmel hochkrempelt - der wird blitzartig
zugeordnet und hat jede Chance auf Rehabilitierung verwirkt. P. P. S.: Calvin Klein, hast Du schon mal gesehen, wer alles
Gleiches gilt selbstverständlich für die Träger von Jeanshemden Deine Badeanzüge trägt?
mit T-Shirt drunter und Frauen mit Stirnband. Unrettbar sind
auch die Herren, die der Tussi ein Rimowa-Beautycase
hinterhertragen. Wobei dies leicht zu einem Streit am Tisch
führen kann, ob Rimowa überhaupt Beautycases herstellt.
Sieht jedenfalls so aus. Passanten, die häufiger vorbeiflanieren,
werden gerne mit neuen Namen versehen. »Guck mal,
Weizsäcker frißt jetzt Pizza auf der Straße«, heißt es, wenn
ein distinguierter, älterer Herr sich den flüssigen Käse von der
Margerita aus zehn Zentimeter Entfernung in den Mund
tropfen läßt. Darf man übrigens einen Italiener, der seinen
Hund im vollbesetzten Eiscafe ungefähr sechzig Mal kläffend
nach einem Stöckchen an der ausgestreckten Hand springen
läßt »Il Trottolo« nennen? Man muß! Natürlich gibt es auch
Namensschöpfungen, die sexistisch sind oder rassistisch oder
im Idealfall beides.
Diese lassen sich nur im politisch absolut korrekten Bekann-
tenkreis anwenden, wo man weiß, daß es nicht so gemeint ist.
Genau wie der Witz, bei dem die Pointe heißt: »Dein Bruder
116 117
Hundstage Zum Schluß noch eine Warnung: Die supercoole, klassische
Ray-Ban-Sonnenbrille (die mit den schwarz-grünen Gläsern),
Dieser Sommer ist zu heiß, oder: »It's fuckin' hot«, wie verstärkt erschreckend oft einen eh schon schwachsinnigen
Egidius Braun sagen würde. Schlaflosigkeit, total zerstochen Gesichtsausdruck. Was bei Jack Nicholson selbst im Dunkeln
aufwachen, sich-den-ganzen-Tag-wie-gerade-ge-duscht- cool wirkt, streift auf dem käsigen Pfannkuchengesicht eines
fühlen; vielfältig sind die Symptome, die wir minüt-lich deutschen Mittelstädters schnell den Bereich zum
unaufgefordert geschildert bekommen. Grenzdebilen. Und wer so aussieht, der fährt auch Motorboot
auf Binnenseen.
In diesen Hundstagen zeigt sich der häßliche Deutsche -nicht
politisch oder ideologisch, sondern schlicht körperlich -
ungebremst in der Öffentlichkeit. Die amtliche Hor-
rorerscheinung '94 in den Fußgängerzonen ist männlich, trägt
Schnäuzer und abgeschnittene Jeans und hat den fetten
Oberkörper entblößt. Darf man so aussehen? Kriegt sowas
später auch mal Rente?
125
macht, gerade im schwelenden Tarifkonflikt in der Druck- Kochen mit Harald
industrie ist jede gekaufte Seite bares Geld, freuen wir uns auf
die Annonce von Claudia und David. Letzten Sonntag stand ich mal wieder vor der Frage, die jede
Hausfrau kennt: Was kochen wir heute? Ein Blick in den
Kühlschrank bietet reichhaltig Auswahl. Eine halbe Flasche
Wodka und ein angebrochenes Glas Aprikosenmarmelade. Ich
hasse Marmelade, aber die hat sich der Besuch neulich zum
Frühstück mitgebracht. Läßt sich aus diesen Zutaten etwas
Leckeres zaubern? Vielleicht Wodka-Suppe mit Apriko-
senmarmeladehäubchen? Oder Aprikosenmarmelade-Gratin in
Wodkasud? Wäre vielleicht eher was, falls mal überraschend
Besuch aus der ehemaligen DDR kommt. Also fahren wir
erstmal zum Bahnhof, einkaufen. Eine Gurke kann nie falsch
sein. Nicht, weil ich besonderen Appetit auf Gurkensalat hätte,
aber ich habe eine coole Salatschüssel und ein ultrageiles
Salatbesteck geschenkt bekommen, beides möchte ich gerne
mal ausprobieren. Außerdem kaufe ich Penne und
Tomatenteilchen (von parmalat, das bin ich Nicki Lauda
schuldig). Während ich mit dem Einkaufskorb durch den
Laden gehe, entscheide ich mich, penne all' arrabiata zu
kochen. Arrabiata geht ganz einfach. Man schüttet die Tomaten
in eine Pfanne und kocht sie auf großer Hitze so lange, bis man
vom Telefonieren wieder in die Küche zurückkommt. Dann
klatscht man einen großen Löffel sam-bal oelek und schmeckt
bei Bedarf mit Tabasco ab. Als ich die penne abschütten will,
fällt mir ein, daß ich kein Nudelsieb besitze. Also tropfe ich die
penne einzeln mit meiner neuen Spaghettizange ab (gibt's
gerade irre günstig bei Tchibo!). Zum Glück habe ich hinter
dem Tabascofläschchen noch eine Tüte Parmesan gefunden.
Das Verfallsdatum ist seit zwei Wochen abgelaufen, aber das
Risiko gehe ich ein. Zum Schluß gebe ich noch Basilikum aus
dem Ostmann-Nachfülldöschen über die Nudeln. Allerdings
habe ich noch nie Nachfüllbasilikum für das nachfüllbare
Ostmann-Dös-
126 127
chen gekauft, sondern immer gleich ein neues Ostmann- Mein vierzigster Geburtstag
Basilikum-Döschen, nachfüllbar. Nicht besonders umwelt-
freundlich (Selbstvorwurf!). Gerade, als ich anfangen will, Neulich schreckte ich nachmittags aus dem Schlaf. In etwas
meine köstliche penne all' arrabiata zu essen, fällt mir ein, daß mehr als zwei Jahren werde ich vierzig und habe noch kei-
ich vergessen habe, Gurkensalat zu machen. Also stelle ich die nerlei Vorbereitungen für die dann fällige Party getroffen.
Penne warm, indem ich sie in die Pfanne zurückkippe. Da ich Nicht einmal über das Design der Einladungskarten habe ich
die Gurke mit dem Messer schäle, erhält sie langsam die Form mir bisher Gedanken gemacht. Vermutlich werde ich einen
eines Briketts. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen, weil preisgekrönten Grafiker damit beauftragen, der die Um-
soviel Hunger in der Welt ist und ich soviel Gurke an der schlagseite so gestaltet, daß der Anlaß nur schwer erkennbar
Schale lasse. Aber wohin soll ich die Schale schicken? Gerade ist. Mit der 0 vorne und der vier auf der Rückseite. Oder so
will ich die Gurke in meine schicke Salatschüssel schnippeln, ähnlich.
da kommt im Fernsehen ein Bericht über Klinsis Und wo soll das Fest stattfinden? Auf einem Rheindampfer?
Abschiedsspiel in London. Also esse ich die Penne stehend in In einer gemieteten Straßenbahn? Oder in Zelten, in denen am
der Wohnzimmertür direkt aus der Pfanne. Eingang jeder ein Herzchen auf die Wange geklebt bekommt,
von total lustigen Clowns? Schon jetzt sollte ich - wie
P. S.: Unheimlich viele intellektuelle Frauen fressen Nutella branchenüblich - eine Agentur mit der Organisation
mit dem Suppenlöffel direkt aus dem Glas. beauftragen, die mindestens »multimedia show and concept
production GmbH« auf der Visitenkarte vorweisen kann.
Solche Virtuosen der Festlichkeit sind stets schwarz gekleidet
und tragen diese coolen Kopfhörer mit Bügel und mindestens
ein walkie-talkie pro Person. Schon Wochen vorher faxen sie
dem Auftraggeber ein erstes Infopaper mit grober Übersicht.
11.00 Uhr: get together. 20.00 Uhr: Einnahme der Plätze unter
Anleitung des Fantasy-Duos »Pusteblume«. 20.10 Uhr:
Opening des Menues, musikalisch umrahmt von den
»Mozartkugeln« (spielen Klassik in moderner Form und
historischem Kostüm), Alternative: die lesbische Jazzrock-
formation »Schlampenfieber«. Wird noch gecheckt von Su
nach Absprache mit Sven. Interessanterweise wird auf diesen
Vorabdispos das Dessert immer »no time« serviert. Dies ist
erforderlich, weil einem bereits vor dem Hauptgang zugeflüstert
wird: »Wir hängen schon 20 Minuten.« Unter solchen
Umständen muß der absolut schrille Straßenclown aus Paris
gestrichen werden, der den Gästen den Salat wegzieht. Wäre
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sehr schade. Ungeklärt ist auch die Frage: Wie soll ich mich Herbstgedanken, extra tief
auf meiner Party kleiden? Weißer Smoking, ein roter und ein
schwarzer Lackschuh? Oder Kaftan und besticktes Käppi, um Neulich saß ich vormittags in meiner neuen Feinrippunter-
zu signalisieren, daß ich die Unterhaltung weit hinter mir hose auf der Couch (bought in NY, made in Israel, die Un-
gelassen habe? terhose) und wartete auf Koschis Einschaltquoten vom Vor-
In keinem Fall darf das Outfit von den tiefen Gefühlen meiner abend, da dachte ich: Stimmt das alte Sprichwort, welches
Dankesrede ablenken. Werde ich sie via Multimediawand sagt: Toastbrot schimmelt schneller, wenn das Frühstück von
halten, computeranimiert? Oder in fast schon revolutionärer einer Schwangeren zubereitet wird? Draußen regnete es, und
Schlichtheit, auf dem Fußboden sitzend, den rechten Arm um schon hörte ich mich sagen: Das war's dann wohl mit dem
eine minderjährige Lebensabschnittspartnerin gelegt, die mich Sommer. Diese Erkenntnis jedoch hat zwingend eine hoff-
die Welt neu zu sehen gelehrt hat? Oder gibt es gar das Video nungsvolle Ahnung zur Folge: Vielleicht kriegen wir einen
meiner Hochzeitsfeier auf Hawaii zu sehen, bei dem ich schönen Herbst! Durch die launischen Temperaturschwan-
wiederholt in Tränen ausbreche? All das ist in den nächsten kungen in der Übergangszeit fällt eine richtige Terminierung
beiden Jahren zu bedenken. Aber wahrscheinlich laß ich den des Heizbeginns schwer, doch gewährt mir meine Gas-
ganzen Scheiß. etagenheizung individuellen Spielraum. Gibt es eigentlich
noch Übergangsmäntel für die Übergangszeit? In der Her-
renmode geht der Trend in diesem Herbst zum Dandy, lese
ich, während ich mir Baumwollreste aus dem Nabel puhle.
Warum geben die Nägel meiner großen Zehen die schwarzen
Sockenfusseln unter den Ecken nicht frei, obwohl ich stun-
denlang barfuß am Strand gelaufen bin? Frauen finden ge-
pflegte Füße nämlich sexy, deswegen habe ich neulich so ein
Ding gekauft aus Gummi mit Holzstiel, das Siffo ausgespro-
chen wird.
Denn seit mein Deckhaar ein leicht ins Richard-Gere-hafte
tendierenden Grauton angenommen hat, werden die Büschel
im Abfluß allmorgendlich größer, und ich stehe bis weit über
die Knöchel im dreckigen Duschwasser. Gern bekenne ich,
daß mir jener Narzißmus fremd ist, welcher sich am eigenen
siffigen Duschwasser berauscht. Dank Siffo wird die Brühe
jetzt Hitchcockmäßig in die Tiefe gesaugt. Zum Siffoerwerb
begab ich mich in die wunderbare Welt eines BAUHAUS-
Heimwerkermarktes, wo sich große Bretter schwebend durch
die Gänge bewegten. Hinter den Brettern dürfen Heimwer-
130 131
ker vermutet werden, oder sind die Finger an den Brettseiten Mein Traum
aufgeklebt? Fast hätte ich noch eine asigrüne Zwanzig-Liter-
Plastikwäschebox und ein hundertzwanzigteiliges Werkzeugset Lange Zeit konnte ich mir keine Träume merken. Eigentlich
gekauft, aber was soll ich damit? kann ich es immer noch nicht, aber ständig erzählen mir Leute
Also stehe ich mit meinem Siffo an der Kasse, und die Kas- ihre Träume. Interessiert höre ich, wie Menschen davon
siererin hat dank ihrer Weitsichtigenbrille nicht nur Augen so träumen, in einer Telefonzelle am Strand entlang zu fahren und
groß wie die Fettaugen in der Hühnersuppe im ICE-Bord- dabei ihrer Mutter zuzuwinken, die halb in den Sand
treff, sondern sie erschlägt ganz plötzlich mit meinem noch eingegraben ist. Oder wie Menschen das Telefonläuten in ihre
nicht bezahlten Siffo eine kleine Spinne auf der Kassentheke. Träume integrieren. Als mir kürzlich ein unterdurchschnittlich
Dabei lachte sie. Mir tat die Spinne leid, denn Spinnen sind bekannter Schauspieler erzählte, er sei im Traum nachts durch
hochentwickelte Lebewesen und ihre Netze raffinierte Mei- mehrere Kaufhäuser gerannt, verfolgt von einem Tier, - halb
sterwerke. Die Spinne hatte es nicht verdient, von einer weit- Ziege, halb Schildkröte -, da verfiel ich in einen tiefen Schlaf
sichtigen Kassiererin im BAUHAUS erschlagen zu werden. und träumte, ich säße in einem Zimmer, dessen Wände rosa
Aber ich habe nichts gesagt, sondern mit stummer Trauer tapeziert waren. Auf der rosa Tapete waren viele Reihen mit
meinen Siffo bezahlt. nichts als der Biene Maja, die aber das Gesicht von Jürgen
Fliege hatte. Plötzlich trat der echte Fliege in das rosa Zimmer
und nahm mir meine Kontaktlinsen aus den Augen. Da ich
aber gar keine Kontaktlinsen drin hatte, nahm mir Fliege aus
Versehen beide Augäpfel raus. Ich mußte lachen, denn ich hatte
nicht etwa schwarze Höhlen im Schädel, sondern an der
Rückwand meiner Augenhöhlen klebten Postkarten mit Fotos
eines marokkanischen Sporthotels. Fliege hatte jetzt nicht
mehr meine Augen in den Händen, sondern zwei
Billardkugeln, mit deren Hilfe er eine Geschichte erzählte. Ich
ging aus dem Zimmer durch eine große Kantine, in der
fünfhundert identische Kantinenfrauen mit Papierhäubchen im
Takt Chili con carne aßen. Am Ende der Kantine saß Kalli
Feldkamp und stempelte Jahreskarten fürs Freibad. Er trug
einen Plexiglaszylinder, in dem der Bahnübergang einer
Modelleisenbahn aufgebaut war. Hin und wieder blinkte die
Lampe am Andreaskreuz. Wünschen Sie, daß ich aufwache
und diesen Traum für Sie niederschreibe?
132 133
Der Schenk-mir-was-Text getragen wurde, ich hätte »beim Betreten des Geschäfts nicht
mal einen Witz gerissen«?
Wer jede Woche eine Kolumne schreibt, kann von führenden
Industriegiganten unter Umständen reich bedacht werden. Nein, das ist leider nicht der Stil von Firmen wie ARMANI,
Luxuslimousinen, Schaumweine, exklusive Sehhilfen - alles BOEING, ROLLS ROYCE, BELL-HUBSCHRAUBER
ist dem armseligen Schreiber dieser Zeilen schon angeboten und GENERAL MOT... (äh, General Motors bitte wieder
worden, wenn das entsprechende Produkt in einem Artikel- streichen, ich will um Gottes Willen keinen Opel), also von
chen positive Erwähnung fand. Natürlich habe ich bisher alles diesen Firmen, die mir alle noch nichts geschenkt haben, aber
entschieden abgelehnt, um mir meinen bekannt kritischen vielleicht schlüpfe ich ja nach diesem Artikel in einen meiner
Blick nicht trüben zu lassen. Außer neulich einer Flasche zweitausend NAGELNEUEN ARMANI-ANZÜGE, mein
Champagner und fünf Packungen Cashewnüssen von Ste- BELL-Hubschrauber bringt mich zum Flughafen, wo ich im
wardeß Uschi bei LUFTHANSA, unserer supertollen ROLLS sanft übers Rollfeld zur BOEING 737 gleite? Nein?
Airline. Ja, bei LUFTHANSA wirken solche kleinen Auf- Dann eben im BOSS-SAKKO schnell in den FERRARI und
merksamkeiten sympathisch, außerdem war es ein kleines zum nächsten LUFTHANSA-Schalter. Auch nicht? Genau
Dankeschön für drei Autogramme an LUFTHANSA-Ste- bedacht, bedeutet vollkommenes Glück für mich nichts an-
wardessen, die außer Dienst weiter hinten saßen und sich deres, als in JOOP-Jeans in einen HYUNDAI zu kriechen.
nicht trauten. (Bin mal gespannt, wie viele Sekunden es nach Falsch! Vollständig war mein Einklang mit dem Universum
dieser Hymne dauert, bis man mich auf meinem nächsten Su- hergestellt, als ich in einem LE FROG-POLOHEMD EIN
per-flieg-und-spar-Flug von Frankfurt nach San Francisco in JAHR LANG DIE STRASSENBAHN DER KÖLNER
die First Class bittet!). VERKEHRSBETRIEBE benutzte.
Natürlich passieren auch grobe Mißverständnisse. Bin ich P. S.: Karibik-Flüge im AIR-FRANCE-JUMBO sind ein
etwa Hobbykoch? Warum sonst rufen Bauknechtmitarbeite- Traum!
rinnen an und erkundigen sich, ob ich mal einem Händler
eine Stunde zur Verfügung stünde, um zu Werbezwecken P. P. S.: Ohne die Telekom ist mein Leben sinnlos.
Herde, die der Händler gratis bekommt, zu verkaufen?
Selbstverständlich unentgeltlich! Du fehlgeleitete Küchen-
geräteherstelleranruferin! Sowas heißt in unserer Fachsprache
EINE GALA, und das Honorar dafür hat mehr Stellen als ein
Bauknechtherd Kochplatten!!!
Welchen Grund gäbe es auch, die Kölner Firma »Messing-
Müller mal in einer Fernsehsendung zu erwähnen«, wo ich
neulich fünf Kunststoffkleiderbügelauslaufmodelle voll be-
zahlen mußte und mir noch hintenrum die Beschwerde zu-
134 135
Pro Familia
Manch einer wird sich vielleicht fragen, wieso nur hier Texte
zum Thema Kinder, Sex und Frauen Eingang in dieses Büchlein
gefunden haben.
141
gerutscht, mit leicht geöffneten Beinen, was laut Kinder- Wenn Frauen zu sehr leben
psychologen in diesem Alter als leicht überdurchschnittliche
Leistung bewertet werden muß und auf eine spätere Tätigkeit Mitten in Deutschland stellen wir täglich fest: Die Frauen
im kreativen Bereich schließen läßt. Wo ist eigentlich mein werden immer älter! Während Freund Hein uns Männer in
Schlüssel? der Blüte unserer Jahre (also zwischen 18 und 96) in die
Ewigkeit abberuft - fast immer unerwartet und viel zu früh
(sollte den Verfasser dieser Zeilen eben jener Ruf in naher Zu-
kunft ereilen, bittet er statt Blumen und Kränzen um Spenden
für VOX) - während wir also den Hobel hinzulegen haben,
werden die Frauen im Schnitt um lockere sechs Jahre älter.
Muß das sein?
153
rinnen öffnen auch gerne vor Filmbeginn ihr Haar und schütteln Das Hotelfrühstück
es mit nach vorne gebeugtem Oberkörper aus. Dieses Haar
kommt nur sehr dosiert mit Shampoo in Berührung. Dann In einem Hotel, dessen Namen wir aus Gründen der Diskretion
werden mehrere Sweat- und T-Shirts ausgezogen, bis feuchte verschweigen wollen, dessen erster Name aber so heißt, wie
Achselhaare frech aus den Armelchen lugen. Wenn der Film Ferien auf Englisch, und dessen zweiter Name identisch ist mit
endlich anfängt, schließt keine böse Aufpasserin die Tür. Lohnt dem Namen des Flusses, an dem die Perle Tirols liegt, in
sich auch nicht, denn nach wenigen Sekunden verreckt sowieso diesem Hotel erwarten uns laut Eigenauskunft »mehr als 20
der Film. Dies wird vom Publikum mit Lachen und Beifall laufende Meter Frühstückserlebnis«. Eine poetische Um-
quittiert, man empfindet das gewissermaßen als Charme des schreibung für das, was den Reisenden mittlerweile in fast allen
Unperfekten. Schon nach wenigen Minuten - die Hotels erwartet: das Frühstücksbuffet. Eine gigantische
Saalbeleuchtung ging mittlerweile mehrmals aus und an - wird Errungenschaft der Neuzeit, die genauere Beachtung ver-
der Film fortgesetzt, allerdings an einer völlig anderen Stelle dient.
als vor der Unterbrechung. Kurz darauf kommt auch Girlie Wer seinen Tag vitaminbewußt mit einem »Fruchtsaft« be-
kichernd mit Getränkenachschub zurück. Total süß, wie sie im ginnt, der freut sich, wenn die Konzentratautomaten in eine
Dunkeln erst mehrmals in ver-siffte, enge, falsche Reihen rustikale Plastikverschalung eingebettet sind. Beim Obstsalat
stapst. Krieg den Programmkinohütten - Friede den sehen wir, was man unter Monokultur zu verstehen hat: 15
Lichtspielpalästen. Scheiben Ananas mit 6 Kirschen und zwei Apfelschnittchen.
Gleich nebenan die Schüsseln mit Quark und mindestens vier
verschiedene Joghurtsorten, von denen wir aber Abstand
nehmen, weil im Himbeerjoghurt Petersilienreste vom Kräu-
terquark nebenan schwimmen. Die Rührei-mit-Beilagen-
Ecke weist in jedem Hotel individuelle Zusammensetzung
auf. Immer dabei: Schrumpeliger Speck und diese Würst-
chen, die endlich mal eine Frage zulassen müssen: Gibt es
auch okkultes Blut in Hundekot?
Was wäre ein Frühstücksbuffet ohne Lachs! Dieser Lachs
sieht häufig aus wie in Öl getauchte Waschlappen und - das
ist das Tolle - er schmeckt auch so! Woher ich das weiß?
Weil ich zu Hause in Öl getauchte Waschlappen frühstücke,
klar?!
An Marmeladesorten herrscht kein Mangel, allein ihre ein-
fallsreiche Anordnung bringt an jedem Frühstücksbuffet gut
zwei Meter. Auch der Käse sieht lecker aus, ihn kennen wir
schon von der Käseplatte am Vorabend. Demnächst ritze ich
154 155
mal eine Markierung in den Käse, der am Vorabend zurück- Billig ist beautiful
geht, weil ich einen gewissen Verdacht habe... Risikofaktor Nr.
l an jedem Büffet ist der Toaster. Vielleicht hat er Stufe 1-6, Ein neuer Trend deutet sich in diesen Tagen an: billig ist in.
aber wer weiß schon, auf welcher Stufe einem ein Brikett Vorbei die Zeiten, in denen man sich ohne teure Markenartikel
entgegenspringt? Da helfen nur ein bis zwei Testtoastläufe. nicht auf die Straße trauen durfte. Shopping bei ALDI gilt
Hat man seinen Tisch erreicht, wächst die Spannung: Was wird mittlerweile als letzter Schrei, die Kleider müssen nicht nur
einem wohl heute unter dem Begriff »Kaffee« in die Tasse von der Stange sein, sondern auch so aussehen. Dies bedeutet
geschüttet? Wie viele Stunden des Tages noch signalisiert nun nicht, daß etwa Sportmoderatoren des MDR oder Grüne
einem ein Brennen in der Speiseröhre: »Hallo, hier spricht Landtagsabgeordnete in NRW modisch voll im Trend lägen,
Dein Kaffee!«? Für zusätzliche Gäste (»Laß uns mal der Billig-Look muß mit der Ausstrahlung verbunden sein:
zusammen frühstücken«) kostet die Teilnahme an einem sol- Ich könnte auch anders! Erinnert sei in diesem
chen Erlebnis zwischen 20 und 30 Mark! Darf s noch Kaffee Zusammenhang an weibliche Hardbodies, die in
sein? Sportleibchen (ein leider fast vergessener Ausdruck) und alter
Cordhose ziemlich gut rüberkommen, während dieses Outfit
am deutschen Mann Assoziationen wie »morgendlicher
Auswurf« evoziert.
Ähnliches gilt auch für bunte Männerslips aus dem Dreier-
pack, die auf dem kantigen Beckenknochen einer schmalen
19jährigen manch erotischen Schabernack auslösen können,
wohingegen stramm sitzende oder prall gefüllte Satinboxer-
shorts bei Tennisseniorenvizemeisterinnen (vereinsintern) den
weiblichen Schoß nicht mehr luftig umspielen, sondern die
erotische Absicht erkennen lassen und zu sofortiger Flucht
in die Minibar führen. Tür zu, und zwar von innen. Was also
sind die Basics für den Elendslook im kommenden Winter?
Hautenge Acryl-Rollis, in die man sozusagen »den Schweiß
reinbügelt«. Ein absolutes must: Schuhe aus einem Geschäft
Ihrer Wahl, das sich auf »Schuh-Poertz« reimt. Weiße Jeans
mit farbigen Unterhosen. Und alles von dieser Firma, auf
deren Plakaten es der Werbechef mit einem Pferd treibt.
179
und Alkoholpegel parallel ansteigen. Sieht man beispiels-
Verregnete Pfingsten
weise auf dem Weg zur Toilette eine Kollegin, die nicht die
passenden Münzen für den Zigarettenautomaten hat, kann ein Die verregneten Pfingsten boten Gelegenheit, all das zu erle-
saloppes »Na, Schwierigkeiten beim Reinstecken« lang digen, was schon lange hätte erledigt werden müssen. Also
andauernde Heiterkeitserfolge erzielen. erst mal die Quittungen, Belege und Rechnungen sortieren, die
sonst während der Woche einfach in die Schublade fliegen.
Nach Ende der Feier empfiehlt es sich, rechtzeitig die besten Dabei finde ich mehrere Schlüssel, von denen ich nicht weiß,
Plätze für den spontanen Austausch von Körperflüssigkeiten wohin sie gehören. Das ist mir schon mehrfach passiert, und
zu sichern. Für die Kombination Abteilungsleiter/Teilzeitkraft jedesmal wollte ich die Schlüssel wegwerfen. Ich habe sie aber
empfehlen sich die Mäntel und Kunstpelze an der Garderobe immer wieder aufbewahrt, weil ich dachte, vielleicht fällt mir
(funktioniert nur stehend und ohne allzu heftige Gegenwehr). noch mal ein, wozu die Schlüssel passen. Auch diesmal lege ich
Gummipflanzen in Hydrokultur bieten häufig nur mangelnden die Schlüssel wieder zurück. Nicht, weil mir noch mal einfallen
Sichtschutz vor dem, was Azubis von stark alkoholisierten würde, welch jungfräuliches Schloß nach diesen Schlüsseln
Führungskräften der mittleren Ebene zu ertragen haben. Hier lechzt, aber warum sollte ich sie jetzt wegwerfen, wo ich sie
gilt, speziell für den Herrn ab 50, Weihnachtsfeiermerksatz 3: doch bisher nicht weggeworfen habe? Die fressen ja kein Brot,
Azubis, die sich wehren, treten häufig richtig zu! sagt der Volksmund. Wäre ich ein Dichter, glitten meine
Gedanken jetzt ab ins Reich der Phantasie, und vier Schlüssel
schlichen sich - klim-per, klimper, trapp, trapp, trapp - des
Nachts in die Küche und kicherten leise: »Hihihi, du glaubst,
wir fressen kein Brot. Aber wir knabbern an deinen
Cornflakes, lecken Olivenöltropfen vom Flaschenhals und
schlürfen Weinreste aus den Gläsern. Hernach legen wir uns
satt und dick in die Schublade zurück, und du weißt nicht, in
welches Schloß wir gehören. Ätsch!«
Kontoauszug Nr. 16 muß doch irgendwo zu finden sein, 15
und 17 habe ich ja auch. Endgültig den Weg alles Irdischen
gehen an diesem Pfingstmontag ein vergilbtes Glückwunschfax
zum Start von »Verstehen Sie Spaß?« sowie die total ver-siffte
Visitenkarte der angeblich besten Creperie der Bretagne.
Kaum erzählt man jemandem, wohin man in Urlaub fährt,
schon kriegt man tausend Tips, wo man unbedingt hinmuß. Der
beste Kaffee, die besten Gambas, die geilsten Weiber. Dann
fällt mir der Brief einer Schülerin in die Hände, die
180 181
sich mir körperlich schenken will, weil ich sie an ihren Eng- Advent, Advent
lischlehrer erinnere. Sie käme überall hin, ideal wäre Ende
April/Anfang Mai, dann wären ihre Eltern im Urlaub. Wachet auf, ruft uns die Stimme! Nun haben wir gerade den
Natürlich respektiere ich ihren Wunsch, den Brief unter gar ersten Advent hinter uns und stellen alle Jahre wieder fest:
keinen Umständen irgendwo zu erwähnen, und leite ihn weiter Auch der äußerst kritische Antichrist hat es in der Vorweih-
an Mike Tyson. nachtszeit gern warm ums Herz. Bei unangemeldeten Haus-
Zufällig finde ich ganz hinten in der Schublade eine Kassette besuchen erwischen wir hartgesottene Negativisten am Ad-
»Best of John Belushi«. Da muß ich doch mal reinschauen, ventskranz, und sei er auch in der Protestbasteiversion (vier
ich glaube, da ist der Sketch drauf »Der Pate beim Psycho- Kondensmilchbüchsen, mit einer Schnur zusammengebunden
therapeuten«. Leider habe ich wieder vergessen, auf welchen und Kerzen drin).
Kanal ich den Fernseher schalten muß, damit ich Video Gerade an Samstagen glauben sich viele Amateurzyniker und
schauen kann. So lande ich in einem Interview mit Anke Huber Freizeitnihilisten unbeobachtet, wenn sie Reisiggestecke vom
bei den French Open. Plötzlich klingelt es. Draußen stehen Markt in ihre sanierten Altbauwohnungen schleppen. Auf
John Belushi und Mike Tyson, und wir gehen Rollerblades frischer Tat ertappt, bricht unaufgefordert ein wahrer Schwall
fahren. an Entschuldigungen aus ihnen heraus: »Meine Schwester
kommt mit den Nichten« oder »Ich kann zwar mit dem ganzen
Scheiß nix anfangen, aber der Duft ist so geil.« Viele scheinen
auch weniger mit der Vorbereitung auf die Ankunft des Herrn
als vielmehr mit Aufräumarbeiten für den alljährlichen
Besuch der Mutter beschäftigt zu sein. Da muß so manche
Ledermontur im Schrank verschwinden, und wer heute noch
kreischend durchs Lokal kellnert - hier ein Hoch und dort
hoch - der geht morgen im Zopfmusterpulli mit Mutti zum
Adventssingen. So wird man auch in diesem Jahr zum Fest in
Bielefeld berichten: Das Studium läßt einfach keine Zeit für
Mädchen.
Kaum zu glauben, wer alles gepierct am Stövchen sitzt. Neulich
beobachtete ich zwei Punks in der Schlange am Geldau-
tomaten. Nicht, weil sie jemanden ausrauben wollten, sie haben
ganz solide mit ihrer Karte abgehoben. Dabei sagte die
Gelbhaarige zu der mit den Zuckerwasserrastazöpfchen: »Die
Martinsgans von meiner Mutter war apfelgeil!« Aber hallo!
Sex Pistols go Schützenverein! Doch ist die Zeit des »Tauet
Himmel, den Gerechten« nur die Vorbereitung
182 183
auf die psychisch härtesten Tage des Jahres. Vor allem der na-
hende Heiligabend wird zu einem echten Krisentag für viele,
die während des Jahres tapfer und bemüht den bürgerlichen
Zwängen ins Antlitz spucken. Häufig endet ein kesses »Hei-
ligabend bin ich grundsätzlich in der Kneipe« mit Heul-
krämpfen am Telefon. Irgendein S/M-Hirte am anderen Ende
Literarische Welt
hebt auch in dieser Nacht den Hörer ab. Man wird ja wohl
noch Weihnachten feiern dürfen!
Dann und wann lese ich ein Buch, welches mich solcher-
maßen beeindruckt, daß ich dieses der gierigen Leserschaft sofort
mitzuteilen gezwungen bin.
189
Auch führte er ein Interview (drei schriftlich eingereichte Mein erster Gordon
Fragen!) mit Trotzki, bevor dieser an einem Pickel in der Stirn
starb. Nun aber genug der Hinweise für unser kleines li- Neulich fiel mir ein, daß ich noch nie ein Buch von Noah
terarisches Sommerrätsel. Obwohl unser Autor in diesem Gordon gelesen hatte, obwohl er Millionen Exemplare in aller
Magazin sicher auch auf einer Liste der zehn Autoren mit den Welt verkauft und mit seinem neuesten Werk »Die Erben des
erfolgreichsten Kommissaren, den häufigsten Wohnungs- Medicus« bei uns auch schon wieder auf Platz l der Best-
wechseln und dem größten Wortschatz einen Spitzenplatz sellerliste steht. Da waren mir die 44 Mark in der Bahnhofs-
einnehmen würde. Wenn Sie jetzt immer noch nicht wissen, buchhandlung in Kassel/Wilhelmshöhe nicht zu viel, denn
um wen es sich handelt, dann kaufen Sie die neueste Biographie sogleich tauchte ich in die wunderbare Welt eines Bostoner
von Patrick Marnham oder - Platz l auf der Liste mit den Krankenhauses, wo ich Dr. R.J. Cole kennenlerne, die weib-
plattesten Hinweisen: Fragen Sie Kommissar Maigret. liche Hauptfigur des Romans.
Dr. med. Cole ist Anfang vierzig, ihre Ehe am Ende, und
außerdem wird sie von militanten Abtreibungsgegnern be-
droht - Zeit also, den roten BMW gegen einen Ford Explorer
zu tauschen und in den Hügeln des westlichen Massachusetts
als Landärztin tätig zu werden. Dort lernt sie David Markus
kennen, Ex-Rabbi und seit dem Selbstmord seiner Frau
alkoholkranker Immobilienmakler. Da er die langen
Pferdeschwanzhaare täglich wäscht und gepflegte Fingernägel
hat, kommen sich die beiden näher, lieben sich auf Reisig im
Wald und baden anschließend nackt im Fluß, wobei sie
Gespräche führen, die nach einem dialogisierten AOK-Pro-
spekt klingen.
Mehr als 30 Millionen Amerikaner haben nämlich keine
Krankenversicherung, das wird im Roman durchgehend an-
geklagt, und als auch noch ein reicher Senator im Fernsehen
gegen die Reform des Gesundheitswesens wettert, kuschelt
sich Dr. Cole an den alkoholkranken Ex-Rabbi und denkt
meinen Lieblingssatz im Buch: »Die Nacht war so kalt wie
das Herz des Senators.«
David hat auch eine siebzehnjährige Tochter, Sarah. Die wird
schwanger, und nach einem menschlichen Gespräch am
Küchentisch vermittelt Dr. Cole ihr einen Abtreibungstermin
in Boston, ohne daß Daddy was weiß, weil er sonst ja viel-
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leicht wieder trinkt. In der Narkose zuckt Sarah ungünstig mit Jerry Cotton ist tot
der Hüfte, was zu einer Perforation der Gebärmutter führt,
was aber medizinisch auch kein Problem wäre, wenn Sarah Es war nur eine 14zeilige dpa-Meldung: Heinz Werner Höber,
nicht gleich ihrem Pferd Chaim nachgerannt wäre, das den der Schöpfer des Agenten Jerry Cotton, ist am 15. Mai im Alter
einzig morschen Pfahl im Zaun umgerissen hat. Nach wenigen von 64 Jahren in Berlin gestorben. Obwohl ich während
Stunden ist Sarah verblutet, was Dr. Cole schon vorher spürte, meiner Schulzeit mehr als 200 Jerry-Cotton-Heftchen gelesen
denn sie besitzt »die Gabe«. Wenn sie einem die Hände habe, war mir der Name seines Erfinders kein Begriff. Damals
reicht, strömt's bei ihr und sie spürt, ob einer nicht mehr lange hieß es immer, Jerry Cotton »wird von verschiedenen
hat. Autoren für ganz wenig Geld pro Zeile geschrieben«, und
Dann passiert noch ziemlich viel und David ist weg und obwohl die Autoren nie New York besucht hätten, stimmten
kommt wieder und als Dr. Cole ihn endgültig wegschickt, alle Fahrtrouten und die Zeitangaben.
kriegt sie kurz danach einen Riesenhunger und ihre Brust Deutsche Seeleute hätten es während eines Landurlaubs in
spannt sich, und das Ende ist sowas von happy: Dr. med. R. J. Manhattan überprüft. Mich faszinierte es immer grenzenlos,
Cole, 44, allein in Massachusetts, schwanger von Ex-Rabbi, wenn Special agent Cotton mit seinem Jaguar durch den
der nix davon weiß! Noah Gordon hat einen neuen Fan. Holland-Tunnel fuhr. Ich konnte mir als Schüler nämlich
nicht vorstellen, daß ein Tunnel nicht durch einen Berg
führen, sondern auch unter Wasser liegen konnte. Eine
Zeitlang prägte der Jerry-Cotton-Stil auch meine
Schulaufsätze. Formulierungen wie »Das Girl war schon
mindestens zwei Stunden tot« lagen mir irgendwie näher als
die »Anrufung des Großen Bären«. Meine absoluten Lieb-
lingssätze waren »Phil schob sich auf meinen Schreibtisch«
und »Ich fischte mir eine Camel aus der Packung«. Ganz auf-
geregt wurde ich immer, wenn Jerry und sein Freund Phil zu
ihrem Chef, Mr. High, gerufen wurden. Dann gab es immer
ganz heikle Spezialaufträge, für die Phil und Jerry auf der
FBI-Akademie in Quantico geschult worden waren. Bei sol-
chen Spezialeinsätzen kam es darauf an, ganz schnell mit der
Handkante die Halsschlagader des Gegners zu treffen, um ein
dumpfes Plopp-Plopp aus der Schalldämpfermündung zu
verhindern.
Auf dem Schulhof teilten wir uns in Jerry-Cotton-Leser und
Perry-Rhodan-Fans. Aus den Cotton-Leuten ist was gewor-
192 193
den, die Rhodan-Jünger haben Maschinenbau und Elektro-
technik studiert. Schon Wochen vorher haben wir uns ge- Moderne Kinderbücher
freut, wenn ein neuer Jerry-Cotton-Film mit George Nader
Zu meiner Zeit war die Welt in den Kinderbüchern eindeutig.
(Jerry), Heinz Weiss (Phil) und Richard Münch (Mr. High)
Meistens sollte der Kasper von einem bösen Räuber in den
angekündigt wurde (frei ab 16).
Wald gelockt werden, dann kam die Polizei, schlug dem Räuber
Weltweit 700 Millionen Exemplare wurden von Jerry-Cot-
auf den Kopf, und alles ging wieder seinen Gang. Heutzutage
ton-Heften verkauft. Diese Zahl hämmerte in meinem Kopf,
vermitteln schon Bilderbücher für die Kleinsten ein Weltbild,
als ich die Buchhandlung betrat und dem Dealer meine 38er
das entschieden Unterstützung verdient. Eine Hauptfigur darin
Smith & Wessen unter die Nase hielt. »Einmal die Biografie
ist der »spülende Vati«, auch in der Variante »Vati füttert den
>Der Mann, der Jerry Cotton war - Erinnerungen des Best-
Familienhund« oder »Vati macht Frühstück«. Dabei trägt Vati
sellerautors Heinz Werner Höber< von Jan Eik«, zischte ich
stets einen Pyjama, während Mutti entweder mitten in der
hervor, dann sackten mir die Beine weg, und an meiner linken
Küche steht und Zeitung liest oder im Nebenzimmer
Schulter wurde es warm.
telefoniert.
In dem Büchlein meiner Kindheit war der ausländische Mit-
bürger entweder ein Mohr, der den Sonnenschirm trug, oder
ein finster dreinblickender Südländer (mit leichtem Touch ins
Rumänische). Heute ist dieser uns fremd erscheinende Kul-
turkreis bilderbuchmäßig integriert. Wenn Vati Frühstück
macht, sitzt immer ein asiatisches Mädchen mit am Tisch.
China? Thailand? Etwas mehr zeichnerische Genauigkeit
könnte hier Pauschalisierung vermeiden helfen. Ein Klischee
allerdings kann auch das modernste Kinderbuch nicht
vermeiden: Den krankfeiernden Balkanesen, der sich mittels
Kinderreichtum in unserem sozialen Netz pudelwohl fühlt.
Mit mürrischer Miene, Pelzmütze und vollbärtig, steht er vor
der Schule, seine ganzjährig gefütterten Puschen an den Füßen
und: Arm in Gips! Werden hier nicht Vorurteile geschürt, die
später kaum noch aus dem Kinderhirn zu löschen sind? Welch
harter Kontrast zur geglückten Darstellung des
unverkrampften Umgangs mit Behinderten. Ein Mädchen, im
Rollstuhl zwar, dennoch lächelnd, wird von einer lieben
älteren Dame Richtung Ampel geschoben, während zwei
sogenannte nicht-behinderte Mitschüler sie fröhlich
anspringen. Wenn mein Gedächtnis mich nicht
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trügt, kommt auf diesem Bild auch der Spül-Vati mit zwei Hanz Mahgnuß N-tsensbärga
Leinentaschen vom Einkaufen. Harmonie überall, nur der
kinderreiche Transsilvaner blickt finster. Bitte ändern! Daß ißt mahl wider tübbisch! An Statt das unsere Schrift-
stähler ändlich ainen Nobellpreiß holen, nix wie Brotescht
P. S.: Mein Lieblingskinderbuch ist immer noch das, in dem gegn eine Rechtsschreibrephorm, die wo mal allen zeigt, wie
Marder Hugo dem Osterhasen die Eier, klaut. Er liegt fröhlich was geschrieben wirt, die sonnst rechtsschreibmessig von
unter einem Baum, und die ganze Hasenfamilie sieht ziemlich Duden und blahsen Kaine Annung habn. Tsum Bayschbiel
blöd aus. will sich Hanz Mahgnuß N-tsensbärga waigern, in Tsukunft
den Satz »Voll Hass lutscht die Gämse am rauen Stängel«
dermaßen zu schreiben (vegl. befreundetes HH-
Nachrichtenmagatsien).
Bei einem, der wo sowas macht und echt noch andere auffor-
dert, dasss Sie daß auch praktisch machen tun, da tuts mir total
leid, daß ich mal Geld zahlt hab für das Buch wo der Herr N-
tsänzbürger geschrieben hat und was haist »Middlmaas und
Wann«.
Aber auch Walta Kämmbowwsgi sagt, genau wie Enndzänß-
bergr, fiel wichtiga alls Korregde Orttogravieh oder, satstsei-
chen? - am richtigen!, plats und grohsundgleinschreybung
ißt der innhalt, das wo gesagt wird, das ißt vür ain Buhch so
wichdich wie ein rauer Stängel für Gämse. An dihser Ställe wirt
waitahin mit aller leydenschafft in XXL gegn die
Verhundsung der doitschen Sprahche gekempfft werden.
Gegn daß Värgässn, damit kein Grass über die Sache wächst.
Denn wie sagt der Folksmund: Erst wenn die letzte Gämse
voll Hass am Stängel kaut, werdet - Ihr? merken;): Auch das
Glücksrad steht still, wenn das Alfabeet es will.
196 197
Bovine Spongiforme Enzephalopathie
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Safer Bohne P.S.: Wer rettet die Slap-stick-lndustrie, wenn erst die Banane
ohne Schale erfunden ist?
Es scheint, als ob ein neuer Superstar am Panikhimmel auf-
geht: Die genmanipulierte Sojabohne! Nachdem das Inter-
esse am bisherigen Jahreshit Rinderwahnsinn bedenklich
nachzulassen droht, könnte Soja rechtzeitig zum Weih-
nachtsgeschäft ein echter Knaller werden. Denn was der Laie
bisher als stinkfades Gemüsezeugs beim Chinesen auf dem
Teller ließ, lauert bereits in dreißig Prozent der Nahrungsmittel.
Als Öl, als Mehl und als wasweißich-nochalles. Damit hat
die genmanipulierte Sojabohne (bald Wort des Jahres?) das
Zeug zum echten Superstar. Denn anders als bei BSE (kein
Steak), Aids (kein Gummi), oder Malaria (kein Urlaub),
können sich der total kritische deutsche Verbraucher und die
noch totaler kritische deutsche Verbraucherin vor dem
pervertierten Böhnchen nicht schützen: es lauert einfach
überall.
Nähere Auswirkungen beim Genuß der Killerbohne sind
noch nicht bekannt, Hysterie ist jedoch ab sofort dringend
empfohlen.
Denn schon plant die Gen-Industrie weitere Horrorteile:
Orangen ohne Schale, Kaffeebohnen ohne Koffein, auch
Monsterlachse sind in Arbeit. Bereits jetzt im Angebot -ganz
ohne Manipulation - sind Kaffee ohne Aroma, Erdbeeren ohne
Geschmack und Verkäufer ohne Ahnung. Doch auch das
Rettende wächst: ein Gesetzentwurf zur Kennzeichnung aller
gentechnisch veränderten Stoffe in Lebens-mitteln wurde »auf
den Weg gebracht«. Dies dürfte sensationelle Wirkung zeigen,
vergleichbar dem Zusammenbruch der Tabakindustrie durch
die warnenden Worte auf den Zigarettenschachteln. EU-
Kommissar Bangemann, der die Verbraucher bisher nicht
durch unnötige Angaben verwirren wollte, ist übrigens nicht
genmanipuliert, sondern sieht wirklich so aus.
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Castor und Dolly nicht vielmehr im Zeitalter von Baseballmützen, Doc-Mar-
tens-Schuhen und XXXXL-Sweatshirts das Klonen im Gen-
Dem ehrlichen deutschen Steuerzahler drohte in den vergan- labor völlig überflüssig? Schafft nicht jede technobedröhnte
genen Tagen eine Doppelbelastung im Katastrophenbereich. Boutique mit Namen wie »Mr.X« oder »Joe's« spielend auch
Castor-Transport und Klonschaf Dolly. Echt gemein an diesen auf freiwilliger Basis der Kundendollys, wozu ein Labor
Bedrohungen: Nur Staatsbürger mit deutlich höherem hochqualifizierter Wissenschaftler noch Millionen von For-
Schulabschluß sind einigermaßen in der Lage, die neuen schungsgeldern benötigt?
Apokalypsen genauer zu begreifen. Waren es bisher der gute,
alte Krebs, das etwas zeitgemäßere AIDS oder ein solider P. S.: Wo bleiben bei Castor deutsche Rockmusiker mit Soli-
Atomtest, die besorgte Hausfrauen in morgendlichen Rund-
daritäts-CD »Cas-tor zur Hölle«?
funksendungen zum Hörertelefon greifen ließen, so scheint
jetzt ein Abendgymnasiumkurs in Atomphysik oder ein VHS-
Kurs in Gentechnologie die Mindestvoraussetzung zu sein, um
die drohenden Desaster für den interessierten Laien verständlich
werden zu lassen. Wußten Sie etwa, verehrte Leserschaft, daß
der normale Reisende auf einem Retourflug Frankfurt-New
York einer Strahlendosis von 0,1 Millisievert ausgesetzt ist?
Kannten Sie überhaupt den Begriff »Millisievert«? Und was ist
mit den guten, alten Becquerel, die uns aus der Tschernobylzeit
so vertraut sind? Die Bundesumweltmi-nisterin informiert: 10
Computertomographien entsprechen der Strahlenbelastung
einer Castor-Transportbewachung.
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Ich mag Tiere. Ehrlich. Hunde auf großen Bauernhöfen; Katzen,
die noch rasch vor einem LKW über die Straße huschen, vor
allem aber den Kampf in der freien Wildbahn, wo Antilope und
Gepard, Löwe und Zebra, Kaninchen und Klapperschlange
täglich die uns Menschen manchmal schwer verständlichen
Gesetze der Natur ins Praktische übertragen.
Guten Freunden stellt man gerne mal für eine gewisse Zeit
seine Wohnung zur Verfügung. Sie wissen ja, wo alles ist, und
außerdem kümmert sich jemand um die eigene Wohnung,
während man selbst ein paar Tage weg ist. Was ich nicht wußte:
Die guten Freunde haben seit neuestem eine Katze, die sie
natürlich nicht alleine lassen können. Überhaupt kein Problem,
denn die Katze ist ja total lieb, und die Freunde bringen alles
für »Rosa« mit. Rosa heißt Rosa, weil sie den guten Freunden
letztes Jahr auf der Fahrt in den Frankreichurlaub in
Luxemburg zugelaufen ist. Eigentlich wollte Stefan die Katze
auf keinen Fall behalten, dann tut er es aber Kerstin zuliebe,
weil Kerstin hatte gerade ihre Operation an den Augenlidern
hinter sich. Seitdem hängen übrigens die Augenlider von
Kerstin. Eigentlich sieht man es nicht. Nur wenn man es weiß.
Vielleicht hätten wir lieber nicht mehr gesehen, wie Rosa
einen gelblichen Brei auf die Couch (blau) gekotzt hat (der
Streß der Reise), aber leider mußten wir es kurz vor Verlassen
der Wohnung noch mitansehen. Kerstin holte ein weißes,
extrem saugfähiges und deshalb nicht ganz billiges Badetuch
aus meinem Bad. Damit nibbelte sie Rosas Katzenkotze von
der Couch. Auf der Couch bildete sich ein heller Fleck.
Kerstins Augenlider hingen sehr tief, wie sie so die
Katzenkotze wegrubbelte. Stefan hatte währenddessen einen
Agenturkollegen in Madrid angerufen. Zehn Minuten.
Tagsüber nach Madrid. Dabei stand er vor dem offenen
Kühlschrank und aß einzelne Lachsschinkenscheiben direkt
aus dem Schrank. Kerstin hätte gerne einen Kaffee gemacht,
war aber total fassungslos, weil wir keine Bio-Filtertüten
haben, mit dem das Wasser zuerst von Schadstoffen gereinigt
wird. War aber kein Problem, dann macht sie den Kaffee eben
mit Mineralwasser. Ob es denn hier in der Ecke gar keine
griechischen und tür-
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kischen Läden gäbe, wollte die Herrin der hängenden Lider
Maligne Hyperthermie bei Haifischen
wissen. Nein, nur einen stinknormalen Supermarkt. War nix
für sie - zu bürgerlich. Vermutlich haben nicht alle Leserinnen und Leser dieses Ma-
Am nächsten Morgen rief ich dann an, ob alles in Ordnung gazins die Zeit, intensiv den Wissenschaftsteil der FAZ zu
sei, und ob Kerstin und Stefan in der Wohnung zurechtkä- studieren, weil sie mit scheinbar Wichtigerem beschäftigt
men. Stefan klang sehr übermüdet. Kerstin hatte die ganze sind, etwa Trauerarbeit über den Besitz von Daimler-Benz-
Nacht kein Auge zugemacht (trotz der hängenden Lider?), Aktien.
Rosa ginge es sehr schlecht, obwohl sie mit ins Bett gedurft
hätte. Ausnahmsweise. Deshalb weisen wir als kundenfreundlicher Hypochonder-
Aber sie war ja wirklich nur am Kotzen. Dann kam Kerstin service an dieser Stelle auf eine Stoffwechselentgleisung bei
ans Telefon. Sie sprach jetzt mit ihrer Hab-mich-lieb-ich-bin- Narkose hin, mit der Sie sich bei Bedarf kirre machen kön-
ein-kleines-Mädchen-Stimme. Sie habe sich ganz warm m nen: Maligne Hyperthermie, die wahnsinnig häufig vor-
meinen Bademantel gekuschelt und könne nur leise sprechen, kommt, nämlich bei jeder 30 000. Vollnarkose. Vereinfacht
weil Rosa sich zu ihr in meinen Bademantel gekuschelt hat und gesagt, erwärmt sich Ihr Körper dabei auf 43 Grad - und
schläft. Meine Augenlider sanken auf Halbmast, in Gedanken tschüs!
kraulte ich Rosa das Fell und dachte an den Landwehrkanal.
Das Wundermittel dagegen heißt Dantrolen, welches aber in
DEUTSCHEN KRANKENHÄUSERN GAR NICHT
ODER NICHT IN AUSREICHENDER MENGE VER-
FÜGBAR IST!!! Deshalb gleich beim Pförtner erkundigen:
»Tag, gibt's hier Dantrolen?« Dann schnurstracks mit der
Reisetasche ins Zimmer des Narkosearztes. Dieser dankt Ihnen
für den Hinweis: »Einmal Vollnarkose bitte, aber ohne
Halothan, Succinylcholin, Chlorocresol und Serotonin. Für
mich nur Lachgas und Opiumabkömmlinge!