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Ho1no sacer und c-;uantanamo
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258 Byung-Chul Han
stilisierten Figur des homo sacer. So ist es notwendig, diese Figur ge-
nauer unter die Lupe zu nehmen, um ihr den Nimbus des Geheim-
nisses zu nehmen. Wer war homo sacer also wirklich? Sacer ist ein
Mensch, der göttliche Gebote oder Objekte verletzt hat, die unter
göttlichem Schutz stehen. Der Frevler wird aus der menschlichen Ge-
meinschaft ausgestoßen. Man kann ihn töten, ohne dafür bestraft zu
werden. Die sacratio geht auf die religiöse Praxis der archaischen Zeit
zurück, in der das Religiöse und das Juridisch-Politische noch nicht
unterschieden waren. Schlägt der Sohn den Vater, so fällt er den Haus-
göttern, divi parentes, anheim. Wer den Grenzstein verlegt, ist der Ra-
che des Jupiter Terminus, des Schutzgottes der Grenze, preisgegeben.
Wer den Grenzstein unterpflügt, ist zusammen mit seinem Ochsen sa-
cer. Homo sacer ist also ein Frevler, der eine Gottheit verletzt hat, der
darum dieser übergeben wird. Die sacratio, die den Verbrecher zum
homo sacer erklärt, diente also keiner kollektiven Reinigung oder Ent-
sühnung. Homo sacer war kein Menschenopfer. Die sacratio war viel-
mehr ein Akt der Übereignung des Frevlers an die verletzte Gottheit.
Homo sacer wurde zunächst nicht getötet, sondern ausgestoßen, da-
mit sich die verletzte Gottheit selbst an ihm rächen konnte. Man woll-
te ihrer Rache nicht vorgreifen. So schreibt der renommierte Rechts-
historiker und Strafrechtler Emil Brunnenmeister in seiner Abhand-
lung „Das Tötungsverbrechen im altrömischen Recht" (Leipzig,
1887): „Die Sacertät hat zur Grundlage den uns vielfach bezeugten
Glauben, dass die Gottheit den Frevler [„.] selbst strafen werde, wann
und wie sie wolle, und dass Niemand, weder der Staat noch seine Be-
anlten oder Priester noch der einzelne Bürger, dieser Bestrafung vor-
greifen dürfe. Welche Wege die erzürnte Gottheit wählen würde, um
das ihr verfallene Opfer dem unausbleiblichen Verderben entgegenzu-
führen, wusste kein Sterblicher." Die göttliche Rache konnte den
homo sacer jederzeit treffen, auch dadurch, daß ein anderer Mensch
ihn tötete. Die Tötung war jedoch kein Sakrileg, denn inan nahm an,
daß die Götter ihn als ihr Rache-Werkzeug benutzt hatten. So schreibt
Brunnenmeister: „Derjenige, der einen Verwünschten (sacer) erschla-
gen hatte, galt für schuldlos, sobald sich aus den Umständen entneh-
men liess, dass er, vielleicht ganz unbewusst, das Werkzeug der göttli-
chen Rache gewesen." Nicht alle Verbrechen führten bei den Römern
zur sacratio. Diese wird nur beim Verstoß gegen einige wenige, als
göttlich angesehene Regeln der Gemeinschaft vorgenommen. Neben
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sacratio gab es bei den Römern als Todesstrafe Enthauptung und Fels-
sturz (z. B. beim Meineid oder Diebstahl). Homo sacer ist eine Be-
strafungsform, die ihren Ursprung eindeutig in der archaisch-religiö-
sen Praxis hat. So schreibt Brunnenmeister: „Sacertät war also ihrem
Ursprunge nach [„.] nicht weltliche, sie war ausschliesslich Gottes-
acht. Allein sie hat sich langsam zur weltlichen Acht entwickelt."
Homo sacer durchläuft tnehrere historische Stationen. Zur Zeit der
Zwölftafelgesetze war homo sacer, wer die Unantastbarkeit der Volks-
tribunen verletzt hat. Dazu schreibt Brunnenmeister: „Das Äusserste,
was getan werden konnte, um die Sacertät zu einem schnell und sicher
wirkenden Strafmittel zu gestalten, geschah im Jahre 260 auf dem hei-
ligen Berge durch die Plebejer. Dieselben gaben sich und ihren künf-
tigen Standesgenossen das Gesetz und schwuren den Eid, eine Verlet-
zung des Tribuns an dem, der sie begehen würde, rächen und diese
Rache als gerechte Tötung behandeln zu wollen." Die Plebejer hatten
die alte ursprünglich religiöse Praxis wieder aufgegriffen, um ihre
Machtstellung zu sichern. Zu dieser Zeit wurde homo sacer außerdem
auch nicht ausgestoßen, sondern durch Felssturz direkt getötet.
Agamben ignoriert gänzlich die historische Entwicklung des homo
sacer. Er beschränkt die sacratio auf die Zeit der plebejischen Herr-
schaft, die die ursprünglich religiöse Figur des homo sacer für ihren
politischen Zweck, für die Sicherung ihrer weltlichen Macht wieder
aufgegriffen, d. h. politisiert hatte. So führt Agamben die sacratio
fälschlicherweise auf die potestas sacrosancta zurück, die den plebeji-
schen Tribunen zusteht. Dadurch wird die sacratio unter Ausblen-
dung des historischen Gesamtkontextes mit der Macht der Souveräni-
tät kurzgeschlossen. Das Kurzschließen, mit dem die Komplexität
umgangen wird, kommt bei Agamben sehr häufig zum Einsatz. Um
seine These zu untermauern, konstruiert Agamben einen Wider-
spruch in der Figur des homo sacer, den es in Wirklichkeit nicht gibt.
Er weist nämlich darauf hin, daß homo sacer unmöglich in den reli-
giösen Bereich hineingehöre, weil man ihn töten dürfe, während es
verboten sei, die übrigen heiligen Dinge zu verletzen. Agamben ent-
geht offenbar die Tatsache, daß die Tötung von homo sacer deshalb
keine Verletzung der Gottheit darstellt, weil der Mörder als ein Hand-
langer der verletzten Gottheit angesehen wurde. Agamben behauptet
ferner, daß homo sacer nicht nur aus der menschlichen, sondern auch
aus der göttlichen Ordnung ausgeschlossen sei, weil man ihn nicht
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opfern dürfe. Das ist aber ein Fehlschluß, denn Hon10 sacer ist gerade
deshalb nicht opferbar, weil er sich bereits im Besitz der verletzten
Gottheit befindet.
Nur von einem konstruierten Widerspruch ausgehend kann Agam-
ben zu der These gelangen, daß homo sacer keine religiöse, sondern
eine rein politische Figur ist, daß er ein strukturelles Gegenüber des
Souveräns ist. Agamben stellt dabei jene Theorie des Heiligen in Fra-
ge, die angesichts dessen Doppeldeutigkeit göttlich/verflucht die sa-
cratio als einen religiösen Bann erscheinen ließe. Darüber hinaus dis-
kreditiert Agamben pauschal die gesamten religionssoziologischen
Forschungen des 20. Jahrhunderts von Marcel Mauss über Emil
Durkheim bis Freud, die alle auf die Ambivalenz des Heiligen hinge-
wiesen haben. Agambens Begründung entbehrt hier jeder wissen-
schaftlichen Grundlage. Er behauptet nur, im Leben der Begriffe gebe
es einen Moment, in dem sie ihre unmittelbare Intelligibilität verlie-
ren und wie jedes leere Wort sich mit widersprüchlichen Bedeutungen
aufladen können. De1nnach rührt die Doppeldeutigkeit des Heiligen
von der mit der Zeit wachsenden Leere des Begriffes her, die diesen
widersprüchliche Bedeutungen annehmen läßt. Die Doppeldeutig-
keit des Heiligen hat in Wirklichkeit mit der Entleerung der Begriffe
nichts zu tun. Ihr begegnet man auch in der Doppeldeutigkeit des
Blutes, das zugleich reinigt und verunreinigt, heilt und Unheil bringt.
Sie geht letzten Endes auf die Doppeldeutigkeit der Gewalt selbst zu-
rück, die die archaische Religion und deren Opferpraxis beherrscht.
Agambens Lesart zufolge verweist sacer ausschließlich auf die Macht
der Souveränität.
Letzten Endes ist die Frage nicht so entscheidend, ob homo sacer
eine religiöse oder eine rein politische Figur ist. Es kommt vielmehr
auf die Frage an, was Agamben mit dieser von ihm konstruierten Fi-
gur des homo sacer macht, ja warum er eine solche Figur erfindet. Zu-
nächst verlmüpft er sie mit einer radikalen Theorie des Politischen, die
in der provokanten These zum Ausdruck kommt, daß das menschli-
che Leben „nur durch das Überlassensein an eine unbedingte Macht
über den Tod" sich politisiere. Politisch ist der Mensch demnach erst
in dem Moment, in dem er sich der Macht der Souveränität als Macht
über Leben und Tod unterwirft. Angesichts dieser Macht der Souve-
ränität ist jeder potentiell ein homo sacer. So schreibt Agamben: „Im
Gegensatz zu dem, was wir Modernen uns als politischen Raum in Be-
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sehen. Carl Schmitt sieht dagegen im Parler das Unwesen des Politi-
schen. So lehnt er entschieden den Parlamentarismus ab und setzt das
Parler zu einem Palaver herab, das ewig nicht endet und auch zu kei-
ner endgültigen Entscheidung führt. Entscheidend ist die Macht des
Souveräns. In keinem demokratischen Rechtsstaat wird sich jener
sprachlose Raum der Souveränität etablieren können, wo „Gewalt in
Recht und Recht in Gewalt übergeht". Seine Theorie des Ausnahme-
zustandes, wonach der Ausnahmezustand zur Regel wird, kann Agam-
ben nur dadurch plausibel machen, daß er Ausnahmen zur Regel
macht. Auch das Gefangenenlager von Guantanamo ist eine Ausnah-
me und keine Regel. So wird es auch geschlossen. Agambens Theorie
des Politischen hat, nüchtern betrachtet, keine Gültigkeit für den de-
mokratischen Rechtsstaat.
Ausgehend von der angenommenen Wesensnähe zwischen Gewalt
und Recht behauptet Agamben, daß „die Politik sich am Recht infi-
ziere". Aus dem Recht ist die Gewalt gewiß nicht ganz wegzudenken.
Das Recht ist schon, um sich durchzusetzen, auf die Gewalt angewie-
sen. Die Gewalt allein kann aber das Funktionieren des Rechts nicht
erklären. Das Recht beruht nämlich nicht auf ihr. Die Gewalt ist nicht
sein Wesen. Im Hinblick auf eine mögliche Verletzung des Rechts be-
darf es zwar bestimmter Sanktionen. Aber sie ist ein Ausnahmefall.
Sein Wesen zeigt sich gerade im Normalfall, der auf der Anerkennung
beruht. Wer die Rechtsordnung anerkennt, erfährt sie nicht als eine
Gewalt, die seine Freiheit einschränkt. Im Normalfall wird die Mög-
lichkeit der Gewaltanwendung nicht eigens thematisch. Wo das Recht
ganz von der Gewalt abhängt, nähert es sich bereits seinem Ende. Ge-
bannt auf die Wesensnähe zwischen Recht und Gewalt verliert Agam-
ben eine andere Gewalt ganz aus dem Blick, der das Recht entgegen-
wirkt. Genauer zu hören ist auf das Wort von Hesiodos: „Höre du
jetzt auf das Recht und schlag die Gewalt aus dem Sinn dir! Denn ein
solches Gesetz erteilt den Menschen Zeus. Fische zwar sollten und
wildes Getier und gefiederte Vögel fressen einer den anderen, weil un-
ter ihnen kein Recht ist. Aber den Menschen gab er das Recht bei wei-
tem als bestes Gut."
Wie Benjamin gründet Agamben das Recht auf die Gewalt. Ihm
verschließt sich dadurch jene Dimension des Rechts, die gegen die
Gewalt gerichtet ist. So fordert auch Kant in seiner Politik des ewigen
Friedens mehr Recht, mehr Verrechtlichung, um die Gewalt zwischen
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erst ein Handeln, das über die Rechtsordnung, über die Verlmüpfung
von Recht und Gewalt hinaus handelt, ein Handeln, das außerrechtli-
che Kräfte der Vermittlung und Versöhnung hervorbringt. Eine Poli-
tik der Freundschaft ist demnach politischer als die Politik der Gewalt
oder der Souveränität. Die Politik der Freundschaft ist aber eine Poli-
tik des Normalfalls. Der Ausnahmezustand markiert dagegen das
Ende des Politischen.
Seine Theorie der Souveränität, die ein nacktes, tötbares Leben pro-
duziert, weitet Agamben über das Politische hinaus auf andere Berei-
che aus. So zählt er zu den homines sacri auch jenen Ultrakomatösen,
der über den Ausfall von Bewußtsein, Mobilität und Sensibilität hi-
naus alle vegetativen Lebensfunktionen verloren hat, der aber durch
eine künstliche Beatmung und Ernährung am Leben erhalten werden
kann. Agamben konstruiert eine sehr problematische Beziehung zwi-
schen dem Ultral(omarösen und der Macht der Souveränität. Hier
hänge, so Agamben, die verschiebbare Grenze zwischen Leben und
Tod nicht mehr von der wissenschaftlichen, sondern von der politi-
schen, d. h. „biopolitischen" Entscheidung des Souveräns ab. So be-
stimme die „Ausübung der souveränen Macht" „erneut die medizini-
schen und biologischen Wissenschaften". Der Raum, in dem der Ul-
trakomatöse zwischen Leben und Tod schwanke, bilde einen „Raum
der Ausnahme, in dem das nackte Leben im Reinzustand erscheint".
In diesem biopolitischen Horizont bewege sich der Arzt in einem Nie-
mandsland, „in das einst nur der Souverän vorstoßen konnte". Wieder
beschwört Agamben den Ausnahmezustand und die Macht der Sou-
veränität. Damit setzt er sich aber über die komplexe Problematik der
Bioethik hinweg. Wo neue medizinische Technologien zur Anwen-
dung kommen, wie beim Klonen, entstehen rechtsfreie Räume, die
rechtlich erfaßt werden müssen, nicht zuletzt zum Schutz des Lebens,
denn gerade die rechtsfreien Räume lassen Willkür und Gewalt zu.
Agamben trägt jener Frage nach Freiheit und Menschenwürde über-
haupt keine Rechnung, die die bioethischen Diskussionen von heute
bestimmt.
Gebannt auf den Ausnahmefall verliert Agamben den Normalfall
ganz aus dem Blick. Die Überwindung der von ihm beschworenen
Krisis wird er entsprechend nur von einem Ausnahmefall erwarten
können. Außerhalb der Rechtsordnung befinden sich nämlich nicht
nur der Souverän, sondern auch der Messias: „Vom politisch-juridi-
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den. Sie grenzen sich nicht mehr voneinander ab. Die Ränder, die ver-
schwimmen oder verfließen, sind Agamben zufolge Zugänge oder
Öffnungen, in denen sie miteinander schrankenlos kommunizieren.
Die Erlösung der Dinge besteht nicht darin, daß sie eine ganz andere
Gestalt annehmen. Sie besteht vielmehr in einem Unbestimmtwer-
den, in einem unmerklichen Ausfransen, in einem leisen Zittern der
Ränder, das ihnen einen besonderen Glanz verleiht. Er ist, so Agam-
ben, ihre „Aureole", nämlich ihr Heiligenschein.
Agamben entwirft einen Sehnsuchtsraum, der eher im fernöstlichen
Denken vorzufinden wäre. Bekanntlich zelebriert auch der chinesi-
sche Philosoph Zhuangzi den Sabbat der Welt. Seine Welt ist ganz
vom Nutzen und Zweck befreit. Dort geben sich die Menschen dem
desa::urement, dem Wu-Wei, hin und wandern in Muße. Zhuangzis
Welt kümmert sich ebensowenig um die biopolitische Optimierung
des Lebens. Darum ist sie von Einbeinigen, Buckligen, Verwachsenen,
Zeh- und Fußlosen bevölkert. Nicht zufällig beruft sich Agamben in
der „kommenden Gemeinschaft" auf den Buddhismus, um seinen Er-
lösungsgedanken zu erörtern. Er weist darauf hin, daß „es zwischen
dem Nirwana und der Welt nicht den mindesten Unterschied gibt".
In seiner Theorie der Erlösung erläutert er die buddhistischen Gedan-
ken in scholastischer Terminologie. Über die Erlösung spricht er wie
ein Zen-Meister: „Das eigenste Merkmal der Erlösung ist, dass sie uns
erst in dem Moment zuteil wird, in dem wir uns nicht mehr wün-
schen, erlöst zu werden." „Es gibt nichts Heiliges." So lautet auch die
zen-buddhistische Formel der Profanierung. Die Erlösung besteht da-
rin, mit der Welt-Iinmanenz, mit deren So-Sein ganz zu versch1nel-
zen. Die Welt nach der Erlösung unterscheidet sich inhaltlich in
nichts von der Welt vor der Erlösung. Alles wird so sein wie es jetzt ist.
Agamben zitiert Benjamin: „Ein Rabbi, ein wirklich kabbalistischer,
sagte einmal: um das Reich des Friedens herzustellen, werden nicht
alle Dinge zu zerstören sein und eine ganze neue Welt fängt an; son-
dern diese Tasse oder jener Strauch oder jener Stein und so alle Dinge
sind nur ein wenig zu verrücken. Weil aber dieses Wenige so schwer zu
tun und sein Maß so schwierig zu finden ist, können das, was die Welt
angeht, nicht die Menschen, sondern dazu kommt der Messias." In
dem erlösten Zustand kehren die Dinge in ihr So-Sein zurück, indem
sie von dem ihnen äußerlichen Zweck und Zwang befreit werden. Die
Welt wird nur freier um ein Ja: „So sei es. Nur das So jeder Sache be-
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jahen, sie, jenseits von gut und böse. Doch so bedeutet nicht einfach:
auf diese oder jene Weise, mit diesen bestimmten Eigenschaften. ,So
sei es' bedeutet: Es sei so. D.h.: Ja." Die Welt des So-Seins ist eine
Welt vor jedem Unterschied, jeder Repräsentation, vor jeder Vorstel-
lung, vor jeder Sinngebung, vor jeder Dinglichkeit, vor jeder Prädizie-
rung, vor jeder Ordnung, vor jeder Gesetzmäßigkeit, letzten Endes
vor jedem Ja oder Nein, eine Welt ohne Ziel und Zweck. Zu Ende ge-
dacht, ist sie eine Welt totaler Konfusion, für die „ein geistreicher Phi-
losoph des 14. Jahrhunderts die treffende Bezeichnung actus confu-
sionis, Akt der Vermischung, fand". Wie ihn aber von der Gewalt un-
terscheiden, die bekanntlich ent-differenzierend, ja ent-setzend wirkt?
Agambens Philosophie ist eine Philosophie radikalen Rückzugs. Er
zieht sich in einen Raum außerhalb des ius humanum zurück. So be-
gibt er sich in jenen Raum, den nicht nur homo sacer, sondern auch
jene Liebenden bewohnen, die „die römischen Dichter als sacri be-
zeichnen, weil sie sich von den übrigen Menschen abgesondert und in
eine Sphäre jenseits des göttlichen wie des menschlichen Rechts bege-
ben haben". Wie Messias oder Liebende bewohnt Agamben selber den
Raum außerhalb des ius hu1nanum. Agambens Denken ist stark von
einem Erlösungsbedürfnis beherrscht. Würde die Erlösung einem tat-
sächlich erst in dem Moment zuteil, in dem man sich nicht mehr
wünscht, erlöst zu werden, so bestünde die Erlösung gerade in der
Rückkehr in den Normalzustand, ins ius humanum. Auf ein überstei-
gertes Erlösungsbedürfnis ist auch die Konstruktion jenes messiani-
schen Sehnsuchtsraumes zurückzuführen, in dem „die Menschheit
mit dem Recht spielen (wird) wie Kinder mit ausgedienten Gegen-
ständen". Die Erlösung verdankt sich womöglich der nüchternen Ein-
sicht, daß allein eine umfassende Rechtsordnung, wie sie auch Kant in
seiner Politik des ewigen Friedens vorschwebt, den homo sacer in ei-
nen homo liber zu verwandeln vermag. Auch die Liebenden müssen
zunächst liberi sein und auch bleiben, bevor sie in ihrer Liebestrun-
kenheit sacri werden. Sie müssen nämlich vor jener Gewalt geschützt
sein, der aber Agamben kaum Rechnung trägt. In „Homo sacer" fin-
det sich interessanterweise eine Stelle, und zwar ein Zitat aus der Mag-
na Carta Libertatum (1215), dem Agamben jedoch kaum Beachtung
zu schenken scheint. Auf die in ihr festgelegten Grundrechte rekur-
riert gerade die Verfassung der Vereinigten Staaten. Es handelt sich
um eine einzige Stelle in „Homo sacer", wo bezeichnenderweise vom
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homo liber die Rede ist: „Kein freier Mensch [homo liber] darf ver-
haftet, eingesperrt, seiner Güter beraubt noch außerhalb des Gesetzes
gestoßen [utlagerur] noch irgendwie belästigt werden; wir werden
nicht die Hand auf ihn halten noch halten lassen [nec super euro ibi-
mus, nec super euro mittemus], wenn nicht aufgrund eines rechtmäs-
sigen Urteils von seinesgleichen und nach dem Gesetz des Landes." Es
sind gerade diese Grundrechte des homo liber, die auch dazu geführt
haben, daß das Gefangenenlager Guantanamo geschlossen wird. Die
Matrix der Moderne ist, so gesehen, nicht das Lager mit seinem homo
sacer, sondern die Freiheit des homo liber.
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