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Renate Luscher Von der Wende bis heute

Landeskunde Deutschland

Aktualisierte Fassung
2009
für Deutsch
als Fremdsprache

20 fahre Fas! der Mauer

VERLAG für DEUTSCH


■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Renate Luscher
Renate Luscher Von der Wende bis heute

Landeskunde Deutschland
Aktualisierte Fassung
2009

für Deutsch
als Fremdsprache

VERLAGf^r DEUTSCH
Vo rw o rt

D .is Jahr 1989 - die Wende genannt - ist der schiedene Themen aus dem Bereich der Wirtschaft
größte Einschnitt in der jüngeren Geschich­ bergen noch ungelöste Probleme und es ist anzuneh­
te Deutschlands. 1989 fiel die Mauer in Ber­ men, dass sie uns noch länger begleiten werden.
lin, eine vierzigjährige Teilung war beendet.
I Ile /eil bis heute bildet deshalb den Schwerpunkt die- Informationen für Deutschlehrer und -lerner mit
m• 1 I undeskunde. Die Auswirkungen, der Wandel der guten Sprachkenntnissen (B2 - C2) zu liefern, ist der
Hrlinillk hkeiten und der Stimmungen wie auch die Hauptzweck dieses landeskundlichen Lesebuchs. Es
Wlilsi haftlichen Konsequenzen beschäftigen dieMen- kann auch als Referenzmaterial in fortgeschrittenen
m hen und die Politik in unseren Tagen. Bis ins Jahr 2019 Klassen oder auswahlweise zum Lesen und Diskutie­
n 11 hl das Milliardenprogramm für den Aufbau in Ost- ren eines bestimmten Themas verwendet werden. Die
ilriitschland. Kapitel sind im Allgemeinen so aufgebaut, dass sich an
I )|p Jahre 2004 und 2007 brachten weitere Ereignisse, den informativen Teil ein authentischer Text-entspre­
die die Landkarte Europas verändert haben: Mittel- chend dem Thema ein Sach- oder Fachtext bzw. ein
iiiul osteuropäische Länder traten der Europäischen literarischer Text - anschließt. Dieser konkretisiert den
I Inion (EU) bei, Europa vereinigte sich. vorher behandelten Stoff, bringt neue Sichtweisen ins
Air, unterrichtspraktischen Gründen wurde diesem Spiel und ist vielleicht geeignet, die Darstellung ein
lest’buch das Themengerüst einer allgemeinen wenig in Richtung „Objektivität" zu rücken.
I .mdeskunde zugrunde gelegt. Ein großer Teil des Verschiedene Textsorten, je nach Anlass ausgewählt,
I rsebuchs besteht deshalb aus allgemeinen landes- schaffen weitere Abwechslung. Die sich anschließen­
kmidlichen Informationen; zusammen mit den histori- den Aufgaben sind als Anregung für den Lehrer
m hen Rückblicken können diese Basisinformationen gedacht oder als konkrete Aufforderung an den
geeignet sein, die Ereignisse der jüngsten Zeit besser Sprachlerner zur Weiterarbeit am Thema. Die Auf­
rillzuordnen und zu verstehen. Diesem Zweck dient gaben betreffen meist einen neuen Aspekt, der sich
auch die chronologische Übersicht im Anhang. aus dem Text ergibt und oft nur mit Eigeninitiative zu
lösen ist. Bei einigen schwierigen Texten werden
So ist das Lesebuch am Ende zu einer Sammlung Vorschläge für das globale Verstehen gemacht.
von Bausteinen geworden, die wie ein Puzzle verschie­ Wichtige Schlüsselwörter - wie zum Beispiel
dene Aspekte des heutigen Deutschland zusammen- „Hilfsorganisationen",„Bachelor",„Solidarpakt II",
■■teilt und dabei Fakten berücksichtigt, die speziell mit „Amtssprachen der EU" und viele mehr-werden als
der Vereinigung Deutschlands zu tun haben. Ein Stich Wörter aus dem laufenden Text herausgezogen
Kriterium für die Themenauswahl war auch die Be­ und kurz erklärt. Insgesamt sind die Texte und
obachtung, dass bestimmte Fragestellungen über Aufgaben als Material zu sehen, das weiter ausgear­
einen längeren Zeitraum die Öffentlichkeit beschäftigt beitet und durch Zeitungsausschnitte und Internet­
haben. Dazu gehören die Diskussionen über soziale recherchen aktuell ergänzt werden sollte. Hilfreich
Fragen, die europäische Verfassung, das Grundgesetz sind dabei die Informationen und die Erklärung aktuel­
oder über das Thema Globalisierung. Diese sowie ver­ ler Wörter auf den Internetseiten des Verlages:
Vo r w o r t

www.deutsch-verlag.com. Wissensvermittlung soll die perstein noch auf dem Wege liegen, bitten wir um Nach­
Basis sein, auf der die iriterkuILurelle Phase aufbaut. sicht. Über Ihre Zuschriften würden wir uns freuen.
Das Land der Lerner wird zum Partnerland und die Wir bemühen uns,jede Auflage so zu kalkulieren, dass
Lerner zu Partnern, die ihre Themen selbst bestimmen wir jedes Jahr eine völlig überarbeitete Neuauflage
und Projekte entwickeln: Briefaustausch, herausbringen können. Dadurch ist die Aktualität weit­
Reisevorbereitungen usw. Das Lesebuch könnte dabei gehend gesichert. Ergänzende Informationen veröf­
der Katalysator für Aktionen sein, die das Verstehen fentlichen wir laufend auf unserer Homepage unter
der anderen und der eigenen Kultur zum Ziel haben. „Infos des Monats" und „Aktuelle Wörter".

Über den engeren Rahmen eines landeskundlichen Verfasserin und Verlag


Lesebuchs des vereinigten Deutschland geht das Kapi­
tel „Kulturelles" hinaus, indem es auch die Nachbarlän­
der miteinbezieht und historisch zurückgreift. Da Kul­
tur nur grenzüberschreitend verstanden werden kann, Die vorliegende Auflage haben wir gründlich durchge­
werden an sich notwendige Informationen unüber­ sehen und aktualisiert. Sofern Artikel ein älteres Datum
schaubar; internationale Verflechtung und Austausch tragen, sind sie unverändert aktuell geblieben. Diese
wären das eigentliche Thema. In diesem Rahmen kann Ausgabe ist zum ersten Mal durchgehend vierfarbig
deshalb nur eine bescheidene Auswahl geboten wer­ gedruckt, wobei die farbigen Fotos einen optisch
den, die an bestimmte Orte und bekannte Namen interessanten Kontrast zu den schwarz-weißen Zeich­
anknüpft. Nicht berücksichtigt sind unter anderem nungen, den Porträts und historischen Fotos bilden.
Architektur und Malerei, die bei der Kürze der Darstel­
lung nur zu einer Aufzählung von Namen ohne ent­
sprechende Bebilderung geführt hätten. Ebenfalls
nicht enthalten ist eine Darstellung von Sitten und
Gebräuchen, die von einer aktuellen Thematik zu weit
abgewichen wäre.

Eine konkretisierende und objektivierende Funktion


haben die zahlreichen Abbildungen, die direkt mit den
jeweiligen Textabschnitten verknüpft sind. Auf den Ein­
stiegsseiten sind Fotos, Zeichnungen und Texte abge­
bildet, die einen wichtigen Aspekt des jeweiligen Kapi­
tels herausgreifen und Assoziationen in Gang setzen
sollen.

Aus dem zu Beginn Gesagten wird offensichtlich, dass


dieses Lesebuch nur eine Art Hürdenlauf mit vielen Stol­
persteinen sein kann.SolltedereineoderandereStol­
In h a l t

1. Geografische Lage u n d Bevölkerung 7

Die B undesrepublik D eutschland O rte und ihre D ichter 110


seit der Vereinigung 9 Das vereinte D eutschland u n d
W echselhaft m it sonnigen seine A utoren 115
A bschnitten 11 Die Welt und die B ühnenw elt 121
Die Bevölkerung 11 Z entren der M usikgeschichte 125
Deutsch und andere Sprachen 14 Filmereignisse 129
Deutsch in der Europäischen Union 17 Vielfalt der M useen 133
Deutsche und Ausländer 19
I6. Aus der W irtschaft 135

2. Die alten u nd n eu en Bundesländer 23 Die Welt der Arbeit 136


Made in G erm any 139
Die alten un d n euen Bundesländer 24
Zukunftsm arkt EU 142
Um weltsorgen 145
3. Soziales 59 Verkehrswege 149
Neue Technologien 151
Die Familie 60
Bewusstseinswandel 154
W ohnen heute un d m orgen 61
Die Frau, Familie und Beruf 64
A nhang 158
Jugendliche nach der W ende und heute 67
Die Z ukunft gehört den Alten 75
1listorische Rückblende 159
Freizeit u n d Sport 77
Literatur 168
Bildquellen 171
I4. Politik u n d öffentliches Leben 83 Lösungen u n d B ildinform ationen 171
Index 172
Das parlam entarische
Links 176
Regierungssystem 84
Zukunft Europa 90
Die M edien - Presse, R undfunk
u n d Fernsehen 94
Schule u n d Studium 98
Berufliche Bildung 104
W eiterbildung 107
1. Geografische Lage und
Bevölkerung

Dein Ovisks e f h J u d e
Dein Auto G i n Japaner
Derne f*l7 Z o l + d t c e n u c K
U eti»e Oenoifofie g r l e ch is c K
Dem Kaffee ErajiXüif'i.'Sch
Dein U rlau i t u r K is c h
Deine 2 aWen<»»r<,k^ ci' ,
Deine S c h r if t L a t e i n i s c h
UftdOemüßdiio r nu r ein AuslcmJer?

Zivilcourage
■ W im
8 G e o g r a f i s c h e La g e und B evö lkerung

Großgliederung Europas
] nach heutigen Staatsgrenzen
—— nach kulturräumlichen Kriterien

%M o r d €»>u r o p a
/ ; /' /
Schweden/ Finnland

B.-H. Bosnien-Herzegowina
K. Kosovo Russland
L. Liechtenstein 3. Norwegen
M. Montenegro
Maz. Mazedonien
S. Slowenien
O ste u rop mm

Dänemark ■( Ostsee Litauen


Nordsee
Weißrussland
G roßbritannien
Nieder­
lande « Polen T /'
Deutschland \ Ukraine
Belgien Mijfct'öTettAfopa l
fcä i
Luxemburg Tschechien ^ v x / V J
Moldawien
W e ste uro pa
fr{ ;, ; reich / Ungarn I Rumänien
Frankreich j
Schwarzes Met

>erbien;
I Kroatien!
Monaco
Andorr* Italien
Türkei
Spanien

Vorschlag des
Ständigen Ausschuss für geographische Namen (StAGN)

A lba nie n - Belgien - Bulgarien - D ä n e m a r k - N o rw e ge n - Österreich - Polen - Portugal -


D eu tschlan d (die Bund e srepu blik D e utschland) R u m ä n ie n - Russland - S chw eden - die Schw eiz
- Estland - Finnla nd - Frankreich - G r ie c h e n ­ - d i e S lo w ak is che Republik - S lo w e nie n -
land - G r o ß b r i t a n n i e n - d i e N ie de rlan de S panien - d ie T sc h e c h is c h e Republik
(Holland) - Irland - Island - Italien - Kroatien - (Tschechien) —d ie T ürkei —die U k r a i n e - U n garn
Lettland - Litauen - L u x e m b u r g - M o ld a w ie n - -W e iß ru s s la n d
G e o g r a f i s c h e La g e und B evölkerung 9

Die Bundesrepublik Deutsch­ Schw eiz-in Mitteleuropa. Seit der Vereinigung der
Bundesrepublik Deutschland mit der Deutschen
land seit der Vereinigung
Demokratischen Republik am 3. Oktober 1990 und der
(3. Oktober 1990) Öffnung der Grenzen auch zu den östlichen Nachbar­
staaten ist Deutschland Durchgangsland im Austausch
1 Auf einen Blick zwischen Ost und West.
Staatsform: Demokratisch-parlamentarischer Es grenzt im Norden an Dänemark, im Osten an Polen
Bundesstaat und dieTschechische Republik (auch Tschechien
Fläche: 357023 km2 genannt), im Süden an Österreich und die Schweiz und
Zum Vergleich: im Westen an die Niederlande, Belgien, Luxemburg und
Frankreich 543 965 km2 Frankreich.
Polen 312 683 km2
Italien 301 302 km2
Großbritannien 242100 km2
Österreich 83858 km2 A ufgaben
Schweiz 41 293 km2 1. Wie viele Länder grenzen an Deutschland?
Nord-Süd-Ausdehnung: 876 km2 2. Vergleichen Sie die Länge der gemeinsamen Grenzen.
West-Ost-Ausdehnung: 640 km2 3. Vergleichen Sie die geografische Lage mit der Ihres
Gliederung: 16 Bundesländer Landes.
Hauptstadt: Berlin

Das Stichwort Hauptstadt li Auf einen Blick: Länge der Grenzen


1948 wurde Bonn provisorische Bundeshauptstadt. Die Gemeinsame Grenze Deutschland...
alte Hauptstadt Berlin stand seit Kriegsende unter der Dänemark 67 km
Verwaltung der vier Siegermächte (Frankreich, Großbri­ Niederlande 567 km
tannien, Sowjetunion, USA = Vier-Mächte-Status Ber­ Belgien 156 km
lins). Nach der Vereinigung beschloss der Bundestag im Luxemburg 135 km
Juni 1991 die Verlegung von Bundesregierung und Par­ Frankreich 448 km
lament von Bonn nach Berlin. Der Umzug war bis zum Schweiz 316 km*
Jahr 2000 abgeschlossen (siehe auch S. 35). Österreich 815 km*
Tschechische Republik 811 km
Das Stichwort Wende Polen 442 km
(= Vereinigung / Wiedervereinigung) Insgesamt 3757 km
Mit diesem Begriff wird die Ablösung des kommunisti­ (Statistisches Jahrbuch)
schen Regimes im Herbst 1989 bezeichnet.
* = ohne Bodensee
Deutschland liegt wie auch die übrigen deutschspra­
chigen Länder-Österreich und ein großer Teil der
G e o g r a f i s c h e La g e und Bevölkerung
G e o g r a f i s c h e La g e und Bevölkerung 11

Wechselhaft mit Am kältesten wird es im Winter in den Alpen und in


den Hochlagen der Mittelgebirge; am wärmsten ist es
sonnigen Abschnitten
im Rheintal und am Bodensee, wo auch die Baumblüte
am frühesten beginnt.
II Auf einen Blick Der Anteil des Hochgebirges beschränkt sich auf den
Der höchste Berg: die Zugspitze (2962 m) Süden Bayerns. Die höchste Erhebung ist die Zugspitze.
Wie sich die globale Erwärmung auf das Klima auswir­
Die wichtigsten Flüsse: der Rhein,
ken wird, ist noch nicht abzusehen. Spürbar ist bereits,
die Elbe, die Donau, die Weser
dass die Sommer extremer werden: Überschwemmun­
Die größten Seen: der Bodensee (539 km2, davon
gen und Hitze nehmen zu. Die Winter werden milder
305 km2 Deutschland. Auf der Seemitte Grenze zur
und feuchter, und die Alpengletscher schmelzen.
Schweiz und zu Österreich.), die Müritz (110 km2;
Mecklenburg), der Chiemsee (82 km2; Bayern)
Jahresdurchschnittstemperatur:
Freiburg (Baden-Württemberg) io,7°C, Oberstdorf A ufgaben
(Bayern) 6,i°C 1. Nehmen Sie eine Landkarte zu Hilfe und
stellen Sie die Länge der Flüsse und die Höhe der
Mittelgebirge fest.
Deutschland liegt in einer gemäßigten Klimazone, die
2. Vergleichen Sie mit Ihrem Land.
durch wolken- und regenreiche Westströmungen vom
3-
Atlantik her geprägt ist. Das Wetter wechselt häufig.
Niederschlag fällt zu allen Jahreszeiten. Nach Osten
und Südosten macht sich der Übergang zu mehr konti­
nentalem Klima bemerkbar. Die Temperaturschwan­
kungen sind aber nirgends extrem. Charakteristisch für
den nördlichen Alpenraum ist der Föhn, ein Fallwind, Die Bevölkerung
der die Temperaturen sprunghaft ansteigen lässt und
für Stunden oder auch Tage strahlend blauen Himmel Das Stichwort die neuen Bundesländer
beschert. und die alten Bundesländer

Die geografischen Begriffe - im Osten, im Westen -


waren auch immer politische Bezeichnungen. Neben
„Westdeutschland" sagt man heute auch „die alten
Bundesländer". Den östlichen Teil der Bundesrepublik
bezeichnet man als „Ostdeutschland“ oder als „die
neuen Bundesländer". Die Jahre nach der Wende
wurden die Bewohner umgangssprachlich auch „Ossis"
und „Wessis" genannt.

Am Bodensee
G e o c r a f i s c : h e *-Ag e und B evö lkerung

A uf einen E*,ick Stadt und Land


E inw ohnerzahl: 82 258 000
Stand Ende ? ° ° 7: Deutschland gehört zu den am dichtesten besiedelten
alte Bundes 68 445 000 Regionen Europas.Trotzdem sind fast 90% der Gesamt­
(Stand 200d: 67 140 000) fläche Äcker, Wiesen und Wälder. Der frühere Grenzstrei­
neue Bundesla™ V : 13 813 000
fen, der „Todesstreifen", ist in vierzig Jahren der Teilung
(Stand 200C,: 15 119 000)
*mit Berlin-Ost ein 1393 Kilometer langes „Grünes Band“ geworden, in
Ay dem selteneTier- und Pflanzenarten zu Hause sind.
Zum Verglek '
Frankreich 61 467 000 Der Ausbau der Infrastruktur, der Bau von Straßen und
Italien 58 887 000 Bahnlinien, reduziert allerdings laufend die landwirt­
Polen 38 082 000 schaftlichen Flächen. Diese Entwicklung ist besonders
Österreich 8 193 000
in den östlichen Bundesländern zu beobachten.
Schweiz 7 484 000
Europa ca. 810 Mio.
% der Weltbevölkerung)
Be v ö l k e r u n g s e n tw ic k lung___________

B e v ö lk e r u r ^ ^ h t e :
Die Zahl der Geburten gleicht die Zahl der Sterbefälle
(Stand: 2006)
231 E inw otfJ? Pto km2 nicht aus, obwohl die Geburten rate in letzter Zeit wie­
(Nordrhein- ^ st^ le n 529, der steigt.
Mecklenburg" orhommern 73) Da die durchschnittliche Lebenserwartung über 80 Jah­
rh * ren, bei Frauen sogar bei 88 liegt, wird der Anteil der
Zum Verglek *
Italien 195,5 pro km2 Älteren an der Gesamtbevölkerung größer, mit dramati­
Schweiz 181,2 pro km2 schen Folgen. Die notwendigen, sich über Jahre hinzie­
Polen 121,8 pro km2 henden Reformen betreffen die Sozialsysteme (Kran­
Frankreich 112,7 pro km2 ken- und Pflegeversicherung, Ausbau der Kinderbetreu­
Österreich 99,7 pro km2
ung, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung)
und das Steuersystem (Unternehmenssteuer, Erb­
Städtische S ^ Q jjterung: 88 %______ _ schaftssteuer).

Religion:
(Stand: 2006)
30,4 % Protestanten
Religion______________________________
31,2 % Katholiken
ca. 4,2 % Muslime ln Deutschland sind Kirche und Staat getrennt. Die
Minderheit^11' rthodoxe, Angehörige Trennung ist aber nicht strikt durchgeführt: Der Staat
jüdischen C* au ehs, Buddhisten
zieht die Kirchensteuer ein, der Religionsunterricht ist
Lehrfach an öffentlichen Schulen. Der Staat profitiert
(Quelle: StatistiSCheS ^ndesam t)
von der karitativen Tätigkeit der Kirche, und die Kirche
hat Einfluss in vielen gesellschaftlichen Bereichen.
Im m o r m o h r A ll« : D lo D o v ö lk o r u n g D ou tsch ln n cft»
1910 1990 2030
A lto r «0 [
In Jnhron , t

7 QUELLE:
Statistisches
Bundesamt

Zurzeit verliert die Kirche an Einfluss. Die Zahl der Mit­ Stasi überwacht. Die Friedensgebete richteten sich in
glieder bei der römisch-katholischen und der evangeli­ letzter Zeit gegen sozialen Abbau, Neonazis oder gegen
schen Kirche ist in den vergangenen Jahren kontinuier­ den Irak-Krieg.
lich zurückgegangen. In den neuen Bundesländern
gehören weit weniger Menschen der Kirche an als in Heute leben über 100 000 Juden in Deutschland; zwei
den alten. In Ostdeutschland gibt es noch eine Reminis­ Drittel sind aus den Staaten der GUS (= Gemeinschaft
zenz aus kommunistischer Zeit. Das ist ein nichtreligiö­ Unabhängiger Staaten) eingewandert. Mehr als fünfzig
ses Fest für 14- bis 15-jährige Jugendliche zur Feier des Jahre nach der Shoa ist die Zahl derer, die das KZ überleb­
Erwachsenwerdens, das im Gegensatz zu den entspre­ ten oder aus dem Exil zurückkamen, heute in der Minder­
chenden kirchlichen Veranstaltungen steht: die heit. Ihr Misstrauen ist eher gewachsen als zurückgegan­
Jugendweihe oder Jugendfeier. Heute werden die gen. Die Gruppe der Kinder und der Enkel engagieren sich
Jugendlichen natürlich nicht mehr auf den Staat ein­ dennoch in der schwierigen Heimat.
geschworen, sondern zu Toleranz und zur Achtung der Trotz rechtsextremistischerTendenzen vertrauen die
Menschenrechte aufgerufen. meisten auf die demokratische Mehrheit,für die eine
Kirchlichkeit hatte in Ostdeutschland einen anderen Stel­ Wiederholung der nationalsozialistischen Vergangenheit
lenwert als in Westdeutschland. Vor der Wende hat die undenkbar ist. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden
evangelische Kirche im Osten kritischen Stimmen Schutz in Deutschland warnt vor Antisemitismus und Intoleranz.
gewährt. Deshalb hat kirchliche Bindung für junge Leute
im Osten mit politischem Protest zu tun gehabt, während Das Stichwort
im Westen Kirchenzugehörigkeit eher konservativ-tradi­ Zentralrat der Juden in Deutschland
tionellen Einstellungen entspricht. In den neuen Bundes­ Gegründet 1950 in Frankfurt am Main als Dachorgani­
ländern sind die meisten evangelisch und nur fünf Pro­ sation der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik.
zent der Bevölkerung katholisch. Er unterstützt deren Wiederaufbau und übernimmt
soziale Aufgaben (Zentralwohlfahrtsstelle der deut­
Ab 1982 organisierte Christian Führer, Pfarrer in der schen Juden).
Nikolaikirche in Leipzig, Friedensgebete. Im Herbst 1989
wurde die Kirche zum Ausgangspunkt der gewaltfreien Die Jüdische Gemeinde in Berlin ist mit mehr als 12 000
Montagsdemonstrationen, die wesentlich zum Zusam­ Mitgliedern die größte in der Bundesrepublik. Sie hatte
menbruch der DDR beigetragen und zum Fall der Berli­ Ende der 2oer-Jahre 160 000 Mitglieder. Heute stammt
ner Mauer geführt haben. Pfarrer Führer wurde von der die Mehrzahl nicht mehr aus Deutschland. Bereits in den
G e o g r a f i s c h e La g e und B evölkerung

6oer- und 7oer-Jahren hat die Zuwanderung aus der ehe­ Deutsch und andere Sprachen
maligen Sowjetunion begonnen. In den vergangenen Jah­
ren sind Zehntausende aus der GUS und Polen eingewan­ Wo wird Deutsch gesprochen?
dert, ein Drittel von ihnen hat sich in Berlin niedergelas­
sen. Die Gemeinde bietet ein vielseitiges Kulturpro­ Das Stichwort Deutsch
gramm. Die Grundschule und die Jüdische Oberschule Von althochdeutsch diutisc = das Adjektiv zu diot(a)
vermitteln jüdische Erziehung. Die Jüdische Volkshoch­ (das Volk). In der Form theodiscus wird das Wort ins
schule organisiert Kurse und Vorträge, das jährlich statt­ Lateinische übertragen.
findende Jewish Film Festival“ und diejüdischen Kultur­ Theodisca lingua hieß dann die Sprache der germani­
tage". Am 9. November 2006 wurde in München die neu schen Stämme im Reich Karls des Großen. In einem
errichtete Hauptsynagoge eröffnet. Das neue Gemeinde­ Dokument des 8. Jahrhunderts wird theodiscus im
zentrum liegt in der Mitte der Stadt und kehrt damit an Gegensatz zur lateinischen Sprache gebraucht und
ihren ursprünglichen Ort zurück. Die Münchner Jüdische meint die Sprache des Volkes.
Gemeinde ist inzwischen die zweitgrößte in Deutschland.
Deutsch ist Landessprache in der Bundesrepublik
Mehr als 3,2 Millionen Muslime leben heute in Deutsch­ Deutschland, in Österreich, in der Schweiz, in Liechten­
land und werden auch in Deutschland bleiben, weil sich stein und in Südtirol (Italien). In der Schweiz sind alle
die meisten mit der deutschen Gesellschaft identifizie­ vier Sprachen - Deutsch, Französisch, Italienisch und
ren. In einer Islamischen Charta stellte der Zentralrat der Rätoromanisch - auch Amtssprachen.
Muslime 2002 fest, dass die im Zentralrat vertretenen Außerhalb der Staatsgrenzen der Bundesrepublik gibt
Muslime die rechtsstaatliche und demokratische Grund­ es auch deutschsprachige Gebiete in Luxemburg, Bel­
ordnung der Bundesrepublik Deutschland einschließlich gien und in Frankreich (das Eisass), in der Tschechischen
des Parteienpluralismus, des aktiven und passiven Wahl­ Republik und in Polen.
rechts der Frau und der Religionsfreiheit bejahen.
In verschiedenen Städten entstehen neue Moscheebau­ Durch die starke Rückwanderung von Aussiedlern vor
ten mit Begegnungszentren für den interreligiösen und allem aus der GUS (= Gemeinschaft Unabhängiger
interkulturellen Dialog. In Duisburg, in einer der ältesten Staaten, insbesondere aus Kasachstan und Russland)
und größten islamischen Gemeinden, ist im Oktober und aus Rumänien (Siebenbürgen und dem Banat) hat
2008 die größte Moschee Deutschlands eingeweiht sich die Zahl der in den osteuropäischen Ländern
worden. lebenden deutschstämmigen Bevölkerung stark verrin­
gert. Der Strom der Aussiedler verebbt aber langsam;
Das Stichwort Zentralrat der Muslime die Zahl derer, die noch nach Deutschland auswandern,
in Deutschland (ZMD) ist gering.
Der Zentralrat ist ein Spitzenverband der islamischen Die Ansiedlung der Deutschstämmigen in ihren ehe­
Dachorganisationen in Deutschland, der sich als Interes­ maligen Siedlungsgebieten an der Wolga, wo sie 1941
senvertretung und als Ansprechpartner versteht. Zu den von Stalin vertrieben wurden, und die Wiederherstel­
Dachorganisationen gehören u.a. deutsche, türkische, lungeiner eigenen Republik ist heute kein Thema
arabische, albanische, bosnische und persische Muslime. mehr.
G e o g r a f i s c h e La g e und B evö lkerung

M in de rhe it en in De utschland Die Zigeuner stammen aus Nordwestindien. Sie sind


vor fast sechs Jahrhunderten nach Deutschland, Öster­
Deutschland hat 1998 als zehntes Europaratsland die reich und in die benachbarten Regionen eingewandert.
Minderheitenschutz-Konvention ratifiziert. Die „Charta Die in Deutschland geborenen Zigeuner bezeichnen
zum Schutz der Regional- und Minderheitensprachen" sich selbst als „Sinti". Dagegen nennen sich Zigeuner,
ist am 1.1.1999 in Kraft getreten. Anerkannte Minderhei­ die seit dem 19. Jahrhundert aus Ost- und Südeuropa
ten sind etwa 30 000 Dänen in Schleswig-Holstein, Frie­ nach Deutschland kamen,„Roma". Als Roma bezeich­
sen, ca. 30 000 Sinti und Roma und rund 60 000 Sorben net sich auch die große Mehrzahl der europäischen
in den neuen Bundesländern Brandenburg und Sachsen. Zigeuner. Sie sind die größte Minderheit in Europa.
Die Sorben oder Wenden sind im 7. Jahrhundert einge­ Die deutschen Sinti sprechen Deutsch und Romani.
wandert und siedeln in der Gegend zwischen Cottbus Durch ihre zum Teil nicht sesshafte Lebensweise und
(Brandenburg) und Bautzen (Sachsen). Sie sind das west­ ihre eigenen Traditionen werden sie oft aus dem sozia­
lichste slawische Volk, das sich aber schon fast vollstän­ len und gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt.
dig integriert hat. Die Sprachkenntnisse der sorbischen Der Zentralrat der Sinti und Roma vertritt die Interes­
Bevölkerung nehmen ab, der Braunkohleabbau hat viele sen dieser Minderheiten; auch die EU will sich für die
Dörfer zerstört. Deshalb verlassen viele Sorben ihre Hei­ Verbesserung der Lebensbedingungen einsetzen.
mat auf der Suche nach Arbeit und Lehrstellen. Der Bund
unterstützt die „Stiftung für das sorbische Volk" mit
Verstehen Sie D ia lek te ?
Zuschüssen und fördert Projekte zur Stärkung der sorbi­
schen Kultur: Schulen unterrichten die sorbische Spra­
Wer nach Deutschland kommt, wird bemerken, dass er
che, es gibt sorbische Programme im Mitteldeutschen
es mit ganz verschiedenen Sprachschichten zu tun hat:
Rundfunk (MDR) und eine sorbische Tageszeitung. Orts­
mit der Hochsprache, die früher nur geschrieben wurde,
schilder und öffentliche Gebäude sind 2-sprachig ausge­
der Umgangssprache und dem Dialekt. Zwischen der
schildert. Unter www.sorbe.de finden sich Informatio­
Hochsprache und der Umgangssprache existiert in Wort
nen über Kultur (sorbische Musik und Literatur) und
und Schrift-zum Beispiel in Vorträgen und in Essays, in
Institutionen sowie ein deutsch-sorbisches Wörterbuch.
Funk und Fernsehen und in der Presse-eine gehobene
Das Institut für Slavistik der Universität Potsdam bietet
Umgangssprache. Die sogenannte Umgangssprache
Studienmöglichkeiten zum Sorbischen an.
erstreckt sich dann über eine dialektale Stufenleiter von
der leichten Dialektfärbung bis zum regionalen Dialekt.
Das Stichwort Sinti und Roma
Sie ist alles andere als einheitlich. Der Dialekt ist im
Als ethnische Minderheit mit besonderen Rechten sind
Gegensatz zur Hochsprache an eine bestimmte Region
die Sinti und Roma seit 1998 anerkannt. Auch bekann­
gebunden. Erstaunlicherweise haben viele junge Leute
ten sich Bundestag und Bundesregierung zur Wieder­
eine hohe mundartliche Kompetenz, obwohl sie täglich
gutmachung an dieser unter der NS-Diktatur verfolg­
von hochsprachlichen Medien umgeben sind.
ten Volksgruppe.
Nicht nur Ausländer, auch Deutsche haben es oft
schwer mit ihren Dialekten: Ein Norddeutscher, der
zum ersten Mal nach Süddeutschland kommt, hat
16 G e o g r a f i s c h e La g e und B evölkerung

Bairisch ist laut Umfrage


Schwierigkeiten, sich mit einem „echten" Bayern oder Lieblingsdialekt der Jugend
Schwaben zu verständigen; ebenso ergeht es dem Bay­
Hamburg (dpa) - Bairisch ist der Lieblingsdia­
ern und Schwaben im Norden. Auffallend ist, dass der
lekt der jungen Leute zwischen 19 und 29 Jah­
Norddeutsche - zum Beispiel in den Ferien - überall im
ren. Nach einer repräsentativen Umfrage
Süden auftaucht und deutlich an seiner Sprache zu
unter 700 Jugendlichen in Deutschland hören
erkennen ist. Den Süddeutschen dagegen zieht es im
35,1 Prozent von ihnen am liebsten diesen Dia­
Allgemeinen nicht in den sprachlich ungewohnten
lekt. Zweitbeliebteste Sprache ist Berlinerisch
Norden; er ist eher in Italien „zu Hause" als nördlich der
mit 14 Prozent vor Kölsch (13 Prozent). Seitdem
Donau oder gar jenseits des Mains.
Berlin Hauptstadt ist, gilt dem Berliner Dialekt
ein besonderes Interesse. Charakteristisch für
Die deutschen Dialekte werden - von Norden nach
die berühmte „Berliner Schnauze" sind Schnel­
Süden - in drei Gruppen eingeteilt: Niederdeutsch, Mit­
ligkeit, Schlagfertigkeit und Witz. Im Osten der
teldeutsch (z.B. Hessisch oder Sächsisch) und Ober­
Stadt war der Dialekt auch im öffentlichen
deutsch (z.B. Schwäbisch, Bairisch oder Alemannisch).
Leben akzeptiert, während er in West-Berlin
eher als etwas „ordinär" galt. Heute gleicht
E M M M iB M Hochdeutsch
sich der Sprachgebrauch in Ost und West eher
1. gleichbedeutend mit Mittel- und Oberdeutsch
an, d.h. der Dialekt geht im Osten in Beruf und
2. Bezeichnung für die Schriftsprache im Gegensatz
Öffentlichkeit zurück.„Zum Weghören" finden
zu den Dialekten
viele der Befragten vor allem Sächsisch (40,7
3. Die Luther-Bibel (erste Ausgabe 1534), die erste
Prozent) und Schwäbisch (18,1 Prozent). Zu den
Übersetzung der Bibel ins Deutsche, ist die
weniger beliebten Dialekten zählen der
Grundlage des Hochdeutschen.
Umfrage zufolge auch Plattdeutsch, der „Ruhr­
Der sprachgewaltige liberale
pott-Slang" (beide 8,1 Prozent) und Hessisch
Luther wählte die gesprochene
(7,4 Prozent).
Sprache, um der gesamten
Bevölkerung, auch den einfa­
chen Leuten den Zugang zur
Schrift zu ermöglichen.

A ufgaben
1. Welcher Dialekt ist nach diesem Text am
beliebtesten, welcher ist am wenigsten beliebt?
Sind Sie der gleichen Meinung?
2. Welche Dialekte haben Sie schon gehört?
G e o g r a f i s c h e La g e und B evö lkerung 17

Die meistgesprochenen Sprachen in der EU - in %


■ Muttersprache | Fremdsprache Gesamt
Deutsch in der Englisch ■ R 51%
13% 380/o
Europäischen Union Deutsch I80/0 32%
Französisch 120/o 14% S* ' ^ ...
26%
Deutsch ist keine Weltsprache, aber mit 95 Millionen Italienisch 130/0 UHR 30/0 16%
Sprechern in Europa und als Amtssprache in 7 Ländern 15%
Spanisch 90/0 ■■60/0
eine wichtige Regionalsprache. Deutsch ist anerkannte
Polnisch 1 90/0 I10/0 10%
Minderheitssprache in Ostbelgien und Südtirol, wo es
Russisch 7%
jeweils auch regionale Amtssprache ist, sowie in Däne­
mark (Nordschleswig), Frankreich (Elsass-Lothringen),
DerSpezial-Eurobarometer„Die Europäer und ihre Sprachen" der EU- Kom­
Polen (Schlesien),Tschechien, Ungarn und Rumänien. mission (Februar 2006) stellte fest, dass 55 %der Menschen in der EU sich in
einer Fremdsprache verständigen können. Englisch bleibt die am meisten
genannte Sprache, dann folgen Deutsch und Französisch. Deutsch ist die am
meisten gesprochene Muttersprache in der Europäischen Union (18%).
Deutsch ist zweitwichtigste Sprache in der EU nach
Gefragt wurden im Dezember 2005 Bürgerinnen und Bürger der 25 EU-Staa-
Englisch geworden, wie die EU-Kommission in einer ten sowie Bulgarien, Rumänien, Kroatien und derTürkei. 8 0 % gaben außer­
Studie feststellt. Danach sprechen vierzehn Prozent dem an, dass sie Fremdsprachenkenntnisse für nützlich halten und befür­
worteten das Erlernen einer Fremdsprache ab dem sechsten Lebensjahr.
aller Einwohner Deutsch als Fremdsprache, während
das Englische von 38 Prozent gesprochen wird. Die EU-
Osterweiterung mit der Aufnahme von Polen,Tsche­ Europa: Sprach-Barrieren
Soviel Prozent d er B ürger sprechen
chien usw. verursachte diesen Aufschwung. Mit der
Demokratisierung der Länder Mittel- und Osteuropas keine Frem dsprachen

hat Deutsch in dieser Region als Verkehrssprache, als „ 60 67


80

Sprache der Wirtschaft und der Kultur an Bedeutung


gewonnen. In den neuen EU-Ländern beherrscht jeder
fünfte Einwohner Deutsch.

Weltweit lernen fast 20 Millionen Menschen Deutsch Niederländer


Dänen
22 n J Italiener
-1 Spanier
als Fremdsprache, 15 Millionen davon in Europa. Belgier (Flamen) 7 riO Engländer
Belgier (W allonen) ! t D e u tsc h e

Rund 1,5 Millionen junge Menschen lernen an Schulen Deutsche


Franzosen
J Franzosen
Belgier (W allonen)
im Ausland die deutsche Sprache und ca. 1,4 Millionen Spanier
Engländer
Dänen
Belgier (Flamen)
Studenten an Universitäten und Hochschulen. Italiener Niederländer
Luxem burger
Quelle: EG-Kommisslon ^rel1
Institut der deutschen Wirtschaft iwd

Das Stichwort Amtssprachen der EU


Die Institutionen der EU haben 23 gleichberechtigte Amtssprachen: Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch,
Finnisch, Französisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugie­
sisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowenisch, Slowakisch, Spanisch,Tschechisch, Ungarisch. Daneben existieren verschie­
dene Minderheitensprachen, wie z.B. Katalanisch oder Baskisch in Spanien. Die EU erklärt, die Sprachenvielfalt zu ach­
ten und zu respektieren.-Offizielle Arbeitssprachen sind Englisch, Französisch und Deutsch.
G e o g r a f isc h e La g e und B evölkerung

ln der Europäischen Union spielt Deutsch als Verhand­


lungssprache bisher eine untergeordnete Rolle: Englisch
Sprachen in Europa
und Französisch geben den Ton an. Die EU-Kommission
(siehe S. 92) unterscheidet 23 Amtssprachen - von Bul­ Sprachpolitik ist ein sensibles Thema, das oft den
garisch bis Ungarisch - in die alle Dokumente nach Nerv trifft und Konflikte schafft. Im Vertrag von
außen übersetzt werden, und drei interne Arbeitsspra­ Rom legten die Mitgliedsländer der EU fest, dass
chen: Englisch, Französisch und Deutsch. Mit der Auf­ die offiziellen Sprachen gleichberechtigt sind. Und
bei der Aufnahme der neuen Mitglieder im Jahr
nahme weiterer Mitgliedsländer hat sich die Zahl der
2004 wurde nochmals festgehalten: „Um sicher­
Amtssprachen nochmals erhöht. Zurzeit beschäftigt die
zustellen, dass die neuen Bürger der EU das EU-
Kommission bereits 1750 Übersetzer,die Parlamentsre­
Recht und die Tätigkeit ihrer Organe verstehen
den und Rechtsvorschriften übersetzen und ihre Arbeit können, werden die neuen Sprachen genau so
kaum noch schaffen. Da ist es nicht erstaunlich, dass behandelt wie die bisherigen Amtssprachen"
sich Computer-Fachleute des Problems annehmen: Ein (Europäische Gemeinschaften, 1995-2003). Die
neuartiges Übersetzungsprogramm, Euromatrix ge­ Institutionen bekamen aber das Recht, sich auf
nannt, soll in Zukunft zwei Drittel der Übersetzungsar­ Arbeitssprachen zu beschränken. Ergebnis: In
beit leisten, die Feinarbeit bleibt für die Übersetzer. informellen Treffen wird Englisch, Französisch und
Deutsch gesprochen. Mit der Erweiterung der EU
Im Europa rat (siehe S. 90) wurde im Mai 1993 die Einfüh­ wäre die Verwendung von 19 Sprachen unbezahl­
b a r- und vor allem auch äußerst ineffizient.
rung von Deutsch neben Englisch und Französisch mit
großer Mehrheit abgelehnt. Anerkannte Arbeitssprache
In dem Augenblick jedoch, da EU-Richtlinien in das
ist Deutsch aber in so wichtigen Organen wie der Kom­
Recht der Mitgliedsländer eingreifen und Produkte
mission und dem Ministerrat, wird jedoch kaum verwen­
grenzüberschreitend gehandelt werden, spielen
det. Geschäfts- und Verhandlungssprache ist Deutsch
Sprachen eine besondere Rolle. Nichtverwendung
dagegen in jüngeren internationalen Gremien, zu denen
hätte Wettbewerbsverzerrungen zur Folge. Beim
zum Beispiel die KSZE (= Konferenz über Sicherheit und
Export müssen deshalb Produktbeschreibungen
Zusammenarbeit in Europa) gehört. Manchem fällt auf,
und technische Dokumentationen in der jeweili­
dass die Deutschen selbst in den Gremien oft auf ihre
gen Landessprache mitgeliefert werden.
Muttersprache verzichten und eine Fremdsprache spre­
Mehrsprachigkeit ist ein Merkmal der EU, das sich
chen. Da geht verloren, dass viele Europäer Deutsch gut
u.a. in der Förderung des Jugendaustauschs und
verstehen und auch sprechen.
internationaler Schulen niederschlägt. Wunsch­
Die englische Sprache ist heute die lingua franca. Der
vorstellung ist, dass Europäer mindestens zwei,
deutschen Sprache wird die Rolle einer Begegnungs­
besser drei Sprache sprechen, die Muttersprache
sprache zugewiesen, die zur Vielfalt der Kulturen und
und außerdem zwei Fremdsprachen. Wünschens­
deren Austausch beiträgt.
wert wäre,dass der EU die Quadratur des Kreises
gelingt und Mehrsprachigkeit, wechselseitige
Aufgaben
Rücksicht und konkrete Machbarkeit eines Tages
Diskutieren Sie die Rolle der Fremdsprachen in der
Zusammengehen.
EU. Wie würden Sie die Weichen stellen?
G e o g r a f i s c h e La g e und B evö lkerung 19

Deutsche und Ausländer


Ges chichte der Zu w a n d e r u n g ________
Vor dem Ersten Weltkrieg lebten in Deutschland weit
über eine Million Ausländer. Die Zahl ging in den fol­
genden Jahrzehnten stark zurück und stieg erst lange
nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an. Ausländische
Arbeiter, genannt Gastarbeiter, kamen seit Anfang der
6oer-Jahre vor allem aus Italien, dann aus Jugoslawien,
AKTIONCOURAG
Spanien, Portugal,Griechenland und aus derTürkei. füreinander Welten Öffnen
Heute leben mehr als sieben Millionen Ausländer in frei von Rassismus /
Deutschland; davon sind circa 1,8 Millionen ausländi­
sche Arbeitnehmer (von insgesamt 40,4 Mio. 2008).
Überdie Hälfte sind aus derTürkei,dem ehemaligen SCHULE OHHE: RASSiSmUS I
Jugoslawien und Italien. Für viele Ausländer ist |SCHULE mtT COURAGE
Deutschland inzwischen zur zweiten Heimat gewor­
den. Das gilt vor allem für die Kinder der ersten „Gast­
arbeiter-Generation, die in Deutschland geboren und

Ausländische Bevölkerung in Deutschland 2005


% % Veränderung
2006 20 0 7 2006 20 0 7 2 0 0 7 /2 0 0 6

Europa 5.375.100 5.376.600 79,6% 79,7% 0,03%


davon EU (2.295.800) (2.337.200) (34,0%) (34,7%) (1,80%)
Afrika 272.400 269.900 4 ,0 % 4 ,0 % -0 ,9 2%
Amerika 213.100 215.700 3,2% 3,2% 1,22%
Asien 819.600 812.800 12,1% 12,1% -0,83%
Australien, Ozeanien 10.800 11.100 0,2% 0,2% 2,78%
staatenlos 13.600 13.300 0,2% 0,2% -2,21%
ohne Angabe 46.400 45.400 0,7% 0,7% -2,16%
6 .7 5 1.0 0 0 6 .7 4 4 .8 0 0 1 0 0 ,0 % 1 0 0 ,0 % -0 ,0 9 %

*Die größte Nationalitätengruppe stellen die Türken mit 1,76 Millio- schon länger als 20 Jahre in Deutschland. (Angaben des Ausländer-
nen (= 2 6 % der ausländischen Bevölkerung). Zentralregisters 2005. Enthalten sind keine Personen mit doppelter
Von den in Deutschland lebenden Ausländern wurden 1,53 Millionen Staatsangehörigkeit)
(= 22,6%) hier geboren. Ein Drittel der ausländischen Bevölkerung lebt
G e o g r a f isc h e La g e und B evölkerung

hier aufgewachsen sind. Rund 60% waren Ende der Mit Demonstrationen und Lichterketten in vielen Städ­
Achtzigerjahre schon seit zehn und mehr Jahren in der ten haben im Herbst 1992 Hunderttausende von Men­
alten Bundesrepublik;jeder Sechste lebte sogar seit schen ihren Willen gezeigt, die kulturellen Grundregeln
über 20 Jahren in Deutschland. Die meisten Ausländer unserer Gesellschaft zu verteidigen, gegen Fremden­
leben in Hamburg, Berlin und Hessen, die wenigsten in hass und fürToleranz einzutreten. (Lichterketten sind
Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Menschen,die nebeneinanderstehend eine lange
Kette bilden und Kerzen in den Händen halten, s. S.7)
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" heißt es in
Artikel 16a des Grundgesetzes. Dieses Grundrecht Nach dem 11. September 2001, der Zerstörung des
wurde aus der Erfahrung der Vergangenheit heraus World Trade Centers in New York, und den Anschlägen
formuliert: Für Deutsche, die vor der Naziherrschaft ins in Madrid und London haben die Ängste vor Extremis­
Ausland fliehen mussten, war die Gewährung von Asyl mus undTerroreine neue Dimension bekommen. Das
vor und während des Zweiten Weltkriegs überlebens­ Zuwanderungsgesetz (2005) verschärft die innere
wichtig. Sicherheit. Ausländer, die zu Gewalt aufrufen, werden
Nachdem die Zahl der Asylbewerber sprungartig aufgrund einer Gefahrenprognose ausgewiesen.
gewachsen war, wurde im Juli 1993 nach heftigen poli­
tischen Auseinandersetzungen der Parteien das Recht
Z u w a n d e r u n g jetzt___________________
auf Asyl modifiziert: Asylbewerber, die aus sicheren
Nach jahrelangen emotionalen Diskussionen ist das
Herkunftsländern (= alle Nachbarländer) oder sicheren
Aufenthalts- und Zuwanderungsgesetz am 1. Januar
Drittstaaten einreisen, haben kein Anrecht mehr auf
2005 in Kraft getreten. Damit ist Deutschland ein
Asyl. Als „sichere Drittstaaten" gelten Länder, in denen
Einwanderungsland. 2007 erfolgte eine Reform des
die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und
Gesetzes.
der Europäischen Menschenrechtskonvention sicher­
Die Hürden für ausländische Beschäftigte und
gestellt ist.
Selbstständige sind außerordentlich hoch und verhin­
Die Krise der Integrationsbemühungen hatte Anfang
dern, dass eine ausreichende Zahl dringend gebrauch­
der Neunzigerjahre zu ausländerfeindlichen Krawallen,
ter Fachkräfte ins Land kommt. Außer für Hoch-
Brandanschlägen und sogar Morden geführt. Auslöser
qualifizierte gilt weiterhin der seit den Siebzigerjahren
dieser bedrohlichen Entwicklung waren Ängste vor
geltende Anwerbestopp. Studenten bekommen nach
einer multikulturellen Gesellschaft und vor der zuneh­
einem erfolgreich abgeschlossenen Studium die
menden Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland
Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für ein Jahr. Zuwan­
kamen. Krieg, Hunger und Verfolgung und ein weltwei­
derer haben einen gesetzlichen Anspruch auf Integra-
tes ökonomisches Ungleichgewicht haben zu wach­
tions- und Sprachkurse. Der Aufenthalt
senden Flüchtlingsbewegungen geführt, die radikale
von Opfern nichtstaatlicher oder
Reaktionen hervorriefen. Hinzu kamen Schwierigkeiten 1 0 geschlechtsspezifischer Verfolgung
im Zusammenhang mit der deutschen Einheit, soziale interkulturelle
Woche wurde verbessert. Einen Kompromiss
Probleme und Frustrationen aufSeiten der Menschen
gibt es für geduldete Ausländer, die
in den alten und vor allem in den neuen Bundeslän­ k
nicht ausgewiesen werden können.
dern (siehe S. 165t.).
G e o g r a f i s c h e La g e und B evö lkerung

wirksamen Lösungen zu gelangen. Nicht die Ab­


schottung Europas führt zu Lösungen, sondern vor
allem die Bekämpfung der Armut. Dafür setzt sich
Rupert Neudeck, der Gründer des Komitees Cap
Anamur und Mitbegründer und Vorsitzender des inter­
nationalen Friedenscorps Grünhelme e.V., mit seinen
konkreten Projekten in Afrika und Asien ein
(www.gruenhelme.de).

^ D a s Stichwort Deutsche Staatsbürgerschaft


Wer sich mindestens acht Jahre rechtmäßig in der Bun­
Langjährig Geduldete können Arbeit aufnehmen und desrepublik aufgehalten hat, kann die deutsche Staats­
haben ein Anrecht auf Weiterbildung. bürgerschaft erwerben. Ausländer müssen dann in der
Die Bemühungen um Integration in Deutschland sind Regel ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben.
sehr vielfältig. Regierung, Länder, Schulen, Gemeinden Die Gesetzesreform von 1999 brachte nur Kindern, die
und vor allem Jugendliche initiieren Projekte und in Deutschland geboren wurden, eine gewisse Erleich­
Begegnungen, z.B. die Interkulturelle Woche. Appelliert terung. Sie erhalten die doppelte Staatsbürgerschaft
wird an die Liberalität der Mehrheitsgesellschaft und auf Zeit. Mit 18 Jahren müssen sie sich dann für eine
an die Anpassungsbereitschaft der Zuwanderer. Staatsbürgerschaft entscheiden. Die doppelte Staats­
bürgerschaft für Kinder über 18 ist aber weiterhin in
der Diskussion.
Z u w a n d e r u n g in der Zukunft________
Enttäuschend ist diese Regelung für die seit Jahrzehn­
Die Mitgliedstaaten der EU haben beschlossen, das
ten in Deutschland lebenden Ausländer der älteren
Asylrecht in Europa in einer europäischen Asylgesetz­
Generation. Für sie ist eine Reform, z.B. auch das kom­
gebung bis 2010 zu vereinheitlichen. Bisher gelten nur
munale Wahlrecht, politisch nicht durchsetzbar.
einheitliche Mindestanforderungen für die Aufnahme.
Der neue Ansatz im Bereich der Asyl- und Migrations­
politik soll die internationalen Wanderungsbewegun­ A us w a n d e r un g ______________________
gen erfassen und deren Gründe und die Einreise- und ln seinem neuesten Bericht stellt das statistische Bun­
Integrationspolitik berücksichtigen. In der Blue-Card- desamtfest, dass im Jahr 2006155 000 Deutsche aus­
Richtlinie regelt die EU-Kommission die legale Einwan­ gewandert sind, vor allem aus den alten Bundeslän­
derung Hochqualifizierter nach Europa. Die EU-Mit- dern und Berlin. Hauptzielländer sind die Schweiz, die
gliedstaaten achten aber darauf, dass sie die Kontrolle USA und Österreich. Gleichzeitig setzte sich die inner­
über den nationalen Arbeitsmarkt behalten. deutsche Wanderung fort: Weit mehr Personen gingen
von Ost nach West als umgekehrt, sodass die neuen
Hunger, Völkerwanderung und Flüchtlingschaos wer­ Bundesländer rund 54000 Personen durch Abwande­
den Europa aber nicht mehr viel Zeit lassen, um zu rung an die alten Bundesländer verloren haben.
G e o g r a f isc h e La g e und Bevölkerung

Vom Fluchtland zum Zuf luchtland___ aber im Jahrzehnt 1981 bis 1990 zu verzeichnen. D e r__
von deutschstämmigen aus dem Osten nahm seit
_ und politische Flüchtlinge, das waren im vorigen 1988 lawinenartig zu; gleichzeitig kamen immer mehr
Jahrhundert viele Deutsche selbst. Die erste deutsche ins Land. Ein Wanderungsgewinn von 2,2 Millionen
_ begann mit der politischen Restauration nach dem Menschen in einem einzigen Jahrzehnt - das hatte es in
Sieg über Napoleon und erreichte ihren Höhepunkt Deutschland noch nie gegeben. Inzwischen ist der
nach dem Scheitern der Revolution von 1848. Strom der Aussiedler abgeebbt, ebenfalls der Zustrom
Zwischen 1850 und 1859 wanderten über eine Million der Asylbewerber.
Deutsche aus. Die zweite Auswanderungswelle war Die Diskussion über dasThema hält an.
noch größer. Im Jahrzehnt 1881 bis 1890 verließen 1,3
Millionen Deutsche das gerade geschaffene Deutsche
Reich, vor allem in Richtung USA. A ufgaben
Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs versiegte dann Die folgenden Wörter sind Schlüssel begriffe.
der deutsche fast völlig. Nach Kriegsende sah es Ergänzen Sie die Ziffern im Text:
zunächst nach einer neuen Auswanderungswelle aus. 1 Zustrom - 2 Aussiedler- 3 Wanderungsgewinn -
Aber die Weltwirtschaftskrise, die Ende der2oer-Jahre 4 Auswanderungswelle - 5 Auswanderungsstrom - \
begann,führte auch in den USA zu großem Elend; die 6 Asylbewerber- 7 Einwanderungsland - 8 Wirt­
Faszination des „Landes der unbegrenzten Möglichkei­ schaftsflüchtlinge- 9 Zuwanderung
ten" war dahin.
Das Deutsche Reich hatte in den 3oer-Jahren sogar
einen aufzuweisen. Der setzte sich
nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg
Zugewandert - abgewandert
in Gesamtdeutschland (frühere Bundes­
Zahl der Zuzüge nach Deutschland und der Fortzüge aus Deutschland
republik und ehemalige DDR zusammen­ (Deutsche und Ausländer)

gerechnet) fort. Aus den verlorenen Ost­


gebieten des Reiches (Ostpreußen, Pom­
mern, Schlesien) wurden die meisten
Deutschen vertrieben oder sie flüchteten
aus Siedlungsgebieten östlich derOder-
Neiße-Grenze in das deutsche Rumpf­
gebiet.
Zu einem echten wurde Deutschland
erst seit den 6oer-Jahren. Es war die Zeit
des sogenannten Wirtschaftswunders,
als „Gastarbeiter“ in die Bundesrepublik
kamen und zum Teil im Land blieben.
Der stärkste Wanderungsgewinn war
2. Die alten und die
neuen Bundesländer
D ie a l t e n u n d d ie n e u e n Bun desländer

Schleswig-
Holstein
Lübec

Rostock

Schwerin
Bremerhaven Mecklenburg-
-:.n

Bremen Brandenburg
Niedersachsen
Berlin
Hannover Frankf
Sachsen-
Anhalt;
Braun- O Potsdam
Nordrhein- schweig
Westfalen «OA/itten-
Magdeburg OVberg
Cottbus
Düsseldorf Dessau

Meißen
OKöln
Bonn Hessen
Thüringen
.eipzig Dresden
H o Weimar
Koblenz Fulda Erfurt ° l ena Zwickau Chemnitz
Gera O,™
'Sachsen:
Wiesbaden Frankfurt
Rheinland-Pfalz
OBayreuth
Mainz U
O Trier
O Würzburg

Saarbrücken Mannheim
q Nürnberg

O Heidelberg
Karlsruhe
Stuttgart
O Regensburg

Augsburg
Baden-Württemberg München
Freiburg
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n B undesländer

Auf einen Blick


Die Bundesländer und ihre Hauptstädte Fläche (km2) Einwohner (1000) Seite

Baden-Württemberg (Stuttgart) 35-751 10.750 51


Bayern (München) 70.548 12.520 53
Berlin 890 3.416 35
Brandenburg (Potsdam) 29.476 2.536 34
Bremen 404 663 30
Hamburg 755 1-771 27
Hessen (Wiesbaden) 21.115 6.073 44
Mecklenburg-Vorpommern (Schwerin) 23171 i.68o 31
Niedersachsen (Hannover) 47.614 7-972 29
Nordrhein-Westfalen (Düsseldorf) 54.080 17-997 41
Rheinland-Pfalz (Mainz) 19.847 4.046 50
Saarland (Saarbrücken) 2.570 1.037 51
Sachsen (Dresden) 18.413 4.220 47
Sachsen-Anhalt (Magdeburg) 20.447 2.4712 39
Schleswig-Holstein (Kiel) 15.769 2.837 26
Thüringen (Erfurt) 16.172 2.289 45

(Statistisches Bundesamt 2008)

Die Bundesrepublik hat eine föderalistische Struktur: Bund und alte Bundesländer fördern gemeinsam den
Jedes Bundesland hat eine eigene Verfassung, eine eige­ Aufbau der 5 neuen Bundesländer (der sogenannte
ne Regierungund ein eigenes Parlament,den Landtag. Solidarpakt). Viele alte Stadtkerne waren verfallen und
Berlin, Bremen und Hamburg haben einen Senat. sind wieder aufgebaut worden, auch mit dem Engage­
Die Bundesländer sind für die Verwaltung, das Verkehrs­ ment der Bürgerinnen und Bürger.Von Stralsund bis
wesen, das Schulwesen, den Kulturbereich, den Strafvoll­ Erfurt zeigen sich Marktplätze, Kirchen und historische
zug und die Polizei verantwortlich. Die Städte und Viertel in neuem Glanz. Aber das heißt leider nicht,
Gemeinden kümmern sich um die sozialen Einrichtun­ dass alle Probleme gelöst wären.
gen. Mit der Reform des Föderalismus 2005/2006 beka­
men die Bundesländer mehr Rechte, vor allem in Bil­ Zwei Drittel der innenpolitischen Entscheidungen sind
dungsfragen. In den 16 Bundesländern existieren nun an die Europäische Union gegangen, z.B. in der Wirt­
16 verschiedene Bildungssysteme mit jeweils unter­ schaftspolitik und in der Agrarpolitik. Die Mitgliedslän­
schiedlichen Schulformen, Lehrplänen und Studienge­ der möchten aber Mitspracherechte bewahren und das
bühren. Einheitliche Regelungen werden dadurch sehr Subsidiaritätsprinzip stärken: D.h. bestimmte Aufgaben
erschwert. werden nurdann an die Union abgegeben, wenn sie
Der Bund ist allein für nationale und internationale Ange­ regional nichterfüllt werden können. Der Ausschuss
legenheiten, z. B.fürdie Außen- und Verteidigungspolitik, der Regionen vertritt diese regionalen Belange z.B. in
die Atomenergie und den Schutz deutschen Kulturgutes, der beruflichen Bildung, der Kulturpolitik, dem Gesund­
zuständig. Es gibt einen Bundesbeauftragten für Kultur heitswesen oder dem Ausbau transeuropäischer Netze.
und Medien, aber kein Bundeskulturministerium.
26 D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bundesländer

.. « i i.i""!.. ■ 'ÜJ:.
A ufgaben Nach dem Ersten Weltkrieg kamen schließlich Nord­
1. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Bun­ schleswig zu Dänemark und Südschleswig zu
desstaat, d.h. die Bundesländer sind zu einem Deutschland. Die dänische Minderheit in Schleswig-
Gesamtstaat miteinander verbunden. Nennen Holstein ist heute mit zwei Abgeordneten im Kieler
Sie andere Staatsverbindungen. Versuchen Sie, Landtag vertreten.
die Europäische Union (S. 9off. und S. 156) zu
charakterisieren. Klima und Landschaft: Zwei Meere umschließen
2. Finden Sie europäische und außereuropäische Schleswig-I lolstein: Nordsee und Ostsee. Der Nordsee­
Staaten, die auch Bundesstaaten sind. küste vorgelagert sind kleine und größere Inseln: die
3. Nennen Sie die fünf neuen Bundesländer. sogenannten Halligen,die Nordfriesischen Inseln und
! ■ ■ ■ 1 . 1; I . I I I I ..I I .I . I I M . I I I I I I I 11III ■ ! 1 .1 l l l l l I I M M I I I I ......................... - ■ ■■■■■- Helgoland.Zwischen diesen Inseln und dem Festland
erstreckt sich das flache Wattenmeer. Die Nordseeküs­
te liegt zum Teil unter dem Meeresspiegel. Die Siche­
Schl es wig -Ho lst ein __________________
rung der Küsten,d.h. der Bau von Dämmen und Dei­
chen, ist immer wichtiger geworden, weil der Meeres­
Das nördlichste Bundesland.- Fläche
spiegel steigt und die Gefahr von Sturmfluten zu­
und Bevölkerung siehe S. 25.
nimmt. Der Küstenschutz gerät bald an seine Grenzen
Kiel (= Landeshauptstadt):
und die flachen Halligen sind in Gefahr, überflutet zu
233 000 Einwohner;
werden.
Lübeck: 212 800 Einwohner
Das Land ist fast unbewaldet. Die Sommer sind kühl
und die Winter mild, bei ständigem Wind.
Aus der Geschichte: Bis zum 14. Jahrhun­
Die Ostseeküste hat mehr Sonne als die Nordseeküste,
dert regierten dänische Herzöge den
dazu eine landschaftlich reizvolle Seen- und Hügel­
nördlichen Landesteil. Auch später bilde­
landschaft im Hinterland, genannt „Holsteinische
te Schleswig-Holstein für lange Zeit eine
Schweiz“. Auch an der Ostsee müssen höhere Deiche in
politische Union mit Dänemark.
Zukunft mehr Schutz bieten.

W attw an d ern
o h n e G efahr
immer mehr Urlauber und Besucher
des Nordseeheilbades Cuxhafen
wollen den Nationalpark Watten­
meer kennenlernen - eine der
letzten Naturlandschaften Europas.
Viele Gäste schließen sich aus
Sicherheitsgründen informativen
Wattführungen an. Damit die
Gefahren von Flui und Ebbe nicht
unterschätzt werden, hat die
Kurverwaltung des Nordseeheilbads
Cuxhafen die Broschüre
„Wattwandern" herausgegeben.
Der Gasi findet darin nicht nur alle
Wattwanderzeiten vor Cuxhafen,
sondern auch die Termine der
Wattführungen.
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bun desländer 27

Wirtschaft: Der Fremdenverkehr in den Nord- und Ost­ Hamb ur g


seebädern und auf den Inseln Sylt, Föhr, Amrum, Helgo­ (Freie und H an se st ad t Ha mburg)
land und Fehmarn ist neben der Landwirtschaft (Vieh­
zucht, Getreide, Kartoffeln) der wichtigste Wirtschafts­
Stadtstaat. - Hafenstadt.- CP, 0.' •
faktor. Die Nordsee ist sehr fischreich, aber Nutzfische
Zweitgrößte Stadt Deutschlands.
wieder Kabeljau verschwinden und die Fischerei ist
wegen der Überfischung in eine Krise geraten. Eine
wichtige Binnenschifffahrtsstraße für Europa, der
- Fläche und Bevölkerung siehe
S. 25. An der Elbe gelegen, ca.

110 km von der Nordsee entfernt.
Nord-Ostsee-Kanal, verbindet beide Meere.

Aus der Geschichte: Hamburg war jahrhundertelang


Städte: Kiel liegt an einem Naturhafen. Hier findet die
eine freie Reichs- und Hansestadt. Noch heute nennen
„Kieler Woche" statt mit internationalen Segelwettbe­
sich ihre Minister „Senatoren".
werben, verbunden mit einem Kulturprogramm.
Die Lage machte Hamburg schon im ^.Jahrhundert zu
Lübeck, früher das Herz der Hanse, ist auch die Stadt der
dem wichtigsten Seehafen an der Nordsee. Im Zeitalter
„Buddenbrooks" (Roman von Thomas Mann über den
der Entdeckungen verloren die Ostseehäfen an Bedeu­
Niedergang einer hanseatischen Kaufmannsfamilie).
tung, Hamburg dagegen erlebteeinen großen Auf­
Die Schriftsteller Thomas Mann, der 1929 den Nobel­
schwung. Seine Schiffe fuhren auf den neuen Handels­
preis für Literatur erhielt, und sein Bruder Heinrich
wegen bis nach Indien und Amerika.
Mann wurden hier geboren. Das Wahrzeichen Lübecks
Im Jahr 1842 wurde die mittelalterliche Altstadt durch
ist ein 500 Jahre altes Stadttor, das Holstentor; es steht
ein Feuer vernichtet. Das Wahrzeichen der Stadt, der
als Denkmal auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO.
Michel -d ie St.-Michaelis-Kirche aus dem 18. Jahrhun­
dert-w urde 1906 durch einen Brand zerstört und spä­
Das Stichwort die Hanse
ter originalgetreu wiederaufgebaut. Im Zweiten Welt­
1358 gegründeter Städtebund aus insgesamt 70 bis 80
krieg wurde die Innenstadt von Hamburg fast völlig in
Städten unter der Führung Lübecks. Ziele; nur Handels­
Schutt und Asche gelegt.
interessen und gegenseitiger Schutz. Die Hanse hatte
etwa 200 Jahre das Handelsmonopol im Ostseeraum
Allgemeines: Hamburgs Hafen, das „Tor zur Welt", hat
für den Austausch von Fertigwaren des Westens gegen
eine Fläche von 100 km2; hier arbeiten 140 000 Men­
land- und forstwirtschaftliche Produkte des Ostens.
schen. Über 1000 Häfen werden im regelmäßigen Lini­
Hamburg, Bremen und Lübeck bezeichnen sich heute
endienst angelaufen. Hamburg ist einer der zehn wich­
noch als „Hansestädte".
tigsten Häfen im Containerumschlag der Welt. Er ist
der größte Importhafen für Kaffee, einer der führenden
Umschlagplätze für Gewürze und Transithafen Num­
mer eins für Kakao in Europa. DieTerminals haben ihre
Belastungsgrenze erreicht; Speditionen sorgen für rei­
bungslose Logistik und den Weitertransport über
Schiff, Zug und Lkw.
28 D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bun desländer

Neubau- und (1833-1897) wurden hier geboren (siehe S.125). Die


Reparaturwerf- Namen Bach.Telemann und Händel sind mit Hamburg
ten wie Blohm + verknüpft.
Voss behaupten Die Hamburgische Staatsoper und ihr Ballett, das Tha­
sich im interna­ lia-Theater und das Deutsche Schauspielhaus haben
tionalen Wettbe­ eine lange Tradition. Im Bau ist die Elbphilharmonie,
werb und gehö­ ein futuristisches Konzerthaus, das auf einem alten
ren zur Weltspitze. Die HafenCity an den Hafenbecken Kakao-Speicher im Hafen errichtet wird.Typisch für
und der Elbe ist das größte innerstädtische Entwick­ das kulturelle Leben ist das Mäzenatentum, die Bedeu­
lungsprojekt Europas. Wohnen und Kontore kehren in tung privater Mäzene, die Stiftungen und Kulturpreise
die Hafengebiete zurück, der Hafen wird neuen ins Leben rufen. Sie verschafften auch der Hamburger
Ansprüchen an Landeanlagen, Umschlag und Lager Kunsthalle und dem Museum für Kunst und Gewerbe
gerecht. bedeutende Sammlungen. Und bessern die leeren
Für die Besucher ist eine Hafenrundfahrt ein bleiben­ öffentlichen Kassen auf.
des Erlebnis. Jedes Jahr am 7. Mai wird der „Hafenge­
burtstag" gefeiert; seit diesem Tag im Jahr 1189 besitzt Hamburg als Medienstadt: Hier wird DER SPIEGEL
der Hafen Zoll- und Schifffahrtsprivilegien (heute gemacht, hier erscheint die bekannte liberale Wochen­
,,Freihafen"-Status). zeitung DIE ZEIT. Die Deutsche Presseagentur (dpa)
und Fernseh- und Hörfunkanstalten haben in Ham­
Hamburg ist eine weltoffene Stadt. Die Hamburger burg ihren Sitz.
nennen sich gern „Hanseaten", weil sie stolz sind auf
den Geist und die Geschichte ihrer Stadt. Aushänge­ Weltberühmt ist Hamburg aber auch für sein Amü­
schild dieses Weltgefühls ist die achteinhalb Kilometer sierviertel St. Pauli, das treffend so charakterisiert
lange Hamburger Elbchaussee mit ihren klassizisti­ wird: St. Pauli ist ein riesiges Variete, am Tag ein Dorf,
schen Villen, den Herrensitzen und Parks. Keine deut­ in der Nacht ist die Welt zu Gast. Musiker, Theaterma­
sche Großstadt hat so viele ausländische Konsulate cher, Abenteurer und Unternehmer treffen sich auf
wie Hamburg. Ausländische Kaufleute sind hier eben­ dem Kiez. Reeperbahn und Große Freiheit sind die Zen­
so zu Hause wie Handelsdelegationen aus aller Welt. tren des Nachtlebens.der Liveclubs und Tanzbars.

Hamburg lebt aber nicht von seinem Hafen und den


vielen Besuchern allein. In Hamburg wird ein Teil des
europäischen Airbus gebaut, hier befindet sich auch
DESY (= Deutsches Elektronen-Synchrotron), eine For­
schungsstätte für Teilchenphysik.

Kultur: Hamburg ist auch eine Kulturstadt von Rang,


eine Musik-,Theater- und Medienstadt. Felix Mendels­
sohn Bartholdy (1809-1847) und Johannes Brahms
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bund esländ er

Volkswagen-Werk
in Wolfsburg

Niedersachsen Landschaft: Niedersachsen reicht von der Küste der


Nordsee zu den Mittelgebirgen, dem Harz und dem
Weserbergland. Wichtige Schifffahrtswege durchzie­
Das flächenmäßig zweitgrößte Bun­
hen das Land:die Weser.der Mittellandkanal und im
desland nach Bayern.-3 0 0 km Nord­
Osten die Elbe.
seeküste. - Fläche und Bevölkerung
Nördlich von Hannover liegt die Lüneburger Heide,ein
siehe S. 25. Hannover (= Landeshaupt­
Naturpark mit alten Bauernhäusern und Schafherden,
stadt): 516 200 Einwohner; Braun­
den sogenannten Heidschnucken. Sie erstreckt sich
schweig: 245100 Einwohner
über 7000 km2.

Wirtschaft: Niedersachsen ist ein Agrarland; hier werden


Aus der Geschichte: Fast hundert Jahre
Weizen und Gemüse angebaut. Viehzucht bestimmt das
existierten enge Beziehungen zu Eng­
Landschaftsbild. Berühmt ist die Pferdezucht. Der Han­
land. Im 18. Jahrhundert bis in die erste
noveraner ist das beliebtesteTurnierpferd überhaupt
Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die
und zugleich idealer Partner für einen Urlaub zu Pferd.
Kurfürsten in Hannover zugleich Könige
Industrie ist im Raum Hannover und Braunschweig zu
von England. Erst Oueen Victoria beende
Hause. Die größte Automobilfabrik der Bundesrepublik,
te diese Personalunion.
dasVolkswagen-Werk (= VW), steht in Wolfsburg,östlich
von Hannover.
30 D i e a l t e n u n d d ie n e u e n B u n d e s l ä n d e r

Mit VW ist die Geschichte des legendären Käfers-so Die nächstgrößte Stadt, Braunschweig, ist kulturell und
genannt nach seiner unverwüstlichen Form -verbunden. historisch geprägt. Südlich von Braunsthweig liegt Wol­
Am 17. Februar 1972 wurde VW Produktionsweltmeister: fenbüttel: An der berühmten Bibliothek dieser Stadt
Überi5 Millionen Käfer waren vom Band gelaufen. Der wirkten der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz und der
berühmte Kultwagen lief und lief, wurde ständig umge­ Dichter Gotthold Ephraim Lessing.
baut und verbessert. Ab 1977 wurde er noch in Mexiko Laut aktueller EU-Studie ist Braunschweig („Stadt der
gebaut. 1993 löste der New Beetle den Käfer endgültig ab. Wissenschaft") auch die forschungsintensivste Region
in Europa. Die Wissenschaftsregion vernetzt verschie­
Die Seehäfen mit ihren Werften sind wichtige Industrie­ dene Hochtechnologie-Kompetenzen, wissenschaftli­
standorte. Der westlichste Flafen ist Emden. Die dortige che Forschungseinrichtungen mit Firmen des Hoch­
Meyer-Werft hat sich auf den Bau von Kreuzfahrtschiffen technologie-Sektors (Biotechnologie, Verkehrstechnik,
spezialisiert und ist auf Jahre hinaus ausgelastet. Die rie­ Finanzwirtschaft).
sigen Schiffe werden unter den Augen von Tausenden von
Schaulustigen die Emsflussabwärts zur Nordsee ge­
Bremen (Freie Hansestadt)__________
schleppt (siehe auch Flamburg,S.27und Bremen,rechts).

Stadtstaat, bestehend aus der alten


Städte: Die Landeshauptstadt Fiannover ist Verkehrs­
Handelsstadt Bremen und Bremerha­
knotenpunkt zu Wasser (Mittellandkanal) und zu Lande
ven.-Das kleinste Bundesland. - Nach
und verfügt außerdem über einen internationalen
Ha mburg größter deutscher Seehafen,
Flughafen. Sie war Eisenbahnknotenpunkt schon im
auch führender Binnenhafen.-Fläche
19. Jahrhundert, als es über Hannover Verbindungen
und Bevölkerung siehe S. 25.
von Paris über Berlin und Warschau bis Moskau gab
und von Kopenhagen bis nach Wien und Rom. Die
Aus der Geschichte: Bremen wurde unter Karl
günstige Lage machte Hannover zum Standort der
dem Großen 787 Bischofssitz („Rom des Nor­
größten Industriemesse der Welt, der Hannovermesse.
dens" genannt), 1358 Mitglied der Hanse und
Auch die weltgrößte Messe für Kommunikationstech­
1646 Reichsstadt,d.h. sie hatte besondere Rechte.
nik (Com puter, Telefone, Kommunikationssysteme), die
Seit 1815 nennt sich Bremen wieder Hansestadt.
CeBIT, findet jährlich in Hannover statt.

Das Stichwort Bremer Roland


Errichtet 1404.- Die gotische Statue soll den Gefolgs­
mann Karls des Großen mit dem Schwert der Gerechtig­
keit und dem kaiserlichen Adler darstellen. Rolandssäulen
gibt es auf den Marktplätzen vieler Ortschaften in Nord­
deutschland und im nördlichen Mitteldeutschland.
LJrsprungund Bedeutung sind umstritten, wahrschein­
lich sind sie Symbol des Marktrechts (= Recht, einen regel­
mäßigen Markt abzuhalten) oderder Gerichtsbarkeit.

Rremer Roland
Die a l t e n u n d die n e u e n B u n d e s l ä n d e r 31

Lage und Bedeutung: Bremen liegt ca. 60 km von der


Nordsee entfernt. Bremerhaven liegt an der Mündung
der Weser in die Nordsee. Die junge Seestadt Bremer­
haven wurde 1827 gegründet, als die Weser zu versan­
den drohte. Nach Hamburg hat Bremen den zweitgröß
ten Hafen, der über modernste Anlagen verfügt und
besonders im Container-Betrieb sehr leistungsfähig ist.
Umgeschlagen und verarbeitet werden Erdöl, Wolle,
Baumwolle,Tabak und Kaffee.Von Bremerhaven aus
wird die deutsche Polarforschung gesteuert.
Im Krieg wurden Hafen und Innenstadt stark zerstört.

Sehenswürdigkeiten: Die selbstbewussten Bremer Bür­


Schweden. Nach 1815 war ganz Pommern eine Provinz
ger sind von jeher stolz auf ihre Stadt, besonders auf
des Königreichs Preußen. Nach dem Zweiten Weltkrieg
den Marktplatz mit dem 1000 Jahre alten Dom, dem
entstand 1945 das westlich der Oder liegende Land
Renaissance-Rathaus und dem Wahrzeichen der Stadt,
Mecklenburg-Vorpommern. Die östlich dieser Linie lie­
dem Bremer Roland. Bremens ältester Teil, das Schnoor-
genden Teile Pommerns sowie das südlich davon gele­
Viertel, ist restauriert worden und präsentiert sich mit
gene Schlesien gehören heute zu Polen.
Läden und gemütlichen Gaststätten.

M e c kl en bu r g- Vo rp om m er n__________

Mit der Vereinigung wieder entstan­


denes Bundesland. - Mit 77 Einwoh­
nern pro km2 das am dünnsten DIE OSTSEEKÜSTE BRAUCHT JETZT
besiedelte Bundesland.-Fläche und DEN HÖCHSTEN SCHUTZFAKTOR,
DEN ES GIBT.
Bevölkerung siehe S. 25. Schwerin
Mit den neuen Bundesländern zunehmend auf Kosten der
(= Landeshauptstadt):97700 Ein­ hat ganz Deutschland dazuge Natur gerechnet. Kurzfristig
wohner; Rostock: 198 300 Einwohner; wonnen: 5 Nationalparks, 30 kann sovielleicht eine schnelle
Groß-Schutzgebiete und unver­ Mark gemacht werden. Lang­
Neubrandenburg: 69 200 Einwohner; Stralsund: gleichliche Naturlandschaften fristig schafft nur sanfter Tou­
59 100 Einwohner im Osten bereichern unsere rismus und sinnvolle Land­
Heimat mit einzigartigen schaftsplanung sichere Arbeits­
Naturschätzen. Doch vieles plätze und die t rhaltung der
Aus der Geschichte: Im Dreißigjährigen davon ist einer großen Bedro­ Naturregion. Der WWT arbeitet
hung ausgesetzt: Auch an der seit Jahren erfolgreich an sol­
Krieg (1618-1648) wurden Mecklenburg Ostseeküste wird bereits chen Konzepten. Helfen Sir uns
und Pommern stark verwüstet. Vorpom­ 1 I kfe iruchur uvekr d.e VI» 1 .1*»
dabei. Bevor es Rügen wie
WUT l a w . Rirnini ergeht.
mern und die Insel Rügen gehörten von L 'H ne wJWkrtt S r ni» Otft*» Unr^purT.

1648 (Westfälischer Frieden) bis 1803 zu ...................


WWF
Mensch, die Zeit drängt.
w w r . f i o s t l r u e t k f o n um .Main.
T « le lw . 0 (W * t h foW*
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n B un desländer

Das Stichwort
O d er-N eiße-Gren ze
Im Potsdamer Abkommen 1945 festge­
legte und 1990 endgültig anerkannte
deutsche Ostgrenze.

Landschaft und Naturschutz: Die langen


Strände und Dünen der Ostseeküste, die
Inseln Rügen mit den berühmten Krei­
defelsen, Hiddensee und Usedom und
die ca. 650 Seen der Mecklenburgischen
Seenplatte sind ideale Freizeit- und
Erholungsgebiete. Die Kanäle und Flüsse
sind so miteinander verbunden, dass
man auf dem Wasser bis hinein nach Berlin fahren
wurde in den Fünfzigerjahren nach sowjetischem Mus­
kann.Typisch sind die schönen alten Alleen, die noch
ter umstrukturiert: Die Kleinbauern wurden gezwun­
nicht dem Straßenbau zum Opfer gefallen sind. Die
gen, in großräumige LPGs (= Landwirtschaftliche Pro­
Müritz ist mit 115 Quadratkilometern nach dem Boden­
duktionsgenossenschaften) einzutreten.
see der größte See in Deutschland. Im Müritz-National­
Nach der Wende fand wiederum eine Umstrukturie­
park „Ostufer" leben seltene Vogelarten, Kraniche, Eisvö­
rung der Landwirtschaft statt: Die staatliche Bodenver-
gel und sogar Fischadler. Auf der Insel Rügen, der größ­
wertungs- und -Verwaltungsgesellschaft (BVVG) ver­
ten deutschen Insel, haben sich seltene Pflanzen erhal­
kaufte das Land, das Besitz der DDR gewesen war:
ten. Aber besorgt beobachten Naturschützer in letzter
Äcker, Wiesen, Wälder und alles weitere Vermögen wur­
Zeit den Bauboom mit Hotels und Ferienhäusern.
den privatisiert. Private bäuerliche Betriebe bewirt­
schaften heute einen Teil der Fläche; der größere Teil
Die Besucherzahlen steigen. Die Nationalparks, Bio­
wird von den Nachfolgebetrieben der LPGs in der
sphärenreservate und Naturparks sind großräumige
Rechtsform der Genossenschaft (= Gesellschaft, deren
Schutzgebiete, in denen die Natur intensiv erlebt wer­
Mitglieder gemeinschaftlich einen Geschäftsbetrieb
den kann. Naturerholung verlangt aber eine geplant
führen und Geschäftsanteile besitzen) oder einer
umgesetzte Infrastruktur, die die Besucher lenkt: Rad-
GmbH (= Gesellschaft mit beschränkter Haftung)
und Wanderwege, Beobachtungsplätze und Informati­
bestellt. Die Landwirtschaft Ostdeutschlands hat
onsstellen stehen den Naturliebhabern und Erholung­
durchaus Chancen, in der Konkurrenz zum Westen zu
suchenden zur Verfügung und tragen damit zur wirt­
bestehen. Ihr Vorteil ist die Größe der Betriebe.
schaftlichen Entwicklung der Region bei.

Die Arbeitslosigkeit ist hoch, aber es gibt viele Licht­


Wirtschaft: Mecklenburg-Vorpommern hat es am
blicke: Firmengründungen und unternehmerische
schwersten, sich wirtschaftlich zu stabilisieren. Es ist
Dynamik. Mit Fördermitteln ist ein Herstellerbetrieb für
ein Agrarland. Wie in der ganzen ehemaligen DDR
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bund esländ er

Luftfahrzeuge und ein Kompetenzzentrum für Luft- auf dem Wissenschaftler in den Eisrand-Regionen der
und Raumfahrt entstanden. Das soll auch ausländische Arktis den Einfluss auf das Klima untersuchen.
Firmen anziehen. Kleine, innovative Firmen der Biotech­ Die Universität gehört zu den ältesten in Deutschland
nologie-Forschung sind in Rostock gegründet worden. (gegründet 1419).
Daraus entstand das sogenannte BioCon Valley in Wie Rostock,Greifswald (Universitätsstadt seit 1456)
Mecklenburg-Vorpommern, der zentrale Ansprech­ und Wismar war Stralsund eine reiche Kaufmanns­
partner für Biotechnologie, Biowissenschaften und stadt. Mit der Insel Rügen verbindet die Stadt ein über
Medizintechnik im Nordosten Deutschlands. BioCon 60 Jahre alter Damm und eine hochmoderne Brücke.
Valley zeichnet sich aus durch eine enge Vernetzung Aus dem Mittelalter sind noch Teile der Altstadt erhal­
zwischen Forschern und Firmen in der Region und eine ten geblieben; viele Häuser stehen unter Denkmal­
optimale Infrastruktur in den Gründerzentren Greifs­ schutz. Sehenswert sind im Zentrum die alten Bürger­
wald, Rostock, Neubrandenburg. Seit 1996 sind viele häuser und das Rathaus in typisch norddeutscher
Firmen neu gestartet und haben Hunderte von Arbeits­ Backsteingotik. Wertvolle Zeugnisse aus der Hansezeit
plätzen geschaffen. und der kulturelle Einfluss der Schwedenzeit sind zu
Die hochmodernen Werften in Stralsund und Wolgast entdecken.
bauen Containerschiffe und Marineboote. Nach der
Wende bekamen sie enorme Bundeszuschüsse, später In den neuen Bundesländern wurden Städte, darunter
wurden sie von einer Bremer Werft-Gruppe über­ auch Stralsund und Cottbus sowie Dörfer zu „Modell­
nommen. städten" bzw.„-dörfern‘' erklärt; die Sanierung wurde
hier beispielhaft erprobt.
Städte: Schwerins Aushängeschild ist sein prächtiges Erhaltenswert sind auch die vielen Schlösser, Herren­
Schloss, das die Herzoge von Mecklenburg auf einer Insel häuser und historischen Winkel des Landes, deren Res­
im Schweriner See im 17. Jahrhundert erbauen ließen. taurierung aber erhebliche Geldmittel erfordert.
Rostock, seit 1990 wieder Hansestadt, ist geprägt vom
Hafen und der Werftindustrie. Fährverbindungen schaf­ Das Stichwort Backsteingotik
fen enge Kontakte zu den skandinavischen Ländern. „Backstein" ist ein altes Wort für „Ziegel". Seit dem
Rostock-Warnemünde ist der Heimathafen der „Maria S. 12. Jahrhundert Bauweise in Nord- und Ostdeutsch­
Merian",des weltweit modernsten Forschungsschiffes, land sowie in Skandinavien. Kirchliche und weltli­
che Bauwerke.

Verkehrswege, die auf ganz Europa bezogen sind und


die Nord-Süd- und West-Ost-Verbindungen schaffen,
sind fertiggestellt oder noch im Bau. In den Straßenbau
der neuen Bundesländer wird verstärkt investiert, zum
großen Teil aus Geldern des Europäischen Fonds für
Regionale Entwicklung (EFRE).

Der Spreewald
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bundesländer

Brandenburg________________ Landschaft: Brandenburgs Landschaft besteht aus Wäl­


dern, Flüssen, etwa 3000 Seen und kargen Sandböden.
Mit der Vereinigung wie­ Einzigartig ist der Spreewald, eine Landschaft mit un­
der entstandenes Bundes­ zähligen Wasserarmen und vielen kleinen Siedlungen.
land.- Das größte der Theodor Fontane, Schriftsteller des 19. Jahrhunderts
neuen Bundesländer. - und Nachkomme französischer Hugenotten, beschrieb
Fläche und Bevölkerung (siehe S.25.) dieses Gebiet in seinen „Wanderungen durch die Mark
Potsdam (= Landeshauptstadt): Brandenburg" (1862-1882).
145 000 Einwohner; Cottbus: 107 500
Einwohner; Brandenburg: 75 500 Einwohner; Wirtschaft: Brandenburgs Wirtschaft kommt nur lang­
Frankfurt/Oder: 26 000 Einwohner sam in Gang. Dünne Besiedlung durch Abwanderung
bestimmt das Bild. Prestigeobjekte, die Arbeitsplätze
schaffen sollten, sind trotz öffentlicher Gelder geschei­
tert, weil die industriellen Investoren fehlten. Ein extre­
mes Beispiel ist das Projekt Cargolifter. Der Luftschiff­
bauer ging Pleite,dafür entstand in der riesigen Halle
ein Tropenparadies als Freizeitanlage. Positive Beispiele
gibt es im sogenannten Speckgürtel von Berlin: Hier
haben sich Technologie-Firmen der Luft- und Raum­
fahrt angesiedelt.
Auch Frankfurt (Oder) macht von sich reden. In der
Schloss Sanssouci
Stadt der Europa-Universität Viadrina (Schwerpunkt
Kontakte zu Polen) starten drei Fabriken ihre Solarzel-
len-Produktion. Frankfurt sieht seine Zukunft als„Solar-
Brandenburg ist das Umland der Hauptstadt Berlin,die
City und ökologische Vorzeige-Stadt".
genau in seiner geografischen Mitte liegt. Hauptstadt
von Brandenburg ist aber nicht Berlin, sondern Pots­
Die Landeshauptstadt: Potsdam hat eine wechselvolle
dam. Die Pläne, Berlin und Brandenburg zu einem Bun­
Geschichte. Die Stadt war Residenz der preußischen
desland zusammenzufassen,sind gescheitert.
Herrscher. Hier ließ Friedrich der Große (1712-1786) von
seinem Architekten Knobelsdorff nach eigenen Skizzen
Aus der Geschichte: Aus dem Kurfürstentum Branden­
das berühmte Schloss Sanssouci erbauen, das sein
burgwurde 1701 das Königreich Preußen. Lange Zeit
Lieblingsaufenthalt wurde. Hier führte er philosophi­
war dieses dünn besiedelte Land wirtschaftlich rück­
sche Gespräche mit Voltaire und lud berühmte Männer
ständig. Deshalb wurden im 17. und 18. Jahrhundert
wie Johann Sebastian Bach ein.
eine große Zahl von verfolgten Protestanten in das
„aufgeklärte" Preußen geholt. Holländische Einwande­
rer, Protestanten aus Salzburg und Hugenotten aus
Frankreich brachten ihre Kenntnisse und Fähigkeiten
mit und trugen zum Aufschwung Berlins bei.
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bundesländer 35

Nicht zufällig fand in dieser Stadt, die so eng mit der


preußisch-deutschen Geschichte verknüpft ist, nach
Ende des Zweiten Weltkriegs die Potsdamer Konferenz
statt.Truman (USA), Stalin (UdSSR) und Churchill
(Großbritannien) trafen sich mit ihren Außenministern
im Schloss Cecilienhof, das heute ein viel besuchtes
Museum ist. Das Potsdamer Abkommen regelte 1945
die Aufteilung des besiegten Deutschen Reichs in vier
Besatzungszonen,die neuen Grenzen (siehe Stichwort
„Oder-Neiße-Grenze", S. 32) und die Aburteilung der
Kriegsverbrecher (siehe S. 163).
Aus der Geschichte: Berlin wurde 1237 erstmals urkund­
Potsdam ist auch der Sitz eines bekannten, internatio­
lich erwähnt, also relativ spät. Erst im 17. Jahrhundert
nal tätigen Forschungsinstituts: das Potsdam-Institut
trat die Stadt aus ihrem Schattendasein heraus und
für Klimafolgenforschung (PIK). Es erforscht Fragen des
wurde ein wichtiger Handelsplatz. Im 18. Jahrhundert
Klimawandels, der Klimafolgen und der nachhaltigen
spielten Preußen und seine Hauptstadt besonders
Entwicklung. Die Technische Universität Cottbus ist die
unter Friedrich II. eine zentrale Rolle auf Europas
jüngste in Deutschland. Die zahlreichen ausländischen
Bühne. 1871 wurde Berlin Hauptstadt des neu gegrün­
Studenten loben sie wegen der modernen Bauten und
deten Deutschen Reichs. Sie war auch die Hauptstadt
der guten Studienbedingungen.
des sogenannten Dritten Reichs (1933-1945); hierfes­
tigte Adolf Hitler seine Diktatur und löste den verhee­
Berlin renden Zweiten Weltkrieg aus.

Mit dem Beitritt der DDR 1933 lebte in Berlin fast ein Drittel aller deutschen
zur Bundesrepublik am Juden, nämlich 160 000. Jüdische Künstler,Wissen­
3. Oktober 1990 wurden schaftler, Theaterleute, Verleger und Schriftsteller
Berlin-Ost und Berlin-West wiederverei­
nigt. Berlin ist Hauptstadt und Bundes­
land (Stadtstaat).- Fläche und Bevölkerung siehe S. 25.

Brandenburger Tor mit Mauer,


(Westseite vor der Wende)

Berliner Mauer mit Graffiti


ACHTUNG Wussten Sie das? Als die Mauer abgerissen wurde, stellten die
Sie zf Berliner kleine Stände auf und verkauften die Steinstückchen
West-Berlin
m it den bunten Mustern und Schriftzügen an die zahlreichen
Touristen.
36 D ie a lt e n u n d d ie n e u e n B un desländer

begründeten den Weltruhm Berlins als Kulturstadt ent­


scheidend mit. Der Maler Max Liebermann, derThea
termann Max Reinhardt, Albert Einstein, die Schriftstel­
ler Alfred Döblin und Kurt Tucholsky seien stellvertre­
tend dafür genannt. Sie fühlten sich als Teil des libera­
len oder auch konservativen Bürgertums und waren
Deutsche, bis die Katastrophe des „Dritten Reichs" über
sie hereinbrach. Heute hat die Jüdische Gemeinde von
Berlin wieder 12 000 Mitglieder und ist damit die größ­
te in Deutschland. Viele sind bemüht, dieTradition auf
neuer Grundlage wieder zu beleben. Äußeres Zeichen
war am 7. Mai 1995 die Wiedereröffnung der „Neuen
Synagoge" und des Gemeindezentrums als Kultur- und
Begegnungsstätte.

Die Bombenangriffe und die Kämpfe der letzten Kriegs­


tage 1945 machten aus Berlin einen Trümmerhaufen.
Noch heute sind die Folgen der Zerstörungen deutlich
sichtbar.
Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs wurde Ber­ Reichstag in Berlin, Sitz des Bundestags; Bundeskanzleramt (unten)
lin in vier Sektoren aufgeteilt: den amerikanischen,
englischen,französischen und russischen. Die Sektoren August die Mauer und riegelte West-Berlin von seinem
wurden vom Alliierten Kontrollrat verwaltet. Aber Umland ab. Dies lag auch im strategischen Interesse der
schon bald begann die Teilung in einen demokratisch Sowjetunion, denn die Grenze trennte nicht nur zwei
regierten Westteil und einen kommunistischen Ostteil. Staaten, sondern auch zwei Bündnissysteme: die Nato im
Stalin versuchte,ganz Berlin in seineGewalt zu brin­ Westen und den Warschauer Pakt im Osten.
gen, und verhängte eine Blockade. Amerikanische und Berlin blieb über Transitautobahnen,-Wasserstraßen und
englische Flugzeuge versorgten die Westsektoren fast -bahnverbindungen mit der Bundesrepublik verbunden;
elf Monate lang über eine Luftbrücke. Sogenannte Rosi­ in Luftkorridoren wurde der Luftverkehr abgewickelt. Die
nenbomber landeten mitten in der Stadt auf dem Flug­ Westmächte bestanden über Jahrzehnte hinweg auf
hafen Tempelhof, dem ältesten Flughafen der Welt, der ihren Rechten aus dem Vier-Mächte-Status. Der amerika­
erst 2008 geschlossen wurde. nische Präsident John F. Kennedy hielt in Berlin vordem
Nach Beendigung der Blockade begann der Wiederauf­ Rathaus seine berühmte Rede, in der er sich mit den Ber­
bau. West-Berlin wurde eine „Insel", umgeben von der liner Bürgern solidarisierte:„lch bin ein Berliner."
DDR. Berlin-Ost wurde die Hauptstadt der DDR. Als am 9. November 1989 die Mauerfiel, durchlebte
Bis 1961 verließen Hunderttausende von Flüchtlingen Berlin bewegende Tage, die Menschen beiderTeile wie­
über West-Berlin den Ostteil des Landes. Um den wirt­ der zusammenführte. Das erste gemeinsame Silvester
schaftlichen Ruin zu verhindern, errichtete die DDR am 13. wurde ein großartiges Festam Brandenburger Tor, das
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n B und esländ er

Blockade 1948 /1949: Landendes Transportflugzeug

von einem Feuerwerk gekrönt war (siehe auch S. 164).


Es wird jedes Jahr wieder gefeiert.
Die Entscheidung, Berlin wieder zum Regierungssitz zu
machen, zieht gigantische städtebauliche Maßnahmen
nach sich. Zurzeit ist Berlin Europas größte Baustelle.
Traditionelle und moderne Stadtmodelle, Wiederin­
standsetzung und neue Glitzerfassaden sowieTurm-
häuser bilden eine eindrucksvolle Melange. Bereits
heute sind viele davon überzeugt, dass Berlin in fünfzig
Jahren eine der wichtigsten Metropolen Europas sein
wird. Seit dem Regierungsumzug hat die Stadt interna­
tional deutlich an Beliebtheit gewonnen.
Der 1884 bis 94 erbaute Reichstag ist für den Bundestag
umgebaut worden. Das alte Botschaftsviertel erwacht
neu: Russland, die USA, Frankreich und Großbritannien
konnten auf Grundstücke zurückgreifen, die ihnen
schon vordem Krieg gehörten, und bauten hier ihre der Bundestag den Abriss. Der Palast wurde 30 Jahre
Botschaften. nach seiner Eröffnung abgebaut und über die Spree
Wo früher der Lehrter Bahnhof stand - heute nicht weit abtransportiert.
vom Kanzleramt -w u rd e der Fla uptbahnhof Berlins,
Europas größter Kreuzungsbahnhof gebaut. Hier tref­ Das Stichwort Humboldt-Forum
fen sich die ICE-Züge aus allen Himmelsrichtungen, U- Auf der Fläche des Palastes der Republik, dem ehemali­
und S-Bahnen unter einem raumbildenden Glasdach. gen Schlossplatz, wird ein Gebäude mit der barocken
Aus Grenz- und Todesstreifen werden wieder lebendige Fassade des Stadtschlosses der preußischen Könige
Viertel. errichtet, das 1950 abgerissen worden war. Bis 2013 soll
Über Jahre herrschte ein gewaltiges Umzugskarussell: hier das Humboldt-Forum realisiert werden. Die Stiftung
die ehemalige Hauptstadt Bonn bleibt aber Verwal­ Preußischer Kulturbesitz,die Zentral- und Landesbiblio­
tungsstadt und Stadt der Dienstleistungen (Telekom, thek und Teile der Humboldt-Universität werden einzie­
Post, Postbank, UN-Behörden). hen. Das Humboldt-Forum wird auch Ausstellungen
und Veranstaltungen präsentieren und besonders die
^ Das Stichwort Palast der Republik Integrationspolitik Berlins unterstützen.
Viele Jahre wurde heftig um dieses Berliner Bauwerk
gerungen. Für die Ostberliner hatte es Symbolcharak­ Auf dem Schlossplatz errichtet die Stadt das Einheits­
ter. Hier tagte die Volkskammer, hier fanden Bälle. Kon­ denkmal, das eigentlich nach Leipzig gehört, wo die
gresse, Konzerte, Modeschauen und internationale friedliche Revolution begann. Deshalb wäre auch der
Treffen statt, hier verabredete man sich in Restaurants, 9. Oktober das bessere Datum für den Nationalfeier­
im Theater oder Kino. Für die Westberliner war es ein tag, nicht der 3. Oktober, das Datum des Beitritts der
sanierungsbedürftiges Gebäude; deshalb beschloss DDR.
38 D ie a l t e n u n d d ie n e u e n Bun desländer

*^Das Stichwort Brandenburger Tor


Wahrzeichen der Stadt. Nach dem Vorbild der Propylä­
en der Athener Akropolis Ende des 18. Jahrhunderts
gebaut. Stand vor der Wiedervereinigung im Ostteil
der Stadt; die Mauer verlief in unmittelbarer Nähe.

Es wird noch eine Weile dauern, bis die Teile der Stadt
zusammengewachsen sind,sowohl äußerlich als auch
innerlich in der Gefühlswelt der Menschen. Somit ist
Berlin Symbol derTeilung und der Schwierigkeiten der
Wiedervereinigung zugleich. Die Stadt bemüht sich,
die Vereinigungskrise zu meistern, eine neue Orientie­ Das neue Regierungsviertel, Berlin-Mitte
rung als Hauptstadt zu finden und die große Chance
als Dreh- und Angelpunkt zwischen Ost und West zu Inzwischen erlebt Berlin einen Strukturwandel. Die
nutzen. Stadt ist vor allem Verwaltungsstadt geworden, die
industriellen Arbeitsplätze sind auf ein Drittel ge­
Wirtschaft: Berlin wartraditionell Sitz der Elektroindus schrumpft, von 400 000 auf 100 000. Als Berlin Haupt­
trie (Siemens), außerdem der chemischen Industrie stadtwurde, kamen Software- und Biotechnologie-
und der Bekleidungsindustrie. - Berlin ist außerdem Firmen, die nur relativ wenig Arbeitsplätze schaffen.
Wissenschaftsstadt und eine internationale Kongress- Betroffen ist besonders der sogenannte Berliner Kiez,
und Messestadt. die Problem bezirke: Die Arbeitslosigkeit unter den aus­
Die drei Universitäten sind die Humboldt-Universität ländischen Arbeitnehmern, vor allem unter türkischen
im Ostteil der Stadt sowie die Freie Universität und die Jugendlichen, ist hier besonders hoch. Kleine Unterneh­
Technische Universität im Westen. Hier angesiedelt men etablieren sich: Imbisse, Auto-Werkstätten, Bistros,
sind bekannte Forschungsinstitute, die auf eine lange Restaurants. Reichtum und Armut,erschreckende und
Tradition zurückblicken können, und das Technologie- attraktive Dinge liegen in Berlin dicht beieinander.
Zentrum der Fraunhofer-Gesellschaft.

—---
Hum t>oldt-Universilä 1 Schloss Bellevue, Silz des Bundespräsidenten
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n B undesländer 39

Kultur: Berlin ist auch in den Jahren derTeilung kultu­ Sa c h se n -A n h a l t


reller Mittelpunkt gewesen. Seit die Stadt wiederverei­
Sach*»n-Anh«tt
nigt ist,gehen viele internationale Künstler nach Berlin; Mit derVereinigung
hier gibt es Dutzende von Theatern, Museen in großer wieder entstandenes
Zahl (siehe S. 133t.),drei Opernhäuser,das Berliner Bundesland.- Fläche
Staatsballett und mehrere große Orchester, darunter und Bevölkerung siehe
die Berliner Philharmoniker. Wie in der Kinoszene exis­ S. 25. Magdeburg
tiertauch bei den Berliner Theatern eine Off-Theater- (= Landeshauptstadt): 227 500
Szene, d.h. freie Theatergruppen und Kulturfabriken. Einwohner; Halle: 240100 Einwoh­
Hier findet auch politisches Theater statt: im Jahr 2005 ner; Wittenberg:46 300 Einwohner;
zum Beispiel das innovative Festival Politik im Freien Dessau: 78 400 Einwohner
Theater,dasTheaterproduktionen aus Deutschland,
Österreich und der Schweiz zeigte. Aus der Geschichte: Die Elbe war vor der Jahrtausend­
wende die Grenze zu den slawischen Siedlungsgebie­
Berlin hat eine wohl einzigartige alternative Szene-Kul­ ten, z.B. der Sorben (siehe S.15). Dann nahmen vor allem
tur. Hier gibt es keine Sperrstunde (Zeit, zu der alle die Sachsen das Land östlich der Elbe in Besitz und
Lokale schließen müssen), im Gegensatz zu allen ande­ kolonisierten es. Dabei war das Erzbistum Magdeburg
ren Großstädten in Deutschland. 6500 Kneipen, origi­ der Ausgangspunkt für die Missionierung.
nelle Nachtclubs und Bars hat die Stadt zu bieten. Zu­ Martin Luther schlug im Jahr 1517 seine 95 Thesen an
wanderung und linke Tradition haben hier ein eigenes die Schlosskirche von Wittenberg an. Das war der
Flair geschaffen. Szene-Viertel im Osten sind die Ora­ Beginn der Reformation. In der Schlosskirche, die in der
nienburger Straße in Berlin-Mitte und der Prenzlauer Folgezeit ausbrannte und neu wieder aufgebaut
Berg. wurde, befindet sich sein Grab und das seines Mitstrei­
Für junge Leute und Studenten ist die Stadt ein attrak­ ters Philipp Melanchthon.
tives Ziel: An jedem Wochenende kommen Tausende
zum Party-Marathon nach Berlin, die Stadt Nummer Landschaft und Sagen: Der Westteil von Sachsen-
eins der Raver, der Pop- und Techno-Kultur. In stadtbe­ Anhalt ist landschaftlich sehr reizvoll. Hier liegt die
kannten Clubs legen DJs auf. Gefeiert wird drinnen und höchste Erhebung des Harzes, der Brocken mit 1142
draußen, wo die noch freien Flächen viel Raum bieten. Metern. In einer waldreichen, von Schluchten durchzo­
genen Gebirgslandschaft kann man zum „Hexentanz­
platz“ wandern. Das ist eine sagenumwobene Kultstät­
Spree mit Lastkähnen in Berlin te, an der in der Walpurgisnacht die Hexen auf ihrem
Besen geritten und mit dem Teufel Feste gefeiert
haben sollen. Die Walpurgisnacht ist die Nacht vor dem
1. Mai. Heute drängen sich hier zahlreiche Touristen.
Auch Johann Wolfgang von Goethe hat den Brocken
bestiegen; die Brocken-Sage wurde wesentlicher
Bestandteil seiner „Faust"-Dichtung.
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n B undesländer

Die Altstadt von Quedlinburg wurde 1994 auf die Welterbeliste Sanierung des Braunkohle-Tagebaus
der Vereinten Nationen gesetzt.

Bekannt sind die Burgen und Schlösser von Sachsen- ort gemacht. Inzwischen steigen die Erwerbstätigkeit
Anhalt.Touristische Anziehungskraft hat besonders und die Arbeitsproduktivität. Negativ bleibt die Bevölke­
das alte Quedlinburg mit seinen Fachwerkhäusern aus rungsprognose: Sachsen-Anhalt rechnet mit einem Be­
sechs Jahrhunderten. Viele Fiäuser waren verfallen und völkerungsverlust von 20% in den nächsten 20 Jahren.
sind nach derWende restauriert worden. Zur Jahrtau­
sendfeier der Verleihung der Markt-, Münz- und Zoll­ Städte: Mittelpunkt und Landeshauptstadt ist Magde­
rechte wurden Teile der Altstadt Weltkulturerbe. burg an der Elbe. Die 1200 Jahre alte Stadt ist Verkehrs­
knotenpunkt, Binnenhafen und Verwaltungszentrum.
Wirtschaft: Sachsen-Anhalt war das Zentrum der che Sie liegt an der Verbindung von Mittellandkanal, Elbe
mischen Industrie und des Braunkohle- und Kaliab­ und Elbe-Havel-Kanal,außerdem an der Schnittstelle
baus. Das Land hatte schwer mit den katastrophalen der Straßen von Flannover nach Berlin und von Ham­
ökologischen Folgen des industriellen Raubbaus der burg nach Leipzig. Im 19. Jahrhundert wurde Magdeburg
letzten Jahrzehnte zu kämpfen. Die Region um Bitter­ zu einer wichtigen Industriestadt. Im Zweiten Weltkrieg
feld gilt als das schlimmste Beispiel einer rücksichtslo­ wurde die Innenstadt völlig in Schutt und Asche gelegt.
sen Industriepolitik. Die verseuchten Böden wurden Demzufolge ist das Stadtbild heute uneinheitlich: der
abgetragen, ganze Landstriche wurden entgiftet; die Dom, das erste gotische Bauwerk, Plattenbauten neben
Landwirtschaft war in Mitleidenschaft gezogen, das Neubauten und zuletzt das Hundertwasserhaus mit sei­
Trinkwasser war belastet. nen goldenen Türmen, an dem der österreichische
Aber das ist heute Vergangenheit. Die Standorte Bitter­ Künstler noch kurz vor seinem Tode gearbeitet hat.
feld und Leuna sind privatisiert; amerikanische,französi­ Auch Halle an der Saale blickt auf eine looo-jährige
sche, italienische und westdeutsche Unternehmen in­ Geschichte zurück. Im Mittelalter wurde sie reich durch
vestieren in die traditionelle chemische Produktion in der die Salzgewinnung. Mit dem Dreißigjährigen Krieg
weltweit größten Chemieregion. Kleine und mittlere kamen Unglück, Pest und Armut. Der Aufschwung
Betriebe siedeln sich im Umfeld an. Förderprogramme, begann 1694 mit der Gründung der Universität (heute
der Ausbau der Infrastruktur und die Zusammenarbeit Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), die Zen­
von Wissenschaft und Wirtschaft haben das Land nach trum der Aufklärung wurde. Auch die Ansiedlung der
krisenreichen Jahren zu einem konkurrenzfähigen Stand­ Hugenotten aus Frankreich war ein großer Gewinn für
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bund esländ er

Halle. Stolz sind die Bürger auf den berühmtesten Sohn Wirtschaft: Für die Schwerindustrie an Rhein und Ruhr,
der Stadt: Im Jahr 1685 wurde Georg Friedrich Händel in dem Ruhrgebiet, stehen die Namen Krupp und Thys­
Halle geboren. Zu Zeiten der DDR ist Halle eine schmut­ sen. Bergbau und Stahlerzeugung sind im allgemeinen
zige Industriestadt geworden. Schon seit Anfang der Strukturwandel der letzten zwanzig Jahre in eine Krise
Achtzigerjahre hat sich deshalb das andere Halle artiku­ geraten. Erdöl und Erdgas aus der Nordsee und aus
liert: durch eine aktive Umwelt- und Friedensbewegung. Russland sowie die Atomindustrie sind die größten
Heute ist Halle an der Saale eine anziehende Stadt mit Konkurrenten des Kohlebergbaus. Die subventionierte
historischem Flair geworden. Steinkohleförderung muss bis 2012 reduziert und bis
2018 ganz eingestellt werden. Das ist eine Forderung
der EU-Kommission.
Nord rhein -Westfalen
Die Stadt Gelsenkirchen spiegelt diese Entwicklung
wider. Als 1982 die Roheisen-Produktion eingestellt
Bevölkerungsreichstes
wurde, begann der Abstieg. 1995 war auch das Ende der
Bundesland.-Eines der
Kohleförderung gekommen. Wo Hochöfen qualmten,
größten Industriegebiete
sind heute Parks mit vielen Freizeitmöglichkeiten ent­
mit dichtester Besiedlung.-Mehrere
standen. Eine Imagekampagne rückt u.a. den Wissen­
Großstädte.- Schwerindustrie. -
schaftspark und die Solarsiedlung als Beispiele des
Fläche und Bevölkerung siehe S. 25.
gelungenen Wandels ins rechte Licht. Vor allem die
Düsseldorf (= Landeshauptstadt): 572 500 Einwohner;
Schalke-Arena.der Spielort von Schalke 04, und die
Köln: 966 000 Einwohner; Aachen: 258 000 Einwohner
Fußball-Weltmeisterschaft sollten den Aufschwung
unterstützen.
Aus der Geschichte: Während der Regierungszeit Julius
Cäsars drangen die Römer bis an den Rhein vor, erober­
Städte: Großstädte sind u.a. Köln, Aachen, Essen, Dort­
ten die linksrheinischen Gebiete und machten Köln zum
mund, Düsseldorf, Duisburg (mit dem größten Binnen­
Zentrum der römischen Provinz„Germania Inferior".
hafen der Welt).
Unter Karl dem Großen, König der Franken (siehe S. 160),
Düsseldorf, die Landeshauptstadt, ist ein modernes
wurde Aachen zur wichtigsten Stadt des Fränkischen
internationales Handels- und Bankenzentrum.Sie ist
Reichs. Seine Grabstätte war Krönungsort der deutschen
auch Messestadt. Mehrere tausend Firmen, darunter
Könige im Mittelalter.
viele japanische, haben hier ihren Sitz.
Attraktiv für den Besucher ist die Altstadt, die „längste
Stadt und Land: Nordrhein-Westfalen hat zwei Gesich­
Theke der Welt" genannt, mit ihren zahlreichen Gast­
ter: das dicht besiedelte Ruhrgebiet, in dem die Städte
stätten und Bars. Düsseldorf ist die Geburtsstadt von
ineinander übergehen, und daneben ausgedehntes
Heinrich Heine,dem Multitalent und kritischen Schrift­
Grün, auch im Ruhrgebiet selbst. Viel wurde für das
steller der Romantik, der bis in die heutige Zeit Kontro­
ökologische Gleichgewicht getan. Auch waldreiche
versen hervorgerufen hat. Die Düsseldorfer Universität
Gegenden sind charakteristisch für Nordrhein-Westfa­
wurde erst nach heftigen Diskussionen nach ihm
len: derTeutoburger Wald,die Eifel,das Bergische Land
benannt.
und das Sauerland.
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n B undesländer

Das Stichwort Der Kölner Dom Sammler und Galeristen, ist der klassischen Moderne
Er wurde von 1248 bis 1880 erbaut und gilt als Meis­ und der Gegenwartskunst verpflichtet. Junge und
terwerk gotischer Architektur. Die originalen Bauplä­ etablierte Künstler kommen hier zusammen.Talente
ne wurden während der gesamten Bauzeit nicht ver­ wie der Koreaner Nam June Paik, Pionier der Video-
ändert. Kunst, der lange Zeit in Köln zu Hause war, gehören
1996 wurde er in die Liste des UNESCO-Welterbes ein­ dazu. Verschiedene Rundfunkanstalten senden von
getragen. Der Dom geriet vorübergehend auf die rote Köln aus:derWDR (Westdeutscher Rundfunk),die
Liste der gefährdeten Kulturdenkmäler, weil geplante Deutsche Welle und der Unterhaltungsgigant RTL
Hochhäuser auf der anderen Rheinseite die Stadtsil­ (siehe S. 95 ff.).
houette mit dem Dom zerstört hätten. Das Prädikat
der UNESCO ist verbunden mit Pflichten, die oft in Höhepunkt des Jahres ist für die Kölner der Karneval,
Konflikt mit notwendigen Neuerungen geraten. die „fünfte Jahreszeit", die zahllose Besucher aus dem
In- und Ausland anzieht. Vor allem am Rosenmontag ist
Köln, ebenso wie Düsseldorf am Rhein gelegen, ist mit in Köln alles auf den Beinen. Über 100 Karnevalsgesell­
fast einer Million Einwohnern die größte Stadt dieses schaften sorgen für Frohsinn in den Sälen und auf der
Bundeslands. Sie ist wirtschaftlich abhängig von den Straße. Die Vermarktung hat dem Karneval bisher nicht
Hochs und Tiefs des Automobilbaus (Ford), der Chemie geschadet, aber die Organisatoren suchen bereits nach
und des Maschinenbaus. Auswegen, damit die Tradition gegenüber dem Kom­
Ihre Vergangenheit reicht bis in die römische Zeit, ins merz nicht zu kurz kommt.
Jahr 50, zurück. 1248 wurde mit dem Bau des Kölner
Doms begonnen,der sich über 600 Jahre hinzog. Er ist Nicht weit entfernt von Köln liegt Bonn, die ehemalige
das Wahrzeichen der Stadt. Hauptstadt der Bundesrepublik (siehe S. 37). Ihre
In Köln gibt es weltberühmte Museen: das Römisch- Geschichte geht ebenfalls auf die Römer zurück. Vom
Germanische Museum, das Wallraf-Richartz-Museum 16. bis zum 18. Jahrhundert war sie Residenzstadt der
und das Museurn Ludwig (siehe S. 134). Die Art Cologne, kurfürstlichen Erzbischöfe von Köln. In Bonn wurde im
die älteste Kunstmesse der Welt im Wettbewerb mit Jahr 1770 Ludwig van Beethoven geboren.
London, Berlin und Basel,Treffpunkt für Künstler,

Der Kölner Dorn, Wahrzeichen der Stadl, im Jahr 1855 und heilte
D ie a l t e n u n d d ie n e u e n Bund esländ er 43

Entfernungen
in
Deutschland

-—TT— —— — rs »
Aachen 549 638 93 418 468 148 625 655 255 490 358 309 588 567 645 506 643
486 711 661 260 381
Basel/CH S49 851 471 669 876 549 679 991 333 823 197 524 156 556 214 784 399
450 582 994 274 386
Berlin 638 851 ' 600 232 488 493 199 455 540 285 658 390 734 186 711 142 585
415 613 228 794 480
Bonn 93 471 600 381 446 121 585 618 180 455 280 274 509 593 567 483 550
387 612 626 237 281
Braunschweig 416 669 232 381 264 271 293 367 343 199 472 153 676 192 662 82 605
430 655 370 538 336
Cuxhaven 468 876 486 448 338 557 148 551 129 685 380 900 462 889 346 832
657 882 300 684 563
Dortmund 148 549 493 121 271 338 j ; | j p 555 508 224 349 368 174 584 497 644 353 614
439 664 520 353 333
Dresden 62S 679 199 585 293 557 555 651 450 492 501 381 551 115 211
569 422
252 478 427 614 362
Flensburg 655 991 455 618 367 148 508 651 663 167 795 479 996 566 054
449 928
753 978 279 861 659
Frankfurt a.M. 255 333 540 180 343 551 224 450 663 495 142 198 361 392 429
426 400
231 456 659 203 117
Hamburg 490 823 285 4S5 199 129 349 492 167 495 627 311 828 397 888 281 780
585 810 161 693 491
Karlsruhe 358 197 658 280 472 685 368 501 795 142 627 318 241 477 299 554 297
249 482 801 145 192
Kassel 309 524 390 274 153 380 174 381 479 198 311 318 529 330 587 235 461
286 511 485 268 192
Konstanz 588 156 734 509 676 900 584 551 996 361 828 241 529 558 42 624 210 290 392 962 317 348
Leipzig 567 556 186 593 192 462 497 115 566 392 397 477 330 558 556 117 444 266 492 410 628 384
Lindau 645 214 711 567 662 889 644 5691054 429 888 299 587 42 S66 634 185 300 353 939 374 326
Magdeburg 506 784 142 483 82 346 353 211 449 426 281 554 235 624 117 634 504 334 560 303 620 418
München 643 399 585 550 605 832 614 422 928 400 780 297 4611210 444 185 504 170 183 813 440 291
Nürnberg 486 450 415 387 430 657 439 252 753 231 58S 249 286 290 266 300 334 170 226 643 362 110
Passau 711 582 613 612 655 882 664 478 978 456 810 482 511 392 492 353 560 183 226 841 590 335
Rostock 661 994 228 626 370 300 520 427 279 659 161 801 485 962 410 939 303 813 643 841 867 643
Saarbrücken 260 274 794 237 538 684 353 614 861 203 693 145 268 317 628 374 620 440 362 590 867 307
Würzburg 381 386 480 281 336 563 333 362 659 117 491 192 192 348 384 326 418 291 110 335 643 307

Über Bonn weht heute die Flagge der Vereinten Natio­ der „Lange Eugen", das ehemalige Abgeordnetenhaus.
nen. 12 Organisationen, darunter die UNO-Flüchtlings- Aachen, die westlichste deutsche Großstadt, war im
hilfe, Programme und Büros der Vereinten Nationen 8. Jahrhundert die Lieblingspfalz Karls des Großen. Der
arbeiten in der Stadt am Rhein. Allen gemeinsam ist die Aachener Dom, ursprünglich die Pfalzkapelle, wurde
Thematik „Nachhaltige Entwicklung". In einer großen 1978 als erstes deutsche Kulturdenkmal in die Welt­
Bandbreite von Klimawandei, Wüstenbildurig, Arten­ erbeliste der UNESCO aufgenommen. Heute wird der
schutz, Gesundheit,Sicherheit und Katastrophenvorsor­ Karlspreis jährlich an eine Persönlichkeit verliehen, die
ge setzen sie sich für eine bessere Zukunft ein. Ihr Sitz ist sich für die Einigung Europas verdient gemacht hat.

r~ ............................. I-KWFO
A ufgaben
Wenn Sie in Deutschland oder in einem Nachbarland 2. Stellen Sie sich vor, Sie kommen auf dem Großflugha­
leben, werden Sie Entfernungen ungefähr einschätzen fen Frankfurt/Main an und müssen noch weiterfah­
können. Wer aber weiter entfernt wohnt, wird sich da ren. Wie weit ist es von Frankfurt nach Rostock, von
nicht mehr so sicher sein. Frankfurt nach Nürnberg, von Frankfurt nach Kassel?
1. Suchen Sie deshalb in der Tabelle oben die größte 3- „Berlin liegt näher an Warschau als an Paris."
Nord-Süd-Strecke heraus. Stimmt das?
44 D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bundesländer

Hessen Städte: Hessens Hauptstadt Wiesbaden war wegen


ihrer heißen Quellen schon bei den Römern beliebt. Im
.. Zusammen mitThü 18. und 19. Jahrhundert hielten sich hier Schriftsteller
*cV'* l ringen in der Mitte und Komponisten wie Goethe, Dostojewski oder Wag­
Deutschlands gele- / J ner auf.
gen.-Fläche und
\ Bevölkerung siehe S. 2 5 .-Wichtige Frankfurt am Main ist die Stadt mit den meisten Ban­
'*tSr-w^4 industrielle Ballungszentren im Rhein- ken und der eindrucksvollsten Hochhaus Skyline. Hier
Main-Gebiet und im Großraum Kassel.Trotzdem 30% schlägt das ökonomische Herz der Republik. Frankfurt
der Fläche Wald. Frankfurt/Main: 643 400 Einwohner; ist seit 1999 Sitz der Europäischen Zentralbank, die im
Wiesbaden (= Landeshauptstadt): 272 000 Einwohner 36 Stockwerke hohen „Eurotower" zu Hause ist. Die
Mainmetropole ist damit zu einem der führenden
Klima und Landschaft; Hessen hat ein mildes Klima. Finanz- und Börsenmärkten neben London, Paris und
Am Main, am Oberrhein und an der Bergstraße werden New York aufgerückt.
zu allen Jahreszeiten die im Vergleich höchsten Tempe­ Frankfurt ist auch die Stadt der Verlage. Jährlich im
raturen von ganz Deutschland gemessen. Wesentlich Herbst findet die größte Buchmesse der Welt statt, auf
rauer ist das Klima der Mittelgebirge: im Taunus, im der der Friedenspreis des deutschen Buchhandels ver­
Westerwald und auf der Rhön. Hessen verfügt über liehen wird.
große Waldbestände und landwirtschaftlich genutzte
Flächen im Wechsel mit bedeutenden Industriezonen. Das Stichwort
Hessens Heilbäder ziehen viele Gäste aus aller Welt an. Europäische Zentralbank (EZB)
Was die deutsche Bundesbank für die DM war, ist die
Wirtschaft: Hessen ist durch seine Wirtschaft ein rela­ Europäische Zentralbank für den Euro. Seit dem 1.1.99,
tiv reiches Bundesland: Chemie- (Sanofi-Aventis), Auto- dem Geburtstag des Euro, ist die EZB zuständig für die
(Opel), Elektroindustrie und die Bankmetropole Frank­ Geldpolitik in den Euroländern (Belgien, Deutschland.
furt. Es ist begünstigt durch seine geografische Lage. Irland, Italien, Finnland, Frankreich, Luxemburg, Nieder
Über Rhein und Main ist es an das Wasserstraßen netz lande, Österreich, Portugal, Slowenien, Spanien; Malta
angebunden. Der Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt und Zypern seit 2008). Sie hat die Aufgabe,für eine sta
ist das europäische Drehkreuz des Luftverkehrs. bile Währung zu sorgen. Gemäß dem Vertrag von
Maastricht ist sie deshalb unabhängig von der Politik.
Die Hochhäuser sind meist Banken
Frankfurt ist immereine lebendige,weltoffene Stadt
gewesen, in der verschiedene Traditionen und Religio
nen nebeneinander bestanden. 30 000 jüdische Mit­
bürger prägten vor dem Zweiten Weltkrieg das städti­
sche Leben. Viele Stiftungen und sonstige Einrichtun­
gen, z.B. Krankenhäuser, sind ohne sie nicht denkbar:
Die Universität und das berühmte Kunstmuseum Stä-
D ie a l t e n u n d d ie n e u e n Bund esländ er
I).is „alte" Frankfurt: Hauplwache und Katharlnciikirthe

Wirtschaft: Nach der Wende hat Opel in Eisenach das


Automobilwerk übernommen; BMW Fahrzeugtechnik
bietet in seinem Werk in Eisenach Ausbildungsplätze
für Industriekaufleute an. Berühmte Werke wie Jenop-
tik in Jena (feinmechanische und optische Industrie)
konnten erhalten bleiben.
Thüringen hat auch touristisch viel zu bieten;Weimar,
Jena und die Wartburg sind lohnende Ziele für alle kul­
del wurden von jüdischen Bürgern gegründet.
turell interessierten Besucher; die Besucherzahlen stei­
Frankfurt ist nicht zuletzt Goethes Geburtsstadt. Sein
gen. In Thüringen gibt es über 30 000 Baudenkmäler,
Geburtshaus wurde im Krieg zerstört; es ist mit viel
(s. S. 48) die es zu erhalten gilt bei schmalen Kassen. Die
Liebe zum Detail und im Geist der Zeit wieder aufge­
Gelder dafür stammen von Stiftungen, aus dem Euro­
baut worden.
päischen Fonds für Regionalentwicklung (EFRE).aus
Beträgen vom Städtebau und von Bürgern, die Förder­
Fulda, nordöstlich von Frankfurt, besitzt ein von Bonifa-
gelder beantragen.
tius (siehe S. 160) 744 gegründetes Kloster, das im frü­
hen Mittelalter ein wichtiges geistiges Zentrum war.
Landschaft: Zwischen Harz und Thüringer Wald erstre­
cken sich Erholungsgebiete,die zum Wandern und Ski­
Thüringen__________________ fahren einladen.
Nachdenklich macht jedoch der jährlich veröffentlichte
Mit der Vereinigung Waldschadensbericht, der die Hälfte der Bäume als
wieder entstandenes deutlich geschädigt einstuft. Damit ist Thüringen von
Bundesland.-Fläche allen Bundesländern am stärksten vom Waldsterben
und Bevölkerung siehe betroffen; am wenigsten geschädigt sind die Bäume in
S. 25. Erfurt (= Landeshauptstadt): Rheinland-Pfalz und im Nordwesten von Deutschland.
201 600 Einwohner; Gera: 106 400
Einwohner; Jena: 102 600 Einwoh­ Das Stichwort Waldsterben
ner; Weimar: 64400 Einwohner; Eisenach: Seit 1972 beobachtete Schädigung der Nadel- und
44100 Einwohner Laubwälder, vor allem der Tanne und der Eiche, durch
Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid (aus Industrie­
Aus der Geschichte: Im Mittelalter warThüringen anlagen), Stickoxide und Ozon (als Folge des Autover­
durch seine zentrale Lage Knotenpunkt wichtiger Han­ kehrs).
dels- und Verkehrswege, die Städte waren wichtige
Handelszentren. Im 18. Jahrhundert erlebte das Land Städte: Jena ist eine traditionsreiche Universitätsstadt.
seine Blütezeit. Herzog Carl August von Sachsen-Wei­ Ihre Geschichte spiegelt verschiedene Epochen deut­
mar holte Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich schen Geisteslebens wider: Friedrich Schiller bekam
Schiller nach Weimar, das zum geistigen Mittelpunkt 1789 durch die Vermittlung Johann Wolfgang von Goe­
wurde (siehe S. 110 ff.). thes eine Professur. Hier lehrten auch die Philosophen
46 D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bundesländer

Goethes Gartenhaus

Im Haus am Frauenplan
entstanden viele von
Goethes Dichtungen und
wissenschaftlichen Wer­
ken. Er empfing in die­
sem geräumigen und elegant eingerichteten Haus
Besucher aus aller Welt. Es kamen Schriftsteller, Künst­
ler, Philosophen, Gelehrte-eine beeindruckende Zahl
(sieheS.no).
Schiller-Goethe-Denkmal in Weimar
Vergangenheit und Gegenwart verbinden sich im
Friedrich Hegel, Johann Gottlieb Fichte und Friedrich
Deutschen Nationaltheater. In diesem Gebäude wurde
Schelling. Karl Marx studierte in Jena.
1919 die Verfassung der ersten deutschen Republik, der
Auf der Wartburg bei Eisenach (siehe S. 23) hielt sich
Weimarer Republik, beschlossen (siehe S. 162).
1521/1522 Martin Luther versteckt und übersetzte die
Aber Weimar war nicht nur Inbegriff der Kultur und des
Bibel ins Deutsche (siehe S.16,160). Der Komponist
Schönen. An die dunkelsten Kapitel deutscher
Johann Sebastian Bach wurde in Eisenach geboren.
Geschichte erinnert die 1958 eingeweihte Mahn- und
Gedenkstätte in Buchenwald. Auf dem Ettersberg nahe
Mit Weimar assoziiert man vor allem die klassische
der Stadt befand sich ein Konzentrations- und Internie­
deutsche Literatur, Johann Wolfgang von Goethe und
rungslager-Symbol menschlicher Perversion und
Friedrich Schiller, ebenso Musik von Johann Sebastian
mutigen Widerstands.
Bach und Franz Liszt. Der Philosoph Friedrich Nietzsche
verbrachte in Weimar seine letzten Lebensjahre. Auch
Gedenkstätte Buchenwald
Traditionen der M alerei-Lucas Cranach der Ältere -
und der Architektur sind mit dem Namen Weimar ver­
knüpft. Das Goethehaus und das Schillerhaus wurden
im Zweiten Weltkrieg beschädigt, sind aber wieder res­
tauriert. Auch Goethes Gartenhaus ist noch heute zu
besichtigen.

Goethes Gartenhaus
Das Gartenhaus ist ein beliebtes Touristenziel in Wei­
mar. Dort sind Zeichnungen Goethes zu sehen und
altes Mobiliar. Das Haus war ein Geschenk des Herzogs
Carl August an Goethe. Der Dichter wohnte dort von
1776 bis 1782. Später zog er sich gern zum Schreiben
dorthin zurück und lud Kinder von Bekannten zu
Ostern zum „Haseneiersuchen" in den Garten ein.
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bund esländ er

Sachsen __________________________ schützer, Bürgerinitiativen stoppten schließlich den


Tagebau. Überioo 000 Hektar verwüsteten Lebens­
SACHSEN
Mit der Vereinigung m m raum haben die Betriebe der DDR hinterlassen. Für
wieder entstandenes mehrere Millionen Euro ist inzwischen die Hälfte der
Bundesland.-Das m Fläche rekultiviert, der Großteil mit Mischwäldern auf­
am dichtesten besie­ geforstet. Die Tagebau-Landschaft soll ein Land dertau-
delte von den neuen Bundesländern send Seen werden. i35Tagebaulöcher werden bis 2015
und das wirtschaftlich stärkste. - geflutet. Südlich von Leipzig entsteht auf einer Fläche
Fläche und Bevölkerung siehe S. 25. von 250 Quadratkilometern ein weitverzweigtes Netz
Dresden (= Landeshauptstadt):483 600 Einwohner; von Seen, Kanälen, Auenwäldern und Schleusen. Extra
Leipzig: 497400 Einwohner; Chemnitz: 249 900 Ein­ für diese Seenlandschaft konstruierte Boote werden
wohner; Zwickau:99 800 Einwohner Leipzig über Wasserwege mit dem Umland verbinden.
Der heute eingestellte Uranabbau hatte zu DDR-Zeiten
Aus der Geschichte: Sachsen gab viele Impulse: kultu­ eine ganze Region vergiftet. Er war streng geheim, weil
relle, soziale, politische, auch in unserer Zeit. Unter dem er Uran für sowjetische Atomwaffen lieferte. Die Flüs­
Kurfürsten August dem Starken (auch König von Polen, se, vor allem die Elbe,sind noch belastet. Die Braunkoh­
1670-1733) erlebte Sachsen eine einmalige kulturelle lekraftwerke haben über Jahrzehnte die Luft verseucht.
Blüte (siehe S. 161). Besonders im Erzgebirge haben sie das Waldsterben
Im 19. Jahrhundert gingen einschneidende soziale Ent­ begünstigt.
wicklungen von Sachsen aus. Während der Industriali­
sierung entstand in Leipzig die deutsche Arbeiterbewe­ Wirtschaft: Die Bergbaugebiete im Erzgebirge und die
gung mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht an der Industrieregionen um Chemnitz und Leipzig gehören
Spitze, die 1869 die Sozialdemokratische Partei Deutsch­ zu den ältesten in Europa. Über 800 Jahre wurde Erz
lands gründeten. abgebaut. Heute sind Erz- und Steinkohlebergbau ein­
Auch in jüngster Zeit waren die Sachsen wieder an den gestellt; der Braunkohle-Tagebau wird aus Umwelt­
Ereignissen beteiligt. 1989 gingen von den Friedensge­ gründen reduziert. Ergibt vielen Menschen Arbeit und
beten in der Leipziger Nikolaikirche und den Montags­ kann deshalb nicht von heute auf morgen ganz einge­
demonstrationen entscheidende Anstöße für die politi­ stellt werden. Längerfristig hat er aber wenig Chancen
sche Wende aus (siehe S. 13 und 164). gegenüber anderen Energieerzeugern.
In Zwickau wurde seit 1957 der berühmteTrabant
Landschaft und Umwelt: Sachsen reicht von der Nord­ („Trabi" genannt) gebaut; er hatte eine Karosserie aus
deutschen Tiefebene bis ins Erzgebirge. Besonders reiz­ Kunststoffund war das „Volksauto" der DDR. Der
voll ist die „Sächsische Schweiz" südlich von Dresden; „Trabi" gehörte zum Straßenbild, heute ist er allerdings
hier durchfließt die Elbe das Elbsandsteingebirge mit fast völlig verschwunden.
seinen bizarren Felsformationen und Tafelbergen. Nach der Wende hat Volkswagen in Zwickau, Dresden
Die ökologischen Probleme des Landes waren enorm. und Chemnitz neue Automobilwerke errichtet. Zur Jahr­
DerBraunkohlen-Tagebau hatte wahre Kraterlandschaf­ tausendwende entstand ein hochmodernes BMW-Werk
ten hinterlassen. Bereits zu DDR-Zeiten gab es Umwelt­ bei Leipzig.
D ie a l t e n u n d d ie n e u e n Bun desländer

Dresden ist zu Europas wichtigstem Standort für die


Mikroelektronik geworden. Hier geschah das Wende­
wunder: Wo heute Mikrochips gefertigt werden und
sich immer mehr Betriebe ansiedeln und Cluster mit
den Forschungseinrichtungen bilden, dehnten sich vor
der Jahrtausendwende noch Wiesen und Felderaus. Leipzig ist die größte Stadt des Landes. Sie hat eine fast
1000-jährige Tradition als Zentrum des Handels und
Städte: Die Landeshauptstadt Dresden beherbergt der Messen. Die Leipziger Buchmesse ist auch heute
viele Museen und Kunstsammlungen. Sie war von 1485 wieder ein Ort der Begegnung zwischen Ost und West.
bis 1918 Residenz der Kurfürsten und Könige von Sach­ Das Programm „Leipzig liest", ein rauschendes Litera­
sen, die prächtige Baudenkmäler errichten ließen. 1945 turfestival, geben der Messe ihr besonderes Profil. In
wurde die barocke Altstadt total zerstört; Zehntausen­ Hunderten von Lesungen tragen bekannte und noch
de von Menschen starben bei den Luftangriffen. Die weniger bekannte Autoren aus ihren Werken vor. Gele­
schönsten Bauwerke Dresdens sind inzwischen wieder sen wird in Bibliotheken, Kirchen, Kneipen, auch an
aufgebaut worden: der Zwinger, eine Barock-Anlage ungewöhnlichen Orten wie Clubcafes („Pfeffermühlen-
aus der Zeit Augusts des Starken, und die Semperoper. dub"), dem Wohnzimmerclub „Ilses Erika" oder in der
Bio-City, dem Forschungszentrum. Vor über 150 Jahren
Die barocke Frauenkirche,die als Ruine über 50 Jahre wurde Leipzig zum Buchhandelszentrum. In den letz­
Wahrzeichen der Stadt war, wurde originalgetreu nach ten Jahrzehnten ist Frankfurt am Main als Konkurrent
alten Plänen wiederaufgebaut. Dresdner Bürger hat­ groß geworden; seit der Wende ist Leipzig erfolgreich
ten nach der Wiedervereinigung den Anstoß gegeben, dabei, seine alte Weltgeltung als Stadt des Buchhan­
Stifter aus aller Welt haben den Wiederaufbau ermög­ dels mit eigenem Profil wieder herzustellen.
licht. Das neue goldene Kuppelkreuz ist ein Geschenk In Leipzig boomt der Wiederaufbau. Das neue Messe­
und eine Geste des britischen Königreichs (s.Titelfoto). gelände ist fertiggestellt. Der Leipziger Hauptbahnhof
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bundesländer 49

ist einer der größten Kopfbahnhöfe Europas und auf A ufgaben


seinen drei Etagen gleichzeitig ein großes Einkaufs­ Nehmen wir an, Sie haben eine deutsche Zeitung
und Dienstleistungszentrum. gekauft. Sie schlagen sie auf und sehen die Ferien­
Die traditionsreiche Handelsstadt pflegt ihre Kultur­ anzeigen. In welchen Bundesländern liegen die Orte? :
landschaft, vor allem das Gewandhausorchester, den Nehmen Sie eine Landkarte zuhilfe.
Thomanerchor und die Oper.
In Leipzig wurde 1913 Richard Wagner geboren. Johann
Sebastian Bach (siehe S.i24f.),der Kantor der Thomas­
kirche, wirkte und starb hier ebenso wie Felix Mendels­ HOTEL ELEPHANT
sohn Bartholdy.
Ostern auf Goethes Spuren
Meißen, an der Elbe gelegen, besitzt die älteste Porzel­ V o n K arfreitag b is O s te rm o n ta g
b ietet Ihnen d a s T ra d itio n sh o te l E le p h a n t in W e im a r ein k la s s is c h e s ,
lanmanufaktur Europas. Das vorher nur in China und v e rlä n g e rte s O s te rw o c h e n e n d e .

Japan bekannte Porzellan wurde 1710 von dem Alche­ H a lb p e n s io n s -A rra n g e m e n tp re is


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D ie a l t e n u n d d ie n e u e n Bundesländer

Rhe in la n d- Pf alz

Erst 1946 entstandenes Bundes­


la n d .- Fläche und Bevölkerung
siehe S. 25. Mainz (= Landeshaupt­
stadt): 185 500 Einwohner;
Koblenz: 107 600 Einwohner;
Trier: 100 200 Einwohner

Die Drosselgasse
in Rüdesheim Allgemeines: Flüsse - Rhein, Mosel und
Lahn - und Mittelgebirge prägen das Land­
schaftsbild, vor allem das Rheintal mit sei­
nen Felshängen,Schlössern und Burgen und
den kleinen Weinorten (z.B. Rüdesheim). Das
Klima ist sehr mild und die Böden sind karg. Der Wein­
anbau hat deshalb eine lange Tradition. Erst in jüngerer
Zeit kam der industrielle Aufschwung, vor allem mit der
chemischen Industrie (BASF in Ludwigshafen).

Städte: Wichtige Städte in Rheinland-Pfalz sind römi­


sche Gründungen, so zum Beispiel Mainz, Koblenz und
Trier. In Mainz, der Landeshauptstadt, erfand Johannes
Gutenberg den Buchdruck und stellte die erste
gedruckte Bibel her (1452-1455).
Mainz war im 8. Jahrhundert erzbischöflicher Sitz; der
Dom ist eines der Hauptwerke romanischer Baukunst
neben den romanischen Domen in Worms und Speyer.
Im Speyerer Dom sind acht deutsche Kaiser beigesetzt.
Trier wurde vor 2000 Jahren unter dem römischen Kai­
ser Augustus gegründet und war der Verwaltungssitz
für die westliche Hälfte des Römischen Reichs. In Trier
regierten die Römer, bis im 5. Jahrhundert die Franken
die Stadt e roberte n. G roßa rt ige mon u m enta le röm i-
sehe Bauwerke sind heute noch zu bewundern: die
Porta Nigra, das Nordtor der römischen Stadtmauer, die
Thermen, das Amphitheater.
In Trier wurde 1818 Karl Marx geboren.
D ie a l t e n u n d d ie n e u e n Bun d eslä n d er 51

Das Saarland B a d e n - W ü r t t e m b e r g_________________

Das Bundesland an der Saar wurde Entstand 1952 als Bundesland aus
erst 1957 gegründet. Es ist damit dem amerikanisch besetzten Würt­
das jüngste und zugleich kleinste temberg-Baden und dem franzö­
der alten Bundesländer.- Fläche sisch besetzten Baden.-Fläche und
und Bevölkerung siehe S. 25. Bevölkerung siehe S.25.-D rittgröß­
Saarbrücken (= Landeshauptstadt): tes Bundesland nach Bayern und
181 900 Einwohner Niedersachsen.
Stuttgart (= Landeshauptstadt): 589 200 Einwohner;
Aus der Geschichte: Der französische Mannheim: 308 400 Einwohner; Karlsruhe: 282 600
König Ludwig XIV. nahm das Saarland im Einwohner; Freiburg: 212 500 Einwohner
17. Jahrhundert in Besitz. Nach dem Ers­
ten Weltkrieg kam es zunächst unter die Aus der Geschichte: Das Gebiet des heuti­
Verwaltung des Völkerbunds, ab 1935 gehörte es wieder gen Baden-Württemberg hat eine sehr
zum Deutschen Reich. Nach dem Zweiten Weltkrieg war wechselvolle Geschichte. Württemberg
die politische Unabhängigkeit von Deutschland vorge­ war im 12. Jahrhundert das Herzogtum
sehen; mit Frankreich existierte eine Zollunion. 1957 ent­ Schwaben, das an die Staufer (siehe S. 160) kam und im
schied sich die Bevölkerung für die Bundesrepublik. Anschluss daran in ca. 300 Kleinterritorien, darunter
40 Reichsstädte, zerfiel. Anfang des 16. Jahrhunderts
Wirtschaft: Wirtschaftlich ist das Saarland ein Sorgen­ wurde es für kurze Zeit von den Habsburgern über­
kind. Durch die Krise im Bergbau (Steinkohle) und in nommen und damit österreichisch. 1805 wurde Würt­
der Stahlindustrie sind die Arbeitslosenzahlen hoch. temberg Königreich. Es schloss sich wie Baden
Das endgültige Aus für den hochsubventionierten 1806-1813 dem napoleonischen Rheinbund an. 1871
Bergbau ist für 2018 vorgesehen. traten beide Länder dem Deutschen Reich bei.

Landeshauptstadt: Saarbrücken ist Universitätsstadt. Das Stichwort die Schwaben


Die Universität liegt im Stadtwald mitten im Grünen. Die Schwaben gelten als erfolgreich, und zwar durch
Sparsamkeit und Fleiß, und als grundsolide („Häusle-
bauer“ = Häuschenbauer).

Wirtschaft: Das landschaftlich sehr reizvolle Bundes­


land gehört zu den exportstärksten Regionen Deutsch­
lands: Hochtechnologie und Autoindustrie, vor allem
im Raum Mannheim / Karlsruhe und Stuttgart / Heil­
bronn (Daimler, Porsche,der Elektrokonzern Bosch),
außerdem Schmuck- und Uhrenindustrie im Schwarz­
wald. Auch viele kleine und mittlere Unternehmen

Roboter bei Mercedes-Benz


52 D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bundesländer

arbeiten hier, zum Teil als Zulieferer für die diversen


Großunternehmen.- Zu den bekannten wissenschaft­
lichen Einrichtungen gehören das Forschungszentrum
in Karlsruhe, das Deutsche Krebsforschungszentrum in
Heidelberg und mehrere Max-Planck-Institute.
Vor allem in Baden gedeihen berühmte Weinsorten;
etwa ein Viertel des Weinanbaus der Bundesrepublik
befindet sich in Baden-Württemberg. Landwirtschaft­
lich genutzt ist vor allem das württembergische Allgäu.
Erwähnenswert ist nicht zuletzt der Tourismus, der sich Rheinebene: die Auen des Altrheins
auf den Schwarzwald und den Bodensee-das „Schwä­
bische Meer" genannt - konzentriert.

Städte: Die Landeshauptstadt Stuttgart ist die ehema­


lige Residenz der Herzöge und Könige Württembergs.
Sie ist Industriezentrum, Universitätsstadt und Stadt
des Verlagswesens.

Weitere Städte: Mannheim (im 17. Jahrhundert gegrün­


det, schachbrettartig angelegt); Freiburg im Breisgau
(romanisch-gotisches Münster, seit 1457 Universitäts­
stadt); Heidelberg (neben Weinanbau

Prag älteste Universität,


1386 gegründet, Schloss­
ruine, romantischer Philo­
sophenweg über dem
Neckar); Karlsruhe (Sitz
des Bundesverfassungs­
gerichts).

Heidelberger Schloss,
RI ick vom
Philosophenweg
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n B un desländer

Bayern______________________________ traktionen Bayerns gehören. Auch förderte er den Kom­


ponisten Richard Wagner, der durch die großzügige
Das flächenmäßig größte Bundes­ Unterstützung sorgenfrei arbeiten konnte. In den letz­
la n d .- Fläche und Bevölkerung ten Jahren seines Lebens zog sich Ludwig immer mehr
siehe S. 25. zurück und wandte sich seinen Traumwelten zu.
München (= Landeshauptstadt): Am 13. Juni 1886 ertrank er unter nicht ganz geklärten
1,2 Millionen Einwohner; Nürnberg: Umständen im Starnberger See. Die Bayern nennen ihn
493 000 Einwohner; Augsburg: noch heute ihren „Kini"; sein Bild ist auf Maßkrügen,
259 200 Einwohner; Würzburg: 132 700 Einwohner; Bierdeckeln und Aufklebern zu finden, sogar ein Bier,
Regensburg: 128 600 Einwohner das „König Ludwig Dunkel", ist nach ihm benannt.
König Ludwig Clubs halten sein Andenken lebendig.
Aus der Geschichte: 1806 schloss sich Bay­
ern dem napoleonischen Rheinbund an 1918 wurde die Republik ausgerufen. Die Konflikte zwi­
und wurde ein Königreich. Unter König schen Bayern und dem Reich bestimmten die folgen­
Ludwig I. war München ein kulturelles den Jahre. 1923 sammelten sich rechtsradikale Kreise in
und wissenschaftliches Zentrum. München und putschten
Zwischen Nürnberg und Fürth verkehrte die erste deut­ unter Adolf Hitler erfolglos
sche Eisenbahn. In dieser Zeit begann die industrielle gegen die Reichsregierung
Entwicklung Bayerns. Der Reichsgründung 1871 schloss in Berlin. Unter den Natio­
sich Bayern nur widerwillig an; es erhielt dafür Sonder­ nalsozialisten wurde Mün­
rechte: eigene Diplomatie, Post und Eisenbahn, Bier- chen darum „Stadt der
und Branntweinsteuer. Bewegung" genannt.
Aus der Zeit der Monarchie ist besonders ein König im
Bewusstsein geblieben: König Ludwig II. (1845-1886). Er
baute die Schlösser Neuschwanstein, Herrenchiemsee
und Linderhof, die heute zu den größten Touristenat­

Der Komponist
Richard Wagner
(1813-1883) (rechts)
und Ludwig II.

Schloss Neuschwanstein
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bun desländer

München
Landschaft und Landwirtschaft: Die Fläche Bayerns ist
zu 50% landwirtschaftlich genutzt (Getreide, Hopfen,
Viehzucht), davon ein Drittel von der Forstwirtschaft.
Diese hat allerdings große Probleme wegen zuneh­
mender Umweltschäden.

Die Donau trennt Bayern in einen nördlichen Teil mit


Franken und den Mittelgebirgen, wie dem Bayerischen
Wald, dem Fichtelgebirge und dem Oberpfälzer Wald,
und einen südlichen Teil, dem Voralpenland und dem
beginnenden Hochgebirge. Durch die Eiszeit wurden im
Voralpenland viele Flüsse und Seen geschaffen, die den
Reiz dieser Landschaft ausmachen: der Chiemsee
(82 km2), der Starnberger See (57 km2), der Ammersee
(48 km2) und der Tegernsee (9 km2). Zu allen Jahreszeiten
Wirtschaft: Bayern hat sich nach dem Krieg von einem strömen Touristen nach Bayern, vor allem an die Seen,
überwiegenden Agrarland zum modernen Hightech- nach München und zu den bayerischen Schlössern.
Industrie- und Dienstleistungsstandort gewandelt.
München zog die größten internationalen Unterneh­ Städte: München ist Universitätsstadt, Messestandort,
men der Soft- und Hardware-Industrie sowie der Luft- Film- und Medienstadt und beherbergt eine Vielzahl
und Raumfahrt an. In der Nähe von München, in Gar­ von Verlagen.
ching, entstand der weltbekannte Forschungsreaktor. Die im spätgotischen Stil erbaute Frauenkirche ist das
Hinzu kommen die Maschinenbau-Industrie (MAN), die Wahrzeichen der Stadt. Die Wittelsbacher - Könige ab
Auto- (BMW), Elektro- und Elektronikindustrie 18 0 6 - machten ihre Stadt zu einer Kunststadt von
(Siemens). In Hunderten von Brauereien wird in Bayern europäischem Rang. Versailles stand Pate für das
das berühmte Bier gebraut. Schloss und den Park Nymphenburg,die Sommerresi­

Münchens Innenstadt: Bayerns Brauereien zeigen Flagge. Nymphenburger Schloss


Die a l t e n u n d d ie n e u e n Bundesländer 55

denz der bayeri­ serburg sind Zeugen von Nürnbergs mittelalterlicher


schen Könige. Vergangenheit. Hier wohnten der Maler Albrecht Dürer
Münchens und der Bildhauer Veit Stoß (Germanisches National­
Innenstadt museum siehe S. 134).
wurde nach ita­ Seit 1976 findet jährlich das Nürnberger„Bardentref-
lienischen Vorbil­ fen” statt, ein Weltmusikfestival, auf dem ca. 400 Musi­
dern gestaltet; kanten in der Altstadt auftreten.
wiederum ande­ Der Raum Nürnberg - Fürth ist heute auch ein indus­
re Bauwerke und trielles Ballungsgebiet mit Maschinenbau, Elektro- und
Straßenzüge Spielwarenindustrie.
entstanden nach klassizistischen Mustern. Nürnberg ist aber auch Zeuge dunklerTage. In Nürn­
Besondere Anziehungskraft besitzt das Deutsche berg wurden von 1933 bis 1938 die „Reichsparteitage"
Museum, das eines der größten technisch-wissen­ der Nationalsozialisten abgehalten. Während eines
schaftlichen Museen der Welt ist (siehe S. 134). „Reichsparteitags" wurden die Nürnberger Gesetze ver­
Eine weltbekannte Touristenattraktion ist das jährlich kündet, die die Ausgrenzungfür die jüdische Bevölke­
stattfindende Oktoberfest, das Millionen von Besu­ rung im Dritten Reich bedeuteten. - Nach dem Ende
chern aus aller Welt nach München holt und das rund des Zweiten Weltkriegs wurden die Kriegsverbrecher in
um den Globus Nachahmung findet. den Nürnberger Prozessen abgeurteilt.

München hat einen hohen Freizeitwert: Hochgebirge Augsburg wurde vor mehr als 2000 Jahren zur Zeit des
und Seen liegen „direkt vor der Haustür". Aber das hat römischen Kaisers Augustus gegründet. In Augsburg
seinen Preis: Die Mieten und die Lebenshaltungskosten entwickelte sich der Handel mit Textilien; im Mittelal­
sind fast unerschwinglich hoch und die Traumstadt ter gab es direkte Handelsbeziehungen zu Venedig. Das
droht für viele zur Albtraumstadt zu werden. Bankhaus der berühmten Fugger-Familie finanzierte
Eine andere Bezeichnung für München ist„heimliche Kaiser und Könige und hatte vom 15. bis zum 16. Jahr­
Hauptstadt Deutschlands". Seit aber Berlin wieder stär­ hundert einen entsprechend großen politischen Ein­
ker in den Brennpunkt des Interesses rückt, hat Mün­ fluss in Europa.
chen in der kommenden Hauptstadt starke Konkurrenz
bekommen. Weitere wichtige Städte: Regensburg (Römer-Stütz­
punkt an der Donau; seit 2006 Weltkulturerbe); Würz­
Nürnberg in Mittelfranken, erstmalig 1050 erwähnt, burg (Bischofssitz seit dem 8. Jahrhundert, prächtige
war im Mittelalter freie Reichsstadt und ein wichtiger Barockbauten); Bamberg (Dom mit dem berühmten
Fernstraßenknotenpunkt. Auch im künftigen europäi­ Standbild des Bamberger Reiters); Rothenburg ob der
schen Fernstraßennetz soll es eine Schlüsselrolle spie­ Tauber (Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert); Bay­
len: zwischen Neapel und Stockholm, Lissabon, Prag reuth (Stadt der Wagner-Festspiele).
und Warschau. In Nürnberg wurden die Taschenuhr
(„das Nürnberger Ei“) und der Globus erfunden. Die
Stadtmauer, das wiedererbaute Dürerhaus und die Kai­
D ie a lt e n u n d d ie n e u e n Bundesländer

W o h e r m a n k o m m t , ist d o c h w u r s c h t !

W i r s i n d g l e i c h e r , als w ir d e n k e n .
Wir wollen nichts beschönigen. Zwischen Ost und West gibt es noch große Unterschiede, vor allem wirtschaftliche
und soziale. Und trotzdem gibt es zwischen den Menschen in den alten und den neuen Bundesländern mehr
Verbindendes als Trennendes. Wir sprechen die gleiche Sprache.
Wir haben die gleiche Kultur. Wir haben gleiche, typisch deutsche Unarten. In Ost und West wie in Nord und Süd.
40 Jahre Kapitalismus oder Kommunismus haben daran nichts ändern können.... Schauen wirdeshalb
nicht auf Trennendes, arbeiten wir lieber am Gemeinsamen.
Europa kann nurzusammenwachsen.wenn auch wir zusammenwachsen.
D ie a l t e n u n d d ie n e u e n B undesländer 57

A ufgaben
i. Die Aktion Gemeinsinn, eine Vereinigung unabhängi­ c) Kennen Sieden umgangssprachlichen Ausdruck
ger Bürger in Deutschland, veröffentlichte die Anzei­ „Das ist (mir) wurscht" für„Das ist (mir) egal"?
ge. Lesen Sie zuerst den Anzeigentext und bearbei­ Die Hauptüberschrift !autet:„Woher man
ten Sie dann diefolgenden Aufgaben: kommt, ist doch wurscht!" Was möchte die
a) Finden Sie eine Überschrift zu Text und Bildern. Anzeige links mit dieser Aussage erreichen?
b) Würste sind für bestimmte Gegenden - in Ost
und W est-etw as besonders Typisches. Ordnen Sie 2. An welche Städte denken Sie, wenn Sie die
den Fotos zu:Original Frankfurter,Thüringer Brat­ Namen und Abkürzungen unten sehen?
wurst, Bayerische Weißwurst, Grünkohl mit Pinkel Was bedeuten sie? (Auflösung Seite 171)
aus Bremen. (Typisch ist auch die Currywurst, die
in Berlin erfunden sein soll.)
58 Die A LTEN U N D D IE N EU EN B U N D E S L Ä N D E R

A ufgaben
3. Stellen Sie sich vor. Sie bereiten eine Rundreise durch Deutschland vor.
Schauen Sie sich die Fotos an. Sagen Sie,
a) was Sie sehen und
b) in welche Stadt und in welches Bundesland das Motiv gehört.
c) Suchen Sie auf den vorhergehenden Seiten die Fotos, aus denen die Ausschnitte stammen.
Und jetzt legen Sie eine Reiseroute von Süden nach Norden fest.
Schreiben Sie die Zahlen 1 bis 8 in die Kästchen.
u-
60 S o z ia l e s

Die Familie zuerst gründlich prüfen, bevor sie heiraten. Hinzu


kommt, dass Partner, die beide berufstätig sind, im
Die Familie ist ein Spiegel der Gesellschaft. Auffallend Durchschnitt mehr verdienen alseine Familie mit
ist, dass Kindern. Nachteilig ist, dass nichteheliche Gemein­
- heute jeder dritte Haushalt aus nur einer Person schaften rechtlich eindeutig schlechter gestellt sind
besteht (vor 30 Jahren war es jeder fünfte). Es gibt ca. als die Familie, die unter dem Schutz des Staates
14 Millionen Menschen, die allein leben, die Hälfte steht. Unverheiratete Partner erhalten keine Steuer­
davon ist über 50 Jahre alt. vorteile und haben gegenseitig keine Erbansprüche.
• die Zahl der Scheidungen, aber auch der Eheschlie­ Sie müssen sich aber gegenseitig unterstützen, wenn
ßungen leicht zurückgegangen ist. Die Ehe hat zwar einer arbeitslos wird. Das Sorgerecht für ein uneheli­
nicht an Bedeutung verloren, aber sie ist zur Option ches Kind ist grundsätzlich bei der Muttepes kann
geworden. Der gesellschaftliche Druck, heiraten zu mit ihrer Zustimmung auch auf den Vater erweitert
müssen, ist weggefallen. Heute wird jede dritte Ehe oder übertragen werden.
geschieden. Gründe hierfür sind aber auch:
1. die höhere Lebensdauer der Partner, Kleine Fortschritte in der Rechtsprechung hat es aller­
2. die ökonomische Unabhängigkeit der Frauen. dings gegeben: Das Bundesverfassungsgericht defi­
■ nichteheliche Lebensgemeinschaften mit und ohne nierte die Lebensgemeinschaft als „eine auf Dauer
Kinder heute zur gesellschaftlichen Normalität gehö­ angelegte Verbindung“. Die Partner müssten „in den
ren. Das betrifft vor allem junge Paare, die beide noch in Not- und Wechselfällen des Lebens" füreinander da
der Ausbildung sind, und ältere Paare, die berufstätig sein und dürften „keine weitere Lebensgemeinschaft
sind und oft schon eine Scheidung hinter sich haben. gleicher Art" führen. Seit 1998 sind Kinder aus sol­
Circa 60 Prozent aller Paare wollen ihre Gefühle chen Partnerschaften gleichberechtigt und erben wie
eheliche Nachkommen. Positiv ist auch die Regelung
beim BAföG: Bei der Berechnung der Leistungen ist
Von der Groß- zur Kleinstfamilie
Von je 100 privaten Haushalten In Deutschland bestanden/bestehen aus so vielen Personen jeder der Partner allein bezugsberechtigt.

Wohngemeinschaften-auch kurz WGs genannt-gal­


ten in den 6oer-Jahren als„revolutionär". Heute sind
sie eine normale Lebensform. Wohngemeinschaften
können lose Hausgemeinschaften sein, aber auch
feste Lebensgemeinschaften. Zu den Ersteren gehören
die Studenten-WGs.zu den Letzteren Senioren-WGs
oderauch Frauen-WGs. Die meisten WGs setzen sich
aus jungen Leuten zwischen 20 und 25 Jahren zusam­
men, die in der Ausbildung sind und den Austausch
und die Diskussionsbereitschaft in der Gruppe einer
Zweierbeziehung vorübergehend vorziehen.
1. Was können Sie aus der Statistik ablesen?
Vor hundert Jahren lebten im Durchschnitt 4,5 Personen in
einem Haushalt, heute sind es nur noch 2,1 Personen.
So z ia l e s

Aufgaben 2. Lesen Sie den Artikel unten links zum Thema „Part­
1. Bilden Sie vier Gruppen und entscheiden Sie sich nerschaft". Kennen Sie ähnliche Fälle? Wäre ein sol­
jeweils für eine bestimmte Lebensweise: Großfami­ cher Konflikt in Ihrem Land möglich?
lie, Kleinfamilie, Single, Wohngemeinschaft.Tragen 3. Bereiten Sie ein Referat vor, in dem Sie Gemeinsam­
Sie jeweils Argumente für Ihre Lebensform vor und keiten und Unterschiede zwischen Ihrem Land und
bestimmen Sie einen Diskussionsleiter für die Deutschland vortragen.
anschließende Diskussion. 4. Diskutieren SiedasThema unter dem Aspekt kultu­
reller und religiöser Unterschiede.

Rechtsfälle
Liebe w e g - G e ld h e r? Wohnen heute und morgen
Wenn die Liebe ohne Trauschein zerbricht
W ohnen in den alten Bund esländ ern
Rund drei Millionen Paare leben in Deutschland
zusammen, ohne verheiratet zu sein. Solange sich die Die Veränderung der sozialen Strukturen {siehe S. 60)
Partner gut verstehen, gibt es kaum rechtliche Pro­ hat tief greifende Folgen für den Wohnungsmarkt. Jün­
bleme. Wenn die Ehe ohne Trauschein aber zerbricht, gere Alleinstehende nehmen ihre Wohnungen meis­
wird oft genauso erbittert gestritten wie bei Schei­ tens zur Miete; sie möchten mobil bleiben und haben
dungen. Doch im Gegensatz zu Ehescheidungen ist deshalb weniger Interesse, Eigentum zu erwerben. Sie
die Rechtsprechung bei nichtehelichen Lebensge­ bevorzugen die Stadtzentren, in denen Wohnraum
meinschaften nicht einheitlich geregelt (siehe auch besonders teuer ist. Das Stadtleben, die Nähe zu den
S. 60). Freunden, zu Lokalen und kulturellen Veranstaltungen
Thema Partnerschaftsvertrag: Als Ulrike in eine ist für sie unentbehrlicher Bestandteil des Lebens. Älte­
Kleinstadt zu ihrem Freund Robert zieht, gibt sie re Singles ziehen den Kauf einer Wohnung vor. Sie
Freundeskreis, Wohnung und Job auf. Zu Ulrikes beanspruchen oft Wohnraum, der für mehrere Perso­
Absicherung vereinbart das Paar in einem Partner­ nen reichen würde,für sich allein.
schaftsvertrag, dass sie 40 000 Mark von Robert „Sage mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist"
erhält, wenn er die Beziehung beendet. Nach einigen -d iese r Spruch ist eine alte Volksweisheit, die besagt,
Jahren des Zusammenlebens geht Robert „fremd" dass die Wohnform und der Wohnort Ausdruck eines
und will die Trennung. Ulrike verlangt das Geld. Ihr persönlichen Lebensgefühls ist. Die Deutschen sind
Ex-Partner weigert sich aber, den Vertrag einzuhal­ keine mobile Nation, sie ziehen nur ungern um. Die
ten. Wer hat recht? meisten nehmen in ihrem Leben keinen Ortswechsel
Ein anderer Fall: Felicitas lebt mit Martin zusammen. vor. Dort, wo sie leben, wollen sie sich wohlfühlen. Sie
Als dieser ein Geschäft eröffnet, unterschreibt sie aus entwickeln ein lokales Heimatgefühl. Die Kontakte zu
Solidarität eine Bürgschaft mit. Das Geschäft geht den Nachbarn sind allerdings nur lose, man grüßt und
pleite, die Partnerschaft zerbricht und Felicitas sitzt fertig. Der größte Traum für die Menschen in West und
auf einem Berg von Schulden, den sie in den nächs­ Ost ist ein Wochenendhaus im Grünen (in den neuen
ten zwanzig Jahren kaum abtragen wird können. Bundesländern „Datscha" genannt) mit freundlichen
Hat sie etwas falsch gemacht? Nachbarn.
(nach SZ Programm vom April rgg); aktualisiert 2o o j)
62 S o z ia l e s
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F.ckhaus, ab sofort frei, 1550,- langfristiger Vertrag.
auf eine billige Sozialwohnung oder auf Wohngeld. Der
Eine Jahresmiete im Voraus! Nette Freiberuflerin (40) sucht Bund hat sich aus der Förderung des Sozialen Woh­
dringend Wohnung bis 400 Euro.
nungsbaus zurückgezogen, ehemalige Sozialwohnun­
Nürnberg, 2-Zimmer-Komfort-Wohnung, 75 qm, Küche, gen werden zum Teil privatisiert und damit steigen die
Diele, Bad, Südbalkon, Marmorböden, teilmöbliert.
Gesamtmiete einschl. PKW-Stcllplatz, Nebenkosien-
Preise. Seit 2006 (Föderalismusreform) unterstützt der
vorauszahlung, Putzfrau, 1600,-, Provision 2 Monatsmieten, Bund die Bundesländer, die für die Bereitstellung preis­
Fünfjahresvertrag.
werter Mietwohnungen und die Modernisierung älte­
Wohnungsbau im Keller rer Wohnungen zuständig sind.
Fertigstellungen In Deutschland in I 000
1997 98 99 00 X)1 '02 03 ‘04 05 06 2007
Seit Ende der goer-Jahre ist die Zahl der Obdachlosen
V erä n d eru n g e n
zurückgegangen; in Ostdeutschland sank die Zahl, weil
Wohnungen leer stehen.
Obdachlose sind Alleinstehende ohne festen Wohnsitz,
die auf derStraße leben oder Schlafplätze in Übernach­
tungsstätten haben. Gründe für ihre Obdachlosigkeit
sind unter anderem Arbeitslosigkeit, Mietschulden,
Familientragödien oder besondere Schicksalsschläge.
Zurzeit haben insgesamt ca. 310 000 Menschen keine
vertraglich abgesicherte Wohnung.
S o z ia l e s 63

ln Deutschland nimmt die Schere zwischen Arm und ausreichten; zudem fühlten sich die Mieterfürdie
Reich zu, d.h. die Zahl der Reichen, aber auch der Armen Wohnungen nicht verantwortlich, da sie dem Staat
nimmt zu. In Deutschland ist arm, wer weniger als das gehörten. Die Neubauten verfielen ebenso wie die
Durchschnittseinkommen zurVerfügung hat. Altbauten und die historischen Altstadtviertel vieler
Städte. Nach der Wende hatte sich die soziale Situation
Wenn arbeiten nicht reicht besonders in den Plattenbau-Siedlungen verschlechtert,
S o viele Efwert>stfkbge beztohon neben
ihrem Einkommen Arbeitslosengeld li
in 1 000 weil Einrichtungen wie Kindertagesstätten und Jugend­
Januar 2006
1 069
clubs geschlossen wurden (siehe Seite 67). Sanierungs
insgesamt Projekte haben danach die Wohnqualität u.a.durch den
davon woran

Ausnjtoikkwxkj
Einbau sanitärer Anlagen und moderner Heizungen
T & ttö r b e s c h a f lig ie
verbessert, Schulen und Geschäfte entstanden. Wohnen
VoazeaeschWtigta
in den Plattenbauten wurde aber auch teurer (ca. halb
so teuer wie vergleichbare Mieten im Westen). Ein Teil
steht heute leer oder wird abgerissen, einige Großsied­
lungen haben nach Modernisierung und architektoni­
P
ITBäUok*u» scher Aufwertung neue Mieter gefunden.

Die Lebensbedingungen in Deutschland West und Ost


Aufgaben
nähern sich langsam an. Die Mieten haben schon fast
r. Wer hat 2007 Arbeitslosengeld II bekommen?
das Westniveau erreicht. Die stufenweise Angleichung
2. Welche Gruppe ist am größten?
der Löhne geschieht in den einzelnen Branchen unter­
schiedlich. Das Westniveau ist aber noch nicht ganz
erreicht.
Wohnen in den neuen Bundesländern

Zwischen Elbe und Oder wurden Milliarden investiert,


um verfallene Häuser zu sanieren und zu modernisie­
ren. Die Bausubstanz hatte in den vierzig Jahren der
kommunistischen Herrschaft stark gelitten, umwelt­
r-TTTTH
schädliche Heizsysteme haben die Luft verpestet. In der .«“•rrwrl
ehemaligen DDR waren seit den 6oer-Jahren eintönige
Bauten aus fertigen Beton platten entstanden. Die rela­
tiv kleinen Wohnungen entsprachen einer bestimmten
Norm, denn Geld und Wohnraum waren knapp. Dafür
waren die Mieten extrem niedrig (ca. ein Zehntel einer
vergleichbaren Wohnungsmiete im Westen), die Woh­
nungen deshalb begehrt. Die Folge dieser Wohnpolitik
war, dass die Mietpreise für eine Instandhaltung nicht
Plattenbauteil in Berlin (Stadueil Marzahn)
S o z ia l e s

Die Frau, Familie und Beruf


A ufgaben
Umfragen haben immer wieder ergeben, dass sich
Der folgende Artikel berichtet von einer interessanten
junge Familien zwei oder mehr Kinder wünschen. In
Entwicklung. Energie wird weltweit knapper und teurer.
Wirklichkeit wird die Zahl der Kinder oft davon abhän­
Beim Hausbau fängt das Energiesparen an.
gig gemacht, ob die Frau berufstätig bleiben möchte
1. In diesem Artikel kommen neue Wortbildungen vor.
oder nicht.4 0 % der Frauen (bei 30-40-Jährigen 60%) in
Was stellen Sie sich unter einem „Öko-Haus", einem
den alten Bundesländern streben nach einer„Baby-
„Niedrig-Energie-Haus", Drei-Liter-Haus oder einem
Pause" wieder das Berufsleben an und möchten Beruf
Passivhaus vor?
und Familie„unter einen Hut bringen". Väter nehmen
2. Welche Rolle spielt „Öko-" in Ihrem Land?
immer häufiger die Elternzeit in Anspruch. Sie wollen
sowohl Ernährer als auch liebevoller Vater sein. Im Stra­
ßenbildfallen sie auf, wenn sie sich um ihre Kinder
Wohnen der Zukunft kümmern und auch oft den Kinderwagen vor sich her
Überall entstehen Öko-Häuser schieben. Aus wirtschaftlichen Gründen bleiben die
Karlstadt stehtfü r eine Reihe anderer Gemeinden, die meisten jedoch nur zwei Monate zu Hause.
umweltschonende Baukonzepte verwirklichen. In Bur­
kartshain bei Leipzig entsteht ein Öko-Dorf, im badischen Rosig sieht es aber für viele Kinder nicht aus, die in „pre­
Schopfheim vergibt die Stadt Grundstücke nur noch an kären" sozialen Verhältnissen aufwachsen, besonders in
Bauherren, die ökologisch planen: Das Haus muss weni­ Familien mit alleinerziehenden Müttern. Da nur ca. 36%
ger als 7 Liter Heizöl pro Quadratmeter und Jahr verbrau­ der Mütter wegen fehlender Kinderbetreuung berufstä­
chen. Auch in Freiburg darf man auf städtischen Grund­ tig sein können, ist das Geld knapp und die Kinderarmut
stücken nur noch Niedrig-Energie-Häuser bauen. wächst. Mehr Kindergarten- und Krippenplätze sind
Der Staat fördert Dämmstoffe aus nachwachsenden aber in Aussicht gestellt.
Rohstoffen und Solarwärmeanlagen. So haben die Deut­
Das Stichwort Mutterschutz
schen beim Energiesparen die Nase vorn. Ökologisches
Schutzfrist für berufstätige Mütter. Sie dürfen sechs
Bauen ist in, der Energiepassfürjedes Haus und jede
Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt nicht
Wohnung ist Realität.
arbeiten und bekommen Geld in der Höhe ihres Gehalts.
Der Arbeitsplatz ist während dieser Zeit garantiert.
Furore macht auch die Justus-von-Liebig-Schule in Süd­
deutschland, die als Passivhaus gebaut wurde. Sie
Das Stichwort Elterngeld
braucht keine Heizung, und die Betriebskosten sind nied­
Seit dem 1.1.2007 gibt es das Elterngeld, das die Muter
rig. Decken und Wände sind wärmegedämmt und iso­
und/oder der Vater je nach Vereinbarung für drei Jahre
liert, sodass sie als Wärme- und Kältespeicher dienen. Für
beziehen können (der Vater mindestens zwei Monate).
Frischlufi ist natürlich gesorgt. Die Schule hat als Ener­
Berechtigt sind auch Eltern in eingetragener Partner­
giequelle eine Solaranlage, aber die eigentliche Heizung
schaft, Stiefeltern, Nichterwerbstätige und Selbststän­
sind die Sch üler selbst.
dige. Das ältere Erziehungsgeld läuft aus.
(nach: M alaiin zu „Das Haus"s/93; Nordbayerischer Kurier
vom 8./9.V. 2003, aktualisiert 2008)
S o z ia l e s 65

ln den neuen Bundesländern ist für die meisten Frauen Bei der Lehrstellenwahl sind Mädchen inzwischen auf
die Erwerbstätigkeit unverzichtbar,nicht nur aus wirt­ dem Vormarsch: Immer mehr Fachfrauen erobern „typi­
schaftlichen Gründen. 91% der Frauen waren vor der sche" Männerberufe wie Konditor, Uhrmacher, Gärtner,
Wende berufstätig. Sie definieren Gleichberechtigung Schriftsetzer sowie die technischen Berufe.
vor allem über den Beruf und nehmen die Doppelbelas­ Auch im Haushalt bewegt sich einiges. Immer öfter füh­
tung in Kauf. Nur 3% ziehen die Hausfrauenrolle vor. len sich beide Partner fürs Putzen und Kochen zuständig.
Umso gravierender ist deshalb, dass die Arbeitslosig­ Im Großen und Ganzen aber gilt noch immer die alte
keit in den neuen Bundesländern in sehr viel stärkerem Rollenverteilung, dass kleinere Reparaturen oder Reno­
Maße die Frauen als die Männer getroffen hat. vierungsarbeiten eine männliche Domäne sind und
Frauen sich um die Aufgaben des Haushalts kümmern,
Um die Frauenbewegung, die in den Siebzigerjahren Verwandte pflegen und Kinder betreuen.
sehr stark war, ist es ruhig geworden. Damals war die Im öffentlichen Leben leisten Frauen einen großen Teil
Selbstverwirklichung auf die Fahnen geschrieben. Inzwi­ der sozialen und einen nicht zu unterschätzenden Teil
schen ist diese Debatte tot. Eine Bildungsexplosion hat der politischen ehrenamtlichen Tätigkeiten; in Führungs­
stattgefunden: Frauen sind heute besser ausgebildet, positionen des öffentlichen Lebens, in Verwaltung und in
50% und mehr der Studierenden sind Frauen. Sie haben der Privatwirtschaft sind sie dagegen unterrepräsen­
ein neues Selbstwertgefühl und damit höhere Ansprü­ tiert, besser sieht es in der Politik aus. Nach der Bundes­
che und Erwartungen an ihr Berufs- und Privatleben. Sie tagswahl 2005 wurde zum ersten Mal eine Bundeskanz­
sind ökonomisch unabhängiger geworden und setzen lerin gewählt.
ihre Fähigkeiten im Beruf entsprechend erfolgreich ein.
Gleichzeitig möchten sie aber auf Familie und Kinder „Männer und Frauen sind gleichberechtigt", heißt es im
nicht verzichten. Frauen organisieren sich in Netzwer­ Grundgesetz. Und im Jahr 1993 wurde eine allgemeine
ken, um auf Benachteiligung in Bezahlung und Karriere Formulierung hinzugefügt: „Der Staat fördert die tat­
aufmerksam zu machen und auf Veränderung zu drän­ sächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von
gen. Es gilt, die Vorteile herauszustellen, die z.B. die Aus­ Frauen und Männern und wirkt aufdie Beseitigung
gewogenheit von Teams und die Einbindung der Sicht­ bestehender Nachteile hin." 1999 beschloss die Bundes­
weisen und Stärken von Frauen mit sich bringen. regierung das Aktionsprogramm „Frau und Beruf". Ziel
Die Rahmenbedingungen sind in den letzten Jahren bes­ dieses Programms ist es, Arbeitschancen und Aufstiegs­
ser geworden, wenn auch noch nicht ideal. Mehr als drei möglichkeiten zu verbessern, den Frauenanteil an den
Viertel der Unternehmen boten im Rahmen einer Befra­ Universitäten zu erhöhen, Nachteile bei Exis­
gungflexible Arbeitszeitregelungen wie gleitende tenzgründungen und beim Einkommen generell zu
Tages- und Wochenarbeitszeiten,Teilzeit oder Telearbeit beseitigen und die Vereinbarkeit
an. Deutlichen Nachholbedarf gegenüber anderen Län­ von Familie und Beruf zu fördern.
dern dagegen gibt es in der Kinderbetreuung (Betriebs­ In den alten und den neuen Län­
kindergärten, Kinderkrippe, Belegplätze in öffentlichen dern verdienen Männerim Allge­
Kindergärten, Tagesmutterservice). Familienfreundliche m einen-als Angestellte und als
Maßnahmen haben natürlich in Zeiten, in denen es wirt­ Arbeiter-aber immer noch
schaftlich aufwärtsgeht, wesentlich bessere Chancen. deutlich mehr als Frauen.
66 S o z ia l e s

Eine besondere Form der Gleichberechtigung hat 2000 foutf1' Andrea Steiner liegt damit im Trend:
eine junge Frau vor dem Europäischen Gerichtshof _ l Immer mehr Paare leben zeitweise
erstritten.Seitdem ist der Dienst in Kampfverbänden getrennt, pendeln oder treffen sich nur am Wochenende.
der Bundeswehr erlaubt. Die Verfassung wurde geän­ Früher waren es die Seeleute, die Frau und Familiefü r
dert, denn die Väter des Grundgesetzes hatten nach Monate verließen. Später die Piloten und Stewardessen
der Erfahrung des Kriegs festgelegt, dass Frauen „auf im internationalen Flugverkehr, nicht zu vergessen auch
keinen Fall Dienst an der Waffe leisten" dürfen. die Fernfahrer oder die Ingenieure. Heute ist das Lebens­
modell „Fernliebe“alltäglich geworden. Für gut ausgebil
Ein Fortschritt ist das neue Namensrecht,das seit 1993 dete Personen gibt es nur einen begrenzten Arbeits
gilt. Bisher musste ein gemeinsamer Ehename gewählt markt, und der kann in einer anderen Stadt liegen.
werden. Jetzt können Mann und Frau ihre Namen Andreas Ehemann Uwe ist Vertriebschefin einem Unter­
jeweils behalten; die Kinder erhalten dann den Famili­ nehmen der Elektrotechnik, verantwortlich für strategi­
ennamen des Vaters oder der Mutter. Die Eltern können sches Marketing undfolglich ständig rund um den Glo­
sich auch für einen Namen entscheiden, der aus einer bus unterwegs. „Wir geben uns oft die Klinke in die Hand.
früheren Ehe stammt. Sie kommt, ich gehe oder umgekehrt." Weniger das
Bewusstsein, Karriere zu machen oder eine Machtpositi­
A ufgaben on erreichen zu müssen, ist ihre Triebfeder, sondern das
1. Lesen Sie zuerst den Artikel über einen „Fall", Gefühl der Zufriedenheit, etwas erreicht zu haben. Er ver­
der häufiger vorkommt. steht, was sie bewegt, und er liebt sie dafür. Für ihn, das
gibt er gerne zu, ist die Karriere das lohnende Ziel.
Beide stellen kritisch fest: Telefongespräche sind das
Gemeinsam oder einsam? emotionale Band, das sie verbindet, aber die Nähe des
Warum sich Paare für die „Fernliebe“ entschließen Partners fehlt in kritischen Momenten. Fernliebe hat lei­
„Der Beruf macht uns beiden viel Spaß. Leider arbeiten denschaftliche Phasen, aber die Gefährdung der Liebe ist
wir in verschiedenen Branchen an verschiedenen Orten. immer gegenwärtig.
Aber das ist kein Problem. Wir lieben uns." Das sagt mit Das Statistische Bundesamt hat die Fernliebenden noch
Überzeugung Andrea Steiner, 38 Jahre alt, verantwortlich nicht erfasst. Es sind vor allem unverheiratete Paare, aber
fü r eine Abteilung mit 75 Mitarbeitern in einem weltweit auch Ehepaare, meist Berufstätige der Mittelschicht, die
operierenden Unternehmen. Ihre Dynamik und ihre gute am Anfang oder im Zenit ihrer Laufbahn stehen.
Ausbildung haben sie bisher über alle Hürden getragen.
Die waren oft relativ hoch, vor allem Personalprobleme
haben ihr ganzes psychologisches Geschick gefordert. 2.Ordnen Sie zu.
Aber sie hat die Dinge zur Zufriedenheit von Manage­ aussteigen
ment und Mitarbeitern gemeistert undfühlt sich ange­ umsteigen
spornt, neue Aufgaben „anzupacken“. Da kam das Ange­ aufsteigen
bot von der größeren Firma wie gerufen. Sie greift zu, absteigen einen weniger qualifizierten
zieht wieder um und managt souverän Umzug, Neuan­ Beruf annehmen
fang und Familie. 3. Können Sie sich „Fernliebe" in Ihrem Leben
vorstellen?
S o z ia l e s 67

Einschätzung der gesellschaftlichen Zukunft


Jugendliche nach (15-24 Jahre in Prozent)
%

der Wende und heute


düster West
58

M e in u n g e n und
Reaktionen seit der Wende

Nach der Wende häuften sich die Studien über Jugend­ 15. S hell Ju g e n d s tu d ie Ju g e n d 2006, im Auftrag des J u g en d w erk s d e i D eu tsc h en Shell

liche in Ost und West. In der Studie Jugend 92" waren


gen überhaupt eine Zukunftschance bietet, ob die
Ost- und Westdeutsche positiv gestimmt, als sie nach
Arbeitsplätze auch vorhanden sein werden usw. Viele
ihren Zukunftsplänen befragt wurden. Demnach ging
passten sich schnell an, andere konnten sich nicht
die jüngere Generation optimistisch in die Vereinigung
behaupten und fühlten sich als Verlierer. Die Gestal­
hinein und hat diesen Optimismus auch danach noch
tung der Zukunft erfordert Entscheidungskraft und
beibehalten.
Eigeninitiative.

Dieses Bild ist natürlich einseitig, denn die Realität


Arbeitslosigkeit ist ein zentrales Thema. Hier treffen die
bietet andere Extreme. In den neuen Bundesländern
Probleme von Ost und West zusammen, besonders bei
war die Vereinigung ein krasser Einschnitt. Innerhalb
Jugendlichen ohne oder mit schlechter Berufsausbil­
kürzester Zeit mussten sich die Jugendlichen völlig
dung. Dazu gehören Gruppen ostdeutscher, aber auch
neuen Lebensbedingungen anpassen. Die sozialisti­
ausländischer, vor allem türkischer Jugendlicher. Es gibt
sche Einheitspartei (SED) der ehemaligen DDR hatte
viele Stimmen, die mehr Ausbildung und Förderung für
das gesellschaftliche Leben geprägt.Gute sozialistische
ausländische Jugendliche fordern, um die Entstehung
Bürger sollten sie werden, vor allem in Geschichte und
von Parallelgesellschaften (Teile der Gesellschaft, die
Staatsbürgerkunde wurden sie entsprechend unter­
sich abschotten) zu vermeiden,die Chancengleichheit
richtet. Wehrkunde für die Jungen sollte der Verteidi­
zu erhöhen und einen stabilen Arbeitsmarkt der
gung des sozialistischen Vaterlands dienen. Kinder und
Zukunft zu entwickeln.
Jugendliche waren in der ehemaligen DDR in ein Schu­
le und Freizeit umspannendes System eingebunden.
Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt schwankt sehr
Als Kinder waren sie „Junge Pioniere", als Jugendliche
stark. Unternehmen senken ihre Kosten und sparen
gingen sie meist in die FDJ (= Freie Deutsche Jugend);
auch an Ausbildungsplätzen,wenn die Konjunktur
„Junge Pioniere" und FDJ waren wie die Schule staatli­
schwächer wird. In der Vergangenheit wurde dann er
che Kinder- und Jugendorganisationen. Heute sind
Ruf nach einer Ausbildungsplatzabgabe für nicht aus­
Schule und Freizeitaktivitäten getrennt.
bildende Firmen laut. 2008 werden zum ersten Mal
Reale Existenzängste waren nach der Wende die un­
nach längerer Zeit mehr Lehrstellen angeboten als
ausbleibliche Folge. Neben der Freude an der neu
benötigt werden. Ausbildungsplätze werden zum Teil
gewonnenen Freiheit verbreitete sich Unsicherheit,
auch mit öffentlichen Mitteln geschaffen.
welcher Beruf unter den radikal veränderten Bedingun­
S o z ia l e s

Sch ül er -S tim me n Mit gemischten


kurz nach der Wende Gefü hl en in die Zukunft______________
Ergebnisse der
Ich gehöre zu den 10 jungen Menschen, die 1985 das Shell Studien 1997,2000,2002 und 2006.
berühmte Loch in die Mauer der Bernauer Straße Die gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreicht, das
geschlagen haben und dafür von der West-Berliner war das ernüchternde Ergebnis der Shell Studie 1997.
Polizei verhaftet wurden. Deshalb freue ich mich als Anfang der 8oer-Jahre gab es eine gehörige Portion
Wessi nach wie vor über die Einheit. Trotz aiier Proble­ Pessimismus, aber der bezog sich auf die Angst vor
me, die es beim Zusammenwachsen gibt. Gemeinsam Atomkrieg und Zerstörung der Umwelt und änderte
werden wir sie lösen. Wir dürfen nur nicht länger hin­ nichts daran, dass dieselben Leute oft recht optimis­
nehmen, dass einige Politiker uns nach dem jahrzehn­ tisch in die eigene Zukunft blickten. Diese optimisti­
telangen Traum von der Einheit nun Albträume der sche Grundstimmung ist in der Shell Studie 2000 deut­
Uneinigkeit einreden wollen! Gert, 2 -/ lich belegt. Zuversicht ist allerdings nicht mit Unbe­
kümmertheit gleichzusetzen, vielmehr zeichnet sie sich
Auch vor der Wende konnte hier in der Schule jeder durch eine klare Lebensplanung aus mit dem Willen,
sagen, was er wollte. In den West-Schulbüchern steckt die Ziele mit Ausdauer und Leistungsbereitschaft zu
auch viel Ideologie. Im Westen wird auch gelogen. erreichen. Das betrifft natürlich vor allem Jugendliche,
Mandy, 77
die bessere Voraussetzungen mitbringen, in Bildung,
durch Unterstützung von den Eltern und aufgrund von
Ich war kein Mitglied der FDJ oder der Jungen Pioniere.
entsprechenden Persönlichkeitsressourcen. Wesentlich
Die Entscheidung gegen die SED-Jugendverbände
pessimistischer sehen diejenigen die Zukunft.die
trafen meine Eltern. Weil ich nicht zur Armee wollte,
schlechteren Bedingungen unterworfen sind. Das sind
durfte ich auch nicht zur Spezialschulefü r Naturwis­ vor allem auch ausländische Jugendliche, die in der
senschaften. Meine Lehrer wollten mich immer über­ Studie 2000 zum ersten Mal berücksichtigt wurden.
reden, in die FDJ einzutreten. Irgendwann haben sie es
aufgegeben. Jetzt bin ich Klassensprecher - nicht ganz Obgleich die Zukunft unserer Gesellschaft im Vergleich
zufällig. Dietrich, j 8 zu früheren Shell Jugendstudien im Jahr 2002 uneinheit­
licher beurteilt wird, herrscht dennoch weiter eine posi­
Einige der Lehrer müssen gehen. Sie können keinen tive Grundstimmung vor. Im Jahr 2006 trübte sich die
modernen Unterricht machen. Viele Lehrer sind aber Stimmung etwas ein. (Anmerkung: Die anziehende Kon­
auch locker geworden. Das heißt, sie sind nicht mehr so junktur hat im Jahr 2007 das Blatt wieder gewendet.)
streng. Ich warfrüher Sekretär in der FDJ (Freie Deut­ Insbesondere das politische Engagement steht der
sche Jugend; staatliche Jugendorganisation in der Jugend um 2006 eher fern, und das schon seit der zwei­
DDR). Niemand wollte den Posten, da habe ich mich ten Hälfte der 8oer-Jahre - mit Ausnahme von Studenten
beworben. Außerdem kam das gut beiden Behörden und Schülern der gymnasialen Oberstufe. Man orientiert
an, wenn man studieren wollte. Mit Begeisterungfür sich leicht links von der Mitte und ist gegen den politi­
den Sozialismus hatte das aber nichts zu tun. Arne, 18 schen Extremismus. Hoch im Kurs stehen Menschen­
S o z ia l e s 69

rechts- und Umweltschutzgruppen sowie alle parteiun­ zusammenfallen („Rushhour" des Lebens). Da bleibt
abhängigen Institutionen wie Justiz und Polizei, mäßig der Kinderwunsch häufig „auf der Strecke".
geschätzt sind Politiker und politische Parteien. 64% der
Jugendlichen West sind 2006 mit den gesellschaftlichen Die 15. Jugendstudie 2006 widmete sich besonders den
Verhältnissen zufrieden, aber nur 41% im Osten. Hier Themen „Jung und Alt" und der Einstellung zur Religiosi­
herrscht das Empfinden vor, sozial benachteiligt zu sein. tät. Dabei ergab sich, dass die Jugendlichen an sich selbst
Das trifft besonders für ländliche Räume zu. hohe Anforderungen stellen und ihren Platz in der
Jugendliche engagieren sich in ihrer Freizeit für andere, Gesellschaft fordern. Sie wissen, dass sie für sich selbst
für sozial schwache und benachteiligte Menschen und Vorsorgen müssen (Rente), und vermissen die Toleranz
für ein besseres Zusammenleben überhaupt. Gleichal­ der Alten ihnen gegenüber. Den Älteren verweigern sie
trige und deren konkrete praktische Probleme,die Inte­ aber nicht ihre Achtung und Solidarität.
ressen Jugendlicher und eine sinnvolle Freizeitgestaltung
sind ein weiteres Thema. Ihre Haltung ist pragmatisch Die Studie zeigt, dass das jugendliche Wertesystem stabil
und orientiert sich nicht an ideologischen Mustern. Die und positiv ausgerichtet ist. Religionsfeme Jugendliche
persönlich befriedigende Aktivität, aus der man einen in Ostdeutschland (64%) und Westdeutsche unterschei­
Gewinn im eigenen Umfeld ziehen kann, ist das Ziel. den sich weniger als vermutet. Nicht die Kirche, sondern
die Familie und der Freundeskreis übernehmen die stüt­
Europa ist für die Jugendlichen eine Realität, die positiv zende Funktion.Typische Werte der Jugendkultur verbin­
gesehen wird: Europaweites Reisen, Studieren und Arbei­ den sowohl Jugendliche in Ost und West wie Jugendliche
ten und die damit verbundene kulturelle Vielfalt sind aus Migrantenfamilien. Jugendliche nehmen an kirchli­
attraktiv. Besorgt äußern sich manche zum Prozess der chen Großveranstaltungen teil, stehen der Kirche wohl­
Globalisierung, wobei die meisten sich keine Vorstellung wollend, aber kritisch gegenüber; 68% sind der Meinung,
von den Auswirkungen machen können. Die Rolle,die dass die Kirche sich ändern müsse.
dem vereinigten Deutschland in der Welt international
mehr und mehr zukommt, wird pragmatisch und ohne 2003 zeigten Jugendliche, dass die Rede von Politikver
„ideologische Scheuklappen" gesehen. drossenheit und Organisationsmüdigkeit so nicht
stimmt. Engagiert mischen sie sich ein und stärken das
Was das private Leben angeht, so sind auch heute Cli­ Netzwerk „Schulen ohne Rassismus", dem 2008 schon
quen für die Jugendlichen wichtig, gut 70 % sind ent­ über400 Schulen bundesweit angehören (in Europa
sprechend eingebunden. Die Jugendlichen räumen 600, siehe S.74).
aber gleichzeitig der Familie einen hohen Stellenwert
ein. Rund drei Viertel der Jugendlichen zwischen 13 und
18 Jahre wohnen noch in der Familie und kommen mit
den Eltern gut klar. Neben „Karriere machen" sind
Familie und Kinder zentrale Zielvorstellungen für das
Leben. Problematisch wird für junge Frauen, dass Aus­
bildung, berufliche Integration und Partnerschaft mit
Familiengründung in einem sehr kurzen Zeitraum
70 S o z ia l e s

Ju gendliche heute____________________
1. Eine Meinung und viele Fragen
Ein Jugendlicher aus der „Dritten Welt" würde den Deutschland war die geografische Schnittstelle im Ost-
Kopf darüber schütteln, dass deutsche Jugendliche von West-Konflikt. Der ist lange überwunden. Normalität
Sorgen und Zukunftsängsten geplagt sind. Niemand ist eingetreten. Für viele Jugendliche liegt die Wende
verhungert, niemand erfriert. Aus der Nähe besehen weit zurück, zum Teil waren sie noch nicht geboren
gibt es jedoch schon ernsthafte Probleme und es geht oder noch Kleinkinder. Der Blick geht deshalb in die
keineswegs ausschließlich um die materielle Existenz. Zukunft und fokussiert sich auf die Chancen und die
Da sind die Ängste der ganzen Gesellschaft, die sich Probleme. Viele junge Menschen engagieren sich in
auch auf die Jugendlichen übertragen. Ganz persönli­ Jugendverbänden, in der Familie, in der Schule, in der
che Probleme kommen hinzu: Finde ich für meine Gemeinde z.B. bei der Deutschen Jugendfeuerwehr
Fähigkeiten den entsprechenden Beruf in dem rasan­ oder bei den Pfadfindern. Sie gehen in Chöre (Deutsche
ten technischen Wandel? Wofür lohnt es sich zu leben? Chorjugend) oder in Trachtenvereine. Bei der Gewerk­
Werde ich als Jugendlicher überhaupt von der Gesell­ schaftsjugend streifen sie das verstaubte Image ab und
schaft gebraucht? Wer gibt mir Gelegenheit, meine beteiligen sich an Unterschriftenaktionen und Info-
Ideen, meine Einsatzbereitschaft, meine gute Laune, Ständen.
meine eigene Person einzubringen? Da stellen sich
natürlich auch Ängste, Sorgen und Befürchtungen ein; Deutsche Jugendliche reisen gerne ins Ausland, mit der
und esfehlt nicht an falschen Propheten, die das aus­ Familie oder mit der Schule. Immer beliebter werden
nutzen. Jugendreisen kommerzieller Veranstalter, die gut orga­
(au%: Halt! Keine Gewalt, a.a.O., 5. ro) nisiert und betreut sind. 13- bis 15-Jährige verreisen
schon mal ohne Eltern, 16- bis 18-Jährige sowieso. Ein
gelungener Urlaub ist ein Urlaub mit Sonne und
Schnee, mit Sport wie Snowboarden oder Segeln, kurz­
um: alles, was Spaß macht. Die Jugendlichen möchten
A ufgaben
etwas erleben, aber auch mal faul sein. Nicht wenige
1. Stimmen Sie dem Schreiber dieses Artikels zu?
interessieren sich für Sprachreisen, zum Beispiel nach
In welchem Land leben Sie? Welche Fragen haben
England, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Viele
Sie sich selbst auch schon gestellt?
Jugendbegegnungen finden aufgrund besonderer
außerschulischer Austauschprogramme statt, z.B. im
2. Optimismus hat Zukunft. Können Sie zustimmen
Rahmen des Deutsch-Französischen Jugendwerks, in
oder sind Sie eher pessimistisch?
neuen Partnerschaften mit Polen und Tschechien, in
deutsch-israelischen Begegnungsprogrammen oder
internationalen Camps. Dabei können Kultur, Spracher-
werb oder Aufbauarbeiten im Vordergrund stehen.
Begegnung führt zu mehr Toleranz und trägt dazu bei,
Konflikte mit friedlichen Mitteln auszutragen (siehe
auch S.72 Schüleraustausch).
So z ia l e s

Mehr als 2,5 Millionen Zivildienstleistende haben bis­ organisiert. Die meisten Verbände sind im Deutschen
her ihren Dienst in Krankenhäusern,Jugendherbergen, Bundesjugendring (DBJR) zusammengefasst:der Bund
im Rettungs- und Krankentransport und bei der Behin­ der Deutschen Katholischen Jugend, Deutsches
dertenbetreuung oder in Pflegeheimen geleistet. Nur Jugendrotkreuz, Deutsche Pfadfinderschaft, Jugend im
anerkannte Kriegsdienstverweigerer aus Gewissens Bund für Umwelt und Naturschutz und viele andere
gründen können Zivildienst leisten. Jugendorganisationen wie die Deutsche Sportjugend,
Ca. 68 000 Wehrpflichtige stehen dem Grundwehr­ das Deutsche Jugendherbergswerk und der Bund deut­
dienst zur Verfügung; anerkannt sind 88 000 Kriegs­ scher Pfadfinder und Pfadfinderinnen. Die Projekte rei­
dienstverweigerer. Zurzeit stehen mehrStellen zurVer- chen von Brunnenbau und Wiederaufforstungen bis
fügung, als es Kriegsdienstverweigerer gibt. Die Aus­ zum Engagement gegen Kinderarmut und für einen
wahl ist groß, und viele können sich auch für ein Frei­ nachhaltigen Umgang mit der Natur.
williges Soziales oder Ökologisches Jahr im In- oder
Ausland entscheiden.
Der Auftrag der Bundeswehr hat sich in den letzten Jugendverbände im BJR
Jahren grundlegend gewandelt: Nicht mehr die Lan­ Nehmen wir an, Sie wollen unter Menschen kom­
desverteidigung ist ihre Aufgabe, sondern Auslandsein­ men. Sie wollen mal Ihre Meinung sagen, Sie wollen
sätze und Friedensmissionen, bei denen sie sich hohes „etwas tun" oder Sie wollen in der Gemeinschaft ju n ­
Ansehen erworben hat. Seit 1999 ist die Bundeswehr ger Menschen leben, dann... dann finden Sie diese
im Kosovo präsent. 2001 erteilte der Deutsche Bundes­ Sätze in einer Broschüre, mit der die KJG, die Katholi­
tag das Mandat für die Beteiligung am ISAF-Einsatz in sche Junge Gemeindejugendliche auf sich aufmerk­
Afghanistan, das später ausgeweitet wurde. Die Bun­ sam machen möchte.
deswehr stellt fast die Hälfte der Awacs-Besatzungen Die KJG ist eine von mehr als 400 Jugendorganisatio­
in Afghanistan und ist auch an der UN-Friedensmission nen, die sich in Bayern im Bereich der Jugendarbeit
im Libanon und am Horn von Afrika beteiligt. Sie setzt engagieren. Über 4 0 % der Jugendlichen sindfü r das
seit Jahrzehnten im internationalen Rahmen Militärbe­ Gemeinwesen tätig.
obachter (UN Military Observer) in Krisengebieten ein. Das Spektrum der Aktivitäten ist breit, es reicht vom
Der zunehmend risikoreiche Einsatz in Afghanistan ist Fußballspiel bis zur Diskussion über das Thema
jedoch politisch umstritten. Armut in der Welt, von der Altpapiersammlung bis
zur Pflanzaktion, vom Stadtteilfest bis zum Volks­
tanz, von der Behindertenbetreuung bis zum Zeltla­
J u g e ndorg a ni s at io ne n -
ger, von der Meditation bis zur Straßensammlungfür
Jugend program me
einen wohltätigen Zweck.

Zuständig für die Jugendarbeit - für ein Angebot an


Sportvereinen, Musikschulen usw .-sind in der Bundes­
republik die Kommunen. Bund und Länder sind verant­ A Üsipsi
wortlich für die rund 80 überregionalen Jugendverbän­ Deutsches
de, in denen sich etwa ein Viertel der Jugendlichen Jugendherbergswerk

Bund deutscher
Pfad fi Inderinnen
72 S o z ia l e s

Austausch In der Schule Roder (15), die das Gymnasium besucht, in ihrer Freizeit
Fußball, Hockey und Volleyball spielt und sich für das
Der Schüleraustausch fördert besonders die internatio­ Jugendparlament in Bayreuth bewirbt.
nalen Kontakte zwischen Schülern, Lehrern und Schu­
len, Die Projekte werden vom Pädagogischen Aus­ x-bay: Warum hast du dich als Kandida­
tauschdienst (PAD) der Kultusministerkonferenz tinfü r das Jugendparlament beworben?
(www.kmk.org) durchgeführt, der Geld vom Auswärti­ Annemarie: Ich habe mich beworben,
gen Amt, den Ländern und der E U -E U Programm weil ich gerne und viel diskutiere, mich
„Jugend" - bekommt (sieheauch S. 103/104). gerne für andere einsetze und etwas
Es gibt folgende Schwerpunkte: verändern will. Ich habe einige Vor­
• Schulpartnerschaften mit den USA, Israel und den schläge, die ich einbringen will,
MOE/GUS-Staaten (MOE = Mittel-Ost-Europa). x-bay: Was muss sich deiner Meinung nach in Bayreuth
•Prämienprogramm: Gewinner landesweiter Deutsch­ ändern?
landwettbewerbe in über 90 Ländern werden zu Annemarie: Die öffentlichen Sportanlagen müssen ver­
einem Besuch nach Deutschland eingeladen. bessert werden und das Freizeitangebot für Jugendli­
•Sonderprogramme im Rahmen des Europäisch-Isla­ che muss erweitert werden.
mischen Kulturdialogs, die sich an Schülerinnen und x-bay: Was würdest du als Erstes ändern? Wie würdest
Lehrerinnen aus Ländern mit hohem muslimischen du es ändern?
Bevölkerungsanteil richten. Annemarie: Ich würde als Erstes die Sportplätze reno­
vieren und kostenlose Jugendräume einrichten lassen.
Die deutschen Auslandsschulen, ein zentrales Element Außerdem würde ich den Schulen vorschlagen, mehr
der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, sind Stät­ Wahlfächer anzubieten.
ten der Begegnung im Gastland. Weltweit werden weit x-bay: Warum bist du die perfekte Kandidatin? Was
über hundert Schulen gefördert. Unterstützt wird das unterschiedet dich von den anderen?
Auswärtige Amt von den Bundesländern, aus denen die Annemarie: Ich finde, dass es keinen perfekten Kandi­
Lehrer kommen und die die deutschen Schulabschlüsse daten gibt. Dafür kann es aber ein perfektes Team
vergeben. geben, das sich für die Jugendlichen in Bayreuth eiriset-
zen wird. Zu diesem Team will ich gehören,
x-bay: Was erwartest du dir von den anderen Mitglie­
Mitsprache in der Politik_____________
dern des Jugendparlaments?
Annemarie: Ich erwarte von ihnen eine gute Zusam­
ln Städten und Kommunen gibt es die verschiedensten
menarbeit und gute Vorschläge,
Modelle fürdie aktive Beteiligung von Kindern und
x-bay: Was hältst du vom Freizeitangebot in Bayreuth?
Jugendlichen an politischen Entscheidungen, die ihre
Annemarie: Das Angebot ist nicht schlecht. Aber man
Interessen betreffen. Es gibt Jugendparlamente,
kann immer etwas verbessern,
Jugendforen jugendgemeinderäte oder Jugendräte. Im
x-bay: Was ist dein Wahlmotto?
Folgenden lesen Sie ein Interview von x-bay (Nordbaye­
Annemarie: No risc, nofun!
rischer Kurier vom lo./n. März 2007) mit Annemarie
S o z ia l e s

A u fg a b en Manuel begann eine Lehre als Automechaniker und ging früh aus
1. Wie ist Ihre Meinung zur Stärkung von Kinder- dem Haus, traf sich mit Freunden und kam spät zurück. Es blieb
und Jugendlichenrechten? das Mittagessen am Wochenende.„Ich habe gegessen“, sagt er,
2. Machen Sie eine Internetrecherche zu diesem „und sie haben geredet, Dann bin ich aufgestanden. Ich hatte kein
Thema. Verhältnis zu meinen Eltern. Mir war es egal.“
So wie es bei vielen zwischen Kindheit und Erwachsensein ist.
Die Gruppe ist stärker als die Eltern. Und Manuels Gruppe war
Re ch tsr adikalismus - vier Artikel zu
und ist rechts. Und immer wieder das Argument von der „tollen
einem schwierigen Thema Gemeinschaft". (nach: » v o m 2 6 .1 I.I9 9 8 )

Eine rechte Kulturrevolution im Osten? Braune Wurzeln


Ein Kind läuft mit. Rechte gab es in der DDR seit Anfang der 8oer-Jahre. Und mitge­
Ratlos erlebt ein Lehrerehepaar in Brandenburg, dass der Sohn macht haben Söhne von Offizieren, Journalisten, Parteikadern. Sie
den Hitlergruß übt. Berlin im November - Die Familie Buschnick wollten auf rabiate Art Ordnung hineinbringen in die desorgani­
lebt in einemßachen Haus mitten im Land Brandenburg am sierte, unehrliche DDR, in der ihnen von den Eltern Opportunismus
Rande eines Dorfes, ivo der Blickfrei ist auf Wiesen und Wälder. vorgelebt wurde. Es kam ihnen altes lasch vor, klebrig. Undje mehr
Das Haus ist nett eingerichtet, nicht spartanisch, nicht pompös. das Land verfiel, umso deutlicher traten sie hervor.
Vereinzelt ein bisschen Kitsch wie eine Miniaturlokomotive und Einerseits gab es da diesen Antifaschismus, der war ernst gemeint.
ein Landschaftsbild. Aber gleichzeitig hatte die DDR eine völkisch-nationale Kompo­
Im Wohnzimmer sitzt Renate Buschnick. Sie heißt in Wirklichkeit nente, die rechtsextremes Denken begünstigte. Die wenigen Aus
anders, denn sie möchte wie auch ihr Sohn nicht mit richtigem länder gettogleich in Extraheimen untergebracht. Die vielen Inlän­
Namen beschrieben werden, wegen des Themas und des kleinen der nur in bestimmtes, kleines, ähnliches Ausland gelassen. Der
Ortes. Sie ist Schuldirektorin, eine energische,fröhliche Frau mit eigene Sozialismus immer als den besten bezeichnet und den der
rot gefärbten Haaren. Sie erzählt, wie sie es gemerkt hat. „Zuerst Bruderländer unter der Hand als Schrott. Sanfter Rassismus
an den Aufklebern. In Manuels Hausaufgabenhefter stand die­ unterm Parteiabzeichen.
ser Spruch: Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. In der Brieftasche: (nach: Birk M einhardt, in: SZ vom 23.11.1998)

Ausländer raus. Das muss so in der 7., 8. Klasse gewesen sein."


Der Sohn ist nach rechts gedriftet, nach ganz rechts, wie so viele
Im Bremer Umland treten NPD und „freie Kamerad­
im Osten. Jungen und Mädchen, die aus der Mitte der Gesell
schaften“ in Erscheinung
schaff kommen, nicht vom armen Rand. Es passiert so leicht, so
Nur zufällig begegnen am vergangenen Freitag die zwei Jugendli­
unmerklich, was spielt sich da bloß ab?
chen den dreijungen Erwachsenen. Als ihnen „Scheiß Zecken"
Manuel:„Ich bin durch kopierte Kassetten von Kumpels dazu
entgegenschallt, wolien sie noch schnell die Straßenseite wech­
gekommen", sagt er. „Die erste war von Freikorps. Hat mir gefal­
seln. Die drei glatzköpfigen Täterin Bomberjacken schlagen
len. " Renate Buschnick meint, eher fragend als feststellend:
jedoch sofort auf die beiden ein. Als eines der Opfer zu Boden
„Vielleicht hatten wir zu wenig Zeit fü r ihn. Es ging ja meistens
geht, treten sie mit ihren Springerstiefeln weiter zu. Nur weil der
ruck zuck. Was Neues in der Schule?-Nö. Alles in Ordnung." Sie
■14-Jährige sich bewusstlos stellt, lassen die alkoholisierten Neona­
macht sich heute deswegen Vorwürfe. Andererseits sagt sie sich,
zis von ihm ab. Wenige Straßen weiter besprühen die unbekann­
das kann nicht der Grund sein, dass er in die rechte Ecke driftete.
ten Täter einen geparkten Mercedes mit Nazisprüchen.
Das reicht ja wohl nicht als Grund.
74 S o z ia l e s

„Wir ermitteln wegen Körperverletzung“, erklärt der Kommissa­ Einsatz gegen Rechts
riaisleiter der Polizei Achim. Nicht der erste rechte Vorfall, den die Entscheidend sind Hartnäckigkeit und gute Ideen
Polizei in der niedersächsischen Stadt südöstlich von Bremen bin­ Von Manja Greß und Florian Oertel
nen zwei Wochen untersuchen muss. Bereits am Wochenende des Über Hakenkreuze auf dem Schulklo und rechte Pöbeleien kann
6,/j. Dezember schändeten „unbekannte Täter“den örtlichen man sich ärgern - man kann aber auch etwas dagegen unter­
jüdischen Friedhof. Mit orange Farbe schmierten sieJude nehmen. Vielen fehlt dazu der Mut, und gerade da, wo „die
verecke" (mit Schreibfehler) und Flakenkreuze auf die Grabsteine. Rechten“den Ton angeben, ist das verständlich. Doch es gibt
An die Außenwände des nahe gelegenen Schulzentrums sprühten viele Beispiele, die zeigen, dass es sich lohnt, wenn sich junge
sie„Fleil Deutschland" und,, Wir sind zurück". Leute zusammentun, um Neonazis - ganz ohne Gewalt - etwas
„Die Neonazis haben in der Region ihre Aktivitäten erhöht, um entgegenzusetzen.
neue Mitglieder zu gewinnen", bestätigt ein Sprecher des nieder­ Eine „braune Tonne" zum Beispiel stellten Schülerin einer Stadt
sächsischen Verfassungsschutzes (VS) gegenüber der„taz". In den in Niedersachsen auf dem Schulhof auf, erzählt Holger Kubick
vergangenen Monaten organisierten die lokale Nationaldemo­ vom Projekt „Mut gegen rechte Gewalt" in Berlin.„Die Tonne ist
kratische Partei Deutschlands (NPD) gemeinsam mit der regiona­ für rechtsradikale Flugblätter und CDs gedacht, die dort immer
len „Kameradschaft Weser Ems"zwischen Verden, Rotenburg und wieder verteilt werden."
Achim Infostände sowie eine Mahnwache. Ganz im Sinne der Wer etwas gegen rechte Umtriebe tun will, sollte sich frühzeitig
neuen NPD-Strategie versuchen die Aktivisten um Sven Wellhau­ um Mitstreiter kümmern, rät Eva Eschenbruch vom Projekt P in
sen (...) vor allem an Schulen neue Kameraden zu gewinnen. So Berlin, das Jugendliche beim Gründen von Initiativen zur politi­
verteilt Wellhausen mit weiteren Neonazis bereits Flugblätter am schen Beteiligung unterstützt....
Schulzentrum in Thedinghausen nahe Achim. Wer ein Zeichen setzen will, kann versuchen, seine Mitschüler
(nach: vvww.rcchtegewalt.de, eine Dokum entation vom Dezember 2003) fü r das Projekt Schule Ohne Rassismus - Schule Mit Courage zu
gewinnen . Diesen Titel in Form eines Metallschilds bekommen
Schulen, in denen mindestens 70 Prozent aller Schüler, Lehrer
und Angestellten per Unterschrift erklärt haben, sich gegen Dis­
kriminierung und Rassismus einzusetzen. Derzeit tragen über
250 Schulen das Metallschild, sagt Projektleiterin Sanern Kleff in
Berlin. (Aus: Nordbayerischer Kurier vom i 8./ig. 06. 2005J

Jugendliche engagieren sich zunehmend gegen Rechts. Im Juni


200sfand ein bundesweites Treffen in Saarbrücken statt, das
unter dem Motto „Schulen stärken lokale Netzwerke gegen Dis­
kriminierung" stand. Schülerinnen und Schüler wollen eingrei-
fen, wenn Diskriminierung geschieht, und gesellschaftliche Ver­
antwortung übernehmen. 500 Jugendliche aus ganz Deutsch­
land nahmen teil sowie zahlreiche Prominente und Menschen
aus der Öffentlichkeit, die eine Schulpatenschaft übernommen
haben. Mehr unter www.schulenohnerassismus.org.
S o z ia l e s 75

Die Zukunft gehört den Alten


1. Eine „Revolution" kommt auf uns zu-darüber sind
sich viele e in ig -d ie einschneidender sein wird als ein
politischer Umsturz: Die Gesellschaft ergraut. Was pas­
siert? Die Bundesbürger werden heute dreimal so alt
wie vor 200 Jahren und gleichzeitig werden zu wenige
Kinder geboren. Die Erscheinung betrifft alle Industrie
länder und wird zunehmend zu einem weltweiten Pro­
blem. Lag der Anteil der über sechzigjährigen Deut­
schen im Jahr 1990 noch bei 21 Prozent, so ist er nach
der Jahrtausendwende schon bei 26, im Jahr 2035, dem
Höhepunkt der Entwicklung, wird er sogar bei satten
Wenn die Eltern berufstätig sind und die Krippenplätze nicht
vierzig Prozent liegen, darunter überproportional viele ausreichen, ist die Otna für die Kinder da.
Frauen (deren Lebenserwartung die der Männer um
sechs Jahre übersteigt). Der Anteil der unter Zwanzig­ arbeiten müssen? Das Renteneintrittsalter mit 67 Jah­
jährigen aber dürfte dann auf etwa 18 Prozent gesun­ ren ist schon angepeilt. Werden „altersgerechte"
ken sein. Arbeitsplätze geschaffen werden ?
Der demografische Wandel wird die soziale und Da müsste sich derTrend in der Personalpolitik der
politische Landschaft und die Märkte verändern (siehe Wirtschaft gründlich ändern. Bisher darf doch, wer mit
auch S. 12/13). 45 einen Jobwechsel anstrebt, davon ausgehen, von -
selbst meist angegrauten-ChefsdieTür gewiesen zu
2. Wer sind die Alten? Allen Zerrbildern vom „vertrottel­ bekommen. Ein absurder Jugendfetischismus, deraber
ten Greis" zum Trotz meistert die Mehrheit ihren Alltag allmählich brüchig wird, wie neueste Zahlen beweisen
mit ziemlicher Kompetenz und bei guter Gesundheit. - denn ältere Arbeitnehmer sind durchaus flexibel und
Die Oldies von heute haben eine bessere Allgemeinbil­ belastbar.
dung, sind fit und gesundheitsbewusst sowie besser
informiert und lernwilliger als früher. Eine Studie er­ Der Sozialstaat ist im Umbau, Renten- und Krankenver­
mittelte, dass es sich nicht um eine homogene Gruppe sicherung werden auf neue Beine gestellt, weil der
handelt, und unterscheidet „junge Alte“ zwischen 55 Staat wegen der ungünstigen demografischen Ent­
und 70, mittelalte Alte und Uralte mit 80 und darüber. wicklung weniger Leistungen erbringen kann und die
Bürger deshalb zu mehr Eigenvorsorge aufgerufen
3. Im Mittelpunkt der politischen Diskussion steht, wie sind. Aber oft reicht der Verdienst nicht, um auch für
das sozial funktionieren soll: Immer weniger Aktive das Alter vorzusorgen. Schon heute wächst die Alters­
müssen bei sinkenden Beschäftigungszahlen immer armut, wenn Arbeitslosigkeit oder Niedrigeinkommen
mehr Ruheständler finanzieren und die Jüngeren tre­ dazu führen, dass die Rente kaum zum Leben reicht.
ten zu spät ins Arbeitsleben ein, weil die Ausbildungs­ Alleinstehende Frauen sind da besonders betroffen.
zeiten lang sind. Wird der Arbeitnehmer wieder länger
S o z ia l e s

4. Die „jungen Alten" helfen den Kindern bei täglichen A ufgaben


Erledigungen, springen ein im Urlaub, passen auf die 1. Welche soziale Rolle spielen die Alten in Ihrem Land?
Enkelkinder auf. Sie leben am liebsten im eigenen 2. Können durch die Älteren neue bzw. alte Werte in die
Haushalt, möglichst in der Nähe der Familie. Die Frauen Gesellschaft eingebracht werden? Wie wäre das
kümmern sich gleichzeitig um die hochbetagten möglich?
Eltern. 3. Sind Sie der Meinung, dass die Situation der älteren
Einsam und seelisch belastet sind zunehmend Alte,die Menschen in diesem Artikel zu positiv gesehen
keine Familie haben, und Uralte, die in Pflegeheimen wird? Dann lesen Sie die folgenden Auszüge aus
ihr Lebensende erwarten, einem Zeitungsartikel:

5. Innovativ könnten die „jungen Alten" auf die Struktur


der Gesellschaft wirken. Soziales Engagement wird zu Der Wert des Lebens - eine Kostenfrage
einem wichtigen Faktor im Leben älterer Menschen.
Unter immensen Opfern der Angehörigen werden zwei
Daneben stehen „Selbstverwirklichung",„Konsum" und
Drittel aller Pflegebedürftigen zu Hause betreut. Mehr
„Mobilität" bei einem Viertel der 55- bis 70-Jährigen
als 2 Millionen Pflegefälle gibt es in Deutschland. 1,4
hoch im Kurs. Man macht in Kultur, pflegt seine
Millionen werden zu Hause gepflegt, über 600 000 in
Hobbys, setzt sich noch einmal in Universitätsseminare
einem Heim. Bei 70% der meist alten Menschen reicht
und studiert Kant und Hegel. Das sogenannte Senio­
die Rente nicht für die Heimkosten bis 3000 Euro im
renstudium wird begeistert angenommen.
Monat, die Pflegeversicherung muss einspringen.
Optimistisch denken Sozialwissenschaftler darüber
Es ist oft der Zufall, der die häusliche Pflege bestimmt -
nach, wie die Alten einbezogen werden können. Das
ob es Angehörige gibt, an welche Hilfsorganisationen die
Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser schafft
alten Menschen geraten, ob dort Kapazitäten frei sind. Es
Fakten: Über ganz Deutschland verteilt entstehen
ist Zufall, ob eine Schwester morgens eine Stunde lang
Tagestreffpunkte, in denen sich die Generationen wie­
als Hilfe kommt oder erst mittags und nur für zehn
der wie selbstverständlich begegnen und einander hel­
Minuten, sodass nur Fließbandpflege möglich ist.
fen. Die Häuser bieten einen Essensservice, Kinderbe­
(nach: lleidrun Graupner, Der Wert des Lehens
treuung, Garten- und Haushaltshilfe, PC-Kurse für Älte­ eine Kostenfrage, in-. SZ vom 8J 9.05.1993; aktualisiert 2007)
re und vieles, was das Miteinander unter einem Dach
fördert.Träger sind Kirchen, Seniorenclubs, Familien­
1995/96 ist eine lang diskutierte Reform verwirklicht
zentren und der Bund.
worden, die hilfsbedürftige Bürger gegen das finanziel­
Auch das Arbeitsleben wird sich umstellen und wieder
le Risiko absichert. Diese soziale Pflegeversicherung
stärker auf die Älteren achten müssen. Auf die Perso­
hilft bei der Pflege zu Hause oder im Heim. Auch Ange­
nalabteilungen der Unternehmen kommen neue Auf­
hörige, die die Pflege zum Beispiel ihrer alten Eltern
gaben zu, denn Ältere wollen wieder länger arbeiten.
übernehmen, können Geld bekommen. Die meisten
(gekürzt; nach: Michael Scholing. in: Vorwärts, März 1993, S. 6/7; aktuali­
siert 2007j Pflegebedürftigen sind nämlich 85 Jahre und älter. Irr
die Pflegekassen zahlen je zur Hälfte Arbeitnehmer
und Arbeitgeber.
S o z ia l e s

Die Erfahrungen mit der Pflegeversicherung sind


gespalten: Im professionellen Pflegebereich mangelt es
an Personal. Bei der häuslichen Pflege sind die Angehö­
rigen überfordert. Alte Menschen, die sich selbst ver­
sorgen, werden einsam. Die Pflegeversicherung hat
finanzielle Probleme.
Sie muss zukunftssicher gestaltet werden, denn die
solidarische Absicherung des Risikos der Pflegebedürf­
tigkeit bleibt gewährleistet. „Ambulant vor stationär"
ist das Leitbild der Reformanstrengungen,die sich auf
die Arbeit von Wohlfahrtsverbänden und Hilfsorganisa­
tionen in Verbindung mit den Krankenkassen stützen. Freizeit und Sport
Dass unsere Gesellschaft eine „Freizeitgesellschaft" ist,
Das Stichwort
hört man oft. Richtig ist auf jeden Fall, dass die Deut­
Arbeitslosengeld II (Sozialhilfe)
schen viel Urlaub haben, nämlich durchschnittlich
Finanzielle Hilfe der Städte und Kommunen für Men­
29 Arbeitstage im Jahr. Das sind fast sechs Wochen.
schen, die nicht genügend Geld für ihren Lebensunter­
Neben den freien Wochenenden haben die Deutschen
halt zur Verfügung haben. Zu den Empfängern gehören
etliche Feiertage, vor allem kirchliche Festtage. Die Zahl
Langzeitarbeitslose, ältere Menschen mit niedriger
der jährlichen Arbeitsstunden ist deshalb in der Bun­
Rente, Familien mit geringem Einkommen, alleinerzie­
desrepublik nach Schweden,den Niederlanden und
hende Mütter und Kinder.
Dänemark am niedrigsten.
Nicht berücksichtigt bei dieser Statistik sind allerdings
Das Stichwort Hilfsorganisationen
geleistete Überstunden,die besonders in bestimmten
Altenarbeit leisten die Seniorenorganisationen der Kir­
Berufen, wie z.B. den EDV-Berufen, anfallen. Überstun­
chen, der Gewerkschaften und der Parteien, die großen
den machen vor allem außerTarif bezahlte Angestellte.
Wohlfahrtsverbände wie das Rote Kreuz,die Caritas
Das sind Arbeitnehmer,die mehr als die mit den
und die Arbeiterwohlfahrt, außerdem Selbsthilfegrup­
Gewerkschaften ausgehandelten Tariflöhne verdienen.
pen, die Interessenvertretungen der Senioren und pri­
Seit 2004 ist eine 40- oder 42-Stunden-Woche zuneh­
vate Initiativen (siehe S.71,82). Bei der Betreuung Hilfs-
mend keine Seltenheit mehr. Die Mitarbeiter arbeiten
und Pflegebedürftiger haben sich besonders die Sozial­
oft länger als 38 Stunden, um ihren Arbeitsplatz zu
stationen bewährt. Das sind lokale Einrichtungen der
sichern.
Wohlfahrtsverbände. Ihre bezahlten Fachkräfte, Helfe­
Und die verbleibende Freizeit? Was machen die Deut­
rinnen und Helfer kommen ins Haus und leisten medi­
schen da? Musik hören,Disco,Fernsehen rangieren bei
zinisch-pflegerische Hilfe. Zu ihren Diensten gehört
jungen Leuten ganz oben; der Bundesbürger kümmert
auch die Versorgung mit warmem Essen, das als,.Essen
sich um die Familie,die Hobbys und treibt etwas Sport:
auf Rädern" von Helfern in die Wohnung gebracht wird.
Wandern und Spazierengehen sind weit verbreitet.
Abends sitzt er vor dem Fernsehe oder surft im Inter­
78 S o z ia l e s
Fastnacht in Kottweil

net; oft geht er auch mit Freunden aus­ Fasnet und der Münchner Fasching.
giebig und gut essen. Viele Menschen Andere Feste gehen auf historiSche Ereig­
nützen ihre Freizeit zur Weiterbildung nisse zurück, zum Beispiel das berühmte
jeglicher Art: Sprachen lernen,Tanzen, Münchner Oktoberfest auf ein Pferderen­
auch Yoga, kulturelle Veranstaltungen und vieles mehr. nen anlässlich der Vermählung des Kronprjnzen jm
Wenn man der Statistik glauben darf, gehört die Hälfte Jahr 1810. Und wenn in München das „größte Volksfest
der Deutschen einem oder mehreren Vereinen an. Am der Welt" beginnt, finden auch die Weinfeste zur Wein­
beliebtesten sind die Sportvereine, es folgen Kegel­ lese an Rhein und Mosel, in Baden, der Pfalz uncj j n
clubs, kirchliche Vereine, Gesangs- und Schützenverei­ Franken statt.
ne, Wander-,Tier- und Naturschutzvereine und nicht Gesetzliche Feiertage sind bestimmte kirchliche Feste,
zuletzt die Kleingartenvereine (nach: Globus 1488). außerdem der 1. Mai als „Tag der Arbeit" und der
3. Oktober, der „Tag der Deutschen Einheit".

Feste soll man feiern, wie siefallen... so heißt es im Für den Arbeitnehmer kann ein weiterer freier Tag
Sprichwort. An erster Stelle stehen die kirchlichen unvermutet hinzukommen. Jährlich veranstalten viele
Feste, die das Jahr begleiten: das Osterfest zum Tag der Betriebe sogenannte Betriebsausflüge. Kol|egjnnen
Auferstehung Christi, Fronleichnam mit seinen feierli­ und Kollegen, die sich sonst nur während der Arbeit
chen Prozessionen, Pfingsten und Weihnachten, das sehen, verbringen miteinander einen von der Firma
Fest der Geburt Jesu. Die vorweihnachtliche Advents­ organisierten Tag. Sie fahren gemeinsam rmt der Bahn,
zeit und Weihnachten sind verbunden mit einer unver­ dem Bus oder dem Auto aufs Land oder zu einem
wechselbaren Stimmung, mit Festvorbereitungen,dem sehenswerten Ausflugsziel, trinken und essen und
Schmücken des Weihnachtsbaums, mit Geschenken, freuen sich über diese angenehme Abwechslung im
Verwandtenbesuchen, aber auch mit Hektik und„Kauf- Arbeitsleben.
zwängen".
Unüberschaubar sind die Feste,die an bestimmte Bei der Gestaltung des Urlaubs oder auch nur einiger
Regionen und Orte gebunden sind. Auf dem Lande freierTage zwischendurch hat das Reisen höchste
bestimmte schon immer die Ernte das festliche Leben, Priorität. Schüler reisen heute öfter, länger Und auch zu
in den Städten waren es seit dem Mittelalter die Bürger weiter entfernten Zielen, bis in die USA oder nach
und die Handwerkszünfte,die Umzüge und Festlichkei­ Australien. Der Schüleraustausch macht es möglich,
ten organisierten. In dieser Tradition stehen der rheini­ dass Schüler einige Wochen oder Monate im Ausland
sche Karneval (Köln), die schwäbisch-alemannische verbringen und dort in einer Gastfamilie vvohnen, zum
Teil sogar am Ort zur Schule gehen.
Erwachsene reisen individuell oder in der Gruppe, oft
auch pauschal aus Kostengründen. Der Städte- und
Fahrradtourismus boomt und der Urlaubauf dem Bau­
ernhof. Neben Erholungs- und Aktiv-Reisen werden
auch häufig Bildungsreisen gebucht. Insgesamt hat der
Urlaub einen hohen Stellenwert. Lieber etwas länger in

Okloberfcst München
S o z ia l e s

Die Alpen
sind Lebens- und Wirtschaftsraum
für f1 Millionen Einwohner und
Urlaub, dafür auch im eigenen Land ist die Tendenz. In Erholungsraum für rund 100 Millio­
nen Menschen der ganzen Welf.
Europa sind Spanien, Italien und Österreich die beliebtes­
Somit ist der Tourismus heute der
ten Reiseziele; innerhalb Deutschlands ist es das Bun­ wichtigste Wirtschaftszweig, doch er
trägt zunehmend auch zur starken
desland Bayern rund ums Jahr und Ost- und Nordsee im Belastung von Mensch und Natur bei.
Sommer.

Aufwendige Sportarten, die gute Ausrüstung und viel


Training erfordern, haben in Westdeutschland von Jahr Freizeit ist für viele Menschen die Abkehr vom Alltags­
zu Jahr zugenommen. Sie sind für viele ein wichtiger trott, verbunden mit einem Gefühl von „Freiheit“, das
Bestandteil von Freizeit und Urlaub. Neben Fußball, sich in dem Wunsch nach grenzenloser Mobilität mani­
Schwimmen joggen, Radfahren sind besonders Skifah­ festiert. Das Mittel dazu ist der eigene Pkw. Die Folgen
ren, Tennis und Golf beliebt. Hinzu kommen Extrem- sind der ständig wachsende Verkehr, Staus, Luftver­
Sportarten für Wagemutige wie Marathon, Kajakfahren schmutzung, Umweltschäden in Landschaft und Tier­
und Paragliding, aber auch neue Fun-Sportarten wie z.B. welt. Während 1954 noch die Hälfte der Reisenden mit
Beach- und Volleyball. der Bahn fuhr und je ein Viertel mit Bus oder Auto, ist
Unübertroffen ist aber traditionell die Freude am Wan­ heute der Anteil der Bahnfahrer unter 10 % gesunken.
dern. Outdoor ist „mega-cool“ auch unter Kids und Weit über die Hälfte fährt mit dem eigenen Pkw in den
Jugendlichen. Markierte Wege eignen sich zum Wan­ Urlaub und mehr als 20 % nehmen das Flugzeug.
dern, Trekking oder Nordic Walking. Und der Radsport­ Besonders der Massentourismus hat deutlich die Ge­
begeisterte bewegt sich vorwärts auf dem Trekkingrad, fahren für Natur und Umwelt aufgezeigt: 40 000 Ski­
dem Mountainbike im Gelände, dem Rennrad oder dem pisten in den Alpen brachten Waldrodungen und Gelän­
Speed-Bike für größere Entfernungen. dekorrekturen mit sich. Diese Eingriffe in die Natur füh
Nach der Wiedervereinigung gab es einen Tourismus ren immer häufiger zu gefährlichen Bergrutschen und
völlig neuer Art. In der DDR waren die Reisemöglichkei­ im Winter zu Lawinenabgängen.
ten der Bürger beschränkt: Man reiste im eigenen Land, Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
vorzugsweise an die Seen im Norden oder an die Ostsee (BUND), eine bundesweit tätige Naturschutzorganisati­
oder fuhr in die „Bruderländer" im östlichen Ausland. on, wirbt deshalb für einen „sanften Tourismus", der die
Vielfach waren es die betriebseigenen Erholungsstät­ natürlichen Ressourcen wie Wasser und Energie schont.
ten, wo man samt Familie und gemeinsam mit seinen Im Fremdenverkehr spielt umweltgerechtes Verhalten
Arbeitskollegen den Urlaub verbrachte. Nach der Öff­ eine immer größere Rolle. Hinweisschilder in der Land­
nung der Grenzen setzte ein gewaltiger Reisestrom schaft oder Informationsbroschüren der Fremdenver­
Richtung Westen ein. Die neuen Bundesbürger versuch­ kehrsämterversuchen, die Touristen zum richtigen Ver­
ten, das Versäumte nachzuholen, und fuhren im eige­ halten in der Natur„zu erziehen".
nen Auto oder mit Bussen in die alten Bundesländer.
Oder sieflogen in Länder des westlichen Auslands, die ALPENRAUM (CIPRA = Com m ission
Internationale |X)ur la
bis dahin unerreichbarfür sie gewesen waren. M ehr w issen - w e n ig e r b e l a s t en P ro lec tio n des Alpes,
Eine Initiative der QPRA-Deutbchland e.V
Internationale Alpen-
schutzkonim ission)
wvvw.CLpra.org/de
S o z ia l e s

Breitensport und Spitzensport_______ Das Auswärtige Amt unterstützt die Sportzusammen­


arbeit mit der Dritten Welt, den MOE- und GUS-Staa-
Sport in Deutschland ist zum großen Teil Breitensport, ten, der Volksrepublik China und der Mongolei. Mit Gel
d.h. er steht dem Bundesbürger vom Kindes- bis zum dem aus dem Stabilitätspakt fördert das Auswärtige
Seniorenalter offen. Basis der Sportbegeisterung sind die Amt außerdem Projekte in Afghanistan.
über 90 000 Sportvereine,die im Deutschen Sportbund
(DSB) zusammengefasst sind. Nicht nur Fußball am Bild­ Fußball-Weltmeisterschaften
schirm, im Stadion oder im Verein ist der Favorit, auch Jah r Weltmeister Finalist Ergebnis / Ort

Tennis ist für breite Bevölkerungsschichten attraktiv. 2006 Italien Frankreich 6 : 4 Berlin
2002 Brasilien Deutschland 2 : 0 Yokohama
1998 Frankreich Brasilien 3 : 0 St.Denis
Der Deutsche Fußballbund (DFB) ist mit seinen 5,4 Mil­ 1994 Brasilien Italien 3 : 2 Los Angeles
lionen Mitgliedern der größte Fachverband in Deutsch­ 1990 Deutschland Argentinien 1 ; 0 Rom
land, nicht zu übersehen sind aber auch der Deutsche 1986 Argentinien Deutschland 3 : 2 Mexico City
1982 Italien Deutschland 3 ; 1 Madrid
Tu merbund, der Deutsche Ten nisverband, der Deutsche
1978 Argentinien Niederlande 3 : 1 Buenos Aires
Schützenbund oder der Deutsche Leichtathletikverband; 1974 Deutschland Niederlande 2 ; 1 München
dazu die Wintersportler, Reiter und Segler. Sehr beliebt 1970 Brasilien Italien 4 : 1 Mexico City
sind Aktionen des DSB wie Volksläufe oder Marathon- 1966 England Deutschland 4 ; 2 London
1962 Brasilien Tschechoslowakei 3 : 1 Santiago
Läufe,dieTausende von sportlich trainierten Menschen
1958 Brasilien Schweden 5 : 2 Stockholm
anziehen. 3 : 2 Bern
1954 Deutschland Ungarn
Der DSB verleiht das Sportabzeichen in Gold, Silber und
Bronze,das jährlich Hunderttausende in allen Alters­
gruppen in den Disziplinen ihrer Wahl erwerben. Das Sil­
Günter Grass und der Fußball
berne Lorbeerblatt als höchste Auszeichnung erhalten
SZ: Was hat Sie an der WM besonders fasziniert?
allerdings nur Spitzensportler, und zwar aus der Hand
Grass: In Vorbereitung der Weltmeisterschaft hat man
des Bundespräsidenten.
viel geunkt und Sicherheitsbedenken gehabt. Wir
Deutschen sind ja Weltmeister im Bedenken, das ist ein
Mit der Vereinigung begann für die Spitzensportler der
unbestrittener Titel, den wir haben. Und dann lief alles
ehemaligen DDR eine neue Ära. Sie waren zu DDR-Zeiten
ganz anders. Sehr heiter, sehr locker. Die Deutschen
in ein umfassendes Sportsystem eingebunden,das auf
waren sogar bereit, auf eine fröhliche Art und Weise
Hochleistung getrimmt war. Ein hierarchisches Gebilde
Flagge zu zeigen und haben gleichzeitig aus dieser
von Kinder-und Jugendsportschulen, Sportschulen und
Flagge ein vielfach verwendbares Bekleidungsstück
vom Staat bezahlten Betreuern und Trainern sollte die
gemacht: vom Wickelrock bis sonstwohin. Füllige ältere
Überlegenheit des Sozialismus beweisen. Dass Einzelleis­
Damen hatten eine neue Schminkmethode, sie haben
tungen zum Teil durch staatlich verordnetes Doping
sich schwarz-rot-gold a u f die Wangen gemalt, manche
erkauft waren, stellte sich erst nach der Wende heraus.
hatte Irokesen-Frisuren in den Landesfarben, ein Baby
Auch war der Neuanfang insofern schwer,als der DDR-
sogar den Schnuller. Diese völlig unorganisierte sponta­
Sport wie alle gesellschaftlichen Bereiche vom Stasi-
ne Art war überzeugend. Ich glaube, auch fü r viele
Spitzelsystem (S. 117) durchsetzt war.
S o z ia l e s 81

Bindungen und ausgesetzt allen Gefahren am Arbeits­


markt.
4. Heute geschieht der nächste Schritt: Die Menschen
werden aus den Sicherheiten der Industriegesellschaft,
wie sie über Jahrzehnte erkämpft wurden, entlassen in
Ausländer, die es miterlebt haben. Und ich hoffe, dass die Turbulenzen der Weltkrisengesellschaft. Ihnen
sich die Politiker im Nachhinein zurückhalten, nicht auf selbst wird nun das Leben mit widersprüchlichen und
dieser Welle mitreiten und das Ganze zu etwas stilisie­ persönlichen Risiken zugemutet.
ren, was es nicht sein kann und nicht sein wollte. 5. Individualisierung meint nicht Beziehungslosigkeit
(aus einem Interview der SZ vom 8J g .0j.2006) oder Emanzipation, sondern Ablösung von den Lebens­
formen der Industriegesellschaft: der Familie, der
Geschlechterrolle, der Gesellschaftsschichten.
Ersetzt wird dies durch Lebensformen, in denen die
A ufgaben Individuen ihre Biografie selbst herstellen and insze­
nieren müssen. Auch moralische, soziale und politische
1. Wie wichtig ist Fußball für Sie?
Bindungen werden selbst gestaltet unter gewissen
2. Ist Fußball wichtig in Ihrem Land?
Vorgaben wie Ausbildung, Arbeitsmarkt usw. Die tradi­
3. Hat die WM Ihr Bild von Deutschland verändert
tionelle Ehe wird nun gewählt und als persönliches
(siehe S. 156)?
Risiko gelebt. Früher bestimmten Traditionen die Ent­
scheidungen und verpflichteten zu Gemeinsamkeiten,
heute baut der Einzelne sein eigenes Leben, bei Strafe
Ein Text für Anspruchsvolle__________ ökonomischer Benachteiligungen. Gemeinsamkeiten
können von nun an nicht verordnet werden, sie wer­
den abgesprochen und begründet, wie es Bürgerini­
Thema „Individualisierung“
tiativen zum Beispiel zeigen.
1. Die bürgerliche Gesellschaft im Industriezeitalter war 6. In einer Zeit, in der Arbeitslosigkeit wächst und soziale
bisher relativ stabil. Sie hatte die Fähigkeit, wirtschaftli­ Sicherheit abnimmt, verschärfen sich soziale Gegen­
che und politische Krisen produktiv zu überwinden. sätze. Menschen erleben dies als persönliche Schuld,
Diese Fähigkeit scheint ihr immer mehr verloren zu nicht als gesellschaftliche Krise, um die es sich eigent­
gehen. lich handelt.
.
2 Löst sich die Gesellschaft auf ? wird heute von Soziolo­ 7. Damit wächst die Gefahr irrationaler Ausbrüche, auch
in Form von Gewalt gegen alles, was als „fremd“ etiket­
gen gefragt. Über „Individualisierung" wird geklagt;
gemeint ist eine schwindende Solidarität in einer tiert wird: Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, ethnische
Gesellschaft der„Cllbogenfreiheit". Zugehörigkeit, Alter, körperliche Behinderung.
3. Dabei handelt es sich um etwas Uraltes, um ein 8. Bleibt die Frage, ob es gelingt, neue Sinnzusammen­
Grundphänomen der sich entfaltenden Moderne. Ende hänge zu vermitteln und den Einzelnen und seine per­
des 19. Jahrhunderts wurden die Menschen aus den sönlichen, sozialen und politischen Belange neu einzu­
Bindungen ihres Standes und der Religion entlassen in binden.
(noch: Ulrich Beck, Vom Verschwinden der Solidarität, in: SZ vom 14.0^.
die Welt der Industriegesellschaft. Der Lohnarbeiter
Februar 95; der Artikel ist heute so aktuell wie vor über zehn Jahren.)
wurde doppeltfrei: befreit von seinen traditionelien
S o z ia l e s

engagieren, kommt man auf 23 Millionen laut einer


A ufgaben Umfrage des Bundesfamilienministeriums; d.h..jeder
vierte Deutsche setzt sich in seiner Freizeit für das All­
1. Ordnen Sie die stichwortartigen Notizen
gemeinwohl ein. Die„Klage über soziale Kälte und Ego­
den einzelnen Abschnitten zu:
ismus ist ein altes Klischee", hieß es.
Abschnitt Das Ehrenamt hat aber einen Wandel durchgemacht:
Soziale Gegensätze verschärfen sich □ Freiwillige wollen sich kurzfristig und unverbindlich
Jeder m acht seine Biografie selbst n engagieren, und zwarfürein bestimmtes Projekt.Vor
Menschen lösten sich aus allem Jugendliche wollen nicht mehr von Institutionen
traditionellen Bindungen G bestimmt sein-vo n Parteien, Kirchen und Vereinen­
Menschen in Turbulenzen der sondern ihr Engagement selbst bestimmen. Die „Ich-
Weltkrisen □ linge" suchen die Gemeinschaft. Die Menschen suchen
Gefahr irrationaler Ausbrüche von erreichbare Ziele in einer begrenzten Zeit, um Anerken­
Gewalt C nung und Spaß zu finden. Aktiv sind besonders junge,
Neue Sinnzusammenhänge müssen arbeitslose Akademiker und junge Alte, die nicht mehr
vermittelt werden □ im Beruf sind, sich aber fit fühlen. So entstehen Privat­
Fähigkeit, Krisen zu überwinden □ initiativen und Selbsthilfegruppen, die sich um Migran­
Solidarität schwindet ten, Suchtprobleme, Arbeitslosigkeit, Familienselbsthil­
fe, Nachbarschaftshilfe usw. kümmern, zum Teil mit
öffentlicher finanzieller Unterstützung.
2. Sehen Sie Zusammenhänge mit dem zunehmenden In Jena setzt sich eine Bürgerstiftung für junge Leute
Risikoverhalten junger Leute? Selbstzerstörerische ein und nimmt die „Dinge einfach selbst in die Hand".
Verhaltensweisen werden schon bei Kindern zwi­
schen 10 und 13 Jahren beobachtet. Während illegale Immer beliebter werden die sogenannten Tafeln, die
Drogen und Zigarettenkonsum zurückgehen, steigt Bedürftige gratis mit Lebensmitteln versorgen. Bundes­
der Alkoholkonsum für viele Jugendliche lebensbe­ weit gibt es bereits ca. 800 dieser Essensausgaben. Frei­
drohlich. Können Schule und Familie helfen oder liegt willige Helfer schaffen überschüssige Lebensmittel von
die Schuld bei den gesellschaftlichen Rahmenbedin­ Supermärkten, Bäckereien und anderen Unternehmen
gungen? herbei und verteilen sie an arme Leute. Das Christliche
Kinder- und Jugendwerk DIE ARCHE kämpft gegen Kin­
Die „Süddeutsche Zeitung" veranstaltete eine Podi­ derarmut mit kostenlosem Mittagstisch, Nachhilfe und
umsdiskussion mit dem Titel „Zukunft der Bürgerar- vorbildlicher Kinder- und Jugendarbeit.
beit".
Das Ergebnis: Die Bereitschaft, soziale Verantwortung In Deutschland haben sich etwa 140 Organisationen zum
zu übernehmen, wächst. 12 Millionen Menschen enga­ Bundesnetzwerk Bürgerliches Engagement (BBE) zusam­
gieren sich bürgerschaftlich in Ehrenämtern.Zählt man mengeschlossen. Freiwilliges Engagement wird oft zum
noch jene hinzu, die sich in Vereinen und Initiativen Lückenbüßer für nicht mehr bezahlbare Leistungen.
4. Politik und öffentliches Leben

Konrad Adenauer (erster


Bundeskanzler) unterzeichnet das
Grundgesetz am 23. Mai 1949.

Das Europäische Parlament


P o lit ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Das parlamentarische Regierungssystem

Württemberg llcssei1 Pfalz

Bayern -^cWcnburg-
Vorpommern

ö:' :
Berlin Niedersachsen Sachsen

Nordrhein- Sachsen-
Brandenburg
Westtalen Anhalt

Schleswig-
Holsfein

Thüringen

Chef einer
Landesregierung

Reichstag in Berlin: Sitz des Bundestags


Po l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Artikel 1 Artikel 20 Das Stichwort Verhältniswahlrecht


Die Würde des Alle Staatsgewalt
Menschen ist un­ geht vom Volke Jeder Wähler hat zwei Stimmen: Mit der ersten Stimme
antastbar. aus. wählt er den Direktabgeordneten seines Stimmkreises,
Artikel 20 Artikel 21 mit der zweiten Stimme eine Partei. Die Sitze im Parla­
Die Bundesrepublik Die Parteien wirken ment werden dann im Verhältnis der abgegebenen
Deutschland ist ein bei der politischen Stimmen verteilt. Eine adäquate Vertretung der Min­
demokratischer Willensbildung des
und sozialer Volkes mit. derheit ist damit gesichert. Eine Zersplitterung des Par­
Bundesstaat. laments in zu viele Parteien wird durch die 5-Prozent-
Kiausel (siehe S. 86) verhindert.

Grundlagen der politischen Ordnung


Der Bundestag beschließt die Gesetze und wählt auf
Vorschlag des Bundespräsidenten den Bundeskanzler.
Die Grundrechte und die wesentlichen Elemente des
Der Bundeskanzler wiederum bestimmt die Minister
parlamentarischen Systems sind im Grundgesetz fest­
und bildet zusammen mit ihnen die Bundesregierung.
gelegt.
Er legt die Richtlinien der Politik fest.
Der erste Repräsentant des Staates ist der Bundespräsi­
Im Bundesrat sind die Bundesländer vertreten. Ihre
dent. Er wird von der Bundesversammlung (= die Bun­
Mitglieder sind Vertreterder Landesregierungen. Bei
destagsabgeordneten und die Wahlmänner und -trau­
der Verabschiedung von Gesetzen wirkt der Bundesrat
en, die von den Länderparlamenten bestimmt werden)
mit; in bestimmten Fällen ist seine Zustimmung erfor­
für fünf Jahre gewählt. Durch seine Autorität soll er
derlich (siehe S. 25).
zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Grup­
pen ausgleichen. Er ist überparteilich und hat kaum
Neben Bundesregierung (= Exekutive), Bundestag und
politische Entscheidungsgewalt, äußert sich öffentlich
Bundesrat (= Legislative) ist das Bundesverfassungsge­
aber auch zu aktuellen politischen Fragen. Der Bürger
richt (= Judikative) in Karlsruhe der dritte unabhängige
erlebt ihn bei Ansprachen zu Gedenktagen (siehe S. 86)
Trägerder Staatsgewalt. Dieses höchste Gericht über­
oder zum neuen Jahr, bei Staatsempfängen oder auf
wacht die Einhaltung des Grundgesetzes. In den Jahren
Reisen als Repräsentant der Bundesrepublik Deutsch­
nach der Wende bis heute ist das Verfassungsgericht
land. Seine Amtszeit ist auf zehn Jahre begrenzt.
ungewöhnlich oft angerufen worden, zum Beispiel in
der Frage des Asylrechts, des Aufenthaltsrechts für aus­
Die Bürger wählen in freier und geheimer Wahl die
ländische Kinder oder der Einführung von Studienge­
Abgeordneten für den Deutschen Bundestag und die
bühren. Einzelne Bürger können sich mit einer Verfas­
Länderparlamente sowie die Vertreter auf kommunaler
sungsbeschwerde an dieses Gericht wenden, wenn sie
und regionaler Ebene. Wahlberechtigt sind alle volljäh­
ihre Grundrechte verletzt sehen und alle anderen
rigen deutschen Staatsbürger. (Volljährig ist, wer das
Rechtswege bereits beschritten wurden.
18. Lebensjahr vollendet hat.) Gewählt wird nach dem
Verhältniswahlrecht.
Das Grundgesetz wurde 1949 als Provisorium geschaf­
fen. Es bewährte sich als Grundlage einer freiheitlich­
demokratischen Gesellschaft. Es kann nur mit einer
P o l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat Der ganz überwiegende Teil unserer heutigen Bevölke­
geändert werden. rung war zur damaligen Zeit entweder im Kindesalter
Im Einigungsvertrag wurde eine Überarbeitung in der oder noch gar nicht geboren. Sie können nicht eine eige­
Folge der deutschen Einheit vorgesehen. Eine Verfas­ ne Schuld bekennen für Taten, die sie gar nicht begangen
sungskommission arbeitete 1992 bis 1993 verschiedene haben. Keinfühlender Mensch erwartet von ihnen, ein
Erweiterungen aus. Als Staatsziele wurden schließlich Büßerhemd zu tragen, nur weil sie Deutsche sind. Aber
der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, die För­ die Vorfahren haben ihnen eine schwere Erbschaft hin­
derung der Gleichberechtigung von Frauen und Män­ terlassen.
nern sowie der Schutz Behinderter aufgenommen. Der
neue Europa-Artikel 23 wurde eingefügt, der die Mit­ Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oderjung, müssen
wirkung von Bundestag und besonders Bundesrat bei die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren
der Herstellung der Europäischen Union regelt. Nicht Folgen betroffen undfü r sie in Haftung genommen. Jün­
berücksichtigt wurde u.a. eine direkte Beteiligung der gere und Ältere müssen und können sich gegenseitig hel­
Bürger an politischen Entscheidungen (Referendum, fen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinne­
Wahl des Bundespräsidenten). Kritiker werten die nur rung wachzuhalten.
partielle Überarbeitung als Enttäuschung, eine histori­ Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das
sche Chance sei vertan worden. (Elemente der direkten kann man gar nicht. Sie lässt sich ja nicht nachträglich
Demokratie sind dagegen in den neu geschaffenen ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Ver­
Landesverfassungen der neuen Bundesländer und Ber­ gangenheit die Augen verschließt, wird blind für die
lins enthalten.) Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erin­
Ein Staatsziel Kultur findet Befürworter und Kritiker. nern will, der wird wieder anfällig fü r neue Ansteckungs­
Die einen wollen den Staat in die Pflicht nehmen, die gefahren.
anderen wollen ihn heraushalten. (aus: Richard von Weizsäcker. Von Deutschland aus, a a. 0.. S. ig/20)

Richard von Weizsäcker, Bundespräsident von 1984-


1994, hat durch seine Reden international große Ach­ Die Parteien und die ersten
tung erworben. Hier ein Auszug aus einer Ansprache g e sa m tde ut sc he n Wahlen___________
zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985:

Im Grundgesetz ist festgelegt, dass die Parteien an der


politischen Willensbildung mitwirken. Ihre Gründung
Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht.
ist frei. Sie müssen demokratischen Grundsätzen ent­
Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern per­
sprechen.
sönlich.
Wenn eine Partei in den Bundestag gelangen will,
Es gibt entdeckte und verborgen gebliebene Schuld von
muss sie im Regelfall mehr als 5% der gültigen Wähler­
Menschen. Es gibt Schuld, die sich Menschen eingestan­
stimmen in ihrem Wahlgebiet auf sich vereinen (soge
den oder abgeleugnet haben. Jeder, der die Zeit mit vol­
nannte 5%-Klausel). Damit soll eine Zersplitterung in
lem Bewusstsein erlebt hat,frage sich heute im Stillen
viele mittlere und kleine Parteien vermieden werden.
selbst nach seiner Verstrickung.
P o l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n 87

Für einen vorsorgenden


Gerechtigkeit

Solidarität
CDU
SPD Sozialstaat und existenzsichernde
Erwerbsarbeit

G eg en Ausgrenzung und für berufliche


Integration Mehr Wettbewerb, mehr Freiheit,
mehr Teilhabe
Gem einsam für Deutschland.
Mit Mut und M enschlichkeit.
Koalitionsvertrag von C D U /C S U und SPD
„Wir wissen, dass das
,Paradies auf Erden'
Die Liberalen
nicht geschaffen wer­
D emokratie heißt mitre-
den. Nicht mitlaufen.
den kann. Dennoch
sind wir aufgerufen,
unermüdlich daran
mitzuarbeiten, dass die
B Ü N D N IS 9 0 M
DIC G R Ü H tN ß f P w ir überlassen vieles
dem Markt. Aber
Welt von morgen eine
nichts dem Zufall. gerechtere und
Die GRÜNEN setzen sich ein für eine Republik,
menschlichere wird."
in der
• alle Bürgerinnen und Bürger weitgehende demo­
kratische Mitentscheidungsrechte haben,
N icht für alle. Aber für
alle, die Freiheit wollen.
• Frauen nicht unterdrückt und kulturelle, sexuelle
und nationale Minderheiten nicht diskriminiert
werden,
• Armut und Arbeitslosigkeit überwunden sind,
• dem Schutz der Natur Vorrang vor ständigem
Wachstum eingeräumt wird,
• Gewalt kein Mittel der Innen- und Außen­
c s m i „
naher am Menschen.

politik mehr ist.


Politischer Frühschoppen

Bürgersicherheit
D IE L IN K E .
im Alltag
Für ein gleichberechtigtes
und solidarisches
Miteinander
P o l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Nachdem die DDR der Bundesrepublik nach Artikel 23 Das Stichwort Bündnis 90
Grundgesetz (dieser Artikel ist heute der Europa-Arti­ Vereinigung ostdeutscher Bürgerrechtsgruppierungen
kel) am 3.10.1990 beigetreten war, konnten die ersten („Demokratie jetzt",„Initiative für Frieden und Men­
gesamtdeutschen Wahlen am 2.12.1990 stattfinden. schenrechte", Teile des „Neuen Forums").
Diesen Wahlen gingen folgende Ereignisse voraus: Die Bürgerbewegungen hatten im Herbst 1989 durch
ihre Appelle und Proteste wesentlichen Anteil am Sturz
1. Die neuen Bundesländer wurden konstituiert. des SED-Regimes. Als Einzelgruppierungen haben sie
2. Ein einheitliches Wahlverfahren wurde erarbeitet. sich später in der demokratischen Parteienlandschaft
3. Die Parteien ordneten sich neu. nicht durchsetzen können. Sie schlossen sich 1993 mit
der in Westdeutschland organisierten Partei der
Die CDU mit Helmut Kohl ging als Sieger aus dieser Grünen zusammen.
Wahl hervor. Die Regierungsparteien CDU/CSU hatten
den Vereinigungsprozess vorangetrieben; sie hatten In der Partei der Grünen setzte sich der realpolitische
einen Konjunkturaufschwung vorausgesagt, der die Flügel (Realos) gegenüber den „Fundamentalisten"
Einheit fast automatisch finanzieren werde. Zahlreiche (Fundis) durch. Erfolge bei verschiedenen Wahlen
Stimmen, die vor den Folgelasten der deutschen Ein­ machten die Grünen als Bündnispartner für die ande­
heit warnten, fanden kein Gehör, zumal der Prozess der ren Parteien interessant. Sieben Jahre trugen die Grü­
Vereinigung nicht aufzuhalten war. In den folgenden nen zusammen mit der SPD Regierungsverantwortung,
Jahren zeigte sich Unzufriedenheit, und zwar im Osten ehe sie 2005 wieder in die Opposition gingen.
wie im Westen. Die Ostdeutschen hatten ein schnelle­
res Tempo erwartet. Die versprochenen „blühenden Die Linken haben seit der Wende 1989 eine wechselvol­
Landschaften" waren in einer Zeit weltweiter wirt­ le Geschichte durchlebt: Die „Sozialistische Einheitspar­
schaftlicher Rezession nicht zu realisieren. Arbeitsplatz­ tei Deutschland" der ehemaligen DDR nannte sich ab
abbau und Betriebsstilllegungen drückten auf die 1990 „PDS“ und vor der Bundestagswahl im Jahr 2005
Stimmung; DDR-Nostalgie breitete sich aus. Gleichzei­ schließlich „Linkspartei. PDS“. Gleichzeitig entstand der
tig kamen auf die Westdeutschen zusätzliche finanziel­ Verein WASG (= Wahlalternative Arbeit und soziale
le Belastungen zu (Solidaritätsbeitrag). 1998 wurde die Gerechtigkeit e.V.), der von enttäuschten Sozialdemo­
CDU/FDP-Regierung von einer Koalition aus SPD und kraten und Gewerkschaftern gegründet wurde. Der
Grünen abgelöst. Im Jahr 2005 übernahm eine große Verein wurde in eine Partei umgewandelt und fusio­
Koalition von CDU und SPD die Regierungsgeschäfte. nierte 2007 mit der „Linkspartei.PDS" zur Partei „DIE
LINKE", die Anhänger in den neuen, aber auch in den
Es gibt folgende größere Parteien: alten Bundesländern gewinnen konnte.
CDU/CSU (= Christlich Demokratische Union und
Christlich Soziale Union in Bayern) Im linken Spektrum bewegt sich auch die Gruppierung
SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) Attac, die für friedliche Demonstrationen eintritt und
F.D.P. (Freie Demokratische Partei = Die Liberalen) Kritik an einer ungerechten Weltwirtschaftordnung übt.
Bündnis 90/Die Grünen Ihr gesellschaftliches Spektrum reicht von Kapitalis­
DIE LINKE muskritikern bis zu BUND-Mitgliedern und der katholi-
Po l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

sehen Friedensbewegung Pax Christi. Als „Anführer, Bürgerinitiativen_____________________


Anreger und Aufreger" gelten diese Globalisierungskri­
tiker, die eine verantwortungsvolle sozioökonomische Bürgerinitiativen sind Formen der „direkten Demokra­
Globalisierung einfordern. tie". Es sind Zusammenschlüsse von Bürgern, die sich
aus persönlicher Betroffenheit gegen bestimmte
Nicht zu verwechseln sind diese linken Gruppierungen Zustände oder Entscheidungen der Gemeinden, der
mit den Linksautonomen, die wie die rechtsextremen Bundesländer oder des Bundes wehren. Das können
Gruppen immer wieder durch Demonstrationen Auf­ öffentliche Planungen, Missstände oder befürchtete
merksamkeit erregen, die meist in Gewalt eskalieren. Fehlentwicklungen sein. Bürgerinitiativen werden
Mit der Zunahme rechtsextremistischer Gewalttaten unmittelbar tätig oder versuchen, über Online-Listen
1991 stiegen auch die Mitgliederzahlen rechtsextremis­ Gleichgesinnte zu mobilisieren.
tischer sogenannter freier Kameradschaften, die der
Verfassungsschutz beobachtet. Kleinere, unzusam­ Als eine der ersten großen Bürgerinitiativen gilt eine
menhängende Gruppen, besonders in Ostdeutschland, Aktion in Hannover, die 1969 gegen Fahrpreiserhöhun­
werden sporadisch aktiv und führen Demonstrationen gen der städtischen Betriebe Front machte. Die Zahl
durch. Die Übergänge zu rechtsextremistischen wuchs während der Studentenunruhen und derzeit der
Jugendcliquen sind fließend. Seit einigen Jahren hat außerparlamentarischen Opposition; von der ersten
Musik große Bedeutung; szenebekannte Bands veröf­ sozialliberalen Bundesregierung kam der Aufruf, mehr
fentlichen CDs mit aggressiven Texten, die neue Mit­ Demokratie zu wagen. Bald gab es Tausende von Bürger­
glieder werben sollen. Verbote werden ausgesprochen. initiativen, wobei niemand ihre wirkliche Anzahl über­
schauen konnte.
Die NPD hat eine neue Strategie eingeschlagen: Die
Krawatte und nicht mehr die Springerstiefel sind ihr Die Gründe für die Entstehung von Bürgerinitiativen
Markenzeichen. Sie tauchen auf als Bürgerinitiativen, sind vielfältig: Es gibt Initiativen gegen Mobilfunk,
Vereine, Bürgerbüros und Beratungsstellen. Erst später gegen Kernkraft, Fluglärm,Windkraftanlagen und für
merkt der Bürger, dass die Hilfe zum Beispiel beim Aus­ sauberen Müll, mehr direkte Demokratie odereine
füllen von Anträgen, bei der Kinderbetreuung oder bei Hauptstraße ohne Raser.
Protesten gegen Kapitalismus und Globalisierung von Eine weitere Form der Initiative ist die Selbsthilfe. Dazu
rechter Seite kommt. Die NPD versucht, wie bereits in gehören Nachbarschaftshilfen, Schularbeitszirkel oder
Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern über die Kom­ Beratungsstellen für Drogenabhängige, Behinderte
munalparlamente, die keine 5%-Hürde haben, in die und Minderheiten (siehe S. 82).
Länderparlamente zu kommen. Bisher hat sich aber Bekannt sind international organisierte NGOs (= Nicht­
schnell herausgestellt, dass sie keine Lösungen anzu­ regierungsorganisationen). Sie sind bürgerliche Verei­
bieten haben und aus der Parteienlandschaft wegen ne, die radikal Aufmerksamkeit erringen mit Themen,
Inkompetenz bald wieder verschwinden. Aber Vorsicht die alle angehen. Sie kooperieren mit den Regierungen,
ist geboten! ohne ihre Streitbarkeit zu verlieren. Die bekanntesten
sind Greenpeace,Transparency und amnesty interna­
tional.
90 P o l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Zukunft Europa seen", fast unlösbare Probleme. Dennoch blieb die


Gemeinschaft - nach der Zusammenlegung von EWG,
Schon nach dem Zweiten Weltkrieg zeichneten sich die EGKS und EURATOM Europäische Gemeinschaft = EG
ersten Umrisse der Idee eines vereinten Europa ab. genannt - so attraktiv, dass 1973 Großbritannien, Irland
Heute haben verschiedene Staaten ihre Gegensätze, die und Dänemark beitraten, 1981 Griechenland,1986 Por­
über Jahrhunderte bestanden-wie z.B. die zwischen tugal und Spanien. Wichtiger Grund war das Europäi­
Frankreich und Deutschland abgebaut, nicht zuletzt sche Währungssystem (EWS), das eine gewisse wäh­
aufgrund ihrer Einbindung in übernationale Institutio­ rungspolitische Stabilität sicherte.
nen. Die Euphorie nach derVereinigung-dieehemalige Ein weiterer Schritt auf dem Weg nach Europa war
DDR wurde dadurch Teil der E G -fie l zusammen mit Anfang 1993 der Beginn des Europäischen Binnen­
dem Beginn des Europäischen Binnenmarkts. Inzwi­ markts (siehe S. 142 ff.). Am l.Januar 1994 traten die
schen ist allerdings die begeisterte Aufbruchstimmung EFTA-Länder Finnland, Island, Norwegen, (Liechten­
eher Nachdenklichkeit und Pragmatismus gewichen. stein), Österreich und Schweden ohne die Schweiz dem
1949 wurde zunächst der Europarat gegründet,der sich Europäischen Binnenmarkt bei und schufen-unter
europaweit um die Zusammenarbeit seiner Mitglied­ Berücksichtigung vieler Sonderwünsche - den Europäi­
staaten auf sozialern, kulturellem, wirtschaftlichem und schen Wirtschaftsraum (EWR). Drei von ihnen gehören
wissenschaftlichem Gebiet bemüht. In seinem Rahmen seit Anfang 1995 zur EU (siehe Ta belle S. 91).
werden zwischenstaatliche, völkerrechtlich verbindliche
Verträge abgeschlossen. Das herausragendste Abkom­ Der weitere Fahrplan ist 1992 im niederländischen
men ist die Europäische Menschenrechtskonvention aus Maastricht - Maastrichter Vertrag - festgelegt worden.
dem Jahr 1950. Der Europa rat erklärt sich gegen Frem­ In drei Stufen wird die Wirtschafts- und Währungsuni­
denfeindlichkeit, für Minderheitenrechte und für die on Europas vollendet. 1998 wurden die Kriterien für den
Demokratisierung in bestimmten Ländern. Auch mittel- Eintritt in die Währungsunion überprüft: Das sind ein
und osteuropäische Länder sind in ihm vertreten oder geringer Preisanstieg,ein geringes Haushaltsdefizit
haben die Mitgliedschaft beantragt. und ein niedriger Zinssatz, Elf Länder sind seit dem
Die eigentliche Geburtsstunde Europas aber war im 1. Januar 1999 „Euroland": Belgien, Deutschland, Finn-
Jahr 1951 die Gründung einer Europäischen Gemein­
schaft für Kohle und Stahl (EGKS), später bekannt als
Montanunion. Die Römischen Verträge 1957 führten
zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemein­
schaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft
(EURATOM). Die EWG zählte sechs Gründungsmitglie­
der: Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frank­
reich, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Man
einigte sich auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in
den Mitgliedstaaten und auf eine einheitliche Agrarpo­
litik. In der Folge schufen allerdings die Überschüsse in
der Landwirtschaft, die „Butterberge" und die „Milch­
Sn lunkllnnU'rt dlo I U seit 200/
Europäischer Rat
EU-Ciptel 27 Staufs- und
Regierungschefs
R ich tlin ien v e r g le ic h e S. 9 3 :
der EU-Politik
Vorschläge V e r tr a g v o n
N izz a
land, Frankreich, die Niederlande, Irland, Italien, Luxem­ Gesetzgeber d e r EU Entscheidungen

burg, Österreich, Portugal und Spanien. Drei EU-Länder 2 / M itg lie d e r


je 1 p ro EU-Land
sind nicht dabei: Dänemark,Großbritannien und
Haushalts­
Schweden. Griechenland wurde am 1.1.2000 Mitglied. beschlüsse,
Europäische Z entralbank Anträgen,
Anhörung, Kontrolle,
EuGH
Seitdem sind die Wechselkurse zwischen den Euro­ M itcnt-
scheiduug
Misstrauens­
votum
Rechnungshof
ländern fest: 1 Euro = 1,9553 Mitte des Jahres 2002
Europäisches P arla m en t Gesetzgeber der EU
jd
wurde die Mark aus dem Verkehr gezogen und es gilt o5
785 A b g e o rd n e te a u s 2 7 M itg lie d s ta a te n
nur noch der Euro.
Der Maastrichter Vertrag wird aus drei Säulen gebildet:
Die Bewerberländer haben sich für die Union politisch
1. der oben beschriebenen Wirtschafts- und Währungs­
und wirtschaftlich fit gemacht, das ist die Vorausset­
union, 2. der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspoli­
zung. Gefordert sind politische und wirtschaftliche Sta­
tik und 3. der innen- und justizpolitischen Zusammenar­
bilität, Wettbewerbsfähigkeit, um dem Druck des Bin­
beit der EU-Staaten. Seitdem der Vertrag in Kraft getre­
nenmarkts standzuhalten, sowie eine rechtsstaatliche
ten ist, heißt die EG offiziell Europäische Union (EU).
Ordnung. Vorbedingung ist die Übernahme des Ge­
meinschaftsrechtswon der Telekommunikation über die
Am 16. April 2003 Unterzeichneten acht ost- und mit­
Landwirtschaft bis hin zu demokratischen Grundnor-
teleuropäische Länder-Polen.dieTschechische Repu­
rnen. Den Euro gibt es in den Beitrittsländern seit 2008;
blik, Ungarn, Slowenien, Slowakei, Litauen, Estland,
nur Slowenien hat ihn schon 2007 bekommen.
Lettland-sowie Malta und Zypern auf der Akropolis
Bulgarien und Rumänien sind am 1.1.2007 beigetreten.
(Athen) ihre EU-Beitrittsverträge. Die Wiedervereini­
Kandidatenstatus haben Kroatien (Beitritt voraussicht­
gung des Kontinents war erreicht. Am i.Mai 2004
lich 2009), die Türkei und Mazedonien, die Schritt für
wurde sie nach den notwendigen Ratifizierungen und
Schritt Recht, Verwaltung, Politik und Wirtschaft auf die
Volksabstimmungen endgültig vollzogen. Die Bevölke­
Vereinbarkeit mit Europa überprüfen. Die zögerliche
rung der EU vergrößert sich um 20 % auf 450 Millionen.
Haltung der EU gegenüber der Türkei hat allerdings den
Reformprozess in diesem wichtigen Land abgebremst.
D e r Eu ro p äisch e W irtsc h a ftsra u m (EW R) Bis 2009 stehen in den Strukturfonds Gelder zur Verfü­
EU EU-Mitglieder EFTA
(Europäische seit 1.S.2004
gung, die den neuen Mitgliedern den Übergang
Union) und 1.1.2007 erleichtern sollen.
Belgien* Bulgarien Island
Dänemark Estland Liechtenstein Die Schweiz ist kein Mitglied der Europäischen Union
Deutschland* I.ettland Norwegen
(EU). Die Meinungen der Bevölkerung gehen weit aus­
Finnland* Litauen
Frankreich* Malta Schweiz** einander: Ungefähr ein Drittel ist für den Beitritt, ein
Griechenland* Polen
Großbritannien Rumänien
Drittel ist dagegen und das letzte Drittel enthält sich.
Irland* Slowakei Die Schweiz stimmt von Fall zu Fall über eine Zusam­
Italien* Slowenien
Luxemburg* Tschechien
menarbeit ab: Zuletzt betraf das die Asyl politik, die Ver­
Niederlande* Ungarn brechensbekämpfung und die Niederlassungsfreiheit
Österreich* Zypern
für Bürger aus den Beitrittsländern.
Portugal*
* Euro-Währung seit 1.1.1999
Schweden
— kein Milglied des EWR
Spanien*
F.FTA =European Free Trade Association
(zahlreiche Abkom m en m it der RU;
seil 1997 Freihandelszone mit
Kanada)
Po l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Das Europäische Parlament wird seit 1979 von der 27 EU-Kommissaren zusammen, die von den Regierun­
wahlberechtigten Bevölkerung aller Mitgliedstaaten gen der Mitgliedstaaten ernannt werden. Diese Kom­
direkt gewählt. Die Abgeordneten bleiben fünf Jahre missare bekleiden als Europäer Ministerressorts wie in
im Amt. Ihre Zahl richtet sich nach der Größe des Mit­ einer nationalen Regierung, sind aber nicht demokra­
gliedslandes. Seit 1994 verfügt Deutschland als das tisch gewählt. Die Präsidentschaft wechselt alle sechs
bevölkerungsstärkste Land über die meisten Sitze: Monate. Den EU-Präsidenten stellt turnusmäßig eines
zusammen mit den 18 Europa-Abgeordneten für die der Mitgliedsländer. Aufgabe des Präsidenten ist vor
neuen Bundesländer über insgesamt 99, Frankreich, allem,den Konsens zwischen den einzelnen Ländern
Großbritannien und Italien über je 87 (siehe Lexikonar­ herzustellen. Der Hauptsitz der Kommission ist Brüssel.
tikel, S. 93).
Es gibt keine europäische Partei; die Parteien der Län­ Der EU-Ministerrat ist der „Gesetzgeber“; er berät über
der schicken nach der Europa-Wahl ihre Abgeordneten die Entwürfe der Kommission. Seine Verordnungen gel­
ins Parlament. ten in den Mitgliedstaaten wie Gesetze. Der Rat
besteht aus Ministern der einzelnen Mitgliedsländer,
Das Stichwort EU und zwar aus den Außenministern und den für das
EU = Europäische Union:Staatenbund von 27 Mitglied­ jeweilige Thema zuständigen Fachministern oder
staaten, verbunden durch Grundrechte und Verfas­ Staatssekretären. Den Vorsitz übernehmen die Minister
sungswerte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Länder halbjährlich in alphabetischer Reihenfolge.
Solidarität (Grundrechtecharta). Dieses Staatengebilde Der Ministerrat tagt in Brüssel oder in Luxemburg.
funktioniert durch die Verzahnung nationaler und eu­
ropäischer Organe, d.h. von nationalen Regierungen Im Europäischen Rat treffen sich die Staats- und Regie­
und Parlamenten sowie Europarat und EU-Parlament. rungschefs der Mitgliedsländer. Der Europäische Rat
darf nicht mit dem Europarat (siehe S. 90) verwechselt
Die EU-Kommission ist so etwas wie die „Regierung" werden, der mit der EU nichts zutun hat.
der Europäischen Union. Sie bringt Gesetzentwürfe ein
und überwacht die Einhaltung und Anwendung der Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg befasst sich
gemeinsamen Verträge in der EU. Sie hat auch die Sta­ in erster Linie mit der Auslegung und Anwendung des
tionen zurVerwirklichung des Europäischen Binnen­ Gemeinschaftsrechts.
markts ausgearbeitet. Die Kommission setzt sich aus
Das Jahr 2003 war ein kritisches Jahr für Europa. Der
D a s neue EU -Parlament Irak-Krieg spaltete die Länder in Kriegsbefürworter und
insgesamt 785 Abgeordnete*

O Europäische Volkspa rtai/Europäische Demokraten Kriegsgegner. Deutschland und Frankreich verstießen


gegen die Haushaltsdisziplin und damit gegen den Sta­
□ Sozialdemokratische Partei Europas bilitätspakt (kein Haushaltsdefizit über 3% des Bruttoin­
landsprodukts), um die Konjunktur nicht weiter zu
-m . Allianz der Liberalen u. Domokraton för Europa
schwächen.
------------ —--------N : . Union Europa der Nationen
---------------------- » 0 Grüne/Freie Europ. Allianz Das komplizierte Staatengebilde Europa hat aber
Verelntgto Europ. Linko/ Nordische Grüne Linke
________ 10 Unabhängigkeit/Demokratie anderswo auch einen großen Schritt nach vorn getan:
ITS Identitöt/Traditlon/Souveränltät (Neue Rochtsnußonfraktion)
------------------------------ —- Fraktionslos

d p a - G r a fik 3379 •1 Sitz vatoni


Po l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Im Vertrag von Nizza (1.2.2003) wurden neue Regeln für


die Größe der EU-Organe und ihre Funktionsweise fest­ Europäisches Parlament
gelegt. Der Prozess der Erweiterung Europas sollte in
einer europäischen Verfassung festgeschrieben werden. Abkürzung: EP,Sitz:Straßburg (Frankreich),Sit­
Im Jahr 2004 legten Vertreter von Regierungen und Par­ zungsorte: Straßburg (Frankreich), Brüssel (Belgien),
lamenten aus 28 Ländern im Reformkonvent letzte Hand Sekretariat: Luxemburg
an den Entwurf der Verfassung. Mit dem Nein in den Gründung: 1958
Referenden in Frankreich und den Niederlanden begann Abgeordnete: 785 (27 Staaten)
jedoch eine Phase der Besinnung und Neuorientierung. Funktion: Volksvertretung der EU
Die Politiker hatten die Erweiterung der EU vorangetrie­ Der Amsterdamer Vertrag von 1997 erweiterte die
ben und die Bürger nicht mitgenommen. Dieses Nein Rechte des EP.
steht stellvertretend für die Bevölkerung in vielen Län­ Das EP hat folgende Rechte:
dern, die dem Erweiterungsprozess misstraut und sozia­ - Haushaltsrecht: Der von der Europäischen Kom­
mission ausgearbeitete EU-Haushalt wird gleich­
le Probleme nicht gelöst sieht. Die Skepsis verband sich
berechtigt mitbestimmt.
mit Kritik an der Bürokratie und mangelnder Transpa­
- Widerspruchsrecht: in Angelegenheiten der Wirt­
renz der Entscheidungen.
schafts- und Währungsunion.
Im Juni 2007 wurde der Stillstand überwunden. Die EU
- Mitentscheidungsrechte: bei verschiedenen
soll effizienter und transparenter werden. Die Beschlüs­
Gesetzen, Inkrafttreten kann auch verhindert
se sind in einem EU-Vertrag festgelegt, das Wort „Verfas­
werden.
sung" wird vermieden.
- Zustimmungsrechte: Der Präsident der Kommis­
1.Ab 2009 sollen EU-Entscheidungen in der Regel nicht sion wird mit Zustimmung des EP nominiert.
mehr einstimmig,sondern mit qualifizierter Mehrheit Zusammen mit ihm werden die Mitglieder der
fallen (Ausnahme-. Polizei und Justiz). Einstimmigkeit Kommission ernannt und als Ganzes bestätigt.
ist zwingend in der Außen-, Steuer- und Sozialpolitik. Die Zustimmung des EP ist notwendig bei der Auf­
2. Das Prinzipder„doppelten Mehrheit" soll ab zü n g e l­ nahme neuer EU-Mitglieder und bei internationa­
ten, d.h. EU-Beschlüsse erfordern eine Mehrheit von len Verträgen.
55% der Staaten, die 65% der Bevölkerung vertreten. In den letzten Jahren ist die Macht des EP vor allem
3. Nationale Parlamente können gegen Rechtsakte der in der Wirtschaftspolitik, in Umwelt- und Verbrau­
EU Einspruch erheben. Auch das Europaparlament cherschutz ständig gewachsen. Es bestimmt in vie­
wurde gestärkt (siehe Haushalt rechte Spalte). len Alltagsfragen mit: z.B. wer bei Geschäften im
4. DerAußenminister wird „Hoher Repräsentant für Internet oder beim Diebstahl von Kreditkarten haf­
Außen- und Sicherheitspolitik" heißen. tet, welche Lebensmittel als „gesund" einzustufen
5. Ab 2014 wird die Zahl der Kommissare auf 15 beschränkt sind.
(mit Rücksicht auf Irland vielleicht auch nicht). Eine funktionierende politische Union ist ohne eine
6. Die Grundrechtecharta wird rechtsverbindlich. weitere Stärkung des EP nicht denkbar.
Die Beschlüsse sind noch nicht von allen Mitgliedslän­ (nach: Lexikon der Gegenwart 7999, a.a.O., S. 545/546;
dern bestätigt worden. Das Nein von Irland hat die aktualisiert 2007)
Reform zurzeit gestoppt.
Po l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Das Ergebnis lässt erkennen, dass nationale Interessen Märkte geschaffen. Die Probleme des Strukturwandels,
und Angst vor einem „Superstaat'' bremsend wirken die Verlagerung von Arbeitsplätzen sind eine Folge der
und dass eine gemeinsame Idee von Europa noch fehlt. Globalisierung und nicht der EU anzulasten. Die EU
Anzunehmen ist deshalb, dass es ein Europa der zwei braucht eine politische Antwort und Strategien für die
Geschwindigkeiten geben könnte. Einige Länder wer­ Zukunft, um den Gefahren des globalen Zeitalters zu
den schneller voranschreiten als andere: eine Politik, die begegnen. Sie muss sich darauf besinnen, was sie will
sich bei der Grenzöffnung und der Einführung des Euro und wohin sie will.
durchaus bewährt hat.
Die Europaflagge ist Symbol für die europäische Eini­
Die Medien - Presse,
gung und offizielle Flagge des Europarats. Sie ist blau
und trägt einen Kreis aus 12 gelben Sternen. Die Sterne
Rundfunk und Fernsehen
stehen für die Einheit und die Vollkommenheit. Die
Die Presselandschaft_________________
Flagge ist in den europäischen Ländern überall an
öffentlichen Gebäuden und an den Grenzübergängen
Das Grundgesetz garantiert das Recht auf freie und
zu sehen.
öffentliche Meinungsäußerung und die Freiheit der
Die Europa-Hymne ist Beethovens Ode an die Freude
Presse, des Hörfunks und des Fernsehens.
(Instrumentalversion ohne Text). Auf die Nennung von
In Deutschland erreichen dieTageszeitungen nach einer
Hymne und Flagge wurde im EU-Vertrag 2007 mit
Media-Umfrage insgesamt 49 Millionen Menschen.
Rücksicht auf nationale Empfindlichkeiten verzichtet.
Die meistgekaufte Tageszeitung ist die „Bild"-Zeitung
(mit 10,78 Mio. Lesern), es folgen die „Süddeutsche Zei­
rk Das Stichwort Charta der Grundrechte
tung" (1,2 Mio. Leser) und die
der Europäischen Union
„Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Der EU-Vertrag verweist auf die Grundrechtecharta, die
(1,1 Mio.). Hinzu kommen Wochen­
in 54 Artikeln die Grundrechte festlegt. Die Charta ver­
zeitungen mit durchschnittlich
bietet Folterjodesstrafe, Sklaverei und Zwangsarbeit
2 Millionen Exemplaren Auflage.
und garantiert die Achtung des Privat- und Familienle­
Unter den Wochenmagazinen
bens, den Schutz persönlicher Daten, die freie Mei­
liegt der „Stern" an der Spitze mit
nungsäußerung sowie Religions- und Gewissensfreiheit.
7,85 Mio. Lesern. Die bekannte
Enthalten sind auch Rechte gegen die Gefahren moder-
Wochenzeitung „DIE ZEIT" spricht
nerTechnologien,gegen das Klonen von Menschen und
eherein intellektuelles Publikum DER SPIEGEL
das Recht auf Arbeit und ärztliche Versorgung. Die
an. Die Auflage beträgt immerhin
Grundrechtecharta orientiert sich an der Europäischen
460 000 Exemplare mit 1,21 Mio.
Menschenrechtskonvention des Europarats. D IE M Z E IT
Lesern. Konkurrenz zum „SPIEGEL",
dem seit 1947 einzigen Nachrich­
Wirtschaftlich beweist die EU eine ungebrochene
tenmagazin, macht seit Anfang
Attraktivität für alle Bewerberstaaten. Der Euro, der
1993 das erfolgreiche Magazin
gemeinsame Markt und die politische Zusammenar­
„Focus". Jraiiffurtcr^llgrmriiir
beit bieten eine solide Basis. Die Erweiterung hat neue
P o l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n 95

Unüberschaubar ist der Zeitschriftenmarkt mit seinen


über 20 ooo Titeln. Allein 800 auf Unterhaltung und A ufgaben
Beliebtheitsskala der Massenmedien:
Freizeit zielende Publikumszeitschriften sind erhältlich.
In einer Meinungsumfrage unter 11- bis 39-jährigen
Zugenommen haben vor allem die sogenannten
Deutschen entschieden sich die meisten für das Inter­
Special Interest-Zeitschriften, die sich an bestimmte
net als die beliebteste Freizeitbeschäftigung.
Käufergruppen wenden und begrenzte Themen behan­
deln, vom Tennis, Angeln, Segeln bis zur Elektronik und Tägliche Medienzeit (in %)
Internet 40
zum Computerwissen („auto, motor und sport",
Fernsehen 25
„Eltern“,„essen Ertrinken",,, Yacht", COM usw.), sowie
Zeitschriften lesen 25
Fachmagazine (z.B.„Bauwelt",„design report" usw.). Radio io
Daneben gibt es Satirezeitschriften wie die bekannte Bücher lesen 10
„Titanic“ oder der ostdeutsche„Eulenspiegel“. (Timescout des Instituts tfactory. www.tfactory.com)

Neu am Markt sind Info- und Stadtmagazine, ca. 40


Obdachlosenzeitungen (z.B. das Münchner BISS), die
aus der Sicht von Betroffenen berichten, und Arbeitslo­
senzeitungen (z.B.„Die Stütze" in Berlin), die bei der
Öffentl ich-R ec htlich e gegen Private
Jobsuche helfen.
Hörfunk und Fernsehen fallen in die Verantwortung der
In Deutschland werden zahlreiche fremdsprachige Zei­ Bundesländer. Bis in die Achtzigerjahre gab es nur den
tungen angeboten. Informationen erhalten Ausländer in öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dann wurden auch pri­
Deutschland neben der Presse auch über die Ausländer­ vate Sender zugelassen. Heute gilt das „duale System",
programme der Rundfunk- und Fernsehanstalten der d.h. das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und
ARD. Diese Sendungen wurden in den Sechzigerjahren privaten Sendern. Zu den Öffentlich-Rechtlichen gehören
für Gastarbeiter eingerichtet und suchen heute nach folgende Landesrundfunkanstalten:der Bayerische Rund­
neuen Konzepten. Nicht mehr Brücke zur Fleimat und funk (München),der Hessische Rundfunk (Frankfurt am
Orientierungshilfe wollen sie sein, sondern den Lebens­ Main),der Norddeutsche Rundfunk (Hamburg), Radio
alltag der hier lebenden Ausländer zum Thema machen, Bremen, der Saarländische Rundfunk (Saarbrücken),der
um einen Dialog der Kulturen in Gang zu setzen. Beson­ Südwestrundfunk (Stuttgart), der Westdeutsche Rund­
ders ausgezeichnet haben sich diesbezüglich SFB 444, funk (Köln),der Rundfunk Berlin-Brandenburg (Berlin und
Radio MultiKuIti und das WDR-Magazin „Babylon". Potsdam) und der Mitteldeutsche Rundfunk (Leipzig). Sie
strahlen ein gemeinsames Fernsehprogramm aus,„Das
Erste“, unter dem Namen ARD (= Arbeitsgemeinschaft
der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutsch­
lands); daneben produzieren diese Sender eigene regio-
nale„Dritte Programme“, die besonders im Osten des
Landes durch die Orientierung auf die Ost-Vergangenheit
identitätsstiftend geworden sind. Nach der Auflösung
der zentral gelenkten Massenmedien der ehema ligen

Das Erste®
P o l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

DDR wurde das Sendegebiet der ARD auch auf die neuen Neue Sender und Kanäle
Bundesländer ausgedehnt. Der Rundfunk Berlin-Bran­
denburg wurde gegründet sowie der für Sachsen-Anhalt, Seit 1992 gibt es den Arte-Kanal, der feierlich mit einer
Sachsen und Thüringen zuständige Mitteldeutsche Live-Übertragung aus der Straßburger Oper eröffnet
Rundfunk. Der Norddeutsche Rundfunk (Hamburg) sen­ wurde. Arte steht für „Association relative ä latelevision
det auch in Mecklenburg-Vorpommern. europeenne" (Vereinigung in Verbindung mit dem euro­
Ein weiteres nationales Fernsehprogramm,das„Zweite päischen Fernsehen). Es ist ein deutsch-französischer
Programm“, wird vom Zweiten Deutschen Fernsehen Kulturkanal mit Sitz in Straßburg, der zu gleichen Teilen
(ZDF) in Mainz ausgestrahlt. Das ZDF ist eine reine Fern­ von Frankreich und Deutschland getragen wird.
sehanstalt, im Gegensatz zu den anderen Anstalten, die
auch Hörfunkprogramme senden. Der Satelliten- und Kabelkanal 3sat wurde 1993 neu
Die öffentlich-rechtlichen Sender haben den Auftrag, die geschaffen. Er wird gemeinsam von ZDF, ORF (Österrei­
kommunikative Grundversorgung der Bevölkerung zu chischer Rundfunk),SRG (Schweizerische Radio- und
sichern. Bildung, Kultur und Unterhaltung sollen in Fernsehgesellschaft) und ARD betrieben. Sein Programm
einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Sie besteht aus Informations- und Kultursendungen.
finanzieren sich aus den Rundfunk-Gebühren und der
Werbung, die aber auf wenige Sendezeiten vor 20 Uhr Verschiedene Hörfunksender wurden nach der Wende
beschränkt ist. Spielfilme werden nicht - wie bei den pri­ neu strukturiert.
vaten Sendern - durch Werbung unterbrochen.
Der Deutschlandfunk hatte in der Vergangenheit vor
Private Sender finanzieren sich im Gegensatz zu den öffent­ allem Informationen für Ostdeutschland und das ost­
lich-rechtlichen Anstalten ausschließlich aus der Werbung, europäische Ausland gesendet. Mit der Wende war sein
die sie rund um die Uhr sendende mehr Zuschauer ein Sen­ Auftrag weggefallen. Zusammen mit dem Rias (West-
der der Werbekundschaft bietet, umso mehr kann erfür Berlin) und dem Deutschlandsender Kultur (DS Kultur,
eine Minute Werbung verlangen. Ziel der Privaten ist es des­ Ost-Berlin) wurde dann die öffentlich-rechtliche Anstalt
halb, im Interesse der Werbewirtschaft vor allem kaufkräfti­ „Deutschlandradio" (Köln und Berlin) für das gesamte
ge Bevölkerungsgruppen anzusprechen. Die Programme Bundesgebiet gegründet. Seine beiden Vollprogramme
sind grell und bieten im Wesentlichen schlichte Unterhal­ haben die Schwerpunkte Information und Kultur.
tung. Die Öffentlich-Rechtlichen sind die beliebtesten Fern­ Die Deutsche Welle (Köln) ist im Wesentlichen bestehen
sehsender geblieben, aber sie wurden den Privaten ähnli­ geblieben. Sie sendet in über 30 Fremdsprachen-auch
cher. Kultursendungen haben es immer schwerer; sie in Deutsch natürlich-in alle fünf Kontinente. Ihr Pro­
erhalten Sendezeiten gegen Mitternacht. Neue Pro­ gramm umfasst Information, Politik, Wirtschaft, Kultur,
grammformate werden diskutiert, denn das jugendliche Gesellschaft und Sport.
Publikum,sogar das Publikum unter 50 Jahren,schmilzt
und die Zahl der Älteren wächst. Das Fernsehen muss ein Radio- und Fernsehanstalten haben Kinderkanäle
großes Publikum erreichen: Die Quote zählt. Der Rund­ gestartet (siehe Links S. 176), die ein buntes, kindgerechtes
funk dagegen hat in den letzten Jahren über das Internet- Programm bieten. Die neu gestartete BR Kinderinsel kom­
Radio und mit Podcast weitere Zuhörer gewonnen. biniert PC und Hörfunk, bringt Chats, Links zu Kindersei­
P o l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n 97

ten.CD-Kindertipps, ein Wissenslexikon und auch eine Der langjährige Wahlkampfmanager der SPD hat auf 123
konkrete Einladung ins Funkhaus mit Geschichtenerzäh­ Seiten den Bundestagswahlkampf 1998 analysiert. Dazu
lern, Info-Ständen,Glücksrad,Spielen,Essen undTrinken. untersuchte er die Wahlkampf'berichterstattung der größ­
ten Fernsehsender ARD, ZDF, RTL und Pro SiebenSat.1.
BR-alpha,derTV-Bildungskanal des Bayerischen Rund­ Mehr als 950 Sendungen wurden aufgezeichnet und aus­
funks, sendet Bildung rund um die Uhr. Das Programm gewertet.
umfasst neben den klassischen Themen Sprachen,Tele­ Ergebnis: Die Medien haben die Themen bestimmt und
kolleg, Weiterbildung, Hochschulen und Wissenschafts­ die Entscheidungen stark beeinflusst. Zugleich hätten die
informationen auch die Bereiche Religion, Musik, Philo­ Medien aber auch daran mitgewirkt, so Müller, Themen
sophie, Literatur, Kunst und Kultur. nicht auf die Agenda zu setzen, wie die Umweltproblema­
tik oder die Vermögens- und Einkommensverteilung. Sein
Neu entstehen Teleshopping-Kanäle, die pausenlos Fazit:„In den Wahlen 1998 und 2002 ist die öffentlich dis­
Waren aller Art anbieten, vom Schmuck bis zum Auto. kutierte Machtverschiebung von den Parteien zu den Me­
Während bei Vollprogrammsendern die Werbeeinnah­ dien sichtbar geworden. Parteimitglieder und -gliederun-
men wegbrechen, läuft der Verkauf über die Mattschei­ gen hatten im Vergleich zu den Medien nicht mehr viel zu
be glänzend. Diese Sender gelten als Mediendienstleis­ sagen." Wenn man verfassungspolitisch konsequent sein
ter und unterliegen keinen Werbebeschränkungen. wolle, schreibt der Autor, müsse Artikel 21 des Grundgeset­
zes lauten:„Die Medien wirken an der Willensbildung
mit." Als unbefriedigend bewertet Müller die meisten Me­
A ufgaben dienbeiträge im Wahlkampf. Statt kritischer Fragen und
1. Führende Politiker treten in Talkshows auf, um Aufklärung habe es eine „stereotype Thematisierung von
Sympathien zu gewinnen. Politiker werden Steuer- und Rentenreform mit den immer gleichen Wer­
zu Medienstars.-Sagen Sie Ihre persönliche tungen“und eine „stereotype Wiederholung von Fragen
Meinung dazu. zu Koalitionen, Personen und Umfragen“gegeben. Die Bi­
2. Der bekannte Literaturkritiker („Literaturpabst") lanz Müllers:„Viele Medien haben die Inhaltslosigkeit des
Marcel Reich-Ranicki hat das Fernsehen stark kriti­ Wahlkampfes beklagt,jedoch selbst stark zu dieser In­
siert („Blödsinn") und den Deutschen Fernsehpreis haltslosigkeit beigetragen."
abgelehnt. Diskutieren Sie die Qualität des deut­ Das Thema blieb auch im Wahlkampf 2006 brandaktuell.
schen Fernsehens. Die Deutsche Akademiefü r Sprache und Dichtung fragt:
3. Man glaubt, was man sieht. Welche Verantwortung „Talk oder Politik? Verschwindet die politische Rede?“ Tat­
hat das Fernsehen? sache ist, dass Politiker viel Zeit darauf verwenden, in Talk­
..,■
■■»........ i iiiinnim11...... - y . ., -
shows zu erscheinen. Medienkompetenz wird zum Schlüs­
.

sel des Erfolgs, der Politiker wird zum Kommunikator, die


Medienmacht Gesprächsrunde zur Bühne. Doch das Publikum spielt mit,
In seinem Buch „Von der Parteiendemokratie zur Me­ bzw. der Wähler, das beweisen die Einschaltquoten.
diendemokratie" bringt der Autor Albrecht Müller die (naih: vorwärts NEWS 2/99; aktualisiert 2007)
Sache a u f den Punkt: Die Talkshow ersetzt die Parteien­
diskussion.

3sat
P o l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Schule und Studium


ln Deutschland sind die Länder (= Bundesländer) für die
kulturellen Belange, also auch für allgemein- und berufs­
bildende Schulen, für die Erwachsenenbildung und Wei­
terbildung sowie für die Hochschulen zuständig. Jedes
Land hat sein eigenes Kultusministerium oderein Minis­ ausgebildeten Schülern, deren Aufstieg gesichert ist. Der
terium für Wissenschaft, Forschung und Kultur. Ausbau von Ganztagsschulen verläuft stockend. Es geht
Die KMK (= die Ständige Konferenz der Kultusminister heute um mehr Chancengleichheit und soziale Gerech­
der Länder) berät u.a. länderübergreifende Angelegen­ tigkeit und damit um die Zukunft des Landes. Beschlos­
heiten im Schul- und Hochschulwesen, wie z.B. die sen wurde: mehr Sprachförderung im Kindergarten (bis
gegenseitige Anerkennung von Schulabschlüssen oder 2012 in allen Bundesländern) und Halbierung der Zahl
die Einführung der neuen Rechtschreibung. Die Be­ der Schulabbrecher und der jungen Erwachsenen ohne
schlüsse sind Empfehlungen und können in die Gesetz­ Berufsabschluss.
gebung der Bundesländer übernommen werden.
Alle Bereiche der Gesellschaft fühlen sich angesprochen,
Seit der ersten Pisa-Studie (Programme für International aktiv zu werden,damit die Schule besser wird. Seit eini­
Student Assessment, im Auftrag der OECD) steht fest, ger Zeit gibt es ein neues Phänomen: Schüler gründen
dass deutsche Schüler nur mittlere Plätze im internatio­ Juniorfirmen: Kioske, Reisebüros oder Internetagentu­
nalen Vergleich einnehmen. Nach allgemein großem ren. Diese Firmen sind Schüleraktiengesellschaften,die
Entsetzen wurden Reformen angepackt. Neue Bildungs­ Wertpapiere herausgeben und Sponsoren suchen. Schü­
standards wurden richtungweisend. In vielen Schulen ler gehen auch auf die Straße: Im Herbst 2008 demons­
wird gefördert und experimentiert. Aber es gibt noch trierten sie bundesweit für bessere Schulen und eine
ausreichend Kritikpunkte: Es fehlen Erzieherinnen im bessere Ausbildung („Kostenlose Bildung für alle!").
Kindergarten und Lehrer/innen in der Schule. Schüler
sollten individuell gefördert werden,dafür fehlen auch Die Hochschulen haben Selbstverwaltung und geben
Schulpsychologen.Die Zahl der Schulabbrecher ist zu sich im gesetzlichen Rahmen eine eigene Verfassung.
groß. Nach Verlasssen der Schule sind viele Schüler nicht Jedes Bundesland trifft seine Regelungen für die Zulas­
ausreichend qualifiziert für die Ausbildung. Grundsätz­ sung zum Studium und für die Studiengebühren,
lich wird das mehrgliedrige Schulsystem infrage die also von Bundesland zu Bundesland verschieden
gestellt. Die Schüler werden zu früh,d.h. meist nach der sein können. Das Bundesbildungsministerium in Bonn
vierten Klasse, vor eine zukunftweisende Entscheidung ist für allgemeine Grundsätze im Hochschulwesen und
gestellt: Hauptschule, Realschule oder Gymnasium. für den außerschulischen Teil der Aus- und Weiterbil­
(Aber: Mittelschule oder Gymnasium in Sachsen) Der dung verantwortlich. Um dem Fachkräftemangel zu
Notendurchschnitt entscheidet und vor allem die soziale begegnen, wollen Bund und Länder mehr Studienplät­
Herkunft. Das Schulsystem benachteiligt Kinder aus bil­ ze schaffen, Fachhochschulen ausbauen und die Cxzel-
dungsfernen und sozial schwachen Familien sowie Kin­ lenzinitiative fortsetzen.
der mit Migrantenhintergrund gegenüber ca. 10% gut
P o lit ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

2.4.7. Grundstruktur des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland

l i i l i
(a llg e m e in e , beru flich e u n d F o rm en )

jy P rom otion
^ B eru fsq u alifiz ieren d e r S tu d ie n a b s c h lu s s
03 (Diplom , M agister. S ta a ts p rü fu n g ,
E B ac h e lo r, M aste r)____________
U N IV E R S IT Ä T T 3 r
T E C H N IS C H E U N IV E R S IT Ä T /
T E C H N IS C H E H O C H S C H U L E
P Ä D A G O G IS C H E H O C H S C H U L E 14)
KUNSTHOCHSCHULE
M U S IK H O C H S C H U L E
FA CHH OCHSCHU LE
A b s c h lu s s in e in e r b eru flich en A llg em ein e V ERW A LTU N G SFA C H H O CH SC H U LE
W eiterb ild u n g H o c h sc h u lre ife

12) A B E N D G Y M N A S IU M /
FACHSCHULE
K O L LE G
F achgebundene
H o c h sc h u lre ife A llg em ein e H o ch sch u lreife
19
BERUFS-
13 B eru fsq u alifiz ieren d e r A b sc h lu s s 11 * F a c h h o c h s c h u lre ife OBER­ 18
S C H U L E 8) G Y M N A SIA LE O B E R S T U F E 2> 7>
12 _ BERUFS- FACH-
BERU FSSCH U LE und in v e rs c h ie d e n e n S c h u la rte n : 17
€ FACH­ OBER­ G y m n a siu m ,
§ B E T R IE B
S C H U L E ’0) S C H U L E 9)* B eru flich es G y m n a siu m /
11 £ (d u ales S ystem d er B erufsaus­ F a c h g y m n a siu m . G e s a m ts c h u le
16
TCUc:D bildung) 21
15
10 I
M ittlerer S c h u la b s c h lu s s (R e a ls c h u la b s c h lu s s ) n a c h 10 J a h r e n .
E r s te r a llg e m e in b ild e n d e r S c h u la b s c h lu s s (H a u p ts c h u la b s c h lu s s ) n a c h 9 J a h r e n €

10. S c h u lja h r 16
15
4) G ESA M T­ G Y M N A S IU M 5)
REA LSCH U LE
H A U P T S C H U L E 4> SCH U LE 5 14
13
12
O rientierungsstufe *
11

10
9
G RU N D SCH U LE
8
7
6
5
K IN D E R G A R T E N 4
(freiwillig)
3
Alter
Po l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Die Schule__________________________ fachschule oder Fach­


Schulpflicht besteht bis zum 18. Lebensjahr. Nach vier oberschule. Er gilt als
(Berlin und Brandenburg: sechs) Jahren Grundschule Voraussetzung für eine
haben die Schüler die Wahl zwischen verschiedenen mittlere Laufbahn in Wirtschaft oder öffentlichem
Schularten des Sekundarbereichs I, zwischen der Dienst. Die Realschule ist heute dabei,die Hauptschule
Hauptschule, der Realschule, dem Gymnasium oder der zu verdrängen.
Gesamtschule. Außerdem gibt es Sonderschulen mit
speziell ausgebildeten Lehrern für lernschwache und • Das Gym nasium
behinderte Kinder. Der Religionsunterricht ist ordentli­ ist eine Schulart des Sekundarbereichs I und II und ver­
ches Lehrfach, wobei die Eltern über die Teilnahme ent­ mittelt eine vertiefte allgemeine Bildung, die nach 13, in
scheiden. Ab 14 können die Schüler selbst bestimmen, Zukunft schon nach 12 Schuljahren mit dem Abitur
ob sie dabeibleiben wollen oder nicht. Anstelle des Reli­ abgeschlossen wird und zur Hochschulreife führt. Die
gionsunterrichts wird in fast allen Ländern Ethik-Unter­ Einführung des achtjährigen Gymnasiums in Bayern
richt angeboten. (statt 9 Jahren) hat zur Überlastung der Schüler und zu
heftigen Protesten von Elternseite geführt.
• Die Hauptschule
ist eine Schulart des Sekundarbereichs I im Anschluss • Die Ganztagsschule
an die vierjährige Grundschule und vermittelt grundle­ In verschiedenen Bundesländern wächst die Zahl der
gende allgemeine Bildung. Sie wird nach dem 9. oder Ganztagsschulen,die es in Deutschland noch nicht
10. Schuljahr mit dem „Hauptschulabschluss“ beendet. lange gibt. Das Interesse besonders bei Schülern und
Die meisten machen anschließend eine Lehre und Eltern wächst. Noch zu verbessern ist die Verzahnung
besuchen gleichzeitig die Berufsschule. Viele Schüler von Freizeit und Unterricht und die Qualität des Ange­
hängen noch den „qualifizierten" zentralen Abschluss bots.
(„Ouali") an und haben dadurch bessere Chancen, eine
Lehrstelle zu finden. Wer die Hauptschule ohne • Die Gesam tschule
Abschluss verlässt oder keine Lehrstelle gefunden hat, umfasst alle drei Schularten-Hauptschule, Realschule,
kann sich für das Berufsfortbildungsjahr entscheiden, Gymnasium. In der Regel betreut sie die Kinder bis zum
das an Berufsschulen angeboten wird. Die Hauptschule 10. Schuljahr. In einzelnen Ländern führt sie bis zum
hat an Ansehen verloren und die Schulabgänger haben Abitur.
auf dem Lehrstellen- und Arbeitsmarkt deutlich Neu ist die Einrichtung von KinderUnis an verschiede
schlechtere Chancen. nen Hochschulen (seit 2004). Kinderzwischen 8 und 12
Jahren nehmen das Angebot freiwillig und mit Begeis­
* Die Realschule terung an. Sie hören zum Beispiel, wie der Lotuseffekt
ist eine Schulart des Sekundarbereichs I im Anschluss funktioniert oder wie man mit Sonnenlicht Auto fährt.
an die Grundschule und vermittelt eine erweiterte all­ Hochbegabte Jugendliche können schon während der
gemeine Bildung. Sie wird nach dem 10. Schuljahr mit Schulzeit die Universität besuchen und in Vorbereitung
dem „Realschulabschluss“ beendet. Dieser mittlere eines Studiums auch Prüfungen ablegen.
Schulabschluss berechtigt zum Besuch einer Berufs-
Po l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Die Hochschulen Zahl von Studenten wird für ein Fach zugelassen).
Aber es ist Bewegung in die Hochschulen gekommen:
ln der Bundesrepublik Deutschland gibt es über 300 Sie haben mehr Freiheiten bekommen, ihren Haushalt
staatliche bzw. staatlich anerkannte Hochschulen. Man zu führen und Professoren zu berufen. Sie schärfen ihr
unterscheidet Universitäten,Technische Universitäten Profil, richten Graduiertenschulen ein, damit Doktoran­
(TU) und Hochschulen einer bestimmten Fachrichtung den besser betreut werden können. 40 neu eingerich­
(z.B.Theologie, Medizin), Pädagogische Hochschulen, tete Graduiertenschulen garantieren ein strukturiertes
Kunst- und Musikhochschulen,Gesamthochschulen Promotionsprogramm. Ihr Angebot ist freiwillig.
(Universität mit Fachhochschule; nur in Hessen und Studenten mit einer Stelle in der Wirtschaft sind an
Nordrhein-Westfalen) und Fachhochschulen. Fachhoch­ deutschen Universitäten ebenso denkbar wie einsame
schulen bieten kürzere Studiengänge und eine praxisbe­ Denker in den häuslichen vier Wänden.
zogene Ausbildung während des Studiums. Eine weitere
Studienmöglichkeit ist das Fernstudium. Hochschulen ringen um den Status „Elite-Uni" und
Seit den Sechzigerjahren erleben die westdeutschen stellen sich dem Wettbewerb in nationalen und inter­
Hochschulen einen ständig wachsenden Zustrom an nationalen Forschungsrankings (= Leistungsverglei­
Studenten. Zurzeit beginnen in Deutschland ca. 36% chen). Das Zentrum für Hochschulentwicklung (CHE)
eines Altersjahrgangs mit dem Studium an einer Fach­ zählt die Höhe der Drittmittel,die Zahl der Bücher und
hochschule oder Universität (immer noch zu wenig im Aufsätze und bewertet den Ruf der Professoren. Dritt­
internationalen Vergleich, aber mit steigender Tendenz). mittel sind Forschungsgelder von außeruniversitären
Der Stellenwert mittlerer Berufsabschlüsse, vor allem der Institutionen,die der Staat noch zusätzlich aufstockt.
des Hauptschulabschlusses, ist stark gesunken und die Hochschulreformen machen den Weg frei für die Hoch­
Anforderungen für den Berufseintritt werden nach oben schule der Zukunft: leistungsgerechte Bezahlung der
geschraubt. Die Hochschulen sind somit zu den wichtigs­ Professoren, Elite-Denken, Abbau der Bürokratie, mehr
ten Ausbildungsstätten für junge Leute geworden. Diese Attraktivität für innovative internationale Nachwuchs-
Entwicklung spiegelt auch einen Wandel unserer indus­
triellen Gesellschaft hin zur Wissensgesellschaft und Die Europa-Universität Viadrina
höherer Qualifizierung wider. Deutschland braucht lang­ Die Viadrina {= die an der Oder gelegene) in Frankfurt
fristig mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Das Studium an der Oder wurde 1991 neu gegründet. Sie soll inter­
ist nach wie vor die beste Existenzsicherung. national und interdisziplinär sein, die deutsch-polni­
sche Zusammenarbeit fördern undjunge Leutefür
Europa ausbilden. (www.europa-uni.com)
In den Hörsälen drängen sich 1,98 Millionen Studenten,
2015 sollen es ca. 2,7 Millionen sein. Die Universitäten
schlagen schon Alarm und fordern Milliardenbeträge,
weil Schulzeitverkürzung und die demografische Ent­
wicklung die Zahlen der Studienanfänger in die Höhe
schnellen lassen. Eigentlich eine gute Entwicklung, doch
die Bedingungen sind nicht immer optimal: Numerus
clausus in wichtigen Fächern (d.h. nur eine bestimmte
P o l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

Wissenschaftler. Die Bundesregierung stockt die Ausga­ auf die Kölner Universität (45 600),die Ludwig-Maximili-
ben für Forschung und Entwicklung schrittweise auf. ans-Universität München (44 200), die Universität Müns­
Weitere Maßnahmen wie die sogenannte Exzellenzför­ ter (39 000), die Hamburger Universität (39 000), die
derung sollen „Elite-Unis" an die Weltspitze führen. Freie Universität Berlin (31 300) und die Humboldt-Uni­
Neben der Forschung wird die Lehre aufgewertet: Inno­ versität Berlin (28400). Es folgen Bonn, Leipzig, Aachen
vative Lehrveranstaltungen,eine bessere Lehre insge­ mit der größten Technischen Hochschule, Bochum, Frank­
samt und eine gute Betreuung der Studenten sind für furt am Main und die TU (Technische Universität) Berlin.
die Wahl des Studienorts ein wichtiges Argument. Die 200 Fachhochschulen mit insgesamt 567 000 Stu­
Kritisiert wurde, dass deutsche Hochschulen oft am dierenden sind gleichmäßiger belegt als die Universitä­
Markt vorbei ausbilden. Deshalb sind weitreichende ten und Hochschulen.
Neustrukturierungen eingeleitet worden. Nach diesen
Konzepten sollen die Hochschulen Exzellenzcluster bil­ Seit 1971 gibt es das BAföG (= Bundesausbildungsförde­
den und ihre Erkenntnisse aus der Forschung mit den rungsgesetz), das Kindern auch aus ärmeren Familien
Bedürfnissen der Unternehmen vernetzen. Die Zusam­ das Studium ermöglichen soll. Diese Hilfe richtet sich
menarbeit soll die Wissenschaftsstandorte stärken und nach dem Einkommen der Eltern und eventuellem eige­
international attraktiv machen. nen Vermögen (mehr unter www.bafoeg.bmbf.de).
Die Zahl der BAföG-Empfänger ist seit der BAföG-Reform
Seit 1999 - Bologna-Prozess - gibt es an deutschen wiederim Steigen. Für viele Studenten reichen die ihnen
Universitäten und Fachhochschulen die internationa­ zur Verfügung stehenden Beträge nicht aus; sie jobben
len Bachelor- und Master-Studiengänge. Von 2010 an neben dem Studium. Dadurch verlängert sich die zum
sollen nur noch diese international gängigen Abschlüs­ Teil schon geregelte Studienzeit. BAföG wird in den
se gelten, so haben es die europäischen Bildungsminis­ neuen Ländern mehr in Anspruch genommen als in den
ter 1999 beschlossen. Ein europaweit einheitliches Cre- alten, in den alten Ländern wiederum finanzieren mehr
dit-Point-System für die einzelnen Lehrveranstaltungen Studierende ihr Studium mit eigenem Verdienst. Die För­
soll einen Wechsel an eine andere Universität oder in derung erreicht bei Hochschul-Studenten 643 Euro (mit
ein anderes Land jederzeit ermöglichen. 2006 machten Wohnzuschlag); Fachhochschul-Studenten erhalten
die Bachelor- und Master-Studiengänge schon 45% der etwas weniger. 50% sind Zuschuss und 50% ein unver­
Studienangebote aus. zinsliches Staatsdarlehen. Bedarf besteht an Stipendien
speziell für Studenten aus einkommensschwachen
Die Hochschulen werden dadurch im internationalen Elternhäusern als auch an Stipendien nach Begabung
Wettbewerb attraktiver: Das Studium wird spezialisierter und Leistungsfähigkeit. Der neue EU-Report weist wie­
und stärker praktisch orientiert,die Studienzeiten wer­ derum auf den Zusammenhang von Herkunft und Bil­
den kürzerund die Abschlüsse sollen international aner­ dungserfolg hin und dass Arbeiterkinder es auf dem
kannt werden. Die Zahl der Studenten, die sich für ein Weg zum Studium wesentlich schwerer haben. Eine
Auslandsstudium entschließen, wächst, aberdie Gefahr, weitere Hürde sind die Studiengebühren.
ein Semester zu verlieren, ist noch nicht gebannt.
Die Studierenden konzentrieren sich bei der Wahl ihres Über hundert Jahre waran deutschen Hochschulen das
Studienorts auf nur 10 von insgesamt 60 Universitäten: Bildungsideal bestimmend, das Wilhelm von Humboldt
Po l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n

in der 1810 gegründeten Universität von Berlin anstrebte:


die Einheit von Forschung und Lehre und die Zweckfrei­
heit. Die Hochschulen sind heute dabei, Abschied zu neh­
men von dieser Tradition, die den Erfordernissen einer
modernen Industriegesellschaft nicht mehr zu entspre­
chen scheint.7 0 % der Studenten streben derzeit eine
berufsspezifische Ausbildung außerhalb der Forschung
Programme der Europäischen Union
an. Eine grundlegende Bildungsreform ist im Gange: die
Aufwertung der Fachhochschulen gegenüber den Uni­
versitäten, also der beruflichen Bildung (Ingenieurwesen, SOKRATES-Programm (darin integriert ERASMUS-Pro-
Wirtschaft, Sozialwesen), die Einrichtung neuer Studien­ gramm) (European Community Action Schemeforthe
gänge, die zeitliche und inhaltliche Straffung des Studi­ Mobility of University Students)
ums und der Ausbau von Spitzen-Unis (siehe S. 168). Die europäische Zusammenarbeit von Hochschulen
Sogenannte Seiteneinsteiger, die es ohne Abitur auf die und die Förderung des Austauschs von Studenten und
Universität schaffen und sich durch den Beruf qualifizie­ Hochschullehrern ist das Ziel des Programms. Die Hoch­
ren, sind in Deutschland noch unterrepräsentiert. schulen erhalten Geld aus Brüssel und genehmigen
eine entsprechende Anzahl von Stipendien. Die Semes­
Nach 1989 gestaltete man das ostdeutsche Hochschul­ ter an der ausländischen Universität werden im Allge­
system völlig um und „wickelte" politisch belastete Fach­ meinen anerkannt.
bereiche „ab", d.h. man löste sie auf und gründete sie neu. In der EU beteiligen sich neun von zehn Unis an dem
Heute gehen mehr Studenten in den Westen als umge­ Programm/insgesamt mehr als 4000, außerdem Uni­
kehrt. Deshalb werben die ostdeutschen Länder für ihre versitäten in Bulgarien, Rumänien, Liechtenstein, Island,
Hochschulen, die keine Studiengebühren haben, günstige Norwegen und der Türkei.
Mieten und Lebenshaltungskosten bieten sowie eine
gute Betreuung für ihre Studenten. TEMPUS III - Programm
(Trans European Mobility Schemeof University Students).
Das Stichwort B a ch e lo r / M aste r Mit Tempus und anderen Drittlandprogrammen wird die
Das Bachelor-Studium dauert sechs Semester und Zusammenarbeit im Hochschulbereich mit Ländern
garantiert solides Grundwissen. Der Master-Studien­ gefördert,die nicht Mitgliedstaaten der EU sind. Es soll zur
gang baut darauf auf und verschafft Spezial wissen. Von Reform der Hochschulen beitragen und zur Entwicklung
2010 an sollen nur noch die neuen weltweit vergleich­ der regionalen und nationalen Zusammenarbeit.
baren Studiengänge gelten, die alten Diplom-Studien­
gänge werden abgebaut. Die Reform gelingt, wenn die Der DAAD ist die „nationale Stelle" für EU-Programme in
Wirtschaft mitmacht und die Absolventen einstellt. Deutschland. 1995 wurden die Programme neu geord­
net, der DAAD hat dabei seine Aufgaben ausgeweitet: Er
berät und informiert für alle hochschulbezogenen Teile
A ufgaben
des Sokrates-, Leonardo- und Tempus-Programms. Sokra­
Wie beurteilen Sie das deutsche Universitätssystem?
tes / Comeniusi-3 sind Schulprogramme,die Schulpart-
Was finden Sie gut? Was würden Sie verbessern?
nerschaften fördern. Leonardo da Vinci fördert Aus­ den Austauschprogrammen der Europäischen Union.
landspraktika in Industrie, Dienstleistung und Landwirt­ Die Fülle der Aufgaben des DAAD sind 5 Zielen zugeord­
schaft in einem anderen europäischen Land. net: Stipendien für Ausländer, Stipendien für Deutsche,
Internationalisierung der Hochschulen, Förderung der
Engagiert arbeitet der DAAD auch bei Beratungsprojek­ Germanistik und der deutschen Sprache im Ausland und
ten im Hochschulwesen Mittel- und Osteuropas mit. Bildungszusammenarbeit mit Entwicklungsländern.
PPP sind Programme des Projektbezogenen Personen- Kontakt: Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD)
Kennedyallee 50, D-53175 Bonn, www.daad.de
austauschs, d.h.: Hier werden Personen gefördert, die
an bestimmten internationalen Projekten beteiligt
sind. Projekte gibt es in 26 Staaten, von Australien, Bul­ Glossar
garien bis Thailand, Ungarn und die USA. Akkreditierung: Nur akkreditierte Studiengänge sind
seriös. Die Qualität der Lehrer wurde vom Akkreditie­
Das Stichwort DAAD rungsrat zertifiziert.
(Deutscher Akademischer Austauschdienst) Bachelor: eigenständiger, berufsqualifizierender
Einrichtung der deutschen Hochschulen mit der Aufga­ Abschluss, der nach 3-4Jahren Studium von der Uni­
be, die Hochschulbeziehungen mit dem Ausland vor versitätverliehen wird.
allem durch den Austausch von Studenten und Wissen­ Credit Points: durch Klausuren oder andere Prüfungen
schaftlern zu fördern. Seine Programme sind offen für erworbene Leistungspunkte, mit denen man die Zulas­
alle Länder und alle Fachrichtungen. Sie kommen Auslän­ sung zum Examen erwirbt.
dern wie Deutschen gleichermaßen zugute. Der DAAD Master: akademischer Grad zwischen Bachelor und
ist somit tätig in der auswärtigen Kultur- und Wissen­ Doktor. MehrTheorie auf dem Weg zum M.A.
schaftspolitik, der Entwicklungspolitik und der nationa­ Modul:eine Lehreinheit bei Bachelor- und Masterstu­
len Hochschulpolitik. Seit einigen Jahren vermittelt er bei diengang.
Web-Tipps: www.his.de (Hochschulinformationssystem)
Info: www.hochschulkompass.de

Berufliche Bildung
Für die berufliche Bildung gilt das sogenannte duale
System, das international großes Ansehen besitzt: Die
Auszubildenden (auch „Azubis" genannt oder Lehrlin­
ge) machen eine praktische Lehre in Betrieben der
Industrie, des Handels oder Handwerks und besuchen
gleichzeitig für zwei bis zu dreieinhalbJahren eine
staatliche Berufsschule. Mit dem 18. Lebensjahr endet
die Berufsschulpflicht.
Schulnbachluas und Lehrberuf
D t« 9 0 (M a m H k tk iiM i I n m v U I o o lle r u f o Om n e u e n A u * / u I»ik )«*im Ioii

Bei der Berufswahl wird deutlich, dass es die meisten


eher in Berufe im Dienstleistungssektor und im Büro
zieht, weniger zur Ausbildung als Friseurin, Schreiner
oder Bäcker. Es gibt mehr als 300 Ausbildungsberufe,
aber viele der Jugendlichen interessieren sich seit Jah­
ren für die gleichen Traumberufe: Kfz-Mechaniker, Arzt­
helfer/in oder ßiirokaufmann/-frau.
Die IHK (= Industrie- und Handelskammer) hat neue
Lehrberufe geschaffen, die Alternativen bieten und die
Chancen am Arbeitsmarkt verbessern sollen. Diese sich vorder Berufswahl oder nach der Ausbildung und
Lehrberufe sind in den Medien und in der Informati absolvieren in einem Betrieb ein Freiwilliges Soziales
ons- und Telekommunikationsbranche entstanden: z.B. oder Ökonomisches Jahr. Der Einsatz reicht von der
der Mediengestalter, der sich auf Beratung, Design Arbeit beim Biobauern bis zur Behindertenbetreuung.
oderTechnik spezialisiert. Neu ist die Ausbildung zur
Fachkraft für Automatenservice, zum/zur Produktions­ Der Lehrstellenmarkt schwankt. In Zeiten guter Kon­
technologen/in in der Industrie, zur Servicekraft für junktur brauchen Betriebe mehr Facharbeiter und bil­
Schutz und Sicherheit oder zum/zur Speiseeisherstel­ den demzufolge auch stärker aus. Die Zahl der Ausbil­
ler/in. Für die Schüler, die eine für ihr Leben weitrei­ dungsplätze sinkt sofort bei schlechterer Wirtschafts­
chende Entscheidung treffen, wird es immer schwieri­ lage. Schwer haben es sogenannte Altbewerber, die
ger zu begreifen, was sich hinter den einzelnen keinen Platz gefunden haben und die Zeit mit einem
Bezeichnungen verbirgt. Arbeitsagenturen mit ihren Praktikum im Betrieb überbrücken. Manche qualifizie­
Berufsberatern greifen helfend ein. ren sich in außerbetrieblicher Fortbildung oder in
einem Berufsfortbildungsjahr. Die Agenturfür Arbeit
Jugendliche von heute sind realistisch; sie blicken in fördert Schüler/innen, damit sie einen Schulabschluss
eine Zukunft, die sich technisch rasant verändert.Tech­ bekommen, und vermittelt an Betriebe.
nische Veränderungen beschleunigen sich, hohe Quali­
fikation ist gefordert. Geringer Qualifizierte haben Ausländische Jugendliche in Deutschland haben es
automatisch geringere Chancen. Globalisierung,Tech­ schwerer als ihre deutschen Altersgenossen. Ihre Schulbil­
nisierung und Rationalisierung brauchen gleichzeitig dung wird oft mit der Hauptschule beendet oder abge­
immer weniger Arbeitskräfte. Bei manchen entsteht brochen. Nur wenige erreichen das Gymnasium. Ihre
das Gefühl der Skepsis und Unsicherheit. Mobil,flexibel Chancen bei der Berufswahl sind deshalb eingeschränkt,
und teamfähig soll der Schlüssel zum Erfolg sein. Frag­ zumal sich viele Jugendliche zwischen zwei Kulturen
lich ist, ob die Schule fähig ist, auf diese Herausforde­ bewegen. Sie entscheiden sich für eine noch engere Palet­
rungen vorzubereiten. Jugendliche, die über ihre Werte­ te von Berufen als die deutschen Jugendlichen.
skala Auskunft geben sollten, nannten an erster Stelle: Alarmierend ist auch, dass viele junge Menschen mit
„eigene Fähigkeiten entfalten", dann „das Leben genie­ befristeten Arbeitsverträgen in den Beruf einsteigen.
ßen" und „unabhängig, durchsetzungsfähig sein". Die Familien- und Berufsplanung ist dadurch wesent­
Manche jungen Leute zwischen 16 und 27 orientieren lich erschwert.
106 P o l i t i k u n d ö f f e n t l i c h e s L eb e n

Das Stichwort Handwerksordnung Jugendliche wollen Landwirt werden


Die Handwerksordnung regelt, unter welchen Bedin­ Bonn (AP) - Ende 99 wollten immer weniger
gungen ein Handwerker sich selbstständig machen Jugendliche Landwirt werden. Zum Ende des Jahres
kann. Seit 2004 gibt es 57 Berufe, die keine Meisterprü­ gab es nur noch 8514 Landwirtschaftslehrlinge, was
fung mehr erfordern. Diese Hürde existiert noch für nach Angaben des Bauernverbandes ein Rekordtief
41 Berufe. In den zulassungsfreien Berufen ist seitdem darstellt. 2004 stieg die Zahl wieder: Der ökologische
ein Boom bei Betriebsanmeldungen ausgebrochen. Da­ Anbau und die Aussicht auf Selbstständigkeit üben
runter sind Schneider,Gebäudereiniger, Fliesenleger einen gewissen Anreiz aus. Auch entdecken viele
usw. Es ist offen, wie lange sich der Meisterzwang in ei Bauern neue Erwerbsquellen und werden zu
nem europäischen Einheitsmarkt halten wird. Managern der Energiewirtschaft. Sie betreiben
Biogasanlagen und speisen Solarstrom ein, sind
In Deutschland muss ein Handwerker, der einen Betrieb Bauer und Energiewirt zugleich.
gründet,die Meisterprüfung haben. DieseTradition der (nach: Globus vom 26.07.1999: aktualisiert 2008)
mittelalterlichen Zünfte hat sich bis in die Gegenwart
erhalten. Heute ist eine Reform des Handwerks in Gang
gekommen: Es geht darum, weiterhin Qualität zu sichern, 2. Thema „Berufswahl und Zukunftsträume": Hierzu
Existenzgründungen aber nicht zu verhindern. Das Hand­ ein Artikel und zwei Schüler-Porträts.
werksrecht wurde schon dahingehend geändert,dass ein­
fache Handwerksarbeiten von jedermann angeboten
werden können. Das sind Arbeiten wie zum Beispiel Mädels mit Rekord!
Malern,die in zwei bis drei Monaten erlernbar sind. Es Rekordbeteiligung am
gibt allerdings die Möglichkeit, mit der finanziellen Hilfe deutschen Girls’ Day
des Meister-BAföGs (Bundesausbildungsförderungsge­ Männerarbeit? Frauenarbeit? Gibt es das noch in der
setz) die Meisterprüfung nachzuholen. Berufsabschlüsse jungen Generation, mag sich manch eine(r)fragen. Das
sollen in Zukunft innerhalb der EU vergleichbar sein. ist es. „Drei Viertel aller Mädchen entscheiden sich fü r die
Heute ist Ingenieur nicht gleich Ingenieur in einem ande­ 20 klassischen Ausbildungsberufe, die auch ihre Mütter
ren EU-Land. Die EU hat einen Europäischen Qualifikati­ und Großmütter schon gelernt haben", sagt die Gleich­
onsrahmen für lebenslanges Lernen (EOR) entwickelt,der stellungsbeauftragte der Agenturfü r Arbeit.
Abschlüsse und Kompetenzen in 8 Stufen beschreibt. Frauenberufe sind Tätigkeiten, in denen mehr als 80 Pro­
Nach diesem Muster sollen EU-Mitgliedstaaten nationale zent der Beschäftigten weiblich sind. Besondere Krux: Ge­
Qualifikationsrahmen (NOR) entwickeln. nau diese Berufe sind schlecht bezahlt.
(nach: x-bay, Nordbayerischer Kurier vom 19./20.03.2005)

A ufgaben Der Girls'Day soll Schülerinnen einen Eindruck von


1. Sinkende Einkommen sind immer der Grund fürdie
technisch-naturwissenschaftlichen Berufen vermitteln.
Landflucht. Wie sieht das in Ihrem Land aus? Welche
Viele Firmen unterstützen die Aktion und bieten
Folgen hat die Landflucht für die Städte, die Dörfer
Schnupperpraktika an. Die Schülerinnen nehmen die
und für die Landschaft? Angebote begeistert an.
Lesen Sie die folgende Mitteilung:
mm, , n n ii
P o l i t i k u n d ö f f e n t l i c h e s Leben 107

Matthias Kleinert Weiterbildung


Nicht so harte Arbeit wie mein Vater!
Bei mir ist es eigentlich nicht so gelaufen wie geplant. Ich Der dritte Bildungssektor ist der Bereich der Erwachse­
wäre gern technischer Zeichner geworden, aber ich habe hier nenbildung und der beruflichen Weiterbildung, der in
keine Lehrstelle gefunden. Richtig schlimme Sorgen habe ich einer sich ständig verändernden Welt immer wichtiger
mir eigentlich nicht gemacht. Mittlerweile bin ich ganz froh, wird. „Lebenslanges Lernen“ ist das Stichwort, ohne das
dass mich ein Lehrer auf eine andere Idee gebracht hat. Ich heute ein Beruf kaum noch auskommt. Die technische
werde eine Ausbildung machen und parallel dazu auf die Ausstattung der Arbeitsplätze fordert Einarbeitung
Fachoberschule gehen. Mit dem Abschluss,den ich dort und neues Lernen. Die Anforderungen wachsen, und
bekomme, kann ich danach studieren. Maschinenbau oder die Zahl der „einfachen Tätigkeiten" nimmt ständig ab.
Elektrotechnik-ich glaube, das hat Zukunft. Vor allem muss
ich nicht so harte körperliche Arbeit leisten wie mein Vater. Weiter lernen ist ausschlaggebend für die Qualität der
Der ist Zimmerer. In zehn Jahren hätte ich gerne eine Frau; Produkte und Dienstleistungen und die Innovationsfä­
Kinder nicht unbedingt. Mein Traum wäre es, einmal eine higkeit eines Landes.
große Weltreise zu machen. Ach ja. und alle Bands, die ich gut Die Volkshochschulen - das sind öffentlich unterstütz­
finde,einmal live zu sehen. te Institutionen - bieten Kurse auf breiter Palette an,
von Sprach- und Mathematik- bis zu Hobby-Kursen.
Marion Mayer Zur Weiterbildung tragen auch die Gewerkschaften, die
Man darf nicht gleich aufgeben. Stiftungen der Parteien und viele private Institute bei.
Ich wechsle auf das Gymnasium, meine Noten jjjjSg Die Unternehmen stecken inzwischen ebenso viel Geld
waren gut genug. Mir hat es in der Schule immer gefallen. So in die Fortbildung der Mitarbeiter wie in die berufliche
recht habe ich noch keine Idee, was ich anderes machen sollte. Erstausbildung. Auch existieren berufs- und weiterbil­
Was ich mir für die Zukunft wünsche: ein abgeschlossenes Stu­ dungsbegleitende Studiengänge an den Hochschulen.
dium und einen gut bezahlten Job, damit man nicht jeden Cent
umdrehen muss. Der Job sollte mit Fremdsprachen zu tun Vor allem die Bundesagentur für Arbeit, also der Staat,
haben. Irgendwann hätte ich gern eine Familie, auch Kinder, fördert Arbeitslose mit beruflichen Weiterbildungs­
aber noch nicht so schnell. Und die Möglichkeit viel zu reisen. maßnahmen. Förderung wird dann mit einer konkreten
Über mich mache ich mir momentan noch keine Sorgen. Ich Aussicht auf Beschäftigung verbunden. Die Bundes­
gehe erst mal drei Jahre weiter zur Schule und werde von mei­ agentur bemüht sich um individuelle Beratung und
nen Eltern unterstützt. Was wichtig ist: Man darf nicht gleich effiziente Unterstützung und macht Arbeitnehmer
aufgeben, wenn was schief läuft. und Arbeitgeber auf die Wichtigkeit von Weiterbildung
{nach: SZ vom 31.7./1.08.2004) aufmerksam.

A ufgaben Bundesagentur
Welche Ausbildung haben Mädchen in Ihrem Land? für Arbeit_____
Geben Sie Kurzberichte und vergleichen Sie.
BERUFE!: JOBBORFv
108 P o l it ik u n d ö f f e n t l ic h e s Le b e n
TA N D EM
I IN NETZ IN EUROPA

A ufgaben <m
Was wird am häufigsten angeboten? Sprachkurse
in England, Frankreich
Wo liegen die Schwerpunkte? Italien, Spanien & Portugal
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5. Kulturelles

Friedrich
Sch iller

umm
110 Ku ltu relles

Orte und ihre Dichter


W ei m ar und die Klassiker____________
Die Klassik Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhun­
derts gilt als einer der Höhepunkte der deutschen Litera­
tur. Es war die Zeit nach der Französischen Revolution.
Trotzdem ist sie weniger vom Politischen als von der Phi­
losophie, weniger von nationalen Ideen als vom Welt­
bürgertum beeinflusst. Die Ideale des Guten, Wahren Goethe diktiert in seinem Arbeitszimmer.
und Schönen, der Menschlichkeit und Harmonie sind ihr
der Begründung heißt es:„Das Bauhaus mit seinen Stät­
Gehalt. Immanuel Kant, der das Gesetz des sittlichen
ten ... steht für die sogenannte Bauhaus-Architektur, die
Handelns formulierte, war ihr einflussreichster Philo­
zwischen 1919 und 1933 revolutionäre Ideen der Bauge­
soph. Bildungsideal der Zeit war die Ganzheit der Per­
staltung und Stadtplanung durchsetzte."
sönlichkeit.

Goethe-llaus in Weimar 1999 wurde Weimar mit dem Titel „Kulturstadt Europas"
geehrt. 1998 wurde das „klassische Weimar" in die
UNESCO-Liste aufgenommen,eine Referenz an die Kul­
turepoche, die von Weimar ausging.

A ufgaben
1. ln Weimar steht das berühmte Schiller-Goethe-
Denkmal.-W em baut man eigentlich Denkmäler?!
Das geografische Zentrum war Weimar, ein „Mittelding
2. Wann werden Denkmäler gestürzt?
zwischen Dorf und Stadt" (Herder), mit kaum mehr als
3. Wem würden Sie ein Denkmal setzen?
6000 Einwohnern. Durch Goethe, Schiller und Herder,
Oder halten Sie nichts von Denkmälern?
der Humanität als Ziel aller Entwicklung sah, wurde fcw»iii;...miwn..iwiii iiiiinini.i..iii mm L'.ül . ...... m W m em M
diese kleine thüringische Stadt zum geistigen Mittel­
punkt Deutschlands. Zwischen Weimar und der Univer­ Auch nach 200 Jahren ist Goethe und die klassische
sitätsstadt Jena mit ihren Gelehrten und den Vertretern Dichtung ein lebendiger Bestandteil des kulturellen
des Verlagswesens bestanden enge Kontakte. Lebens. Seine Dramen werden auf allen großen Bühnen
Heute setzt sich Weimar mit seiner vielfältigen Vergan­ gespielt und von bekannten Theaterregisseuren insze­
genheit, mit seinem Kulturerbe und der aktuellen Pflege niert. Sein Roman „Die Wahlverwandtschaften" ist
und Neugestaltung auseinander. Die Stadt liegt in erstaunlich modern, seine Lyrik gegenwärtig. Verehrer
einem neuen Bundesland und war deshalb über Jahr­ aus aller Welt besuchen sein Geburtshaus in Frankfurt
zehnte für die Bürger Westdeutschlands nicht erreichbar am Main, das im 18. Jahrhundert zu den schönsten der
(siehe Seite 164). Stadt zählte, und das Haus am Frauenplan in Weimar,
1996 wurden die Bauhaus-Bauten von Weimar und Des­ wo er in seinen späteren Jahren vielfältig tätig war.
sau in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen. In
Ku ltu relles 111

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) wurde in Die Tragödie „Faust" gilt als das eigentliche Hauptwerk
Frankfurt am Main als Sohn einer wohlhabenden Bür­ Goethes, an dem er bis zu seinem Tod gearbeitet hat. Es
gerfamilie geboren. Seine Mutter, die „Frau Rat", war ist das Drama eines nach Erkenntnis und Erfüllung
liberal erzogen worden und gab dem Haus die entspre­ strebenden Menschen, der dafür sogar den Pakt mit
chende Atmosphäre. Aus ihrem Briefwechsel mit vielen dem Teufel wagt.
Menschen aus dem Umkreis ihres Sohnes spricht
Gelassenheit, Klugheit und Witz. Nach Studien- und Friedrich Schiller (1759-1805) wurde in Marbach am
Wanderjahren und dem Zusammentreffen mit Dich­ Neckar geboren. Das Sturm-und-Drang-Drama „Die
tern des Sturm und Drang schrieb Goethe Gedichte Räuber" machte ihn bekannt. Die Forderung nach Frei­
und Dramenfragmente. Sein Briefroman „Die Leiden heit begeisterte die Menschen in einer Welt der fürstli­
des jungen Werther“ machte ihn schon mit 24 Jahren chen Willkür und der Kleinstaaterei (siche S. 161). 1789
berühmt. Er ging auf Einladung des Herzogs Karl holte ihn Goethe als Professor für Geschichte nach
August, der ihn in Frankfurt kennengelernt hatte,als Jena. Seit 1794 bis zu Schillers frühem Tod waren beide
Hofrat nach Weimar. Später wurde er Minister und trotz mancher Gegensätze einander freundschaftlich
musste sich mit Steuern, Straßen, Bergwerken und verbunden.
Erziehung befassen. In Zusammenarbeit mit Friedrich Schillers Dramen thematisieren die Spannung zwi­
Schiller leitete er das Weimarer Hoftheater. schen Ideal und Leben und das Bemühen um Freiheit
Während seiner Italienreise 1786 bis 1788 studierte er und Menschenwürde. In „Don Carlos“ tritt Marquis
die Klarheit und Harmonie der antiken Kunst. Höhe­ Posa für Freiheit und Menschlichkeit ein, ist jedoch in
punkte seiner klassisch genannten Dichtung sind die der Realität zum Scheitern verurteilt. Schillers tragische
Dramen „Iphigenie auf Tauris" (Iphigenie bringt Erlö­ Weitsicht wird Gestalt in „Wallenstein",„Maria Stuart“,
sung durch reine Menschlichkeit),„Egmont",„Torquato „WilhelmTell"oder„Die Jungfrau von Orleans". Diese
Tasso". Dramen übten im 19. Jahrhundert einen nachhaltigen
Einfluss aus, nicht nur auf das geistige Leben in
Das Stichwort S tu rm -u n d -D ra n g -D ic h tu n g Deutschland, auch auf die Literatur in den romani­
Sturm und Drang hieß die Literaturepoche vor der Klas­ schen und angelsächsischen Ländern.
sik. Das Erlebnis der Natur und der moralisch geführte Am 5. Mai 2005 wurde Schillers 200.Todestag gefeiert.
Kampf gegen Despotismus waren ihr Programm. Das Die vielen Ausstellungen, Reden .Theateraufführungen
Drama war die angemessene Form dieser Dichtung. und Feiern haben neugierig gemacht und so manch
Programm war auch der Kampf für persönliche Frei­
heit, auch für die Freiheit der Liebe gegen den Standes­
unterschied. In dem Briefroman „Die Leiden des jungen
Werther" von Goethe ist die tragische Liebe Werthers
zu einer verheirateten Frau niedergeschrieben, die mit
dem Selbstmord des jungen Mannes endet. Werther Schillers
Wohnhaus
trägt autobiografische Züge. In Weimar
112 K u ltu re lle s

2. Auch Goethe bleibt präsent. Lesen Sie die Rezension


über eine 1993 veröffentlichte Chronik seines Lebens.

Manche meinen, Goethes Werk sei bis ins Detail erklärt


und kommentiert: was gebe es denn nachfast zwei Jahr­
hunderten noch zu erforschen? Ist nicht alles Tagfü r Tag
dokumentiert, sein Leben und seine poetische Arbeit? Man
braucht aber nur einen Blick in Steiger/Reimanns Chronik
Friedrich Schiller Schiller liest „Die Räuber" vor.
„Goethes Leben von Tag zu Tag" (Band 6:1814-1820, Arte­
einer entdeckte den Menschen Schiller und bewunder­ mis Verlag, Zürich / Münchemggg) zu werfen, um zu
te seine Sprachgewalt. Seine Dramen haben wenig von bemerken, dass hier viele verstreute Zeugnisse erstmalig
ihrer Brisanz verloren: In Weimar interpretierten Schü­ chronologisch geordnet wurden. Damit zeigt sich sehr
ler auf den Straßen der Stadt ihren Schiller. Der Regis­ plastisch Goethes Lebensführung mit den verschiedensten
seur PeterStein las den „Wallenstein" an vier Abenden. poetischen und wissenschaftlichen Arbeitsprojekten, wie
- Das Fernsehen rollte Schillers Biografie auf, seine wir sie so nicht kannten. Der Band 1814 bis 1820 ist höchst
Kämpfe gegen die Obrigkeit, das Verhältnis zu Goethe spannend, zu lesen als eine Art „Biografie, vom Terminka­
und sein früher Tod. lender strukturiert". Steiger/Reimann halten sich in der
Seine Ideale, wie sie in der „Ode an die Freude" 1785 Auslegung ihrer unendlich vielen Daten und Zitate zurück,
überschwänglich zum Ausdruck kommen, berühren aber ihre Chronik wartet auf eine weiterführende erzähle­
uns. Beschworen wird eine Gesellschaft von gleichbe­ rische oder psychologische Auswertung.
rechtigten Menschen,die durch das Band der Freude (nach: Jörg Drcws.An der Pranke kennt man den Löwen,
in: SZ vom 2 8 /29.08.1993)
und der Freundschaft verbunden sind. Beethoven ver­
wendete Teile der Ode im Schlusschor der 9. Sympho­
Zürich, die Schweiz
nie. Die Melodie ist seit 1972 offizielle Hymne des Euro­
parats und seit 1985 der Europäischen Union.
und ihre Schriftsteller

Max Frisch (1911-1991) wurde in Zürich geboren und


t T " " " " " ......... ■" ' ~ i "im -1 - m m . .... 11

blieb der Schweiz sein Leben lang treu. Er wird oft in


A ufgaben
einem Atemzug mit seinem Landsmann Friedrich Dür­
i. Schiller lebt auch fort in vielen Zitaten:„Früh
renmatt (1921-1990) genannt, obwohl beide dies nicht
übt sich, wer ein Meister werden will." „Was tun,
gerne hörten. Sie studierten in Zürich, begannen als
spricht Zeus?" „Der Starke ist am mächtigsten
Dramatiker und wurden dann auch als Prosaschriftstel­
allein." „Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst
ler und Essayisten bekannt. Frisch gilt als der Intellektu­
vergebens." „Dem Glücklichen schlägt keine Stun-1
elle, der Persönlichkeits- und Identitätsprobleme zu sei­
de."„Drum prüfe, wer sich ewig bindet."
nen Themen machte, während Dürrenmatt dem Krimi­
Kennen Sie weitere Zitate?
nalroman literarischen Rang verschaffte. Neben allen
Unterschieden ist beiden das Nachdenken über die
Schweiz und die Schweizer gemeinsam.
Kulturelles

Adolf Muschg
„Was man damals wie heute einen rechten' Schweizer
nannte", heißt es bei Frisch,,,- es gibt einfach Dinge, die
ein rechter Schweizer nicht tut, sein Haar kann dabei
blond oder schwarz sein, das sind nicht seine Merkmale,
Spitzkopf, Rundkopf usw., der rechte Schweizer kann ganz
Im Folgenden zwei Auszüge aus einem Interview:
verschieden aussehen. Er muss nicht Turnersein, Schüt­
zenkönig, Schwinger usw., doch etwas Gesundes gehört Frage: Was könnte die Schweiz für Europa sein?
zu ihm, etwas Männerhaftes. Er kann auch ein dicker Wirt ... Das Schöne an der Schweiz ist, dass sie keine Nation,
sein; das Gesunde in der Denkart.... Maßgeblich ist der kein homogener Staat ist. Und deshalb könnte sie
Sinn fürs Alltägliche. Der rechte Schweizer lässt sich nicht etwas für Europa zu bieten haben, unter der Vorausset­
auf Utopien ein, weswegen er sich fü r realistisch hält. Die zung, dass sie ein gepflegtes, ein kultiviertes Konflikt­
Schweizergeschichte, so wie sie gelehrt wird, hat ihm verständnis aus sich heraus entwickelt hätte. Das ist
noch immer Recht gegeben. Daher hat er etwas Über­ aber nicht der Fall. Die unterschiedlichen Landesteile
zeugtes, ohnefanatisch zu werden. Er gefällt sich als reagieren nicht aufeinander, sie versuchen nicht, einan­
Schweizer, wenn er mit ändern rechten Schweizern der zu verstehen, sondern sie existieren eher Rücken an
zusammen ist,... Ausländer mögen ihn als grobschlächtig Rücken. Die Schweiz ist ein defektes supranationales
empfinden, das stört einen rechten Schweizer überhaupt Modell und das beginnen wir erst langsam zu begrei­
nicht, im Gegenteil; er ist kein Höfling, macht keine Ver­ fen. Es gibt eine gemeinsame politische Kaste, eine
beugungen usw. Daher mag er's nicht, wenn er Schrift­ gemeinsame Währung und vor allem den gemeinsa­
deutsch antworten soll; das macht ihn unterwürfig und men Wohlstand, aber keine gemeinsame Idee....
grämlich. Dabei hat der rechte Schweizer kein Minder­
wertigkeitsgefühl, er wüsste nicht wieso. Das Gesunde in Frage: Sehen Sie beim Stichwort „Europa der Kulturen"
der Denkart: eine gewisse Bedächtigkeit, alles schnelle die Gefahr einer Einheitskultur?
Denken wirkt sofort unglaubwürdig. Ersteht auf dem Ich sehe diese Gefahr auf der Ebene der Mentalitäten
Boden der Tatsachen, hemdärmlig und ohne Leichtigkeit. noch lange nicht. Noch gibt es ja z.B. die beiden Appen­
Da der rechte Schweizer eben sagt, was er denkt, schimpft zeller Kantone mit ihrer skurrilen Eigenständigkeit, und
er viel und meistens im Einverständnis mit ändern; daher das ist auch gut so. Diese Art von Eigensinn muss
fühlt er sich frei." (a.a.O., S. zg8/ggg) koexistieren können mit dem großen Horizont. Natür­
lich gibt es Probleme, die nur global gelöst werden kön­
Auch der bedeutendste Schweizer Schriftsteller nach nen, darunter fallen alle ökonomischen Probleme, aber
Frisch und Dürrenmatt, der 1934 geborene Adolf das gilt eben nicht ohne weiteres für den Bereich der
Muschg, lebt in Zürich. Seine Romane und Erzählungen Kultur.... Die entscheidende Frage lautet: Wie viel kultu­
faszinieren durch ihre subtile Psychologie. Muschg rellen Föderalismus, wie viel Gegen-den-Strom-
engagierte sich kurzzeitig in der Politik, kehrte aber in Schwimmen verträgt die Einheit des Wirtschaftsrau­
die nuancenreiche Diktion der Literatur zurück. mes**? Das müssen wir ausprobieren gegen alle Wider­
' rechl = richtig, echt stände und Bequemlichkeiten. Darin besteht für mich
" Anm.: Die Schweiz ist dem EWR nicht beigetreten, siehe S. 9; die Staatskunst, (aus: Konturen 1/1994,a.a.O.,S. 16/17)
Die Bühne ist ein freier Platz im hellen Licht.

Es beginnt damit, daß einer schneit über ihn wegläuft C


Oe 'arvafho

Noch e in e r aus der anderen Richtung Sehert


Zw ei die einander kreuzen Lofa*&oir
Ein dritter und ein vierter in der Diagonale folgend feHevwüpptr
m

Seine Insasssen auf dem Baumpfiock, am Wegrand


Wöpper/Stitäefrnannt'Ferfef
Einer in panischer Eile mit einem Vertreter.koffer böii
Isaak, Abraham ais Todmüden im Gefolge, zurückkehrend mmtemohse
Eine, die sich auf den Knien nähert Oeioeg&o

Eine Patrouille mit Handschellen und Schlagstöcken Wuppe,.mehm


General der Kinderschuhe vor sich herträgt Hauer
Ein Wanderer durch tiefes Laub gehend Rostagno
Der Großvater mit einer Schlange im Stockspalt tohse
Die Portugiesin
Das Mädchen aus M arseiile am Hafenquai ott
Die Jüdin aus Herzliya, die Gasmaske in die Gasse werfend Koren
Die M ongolin mit ihrem Falken Pocher
Die Patronin von Toledo mit Löwenfell ßammrto
Kreuz- und Q u erg eher tnsenibie
Chaplin der beiläufig vorbeiflaniert nneibarb
Einer ais Kellner der einen Aschenbecher leert sehen
Eine mit einem Sektgiastabiett cayrord
Einer episodisch ais müßiger Geschäftsm ann van fee
Ein Läufer mit der Lehmskulptur eines Kinde? Ferfw
Der Erste Zuschauer, sich von seinem Sitz iosreißerid
Der Zweite Zuschauer, sich auf die Szene schwingend
Zwei Frauen die eine Stange voll mit Wäsche über den Platz tragen Gahuomjp/ott
Dritter Zuschauer auf dem Plateau, der sich in den Zug einfädelt

Darin ist der Platz dunkel geworden.


Ku ltu relles 115
IVIcr Handke

Geschäftsfrau, biblische Gestalten, eine Wandergruppe,


ein Skateboardfahrer,ein Fußballfan,der gestiefelte
Kater, Flaneure und Renner, Paare... Alle zeigen sich mit
Graz - Düsse ldo rf - Paris - ihren typischen Merkmalen und Verhaltensweisen. Das
wer ist Peter H an d k e ? Ganze ist eine Bildergeschichte, die Widersprüche und
ewiges Kommen und Gehen ernst und auch komisch in
Ob man von einer „österreichischen" Literatur sprechen
Szene setzt. Handke zeigt die Welt als Wunderwerk, um
kann, darüber ist viel diskutiert worden und die Meinun­
zu staunen und still zu machen.
gen sind geteilt. Beispiele für typisch Österreichisches in
Links ein Ausschnitt aus dem Plakat zur deutschen Erst­
der Literatur und für österreichische Themen gibt es
aufführung von Handkes „Die Stunde da wir nichts von­
genug, aber auch viele Beispiele für Autoren,deren
einander wußten" im Schauspielhaus Bochum. Übrigens
österreichische Herkunft leicht vergessen wird: Peter
-e in stummes Stück,ebenso wie das 1969 geschriebene
Handke (geb. 1942) gehört dazu. Er ist zwar in Kärnten
„Das Mündel will Vormund sein".
geboren und studierte in Graz, lebte aber meistens in
Deutschland und Frankreich. Heute ist er mit seiner r ” .................................. ■■ ........
Familie in einem kleinen Pariser Vorort zu Hause. A ufgaben
1966 machte ihn sein Bühnenstück „Publikumsbe­ 1. Suchen Sie Peter Handkes Werkverzeichnis im Internet.
schimpfung" über Nacht bekannt. Er bricht das traditio­ Was fällt Ihnen auf?
nelle Verhältnis zwischen Publikum und Bühnengesche­ 2. Elfriede Jelinek wird als österreichische Schriftstellerin
hen auf, indem eine Beschimpfung wirklich stattfindet. wahrgenommen. Die Wienerin, die sich in die Reihe sprach-
kritischer Autoren von Nestroy bis Thomas Bernhard ein­
Sie ist gegen das „alte“,„kulinarische" Publikum gerich­
reiht, erhielt 2004 den Literatur-Nobelpreis. In der Laudatio
tet. Bekannt sind auch seine Romane und Erzählungen,
hieß es:„Sie haben mit Ihren Schriften einer ketzerischen
zu denen „Die linkshändige Frau" gehört oder die Erzäh-
femininenTradition neue Geltung verschafft und die litera­
lung„Wunschloses Unglück",die vom Leben und Selbst­
rische Kunst ausgeweitet..." Finden Sie in dem Fotoalbum
mord seiner Mutter handelt.
von Elfriede Jelinek unter www.elfriedejelinek.com einen
Handke gehört zu den meistgelesenen Autoren des
Text, der Sie besonders a nspricht.
deutschen Sprachraums. In einem Interview sagte er von U ^ . ..... ....... ............ ...
sich, dass er derselbe geblieben sei, der er zu Beginn sei­
nes Schreibens war, dass er nach Wahrhaftigkeit strebe Das vereinte Deutsc hlan d
und dass er viel leicht etwas klarsichtiger, aber auch illu­ und seine Autoren
sionsloser geworden sei. Immer stärker halte er Distanz.
Nach 1989 ging ein Riss durch die Literaturlandschaft;
In diesem Sinne ist auch ein neueres Stück-„Die Stunde
vieles war nach dem Fall der Mauer anders als zuvor.
da wir nichts voneinander wußten“-geschrieben (deut
Der Vereinigungsjubel war kaum verflogen, als schon
sehe Erstaufführung März 1993 in Bochum). Hauptak-
der„l.iteraturstreit" im vereinten Deutschland begann.
teur ist ein Platz. Das Stück bringt Hunderte von Figuren
Vorher war alles klar: Die ausgebürgerten, aus der DDR
in Hunderten von Kostümen auf diesen Platz, und der
geflohenen Schriftsteller lebten und publizierten in der
Zuschauer betrachtet sie neugierig in einer Art Sightsee­
Bundesrepublik. Die Daheimgebliebenen richteten sich
ing-Tour: die Schönheit, der Uniformierte, Papageno,die
ein oder versuchten, auf ihre eigene Weise mit der Reali-
116 Ku ltu relles

Christa Wolf

tät fertig zu werden: angepasst, schizo­ die Spaltung des Landes.


phren oder resigniert. Dafür wurden sie Ihr nächstes Werk-„Nachdenken über
nach 1989 angegriffen, und zwar von Christa T." - durfte bereits nur in kleiner
früheren Kollegen (oder„Genossen"), Auflage erscheinen. Die Erzählung„Was
aber auch von westdeutschen Literatur­ bleibt" wurde der Auslöser für den Litera­
kritikern, die die Verhältnisse aus gegen­ tu rstreit. Das kleine Werk war 1979
wärtiger Sicht ins Visier nahmen. Die geschrieben worden und wurde 1990 ver­
DDR hatte vielen ihrer Dichter großzü­ öffentlicht. Zu spät, sagten ihre Kritiker. Es
gig Sonderrechte und Vergünstigungen gewährt, ihnen erzählt autobiografisch von der Dichterin als Opfer der
dafür aber Staatstreue, d.h. die Verpflichtung, das Volk Stasi (das gefürchtete Ministerium für Staatssicherheit
zum Sozialismus zu erziehen, abverlangt. Nicht wenige der DDR). Mit der Veröffentlichung der Stasi-Akten war
haben sich durch Kritik und Zweifel die Gunst der Christa Wolf aber selbst in den Verdacht geraten, inoffi­
Machthaber verscherzt. Der Liedermacher Wolf Bier­ zielle Informantin der Stasi gewesen zu sein. Richtig ist,
mann wurde ausgebürgert, als er 1976 auf einer Kon­ dass Christa Wolf für eine sehr kurze Zeit als Informan­
zertreise im Westen auftrat. Die Lyrikerin Sarah Kirsch tin gedient hatte, bevor sie selbst über viele Jahre von
und die Schriftsteller Günter Kunert und Reiner Kunze der Stasi überwacht wurde. Ihr Lebensweg von einer
folgten. Für andere Künstler kam 1979 der Ausschluss Anhängerin der DDR und des „real existierenden Sozia­
aus dem Schriftstellerverband; betroffen war vor allem lismus" über Wahrheitssuche und Verdrängung zur Kri­
Stefan Hey m. tik am System hat Symbolwert für die Rolle eines
Er hatte seinen Roman „Collin“, der von der Staatssi­ Schriftstellers in einem totalitären Staat. Ihre Gegner
cherheit handelt, im Westen veröffentlicht. Nach der wandten ein, dass sie konfliktscheuer war als andere,
Einheit brachen die Gegensätze zwischen denen, die Kompromisse schloss und dass sie es allen recht
geblieben, und denen, die gegangen waren, denen im machen wollte.
Osten und denen im Westen,stärker auf denn je. Aus­ Die Kontroverse um Christa Wolf war zu Ende, als sie für
druck der Ratlosigkeit derer, die sich mit den Mächtigen eine längere Zeit nach Kalifornien ging. Nach ihrer Rück­
arrangiert hatten, war zu dieser Zeit die Autobiografie kehr meldete sie sich wieder mit einem Rechenschafts­
des weltweit bekannten Dramatikers Heiner Müller; bericht, betitelt „Auf dem Weg nach Tabou-Texte
ihm war es um dramatisches „Material" gegangenem 1990-1994“. In „Medea. Stimmen" stoßen grundlegend
Strukturen, nicht um Recht oder Unrecht, Moral oder verschiedene Wertesysteme aufeinander. 1998 folgten
Lüge. Er gilt als Zyniker („Zynismus ist doch der schräge die Erzählungen „Hierzulande Andernorts". Sie versucht,
Blick auf die geltenden Werte“); er war gleichzeitig Stali­ die Wirklichkeit zu fassen und sich „an den Schnittstel­
nist und Dissident. len von Erfahrung und historischem Prozess" der Wahr­
Ziel der Angriffe vonseiten der Westdeutschen war vor heit zu nähern.
allem Christa Wolf, die ehemalige DDR-Bürgerin. In Zusammen mit Christa Wolf wurden westdeutsche
ihrem Roman „Der geteilte Himmel" (1963) hat sie priva­ Schriftsteller angegriffen,die aus dem Umkreis der
te Konflikte und Gewissensentscheidungen vor dem „Gruppe 47" kamen. Sie hatten die Vereinigung nicht
Hintergrund ideologischer Auseinandersetzungen mit der erwarteten Begeisterung aufgenommen.
nachgezeichnet: die Trennung zweier Liebenden durch
Ku ltu relles 117

Das Stichwort Stasi und die Stasi-Akten Rückblende: das geteilte


D eu tsch lan d und die „Gruppe 47 “
(= Abkürzung für Staatssicherheit) Der Staatssicher­
heitsdienst war die politische Geheimpolizei der DDR.
Die Literatur nach 1945 ist eng mit der „Gruppe 47" ver­
Er war der Partei untergeordnet und nur ihr verant­
knüpft. Einige junge Schriftsteller kamen 1947 erstma­
wortlich. Stasi-Agenten bespitzelten alle DDR-Bürger,
lig zusammen, um sich ihre Manuskripte vorzulesen.
die sich nicht systemkonform verhielten. Die Stasi
Daraus wurde die Gruppe 47, für die kommenden
hatte wahrscheinlich 200 000 hauptberufliche und
zwanzig Jahre der Treffpunkt der bedeutendsten Auto­
mindestens 1,6 bis 2 Millionen informelle Mitarbeiter
ren der deutschsprachigen Literatur. Die lockere Verei­
(IM). Über jeden verdächtigen Bürger wurde eine
nigung unter der Leitung von Hans Werner Richter
„Stasi-Akte" angelegt, die Betroffene seit der Einheit
(gestorben im März 1993) hatte kein literarisches Pro­
einsehen können (siehe S. 165). Eine wütende Menge
gramm. Sie entwickelte sich dennoch zu einer literari­
hatteam is.Januariggo die verhasste Stasi-Zentrale in
schen und politischen Instanz. Richter lud zwanglos zu
Berlin gestürmt und die Akten an sich genommen.
den jährlichen Treffen ein und alles, was Rang und
Bis heute gibt es brisante Entdeckungen durch die
Namen hatte, kam. DieTeilnehmer lasen aus ihren Wer­
„Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssi­
ken, kritisierten sich und vergaben den begehrten Lite­
cherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demo­
raturpreis- und nahmen sich genügend Zeit, auch aus­
kratischen Republik",auch kurz Birthler-Behörde
giebig zu feiern.
genannt nach der Bundesbeauftragten Marianne
Das Ende war gekommen, als während des Treffens im
Birthler. Die zentrale Aufgabe der Behörde ist die Aufar­
Jahrig67 in einem kleinen fränkischen Städtchen
beitung der Geschichte der ehemaligen Geheimpolizei
demonstrierende Studenten auftauchten und ihnen
der DDR.
politisches Versagen vorwarfen. Kritik kam auch von den
Schriftstellern Peter Weiss, der sich zum Sozialismus
Ein streitbarer Mahner, der sich immer wieder mit Reden
bekannte, Peter Handke und von Martin Walser,der poli­
und Aufsätzen in die Tagespolitik einmischt, ist Günter
tische Aktion mit literarischer Arbeit verbinden wollte.
Grass. In seinen 1991 veröffentlichten „Reden, Aufsätze
Mit dem Ende der
und Gespräche" äußerte er sich skeptisch
Gruppe 47 führte die
und zweifelte am Gelingen der Einheit.
Entwicklung zeitweilig
Als die Vereinigung schließlich 10 Jahre
von der Literatur weg
zurücklag, beruhigten sich die Emotionen.
zum Dokument und
Neun Jahre nach dem Fall der Mauer
zur Reportage.
schlossen sich Ost- und West-PEN (=
Poets, Essayists, Novellists) zum PEN-Zen-
trum Deutschlands zusammen. Die Dis­
kussion um die Stasi-Mitarbeit von Ost- Heinrich Böll, Ingeborg
PEN-Mitgliedern und Protestaustritte Bachmann (Mitte)
und Ilse Aichinger
hatten die Vereinigung lange verhindert. während einer Tagung
der „Gruppe 47"
118 Ku ltu relles

Die zwei Jahrzehnte, in denen die Gruppe 4.7 unangefoch­ Gewalt entstehen und wohin sie führen kann" (1974) die
ten die westdeutsche Literatur repräsentierte,fielen Geschichte einer jungen Frau, die durch Zufall Mittel­
zusammen mit der Zeit des „Kalten Krieges", der Kon­ punkt der Sensationsmache und Polithetze einer Boule­
frontation von Ost und West. Die Schriftsteller reflektier­ vardzeitung wird. In einem Akt unerwarteter Selbstver­
ten die Teilung des Landes zunächst nicht. Die westliche teidigung erschießt sie den korrupten Journalisten (siehe
Literatur wurde im Osten nicht hereingelassen, die östli­ S. 130).
che ideologische Literatur war im Westen nicht auf dem GünterGrass (geb.1927 in Danzig) wurde mit seinem
Markt. Man nahm sich einfach nicht zur Kenntnis. Die Roman „Die Blechtrommel" 1959 schlagartig bekannt. Es
einzige Ausnahme war der unbequeme Bert Brecht, der ist die groteske Entwicklungsgeschichte seines Helden
ein Dauerthema in beiden Staaten war. (Erst später­ Oskar Matzerath, der die Protesthaltung unseres Jahr­
siehe Seite 116-veröffentlichten DDR-Schriftstelleraurh hunderts verkörpert (siehe auch die Verfilmung, S.130).
im Westen und ernteten dafür heftige Kritik in ihrem Der Roman erreichte bis heute eine Auflage von 3 Millio­
Land.) nen in über zwei Dutzend Sprachen.
Einige aus der Gruppe 47 versuchten trotz der Gegensät­ Hans Magnus Enzensberger (geb. 1929; Gedichte und
ze, eine deutsche Literatur in zwei deutschen Staaten zu Essays) verkörpert den Typus des intellektuellen Schrift­
bewahren. Man suchte nach einem dritten Weg. Gemein­ stellers mit ästhetischem und politischem Anspruch.
sam war aber nur eines, nämlich das Gefühl, gleicherma­
ßen in beiden Staaten unbeliebt zu sein: die Schriftsteller A ufgaben
Günter Grass im Westen ohne konkreten Einfluss auf die Eine Biografie von heute:
Die Blechtrommel gesellschaftlichen Zustände, die im Osten Reiner Kunze wurde 1933 im Erzgebirge (später DDR) als
unter der Zensur. Sohn eines Bergarbeiters geboren. Er studierte Philoso­
phie und Journalistik an der Universität Leipzig. Von
Die jährlichen Herbsttreffen derGruppe47 1955 bis 1959 war er dort wissenschaftlicher Assistent
mit Lehrauftrag, konnte jedoch seine Laufbahn aus polii-
fanden in wechselnder Zusammensetzung
tischen Gründen nicht fortsetzen. Er war gezwungen, in
statt. Neben anderen nahmen teil:die
der Landwirtschaft und im Schwermaschinenbau zu
österreichische Schriftstellerin Ingeborg arbeiten. Seit 1962 war er als freier Schriftsteller tätig
Bachmann (1926-1973; siehe S. 130t.), Heinrich Böll (1917- und geriet in eine schwere persönliche Krise, die er
1985), der wohl bekannteste deutsche Schriftsteller nach durch seine Heirat und Freunde in derTschechoslowakei
dem Krieg, Nobelpreis 1972, ein Moralist und Kritiker sei­ überwinden konnte. Er publizierte im Westen und
ner Zeit, der 1953 mit „Und sagte kein einziges Wort" an erhielt zahlreiche Literaturpreise. Schließlich wurde er
die Öffentlichkeit trat. 1959 kam „Billard um halb zehn“ so stark unter Druck gesetzt, dass er 1977 in die Bundes­
republik übersiedelte. Heute lebt er in Passau in Bayern.
heraus. Dieses Jahr sollte zu einem der wichtigsten der
„Die wunderbaren Jahre" sind Prosastücke, die Erleb­
deutschen Literatur werden, denn es erschienen außer­
nisse aus dem DDR-Alltag erzählen. Sie berichten von
dem „Die Blechtrommel" von Günter Grass und „Mutma­ Jugendjahren in einer normierten Gesellschaft,die kein
ßungen über Jakob" von Uwe Johnson, der die Mentalität Einzelgängertum duldete.
der Menschen in der DDR zu seinem Thema machte. Wehrerziehung war Pflichtfach in den Schulen der
Sehrviel spätererzählte Böll in der viel beachteten Erzäh- DDR. Was empfindet wohl der Mann, der im ersten Text
lung„Die verlorene Ehre der Katharina Blum odenWie mit dem Kind spricht? Hat die Schülerin in dem zwei­
ten Text etwas falsch gemacht?
Kulturelles

. - v~
Elfjähriger chen Geschichten besteht, die aber die großen Zusam­
,,/</) hin in den Gruppenrat ge- menhänge festhalten. In dem unpathetischen Stil in der
wählt worden“, sagt der Junge ■:■"'- Tradition der amerikanischen Short Story erzählt Ingo
und spießt Schinkenwürfel auf die Gabel. Der Mann, Schulze von den Bewohnern der ostthüringischen
der das Essen fü r ihn bestellt hat, schweigt. Kleinstadt Altenburg, einer in der DDR runtergekomme­
„Ich bin verantwortlich fü r sozialistische Wehrerzie­ nen Stadt im Uran- und Kohleabbaugebiet. In Alltags­
hung“, sagt der Junge. begebenheiten schildert er das Zusammenstürzen
„Wofür?" einer ganzen Welt nach 1990 und wie sich der Umbruch
„Für sozialistische Wehrerziehung." Er saugt Makka­ in den Biografien der Menschen niederschlägt.
roni von der Unterlippe.
„Und was mußt du da tun?“ Es war einfach nicht die Zeit dafür. Fünf Tage mit dem
„Ich bereite Manöver vor und so weiter." Bus: Venedig, Florenz, Assisi. Für mich klang das alles
wie Honolulu... In den dunkelgrünen Koffer packten
Mitschüler wir unsere Sachen, in die schwarzrot karierte Tasche
Besteck, Geschirr und Proviant; Wurst- und Fisch kon-
Siefand, die Massen, also ihre Freunde, müßten unbe­
serven, Brot, Eier, Butter, Käse, Salz, Pfeffer, Zwieback,
dingt diefarbige Ansichtskarte sehen, die sie aus
Äpfel, Apfelsinen und je eine Thermoskanne Tee und
Japan bekommen hatte: Tokioter Geschäftsstraße am
Kaffee... Sie müssen mal versuchen, sich das vorzu­
Abend. Sie nahm die Karte mit in die Schule, und die
stellen. Plötzlich ist man in Italien und hat einen
Massen ließen beim Anblick des Exoten kleine Kau­
westdeutschen Paß.... Man befindet sich auf der
gummiblasen zwischen den Zähnen zerplatzen.
anderen Seite der Welt und wundert sich, daß man
In der Pause erteilte ihr der Klassenlehrer einen Ver­
wie zu Hause trinkt und ißt und einen Fuß vor den
weis. Einer ihrer Mitschüler hatte ihm hinterbracht,
anderen setzt, als wäre das alles selbstverständlich.
sie betreibe innerhalb des Schulgeländes Propaganda
fü r das kapitalistische System.
Es ist Februar gi, Ich arbeite bei einer Wochenzeitung.
(aus: Reiner Kunze, Die wunderbaren Jahre, a.a.O., S. 13 und31)
Überall wartet man auf den großen Aufschwung.
Supermärkte und Tankstellen werden gebaut, Restau­
rants eröffnet und die ersten Häuser saniert. Sonst
gibt es aber nur Entlassungen und Schlägereien zwi­
Literatur heute
schen Faschos und Punks, Skins und Redskins, Punks
und Skins. An den Wochenenden rückt Verstärkung an,
1998 erschien in Berlin ein Buch, das begeisterte Kriti­
aus Gera oder Leipzig-Connewitz, und wer in der Über­
ken bekam. Man sprach von „dem langersehnten
zahl ist, jagt den anderen. Es geht immer um Vergel­
Roman über das vereinigte Deutschland".
tung. Die Stadtverordneten und der Kreistagfordern
1995 gab der Dresdner Autor Ingo Schulze (geboren
Polizei und Justiz zu energischen Schritten auf
1962) sein Debüt mit „33 Augenblicke des Glücks", drei
Anfang Januar schrieb ich eine ganze Seite über das,
Jahre später schrieb er dann „Simple Storys, Ein Roman
was sich regelmäßig freitags auf dem Bahnhof
aus der ostdeutschen Provinz",der aus scheinbar einfa­
abspielt. Von Patrick stammten die Fotos. Eine Woche
120 Ku ltu relles

später sorgte ein anderer Artikel von mirfür Wirbel. genossen. Auch die entwachsenen Kinder der DDR, die
Nach Zeugenaussagen berichtete ich, daß Unbe­ noch Pionierorganisation und FDJ durchlaufen sowie zur
kannte nachts in Altenburg-Nord eine Wohnungstür Jugendweihe einen Eid auf den Sozialismus geschworen
aufgebrochen und denfünfzehnjährigen Punk Mike haben, ließen das Alte scheinbar mühelos hinter sich und
P.fast erschlagen hatten.... kramen es nur dann hervor, wenn es ihnen nützlich
Beyer, unser Chef, untersagte mir, die Beiträge zu erscheint. In der Öffentlichkeit oder an ihrem Arbeitsplatz
unterzeichnen. Auch Patricks Name durfte nicht orientieren sie sich an den Erfordernissen des Marktes. Im
erscheinen ...„Gegen Vandalismus", sagte er, versi­ Freundeskreis dagegen geben sie sich sozial kompetent,
chert niemand." geprägt von den Zeiten kollektiver Kameradschaft [...]
(aus.-Ingo Schulze, Simple Storys, a.a.O., S. 15/16,17 und 30) Angela Merkel ist als Physikerin der Macht beschrieben
worden, sie ist die erste Frau im Kanzleramt, und, ach ja,
In seinem Roman „Neue Leben" (2005) erzählt Ingo eine Ostdeutsche. Sie hat nie verleugnet, woher sie kommt,
Schulze wiederum von Zeiten des Umbruchs und den aber sie hat es auch nie hervorgehoben oder sich zu bren­
Brüchen im Leben. Sein neuester Roman „Adam und Eve­ nenden Ost-Themen wie den Stasi-Akten geäußert. Anders
lyn" (2008) spielt in der Wendezeit 1989, ais Ungarn die wäre sie wohl nicht Kanzlerin geworden. Ihre Karriere im
Grenze öffnet und jeden Einzelnen vor große Entschei­ politischen System ist trotzdem typisch Ost: Schrittfür
dungen stellt: gehen oder bleiben. Wie bei Adam und Eva Schritt, auf der Suche nach Lücken und Zwischentönen,
geht es um Verlockungen in einer Ausnahmesituation. ohne ein „Basta, hier bin ich" auf den Lippen. Westdeut­
schen moderiert sie zu viel,... Dabei ist Abwarten auch
Im Jahr 2007 veröffentlichte Robert Ide, Journalist, das immer ihre Stärke gewesen. Bei einer Rede zum Tag der
Buch „Geteilte Träume, Meine Eltern, die Wende und ich" Deutschen Einheit hat sie die Geschichte erzählt, wie sie in
und erzählt von den unterschiedlichen Erfahrungen, die der Wendezeit von einem Freund ein Buch geschenkt
die Jugendlichen und ihre Eltern nach der Wende mach­ bekommen hat. Dessen Widmung auf der ersten Seite
ten. Für die einen war es Chance und Aufbruch.für die habe sie sehr berührt:„Gehe ins Offene."
anderen der Existenz erschütternde Umbruch. (Aus: Robert Ide. Geteilte Träume, S. 211-212)

Unverständnis. Der Aufstieg: In der Bewertung der Ost­ Der Roman „Der Turm" des Dresdners Uwe Tellkamp
deutschen untereinander ist dies zweifellos die wichtigste (geboren ig68) erhielt 2008 den Deutschen Buchpreis.
Kategorie. Hier wird bemessen, wer es im Kapitalismus zu Damit wurde ein DDR-Epos ausgezeichnet, das die letz­
etwas gebracht hat und wer nicht [...] ten Jahre der zerfallenden Republik nachzeichnet.
Die Kanzlerin ist eine idealtypische ostdeutsche Aufsteige­
rin, die im Jetzt angekommen ist und dafür das Früher zur
A ufgaben
Seite gelegt hat. Dabei kam ihr sicher zugute, dass sie zu
ln Deutschland ist eine Vorlese- und Erzählkultur ent­
DDR-Zeiten als FDJ-Kulturreferentin und Sekretärinfü r Agi­
standen. Literaturabende werden zu attraktiven Events §
tation und Propaganda nicht sonderlich aufgefallen ist.
(„München liest").Geschichtenerzählerinnen bieten
Ihre FDJ-Aufgaben nennt Angela Merkel rückblickend Kul­
spannende Erzählabende mit alten und neuen
turarbeit. Was ihren Aufstieg angeht, ist Merkel vielen jü n­
Geschichten. Welchen Stellenwert haben Lesen und
geren Ostdeutschen ähnlicher als den meisten ihrer Alters-
Erzählen in Ihrem Land?
Ku ltu relles

Die Welt und die Bühnenwelt mung siehe S. i29).„Draußen vor der Tür" von Wolfgang
Bordiert, das Drama von der Heimkehr des Soldaten,
Die T hea te rla ndsc haf t________________ wurde 1947 in Hamburg uraufgeführt. Sein Thema und
Die Theatertradition reicht in das höfische 18. Jahrhun­ das Schicksal des Autors machten es zu einem nachhal­
dert zurück, als Deutschland aus vielen Kleinstaaten tigen Ereignis. Der Kriegsheimkehrer Borchert starb
bestand. Stadt- und Residenztheater existierten in gro­ einen Tag vor der Uraufführung.
ßer Zahl. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm die In diesen Jahren wurden auch zahlreiche Dramen aus­
öffentliche I land die Trägerschaft und schuf damit das ländischer Autoren vorgestellt, vor allem aus Frankreich
heute noch geltende System deutscher Bühnen. Die und England: Jean Paul Sartre, Albert Camus, Jean
Theater werden von den Ländern und Kommunen sub­ Giraudoux, George Bernard Shaw usw. Unter den
ventioniert, wobei ihre künstlerische Unabhängigkeit deutschsprachigen Dramatikern setzten sich Max
garantiert bleibt. Diese einzigartige Theaterlandschaft Frisch und Friedrich Dürrenmatt durch (siehe S. ii2f.).
hat viele Freunde, auch über die Grenzen Deutschlands Das absurde Theater feierte mit Eugene lonesco und
hinaus. Samuel Beckett Triumphe.
Der Zweite Weltkrieg hat über 70 Theaterbauten zer­
stört. Über hundert wurden seitdem restauriert und Bertolt Brecht (1898-1956) war 1949 aus dem amerika­
neu gebaut. Gespielt wird heute an fast 300 Bühnen. nischen Exil über Zürich nach Ost-Berlin zurückgekehrt.
Der Verkauf der Eintrittskarten deckt nur rund zehn Kurz danach wurde sein Stück „Mutter Courage und
Prozent der Theater- und Konzertkosten.der Rest ihre Kinder" aufgeführt; im gleichen Jahr gründete er
kommt aus Steuermitteln. Die zahlreichen kleinen Pri­ das Berliner Ensemble in Ost-Berlin. Seine Haltung
vattheater arbeiten im Gegensatz zu den Staatsthea­ gegenüber den politisch Mächtigen war zwiespältig.
tern auf eigenes Risiko und erhalten meist nur geringe Seine Stücke wurden zu einem festen Bestandteil des
Zuschüsse von ihrer Stadt. Bühnenrepertoires in Ost und West. Im Westen berief
man sich auf Stücke, die gewissermaßen gegen Brechts
politische Überzeugungen gespielt wurden, wiezum
Der Neub e ginn_______________________
Beispiel „Galileo Galilei". Im Osten wurde der erzieheri­
Nach der Stunde null, dem Ende des Zweiten Welt­
sche politische Charakter seiner Stücke hervorgehoben
kriegs, regte sich trotz Zerstörung und Mangel zuerst
und modellhaft im Berliner Ensemble (BE) aufgeführt.
das Theaterleben. Kleinere und größere Theater ent­
Der Dramatiker Heiner Müller belebte das wieder neu:
standen aus dem Nichts, man spielte in Turnhallen und
1995 inszenierte er das Gangsterstück „Der unaufhalt­
Kellern. Ein wahrer Theaterrausch erfasste die Men­
same Aufstieg des Arturo Ui“, ein Lehrstück über den
schen nach den Jahren der Entbehrung. Die größten
Nationalsozialismus, mit überraschendem Erfolg.
Erfolge in den Vierzigerjahren hatten Dramen, die das
Vergangene zu bewältigen versuchten. Das Stück „Des
Das Stichwort Exilliteratur
Teufels General" von Carl Zuckmayer, das der Autor aus
Während der Hitler-Diktatur ist ein großer Teil der
seinem Exil in den USA mitbrachte, wurde in Zürich
bedeutendsten Autoren verboten, verfolgt und vertrie­
uraufgeführt.ein Jahr später in Frankfurt. Es kam auf
ben worden. Nach dem Krieg kehrten sie teilweise
über 2000 Aufführungen in den Westzonen (zur Verfil­
zurück: aus den USA, aus Palästina, Mexiko und der
Kultu relles

UdSSR. Sie gingen meist in die sowjetisch besetzte denten auf die Straße ging, geriet die Bühne ins Ab­
Zone. Was sie miteinander verband, war die gemeinsa­ seits. Die Kunst sollte sich politischen Zielsetzungen
me Erfahrung des Exils, die Berufung auf die humanis­ unterwerfen, was allerdings in Zweifeln an der gesell­
tische Tradition und die Hoffnung,ein neues Deutsch­ schaftsverändernden Wirkung von Kunst überhaupt
land bauen zu können. Der Stalinismus hat viele später enden musste.
bitter enttäuscht. Im Westen war die Emigration nicht Die Dramatik derWidersprüche und Brechungen kam
in die Literatur einbezogen.Thomas Mann, der bekann­ erst wieder mit dem literarischen Außenseiter Peter
te deutsche Schriftsteller, hatte im Exil die deutsche Handke (siehe S.115) auf die Bühne.Zu einem Gegenpol
Literatur als Ganzes vertreten. entwickelte sich auch der Österreicher Thomas Bern­
Während des Krieges hielt er von Kalifornien aus mehr hard (1931-1989). Er war mit seinen Psychogrammen
als 50 Reden zum Thema Geist und Macht. Er ließ sich der Inhumanität und seiner permanenten Österrcich-
in der Schweiz nieder und kam erst 1949 anlässlich des kritik vielfach Anlass zu heftigen Kontroversen. In „Hel
200. Geburtstags von Goethe wieder nach Frankfurt denplatz" (1988) polemisiert er gegen Staat, Kirche und
und Weimar. Sein Verhältnis zu den Daheimgebliebe­ gegen faschistische Tendenzen im heutigen Österreich.
nen, den Vertretern der inneren Emigration, war
gespannt. Man machte ihm zum Vorwurf, dass er Unter prominenten Regisseuren entstanden seit den
Deutschland in schlimmen Zeiten verlassen hatte. Achtzigerjahren neue, ungewöhnliche Klassiker-Auf­
(nach: Deutsche Literatur se il 194$, a.a.O..S.79 - 92 ) führungen; man sprach von „Regie-Theater". Peter
Zadek, Claus Peymann, Rudolf Noelte und Peter Stein
hatten die Klassiker entstaubt, psychologisiert und
Theatererlebnisse
politisiert. Die Berliner Schaubühne-geleitet bis 1984
in den Jahren der Teilung
von Peter Stein-w ardas glänzende Zentrum dieser
Neuerer. Später wurden ihren Klassiker-Aufführungen
Während die DDR-Literatur den Beschlüssen der Partei Stagnation vorgeworfen,Ästhetisierung und die per­
folgte und die Zensur die Schriftsteller aus dem Land fekte Entrückung von der Wirklichkeit.
jagte, ging der Westen völlig andere Wege.
Rolf Hochhuths Dokumentarstück„Der Stellvertreter"
(1963) schockierte die Öffentlichkeit. Der Autor
beschuldigte Papst Pius XII., zur Ausrottung der Juden
unter Hitler aus Staatsräson geschwiegen zu haben.
Heinar Kipphardts „In der Sache J. Robert Oppenhei­
mer" (1964) handelt vom Atombomben-Programm der
USA im Zweiten Weltkrieg.„Die Ermittlung" (1965) von
Peter Weiss ist eine szenisch gestaltete Berichterstat­
tung über den Frankfurter Auschwitz-Prozess in den
Jahren 1963 bis 1965, die Suche danach, wie es möglich
war,„seinen menschlichen Maßstab zu verlieren".
Um 1968, als das Theater mit den revoltierenden Stu­ Jugendstil-Theater in Cottbus
Ku ltu relles

Das Schultheater Rosenheim spielt Shakespeares


„Was ihr w ollt".

Theaterregisseure wie der provokante Frank Castorf oder


Thomas Langhoff oder der unbequeme, politisch enga­
gierte Claus Peymann (Stuttgart, Bochum,Wien,dann
Berliner Ensemble in der Nachfolge von Heiner Müller)
machen progressives Theater. Sie arbeiten bei ihren
Inszenierungen die Bezüge zur Gegenwart deutlich
heraus. Dieter Dorn,jetzt Bayerisches Staatsschauspiel,
hat den Münchner Kammerspielen internationale Aner­
kennung verschafft.
Um den führenden Rang in derTheaterkunst wetteifern
heute nicht nur Berlin, München, Hamburg und Köln.
Nicht zurückstehen möchten Theaterstädte wie Frank­
Der 1944 geborene Botho Strauß hat neben dem Regis­
furt am Main, Stuttgart, Bochum, Ulm, Wuppertal, Düs­
seur Peter Stein durch seine dramaturgische Mitarbeit
seldorf und Bremen. Hinzugekommen sind Dresden,
an der Schaubühne Berlin (West) das deutsche Theater
Leipzig, Chemnitz, Cottbus... Bekannte Theaterregisseure
maßgeblich mitgeprägt. Er schrieb Stücke, die in Hun­
sind Günter Gosch, Michael Thalheimer, Stefan Pucher,
derten von Aufführungen in über 30 Ländern gezeigt
Einar Schleef, Dimiter Gottscheff und viele andere oder
wurden, wie z.B. die „Trilogie des Wiedersehens" (1976)
Jungregisseure wie David Bösch oder Nuran Calis.
oder „Groß und klein" (1978), die Menschen in Verein­
samung und seelischer Deformation zeigen. Er mischt
Im Einigungsvertrag verpflichtete sich der Bund für drei
zeitkritische Satire und mythische Verspieltheit. Mit
Jahre,die kulturellen Einrichtungen in den neuen Bun­
seinem Theaterstück „Schlußchor" von 1991 hat er sei­
desländern zu erhalten und zu subventionieren. Nach
nen Beitrag zum Thema deutsche Einheit geleistet. In
diesen drei Jahren ging die Verantwortung auf die Länder
Einzelszenen zeigt er kritisch-satirisch den Zusammen­
und Städte über. Die Finanzkrise führte zu Kündigungen,
prall von Ost und West.
Etatstreichungen und Zusammenlegungen von Thea­
tern. In dieser Misere gab es aber auch bemerkenswerte
Theater nach der W en de bis heute Neuinszenierungen und kreativen Neubeginn, vor allem
auch in derTheaterprovinz.-ln Cottbus zum Beispiel, wo
ln derzeit nach der Wende entstehen weitere Stücke, die das Theater sich bewusst den Fragen der Zeit stellt. Trotz
das Zeitgenössische in den Vordergrund rücken. Dazu ungünstiger Bedingungen hat auch in einer Stadt wie
gehören „Wessis in Weimar" (Untertitel: „Szenen aus Magdeburg die Zukunft begonnen.Tobias Wellemeyer
einem besetzten Land") von Rolf Hochhuth, das u.a. auf hat viel Aufmerksamkeit erregt in den Freien Kammer­
die Rolle der Treuhandanstalt Bezug nimmt; dann „Iphi­ spielen. Er leitet das theatermagdeburg, in dem zwei
genie in Freiheit“ von Volker Braun, das in der Theatertra­ Häuser zusammengefasst wurden. Seine Mission lautet:
dition der ehemaligen DDR steht und die Probleme in aus Theatern Orte schaffen, in denen die Menschen ver­
Mythen verpackt. Iphigenie steht für die DDR und für gessen, wo sie sind. Die Identität aus der Zukunft schaf­
das, was aus den Hoffnungen und Idealen geworden ist. fen, nicht aus der Vergangenheit.
124 Ku ltu relles

Beispielhaft ist auch die Neue Bühne Senftenberg, ange­ helfen,die soziale Fantasie zu entwickeln und die
siedelt im Lausitz-Kreis im früheren Braunkohle-Revier. Umwelt besser zu verstehen und zu verändern. Die Stük-
Sie ist Theater des Jahres 2005 geworden und ein ke sind weltweit in 42 Sprachen übersetzt und nachin­
Geheimtipp in der Kulturszene Brandenburgs. Sie bringt szeniert worden.„Grips haben" heißt übrigens „Köpf­
Themen auf die Bühne, von denen sich die Menschen chen haben",„etwas schnell kapieren/verstehen". Eine
vor Ort angesprochen fühlen, und möchte Theater für der ältesten und profiliertesten Kinder- und Jugendthea­
alle machen:„Je schlechter die Zeiten, umso wichtiger ter ist die Schauburg in München: www.schauburg.net.
und besser ist das Theater." In weniger als zwei Jahren Wiedas NeueTheater Augsburg will es Kinder und
hat die Neue Bühne zwei Dutzend Stücke erarbeitet und Jugendliche dazu bringen, die immer komplexer wer­
mit viel Fantasie materielle Mängel ausgeglichen. dende Welt zu verstehen.„Kompliziertheit gegen Verein­
Die Theaterlandschaft hat in Deutschland viele Facetten: fachung" ist deshalb ihrThema. Erfolgreich sind auch
In Bauerbach, einer Kleinstadt in Thüringen z.B., spielt das Jugendtheater „Schotte" in Erfurt und das „Spiel-
das gesamte Dorf seit 1905 auf der Naturbühne unter werkTheater“ im schwäbischen Diedorf, wo das „Euro­
freiem Himmel ihren Schiller. Der Dichter war 1782 nach päische Kinder- und Jugendtheaterhaus" entstanden ist.
seiner Flucht aus Mannheim zu Gast und hatte hier
„Don Carlos" und „Kabale und Liebe" geschrieben.

34. Bad H ersfelder


Jährlich trifft sich die deutschsprachige Theaterszene Festspielkonzerte
beim Theatertreffen in Berlin, wo die zehn bemerkens­
wertesten Aufführungen gefeiert werden. Neben expe­ O p er in der
rimentellem Theater und freier Szene bestimmt vor Stiftsruine
allem das klassische Theater die gegenwärtige Theater­
landschaft. Hinzu kommt derTrend zu Roman- und Film­ R u h rfe stsp ie le R eck lin g h au sen
adaptationen (z.B.„Der Prozess" von Kafka in den
Münchner Kammerspielen). Auch die Einbeziehung von
Laien auf der Bühne (z.B. das Tanzprojekt mit Migranten­ 69. BACH-FEST
kindern im Berliner HAU, Hebbel am Ufer) gehört zu den Leipzig
neueren Entwicklungen.
Das Jugend- und Kindertheater ist eine der wichtigsten N eue Bachgesellschaft

Entdeckungen unserer Zeit. Die Stücke stellen die Kom­


plexität des kindlichen Alltags dar. Soziale Missstände,
Intoleranz und Gewalt, Probleme in der Familie und in
der Schule sind wichtige Themen, die ernst oder amü­ 56. Festspiele Europäische Wochen Passau 2008

sant verpackt dargestellt werden. Vom Grips-Theater in in Ostbayem, 8 <rre n urö Cberösterrech
1 2 . Juni bis 20 . Juli 20 0 8
Berlin wird beispielhaft gezeigt, dass abenteuerliche ..Von Glauft« Hoffnung und LUb**'

Stoffe nicht nur im Märchen, sondern vor allem auch in


der Wirklichkeit zu finden sind. Die Zuschauer sollen sich
in den Stücken wiedererkennen, und die Stücke sollen
Kulturelles

Zentren der Musikgeschichte


Viele große Namen der Musikgeschichte sind beson­
ders eng mit zwei Städten verbunden: mit Leipzig
(Sachsen) und Wien (Hauptstadt von Österreich).

Leipzigs Tradition als Musikstadt gründet sich auf drei


Einrichtungemauf das Gewandhausorchester,den Tho­
manerchor, die älteste musikalische Einrichtung der
Stadt, und auf die Hochschule für Musik und Theater.
Sie war auf Initiative des Gewandhauskapellmeisters
Mendelssohn Bartholdy gegründet worden.
Drei Jahre vor seinem lode brachte eine Reise nach Potsdam
In Leipzig war Johann Sebastian Bach (1685-1750) ab Abwechslung in Bachs arbeitsreichen Alltag. Friedrich der Große
empfing ihn und spielte dem Meister ein eigenes Thema vor, das
1723 Kantor an der Thomaskirche und Musikdirektor an dieser in einer Fuge ausführte. Bach fand höchste Bewunderung.
beiden Hauptkirchen. Er lehrte, leitete den Thomaner­
chor und war zu seiner Zeit auch ein berühmter Orga­ Eher fremd für uns ist auch dieTodessehnsucht, die aus
nist. Ein Kantor leitet übrigens auch heute noch den allen seinen Werken spricht.
berühmten Chor, der die bedeutendste Pflegestätte Die Mitte des 18. Jahrhunderts - Bach starb 1750-w a r
Bach'scher Kirchenmusik ist. gleichzeitig eine Zeitenwende; derTraum von den
Bachs Musik ist eine Zusammenfassung verschiedener unbegrenzten Möglichkeiten menschlicher Vernunft
abendländischer Traditionen, des protestantisch begann. Bach geriet in Vergessenheit und sein Ver­
geprägten Barock wie der Mehrstimmigkeit des Mittel­ mächtnis wurde zunächst wenig beachtet. Erst 1827
alters („Kunst der Fuge"). Er war der große Lehrmeister setzte mit der Aufführung der Matthäus-Passion in
für die Musiker nach ihm. Während der 27 Jahre an der Berlin unter Mendelssohn Bartholdy eine Bach-Bewe­
Thomaskirche schuf er den größten Teil seiner Orgel­ gung ein. 1850, genau hundert Jahre nach seinem Tod,
konzerte, Kantaten, Motetten und Choräle sowie die gründeten Robert Schumann und Franz Liszt die Bach-
Johannes- und die Matthäus-Passion. Im Gegensatz zu Gesellschaft.
seinem Antipoden Friedrich Händel, dem Weltbürger,
der in London seine Heimat fand, verlief der Lebensweg Auch im 19. Jahrhundert war Leipzig das musikalische
des Thomaskantors im bürgerlichen Pflichtenkreis. Ord­ Zentrum. Felix Mendelssohn Bartholdy wurde als Sohn
nungswille und Disziplin in Leben und Kunst verban­ eines wohlhabenden Bankiers 1809 in Hamburg gebo­
den sich bei ihm mit barocker Lebensfreude. Von seinen ren (1847 in Leipzig gestorben) und hatte das Glück, von
13 Kindern aus zwei Ehen wurden fünf als Komponisten jung an gefördert zu werden. Er genoss eine umfassen­
bekannt. de Ausbildung und wurde ein Mann von Welt. Schon
Bach war wie Luther durchdrungen vom Geist seiner früh entwickelte er seinen musikalischen Stil, der klas­
Zeit, von Schuld und Erlösung. Wie jenerwar er über­ sisches Maß mit romantischer Empfindung verband.
zeugt vom satanischen Hintergrund alles Weltlichen. Goethe erlebte ihn als Zwölfjährigen und äußerte sich
Ku ltu relles

Die Familie Mozart

über sein Können mit Wohlwollen. begann. Eine unvorstellbare Kreativi­


Nach der Düsseldorfer Zeit als Musik­ tät ging einher mit banalen Geldsor­
direktor, Dirigent und Kapellmeister gen. Mozart war abhängig von den
wurde er 1835 Direktorder Leipziger Aufträgen des Hofes und des Adels,
Gewandhauskonzerte. Er gründete in war Intrigen ausgesetzt, stieß auf
Leipzig das Konservatorium,an dem ------- Jubel und Ablehnung und konnte trotz
auch Robert Schumann als Lehrer tätig war. verzweifelter Bemühungen auf keine gesicherte Exis­
tenz hoffen. Er starb mit 36 Jahren in Wien in großer
Robert Schumann (1810-1856), Sohn eines Buchhänd­ Armut.
lers und Verlegers in Zwickau, war Romantiker durch Ludwig van Beethoven (1770 Bonn-1827 Wien) verfasste
und durch: eine unruhige, zwiespältige Natur, die sich 180? in Wien sein „Heiligenstädter Testament". Ver­
zwischen rauschhaftem Schaffensdrang und abgrund­ zweiflung und Trotz gegen die beginnende Taubheit
tiefer Depression bewegte. Sein großes Vorbild war sprechen aus den Zeilen.
Franz Schubert. Er heiratete Clara Wieck, die Tochter Er dachte an den Tod, aber der Künstler Beethoven
seines Klavier- und Kompositionslehrers. Sie erlangte gewann und nahm das Schicksal an. Goethe lernte ihn
als Pianistin Weltruhm und war auch selbst eine 1812 kennen und bewunderte seine Musik. Als Mann
begabte Komponistin. Eine herzliche Freundschaft ver­ des Hofes war der Dichter aber abgestoßen von dem
band beide mit Felix Mendelssohn Bartholdy. Robert ungestümen - heute würde man sagen unangepass-
Schumann unterstützte den jungen Brahms, dessen ten - Wesen des Meisters.
Genie er früh erkannte. Nach langen Leidensjahren Mozart und Haydn, zusammen mit Beethoven, waren
starb er in geistiger Umnachtung. bestimmend für die Instrumentalmusik in der Welt
übereine Dauervon mehrals hundert Jahren.
Wien war gegen Ende des 18. Jahrhunderts Sammel­ Der in Wien geborene Franz Schubert (1797-1828) war
punkt der großen Komponisten der Epoche („Wiener nicht nur Sinfoniker und Vertreter der Klaviermusik,
Klassik"). Hier lebten Joseph Haydn, Wolfgang Ama­ sondern auch Schöpfereines neuen Liedstils, der das
deus Mozart und Ludwig van Beethoven und schrieben 19. Jahrhundert wesentlich beeinflusste. Die Tradition
ihre großen Sinfonien. der Wiener Klassik führten Anton Bruckner (1824-
1896), Johannes Brahms (1833-1897) und Hugo Wolf
Mozarts Vater stammte aus Augsburg, Wolfgang Ama­ (1860-1903) fort. Gustav Mahler (1860-1911) war der
deus Mozart wurde 1756 in Salzburg geboren. Bereits große Sinfoniker der beginnenden Moderne.
mit fünf Jahren begann er zu komponieren, als Sechs­
jähriger machte er Konzertreisen nach Mün­ Die Reihe großer Namen, die in Wien wirkten,
chen und an den kaiserlichen Hof in Wien, ließe sich fortführen: Richard Strauss (1864
ein Jahr später nach Paris und London, und München -19 4 9 Garmisch) schrieb zusam­
mit zwölf war er Konzertmeister des Salz­ men mit dem Dichter Hugo von Hofmanns­
burger Erzbischofs. Ab 1781 lebte er in Wien, thal mehrere Opern, darunter den „Rosenkava­
wo sich nach den Jahren der musikalischen lier". Arnold Schönberg (1874 Wien -19 51 Los
Triumphe seine Lebenskurve zu neigen Angeles) entwickelte die Zwölftonmusik.

Ludwig van Beethoven


Ku ltu relles 127

Die Bayreuther
Alban Berg (1885 Wien -19 35 Wien) komponierte die Festspick': „Parsifal“
Opern „Wozzeck" und „Lulu".
Der Name Richard Strauss führt zu einem Zentrum der
neueren Musik: München. Karl Amadeus Hartmann
(1905 München -19 6 3 München) organisierte die Kon­
zerte der„Musica viva" und förderte damit die Musik
seiner Zeit. Carl Orff (1895 München -19 8 2 München) Karneval
der Kulturen in
schuf mit seinem international bekannten „Schulwerk"
Berlin
eine Einführung in die neue Musik.

Das Musikgeschehen der Nachkriegszeit begann 1946 mit


den „Ferienkursen für Neue Musik" in Darmstadt. Hans
Werner Henze (geb.1926 in Gütersloh) und Karlheinz
Stockhausen (geb.1928 bei Köln) wurden ihre internatio­
nal bekannten Vertreter. Henze, ein Avantgardist und
steirischer
Bewahrer zugleich, will alle Schichten der Bevölkerung
ansprechen. Die Jahre,die Ingeborg Bachmann (siehe S. 117)
und er zusammen lebten und arbeiteten,gehören zu sei­
nen besten Erinnerungen. Er komponierte in dieser Zeit
Die Bregenzer
unter anderem die Oper„König Hirsch"; Ingeborg Bach­ Festspiele
mann schrieb den Roman „Das dreißigste Jahr". Später auf der Seebühne
am Ufer des
gründete Henze eine Musikwerkstatt für junge Künstler Bodensees
aus vielen Ländern; es ging ihm um „neuartige Formen
der Jugenderziehung und Musikübung, um die Demokra­
tisierung von Kunst, um die Verbreitung humanitärer,
humanistischer Ideen und Unterrichtsmethoden".Seit
1988 bereichert die von ihm geleitete „Münchner Bienna­ Musikveranstaltungen im Allgemeinen und die zahllosen
le-internationales Festival für neues Musiktheater" das Festivals neigen eher zu einer traditionelleren Pro­
Kulturleben der Stadt. Im September 2007 wurde seine grammgestaltung, d.h. zur Musik des Barock, der Klassik
Konzertoper „Phaedra" mit Erfolg in Berlin uraufgeführt. und der Romantik. Musik- und Theaterfestivals haben
ihre große Zeit in den warmen Sommermonaten. Sie fin­
Karlheinz Stockhausens (1928-2007) viel diskutierte elek­ den in Sälen oder Open-Air, in Scheunen und Schlössern
tronische Musik verbindet Konstruktion und Empfindung. statt, ziehen Touristen an und sind für Städte und
Er versucht eine „Aufhebung des Dualismus zwischen Gemeinden längst zu einem Wirtschaftsfaktor gewor­
Vokalmusik und Instrumentalmusik, zwischen Ton und den. Zu den großen Events gehören auch das Afrika-Festi­
Stille,zwischen Klang und Geräusch-verbunden mit val in Würzburgund der Karneval der Kulturen in Berlin
dem Versuch einer Integration und Vermittlung unter­ und anderen Städten, der mit Musik und bunten,freizü­
schiedlichster Artikulationsmöglichkeiten" (Stockhausen). gigen Tanzgruppen für Integration und Toleranz wirbt.
128 Ku ltu relles

Wichtige Musikereignisse außerhalb der Spielzeit sind in Ein berüh mt es Orchester_____________


Österreich die Salzburger und die Wiener Festspiele und
das Avantgarde-Festival „steirischer herbst" in Graz. Stolz ist man in Leipzig darauf, dass es nicht Könige
oder Fürsten waren, die es gründeten, sondern Bürger
In Deutschland finden die Bregenzer Festspiele auf der der Stadt. Am 11. März 1743 riefen Leipziger Kaufleute,
Seebühne am Bodensee und die Bayreuther Festspiele Bürger und Adlige das „Große concert“ ins Leben, das
statt.die ausschließlich den Musikdramen Richard Wag­ aus Stadtpfeifern, Geigern und diversen Studenten­
ners gewidmet sind,die Münchner Opernfestspiele,das gruppen hervorgegangen war. Die Finanzierung des
Schleswig-Flolstein Musik Festival, das seine Spielorte „Großen concerts" war unbürokratisch und zugleich
aufs Land verlegt - und unzählige Musikfeste mehr, die effektiv: Reiche Kaufleute bezahlten je einen der
über den Sommer verteilt landauf, landab zu finden sind. 16 Musiker für ein Jahr und ließen dafür im Gasthaus
Die klassische Musik hat sich in den letzten Jahren dem „Drey Schwanen" (= Drei Schwäne) spielen. Als es dort
breiten Publikum geöffnetdurch Live-Übertragungen zu eng wurde, zog man um in das Flaus der Tuchma­
auf öffentlichen Plätzen, im Kino und im Internet. Große cher und W ollhändler- im Volksmund „Gewandhaus"
Sänger agieren wie Popstars und machen besonders die genannt. Seitdem gab es kaum einen Komponisten
klassische Oper zu einem eindrucksvollen Erlebnis. oder Dirigenten, der nicht mit dem Orchester gearbei­
tet hätte. Den Weltruhm begründete Felix Mendels­
Berühmte Orchester und ihre Dirigenten sind überall zu sohn Bartholdy.derals Erster Aufführungen und Pro­
Hauserdie Berliner und die Wiener Philharmoniker, die ben leitete. Er arbeitete intensiv auf ein hohes künstle­
Staatskapelle Dresden, das Leipziger Gewandhausorche­ risches Niveau hin. Eine Tradition begann, als Mendels­
ster, die Bamberger Symphoniker oder die Orchester der sohn vor 150 Jahren das Leipziger Konservatorium
Rundfunkanstalten. Bestes Beispiel für eine weltweite gründete. Mitglieder des Orchesters unterrichteten
Verbundenheit ist in jüngster Zeit Kurt Masur.der bis dort und bildeten den Nachwuchs aus.
Ende 1996 Gewandhaus-Kapellmeister war,dann Musik­
direktorder New Yorker Philharmoniker,schließlich Chef
des Orchestre National de France und des London Phil­ A ufgaben
harmonie orchestra. Er wurde zum Ehrenbürger der 1. Welche berühmten Orchester kennen Sie in
Stadt Leipzig und zum Ehrendirigenten des Gewand­ Ihrem Land?
hausorchesters ernannt sowie „Europäer des Jahres 2. Wie sollten kulturelle Institutionen nach Ihrer
1990". Meinung finanziert werden?
Masur war zur international bekannten Figur geworden, 3. Rufen Sie die Website www.kurtmasur.com auf.
nmiDiiiiiiiiimr)1
als er in Leipzig mit dem Appell „Keine Gewalt“
zurfriedlichen Revolution 1989 beitrug. Nach
der Wende hat er sich für den Erhalt der
Kurt Masur
Institutionen eingesetzt, um einen „Kahl-
schlag" in der Kulturlandschaft zu ver­
hindern.
& e w ä n a fia iiS
Ku lt u r e lles 129

Filmereignisse D es T e u fe ls G e n e r a l (1955)
Verfilmung des Schauspiels von Carl Zuckmayer durch
N o s f e r a tu (1921) Helmut Käutner. Der Film ist eine Charakterstudie des
Film von F.W. Murnau nach Motiven des Romans begeisterten Fliegers Harras, der Hitlers General wird.
„Dracula" von Bram Stoker. Klassiker des Horrorfilms, Harras unterstützt mit seiner Fliegerei den Krieg, den er
moralisch ablehnt. Zum Schluss wird er Opfer dieses Teu­
Stummfilm, der auch heute noch sehenswert ist.
felsbundes. Zuckmayer wollte eine realistische Schilde­
rung ohne Ideologische Vereinfachung und stieß dadurch
M e t r o p o lis (19 2 6 )
auf Missverständnisse. Der veränderte Schluss des Dra­
Film von Fritz Lang, Stummfilm. Science-Fiction-Film, der
mas arbeitet deutlicher den Entschluss des Offizierskorps
von der möglichen Überbrückung der Kluft zwischen
zum Widerstand gegen Hitler heraus.
Arbeitern und Herrschenden handelt. Dieser Film wird als
Filmklassiker immer wieder gezeigt.
D ie B rü c k e (19 5 9 )
ln den letzten Kriegs tagen werden sieben Jungen zur mili­
Dertechnisch aufwendige Film brachte die mächtige
tärisch sinnlosen Bewachung einer Brücke in ihrer Hei­
UFA (Universum Film AG) in finanzielle Schwierigkeiten.
matstadt abgestellt. Ihr psychologisches Porträt zwischen
Sie kam 1927 unter rechtsnationale Leitung. 1946 wurde
Engagement, romantisch-jungenhafter Abenteurer-Men­
sie als DEFA in Babelsberg bei Berlin (Ost) wieder ge­
talität und grausamer Ernüchterung ist der Inhalt des
gründet. Fleute steht auf dem DEFA-Gelände eine Me­
Films.
dienstadt mit Film- und TV-Studios.
Das Oberhausener Manifest (1962), eine Erklärung mit
Der b la u e En ge l (19 3 0 )
dem Titel „Opas Kino ist tot“, ist die Geburtstunde des
Film von Josef von Sternberg nach dem Roman „Professor
„Jungen deutschen Films“. Die Regisseure übten Kritik
Unrat“von Heinrich Mann mit Marlene Dietrich als Lola.
an den Jahren des Wiederaufbaus und der Wirtschafts­
Professor Rath, ein Sonderling, verfällt der in einem übel
wunderzeit, da sie einen wirklichen Neubeginn vermiss­
beleumdeten Lokal gastierenden Sängerin Lola und heira­
ten. Eingehend befasste sich vor allem Rainer Werner
tet sie. Der bürgerliche Abstieg beginnt. Er tritt schließlich
Fassbinder, der sich als Chronist deutscher Geschichte
als Zauberkünstler in der Truppe auf, die nach Jahren wie­
verstand, mit den Versäumnissen der Republik.
der in seine Heimatstadt kommt. Der Film endet tragisch
mit seinem Tod im alten Klassenzimmer, in das ersieh
Die Ehe der M a r ia B rau n (1978)
nach dem endgültigen Zusammenbruch seiner Existenz
Fassbinder schildert das Leben einer Frau in der Nach­
geflüchtet hat. Heinrich Mann ging es um die Entlarvung
kriegszeit, die opportunistisch ihren Weg geht und auch
der bürgerlichen Scheinmoral. Der Film ist die Tragödie
vor Mord nicht zurückschreckt. Ihre Skrupellosigkeit wird
eines Menschen, der vom bürgerlichen Weg abweicht.
von ihrem Ehemann unterstützt, der ihre Verbindung mit
einem Industriellen aus Berechnung gutheißt. Im Augen­
Der Untergang derdeutschen Filmkultur durch den blick des Wiederfindens im Wohlstand zerstört eine Gas­
Nationalsozialismus und Fehlentwicklungen nach dem explosion beider Leben.
Zweiten Weltkrieg haben einen Neubeginn lange verzö­
gert. Filme wie „DesTeufels General" oder später der Fassbinder setzte seine Chronik der Bundesrepublik mit
Antikriegsfilm „Die Brücke“ waren die Ausnahme. Erst den Filmen „Lola“ und „Die Sehnsucht der Veronika
Ende der7oer-Jahre konnte der deutsche Film internatio­
Voss“ (die Geschichte eines UFA-Stars, der sich in der
nal wieder Aufmerksamkeit erringen. Volker Schlöndorffs
neuen Zeit nicht zurechtfindet) fort.
Grass-Verfilmung „Die Blechtrommel“ (1979) bekam die
Goldene Palme von Cannes und den Oscar.
Ku ltu relles

Inhaltlich engagierte Filme wollen Zeitdokumente sein. Auffallend viele Filme gehen auf literarische Vorlagen
Sie reflektieren in den Jahren derterroristischen zurück. Fassbinder beschäftigte sich 1971/72 mit Fonta­
Anschläge die Entstehung von Gewalt. Internationale nes Roman „Effi Briest“ (1894/95), den er sensibel nach­
Beachtung fand der Film „Die bleierne Zeit" (1981) von erzählt. Es ist die psychologisch fein beobachtete
Margarete von Trotta, der die Biografie einer Terroristin Geschichte einer jungen Frau, die die Ehe bricht und
nachzeichnet. Bemerkenswert auch der Film „Rosa verstoßen wird, dem bürgerlichen Ehrenkodex zuliebe.
Luxemburg" von 1985, in dem eindrucksvoll das Leben Auf der Linie seiner Zeitbilder liegt die zehnteilige Fern­
dieser sozialistischen Politikerin nachgezeichnet wird. sehproduktion „Berlin Alexanderplatz" (1979/80) nach
Einer der größten Publikumserfolge wird der in seinem dem Roman von Alfred Döblin (1929). Der Roman
Selbstverständnis „linke" Film „Die verlorene Ehre der erzählt die Geschichte des entlassenen Sträflings Franz
Katharina Blum". Biberkopf, der die Realität als menschliches Chaos
erlebt. Zu diesen „literarischen" Filmen gehört nicht
Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1975) zuletzt die schon erwähnte Grass-Verfilmung„Die
Film von Volker Schlöndorff und Margarete von Trotta Blechtrommel“ von Volker Schlöndorff.
nach der gleichnamigen Erzählung von Heinrich Böll.
Untertitel der Erzählung: Wie Gewalt entsteht und D ie B le c h t r o m m e l { 1 9 7 8 / 7 9 )
wohin sieführen kann. Katharina Blum lernt im Karneval Es ist die Geschichte des in Danzig geborenen Oskar
einen jungen Mann kennen, nimmt ihn mit nach Hause Matzerath, der aus Protest gegen die Zeit bis zum Ende
und wird am nächsten Morgen von einer polizeilichen des Kriegs sein Wachstum einstellt. Er trommelt seinen
Fahndung überrascht. Ihr Gast, ein vermeintlicher Terro­ Protest mit seiner Kindertrommel hinaus. Buch und Film
rist, ist verschwunden. Die Geschichte eskaliert, als sich entlarven das kleinbürgerliche Milieu als Nährboden der
die Presse in der Person eines skrupellosen Reporters ein­ NS-Diktatur.
mischt. Katharina Blum gerät in die Mühlen der Justiz,
die sich in ihr Privatleben einmischt und sie zu einem Schlöndorff ist heute neben Werner Herzog, dem Fil­
„Fall" macht. Während eines „Exklusivinterviews" mer der Außenseiter in einer bizarren und gewalttäti­
erschießt sie den Reporter der„Zeitung". Mit der „Zei­ gen Welt (z.B.„FitzcarraIdo", 1981), einer der internatio­
tung" war indirekt die außagenstärkste Tageszeitung, die nal erfolgreichsten Filmregisseure. Nicht unerwähnt
„BHd“-Zeitung, gemeint. bleiben sollen der Experimentator Wim Wenders
(„Buena Vista Social Club", 1999) und Werner Schroeter,
Nur wenige Filme nehmen sich der Gastarbeiterproble­ dem wir eine der gelungensten Romanverfilmungen
matik an. Zu den eindrucksvollsten gehört „Angst essen verdanken:„Malina".
Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder.
M a lin a ( 1 9 9 0 )
A n g s t e s s e n S e e le a u f {1973) Der Film geht auf den gleichnamigen Roman der öster­
Die 60-jährige Putzfrau Emmi lernt in einer Gastwirtschaft reichischen Dichterin Ingeborg Bachmann (1926-1973)
den 20 Jahrejüngeren marokkanischen Gastarbeiter Ali zurück. Das Drehbuch schrieb die bekannte österreichi­
kennen. Eine zarte Liebesgeschichte zwischen den unglei­ sche Schriftstellerin Elfriede Jelinek. Er bietet keinefilm ­
chen Partnern beginnt. Beide heiraten - zum Spott von gerechte Szenenauswahl, sondern die komplette Nacher­
Nachbarn, Verwandten und Kollegen. Ablehnung schlägt zählung in einem eigenen visuellen Kosmos: Eine Frau
in Freundlichkeit um, als man entdeckt, dass die beiden verliert die Fähigkeit, mit der Außenwelt zu kommunizie­
nützlich sein können als Kunden oder bei sonstigen Hilfe­ ren und gibt sich zum Schluss verzweifelt selbst auf. Die­
leistungen. „Proßtsucht wirkt sicherer als Fremdenhass“ist ser Film und das Buch spiegeln autobiografisch Ingeborg
die Botschaft des Films. Die Ehe ist nicht von langer Dauer. Bachmanns schwieriges Leben.
Ku lt u r elles

Eine Überraschung für alle Filmbegeisterten waren die (Anm.- Das ist eine Delikatesse aus dem Spreewald bei
Filmkomödien, die ab der Achtzigerjahre gedreht wur­ Berlin), organisiert sozialistische Gesänge und vieles
den. Dazu gehören die Filme von Doris Dörrie („Män­ mehr. Ein Heimatfilm der ganz besonderen Art, der mit
ner", 1985;„Keiner liebt mich",1994) und von Helmut zahlreichen Filmpreisen bedacht wurde.
Dietl („Schtonk!'',i992).„Schtonk!" handelt von der
gesellschaftlichen Doppelmoral und der Wiederholbar­ Das Kinojahr 2004 wurde nach Angaben der Berliner
keit der Geschichte. Ein pfiffiger Kunstfälscher schreibt Filmförderungsanstalt (FFA) zum besten seit der Wie­
die angeblich verschollenen Hitler-Tagebücher selbst, dervereinigung. Über 5% mehr Zuschauer gingen in die
ein Sensationsreporter verkauft sie teuer und eine Kinos und das Image des deutschen Films verbesserte
bekannte Illustrierte veröffentlicht sie -u n d ruiniert sich auch auf dem internationalen Markt. Inzwischen
ihren Namen. wurde die Filmförderung neu gestaltet: Die Novelle
Als ein etwas anderer deutscher Film stellt sich „Lola unterstützt die Kinos; DVD, Internet und Video-on-
rennt" vor. Der Regisseur Tom Tykwer verbindet ver­ demand werden zu zahlenden Mitspielern. Ziel ist die
schiedene Stilelemente, bezieht Zeichentrick- und Erfolgsgeschichte des deutschen Films fortzusetzen.
Videopassagen mit ein, unterlegt den Film mit atemlo­
ser Musik und spielt verschiedene Variationen der
G e g e n d ie W a n d (2 0 0 4 )
Geschichte durch. In mitreißenden Bildern entlädt sich
Die deutsch-türkische Produktion von Fatih Akin wurde
ein Feuerwerk, das den Triumph der Liebe und das
in mehr als 40 Länder verliehen, ein weltweiter Erfolg.
Lebensgefühl der späten Neunziger darstellt.
Unter dem Titel„Head-on“lief er auch in den USA und
wurde in der „New York Times" als „erster sehr guter Film
Lola re n n t (19 9 8 )
des Jahres"gefeiert.
Ein Sommertag, an dem eine ganz kurze Zeit über Liebe,
Die 20-jährige Sibel möchte dem strengen Elternhaus
l eben und Tod entscheidet. Lola und Manni sind Anfang
entfliehen und überredet Cahit zur Scheinehe ohne
zwanzig und ein Liebespaar. Manni jobbt als Geldkurier
gegenseitige Verpflichtungen. Doch Cahit verliebt sich in
fü r einen Autoschieber.
Sibel. Als Sibel auch ihre Liebe entdeckt, ist esfü r die bei­
In der U-Bahn verliert er die Plastiktüte mit 100 000
den zu spät. Cahit hat voller Eifersucht einen ihrer Lieb­
Mark. In zwanzig Minuten will sein Boss das Geld abhe­
haber erschlagen. Nach seiner Entlassung aus dem
ben. Verzweifelt ruft er Lola an. Wenn er das Geld nicht
Gefängnis trifft er Sibel in Istanbul wieder und hofft
auftreibt, wird er sterben.
noch immer auf eine gemeinsame Zukunft.
Lola stürzt aus dem Haus und läuft los, durch die Straßen
Berlins... um ihr Leben und das Mannis, um ihre Liebe
und um irgendwo irgendwie Geld aufzutreiben. D er U n t e r g a n g (2 0 0 4 )
Der Film hat die letzten Tage Hitlers zum Inhalt. Er
G o o d bye, Lenin (2 0 0 3 ) basiert auf dem gleichnamigen Buch des Historikers
Das Kino landete mit der Tragikomödie „Good Bye, Joachim Fest (2002). Während in der Hauptstadt der
Lenin!“von Wolfgang Becker einen Sensationserfolg. Eine Häuserkampf tobt, verschanzt sich Hitler mit einigen
brave DDR-Mutter, einst Aktivistin, hat nach einem Herz­ seiner Generäle und Vertrauten im Führerbunker der
infarkt im Koma die Wende verschlafen. Um ihr acht Reichskanzlei.
Monate später nach dem Aufwachen einen Schock zu Dieser Film von Bernd Eichinger hat als erschütterndes
ersparen, gaukelt ihr Sohn Alex vor, das sozialistische Zeitdokument große Anerkennung gefunden, hat aber
Musterland würde weiter bestehen. Er scheut keine auch kontroverse Diskussionen ausgelöst. Es wurde kri­
Mühe, um au f den 79 Quadratmetern Plattenbau die tisch hinterfragt, ob halbßktionale Unterhaltung dem
DDR wiederherzustellen, schafft Spreewaldgurken heran. Thema angemessen ist und vor allem ob Hitler als
132 Ku ltu relles

Mensch mit Gefühlen gezeigt werden darf. Auf der Seite Auffallend viele Film der letzten Zeit behandelnThe-
der Zuschauer bleibt der beklemmende Eindruck, dass men, die mit der DDR und der Aufarbeitung ihrer Fol­
mit einem Massenmörder Mitleid auf kommt, auch mit gen zu tun haben.
den Offizieren und den Frauen seiner Umgebung. Damit
hängt die Sorge zusammen, ob denn junge Zuschauer D as Leben der a n d e r e n { 2 0 0 6 )
den Film falsch verstehen könnten. Andererseits fällt die Der Film macht das Netzwerk der Stasi (Staatssicherheit)
großartige Leistung der Schauspieler, vor allem die Dar­ transparent, das die gesamte Gesellschaft der DDR in ein
stellung von Bruno Ganz als Hitler, ins Gewicht. Der Film System von Überwachung und Bespitzelung verwandel­
hat auf jeden Fall zur Auseinandersetzung mit der te. Ein Stasi-Hauptmann kommt während der Beobach­
Geschichte auch bei derjungen Generation beigetragen. tung mit der Welt der Liebe, der Kunst und derfreien
Meinungsäußerung in Berührung und wird unfähig,
2005 kam ein weiterer aufwühlender Film in die Kinos: belastende Beobachtungen weiterzugeben.

S o p h ie S c h o ll - D ie le tz t e n Tage (2 0 0 5 ) Der Film von Florian Henckel von Donnersmarck (Dreh­


Er erinnert an die Münchner Studentin buch und Regie) erhielt zahlreiche Auszeichnungen:
Sophie Scholl, Mitglied der Widerstands­ den Bayerischen, Deutschen und Europäischen Film­
bewegung,, Weiße Rose", die am preis, 2007 den Golden Globe Award und den Oscar als
22. Februar 1943 von den Nazis hinge­ bester fremdsprachiger Film.
richtet wurde. Der Film wurde neben
vielen weiteren Preisen auf der Berlinale Den Deutschen Filmpreis erhielt 2007 ein Film ganz
2005 mit dem Silbernen Bärenfü r die anderer Art, die Komödie von Marcus H. Rosenmüller:
beste Regie (Marc Rothmund) und
ebenfalls mit dem Silbernen Bären für W er f r ü h e r s t irb t, ist lä n g e r to t (2 0 0 7 )
die beste Darstellerin (Julia Jentsch) ausgezeichnet. Sebastian, ein n-jähriger Bauernjunge, glaubt, am Tod
Der Film erzählt die letzten fü n f Tage zwischen der I/er seiner Mutter schuld zu sein, möchte sich von dieser
haftung am 18. Februar in der Münchner Ludwig-Maxi- Sünde befreien und sucht nun eine neue Fraufü r seinen
milians-Universität, den Verhören und dem Prozess vor Vater. Deftig bayerischer Humor mit Hintersinn und der
dem „Volksgerichtshof" bis zum Tod durch das Fallbeil in bayerische Dialekt machen diesen verqueren„Heimat­
einem Münchner Gefängnis. film " zum Publikumsrenner des Jahres.
In den Verhören mit dem Gestapo-Beamten verwirft
Sophie Scholl die Möglichkeit, sich nur als Verführte darzu­ Der B a a d e r - M e in h o f - K o m p le x ( 2 0 0 8 )
stellen und hält diese Haltung bis zum Ende ergreifend Ein Film von Uli Edel und Bernd Eichinger nach dem
mutig durch. Fotos aus ihrem Leben zum Schluss des Films bekannten Buch des Journalisten Stefan Aust.
zeigen eine lebenslustigejunge Frau, die gern anders Der Film erzählt die Geschichte des Terrors in den joer-
gelebt hätte, aber in eine schlimme Zeit hineingeboren Jahren in Deutschland: vom Widerstand gegen eine in
wurde. Sie ist zur Symbolfigurfür den Widerstand gegen den Augen von Andreas Baader, Ulrike Meinhof und
den Nationalsozialismus geworden. Aus den Flugblättern Gudrun Ensslin faschistischen Politik, z.B. in Vietnam, bis
der„Weißen Rose“:„Mit mathematischer Sicherheitführt hin zur rohen Gewalt. Die Rote Armee Fraktion (RAF)
Hitler das deutsche Volk in den Abgrund. Hitler kann den ermordet Vertreter der Justiz, Politik und Industrie und
Krieg nicht gewinnen, nur noch verlängern. Seine und sei­ erschüttert die junge Demokratie in ihren Grundfesten.
ner Helfer Schuld hat jedes Maß unendlich überschritten.
Die gerechte Strafe rückt näher und näher!"
Ku lt u r e lles 133

Vielfalt der Museen Museumsdirektor um 1900, zeigt es Skulpturen und


Gemälde vom Anfang der Antike bis zum Ende des
18. Jahrhunderts.
In Berlin verwaltet die Stiftung Preußischer Kulturbesitz
die Sammlungen des aufgelösten preußischen Staates,
die den größten Kunstbesitz in Deutschland darstellen.
Das Zeughaus, ein Barockbau von 1730, ist das älteste
Gebäude am Prachtboulevard Unter den Linden. Es dien­
te ursprünglich als Waffendepot; in der DDR war es das
Geschichtsmuseum des Marxismus-Leninismus. Nach
dem Fall der Mauer gründete die Bundesregierung das
Deutsche Historische Museum, in dem Zeugnisse der
Geschichte vom Mittelalter bis heute gezeigt werden.

Berlin hat eine beeindruckende Zahl von Gedenkstätten.


Die Museumsinscl in Berlin (Bode-Museum) In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand wird das
gesamte Spektrum des deutschen Widerstands gegen
Moderne Museen sind ein Ort der Begegnung und der
den Nationalsozialismus dokumentiert: Widerstand aus
Diskussion. Sie schaffen Erlebniswelten und beziehen
christlichem Glauben, Widerstand aus der Arbeiterbe­
die Besucher mit ein. Eine neue Kulturstudie bestätigt
wegung, in Kunst und Wissenschaft, im Exil, im Kriegs­
ihre besondere Beliebtheit neben dem Theater.
alltag, die militä rische Verschwörung des 20.Juli 1944,
die Weiße Rose, Jugendopposition. In der Gedenkstätte
Aus der Vielzahl der 6000 Museen seien im Folgenden
Plötzensee wird der hier ermordeten Opfer der Hitler-
nur einige der bedeutendsten herausgegriffen.
Diktatur gedacht. Drei sowjetische Ehrenmale erinnern
Im Zentrum Berlins, auf der Museumsinsel, ist in den
an die im Kampf um Berlin gefallenen Soldaten der
vergangenen 150 Jahren ein Ensemble von Museen ent­
Roten Armee. Die Villa am Wannsee, in der 1942 die
standen, die eine perfekte Einheit bilden: Das Alte
Deportation und Ermordung der Juden Europas
Museum, im klassizistischen Stil erbaut, die Nationalga­
beschlossen wurde, ist seit 1992 eine Gedenk- und Bil­
lerie und das Pergamonmuseum zeigen die Entwick­
dungsstätte. In Berlin wurde auch das Jüdische Museum
lung vorderasiatischer, ägyptischer, antiker und christli­
errichtet und das zentrale Mahnmal für die Opfer des
cher Flochkulturen. Besondere Anziehungskraft hat der
Holocaust. Das von Daniel Libeskind entworfene
Pergamon-Altar, ein im zweiten Jahrhundert vor
Christus errichteter griechischer Altar, der nach 1879
von Kleinasien nach Berlin gelangt war.
Das Bode-Museum, an der Spitze der Museumsinsel
gelegen, stammt aus der Kaiserzeit. Es ist komplett
saniert worden und erstrahlt in altem bzw. neuem
Glanz. Nach dem Konzept von Wilhelm Bode, Berliner

Denkmal für die ermordeten Juden Europas


134 Kultu relles

Museum mit seiner auffälligen Einzig ist das Deutsche


Zickzack-Architektur wurde Museum, das die Entwicklung
2001 eröffnet und zählt heute der Technik und der Naturwis­
zu den meistbesuchten Ausstel­ senschaften von den Ursprün­
Pinakothek der Moderne, München
lungshäusern Deutschlands. gen bis heute zeigt. Im Plane­
Am 9. Mai 2005 ist das Denkmal für die ermordeten tarium simulieren Projektionsgeräte die Bewegung der
sechs Millionen Juden Europas in Berlin unweit des Gestirne. In den Filmsälen gibt es Filme über den Berg­
Brandenburger Tors und des Reichstags feierlich einge­ bau und das Hüttenwesen. In einer Abteilung ist ein
weiht worden. Entworfen wurde es von dem amerikani­ komplettes Bergwerk zu besichtigen. Hochspannungs­
schen Architekten Peter Eisenman. Die Diskussion und anlagen simulieren künstliche Blitze. Weitere Abteilun­
die Fertigstellung haben 17 Jahre gedauert. Das Denkmal gen betreffen die Luftfahrt, die Schifffahrt und die
ist das Bekenntnis zu dem größten Verbrechen in Europa Raumfahrt, die Geschichte der Fotografie, die Landtech­
und Mahnmal gegen das Vergessen. 2711 Betonstelen nik, das Glasblasen und vieles mehr. Das Museum
(= Quader) unterschiedlicher Höhe auf einem riesigen besitzt wertvolle historische Unikate, so das erste Auto­
Feld werden zu einem Ort der Besinnung und des Nach­ mobil und den ersten Dieselmotor. Es bietet auch Experi­
denkens. mente und Demonstrationen, die der Besucher selbst
von Hand oder durch Knopfdruck durchführen kann.
Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg ist die
größte Sammlung deutscher Kultur von der Vorzeit bis Eines der jüngsten Museen mit internationalem Profil
ins 20. Jahrhundert. Es wurde 1852 durch eine Initiative ist das Museum Ludwig in Köln, hervorgegangen aus
des Freiherrn von und zu Aufseß gegründet, der den einer Stiftung des Kunstsammlers und Fabrikanten Peter
gesamten deutschen Sprachraum in Denkmälern der Ludwig,das Teil des Museumskomplexes zwischen Dom
Kunst, Literatur und Geschichte museal darstellen woll­ und Altstadt ist. Hier befindet sich auch das Wallraf-
te. Das Museum entstand, als noch kein einheitlicher Richartz-Museum (mittelalterliche und neuzeitliche
deutscher Staat existierte; es sollte demzufolge wie ein Gemäldesammlungen),die Kölner Philharmonie, eine
Auftrag zur nationalen Einheit wirken. Cinemathek,die Kunst- und Museumsbibliothek und in
unmittelbarer Nachbarschaft das Römisch-Germani­
München ist berühmt für seine Gemäldesammlungen sche Museum. Das Haus vermittelt seinen Besuchern
der Alten und der Neuen Pinakothek mit altdeutschen einen repräsentativen Überblick über die Kunstgeschich­
und niederländischen Meistern,Gemälden der italieni­ te des 20. Jahrhunderts. Neben der Klassischen Moderne
schen Malerei und des 19. Jahrhun­ findet hier die zeitgenössische Kunst unter Einbezie­
derts. 2003 wurde die Pinakothek der hung der neuen Medien ein Forum.
Moderne eröffnet, eines der weltweit
größten Museen für die Kunst des Ein Forum internationaler Kunsttendenzen der Gegen­
20. und 21. Jahrhunderts. Das offene wart ist die Ausstellung „documenta" in Kassel, die
und großzügige Gebäude zeigt Kunst, ungefähr alle vier Jahre stattfindet. 2007 öffnete sich die
Grafik, Architektur und Design unter Weltkunstschau zum ersten Mal für Kinder.
einem Dach.

documenta Kassel 2007


136 Aus d e r W i r t s c h a f t

Die Welt der Arbeit Arbeitgebern aufgebracht. Die Bundesagentur für Arbeit
in Nürnberg zahlt aufgrund dieser Beiträge das Arbeits­
Der Strukturwandel__________________
losengeld I (für alle, die arbeitslos werden) und das
Seit der Jahrtausendwende gehen die Uhren in Deutsch­ Arbeitslosengeld II (= die frühere Sozialhilfe). Grundsatz­
land anders: Alte Sicherheiten sind nicht mehr selbstver­ diskussionen bewegen sich um die Frage, wie die
ständlich; die Bürger müssen sich auf die veränderten Zukunft des Sozialstaats zu sichern ist.
Verhältnisse einstellen; die Wirtschaft befindet sich in
einem Strukturwandel. Industriearbeitsplätze werden Die Rentenversicherung (Rente ab 65 bzw. 67 Jahren) ist
abgebaut, und die Wissensgesellschaft nimmt Fahrt auf. in eine Krise geraten, weil sich die Bevölkerungsentwick­
Ein guterVerdienst und ein sicherer Arbeitsplatz-das lung-w ie auch in anderen europäischen Ländern -
war und ist unbestritten das Wichtigste für den Arbeit­ ungünstig auswirkt: Die Älteren werden zahlreicher und
nehmer in Deutschland. Und gerade dies ist heute nicht diejüngeren Berufstätigen sind nicht mehr in der Lage,
mehr gesichert. Über viele Jahre sind die Einkommen die Kosten aufzubringen. Der Generationenvertrag wird
gewachsen, der Lebensstandard ist gestiegen und die in der bisherigen Form nicht mehr funktionieren.
Freizeit hat einen immer höheren Stellenwert bekom­
men. Die Wochenarbeitszeit betrug i960 in West­
Was tun Staat und W irt sch af t? _______
deutschland durchschnittlich 51/2 Tage mit 44,5 Stun­
Arbeitslosigkeit ist heute in allen Industrieländern ein
den, 1992 noch sTage und 38,5 Stunden. Seit 1994 gibt es
zentrales Thema. In Deutschland steuert die Regierung
die 35-Stunden-Woche. In den Neunzigerjahren begann
mit aktiven Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung
eine gegenläufige Entwicklung: Die Steuern und Abga­
dagegen: mit der Entlastung der Firmen durch Sen­
ben erhöhten sich und die Realeinkommen gingen leicht
kung der Lohnzusatzkosten, mit der Schaffung von
zurück. Seit 2004 steigt die Wochenarbeitszeit wieder:
Niedriglohnjobs, mit der Flexibilisierung des Arbeits­
40 bzw. 42 Stunden sind keine Seltenheit mehr.
marktes und mit Fortbildung und Vermittlung.

1970 gab es in Westdeutschland noch Vollbeschäftigung


(nur 150 000 Arbeitslose und 800 000 offene Stellen). Arbeitslose im August Deutschland 8.8
Arbeitslosenquote* in % W es/ 7.3
Seit den 7oer-Jahren aber stieg die Zahl der Arbeitslosen Ost 14.7
mit kurzen Unterbrechungen ständig an. Arbeitslos sind Schleswig-Holstein 8,3
15,7 Mecklenburg-
Menschen ohne Berufsausbildung und Ältere, auch qua­ Hamburg 8,9 Vorpommern

lifizierte Beschäftigte. Gleichzeitig fehlen Arbeitskräfte Bremen

in Sozialberufen, bei der Pflege von Kranken und Behin Niedersachsen 8,8

derten sowie im Handwerk und in der Industrie. In Ost­ Nordrhom -


Westfalen 9,4
deutschland begann mit derWendeein beispielloser
Rheinland-
Abbau von Arbeitsplätzen. Mangelnde Konkurrenzfähig­ Pfalz 6,4 7,6 Hessen
keit der Produkte war eine der Hauptursachen (siehe Saarland 8,5 5,1 Bayern
auch S. 141). Baden-
Württemborg 4,9
In Deutschland gibt es seit 1927 die gesetzliche Arbeits­
"bezogen aut alte - 15.0
losenversicherung. Die Geldmittel für die Versicherung zN*m 6twemspersonofi 15,1 - 1 7 ,5
d p a Grafik 4237 17,6 % und mehr
werden je zur Hälfte von den Arbeitnehmern und den
■ wien uer ueuiscnen tinnon
IW»IN3004
Aus d e r W i r t s c h a f t 137
So M m p *t I Wichtigst« Fln/«ll«istung d«s Bund««: SolldarpftM I und N
(Sonde/raMmgen
dm Bundes}: 2005bis2019
SoUdarpakt II:
l1 .7 tlrd .E u n insgesamt 105 Mrd. Euro ♦ 51 Mrd. als zusätzliches Ziel
2004 05
Jährlich« 10-5 10'5
Zahlungen Das Stichwort Zeitarbeit
In Mrd. Euro
Die Zeitarbeitsfirma verleiht den Arbeitnehmer an eine
Die Gesamtleistung Firma und schließt mit ihr einen Arbeitnehmerüberlas­
Jährliche Transferteistungen
In die neuen Lander
(B&sptelredwung für das Jahr 2003)
sungsvertrag. Arbeitslose bekommen durch Zeitarbeit
bruao116Mrd. Euro
davon für ungebundene
wieder einen Job, und Betriebe können Auftragsspitzen
Leistungen
und Personalengpässe ausgleichen. Missstände stellen
Diese Transferieistungen enthalten

Infra-
neben dem Scixlarpakt I auch
Leistungen der Sozialversicherungen,
sich dann ein, wenn der Zeitarbeiter nicht den Sprung in
Infrastrukturausgaben und sonstige
Forderungen
die Festanstellung schafft, schlechter bezahlt wird als
Steuereinnahmen dos Sundes
förderung in Ostdeutschland 33 t/rd Euro
die festangestellten Kollegen und sich als „Arbeiter
sonstiges Netto-Transler = 83 Mrd Euro
zweiter Klasse" fühlt. Betriebsvereinbarungen sollen die
Zeitarbeiter schützen und besserstellen.
Die Wirtschaft ihrerseits fordert mehr Markt, weniger
Steuern und Bürokratie und den Abbau der hohen Sozi­ Mit den sozialen Reformen sind auch Niedriglöhne ein­
alabgaben. Sie antwortet auf Strukturschwächen und geführt worden. Minijobs bedeuten meist weniger
den Druck der Globalisierung mit Rationalisierung und soziale Absicherung und einen niedrigeren Verdienst.
Kostensenkung. Die Einführung flexibler Arbeitszeiten Atypisch beschäftigt sind vor allem Frauen,junge Men­
und die Erhöhung der Wochenarbeitszeit gehören dazu. schen zwischen 15 und 25 Jahren, Geringqualifizierte
Die Unternehmen entflechten dabei Wachstum und und Ausländer, unter anderem in der Gastronomie und
Beschäftigung; sie stellen trotz steigender Gewinne nur im Handel (s. auch Mindestlohn S. 138).
wenig neue Mitarbeiter ein. Im Rahmen der Globalisie­
rung entstehen Arbeitsplätze auch im Ausland. Ca, ein Viertel der Beschäftigten sind Minijobber,Teil­
zeit-, Zeit- oder Leiharbeiter ohne dauerhaften Arbeits­
Man unterscheidet verschiedene Arbeitszeitmodelle: vertrag. Als „arm" gilt in Deutschland, wer unter 781
Erstens die vom 8-Stunden-Tag abweichenden starren Euro netto pro Monat verdient-das sind 60% des
Arbeitsmodelle, z.B. die 4-Tage-Woche, zweitens die fle­ Durchschnittseinkommens eines Einpersonenhaus­
xiblen Teilzeitmodelle: Gleitzeit und Teilzeit sowie halts. Geringverdiener stocken ihr Einkommen auf
Arbeitszeitkonten. Bei der Gleitzeit gibt der Betrieb den durch den Bezug von Arbeitslosengeld II (= Hartz IV)
Rahmen vor und die Beschäftigten bestimmen ihr per­ oder mit einem zweiten Job.
sönliches Zeitarrangement. Bei der Teilzeit ist die
Arbeitszeit geringer und der Lohn entsprechend auch. 1918/19 führten Gewerkschaften und Arbeitgeber den
Arbeitszeitkonten garantieren maximal flexiblen Ein­ 8-Stunden-Tag ein. Lange hielt sich die 5-Tage-Woche.
satz. Im 21. Jahrhundert macht dieser Normalarbeitstag
Im Jahr 2001 wurde das Recht aufTeilzeit Gesetz. Es soll einerflexiblen Verteilungder Arbeitszeit Platz. Nur
besonders Frauen entgegenkommende nach der noch gut 10 Prozent der Beschäftigten arbeiten zwi­
Geburt der Kinder wieder in den Beruf einsteigen schen 35 bis 42 Stunden von Montag bis Freitag ohne
wollen. Gleitzeit. Die alte Arbeitswelt ist im Umbruch, ähnlich
wie vor rund 200 Jahren, als die Agrar-von der Indus­
triegesellschaft abgelöst wurde. Das Muster der
Aus d e r W i r t s c h a f t

lebenslangen Vollzeitarbeit im erlernten Beruf löst sich Beide sind Tarifpartner, die die Tarifverträge ohne Einmi­
langsam auf; bereits 40 % der Beschäftigten arbeiten schung des Staates (= Tarifautonomie) aushandeln.
in Teilzeit, mit Zeitverträgen oder Werkverträgen für Diese Verträge legen die Löhne und Gehälter, die
begrenzte Projekte. Qualifikation und Selbstmanage Arbeitszeit, Urlaubsdauer, usw. fest. Die jährlichen Tarif­
ment sind die Schlüsselbegriffe für morgen. Auch das auseinandersetzungen sind zurnTeil sehr heftig: Wenn
EU-Ausland lockt: Ab 2007 werden die Abschlüsse von sie scheitern und auch eine Schlichtung die Auseinan­
150 Berufen - vom Ingenieur bis zum M aurer-inner­ dersetzung nicht beilegt, bleibt der Streik. Die Gewerk­
halb der EU anerkannt. Viele scheuen jedoch den Wech­ schaft kann den Streik ausrufen, wenn die Mehrheit
sel ins Ausland, wobei vor allem mangelnde Sprach- ihrer Mitglieder in einer Urabstimmung dafür gestimmt
kenntnisseeine Rolle spielen. hat. Die Arbeitgeber können ihrerseits mit der Aussper­
Auf Deutschland kommt ein Facharbeitermangel zu; rung von der Arbeit antworten.
deshalb werden Forderungen laut, auch ältere Jahrgän­ In Deutschland sind über 6 Millionen Arbeitnehmer
ge bei der Jobsuche wieder stärker zu berücksichtigen. und Arbeitnehmerinnen gewerkschaftlich organisiert;
die Zahlen sinken. Arbeitslose und Ruheständler haben
natürlich wenig Interesse, und die Berufsgewerkschaf­
Arbeitgeber und A rb e it ne hm e r______
ten, z.B. die der Piloten und Flugbegleiter oder der Ärzte,
Es gab 2008 in Deutschland 40 Millionen Erwerbstäti­ ziehen Mitglieder ab. Dem Deutschen Gewerkschafts­
ge: Selbstständige, Freiberufler, Arbeiter, Angestellte, bund (DGB) gehören 8 Einzelgewerkschaften an, die
Beamte und Auszubildende.4,4 Millionen Selbstständi­ größte Einzelgewerkschaft in Deutschland und welt­
ge sind als Arbeitgeber tätig. 2006 wurden neue weit ist die IG Metall mit 2,3 Millionen (Stand: 2008)
Arbeitsplätze geschaffen, besonders in den Dienstleis­ Mitgliedern. Die zweitgrößte ist die Vereinte Dienstleis­
tungsberufen. Aber auch die Zahl geringfügig Beschäf­ tungsgewerkschaft Ver.di (gegründet 2001 durch Zu-
tigter nahm zu. Zur Sorge Anlass geben die wachsende sammenschlussvon 5Gewerkschaften) mit 2,2 Millio­
Zahl von Zeitarbeitern. Der Deutsche Gewerkschafts­ nen Mitgliedern.
bund fordert deshalb Mindestlöhne auch für die Zeitar­ Neu entstehende kleinere Firmen im Dienstleistungs­
beitsbranche. und Flightech-Bereich sind im Allgemeinen nicht
gewerkschaftlich organisiert. Die Rechte der Arbeitneh­
Das Stichwort Mindestlohn, Kombilohn mer in den Betrieben sind gesetzlich geregelt durch
Mindestlohn ist ein niedrigstes Arbeitsentgeld, dessen
Flöhe durch ein Gesetz oder einen Tarifvertrag festge­ Die weltweit größten Exporteure
Warenausfuhr Im Ja h r 2007 In Mliliarcfon US-Dollar
legt ist. Er soll bewirken, dass Erwerbstätige ihre Exis­ ■ ■ ■ ■ 1 327
1 218
1 163
tenz durch ihr Einkommen sichern können und nicht Japan
Frankreich
auf staatliche Flilfe zurückgreifen müssen. Niederlande
Italien
Großen tannlen
Der Kombilohn ist ein neues Modell, bei dem die Kom­ Belgien
Kanada
Südkorea
munen den zu geringen Lohn aufstocken. Russland
Hongkong*
Singapur*
Wxöco
Taiwan
Soenien
Arbeitnehmer werden durch die Gewerkschaften ver­
treten, Arbeitgeber u.a. durch die Arbeitgeberverbände.
Deutschlands Export-Palette
Autluhi 2007 *I MHIkuden Euro

Maschinen
Chemische Erzeugnisse |
MetaJe u. Metallerzeugnisse
Kraftwerke, Turbinen u.Ä.
Medizin-, Messiechrvk, Opbk
das Betriebsverfassungsgesetz und die Mitbestim­ Elektrotechnik
mung. In allen Betrieben, die mehr als fünf Arbeitneh­ Naftrungsntflel
Gummi- u. Kimststoftwarsn
mer beschäftigen, kann ein Betriebsrat gewählt wer­ Luft- und Raumfahrzeuge
Büromaschwon. EDV
den. Dieser vertritt die Interessen der Arbeitnehmer. Papier. Druck
Möbel. Schmuck u. a tÜ StZ
Die Mitbestimmung durch den Betriebsrat betrifft Kfmoratöterzeugntsse «1813
Glas. Keramik JR13
Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen, Regelungen zur Textiben O

Vermeidung von Arbeitsunfällen und Berufskrankhei­ BekJeiding 5 3


Agrarproduklß §3
ten, die Gestaltung von Arbeitsplätzen, die Zustim­ CCM»®
mung bei Einstellungen und Kündigungen und vieles
mehr. In bestimmten Gesellschaften mit mehr als und Zugangzum Bildungssystem. Auf europäischer
2000 Arbeitnehmern wird ein Aufsichtsrat gebildet, Ebene vertritt der Europäische Gewerkschaftsbund
der zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitnehmer ETUC in Brüssel (European Trade Union Confederation)
besteht. die Interessen der Arbeitnehmer. Er fordert faire Regeln
auf dem gemeinsamen Binnenmarkt und die Einhaltung
Etwa 1,8 Millionen Arbeitnehmer sind Ausländer. Sie von sozialen Standards. Im Gegensatz zu gewerkschaftli­
erwirtschaften einen Teil des Bruttoinlandsprodukts chen Positionen sieht der Europäische Arbeitgeberver­
und zahlen jährlich Steuern und Sozialabgaben in Milli­ band aber Konfliktlösungen in den Betrieben selbst und
ardenhöhe. Beim Bau, im Handwerk und in Pflege- und lehnt Tarifverträge auf EU-Ebene ab.
Altenheimen sind sie unentbehrlich. Die Schwerpunkte Nach der Öffnung der Grenzen ist eine neue Art der Völ­
der Beschäftigung sind folgendermaßen verteilt: Viele kerwanderung in Gang gekommen, die kreuz und quer
ArbeitnehmerausderTürkei und Portugal arbeiten im durch Europa verläuft. Menschen verlassen ihre Heimat,
Automobilbau; Arbeiter aus den Ländern des ehemali­ um Arbeit in anderen Ländern zu finden, wo sie besser
gen Jugoslawien im Baubereich; Italiener arbeiten häu­ verdienen. Auf die Sozialpartner warten noch große
fig im Gaststättengewerbe und Spanier hauptsächlich Aufgaben. Es geht um das europäische Sozialmodell.
im Handel.Türken engagieren sich zunehmend im Han­
del (Schuhreparaturen, Textilien, Änderungsschneiderei)
und in der Dienstleistungsbranche. Es leben derzeit in
Made in Germany
Deutschland mehr als eine halbe Million Unternehme­
Untersuchungen über den Welthandel haben ergeben,
rinnen und Unternehmer mit Migrationshintergrund
dass Deutschland im Export von Waren an erster Stelle
(= 12%), die durch Eigeninitiative zu wirtschaftlicher
vor China und den USA steht und im Export von Dienst­
Vielfalt und Beschäftigung beitragen.
leistungen erst nach den USA,Großbritannien und
Grundsätzlich ist die Sprache der Schlüssel zum Erfolg.
Frankreich an vierter Stelle. Das Bild der Weltwirtschaft
Wer gut ausgebildet ist und fließend Deutsch spricht,
ist geprägt von globalen Zusammenschlüssen der
wird relativ problemlos integriert. Geringqualifizierte
Unternehmen, der Bildung von Wirtschaftsräumen (die
haben es entschieden schwerer. Ausbildung, Qualifizie­
EU,derMercosur,Asean-Staaten) und dem Kampf
rung plus Zuwanderung heißen die Herausforderungen:
gegen weltweite Finanzkrisen. Exportschwerpunkte
Ausländische Jugendliche brauchen dringend Förderung
der deutschen Industrie sind Straßenfahrzeuge,
und Chancen für ihre Zukunft:frühe Sprachförderung
Maschinen, chemische Produkte und die Elektrotech­
140 Aus d e r W i r t s c h a f t

nik. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind die Messen in ches Gleichgewicht und stetiges Wachstum. Realität
Deutschland (internationale Messen, regionale Fach- ist,dass Rezessionen in regelmäßigen Abständen die­
und Verbraucherausstellungen) und im Ausland. ses Ideal trüben. Die Industrie reagiert dann mit der
Deutschland ist auch umsatzstarker Messeveranstalter Rationalisierung ihrer Produktion, dem Abbau von
weltweit. Arbeitsplätzen und deutlichem Sparen.
In der Bundesrepublik wurde das freie Spiel der Markt­
Deutschland gehört zu den G8, den großen westlichen prinzipien zugunsten der von allen bezahlten Bereiche
Industrieländern,die den Weltmarkt beherrschen. eingeschränkt. In der sozialen Marktwirtschaft greift
Diese stimmen jährlich ihre Wirtschafts- und Finanzpo­ der Staat in diese Bereiche regulierend ein, insbesonde­
litik auf dem Weltwirtschaftsgipfel gegenseitig ab und re bei Gesundheit, Wohnen, Verkehr, Erziehung, Rechts­
beraten über aktuelle politische Fragen. pflege, Bildung, Forschung und Entwicklung,die im all­
Der Mischkonzern DaimlerChrysler ist das größte gemeinen nationalen Interesse stehen. Auch Solidar-
Unternehmen in Deutschland. Es erzielt seine Umsätze leistungen zur Vermeidung existenzieller Notlagen
mit Autos, Luft- und Raumfahrzeugen und Elektrotech­ gehören dazu, wie zum Beispiel das Kindergeld oder
nik. Es folgen Unternehmen der Energiewirtschaft, der das Wohngeld oder bei Arbeitslosigkeit das Arbeitslo­
chemischen Industrie, der Autoindustrie und der sengeld. Ein wesentliches Moment der sozialen Markt­
Lebensmittelbranche. wirtschaft ist die Tarifpartnerschaft von Gewerkschaf­
Die westdeutsche Wirtschaft ist aber eine überwiegend ten und Unternehmerverbänden (siehe S. 138).
mittelständische Wirtschaft. Rund zwei Millionen Unter­
nehmen sind kleine oder mittlere Betriebe mit bis zu 500 Um die marktwirtschaftlichen Kräfte zu stärken, ver­
Beschäftigten, in denen fast zwei Drittel der Arbeitneh­ folgt die Bundesregierung eine Politik der Privatisie­
mer tätig sind. Auch in Ostdeutschland gewinnt die Wirt­ rung. Sie hat sich bereits aus vielen Unternehmen
schaft immer mehr mittelständische Konturen und zurückgezogen, z.B. aus dem Industriekonzern VW und
schafft so neue Arbeits- und Ausbildungsplätze. den Energieversorgungsunternehmen. Das ehemals
staatliche Unternehmen Lufthansa verringert seine
Die westliche Marktwirtschaft stand jahrzehntelang Staatsanteile und die Deutsche Bahn (DB) soll in eine
im Gegensatz zur östlichen Planwirtschaft. Prinzip der Aktiengesellschaft umgewandelt werden. Subventio­
Marktwirtschaft ist der Wettbewerb; ihrMotor ist der nierung und Regulierung prägen dennoch weite Teile
Gewinn. Gesteuert wird der Wirtschaftsprozess über der Wirtschaft. Deregulierungen und die Liberalisie-
den Preis, dessen Flöhe von Angebot und Nachfrage,
W as is t hier ab su rd ?
Überangebot und Mangel abhängt. Flinzu kommen Pri­
vateigentum, freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl sowie
freier Geldverkehr, verbunden mit dem Bank-und Steu­
ergeheimnis. Das Gesetz verbietet Absprachen zwi­
schen Konkurrenten und den Zusammenschluss von
Firmen, der den freien Wettbewerb gefährden könnte.
Das Idealziel der Marktwirtschaft sind stabile Preise,
ein hoher Beschäftigungsstand, ein außenwirtschaftli­
Aus d e r W i r t s c h a f t

rung des Handels innerhalb der EU steuern dagegen. nur in einer dynamischen Wirtschaft funktionieren
Das größte Privatisierungsgeschäft betrieb bis Ende 1994 können, führten zur Kostenexplosion in den Betrieben,
die Treuhandanstalt in Berlin. Sie wurde gegründet, um zu De-Industrialisierung und Arbeitslosigkeit.
die mehr als 8000 staatseigenen Betriebe der ehemali­ Neben privaten Investitionen fließen Milliardenbeträge
gen DDR an die Marktwirtschaft anzupassen, d.h. sie zu in die neuen Bundesländer:für staatliche Förderpro­
privatisieren (zu verkaufen), zu sanieren oder„abzu- gramme, den Ausbau des Verkehrsnetzes,für die Mo­
wickeln"; 47 000 Betriebe wurden insgesamt privatisiert. dernisierung von Schulen, Krankenhäusern und Woh­
Die Arbeit derTreuhand ist insofern einmalig,als es bis­ nungen, den Wohnungsbau, für Maßnahmen des
her keine Umwandlung einer Volkswirtschaft in dieser Umweltschutzes, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen,
Größenordnung gegeben hat. 1,5 Millionen Arbeitsplätze die berufliche Fortbildung und Umschulung.Gleichzei­
sind entstanden und zwei Drittel von 4 Millionen gingen tigtrieb der Staat den Ausbau derVerwaltung und des
verloren. Der unvermeidliche Arbeitsplatzabbau hat Justizwesens voran. Die Gelder kommen vom Bund,
besonders von ostdeutscher Seite viel Kritikerfahren. den alten Bundesländern, der Europäischen Gemein­
schaft und aus den Förderungsfonds. Die Bundesbür­
Das Stichwort Abw icklung, abwickeln ger leisten einen sogenannten Solidaritätsbeitrag,der
Diese Wörter waren Schlüsselwörter der wirtschaftli­ auf die Löhne und Einkommen erhoben wird.
chen Umstrukturierung in den neuen Bundesländern. Die wirtschaftliche Situation in den neuen Bundeslän­
Sie bedeuten „Auflösung",„Liquidation",„Stilllegung" dern verschärfte sich, als die traditionellen Märkte der
bzw. „auflösen",„liquidieren",„stilllegen". Positiv dage­ ostdeutschen Industrie, nämlich die finanzschwachen
gen sind „Sanierung",„Privatisierung" bzw.„sanieren", osteuropäischen Länder, wegbrachen. Der Export ost­
„privatisieren". deutscher Waren ging 1990/91 um 75% zurück. Die
riesigen Kombinate überlebten die Wende nicht.
Die Käufer - westdeutsche oder ausländische Unter­
nehmen, vor allem aus Frankreich,den USA,Großbri­ Das Stichwort Solidarpakt II
tannien und Kanada - garantierten einen Teil der Der Fonds „Deutsche Einheit" sollte den fünf östlichen
Arbeitsplätze und investierten in festgelegter Höhe. Bundesländern nach der Wende wirtschaftlich „unter
Die meisten Arbeitsplätze gingen in unrentablen Groß­ die Arme greifen". Aber die Schulden wuchsen und die
betrieben verloren. Unternehmen, die keinen Käufer Mittel reichten nicht aus. 1995 stellte dann der Solidar­
fanden, prüfte die Treuhand auf ihre Überlebenschan­ pakt weitere 81 Milliarden Euro zur Verfügung, die Ost
cen. Wenn eine Sanierung Aussicht auf Erfolg hatte, und West bis 2004 angleichen sollten. 2005 musste der
half der Staat während der Umstrukturierung. Den­ Solidarpakt II in Höhe von 156 Milliarden gestartet wer­
noch unterschätzten Politik und Wirtschaft die Unter­ den. Diese Förderung läuft 2019 aus. Insgesamt haben
schiede zwischen Ost und West: Das Leistungsgefälle Deutschland West und die EU bisher über 1000 Milliar­
war groß und die Menschen waren nach 40 Jahren den Euro in die neuen Bundesländer gezahlt.
DDR auch andere. Die Erwartungen an Wohlstand Um die Förderung zu optimieren, soll das Geld gezielt
waren hoch, aber die Entwicklung verlief anders als in förderungswürdige Regionen, sogenannte Wachs­
nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Einführung der Mark tumskerne oder „Leuchttürme", fließen.
und die Übertragung westdeutscher Sozialmodelle, die
142 Aus d e r W i r t s c h a f t

Inzwischen haben Innovationen und eine gewisse Auf­


bruchstimmung dennoch neue Fakten geschaffen.
Besonders in den Ballungsräumen, in Berlin, Leipzig,
Dresden, Greifswald und auch Halle, ist dies zu spüren.
Die Industrie entwickelt sich im Vergleich zu West­
und Windenergie sowie Biotechnologie vorn zu sein.
deutschland gut, aber flächendeckend gibt es noch
Hochspezialisierte Betriebe bleiben in Deutschland
erhebliche Strukturschwächen, z.B. im Dienstleistungs­
und nutzen die Möglichkeiten, die die Globalisierung
sektor. Und die Produktivität liegt um 30 Prozent
bietet. Die Länder Mittel- und Osteuropas haben den
gegenüber der westdeutschen zurück. Das hohe Lohn­
Handel nach der Öffnung der Grenzen belebt, und die
niveau im Westen und das Stellenangebot ziehen
Ängste waren schnell verflogen.
Arbeitkräfte an, die eigentlich im Osten dringend ge­
Konzerne kritisieren eine mangelnde Flexibilität des
braucht werden. Die Einwohnerzahlen gehen zurück,
Arbeitsrechts und bauen trotz guter Bilanzen Stellen
besonders in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-
ab, während Familienunternehmen langfristiger pla­
Anhalt und Thüringen. Aber das Blatt beginnt sich zu
nen und neue Arbeitsplätze schaffen. Alle gemeinsam
wenden. Neue entwicklungsfähige Unternehmen, z.B.
üben Kritik an den hohen Sozialabgaben-das sind
in Sachsen, bewegen so manchen, in heimische Gefilde
Leistungen der Firmen über den Lohn hinaus-und den
zurückzukehren.
zu vielen Vorschriften. In Brüssel und hierzulande ist
man inzwischen bestrebt, Bürokratie und Handels­
Die Umstände der Wiedervereinigung hatten nach Ein­
hemmnisse abzubauen, was allerdings manchem zu
schätzung der OECD (Organisation für wirtschaftliche
langsam vorangeht. Pluspunkte für den Standort
Zusammenarbeit und Entwicklung) zu einer vorüber­
Deutschland bringen die gute Ausbildung, die hohe
gehenden Abschwächung der deutschen Wirtschaft
Produktivität der Arbeitnehmer, eine exzellente Infra­
geführt. Stabil geblieben ist der Export, vor allem der
struktur, politische Stabilität und eine anerkannte
Automobil- und der Maschinenbau sind Deutschlands
Rechtsordnung.
Exportschlager Nummer eins. Firmen in- und außer­
halb der Eurozone haben mehr Waren als je zuvor
gekauft.
Fr a g e
Inzwischen hat die deutsche Wirtschaft die Potenziale
1. Finden Sie es richtig oder nicht richtig, wenn
der Zukunftsmärkte erkannt und ihre Innovationsfähig-
"Made in Germany" bald "Made in the European
keit gestärkt. Wesentlich dazu beigetragen haben die
Union" heißen würde?
moderaten Tarifabschlüsse und der Lohnverzicht in
2. Welche Erfindungen haben diese Forscher im 19.
verschiedenen Branchen. Staat und Wirtschaft investie­
Jahrhundert gemacht? Recherchieren Sie im Internet:
ren in Forschung und Entwicklung, Bildung und Wis­
Rudolph Diesel, Otto Lilienthal, Werner von Siemens,
senschaft. Mit Ernst Werner von Siemens, Gottlieb
Johann Philipp Reis, Georg Simon Ohm.
Daimler und Robert Bosch war Deutschland das Land
3. Mit welchen Entdeckungen sind die folgenden Namen
der Tüftler und Erfinder,die die Marke Made in Germa-
im 20. Jahrhundert verbunden? Recherchieren Sie im
ny weltbekannt machten. Heute konzentriert sich das
Internet: Alfred Wegener,Otto Hahn, Karl Freiherr
Land darauf in Zukunftstechnologien wie z.B. Solar-
Drais, Max Planck, Konrad Zuse, Werner Heisenberg
« I M ......................................... ............................................
Aus d e r W i r t s c h a f t

Der Europäische Bl(e)ne(n)markt

Zukunftsmarkt EU vor Beginn des Binnen­


markts (in SZ vom
ln Artikel 8a des EWG-Vertrags heißt es:„Der Binnen­ 28.12.1992): Der Politik der
markt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in Liberalisierung und des
dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleis­ Freihandels stellen sich
tungen und Kapital... gewährleistet ist." Und seit dem Protektionismus und nationale Interessen entgegen.
1.1.1993 ist er„verwirklicht“; allerdings klaffen Wunsch Kritik betrifft vor allem die Brüsseler „Regulierungs­
und Wirklichkeit noch auseinander. wut"; man spricht von den „Eurokraten" in Brüssel (eine
Es ist schon vieles geschafft, aber eine Menge Probleme Wortbildung nach „Bürokraten"). Bisher sind Tausende
sind noch zu lösen. Die fortschreitende Erweiterung von „Rechtsakten" in Brüssel beschlossen worden, aus
der Europäischen Union birgt noch unzählige Aufga­ denen der Binnenmarkt derzeit zusammengesetzt ist;
ben, denn die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen über 90 Prozent sind bereits in nationales Recht umge­
den Ländern in der Gemeinschaft sind groß. setzt worden. Dass man sich dabei manchmal im
Detail verloren hat, ist nur allzu verständlich, z.B. bei der
Was wurde bisher getan? In den ersten zehn Jahren der Frage, welche Norm der Sitz eines europäischen Trak­
Europäischen Gemeinschaft - seit 1958 - wurden tors haben sollte. Einsichtig ist allerdings, dass man nur
schnelle Fortschritte erzielt. Die sechs Gründungsstaa­ liberalisieren kann, was vorher harmonisiert worden
ten Deutschland, Frankreich, Italien,die Niederlande, ist,d.h. worüber in qualifizierter Mehrheit Überein­
Belgien und Luxemburg schafften alle Zölle und Quo­ stimmung in Brüssel besteht.
ten in ihrem Binnenhandel ab. Der Kapitalverkehr ist Im freien Warenverkehr soll der Grundsatz gelten, dass
seit 1990 frei, d.h. Gelder können über die Grenzen flie­ das in einem Land der Gemeinschaft hergestellte
ßen und angelegt werden, wodie Bedingungen am Erzeugnis auch gut ist, um im anderen angeboten zu
günstigsten sind. werden. In Wirklichkeit werden viele Einwände gegen
den freien Warenverkehr erhoben, um nationale Pro­
Und am 1.1.1993 sinc*dann auch die Grenzkontrollen für dukte zu schützen. Beispiele: Die Deutschen öffneten
einen Großteil des grenzüberschreitenden Verkehrs mit nur unwillig ihre Grenzen auch für Bier, das nicht den
Waren weggefallen. Der Reisende kann privat ohne Ein­ strengen Vorschriften für deutsches Bier entspricht;
schränkungen zum eigenen Bedarf einkaufen und die die Franzosen verteidigen die besondere Herstellung
Waren einführen. Waren, die gewerblichen Zwecken ihres Baguettes, um das typische Flair zu erhalten.
dienen, müssen weiterhin im Bestimmungsland ver­ Österreich machte vor dem Beitritt zur Bedingung,
steuert werden. Die Steuern - z.B. die Mehrwertsteuer dass typisch österreichische Ausdrücke gleichberech­
-s in d in den einzelnen Ländern der EU unterschiedlich tigt neben hochdeutschen Begriffen stehen,also
hoch; deshalb haben alle Import- und Exportunterneh­ „Tomate" und „Paradeiser“, „Blumenkohl“ und „Kar­
men eine sogenannte Identifikationsnummer bekom­ fiol", „Schlagsahne" und „Schlagobers". Einig ist man
men, unter der alle Lieferungen innerhalb der EU zen­ sich, dass die kulturelle Vielfalt in der Gemeinschaft
tral gemeldet werden müssen. erhalten bleiben muss. Mit der Produktion von Spezia­
„Eine simple Idee - aber schwer zu verwirklichen“, hieß litäten, die nicht einer Richtlinie entsprechen, wird
eine Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung" kurz letztlich das Angebot vergrößert. Außerdem ist anzu-
144 Aus d e r W i r t s c h a f t

nehmen, dass der Kunde das besondere, wenn auch Das Stichwort
teurere Produkt dem billigeren, aber uniformen aus Institutionen der Europäischen Union
der fernen Fabrik vorziehen wird. Neben Frankfurt stehen auch die Standorte weiterer
Institutionen fest; der Europäische Rechnungshof: Brüs­
Große Sorgen macht die Umweltpolitik. 1987 wurde in sel; die Europäische Umweltagentur: Kopenhagen;die
einer Akte ihre Notwendigkeit festgeschrieben. Man Arzneimittelagentur: London; die Polizeistelle Europol:
schätzt, dass mit dem freien Warenverkehr der Güter­ Den Haag; die Europäische Drogenüberwachungsstelle:
transport auf Straßen und Autobahnen weiter zuneh­ Lissabon; die Europäische Stiftung für Berufsbildung:
men w ird -zu m Nachteil der Menschen und der Turin; das Übersetzungszentrum: Luxemburg (weitere
Umwelt. Wachstum, Binnenmarkt und die Öffnung der Institutionen auf S. 176).
Grenzen zu Osteuropa addieren sich negativ.
Insgesamt erwarten die Europäer von der europäischen
Die EFTA-Länder Finnland,Österreich und Schweden Integration, dass sie wirtschaftliche Vorteile bringt,
erweiterten 1994 die Union von 12 auf 15 Mitglieder. neue Absatzmärkte, mehr Stabilität und eine bessere
Trotz vieler Schwierigkeiten im Detail war der Binnen­ Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Der Euro­
markt für sie attraktiv. Die Beitrittsländer Mittel- und päische Binnenmarkt allein ist mit über 400 Millionen
Osteuropas sehen mit Recht deutliche Vorteile in der Verbrauchern der größte gemeinsame Markt der Welt.
EU, obwohl die Unterschiede und Gefahren noch gra­ Europas Regierungschefs suchen nach einer Wirt­
vierend sind. Deutschland ist immerein starker Befür­ schaftsordnung, die die Länder wettbewerbsfähig im
worter fürseine östlichen Nachbarn gewesen. Bei den globalen Wettbewerb macht, ohne die soziale Markt­
Bürgern herrscht allerdings eine gewisse Skepsis, weil wirtschaft zu gefährden. Ohne eine soziale Komponen­
die Reformen innerhalb der EU nur langsam vorankom­ te in der Politik würden Regierungen in vielen europäi­
men: die Reform der EU-lnstitutionen,die Reform der schen Ländern die Unterstützung ihrer Bürger verlie­
Agrarpolitik,die Stabilisierung der Ausgaben. Aber Öff­ ren. Die soziale Marktwirtschaft, wie sie in Deutschland
nung bedeutet auch Chancen und Handel in neuen in den Fünfzigerjahren entwickelt wurde, soll Vorbild
Märkten. Die Bilanz fällt positiv aus. fürdie EU bleiben. Die EU-Kommission wacht über die
Wettbewerbspolitik. Sie verhindert die Entstehung von
In Handelsfragen ist die Gemeinschaft, nicht mehr der Kartellen, die Wettbewerber aus den Markt drängen
einzelne Mitgliedsstaat, zuständig. Sie unterzeichnet könnten, begrenzen staatliche Hilfen und stützen sich
Handelsabkommen und hat auch die internationalen auf Wettbewerb, Liberalisierung und den freien Markt,
Verhandlungen zur Liberalisierung des Welthandels Dass sich die Staaten in der Auffassung der richtigen
(GATT = Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen; Wirtschaftpolitik unterscheiden, ist innerhalb der EU
seit 1.1.1995 WTO = Welthandelsorganisation) geführt. nicht zu vermeiden. Während die einen auf die Kräfte
Kommission und EU-Agrarminister genehmigen des Marktes setzen,fordern andere mehr staatlichen
Importe in die Gemeinschaft, z.B. die Einfuhr von Gen- Einfluss.
Mais aus den USA. Allen gemeinsam ist die Rücksicht auf die Bürger und
Wähler. Die Bürger dürften nicht das Gefühl haben,
dass es nicht mehr gerecht zugeht, dass die Unterneh­
Aus d e r W i r t s c h a f t

men verdienen und bei den Arbeitnehmern nichts Umweltsorgen


ankommt und dass Menschen im Niedriglohnsektor so
wenig verdienen, dass am Monatsende nichts mehr
Belastun ge n der Um welt_____________
übrig bleibt. Da ca. drei Viertel der Deutschen die Ver­
Eines ist sicher: Die Umwelt hat von der Vereinigung
teilung von Einkommen und Vermögen als ungerecht
auf jeden Fall profitiert. Niemand hat vorher so genau
empfinden, wächst auch die Kritik an der sozialen
gewusst, wie schlimm es um Luft, Boden und Wasser
Marktwirtschaft, besonders im Osten des Landes. An
stand. Die ehemalige DDR war ein Umweltsünder ers­
der sozialen Frage wird sich die Zukunft entscheiden.
ten Ranges. Sie entließ mehr Schwefeldioxid und mehr
Staub in die Luft als die größere und wirtschaftsstärke­
D ie o r g a n is ie r t e S ic h e r h e it re frühere Bundesrepublik.
Auf Maßnahmen zur Luftreinhaltung, auch auf die
Wie bekämpft die Europäische Union das
Stilllegung von Industrien nach der Wende ist es nun
organisierte Verbrechen?-In Maastricht wurde 1992 die
zurückzuführen, dass die Schadstoffe Schwefeldioxid,
Gründung einer europäischen Polizeibehörde beschlossen,
Stickoxide und Staub erheblich zurückgegangen sind.
die r999 koordinierend tätig wurde: EUROPOL. Denn so
Es gelten Vorschriften wie z.B. die Technische Anleitung
vorteilhaft die Öffnung der Binnengrenzen für Wirtschaft
zur Reinhaltung der Luft und die Verordnung für Groß­
und Tourismus ist, so wenig darf sie der internationalen
feuerungsanlagen.
Kriminalität - Waffen- und Drogenhandel, Geldwäsche,
Die Bundesregierung hat schon 1982 mit Maßnahmen
Terrorismusbekämpfung -zugute kommen.
zur Luftreinhaltung und zum Schutz der Wälder begon­
EUROPOL in Den Haag (Niederlande) ist ein unionsweites
nen. 1986 wurde das Bundesministerium für Umwelt,
System zum Austausch von Informationen innerhalb
Naturschutz und Reaktorsicherheit eingerichtet und die
eines Europäischen Polizeiamtes. Es dient der Unterstüt­
Bundesländer bekamen ihre Umweltministerien. 2004
zung der Zusammenarbeit der Polizei. EUROPOL kann auf
entstand das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG),das
das Schengener Informationssystem (SIS) zurückgreifen,
den Anteil von Wind-, Wasser-, Sonnenenergie und Geo­
das wichtigste Fahndungssystem in Europa. Eine europa
thermie an der Stromerzeugung in Deutschland steigern
weite Vernetzung der Datenbanken wurde vorgenommen.
soll (2020:20%). Umfangreiche Fördermittel werden zur
2003 schufen die EU-Innen- und Justizminister eine zwei­
Verfügung gestellt.
te Sicberheitsbehörde: die europäische Grenzschutzagen­
Gewonnen hat nicht nur das Klima, auch Arbeitsplätze
tur Frontex in Warschau (Polen). Sie koordiniert die
sind im Wirtschaftzweig erneuerbare Energien entstan­
Zusammenarbeit der EU-Mitgliedsstaaten beim Schutz
den, wie das Bundesministerium für Umweltschutz,
der Außengrenzen (Landgrenzen, Flughäfen, Seegrenzen)
Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) meldet.
gegen illegale Einwanderung.
Schwieriger zu entscheiden ist, wie viele Arbeitsplätze
dagegen bei konventionellen Energieträgern verloren
Fr a g e n gegangen sind.
1. Welche positiven oder negativen Folgen können offene 2008 hat Deutschland die Förderung für erneuerbare
Grenzen haben? (Siehe S. 165, Schengener Abkommen) Energien sowie der Wärme-Kraft-Kopplung (Erzeugung
2. Werden Flüchtlingsrechte immer beachtet? von Strom und Wärme für Flaushalteund Industrie)
146 Aus d e r W i r t s c h a f t

Seitdem werden Berichte veröffentlicht, die zuerst noch


erhöht und ein Klimapaket beschlossen. Es steht mehr
„Waldschadensbilanzen" hießen, dann „neuartige Wald­
Geld für die Windkraft und für Biomasse zur Verfügung,
schäden" und schließlich „Waldzustandsbericht". Im
weniger für die Photovoltaik. Die Wärme-Kraft-Kopplung
Bericht 2004 wurde kein so düsteres Bild mehr gemalt.
gilt als besonders effizient und umweltschonend. Geför­ 31 statt 33 Prozent geschädigte Bäume wurden gemel­
dert werden auch Hausbesitzer,die mit Solaranlagen, det, aber der brütend heiße Somme 2003 und die Bor­
Holzpellets oder Wärmepumpen Energie erzeugen oder kenkäferplage lassen für die Zukunft nichts Gutes erwar­
ihre Häuser besser isolieren (Wärmedämmung,siehe ten. 2006 ist die Situation zunehmend ernst. Die Tan­
auch Öko-Häuser, S. 64). nenwälder verschwinden, auch verschiedene Laubbau­
Die G8-Staaten erkannten auf dem G8-Gipfel 2007 die marten sind betroffen.
Klimarealität an und einigten sich auf ein neues Klima­ (Aus dem Positionspapier des BUNDES zu zwanzig Jahren Waldsterben,
1992, ergänzt 2004 und 2007)
schutzabkommen 2009, da das Klimaschutzprotokoll
von Kyoto 2012 ausläuft. Alle nationalen und internatio­
nalen Maßnahmen zur Luftreinhaltung tragen auch zum
A ufgaben
weltweiten Klimaschutz und zurVerringerung des Treib­
1. Wissen Sie, was der BUND ist? (Siehe S. 79)
hauseffekts bei. Eine Entwarnung ist aber nicht in Sicht.
2. Vergleichen Sie die Bezeichnungen „Waldschadens- |
Die Erwärmung der Erde ist eine Gefahr, die weit gravie­
bilanzen", „neuartige Waldschäden" und „Waldzu­
render als derTerrorismus ist. Noch sind die schlimmsten
standsbericht". Was lesen Sie daraus ab?
Auswirkungen gemeinsam unter Umständen lösbar.
3. Wie werden Umweltprobleme in Ihrem Land
diskutiert? Und welche?
Lesen Sie den folgenden Auszug aus einem Papier des
BUNDES (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutsch­
Die Luftreinhaltung ist nur ein Aspekt in der Palette der
land), der größten Naturschutzorganisation in Europa.
Umweltsorgen. Die Reinhaltung des Wassers, Verbesse­
rungen zum Schutz von Flüssen und Seen sind ebenso
W a ld s t e r b e n in Raten Gegenstand der Umweltpolitik. Die EU fördert nachhal­
Seitfast 30 Jahren macht der BUND auf das Waldster­ tiges umweltbewusstes Wirtschaften, weil grenzüber­
ben aufmerksam. Hinweisschilder mit dem Text:„Hier schreitende Lösungen einfacher geworden sind. Sie
sterben die Kiefernwälder" stellte der Bund Naturschutz finanziert Live-Projekte und Renaturierungen, wobei es
schon 7972 im bayerischen Kelheim auf. Es hagelte Pro­
die Ökologie schwer hat gegenüber der Ökonomie.
teste, die Schilder mussten entfernt werden. Zwei Jahre
Eine Studie des Europäischen Umweltamts stellte fest:
später bestätigte der Umweltminister den Befund. Es
Noch viele Gewässer, auch das Trinkwasser, sind in
überschlugen sich bald darauf die Warnungen, und ein
Europa belastet. Sie lobte aber, dass Abwässer heute
Spruch wurde in die Welt gesetzt - klar und kompromiss­
los: „Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch." seltener in Flüsse und Seen geleitet werden. Flüsse und
Zukunftsvisionen zeigten Steppenlandschaften und Seen sind sauberer geworden und werden zum Teil
Fotovergleiche von Wäldern:früher- heute. Berichte und renaturiert, das heißt in einen ursprünglichen Zustand
Dokumentationen über das Waldsterben und den Sau­ zurückverwandelt. Internationale Konferenzen zum
ren Regen überschwemmten die Republik, der Nerv der Schutz der Nordsee wurden einberufen, um die Schad­
Gesellschaft war getroffen. stoffe zu verringern.
Aus d e r W i r t s c h a f t 147
D e u ts c h la n d s C 0 2-B ila n z
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D ie D eu tsch e U m w e lth ilfe e.V.
u n te rs tü tz t se it der W e n de
U m w e lts c h u tz P rojekte in den
neuen B u n desländern.
Sieben Alpenstaaten - Österreich, Deutschland, Frank­ Fördern Sie diese wichtige Arbeit
reich, Italien, Schweiz, Liechtenstein, Slowenien- mit einer Spende und fordern Sie
unser Informationsmaterial an.
haben eine „Übereinkunft zum Schutz der Alpen"
Bitte DM 5 ,-- in Briefmarken
(Alpenkonvention) auf den Weg gebracht und sich für beilegen!
den Schutz eines grenzüberschreitenden Ökosystems Spendenkonto: Frankfurter y Q Q " 7
Sparkasse* / y J /
ausgesprochen. (B IZ 500 502 01) D l EL E K D E
Deutsche l JmwclthiIfc
G ültingerS lr. 1 9 ,7 8 3 1 5 Radoltzell

A lp e n b r a u c h e n n o ch m e h r S c h u t z h #
4? T
Nürnberg (dpa) -Angesichts der Lawinenkatastrophen /y *
hat der Bund Naturschutz die Umsetzung der bereits
.3 - :
Braucht m * * «
7995 in Kraft getretenen Alpenkonvention angemahnt.
„Die Missachtung der Grenzen ökologischer Belastbarkeit
des hochsensiblen Alpenraums rächen sich jetzt bitter“,
sagte der bayerische Landesbeauftragte in Nürnberg. Die
Alpen dürften nicht längerfü r kurzsichtiges touristisches
Gewinnstreben au f dem Rücken der Natur und auf Kos­
ten von Menschenleben missbraucht werden. Der Bund
Naturschutz will die mangelhafte Umsetzung der bereits
iggi Unterzeichneten Alpenkonvention nicht länger tole­
rieren. In den Bergwäldern darf es keine Kahlschläge
mehr geben. Die überhöhten Reh-, Gams- und Rotwildbe­
stände müssten drastisch reduziert werden. Auch der
Ausbau von Skigebieten in schutzwürdigen und empfind­
lichen Bereichen müsse gestoppt werden. Das Abschmel­
zen der Gletscher birgt neue Gefahren, da das Zurückge­
hen des Eises und damit des Dauerfrostes zu gewaltigen
Bergrutschen und Felsabgängen führt.
Solaranlage
(nach: SZ vom 27J 28.02.rggg; ergänzt 2006. siehe, auch S. 79)
148 Aus d e r W i r t s c h a f t

Das Bundesnaturschutzgesetz schafft Möglichkeiten, Kohle, Erdgas und Kernkraft. Sonne,Wasser,Wind und
Gebiete zu Nationalparks zu erklärendere und Pflan­ Biomasse haben den größten Anteil an den alternati­
zen sind dann besonders geschützt. Heute gibt es ven Energiequellen. Bauern können von Biogas-Anla­
Nationalparks an der Nord- und Ostsee, in Mecklen­ gen profitieren. Windkraftwerke brauchen gute Wind­
burg-Vorpommern, Sachsen (Sächsische Schweiz) und verhältnisse; sie entstehen u.a. in Form von Offshore-
Bayern (Bayerischer Wald und Berchtesgaden). Parks in der Nordsee, werden von der Politik gefördert,
gelten aber bei Naturschützern als umstritten.

Alternative Energien und Klimaschutz Auch die Energiegewinnung aus Sonnenlicht wird über
das Eneuerbare-Energien-Gesetz gefördert. Der
Derzeit wird ein Drittel der Energie durch die 17 deut­ umweltbewusste Bürger ist bereit, sein Kraftwerk auf
schen Atomkraftwerke geliefert. Der hohe Sicherheits­ dem Dach zu installieren, auch wenn die Kilowattstun­
standard in Deutschland wird immer wieder beschwo­ de etwas teurer ist, und sparsam mit dem Strom umzu­
ren, aber eine langfristige Entsorgung radioaktiver gehen. Das Gesetz verpflichtet die großen Stromversor­
Abfälle ist weltweit nicht in Sicht. Der Atomausstieg ist ger, privat erzeugten Strom abzunehmen und zu
für 2021 vorgesehen. Die Stromversorgung wird durch bezahlen. Das Engagement der Kommunen für den
einen Mix aus regenerativen Energien, Kernenergie, Umweltschutz und für nachhaltige Entwicklungen ist
Strom aus Stein- und Braunkohle gesichert. groß, Beispiel Gelsenkirchen: Schüler versteigerten
Alternative Energiequellen sind unerschöpflich, sie wer­ überflüssige Dinge im Internet und bezahlten mit dem
den nicht durch einmalige Nutzung verbraucht wie Erlös Projekte in Schulen und Entwicklungsländern. Bei
Kohle und Erdöl. Man nennt sie deshalb auch erneuer­ München wurden Bürgersolaranlagen auf öffentlichen
bare Energien. Dazu gehören Wasserkraft, Wind-, Son­ Gebäuden eingerichtet, denn unzweifelhaft ist, dass
nen- und Bioenergie sowie Geothermie. Der Anteil an die Klimaschutzziele nur gemeinsam mit dem Einsatz
der Energieerzeugung ist im Jahr 2007 auf 6,7% gestie­ der Bürger erreichbar sind. Der Staat bewilligte über
gen, und der Prozentsatz erhöht sich stetig. Die EU peilt 100 Forschungsprojekte im Bereich erneuerbare Ener­
für 2020 20% an. gien neben den umfangreichen Fördermitteln der EU.
30 % bis 2030 wären realisierbar, allerdings nur, wenn Er fördert Erdwärmekraftwerke, Gebäudesanierung
Förderung und industrielle Massenproduktion von und Marktanreizprogramme für erneuerbare Energien.
Anlagen Zusammenkommen würden. Die wichtigsten
Energieträger sind deshalb nach wie vor Mineralöl, Deutschland ist auf dem Wege, eine führende Rolle in
der Produktion von Solarzellen und Windkraftanlagen
einzunehmen. Das Fraunhofer-Institut für Solare Ener­
giesysteme in Freiburg (Baden) ist weltweit bekannt
für seine Solarforschung.

Durch sparsamere Autos und ein sparsames Umgehen


mit Energie in den privaten Haushalten kann die Öko-
Effizienz verbessert werden. Sorgen machen allerdings
1% I inoribulini
7% Bus.
. U- und S-Bahn

A
0 .5 % S o n stig e
(Flugzeug, Taxi)
8 % Fahrrad
die Kraftwerke, vor allem die Braunkohlekraftwerke, die
die größten Umweltverschmutzer sind. Braunkohle, die
mehr C0 2 freisetzt als Steinkohle und Erdgas, ist in Ost­ 3 6 % Fußgänger J
deutschland reichlich vorhanden. Doch vor 2020 ist
wohl keine serienreife Lösung in Sicht. Dämpfend sollen
sich Umweltmaßnahmen auswirken, die die Stromer­
zeuger und das produzierende Gewerbe verpflichten,
Emissionszertifikate zu kaufen.

Das Stichwort Emissionshandel Jeder Zweite fährt mit dem Auto


Seit 2005 gibt es den Handel mit Emissionsrechten Ab 8j Prozent oller Deutschen sprachen sich in einer Emnid-Umfrage dafür aus,
den Autoverkehr in Innenstädten drastisch einzuschränken. Jeder Zweite befür
2013 müssen Kraftwerke und Industriebetriebe, die kli­ wortete eine autofreie City. Die Praxis: Bundesbürger legen fast die Hälfte aller
maschädliches Kohlendioxid in die Atmosphäre abge­ täglichen Wege mit dem Auto zurück. Ein Drittel der Strecken zur Arbeit oder
zum Einkäufen gehen die Deutschen zu Euß. Für acht Prozent der Wege neh
ben, ihre Emissionsrechte für die Produktion kaufen. men sie das Rad. fü r sieben Prozent öffentliche Verkehrsmittel. Gründe: schlech
Europa möchte Vorreiter in der Klimapolitik sein und die te Verbindungen, lange Wartezeiten.
Lasten in den einzelnen Ländern gleichmäßig verteilen.
Ökonomie und Ökologie sollten kein Gegensatz sein, Verkehrswege
was aber schwierig zu realisieren sein wird.
Die dicht besiedelte Bundesrepublik hat auch eines der
Die Stromerzeuger arbeiten deshalb fieberhaft an der dichtesten Verkehrsnetze der Welt: ein Autobahn- und
Entwicklung neuer Verfahren zur Verflüssigung von Fernstraßennetz von 53000 Kilometern,ein Eisenbahn­
C0 2,das unterirdisch gelagert werden könnte. Die streckennetz von 41 000 Kilometern, Häfen und Wasser­
Technologie heißt CCS {= Carbon Capture and Storage); straßen und ein enges Luftverkehrsnetz im schon über­
das Kraftwerk Schwarze Pumpe in Brandenburg ist der füllten Luftraum über Mitteleuropa.
Vorreiter. Trotzdem müssen die Verkehrsnetze weiter ausgebaut
Die Kurve, die den C0 2-Anstieg anzeigt, steigt aber wei­ werden. Und das hat verschiedene Ursachen: Im Europäi­
ter. Durch die Erwärmung der Erdatmosphäre schmel­ schen Binnenmarkt ist Deutschland zum Transitland für
zen die Gletscher; man befürchtet auch, dass sich die Europa geworden. Mit der Erleichterung der Handelsbe­
Meeresströmungen verändern. Die Bilanz lautet: ziehungen zu den ost- und südosteuropäischen Ländern
a) erneuerbare Energien: 30 % der Energiequellen noch sind auch hier neue Verkehrsströme entstanden. Die bis­
lange nicht erreicht; her getrennten Verkehrsnetze von Ost- und West­
b) Atomstrom: gefährlich und teuer, aber umwelt­ deutschland wurden zusammengeführt. Um die Wirt­
schonend; schaft durch Entwicklung der Infrastruktur in Gang zu
c) C0 2-Kurve steigt. bringen, entstanden in Ostdeutschland neue Autobahn­
verbindungen: Die Ostseeautobahn und die Thüringer-
Wald Autobahn mit 31 Brücken und Deutschlands längs­
tem Tunnel sind fertiggestellt.
Aus d e r W i r t s c h a f t

Daneben hat die zunehmende Mobilität in unserer Gesell­ allem im Nahverkehr, wäre aber die Voraussetzung. Das
schaft zu mehrVerkehr in den Ballungsräumen geführt; würde der Bahn die notwendigen Pluspunkte bringen.
der Bau von Umgehungsstraßen und die Berücksichti­ Von den Bürgern angenommen wurden die guten Fern­
gung des Umweltschutzes (Maßnahmen gegen Lärm) verbindungen, die Zeit und Geld sparen. Intercity- und
sind zu einerweiteren wichtigen Aufgabe geworden. ICE-Züge verkehren zwischen den Großstädten im Stun­
Deutschland ist wie Österreich und die Schweiz auch dentakt. DerfranzösischeTGV und der deutsche ICE kon
Durchgangsland nach Süden. Die Autobahn München - kurrieren auf den europäischen Flochgeschwindigkeits-
Kufstein (= deutsch-österreichische Grenze) - Innsbruck- verbindungen. Zu diesem Zweck werden die Strecken für
Brenner-Pass (= österreichisch-italienische Grenze) ist höhere Geschwindigkeiten ausgebaut.
eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen für den Per­
sonen- und Güterverkehr über die Alpen. Die folge ist Die großen Flüsse Donau, Rhein, Elbe, Main, Weser sind
eine starke Umweltbelastung für die AI penregion, gegen zum großen Teil schiffbar und haben eine erhebliche
die sich Österreich mit Tempolimits oder Nachtfahrver­ Bedeutung für den Gütertransport. Hinzu kommen
bot schützt. Der Bau eines Basistunnels zur Entlastung künstliche Wasserstraßen,die Meere (Nord-Ostsee-
der Brenner-Strecke ist in Planung, wird aber frühestens Kanal) und Flüsse (Mittellandkanal, Main-Donau-Kanal,
nach dem Jahr 2020 betriebsbereit sein. Elbe-Flavel-Kanal) miteinander verbinden. So ist ein Was­
serstraßennetz zwischen den großen Seehäfen und den
Die Politik vernachlässigt die Bahn gegenüber der Straße Industriezentren entstanden. Für die Nutzung der Was­
und die Bundesbürger bevorzugen das Auto trotz hoher serstraßen spricht die Sicherheit und die hohe Umwelt­
Benzinpreise. Auch der Güterverkehr wird noch größten­ verträglichkeit.
teils mit dem Lkw bewältigt und er steigt bedrohlich.
So ist das Auto, das Verkehrsmittel Nummer eins, Deutschland hat 19 internationale Flughäfen. Drehschei­
zugleich das größte Sorgenkind. Über 35 Millionen Autos be im deutschen Flugverkehr ist der Rhein-Main-Flugha-
gibt es allein in der Bundesrepublik. Besonders der fen in Frankfurt. Hier starten und landen über 50 Millio­
Güterverkehr per Lastwagen steigt bedrohlich. Die Folge nen Fluggäste im Jahr. Die Deutsche Lufthansa hat sich
ist, dass immer mehr Schadstoffe die Umwelt belasten nicht nur im Passagierverkehr,sondern auch im Fracht­
und dertotale Stau in greifbare Nähe rückt.Positive Ent­ verkehreinen Namen gemacht. Mit der Vereinigung ist
wicklungen bahnen sich aber vorsichtig an: Umweltzo­ auch das Streckennetz für die deutschen Fluggesell­
nen in den Innenstädten und moderne Verkehrsleitsys­ schaften größer geworden. Im getrennten Deutschland
teme. Doch die Autoindustrie hat die Entwicklung durften nämlich nur die Fluggesellschaften der Alliierten
umweltfreundlicher Motoren zugunsten teurer und nach Berlin fliegen. 1990 nahm die Lufthansa den Berlin-
gewinnbringender Fahrzeuge vernachlässigt. Nach einer Verkehr auf. Mit der Star-Alliance knüpft sie ein weltwei­
neuen EU-Abgas-Richtlinie sollen alle Fahrzeuge in Klas­ tes Netz von Partnerschaften, das inzwischen 24 interna­
sen eingeteilt werden, je nach Verbrauch und Emissions­ tionale und regionale Fluggesellschaften umfasst.
werten, Da werden die Firmen die Nase vorn haben, die Der Großflughafen Erding bei München entwickelt sich
umweltverträgliche Autos bauen. zu einem weiteren Luftverkehrsknotenpunkt. Er ist mit
Die Devise „Umsteigen auf Bus und Bahn" ist gut ge­ 28 Millionen Passagieren Nummer zwei in Deutschland
meint; eine bessere Vernetzung der Verkehrssysteme, vor und Nummer acht in Europa.
Aus d e r W i r t s c h a f t 151

Neue Technologien Im Brennpunkt steht seit Jahren die Gentechnik. Das


Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dieser neuen
Deutschland ist führend auf Gebieten derTelekommu- Technologie hat dazu geführt, dass Landwirte gentech­
nikation, der Industrieroboter und der Präzisionsinstru­ nikfreie Zonen ausrufen und der Anbau zurückgegan­
mente. Als Forschungsstandort hat es ein beträchtli­ gen ist. In der EU gilt seit 1990 eine Richtlinie, die 12
ches Potenzial: 20 000 forschende Industrieunterneh­ gentechnisch veränderte Organismen zulässt, unter
men, über 300 Hoch- und Fachhochschulen,16 Groß­ anderem einige Sorten von Mais und Raps. Diese Richt­
forschungsanlagen, 66 Max-Planck-Institute und 47 linie gilt seit Anfang 2004 auch für Deutschland. Das
Fraunhofer-Institute (Erfindung des MP3-Verfahrens). Gesetz sieht eine Kennzeichnungspflicht vor, die dem
Traditionsgemäß betreiben Universitäten Grundlagen­ Verbraucher die Möglichkeit geben soll nachzuprüfen,
forschung und die Industrie vorrangig Forschung, die was in dem Lebensmittel enthalten ist. Der Verbrau­
auf Anwendung zielt. cherschutz bemüht sich, die Rechte der Bürger zu stär­
Die Diskussion um die richtige Technologiepolitik gerät ken. Bio-Produkte sind hoch im Kurs, und die Bio-Bran-
immer wieder in die Schlagzeilen. Sorge besteht, dass che wächst, wenn auch langsamer als in den letzten
die wichtigen Zukunftstechnologien in der Forschung Jahren. Es entstehen gentechnikfreie Zonen.
zu kurz kommen. Ein Bericht des Bundesforschungs­
ministeriums belegt, dass deutsche Wissenschaftler Ein besonderes Kapitel der Hochtechnologie ist die
am meisten in der Energieforschung und der Chemie, Luft- und Raumfahrt. Hier ist internationale Zusam­
der Informations- und Kommunikationswissenschaft, menarbeit gefragt; nationale Interessen stören aber
in Physik, Biotechnologie und Medizin veröffentlicht allzu oft die Harmonie.
haben. Zurückgefallen ist Deutschland vor allem in Das erfolgreiche europäische Verkehrsflugzeug Airbus
Spitzentechnologien wie der Datenverarbeitung und bauen Firmen in Frankreich,
der Mikroelektronik; im letzten Jahrzehnt aufgeholt hat Deutschland, Großbritannien,
es in der Halbleiterindustrie (Mikrochips), und zwar Spanien, Belgien und Italien.
durch internationale Kooperation. Führend ist die Bun­ Kurz- und Mittelstreckenflug­
desrepublik in der Umwelttechnologie. zeuge aus dem Airbus-Pro­
Im Vergleich zu den Wirtschaftsregionen München, gramm werden komplett in
Berlin, Hamburg, Köln / Bonn, Rhein-Main, Leipzig / Hamburg zusammengebaut
Halle und Dresden nimmt die Region Stuttgart den und ausgeliefert.
Spitzenplatz ein. Verglichen wurden die Ausgaben für Der neue Airbus A 380, das
Forschung und Entwicklung, die Zahl der Patente,Tech­ Ergebnis europäischer Zusam­
nologietransfer von Hochschulen in die Betriebe, Pro­ menarbeit, bricht alle Rekorde:
duktivität, Qualifikation der Beschäftigten und der Er bietet auf zwei Etagen für 555
Arbeitsmarkt. Schwerpunkt sind die Automobil- und bis 853 Passagiere Platz. Er ist
die Maschinenbauindustrie. Innovationsfreudig sind in leicht, verursacht nach Herstel­
Deutschland besonders kleinere und mittelgroße lerangaben bis zu 20 Prozent
Unternehmen, da flexible Strukturen und Unterneh­ niedrigere Betriebskosten und
menskultur kreative Kräfte am ehesten fördern. verbraucht
152 Aus d e r W i r t s c h a f t

13 Prozent weniger Treibstoff. Wegen seiner Größe ist zeugen und Autos zu ermöglichen. Piloten, Rettungs­
aber die Zahl der Flughäfen, die den Riesenvogel abfer­ dienst, Autofahrer können dann direkt und schnell an
tigen können, noch begrenzt (Länge:73 m,Spannweite: ihr Ziel gelangen und Touristen finden ihr Hotel, wenn
79,8 m, Reichweite: 15 000 km). Die Entwicklungskos­ sie den Ort eingeben. Der Einsatz ist ab 2013 geplant;
ten betragen fast 12 Milliarden Euro. Standort der Satellitenüberwachung wird Oberpfaffen­
hofen bei München sein.
Die von der europäischen Raumfahrtbehörde ESA Die D-2-Mission in Zusammenarbeit der DARA (Deut­
(European Space Agency in Paris) entwickelte Träger­ sche Agenturfür Raumfahrtangelegenheiten in Bonn)
rakete Ariane befördert Satelliten in den Weltraum und mit der ESA und der NASA warein Weltraumflug unter
sichert damit den Europäern den unabhängigen deutscher Leitung. Im JahrrggS wurde die internatio­
Zugang zum Weltall. Sie startet vom europäischen nale Raumfahrtstation ISS gestartet; sie wird frühes­
Raumfahrtzentrum Kourou in Französisch-Guayana. tens 2010 fertiggestellt sein. Die ISS-Station ist größer
Die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) als ein Fußballfeld und jagt mit 29 000 Stundenkilo­
weist auf ihre zentrale Rolle bei Schlüsseltechnologien metern durch den Weltraum. An klaren Tagen ist sie hin
wie der satellitengestützten Telekommunikation und und wieder am nächtlichen Himmel zu sehen.
der Navigation hin. Europäische Umweltsatelliten wie Die bemannte Raumfahrt ist heute teurer als vor drei­
Envisat oder Metop liefern Daten für die Beobachtung ßig Jahren zur Zeit der Mondlandung, weil die Ansprü­
von Wirbelstürmen und damit fürfrühzeitige Ret­ che an Sicherheit gestiegen sind. Fast alles, was ein
tungseinsätze. An dem Unternehmen Arianespace sind Mensch zum Beispiel auf dem Mars tun kann, lässt sich
zwölf europäische Staaten beteiligt. aber auch von Robotern erledigen. Kameras aus
Deutschland waren schon bei der Mars-Mission 1994
Ein weiteres Projekt der Europäer ist das Navigations­ dabei und beobachteten auch in der amerikanischen
system „Galileo", ein Konkurrenzprodukt zum amerika­ Spirit den „roten Planeten". Die europäische Mars-
nischen GPS. 30 Satelliten, die von Ariane-5 und Sojus- Sonde Mars-Express wurde 2003 gestartet, zerschellte
Raketen ins All befördert werden, sollen die Erde in aberauf dem Planeten: Die Mars-Missionen werden
2400 Kilometer Höhe umkreisen, um eine zielgenaue, weiterentwickelt.
sehr präzise Positionsbestimmung von Schiffen, Flug­
Während die Kohle- und Stahlindustrie in der Krise
stecken, entstehen neue Märkte. Die Reinhaltung
von Wasser, Boden und Luft gibt der Umwelttech­
nikbranche große Chancen für die nächsten Jahre.
Man schätzt, dass allein in den neuen Bundeslän­
dern hohe Investitionen für die Sanierung der
Umwelt benötigt werden. Das betrifft die Trink­
wassergewinnung, den Bau von Recyclinganlagen
und von emissionsarmen Kraftwerken.

Fünf Schüler aus Deutschland nahmen an dem


Nachhaltigkeits-Seminar in den USA teil. Die Themen
Klimaschutz und Wasser waren Schwerpunkte der zwei­
wöchigen Studien. Schülerstipendien sind Bestandteil
des Bayer-Klimaprogramms.
Aus d e r W i r t s c h a f t 153

Evolution der Medien ’Z “S Z !I


1450-2010 ernst t \
»990 digitale* MobMonii i i
198? DAT i 1 M e ld un g en aus der Presse:____________
‘ 983 vf>-Player j )
1982 Büdplattcnspiclfr i 1
1981 PC >
1980 017. 4
H im m e ls s p ä h e r im O rb it
1978 Video und Kabri-TV #
1971Satelliten-TV • Das Deutsche Zentrum fü r Luft- und Raumfahrt DLR ist der
1954 femsehen m Auftraggeber: Der Radarsatellit TerrasarX wurde in Russ­
'.950 Io» bandg • land in den Orbit geschossen und umkreist nun die Erde
Rundfunk m
1897 drahtlose» Telegraph # alle 95 Minuten. Ein Radar liefert Bilder von der Erde, die
1895 r ilm
1577 Phwoyuiph af
1875 Telefon
Details von sechzehn, drei oder einem Meter zeigen. Im
1840 Elektrische» Telegraph
1829 Photographie^#^ Gegensatz zu fotografischen Satelliten kann er auch nachts
1682 Zelischrtft und durch Wolken hindurch sehen. Die Aufnahmen werden
1609 Zeitung
1450 Buchdruck^__—— " von Forschern sowie auch kommerziell genutzt.
I I 1 | 1 1 (nach SZ vom 16./17.06.2007)
14 0 0 15 0 0 16 0 0 17 0 0 18 0 0 19 0 0 2 0 10

D ie P o la rs te rn
Die Polarstern, eines der leis­
Ein besonderes Kapitel ist die Abfallverwertung. Entsor-
tungsfähigsten Polarfor­
gungs- und Abfallberatungsfirmen entstehen. Das Bun­
schungsschiffe der Welt, wird
desforschungsministerium hilft neue Stoffe zu entwi­
vom Afred-Wegener-institutfür Polar- und Meeresfor­
ckeln, die wieder zu verwerten sind, und Verfahren zu
schung (AWI) in Bremerhaven betrieben. Sie dient der Erfor
finden, die Ressourcen schonen und Abfall reduzieren.
schung der Polarmeere und versorgt die ständig besetzten
Forschungsstationen in der Arktis (Koldewey-Station) und
Zu den Boom-Branchen zählt die mobile Kommunikati­
Antarktis (Neumayer-Station II). Mit ihren 20 000 PS starken
on (Mobilfunk), die mit mehreren Netzbetreibern ihre
Motoren kann sie bis zu 15 m dickes Eis mit einer Geschwin
Dienstleistungen anbietet.
digkeit von ca. 5 Knoten durchfahren. 2004/05 legte die
Diese Netze sind fast flächendeckend in Deutschland
Polarstern an einer Eisscholle im Weddell-Meer (Antarktis)
ausgebaut. Der einheitliche europäische Standard -
an, um die Einflüsse des Meeres, des Eises und der Atmosphä­
GSM-ermöglicht das Telefonieren über Grenzen hin­
re auf die globalen Veränderungen zu erforschen. 2006/07
weg und hat sich weltweit durchgesetzt.
war sie überein Jahr lang in der Antarktis unterwegs.

Neun deutsche Forschungseinrichtungen, u.a.dasGeo- N e u e P o la r s t a t io n


forschungszentrum in Potsdam (GFZ) und das Deutsche
BREMEN - Deutschland will seine Spitzenstellung in der
Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), haben ein tech­
internationalen Polarforschung weiter ausbauen. So wird
nisch neuartiges Tsunami-Frühwarnsystem entwickelt
der Bund den Bau der 26 Millionen Euro teuren neuen
und gemeinsam mit indonesischen Behörden in Betrieb
Polarstation Neumayer III in der Antarktisfinanzieren.
genommen. Bojen, Seismometer und Sensoren am Mee­
Zusammen mit der ESA, der Europäischen Weltraumorgani­
resboden sollen innerhalb von Minuten Alarm auslöscn.
sation, der 77 europäische Staaten angehören, wird ein neues
Baukonzept mit den modernsten umweltschonenden Baustof­
fen erprobt, wie sie n ur in der Raumfahrt eingesetzt werden,
(nach: Abendzeitung vom 27.07.2004: aktualisiert 2007)
Aus d e r W i r t s c h a f t

Bewusstseinswandel Die folgenden Auszüge seien Beispiele für die Stufen


dieser Entwicklung.
Drei große Problemfelder beschäftigten die Deutschen
seit 1989: das Problem der „inneren Einheit“,dann das Vorfünf Jahrenfand die unerhörte Begebenheit statt. Die
der Stellung in der Staatengemeinschaft mit der Gegen­ Mauerfiel, wir lagen uns in den Armen. Ein Beobachter
sätzlichkeit von Wirtschaftsmacht und politischem Ein­ erklärte: Die Deutschen sind jetzt das glücklichste Volk. Der
fluss und die Gestaltung der europäischen Einheit. Ahnungslose. Deutsche und glücklich? Das reimt sich
höchstens mal aus Versehen. Wir haben vor allem Proble­
Vierzig JahreTrennung ließen sich nicht von heute auf me zu haben und schwarz zu sehen und auf diese unsere
morgen bewältigen, bei allen Gemeinsamkeiten,auf Pflicht haben wir uns denn auch schnell genug wieder
die mit Recht verwiesen wird. War doch das Bild von besonnen: Die Berliner Mauer ist zwar gefallen, aber nun
den Geschwistern, die sich nach vierzig Jahren wieder Ist eine Mauer in den Köpfen entstanden. [...]
begegnen, nicht ganz aus der Luft gegriffen. Die Grenze
war über Jahrzehnte allzu undurchlässig und man Die Einigung warfü r uns der kürzeste Weg zu Freiheit
hatte sich nicht wie gute Nachbarn austauschen kön­ und Demokratie. Die Schwierigkeiten, die wir jetzt haben,
nen. Aber Willy Brandts Ausspruch, dass jetzt „zusam­ sind bescheiden im Vergleich zu den Schwierigkeiten, die
menwächst, was zusammengehört", entsprach den­ wir hätten, wenn wir uns nicht vereinigt hätten.... Wir im
noch der Realität. Osten haben vierzig Jahre nach Westen geblickt-heim ­
Meinungsumfragen haben inzwischen ergeben,dass lich, mit dem Fernseher. Diese Grenze, die uns nicht vor
sich viele Ostdeutsche auch fast zwanzig Jahre nach Feinden schützen, sondern am Weglaufen hindern sollte,
der Wende nicht anerkannt fühlen. Sie fordern soziale war das große Ärgernis. Wir wussten: Wenn siefallen
Gerechtigkeit und haben Zweifel am politischen Sys­ würde (woran wir kaum noch glaubten), wäre es aus mit
tem. Gemeinsam an den notwendigen Reformen arbei­ der SED. Und ganz offiziell hieß es ja : Diese Grenze ist
ten dürfte der wirksamste Ausweg sein. nötig, damit wir den Sozialismus auf bauen können, was
ja zugleich hieß: Sie wird entbehrlich, falls das Experi­
In den ersten Jahren der Wiedervereinigung war Identi­ ment auf der Farm der Tiere abgebrochen wird.
tätskrise das Schlagwort. Diskussionen zu den Themen Wir dachten tatsächlich ohne Arg, ihr freut euch, wenn
Nation und Nationalbewusstsein waren an der Tages­ wir kommen.[...]
ordnung. Dann trat eine Trendwende ein. Man fasste Und dann kam die Ernüchterung von 1990. Ich meine
wieder Mut und besann sich auf etwas mehr Selbstbe­ nicht das Gerangel um die Staatsverträge. Da hätten wir
wusstsein. In der Mitte Europas will Deutschland seine uns manches anders gewünscht, aber es war von vornhe­
Rolle innerhalb der Europäischen Union übernehmen rein klar: Hier stoßen sich die Interessen hart im Raum,
und für Ausgleich und Toleranz eintreten. Die Partner­ Patentlösungen gab es nicht und wir konnten nur bitten,
schaft mit Frankreich soll dabei das Fundament sein. nichtfordern.
Mit der Osterweiterung wird auch ein neues Kapitel in [...] Und dann hörten wir das befremdliche Bekenntnis:
der Nachbarschaft zu Polen aufgeschlagen, das von „Ich fühle mich in Paris mehr zu Hause als in Leipzig."
Überwindung der Skepsis, Zusammenarbeit und der Nichts gegen solche Gefühle. Niemand ist verpflichtet,
Aufarbeitung der Geschichte geprägt ist. sich in Leipzig zu Hause zu fühlen. Paris ist eine herrliche
Aus d e r W i r t s c h a f t

Stadt. Gefühle fallen unter den Schutz der Privatsphäre. Einigung.... In der DDR gab’s den Spruch:„Alle machen
Es ist nur die Frage, ob solche Gefühle zum Zensorfü r mit, keiner weiß Bescheid." Ganz so arg ist es im vereinig­
unerhörte Begebenheiten geeignet sind. [...] ten Deutschland nicht. Aber wir sind doch nicht deshalb
Das vereinigte Deutschland sei durch die Ungleichzeitig­ von vorgestern, weil wirerwarten, der Konsens über
keit bestimmt, liest man. Ich übersetze: Die im Osten sind nächste Schrille und nächste Ziele könnte größer und
zurückgeblieben. Zugrunde liegt die Vorstellung, da gäbe konkreter sein.
es einen (gesetzmäßigen? - so nannten das die Marxis­ (aus:„Sind wir ein Volk?" von Richard Schröder. Prode
ten) Gang der Entwicklung, und die Westler seien halt der theoloyischen Fakultät an der Humboldt-Universität Berlin, in: OER
SPIEGEL Dokument 2 vom März 1994. S. 9. <0/n. >3, >4)
weiter als wir im Osten. Wir müssen nachholen, also
Schüler werden. Nun ist daran jedenfalls dies richtig: Wir
haben im Osten Erfahrungsdefizite, die sich aus der Dik­ Deutschland und Europa-das ist das nächste große
tatur ergeben. Wir sind ungewohnt im freien Wort, unge­ Thema, das die Politik seit den Neunzigerjahren
wohnt im Umgang mit dem Rechtsstaat, ungewohnt in beherrscht. Hierzu einige Stimmen:
der Kunst der Selbstdarstellung und Selbstempfehlung
und manches mehr. Wir im Osten haben manchmal den Die Bundesrepublik sei ein wirtschaftlicher Riese und
Eindruck, in einigen dieser Künste seien manche Westler ein politischer Zwerg, meinte ein deutscher Politiker vor
allzu weitfortgeschritten, mehr Schein als Sein. Ungleich­ Jahren (Helmut Schmidt, Bundeskanzler von 1974 bis
zeitigkeit aber heißt etwas anderes: zurückgeblieben. Wir 1982). In dieser Rolle fühlte man sich in Westdeutsch­
seien, heißt es dann, noch auf dem Stand der Fünfziger­ land über Jahrzehnte recht wohl und war damit zufrie­
jahre. ... Wir hängen altdeutschen vordemokratischen den. Erst mit der Vereinigung setzte praktisch über
Mustern nach, wollen Gemeinschaft statt Streitkultur, Nacht die Diskussion über das nationale Selbstver­
autoritäre Führung statt bloß au f Legitimationsdefizite ständnis ein. Niemand war darauf vorbereitet und dem­
zu reagieren, verweigern uns dem notwendigen Moderni­ entsprechend widersprüchlich waren die Fragen und
sierungsschub und hängen rückwärtsgewandten Sehn­ vor allem die Antworten: Die einen verhielten sich vor­
süchten nach. Kurz: Wir sind eine Gefahr, weil wir einen sichtig und abwartend, die anderen preschten vor und
Rechtsruck befördern. plädierten für mehr Selbstbewusstsein. Einerseits ver­
knüpfte man die Zukunft des vereinigten Deutschland
[...] Gibt es das nicht, dass auch ihr ein ganz kleines biss­ eng mit der Entwicklung Europas, andererseits hatte
chen von unseren Erfahrungen lernen oder sie wenigs­ man einen Staat vor Augen, der sich verantwortungsvoll
tens versuchsweise interessiert zur Kenntnis nehmen in der Weltpolitik engagierte.
könntet? Wir haben etwas erlebt, das ihr nicht erlebt Inzwischen ist die Gestaltung und die Zukunft Europas
habt. Es ist natürlich ein bloßer Witz, dass wir nach vierzig in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.
Jahren just auf dem Stand der westlichen Fünfzigerjahre
gelandet sind. Das wäre ja eine seltsame prästabilisierte
Harmonie des Geschichtsablaufs.
[...] Ich beichte gern: Wir im Osten wünschen uns politi­
sche Führung, das heißt ein plausibles Angebot für die
nächsten Schritte und Ziele auf dem Weg zur deutschen
Aus d e r W i r t s c h a f t

Eu ro p a - ein M o d e ll? terstück „Learning Europe“auf, das ironisch, nachdenk­


Europa ist Vision und Realität zugleich. Beide Sichtweisen lich und lustig die eigene Kultur und die kulturellen
begegnen uns täglich in Zeitungen, Zeitschriften, Politi­ Unterschiede auf die Bühne brachte.
kerreden, aber auch in Ausstellungen und Initiativen ver­
schiedenster Art. Realität ist meist die ökonomische
Seite, Vision das Nachdenken über Staat, Union, Verfas­ 20 J a h re Fall der M a u e r - ein R ü c k b lic k
sung und das kulturelle Miteinander. 20 Jahre sind vergangen, seit die Berliner Mauer fiel und
In die Vision mischen sich auch kritische Töne. Richtig ist, die Menschen sich begeistert umarmten. Der Jubel
dass die Staaten Europas in ihrer Vielfalt sind nicht von damals hat allen vorgegaukelt, nun wäre das große Ziel
heute auf morgen unter einen „Deckel" zu bringen. Da der Einheit erreicht, das man vorher kaum fü r möglich
reichen 40 Jahre Binnenmarkt undfü n f Jahre gemeinsa­ gehalten hätte. Nun würde alles gut, den „Rest" würde
me Währung nicht unbedingt aus. Hoffnung machen man „mit links“ machen. In dieser Phase der Hochstim­
Umfragen unter Jugendlichen, die sich zu einem hohen mungfiel auch das Wort von den „blühenden Landschaf­
Prozentsatz durchaus als Europäer verstehen. ten" (S. 88), die unausweichlich kommen würden. Wer
zögerlich war, war nicht auf der Höhe derZeit.
Aufmerksam hört man auf den Publizisten Jeremy Rifkin,
der Europa Modellcharakter zuspricht. Und unbestritten Nach der Öffnung der Grenzen setzten sich die M en­
ist ja: Die europäischen Staaten haben es geschafft, dass schen in Ost und West spontan in ihre Autos und bereis­
staatsbürgerliche Rechte über den eigenen Staat hinaus ten den jeweils anderen, unbekannten Teil des Landes.
verbürgt werden. Die EU-Verträge reichen über die natio­ Man lud sich gegenseitig ein und wollte sich kennenler­
nalen Grenzen hinaus, die Gesetze haben Vorrang vor nen. Wer wusste schon im Westen, was ein „Broiler“ist
den nationalen Gesetzen. Eine Gemeinschaft, die auf oder ein Kombinat oder in welchem Zusammenhang das
Konsens aufgebaut ist, wo hat es das schon gegeben? Wort „Strecke“benutzt wird. Und wer wusste schon im
Zugegeben oftmals knirscht es und die nationalen Inte­ Osten, wozu ein Steuerberater gut ist und warum man
ressen kommen hoch, aber bisher ist es immer gelungen, Mehrwertsteuer bezahlen muss. Das waren verschiedene
widerstrebende Länder einzubinden. Welten, durch eine unüberwindbare Mauer und Todes­
Europa hat ein Parlament, eine Währung, einen Binnen­ streifen geteilt.
markt. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten ist die EU zur
drittgrößten politischen Institution geworden und zum Und heute? Überrascht stellt man fest, dass Ältere, die
größten Binnenmarkt mit 140 Großfirmen, die4 0 % des noch nicht drüben im Osten waren, an ihren Vorurteilen
Welthandels beherrschen. festhalten: zu ärmlich, zu viele Rechtsradikale, später,
Kulturell ist Europa eine Chance fü r gelebte Vielfalt. Uni­ wenn alles besser sein wird... Ganz anders die Jüngeren:
versitäten sind vernetzt und die Schulen gehen interna­ Sie sprechen von interessantem Flair, interessieren sich
tionale Partnerschaften ein. Ein Ereignis, während die fü r die Geschichte und respektieren, dass Leute auch eine
Osterweiterung gefeiert wurde, sei stellvertretend andere Geschichte haben können als sie selbst.
erwähnt: Sechs Theater aus sechs europäischen Städten Sonst ist die Aufarbeitung ziemlich festgefahren, Schubla­
- Bratislava, Ljubljana, Luxemburg, Vilnius, Frankfurt und dendenken macht sich breit. In Ostdeutschland hat einer­
Ham burg-führten in den Teilnehmerstädten das Thea­ seits eine Verdrängung stattgefunden, eine Tabuisierung
Aus d e r W i r t s c h a f t

der DDR, auch in den Schulen. Der Sozialforscher Klaus Egon B a h r h a t d as W o rt


Schröder von der Freien Universität Berlin löste großes Das deutsche Selbstverständnis ist in den Jahrzehnten der
Erstaunen aus, als er herausfand, dass Schüler in den Teilung ziemlich verkümmert. Für den einen Staat war die
neuen Bundesländern große Wissenslücken aufweisen. NATO unter Führung Amerikas Staatsraisonfür den
Dass die DDR eine Diktatur gewesen ist, scheint nur jeder anderen das sozialistische Lager unter Führung der Sow­
Zweite zu wissen. Sicher, der Palast der Republik war keine jetunion. Der Nation konnte dennoch keine Seite entkom­
Schönheit, aber er war Erinnerung für viele. Jetzt wird ein men. Seit der Einheit ist die Tradition der alten Bundesre­
Zentrum mit Barockfassade entstehen, dass von der Kai­ publikfortgesetzt worden, die Hoffnung und ehrliche
serzeit direkt in die Moderne überzuleiten scheint, als Absicht zugleich war: die Geschichte der Nation hinter
hätte es die DDR nie gegeben. Als Fußnote der Geschichte uns zu lassen und eine europäische Föderation, am bes­
werde sie übrig bleiben, ist nachzulesen. ten die Vereinigten Staaten von Europa, zu schaffen.

Andererseits sprechen literarische Stimmen und vor


Aber keiner unserer westlichen Partner wollte seiner Nati­
allem der Film eine andere Sprache. Ingo Schulze (S. 120)
on entkommen. Undfü r die neuen Partner im Osten war
beschreibt, wie es war, damals, und Uwe Teilkamp (S. 120)
die Nation Quelle und Ausdruck ihrer Souveränität und
zeichnet die Zeit vor der Öffnung detailgetreu nach.
Freiheit. In dem Augenblick der Verhandlung über eine
Filme wie„Good bye, Lenin“ (S. 131) oder “Das Leben der
europäische Verfassung erwies sich: Keiner der 24 Partner
anderen"(S. 132)fanden eine nachhaltige Resonanz.
wollte den deutschen Traum teilen. Sie wollten die
Andere Filme thematisieren fiktionale oder halbfiktiona-
Zukunft im Nebeneinander der Nationalstaaten gestal­
le Schicksale der späten DDR, z.B. „Der Tunnel“oder „Die
ten. Deutschland muss also wie jeder andere europäische
Frau vom Checkpoint Charly“. Immer geht es um Befind­
lichkeiten, um Erinnerungen, auch um positive Empfin­ Staat seine Interessen souverän formulieren und vertre­

dungen, denn man hat ja nicht 40 Jahre im luftleeren ten. Völkerrechtlich ist das kein Problem, wohl aber psy­
Raum gelebt. Sicherheiten derfrüheren Zeit werden chologisch; denn kein anderes Volk teilt unsere Vergan­
beschworen und allzu leicht wird vergessen, dass die genheit. Aber die deutsche Vergangenheit darf die euro­
Konstruktion des Staates einen Fehler hatte und nicht päische Zukunft nicht belasten.
ohne Grund zusammengefallen ist. Westlichen Besser­ Wir können von unseren Nachbarn lernen: Nationalstolz
wissern standen östliche Unsicherheit gegenüber. Es gab ist kein Nationalismus. Es gibt einen sehr genau erkenn­
Gewinner und Verlierer, gewonnen wurden auf jeden Fall baren französischen, polnischen, italienischen oder türki­
Freiheit, Freizügigkeit und Lebenskultur. schen Weg. Das deutsche Selbstverständnis gestattet
So befinden wir uns nach 20 Jahren noch immer in einer nicht nur, es verlangt einen deutschen Weg. Das Heran­
Nachwendezeit, in der die demokratischen Werte ins rechte wachsen eines Europas der Nationalstaaten verlangt in
Licht gerückt werden müssen. Die Spanne einer Generation seiner Mitte ein Deutschland mit einem gesunden Patrio­
scheint zu kurz zu sein, um alle Verwerfungen zu lösen. tismus.
Aber die Zeit birgt auch Chancen: die Anerkennung unter­ (aus einem Interview mit Egon Bahr, in: vorwärts v /2006: Egon Bahr gilt
schiedlicher Prägungen, die in der Vergangenheit stattge­ als„Architekt der Ostverträge". Viele lahre hat er eng mit Willy Brandt
zusammengearbeitet.)
funden haben. Das Erbe der Spaltung ist damit der Schlüs­
selfü r den Zusammenhalt der Staaten in Europa.
Anhang
TjR EIN O ff NES LAND N
M IT F R EIEN MENSCHES?
■;y nt 11 m v jm
C f Ä S -C lä . .r.-, - & - M

1: Kriegsende 1945
2: Potsdamer Konferenz 1945
3t Errichtung der berliner Mauer 1961
4: DDR-Bürger protestieren 1989
5: Unterzeichnung des 2+4-Abkomnrens
6: Öffnung der Mauer 1989
160 Anhang

Bis zum Ja h r 1000 Das M itte la lte r Die R e fo rm a tio n

um Christi Geburt Auf dem Gebiet des M itte 12. Jh .-M itte 13. Jh . Herrschaft ab 1400 Das Zeitalter ist gekennzeich­
heutigen Deutschland siedeln germani­ der Staufer. Friedrich I. stärkt in der net von wachsender Rechtsunsicher-
sche, keltische und slawische Stämme. Auseinandersetzung zwischen kirchli­ heit und sozialen Spannungen. Das
9 n. Christus Schlacht im Teutoburger cher und kaiserlicher Macht seinen verarmende Rittertum fordert immer
Wald: Nach der Eroberung Galliens Herrschaftsanspruch auf Italien. Die häufiger Naturalabgaben und Dienst­
durch Julius Cäsar und nach der Nie­ Stauferburgen in Italien entstehen. pflichten von den Bauern. - In die Zeit
derlage der römischen Truppen im um 1200 Die Zeit der Stauferherrschaft des ausgehenden Mittelalters fallen
Teutoburger Wald errichten die Römer und der Kreuzzüge isl die Blütezeit der viele Entdeckungen: Johannes Guten­
ihre Garnisonen an Rhein und Donau. mittelhochdeutschen höfischen Dich­ berg erfindet die Buchdruckerkunst in
Die Ursprünge der Städte Köln, Trier, tung. - Aus der Romanik entwickelt Mainz (um 1450). Diese Erfindung
Mainz, Regensburg u.a. gehen auf diese sich die Gotik: der Kölner Dom, das trägt wesenllich zur Verbreitung der
Zeit zurück. Die Römer bleiben bis zum Freiburger Münster, Backsteingotik in lutherischen Reformideen bei. Bis 1500
Beginn der Völkerwanderung Ende des Nord- und Ostdeutschland. entstehen über 1000 Druckereien, die
4. Jahrhunderts. 13. Jh . In diesem Jahrhundert entstehen über 35 000 Druckerzeugnisse produ­
ca. 400 - 800 Zerstörung des Römischen viele Burgen und Stadtbefestigungen. zieren.
Reichs durch germanische Stämme - Einzelne Territorialfürsten, so der Sach­ um 1500 Höhepunkt der spätgotischen
Goten, kranken und Langobarden. Ent­ senkönig Heinrich der Löwe, erweitern deutschen Malerei und Altarschnitz­
stehung des Frankenreichs. ihre Macht östlich der Elbe. kunst (Veit Stoß, Tilinan Riemen­
Anfang 8. Jh . Angelsächsische Missio­ 1250 —Ende 15. Jh . Machtverlust der schneider, Albrecht Dürer).
nare, darunter der Mönch Bonifatius, Zentralgewalt. Wirtschaft und Handel 31. Okt. 1517 Der Augustinermönch
missionieren den Norden Germaniens. entwickeln sich. In den Städten und Marlin Luther veröffentlicht in Witten­
Gründung von Klöstern. Die Sachsen den Städte-Btindcn (die Hanse) ent­ berg seine 95 Thesen, die eine Reform
werden nach jahrelangen, blutigen steht eine neue bürgerliche Kultur, die des katholischen Glaubens zum Ziel
Kriegen von Karl dem Großen unter­ sich mit der feudal-ritterlichen ausein­ haben. Er verwirft die hierarchisch-kul­
worfen und christianisiert. ander setzen muss. Das neue Lebensge­ tische Mittlerstellung der Kirche und
800 Krönung Karls des Großen vom fühl drückt sich in prächtigen Patrizier­ tritt für eine unmittelbare Gotteserfah­
l’apst in Rom zum Kaiser des Heiligen häusern, Rathäusern und Festsälen aus. rung ein. Die lutherischen Ideen brei­
Römischen Reichs. Die Imperiumsidee Die mittelalterlichen Stadtanlagen in ten sich schnell aus.
eines alle Christen umfassenden, nach Nördlingen und Rothenburg ob der 1521 Luthers Bibelübersetzung ist die
einheitlichem Recht gestalteten Reichs Tauber und das Rathaus in Lübeck wer­ Grundlage einer einheitlichen deut­
wird vom Römischen Reich übernom­ den gebaut. In den Städten schließen schen Hochsprache. Er muss sich auf
men. Karl der Große schafft die Einheit sich die I landwerker in Zünften zusam­ der Wartburg in Sicherheit bringen,
des Rechts und der Verwaltung in sei­ men, um ihre Rechte wahrzunehmen. nachdem der Bann des Papstes und die
nem Reich. Er zieht Gelehrte an seinen Gleichzeitig verarmt der Ritterstand Reichsacht gegen ihn ausgesprochen
Hof in Aachen. Er gilt als „Vater des teilweise zum Rauhrittertum. worden sind.
christlichen Abendlandes". Deshalb isl 129t Die drei reichsunmittelbaren Bau­ 1555 Der Religionskrieg zwischen Kaiser
er von begeisterten Europäern als Leit­ erngemeinden Uri, Schwyz und Unter­ Karl V. lind den protestantischen deut­
bild für die Einigung Europas angese­ walden finden sich zum Rütlischwur, schen Fürsten endet mit dem Augsbur­
hen worden. einem „ewigen Bund", zusammen. Er ger Religionsfriedcn: Der I.andesfürst
10./11 .Jh . Bau der großen romanischen soll ein Schutz ihrer Souveränität gegen bestimmt durch seine Religionszugehö­
Dome in Magdeburg, Hildesheim, die territorialen Ansprüche der Habs­ rigkeit die seiner Untertanen, d.h. die
Worms, Speyer und Mainz. Das Bistum burger sein. Das ist der Beginn der protestantischen Fürsten haben sicti
Magdeburg wird Zentrum der Missio­ Schweizerischen Eidgenossenschaft. behauptet. Der Norden und die Mitte
nierung östlich der Elbe. Zahlreiche 1348 Gründung der ältesten deutschen Deutschlands werden protestantisch,
Städte werden an den Verkehrs- und Universität in Prag. Böhmen erlebt der Westen und Süden bleiben zum
Handelswegen gegründet. unter Karl IV. (1346-1378) seine Glanz­ größten Teil katholisch.
zeit. Prag ist eine der größten Städte ab 1556 Das Reich der Habsburger, das
Europas. auch Spanien und die Niederlande
umfasst, zerfällt in eine spanische und
eine österreichisch-deutsche Linie. Als
die Habsburger 1526 Ungarn und Böh­
men erobern, nimmt die spätere öster­
reichisch-ungarische Monarchie all­
mählich Gestalt an.
Anhang

16. Jh . Viele deutsche Städte kommen zwei absolutistischen Staaten: Öster­ Das 19. Jah rh u n d e rt__________
zu großem Wohlstand infolge sich ent­ reich-Ungarn unter den Habsburgern
wickelnder weltweiter Handelsbezie­ und Preußen unter den Hohcnzollcrn. 1806 Der deutsche Kaiser Franz ü.
hungen. Kapitalistische Frühformen Der neue, aus Italien kommende Archi­ nennt sich von nun an nur noch Kaiser
werden sichtbar: Bankiers wie die Augs­ tekturstil des Barock dient der Reprä­ von Österreich. Das ist das Ende des
burger Fugger und Handelsgesellschaf­ sentation, der staatlichen wie der Heiligen Römischen Reiches deutscher
ten werden die Geldgeber von Fürsten kirchlichen. Die barocke Baukunst fei­ Nation. Napoleonische Kriege. Nach
und Kaisern. Reformation und Gegen­ ert Triumphe im katholischen Süden 20-jährigen Kriegswirren ist der Abso­
reformation beeinflussen das Schulwe­ Deutschlands, im protestantischen lutismus des Fürstentums „von Gottes
sen: Universitäten (Jena, Gießen) wer­ Norden war es die Musik, die Ausdruck Gnaden" am F.nde. Der Staatsbürger
den gegründet. Luther und Melanch- eines neuen Lcbensgefühls wird. Unter verlangt nach Einfluss, nach einer Ver­
thon setzen sich für Neuerungen ein. dem sächsischen Kurfürsten August fassung und einem Parlament.
Der Jesuitenorden gründet eigene dem Starken (1694-1733) entstehen 1810 Gründung der Berliner Universität
Schulen. die barocken Schlösser Dresdens. Der durch den Kulturminister Preußens,
1618-1648 Im Zuge der Gegenreforma­ Kurfürst regiert mit barocker Pracht: Er W ilhelm von Humboldt. Fichte, der
tion versuchen die Habsburger in Böh­ ist Baumeister und Kunstsammler, ein erste Rektor, rüttelt in seinen Reden
men den katholischen Glauben durch­ Verschwender und „Don Juan". den nationalen Widerstand gegen
zusetzen. Das ist der Beginn des 30-jäh­ Im W ien der Habsburger werden baro­ Napoleon wach.
rigen Krieges. Äußerer Anlass ist der cke Schlösser geschaffen: Belvedere 1813 Niederlage Napoleons bei Leipzig.
„Prager Fenstersturz": protestantische und Schönbrunn. Die zahlreichen 1814/15 Eine Neuordnung Europas
tschechische Adlige werfen den habs­ Schlösser, die in den deutschen Resi- nach den Napoleonischen Kriegen ist
burgischen Gesandten aus dem Fenster denzstädten entstehen, sind noch das Ziel des Wiener Kongresses. Resul-
der Prager Burg. Aus dem Religions­ heute überall zu besichtigen. Das Volk lat ist der Deutsche Bund, der seinen
krieg entwickelt sich ein skrupelloser hat keinen Zugang zu den prunkvollen Sitz in Frankfurt am Main hat, unter
Machtkrieg der neuen Großmächte um Festen, die der höfischen Gesellschaft der Führung des österreichischen Fürs­
die europäische Vorherrschaft. Vorbehalten sind. Theateraufführun­ ten Metternich. Der Bund besteht aus
1648 So genannter „Westfälischer Frie­ gen werden fester Bestandteil des höfi­ 39 Staaten. Der Habsburger Monarchie
de" in Münster. Der 30-jährige Krieg ist schen Lebens, nur im spartanischen unter Metternich gelingt es, allerdings
ein bedeutender historischer Ein­ Preußen ist das Theater verbannt. Hier durch Unterdrückung liberalen Geistes,
schnitt: Schweden und Frankreich wer­ herrschen preußische Tugenden: Freue, die Völker - Deutsche, Ungarn, Tsche­
den führende Mächte. Die Niederlande Opferwilligkeit, Unbestechlichkeit, chen, Slowaken, Kroaten, Serben, Ita­
und die Schweiz werden selbstständige Pünktlichkeit und Sparsamkeit. Ande­ liener-zusammcnzuhalten. Die rcstau-
Staaten. - Die Bevölkerungszahl ist von rerseits werden Untertanengeist und rative Politik Metternichs bringt zwar
17 Millionen (1618) auf 8 Millionen Militarismus gefördert. Der Absolutis­ 30 Jahre Frieden durch die Abwehr
infolge von Krieg, Hunger und Seuchen mus führt besonders in den Kleinstaa­ nationaler Strömungen, gleichzeitig
gesunken. Reiche Städte und Dörfer ten zu grenzenloser W illkür; aus Geld­ aber ist sie nicht im Stande, einer sich
sind niedergebrannt und ausgeraubt. mangel verkaufen Fürsten ihre Unterta­ wandelnden Gesellschaft evolutionär
nen als Leibeigene in fremde Armeen. Rechnung zu tragen.
In Schillers „Die Räuber“ (1782) wird 1817 Gründung der B u rsch e n sch a fte n
Ende 1 7 ,-E n d e 18. Jh. die W illkür der Herrschenden ange­ als liberale und nationale Bewegungen.
prangert. 27.05.1832 Das Hambacher Fest: Die
1683 Österreich muss sich gegen die 1740 Maria Theresia von Österreich und erste Großdeinonstration in der deut­
Türken wehren, die vor Wien stehen. Friedrich 11. von Preußen treten ihre schen Geschichte für Freiheit und
M it dem Sieg erweitert es seine Macht­ Regierung an. nationale F.inheit. Kundgebung vor der
stellung nach Osten. - Zu dieser Zeit 1799 Napoleon wird Erster Konsul der Kulisse der Hambacher Schlossruine
gibt es in Deutschland ca. 100 Rcichs- französischen Republik. Er beginnt mit (Pfalz).
fürsten und 1500 selbstständige der Neuordnung Deutschlands: Links­ 1848 Die Revolution der französischen
Landesherren, nur das Kurfürstentum rheinische Gebiete gehen an Frank­ Kleinbürger und Arbeiter weitel sich
Brandenburg-Preußen ist auf dem Weg reich. Kleine Territorien werden größe­ auf Preußen, Österreich und Bayern
zum späteren Königreich Preußen ren Gebieten - Bayern, Baden, W ürt­ aus. Es gehl um die nationale Einheil,
(1701). temberg, Preußen, Hessen -zugeschla- um eine freiheitliche Verfassung und
1650-1750 Zeit des Absolutismus in gen. um die Garantie der Bürgerrechte. Die
Europa, der höfisch-barocken Pracht­ Paulskirchenversammlung in Frank­
entfaltung. Vorbild ist der Hof Ludwigs furt/Main arbeitet eine vorbildliche
XIV. in Versailles, die Zentralisierung Verfassung aus, die aber mangels einer
des Staales und der Bürokratie sowie zentralen politischen Macht nicht
des Wirtschaftslebens. Entstehung von durchgeselzt werden kann. Verfassun­
162 Anhang

gen und Parlamente werden von den Das 20. la h rh u n d e rt Die ersten Konzentrationslager entste­
Monarchen, d.h. von oben, ausgearbei­ hen in Dachau (bei München) und in
tet bzw. eingerichtet. 1914 Ermordung des österreichischen Oranienburg (bei Berlin). - Die faschis­
Februar 1848 Karl Marx und Friedrich Thronfolgers in Sarajewo und Aus­ tische Diktatur wird durch eine Wahl
Engels veröffentlichen das „Kommu­ bruch des Ersten Weltkriegs. legalisiert. Die Aufrüstung beginnt.
nistische Manifest". 1914-1918 Der Erste Weltkrieg, der 1935 Die Nürnberger Gesetze legalisie­
Neben den Bemühungen des Bürger­ zehn M illionen Menschen das Leben ren die Diskriminierung und Verfol­
tums tim einen Nationalstaat artikulie­ kostet, verändert die Welt total: Die gung der Juden.
ren sich die revolutionären Ideen in Weltmächte USA und Russland (ab 1938 Hitler marschiert in Österreich
Hinblick auf das Industrie-Proletariat. 1922 UdSSR), China lind Japan gestal­ ein. Die Sudetendeutschen in der
In Preußen - wie auch in Österreich - ten von nun an die Weltgeschichte Tschechoslowakei fordern den An­
haben die konservativ-reaktionären mit. Drei Monarchien - die deutsche, schluss an das nationalsozialistische
Kräfte die Oberhand; eine sozialdemo­ russische und die habsburgisch-öster- Deutschland. England und Frankreich
kratische Arbeiterpartei setzt sich in reichische - danken ab. geben der aggressiven Außenpolitik
Deutschland l>is zum Ersten Weltkrieg 1919 Aus den Territorien der Habsbur­ Deutschlands um des Friedens willen
parlamentarisch nicht durch. ger Monarchie entstehen die Tsche- nach und willigen in die Abtretung des
1862-1871 Fürst Otto von Bismarck, choslowakei, Ungarn, Jugoslawien Sudetenlandes ein. in der Folge dieser
der konservative preußische Minis­ und Österreich. Gründung der Repu­ Ereignisse verliert die Tschechoslowa­
terpräsident (1871-1890 Reichskanz­ blik Polen. Südtirol wird von der neu kei 1939 ihre staatliche Existenz. (Diese
ler), erreicht die Einigung Deutsch­ gegründeten Republik Österreich wird 1945 wieder tiergestellt, die Sude-
lands im klcindeutschen Rahmen, d.h. abgetrennt. Deutschland wird eine tendeutschen werden vertrieben.)
ohne Österreich. Republik. 9./10.11.1938 Reichskristailnacht: Zer­
1871 Kaiserproklarnation im Schloss Die Linken spalten sich in Sozialdemo­ störung von Synagogen, jüdischen
Versailles nach dem deutsch-französi­ kraten und radikale Linke, die einen Friedhöfen, Wohn- und
schen Krieg 1870/71. Dieses Zweite Kai Umsturz nach sowjetischem Vorbild Geschäftshäusern durch die Natio­
serreich war im Geist preußisch und herbeiführen wollen. nalsozialisten; Verhaftung, Berufs­
konservativ. Die deutschen Staaten 1919 Unterzeichnung des Versailler Ver­ verbote und Konfiskation jüdischen
behalten ihre Hoheit in Recht, Kultus trags, der Deutschland die alleinige Vermögens.
und Verwaltung. Das Wilhelminische Kriegsschuld anlastet. Die Folge sind August 1939 Nichtangriffspakt mit
Kaiserreich ist gekennzeichnet durch hohe Reparationszahlungen. Stalin.
widerstrebende Elemente: eine uner­ 1919 Die Weimarer Verfassung tritt in I.Se p t. 1939 Deutsche Truppen mar­
hört dynamische industrielle Entwick­ Kraft. Der erste Reichspräsident der schieren in Polen ein.
lung (Krupp-Werke in Essen, Elektro- Weimarer Republik ist der Sozialdemo­ ab 1940 Deutsche Truppen besetzen
konzem Siemens und Halske in Berlin, krat Friedrich Ebert. Frankreich, Belgien, Holland, Däne­
Chemiekonzern Bayer u.a.) und eine 1929 Der Börsenkrach in New York mark, Norwegen, Jugoslawien und ste­
Umwandlung des sozialen Gefüges; führt zur Weltwirtschaftskrise. hen vor Moskau. - Die USA treten in
Aufstieg der Sozialdemokratie trotz der 1930 In den Wahlen wird die NSDAP den Krieg ein.
restriktiven Sozialistengesetze. Nach (= Nationalsozialistische Deutsche 1943 Die deutsche 6. Armee geht in Sta­
außen betreibt das Reich Großmacht­ Arbeiterpartei) Adolf Hitlers zweil- lingrad zu Grunde, aber der Krieg dau­
politik, z.B. imperialistische Koloniai- stärkste Partei. ert noch zwei Jahre und nimmt immer
politik im Konflikt rnit England und 1932 Es gibt 6 Millionen Arbeitslose. brutalere Formen an. Schon seit 1933
Frankreich, die mit deutlich nationalis­ Hitler überrollt das Land m it einer gibt es Konzentrationslager, aber erst
tischen und chauvinistischen Tenden­ demagogischen Propagandamaschine­ ab 1943 ist die Maschinerie des Todes
zen einhergeht. rie, die parlamentarische Rechtsstaat- perfekt. Bis zum Krieg sind die KZs vor­
lichkeit verliert jede Basis. Sie wird von wiegend Internierungs- und Arbeitsla­
der Förderung nach dem autoritären ger. Nach 1939/40 werden in Osteuro­
Führerstaat zunichte gemacht. Bei den pa die Vernichtungslager zur „Endlö­
Wahlen 1932 verlieren die alten Partei­ sung der Judenfrage" gebaut. Ver­
en der Republik die Mehrheit. schleppt werden auch Menschen, die
1933 Hitler wird von Reichspräsident in der wirren Ideologie des NS-Regimes
Ilindenburg zum Reichskanzler keinen Platz haben: Geistliche, sog.
ernannt. Die Parteien und die Länder­ „Arbeitsscheue", Homosexuelle, geistig
regierungen werden gewaltsam aufge­ Behinderte.
löst. Mitglieder der SPD, die gegen das Januar bis Mai 1945 Die Konzentrati­
Ermächtigungsgesetz gestimmt haben onslager werden von der Roten Armee
und Kommunisten werden von nun an (Auschwitz - Birkenau) und von ameri­
verhaftet, misshandelt und ermordet. kanischen und britischen Truppen
Anhang 163

(Buchenwald, Bergen-Belsen, Dachau, 4 0 Jah re Te ilu n g : 1 9 4 9 -1 9 8 9 nen. Die DDR tritt dem Warschauer
Mauthausen) befreit. Noch kurz vor Pakt bei.
Kriegsende, als die Rote Armee ver­ 1948-1949 Berlin-Blockade: Die UdSSR März 1957 Am 25. März wurden die
rückt, schickt die SS Tausende von sperr! alle Wege zwischen Westberlin Römischen Verträge von Belgien, der
Häftlingen auf Gewaltmärsche Rich­ und Westdeutschland. Die Stadt wird Bundesrepublik Deutschland, Frank­
tung Westen und versucht, die verräte­ von den USA und Großbritannien über reich, Italien, Luxemburg und den Nie­
rischen Beweise zu vernichten. eine Luftbrücke versorg!. derlanden in Rom unterzeichnet. Die
ab 1942 Amerikaner und Engländer flie­ 1949 Gründung der Bundesrepublik Verträge bestehen aus dem EWG-Ver-
gen Luftangriffe auf die deutsche Deutschland und der Deutschen trag (Gründung der Europäischen W irt­
Rüstungsindustrie und auf die Groß­ Demokratischen Republik (= DDR, aus schaftsgemeinschaft EW G) und dem
städte. der sowjetischen Besatzungszone). Der Vertrag für die Europäische Atomge­
1943 Verhaftung und Hinrichtung der erste Kanzler der Bundesrepublik, Kon- meinschaft (EURATOM). Sie sind die
Widerstandskämpfer der Weißen Rose rad Adenauer, betonl im Bundestag, Grundlage für die spätere Europäische
(Kreis um Hans und Sophie Scholl), die dass die Bundesrepublik Deutschland Gemeinschaft (EU). Im März 2007 fei­
an der Münchner Universität in Flug­ „allein befugt" sei, „für das deutsche erte die EU den 50. Jahrestag ihrer
blättern zum Widerstand und zur Volk zu sprechen" (Alleinvertretungs­ Gründung.
moralischen Erhebung aufgerufen anspruch). Fr betreibt die Integration 1959 Deutschlandkonferenz in Genf mit
haben. in den Westen; zur gleichen Zeit Delegationen der Bundesrepublik und
6. Ju n i 1944 Die Alliierten landen in schließt sich die DDK unter Walter der DDR wird ohne Ergebnis vertagt.
Frankreich. Ulbricht den östlichen Verbündeten 1960 Die Kollektivierung der DDR-
20. Ju li 1944 Das Bombenattentat auf an. Zwischen Ost- und Westeuropa ent­ Landwirtschaft ist abgeschlossen.
Hitler misslingt. Seiner Rachejustiz fal­ stellt der sogenannte „Eiserne Vor­ Ju n i 1961 Der Staatsratsvorsitzende der
len viele Widerstandskämpfer (u.a. hang"; die Zeit des „Kalten Krieges" DDR Walter Ulbricht sagt auf einer
Graf Stauffenbcrg) zum Opfer. beginnt. 1955 werden zwei Bündnis­ Pressekonferenz in Ostberlin: „Nie­
Februar I94S Jalta-Konferenz, auf der systeme geschaffen: im Westen die mand hat die Absicht, eine Mauer zu
Stalin (UdSSR), Roosevelt (USA) und NATO, im Osten der Warschauer Pakt. errichten."
Churchill (Großbritannien) das Vorge­ Zwei getrennte Wirtschaftssysteme ent­ 13.8.1961 Errichtung der Berliner
hen der Alliierten beschließen: Festle­ wickeln sich: die EW G (= Europäische Mauer.
gung der Oder-Neiße-Grenze bis zu Wirtschaftsgemeinschaft) und das öst­ 16.8.1961 Die DDR schließt die Gren­
einer Friedenskonferenz, Einteilung liche COMECON. zen zu Westdeutschland.
Deutschlands in Besatzungszonen. 1952 Die UdSSR schlägt den Westmäch­ 1963 F.lysee-Vertrag als Grundlage der
30. A pril 1945 Selbstmord Hitlers ten vor, einen Friedensvertrag mit deutsch-französischen Freundschaft.
8. M ai 1945 Deutschland wird von der Deutschland, vertreten durch eine 1968 Höhepunkt der studentischen Pro­
Roten Armee und den West-Alliierten gesamtdeutsche Regierung, abzuschlie­ testbewegung für eine Demokratisie­
besetzt. Waffenstillstand und bedin­ ßen. Die Westmächle und die Bundes­ rung der Hochschule und die Verände­
gungslose Kapitulation. regierung lehnen ah und fordern freie rung der Gesellschaft. Kritik gegenüber
1945 Als Vertreter der Siegermächte tref­ Wahlen. Die DDR-Regierung verlangt allen Anpassungsformen der Lcislungs-
fen sich: Churchill und Attlee (Groß­ für Besucher Aufenthaltsgenehmigun­ gesellschaft (antiautoritäre Bewegung).
britannien), Truman (USA) und Stalin gen und kappt in Berlin die Telefonver- - Entstehung der außerparlamentari­
(UdSSR). Sie beschließen die Errichtung bindungen zu den West-Sektoren. schen Opposilion (APO). Die RAF =
eines Alliierten Kontrollrats, die völlige 1953 Die Regierung der DDR nimmt die Rote Armee Fraktion, verantwortlich
Entmilitarisierung Deutschlands, ord­ Erhöhung der Arbeitsnormen um min­ für Attentate vor und nach 1970,
nen die Aufhebung der nationalsozia­ destens zehn Prozent nicht zurück. erklärte sich 1998 für aufgelöst.
listischen Gesetzgebung und die Bestra­ Volksaufstand: Am 17. Juni reiten nur 1969 Die SPD unter W illy Brandt über­
fung der Kriegsverbrecher an. noch Panzer der sowjetischen Armee nimmt zusammen mit der F.D.P. die
Das Potsdamer Abkommen: Die Gebie­ die Herrschaft des SED-Regimes. Der Regierung (Bundeskanzler von 1974 bis
te östlich der Oder-Neiße werden unter politische Aufstand der Arbeiter wird 1982: Helmut Schmidt SPD, ab 1982
die Verwaltung Polens und der Sowjet­ blutig niedergeschlagen. Helmut Kohl CDU)
union gestellt. Das restliche Deutsch­ 1954 Die UdSSR erklärt die Souveränität August 1970 Unterzeichnung des
land wird in eine französische, briti­ der DDR. Gewaltverzichtsabkommens mit der
sche, amerikanische und sowjetische 1955 Die Bundesrepublik wird ein UdSSR, wenig später mit Polen. Mit
Zone aufgeteilt. In Berlin werden vier souveräner Staat. Sie wird Mitglied des dem Verzicht auf Gewalt und der Aner­
Sektoren eingerichtet. Atlantischen Bündnisses (NATO). kennung bestehender Strukturen trägt
1945 Deutsche Kriegsverbrecher werden 1956 Die DDR-Volkskammer beschließt die Entspannungspolitik zur Normali­
in den Nürnberger Prozessen abgeur- die Schaffung der Nationalen Volksar­ sierung bei.
tcilt. mee (NVA). Zwei Wochen zuvor hatte 1970 Bundeskanzler W illy Brandt und
die Bundeswehr ihren Dienst begon­ DDR-Ministcrpräsidcnt W illi Stoph
Anhang

treffen sich in Erfurt und beginnen den Grund seines schlechten Gesundheits­ Deutschland. Er enthält die Bestim­
deutsch-deutschen Dialog. zustands wird das Verfahren aufgeho­ mungen zur Überleitung in Bundes­
1971 Bewohner von Westberlin dürfen ben. Honecker darf zu seiner Familie recht für alle Bereiche des öffentlichen
wieder Besuche in Ostberlin machen. nach Chile ausreisen, wo er am Lebens (Justiz, Verwaltung, Kultur
1971 W illy Brandt erhält für die neue 29.5.1994 stirbt.) usw.) und legt besondere Bestimmun­
Ostpolitik den Friedensnobelpreis. 4.11.1989 Eine M illion Menschen gen für übergangsweise geltendes Rechl
1972 Vier-Mächte-Abkoinmen über Ber­ demonstrieren in Ostberlin für Mei­ der DDR fest.
lin bringt Erleichterungen im inner­ nungsfreiheit und offene Grenzen. 12.9.1990 2+4-Vertrag („Vertrag über
deutschen Transitverkehr. 8.11.1989 Das Politbüro der SED tritt die abschließende Regelung in Bezug
Deutsch-deutscher zurück. auf Deutschland"): Die Außenminister
Grund(lagen)vertrag zwischen der Bun­ 9.11.1989 Öffnung der Grenzen. Zehn­ der alliierten Sicgcrmächle des Zweiten
desrepublik Deutschland lind der Deut­ tausende fahren nach Westberlin. Auf Weltkriegs und die Außenminister der
schen Demokratischen Republik zur der Mauer vor dem Brandenburger Tor Bundesrepublik Deutschland und der
Entwicklung gutnachbarlicher Bezie­ wird begeistert gefeiert. DDR unterzeichnen einen Vertrag, der
hungen. 13.11.1989 In Leipzig Demonstrationen dem vereinigten demokratischen
1974 DDR und Bundesrepublik richten für weitere Reformen. Aufschrift Deutschland den Weg ebnet; der „Kalte
„Ständige Vertretungen" ein (keine „Deutschland, einig Vaterland". Krieg" ist damit zu Ende.
Botschaften). Januar 1990 Die Zentrale des Staatssi­ Die Siegermächte geben anschließend
1.8.1975 33 europäische Staaten, die cherheitsdienstes in Oslberiin wird ihre Rechte und Verantwortlichkeiten
USA und Kanada unterzeichnen die gestürmt. für Berlin und Deutschland als Ganzes
KSZE (Konferenz über Sicherheit und Februar 1990 Bundeskanzler Kohl und auf. Dem vereinten Deutschland wird
Zusammenarbeit in EuropaJ-Schluss- Außenminister Genscher erreichen in die volle Souveränität eingeräumt.
akle: Vereinbarungen über Gewaltver­ Moskau die prinzipielle Zustimmung 3.10.1990 Beitritt der DDR zur Bundes­
zicht, die Unverletzlichkeit der Gren­ des sowjetischen Staatspräsidenten republik Deutschland.
zen, Zusammenarbeit. - Die KSZE wird Gorbatschow zur Vereinigung. 2./3.10.1990 Um Mitternacht wird die
1992 zu einer festen Institution. März 1990 Zum ersten Mal seit 40 Jah­ Vereinigung feierlich begangen. Vor
1976 Der Sänger W olf Biermann wird ren finden freie (Volkskammer-) Wah­ dem Reichstagsgebäude in Rcrlin findet
während einer Tournee in der Bundes­ len in der DDR statt. eine Feier statt, die in ein Fest und ein
republik ausgebürgert. Danach werden Ju n i 1990 Die beiden deutschen Parla­ Feuerwerk überleitet.
in der DDR weitere Schriftsteller verur­ mente verabschieden den Staatsver­ November 1990 Besuch Gorbatschows
teilt oder vertrieben. trag, in dem die Schaffung einer Wäh- in Bonn. Unterzeichnung des „Vertra­
1981 Staats- und l’arteichef Honecker rungs-, Wirtschafts- und Sozialtinion ges über gute Nachbarschaft, Partner­
lädt Bundeskanzler Schmidt ein. fcstgelegt wird. Diese politisch notwen­ schaft und Zusammenarbeit" beider
1987 Besuch Honeckers in der Bundes­ dige, aber durch die Eile wirtschaftlich Länder und des „Vertrages über die
republik. nachteilige Entscheidung ist noch Entwicklung einer umfassenden
ab August 1989 Montagsdemonstratio­ heute umstritten. - Erklärung zur End­ Zusammenarbeit auf dem Gebiel der
nen in den großen Städten der DDR. gültigkeit der Oder-Neiße-Grenze zu Wirtschaft, Industrie, Wissenschaft
September 1989 Ungarn öffnet seine Polen. und Technik".
Grenzen. Innerhalb von drei Tagen 1.7.1990 Der deutsch-deutsche Staats­
verlassen 15 000 DDR-Bürger ihr Land vertrag tritt in Kraft. Die D-Mark gilt in Die Ve re in ig u n g u nd d a n ach
über Ungarn und Österreich in die ganz Deutschland. Die Pcrsonenkon-
Bundesrepublik. trollen an der innerdeutschen Grenze 2.12.1990 Erste gesamtdeutsche Wahlen
Die Bürgerrechtsbewegungen „Neues sind abgeschaffl. zum Bundestag.
Forum“ und „Demokratie jetzt" mel­ Ju li 1990 Kohl und Gorbatschow treffen Ju n i 1991 Vertrag mit Polen über gute
den sich zu Wort, etwas später die sich im Kaukasus. Kohl erhält die Zusa­ Nachbarschaft und freundschaftliche
Gruppe „Demokratischer Aufbruch". ge, dass das vereinte Deutschland die Zusammenarbeit.
September/Oktober 1989 Demonstra­ volle und uneingeschränkte Souveräni­ Im Bundestag fällt die Entscheidung
tionen in Leipzig, Ostberlin, Dresden tät erhalten soll. Es kann über seine fü T Berlin als Regierungs- und Parla­
und anderen Städten für Meinungs­ Bündniszugehörigkeit (NATO) selbst mentssitz.
und Versammlungsfreiheit („W ir sind entscheiden. 1991 Stasi(Staatssicherheits)-Unterla-
das Volk - Keine Gewalt") und für Ju li 1990 Die Volkskammer der DDR gen-Gesetz: Jeder Bundesbürger kann
Reformen. Einzelne evangelische Pfar­ beschließt die Wiederherstellung der ab 1.1.1992 beantragen, dass nach
rer stellen sich offen an die Spitze der fünf iänder. Stasi-Unterlagen über ihn gesucht
Opposition. 1.8.1990 Der Einigungsvertrag (eigent­ wird; wurde er bespitzelt, bekommt er
18.10.1989 Rücktritt von Partei- und lich „Vertrag über die Herstellung der die Kopien sämtlicher Akten inklusive
Staatschef Erich Honecker. (1992 wird Einheit Deutschlands") regelt den Bei­ der Namen der Spitzel und Denunzi­
ihm in Berlin der Prozess gemacht. Auf tritt der DDR zur Bundesrepublik anten.
Anhang

21./22.9.199I Die Ausschreitungen dung einer Freihandelszone mit Est­ Künstler, Augenzeugen und nicht
Rechtsradikaler gegen Asylbewerber- land, Litauen und Lettland. zuletzt auch die jüngere Generation.
heimc in Hoyerswerda (Sachsen) eska­ November 1993 Der Vertrag von Maas­ Niederlage oder Befreiung sind die
lieren. tricht tritt in Kraft. Die EG (Europäi­ politischen Reizwörter: Befreiend ist
22.8.1992 Krawalle Rechtsradikaler in sche Gemeinschaft) wird zur EU (Euro­ das wachsende Bewusstsein, dass
Rostock-Lichtenhagen (Mecklenburg- päische Union); das bedeutet Zusam­ Wachsamkeit, Widerspruch und Z ivil­
Vorpommern): Jugendliche setzen menarbeit in der Außen- und W irt­ courage notwendig sind, auch in der
einen Häuserblock in Brand und brin­ schaftspolitik, Vorbereitung einer Demokratie.
gen dadurch MX) Vietnamesen in gemeinsamen Währung, mehr Mitent­ Februar 1990 Deutsche Konzerne und
Lebensgefahr. scheidungsrechte für das Europäische Banken verpflichten sich, einen F.nt-
23.11.1992 Bei einem Brandanschlag in Parlament, Regional fördemng wirt­ schädigungsfonds für ehemalige
Mölln (Schleswig-Holstein) werden drei schaftlich schwächerer Staaten, Zusam­ Zwangsarbeiter einzurichten.
türkische Bewohnerinnen getötet. (Die menarbeit in der Innen- und Rechtspo- 31.12.1995 Tod von Heiner Müller
Täter werden wenige Tage später festge­ litik. Das Subsidiaritätsprinzip soll bür­ (s. Seite 116), zuletzt Leiter des Berliner
nommen und nach einem längeren gernahe Entscheidungen fördern und Ensembles.
Prozess verurteilt.) - ln vielen Städten unnötigen Zentralismus vermeiden. 1996/97 Europagipfel zur Revision des
finden daraufhin Demonstrationen Februar 1994 Der Bundestag debattiert Maastricht-Vertrages: Reformbedürftig
gegen Ausländerfeindlichkeit statt. - über Kunst und nationale Symbole. sind die F.ntscheidungsmechanismen
Einige neonazistische Vereinigungen Der bulgarisch-amerikanische Künstler und die Verfahren zur Erarbeitung
werden verboten. Christo darf 1995 den Reichstag in Ber­ einer gemeinsamen Außen-, Verteidi-
2.12.1992 Der Bundestag verabschiedet lin für 14 Tage mit Stoff verhüllen. gungs-. Innen- und Rechtspolitik. Um
den Vertrag von Maastricht (Europäi­ Christo w ill in Zeiten des Übergangs neue Mitglieder aufnehmen zu
sche Union). Zeichen setzen lind zur Auseinander­ können, müssen die EU-lnstitutionen
6.12.1992 ln München und später in setzung mit der Geschichte herausfor- demokratischer und handlungsfähiger
anderen Städten der Bundesrepublik dern. Die Resonanz seiner Aktionen im werden.
wird m it Lichterketten gegen Fremden­ Juni/Juli 1995 ist überwältigend. 1997 Vertrag von Amsterdam: Erweite­
hass, Rechisradikalismus und Gewalt September 1994 Die russischen Trup­ rung der Rechte des Europäischen Par­
demonstriert. pen und die alliierten Streitkräfte ver­ laments.
6.12.1992 Die Parteien einigen sich auf lassen offiziell die Bundesrepublik 1997 Der Bundestag beschließt ein
den Asylkompromiss: das Individual­ Deutschland. Sie werden in Berlin Gesetz, das die Unrechtsurteile unter
recht auf Asyl bleibt erhalten, Miss­ getrennt verabschiedet. dem NS-Regime annulliert.
brauch soll verhindert werden. 01.01.1995 Beitritl Österreichs, Finn­ 1.8.1998 Die Rechtschreibreform tritt in
17.12.1992 Die Gesellschaft für Deut­ lands und Schwedens in die EU. Kraft. Sie bleibt stark umstritten.
sche Sprache (Wiesbaden) erklärt „Poli­ 26.03.1995 Das Schengener Abkommen 1.1.1999 Beginn der Europäischen W irt­
tikverdrossenheit" zum Wort des Jahres über die Abschaffung der Personenkon­ schafts- und Währungsunion. Einfüh­
1992. trollen an innereuropäischen Grenzen rung des Euro als Währungseinheit mit
1.1.1993 Der Europäische Binnenmarkt tritt in Kraft. Dies betrifft derzeit nur festen Wechselkursen zu den nationa­
tritt in Kraft. bestimmte Staaten und wird bisher len Währungen. 1 Euro = 1,95583 DM
26.5.1993 Der Bundestag verabschiedet nicht konsequent durchgeführt. Ein März 1999 Agenda 20(X): Die 15 Regie­
die Änderung des Grundgesetzartikels Informationssystem (SIS) mit Fahn­ rungschefs der EU einigen sich auf das
16 (Asyl): Flüchtlinge aus einem „siche­ dungscomputer in Straßburg soll Perso­ Reformpaket Agenda 2000. Es regelt die
ren Drittstaat" sind nicht mehr asylbe­ nendaten austauschen und somit nach Ausgaben von 600 Milliarden Euro bis
rechtigt. der Öffnung der Grenzen zur Sicher­ zum Jahr 2006. Die Einigung ist Vor­
29.5.1993 In Solingen wird ein Brand­ heit beitragen. aussetzung für die Ost-Erweiterung der
anschlag auf ein von einer türkischen 8 . M ai 1995 50. Jahrestag des Kriegsen­ EU (Aufnahme der Refonnländer).
Familie bewohntes Haus verübt. Fünf des. Seit Beginn des Jahres finden unler Ju n i 1999 Neuwahl des Europäischen
Frauen und Mädchen verbrennen. Ein dem Zeichen der Versöhnung und Parlaments.
16-Jähriger und drei weitere Jugendli­ gegen das Vergessen Gedenk­ 19. Ju n i 1999 Die europäischen
che werden festgenommen. feiern, Ausstellungen, Tagungen, Le­ Bildungsminister stecken die Ziele zur
1991-1993 Assoziierungsverträge mit sungen und Dankgottesdienste statt. Schaffung eines europäischen Hoch-
Ungarn, Polen, der Tschechischen Gefeiert wird in Paris, London, Mos­ schulraumes ab (= Bologna-Prozess):
Republik, der Slowakei, Rumänien und kau, Washington, Oslo, Warschau, Tel 1. Die Einführung eines Systems ver­
Bulgarien. Partnerschaftsabkommen Aviv, in Berlin und in allen größeren gleichbarer Abschlüsse.
mit der Ukraine und Russland im Früh­ deutschen Städten. Presse, Funk und 2. Die Einführung eines zweistufigen
jahr 1994. Die Verträge sehen einen Fernsehen bieten historisches Material, Systems von Bachelor- und Master-Stu-
schrittweisen Zugang zum Europäi­ Gespräche und Interviews an histori­ diurn.
schen Binnenmarkt vor. Außerdem Bil­ schen Stätten. Beteiligt sind Politiker, 3. Die Zusammenarbeit zwischen den
166 Anhang

Hochschulen. Der Prozess soll bis 2010 chen und die Bildungskompetenz, der Dezember 2002 4,3 Mio. Arbeitslose,
abgeschlossen sein. Schüler zu erfassen. PISA-Studie 2000: kein wirtschaftlicher Aufschwung in
1.1.2000 Beitritt Griechenlands irr die Teilnahme von ca. 180 000 Schülerin­ Sicht.
EU. nen und Schüler im Alter von IS Jah­ ah Januar 2003 Deutschland ist nicht­
23.3.2000 Zwangsarbeiter-Entschädi- ren in 32 Staaterr. ständiges Mitglied im UNO-Sicher­
gung: Nach monatelangen Verhand­ Die PISA-Studie war ein Schock: heitsrat.
lungen einigen sielt Deutschland, die Deutschland auf Platz 20 von 32 lä n ­ 22. Januar 2003 US-Verteidigungsminis­
USA und Israel sowie die fünf europäi­ dern, z.B. in der Leseleistung. ter Donald Rumsfeld bezeichnet
schen Staaten und Opferverbände in Ju li 2001 Klimagipfel in Bonn, ein müh­ Deutschland und Frankreich, die einen
Berlin auf die Verteilung von zehn M il­ seliger Kompromiss. Krieg gegen den Irak ablehnen, als
liarden DM in der Stiftung Erinnerung, August 2001 Die Bundeswehr schickt „altes Europa".
Verantwortung und Zukunft. Soldaten nach Mazedonien. Frühjahr 2003 Anti-Kricgsprotestc: 85%
Mär/. 2000 EU-Beschäftigungsgipfel in 11. September 2001 der Deutschen sind gegen einen M ili­
Lissabon: Die Beschäfligungsquole Terroranschlag in New York. Die USA tärschlag im Irak.
(derzeit 60%) in der EU soll bis 2010 rufen den „Krieg gegen den Terror" aus. Der Westen redet viel über die Ursa­
70% betragen. Die Sozial,Systeme sollen Dezember 2001 Afghanistan-Konferenz chen des Terrorismus und viele sind
überprüft werden. Die EU-Kommission auf dem Petersburg bei Bonn: Einigung sich einig: Globale Armut, Unwissen­
wird detaillierte Analysen zum Eohnni- auf eine Übergangsregierung, UN-Frie- heit und Hoffnungslosigkeit, Intole­
veau und zu gesetzlichen Regelungen denstruppe sichert den Prozess. ranz, Hass und Hochmut der Religio­
in den Mitgliedsstaaten machen. Ziel: 31. Dezember 2001 Abschied von der D- nen sind Quellen des Terrorismus.
Die Union soll der wettbewerbsfähigste Mark, die ersten Euros sind da. Februar 2003 Deutschland und die Nie­
und dynamischste Wirtschaftsraum der Die Euro-Umstellung führt zu einer all­ derlande übernehmen das Kommando
Welt werden. gemeinen Teuerung. über die ISAF -Schutztruppe in Afgha­
Ju n i 2000 Bundeskanzler und die Chefs Januar 2002 1200 deutsche Soldaten nistan.
der großen Energieunternehmen eini­ werden nach Afghanistan verlegt. März 2003 Bundeskanzler Gerhard
gen sich über den stufenweisen Aus­ Februar 2002 Im Februar 2002 berief der Schröder stellt die Agenda 2010 vor.
stieg aus der Kernenergie. Bundeskanzler die Kommission Die Agenda 2010 werde helfen,
Ju li 2000 Der Bundesrat billigt die Green „Moderne Dienstleistungen am „Gerechtigkeit zwischen den Genera­
Card, eine Legitimation für die zeitlich Arbeitsmarkt". Unter der Leitung von tionen zu sichern und die Grundwerte
begrenzte Beschäftigung von außerhalb VW-Vorstandsmitglied Dr. Peter Hartz unseres Gemeinwesens zu stärken".
der EU wohnhaften Computerspeziali­ („Hartz-Kommission") haben IS Per­ Die Agenda setzte umfassende Refor­
sten in Deutschland. sönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, men in Gang u.a. für folgende Berei­
August 2000 Ein Gericht in Halle verur­ Gewerkschaften und Wissenschaft eine che: Renten, Gesundheit, Kündigung,
teilt drei Skinheads als Mörder des neue Ordnung für den Arbeitsmarkt Ausbildungsplätze, Arbeitslosen- und
Mosambikaners Alberto Adriano in entworfen: Hartz I: Einrichtung von Sozialhilfe, Bildung (Ganztagsschulen),
Dessau zu langjährigen llaftstrafen. Personal-Service-Agenturen, Hartz II: Handwerk, Gemeindefinanzen, Steuer
September 2000 Ein Jahr nach Bundes­ Einrichtung von Mini-Jobs und Ich- usw.
tag und Bundesregierung nimmt auch AGs, Hartz III: Umbau der Bundesan­ Ju n i 2003 Die IG-Metall muss ihren
der Bundesrat offiziell seinen Sitz in stalt für Arbeit in die Bundesagentur Streik in Ostdeutschland für die Ein­
Berlin. für Arbeit (BA), Hartz IV: Zusammenle­ führung der 35-Stunden-Woche ergeb­
31.10.2000 Die erste feste Besatzung der gung von .Arbeitslosen- und Sozialhilfe nislos abbrechen.
Internationalen Raumstation ISS startet zum neuen Arbeitslosengeld II. Ju li 2003 Der EU-Konvent beendet seine
ins All. Sie bleibt vier Monate an Bord. September 2002 Bundestagswahl: SPD Arbeit am Entwurf einer Verfassung.
9.11.2000 Mehr als 200 000 Menschen und Grüne führen die Koalition unter 13.07.2003 Im mexikanischen Pueblo
setzen auf einer Demonstration gegen Kanzler Gerhard Schröder und Außen­ läuft der letzte VW-Käfer vom Band:
rechtsexlreme Gewalt ein Signal gegen ministerjoschka Fischer fort. Seit 1938 das 21.529.464. Auto.
Fremdenhass. Oktober 2002 Deutschland legi sich fest: 14.09.2003 Die Schweden lehnen die
11.12.20IX) Der EU-Gipfel in Nizza Nein zu einer militärischen Aktion Einführung des Euro ab.
beschließt eine EU-Charta der Grund­ gegen den Irak. 24.10.2003 Die Afghanistan-Mission der
rechte und ebnet den Weg für die Oktober 2002 Deutschland verfehlt die Bundeswehr wird auf die Region Kun­
Osterweiterurig. Stabilitälskritericn der EU. Mehr als 3% dus ausgedehnt.
2000 PISA (Programme (or International des Bruttosozialprodukts Schulden. 12.02.2004 Zweihundertster Todestag
Student Assessment): Studie im Auftrag 31. Dezember 2002 Magnetschwebe­ des großen Philosophen Immanuel
der OECD, die schulische Leistungen bahn wird in Shanghai in Betrieb Kant.
regelmäßig m it einem standardisierten genommen: 30 krn, Bauzeit zwei Jahre, 1. M ai 2004 Osterweiterung: 10 weitere
Verfahren untersucht, um die Bil- Spitzengeschwindigkeit 430 km/h. Bis­ Staaten treten der EU bei.
dungssysteme der Staaten zu verglei­ her fährt keine Bahn in Deulschland. 23. M ai 2004 Horst Köhler wird von der
Anhang

Bundesversammlung zum Bundes- Joseph Ratzinger wird zum Papst 1974). Helmul Schmidt (1974-1982),
präsidenlen gewählt (2000 - 2004 gewählt. Er nennt sich Benedikt XVI. Helmul Kohl (1982-1998), Gerhard
Direktor des internationalen W äh­ Er ist der erste deutsche Papst seit fast Schröder (1998-2005).
rungsfonds IW F in Washington). SOOJahren. 10. Dezember 2005 Der in München
13. Ju n i 2004 Wahlen zum Europa-Parla­ 25. April 2005 Bulgarien und Rumänien lehrende und forschende Prof. Theo­
ment unterzeichnen die Verträge für den dor Hänsch erhält den Nobelpreis für
2./3. September 2004 Ein Großbrand EU-Beitritt im Jahr 2007. Die EU Physik für seine Beiträge zur Laserspek­
zerstört den Rokokosaal und 30 000 wächst weiter. troskopie.
Bücher der Herzogin-Anna-Amalia- 27. A prii 2005 Der neue Airbus A 380, 2006 Mozartjahr: Am 27. Januar ist
Bibliothek in Weimar. Die 1691 der weltgrößte Passagierjet, absolviert Mozarts 2S0. Geburtstag.
gegründete Bibliothek besitzt wertvolle seinen Erstflug. M ai 2006 Die EU verabschiedet die
Schätze aus der Blütezeit der deutschen 12./13. Mai 2005 Bundestag und Bun­ Dienstleistungs-Richtlinie. Innerhalb
Klassik, darunter die mit 3900 Bänden- desrat verabschieden die EU-Verfas- der EU-Staaten öffnen sich die Märkte.
größte„Faust"-Sammlung und mittelal­ sung mit großer Mehrheit. Bürokratie wird abgebaut. Die Richtli­
terliche Handschriften. Seit 1998 Welt- 29. M ai 2005 Die Franzosen lehnen in nie muss innerhalb von drei Jahren in
kulturerbe der UNESCO. einer Volksabstimmung die EU-Verfas- nationales Recht umgesetzt werden.
September 2004 Das berühmteste sung ab. Ju n i 2006 Beginn des Einsatzes der Bun­
Museum Dresdens, das Grüne Gewölbe I . Ju n i 2005 Die Niederländer lehnen deswehr im Kongo.
Augusts des Starken mit Schätzen der die Verfassung ab. Schon angenom­ Ju n i 2006 im Städte-Ranking der 50
Goldschmiedekunst und Kostbarkeiten men haben: Luxemburg, Spanien, Ita­ größten Städte (Initiative Neue Soziale
aus Bernstein, Elfenbein, Perlen und lien, Malta, Griechenland, Lettland, Marktwirtschaft) steht München an
Edelsteinen, wird im Residenzschloss Litauen, Deutschland, Slowakei, der Spitze (Arbeitsmarkt). Es folgen
nach 60 Jahren wiedereröffnet. Ungarn, Österreich, Zypern. Die Zu­ Frankfurt (höchste Einkommen),
September 2004 Das weltgrößte Solar- kunft der EU-Verfassung ist unsicher. Stuttgart und Düsseldorf. Dresden hat
slromkraftwerk gellt in der Nähe von Die EU muss bürgernäher werden, um auf Rang 10 aufgeschlossen. Berlin
Leipzig (Sachsen) ans Netz. mit dem Rückschlag fertig zu werden. rangiert ganz hinten.
Sommer 2004 Demonstrationen gegen Ju n i 2005 Bund und Bundesländer legen Ju n i/Ju li 2006 Fußballweltmeisterschaft
die Arbeitsmarktreformen. Schwer­ ein Programm für den Aufbau von in Deutschland.
punkt der l’roteste in Ostdeutschland. Spitzen-Unis auf. Ju n i/Ju li 21X16 Bundestag und Bundesrat
Demokratie und Sozialstaat sind in den 5. Ju n i 2005 Die Schweizer stimmen für verabschieden die Föderalismusre­
Köpfen eng verknüpft; notwendiger den Beitritt zum Schengener Abkom­ form, eine Verfassungsreform: 1. Der
Sozialabbau, der die Sozialsysteme men. Die Personenkontrollen an den Bundesrat muss nur einem Drittel
sichern soll, führt zu Ablehnung und Grenzen sollen 2008 wegfallen. statt zwei Drittel der Gesetze zustim­
Verweigerung. Extreme Gruppierungen 18. September 2005 Bundestagswahl: men. Der Staat wird schneller. 2.
am linken und rechten Rand des Par­ Ergebnis ist ein Kräfteverhältnis, das Dafür bekommen die Bundesländer
telenspektrums profitieren von den zur Großen Koalition von CDU und mehr Rechte in der Bildung (Ganz­
Protestwählem. Da vor allem rechtsex­ SPD führt. Grüne und F.D.P. gehen in tagsschulen, Zulassung zum Studium).
treme Parteien keine Lösungen anzu- die Opposition, zu der auch die neue August 2(X)6 Das Allgemeine Gleichbe­
bieten haben, ist ihr Verbleib in den Linkspartei gehört. handlungsgesetz (AGG), auch Anti-
Parlamenten immer nur von kurzer 28. September 2005 Der Bundestag diskriminicrungsgesetz genannt, tritt
Dauer. beschließt die Ausweitung des Bundes­ in Kraft.
12. Januar 2005 Das F.uropa-Parlament wehr-Einsatzes in Afghanistan. Herbst 2006 10 Unis qualifizieren sich
verabschiedet die neue EU- Verfassung. 4. Oktober 2005 Die EU-Außenminister im Rahmen der „Exzellenzinitiativc“
26. Januar 2005 Das Bundesverfassungs­ beschließen die Aufnahme von Bei­ als „Elite-Hochschulen". Bund und
gericht ermöglicht die Erhebung von trittsgesprächen mit der Türkei. EU Länder fördern die Spitzenforschung.
Studiengebühren. und die Türkei nehmen Verhandlun­ 2006-2007 Die Konjunktur springl an
16. Februar 2005 Das Kyolo-Protokoll gen auf. und die Zahl der Arbeitslosen sinkt
tritt in Kraft. 141 Staaten verpflichten 15. November 2005 Das Forschungs­ 1. Jan uar 2007 Bulgarien und
sich, ihre Emissionen bis 2012 um 5% schiff „Sonne" setzt die ersten Tsuna- Rumänien treten der F.U bei.
gegenüber 1990 zu verringern. mi-Wambojen aus. 2007 Die F.U wird ein einheitlicher
20. Februar 2005 Spanien stimmt der 22. November 2005 Angela Merkel wird Zahlungsraum, der grenzüberschreiten­
EU-Verfassung zu. zur ersten Bundeskanzlern! der Bun­ de Zahlungen und Kredite erlaubt.
13. April 2005 Das Europa-Parlament desrepublik Deutschland gewählt. Die März 2007 Klimagipfel: Die Regierungs­
stimmt mit großer Mehrheit für den Kanzler vor ihr waren: Konrad Aden­ chefs der EU-Mitgliedsländer beschlie­
Beilritt Bulgariens und Rumäniens im auer (1949-1963), Ludwig Lrhard ßen 3 x 20% bis zum Jahr 2020: 20%
Jahr 2007. (1963-1966), Kurt Georg Kiesingcr Reduzierung des CÖ2-Ausstoßes, 20%
19. April 2005 Der deutsche Kardinal (1966-1969), W illy Brandt (1969- Anteil alternativer Energien (heute
168 Anhang

13%), 20% Steigerung der Energieeffi­ Deutsches Ausländerrecht, Einführung von


zienz. ln das Ergebnis konnten die USA
L i te r a t u r Helmut Rittstieg, Beck Jurist. Verlag, dtv
cinbezogen werden. Taschenbücher Bd. SS37, München 2005
März 2007 Die EU feiert den SO. Die l iteraturliste enthält eine Auswahl D irk Ostgathe / Christian Nowicki, Zuwan­
Jahrestag ihrer Gründung. von Büchern, Schriften und Statistiken, derungsrecht kompakt, Boorberg-Verlag,
Ju n i 2007 Die G8-Staaten, die 50% des aus denen zitiert wird und die während Stuttgart. 2005
Welthandels kontrollieren, beschließen der Arbeit am Buch zu Rate gezogen wur­ Beate Winkler, Zukunftsangst Einwande­
in Heiligendamm an der Ostsee unter den. Die nach den Kapiteln der Landes­ rung, Beck'sche Reihe 471, München
der Präsidentschaft Deutschlands die kunde zusammengestellten Quellen kön­ 1992
Festlegung von Klimaschutzzielen bis nen zum Teil eine Anregung für die weite­ Iris Hoßmann, Margret Katsch, Reiner Kling-
2009 und die Erhöhung der Hilfe für re Lektüre sein. (Nicht nochmals erwähnt holz u.a., Die demografische Zukunft von
Afrika und die Entwicklungsländer. werden die bereits mit Datum zitierten Europa. W ie sich Regionen verändern, hg.
Ju n i 2007 EU-Konferenz in Brüssel: Ver­ Texte aus der Süddeutschen Zeitung, SZ) Berlin-Institut für Bevölkerung und Ent­
abschiedung eines EU-Uefonnvertrages wicklung, dtv, München 2008-10-25
als Ersatz für eine EU-Verfassung. SlaHalm lies fahrbuch 2006 für die Bundesre­
August 2007 Im Gästehaus Meseburg publik Deutschland, hrsg. Statistisches
(Mecklenburg) beschließt die Bundesamt, Wiesbaden 2006 Kapitel 2
Regierung ein umfangreiches Paket Schlüsseldaten 20. Jahrhundert, Harenberg
zum Klimaschutz (bis 2020 25-30% Lexikon-Verlag, Dortmund 1993
Volks-Ploetz, Auszug aus der Geschichte, Deutschland, Zeitschrift für Politik, Kultur,
crncuerbare Energien beim Strom,
5., aktualisierte Auflage, Verlag Pioetz, Wirtschaft und Wissenschaft Nr. 3 1999
Ausbau von Heizkraftwerken, strengere
Freiburg und Würzburg 1991 (Der Bundestag in Berlin)
Energie-Standards für neue und alte
Martin und Sylvia Greiffenhagen, Ein Thilo Koch (Text) / Werner Neumeister,
Gebäude).
schwieriges Vaterland, Zur politischen Erhard Pansegrau (Fotogrape), Deutschland,
Ju n i 2008 Siemens gibt den Transrapid
Kultur im vereinigten Deutschland, Paul F. Bruckmann, München 1991
in Deutschland auf. Die neue Tech­
List Verlag, München 1993 SP IEG EL Spezial, Preußenstadt Potsdam
nologie hat sich nicht durchgesctzt.
Ju n i 2008 Das EU-Parlament beschließt Das Lexikon der Gegenwart 2000, Fakten, 1000 fahre, SPIF.GEL-Verlag Rudolf Aug-
Trends, Hintergründe, Harenberg Lexi­ stein, Hamburg, April 1993
die Rückführungs-Richtlinie zum
kon-Verlag, Dortmund 2000 SO fahre Universität Bayreuth, Beilage des
Umgang mit illegalen Einwanderern
Harald Geiger / Manfred Mürbe / Helmut Nordbayerischen Kuriers vom 26.11.2005
(Bedingungen der Abschiebehaft und
Wenz, Beck'schcs Rcchtslexikon, Beck/dtv Simona Block, Soli Deo Gloria, Die
Mindestgarantien). Enttäuscht reagie­
Nr. 5601 Dresdner Frauenkirche wird am Sonntag
ren die Flüchtlingsorganisationen und
Christoph t’arry, Menschen, Werke, Epo­ geweiht, in: Nordbayerischer Kurier vom
Amnesty international.
chen, Eine Einführung in die deutsche 28.10,2005
Ju n i 2008 ln einem Referendum sagen
Kulturgeschichte, Max Hueber Verlag, Heinz Stade, Falko Belir, Erfurt. Den Wan­
die Iren Nein zum Vertrag von
Ismaning 1993 del zeigen, Edition Leipzig, Leipzig 2005
Lissabon. Damit ist der Reformprozess
Raedecker Allianz. Reiseführer; Deutschland,
der EU vorerst gestoppt.
Mair DuMont, Ostfildern 2005
Herbst 2008 Die internationale
Merian Hefte: Deutschland, Berlin, Ham­
Bankenkrise wirkt sich negativ auf das Kapitel i burg, Leipzig, Dresden, Bonn, Köln, Karls­
Wirtschaftswachstum aus. Die Markt­
ruhe, Osnabrück, Harz
wirtschaft kann sich nicht seihst regu­ dtv-Atlas zur deutschen Sprache, Tafeln und unesco Info: www.unesco-welterije.de, Die
lieren, der Staat greift regulierend ein. Texte mit Mundart-Karten, Deutscher 30 Welterbestätten in Deutschland, Köl­
Taschenbuch Verlag, München 1992 ner Dom
Ruth Reiher, Schrippe, Stulle und Molle, Homburg: Das Magazin der Hansestadt
www.hu-berlin.de/presse vom April 2007
Ruth Reiher, Berlinisch heute. Kompetenz - Rügen - Bauboom verschandelt Deutsch­
Verwendung - Bewertung, Peter Lang Ver­ lands größte Insel, in greenpeace magazin
lag, Frankfurt am Main 2001 04.07, S. 64
Vorwärts, Sozialdemokratisches Magazi n. Metropolregion Hannover, eine Beilage der
Vorwärts Verlag, Bonn, Nr. September Süddeutschen Zeitung vom Mi, 11Ju n i
2000 (Gemeinsam in Deutschland leben) 2007
SP IEG EL Spezial, luden und Deutsche, SPIE- Magdeburg überrascht, Rciselipps - von
GLL-Verlag Rudolf Augstein. Hamburg, Magdeburg bis zum Harz, Broschüre 2007
August 1992
Deutsche im Ausland, l'remde in Deutsch­
land, hrsg. Klaus J. Bade, C.H. Beck'schc
Verlagsanstalt, München 1992
Anhang 169

Kapitel 3 Kapitel 4 Kapitel 5


Halt! Keine Gewalt, hrsg. Arbeitsgemein­ Grundgesetz, für die Bundesrepublik Deutsch­ H. A. und E. Frenzel, Daten deutscher
schaft Jugend 8; Bildung, Wiesbaden, in land, C.H.Beck, 9. Auflage, München Dichtung, Chronologischer Abriß der
Zusammenarbeit mit dem Bundesministe­ 2007 deutschen Literaturgeschichte, Band 1
rium des Innern D ie politische Ordnung in Deutschland, und 2, 26. Auflage, Kiepenheuer St
Folgende Nummern von /LIMA Das hrsg. Bayerische Landeszentrale für politi­ Witsch, Köln 1991
Jugendmagazin und TIP, Landeskunde im sche Bildung, München 2004 DieterKrusche, Reclams Filmführer, 8.,
Deutschunterricht, Redaktion Köln: Gerhard Büchner, Die Bundesrepublik neubearbeitete Auflage, Philipp Rcdatn,
JUM A 1/92, 4/92, I/93, 3/93; TIP 1/91, Deutschland, Basiswissen für Staatsbürger, Stuttgart 1991
3/91, 1/92, 4/92, 1/93, 2/93, 3/93, 1/94) Humboldt-Taschenbuch vertag Jacobi, Volker Bahn, Deutsche Literatur seit 1945,
15. Shell Jugendstudie „Jugend 2006", München 1994 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
„Jugend 2006 - Fine pragmatische Gene­ Richard von Weizsäcker, Von Deutschland 1993
ration unter Druck", hg. Shell AG, S. aus, Reden des Bundespräsidenten, Corso Max Frisch, Schweiz als Heimat? Versuche
Fischer Verlag, Frankfurt am M ain 2006 bei Siedler, W olf Jobst Siedler, Berlin 1985 über SOJahre, hrsg. von W aller Obschla­
Eine rechte Kulturrevolution im Osten? F.uropa-Recht, Europäische Union, F.G-Ver- ger, 2. Auflage, Suhrkamp Verlag, Frank­
Gesinnung statt Gewalt (I), Wie die hingen trag, Europäisches Prozessrecht, Europa- furt am Main 1990
abdriften (U). in: S Z vom 23. und rat-Satzung, Menschenrechtskonvention, Friedrich Dürrenmatt and Max Frisch, in:
26.11.1998 Beck-Texte im dtv, 22. Auflage, München Konturen. Magazin für Sprache, Literatur
Wilhelm Heitmeyer/Joachim Müller: Frem­ 2007 und Landschaft 1/1992, S. 47-58
denfeindliche Gewalt junger Menschen, A u f dem Weg zur Europäischen Union, Die „Schreiben ist das Schlechteste, was ich
hg. vom Bundesministerium der Justiz, Beschlüsse des Europäischen Rates von kann, darum muss ich 's immer wieder pro­
Bonn 1995 Maastricht, hrsg. Presse- und Informati­ bieren." Adolf Muschg im Gespräch über
Manja Greß / Florian Oertel, Einsatz gegen onsamt der Bundesregierung, Bonn 1992 Literatur, die Schweiz und die Staatskunst,
Rechts, in: Nordbayerischer Kurier Südkurier vom 30.04./Ol .05.2004 (Europa in: Konturen 1/1994, S. 15-19
18./19.06.2005 / dpa, Hamburg überwindet seine Spaltung) Peter Handke, Die Stunde da wir nichts
„Ein perfektes Team", x-bay stellt euch die Wer entscheidet was? - Parlament, Rat, voneinander wußten, Ein Schauspiel,
Kandidaten des Jugendparlaments vor, in: Kommission: Die Organe der EU, in: Süd­ Suhrkamp Weißes Programm Schweiz,
Nordbayerischer Kurier vom 10./11. März deutsche Zeitung vom 30.11.2005 Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
2007 Nordbayerischer Kurier vom 03./04.01. 1992
l iehe nach Terminkalender?, in Nordbayeri- 2004 (Die Quote ist der Maßstab) Reiner Kunze, Die wunderbaren Jahre, S.
sclier Kurier vom 24./2S. Vlärz 2007 Über kurz oder lang zum Abitur, in: SZ vom Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1976
Liio Berg, Die Alten kommen, in: Süddeut­ 02.04.1998 Über Deutschland, Schriftsteller geben Aus­
sche Zeitung vom 30./31.10.1993 Das Bildungswesen in der Bundesrepublik kunft, hrsg. Thomas Rietzschel, Rcclam
Vorwärts, Sozialdemokratisches Magazin, Deutschland, Darstellung der Kompeten­ Verlag, Leipzig 1993
Vorwärts Verlag, Bonn, Nr. März 1993 zen, Strukturen und bildungspolitischen Christa Wolf, Auf dem Weg nach Tabou.
(Die Deutschen werden aller) Entwicklungen für den Informationsaus­ Texte 1990-1994, Kiepenheuer & Witsch,
Ooreen Lehmann, „Altes F.isen?" Vom tausch in Europa, KMK, Bonn 2003, S. 33 Köln 1994: für die Bundesrepublik
(Un)Ruhestand Älterer, in: KVVA (Kurato­ Uochschutkreform. Besserer Know-how- Deutschland: Luchterhand Literaturver-
rium Wohnen im AlterJ-Journal 3/200S Transfer, in: Das IHK-Magazin für Mün­ lag, München
Sanfter Urlaub - aber wie?, Urlaub und Frei­ chen und Oberbayern 11/2005 Christa Wolf, Hierzulande Andernorts,
zeit mit der Natur, Kampagne: Freizeit, Jugendrecht (u.a. Gesetz zum Schutze der Erzählungen und andere Texte, 1994-
Sporl, Tourismus, Bund für Umweh und Jugend in der Öffentlichkeit, Jugendar­ 1998, Luchterhand Verlag, München
Naturschutz Deutschland, Bonn, April beitsschutzgesetz, Berufsbildungsgesetz, 1999
1991 Berufsbildungsförderungsgesetz, BaföG), Günter Grass, Gegen die verstreichende
Das neue Amt, das Ehre macht, Deutsch­ Beck-Text im dtv, München 1993 Zeit, Reden, Aufsätze und Gespräche 1989-
land ist nicht das Tand der sozialen Kälte, Handwerk: Zünftiges Kartell, in: Der Spiegel 1991, Luchterhand I.iteraturverlag, Ham­
in: Süddeutsche Zeitung vom 7/1999 burg und Zürich 1991
04./05.04.1998 Johannes Eber, Mehr Betriebe -Weniger Günter Grass, „Ein guter Satz muss Atem
Thüringen schrumpft dramatisch, in Thürin­ Arbeit, in SÜDKUR1F.R vom 12.02.2005 haben“ , G.G. liest seine Texte gerne vor,
ger Allgemeine vom 17.11.2005 Meisterzwang. Starker Zulauf in Hand­ in: mobil, Das Magazin der Bahn 10/2005,
Wie sich die Leute freuen, Hilfe für Münch­ werksberufe, in SÜDKURIER vom S. 7-8
ner in Not. in: Menschen im Blickpunkt, 12.2.2005 F.rika und Klaus Mann, Escape to Life, Deut­
Das Magazin des Münchner Roten Kreu­ Lernen in Netzen: Guter Kat für Weiterbil­ sche Kultur im Exil, edition Spangenberg,
zes, Dez. 2005 dung, in : Nordbayerischer Kurier vom München 1991
01.03.1999 Ingo Schutze, Simple Storys, Ein Roman aus
Anhang

der ostdeutschen Provinz, Berlin Verlag, Kunstpädagogischen Zentrum im GNM, profekt, Anzeige der Lufthansa in SZ. vom
Berlin 1998 Abt. 1, Nürnberg 1992 2. Juni 2007
Ingo Schulze, Neue Leben, Berlin-Verlag. Festivalnuigazin Europamusicale vorn 02.- Energie und Umwelt, Eine Beilage der Süd­
Berlin 2005 30. Mai 2004: Europa begrüßt die EU-Bei- deutschen Zeitung vom Di, S. Juni 2007
Roherl hie, Geteilte Träume. Meine Eltern, trittsländer Erneuerbare Energien, Eine Beilage der Süd­
die Wende und ich, Luchterhand Literatur­ Denkm äler- Ein Genie für alle Fälle, Eine deutschen Zeitung vom 15. März 2007
verlag, Köln 2007 (S. 211/212) Beilage der Süddeutschen Zeitung vom 2. fast Herbig, Angst vor Frankensteins Pflan­
Said, freund: ln Deutschland leben, Ein Mai 2007 zen, in: Süddeutsche Zeitung vom
Gespräch, C .II. Beck Verlag, München Ingo Schulze, Adam und Evelyn, Berlin 20./21.3.1993
2004 Verlag, Berlin 2008-10-25 Kultur und Technik 1/2006, Zeitschrift des
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Aufsätze 1959-1989, Max Hueber Verlag, einem versunkenen Land, Suhrkamp Ver­ München
Ismaning 1989 lag, Frankfurt/Main 2008 Technologien des 21. fohrhunderts, Presse­
R o lf Hochhuth, Wessis in Weimar, Szenen dokumentation 25/92, hrsg. Bundesmini-
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Der Literaturstreit im vereinten Deutschland, fens Reich, in: Reden über das eigene
„Es geht nicht um Ghrista Wolf", edition Land, C. Bertelsmann Verlag, München
liirgen Fcick, Herbert Ulli, Aktualitäten­
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Akteneinsicht Christa Wolf, Zerrspiegel und A rn ulf Baring, Deutschland, was nun?,
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Dialog, Eine Dokumentation, hrsg. von W olf Jobst Siedler Verlag, Berlin 1991
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verlag, Hamburg 1993 Goethe-Instituts 1/94 (Europäische Kul­
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Im Dickicht der Stasi - ein deutsches Sabine Christiansen (Hrsg.), Trendwende,
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Leben?, in: Theater heute 2/1993, S. 1 Das Buch zur Lage der Nation, Gustav
ßirmenmarkt?, DER SPIEGEL, Dokument
Heiner Müller, Krieg ohne Schlacht, Leben Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1999
1 vom Februar 1993
in zwei Diktaturen, Kiepenheuer Sr Witsch, Susan Neiman, Fremde sehen anders,
Der Vertrag von Maastricht l-III, DER SPIE­
Köln 1992 Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005
GEL, Dokument 2-4 vom Ju li 1992
Zeitschrift Theater heule 2/1993 (Müllers
Die Festung Europa läßt äie Zugbrücke her­
Moral), Erhard Friedrich Verlag
unter, in: Süddeutsche Zeitung vom
„Ich war nie unschuldig, Whisky, Weissa­ 18.07.1997
gungen, Warten. Heiner Müller wird 65“, „Die Überholspur ist für jeden offen", Euro­ Anhang
Interview in der „Wochenpost“ vom
päische Union feiert historischen Beginn
5.1.1994, S. 30/31
der Osterweiterung, in: Süddeutsche Zei­ Hans Endlich und Harm Mögenburg,
Dieter Kranz, Das gibt's sonst gar nicht, tung vom 31.03.1998 Deutschland, einig Vaterland, Abgang
„Verwandlungen - Ein deutsches Wochen­ einer Diktatur, Chance eines Neuanfangs,
Britta Itehder, Betriebliche Bündnisse für
ende oder 1. Zonenrand-Ermutigung mit
Arbeit in Deutschland, Campus, Frankfurt Diesterweg Verlag, Frankfurt am Main
17 Premieren des Staatstheaters Cottbus",
am Main 2003 1991
in: Theater heute 1/1994, S. 28-30 Ulrich Pfeiffer / Reiner Braun, In der Sparfal- Walter Süß, Ende und Aufbruch - Von der
Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, werk- DDR zur neuen Bundesrepublik Deutsch­
le, in vorwärts 12/2(X)5, S. 28-30
ausgabc edition suhrkamp, Suhrkamp Der Wald stirbt weiter, Schadensbericht der land, Themenhefte Weltgeschichte im
Verlag, Frankfurt am Main 1967 Aufriß, hrsg. Werner Ripper, Verlag Moritz
Bundesregierung und des BUNDES, DER
Maria Stielet; Total normal auf der Bühne,
SPIEGEL, Dokument Nr. 6 vom November Diesterweg, Frankfurt am Main 1992
in: T hüringer Allgemeine vom 18.11.2005 Jürgen Eeick, Herbert Ulil, Aktualitäten­
1992
Iteclams Konzertführer, 14., revidierte Auf­
Waldeslust statt Abholzfrust, JBN-Magazin dienst Gesellschaft, Politik, Wirtschaft,
lage, Philipp Redam jun., Stuttgart 1990 Ausgabe 1994, Ernst Klett Verlag für W is­
Igel (Jugendorganisation Bund Natur­
Stefan Siegert, Neue Musik, vertraute Klän­ sen und Bildung, Stuttgart und Dresden
schutz) 3/2004
ge, in mobil, Das Magazin der Bahn Günter Verheugen, Europa in der Krise. Für
www.greenpeace.org: Grcenfreeze: “Eine
10/2005, S. 10 eine Neubegriindung der europäischen
coole Idee setzt sind durch" vom
Hans Werner Henze, in: Reden über das Idee, Kiepenheuer tx Witsch, Köln 2005
14.01.2004
eigene Tand, C. Rertelsmann Verlag, Unser fahr 2005, hrsg. SÜDKURIER
Es geht auch olme Braunkohle, in Zeitschrift
München 1993, S. 99-111
Greenpeace 4/2005 Medienhaus, Konstanz 2005.
lexikon des internationalen fdms, CD-ROM Egon Bahr, Ein Volk muss Ja sagen können
Klimakataslrrophe7 Heizkostcnschock? Das
Neuausgabe 98/99
sparen wir uns!, in: Natur + Umwelt. zum Vaterland, in: vorwärts 11/2006,
140 Jahre Germanisches Nationalmuseum
Bund Naturschutz Magazin 4/2005 S. 18
Nürnberg, Informationen zur Gründung
W ir sind bereit für das größte Klimaschutz-
und Geschichte des Museums, tirsg. vom
Anhang

53 1., 59, 109, 134u., 135 u.r.); Isolde Ohl-


Bildquellen baum, München (S. 109, 113); Pädagogi­
Lösungen und
sches Zentrum Rheinland-Pfalz, Bad Bildinform ationen
Aktion Gemeinsinn e.V., Bonn (S. 56); Kreuznach (S. 100); PIA Stadl Frankfurt
Peter Apelt, München (78 u.i; DIE am Main, Foto Tanja Schäfer (S. 44); Mar­
ARCHE, Berlin (S. 59 m.E); Archiv für Um schlag: Rothenburg ob der Tauber
lene Pohle, Stuttgart (S. 10, 16, 57); Pres­
Kunsl und Geschichte, Berlin (S. 125); Seite 7: Berlin, 08.05.2006: Berliner
se- und Infonnationsamt der Bundesregie­
ASB-Magazin/F. Zanettini (S. 75); Bayer Schulen aktiv gegen Gewalt und Diskri­
rung, Bundesbildstelle (S. 83 u., S. 159
AG, Leverkusen(S. 152); Bayreuther Fcsl- minierung. Titelverleihung "Schule ohne
m.L); Presse- und Informationsamt der
spiel GmbH (S. 127 o.); Wolfgang Bredow, Rassismus - Schule mit Courage" an der
Stadt Bremen (S. 23 o.l.); l’rognos AG,
Berlin (S. 151), Bund für Umwelt und 276. Schule in Deutschland. Die Schüler
CH-Basel (S. 153); Rheinisches Bildarchiv,
Naturschutz Deutschland (S. 147 m. „Die der Wilma-Rudolph-Gesamtschule in ßer-
Köln (S. 42 I.); Schiller-Nationalmuseum,
Erde brauch! Freunde''); Bundesarchiv, lin-Zehlendorf bekamen ihre Plakette und
Bildarchiv, Marbach (S. 112 r.); Jörg Schö­
Koblenz (S. 63 r.); Bundeskoordination einen Spendenscheck in Höhe von 3000
ner, Dresden (S. 48 r.); Sekretariat der Kul-
Schule ohne Rassismus- Schule mit Cou­ Euro von ihrem Paten Malik Fathi, Fuß­
tusministerkonferenz, Bonn (S. 99); Ser­
rage, Berlin: Logos, Fotos: Melin Yilmaz, ballprofi von Hertha BSC, überreicht (hier
vicebüro der Infobörsen für Frauen, c/o
Berlin (S. 7 u., S9, 69, 74); Cartoon-Cari- mit einer Schülerin). Malik Fathi hatte
neues handeln GmbH (S. 65), SPTF.GF.L-
cature-Contor, München (S. 140); Deut­ dieselbe Schule besucht und hier 2001 sei­
Vcrlag, Hamburg (S. 43); Statistisches
sche Umwellhilfe e.V., Radolfzell (S. 147 nen Abschluss gemacht.
Bundesamt (S. 13, 19, 25); Hans J. Stenzel,
o.r.); dpa, Frankfurt am Main (S. 35 o.); Seite 20: Young people subscribe io die
Berlin (S. 7 m.l., 135 u.); Stifterverband
Deutsche Sportjugend (dsj), Frankfurt am values on which Ihe EU is founded
für die deutsche Wissenschaft e.V., Essen
M ain (S. 71); dpa picture Alliance (Glo­ (W hite Paper 2002).
(S. 17); Süddeutscher Verlag, Bildarchiv,
bus-Statistiken), Hamburg (S. 22, 60, 62, Seite 22: 8, 4, S, 3, 7, 1, 2, 6, 9
München (S. 7 o.r., 53 u.r., 83 o., 109: 5
63 I., 92, 105, 135,136, 137, 138, 139, Seite 23 (von Norden nach Süden, von
Bilder, 112, 148, 159: 4 Bilder); textArt,
147); DSR Deutsche Städte-Keklame, links nach rechts): Kreidefelsen auf
Berlin (S. 39); Tourismus-Zentrale Ham­
Frankfurt am Main (S. 7 <>. I.); Europäi­ Rügen; Marktplatz von Bremen; Berlin
burg (S. 27); Tourismus-Zentrale Nürnberg
sches Parlament: © Europäische Gemein­ Kanzleramt; Rhein mit Loreley; Wartburg
(S. 55); Ullstein Bilderdienst, Berlin (S.
schaften, 1995-2000 (S. 83 m.); European bei Eisenach; Schwarzwald: Blick vom
117); Fotoreport Utri, A-Graz (S. 109,
Commission, Audiovisual Service, F.urope Feldberg; München; Berchtesgaden
115); Verlag für Deutsch, Ismaning (S. 50
and Youth, Brüssel (S. 21); Freies Deut­ Seite 56 links oben: Original Frankfurter;
u.); Volkswagen AG, Wolfsburg (S. 29,
sches Ilochstift, Frankfurt am Main (S. 46 rechts oben: Thüringer Bratwurst; links
135); wiesnteam: www.Wiesnalbum. de
o.r., 110 r.); Gewandhaus zu Leipzig (S. unten: Bayerische Weißwurst: rechts
(S. 87), Wikipedia Commons (S. 8, S. 33
128); JUMA-Redaktion, Köln (S. 59 O.I.); unten: Grünkohl mit Pinkel
Spreewald, S. 40 Quedlinburg, S. 52
Peer Koop, München (S. 109, 116); Alfred Seite 57: VW (Volkswagen) - Wolfsburg
Rheinauen, Heidelberg, S. 56 Weißwurst,
Kunzenmann, A-Innsbruck (S. 143); Land (S. 29), DIE ZEH - Hamburg (S. 28), CeBIT
S. 101 Viadrina, S. 110 Goethe-Ilaus, S.
Brandenburg (S. 34); Landesbildstelle (Welt-Centrum • Büro • Information • Tele­
127 m. Karneval der Kulturen) WWF,
Baden, Karlsruhe (S. 23 u.l.); Landesamt kommunikation) - Hannover (S. 29), WDR
Frankfurt am Main (S. 44 u.);
für Denkmalpflege, Sachsen (S. 48 I.); (Westdeutscher Rundfunk) - Köln (S. 42),
www.fischauktionshalle.com (S. 81);
Landesiuidstdie Berlin (S. 37, 159 u.l.); dpa (Deutsche Presse-Agentur) - Hamburg
wwsv.diepresse.com (S. 98);
Landesbildstelle Bremen (S. 30); Landes­ (S. 28), Mercedes-Benz - Stuttgart (S. 51)
www.brnvbs.de (s. 40 r.),
bildstelle Hessen, Frankfurt am Main (S. Seite 58: Unke Spalte von oben: Leipzig
svww.flickr.com/photo/norberl_blech
44. 45, 50 o., 58); Landesbildstelle Süd­ (Sachsen), Berlin, Frankfurt am Main
„Keine Urheberrechtsbeschränkungen
bayern, München (S. 23 u., 54 o.,u.); Lan­ (Hessen), Köln (Nordrhein-Westfalen)
bekannt" (S. 1 2 2 ); www.pixeHo.de
desmedienzentrum Rheinland-Pfalz, Rechte Spalte von oben: Potsdam (Bran­
(Umschlagfoto, S. 107 u., 110 1.);
Koblenz (S. 23 m.L, 46 u.); Landtag NRW/ denburg), Weimar (Thüringen), Schloss
www.schulen.rosenheim.de (S. 123, Foto:
Foto W. Meyer (S. 7); Lausitzer und Mii- Neuschwanstein (Bayern), Heidelberg
Geld Danitschek); svwsv.lifepr.de (S. 127
teldeutschc Bergbau-Verwaltungsgescll- (Baden-Württemberg)
u. Bregenz): svsvw.groeneenergie-info.nl
schaft (I.M BV) (Foto: Radkc); Renate Seite 59: Das Kinder- und Jugendzen­
(S. 142)
Luscher, München (S. 23 r. (4 x)., 31 o., trum "Die Arche" wurde 1995 in Berlin
32, 34, 35 u.r., 36, 38 u., 39, 461-, 48 m., gegründet. Ziel des Vereins ist es, Kinder
0. =oben / m. = Mitte / u. = unten /
49, 52 m., 54 u „ 58, 59 m.r., 77, 107 <>., von der Straße zu holen, sinnvolle Frei-
1. = links / r. = rechts
109 o.l.; 111, 133, 134 o.); Mauritius Bild­ zeitmöglichkeiten zu bieten und gegen
agentur, Mittenwald (S. 103); Mercedes- soziale Defizite zu agieren sowie Kinder
W ir haben uns bemüht, alle Inhaber von
Benz AG, Stuttgart (S. 51); MM-Verlag, A wieder ins Zentrum der Gesellschaft zu
Itext- und Bildrechten ausfindig zu
Salzburg (S. 126 o.); Nina Mösch, Mün­ stellen.
machen. Sollten Rechteinhaber hier nicht
chen (S. 66); Werner Neumeister, Mün­ Seite 64: Öko-Haus, Öko-Bauer, Öko-
aufgeführt sein, so wären svir für entspre­
chen (S. 42 r.); Andreas Oft, München (S. Waschmittel, Öko-Steuer, Öko-Laden,
chende Hinweise dankbar.
Anhang

Öko-Farben usw., Öko-Audit-Verfahren: Biermann, W olf 41,116, 164


Die „Befragung" von Produkten nach
In d e x Biotechnologie 33,38, 142, 151
ihrer ökologischen Auswirkung ist ein Bildung und Ausbildung: Schulsystem
Beilrag der von der Europäischen Union A ________________________________ 98fb; Hochschulen lOOf.; duales Sys­
geforderten umweltverträglichen Gestal­ Abwanderung 21 tem in der beruflichen Bildung 104ff.;
tung der Industrie. Europäische Vorschrif­ Abwicklung 141 Weiterbildung 107
ten werden verstärkt umweltbezogene 8-Stunden-Tag 137 Bildungskanal BR alpha 97
Qualifikationen verlangen. Das Öko- Agenda 2010 166 ßiklungswesen 99
Audit-Verfallen zum Beispiel erfordert in Airbus 151 Birthler-Behörde 117
gewerblichen Unternehmen fachlich qua­ alte Bundesländer 12, 23ff., 25 Böll, Heinrich U 7 f„ 130
lifizierte Mitarbeiter für das Öko-Control­ alte Menschen (Senioren) 7Sff. Bologna-Prozess 102, 165
ling sowie für die Öko-Bilanzierung, die alternative Energien 148f. Brandenburg 24ff., 34
zur Erlangung des Europäischen Umwelt- Altersarmut 75 Brandenburger Tor 35, 36, 38, 164
zeichens durchgeführt werden muss. Antisemitismus 13 Braunkohlen-Tagebau(-Eörderung), 47
Seite 69: Berlin, 16.09.2005: Open Space Ariane 152 Brecht, Bertolt 118, 121
Veranstaltung von "Schule ohne Arbeitgeber 138 Breitensport 80
Rassismus -Schule mit Courage" in Ber- Arbeitnehmer 75ff„ 136, 138 Bremen 23ff„ 30ff.
lin-Kreuzberg. Teilnehmer waren Schüler Arbeitslosengeld 77, 136ff„ 140 Brüssel 92, 93, 143
aus unterschiedlichen Schulen in Berlin. Arbeitslosenversicherung 136 Bund (= Bundesrepublik) 25
Seite 82: 6 - 5 - 3 - 4 - 7 - 8 - 1 - 2 Arbeitslosigkeit 32, 38, 62, 65, 75, 81, BUND 79, 146
Seite 104: CHE = Centrum für Hoch- 136, 162, 166 Bundesagentur für Arbeit 107, 136
schulentwicklung. Das CHE-Hochschul- Arbeitszeit 65, 136 Bundesbeauftragte(r) für Kultur und
Ranking ist das umfassendste und detail­ Arbeitszeitmodelle 137 Medien 25
lierteste Ranking (= Bewertung) deutsch­ ARD 95 Bundeshauptstadt 9, 24f.
sprachiger Universitäten und Fachhoch­ Arte-Kanal 96 Bundeskanzler, -in 84, 85
schulen. Es richtet sich an Studienanfän­ Asylbewerber 20, 22 Bundesländer (auch: Länder) 9, 23ff.:
ger und Studierende. Asylrecht 20, 21, 85 Hauptstädte 23ff.; Rundfunk und Fern­
Es gibt das HochschulRanking, das For- Altac 88 sehen 94; Schule und Studium 98;
schungsRanking, das LänderRanking und Ausländer 5, 15, 19ff. neue Bundesländer 11, 23ff.;
das AlumniRanking (Erfolg der Absolven­ ausländische Arbeitnehmer 19ff. alte Bundesländer 11, 23ff.
ten am Arbeilsmarkt). Auslandsschulen 72 Bundespräsident 84, 85, 86
im ForschungsRanking 2006 haben es Aussiedler 22 Bundesrat 25, 84f.
neun Universitäten in die Spitzengruppe Auswanderung 22 Bundesregierung 9, 85
geschafft, voran die TU München, die Autoverkehr 45, 149 Bundesstaat, demokratisch-parlamentari­
Universität Karlsruhe und die LMU-Mün- scher - 9, 26, 85
chen. Bewertet wurden die Forschungsak­ Bundestag 84L, 165
tivitäten von 13 Fächern in den Geistes-, IS ____________________________________ Bundesverfassungsgericht 85
Wirtschafts-, Sozial-, Natur- und Inge­ Bach, Johann Sebastian 28, 34, 45, 46, 49, Bundeswehr 71
nieurwissenschaften. 125 Bündnis 90/Die Grünen 87, 88
Seite 159 (jeweils von links nach rechts): Bachelor 102f„ 104 Bürger in der Industriegesellschafl: Belas­
1945 hisste ein Soldat der Roten Armee Bachmann, Ingeborg 117, 130 tungen und Probleme 62, 63ff., 67ff„
die Sowjetflagge auf dem Reichstagsge­ Backsteingotik 33 72ff., 76, 81 f.; ausländische Mitbürger
bäude in Berlin, Potsdamer Konferenz Baden-Württemberg 23(L, 51 19ff.; Freizeit 77f., 136; Sport 70ff.,
17.7.-2.8.1945: Churchill, Truman und BAföG 102, 106 78ff.; Lebensstandard 63, 77ff.; Familie
Stalin während einer Verhandlungspause Bahn und Straße 79, 149f. 60L; Jugendliche 67ff.; alte Menschen
vor Schloss Cecilienhof; DDR-Bürger Bayern 23ff., 53 75ff.
demonstrieren in der Leipziger Innen­ Beitrittsländcr 91, 144 Bürgerinitiativen 81, 89f.
stadt für Reisefreiheit (4. September Beethoven, Ludwig van, 42, 126 Bürgerrechtsgruppicrungen 88
1989); Bürger aus der DDR, West-Berlin Berlin 9, 13ff., 16, 23ff„ 34ff., 163f.
und der Bundesrepublik an und auf der Bernhard, Thomas 122
Mauer am 10. November 1989; Unter­ berufliche Bildung 104ff. C __________________
zeichnung des 2 + 4-Abkommens (1990): Berufsschule 104 CDU 87, 88
die Außenminister von links nach rechts: Betriebsrat 139 Chancengleichheit 67, 98
James Baker (USA), Douglas Hurd (Groß­ Betriebsverfassung 138 CHE 101
britannien), Eduard Schewardnadse Bevölkerung: Einwohnerzahl 12; chemische Industrie 40, 42, 44
(UdSSR), Roland Dumas (Frankreich), Bevölkerungsdichte 12; CSU 87, 88
Lothar de Maiziere (Ministerpräsident der Lebenserwartung 12, 75;
DDR), Hans-Dietrich Genscher (Bundesre­ Minderheiten 15
publik Deutschland) Bevölkerungsdichte 12
Anhang

92f„ 144; EU-Binnenmarkt 142ff.; Kirchen 12f.; Bürgerinitiativen 89


DAAD (Deutscher Akademischer Aus­ Umwelt 145; Verfassung 93; Gewalt 20, 74, 89, 124
tauschdienst) 103 Verkehr 149 Gewerkschaften 138, 139
DDR: Politik 35, 67ff„ 88, 154, 163L; Europäische Zentralbank 44, 91 G irl’s Day 106
Wirtschaft 32; Schulsystem 103; Litera­ Europäischer Binnenmarkt 90ff„ 139, Gleichberechtigung 65f., 86
tur 115f.; Umwelt 47, 145; Nostalgie I42ff„ 149, 156 Globalisierung 89, 94, 137, 142
88; Autos 47; Wirtschaft 140f. Europäischer Gerichtshof 92 Goethe, Johann Wolfgang von 39, 44, 45,
demographische Entwicklung 12, 13, 75 Europäischer Rat 92 46, 11 lf., 125
demokratisch 84t'f. Europäischer Wirtschaftsraum 91 Graduiertenschulen 101
Deutsch (deutsche Sprache) 14ff,: Hoch­ Europäisches Parlament (= Europa-Parla­ Grenzen im Binnenmarkt 143
deutsch 16; Dialekte IS L ; Verkehrsspra­ ment) 83, 92, 93 Grundgesetz 20, 65, 83, 85L, 88, 94, 16S
che 17; Arbeitssprache (EU) 17; Amts­ F.uroparat 90, 92, 94 Grundlagenvertrag 162
sprache 17; Geschäfts- und Verhand­ EUROPOL 145 Grundrechtecharta 93
lungssprache 17 Exilliteratur 121 Gruppe 47, 117f.
Deutsche Bundesbank 44 Extremismus 69 GSM-Standard 153
Deutsche Staatsbürgerschaft 21 Gymnasium 98f., 100
Deutsche Welle 42, 96
Deutsches Museum 55, 134 F ____________________________________
Deulschlandradio 96 Familie 60f. I I _________________
Dialekte 15f. FCKW-Verbot 146 Häfen 27f., 30, 31, 33, 40, 41
Die Linke 87, 88 F.D.P. 87, 88 Hamburg 23ff. 27
documenta 134 Fernsehen 94ff. Händel, Friedrich 41
doppelte Staatsbürgerschaft 21 Feste 78: kirchliche Feste 78; Karneval 42, Handke, Peter 114L, 122
3sat 96 78; Oktoberfesl 78; gesetzliche Feierta­ Handwerk 104, 106, 136
Drogen 82, 144 ge 78 Hannovermesse 30
duales System 104 Filme 129ff. Hanse 27
Dürremnatt, Friedrich 112, 121 Fläche 9 Hansestadt 27, 30, 33
flexible Arbeitszeiten 137 Hartz-Kommission 166
Flughäfen 30, 44, 150 Hauptschule 98f., 105
li _________________________ Flüsse 11, 50, 150 Hauptstadt 9, 24f.
EFTA 90, 91, 144f. Föderalismus 25, 85, 98 Heine, Heinrich 41
Ehrenamtliche Tätigkeit 6S, 82 Forschung 102L, 149, 151 Hcnze, Hans Werner 126L
Einigungsvertrag (Vertrag über die Her­ Frauen, - und Berufstätigkeit 64ff. Hessen 23ff„ 44
stellung der Einheit Deutschlands) 86, Freizeit 72, 77ff., 136 Heym, Stefan 116
123, 164 Fremdenfeindlichkeit 20, 90, t 6Sf. Hightech 105
Einwanderung 20, 22; Fremdenverkehr 27, 33, 79 Hilfsorganisationen 77
Zuwanderungspolitik in der EU 20f. Friedensbewegung 41, 89 Hochdeutsch 16
Einwandcrungsland 20, 21 Frisch, Max 112, 121 Hochschulen 98, lOOff.;
Einwohnerzahl 12, 2S S %-Klausel 85, 86 Hochschulreformen 101
Elbe-Havel-Kanal 40, ISO Fußball 79ff., 1S6f. Hörfunk siehe Rundfunk
Elite 101 I fugenotten 34, 40
Elterngeld 64 Humboldt-Porum 37
Energiepolitik 148 G ___________________________________
Energieträger 148 G-8 (Gruppe der sieben Staats- und Regie­
erneuerbare Energien 148 rungschefs der größten lndustrie-län- I _____________________
EU siehe Europäische Union der) 140 Identitätskrise 154ff.
EU-Kommisslon 17, 92 Galileo 121, 152,173 Individualisierung 81
EU-Ministcrrat 92 Ganztagsschule 64, 100 Industriestandort Deutschland 142
Euro 44, 91 Gastarbeiter 19, 22, 130 innere Einheit 154ff.
Euro-Stabilitätspakl 92 Gedenkstätten 46,133f. Innovationen 142
Europa: Sprachen 17f.; Geschichte 90fL; Gentechnik 151 Inseln 10,11,26,32
europäische Institutionen 92f., 144; Geographie 24: Fläche 9, 25; Inseln 10, Integration 13,21, 144 (Europa)
Verfassung 93; EU-Binnenmarkt 142ff. 11; Seen 1I; Nachbarstaaten 9; Länge ISS-Station 152
Europa-Artikel 23 88 der Grenzen 9
Europaflagge 83, 94 Germanisches Nationalmuseum 134
Europäische Union (= EU) 25, 86, 92: Gesamtschule 100
Sprachen 17L; Biidungsprogramnie 98, gesellschaftliche Gruppen: Parteien 86ff.;
103; Berufsprofile 105; Institutionen Gewerkschaften 138; Tarifpartner 138;
Anhang

j ____________________________ M ____________________________________ O _________________________


Jelinek, F.lfriede 130 Maastrichter Vertrag (Vertrag von Maas­ Obdachlose 62
Juden in Deutschland 13, 35, 44, 55, tricht) 90f. Oder-Neiße-Grenze 22, 32
1331., 162 Main-Donau-Kanal 150 OECD 98, 142
Jugend: Ost und West 67t'f.; Shell-Jugend­ Mann, Thomas 12lf. öffentlich-rechtlicher Rundfunk 94f.
studie 68; Berufswahl 104ff.; Jugendor- Marktwirtschaft 140f., 144 Öko-Haus 64
ganisationen/-verbände 71f.; Jugend­ Massentourismus 79 Ökologie 40f., 64, 71, 106, 147
parlamente 72; Reisen 781'. Master 102, 104 ökologische Probleme 47
Jugend- und Kindertheater 124 Mauer (Berliner-) 35E, 154, 163 Ost- und Westdeutschland 11, 56: Einheit
Jugendorganisationen/-verbände 71f. Mecklenburg-Vorpommern 23ff., 31 88; Kirche 12L; Wohnen 61ff.; Arbeits­
Jugendprogramme 71 f. Medien 28, 94f. losigkeit 65,136; Lebensbedingungen
Jugendweihe 13 Mehrsprachigkeit 18 63; Mieten 63; Löhne 63; I .andwirt-
Meisterprüfung 106 schaft 32; Frauen und Berufstätigkeit
Mendelssohn Bartholdy, Felix 28, 49, 64ff.; Jugendliche 67ff.; Hochschulen
K ____________________________________ 125f., 128 102f.; berufliche Bildung 104f.; Sport
Kant 110 Messen/Messestandorte 48, 140 80L; Wirtschaft 139; Gesellschaft 65,
Karl der Große 14,41,160 Mieten 62, 63 154f.; Naturschutz 31,79; Politik IS4f.
Karneval, Kölner 42, 78 Mikroelektronik 48 Osterweiterung 91,144
Kernenergie 148, 166 Minderheiten 12, 15, 17,90
Kinderarmut 64 Mindestlohn 138
Kindergeld 140 Mitbestimmung 138 P __________________________________________
Kinderbetreuung 64 mioeiständische Wirtschaft 140 Parallelgesellschaften 67
Kirchen 12f. Mobilfunk 153f. Parlament 9, 84f.
Klassiker 110 Montagsdemonstrationen 47, 164 Parlamente 25, 84
Klima 11, 26, 33, 35, 43, 50 Mozart, Wolfgang Amadeus 12Sf. parlamentarisches Regicrungssystem 84
Klimawandcl 11, 43f., 145f. multikulturell 20 Parteien 85, 86ff.
Klimaschutz 148f. Muschg, Adolf 113 Patriotismus 156f.
kommunales Wahlrecht 21 Museen 39, 133f.: Bode-Museum 133; PDS 88
Konkurrenzfähigkeit 136 Deutsches Museum 134; Germanisches Pergamonmuseum 133
KSZE (Konferenz Uber Sicherheit und Nationalmuseum 134; Museum Ludwig Personen- und Güterverkehr 150
Zusammenarbeit in Europa) 18, 164 134; Museumsinsel in Berlin 133; Per­ Pflegeversicherung 76
Kultur 15, 17, 28, 36E, 39, 46, 86, 96, gamonmuseum 133; Wallraf-Richartz- Pinakothek der Moderne 134
109ff„ 123 Museum 134; Pinakothek der Moderne PISA-Studie 98, 166
kulturelles Leben: Medien 94ff.; Literatur 134 Planwirtschaft 140
1lOff.; Musik I25ff.; Film I29ff.; Museumsinsel in Berlin 133 Politikverdrossenheit 69
Museen 133L Muslime 14 politische Struktur 83ff.: parlamentari­
Kunert, Günter 116, 119f. Müller, Heiner 116, 123 sches Regierungssystem 84; Parteien,
Kunze, Reiner 116,1181. 84, 86ff.; sonstige Gruppierungen 88t.;
Kyoto-Protokoll 145, 148 Institutionen 84ff.; Bund und Länder
N ____________________________________ (Föderalismus) 25, 84, 85, 98
Nachbarstaaten 9 Potsdamer Abkommen 32, 35, 163
I. _________________________ Nachhaltige Entwicklung 35, 43, 148 Potsdamer Konferenz 35,159, 172
[.ander (= Bundesländer, Föderalismus) Nationalparks 31 f., 148 Presse 28, 94f.
25, 71, 84f., 98 Nationalsozialismus 121 f., 132, 133, 162f. „prekäre" soziale Verhältnisse 64
Landcrparlamenle 85f., 89 Nationalsozialisten (Nazis) 53, 55,1621. Preußen 34,161 f.
Landessprache 14 Nationalstaat 157, 162 private Sender 9Sf.
Landschaft 26, 29, 32, 34, 39, 47, 50, 54 Neonazis 73ff., 157 Privatisierung 140
Landschaften 11; Flüsse und Seen 11, 54; neue Bundesländer 12, 23ff., 25 Programme der Europäischen Union
Gebirge 10, 11, 54 nichteheliche Lebensgemeinschaften 60f. 103f.
Landwirtschaft 27, 32, 52, 54 Niedersachsen 23ff., 29
Lehrstellen !05f. Niedriglöhne 136, 145
Löhne 63, 77, 137 Nord-Ostsee-Kanal 27, ISO R ________________________
Luft- und Raumfahrt 150 Nordrhein-Westfalen 23ff., 4 1 RAF 132, 163
Luftreinhaltung 145f. NPD 89 Rationalisierung 105, 137, 140
Luftverkehr 149E Realschule 98,100
Luther, Marlin 16, 39, 45L, 125, 160 rechtsextreme Parteien 89
Rechtsextremismus 20, 89
rechtsextremistische Vereinigungen 89
Anhang

Rechtsradikalismus 73ff., 1S7,165 Studium 98, lOOff. Weimarer Republik 46, 162
Reformen 12, 98, 137, 166f. Sturm-und-Drang-Dichtung 111 Weinanbau 50, 52
Reisen 78f. Subsidiaritätsprinzip 25, 165 Weinfeste 78
Religion(en) 12f„ 44, 166 T ____________________ Weiterbildung 107
Religionsunterricht 12, 100 Tageszeitungen 94f. Welterbeliste 27, 42, 43, 110, 167
Rentner 136 Tarifautonomie 138 Wende 9, 12f., 13, 32, 47, 48, 67ff., 80,
Rezession 140 Tarifpartner 138 85, 116, 120, 123, 131, 136, 141, 164
Rheinland-Pfalz 23ff., 50 Technologiepolitik lSlf. Werften 30
Römisch-Germanisches Museum 42 Teilzeitbeschäftigung 64 Westdeutschland, siehe Ost- und West­
Rundfunk (= Hörfunk) 42, 94ff. Telekommunikation 91, 105, 152 deutschland
Thüringen 23ff., 45f. Wetter 11
Tourismus 52, 78f. Windanlagen 148
S ____________________________________ Trabi 47 Wirtschaft 27, 29, 30, 32, 34, 38, 40, 41,
Saarland 23ff., 25, 51 Treuhandanstalt 141 44, 45: wirtschaftsgeographische Zen­
Sachsen 23ff., 47ff. tren 40, 44, 55, 141f.; Autoindustrie 29,
Sachsen-Anhalt 23ff., 39 42, 47, 51, 54; Hochtechnologie 51,
sanlter löurismus 31, 79 U _________________________ 151ff.; chemische Industrie 40, 42, 44;
Schengener Abkommen 165 Umwelt 47, 54, 145ff.; Bund für Umwelt Elektro- und Elektronikindustrie 44,
Schiffsverkehr 150 und Naturschutz Deutschland 71, 79, 51, 54, 55; Maschinenbau 42, 54, 55;
Schiller, Friedrich 45, 46, 1! lf „ 124, 160 146; Europäische Union 146, 148; Bergbau (Kohlebergbau) 41, 47, 51;
Schleswig-Holstein 23ff., 26f. Staatsziel Schutz der natürlichen Kernindustric 148; Luft- und Raum­
Schule 98ff. I.cbensgrundlagen 86; Reinhaltung der fahrtindustrie 33, 54, 151; Stahlindu­
Schüleraustausch 72 Luft und des Wassers 145f.; Waldster­ strie 41, 51, 152; neue Technologien
Schulsystem 98ft. ben 45, 145f.; Nationalparks 31, 148; 151ff.; Energieversorgung 148; Sozial­
Schwaben S 1 Naturschutz 79; FCKW-Verbot 146; partner 138; Soziale Marktwirtschaft
Schweiz 91 Wohnen 64 144; Europäischer Binnenmarkt 142ff.;
Seen VI, 26, 32, 34, 47, 54 Umwelttcchnologie 151 Wirtschafts- und Währungsunion (EU)
Shell-Jugendstudie 68f. Urlaub 78f. 164
Singles 60f. wirtschaftsgeographische Zentren 40, 44,
Sinti und Roma (Zigeuner) 15 49, 55, 141 f.
Solaranlagen 147ff. V ____________________________________ Wochenzeitungen 94
Solidarität 69, 81, 92 Vereine 78, 80, 82 Wohlfahrtsverbände 77
Solidarleistungen 140 Vereinigung (auch: Wiedervereinigung) 9, Wohnen 61 ff.
Solidarpakt 25, 141 38, 39, 45, 47, 48, 67fL, 88, 91,117, Wohngemeinschaften 60
Sorben 15, 39 15 4 f f 164 Wohnungsbau 62
soziale Fragen: Familie 60f,; nichteheliche Verfassung (siehe auch Grundgesetz) Wolf, Christa I i Gf., 120
Lebensgemeinschaften 60f.; Frauen 85, 93
64ff.; Individualisierung 81 Vcrfassungskommlssion 86
soziale Gerechtigkeit 98 Vergangenheitsbewältigung 86 Z ____________________________________
soziale Marktwirtschaft 140, 144, 167 Verhältniswahlrecht 85 ZDF 96
Sozialhilfe 77 Verkehrswege 33, 45, 149f. Zeitschriften 95
Sozialleistungen 76, 140: Arbeitslosengeld Vertrag von Nizza 93 Zeitungen 94
136, 140; Kinder-/Eltemgcld 64, 140; Viadrina 101 Zis'ildienst 71
Sozialhilfe 77; Wohngeld 140 Volkshochschulen 107 Zugverkehr 149
Sozialstaat 75 Volkswagen 29, 47 Zukunftstechnologien ISOff.
SPD 87, 88 Zuwanderung 20f.
Sport 7Off, 77, 78ff. Zuwanderungs- und Integrationsgesetz 20
Sprachen 14f„ 17ff. \v_________________________ 2+4-Vertrag 164
Sprachschichten 15f. Wahlen 85, 86ff.
Staatsbürgerschaft 21 VVährurigs-, Wirtschafts- und Sozialunion
Staatsform 9 (deutsch-deutscher Staatsvertrag) 90L,
Staatssicherheit (Stasi) 80, 117, 164 93, 144,164
Staatsziele 86 Waldstcrben 47, 146
Standort Deutschland 142 Wallraf-Richartz-Muscum 134
Stockhausen, Karlheinz 1261. Walser, Martin 117
Straßen 32,33, 40, 55, 149 Wasserstraßen 44, 149
Strauß, Botho 123 Wehrdienst 71
Strukturwandel 94, 136f. Weihnachten 78
Studiengebühren 98, 102 Weimar 45f., 110
Anhang

Kapitel 5 tur für den Wiederaufbau:


Links
www.bach-leipzig.de: Bachfest in Leipzig www.ear.europa.eu
www.bregenzerfestspiele.com: Europäische Agenturfür Netz- und Infor­
Viele weitere Links finden Sie unter
Festspiele in Bregenz am Bodensee mationssicherheit: www.eriisa.europa.eu
www.deuLsch-verlag.com.
www.sta atsoper.d e:
Irland: Europäische Stiftung zur Verbes
Münchner Opcrrifestspiele
Kapitel i serungder Lebens- und Arbeitsbedin
www.salzburgfestival.at-. Salzburg Festival
www.destati5.de:Statistisches Bundesamt gungen: www.eurofound.europa.eu
www.herrenchiemsee-festspiele.de:
www.bundesregierung.de: Regierung
Festspiele im Schloss Herrenchiemsee Italien: Europäische Behörde für Lebens­
online
www.musikalischersommer.net: mittelsicherheit: www.efsa.europa.eu
Musikfestival in Ostfriesland Europäische Stiftung für Berufsbildung:
Kapitel 2
www.endorfer-hof.de: w w w.etf.e uropa..eu
www.statistik-portal.de: Statistische
Opernfestival auf Gut Immling (Bayern)
Ämter des Bundes und der Länder Luxemburg: Übersetzungszentrum:
www.kurtmasur.com:
vyww.cdt.europa.eu
I lomepage von Kurt Masur
Kapitel 3 Exekutivagenturfür das Gesundheitspro­
www.schulzeneuerleberi.de:
www.bmfsfj.de: Bundesministerium für gramm: www.phea.europa.eu
Homepage von Ingo Schulze
Familie, Senioren, Frauen und Jugend
w w w.elfriede-ielinck.com: Niederlande: Europäische Einheit für
w w w .dbir.de: Deutscher Bundesjugend ring
Homepage von Elfriede Jelinek justizielle Zusammenarbeit:
www.jetzt.de: Jugendprogramm der
www.skulptur-projekte.de: www.eurojust.europa..eu, Europäi­
Süddeutschen Zeitung
Auseinandersetzung mit den öffentli­ sches Polizeiamt:
www.bpb.de: Bundeszentrale für politi­
chen Raum (Münster) www.europol.europa.eu
sche Bildung
www.documenta 12 .de:
w ww.hilfsorganisationen .de: Portal
documenta in Kassel Polen: Europäische Agentur für die ope­
zu Rettungsdiensten
rative Zusammenarbeit an den Außen­
Kapitel 6 grenzen: www.frontex.europa.eu
Kapitel 4
Institutionen der EU:
www.kika.de:ARD/ZDF-Kinderkanal Portugal: Europäische Beobachtungs­
Belgien: Europäische Fischereiauf­
www. kindernetz.de: SW RKindernetz stelle für Dogen und Drogensucht:
sichtsagentur: www.cfca ,eu ropa ,eu
www.liliputz.de: Kinderradio vom WDR www.emcdda.europa.eu. Europäische
Exekutivagentur Bildung:
www.kmk.org: Kultusministerkonferenz Agentur für die Sicherheit des Seever­
www.eacea.europa.eu
www.sch u le-o hne- rassismus.de: kehrs: www.emsa.e uropa.e u
Europäische Verteidigungsagentur:
Schul-Initiativen
www.eda.europa.eu Schweden: Europäisches Zentrum für
www.schulweb.de: Schulen im Internet
Exekutivagentur für intelligente Ener­ die Prävention und die Kontrolle von
w w w.daad.de: Deutscher Akademischer
gie: www.ieea.europa.eu Krankheiten: www.ecdc.europa.eu
Austauschdienst
w ww.his.de: Hochsch u Iinformat ion ssy Deutschland: Europäische Agentur für Spanien: Harmonisierungsamt für den
stem Flugsicherheit: www.easa.europa.eu Binnenmarkt: www.ohim.europa.eu
www.bpb.de: Bundeszentrale für politi­ Europäische Agentur für Sicherheit und
sche Bildung Dänemark: Europäische Umweltagen
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz:
www.studis-online.de: tur: www.eea.europa.eu
www.osha.europa.eu, Satellitenzen­
Informationen zum Studium trum der EU: www.eusc.europa.eu
Frankreich: Gemeinschaftliches Sorten-
www. bafoeg.bm bf.de: Bafög-1 nfos
amt: www.cpvo.europa.eu
www.bafoeg-rechner.de: Informationen Vereinigtes Königreich: Europäische
Europäische Eisenbahnagentur:
ums Bafög Arzneimittel-Agentur: www.emea.europa.eu
www.era.europa.eu
w w w .bmbf.de: Bundesministerium für Europäische Polizeiakademie:
Institut der europäischen Union für
Bildung und Forschung w ww.ee pol ,e uropa.eu
Sicherheitsst udien: www, iss.eu ropa.e u
Österreich: Europäische Agentur für
Griechenland: Europäisches Zentrum für die
Grundrechte: www.fra.europa.eu
Förderung der Berufsbildung:
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Renate Luscher

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