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FRANKFURTER RUNDSCHAU › STARTSEITE › ZEITUNGSARCHIV
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www.bz.berlin.de
www.havemann-gesellschaft.de/erl106.htm
Vortrag von Dr. Sandra Pingel-Schliemann anläßlich der Buchvorstellung am 23. Mai 2002 in
Berlin
Am 8. Oktober 1986 eröffnete Oberleutnant Olbert von der Bezirksverwaltung Schwerin des
Ministeriums für Staatssicherheit einen sogenannten Operativen Vorgang - dabei handelt es
sich um eine Opferakte - gegen die junge Ärztin R., da sie sich verstärkt in der politischen
Opposition zu engagieren begann.
Im Eröffnungsbericht legte Olbert die "Realisierung umfassender, komplexer und
abgestimmter Kontroll- und Aufklärungsmaßnahmen zur R." fest. Beziehungen und
berufliche Perspektiven sollten ebenso zerstört werden wie die psychische Konstitution von
Frau R. Oberleutnant Olbert lagen Hinweise vor, daß Frau R. an einer "manisch-depressiven
Erkrankung" litt, da ihm "kooperative" Ärzte Einblick in ihre Krankenakte gewährt hatten.
Olbert konstatierte: "Genannte Diagnose wurde während mehrmaliger/langfristiger
Untersuchung der R. gestellt und hat Bedeutung für die weitere operative Bearbeitung dieser
Person im OV." Alle in den folgenden Monaten gegen Frau R. eingeleiteten
geheimpolizeilichen Maßnahmen waren ganz individuell auf den inoffiziell ermittelten
Gesundheitsbefund abgestimmt, um ihre psychisch vorhandenen resignativen Stimmungen
und Ängste zu verstärken.
Wenige Monate nach Eröffnung des OV bemerkten Freunde und politische Mitstreiter erste
Veränderungen bei Frau R.: Sie isolierte sich zunehmend, sprach kaum noch mit jemandem
und magerte ab. Was war geschehen?
Das MfS hatte ein breites Instrumentarium an Maßnahmen gegen die Frau eingesetzt, die
unter einen bestimmten Begriff zu fassen sind: Zersetzung.
Zu den gegen Frau R. eingeleiteten Zersetzungsmaßnahmen gehörte, daß MfS-Mitarbeiter
mehrmals hintereinander mit einer Schlüsselkopie heimlich in die Wohnung von Frau R.
eindrangen. Einmal verhängten sie die Bilder in ihrer Wohnung. Beim nächsten konspirativen
Einbruch verstellten sie die Gewürzdosen in der Küche. Ein anderes Mal tauschten sie den
Lieblingstee durch andere Sorten aus. Die Mitarbeiter kamen wieder und wieder. Sie ließen
sich jeweils etwas Neues einfallen. So hängten sie auch die Handtücher im Badezimmer ab
und ordneten die Blumentöpfe auf den Fensterbänken neu.
Des weiteren ließ der vorgangsführende Offizier Olbert über Inoffizielle Mitarbeiter das
Gerücht verbreiten, daß eine der besten Freundinnen von Frau R. für den
Staatssicherheitsdienst als Spitzel arbeite.
Zudem dehnte Olbert die Zersetzungsmaßnahmen auch auf die Arbeitsstelle von Frau R. im
Anna-Hospital in Schwerin aus, wo sie als Ärztin tätig war. Die dort tätigen Inoffiziellen
Mitarbeiter des MfS, darunter mehrere Ärzte, bekamen von ihm den Auftrag, "die fachliche
Tätigkeit der R. als unzureichend und nicht der notwendigen Qualifikation entsprechend zu
diskreditieren." Diese, im Stasi-Maßnahmeplan gegen Frau R., fixierte Anordnung schlug sich
in der Praxis schließlich so nieder: Bei den allmorgendlichen Auswertungen der
Röntgenbilder sagte ihr der Chefarzt, der als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS geführt wurde,
daß ihre Befunde falsch seien. Die Ärztin diagnostizierte beispielsweise bei einem Patienten
eine Bronchitis. Der Chefarzt jedoch behauptete im Auftrag des Staatssicherheitsdienstes, dies
sei keine. Diese Eingriffe, die Frau R. verunsichern sollten, wiederholten sich. Auch vor den
Patienten wurde ihr während der obligatorischen Visite gesagt, daß ihre Diagnosen völlig
abwegig seien. So kam es, daß sich Kranke von der Ärztin nicht mehr behandeln lassen
wollten.
Der psychische Zustand von Frau R. wurde durch die Kombination dieser
Zersetzungsmaßnahmen überbeansprucht. Frau R. kapselte sich völlig von ihrer Umwelt ab.
Sie zog in ihrer Wohnung nicht mehr die Gardinen auf und entfernte ihr Türschild. Letztlich
wurden die Ängste von Frau R. so schlimm, daß sie ihre eigenen vier Wände gar nicht mehr
verließ, "um", wie sie später in der Psychiatrie angab, "endlich die abzupassen, die ihre
Wohnung betreten und verändert hätten, wahrscheinlich welche von der Stasi, aber genau
wisse sie dies nicht".
Nach Aktenöffnung wissen wir, daß die teilweise mysteriösen Vorgänge im Leben von Frau
R., von denen sie Freunden immer wieder berichtet hatte, keine Hirngespinste waren, sondern
ein ausgeklügelter Bestandteil des Zersetzungsprozesses. Frau R. jedoch sollte dies nicht mehr
erfahren. Sie beging wenige Monate nach dem politischen Umbruch in der DDR Selbstmord.
Unter Zersetzung ist eine spezifische Repressionsmethode des MfS zu verstehen, die in der
DDR der Honecker-Ära angewandt wurde. Sie zielte darauf ab, bei politischen Gegnern
Lebenskrisen hervorzurufen, nicht nur um sie zu bestrafen, sondern auch, um die Betroffenen
mit den verdeckt initiierten persönlichen Sorgen so in Schach zu halten, daß weder Zeit noch
Energie für "feindlich-negatives" Handeln blieb.
Die Zersetzung als Repressionsmethode unterscheidet sich von anderen einschneidenden
Formen der Verfolgung wie Folter, Haft und Tötung wesentlich dadurch, daß sie nicht offen,
sondern verdeckt gegen politische Gegner eingesetzt wurde. Anders gesagt: Das MfS als
Urheber der Zersetzungsmaßnahmen blieb für die Betroffenen in aller Regel im Verborgenen.
Die MfS-Mitarbeiter traten bei der Ausführung der Maßnahmen auch kaum selbst in
Erscheinung. Sie ließen meist andere die Zersetzungsmaßnahmen erledigen, wie die
Inoffiziellen Mitarbeiter und die sogenannten Partner des "politisch-operativen
Zusammenwirkens". Zu letzteren müssen alle staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte in der
DDR gezählt werden, wie die örtlichen Räte, die Räte auf Kreis- und Bezirksebene, die
Volks- und Kriminalpolizei, die Justizorgane, die Medien, aber auch die Kader in den
Schulen, Universitäten und Betrieben und nicht zuletzt die Hausnachbarn. Durch die
inoffiziellen und offiziellen Erfüllungsgehilfen gelang es dem MfS, die Eingriffe in die
Biographien aus so vielen Richtungen zu inszenieren, daß es für die Zersetzungsopfer
schlichtweg unmöglich war, ihre Verfolgungssituation zu erkennen.
Die Detailversessenheit, die Akribie, mit der das MfS die Verfolgung von politischen
Gegnern betrieb, läßt ein zweites spezifisches Merkmal der Zersetzung hervortreten: Neben
der Anonymität der Gewalt zeichnete sich die Zersetzung dadurch aus, daß sie eine
persönlichkeitsorientierte Gewalt war. Das heißt, sie richtete sich wesentlich nach der
Individualität des Opfers. Aber diese Ausrichtung, die gleichsam operative Anerkennung der
Besonderheit des jeweiligen Individuums, diente allein dem Zweck der Zerstörung oder
zumindest der erheblichen Beschädigung der Persönlichkeit. In der personenbezogenen Arbeit
des MfS zielte deshalb alles darauf ab, den "schwächsten Punkt" oder die "empfindlichste
Stelle" der verfolgten Person herauszufinden, um sie dann für Maßnahmen der Zersetzung
nutzbar zu machen. Offenkundig wird dies auch durch die Tatsache, daß der
Staatssicherheitsdienst an seiner Juristischen Hochschule in Potsdam-Eiche eigens einen
abnormen Zweig der Psychologie etabliert hatte: die "operative Psychologie". Systematisch
wurden psychologische Wissensbestände und Erkenntnisse instrumentalisiert, um Menschen
zu schaden.
Maßnahmen der Zersetzung waren keine Einzelmaßnahmen, sondern das MfS kombinierte
immer verschiedene miteinander, um die zerstörerische Wirkung zu erhöhen. Dies ist ein
weiteres wichtiges Kriterium der Zersetzung. Durch die schlagartig hintereinander
ablaufenden "Operationen" wurden Personen erst nach und nach psychisch zermürbt. Wenn
man einzelne Zersetzungsmaßnahmen isoliert voneinander betrachtet, so nehmen sich manche
harmlos und lächerlich aus. Jeder Anschein von Lächerlichkeit verschwindet jedoch, wenn
man sich die vom MfS genau kalkulierte Mischung von Zersetzungsmaßnahmen bewußt
macht, denn dadurch wurden die Betroffenen einem Psychokrieg ausgesetzt, in dem alles
Stabilisierende und Vertraute im Leben aus den Fugen geriet.
Als typische Strategien der Zersetzung kristallisierten sich unter anderem folgende heraus:
1. Die Inszenierung beruflicher Mißerfolge durch die Verhinderung von Fortbildungs-
und Aufstiegschancen, die Zuweisung eines neuen Arbeitsplatzes, die Verringerung
des Gehaltes, das Ausbleiben betrieblicher und öffentlicher Anerkennung.
Berufliche Degradierungen waren mit einer sozialen Isolierung, einem sozialen
Abstieg und finanziellen Schwierigkeiten verbunden. "Die Wirkung", so das MfS,
"beruht darauf, daß ein Verdächtiger, der über längere Zeit und mit einer bestimmten
Intensität berufliche oder gesellschaftliche Mißerfolge erlebt, psychisch stark belastet
und beeinflußt wird. Das kann schließlich zur Erschütterung des Selbstvertrauens
führen. Damit wird der Betreffende vor allem mit sich selbst beschäftigt und muß nach
Wegen suchen, seine persönlichen Schwierigkeiten zu überwinden. Die Lösung der
für ihn so bedeutsamen Konfliktsituation läßt zumeist keine Zeit für staatsfeindliche
Handlungen bzw. der Verdächtige verfügt nicht mehr über die dafür notwendige
psychische Kraft."
2. Die Diskreditierung des Ansehens durch die Verbreitung von Halbwahrheiten und
Unwahrheiten, wie angeblicher Ehebruch, pornographische Interessen und/oder
Alkoholmißbrauch.
Das MfS initiierte die Gerüchte immer so, daß sie den Anschein von wahren
Tatsachen erhielten. Oder anders gesagt: Es leitete parallel zu den Gerüchten spezielle
Maßnahmen ein, die es für die Betroffenen aussichtslos machten, die diskreditierenden
Angaben zu entkräften, indem es zum Beispiel Fotomontagen anfertigte.
3. Die Kriminalisierung wegen unpolitischer Delikte durch Einleitung von
Ermittlungsverfahren wegen Zoll- und Devisenvergehens, Drogenbesitzes,
Verführung Minderjähriger, Vergewaltigung, Diebstahls oder asozialen Verhaltens.
Das Perfide an dieser Zersetzungsstrategie ist auch hier, daß die Betroffenen in vielen
Fällen keinerlei Anhaltspunkte für kriminelle Vergehen lieferten, sondern daß ihnen
diese durch sogenannte "operative Kombinationen" und "operative Spiele" vom MfS
untergeschoben wurden.
4. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch Reisesperre, Berlin-Verbot,
Erstellung eines PM 12, organisierte Einberufung zum Wehrdienst, Stillegung des
PKW, Entzug des Führerscheins, Verhinderung von Wohnortwechseln, Organisierung
von Wohnungszuweisungen.
und nicht zuletzt:
5. Die ständige Reglementierung durch Aussprachen bei den beruflichen Vorgesetzten,
bei der Polizei und den Massenorganisationen.
Abschließend noch drei grundsätzliche Anmerkungen:
1. Mit Zersetzungsmaßnahmen operierte das MfS erst systematisch zu Amtszeiten
Honeckers. Unter Ulbricht agierte der Staatssicherheitsdienst noch offen und mit
klassischen Unterdrückungsmethoden. Bis in die sechziger Jahre gehörten
Massenverhaftungen, Entführungen, eine rigorose Verurteilungspraxis und ein
brutales Haftregime zum Unterdrückungsrepertoire des MfS. Unter der Herrschaft
Honeckers hingegen ging es durch die methodische Entwicklung von Maßnahmen der
Zersetzung "sauberer" und "wissenschaftlicher" zu, es gab "weniger Blut" und
körperliche Mißhandlungen. Der Übergang vom offenen Terror zur verdeckten und
subtilen Repression hatte vor allem außenpolitische Ursachen. Offene Gewaltformen,
und dazu gehörte auch die Inhaftierung politischer Gegner, schadeten dem Bemühen
Honeckers um internationale Reputation und wirtschaftliche Kontakte zum Westen.
Denn im Westen galt von vornherein das Prinzip, der DDR nur dann Finanzspritzen
und Wirtschaftshilfen sowie politische Achtung zuteil werden zu lassen, wenn die
Parteiführung dies mit einem gewissen Wohlverhalten bezahlte, und dies bedeutete
primär die Umsetzung von Menschenrechten im Land. Dem Westen sollte mit der
überwiegenden Beschränkung auf "lautlose" Maßnahmen der Zersetzung der
Anschein von Rechtsstaatlichkeit in der DDR vermittelt werden. Der Methodenwandel
bedeutete aber keine Liberalisierung. Die Repressionsinstrumente wurden lediglich
den außenpolitischen Ambitionen der Regierung angepaßt.
2. Die sich erst nach der Öffnung der MfS-Akten offenbarenden Herrschaftstechniken
des MfS, zu denen auch die Methode der Zersetzung gehörte, führten zu einer
Renaissance der Totalitarismustheorien. Die spezifische Auseinandersetzung mit dem
MfS hat mich mehr denn je in der Überzeugung bestärkt, daß auch die späte DDR
unter den Totalitarismusbegriff - allerdings einem modifizierten - gefaßt werden kann.
Auch wenn in der DDR der siebziger und achtziger Jahre kein manifester Terror mehr
nachzuweisen ist, wurde sie meines Erachtens nicht einfach nur autoritär. Das Wirken
des MfS unter der Herrschaft Honeckers zeigt vielmehr, daß der Terror kein
konstitutives Merkmal einer totalitären Diktatur mehr sein muß, sondern daß die
allumfassende kontrollierende und manipulierende Verfolgung ebenfalls totalitär
waren. Um die DDR jedoch als eine besondere Form der totalitären Diktatur stärker
vom Nationalsozialismus, Stalinismus und der Ulbricht-Herrschaft abzugrenzen, halte
ich es für angebracht, sie in der Phase Honeckers als "subtile" totalitäre Diktatur zu
bezeichnen.
3. Die Brisanz des Themas ergibt sich nicht nur aus der politisch-historischen
Perspektive, sondern auch aus einer moralischen. Zahlreiche Oppositionelle, die sich
damals für Freiheitsrechte in der Diktatur stark machten und deshalb den
verschiedensten Repressionsmaßnahmen ausgesetzt waren, erhalten im
demokratischen Staat weniger Aufmerksamkeit als die Täter. Während einstige
Vernehmer und Operative Vorgänge führende Offiziere ihr Geld in karitativen
Einrichtungen verdienen, Angestellte bei Sparkassen und Versicherungen sind, ist
weder die soziale Absicherung der Zersetzungsopfer noch die berufliche
Wiedereingliederung in den vergangenen Jahren maßgeblich vorangekommen.
Im Jahr 2001 machte der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion für ein 3. SED-
Unrechtsbereinigungsgesetz erstmals Hoffnung, daß Zersetzungsopfer als eine Opfergruppe
moralisch und materiell rehabilitiert werden könnten. Am 18.Mai 2001 scheiterte dieser
Gesetzentwurf aber an den Stimmen der Koalition. Es sei unsinnig, so der Tenor der
Regierungsmehrheit, Haftopfer und Zersetzungsopfer gleichzusetzen. Außerdem erlaube die
Kassenlage eine solche Sonderrente nicht. Am selben Tag beschloß der Bundestag die
Erhöhung der Altersbezüge für ehemalige MfS-Mitarbeiter und SED-Funktionäre, da das
Bundesverfassungsgericht im Jahr 1999 die im Einigungsvertrag festgelegte Streichung der
Sonderansprüche für diese Personengruppen als gesetzwidrig erklärt hatte.
Geschehenes Unrecht kann nicht gänzlich wieder gutgemacht werden. Aber es kann nicht
sein, daß die Schieflage in Deutschland zwischen Opfern und Tätern der SED-Diktatur so
groß ist. Und es kann auch nicht sein, daß ehemalige Stasi-Generäle, so wie jüngst, immer
noch die Legende verbreiten, die DDR wäre kein Unrechtsstaat gewesen und die Zersetzung
habe "keinesfalls psychische und physische Zerstörung einer Persönlichkeit" bedeutet. Das
vorliegende Buch zu den Machenschaften des Staatssicherheitsdienstes wird das genaue
Gegenteil unter Beweis stellen.
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Zwischenruf
Zwei Länder, eine Regierung: Ost und West treiben auseinander. Die Politik muss die Illusion
der Einheit begraben - und dem Osten Macht geben. Aus stern Nr. 37/2004.
Die Bundesregierung zählt 14 Mitglieder - einen Minister für Aufbau Ost hat sie nicht. Manfred
Stolpe, einziger Ostdeutscher im Kabinett, ist zwar dafür zuständig, doch der Bundesminister für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen führt das nicht im Titel. Die Regierung beschäftigt elf
Beratergremien, darunter eine Kommission für Meeresforschung - einen Sachverständigenrat für
Aufbau Ost hat sie nicht.
© Jürgen Gebhardt
Der wöchentliche Zwischenruf aus Berlin von Hans-Ulrich Jörges
Der Bundestag unterhält 21 Ausschüsse, darunter einen für Sport und einen für Tourismus - einen
Ausschuss für Aufbau Ost hat er nicht. Das Parlament leistet sich zudem 41 Gremien für besondere
Aufgaben, darunter einen "Beirat zur Auswahl von Themen für die Sonderpostwertzeichen ohne
Zuschlag" und einen "Beirat für die grafische Gestaltung der Postwertzeichen" - einen Beirat für die
Auswahl von Themen für den Aufbau Ost respektive dessen Gestaltung hat es nicht.
Die Bundestagsfraktion der SPD bildet 27 Arbeitsgruppen - eine für den Aufbau Ost hat sie nicht,
das Thema wurde der AG für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen angeklebt. Die Fraktion der
CDU/CSU beschickt 28 Arbeitsgruppen - der Aufbau Ost hat bei ihr den Rang wie bei der
Konkurrenz: Wurmfortsatz von Verkehr, Bauen und Wohnen. Die Fraktionen von Grünen und FDP
kommen auf vier beziehungsweise fünf Arbeitskreise - keiner hat den Aufbau Ost auch nur dem
Namen angeleimt.
Zwei Länder, zwei Konzepte, eine Regierung; das ist die Konsequenz, die daraus zu ziehen ist. Seit
1997 fällt der Osten wieder zurück gegenüber dem Westen; Junge, Bewegliche und Starke suchen ihr
Heil im Westen; Alte, Gehandicapte und Chancenlose bleiben zurück in blutenden Landschaften.
Einheitliche Gesetze, von westdeutschen Politikern mit westdeutschen Erfahrungen für
Westdeutsche entworfen, sind nicht nur untauglich für den verödenden und verzweifelnden Osten,
sie befeuern auch noch dessen Krise.
Hartz IV ist das Symbol dafür: Wo beim besten Willen keine Arbeit zu finden ist, erscheint die
Pression des Staates (West) als kaltschnäuzige Bedrohung der Existenz (Ost). Im 15. Jahr der Einheit
teilte die Abstimmung über Hartz IV den Bundesrat erstmals entlang der alten Grenze: Ost
geschlossen gegen West. Ein Fanal, das der Westen sogleich als politischen Betriebsunfall
verdrängte. Es war ein Fanal der Spaltung, des Aufbrechens der Einheit insgesamt: Währung, Kultur
und Sprache halten die Nation zusammen - politisch, wirtschaftlich und sozial aber zerfällt sie in
zwei Länder. Dem demokratischen System fühlt sich bestenfalls noch die Hälfte der Ostdeutschen
verbunden, die PDS zertrümmert lustvoll das westliche Parteiensystem, vom Tarifsystem West
haben sich 85 Prozent der Ost-Firmen abgenabelt. Aus der schematischen Übernahme des
Rechtssystems West wollen sich die Ost-Länder verabschieden.
Dies dem perplexen Westen zu vermitteln wäre eine schöne Aufgabe für die Kanzlerkandidatin aus
dem Osten.
Hans-Ulrich Jörges