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2. LIBERALISIERUNG UND WETTBEWERB AUF DEM STROMMARKT IN
DEUTSCHLAND...............................................................................................3
2.1.DER STROMMARKT IN DEUTSCHLAND.......................................................................................3
2.2.LIBERALISIERUNG DES DEUTSCHEN STROMMARKTES.........................................................................6
2.2.1.ECKPFEILER DES LIBERALISIERUNGSPROZESSES IN DEUTSCHLAND......................................................6
2.2.2.STATUS QUO DES STROMMARKTES IN DEUTSCHLAND...................................................................8
2.3.WETTBEWERB UND DAS WECHSELVERHALTEN AUF DEM ENDKUNDENMARKT FÜR STROM.............................10
2.3.1.ENERGIEPOLITIK UND REGULIERUNG.....................................................................................10
2.3.2.FUNKTIONSFÄHIGKEIT DES WETTBEWERBS VS. MARKTMACHT.........................................................11
2.3.3.DAS WECHSELVERHALTEN VON HAUSHALTSSTROMKUNDEN...........................................................15
2.4.DETERMINANTEN DES WECHSELVERHALTENS VON HAUSHALTSSTROMKUNDEN..........................................19
2.4.1.NICHT GEMESSENE EINFLUSSFAKTOREN DES WECHSELVERHALTENS..................................................20
2.4.2.MESSBARE EINFLUSSFAKTOREN UND HYPOTHESEN DES WECHSELVERHALTENS.....................................22
3. MODELL ZUM WECHSELVERHALTEN DER HAUSHALTSSTROMKUNDEN EINES
ANBIETERS AUF DEM DEUTSCHEN STROMMARKT...........................................31
3.1.DATENSATZ UND METHODIK................................................................................................31
3.2.OPERATIONALISIERUNG DER ABHÄNGIGEN VARIABLEN....................................................................32
3.3.OPERATIONALISIERUNG DER UNABHÄNGIGEN VARIABLEN.................................................................33
3.4.METHODIK UND REGRESSIONSDIAGNOSTIK.................................................................................36
3.5.EMPIRISCHE ANALYSE DES WECHSELVERHALTENS VON HAUSHALTSSTROMKUNDEN ...................................37
3.6.AUSWERTUNG DER ERGEBNISSE............................................................................................49
4. ALLGEMEINE SCHLUSSFOLGERUNGEN........................................................52
5. AUSBLICK.................................................................................................54
1. Einleitung
Seit dem Beginn der Liberalisierung des Strommarktes in Deutschland im Jahre 1998 haben
sich die Rahmenbedingungen für einen funktionsfähigen Wettbewerb auf dem Markt für
Elektrizität in mehreren Etappen verändert. Dennoch ist gerade im Energiesektor noch häufig
die Rede von einer marktbeherrschenden Stellung der Anbieter E.ON, RWE, EnBW und
Vattenfall Europe. Der Marktmachtmissbrauch durch diese Versorgungsunternehmen dient
als gängiges Erklärungsmuster für überhöhte Energiepreise und niedrige
Lieferantenwechselquoten bei Haushaltsstromkunden (Woo, 2003).
Obwohl zu Beginn der Liberalisierung bei vielen Nachfragern eine grundsätzliche
Wechselbereitschaft zu Gunsten eines neuen Stromanbieters bestand, haben von den
anfänglich 37 Prozent wechselbereiten Haushalten bis heute erst 11,2 Prozent tatsächlich
einen Wechsel vollzogen (Rennhak, 2006). Die Entwicklung in Deutschland unterscheidet
sich damit deutlich von der in anderen Ländern. In Großbritannien hatten nach 12jährigem
Jubiläum der britischen Strommarktliberalisierung bereits über 38 Prozent der Nachfrager
ihren Anbieter gewechselt und auch die Wechselraten in den skandinavischen Ländern lagen
in vergleichbaren Zeiträumen weit über denen in Deutschland (Bakay, 2006/ Suck, 2008).
Vielfach wurde angenommen, dass sich der Wettbewerb auf dem deutschen Elektrizitätsmarkt
ähnlich entwickeln würde wie etwa im Telekommunikationsmarkt. So rechnete man bereits
zu Beginn der Liberalisierung mit einer raschen Marktentwicklung und Wechselraten von bis
zu 20 Prozent. Die Verbraucher nahmen die neuen Angebote jedoch in viel geringerem
Umfang wahr als erwartet. Die vermuteten Ursachen für die Diskrepanz zwischen
Wechselabsicht und –verhalten sind zahlreich. Langwierige Wechselverfahren und
Suchkosten werden dabei ebenso häufig diskutiert wie die Risikoaversion und Trägheit der
Konsumenten oder eine mangelnde Markttransparenz (Henseler, 2006/ Mund, 2010). Die
jährlichen Lieferantenwechselquoten liegen bei Haushaltsstromkunden deutlich unter denen
der Industrie- und Gewerbekunden. Die zahlenmäßig größte Kundenkategorie der
Haushaltskunden (44.743.706 Haushalte) erreicht mengenbezogen einen Anteil von ca. 27
Prozent des Elektrizitätsmarktes (Bundesnetzagentur, 2009). Damit sind zahlenmäßig knapp
94 Prozent aller Letztverbraucher von Elektrizität Privathaushalte. Knapp 90 Prozent von
ihnen werden immer noch von ihrem jeweiligen Grundversorger, und damit zu überhöhten
Preisen, beliefert.
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Von verschiedenen durch die EU-Kommission untersuchten Branchen ist es
der Energiesektor, in dem die Verbraucher die höchsten Ausgaben haben
(5,7 Prozent der Haushaltsausgaben), wobei mit 2,1 Prozent der größte
Anteil auf die Stromversorgung entfällt (Europäische Kommission II, 2009).
Angesichts der bei einem Versorgerwechsel erzielbaren Ersparnis, dürfte
sich ein Anbieterwechsel für Stromkunden durchaus bezahlt machen. Die
vorhandenen Preisstrukturen und die geringen Wechselraten weisen
jedoch darauf hin, dass es im Bereich der Haushaltsstromkunden „noch
keinen ausreichend ausgeprägten Wettbewerb gibt“ (Bundesnetzagentur,
2009, S. 11). Es ist sicherlich ein Trugschluss, aufgrund der aktuell
geringen Wechselrate anzunehmen, dass die bestehenden
Wechselbarrieren dauerhaft Bestand haben werden (Bakay, 2003). Der
Wettbewerb wird früher oder später auch den Markt für
Haushaltsstromkunden in Deutschland erreichen. Dieser Prozess sollte
durch den Gesetzgeber aktiv vorangetrieben werden.
Der Analyse bereits gewechselter Stromverbraucher kommt dabei eine besondere Bedeutung
zu, da sie eine Art Vorreiterrolle hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen einnehmen (Bakay,
2003). Typische Wechselverhaltensmuster können nur durch die Betrachtung der bereits
gewechselten Stromverbraucher identifiziert werden. Diese liefern den Anbietern wertvolle
Erkenntnisse über die entscheidenden Wechseldeterminanten der Haushalte und zeigen dem
Gesetzgeber die noch bestehenden Hindernisse beim Anbieterwechsel auf. Die im Rahmen
dieser Arbeit vorliegenden Daten bieten die Möglichkeit, derartige Verhaltensweisen von
Haushaltsstromkunden bei einem Anbieterwechsel nachzuvollziehen und können insofern
dazu beitragen, den Anbietern und dem Gesetzgeber einzelne Determinanten des
Wechselverhaltens in ihrer Bedeutung für die Schaffung von mehr Wettbewerb auf dem
Endkundenmarkt für Strom vor Augen zu führen.
Kapitel 2 gewährt einen Einblick in die Entwicklungen auf dem deutschen Endkundenmarkt
für Strom vom Zeitpunkt der Liberalisierung bis heute. Dabei werden insbesondere das
Wechselverhalten der Verbraucher sowie der wettbewerbliche Ordnungsrahmen diskutiert.
Auf diese Weise können Hypothesen über Treiber und Barrieren des Wechselverhaltens
abgeleitet werden, welche die Motivation für die anschließende Analyse in Kapitel 3
begründen. Die Untersuchung des Wechselverhaltens wird anhand der Daten eines Anbieters
auf dem deutschen Strommarkt durchgeführt und erlaubt eine genaue Aussage über die
Wirkungsweisen einzelner Wechseldeterminanten. Für die verschiedenen Marktakteure lassen
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sich aus den Untersuchungsergebnissen Handlungsoptionen ableiten, die im 4. Kapitel zur
abschließenden Beurteilung des Wechselverhaltens von Haushaltsstromkunden in
Deutschland herangezogen werden.
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Wettbewerb auf dem Endkundenmarkt für Strom in
Deutschland. Zunächst wird der Strommarkt samt seiner typischen Merkmale und des
spezifischen Liberalisierungsprozesses dargestellt (2.1. und 2.2.). Diese Darstellung bildet die
Grundlage für die anschließenden Ausführungen über die aktuelle Wettbewerbssituation und
die spezifischen Determinanten des Wechselverhaltens auf dem Markt für
Haushaltsstromkunden.
Der Strommarkt in Deutschland unterscheidet sich von anderen Märkten insbesondere durch
seine technischen und ökonomischen Besonderheiten. Dazu zählen beispielsweise die
Leitungsgebundenheit des Gutes Strom, die Kapitalintensität und die hohen irreversiblen
Kosten bei Investitionen im Elektrizitätssektor. Die Strombranche kann zu den sogenannten
aufbrechenden Märkten gezählt werden. Derartige Märkte werden lange Zeit durch die
Annahme eines natürlichen Monopols geprägt, öffnen sich dann aber mit einem
Systemwechsel in mehreren Schritten für den Wettbewerb (Laker, 2006). Im deutschen
Elektrizitätssektor wird diese Zeitenwende durch den Beginn der Liberalisierung im Jahr 1998
eingeläutet. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EltVU)
in Deutschland vollständig vertikal integriert (International Energy Agency, 1994/ Melzer,
2007). Sie waren damit von der Produktion bis zum Vertrieb auf allen Wertschöpfungsstufen
aktiv, um als Alleinlieferant die Verbraucher mit Strom zu versorgen (Rasbach, 2009).
Erlaubte ein in Deutschland über sechzig Jahre lang unverändert gebliebener Rechtsrahmen
den alle Produktionsstufen umfassenden Ausschluss von brancheninternem Wettbewerb, „so
ist seit Mitte der 90er Jahre auf europäischer wie auf nationaler Ebene ein sich über mehrere
Etappen vollziehender Reformprozess in Gange, der die möglichst weit gehende Öffnung der
Märkte für Elektrizität gegenüber dem Wettbewerb zum Ziel hat“ (Rasbach, 2009, S.1). Heute
konkurrieren verschiedene Stromanbieter um die Gunst der Kunden. Zwar sind die größten
Unternehmen noch immer auf mehreren Marktebenen aktiv, jedoch haben zahlreiche
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regulatorische Eingriffe der letzten Jahre dazu geführt, dass vor allem auf Vertriebsebene die
Ausgangsbedingungen für einen funktionierenden Wettbewerb verbessert werden konnten.
Inzwischen haben Verbraucher überall in Deutschland, die Auswahl zwischen verschiedenen
Stromanbietern. Grundsätzlich herrscht damit auf dem Endkundenmarkt für Strom
uneingeschränkter Wettbewerb. Vor allem das nach wie vor eher vorsichtige
Wechselverhalten der Haushaltsstromkunden lässt jedoch vermuten, dass die regulatorischen
Maßnahmen noch nicht weit genug greifen, um einen reibungslosen Versorgerwechsel zu
gewährleisten.
Bei der Strommarktabgrenzung unterscheidet das Bundeskartellamt zunächst die drei
verbundenen Marktstufen Erzeugung, Distribution und Vertrieb an Endkunden (Abbildung 1).
Übertragung
Vertrieb s- und
Erzeugung
Verteilernetz
Endkunden Gewinnung
e
Stromhandel
Abbildung 1:
Sektoren und Interdependenzen der Elektrizitätswirtschaft (Darstellung nach Köster, 2004)
In der Regel werden die verschiedenen Märkte bundesweit abgegrenzt. Auf der
Endkundenstufe wird jedoch zunächst zwischen dem Markt für nicht leistungsgemessene
Kleinkunden und leistungsgemessene Industriekunden unterschieden. Bei der räumlichen
Marktabgrenzung grenzt das Bundeskartellamt den Markt für Stromkleinkunden auf lokaler
Ebene ab (Monopolkommission, 2009). Als Grenzen dienen die Netzgebiete der ehemaligen
Gebietsversorger. Diese Aufteilung wird mit ihrem immer noch sehr hohen Absatzanteil
begründet (Frerichs, 2010). Das wichtigste Argument für diese enge, lokale Marktabgrenzung
bei den Stromkleinkunden ist damit die geringe Wahrnehmung von Wechselmöglichkeiten
durch die Verbraucher. Auf dem Endkundenmarkt werden die Möglichkeiten zur
Strombelieferung aus dem gesamten Bundesgebiet noch nicht umfassend genug genutzt
(Monopolkommission, 2009). Bezüglich des Wechselverhaltens von Stromkunden von
besonderer Relevanz ist die Wertschöpfungsstufe des Vertriebs bzw. des Einzelhandels. Hier
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wird die komplette Vermarktung von Stromprodukten vollzogen. Die wesentlichen
Aktivitäten der Versorger beziehen sich auf die marketingrelevanten Bereiche Preispolitik,
Produktpolitik, Distributionspolitik (Lieferbedingungen von Strom) sowie
Kommunikationspolitik (z. B. Markenetablierung). Darüber hinaus werden auf dieser
Wertschöpfungsstufe auch der Kundenservice sowie die Stromabrechnung vollzogen
(Rychwalski, 2005). Die Angebotsseite der Energieversorgung untergliedert sich je nach Netz
und Ausdehnung der Versorgungsgebiete im Wesentlichen in Verbund-, Regional- und
Kommunalunternehmen, welche die Kunden mit Strom beliefern.
Die Verbundunternehmen sind, ähnlich wie die Unternehmen vor der Liberalisierung, auf
mehreren Geschäftsfeldern entlang der Wertschöpfungskette tätig. Sie verfügen über
Kraftwerke, sind für den Betrieb und die Verwaltung des Versorgungsnetzes zuständig und
beteiligen sich am Energiehandel. Ihre Zahl hat sich im Zuge von Fusionen und
Kooperationen im Rahmen der Liberalisierung auf die Unternehmen E.ON, RWE, EnBW und
Vattenfall Europe reduziert.
Die regionalen und kommunalen Versorgungsunternehmen sind unterschiedlich stark an der
Stromerzeugung beteiligt. Sie sind für die Stromversorgung von Gemeinden zuständig (häufig
in Kombination mit Gas, Wasser, Fernwärme und dem öffentlichen Nahverkehr) und reichen
den von den Verbundunternehmen erhaltenen oder in eigenen Kraftwerken erzeugten Strom
an lokale EltVU oder Endverbraucher weiter (Beutin, 2004/ Mund, 2010). Auf der
Nachfrageseite haben die Verbraucher die Möglichkeit, den allgemein steigenden
Strompreisen durch einen Lieferantenwechsel zu entgehen. Allerdings lag im Jahr 2009 der
Anteil der Haushaltskunden, die seit Beginn der Liberalisierung zu einem anderen Lieferanten
als dem Grundversorger gewechselt sind, bei gerade einmal 11,2 Prozent (Bundesnetzagentur,
2009).
Heute stehen den etablierten Versorgern neue Anbieter gegenüber, auch Angreifer genannt,
die in die ehemaligen monopolistischen Liefergebiete eindringen und den etablierten
Anbietern Konkurrenz machen. Für die neuen Anbieter hatte nach der Liberalisierung die
Akquisition von Neukunden höchste Priorität. Nach einer erfolgreichen Neugewinnung galt
es, die Kunden zu binden, um negative Mundpropaganda zu vermeiden. Das Fehlen sinnlich
wahrnehmbarer Merkmale des Gutes Strom führte zunächst zu der Annahme, dass der Preis
das entscheidende Mittel zur Produktdifferenzierung ist (Schikarski, 2005/ Winkelmann,
2008). Die Kunden profitierten deshalb in den ersten Jahren nach der Liberalisierung von
heftigen Preiskämpfen und Preissenkungen von bis zu 20 Prozent. Zudem hatten sie nun eine
größere Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Stromlieferanten. Als problematisch
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erwies sich jedoch besonders die Tatsache, dass die Wechselquote bei Haushaltskunden bis
2002 im Durchschnitt bei 3,7 Prozent stagnierte (Rychwalski, 2005). Der Markt konnte in der
Folge von vielen neuen Anbietern nicht rentabel bearbeitet werden, so dass sie das Feld
wieder räumten. Als Ursachen der zögerlichen Wettbewerbsentwicklung konnten die
ineffizienten regulatorischen Rahmenbedingungen mit Durchleitungsverweigerungen der
großen Energiekonzerne, hohen Wechselgebühren für Verbraucher und überhöhten
Netzentgelten identifiziert werden. Vor allem mit der Einführung der staatlichen
Netzregulierung im Rahmen des EnWG 2005 und der Senkung der Netzentgelte, verbesserten
sich dann aber die Voraussetzungen für potenzielle Angreifer. Die damit einhergehenden
Kostensenkungen führten zu einer Erhöhung der Vertriebsmargen und schufen die
Vorraussetzungen für eine profitable Markttätigkeit. Umgekehrt verlief die Entwicklung bei
den etablierten Versorgern. Diese waren gezwungen, infolge steigender staatlicher
Sonderlasten sowie der Verteuerung von Rohstoffen, ihre Preise zu erhöhen. Inzwischen sind
auch die Großversorger gefordert, wachsende Kundeverluste zu kompensieren. Sie
akquirieren daher zusätzliche Kunden über Tochtergesellschaften (Ridder, 2003).
Unter Liberalisierung versteht man „die Rücknahme staatlicher Auflagen, Be- und
Einschränkungen in Bezug auf die wirtschaftliche Betätigung, die Herstellung oder den
Handel mit Gütern und Dienstleistungen, […] z. B. durch den Abbau von […]
Handelsbeschränkungen“ (Bundeszentrale für politische Bildung, 2010, Website).
Ausgangspunkt für diese Art von Systemwechsel war die ökonomische Einsicht, dass der
Umfang von Marktversagen in der Elektrizitätswirtschaft deutlich geringer ist als lange Zeit
angenommen (Rasbach, 2009). Durch die Liberalisierung des Strommarktes sollte
insbesondere die Freiheit von Verbrauchern bei der Anbieterwahl gewährleistet werden
(Mund, 2010).
Im Folgenden werden zunächst die Fundamente der Liberalisierung des Strommarktes in
Deutschland erläutert (2.2.1), bevor anschließend der Status Quo des
Liberalisierungsprozesses festgehalten werden soll (2.2.2).
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1996: Verabschiedung der EU-Binnenmarktrichtlinie Strom zur Schaffung eines
europäischen Binnenmarktes für Strom und wettbewerbsfördernder Strukturen
1998: EnWG-Novelle zur Umsetzung der EU-Vorgaben in deutsches Recht
2003: Verabschiedung der EU-Beschleunigungsrichtlinie für die Strom- und Gasmärkte
2005: EnWG-Novelle zur Umsetzung der EU-Vorgaben in deutsches Recht
Hatte man früher die gesamte Energiewirtschaft als natürliches Monopol angesehen, gewann
seit den 80er Jahren zunehmend die differenzierte Betrachtungsweise der Marktebenen an
Bedeutung. Eine Einzelbetrachtung der verschiedenen Marktebenen führt die moderne
Netzökonomie zu dem Ergebnis, dass die Eigenschaften eines natürlichen Monopols sich auf
die Ebenen Transport und Verteilung beschränken, die Bereiche Erzeugung und Versorgung
dagegen wettbewerbsfähig sind (Wied-Nebbeling, 2004). Da eine Duplizierung der Netze in
der Energiewirtschaft aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll ist, erfordert ein
funktionierender Wettbewerb in diesen Bereichen die Gewährung eines
diskriminierungsfreien Zugangs zu den monopolistischen Fernleitungs-, Übertragungs- und
Verteilnetzen des Strommarktes. Die regulatorische Herausforderung der Liberalisierung des
Elektrizitätssektors besteht darin, mittels geeigneter Regulierungsinstrumente die Übertragung
von Marktmacht aus den monopolistischen Netzebenen in die wettbewerbsfähigen Bereiche
zu unterbinden und damit potenziellen Marktzutrittsbarrieren entgegenzuwirken (Rasbach,
2009). Nach Auffassung von Frerichs (2010) will man auf diese Weise neuen Wettbewerbern
den Marktzutritt erleichtern und die Nachfrage auf dem entstehenden Markt stimulieren. Das
Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, das 1998 in Kraft trat und zugleich die
gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie von Seiten der EU-
Kommission umsetzte, entzog den bestehenden Gebietskartellen die rechtliche Grundlage und
sah darüber hinaus auch schon die vollständige Öffnung der Netze für Wettbewerber vor
(Lang, 2007/ Boemke, 2007). Unter anderem die von der EU-Kommission bemängelten
„qualitativen Defizite bei der Gewährleistung eines fairen und diskriminierungsfreien
Netzzugangs“ (Rasbach, 2009, S. 3) in den Mitgliedstaaten führten jedoch auf
gemeinschaftsrechtlicher Ebene schon im Jahr 2003 zur Verabschiedung einer angepassten
Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. Diese hatte zum Ziel, den Prozess zur Schaffung eines voll
funktionsfähigen und wettbewerbsorientierten Binnenmarkts für Elektrizität zu
beschleunigen. Zu diesem Zweck schrieb sie die Einführung des regulierten Netzzugangs und
die Errichtung einer nationalen Regulierungsbehörde zwingend vor. In der Folge entwickelte
sich als zentrales Instrumentarium zur Wettbewerbsförderung eine Trias aus Netzzugangs-,
Netznutzungsentgelt- und Unbundling-Regulierung.
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Die Gewährung des Zugangs zu den Netzen ist die Basis für funktionierenden Wettbewerb.
Da dem jeweiligen Netzbetreiber jedoch die Möglichkeit verbleibt, durch die Forderung
überhöhter Entgelte die Netznutzung für Wettbewerber unrentabel zu machen, bedarf es einer
zusätzlichen Regulierung der Netznutzungsentgelte. Außerdem können verdeckte
Diskriminierungen beim Netzzugang sowie wettbewerbswidrige Quersubventionierungen
durch einen vertikal integrierten Monopolisten größtenteils verhindert werden, indem eine
Trennung seiner monopolistischen Geschäftsbereiche von den Wettbewerbsbereichen
angeordnet wird. Deshalb setzt der Gemeinschaftsgesetzgeber zur Förderung der
Wettbewerbsprozesse in der Energiewirtschaft auf ein umfangreiches buchhalterisches,
informatorisches, organisatorisches und gesellschaftsrechtliches Unbundling-Regime
(Rasbach, 2009).
Dennoch wurde auch im Prüfbericht der EU-Kommission von 2005 noch ein negatives
Fortschrittsbild für den Wettbewerb im deutschen Stromsektor gezeichnet. Hinsichtlich der
allgemeinen Stromübertragung und der Stromversorgung von Haushaltskunden wirkte sich
dies in folgenden Neuregelungen des gesetzlichen Ordnungsrahmens aus:
Gehört der Netzbetreiber zu einem vertikal integrierten Unternehmen, so muss er zumindest
hinsichtlich seiner Rechtsform, Organisation und Entscheidungsgewalt unabhängig von den
übrigen Tätigkeitsbereichen sein, die nicht mit der Verteilung zusammenhängen. Ist der
Netzbetreiber Teil eines vertikal integrierten Unternehmens, stellen die nationalen
Gesetzgeber sicher, dass seine Tätigkeiten von der Regulierungsbehörde beobachtet werden,
so dass er diesen Umstand nicht zur Verzerrung des Wettbewerbs nutzen kann. Neben der
vorgeschriebenen selbstständigen Kommunikations- und Markenpolitik der Netzbetreiber,
beobachtet die Regulierungsbehörde auch den Grad und die Wirksamkeit der Marktöffnung
sowie den Umfang des Wettbewerbs auf Großhandels- und Endkundenebene, einschließlich
der Versorgerwechselraten von Verbrauchern (Europäische Kommission I, 2009).
Kapitel 2.3 zeigt die verschiedenen Facetten und die unterschiedlichen Akteure im
Wettbewerb auf dem Endkundenmarkt für Strom. Im ersten Teil werden die
Herausforderungen bei der Wahl geeigneter Regulierungsinstrumente durch die Gesetzgebung
deutlich. Im zweiten Teil werden die hohe Marktmachtkonzentration im Strommarkt und die
daraus resultierenden Wettbewerbshindernisse diskutiert, während sich der dritte Teil explizit
mit dem Wechselverhalten von Haushaltsstromkunden befasst.
Unter dem Begriff Regulierung versteht man den direkten Eingriff „des Staates in
Marktabläufe und die staatliche Beeinflussung des Verhaltens von Unternehmen durch
Vorschriften zur Erreichung bestimmter, im allgemeinen Interesse stehender Ziele.
(Gegenteil: Deregulierung) […] Regulierung wird mit einem Versagen der Marktkräfte
begründet, d. h. Angebot und Nachfrage allein führen nicht zu den gewünschten Ergebnissen“
(Duden, 2009, S. 401).
Insbesondere die Europäische Union sieht in der Regulierung der Stromnetze einen
wesentlichen Faktor zur Schaffung von mehr Wettbewerb. Zur Errichtung dieses
übergeordneten Zieles hat die EU-Kommission verschiedene Richtlinien und Verordnungen
erlassen, welche durch die nationalen Gesetzgeber umgesetzt werden mussten. Deutschland
hat bereits mit der ersten Binnenmarktrichtlinie den Energiemarkt vollständig geöffnet und im
Jahr 2004 zusätzlich eine Regulierungsbehörde eingereichtet, die die Aufgaben hat,
Netzzugangsbedingungen und –entgelte ex ante und ex post auf nationaler Ebene zu regeln
(Erdmann, 2009). Sie ist dabei völlig unabhängig von der Energiewirtschaft. Formal gesehen
sollte der Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt also bereits existieren. Ob dies den
Tatsachen entspricht, wird kontrovers diskutiert (Institut für Wirtschaftsforschung, 2008/
Weizsäcker, 2006/ Ockenfels, 2007/ Moser, 2008). Die EU jedenfalls spricht im Bericht zur
Stromsektoruntersuchung aus dem Jahr 2007, trotz eines umfangreichen regulatorischen
Instrumentariums, von unvollkommenem Wettbewerb. Als Indizien werden unter anderem
der starke Preisanstieg ab dem Jahr 2001 und der hohe Konzentrationsgrad der Branche
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herangezogen (Frenzel, 2007). Neben dem Energiewirtschaftsgesetz ist der regulatorische
Ordnungsrahmen durch zahlreiche weitere Gesetze und Verordnungen definiert. Zu nennen ist
hier insbesondere das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB), das in seinem
Anwendungsbereich in Bezug auf den Energiesektor eine Schärfung des kartellrechtlichen
Instrumentariums zur Bekämpfung missbräuchlich erhöhter Preise vorsieht. Die
Regulierungsdichte in der Energiewirtschaft gilt vor dem Hintergrund unterschiedlicher
Zielsetzungen als relativ hoch. Insbesondere ist es möglich, dass über Steuern und Abgaben
auch fiskalische Ziele in der Energiepolitik verfolgt werden. Etwa 40 Prozent des
Strompreises sind auf Steuern und Abgaben zurückzuführen. Daraus ergibt sich nach
Einschätzung der Monopolkommission (2009) ein möglicher Zielkonflikt mit dem Ziel der
Preisgünstigkeit und eine attraktive Einnahmequelle für den Staat.
Energiepolitik findet aber nicht nur auf EU- oder bundespolitischer Ebene, sondern auch auf
kommunaler Ebene statt. Dort beeinflusst „die Ausgestaltung von Konzessionsabgaben und
Konzessionsverträgen die Energiepolitik ebenso wie kommunale Beteiligungen an
Stadtwerken und anderen Energieversorgungsunternehmen und die damit verbundenen
Durchgriffsmöglichkeiten auf die Geschäftspolitik dieser Unternehmen“
(Monopolkommission, 2009, S. 40).
Die einzelnen Träger der Energiepolitik haben dabei durchaus unterschiedliche Ziele oder
wenigstens auseinandergehende Vorstellungen über die Zielerreichung
Alle zwei Jahre erstellt die Monopolkommission im Auftrag der Bundesregierung ein
Gutachten darüber, ob „funktionsfähiger Wettbewerb“ auf dem Endkundenmarkt für Strom
herrscht. Nach Auffassung der Monopolkommission bezeichnet dabei der Begriff
Funktionsfähigkeit „einen strukturell gesicherten Wettbewerb, der auch dann fortbesteht,
wenn die wettbewerbsgestaltende Regulierung zurückgeführt wird“ (Monopolkommission,
2009, S. 33).
Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Abwesenheit
von Marktbeherrschung. In vielen Sektoren gibt es marktbeherrschende Unternehmen, ohne
dass deshalb eine sektorspezifische Regulierung notwendig ist. Vielmehr spielt zusätzlich der
Tatbestand der Marktmachtverlagerung eine wichtige Rolle bei der Entscheidung über
staatlichen Interventionsbedarf.
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Aus dem kartellrechtlichen Gedanken der Missbrauchsuntersagung folgt für integrierte EltVU
das Verbot, ihre auf Netzebene bestehende Marktmacht zur Verdrängung oder Behinderung
der Wettbewerber auf den Ebenen der Erzeugung und Versorgung auszunutzen. Dabei
erwächst aus der Kumulation einer marktbeherrschenden Stellung beim Transport und einer
vertikalen Integration, im Sinne einer gleichzeitigen Tätigkeit des Unternehmens auf einem
der benachbarten Marktebenen, eine besondere Gefahr für missbräuchliche
Marktmachtübertragungen, beispielsweise durch Quersubventionierung der
Wettbewerbssparten oder durch sonstige Diskriminierung der Wettbewerber beim Zugang
zum Netz oder zu notwendigen Informationen (Rasbach, 2009).
Anders Ausgedrückt: Die Gefahr der Marktmachverlagerung resultiert aus der Kombination
von hochgradiger, vertikaler Integration der in der Energiewirtschaft agierenden Unternehmen
und einer marktbeherrschenden Stellung ihrer Netzgesellschaften.
Häufig wird in diesem Kontext der Vorwurf laut, Unternehmen seien aufgrund der hohen
Marktkonzentration in der Lage, den Markt zu beeinflussen und durch strategisches Handeln
Preise zu manipulieren.
Gemäß GWB gelten drei oder weniger Unternehmen als marktbeherrschend, wenn sie
gemeinsam einen Marktanteil von mindestens 50 Prozent inne haben (Frerichs, 2010). In der
aktuellsten Datenerhebung der Bundesnetzagentur (2009) weisen die vier größten Lieferanten
eine Abnahmemenge von insgesamt ca. 52 Prozent am gesamten Netto-Elektrizitätsverbrauch
auf. Würde man nur die Abnahmemengen der drei größten Lieferanten betrachten, so fiele
dieser Wert zwar knapp unter die kritische Marke zurück, der ausgewiesene Wert
berücksichtigt jedoch noch nicht die vertikale Integration von Anbietern, die vor allem bei
den größten Unternehmen auf dem deutschen Strommarkt hoch ist. So produzieren die vier
genannten Anbieter, die alle vertikal integrierte Versorgungsunternehmen sind, gemeinsam
etwa 90 Prozent der Nettostrommenge und decken 80 Prozent der Erzeugerkapazitäten ab
(Loske, 2007/ Monopolkommission, 2007). Mit Hilfe dieser oligopolistischen
Angebotsstruktur, sind die Unternehmen gemäß der Einschätzung von Frerichs (2010) in der
Lage, den Markt abzuschotten und Marktmacht auch in die nachgelagerten Ebenen bis hin
zum Absatz von Strom an Haushaltskunden zu verlagern.
Lenkt man die Aufmerksamkeit von einzelnen Unternehmen weg und berücksichtigt
stattdessen die Tatsache, dass gemäß § 36 Absatz 2 des EnWG jeweils das Unternehmen mit
den meisten Kunden pro Netzgebiet als Grundversorger anzusehen ist, dann ergibt sich ein
etwas anderes Bild des Machtgefüges auf dem Strommarkt. So dominieren im Wesentlichen
die jeweiligen Grundversorgungsunternehmen, und dies sind neben den Oligopolisten vor
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allem staatliche Unternehmen, das Marktgeschehen. Im Jahr 2007 wurden insgesamt 93,6
Prozent der jährlich an Haushaltskunden gelieferten Elektrizitätsmenge von Grundversorgern
geliefert und nur 6,4 Prozent von Wettbewerbern. Hier wird die regionale Marktabgrenzung
bei der Belieferung von Haushaltsstromkunden besonders deutlich. Damit können neben den
Oligopolisten auch die staatlichen, lokalen Grundversorgungsunternehmen als
marktbeherrschend ausgemacht werden.
Die Folgen eines etwaigen Marktmachtmissbrauchs könnten beispielsweise Effizienzverluste
wegen nicht optimaler Ressourcenallokation sowie Wohlfahrtsverluste aufgrund zu hoher
Gewinne auf Produzentenseite sein. Des Weiteren müssten Verbraucher mit überhöhten
Preisen rechnen.
Aufgrund der dargestellten Marktstrukturen bildet die lokale Marktabgrenzung des
Bundeskartellamtes die Grundlage für die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung
auf dem Strommarkt. Bei Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung unterliegen die
Unternehmen in Bezug auf ihre Preisgestaltung der allgemeinen sowie der verschärften
Missbrauchsaufsicht nach dem GWB. Laut Aussage der Monopolkommission (2009) haben
vor allem E.ON und RWE über die Vielzahl ihrer Minderheitsbeteiligungen an kleineren
Versorgungsunternehmen die Möglichkeit, einen Großteil des Stromabsatzes zur Auslastung
der eigenen Erzeugungskapazitäten frühzeitig festzulegen und Kapital daraus zu schlagen.
Damit bestätigt sich für Deutschland die überwiegende Marktbeherrschung durch die
Duopolisten. Da Verbraucher die Möglichkeit des Lieferantenwechsels noch nicht sehr häufig
in Anspruch nehmen, können die Unternehmen auch weiterhin von ihrer Stellung profitieren.
Die Kundenbindung ist auf Faktoren wie ein größeres Vertrauen in eine sichere
Stromversorgung oder die lokale, identifikationsstiftende Verankerung des Versorgers
zurückzuführen und stellt eine erhebliche Marktzutrittsschranke für Wettbewerber im
Geschäft mit den Stromkleinkunden dar (Monopolkommission, 2009).
Obwohl das Vorgehen des Bundeskartellamtes dazu geführt hat, dass die Zahl vertikaler
Zusammenschlüsse rückläufig ist, ist zugleich ein Trend festzustellen, dass zunehmend
Kooperationen und Zusammenschlüsse von Stadtwerken ohne Beteiligung der großen
Verbundunternehmen erfolgen. Insbesondere Einkaufs- und Vertriebskooperationen sind in
diesem Zusammenhang vermehrt auszumachen. Nach Ansicht der Monopolkommission
können von derartigen Vertriebskooperationen wettbewerblich ambivalente Wirkungen
ausgehen. Soweit sich kleine, lokale Anbieter zusammenschließen, um in den bundesweiten
Wettbewerb einzutreten, ist dies grundsätzlich zu begrüßen. Sie vermögen hier den
Wettbewerb zu beleben und werden in der Regel nur geringe Marktanteile erlangen können.
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Auf ihren angestammten Märkten verfügen diese Anbieter jedoch über eine
marktbeherrschende Stellung. Die Kooperation von benachbarten Stadtwerken zum Beispiel,
kann in Anlehnung an die Ausführungen der Monopolkommission (2009) auch der
Absicherung dieser Stellung dienen, was dazu führen könnte, dass für Haushaltsstromkunden
ein Versorgerwechsel weiterhin nicht attraktiv erscheint.
Die Vermutung liegt nahe, dass marktbeherrschende Erzeuger über Maßnahmen oder
Koordinationsmechanismen verfügen, um in wohlfahrtsschädigender Weise Einfluss auf die
Preisbildung zu nehmen. Beispielsweise sieht das Bundeskartellamt in den unterschiedlichen
Erhebungsverfahren von Konzessionsabgaben bei Grundversorgern und Drittlieferanten
Anhaltspunkte für einen Behinderungsmissbrauch (Monopolkommission, 2009).
Konzessionsabgaben werden von den Netzbetreibern an die Gemeinden für das
Versorgungsrecht und für die Erlaubnis der Infrastrukturnutzung entrichtet. Schließt ein
kommunales Unternehmen nun im betreffenden Gebiet ausschließlich
Grundversorgungsverträge ab oder tut es dies bis zu einer mit der Kommune vereinbarten
Mengengrenze, kann es eine erhöhte Konzessionsabgabe verlangen und diese dann auch
Drittlieferanten in Rechnung stellen. Diese Handhabung verhilft dem Netzbetreiber, und
damit letztlich der Kommune, zu hohen Konzessionseinnahmen. Für den Drittlieferanten
entstehen damit höhere Kosten. Die Margen und die Attraktivität des Markteintritts verringern
sich. Bedingt durch die eigentumsrechtliche Verflechtung von Kommune und
Grundversorgungsunternehmen, spielt für dieses die Höhe der Konzessionsabgabe keine
Rolle, da davon ausgegangen werden kann, dass sowohl die Konzessionsabgabe als auch die
realisierte Marge an die Kommune fließen. Das Bundeskartellamt sieht darin eine verdeckte
Gewinnausschüttung an die Kommunen und eine Wettbewerbsbehinderung für
Drittlieferanten. Die Monopolkommission (2009) erkennt darin ebenfalls eine missliche
Situation, die eine erhebliche Barriere für neue Wettbewerber und für die Attraktivität von
Lieferantenwechseln der Verbraucher darstellt. Auch die EU-Kommission (III, 2009)
konstatiert die Existenz von Hindernissen beim Verkauf von Strom.
Unter Experten und politischen Entscheidungsträgern herrscht somit Einigkeit darüber, dass
das Potenzial zur Marktmachtverlagerung sowohl für die großen Verbundunternehmen, als
auch für staatliche Grundversorgungsunternehmen erheblich ist. Mit Blick auf die Schaffung
gleicher Bedingungen auf Ebene der Endkunden sollten die Aktivitäten der Netzbetreiber
deshalb überwacht werden, damit sie ihre vertikale Integration nicht dazu nutzen, ihre
Wettbewerbsposition auf dem Markt für Haushaltskunden, zu stärken.
14
Über die Auswahl der zur Beseitigung bestehender Wettbewerbshindernisse geeigneten
Instrumente waren sich die politischen Entscheidungsträger in der jüngeren Vergangenheit
jedoch nicht immer einig. Auch in Bezug auf die genaue Ausgestaltung des bisher
umfassendsten regulatorischen Liberalisierungsinstruments, des Unbundlings, sind mögliche
Umsetzungsdefizite des bestehenden Regimes (Rasbach, 2009/ Monopolkommission, 2009)
und die Erweiterung der vorgeschriebenen Entflechtungsbestimmungen immer wieder
Gegenstand energiepolitischer Diskussionen. So gab es in den vergangenen Jahren
auseinandergehende Einschätzungen der EU-Kommission und der Bundespolitik über den
möglichen Einsatz einer eigentumsrechtlichen Entflechtung in der Energiewirtschaft. Diese
Form des Unbundlings verlangt die vollständige eigentumsrechtliche Trennung verschiedener
Sparten eines vormals integrierten Unternehmens. Es handelt sich also um eine echte
strukturelle Trennung der verschiedenen Tätigkeitsebenen. Eine derartige Vorschrift hat
bislang aber weder Eingang in die deutschen noch in die gemeinschaftsrechtlichen
Netzwirtschaftsordnungen gefunden (Rasbach, 2009). Die EU-Kommission hatte die
eigentumsrechtliche Entflechtung lange Zeit als notwendiges Mittel für die Eindämmung von
Marktmachtverlagerung und eine Belebung des Wettbewerbs angesehen. Sowohl die
Bundesregierung als auch die etablierten Unternehmen sprechen sich aber ausdrücklich gegen
das sog. Ownership-Unbundling aus (Deutscher Bundestag, 2010/ Frerichs, 2010).
Ob das aktuelle Unbundling-Regime für mehr Wettbewerb sorgen kann, oder ob tatsächlich
ein eigentumsrechtlicher Eingriff zur Verbesserung der Situation notwendig ist, wird sich in
den kommenden Jahren herausstellen, sofern das geltende Entflechtungsgesetz auch in der
Praxis ohne Einschränkungen von den Netzbetreibern umgesetzt wird. Die ausführliche
Überwachung des Liberalisierungsprozesses durch die Bundesnetzagentur ist daher auch
weiterhin geboten.
16
gegenüber der Bundesnetzagentur (2009) bezüglich der Belieferung von Letztverbrauchern zu
Konditionen der Grundversorgung haben zu folgendem Ergebnis geführt:
Bei den Haushaltskunden gab es einen deutlichen Rückgang beim Anteil der Abgabemenge
durch die Grundversorgung. Hier spiegelt sich eine allmähliche, wenn auch noch zaghafte
Belebung des Wechselverhaltens von Haushaltskunden wider. Ungefähr die Hälfte aller
Haushalte nutzt weder durch einen Vertrags- noch durch einen Lieferantenwechsel den
Wettbewerb auf dem Elektrizitätsmarkt.
11,20%
HH-Kunden mit Grundversorgungsvertrag
Abbildung 2:
Vertrags- und Lieferantenwechsel von Haushaltsstromkunden (Darstellung nach Bundesnetzagentur,
2009)
Die lokalen Grundversorger sind bei der Belieferung von Haushaltskunden mit einem Anteil
von etwa 88 Prozent weiterhin sehr dominant. Insgesamt ist jedoch positiv anzumerken, dass
die Elektrizitätslieferungen von anderen Lieferanten als den Grundversorgern sich allein
zwischen 2007 und 2008 nahezu verdoppelt haben. Dieser Trend bestätigt ein reger
werdendes Wechselverhalten und demonstriert die zunehmende Bedeutung einer konkreten
Vertriebs- und Kundenbindungspolitik für die EltVU. Der Anteil der Haushaltskunden mit
einem anderen Lieferanten als dem Grundversorger liegt bei 11,2 Prozent und fällt im
Vergleich mit den seit 2005 ermittelten, aufsummierten Lieferantenwechselquoten für
Haushaltskunden von 14,45 Prozent niedriger aus. Dies zeigt, dass die Ermittlung kumulierter
Lieferantenwechselquoten durch die einfache Aufsummierung jährlicher Wechselquoten nicht
angemessen ist. Der wichtigste Grund hierfür ist, dass einige der in den
Lieferantenwechselquoten erfassten Haushaltskunden ihren Lieferanten bereits häufiger
gewechselt haben. Diese Haushaltskunden stellen somit keine dem Wettbewerb tatsächlich
neu zugeführten Kunden dar. Wird beispielsweise nur das Wechselverhalten im Berichtsjahr
2008 betrachtet, so ist festzustellen, dass jeder zehnte Lieferantenwechsel von solchen
Kunden vollzogen wurde, die schon in den Vorjahren ihren Lieferanten gewechselt hatten.
17
Diese Kundengruppe wird in der vorliegenden Arbeit unter dem Begriff Weiterwechsler
zusammengefasst.
Nicht nur die politisch herbeigeführten, verbesserten Rahmenbedingungen tragen zur
Steigerung des Wettbewerbs und zur Häufung der Lieferantenwechsel bei. Auch die Anbieter
selbst zeigen unterschiedlich intensive Bemühungen, um von dem aufkommenden
Wettbewerb zu profitieren. Um dies zu verdeutlichen, wurden die Netzbetreiber im
Monitoringbericht 2009 von der Bundesnetzagentur dazu aufgefordert, die Anzahl der
Lieferanten anzugeben, die in ihren Netzgebieten Letztverbraucher mit Elektrizität beliefern.
Die Spanne liegt, je nach Netzgebiet, zwischen einem und 201 Lieferanten. Errechnet man
einen flächenbezogenen Mittelwert, so zeigt dieser, dass der Großteil der Haushaltskunden
von durchschnittlich über 50 Lieferanten je Netzgebiet beliefert wird (Tendenz steigend). Es
zeigt sich jedoch gleichzeitig, dass nur relativ wenige EltVU bundesweit aktiv sind und sich
der überwiegende Teil, besonders im Haushaltskundensegment, auf die Belieferung einzelner
Regionen beschränkt (Bundesnetzagentur, 2009). Das Verbraucherportal Verivox hatte im
Jahr 2008 ebenfalls Daten zu externen Stromanbietern für Haushaltskunden erhoben.
Demnach verfügten von über 1.000 deutschlandweit tätigen Energielieferanten nur 30
Anbieter über ein bundesweites Angebot und lediglich 13 Anbieter waren dabei vollständig
unabhängig von der etablierten Versorgungswirtschaft. In diesen Zahlen spiegeln sich
abermals die Existenz regionaler Wettbewerbsmärkte und der hohe Grad vertikaler
Integration auf dem Strommarkt für Haushaltskunden wider.
Jedoch ist insgesamt ein positiver Trend in den letzten Jahren nicht von der Hand zu weisen.
Durch die steigende Auswahlmöglichkeit an Lieferanten, die verbesserten
Rahmenbedingungen für Lieferantenwechsel und die Sensibilisierung der Verbraucher bei
den Elektrizitätskosten steigt die Anzahl der Versorgerwechsel im Haushaltskundenbereich
kontinuierlich an. Abgesehen von der weiterhin dominanten Stellung der Grundversorger und
den steigenden Elektrizitätspreisen, zeichnet sich bei einer Betrachtung der
Neukundenakquisition von Haushaltskunden jedoch ebenfalls eine klare Dominanz von
einigen wenigen Unternehmen ab. Neben den Oligopolisten und alternativen
konzernzugehörigen Anbietern weisen tatsächlich nur wenige alternative konzernunabhängige
Anbieter deutliche Kundengewinne auf. So wechselten im Jahr 2008 über 75 Prozent der 2,1
Millionen gewechselten Haushalte von einer Vielzahl von Anbietern hin zu lediglich zehn
Unternehmen. Sollte sich diese Entwicklung weiter fortsetzen, könnte der Wettbewerb auf
dem Elektrizitätsmarkt für Haushaltskunden zu einer Verringerung anstatt zu einer Erhöhung
der Anbieterzahlen führen, fürchtet die Bundesnetzagentur (2009). Zwar haben besonders die
18
größten Unternehmen hohe Kundenverluste hinnehmen müssen, da jedoch der Großteil dieser
Unternehmen z. B. über Tochterunternehmen auch deutliche Kundenzuwächse zu verzeichnen
hatte, gleichen sich ihre Kundenverluste und -gewinne zumeist wieder aus. Der
Hauptkundenzugewinn ist im Segment 200.000 bis 500.000 belieferte Haushalte bei den
großen neuen, konzernzugehörigen und konzernunabhängigen Anbietern zu finden. Diesem
Segment gehört auch der im Rahmen der vorliegenden Arbeit betrachtete Anbieter an.
Ein Großteil der Studien, die sich mit der Untersuchung des Wechselverhaltens von
Haushaltsstromkunden befassen, beschäftigt sich mit Determinanten des beabsichtigten
Anbieterwechsels (Wechselbereitschaft) bzw. des realisierten Anbieterwechsels
(Wechselvollzug) oder mit dem Gegenpol, der Kundenbindung. (Bakay, 2003/ Giulietti,
2005). Es existiert kein einheitlicher Ansatz zur Systematisierung und Beschreibung von
potenziellen Einflussgrößen des Wechselverhaltens. So wird, je nach Untersuchung, auf
emotionale oder finanzielle Aspekte unterschiedlich viel Wert gelegt (Mund, 2010). In der
vorliegenden Arbeit wird ausschließlich der realisierte Anbieterwechsel, also der tatsächliche
Wechselvollzug untersucht. Dabei werden die untersuchten Determinanten des
Wechselvollzugs aufgrund bestehender Interpretationszusammenhänge in folgende Gruppen
unterteilt (Abbildung 3):
19
Preisbezogene Variablen
Angebotsbezogene Variablen Verbrauch Machtbezogene Variablen
Versorgeranzahl Grundversorgerpreis Integrationsgrad (K)
Vertriebsgebiete (D) Ersparnis Marktmacht (K)
Wechselverhalten von
Haushaltsstromkunde
n
Vertragsspezifische Variablen
Nachfragebezogene Variablen
Umzugskunden Quadratische Variablen
Haushaltszahlen
Onlinekunden Alterseffekte
Metropolregion (D)
Mehrvertragskunden
Wechselprozess
Abbildung 3:
Modell der zu untersuchenden Einflussfaktoren des Wechselverhaltens von Haushaltsstromkunden
(Eigene Darstellung)
Es wird darauf hingewiesen, dass aus Gründen unvollständiger Informationen vor allem über
das Gefühlsleben der Kunden, aber auch über die Preise konkurrierender Anbieter, das dieser
Arbeit zugrunde Untersuchungsmodell einige potenzielle Determinanten des
Wechselverhaltens unberücksichtigt lässt. Das heißt allerdings nicht, dass diese Faktoren für
das Wechselverhalten von Verbrauchern keine Rolle spielen. Deshalb soll im Folgenden
zunächst auf die nicht gemessenen Einflussfaktoren eingegangen werden:
Die niedrige Wechselquote von Haushaltsstromkunden hat eine ganze Reihe möglicher
Gründe. Bedeutende Ursachen für den ausbleibenden Wechsel stellen etwa
Informationsdefizite und habitualisiertes Verhalten dar. Viele Nachfrager haben zwar
prinzipiell Kenntnis von den Wechselmöglichkeiten, sehen jedoch bei einem Wechsel
beispielsweise ihre Versorgungssicherheit gefährdet (Kloubert, 2001). Viele private
Verbraucher haben keine Kenntnis davon, dass es gemäß § 36 EnWG im Rahmen des
Anbieterwechsels nicht zu Versorgungsunterbrechungen kommen kann. Aufgrund der
20
vorherrschenden Informationsasymmetrie zwischen Stromanbietern und -kunden ist es
möglich, dass Konsumenten den Versorgern opportunistisches Verhalten unterstellen.
Überträgt man nun die Prinzipal-Agent-Theorie (Jensen, 1976) auf den Strommarkt, bedeutet
dies, dass der Konsument als Prinzipal über einen schlechteren Informationsstand verfügt als
das EltVU als Agent, mit welchem er einen Vertrag über die Energieversorgung abschließen
will. Dieser Umstand trägt dazu bei, dass Konsumenten bereit sind, eine Sicherheitsprämie für
eine funktionierende Energielieferung zu bezahlen, die sich gemäß Kloubert (2001) in Form
eines Preisaufschlags in den Grundversorgungstarifen niederschlagen kann. Ein Nichtwechsel
bedeutet deshalb eine erhebliche Vereinfachung bei der Informationsbeschaffung. Damit ist
auch die Bereitschaft zur Zahlung einer Vereinfachungsprämie vorhanden.
Die Wechselbereitschaft der Haushaltskunden ist nach Auffassung der Monopolkommission
oftmals durch ein zu gering erachtetes Einsparpotenzial bei einem Lieferantenwechsel
eingeschränkt. Haushaltskunden mögen vermuten, dass die Preisspreizung der
unterschiedlichen Angebote gering ist. In Wahrheit ist die Preisspreizung der verschiedenen
Tarife jedoch groß. Zudem treten Stromkosten nicht besonders häufig in das Bewusstsein der
Stromnachfrager. So findet eine Kontaktaufnahme zwischen Versorgern und Nachfragern
meist nur einmal pro Jahr statt, wenn die monatlichen Abschlagszahlungen festgelegt werden.
Dabei könnte in einigen Fällen die für Verbraucher erlebensferne Einheit der Kilowattstunde
ein adäquates Verständnis einzelner Rechnungsposten zusätzlich erschweren.
Wird von psychischen Wechselbarrieren abgesehen, sind die messbaren Wechselkosten
zumindest für internetkundige Stromnachfrager vernachlässigbar. Preisinformationen und
Preisvergleichsmöglichkeiten sind im Internet erhältlich und der Wechselauftrag kann
ebenfalls online erteilt werden. Der Anbieterwechsel selbst ist kostenlos. Eine weitere
bedeutende Ursache für die geringe Wechselquote bei den Haushaltskunden liegt darin, dass
Strom kein Produkt darstellt, mit dem sich Nachfrager identifizieren oder von anderen
Nachfragern abgrenzen können. Strom dient “lediglich“ dazu, den Betrieb von elektrischen
Geräten zu gewährleisten und stiftet insofern nur einen indirekten Nutzen. Es erscheint daher
unwahrscheinlich, dass Verbraucher sich mit dem Produkt Strom näher auseinandersetzen. In
der Literatur wird deshalb häufig von einem Low-Involvement-Produkt gesprochen. Henseler
(2006, S. 79) versteht unter Involvement „das innere Engagement, mit dem sich eine Person
dauerhaft dem Bezug des Produktes Strom zuwendet“. Bakay (2006) hält das Involvement für
eine wichtige Einflussgröße in Kaufentscheidungsprozessen, da es die Bereitschaft steuert,
sich mehr oder weniger stark kognitiv mit Kaufobjekten unterschiedlicher Art zu befassen
und Informationen darüber zu verarbeiten.
21
Laut einer aktuellen Marktstudie von TNS-Infratest (2010) ist der Strommarkt durch wenig
Involvement gekennzeichnet. Bislang hat der Großteil der Wechsler, etwa 63 Prozent, den
Anbieter aus Kostengründen gewechselt. Laut Verbraucherportalen wie Verivox (2008) und
Check24 (2009) liegt die finanzielle Motivation für einen Wechsel unter der Angabe von
Mehrfachnennungen sogar bei 93-96 Prozent. Immerhin 13 Prozent der Verbraucher geben
an, aus ökologischen Gründen gewechselt zu haben (TNS Infratest, 2010/ Verband der
Elektrizitätswirtschaft, 2007). Lediglich die Kunden von Naturstromanbietern zeigen ein weit
überdurchschnittliches Involvement. Hier identifizieren sich gut 75 Prozent der Konsumenten
mit ihrem Wahllieferanten.
Es bleibt also festzuhalten, dass ein hohes Involvement zu einer Aktivierung des
Wechselverhaltens führt. Von den in dieser Arbeit nicht näher untersuchten Einflussfaktoren
kommt diesem theoretischen Konstrukt die wohl größte Bedeutung für das Wechselverhalten
von Verbrauchern zu. Folgenden Faktoren wird aber ebenfalls eine das Wechselverhalten
belebende Wirkung nachgesagt: Unzufriedenheit des Kunden, Einkommen,
Ökostromangebote, Dauer der Liberalisierung und positive Wechselerfahrungen (Mund,
2010). Als typische Wechselbarrieren oder Bindungsmotive konnten hingegen die
Zufriedenheit des Kunden, sein Vertrauen in den Anbieter sowie negative Erfahrungen beim
Anbieterwechsel ausgemacht werden (Koschate, 2002).
Alle übrigen Determinanten des Wechselverhaltens, die sich aus der Bestandsaufnahme
bisheriger Arbeiten auf diesem Gebiet erschließen, wurden als Variablen in das Modell
einbezogen. Dabei konnten einige Wechseltreiber und -barrieren erstmalig in einer
wissenschaftlichen Arbeit zum Wechselverhalten von Haushaltsstromkunden berücksichtigt
werden. Im Folgenden werden alle näher betrachteten Variablen in ihren zu erwartenden
Wirkungszusammenhängen mit dem Verbraucherwechselverhalten dargestellt. Dies führt zur
Aufstellung der zu testenden Hypothesen. Dabei rückt von nun an das Wechselverhalten der
Stromkunden eines konkreten Anbieters in den Mittelpunkt der Betrachtung. Anhand dieses
Anbieters soll im Anschluss die empirische Analyse und die Überprüfung der Hypothesen in
Kapitel 3 durchgeführt werden.
Alter Das Altermerkmal wird häufig als Einflussgröße des Wechselverhaltens von
Stromkunden angeführt. Den vorliegenden Studien kann entnommen werden, dass ältere
Stromkunden eine geringere Wechselneigung und Zahlungsbereitschaft haben. (Bakay, 2004/
Rowlands, 2004/ Giulietti, 2005). Eine höhere Affinität zum Internet, eine geringere
Anbieterloyalität und die geringere Risikoeinschätzung jüngerer Zielgruppen weisen darauf
hin, dass vor allem junge Menschen die Wettbewerbssituation auf dem Markt für
Haushaltsstromkunden künftig nachhaltig dynamisieren könnten. Es zeigt sich, dass die junge
Zielgruppe überwiegend zu den sogenannten Smart-Shoppern zu rechnen ist, für die der Preis
ein sehr wichtiges Kriterium bei der Kaufentscheidung ist. Der einzige Grund dafür, dass
jüngere Personen nicht häufiger ihren Stromanbieter wechseln, liegt darin, dass viele der unter
30-Jährigen noch nicht oder erst seit kurzem über einen eigenen Haushalt verfügen. Das
bisher träge Wechselverhalten auf dem Markt für Haushaltsstromkunden könnte mit den
nachrückenden Altersgruppen in den nächsten Jahren eine deutliche Dynamisierung erfahren
(Rennhak, 2006).
Es ist also davon auszugehen, dass das Wechselverhalten zunächst mit steigendem Alter
zunimmt (unter 30 Jahren kommt ein Wechsel oft noch nicht in Frage), bevor es ab einem
bestimmten Alter wieder abnimmt (ältere Personen besitzen eine geringere Wechselneigung):
H-3: „Je näher sich die Verbraucher im Bereich einer bestimmten Altersgrenze
befinden, desto mehr Wechsel können beim betreffenden EltVU beobachtet werden.“
Dauer des Wechselprozesses Ein Anbieterwechsel hat nur dann einen positiven Effekt
für den Konsumenten, wenn die Kosten in punkto Geld, Zeit und Aufwand im Vergleich zum
23
Preis der Dienstleistung ausreichend niedrig sind (Adler, 2003/ Europäische Kommission II,
2009). Laut Einschätzung der EU-Kommission sind die Ergebnisse hinsichtlich des
Versorgerwechsels im Energiesektor sehr ernüchternd. Der Wechselaufwand, d. h. die
Rahmenbedingungen für einen Wechsel und der Wechsel an sich sind im Energiesektor
verhältnismäßig problematisch (Europäische Kommission II, 2009). An der steigenden Zahl
der Verbraucherbeschwerden bei der Bundesnetzagentur wird deutlich, dass sich
Haushaltsstromkunden zunehmend mit dem Thema der Liberalisierung und den sich hieraus
für sie ergebenden Möglichkeiten beschäftigen. Besonders häufig gibt es bei der
Bundesnetzagentur (2009) Beschwerden über Verzögerungen beim Lieferantenwechsel.
Verbraucherbeschwerden sind ein Schlüsselindikator von Marktstörungen und liefern
Hinweise auf mögliche Ursachen für die Zurückhaltung beim Anbieterwechsel (Europäische
Kommission II, 2009). Lieferantenwechsel sind nach den Vorgaben der EU-Kommission (I,
2009) durch die betreffenden Betreiber innerhalb von drei Wochen vorzunehmen. In der
Praxis vergeht jedoch nicht selten deutlich mehr Zeit bis zur tatsächlichen Belieferung durch
einen neuen Anbieter. Bürokratische Hürden bei den Netzbetreibern vermögen im Einzelfall
die Netznutzung Dritter zu erschweren. Der Anreiz zu einem solchen Verhalten besteht darin,
dass hierdurch den Wettbewerbern der Marktzutritt erschwert wird und der eigenen
Versorgungssparte ein Wettbewerbsvorteil verschafft werden kann. Eine weitere Möglichkeit
der Marktmachtverlagerung sieht Rasbach (2009) in der selektiven Weitergabe wertvoller
Informationen (z. B. Wettbewerberdaten betreffend) an die verbundenen Sparten. Obwohl
der Grad der vollständig automatisierten Bearbeitung beim Lieferantenwechsel innerhalb der
letzten Jahre anstieg, sehen 7,6 Prozent der Lieferanten die fehlgeschlagenen und verzögerten
Lieferantenwechsel als größtes Hindernis bei der Neukundenakquisition (Bundesnetzagentur,
2009). Bei riskanten und langwierigen Wechselprozessen steigen auf der anderen Marktseite
auch die allgemein empfundenen Wechselkosten der Verbraucher an. Dies wirkt einem
Wechselvollzug entgegen (Kloubert, 200/1Varian, 2004/ Henseler, 2006/ Blut 2008). Aus
den Schilderungen kann folgende Hypothese abgeleitet werden:
H-4: „Je mehr Zeit für die Durchführung eines Wechsels benötigt wird, desto weniger
Wechsel können beim betreffenden EltVU beobachtet werden.“
24
Grundversorger gewählt haben. Laut TNS-Infratest (2010) war für 11 Prozent der
gewechselten Kunden ein Umzug der Hauptbeweggrund für den Anbieterwechsel. In
Gebieten mit hoher Umzugshäufigkeit könnte es demnach besonders oft zu
Lieferantenwechseln kommen. Als Maß für Umzugshäufigkeiten in einem Gebiet kann der
Anteil der „Kunden wegen Umzuges“ an den gesamten Stromkunden pro PLZ herangezogen
werden. Vor dem Hintergrund der belebenden Wirkung des Umzugsverhaltens auf das
Wechselverhalten von Stromverbrauchern ist folgende Hypothese zu überprüfen:
H-5: „Je größer der Anteil der Umzugskunden, desto mehr Wechsel können beim
betreffenden EltVU beobachtet werden.“
Anzahl der Verträge Der untersuchte Anbieter vertreibt die beiden Produkte Strom
und Gas. Es handelt sich dabei allerdings um eine unechte Bündelung der Produkte
(Fuerderer, 1999), auch „no bundling“ genannt, da das bundling-charakteristische Merkmal
des Preisnachlasses beim gemeinsamen Erwerb der beiden Güter entfällt Beide Produkte
werden weiterhin unabhängig voneinander und zu verschiedenen Preisen vertrieben, wobei
lediglich das Angebot unterbreitet werden kann, auch das jeweils andere Produkt zu
erwerben. Einige Unternehmen bieten sogar darüber hinausgehende Produktkombinationen an
(z. B. Strom kombiniert mit Telekommunikations-/ Internetprodukten). Damit lässt sich laut
25
Rennhak (2006) die Attraktivität des Angebots für die Zielgruppe der Fortschrittsbegeisterten
erhöhen, was den Wechsel zu einem neuen Anbieter erleichtert. Um den Kaufanreiz zu
steigern wird in der Energiewirtschaft im Allgemeinen mit Bonussystemen gearbeitet. Der
Anreiz zum Abschluss mehrerer Verträge besteht deshalb in der jeweiligen Ersparnis beim
Abschluss eines Vertrages zuzüglich eines vertragsspezifischen Bonusbetrags.2
Bei der Untersuchung der Vertragsanzahl soll nur die reine, aus der gleichzeitigen
Inanspruchnahme mehrerer Dienstleistungen resultierende Auswirkung auf das
Wechselverhalten analysiert werden. Wieringa und Verhoef (2007) untersuchen die
Wahrnehmung von Kunden solcher Multi-Utility-Angebote auf dem Strommarkt. Dabei
finden sie heraus, dass Verbraucher den Anbieter weniger wahrscheinlich verlassen, wenn sie
gebündelte Leistungen von diesem beziehen. Folgende Hypothesen sollen folglich überprüft
werden:
H-7: „Je mehr Verträge mit denselben Verbrauchern abgeschlossen werden, desto
mehr Bestandskunden können durch das betreffende EltVU gewonnen werden.“
H-8: „Je mehr Verträge mit denselben Verbrauchern abgeschlossen werden, desto
weniger Kündigungen (Weiterwechsler) können beim betreffenden EltVU beobachtet
werden.“
Verbrauch Bezüglich des Stromverbrauchs lässt sich aus bisherigen Untersuchungen zwar
keine eindeutige Wirkungsrichtung ableiten, meist wird aber davon ausgegangen, dass ein
höherer Verbrauch auch das Wechselverhalten anregt (Cai, 1998/ Monopolkommission,
2009). Diese Annahme erscheint insofern logisch, weil bei einem höheren Verbrauch
tendenziell auch der Faktor Ersparnis größer wird. Hinsichtlich der Verbrauchsmenge wird
deshalb eine Sensibilisierung des Wechselverhaltens unterstellt:
H-9: „Je höher der Verbrauch, desto mehr Wechsel können beim betreffenden EltVU
beobachtet werden.“
2
Entsprechende Boni werden in der unabhängigen Variablen zur potenziellen Ersparnis berücksichtigt.
26
Kundenzahl
zunehmend
Strompreis
abnehmend zunehmend
Ausgangsniveau
abnehmend
Abbildung 4:
Modell der untersuchten Einflussfaktoren des Wechselverhaltens von Haushaltsstromkunden
(Darstellung nach Köster, 2004)
Unsicherheit erhöht die empfundenen Wechselkosten für die Verbraucher und verleiht dem
Anbieter in gewissem Umfang monopolistische Macht (Blut, 2008). Nach Henseler (2006)
macht eine Erhöhung der Wechselkosten auch eine Erhöhung der Preise möglich. Allerdings
ist auch hier zu berücksichtigen, dass das Kundenverhalten im Zeitablauf Änderungen
unterliegen kann. Im Zuge der voranschreitenden Liberalisierungen und der nachwachsenden,
fortschrittlichen Zielgruppe auf dem Markt für Haushaltsstromkunden werden
Wechselunsicherheiten abgebaut. Köster (2004) glaubt, dass eine höhere Wechselaffinität die
Folge sein wird. Niedrigere Preise führen sicher nicht per se zu einem Anbieterwechsel, wie
sich insbesondere an den niedrigen Wechselzahlen in den ersten Jahren der Liberalisierung
zeigte, als die Preisunterschiede bereits beträchtlich waren (Rhiel, 2009/ Bakay, 2003).
„Durch die Homogenität des Produktes Strom bleibt der Strompreis jedoch der maßgebliche
Entscheidungsparamter bei einer bewussten Entscheidung über den Strombezug“
(Monopolkommission, 2009, S. 45). Diese Aussage gilt zumindest unter der Bedingung, dass
die Herkunft des Stroms eine untergeordnete Rolle spielt. Denn die Kunden typischer
Ökostromanbieter zeichnen sich durch eine abweichende Preiselastizität der Nachfrage aus
und orientieren sich vor allem an der Qualität des Stromes (Mund, 2010). Für die vorliegende
Arbeit soll dies unberücksichtigt bleiben, da nicht das Wechselverhalten eines
27
Ökostromanbieters betrachtet wird, sondern vielmehr der Massenmarkt für Strom. Für dieses
Marktsegment liegen folgende Hypothesen nahe:
H-10: „Je höher die erzielbare Ersparnis durch einen Wechsel, desto mehr Wechsel
können in Richtung des betreffenden EltVU beobachtet werden.“
Aber:
H-11: „Je höher die erzielte Ersparnis durch einen Wechsel, desto weniger
Kündigungen (Weiterwechsler) können beim betreffenden EltVU beobachtet werden.“
Preis des Grundversorgers Die Darstellung der Einzelhandelspreisniveaus basiert auf dem
folgenden Abnahmefall: Haushalte mit einem Jahresverbrauch von 3.500 kWh/Jahr.
Die Grundversorgung ist die teuerste und preislich am stärksten ansteigende Art der
Elektrizitätsbelieferung für Haushaltskunden. Ein Vertragswechsel reduziert den
durchschnittlichen Gesamtpreis bereits in spürbarem Maße, während ein Lieferantenwechsel
sogar noch mehr Einsparpotenzial birgt. Aufgrund des geringen Wettbewerbsdrucks und der
verhältnismäßig geringen Kundenverluste, haben sich die lokalen EltVU nicht die günstigeren
Preiskonditionen anderer Wettbewerber angepasst. Der Preisunterschied, der die
Grundversorgung teurer als andere Tarifoptionen macht, ist im Wesentlichen auf die
Unterschiede im Preisbestandteil „Energiebeschaffung und Vertrieb“ zurückzuführen.
Während Netzentgelte, Steuern und sonstige staatlich veranlassten Preisbestandteile in allen
Haushaltskundenkategorien (Kunden der Grundversorgung, Vertragswechsler und
Lieferantenwechsler) nahezu identisch sind, variiert der Block Energiebeschaffung und
Vertrieb sehr stark. In den letzten drei Jahren sind vor allem Haushaltskunden von den
steigenden Elektrizitätspreisen betroffen. Der Großteil des durchschnittlichen Preisanstiegs,
allein zwischen 2007 und 2008, entfällt dabei auf den um durchschnittlich 4,24 ct/kWh
gestiegenen Preisbestandteil für Energiebeschaffung und Vertrieb (inkl. Marge). Der
günstigste Tarif im Vergleich zum durchschnittlichen Grundversorgungstarif erzielt für einen
durchschnittlichen Haushaltsstromkunden sogar eine Ersparnis von rund 300 Euro pro Jahr
(Bundesnetzagentur, 2009). Finanziell gesehen ist der Anreiz für einen Wechsel damit sehr
hoch.
28
Aufteilung des Einzelhandelspreisniveaus für
Haushaltskunden (Grundversorgung) zum 01.04.2009
22,8%
37,6%
0,6%
1,6%
24,8%
1,0%
5,2% 6,4%
Den größten Anteil am Gesamtelektrizitätspreis für Haushaltskunden hat der in den letzten
Jahren kontinuierlich gestiegene Preisbestandteil Energiebeschaffung und Vertrieb mit aktuell
37,6 Prozent inne (Abbildung 5). Die Anteile für Abgaben und Steuern haben sich nur
unwesentlich verändert, während der Anteil der Netzentgelte in Höhe der einst in ihm
enthaltenen überhöhten Margen gesunken ist. Die sich verteuernden Grundversorgungstarife
könnten die Verbraucher zunehmend zu einem Wechsel ihres Versorgers motivieren:
H-12: „Je höher der Preis des Grundversorgungstarifs, desto mehr Wechsel können
in Richtung des betreffenden EltVU beobachtet werden.“
Anzahl der Anbieter Die Anzahl der neu in den Markt eintretenden Unternehmen gilt
als Gradmesser für den sich entwickelnden Wettbewerb in den Energiemärkten. Die
Bundesnetzagentur (2009) stellt jedoch fest, dass kein direkter Zusammenhang zwischen der
Anzahl der Anbieter und der Lieferantenwechselquote besteht. Dies sei darauf
zurückzuführen, dass der Großteil der Lieferantenwechsel lediglich zu einigen wenigen
Lieferanten hin stattfindet. Diese sind zumeist in sehr vielen Netzgebieten aktiv, also sowohl
in Netzgebieten mit insgesamt wenigen Anbietern, als auch in Netzgebieten, in denen viele
Anbieter tätig sind (Bundesnetzagentur, 2009). Da das betrachtete EltVU zu den bundesweit
29
aktiven Anbietern zu zählen ist, müsste es demzufolge von Lieferantenwechseln in Gebieten
mit vielen Anbietern profitieren. Die entsprechende Hypothese lautet:
H-13: „Je mehr Anbieter existieren, desto mehr Wechsel können in Richtung des
betreffenden EltVU beobachtet werden.“
Vertikale Integration und Marktmacht Wie die Ausführungen in Kapitel 2.3.2 gezeigt
haben, erwächst die Gefahr eines möglichen Marktmachtmissbrauchs durch
Machtverlagerung insbesondere aus zwei strukturellen Eigenschaften der Strommärkte. Zum
einen eröffnet der hohe vertikale Integrationsgrad von EltVU die grundsätzliche Möglichkeit
zur Marktmachtverlagerung. Auf der anderen Seite erhöht sich die Gefahr missbräuchlichen
Verhaltens durch die hohe Konzentration von Marktmacht beim jeweiligen
Grundversorgungsunternehmen eines Gebietes. Die Folgen des Marktmachtmissbrauchs
könnten sich auch auf einzelne Unternehmen und das Wechselverhalten der Verbraucher
auswirken. Tendenziell sind für das betrachtete EltVU folgende Hypothesen zu überprüfen:
H-15: „Je höher der Grad vertikaler Integration des Grundversorgungsunternehmens
mit dem monopolistischen Netzbetreiber ist, desto weniger Wechsel können in
Richtung des betreffenden EltVU beobachtet werden.“
H-16: „Wenn entweder ein Teilnehmer des Oligopols, oder der Staat, oder beide
gemeinsam die Netzhoheit in einem Gebiet inne haben, dann können tendenziell
weniger Wechsel in Richtung des betreffenden EltVU beobachtet werden.“
30
3. Modell zum Wechselverhalten der Haushaltsstromkunden eines
Anbieters auf dem deutschen Strommarkt
Dieses Kapitel behandelt die Modellierung und Untersuchung des Wechselverhaltens von
Haushaltsstromkunden am Beispiel eines bundesweit agierenden Anbieters auf dem
Strommarkt. Die Kapitel 3.1 bis 3.4 geben Auskunft über den zugrunde liegenden Datensatz,
die Operationalisierung der Modellvariablen und die methodische Vorgehensweise. In Kapitel
3.5 steht dann die empirische Kernanalyse des Modells im Vordergrund. Anschließend
werden in Kapitel 3.6 die Untersuchungsergebnisse vor dem Hintergrund der zu testenden
Hyothesen präsentiert.
Als Grundlage für die vorliegende Untersuchung dient die Kundendatenbank eines Anbieters
auf dem deutschen Markt für Haushaltsstromkunden (Stand Juli 2010). Die Datenbank enthält
sämtliche Bestandskunden sowie ehemalige Kunden des betrachteten Unternehmens. Aus
Datenschutzgründen wurden private Kundennummern und sensible Angaben aus dem
Datensatz entfernt und durch Identifikationsnummern ersetzt. Dies ermöglicht eine anonyme
und unverfälschte Einbeziehung eines jeden (Ex-)Kunden des Unternehmens in die
Untersuchung.
Um die Aktualität und Aussagekraft der Untersuchung zu gewährleisten, wurden in einem
ersten Schritt sämtliche (Ex-)Kunden selektiert, die seit dem 1.1.2009 zum Standardtarif des
Anbieters in Belieferung kamen, einschließlich der Angaben zum Belieferungsbeginn sowie
ggf. zum Kündigungsdatum. Die Preisgestaltung des betrachteten Tarifs wird, wie im
Energiesektor üblich (Varian, 2004), nach dem Verbrauch und dem Bezugsort differenziert.3
In einem zweiten Schritt wurden die individuellen Daten auf Postleitzahlenebene
zusammengefasst. Dabei wurden PLZ-bezogene Durchschnittswerte über alle (Ex-)Kunden
ermittelt, so dass jeweils die durchschnittlichen Kundendaten pro PLZ beobachtet werden
können. Durch die Zusammenfassung der Daten auf PLZ-Ebene konnten in einem dritten
Schritt weitere potenzielle Wechseldeterminanten (z. B. zur Marktmacht), die nur auf PLZ-
Ebene erhoben werden konnten, mit dem Datensatz verbunden werden.
3
Dabei handelt es sich um einen verbrauchszeit-unabhängigen Tarif für Privatkunden. Durch Multiplikation der
individuellen Verbrauchsmenge mit einem PLZ- und verbrauchsmengenabhängigen vereinbarten Arbeitspreis
pro kWh ergibt sich der Gesamtpreis für den Kunden.
31
Jeder Postleitzahl wurden damit die durchschnittlichen (Ex-)-Kunden-Daten sowie weitere auf
den lokalen Energiemarkt bezogenen Merkmale zugewiesen. Nach dem Ausschluss von
Werten mit Missings in wichtigen Variablen, beträgt die Anzahl der beobachteten PLZ-
Gebiete für die erste abhängige Variable (Bestandskunden) N = 6.426 und N = 3.196 für die
zweite abhängige Variable (Weiterwechsler).
32
ihren spezifischen Merkmalen und den lokalen Wettbewerbsmärkten hergestellt werden.
Angesichts der PLZ-bezogenen, lokalen Perspektive der Endkundenmärkte eröffnet sich
dadurch eine sachgerechte Betrachtungsweise des Wechselverhaltens, die dabei helfen
könnte, die Rolle unterschiedlicher Wechseldeterminanten genauer zu definieren.
Unter den unabhängigen Variablen befinden sich sowohl alte Bekannte, als auch bisher noch
nicht untersuchte Einflussfaktoren des Wechselverhaltens von Stromkunden.
Die Anzahl der Haushalte pro PLZ dient als relativierende Kontrollvariable, da ein
grundsätzlicher Zusammenhang zwischen den Einwohnerzahlen eines Gebietes und den dort
erreichbaren Kunden besteht. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2008 und wurden durch das
untersuchte EltVU erhoben.
Mit dem gegebenen Datenmaterial kann zusätzlich kontrolliert werden, ob bei vielen
aneinander angrenzenden PLZ-Gebieten mit hohen Haushaltszahlen mehr
Wechselbewegungen beim betrachteten Anbieter verzeichnet werden konnten als in weniger
dicht besiedelten Gebieten. Zu diesem Zweck wurde eine Dummy-Variable in das Modell
eingeführt, welche eine PLZ als Metropolregion identifiziert.5 Für den Fall, dass eine PLZ zu
einer Stadt mit über 300.000 Einwohnern gehört, besitzt die Variable den Wert 1. Für alle
anderen PLZ ist der Wert 0.
Um den beschriebenen quadratischen Alterseffekt im Modell zu berücksichtigen, wurde
neben dem Durchschnittsalter der Kunden auch das quadrierte Durchschnittsalter pro PLZ
als Variable berücksichtigt.
Durch die Angabe des Vertragsabschlussdatum und des Belieferungsbeginns konnte die
durchschnittliche Dauer des Wechselprozesses (in Tagen) für die Kunden eines PLZ-Gebietes
ermittelt und hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die (Ex-)Kundenzahlen des Anbieters
untersucht werden.
Häufig werden Umzüge genannt, wenn es darum geht, die Motivation für einen
Anbieterwechsel anzugeben. Eine Quote der im Kundenstamm enthaltenen “Kunden wegen
Umzuges“ konnte anhand der Angabe von Wechselgründen der Individuen im Datensatz
ermittelt werden. Entweder sie wurden im Zuge eines Umzuges bei der Firma Kunde, oder
aber sie wurden aktiv als Neukunden gewonnen (direkter Wechsel). Ob eine Quote der
5
Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung spricht ab 300.000 Einwohnern von „großen Großstädten“.
Gemäß Angabe des Deutschen Städtetags (31.12.2008) erhalten demnach nur die PLZ-Gebiete der zwanzig
größten Städte in Deutschland den Charakter Metropolregion.
33
Kunden wegen Umzuges in einer PLZ hoch oder niedrig ist, kann jedoch nur an der
Kundenzahl und nicht an der Kontrollvariablen der Haushaltsanzahl bemessen werden. Somit
ergibt sich die Quote aus der Zahl der Umzugskunden im Verhältnis zur Gesamtheit aller
Stromkunden der betrachteten Firma pro PLZ-Gebiet.
Die Kenntnis über den Eingangskanal eines Vertragsabschlusses ermöglicht die
Unterscheidung von Kunden, die über das Internet ihren Weg zum Unternehmen gefunden
haben (Online) und Kunden, die über CallCenter- oder Direktvertriebsaktivitäten gewonnen
wurden (Offline). Um eine Onlinequote auf PLZ-Ebene zu ermitteln, wurden jeweils die
Onlinekunden zur Gesamtheit aller Stromkunden ins Verhältnis gesetzt.
Durch die Betrachtung von Stromkunden, die gleichzeitig einen Gasvertrag abgeschlossen
haben bietet sich eine Überprüfung der Wirkungsmechanismen von Multi-Utility-
Vertragsbeziehungen an. Da die Anzahl der Verträge pro Kunde nicht direkt identifiziert
werden konnte, weil Mehrvertragskunden sowohl als Strom- als auch als Gaskunden, also
doppelt gelistet werden, wurde ein einheitlicher Schätzwert für Mehrvertragskunden ermittelt.
Dabei wurde pro PLZ die Anzahl der Gaskunden zur Anzahl aller Stromkunden ins Verhältnis
gesetzt. Die so ermittelte Quote dient dem Modell als Gradmesser für den Anteil potenzieller
Mehrvertragsbeziehungen mit den Stromkunden einer PLZ.
Die durchschnittliche Verbrauchsmenge der Kunden eines PLZ-Gebiets wurde in hundert
kWh/Jahr gemessen und ebenfalls im Modell berücksichtigt.
Durch die exakte Erhebung der im Zeitraum vom 01. Januar 2009 bis zum 30. Juni 2010
durchschnittlich erzielbaren Ersparnis im Vergleich zum Grundversorgungstarif bei einem
Wechsel in den Standardtarif des betrachteten Anbieters, gemessen in EUR/Jahr, kann auch
der Ersparniseffekt in seiner praktischen Relevanz für den Anbieterwechsel veranschaulicht
werden.
Anhand der vom Unternehmen bereitgestellten Informationen wurde auch der
durchschnittliche Preis der Grundversorgungsunternehmen für den Zeitraum vom 01. Januar
2009 bis zum 30. Juni 2010 für alle PLZ-Gebiete ermittelt. Die erhobenen
Grundversorgerpreise beziehen sich auf die durchschnittliche Verbrauchskategorie von 3.500
kWh/Jahr und werden in EUR/Jahr ausgewiesen.
Auf der Angebotsseite des Strommarktes ist die Konkurrenzsituation zu berücksichtigen,
welcher sich der betrachtete Anbieter in einer PLZ ausgesetzt sieht. Diese wird durch die
Anzahl der vorhandenen Wettbewerber am Markt, also die Zahl der EltVU pro PLZ
berücksichtigt. Die der Analyse zu Grunde liegenden Anbieterzahlen beziehen sich auf
34
Angaben des Verbraucherportals Verivox und wurden dem Unternehmen auf PLZ-Ebene im
Januar 2010 übermittelt.
Als Tochterunternehmen eines Oligopolisten am Strommarkt ist der in der vorliegenden
Arbeit betrachtete Anbieter in gewissem Maße weisungsgebunden. Dies betrifft auch die
Erlaubnis für gezielte Vertriebsaktionen in einzelnen Gebieten. In sogenannten “roten
Gebieten“ sind unserem Anbieter aktive Versuche zur Kundenakquisition untersagt. In
“weißen Gebieten“ dagegen darf der Vertrieb von Strom uneingeschränkt stattfinden. Eine
Liste der vertriebsgesperrten PLZ wurde vom Unternehmen bereitgestellt, so dass kontrolliert
werden kann, ob sich ein abweichendes Vertriebsverhalten auf das Wechselverhalten der
(Ex-)Kunden auswirkt. Die Dummy-Variable hat den Wert 0 für rote Gebiete und den Wert 1
für weiße Gebiete.
Die häufig für mangelnden Wettbewerb und fehlendes Wechselverhalten verantwortlich
gemachten Machtverhältnisse finden ebenfalls Eingang in das Modell. Sowohl die vertikale
Integration von Unternehmen zwischen der Distributions- und Vertriebsebene, als auch die
Eigentumsverhältnisse des monopolistischen Netzbetreibers können auf ihre Bedeutung für
das Wechselverhalten der (Ex-)Kunden unseres Anbieters untersucht werden. Auf diese
Weise wird die Auswirkung von Marktmacht und Integrationsgrad auf das
Wechselverhalten in die Untersuchung miteinbezogen. Zu diesem Zweck wurde zum Stichtag
31. Juli 2010 eine Betrachtung der Eigentumsverhältnisse der Grundversorgungsunternehmen
und Netzbetreiber für alle PLZ in Deutschland vorgenommen. Dabei wurde ebenfalls
überprüft inwieweit die Beteiligungsverhältnisse des Grundversorgers und des Netzbetreibers
übereinstimmen. Wenn die Anteilseigner beider Unternehmen gar nicht oder bis zu 25
Prozent des Beteiligungsverhältnisses identisch waren, so wurde das PLZ-Gebiet als nicht
integriert eingestuft. Bei 25 - 75-prozentigen Überschneidungen der Anteilseigner wurde das
Merkmal teilweise integriert vergeben und bei 75 - 100 Prozent gleichen
Eigentumsverhältnissen der Unternehmen kann von einer nahezu vollständigen Integration
ausgegangen werden. Diese kategoriale Variable wurde über drei dichotome Variablen im
Modell berücksichtigt. Der Wert 1 steht dabei jeweils für das Vorhandensein eines Merkmals
und der Wert 0 erscheint für die beiden verbleibenden, nicht zutreffenden
Integrationsmerkmale. In analoger Vorgehensweise wurde die Identität der lokalen
Netzbetreiber ermittelt und kategorisch in acht dichotome Variablen unterteilt. Dabei gehört
der Netzbetreiber überwiegend entweder zu einem der großen vier Stromanbieter in
Deutschland oder zu einem staatlichen Versorgungsunternehmen. Eine weitere Möglichkeit
besteht in der weitestgehenden Unabhängigkeit des Netzbetreibers von diesen beiden
35
Machtstrukturen. Auch hier identifiziert der Wert 1 den jeweiligen Netzbetreiber in einem
Gebiet. Gemäß dieser Unterscheidung wurden folgende Variablen kreiert:
E.ON, RWE, EnBW, Vattenfall (Oligopolisten)
Staat und Oligopol
Stadtwerk, Regional-/ Kommunalanbieter (Staatliche Unternehmen)
Sonstige Versorgungsunternehmen
Bei beiden kategorialen, machtbezogenen Variablen wurde für einen Vergleich der
verschiedenen Ausprägungen jeweils eine Ausprägung ausgeschlossen. Aus der
Variablengruppe zur Marktmacht wurde die Variable E.ON ausgeschlossen und aus der
Gruppe zum Integrationsgrad wurde die Ausprägung nicht integriert aus dem Modell
entfernt. Diese Variablen bilden den notwendigen Kontrast, der als Bemessungsgrundlage für
die weiteren Ausprägungen der jeweiligen Kategorie fungiert (Kohler, 2008).6
Die vorliegende Untersuchung stützt sich auf das OLS-Verfahren, welches auf verschiedene
Regressionsmodelle angewendet wird. Zum Zweck einer ordnungsgemäßen Durchführung
des Verfahrens wurden die zu analysierenden Regressionsmodelle einer ausführlichen
Diagnostik unterzogen. Dabei wurde in einem ersten Schritt ein Multikollinearitätstest
durchgeführt, indem für das jeweilige Gesamtmodell (Bestandskundenmodell und
Weiterwechslermodell) der Variance Inflation Factor (VIF) ermittelt wurde. Die
unabhängige Variable des quadrierten Alters wurde aufgrund ihrer naturgemäß hohen
Korrelation mit der “normalen“ Altersvariable von diesem Test ausgeschlossen. Das
Bestandskundenmodell erzielt dabei einen durchschnittlichen VIF von 3,04 und das
Weiterwechslermodell von 3,26 (ANHANG). In diesem relativ geringen Wertebereich
besteht gemäß Fox (1997) keine Gefahr der Multikollinearität.
Weiterhin wurden die Zusammenhänge zwischen der abhängigen und jeweils einer
unabhängigen Variablen als linear bestätigt (Kohler, 2008).
Die beschriebene Transformation (Bildung des Logarithmus) der abhängigen Variablen sorgt
für eine gleichmäßige Verteilung und beseitigt zugleich ein etwaiges
Heteroskedastizitätsproblem (Kohler, 2008). Trotzdem wurden zur finalen Überprüfung auf
Heteroskedastizität zusätzliche Scatterplots aus den Residuen gegen die vorhergesagten Werte
6
Ausprägung = Variable
36
der beiden Gesamtmodelle berechnet. Die Ergebnisse belegen die Zweckmäßigkeit der
durchgeführten Untersuchung (Anhang).
Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse der verschiedenen Regressionsmodelle. Dabei bildet die
logarithmierte Anzahl der Bestandskunden die zugrunde liegende abhängige Variable. Modell
1 bildet das Gesamtmodell und beinhaltet sämtliche für den Test der Hypothesen verfügbaren
unabhängigen Variablen. In den Modellen 2 bis 7 werden einzelne Variablengruppen (vgl.
Abbildung 3) aus dem Modell entfernt, um Veränderungen von R² beobachten zu können. R²
liegt für das Gesamtmodell bei 0.579 und erklärt damit etwa 58 Prozent der Variation der
Bestandskundenzahl (Kohler, 2008). Bei Betrachtung der Modelle 2 bis 7 wird deutlich, dass
die Höhe der Erklärungskraft am stärksten durch die nachfragebezogenen Variablen bestimmt
wird. Werden die entsprechenden Variablen, wie in Modell 2, aus dem Gesamtmodell
herausgenommen, verliert die Erklärungskraft erheblich an Substanz (R² = 0.365). Dies
unterstreicht, wie wichtig die Kontrolle der Haushaltsvariablen für das Gesamtmodell ist. In
Modell 6 zeigt sich außerdem die außerordentliche Rolle, die den preisbezogenen Variablen
zukommt. R² fällt bei Nichtberücksichtigung dieser Gruppe auf 0.537. Bei den
vertragsspezifischen Variablen ist ebenfalls ein signifikanter Einfluss zu erkennen (R² =
0.547). Gleiches gilt für die Bedeutung der machtbezogenen Variablen (R² = 0.546) und der
Altersvariablen (R² = 0.549). Lediglich das Auslassen der angebotsbezogenen Variablen hat
einen vergleichsweise geringen Einfluss auf die Erklärungskraft des Modells.
Analog entsprechen die ausgewiesenen Werte in Tabelle 2 den Regressionsmodellen für den
Fall, dass als abhängige Variable die logarithmierte Anzahl der Weiterwechsler betrachtet
wird. R² weist in diesem Fall für das Gesamtmodell einen Wert von 0.233 aus. Und auch hier
führt vor allem das Auslassen der nachfragebezogenen Variablen zu einer Verringerung von
R² auf 0.122. Den geringsten Einfluss haben wieder die angebotsbezogenen Variablen.
Tabelle 1:
Regressionsmodelle zu den Bestandskunden eines Anbieters auf dem deutschen Strommarkt
37
Tabelle 2:
Regressionsmodelle zu den Weiterwechslern eines Anbieters auf dem deutschen Strommarkt
Im Folgenden werden die einzelnen Variablen der beiden Gesamtmodelle und ihre Effekte auf
das Wechselverhalten der (Ex-)Stromkunden des betrachteten Anbieters im Detail analysiert.
Abbildung 6 veranschaulicht die Effektstärken und –richtungen der direkt vergleichbaren
Determinanten des Wechselverhaltens von Bestandskunden bzw. Weiterwechslern.
0,7
0,6
Abbildung 6: (Eigene Darstellung)
Vergleichbare
0,5 Effektstärken unabhängiger Variablen (Beta-Koeffizienten-Vergleich)
0,4
0,3
0,2
0,1
-0,1
-0,2
Bestandskunden Weiterw echsler
-0,3
-0,4
Mehrvertragskd.
Verbrauch
Metropole
Umzugskunden
Mehrvertragskd.
Haushalte
Wechselprozess
Umzugskunden
Ersparnis
Haushalte
Onlinekunden
Ersparnis
GV-Preis
Anbieterzahl
Vertriebsgebiet
Metropole
Onlinekunden
GV-Preis
Anbieterzahl
Vertriebsgebiet
Verbrauch
Wechselprozess
38
Haushalte Die durchschnittliche Haushaltsanzahl der beobachteten PLZ-Gebiete liegt bei
5564,5. Das kleinste Gebiet umfasst 135 und das größte 28.255 Haushalte (Statistics
Anhang). Der Effekt einer höheren Anzahl der Haushalte auf das Wechselverhalten der
Stromkunden ist robust und hoch signifikant über alle Modelle. Der Zusammenhang mit den
beiden abhängigen Variablen ist positiv.
Mit steigender Anzahl der Haushalte steigt sowohl die Zahl der Bestandskunden als auch die
Zahl der Weiterwechsler. Der Abgleich mit den Effektstärken der weiteren Variablen liefert
folgendes Ergebnis (Abbildung 6): Die standardisierten Beta-Koeffizienten, über welche ein
Vergleich der Variablen trotz verschiedener Einheiten möglich ist, weisen mit Werten von
0.613 und 0.435 in beiden Modellen die dominanten Effektstärken auf.7 Die Bestandskunden-
und Weiterwechslerzahlen hängen also, wie erwartet, maßgeblich von der Population eines
PLZ-Gebietes ab.
Aus Abbildung 7 wird ersichtlich, dass der Alterungsprozess in jungen Jahren zunächst einen
positiven Einfluss auf die Zahlen der (Ex-)Kunden hat, bevor dieser Zusammenhang ab einem
turnaround-value im Bereich des Durchschnittsalters (genaue Berechnung siehe Anhang
W: S.187) dann negativ wird. Unter den 21-Jährigen findet der betrachtete Anbieter
beispielsweise 9,16 Prozent mehr Bestandskunden als bei den 20-Jährigen.
Mit anderen Worten: Während in PLZ-Gebieten mit niedrigem Durchschnittsalter sowohl die
Anzahl der Bestandskunden als auch der Weiterwechsler mit den Jahren zunächst stark und
dann immer schwächer werdend zunimmt, sinken die Kundenzahlen ab einem
Durchschnittsalter von ca. 45 Jahren wieder ab. Der Effekt ist statistisch gesehen über alle
Modelle hoch signifikant. Bei den Bestandskunden ist er allerdings deutlich ausgeprägter als
bei den Weiterwechslern. Möglicherweise spielt das Alter bei den typischen
Mehrfachwechslern eine weniger bedeutende Rolle bei der Wechselentscheidung.
Das generelle Vorhandensein des quadratischen Effektes bestätigt damit für beide Modelle die
Richtigkeit der getroffenen Annahmen nach Rennhak (2006) und Mund (2010).
Onlinekunden Der Vertrieb von Strom über das Internet beschert dem Unternehmen
immerhin mehr als 60 Prozent seiner Kunden und ist für die Motivation und Durchführung
von Versorgerwechseln unentbehrlich. Jedoch darf angesichts der Modellergebnisse
bezweifelt werden, ob ein Unternehmen ohne die zusätzlichen Kanäle CallCenter und
Direktvertrieb im Wettbewerb bestehen kann.
Der beobachtete Effekt ist robust und hoch signifikant. Bei den Bestandskunden ist der
standardisierte Koeffizient mit einer Stärke von -0.178 sogar noch gewichtiger als bei den
Weiterwechslern mit -0.140. Eine Erhöhung der Onlinequote bei den Vertragsabschlüssen
führt dem Unternehmen also weniger Bestandskunden zu, aber auch weniger Weiterwechsler.
Umgekehrt führt also eine Aktivierung des Offlinevertriebs zu mehr treuen Kunden, aber auch
zu mehr Weiterwechslern.
Eine mögliche Erklärung besteht darin, dass Onlinekunden die Informationsmöglichkeiten des
Internets nutzen und ihre Wechselentscheidung besser reflektieren. Deshalb sind sie mit ihrer
Wahl eher zufrieden als aktiv akqiurierte Kunden, ringen sich zwar schwieriger zu einem
Wechsel durch, wechseln aber auch weniger wahrscheinlich weiter. Obwohl Hypothese 6
41
nicht bestätigt werden kann, sollte dadurch die faktische Dominanz und die kundenbindende
Wirkung des Onlinevertriebs nicht in Frage gestellt werden. Vor allem aber in Regionen, die
das Unternehmen vor größere Überzeugungsarbeit beim Gewinn neuer Kunden stellen,
könnten Offlinevertriebskanäle das Wechselverhalten der Stromkunden zusätzlich beleben.
Anzahl der Verträge Der durchweg hoch signifikante positive Effekt der
Mehrvertragskundenquote auf die Kundenzahlen ist robust. Die Untersuchungsergebnisse von
Wieringa und Verhoef (2007) können durch das vorliegende Modell bestätigt werden.
Auf die Bindung der Kunden hat die Vertragsanzahl insofern einen Einfluss, dass die
Bestandskundenzahlen mit der Vertragsanzahl zunehmen. Die wechselaktiveren Kunden aus
dem Weiterwechslermodell scheinen diesem Faktor dagegen bei Ihrer Wechselentscheidung
weniger Gewicht beizumessen. Besonders wechselaffine Verbraucher machen ihre
Wechselentscheidung also eher weniger von der Anzahl bestehender Vertragsverhältnisse bei
ihrem Anbieter abhängig.
Der Beta-Koeffizient von 0.065 für das Bestandskundenmodell belegt aber die Bedeutung von
Doppelverträgen beim Aufbau einer treuen Kundenbasis.
Verbrauch Die Höhe der jährlich abgenommenen Strommenge ist für die Zahl der
Bestandskunden nicht maßgeblich.
Die Auffassung, dass ein höherer Verbrauch sich positiv auf das Wechselverhalten aller
Kunden auswirkt, ist deshalb für dieses Modell nicht zutreffend. Ein signifikant negativer,
robuster Effekt kann dagegen bei den Weiterwechslern beobachtet werden. So sinkt die Zahl
der Weiterwechsler bei einem Anstieg des Verbrauchs ab. Der standardisierte Koeffizient
liegt bei -0.044.
Es hat den Anschein, als würde die Verbrauchshöhe lediglich von Weiterwechslern als
mögliches Kriterium für einen Lieferantenwechsel herangezogen. Eine größere
Verbrauchsmenge wirkt dabei dem Ausspruch der Kündigung durch wechselaffine Kunden
entgegen und wäre in diesem Sinne der Kundenbindung zuträglich.
Ersparnis Das Einsparpotential der Verbraucher ist neben der Kontrollvariablen zur
Anzahl der Haushalte die wichtigste Determinante für die Entscheidung über einen Wechsel
des Stromlieferanten.
Der Effekt ist in allen Modellen hoch signifikant und robust. Die Beta-Koeffizienten von
0.472 und 0.386 zeigen, dass Bestandskunden wie Weiterwechsler ihre Entscheidung zum
42
Großteil vom vorherrschenden Preisverhältnis abhängig machen. Auf den ersten Blick
überrascht der positive Effekt bei den Weiterwechslern. So entscheiden sich bei einer
Erhöhung der Ersparnis mehr Kunden für eine Kündigung. Da aber davon auszugehen ist,
dass bei hohem Ersparnispotential des betrachteten Anbieters, das Ersparnispotential bei
einem Teil der anderen Anbieter noch höher ausfällt, besteht bei besonders preissensiblen
Kunden eine erhöhte Wechselabsicht, welche sich in den steigenden Zahlen der
Weiterwechsler ausdrückt. In einem vollständigen Modell zum Wechselverhalten von
Haushaltsstromkunden sollten entsprechend auch die Preise der Konkurrenz im Auge
behalten werden. Erst dann ist eine weiterführende Differenzierung des Preisverhaltens von
treuen Kunden und Weiterwechslern möglich.
Nach Betrachtung des Bestandskundenmodells steht aber eindeutig fest, dass die bei einem
Wechsel erzielbare Ersparnis einen Großteil des allgemeinen Wechselverhaltens erklärt.
Preis des Grundversorgers Grundsätzlich könnte man annehmen, dass ein höherer Preis der
Grundversorgungsunternehmen, die Verbraucher für einen Wechsel sensibilisiert. Jedoch
wird diese Annahme durch das Modell nicht bestätigt.
Die viel zitierte lokale Dominanz der Grundversorger liefert eine mögliche Erklärung dafür,
dass ausgerechnet Grundversorgungsunternehmen höhere Preise ohne Kundenverluste
durchsetzen können. Die Identifizierung der Verbraucher mit ihrem lokalen Versorger ist in
einigen Regionen möglicherweise höher als in anderen. So finanzieren zahlreiche Stadtwerke
den Bau von Fußballstadien und weiteren Einrichtungen des öffentlichen Lebens. Die
öffentliche Wahrnehmung der lokalen Versorgungsunternehmen verstärkt sich häufig
zusätzlich durch ihre gleichzeitige Tätigkeit in der Gas- und Wasserversorgung, dem
öffentlichen Personennahverkehr, der Abfallwirtschaft und weiteren Institutionen, die dem
Verbraucher alltäglich mit den lebensnotwendigen Dienstleistungen zur Seite stehen. Das
Vertrauen in diese Anbieter ist besonders hoch. Mit einem Wechsel setzt der Konsument
scheinbar die sichere Grundversorgung aufs Spiel.
Die Auswirkung des Grundversorgerpreises auf das Wechselverhalten der Stromkunden
unseres Anbieters ist durchweg hoch signifikant. Die Werte der standardisierten Koeffizienten
liegen bei -0.189 bzw. -0.093. Steigen also die Preise eines Grundversorgers, erreicht der
betrachtete Anbieter, weniger (Ex-)Kunden.
Es sollte ausdrücklich erwähnt werden, dass ein steigender Grundversorgerpreis nicht
zwangsläufig auch eine höhere Ersparnis impliziert, wenngleich diese am Preis des
Grundversorgers bemessen wird. Ein hoher Preis allein sagt aber noch nichts über seine
43
Zusammensetzung aus. Die naheliegende Vermutung, dass bei steigenden Preisen auch der
Preissetzungsspielraum für die Angreifer wächst, ist nicht zwangsläufig zutreffend. Hohe
Preise stellen also nicht immer ein Indiz für Ausbeutung dar. Sie können auch das Ergebnis
von Innovationen in Form von neuen Produktionstechniken, hohen Investitionstätigkeiten
oder Risikoausgleich sein.
In den beobachteten Gebieten jedenfalls nimmt die Zahl der Kunden ebenso wie die der
Weiterwechsler mit steigenden Grundversorgerpreisen spürbar ab. Das Wechselverhalten ist
in Gebieten mit hochpreisigen Grundversorgungstarifen also eher träge. Die lokale Dominanz
der Grundversorger wird von Kloubert (2001) besonders prägnant beschrieben: So ist die
Reputation eines etablierten Grundversorgungsunternehmens hinsichtlich der
Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit durch die lange Erfahrung der Konsumenten, die
Versorgungspflicht sowie die niedrigen Ausfallzeiten in Deutschland deutlich höher als die
eines Marktneulings. Konsumenten sind bereit einen Preisaufschlag hinzunehmen, um ihre
bisher zufriedenstellende Kundenbeziehung beizubehalten. Sie scheuen die möglichen
Risiken eines Anbieterwechsels.
Versorgeranzahl Die Anzahl der Anbieter hat, entgegen den Ausführungen der
Bundesnetzagentur (2009), für die vorliegende Untersuchung einen robusten und
signifikanten Effekt auf das Wechselverhalten. In den beobachteten PLZ-Gebieten sind
durchschnittlich etwa 61 Lieferanten aktiv.8
Das Argument der Bundesnetzagentur, es gebe keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl
der Versorger und dem Wechselverhalten, weil die Anbieterwechsel meist nur in Richtung
einiger weniger Anbieter stattfänden, muss gemäß der vorliegenden Untersuchung relativiert
werden. Denn obwohl das betrachtete Unternehmen der Gruppe von “Gewinnerunternehmen“
zugerechnet werden kann, hat es in Gebieten mit hohen Anbieterzahlen Kundenverluste
hinzunehmen.9 Die Betakoeffizienten der entsprechenden Variablen liegen bei -0.041 bzw.
-0.056.
Für einen funktionierenden Wettbewerb mag eine hohe Anzahl auftretender Akteure durchaus
vorteilhaft erscheinen. Für das betrachtete Unternehmen hingegen führt eine hohe Zahl an
Konkurrenten zu weniger Bestandskunden und Weiterwechslern. Einen möglichen
Erklärungsansatz für diese Beobachtung liefern grundlegende Wettbewerbsmechanismen.
8
Dieser Wert ist nicht um Tochterunternehmen bereinigt und weicht deshalb von den Zahlen der BNetzA (S. 20)
ab.
9
Die Gewinnerunternehmen zeichnen sich durch ihre bundesweiten Vertriebsaktivitäten und einen
Kundenstamm von über 200.000 Haushalten aus. Meist handelt es sich um Tochterunternehmen der großen
Anbieter. (Vgl. S x)
44
Treten mehr Anbieter in den Markt ein, so verteilen sich die wechselwilligen Konsumenten
auf die verschiedenen Lieferanten. Jeder Anbieter erreicht einen kleineren Marktanteil. Es
herrscht mehr Wettbewerb um die Kunden. Aus diesem Grund führt eine Erhöhung der
Anbieterzahlen zum Absinken der Bestandskunden- und Weiterwechslerzahlen des
Unternehmens.
Sollte sich also, wie von der Bundesnetzagentur festgestellt, tatsächlich kein Zusammenhang
zwischen den Anbieterzahlen und dem generellen Wechselverhalten von Verbrauchern
herstellen lassen, so wäre dies möglicherweise nicht damit zu begründen, dass es unter den
Lieferanten nur einige wenige Profiteure gibt, sondern damit, dass das allgemeine
Wechselverhalten sich nicht allein durch eine noch höhere Anbieterzahl motivieren lässt.
Tatsächlich gibt die durchschnittliche Versorgeranzahl pro PLZ keinen Anlass zu der Sorge,
dass es im Stromsektor nicht genügend Wettbewerber gibt. Dies trifft zumindest auf die
lokalen Strommärkte zu. Bundesweit agierende Wettbewerber gibt es hingegen nach wie vor
nur wenige.
Vertriebsgebiete Die Regressionen zeigen für diese Variable ein überraschendes und
hoch signifikantes Ergebnis. So ergibt sich für das Bestandskundenmodell ein standardisierter
Koeffizient von -0.109 und für das Weiterwechslermodell von -0.293.
Damit wird deutlich, dass in denjenigen Gebieten, in denen Vertriebsaktivitäten des
Unternehmens gestattet sind, weniger (Ex-)Kunden gewonnen werden konnten als in den
vertriebsgesperrten Gebieten. Sowohl die Richtung als auch die Stärke dieses Effektes zeigen,
dass die wirklich attraktiven Gebiete für den aktiven Vertrieb nicht zugänglich sind.
Ein Grund für derartige strategische Vorgaben ist möglicherweise eine Befürchtung des
Mutterunternehmens, in den gesperrten PLZ-Gebieten den Wettbewerb weiter anzuheizen und
große, ertragreiche Kundesegmente zu verlieren. Für den Wettbewerb und das
Wechselverhalten von Verbrauchern sind solche Maßnahmen nicht förderlich. Für den
Konzern hingegen dürften die Vorgaben von großem Wert sein. Auf der Verliererseite
befindet sich damit aber auch das betrachtete Tochterunternehmen, welches durch die
Einschränkungen der konzerneigenen Vertriebsinteressen erhebliches Potenzial bei der
Erschließung neuer Kundengruppen liegen lässt.
Die beiden im Folgenden untersuchten Variablen wurden jeweils durch mehrere dichotome
Variablen operationalisiert. Ein Vergleich der Effektstärken mit den anderen Variablen des
Modells ist deshalb nur über die Betrachtung von R² möglich. Die Effektstärken der einzelnen
45
Ausprägungen sind aber direkt miteinander vergleichbar. Zu diesem Zweck wurde jeweils
eine Ausprägung aus dem Modell entfernt. Die angezeigten Effektstärken können dann an der
ausgeschlossenen Ausprägung bemessen werden.
Integrationsgrad zwischen Grundversorger und Netzbetreiber Bei der Betrachtung
des Vermachtungsgrades zwischen den Unternehmen der verschiedenen
Wertschöpfungsstufen handelt es sich um eine kategoriale Bewertungsebene innerhalb des
Modells. Als Maßstab wurde die Ausprägung nicht integriert aus dem Modell ausgeschlossen.
Es zeigt sich, dass sowohl die Effekte partieller Integration als auch vollständiger Integration
hoch signifikant und robust über alle Modelle sind. Gemessen an den Gebieten mit
voneinander unabhängigen Grundversorgungsunternehmen und Netzbetreibern, erreicht der
Anbieter in den Gebieten mit größeren Verflechtungsgraden deutlich mehr Bestandskunden
und Weiterwechsler.
Die nicht standardisierten b-Koeffizienten können über die log-level-Interpretation von
Wooldridge (2002) für einen prozentualen Vergleich herangezogen werden (Berechnung
siehe Anhang). So lässt sich ermitteln, dass bei teilweiser Integration 20 Prozent und bei
vollständiger Integration 23 Prozent mehr Bestandskunden gewonnen werden als in Gebieten
ohne vertikale Integration zwischen Grundversorger und Netzbetreiber. Für die
Weiterwechsler ergeben sich entsprechende Werte von 17 und 9 Prozent. Festzuhalten bleibt,
dass bei einem höheren Grad der Integration mehr Kunden durch das betrachtete
Unternehmen gewonnen werden.10
Bemerkenswert ist allein die Tatsache, dass es einen signifikanten Effekt dieser Variablen
gibt. Denn dies deutet darauf hin, dass unterschiedliche Integrationsgrade zu
unterschiedlichem Wechselverhalten von Stromverbrauchern führen. Erstaunlich ist ebenfalls,
dass ein höherer Integrationsgrad zu mehr und nicht, wie angenommen, zu weniger Wechseln
beim betrachteten Anbieter führt. Wie das unterschiedliche Wechselverhalten der
Verbraucher hinsichtlich der Vermachtungsstrukturen zu bewerten ist, lässt sich nicht ohne
weitere Untersuchungen auf diesem Gebiet beurteilen. Möglicherweise geht ein höherer
Integrationsgrad mit einer höheren Unzufriedenheit von Stromkunden einher, wodurch diese
erst recht zum Wechsel animiert werden. Es ist jedenfalls unwahrscheinlich, dass ein höherer
Integrationsgrad von sich aus zu einer direkten Belebung des Wechselverhaltens führt.
10
Dieser Effekt bleibt auch dann erhalten, wenn PLZ-Gebiete, in denen überwiegend die Mutter des
Unternehmens sowohl am Grundversorger als auch am Netzbetreiber beteiligt ist, aus der Liste der
Beobachtungen entfernt werden.
46
Marktmacht Wenn die Verlagerung von Marktmacht tatsächlich möglich ist, muss sich dies
auch in den Kundenzahlen des betrachteten Unternehmens niederschlagen. Je nach
Eigentumsverhältnissen des Netzbetreibers könnte dann das Unternehmen unterschiedliche
Erfolge verbuchen.
Dieser Gedankengang wird durch die Regressionsmodelle bestätigt. Dabei werden die
Kundenerfolge immer im Vergleich zum größten Anbieter auf dem deutschen Strommarkt
gemessen. Deshalb wurde die Ausprägung E.ON gemäß dem Vorgehen bei kategorialen
Variablen aus dem Modell entfernt. Es zeigt sich, dass, abgesehen von wenigen Ausnahmen,
fast alle Effekte robust und hoch signifikant sind. RWE ist dabei der einzige Netzbetreiber, in
dessen Belieferungsgebieten das betrachtete Unternehmen signifikant erfolgreicher ist (+
15,3%) als in E.ON-Gebieten (Abbildung 8). Allerdings ist dieser Effekt lediglich bei den
Bestandskunden signifikant. In Netzgebieten der Kategorie Staat und Oligopol (der Staat
besitzt gemeinsam mit einem Oligopolisten die Mehrheit am Netzbetreiber), ergibt sich
dagegen kein signifikanter Effekt für Bestandskunden. Jedoch sind die Zahlen der
Weiterwechsler dort um 8,1 Prozent niedriger als in E.ON-Gebieten. Alle Gebiete, in denen
das netzbetreibende Unternehmen einem anderen Eigentümer zuzuordnen ist, schneiden sogar
noch schwächer ab. Dort gewinnt unser Anbieter im Vergleich zu E.ON-Gebieten deutlich
weniger Bestandskunden und Weiterwechsler.
Hypothese 16 wird nicht bestätigt, weil auch in den Netzgebieten nicht-staatlicher oder nicht-
oligopolistischer Versorger (Sonstige Versorger) die Zahl der (Ex-)Kunden gegenüber den
Zahlen in E.ON-Gebieten
20,0 abfällt. Abbildung 8 verdeutlicht die Effektstärken der Gebiete je
nach Netzeigentümerschaft.
10,0
0,0
-10,0
-30,0
48
3.6. Auswertung der Ergebnisse
Folgende Übersicht fasst die Untersuchungsergebnisse im Hinblick auf die Verifizierung der
aufgestellten Hypothesen zusammen:
Als wichtigste Treiber des Kundenwechselverhaltens konnten die Haushaltszahlen eines PLZ-
Gebietes sowie die potenzielle Ersparnis identifiziert werden. Weitere, sehr einflussreiche
Determinanten wurden durch die Wahl der Vertriebskanäle und die Höhe des
Grundversorgerpreises enttarnt. Wechseltreibende Kräfte werden dabei durch Offline-
Vertriebsaktivitäten entfaltet. Ein hoher Grundversorgerpreis wirkt hingegen als
Wechselbarriere für die Verbraucher.
Nicht minder jedoch fallen die kategorialen Variablen ins Gewicht. Es hat sich gezeigt, dass
das Machtgefüge in einem Gebiet hoch signifikante Effekte auf die Kundenzahlen des
betrachteten Anbieters und damit auf das Wechselverhalten der Verbraucher freisetzt. Eine
hohe vertikale Integration zwischen Grundversorger und Netzbetreiber entpuppte sich für die
Neukundeakquisition des untersuchten Anbieters als überraschend förderlich. Außerdem
erwies sich die Netzinhaberschaft durch die Duopolisten RWE und E.ON als vorteilhaft für
den Anbieter.
Die ursprünglich zur Kontrolle dienende Variable der Vertriebsauflagen überraschte ebenso
durch ihre hohe Signifikanz wie durch die Richtung ihres Effektes. Nennenswerte
Auswirkungen auf das Wechselverhalten der (Ex-)Kunden unseres Anbieters bestätigten sich
außerdem für das Alter, die Dauer des Wechselprozesses, die Anzahl der Verträge, und die
Versorgeranzahl. Statistisch signifikant, aber vergleichsweise gering sind die Effekte, die von
den Variablen Metropolregion, Umzugskunden und Verbrauchsmenge ausgehen.
Tendenziell erwiesen sich dabei die Richtungen der Effekte in Bezug auf die beiden
abhängigen Variabeln Bestandskunden und Weiterwechsler als gleichgerichtet. Ein
nennenswerter Ergebnisunterschied findet sich jedoch bei der Variable Anzahl der Verträge.
Der Abschluss von Doppelverträgen führt zwar zu einem spürbaren Zuwachs bei den
Bestandskundenzahlen, wirkt sich jedoch nicht signifikant auf das Verhalten der
Weiterwechsler aus.
49
Die aufgezeigten Untersuchungsergebnisse offenbaren neue Erkenntnisse über das
Wechselverhalten von Haushaltsstromkunden in Deutschland. An mehreren Stellschrauben
können EltVU ansetzen, um ihre Position im Wettbewerb um Kunden zu stärken. Bei einigen
Wechselbarrieren ist aber vor allem der Staat in der Verantwortung, geeignete
Rahmenbedingungen für einen funktionsfähigen Wettbewerb auf dem Endkundenmarkt für
Strom zu schaffen. Handlungsspielräume für Anbieter und Handlungsbedarf auf Seiten des
Gesetzgebers bestehen in verschiedener Hinsicht:11
Für den betrachteten Anbieter empfehlen sich Vertriebsgebiete mit hoher Besiedlungsdichte.
Aufgrund größerer Herausforderungen bei der Akquisition neuer Kunden in
Metropolregionen, sollten aber insbesondere kleine bis mittelgroße Städte mit
verhältnismäßig wenigen Konkurrenten in den zukünftigen Zielbereich des Anbieters rücken.
Für den erfolgreichen Vertrieb von Strom gibt es dabei kaum ein wirksameres Mittel als eine
hohe Ersparnis beim Anbieterwechsel. Ab einem gewissen Ersparnisniveau dürften sich selbst
einige bisher wechselresistente Haushalte zum Wechsel ihres Versorgers durchringen.
Interessant wäre vor allem eine Strategieausarbeitung für den Vertrieb an “träge“ Verbraucher
in Gebieten mit hohem Grundversorger-Preis. Soweit es möglich ist, den Verbrauchern dort
attraktive Preise anzubieten, erscheint das verbliebene Potenzial für den Gewinn von
Neukunden relativ hoch. Ohne entsprechenden Spielraum bei der Preissetzung sollte hingegen
der Vertrieb in diesen Gebieten nicht forciert werden. Denn wenn die träge Masse überhaupt
zu einem Wechsel bewegt werden kann, dann vermutlich nur durch das gewichtige
Preisargument.
Als Alterszielgruppe für den betrachteten Anbieter konnten die 35 – 55 Jährigen identifiziert
werden. Zukünftige Marketingaktivitäten können sich direkt an dieser Altersgruppe
orientieren. Vorausschauend sollten Anbieter agieren, indem sie zusätzlich die jüngeren,
zukünftigen Stromkunden für die eigene Marke sensibilisieren.
Die Onlinepräsenz des betrachteten Anbieters hat zweifelsfrei einen erheblichen Anteil an den
Vertriebserfolgen und vor allem an der Kundenbindung. Es sollte jedoch nicht außer Acht
gelassen werden, dass die gezielte Aktivierung zusätzlicher Vertriebskanäle (Direktvertrieb
und CallCenter) ebenfalls einen spürbaren Beitrag zum Gewinn von Neukunden leistet. Ein
Nebeneinander der verschiedenen Kanäle erscheint deshalb unverzichtbar. Dabei sollte den
Verbrauchern vor allen Dingen der Vorteil des Services, verschiedene Dienstleistungen aus
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Die Handlungsoptionen für EltVU werden dabei explizit für den untersuchten Lieferanten formuliert. Eine
große Zahl vergleichbarer Anbieter kann sich jedoch ebenfalls an den Untersuchungsergebnissen orientieren.
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einer Hand zu erhalten, vor Augen geführt werden. Der gemeinsame Vertrieb von Strom und
Gas erscheint vor diesem Hintergrund zweckmäßig.
Bei der Wahl seiner Vertriebsgebiete, lohnt es sich für ein EltVU, einen Blick auf die Dauer
des Lieferantenwechselprozesses zu werfen. Es gibt immer noch Regionen, in denen
erhebliche Mängel bei der Durchführung eines Wechsels bestehen. So dauert der
Wechselprozess in einigen Regionen immer noch länger als ein halbes Jahr. Angreifende
Unternehmen sollten im Eigeninteresse ihre internen Prozesse im Hinblick auf den
Wechselvollzug optimieren, um zur Beseitigung von Wechselbarrieren beizutragen.
Vorwiegend sollten jedoch die Wettbewerbsaufsicht und die Regulierungsbehörde diese
Problematik weiter verfolgen und ggf. entsprechende Maßnahmen bei den lokalen
Dominanzunternehmen und den Netzbetreibern anordnen, damit ein reibungsloser und
gleichberechtigter Austausch notwendiger Daten zwischen allen Marktakteuren gewährleistet
ist.
Ausschließlich für den untersuchten Anbieter gilt die Tatsache, dass einige PLZ-Gebiete
aufgrund von Vorgaben des Mutterunternehmens für aktive Vertriebstätigkeiten nicht
zugänglich sind. Trotzdem war der betrachtete Lieferant in den gesperrten Gebieten bislang
deutlich erfolgreicher als in den freigegebenen. Es ist davon auszugehen, dass die
Souveränität des betrachteten EltVU durch derartige Maßnahmen erheblich eingeschränkt
wird. Hier liegt es im Ermessen der Geschäftsleitung, inwiefern eine solche Strategie für die
Konzernpolitik tatsächlich von Vorteil ist.
Als Vertriebsgebiete bewährten sich beim untersuchten EltVU bislang vor allem die E.ON-
und RWE-Verteilnetzgebiete. Trotzdem bleibt es für ein deutschlandweit tätiges
Unternehmen natürlich wichtig, sich auch in den Hoheitsgebieten der anderen Wettbewerber
erfolgreich am Markt zu schlagen. Jedoch scheinen noch Hindernisse zu bestehen, die einen
vom lokalen Netzbetreiber unabhängigen Erfolg erschweren. Das Ergebnis unterstreicht die
Ansicht der Regulierungsbehörde, dass bisher kein bundesweiter Wettbewerb auf dem Markt
für Haushaltsstromkunden stattfindet.
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4. Allgemeine Schlussfolgerungen
Der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung lag auf der Identifizierung und Analyse von
Determinanten des Wechselverhaltens der Haushaltsstromkunden eines Anbieters auf dem
Massenmarkt für Strom. In zukünftigen wissenschaftlichen Arbeiten sollte zusätzlich eine
Messung des Wechselverhaltens von typischen Ökostromkunden vorgenommen werden, da
davon auszugehen ist, dass die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien im Zuge der
aktuellen Klimapolitik weiter an Bedeutung gewinnt (Twelemann, 2006). Auf Erzeugerseite
werden die Kapazitäten zunehmend durch regenerative Energiequellen substituiert. Die
Stromverbraucher der kommenden Generation entwickeln ein neues Bewusstsein zur
Herkunft ihrer Energie, welches auch auf der Nachfrageseite für eine breite Abnehmerschaft
der erneuerbaren Quellen sorgen wird. Eine Untersuchung des Wechselverhaltens könnte
auch für den Gasmarkt in Deutschland von großem Nutzen sein (Mund, 2010). Hier könnte
man von den Erfahrungen des vergleichsweise weiter entwickelten Wettbewerbs auf dem
Strommarkt profitieren. Folgeuntersuchungen zum Endkundenmarkt für Strom oder Gas in
Deutschland sollten dabei nach Möglichkeit auch die hier nicht gemessenen Größen (z. B.
Involvement, Kundenzufriedenheit und Preise der Wettbewerber) zur Erklärung des
Wechselverhaltens heranziehen.
Des Weiteren bieten sich auch alternative Untersuchungsansätze auf Basis des rechtlichen
Ordnungsrahmens an. So verfolgt der Gesetzgeber mit der vorgeschriebenen Anschlusspflicht
von Haushalten an das Stromnetz das Ziel, die Versorgungssicherheit der Verbraucher zu
erhöhen. Jedoch ist die mögliche Ambivalenz dieser Vorschrift bisher nahezu unentdeckt
geblieben. Schließlich weist das Verhältnis eines Stromverbrauchers mit seinem
angestammten Versorger Parallelen zu einer elterlichen Beziehung auf (Bakay, 2003).
Deshalb ist es gut möglich, dass die Anschlusspflicht zu einer gewissen Unmündigkeit der
Verbraucher bei der Wahl ihres Stromversorgers beiträgt. Wird man etwa beim Bezug einer
neuen Wohnung grundsätzlich mit dem Problem der Wahl seines
Telekommunikationsanbieters konfrontiert, so entfällt diese Grundsatzentscheidung
hinsichtlich der Wahl des Stromversorgers, da der betreffende Haushalt automatisch durch
den jeweiligen Grundversorger mit Elektrizität beliefert wird. Man nimmt dem Konsumenten
damit eine freie Entscheidung zu Gunsten einer garantierten Energieversorgung aus der Hand.
Eine mögliche Konsequenz ist, dass zahlreiche Verbraucher sich mit dem Status Quo
zufrieden geben und einen möglichen Anbieterwechsel erst gar nicht in Erwägung ziehen. Der
Grundversorger tritt in der Regel auch nur einmal jährlich in Kontakt zu seinen Kunden,
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weshalb diese in der Folgezeit nur selten mit ihrer Stromversorgungsbeziehung konfrontiert
werden. Eine Verpflichtung zur regelmäßigen Rechnungstellung könnte hier Abhilfe schaffen,
um auf der einen Seite die Transparenz der Kunden zu erhöhen und auf der anderen Seite das
Bewusstsein für die bestehende Vertragsbeziehung zu wecken.
Es konnte nachgewiesen werden, dass insbesondere der Strompreis sowie die
vorherrschenden Machtstrukturen der regionalen Strommärkte das Wechselverhalten von
Haushaltsstromkunden stark beeinflussen.
Für neue Anbieter lassen sich aufgrund der allgemeinen Verunsicherung auf Seiten der
Verbraucher folgende Konsequenzen ableiten: Entweder müssen die Preisnachlässe neuer
Anbieter noch größer sein, oder aber die Newcomer erreichen ein ähnliches Vertrauensniveau
wie die etablierten Versorger, denen zugleich die Vertrauensbasis streitig gemacht werden
muss (Kloubert, 2001). Dies bedeutet, dass die Senkung der Risikowahrnehmung eines
Konsumenten hinsichtlich eines geplanten Wechsels im Mittelpunkt der Bemühungen der
neuen Anbieter stehen sollte. Auch vergleichende Werbung, die etwa die
Versorgungssicherheit oder die Herkunft der Energie der Konkurrenz in Frage stellt, oder aber
der Einsatz von glaubwürdigen Testimonials, die über ihre positiven Wechselerfahrungen
berichten, haben einen hohen Stellenwert. Die Information über die bestehenden
Wechselmöglichkeiten und die Einfachheit des Wechselprozesses müssen durch die neuen
Anbieter oder durch eine Gemeinschaft von Anbietern vorangetrieben werden. Jedoch sollten
nicht nur Stromversorger, sondern auch staatliche Instanzen wie etwa die
Regulierungsbehörde ein gesteigertes Interesse an der Aufklärungsarbeit hinsichtlich des
Energiekonsums deutscher Haushalte haben, um einen entscheidenden Beitrag zur Belebung
des Wettbewerbs zu leisten. Auf der Vertriebsseite wären Kooperationen mit Herstellern oder
Händlern von Elektrizitätsgeräten denkbar. So könnte zum Beispiel beim Verkauf neuer
Geräte eines bestimmten Anbieters das Produkt Strom durch aktives Cross-Selling mit
anderen Produkten gebündelt werden (Schäfer, 2002). Den kooperierenden Unternehmen
könnte im Gegenzug eine preiswerte Belieferung mit Strom und Gas angeboten werden. Das
Produkt Strom könnte damit näher an die Erlebniswelt der Verbraucher herangetragen
werden, wodurch sich auch das allgemeine Involvement erhöhen würde.
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5. Ausblick
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Außerdem bleibt abzuwarten, inwiefern Haushalte ihre Gewohnheiten und ihr
Wechselverhalten überhaupt an der neuen Transparenz ihres Stromkonsums ausrichten
werden.
Nur im Zusammenspiel aller Marktteilnehmer kann der Wettbewerb weiter vorangetrieben
werden. Der Gesetzgeber muss die Entwicklung des Liberalisierungsprozesses und die
Wirkung der Regulierungsinstrumente auf dem Endkundenmarkt weiter beobachten. Sollte
sich auch in den kommenden Jahren kein nationaler Markt für Strom herausbilden, wirkt dies
nicht zuletzt dem europäischen Ziel eines gemeinschaftlichen Binnenmarktes für Strom
entgegen. Im Falle einer Stagnation des Wechselverhaltens und der Wettbewerbsentwicklung
sind weitere regulatorische Maßnahmen (wie z. B. das Ownership-Unbundling) zu
diskutieren. Rasbach (2009) ist der Meinung, dass den etablierten Anbietern aber vorerst die
Chance gegeben werden muss, ihre Strukturen an die neuen Rahmenbedingungen des
Wettbewerbs anzupassen. So hat beispielsweise der E.ON-Konzern jüngst verkündet, seinen
Fokus künftig noch stärker in den Erzeugungsbereich zu verlagern und den Vertrieb von
Strom an die Endabnehmer zurückzufahren. Obwohl die Motivation für diese Entscheidung
vor allem auf den attraktiven Margen im Erzeugungsbereich beruhen dürfte, wird dadurch
mittelfristig das Feld für die angreifenden EltVU geräumt. Die oligopolistischen EltVU
versuchen aber teilweise immer noch ihre national starke Marktstellung abzusichern. Dazu
nutzen sie insbesondere ihre Marktdominanz bei der Energieerzeugung. Trotz der
Unbundling-Bestimmungen scheinen sie in der Praxis weiterhin über Möglichkeiten zur
Marktmachtverlagerung zu verfügen.
Durch die Ausführungen ist deutlich geworden, dass auch staatliche EltVU von den durch die
Regulierung entflochtenen Machtverhältnissen profitieren. Durch die Konzentration von
Stadtwerken beispielsweise, wirkt sich dieser Sachverhalt negativ auf den Wettbewerb aus.
Dem im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Anbieter ist es laut Aussage der
Geschäftsführung in einigen Regionen sogar unmöglich, Werbeanzeigen in lokalen
Tageszeitungen zu veröffentlichen. Die Vermutung missbräuchlicher Verhaltensmuster von
Lokalversorgern wird dadurch in ein ganz neues Licht gerückt.
Leidtragende dieser Entwicklungen sind die wenigen unabhängigen
Versorgungsunternehmen, und potenzielle Marktneulinge, aber auch konzernzugehörige
Tochterunternehmen, welche in ihrem Handlungsspielraum beschränkt werden. Die wahren
Verlierer im Wettbewerb sind jedoch die Verbraucher, die sich am Ende überhöhten
Strompreisen gegenüber sehen. Es gibt aber ein wirksames Mittel, mit dem die Haushalte
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selbst etwas zur Verbesserung der Rahmenbedingungen auf dem Strommarkt beitragen
können: Ein Anbieterwechsel.
Damit nicht staatliche Versorgungsunternehmen in die Fußstapfen der integrierten Versorger
treten und ihre lokale Dominanzstellung ausbauen, ist die aktive Teilnahme der
Stromverbraucher am Wettbewerb gefragt. Die Letztverbraucher müssen stärker von den
bestehenden Wechselmöglichkeiten und den damit verbundenen finanziellen
Einsparpotentialen Gebrauch machen (Bundesnetzagentur, 2009). Der Gesetzgeber ist
gleichzeitig in der Verantwortung, die Bedingungen für einen Anbieterwechsel so zu
gestalten, dass negative Erfahrungen beim Wechselprozess verhindert werden und nicht zur
allgemeinen Verunsicherung von Haushaltsstromkunden beitragen. Wenn sich letztlich die
Kundenzahlen der Grundversorgungsunternehmen verringern, werden auch sie sich mit dem
Gesetz von Angebot und Nachfrage auseinandersetzen müssen. Die EU-Kommission (II,
2009) bringt die Bedeutung des aktiven Wechselverhaltens von Nachfragern auf den Punkt:
„Wechsler verbessern die Situation aller Verbraucher auf dem Markt.“
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