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Heinz Reif (HG.), Adel Und Bürgertum in Deutschland Bd. II. Das 20. Jahrhundert
Heinz Reif (HG.), Adel Und Bürgertum in Deutschland Bd. II. Das 20. Jahrhundert
)
Adel und Bürgertum
in Deutschland
II
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ELITENWANDEL
IN DER
MODERNE
Band 1
Adel und Bürgertum in Deutschland I.
Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert,
herausgegeben von Heinz Reif
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Heinz Reif (Hg.)
A D E L UND
BÜRGERTUM IN
DEUTSCHLAND
II
Entwicklungslinien und
Wendepunkte im
20. Jahrhundert
Akademie Verlag
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Gedruckt mit Unterstützung der
Deutschen Forschungsgemeinschaft.
ISBN 3-05-003551-X
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Inhaltsverzeichnis
HEINZ REIF
Einleitung 7
M A R K R . STONEMAN
MARTIN KOHLRAUSCH
A X E L SCHILDT
M A R C U S FUNCK
STEPHAN MALINOWSKI
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WOLFGANG ZOLLITSCH
GUIDO MÜLLER
ECKART CONZE
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HEINZ REIF
Einleitung*
I.
* Die mit diesen Bänden I und II beginnende Buchreihe präsentiert Ergebnisse des
Forschungsprojekts „Elitenwandel in der gesellschaftlichen Modernisierung. Adel
und Bürgertum im 19. und 20. Jahrhundert", das in Durchfuhrung wie Druckle-
gung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft in großzügiger Weise gefordert
wurde. Alle Mitarbeiter dieses Forschungsprojekts sind der DFG zu Dank ver-
pflichtet. Die beiden Tagungen zur Geschichte von Adel und Bürgertum in
Deutschland, deren Beiträge in den ersten zwei Bänden dieser Reihe veröffentlicht
werden, sind durch die Unterstützung der Werner-Reimers-Stiftung ermöglicht
worden und fanden in deren Haus in Bad Homburg statt. Auch dieser bewährten
Einrichtung der Forschungsforderung gilt unser herzlicher Dank.
II.
Zur Zeit der Jahrhundertwende war die Elitenbildung aus Adel und
höherem Bürgertum zweifellos im Offizierkorps des Reiches am wei-
testen fortgeschritten, allerdings - so die noch immer vorherrschende
Forschungsmeinung - unter dem prägenden, Identität stiftenden Ein-
fluß adlig-altpreußischer, „feudaler" Orientierungen und Verhaltens-
weisen. Mark Stoneman entwickelt am Fallbeispiel des bürgerlichen
Generals Wilhelm Groener auf der Grundlage neuer analytischer Kate-
gorien und Konzepte einen Erklärungsansatz, der sich weitgehend von
dieser Sicht löst: Entscheidend für die Prägung des Offizierkorps war
der Prozeß militärischer Professionalisierung, der adlige und bürgerli-
che Offiziere gleichermaßen erfaßte und prägte. Die stark feudale Au-
ßenhaut des Offizierkorps war in seiner Sicht Teil des Prozesses beruf-
licher Modernisierung. Traditionsbildung, die sich aus adligen, alt-
preußischen und aristokratischen Bedeutungsarsenalen munitionierte,
und deren Ort die Vielzahl der „Regimentskulturen" war, erfüllte über-
aus moderne Funktionen: Die Heterogenität, die sich aus der Profes-
sionalisierungsdynamik, der schnell fortschreitenden sozialen und
funktionalen Differenzierung des Offizierkorps ergab, wurde durch
kulturelle Praxis, durch Herstellung von Gedächtnis und gemeinsamer
Identität gekontert und letztlich sogar wieder aufgehoben. Der Adel
lieferte die Kulturbedeutungen und Verhaltensmuster, die Profis des
Militärs kreierten nach innen die neue Identität, nach außen die
Selbstrepräsentation der neuen Elite.
Herkunftsbeziehungen räumt Stoneman demgegenüber nur noch
relativ geringes Gewicht ein. Sie „spielten hinein" in vielfaltige tag-
tägliche Karriereentscheidungen, aber selbst hier besaß das gemeinsa-
me adlig-bürgerliche Bemühen um Absetzung nach unten, zum Klein-
Martin Kohlrauschs Studie zur Flucht Wilhelms II. nach Holland 1918
erschließt einen ähnlichen Angleichungsprozeß auf einem ganz ande-
rem Gebiet. Wilhelm II. wurde aufgrund seines neuen, neo-
absolutistischen Herrschaftsstils zum Fixpunkt überzogener Hoffnun-
gen des Adels wie des höheren Bürgertums auf Ausgleich der schnell
wachsenden Interessengegensätze in der Gesellschaft des Reiches.
Adlig-bürgerliche Integrationserwartungen fanden ihre Bestätigung im
Führungsversprechen des wilhelminischen Stils. Daneben etablierte
sich aber, zumindest vom Kaiser unbemerkt, ein neues Kriterium mon-
archischer Legitimität: Die Forderung nach Leistungsbeweis und er-
folgreicher Leistungsprobe. Die Welle der Kaiserkritik, die schon lan-
ge vor 1914 einsetzte, wird in dieser Sicht zum Signal einer schlei-
chenden Legitimitätskrise der Monarchie, und zwar im Adel wie im
höheren Bürgertum: Die Erwartung effektiver Führung und die Erfah-
rung, daß monarchische Integrationsleistungen auf der Ebene der
Reichselite wie des Reichsvolks ausblieben, strebten zunehmend aus-
einander. Die Führungserwartung löste sich in der Folge von der Per-
son des Kaisers und nach 1918 auch erstaunlich leicht von der Institu-
tion der Monarchie.
Die schmähliche Flucht Wilhelms II. nach Holland beschleunigte,
als gescheiterte Leistungsprobe interpretiert, diesen Ablösungsprozeß.
Der extrem flüssig werdende Diskurs über Funktion und Bedeutung
der Monarchie verhüllte nur begrenzt die im Hintergrund ablaufende
Transformation der gescheiterten Kaiserkonzepte in das Modell echten,
Daß Axel Schildt in seiner Studie zur Genese und zu den Trägern des
Kapp-Putsches nur einige Indikatoren für die Handlungsrelevanz adli-
ger vs. bürgerlicher Herkunftstraditionen identifizieren kann, liegt an
der Vernachlässigung dieser Perspektive in der bisherigen Forschung,
an der episodischen Kürze und Verworrenheit des von ihm untersuch-
ten Geschehens, aber auch zu einem erheblichen Teil daran, daß Krieg
und Revolution die Schnittmenge gemeinsamer konservativer, antibür-
gerlicher und rechtsextremer Uberzeugungen des Adels und eines Teils
des Bürgertums in erheblichem Maße vergrößert hat. Die aggressiv
aufgeladene Sammlungspolitik der Vaterlandspartei, die Ablehnung
des „westlichen", angeblich von einer kraß materialistischen Bourgeoi-
sie dominierten liberalen Parteiensystems, die Furcht vor der bolsche-
wistischen Revolution, aber auch die Kritik am Versagen der alten,
adligen wie bürgerlichen Machteliten begründeten eine neue, rechte
adlig-bürgerliche Gemeinsamkeit.
Schildt betont, daß den beträchtlichen Reserven, mit denen viele
altkonservative und rechte Adlige wie Bürgerliche dem Kapp-Putsch
begegneten, weit eher strategische als inhaltliche Differenzen zugrunde
lagen. Dies lenkt den Blick auf weitere adlig-bürgerliche Überein-
stimmungen schon in dieser frühen Phase der Bekämpfung der Repu-
blik: Man präferierte die langfristige Auflösung der Republik von
rechts, mit der Zwischenstufe einer Präsidentschaft Hindenburgs, ge-
genüber einer schnellen Zerstörungsaktion, die ohnehin nur wenig
Aussichten auf Erfolg hatte. Dies war, bei aller adlig-bürgerlichen
Sympathie für die Putschisten, die realistischere Strategie, weil eine
Rückkehr zur Monarchie, wie der Beitrag von Kohlrausch zeigt, für die
Stephan Malinowski geht bei seiner Suche nach den Ursachen der
ideologischen und politischen Radikalisierung des Adels in der Wei-
marer Republik ebenfalls von der Gesamtheit des Adels aus, untersucht
die alte und die neu sich ausbildende Binnendifferenzierung dieses
Adels und erschließt damit Adelsrealitäten, die bisher noch kaum in
den Blick der Forschung geraten sind. Der Erklärungszusammenhang
Adel und Nationalsozialismus gewinnt so neue Dimensionen hinzu:
Nicht nur der relativ erfolgreiche, gutsituierte Land-, Beamten-, Mili-
tär- und Diplomatenadel, der als Teil der traditionellen Machtelite die
Erosion seiner Führungsstellung zu stoppen versuchte, driftete in den
Nationalsozialismus ab. Weitaus dynamischer als die anhaltende (rela-
tive) Erfolgserfahrung dieses Adels drängte die massive Verlusterfah-
rung im breiten Strom des deklassierten Kleinadels zur Radikalisie-
rung, welche die Weimarer Republik, aber auch den Adel und den
stark vom Adel geprägten Konservativismus dissoziierte und letztlich
zerstörte. Beharrungs- wie Verlustgeschichte des Adels mündeten,
vermittelt über relativ genau bestimmbare adlige Teilgruppen, in den
Nationalsozialismus.
Ein sanftes, nostalgisches Abdanken kam für den weitaus größten
Teil des Adels in Deutschland, zumal für den preußischen Adel, auch
nach 1918 nicht in Frage. In seiner Sicht stand seine Teilnahme auch
an der künftigen Elitenbildung nie zur Disposition. Die gutsituierten
Adligen waren gefordert, ihr weiteres Obenbleiben zu sichern. Die
extrem anwachsende Zahl der deklassierten Kleinadligen, bestenfalls
mittelständische Existenzen, hatte sich wieder emporzuarbeiten. Dazu
waren beide Gruppen auf Brückenschläge zu Teilen des Bürgertums
angewiesen; und für beide fanden sich entsprechende Optionen und
Organisationen. Malinowski untersucht anhand der beiden wichtigsten
„Laboratorien" adliger Neuorientierung in der Weimarer Republik, der
Deutschen Adelsgenossenschaft und dem Deutschen Herrenklub, zwei
Varianten adlig-bürgerlichen Zusammenrückens im Nebel neuer,
hochideologisierter Elitenkonzeptionen. Der deklassierte Kleinadel in
der Deutschen Adelsgenossenschaft stilisierte und organisierte auf
seinem vermeintlichen Weg zurück nach oben die einzige ihm noch
verbliebene Ressource der Führung, das „reine Blut". Dies setzte radi-
kalen Aktivismus frei, schreckte das höhere Bürgertum ab und zer-
Die Studie von Wolfgang Zollitsch, die in ihrem Kern der bisherigen,
eher politikgeschichtlich ausgerichteten, den relativ beharrungskräfti-
gen Adel akzentuierenden Forschung zum Zusammenhang von Adel
und Nationalsozialismus verpflichtet ist, ergänzt das von Malinowski
in den Blick genommene Geschehen um eine Reihe weiterer adliger
Handlungsfelder. Denn zweifellos erfuhren der Nationalsozialismus
und die Bewegungen, die ihm langfristig gewollt oder ungewollt zuar-
beiteten, auch im etablierten, noch immer wohlsituierten Landadel
erhebliche Zustimmung, zumindest aber wohlwollende Duldung. Zol-
litschs Leitfrage, warum die aus dem 19. Jahrhundert stammende For-
mation der „alten Machteliten" am Ende der Weimarer Republik zu
keinem Konsens mehr fand, der ihren Interessen entsprach, lenkt den
Blick ebenfalls auf Schwächen des Adels und auf ein doppeltes Defizit
III.
*** Vgl. Heinz REIF, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, S. 58-118.
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MARK Κ. STONEMAN
Vor dem Weltkrieg bildete das ٧ber 30.000 Offiziere umfassende akti
ve ArmeeOffizierkorps eine gesellschaftliche Elite im wilhelmini
schen Deutschland. 1 Mit wenigen Ausnahmen ist der heutige wissen
schaftliche Diskurs von zwei, sich widersprechenden Interpretationen
geprδgt, die j e w e i l s nur einen Aspekt des Offizierkorps beleuchten.
Einerseits wird die soziale Herkunft der Offiziere, andererseits der
Offiziersberuf an sich als wesentlicher Kern der Militδrelite bewertet.
Historiker betrachten oft das Offizierkorps, das sie als „adlig", „ari
stokratisch" bzw. „feudal" charakterisieren, als eine der Hauptursa
chen f٧r die ungl٧ckliche innenpolitische Entwicklung des Kaiser
reichs sowie f٧r den Ausbruch und den Verlauf des Ersten
Weltkrieges. D i e zahlreichen b٧rgerlichen Offiziere seien von den
adligen assimiliert bzw. „feudalisiert" worden, woraus nicht nur reak
Außer den betreffenden Titeln in der Bibliographie von FÖRSTER, Armed Forces
(wie Anm. 1) vgl. ζ. B. Martin KITCHEN, The German Officer Corps, 1890-1914,
Oxford 1968; Hans Hubert HOFMANN (Hg.), Das deutsche Offizierkorps 1860-
1960, Boppard a. R. 1980; Daniel J. HUGHES, The King's Finest. A Social and
Bureaucratic Profile of Prussia's General Officers, 1871-1914, New York 1987.
Für einen anderen Ansatz siehe Stig FÖRSTER, Der doppelte Militarismus. Die
deutsche Heeresrüstungspolitik zwischen Status-Quo-Sicherung und Aggression
1890-1914, Stuttgart 1985, in dem er zwar auch von einem Primat der sozialen
Herkunft ausgeht, aber die Interpretation eines „feudalen" Offizierkorps wesent-
lich auflockert, indem er in ihm zwei verschiedene militärpolitische Positionen
identifiziert, die er auf die unterschiedlichen sozialen Herkünfte der betroffenen
Offiziere zurückfuhren möchte. Eine Interpretation, die anstatt der adlig-
bürgerlichen Dichotomie die gesellschaftlich integrative Wirkung der Armee be-
tont: Dennis E. SHOW ALTER, Army, State and Society in Germany, 1870-1914: An
Interpretation, in: Jack R. DUKES and Joachim REMAK (Hg.), Another Germany: A
Reconsideration of the Imperial Era, Boulder 1988, S. 1-18, zum Offizierkorps:
S. 7 f.
Der amerikanischen Soziologie und dem Alltagssprachgebrauch folgend, werden
das Wort,,profession" und seine Ableitungen in diesem Aufsatz folgendermaßen
benutzt: „1. an occupation, especially one that involves knowledge and training in
a branch of advanced learning, the dental profession. 2. the people engaged in an
occupation of this kind", aus: Oxford American Dictionary, hrsg. v. Eugene EHR-
LICH u. a., New York 1980, S. 714. Andere Professionelle wären ζ. Β. Ärzte,
Rechtsanwälte, Ingenieure und Universitätsprofessoren. Historisch gesehen hatte
„Profession" eine andere Bedeutung in Deutschland: „im allgemeinen jeder Beruf,
zu dem man ,sich bekennt', [...] vorzugsweise aber ein Gewerbe oder Handwerk,
daher Professionist, soviel wie Handwerker", aus: Meyers Großes Konversations-
Lexikon. Ein Nachschlagwerk des allgemeinen Wissens, 6. Aufl., Bd. 16, Leipzig
1907, S. 367. Siehe auch Konrad H. JARAUSCH, The Unfree Professions. German
Lawyers, Teachers, and Engineers, 1900-1950, New York 1990, S. 4-8.
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B ٧ r g e r l i c h e und a d l i g e Krieger 2 7
Zuerst einige bekannte Zahlen, welche die Folgen der vielen Heeres-
vermehrungen in der wilhelminischen Ära für das A r m e e -
Offizierkorps verdeutlichen: 1860 waren 35% der Offiziere im preußi-
schen Offizierkorps bürgerlich. Bis 1913 stieg diese Zahl auf 70%. In
den höheren Rängen ist eine ähnliche, aber für den Adel etwas günsti-
gere Tendenz festzustellen. 1860 waren 86% der Oberste und Generä-
le adlig, 1900 61% und 1913 52%. Im elitären Großen Generalstab
waren 1906 60% der Offiziere adlig, 1913 noch 50%. Eine noch stär-
kere Tendenz zur „Verbürgerlichung" zeichnete sich außerhalb des
preußischen Kontingents ab. Bürgerlich waren z. B. 1910 81,5% der
Offiziere im württembergischen Kontingent und 1898 bzw. 1908
80,6% bzw. 85,2% der Offiziere im sächsischen Kontingent. Im baye-
rischen Kontingent sank der Adelsanteil von 30% im Jahre 1866 auf
15% im Jahre 1914, als nur noch 9% der Anwärter adlig waren. Wie
kontinuierlich der Abstieg des Adels im Offizierkorps aber auch war,
sein Beharrungsvermögen ist unverkennbar, zumal die absolute Zahl
der adligen Offiziere in Preußen von 3 250 im Jahre 1860 auf 6 630 im
Jahre 1913 stieg. Eine ähnliche Tendenz zeichnete sich im sächsischen
Kontingent ab, in dem die absolute Zahl adliger Offiziere 1888 450,
1898 600 und 1908 571 betrug. 7
Die bürgerlichen Offiziere wurden sorgfältig ausgewählt, um das
exklusive, „aristokratische" Erscheinungsbild und die zuverlässige
Monarchentreue des Offizierkorps möglichst nicht zu beeinträchtigen,
Die Bedeutung der Ranglisten und des Militär-Wochenblattes f٧r den Offiziers
beruf behandele ich unten, aber man kann ihren Stellenwert bereits in folgender
Anekdote erblicken: Eine Offiziersfrau beschrieb eine andere so: „Scherzweise
ging ihr der Ruf voraus, militδrisch so beschlagen zu sein, daß sie die Rangliste
und das MilitδrWochenblatt stδndig vor ihrem Bette liegen hatte"; Mathilde
Freifrau v. GREGORY, Dreißig Jahre preußische Soldatenfrau, Br٧nn [ca. 1933], S.
6 5 .
DEMETER, O f f i z i e r k o r p s ( w i e A n m . 1), S. 2 6 2 7 , 3 0 ; J o a c h i m FISCHER, D a s w ٧ r t
tembergische Offizierkorps 18661918, in: Hofmann (Hg.), Offizierkorps (wie
Anm. 2), S. 103; HansUlrich WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3,
M٧nchen 1995, S. 819; Hermann RUMSCHÖTTEL, Das bayerische Offizierkorps
18661914, Berlin 1973, S. 91. Offiziere, die erst wδhrend ihrer Laufbahn geadelt
wurden, zδhlt Demeter als b٧rgerlich, Fischer aber zum Adel, so daß hier die Zahl
des Adels in w٧rttembergischen Kontingent vergleichsweise größer erscheint, als
sie von der Herkunft her war.
8
Zit. n. Hans MeierWEi.CKER (Hg ), Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei
Jahrhunderten, Stuttgart 1964, S. 197.
9 DEMETER, Ofïizierkorps (wie Anm. 1), S. 1821.
10
Charles MCCLELLAND, The German Experience of Professionalization. Modern
Learned Professions and Their Organizations from the Early Nineteenth Century
to the Hitler Era, Cambridge 1991, S. 109110.
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Bürgerliche und adlige Krieger 31
11
HUGHES, K i n g ' s Finest (wie Anm. 2), S. 22.
12
FISCHER, Württembergisches Offizierkorps, in: Hofmann (wie Anm. 2), S. 104-
105.
Zu einer ähnlichen Tendenz in Bayern, wo das Offizierkorps vor 1871 kein gutes
Ansehen genoß, siehe RUMSCHÖTTEL, Bayerisches Offizierkorps (wie Anm. 7),
S. 82-94.
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32 Mark R. Stoneman
14
Max VAN DEN BERGH, Das deutsche Heer vor dem Weltkriege. Eine Darstellung
und Würdigung, Berlin 1934, S. 103-107; HUGHES, King' Finest (wie Anm. 2),
S. 56-57, 70, 74-76, 79; Jena oder Sedan? [kritische Rezension des gleichnamigen
Romans, M.S.], in: Deutsches Offizierblatt, Bd. 7, Nr. 20 (19.5.03), S. 4.
15
Rangliste der Königlich Preußischen Armee und des XIII. (Königlich Württem-
bergischen) Armeekorps für 1912 [...], Berlin 1912.
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B٧rgerliche und adlige Krieger 33
16
WEHLER, Gesellschaftsgeschichte (wie Anm. 2), S. 821.
17
Thomas NIPPERDEY, Deutsche Geschichte 18661918, 2 Bde., M٧nchen 1990/92,
Bd. 2, S. 222.
18
S. Jonathan DEWALD, The European Nobility, 14001800, Cambridge 1996;
Dominic LIEVEN, The Aristocracy in Europe, 18151914, N e w York 1992 und
neuerdings Heinz REIF, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, M٧nchen 2000.
Siehe Jonathan SPERBER, B٧rger, B٧rgertum, B٧rgerlichkeit, B٧rgerliche Gesell
schaft. Studies of the German (Upper) Middle Class and Its Sociocultural World,
in: Journal of Modern History 69 (1997), S. 271297.
Der Habitus eines jeden Offiziers war durch Erziehung, Bildung und
berufliche Sozialisation bedingt. Demzufolge beeinflußte die soziale
Herkunft sehr wohl die kulturellen Orientierungen des einzelnen bür-
gerlichen Offiziers, auch wenn sie von beruflichen - einschließlich
scheinbar „adligen", preußisch-militärischen - Vorstellungen modifi-
ziert oder ergänzt wurden. Um dieses soziologische Argument empi-
risch zu untermauern, werde ich die kulturellen Orientierungen Wil-
helm Groeners, welche die Grundzüge seines Habitus sichtbar
machen, anhand eines Bürgerlichkeit-Katalogs aus der neueren Bür-
gertumsforschung kurz erläutern. Stichpunkte dieses Katalogs sind
individuelle Leistung, Erfolg und Fleiß, die sich in der männlichen
bürgerlichen Karriere verkörperten. Bildung war dafür Voraussetzung,
aber auch wichtig als Wert an sich - unabdingbar für die Entwicklung
der Persönlichkeit wie für die soziale Anerkennung des Individuums.
Hinzu kamen rationale Lebensführung, Mißtrauen gegenüber Tradi-
tionen und unabhängiges Denken. Schließlich wurde die Kleinfamilie
in affektiven Worten hochgepriesen. Sie stellte den emotionalen Rah-
men dar, innerhalb dessen das Individuum seine Persönlichkeit ent-
wickelte, und sie bildete ein wichtiges Gegenstück zum öffentlichen,
männlichen, beruflichen Leben. 20
Fangen wir mit dem Familienideal an, wie es Groeners Feder wie-
dergab. Am 21. November 1914 schrieb er seiner Frau Helene einen
Brief, in dem er über seine dreißigjährige Dienstzeit nachdachte:
„Dankbar bin ich der Vorsehung, die mir in meinem Beruf ein gutes
Los beschieden hat, vor allem aber muß ich Dir danken, weil Du mir
eine treue, feste Stütze warst. Du darfst mir glauben, daß ich nie das
erreicht hätte in meinem Beruf, wenn Du nicht mein treuer Begleiter
auf allen Wegen gewesen wärest seit meiner Leutnantszeit." 21 In sei-
nen Lebenserinnerungen kommentierte er seiner Meinung nach zu
20
Vgl. J٧rgen KOCKA, B٧rgertum und B٧rgerlichkeit als Problem der deutschen
Geschichte vom spδten 18. zum fr٧hen 20 Jahrhundert, in: Ders. (Hg.), B٧rger
und B٧rgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 43 f.; David BLACK
BOURN, The German Bourgeoisie. An Introduction, in: Ders. und Richard EVANS
(Hg.), The German Bourgeoisie. Essays on the Social History of the German
Middle Class from the Late Eighteenth to the Early Twentieth Century, 2. Aufl.,
London 1993, S. 9; NIPPERDEY, Deutsche Geschichte (wie Anm. 17), Bd. 1, S. 43
45, 382395.
21
Zit. n. Dorothea GROENERGEYER, General Groener. Soldat und Staatsmann,
Frankfurt a. M. 1955, S. 30.
22
Wilhelm GROENER, Lebenserinnerungen. Jugend Generalstab Weltkrieg, hrsg.
v. Friedrich Frhr. Hiller von Gaertringen, Göttingen 1957, S. 34.
23
Dorothea GROENERGEYER, Kurt von Schleicher privat, unvollendetes Manu
skript, 1984, S. 1314, in: B A M A Freiburg, N46, unsortierter Teilnachlass von
Dorothea GroenerGeyer (2 Kartons).
24
GROENER, Lebenserinnerungen (wie Anm. 22), S. 32 u. 37; [ders ], Kommandie
rung wiirtt. Offiziere nach Preußen, in: Schwδbischer Merkur vom 24.8.1911,
Abendblatt, in: B A M A Freiburg, N46/78, Bl. 12.
2 5
GROENER, L e b e n s e r i n n e r u n g e n ( w i e A n m . 2 2 ) , S. 3 4 , 5 5 .
26
Ebd., S. 5961; ders., Brief an Fritz Kern, [1936], in: B A M A Freiburg, N46/63,
Bl. 195.
27
DERS., Lebenserinnerungen (wie Anm. 22), S. 56.
2 8
SPERBER, B ٧ r g e r ( w i e A n m . 1 9 ) , S. 2 8 4 .
29
E. P. THOMPSON, The Making o f the English Working Class, N e w York 1966, S.
9.
30
Pierre BOURDIEU, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, ٧bers, v. Hella
Beister, Frankfurt a. M. 1998, S. 15.
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Bürgerliche und adlige Krieger 37
besuchte das Gymnasium bis zur Primareife; der Vater des Bürgers
Ludendorff hingegen war ostelbischer Gutsbesitzer bzw. -pächter und
Ludendorff wuchs in einer Kadettenanstalt heran. 31 Genauso unter-
schieden sich viele Adlige untereinander. Wie ähnlich waren wohl die
familiären Erfahrungen und der Habitus eines Hauptmanns von
Schmid und eines Hauptmanns von Bismarck? 3 2 Zu den erfahrungsbe-
dingenden Unterschieden der Region, des Bildungswegs und gegebe-
nenfalls des Zeitpunkts der Erhebung der Familie in den Adelsstand
kamen auch Unterschiede zwischen den Konfessionen und Generatio-
nen - eine Vielfalt von Faktoren, die im Rahmen dieses Aufsatzes nur
wenig, wenn überhaupt berücksichtigt werden können.
36
Ebd., S. 47, 7576, 106.
37
Siehe ζ. B. Major v. BUSSE, Was und wie soll der junge Offizier lesen, in: Deut
sches Offizierblatt, Bd. 7, Nr. 50 (8.12.03), S. 2; Jena (wie Anm. 14).
38
Mit wenigen Ausnahmen mußten alle Offizierbewerber in Bayern das Abitur
haben. 44% der im Jahre 1900 in die preußischen, sδchsischen und w٧rttembergi
schen Kontingente eingetretenen Fahnenjunker waren Abiturienten. Diese Zahl
wuchs auf fast 52% im Jahre 1906 und etwa 65% im Jahre 1912. Fahnenjunker
ohne Primareife waren 43 von 968 im Jahre 1900, 83 von 949 im Jahre 1905 und
54 von 1449 im Jahre 1912. Fahnenjunker, die auf Gnade Wilhelms II. ohne be
standene Fδhnrichspr٧fung in das Offizierkorps eintraten, waren wesentlich weni
ger als 1% in den Jahren 190312; s. die Tabelle in DEMETER, Offizierkorps (wie
Anm. 1), S. 89.
39
Heinz STÜBIG, Der Einfluß des Militδrs auf Schule und Lehrerschaft, in: Hand
buch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. IV, hg. v. Christa BERG, M٧nchen
1991, S . 517.
40
Nach NIPPERDEY, Deutsche Geschichte (wie Anm. 17), Bd. 1, S. 555, betrug diese
Zahl 5% im Jahre 1911, wobei unklar ist, ob sie die Kadetten einschloß, die je
doch im Verhδltnis zu den ٧brigen Gymnasiasten usw. nicht viele waren.
der Kadettenanstalten war echt, aber sie sollte nicht überbewertet wer-
den, zumal Kadetten eine Minderheit des Offiziersnachwuchs stell-
ten. 45
Die Tatsache, daß Offiziere kein Universitätsstudium ablegten, un-
terschied sie von den anderen deutschen Professionellen. Sogar den
begabtesten Offizieren, die mit einem dreijährigen Studium an der
prestigeträchtigen Kriegsakademie eine für ehrgeizige Offiziere attrak-
tive Generalstabslaufbahn einschlagen konnten, fehlte diese wichtige
Erfahrung. Dieser Sachverhalt wird aber dadurch relativiert, daß ein
Großteil der Bildungsaufgaben der Universitäten in der beruflichen
Ausbildung - d. h. in der Vermittlung von Fachwissen, nicht von Bil-
dung im idealen Sinne - bestand, deren Ziel der Erwerb einer formel-
len Zugangsberechtigung zu einer bestimmten Profession war. 46 Offi-
ziere hätten solches Fachwissen an einer Universität nie finden
können, sie hätten es nicht einmal dort gesucht, weil das Offizierkorps
das Monopol darüber für sich, v. a. für den Generalstab, erfolgreich
beanspruchte, wie die ablehnende Haltung sowohl des Militärs als
auch der Historikerzunft gegenüber Hans Delbrücks militärgeschicht-
lichem Projekt demonstrierte. 47 Das dennoch vergleichbare symboli-
sche Kapital 48 des Offiziers und des Historikers, das ihrer jeweiligen
Ausbildung und der professionellen Fachkompetenz entstammte, er-
kennt man ζ. B. in einem großen patriotischen Folioband, in dem die
deutsche Geschichte von den Germanen bis zu Wilhelm II. dargestellt
45
Nach STÜBIG, Einfluß (wie Anm. 3 9 ) , S . 5 1 7 , stellten die Kadettenanstalten etwa
1 5 % der Offizierbewerber 1 8 7 8 / 9 0 . Es ist anzunehmen, daß im 2 0 . Jahrhundert
angesichts der Heeresvermehrungen trotz einer Zunahme der Kadetten dieser An
teil weiter sank.
46
Konrad H. JARAUSCH, Universitδt und Hochschule, in: Handbuch (wie Anm. 39),
S. 329332.
47
Siehe Arden BUCHOLZ, Hans Delbr٧ck and the German Military Establishment:
War Images in Conflict, Iowa City 1985.
Dieser Terminus kommt von Pierre Bourdieu. Hier verstehe ich unter symboli
schem Kapital z. B. eine Offiziersuniform, einen Doktortitel, ein Adelsprδdikat
usw. samt der gesellschaftlichen Anerkennung und (meist informellen, aber rea
len) Macht, die daraus folgten. Das symbolische Kapital konnte mit materiellem
Kapital verbunden sein, aber auch mit kulturellem Kapital (Wissen, Geschmack,
Kultiviertheit usw., die man „besaß") und sozialem Kapital (soziale Netzwerke
familiδrer oder beruflicher Natur). Siehe HansUlrich WEHLER, Pierre Bourdieu.
Das Zentrum seines Werks, in: Ders.. Die Herausforderung der Kulturgeschichte.
M٧nchen 1 9 9 8 , S. 2 7 2 8 .
Hier waren Offiziere aus den technischen Branchen des Militδrs den
zivilen Ingenieuren ebenb٧rtig, zumindest wenn es um die öffentliche
Reprδsentation der Firma ging. Dies sowohl wegen des symbolischen
Kapitals ihres Titels als Offiziere a. D. als auch wegen der gefragten
Fachausbildung, die sie bei der tδglichen Aus٧bung ihres militδrischen
Berufs und in einer militδrischen Fachschule erworben hatten.51
Diese Erörterungen sollen die Bildungsunterschiede zwischen den
Offizieren und den zivilen Professionellen nicht leugnen, zumal sich
bei den Generδlen dieser Bildungstrend noch nicht durchgesetzt hatte,
als sie in die Armee eingetreten waren 5 2 . Dennoch wird deutlich, daß
die wilhelminischen Offiziere keine exotischen „feudalen" Überbleib-
sel einer längst überholten Zeit bildeten. Vielmehr waren sie in den
aktuellen Bildungs-, Ausbildungs- und Berufskontext der zivilen Pro-
fessionellen ihrer Zeit integriert, in dem sie sich mit ihrem symboli-
schen Kapital gut behaupten konnten. In diesem Sinne ist vom Bil-
dungsstandpunkt aus die Anwendung des Professionsbegriffs auf das
wilhelminische Armee-Offizierkorps sinnvoll.
Zweitens: Deutliche Karrierestufen und regelmäßige Laufbahnen
waren im Offizierkorps vorhanden. Vorausgesetzt der Offizier eignete
sich für eine Beförderung, galt das Prinzip der Anciennität - andern-
falls mußte er früher oder später seinen Abschied einreichen. Das
Dienstalter wurde bis zum Hauptmann hinauf innerhalb des jeweiligen
Regiments festgestellt, während die höheren Ränge in den Dienstal-
terslisten der jeweiligen Waffengattung geführt wurden. Durch schrift-
liche Beurteilungen, Vorpatentierungen, Versetzungen in ungünstige
Regimenter sowie das Bitten um den Abschied konnten die Vorgesetz-
ten eines Offiziers das Anciennitätsprinzip unterlaufen. 5 3 Doch trotz
mancher Unzufriedenheit war das Beförderungswesen keinesfalls
willkürlich. Zum einen sind uns Ranglisten und Dienstalterslisten
überliefert, denen man den ziemlich regelmäßigen Verlauf von Offi-
zierslaufbahnen entnehmen kann. Zum anderen wurden solche Listen
wohl von den meisten Offizieren regelmäßig gelesen, was bedeutet,
daß sie einen Sinn darin sahen. 5 4
Jährlich veröffentlichte die königliche Hofbuchhandlung, Mittler
und Sohn, die offiziellen Ranglisten des preußischen A r m e e -
Offizierkorps und der zu ihm gehörenden Einheiten (u. a. der kolonia-
len Schutztruppe und des württembergischen Offizierkorps). Eine Li-
ste führte sämtliche Offiziere, eine andere nur die aktiven. Beide Li-
sten zeigten die Zugehörigkeit zu einem Regiment, das Datum des
Offizierspatents, der letzten Beförderung, Versetzungen oder Kom-
52
HUGHES, King's Finest (wie Anm. 2), S. 63.
53
Ebd., S. 75, 8082.
54
Siehe Alfred SCHWARZ, Wie entsteht die Rangliste unserer Armee?, in: Deutsches
Offizierblatt, Bd. 7, Nr. 21 (26.5.1903), S. 5; Die DienstaltersListe 1912/13, in:
MilitδrWochenblatt, 97. Jg., Nr. 146 (14.11.1912), Sp. 3341 f. Generell zur Be
förderungspraxis: Edgar GRAF MATUSCHKA, Die Beförderungen in der Praxis, in:
Gerhard Papke u.a., Untersuchungen zur Geschichte des Offizierkorps. Anciennti
tδt und Beförderung nach Leistung, hg. v. Militδrgeschichtlichen Forschungsamt,
Stuttgart 1962, S. 163172.
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44 Mark R. Stoneman
mandierungen an. 55 Vor dem Ersten Weltkrieg war der Markt f٧r sol
che Informationen derart groß, daß auch der Privatverlag des Deut-
schen Offizierblattes eine nationale Rangliste herausgab, die Bayern
und Sachsen einschloß. 56 Außerdem konnte man bei Mittler und Sohn
eine Dienstalterliste erwerben, welche der Verlag 1900 in einem Inse
rat folgendermaßen beschrieb:
„ Dieselbe gewährt nicht nur einen genauen Aufschluß über die Stel-
lungsbesetzung, die Dienstalters- und Beförderungsverhältnisse inner-
halb eines jeden Truppentheils undjeder Kommandobehörde, sondern
bietet insbesondere auch einen leichten Überblick über die Avance-
ments-Verhältnisse innerhalb jeder einzelnen Waffengattung sowie der
gesammten Armee. [...] Die „Dienstalters-Liste" wird in vorliegender
Anordnung jedem Offizier, jeder Dienststelle willkommen sein. "57
Dar٧ber hinaus war die Nachfrage groß genug, eine langjδhrig kon
kurrierende Liste zu tragen. 58 Neben den Rang und Dienstalterslisten
informierte das vom Großen Generalstab herausgegebenen Militär-
Wochenblatt, das regelmδßig derartige Nachrichten aus dem ganzen
Reich enthielt, die Offiziere ٧ber die aktuellsten Beförderungen, Ver
setzungen und Abschiede. 59 Alle diese Listen zeigen, daß das wilhel
minische Offizierkorps regelmδßige, professionelle Laufbahnen mit
deutlichen Karrierestufen anbot.
55
Zwei Beispiele: Rang- und Quartierliste der Königlich Preußischen Armee und
des XIII. (Königlich Württembergischen) Armeekorps für 1900 [...] (Redaktion:
die Königliche Geheime Kriegs-Kanzlei), Berlin; Rang- und Quartierliste der
Königlich Preußischen Armee für den aktiven Dienststand, Berlin 1893.
56
Deutsche Rangliste umfassend das gesamte aktive Offizierkorps [...] der deut-
schen Armee und Marine und seinen Nachwuchs, Oldenburg i. Gr. 1911. Natür-
lich veröffentlichten Bayern, Sachsen und Württemberg auch ihre eigenen offizi-
ellen Listen. Zum Beispiel: Ranglisten der aktiven Offiziere der Königlich
Bayerischen Armee, München 1904 (Druck: Kriegsministerium); Militär-
Handbuch des Königreichs Bayern, hrsg. v. Kriegsministerium, München 1914;
Rangliste der Königlich Sächsischen Armee für das Jahr 1914, hrsg. v. Kriegsmi-
nisterium, Dresden; Militär-Handbuch des Königreichs Württemberg, hrsg. v.
Kriegsministerium, Stuttgart 1908.
57
Allgemeiner Anzeiger zum Militär-Wochenblatt, Nr. 3 ( 10.1.1900), S. 20.
58
Vom Verlag Hopfer in Burg erschien seit 1858 jährlich folgende Liste: Vollstän-
dige Dienstaltersliste (Anciennitätsliste) der Offiziere der Königlich Preußischen
Armee, des XIII. (Königl. Württemb.) Armeekorps und der Kaiserlichen Schutz-
truppen.
59
Eine adlige Offiziersfrau, deren Mann Karriere machte, erwähnte dieses Blatt an
mindestens vier Stellen in ihren Erinnerungen: GREGORY, Soldatenfrau (wie Anm.
6) 65, 78, 104, 172. Eine breite Leserschaft leite ich auch aus dem Inseratenteil
ab.
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Bürgerliche und adlige Krieger 45
Ohne weiter darauf einzugehen, verweise ich auf das informative Buch
von Arden Bucholz 6 2 , in dem er die organisatorischen Bem٧hungen
des Großen Generalstabs beschreibt, Fachwissen zu produzieren
besonders im Bereich der Kriegsgeschichte und dieses Wissen in
einer sich rasch δndernden technischen Umwelt 6 3 f٧r die Vorbereitung
eines zuk٧nftigen Krieges zu nutzen, der vom Vernichtungsgedanken
und von Angriffsgeist geprδgt sein sollte. Ein wesentlicher Grund,
warum der Generalstab am politisch und militδrisch so verhδngnisvol
len Schlieffenplan festhielt, war m. E. die Verwissenschaftlichung
seiner Planungsarbeit, die von einem nachhaltigen Paradigma geprδgt
wurde, dessen G٧ltigkeit f٧r manche Generalstδbler darunter auch
Groener nicht einmal durch den Ersten Weltkrieg ersch٧ttert wur
de. 6 4
61
H . FROBENIUS (Hg.), Militär-Lexikon. Handwörterbuch der Militärwissenschaf-
ten, Berlin 1901. Vgl. Kriegswissenschaften, in: MEYERS (wie Anm. 3), Bd. 11,
1907, S. 681; vgl. Wissenschaft, in: Ebd., Bd. 20, 1908, S. 695.
62
BUCHOLZ, M o l t k e ( w i e A n m . 4).
63
In seinem Vorwort schrieb FROBENIUS, Militär-Lexikon (wie Anm. 59): „das
Lexikon [musste] mit äusserster Beschleunigung gearbeitet werden", damit es
„nicht bereits vor dem Erscheinen veraltet" sein würde.
64
Zu Paradigmen siehe Thomas S. KUHN, Die Struktur wissenschaftlicher Revolu-
tionen, übers, v. Hermann Vetter, Frankfurt a. M. 2 1976. Für das paradigmatische
Verständnis der wilhelminischen militärischen Fachwelt von Strategie siehe z. B.
den betreffenden Eintrag in FROBENIUS, Militär-Lexikon (wie Anm. 59), S. 824,
826, der den Kern der Dinge traf: „Der Kriegszweck ist stets in erster Linie d[ie]
Vernichtung der feindlichen] Armee, diese das Ziel der Operationen [...]. Für
d[ie] gesuchte Entscheidung ist d[ie] Vereinigung einer möglichsten Anzahl von
Streitern am entscheidenden Punkte" (S. 826). Und im Vorwort des Lexikons fin-
det sich das paradigmatische Verständnis von der militärischen Nutzbarmachung
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B٧rgerliche und adlige Krieger 47
vergangener Kriege: „Das Lexikon soll nur das gegenwärtig Wichtige angeben,
deshalb geht es mit wenigen Ausnahmen geschichtlich nur bis zum Beginn
des dreißigjδhrigen Krieges zur٧ck" (Hervorhebung im Original). Diese Vorstel
lungen kamen auch in Meyers Großem KonversationsLexikon (wie Anm. 3) zum
Ausdruck, Bd. 11, 1907, S. 681 („Kriegswissenschaften"), S. 668 („Kriegsge
schichte"), S. 669670 („Kriegskunst und Kriegf٧hrung"). Zur Einf٧hrung in die
Historiographie zum strategischen Denken des Großen Generalstabs siehe FÖR
STER, Armed Forces (wie Anm. 1).
65
Zum bayerischen Offizierkorps: RUMSCHÖTTEL, Das bayerische Offizierkorps
(wie Anm. 7), S. 224226.
66
B A M A Freiburg, N46/83, Bl. 43.
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48 Mark R. Stoneman
67
Ebd., Bl. 49; Hervorhebung im Original.
6 8
S i e h e SHOW ALTER, A r m y ( w i e A n m . 2 ) , S . 3 1 2 .
69
Warenhaus f٧r A r m e e und Marine, in: MEYERS ( w i e A n m . 3), Bd. 6, 1908, S. 3 7 4
f.. Informationen zu den Offiziervereinen im europδischen Kontext: O f f i z i e r
Vereine, in: M i l i t δ r W o c h e n b l a t t , 86. Jg., Nr. 5 9 ( 6 . 7 . 1 9 0 1 ) , Sp. 1 5 7 0 - 1 5 7 3 .
70
V e r e i n inaktiver O f f i z i e r e der D e u t s c h e n A r m e e und Marine, in: M i l i t δ r
Wochenblatt, 86. Jg., Nr. 4 5 ( 2 2 . 5 . 1 9 0 1 ) , Sp. 1 2 2 2 1 2 2 4 .
71
M i l i t δ r W o c h e n b l a t t , 86. Jg., Nr. 4 0 ( 8 . 5 . 1 9 0 1 ) , Sp. 1 0 7 1 1 0 7 4 . V g l . auch ebd.
97. Jg., Nr. 162 ( 2 1 . 1 2 . 1 9 1 2 ) , Sp. 3 7 6 0 3 7 6 2 .
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50 Mark R. Stoneman
ten 72 , erschien alle zwei Wochen die von einer Johanna von Sydow
herausgegebene Beilage Die praktische Offizierfrau, in der ζ. B. rich-
tige Formen der Repräsentation sowie Menüvorschläge verbreitet
wurden, 73 was für ein statisches, homogenes Offizierkorps wohl kaum
nötig gewesen wäre. Im Deutschen Offizierblatt gab es manchmal so-
gar Beiträge, die politische Implikationen besaßen, die sich ζ. B. mit
Fragen der Heeresgröße, der Wehrfinanzierung befaßten. 74 1900 emp-
fingen bis zu 10 000 aktive und 1 000 inaktive Offiziere das Deutsche
Offizierblatt, das auch als offizielles Organ für nationale Vereine fun-
gierte, deren Bekanntmachungen, Berichte usw. es veröffentlichte. 75
Die betont nationale Ausrichtung des Verlages fand seit 1908 auch
Ausdruck in der Herausgabe einer Deutschen Rangliste, die sogar
Bayern einschloß. Im Vorwort der Ausgabe 1914 wurde die Heeres-
vermehrung von 1913 gepriesen und eine weitere gefordert, während
die Ablehnung dieser Forderung als „vaterlandsfeindlich" bezeichnet
wurde. 76 Dies war eine Anklage, die sowohl der politischen Linken als
auch den Konservativen galt, die sich über die soziale Zusammenset-
zung des Offizierkorps Sorgen machten.77 Hierzu schrieb die Redakti-
on stolz weiter:
72
Vgl. ζ. B. GREGORY, Soldatenfrau (wie Anm. 6).
73
Ζ. B.: Das Belegte Brot, Nr. 1 (14.1.1903), S. 11; Die immer korrekt ist, Nr. 2
(28.1.1903), S. 11 f.; Das liebe Federvieh, Nr. 5 (11.3.1903), S. 11; es gab auch
die regelmδßige Rubrik „Tδglicher K٧chenzettel".
74
Ζ. B.: Zu dem Militδretat 1903, Bd. 7, Nr. 8 (25.2.1903), S. 3 und Bd. 7, Nr. 9
(4.3.1903), S. 5; Zur Wehrsteuerfrage in Deutschland, Bd. 7, Nr. 15 (15.4.03), S.
24; Zum weiteren Ausbau unseres Heeres, Bd. 17, Nr. 3 (16.1.1913), S. 53 f..
75
S. ζ. B. das Inserat des „Deutschen Offizierblatts" in: Allgemeiner Anzeiger zum
MilitδrWochenblatt, Nr. 23 (21.3.1900), S. 183.
76
Deutsche Rangliste umfassend das gesamte aktive Offizierkorps [,..]der deutschen
Armee und Marine und seinen Nachwuchs [...], Oldenburg i. Gr. 1914, Vorwort.
77
Zur politischen Auseinandersetzung ٧ber die Heeresaufr٧stung siehe FÖRSTER,
Militarismus (wie Anm. 2).
IV. Tradition
Wie paßt aber die schwülstige Erscheinung des Offizierkorps mit sei-
ner starken Betonung der Vergangenheit und der individuellen Re-
gimentstraditionen ins Bild? Eine Teillösung dieses Rätsels bieten
Geoff Eley und Michael Geyer mit der These, daß die „feudale" Er-
scheinung des Offizierkorps eine kreative Antwort auf seine wachsen-
de soziale und funktionale Heterogenität war. Das Offizierkorps be-
78
Deutsche Rangliste (wie Anm. 73), Vorwort.
Siehe FÖRSTER, Militarismus (wie Anm. 2), in dem allerdings diese Denkweise
dem B٧rgertum zugeschrieben wird, was bisher noch nicht bewiesen ist. Im Deut-
schen Offizierblatt waren jedenfalls auch adlige Namen vertreten.
80
SHOWALTER, Army (wie Anm. 2), S. 12. Wilhelm DEIST, Militδr, Staat und Ge
sellschaft. Studien zur preußischdeutschen Militδrgeschichte, M٧nchen 1991, S.
29, 45.
81
Ebd., S. 46.
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5 2 Mark R. Stoneman
82
GEYER, Past as Future (wie Anm. 4), S. 192195; G e o f f ELEY, Army, State and
Civil Society: Revisiting the Problem o f German Militarism, in: ders., From Uni
fication to Nazism. Reinterpreting the German Past, Boston 1986, S.9699.
83
Zu dieser wichtigen Komponente der wilhelminischen militδrischen Profession,
siehe Ute FREVERT, Ehrenmδnner. Das Duell in der b٧rgerlichen Gesellschaft,
M٧nchen 1995, S. 109162.
84
Vgl. Donald ABENHEIM, Bundeswehr und Tradition. Die Suche nach dem g٧ltigen
Erbe des deutschen Soldaten, M٧nchen 1989; David GLASSBERG, American Hi
storical Pagentry. The Uses of Tradition in the Early Twentieth Century, Chapel
Hill 1990, S. 13, w o n٧tzliche Gedanken zur kulturellen Funktion von histori
scher Bildersymbolik zu finden sind.
85
Eric HOBSBAWM, Introduction: Inventing Traditions, in: ders. und Terence Ranger
(Hg.), The Invention o f Tradition, Cambridge 1983, S. 114; Eric HOBSBAWM,
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B٧rgerliche und adlige Krieger 53
®9 Β. V. POTEN, Die Hannoverschen Prδsentir und Parademarsche, in: Militδr
Wochenblatt, 85. Jg., Nr. 21 (3.3.1900), Sp. 523526, Zit. Sp. 523; vgl. Die Pfle
ge der Überlieferungen der alten Armee, in: MilitδrWochenblatt, 85. Jg., Nr. 32
(7.4.1900), Sp. 811814.
90
Erstens wurden Regimentsfeiern regelmδßig im Allgemeinen Anzeiger zum Mili-
tär-Wochenblatt bekannt gegeben. Zweitens nahm die Veröffentlichung von Re
gimentsgeschichten im Kaiserreich rasant zu. Siehe Paul HIRSCH, Bibliographie
der deutschen Regiments und Bataillonsgeschichten, Berlin 1905. Schließlich
schlössen die zahlreichen gedruckten Regimentsstammlisten alle zu ihm gehören
der Offiziere aus der Vergangenheit und Gegenwart ein.
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So wurden aus den Infanterieregimentern Nr. 97, 98, 128 und 129
folgende Einheiten: 1. Oberrheinisches Infanterieregiment Nr. 97,
Metzer Infanterieregiment Nr. 98, Danziger Infanterieregiment Nr.
128, 3. Westpreußisches Infanterieregiment Nr. 129. Insgesamt waren
etwa neunzig Einheiten von diesem Befehl betroffen. 91
Schließlich: Bei aller starken Betonung der Tradition im einzelnen
Regiment muß hervorgehoben werden, daß Offiziere wδhrend ihrer
Laufbahnen mehreren Regimentern angehörten und mithin in den
Stammlisten all dieser Regimenter gef٧hrt wurden. 92 Daß Offiziere in
der Lage waren, sich in anderen Regimentern einzuleben, deutet auf
die Verbreitung gemeinsamer professioneller Werte im wilhelmini
schen ArmeeOffizierkorps hin einschließlich des hohen Stellen
werts der Traditionspflege.
91
A r m e e - B e f e h l , in: M i l i t ä r - W o c h e n b l a t t , 8 7 Jg., N r . 9, 2 8 . 1 . 1 9 0 2 , Sp. 2 2 1 - 2 2 6 ,
Zit. Sp. 2 2 1 - 2 2 2 .
92
Zum Beispiel: v. REDEN, Offizier-Stammliste des Grenadier-Regiments Prinz
Karl von Preußen (2. Brandenburgisches) Nr. 12, Oldenburg 1912; FUNCK und v.
FELDMANN, Offizier-Stammliste des vormaligen Königlich Hannoverschen 3. In-
fanterie-Regiments und des 1. Hannoverschen Infanterie-Regiments Nr. 74,
1813-1913, Hannover 1913; BADENSTEIN, Offizier-Stammliste des 2. Badischen
Grenadier-Regiments Kaiser Wilhelm I. Nr. 110, Berlin 1902; DIETRICHS, Offi-
zierstammliste des vormals Kurhessischen 2. Inf. Regts. „Landgraf Wilhelm von
Hessen" 1813-1866 jetzt 2. Kurhess. Inf. Regt. Nr. 82, Göttingen 1913; GRAB-
MANN, Offizier-Stammliste des 6. Rheinischen Infanterie-Regiments Nr. 68,
1860-1902, C o b l e n z 1902.
94
B A M A Freiburg, N46/78, Bl. 1 f.
95
v. BUSSE, Offizier (wie Anm. 37).
96
Zum versuchten Attentat, das von einem verstimmten Veteranen ausging, der
Groener nicht kannte: B A M A Freiburg., N46/27, Bl. 114 f.
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58 Mark R. Stoneman
Diese Skizze erinnert an die Stärke des Generalstäblers," der sich die
Doktrinen der Vernichtungsschlacht und des Angriffs zu eigen ge-
macht hat. Sie zeugt auch von seinem „strammen" militärischen Ver-
halten, von seinem Kriegergeist und seiner „Schneidigkeit". Groener
erscheint als der typische Offizier. Jedoch existierten unterschiedliche
Auffassungen im Korps über das korrekte Verhalten eines Offiziers,
die z. T. auf soziale Unterschiede zurückzuführen waren. Ein Kenner,
Theodor Fontane, läßt in einem Roman die Tante Woldemars von
Stechlin zu diesem sagen: „Was in unserer Armee den Ausschlag gibt,
ist doch immer die Schneidigkeit." Der märkische Adlige und Rittmei-
ster des exklusiven 1. Garde-Dragoner-Regiments Königin Viktoria
von Großbritannien und Irland, am Alexanderplatz in berlin statio-
97
Stellenbesetzung in: B A M A Freiburg PH 1/17. Zitat in: Heinrich BRÜNING.
Memoiren 19181934, Stuttgart 1970, S. 548. Zu Offizieren in den technischen
Laufbahnen: HUGHES, King's Finest (wie Anm. 2), S. 92, zur funktionalen Bedeu
tung der Eisenbahnabteilung: BUCHOLZ, Moltke (wie Anm. 4).
98
B A M A Freiburg, N46/83, Bl. 45.
99
Helmut HAEUSSLER, General William Groener and the Imperial German Army,
Madison 1962, S. 43.
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B٧rgerliche und adlige Krieger 59
105
B A M A Freiburg, N46/76, Bl. 6885, 92 f., 88 f., 96, 123.
1 0 6
GROENER, L e b e n s e r i n n e r u n g e n ( w i e A n m . 2 2 ) , S. 8 1 , 1 3 2 .
107
Ebd., S. 131135; BUCHOLZ, Moltke (wie Anm. 4), S. 231234; Lothar BUR
CHARDT, Friedenswirtschaft und Kriegsvorsorge. Deutschlands wirtschaftliche
R٧stungsbestrebungen vor 1914, Boppard a. Rh. 1968, S. 164 f., S. 175 f.,
S. 210 f., 236 f.
108
Brief Groeners an seine Frau, 3.11.1914, in: GROENER, Lebenserinnerungen (wie
Anm. 22), S. 527.
109
Brief des Gymnasiumsdirektors Maspari an Groener, 30.6.1915; Brief von F.
Waldeck an Groener, 9.7.1915; Brief des Geheimen Kommerzienrats Georg W.
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B٧rgerliche und adlige Krieger 61
1 1 6 REICHOLD ( H g . ) ( w i e A n m . 1 1 4 ) , S. 3.
117 Siehe Ulrich TRUMPENER, Junkers and Others: The Rise of Commoners in the
Prussian Army, in: Canadian Journal of History 14 (1979), S. 29-47 u. Friedrich
Wilhelm EULER, Die deutsche Generalität und Admiralität bis 1918, in: HOF-
MANN, O f f i z i e r k o r p s ( w i e A n m . 2 ) , S. 1 7 5 - 2 1 0 .
„Das Ungeheure ist Tatsache geworden. Die Bahn Wilhelms IL, dieses
eitlen, überheblichen und fleißigen Monarchen ist beendet", notierte
Gerhart Hauptmann am 9. November 1918 in sein Tagebuch. „Mir
griff es an die Gurgel, dieses Ende des Hohenzollernhauses; so kläg-
lich, so nebensächlich, nicht einmal Mittelpunkt der Ereignisse", hielt
Harry Graf Kessler am selbigen Tag fest, den er einen der „denkwür-
digsten" und „furchtbarsten der deutschen Geschichte" nannte.1 Das
plötzliche Verschwinden der Figur zu der - positiv oder negativ - fast
jeder Deutsche eine dezidierte Position entwickelt hatte, forderte Re-
aktionen heraus, die schnell über ein bloßes Erstaunen hinausgingen.
„Dem Zeitgenossen", so vermutete einer von diesen, „ist die Entthro-
nung der Hohenzollern ein Erlebnis, das ihn irgendwie zur politischen
Stellungnahme verleitet".2 Derartige Stellungnahmen bezogen sich
bald nach Bekanntwerden der genaueren Umstände vor allem auf die
kontrovers diskutierte Flucht des letzten Hohenzollernherrschers in die
Niederlande.3
Es ist auf die merkwürdige Diskrepanz aufmerksam gemacht wor-
den, die im Hinblick auf den 9. November 1918 zwischen der histori-
Gerhart HAUPTMANN, Tagebücher 1914 bis 1918, hg. v. Peter Sprengel, München
1997, S. 244; Harry GRAF KESSLER, AUS den Tagebüchern 1918-1937, München
1965, S. 9 ff.
Kurt HEINIG, Hohenzollern. Wilhelm II. und sein Haus. Der Kampf um den Kron-
besitz, Berlin 1921, S. 1.
Über die Flucht Wilhelms II. in die Niederlande wurde eine breitere Öffentlichkeit
erst im Laufe des 11.11. 1918 durch die Tageszeitungen informiert. Vgl. a. die
entsprechenden Notizen etwa in den Tagebüchern Thomas Manns und Graf
Kesslers für diesen Tag.
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66 Martin Kohlrausch
Tagebucheintragung Sigurd v. Ilsemanns vom 22.8. 1934, zit. nach: John C.G.
RÖHL: Kaiser Wilhelm II. „Eine Studie über Cäsarenwahnsinn", München 1989.
Die Stelle ist in der von Harald v. Koenigswald herausgegebenen Ausgabe der Il-
semann-Tagebücher nicht enthalten.
9
Zum Zitat und zu den „Kanalrebellen" jetzt ausfuhrlich: Hartwin SPENKUCH, Das
preußische Herrenhaus. Adel und Bürgertum in der Ersten Kammer des Landtages
1854-1918, Düsseldorf 1998, S. 263 ff.
10
Man denke etwa an die Rede Wilhelms II. beim Festmahl der Provinz Ostpreußen
vom 6.9. 1894 mit der symptomatischen Warnung: „Eine Opposition preußischer
Adliger gegen ihren König ist ein Unding." Johannes PENZLER (Hg.), Die Reden
Kaiser Wilhelms II., Leipzig 1897 ff., Bd. I., S. 275. 2
11
Ernst GRAF ZU REVENTLOW, Von Potsdam nach Doorn, Berlin 1940, S. 196.
12
Zur ersteren vgl. etwa Marie PRINCESSE RADZIWILL, „Une grande dame d'avant
guerre". Lettres de la Princesse Radziwill au Général de Robilant 1889-1914,
4 Bde., Bologna 1933-34 und die Beispiele aus Isabel V. HULL, The Entourage of
Kaiser Wilhelm II 1888-1918, Cambridge 1982, S. 118 f.; zur Kritik aus liberaler
und katholischer Perspektive (etwa Franz Graf v. Ballestrem; Heinrich Prinz zu
Schoenaich-Carolath): SPENKUCH, Herrenhaus (wie Anm. 8), S. 265.
13
Zur Kritik aus preußischer Sicht etwa Alexander FÜRST ZU DOHNA-SCHLOBITTEN,
Erinnerungen eines alten Ostpreußen, Berlin 1989. Zur Weigerung der Familien
Armin, Dönhoff und Maitzahn, einen wilhelminischen Fürstentitel zu akzeptieren
vgl. Das Tagebuch der BARONIN SPITZEMBERG. Aufzeichnungen aus d^r Hofge-
sellschaft des Hohenzollernreiches, hg. v. Rudolf Vierhaus, Göttingen 1960, S.
405 u. 558 sowie SPENKUCH, Herrenhaus (wie Anm. 8), S. 265.
14
So die Kritik Adolf Frhr. Marschall v. Biebersteins im Gespräch mit der Baronin
S p i t z e m b e r g . V g l . SPITZEMBERG, T a g e b u c h ( w i e A n m . 1 3 ) , S. 4 2 1 ( 2 4 . 1 0 . 1 9 0 2 ) .
Bisher hat dieser Skandal kaum Beachtung in der historischen Forschung gefun-
den. Vgl. lediglich die Einleitung von Hans-Ulrich WEHLER in Ders., (Hg.), Lud-
wig Quidde. Schriften über Militarismus und Pazifismus, Frankfurt a. M. 1977,
S. 7-18 sowie Helmuth ROGGE, Affären im Kaiserreich. Symptome der Staatskrise
unter Wilhelm IL, in: Die politische Meinung 8 (1963), S. 58-72.
16
Die Broschüre wurde mit einer Auflage weit über 200.000 die bestverkaufte poli-
tische Schrift des Kaiserreichs. Vgl. WEHLER, Quidde (wie Anm. 15), S. 13.
17
Gemutmaßt wurde sogar, Quidde habe aufgrund von intimen Informationen ihm
bekannter ostpreußischer Adliger gehandelt. Vgl. hierzu sowie zum Zitat ebd., S.
27 u. S. 24 f. Zur Bedeutung der adligen Gegnerschaft zu Wilhelm II. fur die Ca-
ligula-Affare vgl. auch Utz-Friedbert TAUBE, Ludwig Quidde. Ein Beitrag zur
Geschichte des demokratischen Gedankens in Deutschland, München 1963,
S. 4 ff. Die Einschätzung Quiddes wurde in der liberalen Presse der Zeit durch-
gängig geteilt. Vgl. z.B. Berliner Tageblatt, Wer ist Quidde?, 19.5. 1894 u. Bres-
lauer Zeitung, Herrn Quiddes „Caligula", 24.5. 1894.
18
Die Post, 18.5.1894. Vgl. a. Hermann Heinrich QUIDDAM (d.i. Hermann Heinrich
Rothe), Contra Caligula. Eine Studie über deutschen Volkswahnsinn, Leipzig
1894, S. 7 ff.
19
STEINHAMMER, Der Caligula-Unfùg, Berlin 1894. S. 6 ff.
20
WEHLER, Quidde (wie Anm. 15), S. 37.
21
Thomas A. KOHUT, Wilhelm II. and the Germans. A Study in Leadership, New
York/Oxford 1991, S. 142. Isabel V. Hull klassifiziert die wilhelminische Politik
sogar explizit als „eine bürgerliche", Vgl. Isabel V. HULL, „Persönliches Regi-
ment", in: John C.G. Röhl (Hg.), Der Ort Kaiser Wilhelms II. in der deutschen
Geschichte, S. 3-24, hier S. 20 ff. Generell: John C.G. RÖHL, Hof und Hofgesell-
schaft unter Wilhelm II., in: Ders. (Hg.), Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und
die deutsche Politik, München 1995, S. 78-115, insbesondere S. 114 f. sowie
Hartmut POGGE VON STRANDMANN, Der Kaiser und die Industriellen. Vom Primat
der Rüstung, in: Röhl, Ort, S. 111-130, insbesondere S. 115 f.
die Meinung weit verbreitet, daß nur die „eiserne Faust" des Kaisers
die Agrarier „niederzwinge". Wenn es den Kaiser nicht mehr gebe, sei
es mit der industriellen Weltmacht bald vorbei. 22 Aufgrund seiner viel-
beschworenen „Jugend und Energie" wurde Wilhelm II. als der „rich-
tige Mann am richtigen Platz", als ein „Mann der Zukunft" gefeiert.23
In der zunächst durchaus positiv rezipierten Entlassung Bismarcks
fanden diese Assoziationen ihr Symbol. 24
Diese Affinität bestimmter bürgerlicher Gruppen zu Wilhelm II.
fand ihre Entsprechung und wurde verstärkt durch die Präsentation des
Kaisers als moderner Herrscher. In vielerlei Hinsicht vertrat Wil-
helm II. durch sein Auftreten die Aspirationen des jungen, elastischen,
großstädtischen, aufstrebenden Mittelstandes.25 Zwar ist es nicht un-
gewöhnlich, daß sich Hoffhungen auf gesellschaftliche Veränderungen
mit dem Thronfolger verbinden, die Intensität der Erwartungshaltung
an Wilhelm II. erscheint allerdings ebenso als Spezifikum wie der pro-
pagierte enge Nexus zwischen dem „jungen Kaiser" und den tech-
nisch-industriellen Eliten als Bannerträgem der neuen Zeit. 26 In der
oftmals dokumentierten kaiserlichen Sympathie für das Marineoffi-
zierskorps - die im adlig dominierten Offizierkorps des Heeres rezi-
prok als Ablehnung empfunden wurde - fand dieser Stilwechsel einen
22
Die Zukunft 1903. Zit. nach: Joachim RADKAU, Das Zeitalter der Nervosität,
Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München/Wien 1998, S. 280 f.
23
So etwa in der Badischen Presse vom 4.10. 1889. Zit. nach KOHUT, Wilhelm II.
(wie Anm. 21), S. 229. Ahnlich liest sich selbst die Rede Theodor Mommsens
zum Kaisergeburtstag 1891 vom 29.1 des Jahres, sowie, hagiographischer noch,
zwei Jahre später zum selben Anlaß. Vgl. Theodor MOMMSEN, Reden und Aufsät-
ze, Berlin 1905, S. 183 ff.
24
Vgl. hierzu: Elisabeth FEHRENBACH, Wandlungen des deutschen Kaisergedankens
(1871-1918), München/Wien 1969. S. 89 f. sowie Kurt KOSZYK, Deutsche Presse
im 19. Jahrhundert: Geschichte der deutschen Presse, Bd. II., Berlin 1966, S. 250;
Ferdinand TÖNNIES, Kritik der öffentlichen Meinung, Berlin 1922, S. 434 u. 476.
Trotz aller Rückschläge bewahrte das Schlagwort vom „modernen Kaiser^' einen
Teil seiner Faszination. Noch in den Jubiläumsschriften des Jahres 1913 wird die-
ses regelmäßig beschworen: vgl. beispielhaft Martin SPAHN, 25-jähriges Regie-
rungsjubiläum, in: Hochland 10 (1913), S. 294-308, S. 294 f. Friedrich Wilhelm
V. LOEBELL, Rückblick und Ausblick, in: Philipp ZOM/Herbert v. Berger (Hg.),
Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Bd. IV, Berlin 1914, S. 1698-1699.
25
Zum Ort des Kaisers im Jugendkult des ausgehenden 19. und beginnenden 20.
Jahrhunderts vgl. Birgit MARSCHALL, Reisen und Regieren. Die Nordlandfahrten
Kaiser Wilhelms II., Hamburg 1991, S.34 ff.
26
Christian SIMON, Kaiser Wilhelm II. und die deutsche Wissenschaft, jn: Röhl, Ort
(wie Anm. 21), S. 91-110.
27
Holger H. HERWIG, The German Naval Officer Corps. A Social and Political
History. 1890-1918, Oxford 1973, S. 31 ff., v.a. S. 34.
28
Vgl. etwa die Rede anläßlich des Festmahls des Brandenburgischen Provinzial-
landtages vom 5.3. 1890, in: Ernst JOHANN (Hg.), Reden des Kaisers. Ansprachen,
Predigten und Trinksprüche Wilhelms II., München 1966, S. 48 ff. Zum Anstieg
der Gnadenerweise gegenüber Adligen vgl. René SCHILLER, Vom Rittergut zum
Adelstitel? Großgrundbesitz und Nobilitierungen im 19. Jahrhundert, in: Ralf Prö-
ve/Bernd Kölling (Hg.), Leben und Arbeiten auf märkischem Sand. Wege in die
Gesellschaftsgeschichte Brandenburgs 1700-1914, Bielefeld 1999, S. 49-89, hier
S. 58.
2 9
SPENKUCH, H e r r e n h a u s ( w i e A n m . 8 ) , S. 1 7 7 , v g l . a.: A l a s t a i r THOMPSON, H o n -
ours Uneven: Decorations, the State and Bourgeois Society in Imperial Germany,
in: Past and Present 144 (1994), S. 171-204.
Diese Beobachtung über seine ostelbischen Standesgenossen etwa bei Alexander
PRINZ V. HOHENLOHE, Aus meinem Leben, Frankfurt a. M. 1925, S. 348. Vgl. die
Klagen über den „neuen Reichtum" bei Kurt FRHR. V. REIBNITZ, Geschichte und
Kritik von Doorn, Berlin 1929, S. 88 sowie James RETALLACK, Notables of the
35
Theodor ESCHENBURG, Das Kaiserreich am Scheideweg. Bassermann Bülow, und
der Block, Berlin 1929, S. 131.
36
Man beachte die persönliche Fixierung auf den Monarchen bei Oldenburg-Janu-
schau. Vgl. Ders. als Abgeordneter der Konservativen im Reichstag, Verhandlun-
gen des Reichstages, XII. Legislaturperiode, 1. Session, Bd. 233, Berlin 1909, S.
5437. Zur Darstellung des Redners: Elard v. OLDENBURG-JANUSCHAU., Erinne-
rungen, Leipzig 1936, S. 98. Verweise auf die Rede finden sich etwa bei Joachim
V. WINTERFELDT, Jahreszeiten meines Lebens. Das Buch meiner Erinnerungen,
Berlin 1942, S. 55.
37
Theobald ZIEGLER, Die geistigen und sozialen Strömungen Deutschlands im 19.
Jahrhundert, Berlin 1916, S. 466.
II. Die Rezeption der Flucht Wilhelms II. als sinnfälliges Scheitern der
Kaiserkonzepte
40
Dieses Zitat bei REIBNITZ, Doorn (wie Anm. 30), S. 197, der sich offensichtlich
auf eine Rede Webers am 17.11. 1918 in Heidelberg zum Thema „Die zukünftige
Staatsform Deutschlands" bezieht. Vgl. Wolfgang MOMMSEN (Hg.), Max Weber
zur Neuordnung Deutschlands. Schriften und Reden 1918-1920, Tübingen 1983,
S. 370 ff. Weber hatte schon am 11.10. 1918 „als aufrichtiger Anhänger monar-
chischer Institutionen" den „Rücktritt" des Kaisers gefordert. Für den Fall eines
Endes „mit Unehren", d. h. auf äußeren Zwang hin prophezeit Weber „auf Gene-
rationen nachwirkende" Folgen für die Monarchie. Vgl. Max WEBER , Gesam-
melte politische Schriften, München 1921, S. 477. Zur Debatte um eine Regent-
schaft vgl. Ernst-Rudolf HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd.
V.: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914-1919, Stuttgart 1978,
S. 658 ff. Zu den zahlreichen Bemühungen prominenter Persönlichkeiten, eine
Regentschaft einzurichten vgl. Ludwig FRANZ, Die deutschen Monarchisten 1919-
1925, Kulmbach 1932, S. 16 f.
41
Es wäre reizvoll, ist allerdings in diesem Rahmen nicht durchführbar, die Abdan-
kung der übrigen deutschen Herrscher einzubeziehen. Vgl. hierzu: Helmut
NEUHAUS, Das Ende der Monarchien in Deutschland 1918, in: Historisches Jahr-
buch 111 (1991), S. 102-136.
42
Die Metapher wird benutzt von Arnold Wahnschaffe, im November 1918 Unter-
staatssekretär in der Reichskanzlei, in seinem Artikel „Der letzte Akt der Kaiser-
tragödie", abgedruckt in Alfred NIEMANN: Revolution von Oben - Umsturz von
Unten. Berlin 1928, S. 423 ff. Zur öffentlichen Diskussion um die Abdankung
vgl. Karin HERRMANN, Der Zusammenbruch 1918 in der deutschen Tagespresse.
Politische Ziele, Reaktionen und Ereignisse und die Versuche der Meinungsfüh-
rung [...], 23. September bis 11. November 1918. Phil. Diss., Münster 1958,
S . 121-125; Adolf STUTZENBERGER, Die Abdankung Kaiser Wilhelms II. Die Ent-
stehung und Entwicklung der Kaiserfrage und die Haltung der Presse, Berlin
1937, S. 78-101. Zur Regentschaftsfrage vgl. Friedrich MEINECKE, Das Ende der
Monarchie, in: Ders., Politische Schriften (wie Anm. 4), hier: S. 222 f.
43
Vgl. HUBER, Verfassungsgeschichte (wie Anm. 40), S. 676, sowie Wilhelm
GROENER, Lebenserinnerungen. Jugend. Generalstab. Weltkrieg, hg. v. Hiller v.
47
Begriff bei THAER, Generalstabsdienst (wie Anm. 46), S. 252.
48
Zum Ablauf der eigentümlichen Abstimmung den detaillierten Bericht des Au-
genzeugen Wilhelm HEYE, Lebenserinnerungen, BA-MA Freiburg, Ν 18/4. Vgl.
auch: GUTH, Loyalitätskonflikt (wie Anm. 43), S. 15 f. und KAEHLER, Untersu-
chungen (wie Anm. 43), S. 283.
49
Vgl. Jan BANK, Der Weg des Kaisers ins Exil, in: Hans Wilderotter/Klaus-D.
Pohl, (Hg.), Der letzte Kaiser. Wilhelm II. im Exil, Gütersloh/München 1991,
S. 105-112., hier S. 109 ff. sowie die entsprechenden Berichte der großen Tages-
zeitungen. Friedrich WENDEL, Wilhelm II. in der Karikatur, Dresden 1928, bietet
eine gute Auswahl einschlägiger Karikaturen, welche die Peinlichkeit des Ereig-
nisses variieren, S. 103 ff.
50
Vgl. hierzu, neben dem in der Arbeit von Westarp präsentierten Material, die
Denkschriften der Generale Schulenburg, Marschall und Plessen, der Offiziere
Gontard und Niemann, des Staatssekretärs Hintze, des Unterstaatssekretärs Wahn-
schaffe, des Kapitäns zur See Restorfif, des Konteradmirals Levetzow sowie diver-
ser weiterer Augenzeugen und Entscheidungsträger in Spa und Berlin, sämtlich
abgedruckt in: NIEMANN, Revolution (wie Anm. 42), S. 325 ff.
51
Als paradigmatisch für diese Entwicklung - wenn auch freilich ein späteres Zeug-
nis - kann das Erscheinen der Schrift: Ludwig HERZ, Die Abdankung, Leipzig
1924 angesehen werden. Auf die .aufklärerischen Darstellung aus liberaler Per-
spektive reagierte der Loyalist und doomhörige Alfred NIEMANN mit seiner kapi-
telweise vorgehenden „Widerlegung", Die Entthronung Kaiser Wilhelms II. Eine
Entgegnung auf: Ludwig Herz „Die Abdankung", Leipzig 1924.
52
Zitate nach Edgar V. SCHMIDT-PAULI, Der Kaiser. Das wahre Gesicht Wil-
helms II., Berlin 1928, S. 272; Nahezu deckungsgleich: Karl ROSNER (Hg.), Erin-
nerungen des Kronprinzen Wilhelm. Aus den Tagebüchern und Gesprächen,
S t u t t g a r t / B e r l i n 1 9 2 2 . , S . 2 8 0 f.; REVENTLOW, P o t s d a m ( w i e A n m . 1 1 ) , S. 4 6 9 ; J o -
seph SONNTAG, Schuld und Schicksal, 1919, S. 54 ff. Aber auch kritische Stim-
men verwenden jene theatralische Sprache: Emil LUDWIG, Wilhelm der Zweite,
München 1964, S. 321, dem das Motto „Welch Schauspiel! Aber ach ein Schau-
spiel nur!" vorangestellt ist, spricht von Hoftheaterstil. Vgl. auch Theodor
PLIEVIER, Der Kaiser ging, die Generäle blieben, Berlin 1981, S. 316-322.
53
So der Titel eines Sonderabdruckes aus der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom
16.8. 1919 mit einer Stellungnahme des Unterstaatssekretärs Arnold Wahnschaffe.
Abgedruckt in NIEMANN, Revolution (wie Anm. 42), S. 423 ff. Vgl. zum Hinter-
sal" und „Schuld" sind die Schlagwörter, um die eine stilisierte Kon-
frontation zwischen Groener, Hindenburg und dem Generalstabschef
des Kronprinzen, Friedrich Graf v. d. Schulenburg, entwickelt wurde.54
Erstere, Groener zumal, drangen demnach mit der Macht ihrer militäri-
schen Autorität auf eine Abdankung des Kaisers und auch - zumindest
Hindenburg - auf dessen Übertritt nach Holland. Schulenburg hinge-
gen profilierte sich - zumindest in den einschlägigen Berichten - als
Siegelbewahrer preußischer Traditionen, indem er das Verbleiben des
Kaisers beim Heer forderte.55
Vor diesem Bühnenbild spielt Wilhelm II. in rechtfertigenden Dar-
stellungen den Part des tragischen Helden. Der Kampf, der in der Rea-
lität nicht stattfand, wurde in die Seele des Herrschers transferiert. Karl
Rosners suggestiver Bestseller „Der König" etwa beschreibt nichts
weiter als Wilhelms II. „Seelenkämpfe" am 9. November, während der
aktive Monarchist Ernst v. Eisenhardt-Rothe die „ungeheuren Er-
schütterungen" der „kaiserlichen Seele" beschwor und seine Ausfüh-
rungen zum Thema mit der rhetorischen Frage beendete: „Welcher
Dramatiker wird sich finden, diese Tragik je in Worte zu fassen". 56
Derartige Deutungs- und Verdrängungsversuche der Anhänger des
Ancien Régime verweisen eindringlich auf die Symbolkraft der Kaiser-
flucht. Einerseits versinnbildlichte jenes demütigende Ereignis den
vergleichsweise abstrakten Vorgang der Abdankung, andererseits war
es umstrittenes Objekt der Kämpfe um politische Deutungsmacht. Die
Flucht Wilhelms II. wurde schnell zur Chiffre im symbolischen Bür-
gerkrieg der Weimarer Republik. In der Thematisierung des Ereignis-
ses spiegelte sich die Enttäuschung über das Versagen desjenigen,
durch den sich viele repräsentiert fühlten, sie verwies aber auch noch
einmal ausdrücklich auf die Person des letzten Kaisers.
Letztendlich zählte in Spa der kaiserliche Wille, einen anderen als
den eingeschlagenen Weg zu gehen. Daran, daß dieser Wille nicht
vorhanden war, konnten auch wohlwollende Beobachter nicht vorbei-
gehen: „Ein König muß mehr als ein Mensch sein!"57 behauptet der
Spa-Zeitzeuge Joachin v. Stülpnagel in seinen Erinnerungen. Dem
Auftreten des Kaisers an diesem Tage könne man nur menschlich ge-
recht werden, geschichtlich nicht. Unstrittig war die Wirkungsmacht
der kaiserlichen Flucht: „Daß der Kaiser geflohen sei, war der gehäs-
sigste und wirksamste der gegen mich erhobenen Vorwürfe, die mir in
Versammlungen, Presse und Privatgesprächen unausgesetzt entgegen-
strömten", klagte bezeichnenderweise auch Kuno Graf Westarp, kon-
servativer Parteiführer und einer der letzten Herolde der Monarchie
nach 1918. Auf der Linie Westarps waren sich die Verteidiger des
Kaisers - und der Monarch selbst - einig über die verheerenden Folgen
der Flucht für das monarchische Bewußtsein: „Der Fluch, der auf Wil-
helm II. lastet und ihn in den Augen des Volkes unmöglich macht, ist
[...] die angebliche feige Flucht und Desertion nach Holland" glaubte
etwa Josef Sonntag.58 Allerdings, so argumentierte nicht nur Sonntag,
seien diese Beschuldigungen des Kaisers haltlos. Wilhelm II. habe
„gewiß nicht als legendärer Gewaltmensch gehandelt, aber als guter
Deutscher," so der ehemalige Pressechef des Auswärtigen Amtes Otto
Hammann, indem er sich auf den angeblich durch den Fortgang Wil-
helms II. vermiedenen Bürgerkrieg bezog. 59 „Wenn vielleicht die
Monarchisten im Interesse des monarchischen Gedankens Grund ha-
ben mögen, zu beklagen, daß der Kaiser nicht den Entschluß gefaßt
hat, zu bleiben - das deutsche Volk, das ihn der Flucht angeklagt,
müßte ihm tief dankbar für das Opfer sein, das der Kaiser ihm gebracht
hat", argumentierte einer der umtriebigsten Anhänger der Monarchie,
Edgar v. Schmidt-Pauli.60
57
Stülpnagel forderte ein Handeln des Kaisers „aus eigenem Willen" - ohne Bera-
ter. Vgl. STÜLPNAGEL, 70 Jahre ( w i e Anm. 55), S. 147 f.
58
SONNTAG, Schuld (wie Anm. 52), S. 45 Wilhelm II. verwendet in seinen Erinne-
rungen einigen Raum auf die Erwiderung des Fluchtvorwurfs. WILHELM II., Er-
eignisse und Gestalten 1878-1918, Leipzig 1922, S. 245 f.
59
Otto HAMMANN, Bilder aus der letzten Kaiserzeit, Berlin 1922, S. 134.
60
SCHMIDT-PAULI, Kaiser (wie Anm. 52), S. 284. Sonntag resignierte: „Das Opfer
ist umsonst gewesen". SONNTAG, Schuld (wie Anm. 52), S. 59.
61
Ebd., S. 71.
62
HF.RZ, Abdankung (wie Anm. 51 ), S. 53.
63
Ebd., S. 71.
64
Wilhelm II. zu Hugo Graf v. Lerchenfeld-Koefering, zit. u.a. in REVENTLOW,
Potsdam (wie Anm. 11), S. 472. Auf ähnliche Weise zum Nennwert genommen
wurde der unter Bezugnahme auf seinen Vorfahren Albert Achillles getätigte
Ausspruch Wilhelms II.: „Ich kenne keinen reputierlicheren Ort zu sterben, als in
der Mitte meiner Feinde" von 1891. Vgl. Johannes ZIEKURSCH: Politische Ge-
schichte des Neuen Deutschen Kaiserreichs. Bd. 3. München 1930, S.443 und
WENDEL, Karikatur (wie Anm. 49), S. 117.
65
ZIEKURSCH, Geschichte (wie Anm. 64), S. 442 f. und - ein „altpreußisches Hurra"
fordernd - LUDWIG, Wilhelm (wie Anm. 52), S. 328 f.
66
„Wilhelm II. ist aus seiner Staatsstellung bei Nacht und Nebel geflohen. Damit hat
er sich selbst der Anrechte [auf sein Vermögen, M.K.] begeben" formulierte typi-
scherweise ein „Frauenstimme" iiberschriebenes Flugblatt 1925, in: Rijksarchief
Utrecht, R14, Nr. 662. Regelmäßig wurde eine Verbindung zwischen dem hohen
Lebensstandard in Doorn und der „feigen Flucht" gezogen. Vgl. auch Lamar
CECIL, Wilhelm II. Bd. II., Chapel Hill 1996, S. 332.
67
Maximilian HARDEN in: Die Zukunft, 23.11. 1918. Nahezu identisch: HO-
HENLOHE, Leben ( w i e A n m . 30), S. 3 6 3 ; SCHÜSSLER ( w i e A n m . 54), W i l h e l m II.,
S. 121.
68
STÜLPNAGEL, 70 Jahre (wie Anm. 55), S. 11. Vgl. auch SCHREYER, Monarchismus
und monarchistische Restaurationsbestrebungen in der Weimarer Republik, in:
Jahrbuch fur Geschichte 29 (1984), S. 291-320, hier: S. 297 und Friedrich FRHR.
HILLER V. GAERTRINGEN, Monarchismus in der deutschen Republik, in: Michael
Stürmer, Die Weimarer Republik. Belagerte Civitas, Königstein/Ts. 1980, S. 254-
271, S . 260.
69
Schulenburg an Müldner v. Mülnheim [Adjutant des Kronprinzen Wilhelm], 29.7.
1919, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, 90 Mu 1 Nachlaß Müldner von Müln-
heim, Bd. 1, fol. 158f.
70
HOHENLOHE, Leben ( w i e Anm. 30), S. 381
71
Der Tag. 29.11. 1918.
72
Dies gilt insbesondere fur eine grundlegende Kritik an den vermeintlichen Aus-
wüchsen des Wilhelminismus. Durch sein Verhalten erscheint der Kaiser ein
letztes mal als Vemichter spezifisch preußischer Werte. Dieser Vorwurf kurz nach
dem 9.11. 1918 selbst bei KESSLER, Tagebuch (wie Anm. 1), S. 10 u. 12. Revent-
low spricht von „Innerer Schwächlichkeit": REVENTLOW, Potsdam (wie Anm. 11),
S. 470. Vgl. auch: REIBNITZ, Doorn (wie Anm. 30), S. 88, HOHENLOHE, Leben
(wie Anm. 30), S. 348 f. sowie WERNER, Abgesang (wie Anm. 5), S. 51.
73
REVENTLOW, Potsdam (wie Anm. 11), S. 466 u. 478. Zur Führerforderung durch
Reventlow vgl. dessen Werk - eine Antwort auf die Novemberkrise 1908 - „Der
Kaiser und die Monarchisten", Berlin 1908, S. 1 ff. Zur Instrumentalisierung der
Kaiserflucht durch die Nationalsozialisten: Martin KOHLRAUSCH: Die Deutung der
Flucht Wilhelms II. als Fallbeispiel der Rezeption des wilhelminischen Kaiser-
turns, in: Wolfgang Neugebauer/Ralf Pröve (Hg.): Agrarische Verfassung und po-
litische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700-1918, Berlin
1998, S. 3 2 5 - 3 4 7 , hier: S. 340.
74
Paul GRAF V. HOENSBROECH, Zurück zur Monarchie, Berlin 1919, S. 3 f.
75
REVENTLOW, Potsdam (wie Anm. 11), S. 467. So argumentierte Groener aus der
vorgeblichen Enttäuschung über die Flucht: „Mit einem solchen Monarchen hatte
ich nichts mehr zu tun, das ging über alle meine monarchische Überzeugung".
Dorothea GROENER-GEYER, General Groener. Soldat und Staatsmann, Frankflirt
a. M. 1 9 5 4 , S. 1 9 3 .
76
Chelius an Fürstenberg am 25.11. 1918, zit. nach HULL: Entourage (wie Anm.
12), S. 306. Erinnerungen von Graf Eberhard v. Schwerin, abgedruckt in:
NIEMANN, Revolution (wie Anm. 42), S. 455-463, hier S. 459; zu Arnim-Boit-
zenburg: Schreiben von Dietlof Graf v. Arnim Boitzenburg vom 15.12. 1918 und
26.1. 1919 in: Landesarchiv Magdeburg, Außenstelle Wernigerode, Rep H Ka-
row, Nr. 220, fol. 72. u. 98. Für den Hinweis danke ich Stephan MALINOWSKI.
77
Vgl. den Beitrag von Marcus FUNCK in diesem Band.
78
Dies war der Tenor der Erinnerungen WILHELMS II. ( w i e A n m . 58). REVENTLOW
bezeichnete Wilhelms II. Erinnerungen als „den schwersten Schlag für den mon-
archischen Gedanken", in: Der Reichswart Nr. 47 v. 25.11. 1922. Zur negativen
Aufnahme der Erinnerungen des Ex-Kaisers und des Kronprinzen: FRANZ, Mon-
archisten (wie Anm. 40), S. 169 f. und Sigurd v. ILSEMANN, Der Kaiser in Hol-
land. Aufzeichnungen des letzten Flügeladjutanten Kaiser Wilhelms II. aus
Amerongen und Doorn 1918-1923, München 1967, Bd. I, S. 264. Paul v. Hintze
kommentierte die Feier des 70. Geburtstages Wilhelms II. mit der Bemerkung:
„C'est le ridicule que tue". Zit. nach: Johannes HÜRTNER, Paul von Hintze: „Ma-
rineoffizier, Diplomat, Staatssekretär." Dokumente einer Karriere zwischen Mili-
tär und Politik 1903-1918, Göttingen 1998, S. 110. Auch HERZ, Abdankung (wie
Anm. 51 ), S. 77 f. vermißt bei Wilhelm II. jeglichen Ansatz zur Selbstkritik.
79
Dieses Phänomen zeigt sich schon in der Abdankungskrise. Vgl. die Tage-
buchaufzeichnungen Hintzes vom 29.10. 1918, in: HÜRTNER, Hintze (wie Anm.
78), S. 656. Zur Kritik der jüngeren Generation vgl. Dankwart GRAF V. ARNIM,
Ais Brandenburg noch die Mark hieß, Berlin 1991, S. 115, Marion GRÄFIN
DÖHNHOFF, Bilder, die langsam verblassen. Ostpreußische Erinnerungen, Berlin
1989, S. 36, und Ottfried G R A F V. FINCKENSTEIN, Nur die Störche sind geblieben.
Erinnerungen eines Ostpreußen, München 1994, S. 103.
80
„Die feste Stütze der Monarchie suche ich [...] in einem Königtum, dessen Träger
entschlossen ist, in kritischen Zeiten lieber mit dem Degen in der Faust auf den
Stufen seines Thrones für sein Recht zu kämpfend zu fallen, als zu weichen",
hatte Bismarck 1886 in einem „Lehrbrief an Prinz Wilhelm angemahnt. Das Zitat
findet sich in fast allen Abhandlungen zum 9. November. Vgl. etwa: Joachim v.
KÜRENBERG (alias Joachim v. Reichel), War alles falsch? Das Leben Kaiser Wil-
helms II, Bonn 2 1952. Zu den Königstodplänen vgl. generell CECIL, Wilhelm II.
(wie Anm. 66), S. 290.
81
Zu Delbrück vgl. LUDWIG, Wilhelm (wie Anm. 52), S. 327. THAER, Generalstabs-
dienst (wie Anm. 46), S. 251 f. Vgl. auch HEYE, Lebenserinnerungen (wie Anm.
48), S. 471.
82
Zum Plan von Michaelis dessen Sohn: Wilhelm MICHAELIS, Zum Problem des
Königstodes am Ende der Hohenzollemmonarchie, in: Geschichte in Wissenschaft
und Unterricht 13 (1962), S. 695-704.
83
Die Problematik der Quellen ist sehr überzeugend herausgearbeitet bei KAEHLER,
Untersuchungen (wie Anm. 43), S. 285 ff.
ser die Monarchie retten können. Groener etwa vermutete kurz nach
dem Krieg, dieser Fall hätte einen Umschwung der öffentlichen Mei-
nung bewirkt.84 Bezeichnenderweise reklamierte er die Urheberschaft
am „Königstodplan" noch einmal in einem von ihm selbst angestreng-
ten Ehrengericht für sich. Der ehemalige Generalquartiermeister kon-
terte auf diese Weise einen vorrangig von adligen Offizieren (v. d.
Schulenburg) vorgebrachten „Defätismusverdacht" im Rückblick auf
den 9. November 1918.85
Allerdings ist äußerst fraglich, ob das Herrscherverständnis, wel-
ches in der Forderung nach dem Königstod zutage tritt, wie Groener
behauptet, als traditionell - d.h. der monarchischen Überlieferung ent-
sprechend - bezeichnet werden kann. Zurecht hat Siegfried Kaehler in
seinem einschlägigen Aufsatz darauf aufmerksam gemacht, daß es
ausgerechnet der als Demokrat verschrieene homo novissimus Groener
war, der am entschiedensten, auch öffentlich, für diese Lösung einge-
treten sei.86 Und ebenso bemerkenswert sind die Argumente, die Gro-
ener bemüht. Der Kaiser müsse die Konsequenz aus dem verlorenen
Krieg ziehen, er habe die Verpflichtung, sich um der „monarchischen
Idee" willen zu opfern, und schließlich dürfe er sich nicht aus der
„Schicksalsgemeinschaft des Volkes ausschließen".87 Auffallig ist hier
die Instrumentalisierung der Person des Kaisers, wie sie zutage tritt in
der Überlegung, den Königstod für die Anfeuerung einer Levée en
masse zu nutzen, und wie sie vor allem in der Vorstellung eines für das
Fortleben der Monarchie notwendigen Todes des Trägers der Krone,
gleichsam eine Abwandlung der Lehre von den zwei Körpern des Kö-
nigs, zum Tragen kommt. 88
84
Groener in einer öffentlichen Stellungnahme in der Kreuzzeitung, vom 2.2. 1919.
85
Vgl. HEYE, Lebenserinnerungen ( w i e A n m . 48), S. 4 7 8 f.
86
KAEHLER, Untersuchungen (wie Anm. 43), S. 286. Auch andere Verfechter des
Gedankens - wie Heye und Michaelis - hatten einen bürgerlichen Hintergrund.
Bemerkenswert ist zudem, wie präsent der Gedanke vom Königstod auch in der
„bürgerlichen Flotte", im Kreis um Admiral Reinhard, war. Vgl. Willibald
GUTSCHE, Wilhelm II., Der letzte Kaiser des deutschen Reiches, Berlin 1991, S.
191
87
GROENER-GEYER, Soldat (wie Anm. 75), S. 96. Eine nahezu identische Auffas-
sung findet sich bei Emst Jünger mit Bezug auf Wilhelm II., der König [!] habe
die Pflicht zu sterben. „Das können die Unzähligen verlangen, die vor ihm in den
Tod gingen." Emst JÜNGER, Der Kampf als inneres Erlebnis, Berlin 1922, S. 52.
88
Andreas KRAUSE, Scapa Flow. Die Selbstversenkung der wilhelminischen Flotte,
Berlin 1999, S. 143 ff.
Vgl. hierzu: Hans ROSENBERG, Friedrich der Große in den Krisen des siebenjähri-
gen Krieges, in: Ders., Bismarck, der Osten und das Reich, Darmstadt 1960, S.
129-147.
90
So insistierte selbst der Verteidiger Wilhelms II., Graf Westarp: „Das Urteil der
Geschichte [...] kann an den König der Hohenzollerndynastie nur die höchsten
Ansprüche stellen." WESTARP, Ende (wie Anm. 44), S. 172.
91
Vgl. KAEHLER, Untersuchungen (wie Anm. 43), S. 290. Vgl. auch die Berichte bei
Finckenstein über die Verteidigungsbemühungen der älteren Generation:
FINCCKENSTEIN, Erinnerungen (wie Anm. 79), S. 103.
92
HERZ, Abdankung (wie Anm. 51 ), S. 6 f.
tionen unterscheiden lassen. Dies trifft zumal für das Offizierkorps zu,
in dem der Vorwurf der „Fahnenflucht" besonders relevant war.93 Der
Feststellung des notorischen Korvettenkapitäns Hermann Erhardt, die
Monarchie sei für ihn und seine Offiziere „erledigt" gewesen, nachdem
der Kaiser über die Grenze gegangen sei, lassen sich nur wenige Bei-
spiele entgegenstellen,94 wenn auch die Erhardtsche Feststellung da-
hingehend zu korrigieren ist, daß es weit stärker die Person Wil-
helms II. als die Institution Monarchie war, die durch die „Novembe-
rereignisse" im Offizierkorps endgültig diskreditiert war. Diese Kon-
stellation mußte gerade in einer Situation Bedeutsamkeit erlangen, in
der die unreflektierte Legitimation, die der Institution Monarchie im-
manent war, der Person des Monarchen nicht länger zur Verfügung
stand.95 Adlige und Bürgerliche teilten die Einsicht in den Mangel an
geeigneten Thronprätendenten - Ernst Feder sprach von einem anony-
men Monarchismus - ebenso wie die Überzeugung, daß ein solcher
93
SCHREYER, Monarchismus (wie Anm. 6 8 ) , S. 3 0 8 . Bezeichnenderweise wehrte
sich der Heidelberger Mediävist Karl Hampe in einer Auseinandersetzung mit
Max Weber gegen den Vorwurf der „Desertion". Folker REICHERT, Max Weber
im Ersten Weltkrieg, in Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 89 vom 17.4. 1999.
Vgl. a. Anm. 7 9 .
94
Zit. nach Johannes ERGER, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch. Ein Beitrag zur deutschen
Innenpolitik 1919/1920, Düsseldorf 1967, S. 20. Vgl. auch Hermann SCHREYER,
Monarchismus (wie Anm. 68), S. 292. Zur Ablösung des Offizierkorps, insbeson-
dere der jüngeren Offiziere, von Wilhelm II. vgl. die aussagekräftigen Beispiele
bei Wilhelm DEIST, Zur Geschichte des preußischen Offizierkorps 1888-1918, in:
Ders., Militär, Staat und Gesellschaft. Studien zur preußisch-deutschen Militärge-
schichte, München 1991, S. 45 f., der davon spricht, der oberste Kriegsherr sei fur
die Offiziere ein „belangloses Phänomen" geworden. Zur Ablösung der Offiziere
vom Kaiser vor dem 9.11. 1918 auch die Mitteilung von Siegfried A. Kaehler in
einem Brief an Meinecke vom 22.1. 1919, in: Friedrich ME[NECKE, Ausgewählter
Briefwechsel, hg. v. Ludwig Dehio und Peter Classen, Stuttgart 1962, S. 332. An-
stelle der Loyalität zum Herrscher war die Nation zum Bezugspunkt geworden,
der auch eine insbesondere im Adel lange überdauernde spezifisch preußisch-
monarchische Loyalität überlagerte. Vgl. BOCKENFÖRDE, Recht, S. 309 f. Zur
Loyalitätsverschiebung von der Monarchie zur Nation im Offizierskorps vgl.
GUTH, Loyalitätskonflikt (wie Anm. 43), S. 40 f.
95
In diesen Kontext gehört die merkwürdige Tatsache, daß der Kaiser seine Memoi-
ren verfassen zu müssen glaubte, nicht zuletzt um hier dem Vorwurf der „feigen
Flucht" entgegenzutreten. Bis dato war ein solches Vorgehen für gekrönte Häup-
ter durchaus unüblich und belegt somit erneut nicht nur die Profanisierung des
Monarchen, sondern auch den selbstverständlich gewordenen Rechtfertigungs-
druck. Insofern steht die Deutung der Flucht sichtbar in der oben aufgezeigten
Kontinuität der Monarchenrezeption unter Wilhelm II. Vgl. Anm. 78.
„von den breiten Schultern des ganzen Volkes getragen" werden müs-
101
Die Forderung nach einem Führer wird im späten Kaiserreich immer lauter, der
Bezug auf die Person des Monarchen bleibt freilich uneindeutig. Vgl. etwa: Her-
mann ONCKEN, Der Kaiser und die Nation. Rede bei dem Festakt der Universität
Heidelberg zur Erinnerung an die Befreiungskriege und zur Feier des 25-jährigen
Regierungsjubiläums Kaiser Wilhelms II., Heidelberg 1913. Ein extremes Bei-
spiel für die Ablösung vom Monarchen, die in der Forderung nach einem neuen
Führerstil, wenn nicht nach einem neuen Führer zum Tragen kommt bietet das
Kapitel „Der Kaiser als Führer", in: David FRYMANN, (d. i. Heinrich Claß), Wenn
ich der Kaiser wär'. Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten, Leipzig s 1914,
S. 227. Vgl. auch den Artikel „Cäsarismus" in: Geschichtliche Grundbegriffe. Hi-
storisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. Otto
Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck, Bd. I., S. 726-771, hier: S. 728 u.
756.
102
Bernd SÖSEMANN, Der Verfall des Kaisergedankens im Ersten Weltkrieg, in:
Röhl, Ort (wie Anm. 21), S. 145-172, hier: S. 153 ff. Insbesondere die Entlassung
Alfred v. Tirpitz' erregte nachhaltige Verstimmung: „Tirpitz dismissal was a mi-
lestone in the disaffection of the German right [...] from the Kaiser [...] and the
monarchic system". So jüngst: Raffael SCHECK, Alfred von Tirpitz and the Ger-
man Right-Wing Politics 1914-1930, New York 1998, S. 43.
103
Vgl. Die Ursachen des deutschen Zusammenbruchs im Jahre 1918, unter Mitar-
beit v. Eugen Fischer und Walter Bloch i. A. des Vierten Untersuchungsausschus-
ses, hg. v. Albrecht Philipp, Berlin 1925, Bd. 5, S. 130 f. Wilhelm DEIST, Kaiser
Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr, in: Röhl, Ort (wie Anm. 21), S. 25-42. Zu
Bethmann Hollwegs Idee eines Volkskaisertums vgl. FEHRENBACH, Wandlungen
(wie Anm. 24), S. 218.
104
RETALLACK, N o t a b l e s ( w i e A n m . 30), S. 219.
105
Bericht des Majors v. Weiß, zit. nach DEIST, Innenpolitik II, Nr. 332, S. 846 f.
Anm. 5.
106
Ebd., Nr. 425 u. Nr. 1136.
107
Gustav STRESEMANN, Vermächtnis, Bd. 1, Berlin 1932, S. 13.
108
Gerhard SCHULZE-PFAELZER, Von Spa nach Weimar. Die Geschichte der deut-
schen Zeitenwende. Leipzig/Zürich 1929, S. 34. Es paßt ins Bild, daß Theodor
Eschenburg von der Figur Hindenburg nicht nur als von einem „Ersatzkaiser"
sondern auch von dem „heimlichen, aber wirklichen Kriegskaiser" gesprochen
hat. Theodor ESCHENBURG, Die improvisierte Demokratie. Ein Beitrag zur Ge-
schichte der Weimarer Republik, in: Ders., Die improvisierte Demokratie. Ge-
sammelte Aufsätze zur Weimarer Republik, München 1964, S. 53, 31.
109
Wulf WÜLFING/Karin BRUNS/Bernd PARR, Historische Mythologie der Deutschen
1798-1918, München 1991, S. 181 f.
1 1 0
SCHULZE-PFAELZER, S p a ( w i e A n m . 1 0 8 ) , S . 3 3 .
111
Zur Forderung nach Führertum schon im Kaiserreich s. Anm. 73. Vgl. a. Paul v.
ROHRBACH, Monarchie, Republik und politische Parteien in Deutschland, Stutt-
gart 1920, S. 5 ff.
112
Walther LAMBACH, Politische Wochenschrift fur Volkstum und Staat 4 ( 1 9 2 8 ) ,
S. 4 9 5 - 4 9 7 .
113
Politisches Handwörterbuch (Führer-ABC), hg. v. M. WEIß, Berlin 1928, S. 944.
114
Vgl. Peter FRITZSCHE, Presidential Victory and Popular Festivity in Weimar Ger-
many: Hindenburg's 1925 Election, in: Central European History 23 (1990),
S. 205-224 und Rolf PARR, „Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust". Struktu-
ren und Funktionen der Mythisierung Bismarcks, München 1992, S. 89 f. Zu den
gescheiterten Kaiserkonzepten vgl. John RÖHL, Defizite des Kaiser-Konzepts.
Wilhelm II. im Wandel der politischen Institutionen und Politikfelder nach Bis-
marcks Entlassung, in: Heinz Reif (Hg.), Adel und Bürgertum in Deutschland I.
Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 331-
355.
115
„Der allverehrte Generalfeldmarschall und sein Generalquartiermeister haben vor
Gott und der Geschichte zu verantworten, was sie am 9. November, dem dunkel-
sten Tag deutsch-preußischer Geschichte, ihrem kaiserlichen Herrn geraten und
gemeldet haben", kritisierte Schulenburg in einer Denkschrift vom 26.8. 1919,
abgedruckt in NIEMANN, Revolution (wie Anm. 42), S. 350-365, hier S. 365. Eie
sehr ähnlich begründete Kritik findet sich noch bei HUBER, Verfassungsgeschichte
(wie Anm. 40), S. 668 f.
116
Vgl. Wilhelm II. an Dommes, 21.8. 1922, abgedruckt in: ILSEMANN, Aufzeich-
nungen (wie Anm. 78), Bd. I., S. 317. Vgl. auch ein in hoher Auflage erschiene-
nes „Merkblatt", welches das „Schuldeingeständnis" Hindenburgs publik machen
sollte: Rijksarchief Utrecht, Bestand Wilhelm II., unsortiert, sowie den Abdruck
des frühen Briefwechsels zwischen Hindenburg und Wilhelm II. in dessen Erinne-
rungen (wie Anm. 58), S. 249.
117
Hindenburg an Wilhelm II. am 2 8 Juli 1 9 2 2 , abgedruckt in NIEMANN, Revolution
(wie Anm. 4 2 ) , S. 4 7 2 .
118
Zur „Fluchtbewältigung" von Doorn aus vgl. die „Notizen über die Vorgänge im
Oktober und November", welche Sigurd v. Ilsemann für das Hohenzollern'sche
Hausministerium in Berlin verfaßte, Rijksarchief Utrecht, Bestand Wilhelm II.,
unsortiert. Vgl. auch die - freilich fruchtlosen - Versuche einer Koordinierung der
monarchistisch-loyalen Bemühungen von Friedrich v. Berg und später Magnus v.
Levetzow. Berg richtete 1926 auf „Allerhöchste Ordre" eine Propagandastelle zur
„Bearbeitung der Presse bis weit nach links ein", deren Ziel es sei, „der ungezü-
gelten Agitation der Linksparteien [...] einen Damm entgegenzusetzen." Zit. nach:
John C.G. RÖHL, Der „Königsmechanismus" im Kaiserreich, in: Ders., Kaiser
(wie Anm. 21), S. 116-141, hier Anm. 10 (S. 254). In den Monaten zuvor hatte im
Zusammenhang mit der Fürstenenteignung das Thema der „Kaiserflucht" eine
enorme Brisanz erhalten. Vgl. Rijksarchief Utrecht, R14, Nr. 662. Levetzow ar-
beitete direkte Richtlinien aus, mit denen der "Doorner H o f die Flucht verteidi-
gen sollte: Gerhard GRANIER: Magnus von Levetzow. Seeoffizier, Monarchist und
Wegbereiter Hitlers. Lebensweg und ausgewählte Dokumente. Boppard/Rhein
1982, S. 345 ff.
119
So notierte etwa v. Einem im Weltkrieg mit Genugtuung, daß sich Wilhelm II.
gegenüber Hindenburg „ehrerbietig" gezeigt habe. DEIST, Innenpolitik (wie Anm.
105), Nr. 425, S. 1137.
IV. Resümee
120
Zu den starken cäsaristischen Elementen des wilhelminischen Kaisertums vgl.
Artikel „Cäsarismus" (wie Anm. 101), S. 768 ff, Zitat ebd., S. 769.
121
Zit. nach Roswitha BERNDT, Monarchisch-restaurative Organisationen im Kampf
gegen die bürgerlich-parlamentarische Staatsform der Weimarer Republik, in: Je-
In diesem Kontext ist auf den jüngst von Klaus Schreiner beschrie-
benen politischen Messianismus hinzuweisen, definiert als Sehnsucht
„nach einem starken Mann, der, ausgestattet mit der Autorität und dem
Sendungsbewußtsein eines messianischen Führers, in Politik, Wirt-
schaft und Gesellschaft eine Wende zum Besseren herbeifuhrt." 122 In
ihrer Intensität können diese Sehnsüchte wohl nur vor dem Hinter-
grund eines schon lange vor dem 9. November 1918 „vagabundieren-
der Monarchismus" verstanden werden - wie er etwa im Kaiserbuch
von Heinrich Claß auftrat. 123 Anklänge an die überzogenen wilhelmi-
nischen Versprechungen sind in den messianischen Phantasien nach
1918 deutlich zu erkennen: „Daß das Problem der Führerschaft und
Gefolgschaft [...] einem Volke, das durch Krieg und Revolution seine
bisherigen politischen Führerschaften auf allen Lebensgebieten zum
Teil beraubt ist, auf der Seele brennen muß, das ist selbstverständlich",
glaubte etwa Max Scheler.124 Wenn selbst der Adjutant des Kronprin-
zen, Ludwig Müldner v. Mülnheim, 1923 konstatierte, daß ein solcher
Führer „augenblicklich noch kein Hohenzoller sein kann, sondern nur
irgendein Mann mit fester Hand und einem mehr oder weniger gut
sitzenden Cut", unterstreicht dies noch einmal die Ablösung von der
Hohenzollernmonarchie, von der Monarchie überhaupt bis weit in den
Kern des ostelbischen Adels hinein.125 Auch für den Großteil des
Adels war der Herrscher eine politische Größe neben anderen gewor-
126
Das Ende der Monarchie habe den Familien des Adels „von heute auf morgen die
Grundlage entzogen" klagte mit typischem Tenor etwa Rudolf-Christof FRHR. V.
GERSDORFF, Soldat im Untergang, Frankfurt a.M. 1979, S. 26. Vgl. die vielfälti-
gen Belege insbesondere für den ostelbischen Adel bei ROGALLA V. BIEBERSTEIN,
Adel (wie Anm. 6), S. 248 f. und jetzt reflektiert bei Marcus FuNCK/Stephan
MALINOWSKI, Geschichte von oben. Autobiographien als Quelle einer Sozial- und
Kulturgeschichtegeschichte des deutschen Adels in Kaiserreich und Weimarer
Republik, in: Historische Anthropologie 7 (1999), S. 236-270, hier v. a. S. 260-
266.
127
Die Trauer äußerte sich regelmäßig stark nostalgisierend und wurde sentimental
vorgetragen. Vgl. etwa die Klage Oldenburg-Januschaus, es sei „eine Welt" ein-
gestürzt, mit allem „was der Inhalt meines Lebens gewesen war" und was seine
Eltern ihn von „Kindesbeinen an zu verehren gelehrt" hätten. Elard V. OL-
DENBURG-JANUSCHAU, Erinnerungen (wie Anm. 36), S. 208. Typischerweise
wurde bei adligen Familienfeiern etc. des Kaisers gedacht, ohne das hieraus eine
monarchistische Aktivität abgeleitet wurde. Vgl. die Erinnerungen von Alexander
STAHLBERG, Als Preußen noch Preußen war. Erinnerungen, Berlin/Frankfurt a. M.
1992, S. 94 u. 131; Philipp Franz FÜRST z u SALM-HORSTMAR, Ein fürstliches Le-
ben. Mein Leben, meine Arbeit, meine Erkenntnisse, Dülmen 1994, S. 281, Ger-
hard V. JORDAN, Unser Dorf in Schlesien, Berlin 1987, S. 203.
128
Vgl. HERZ, Abdankung ( w i e Anm. 51), S. 10.
129
Arne HOFMANN, „Wir sind das alte Deutschland, Das Deutschland wie es war..."
Der „Bund der Aufrechten" und der Monarchismus in der Weimarer Republik,
Frankfurt a. M. u. a. 1998, S. 60 f. kann sogar nachweisen, daß die Werbeversu-
che des Bundes der Aufrechten in adligen Kreisen ein ausgesprochener „Mißer-
folg" waren. Vgl. auch: BERNDT, Organisationen (wie Anm. 121), S. 15-27, hier
insbesondere S. 18 ff. Im Gegensatz zu diesen Befunden steht die - freilich unbe-
legte - These bei ROGALLA V. BIEBERSTEIN, Adel (wie Anm. 6), S. 259, der Adel
habe „in der Monarchie nach wie vor das Heil gesehen." Zur Präsenz Adliger in
den völkischen Bewegungen siehe den Beitrag von Stephan MALINOWSKI in die-
sem Band.
130
HILLER V. GAERTRINGEN, M o n a r c h i s m u s ( w i e A n m . 6 8 ) , S . 2 6 2 .
131
Zeitgenossen erkannten diese Problematik durchaus: vgl. zum Dilemma des Mon-
archen: HOHENLOHE, Leben (wie Anm. 30), S. 358, zum adligen Dilemma:
FRYMANN, Kaiser (wie Anm. 101), S. 212, der von einer „Zwickmühle" in wel-
cher der Adel sich befinde, sprach.
5
So Walther v. Altrock, langjähriger Generalsekretär des Landes-Ökonomie-Kol-
legiums, zit. nach Jens FLEMMING, Landwirtschaftliche Interessen und Demokra-
tie. Ländliche Gesellschaft, Agrarverbände und Staat 1890-1925, Bonn 1978, S.
161.
6
Vgl. Axel SCHILDT, Konservatismus in Deutschland. Von den Anfangen im 18.
Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1998, S. 131 ff.
7
Werner v. RHEINBABEN, Kaiser, Kanzler, Präsidenten, Mainz 1968, S. 165.
Rheinbaben wurde 1920 auf der Liste der DVP in den Reichstag gewählt und war
1923 zeitweilig Staatssekretär in der Reichskanzlei.
8
Francis L. CARSTEN, Reichswehr und Politik 1918-1933, Köln/Berlin 21965,
S. 13; DERS., A History of the Prussian Junkers, Hants/Vermont 1 9 8 9 , S. 1 5 2 ; vgl.
Arnold J. MAYER, Adelsmacht und Bürgertum. Die Krise der europäischen Ge-
sellschaft 1 8 4 8 - 1 9 1 4 , München 1 9 8 8 ; Johannes ROGALLA V. BIEBERSTEIN, Adels-
herrschaft und Adelskultur in Deutschland, Frankfurt/M. 1989, S. 290.
9
Hans Olof V. ROHR, Qui Transtulit. Eine Stammreihe der von Rohr, Hannover
1 9 6 3 , S. 1 6 ; vgl. Johannes ROGALLA V. BIEBERSTEIN, Adel und Revolution
1918/19, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialge-
schichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, hg. v. Mitarbeitern
und Schülern, Göttingen 1982, S. 243-259.
10
Für den Staatsapparat als Überblick Wolfgang ELBEN, Das Problem der Konti-
nuität in der deutschen Revolution. Die Politik der Staatssekretäre und der militä-
rischen Führung von November 1918 bis Februar 1919, Düsseldorf 1965.
11
Vgl. etwa Henry Ashby TURNER JR., „Alliance of Elites" as a Cause of Weimar's
Collapse and Hitler's Triumph?, in: Heinrich August Winkler (hg. unter Mitarbeit
v. Elisabeth Müller-Luckner), Die deutsche Staatskrise 1930-1933. Handlungs-
spielräume und Alternativen, München 1 9 9 2 , S. 2 0 5 - 2 1 4 u. Wolfgang ZOLLITSCH,
Adel und adlige Machteliten in der Endphase der Weimarer Republik. Standespo-
litik und agrarische Interessen, in: ebd., S. 239-256.
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Der Putsch der „Prätorianer, Junker und Alldeutschen 105
12
Vgl. etwa Eberhard KOLB, Die Weimarer Republik, München 21988.
13
Die soziale und politisch-kulturelle Spannbreite des Adelsbegriffs im Deutsch-
land des ausgehenden 19. Jahrhunderts wird idealtypisch angedeutet in der Ge-
genüberstellung eines westlich-grundherrschaftlichen und katholisch-zentrumso-
rientierten Adelstypus auf der einen und eines ostelbisch-gutsherrschaftlichen und
royalistisch-konservativen Adelstypus auf der anderen Seite von Heinz REIF, Der
katholische Adel Westfalens und die Spaltung des Adelskonservatismus in Preu-
ßen während des 19. Jahrhunderts, in: Karl Teppe (Hg.), Westfalen und Preußen,
Paderborn 1991, S. 107-124. Hinzuweisen ist auch darauf, daß für die ostelbi-
schen Provinzen die Begriffe „Adel" und „Junker" in diesem Zeitraum nicht mehr
synonym waren, weil die Grenzen des adligen und bürgerlichen Großgrundbesit-
zes fließend geworden waren.
14
Hartwin SPENKUCH, Das Preußische Herrenhaus. Adel und Bürgertum in der
Ersten Kammer des Landtages 1854-1918, Düsseldorf 1998, S. 27, 29.
15
Ernst-Wolfgang BÖCKENFÖRDE, Der Zusammenbruch der Monarchie und die
Entstehung der Weimarer Republik, in: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hg.), Die
Weimarer Republik 1918-1933. Politik - Wirtschaft - Gesellschaft, Düsseldorf
1987, S. 17-43 (Zit. S. 22).
16
Dolores L. AUGUSTINE, Die wilhelminische Wirtschaftselite, Phil. Diss. (FU)
Berlin 1991; vgl. zuletzt Morten REITMAYER, „Bürgerlichkeit" als Habitus. Zur
Lebensweise deutscher Großbankiers im Kaiserreich, in: Geschichte und Gesell-
schaft 2 5 ( 1 9 9 9 ) , S. 9 4 - 1 2 2 .
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106 Axel Schildt
17
Spenkuch, Herrenhaus (wie Anm. 14), S. 153.
18
Walter GÖRLITZ, Die Junker. Adel und Bauer im deutschen Osten. Geschichtliche
Bilanz von 7 Jahrhunderten, Glücksburg 1956, S. 331.
19
Joachim v. Dissow (d.i. Johann Albrecht v. Rantzau), Adel im Übergang. Ein
kritischer Standesgenosse berichtet aus Residenzen und Gutshäusern, Stuttgart
u.a. 1961, S. 69. Vgl. zu dieser Dimension adliger Höherwertigkeit Hans-Ulrich
WEHLER, Einleitung, in: ders. (Hg.), Europäischer Adel 1750-1950, Göttingen
1990.
2 0
ROGALLA v . BIEBERSTEIN, A d e l s h e r r s c h a f t ( w i e A n m . 8 ) , S. 3 2 .
21
Iris FREIFRAU V. HOYNINGEN-HUENE, Adel in der Weimarer Republik. Die recht-
lich-soziale Situation des reichsdeutschen Adels 1918-1933, Limburg 1992, S.
15; zu den genauen Regelungen ebd., S. 29 ff. Vgl. auch ebd., S. 11 ff. zur Defi-
nition des Adels bis 1918.
22
Vgl. Georg Η. KLEINE, Adelsgenossenschaft und Nationalsozialismus, in: Vier-
teljahreshefte für Zeitgeschichte 26 (1978), S. 100-143; Dieter FRICKE/Udo
RößLiNG, Deutsche Adelsgenossenschaft 1874-1945, in: Dieter Fricke u.a. (Hg.),
Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien
und Verbände in Deutschland (1789-1945), Bd. 1, Köln 1983, S. 530-543.
23
Allerdings gab es ständig latente Gegensätze zwischen der mit Sozialdemokraten
und Linksliberalen koalitionsbereiten Parteiführung des Zentrums und dem Verein
katholischer Edelleute; vgl. Der katholische Adel und das Zentrum, in: NPZ, Nr.
123 vom 7.3. 1920.
24
Wolfram PYTA, Dorfgemeinschaft und Parteipolitik 1918-1933. Die Verschrän-
kung von Milieu und Parteien in den protestantischen Landgebieten Deutschlands
in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1996, S. 174.
25
Vgl. nach wie vor Hans-Joachim SCHWIERSKOTT, Arthur Moeller van den Bruck
und der revolutionäre Nationalismus in der Weimarer Republik, Göttingen u.a.
1962; Gerhard SCHULZ, Der „Nationale Klub von 1919" zu Berlin, in: Jahrbuch
für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 11 (1962), S. 207-237; Joachim
PETZOLD, Wegbereiter des deutschen Faschismus. Die Jungkonservativen in der
Weimarer Republik, Köln 1978, S. 99 ff.
26
HOYNINGEN-HUENE, Adel (wie Anm. 21 ), S. 99.
27
Vgl. Fritz Günther v. TSCHIRSCHKY, Erinnerungen eines Hochverräters, Stuttgart
1972, S. 58 f.; FLEMMING, Landwirtschaftliche Interessen (wie Anm. 5), S. 226 f.
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108 Axel Schildt
28
Brief von Wilhelm GROENER an seine Frau vom 17.11.1918, in: ders., Lebenser-
innerungen. Jugend, Generalstab, Weltkrieg. Hg. von Friedrich Freiherr Hiller von
Gaertringen, Göttingen 1957, S. 471 f.
2 9
DLSSOW, Adel (wie Anm. 19), S. 25.
30
Walter FREIHERR V. KEYSERLINGK, Widernatürlicher Soldatenstand, in: N P Z
Nr. 111 vom 1.3. 1920.
31
Kabinettsitzung vom 30.12. 1919, in: Das Kabinett Bauer vom 21. Juni 1919 bis
27. März 1920 (Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik), bearb. v. Anton
Golecki, Boppard am Rhein 1980, S. 500 f.
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Der Putsch der „Prätorianer, Junker und Alldeutschen 109
32
Die Titelfrage, in: NPZ Nr. 21 vom 12.1. 1920.
33
Der Raub am preußischen Königshause vor der Landesversammlung, in: NPZ
Nr. 115 vom 3.3. 1920.
34
Oswald SPENGLER, Preußentum und Sozialismus, München 1920, S. 102.
35
Eduard STADTLER, Weltrevolutions-Krieg, Düsseldorf 1937, S. 154 ff.; vgl. auch
ders., Die Diktatur der sozialen Revolution. Ein parteifreies Aktionsprogramm zur
Überwindung der Anarchie in Deutschland, o.O./o.J. (Berlin 1920).
36
Jens FLEMMING, Landwirtschaftliche Interessen (wie Anm. 5), S. 161 ff.; zu den
regionalen Entwicklungen ebd., S. 1 9 8 ff; vgl. neuerdings Stephanie MERKENICH,
Grüne Front gegen Weimar. Reichs-Landbund und agrarischer Lobbyismus 1918-
1933, Düsseldorf 1998.
schau, dem bei der Rückkehr auf sein ostpreußisches Gut „der Geist
der Auflehnung" in Gestalt eines Knechtes begegnete: „In dem Gefühl,
daß hier auf meinem eigenen Grund und Boden schnell, persönlich und
kräftig gehandelt werden müsse, nahm ich einen handfesten Knoten-
stock und begab mich auf das Feld, wo auch der erwähnte Knecht ar-
beitete. Ich trat auf ihn zu, nahm ihn beim Ohr und fragte ihn: ,Wer
regiert in Januschau?' Als er nicht antwortete, schrie ich ihn an: ,Ich
hau dich in die Fress', daß du Kopp stehst.' Diese Sprache verstand er.
Sein Mut verließ ihn, und er bezeichnete mich als den Herrn. Das ge-
genseitige Vertrauensverhältnis war wieder hergestellt. [...] Damit war
die Revolte in Januschau erledigt." Nicht überall ging es wohl in der
Form so schlicht zu, aber im Resultat festigten sich die überkommenen
ostelbischen Besitz- und Machtstrukturen sehr rasch.37
37
Elard v. OLDENBURG-JANUSCHAU, Erinnerungen, Leipzig 1936, S. 208 f.; als
Beispiel für ein etwas dezenteres, aber gleichwohl ähnlich selbstbewußtes Auf-
treten Sieghart GRAF ARNIM, Dietlof Graf Arnim-Boitzenburg (1867-1933). Ein
preußischer Landedelmann und seine Welt im Umbruch von Staat und Kirche,
Limburg 1998.
38
Helge MATTHIESEN, Konservatives Milieu in Demokratie und Diktatur. Eine
Fallstudie am Beispiel der Region Greifswald in Vorpommern 1900-1990, Phil.
Diss. Göttingen 1998, S. 59.
39
Vgl. diesbezüglich die einstimmig angenommene Entschließung der 27. General-
versammlung des Bundes der Landwirte, in: Korrespondenz des Bundes der
Landwirte, Nr. 8 vom 17.2. 1920; als illustratives Beispiel die Schilderung über
das Verhalten der von der Marwitz bei GÖRLITZ, Junker (wie Anm. 18), S. 326 f.;
aufschlußreich auch die Erlebnisse eines demokratischen Landrats im ostpreußi-
schen Kreis Rosenberg Anfang 1921, dok. in Jens FLEMMING u.a. (Hg.), Die Re-
publik von Weimar, Bd. 1: Das politische System, Königstein/Ts./Düsseldorf
1979, S. 60-63; Jens FLEMMING, Die Bewaffnung des „Landvolks". Ländliche
Schutzwehren und agrarischer Konservatismus in der Anfangsphase der Weimarer
Republik, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 26 (1979), S. 7-36.
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Der Putsch der „Prätorianer, Junker und Alldeutschen 111
40
Ignaz WROBEL (d.i. Kurt Tucholsky), Preußische Studenten, in: Die Weltbühne 2
(1919), S. 532-536; auch in Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, Bd. 2, Reinbek
1975, S. 87.
41
Vgl. die Dokumente in: Zwischen Revolution und Kapp-Putsch. Militär und
Innenpolitik 1918-1920, bearb. v. Heinz Hürten, Düsseldorf 1977, S. 252 ff.
42
Gemeinsame Sitzung des Reichskabinetts mit dem Preußischen Staatskabinett am
4.12. 1919, in: Das Kabinett Bauer (wie Anm. 31), S. 457; Reichswehrminister
Gustav Noske suchte dies mit Hinweis auf Aussagen des sozialdemokratischen
Oberpräsidenten August Winnig zu entkräften, der sich zufrieden über die Zu-
sammenarbeit mit den militärischen Instanzen gezeigt habe; Winnig schloß sich
im März 1920 den Putschisten an.
43
Ulrich HEINEMANN, Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und
Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik, Göttingen 1983; vgl. Anneliese
THIMME, Flucht in den Mythos. Die Deutschnationale Volkspartei und die Nie-
derlage von 1918, Göttingen 1969.
44
Unmißverständlich war die öffentliche Stellungnahme des Reichskanzlers zur
Auslieferungsfrage anläßlich eines Presseempfangs in der Reichskanzlei am 5.2.
1920, in: Das Kabinett Bauer (wie Anm. 31 ), S. 576 ff. (Zitat: S. 579).
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112 Axel Schildt
45
General der Kavallerie v. KLEIST, Die Unmöglichkeit der Auslieferungen, in:
NPZ Nr. 18 vom 10.1. 1920; die Pressekampagne zog sich über Wochen hin; vgl.
etwa Massenkundgebungen gegen die Auslieferung, in: NPZ, Nr. 46 vom 26.1.
1920; Deutschlands tiefste Erniedrigung, in: NPZ Nr. 65 vom 5.2. 1920; Gegen
die Auslieferungsschmach. Erklärung des Deutschen OfFiziersbundes und des
Nationalverbandes Deutscher Offiziere, in: NPZ Nr. 68 vom 6.2. 1920; vgl. auch:
Zur Auslieferungsfrage. Überreicht von der Vermittlungsstelle Vaterländischer
Verbände, Berlin 1920; Sollen wir der Entente deutsche Männer zur Aburteilung
ausliefern?, o.O./o.J. (Berlin 1920) - beide Broschüren in Kopie im Archiv der
Forschungsstelle fur Zeitgeschichte in Hamburg (FZH), 285-3.
46
(Seinerzeit) Deutsches Zentralarchiv Potsdam, Ausschußsitzung des AV vom
14./15.2. 1920 in Berlin (Kopie in FZH, 412-2).
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Der Putsch der „Prätorianer, Junker und Alldeutschen 113
47
Vgl. grundlegend die Interpretation von Johannes ERGER, Der Kapp-Lüttwitz-
Putsch. Ein Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1919/20, Düsseldorf 1967; zum Ab-
lauf auch J. BENOIST-MÉCHIN, Jahre der Zwietracht. 1919-1925, Olden-
burg/Hamburg 1965, S. 80 ff.
48
CARSTEN, Reichswehr, S. 92 ff.; bisweilen ist die taktisch bedingte Zurückhaltung
gegenüber dem Putsch von hohen Offizieren in der älteren Literatur zur prinzipi-
ellen Gegnerschaft stilisiert worden (vgl. etwa Carl GUSKE, Das politische Denken
des Generals von Seeckt, Lübeck 1971, S. 186 ff.; vgl. dagegen die psychologisch
feinsinnige Charakterisierung von Golo MANN, Deutsche Geschichte 1919-1945,
Frankfurt/M. 1961, S. 21).
49
Hans MEIER-WELCKER, Seeckt, Frankfurt/M. 1967, S. 254.
50
Vgl. die Selbstdarstellung von Gustav NOSKE, Von Kiel bis Kapp. Zur Geschichte
der deutschen Revolution, Berlin 1920; kritisch zur Rolle des Wehrministers
Wolfram WETTE, Gustav Noske. Eine politische Biographie, Düsseldorf 1987, S.
637 ff.
51
Dies galt etwa für eine der seinerzeit größten rechtsextremen Organisationen Uwe
LOHALM, Völkischer Radikalismus. Die Geschichte des Deutschvölkischen
Schutz- und Tnitzbundes 1919-1923, Hamburg 1970, S. 190 ff.
52
Der angebliche Putschversuch, in: NPZ, Nr. 134 vom 13.3. 1920; vgl. in gleichem
Sinne Kuno GRAF WESTARP, Helfferich, in: Hans von Arnim/Georg von Below
(Hg.), Deutschnationale Köpfe. Charakterbilder aus der Vergangenheit und Ge-
genwart der rechtsstehenden Parteien, Leipzig/Wien 2 1928, S. 371-385 (hier S.
383).
53
ERGER, K a p p - L ü t t w i t z - P u t s c h ( w i e A n m . 4 7 ) , S. 1 2 9 f.; Jan STRIESOW, Die
Deutschnationale Volkspartei und die Völkisch-Radikalen 1918-1922, Frank-
furt/M. 1981, Bd. 1,S. 169 f.
54
Abgedruckt in ERGER, Kapp-Lüttwitz-Putsch (wie Anm. 47), S. 324-326.
55
Vgl. Ludwig Franz GENGLER, Die deutschen Monarchisten 1919-1925. Ein Bei-
trag zur Geschichte der politischen Rechten von der Novemberrevolution 1918 bis
zur ersten Übernahme der Reichspräsidentschaft durch Generalfeldmarschall von
Hindenburg, Phil. Diss. Erlangen 1932, S. 75 ff.
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Der Putsch der „Prätorianer, Junker und Alldeutschen 115
teilt; er galt ihr als plebejische Massenaktion, die auf die Zustimmung
der Parteien schielte. 56
56
Vgl. jetzt die Studie von Arne HOFMANN, „Wir sind das alte Deutschland, Das
Deutschland, wie es war..." Der „Bund der Aufrechten" und der Monarchismus in
der Weimarer Republik, Frankfurt/M. u.a. 1998, S. 71 ff.
57
Das Kabinett Bauer (wie Anm. 31), S. 670 ff.; vgl. zur Rolle der Marine im
Kapp-Lüttwitz-Putsch Werner RAHN, Reichsmarine und Landesverteidigung
1919-1928. Konzeption und Führung der Marine in der Weimarer Republik,
München 1976, S. 51 ff.; Gerhard GRANIER, Magnus von Levetzow. Seeoffizier,
Monarchist und Wegbereiter Hitlers. Lebensweg und ausgewählte Dokumente,
Boppard 1983, S. 70 ff.
58
Detlef BALD, Der deutsche Offizier. Sozial- und Bildungsgeschichte des deut-
schen Offizierskorps im 20. Jahrhundert, München 1982, S. 21 ff., 39ff., 85 ff.;
vgl. HOYNINGEN-HUENE, Adel (wie Anm. 21), S. 267 ff.
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116 Axel Schildt
anteil dieser Liste - über ein Viertel - liegt etwas über dem Anteil des
Adels bei den Offizieren der Reichswehr. 59
Für das Verständnis des Kapp-Lüttwitz-Putsches - auch hinsicht-
lich des hier behandelten Aspekts - ist die Betrachtung der Freikorps
unerläßlich. Die im zweiten Halbjahr 1919 anschwellende rechte Welle
ging einher mit der Verstärkung der Freikorps durch die vom „Kampf
gegen den Bolschewismus" 60 im Baltikum zurückgekehrten Truppen,
die sich nun in den ostelbischen Provinzen sammelten. Freikorps und
mit diesen über personelle Netzwerke verbundene nationalistische
Wehrverbände 61 errangen an vielen Orten die hegemoniale Macht. Die
Marinebrigade Ehrhardt, die am 13. März 1920 in Berlin einmarschier-
te und das militärische Zentrum des Putsches bildete, 62 verkörperte
besonders deutlich den schon bald metaphysisch überhöhten „Frei-
korpsgeist", eine Melange aus Weltkriegserlebnis, Frontkameradschaft,
Führergedanke und „Frontstellung gegen das bürgerliche Zeitalter",
eine Ideologie, in welcher die „Gestalt des Bourgeois" als der „eigent-
liche Gegner" fungierte. 63 Solche rechtsextremen antibürgerlichen
Affekte - die ja durchaus in Traditionen der wilhelminischen Kultur
Emil Julius GUMBEL, Verschwörer. Zur Geschichte und Soziologie der deutschen
nationalistischen Geheimbünde 1918-1924, Neuausgabe Frankfurt/M. 1984, S.
62-71; noch signifikanter erscheint dieser Umstand, wenn berücksichtigt wird,
daß der Adelsanteil in der Reichswehr Ende 1920 vermutlich schon höher gewe-
sen ist als Anfang des Jahres, denn durch die Verkleinerung des Offizierskorps in-
folge des Versailler Vertrags erhöhte sich zumindest bis Mitte der 20er Jahre der
Adelsanteil; einschränkend ist allerdings festzuhalten, daß in diesen Tagen viele
Offiziere gar nicht wußten, welcher Kommandeur eigentlich „seine Macht legal
ausübte und wer putschte" (Harold J. GORDON, Die Reichswehr und die Weimarer
Republik 1919-1926, Frankfurt/M. 1959, S. 134).
60
Forderungen des Generals Rüdiger Graf von der Goltz an die Reichsregierung,
August 1919, dokumentiert in: Otto-Ernst SCHÜDDEKOPF (Hg.), Das Heer und die
Republik. Quellen zur Politik der Reichswehrführung, Hannover/Frankfurt 1955,
S. 100 f.
6
' Vgl. Horst W.G. NUßER, Konservative Wehrverbände in Bayern, Preußen und
Österreich 1918-1933 mit einer Biographie von Forstrat Escherich (1870-1941),
München 1973; James M. DIEHL, Paramilitary Politics in Weimar Gemrany,
Bloomington 1977; Hans-Joachim MAUCH, Nationalistische Wehrorganisationen
in der Weimarer Republik. Zur Entwicklung und Ideologie des „Paramilitaris-
mus", Frankfurt/Berlin 1982.
62
Gabriele KRÜGER, Die Brigade Ehrhardt, Hamburg 1971, S. 38 ff.
63
Hagen SCHULZE, Freikorps und Republik 1918-1920, Boppard 1967, S. 57 (ff.);
Schulze betont, daß auch die Freikorps vom Beginn des Putsches, den sie insge-
heim schon lange erwartet hatten, überrascht wurden (ebd., S. 278).
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Der Putsch der „Prätorianer, Junker und Alldeutschen 117
64
Vgl. Axel SCHILDT, Radikale Antworten von rechts auf die Kulturkrise der Jahr-
hundertwende. Zur Herausbildung und Entwicklung der Ideologie einer „Neuen
Rechten" in der Wilhelminischen Gesellschaft des Kaiserreichs, in: Jahrbuch fiir
Antisemitismusforschung 4, (1995), S. 63-87.
65
Edgar VON SCHMIDT-PAULI, Geschichte der Freikorps 1918-1924, Stuttgart 1936,
S. 236.
66
Zum radikalen Antisemitismus der Putschisten vgl. die Erinnerungen von Bogis-
lav VON SELCHOW, Hundert Tage aus meinem Leben, Leipzig 1936, S. 312 ff.;
Striesow, Deutschnationale Volkspartei (wie Anm. 53), Bd. 1, S. 170 ff. Der Anti-
semitismus bildete eine wichtige Klammer nahezu der gesamten politischen Rech-
ten und war gerade in den agrarischen Verbänden allgemein verbreitet; vgl. Heinz
REIF, Antisemitismus in den Agrarverbänden Ostelbiens während der Weimarer
Republik, in: ders. (Hg.), Ostelbische Agrargesellschaft im Kaiserreich und in der
Weimarer Republik. Agrarkrise - junkerliche Interessenpolitik - Modernisie-
rungsstrategien, Berlin 1994, S. 379-411.
67
Deutsche Zeitung (Berlin), Nr. 103 vom 4.3. 1920.
68
Hermann EHRHARDT, Deutschlands Zukunft. Aufgaben und Ziele, München 1921,
S. 7, 1 5 , 2 1 , 2 8 , 30.
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118 Axel Schildt
69
Manfred v. KJLLINGER, Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben, München
1942, S. 51; vgl. ders., Der Klabautermann. Eine Lebensgeschichte, München
1936 (jeweils Verlag Franz Eher Nachf.).
70
Erwin KÖNNEMANN, Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände, Berlin (Ost)
1971, S. 34 ff. und einschlägige Dokumente ebd., S. 351 ff.
71
Peter BUCHER, Zur Geschichte der Einwohnerwehren in Preußen 1918-1921, in:
Militärgeschichtliche Mitteilungen 9 (1971), S. 15-59 (Zit. S. 51).
72
Zur Auflösung der Einwohnerwehren einige Unterlagen in FZH, 4132.
73
Ohnehin verschwimmen die Kategorien „Zivil" und „Militär" in diesem Fall,
denn auf der „zivilen" Seite der Putschisten standen etliche ehemalige Angehörige
der deutschen Armeen und kaiserlichen Marine.
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Der Putsch der „Prätorianer, Junker und Alldeutschen 119
74
GORDON, Reichswehr (wie Anm. 59), S. 98.
75
Zu den diesbezüglichen Versuchen der Konservativen im Kaiserreich, die in die
faschistische Bewegung und Gründung der Deutschen Arbeiterpartei 1919 mün-
deten, vgl. Dirk STEGMANN, Zwischen Repression und Manipulation: Konservati-
ve Machteliten und Arbeiter- und Angestelltenbewegung 1910/12-1918, in: Ar-
chiv für Sozialgeschichte 12 (1972), S. 351-432; im Oktober 1918 hatte es sogar
inoffizielle Verhandlungen zwischen Vertretern der Vaterlandspartei und der Ge-
neralkommission der Gewerkschaften gegeben, die allerdings ohne Ergebnis blie-
ben; Hans MOMMSEN, Die verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar
in den Untergang 1918 bis 1933, Berlin 1989, S. 24.
76
Dirk STEGMANN, Vom Neokonservatismus zum Proto-Faschismus: Konservative
Partei, Vereine und Verbände 1893-1920, in: ders. u.a. (Hg.), Deutscher Konser-
vatismus im 19. und 20. Jahrhundert. FS Fritz Fischer zum 75. Geburtstag und
zum 50. Doktoijubiläum, Bonn 1983, S. 199-230 (Zitat: S. 220); vgl. ders., Die
Erben Bismarcks. Parteien und Verbände in der Spätphase des Wilhelminischen
Deutschlands. Sammlungspolitik 1897-1918, Köln/Berlin 1970, S. 497 ff.
77
Heinz HAGENLÜCKE, Deutsche Vaterlandspartei. Die nationale Rechte am Ende
des Kaiserreiches, Düsseldorf 1997, S. 406.
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120 Axel Schildt
78
Sigmund NEUMANN, Die Parteien der Weimarer Republik, Stuttgart u.a. 31973
( 1 9 3 2 ) , S. 6 1 .
79
Hagen SCHULZE, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung, Frankfurt/M.
1977, S. 291; zur Nationalen Vereinigung vgl. Junius ALTER, Nationalisten, Leip-
zig 1 9 3 0 , S. 3 0 .
80
GENGLER, Monarchisten, S. 82; vgl. Ekkehart P. GUTH, Der Loyalitätskonflikt des
deutschen Offizierskorps in der Revolution 1918-1920, Frankfurt/M. 1983, S.
2 3 2 ff.
81
James RETALLACK, Notables of the Right: The Conservative Party and Political
M o b i l i z a t i o n in G e r m a n y , 1 8 7 6 - 1 9 1 8 , L o n d o n / B o s t o n 1 9 8 8 ; v g l . SCHILDT, K o n -
servatismus (wie Anm. 6), S. 102 ff.
82
Dies betonte neben DLSSOW, Adel (wie Anm. 19), S. 182, in naiver Apologie etwa
GÖRLITZ, Junker (wie Anm. 18), S. 341 ff., der eine Ehrenlinie von den Putschi-
sten zu den Männern des 20. Juli 1944 zog.
83
Neben den in der Literatur häufig abgehandelten Regionen Ostpreußen, Schlesien,
Pommem ist vor allem Thüringen und Schleswig-Holstein zu erwähnen; vgl.
Matthias SCHARTL, Landräte und Kapp-Putsch im nördlichen Schleswig-Hol-
stein, in: Demokratische Geschichte. Jahrbuch zur Arbeiterbewegung und Demo-
kratie in Schleswig-Holstein 8 (1993), S. 173-204.
84
Vgl. Martin SCHUMACHER, Land und Politik. Eine Untersuchung über politische
Parteien und agrarische Interessen 1914-1923, Düsseldorf 1978, S. 248 ff.
85
Schlesische Zeitung vom 15.3. 1920, dok. in: Karl BRAMMER, Fünf Tage Militär-
diktatur. Dokumente zur Gegenrevolution, Berlin 1920, S. 42.
86
Vgl. ERGER, Kapp-Lüttwitz-Putsch (wie Anm. 47), S. 335 f.; namentlich Gustav
Stresemann hegte ursprünglich Sympathien für das Unternehmen.
87
MOMMSEN, Verspielte Freiheit (wie Anm. 75), S. 80.
88
Vgl. Das Kabinett Bauer (wie Anm. 31), S. 792 ff.; STRIESOW, Deutschnationale
Volkspartei (wie Anm. 53), Bd. 1, S. 174 ff.; Werner LIEBE, Die Deutschnationale
Volkspartei 1918-1924, Düsseldorf 1956; eine Sammlung von Zeitungsartikeln in
FZH, 7533.
89
Vgl. TROELTSCH, Spektator-Briefe (wie Anm. 1 ), S. 118.
90
OLDENBURG-JANUSCHAU, Erinnerungen (wie Anm. 37), S. 212. Einem Zeitzeu-
gen zufolge fand dieses Gespräch allerdings in den Tagen des Putsches in Berlin
statt, wohin sich Oldenburg-Januschau als Unterstützer begeben hatte. Prinz Ernst
Heinrich V. SACHSEN, Mein Lebensweg vom Königsschloß zum Bauernhof,
Frankfurt/M. 1979, S. 153 ff.; tatsächlich hatte Kapp ursprünglich, im Sommer
1919, den Plan verfolgt, zunächst Ostpreußen zu erobern, den er nach einem Ge-
spräch mit Ludendorff und General Friedrich Karl von Loßberg, Chef des Stabes
des Reichswehrgruppenkommandos 2, fallen ließ; vgl. STRIESOW, Deutschnatio-
nale Volkspartei (wie Anm. 53), Bd. 1, S. 164.
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Der Putsch der „Prätorianer, Junker und Alldeutschen 123
91
Arthur GRAF V. POSADOWSKY-WEHNER, Weltwende. Gesammelte politische
Aufsätze, Stuttgart 1920, S. 117.
92
Auch der spätere Partei-Diktator Alfred Hugenberg und der Führer der Alldeut-
schen Heinrich Claß äußerten sich in diese Richtung; vgl. STEGMANN, Neokonser-
vatismus (wie Anm. 76), S. 228 f.
93
Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht abzusehen, daß die erste Volkswahl des
Reichspräsidenten erst 1925 stattfinden würde; vgl. Generalfeldmarschall von
Hindenburg Präsidentschaftskandidat, in: NPZ Nr. 122 vom 6.3. 1920; Andreas
DORPALEN, Hindenburg in der Geschichte der Weimarer Republik, Berlin 1966,
S. 58 ff.; Walter RAUSCHER, Hindenburg. Feldmarschall und Reichspräsident,
Wien 1997, S. 216 f.
94
Theo SCHWARZMÜLLER, Zwischen Kaiser und „Führer". Generalfeldmarschall
August von Mackensen. Eine politische Biographie, Paderborn u.a. 1995, S. 186.
95
Neujahrsgedanken, in: NPZ, Nr. 1 vom 1.1. 1920.
96
Etwa in einzelnen „bürgerlichen Gegenstreiks", SCHARTL, Landräte - wie
Anm. 83), S. 193, 196 - gegen den gewerkschaftlichen Generalstreik oder bis-
weilen in der Unterstützung von Bürgerräten für die Putschisten; vgl. Hans-Joa-
chim BIEBER, Bürgertum in der Revolution. Bürgerräte und Bürgerstreiks in
Deutschland 1918-1920, Hamburg 1992, S. 313 ff.
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124 Axel Schildt
97
Arthur ROSENBERG, Die Geschichte der deutschen Republik, Karlsbad 1935, S.
366.
98
Das Kabinett Bauer (wie Anm. 31), S. 684; Philipp SCHEIDEMANN, Memoiren
eines Sozialdemokraten, Bd. 2, Dresden 1928, S. 400 f., sprach von „preußischen
Reaktionären" bzw. einer „Karnevalsregierung".
99
Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1920 in ihrer Arbeit für den Aufbau
des neuen deutschen Volksstaates. Hg. v. Eduard HEILFRON, Bd. 9, Berlin 1920,
S. 238 ff. (Zitat: S. 245).
100
Rückblick, in: NPZ, Nr. 135 vom 24.3. 1920; vom 14.3. bis 23.3. 1920 hatte die
Zeitung aufgrund des Streiks nicht erscheinen können; vgl. auch die vorsichtige
Rechtfertigung der Motive fur den Putsch durch den Volksparteiler Heinze in:
Deutsche Nationalversammlung (wie Anm. 99), S. 268 ff..
101
Arnold BRECHT, Aus nächster Nähe. Lebenserinnerungen 1884-1927, Stuttgart
1966, S. 318.
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Der Putsch der „Prätorianer, Junker und Alldeutschen 125
102
Hans-Adolf JACOBSEN, Militär, Staat und Gesellschaft in der Weimarer Republik,
in: Karl D. Bracher u.a. (Hg.), Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik, Wirt-
schaft, Gesellschaft, Düsseldorf 1987, S. 343-368 (hier S. 343, 355).
103 VG] HANS FENSKE, Konservatismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1 9 1 8 ,
Bad Homburg v. d. H. 1969, S. 89 ff.
104 Yg] exemplarisch die Positionen des ehemaligen Herrscherhauses, dok. v. Willi-
bald GUTSCHE/Joachim PETZOLD, Das Verhältnis der Hohenzollern zum Faschis-
mus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 29 (1981), S. 917-939; Friedrich
Wilhelm PRINZ V. PREUßEN, Das Haus Hohenzollern 1918-1945, München/Wien
1985, S. 59 ff.
In beiden Bereichen hat es in den letzten zwei Jahrzehnten allerdings eine deutli-
che Intensivierung der Forschung gegeben. Vgl. zusammenfassend: Heinz REIF,
Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999 und für die Potentiale einer er-
weiterten Militärgeschichte: Thomas KÜHNE/Benjamin ZIEMANN (Hg.), Was ist
Militärgeschichte?, Paderborn 2000.
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128 Marcus Funck
Als Auswahl: Gordon A. CRAIG, The Politics of the Prussian Army 1640-1945,
London/Oxford/New York 1955, v.a. S. 342-467; Francis L. CARSTEN, Reichs-
wehr und Republik 1918-1933, Köln/Berlin 1964; Rainer WOHLFEIL, Heer und
Republik (1918-1933), in: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, Bd. II/6,
Frankfurt 1970; pointiert zusammenfassend: Manfred MESSERSCHMIDT, Preußens
Militär in seinem gesellschaftlichen Umfeld, in: Hans Jürgen Puhle/Hans-Ulrich
Wehler (Hg.), Preußen im Rückblick, Göttingen 1980, S. 43-88, v.a. 77-85.
Die verpaßte Chance zum demokratischen Neuanfang 1918/19 dominierte einen
guten Teil der militärhistorischen Revolutionsforschung. Beispielhaft: Wolfram
WETTE, Gustav Noske. Eine politische Biographie, Düsseldorf 1987.
Urvater dieser Sichtweise ist Ekkehart KEHR, Zur Soziologie der Reichswehr, in:
Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozi-
algeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Hans-Ulrich Wehler, Berlin 1965,
S. 235-243, dessen großartige tagespolitische Polemik von Historikern allzu
leichtfertig als bare wissenschaftliche Münze genommen wurde.
Detlef BALD, Der deutsche Offizier. Sozial- und Bildungsgeschichte des deut-
schen Offizierkorps im 20. Jahrhundert, München 1982, v.a. S. 85-100. Noch im-
mer werden Kontinuität und Restauration des preußisch-deutschen Militarismus
über 1918 hinaus einfach als „bekannt" vorausgesetzt, Adelsprivileg und -mono-
polisierung in Führungsstrukturen als „eindeutiges Faktum" festgelegt und somit
von vornherein der wissenschaftlichen Diskussion entzogen. So Detlef Bald in
seinen „einführenden Bemerkungen" zur Sozial- und Strukturgeschichte der
Wehrmacht, in: Die Wehrmacht. Mythos und Realität, im Auftrag des Militärge-
schichtlichen Forschungsamtes hg. v. Rolf-Dieter Müller/Hans-Erich Volkmann,
München 1999, S. 349-356. Allen Einwänden zum Trotz liefern Balds grandie-
gende Studien noch immer die verläßlichsten Daten über die soziale Zusammen-
setzung des Offizierkorps.
Otto BÜSCH, Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713-1807. Die
Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft, Ber-
lin 1962.
Manfred MESSERSCHMIDT, Militär, Politik und Gesellschaft. Ein Vergleich, in:
Eliten in Frankreich und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Bd 1 : Struktu-
ren und Beziehungen, hg. v. Rainer Hudemann/Georges-Henri Soutou, München
1994, S. 249-261, hier: S. 255.
Bernhard R. KROENER, Auf dem Weg zu einer „nationalsozialistischen Volksar-
mee". Die soziale Öffnung des Heeresoffizierskorps im Zweiten Weltkrieg, in:
Martin Broszat/Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hg.), Von Stalingrad zur
Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München
1988, S. 651-682 und ders., Strukturelle Veränderungen in der militärischen Ge-
sellschaft des Dritten Reiches, in: Michael Prinz/Rainer Zitelmann (Hg.), Natio-
nalsozialismus und Modernisierung, Darmstadt 2 1994, S. 267-296.
10
Bspw. Michael GEYER, Deutsche Rüstungspolitik 1860-1980, Frankfürt a. M.
1984, S. 118: „Die Geschichte machte einen Sprung - ob nun diejenigen, welche
die Geschichte machten, springen wollten oder nicht."
11
So schon Heinz REIF, Der Adel in der modernen Sozialgeschichte, in: Sozialge-
schichte in Deutschland. Entwicklungen und Perspektiven im internationalen Zu-
sammenhang, hg. v. Wolfgang Schieder/Volker Sellin, Bd. IV: Soziale Gruppen
in der Geschichte, Göttingen 1987, S. 34-60, hier: S. 54; vgl. Eckart CONZE, Von
deutschem Adel. Die Grafen Bernstorff im zwanzigsten Jahrhundert, Stutt-
gart/München 2000, S. 10 f.
12
Klaus-Jürgen MÜLLER, Armee und Drittes Reich 1933-1939, Paderborn 1987, S.
13 (Hervorhebungen im Text).
13
Schulbildend: Hans ROSENBERG, Die Pseudo-Demokratisierung der Rittergutsbe-
sitzerklasse, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte,
Köln 1968, S. 287-308; kritisch, aber kaum differenzierter: Hanna ScfflSSLER, Die
Junker. Zur Sozialgeschichte und historischen Bedeutung der agrarischen Elite in
Deutschland, in: Hans Jürgen Puhle/Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Preußen im
Rückblick, Göttingen 1980, S. 89-122.
14
Vgl. Marcus FuNCK/Stephan MALINOWSKI, Geschichte von oben. Autobiographi-
en als Quelle einer Sozial- und Kulturgeschichte des deutschen Adels in Kaiser-
reich und Weimarer Republik, in: Historische Anthropologie 7 (1999), S. 236-
270, hier: 244.
15
REIF, Adel im 19. und 20. Jahrhundert (wie Anm. 1), S. 1-9.
16
MESSERSCHMIDT, Militär, Politik und Gesellschaft (wie Anm. 7), S. 259.
17
BÜSCH, Militärsystem und Sozialleben (wie Anm. 6); kritisch und mit gutem
Argument: Frank GÖSE, Zwischen Garnison und Rittergut. Aspekte der Verknüp-
fung von Adelsforschung und Militärgeschichte am Beispiel Brandenburg-Preu-
ßens, in: Ralf Pröve (Hg.), Clio in Uniform? Probleme und Perspektiven einer
modernen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1997, S.
109-142.
18
Vgl. Karl DEMETER, Das deutsche Offizierkorps in Gesellschaft und Staat 1650-
1945, Frankfurt a. M. J 1962, S. 53 u. Nikolaus v. PRERADOVICH, Die soziale Her-
kunft der Reichswehr-Generalität 1930, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte 54 (1967), S. 481-486, dessen schrille Kritik an der „so-
wjetzonalen Historiographie" den Wert seiner statistischen Untersuchung kaum
schmälert.
19
Paul V. LETTOW-VORBECK, Meine Lebenserinnerungen, in: Bundesarchiv-Mili-
tärarchiv Freiburg ( B A - M A ) Ν 103/44 (ν. Lettow-Vorbeck), fol. 4f.; vgl. Alex-
ander V. BRANDENSTEIN-ZEPPELIN, Erlebtes und Erstrebtes, in: B A - M A Ν 491/1
(Ν. Brandenstein-Zeppelin), fol. 1 ; Fabian Ν. SCHLABRENDORFF, Begegnungen in
b) Der Militäradel ist als eine Teilgruppe des kleinen Adels zu be-
schreiben. Die Verwendung des Begriffes ist lohnenswert, weil er im
Unterschied zur rein adelsrechtlichen Unterscheidung zwischen hohem
und niederem Adel eine Aussage über die ökonomische und soziale
Lage dieser Teilgruppe trifft. Zum kleinen Adel zählen vor allem jene
Familien, die schon vor dem Ersten Weltkrieg vom „Absinken in den
Mittelstand"21 betroffen, zu einem herrschaftlichen Lebensstil aus ei-
gener Kraft nicht mehr fähig waren und gleichwohl die für sich rekla-
mierte besondere Befähigung zum Herrschen nicht kampflos aufgeben
wollten. Ebenso müssen zum Teil die nichterbenden Söhne und nicht-
heiratenden Töchter als Träger der Familienlasten hinzugezählt wer-
den, selbst wenn sie aus eigentlich vermögenden Familien stammten.
Relative Verarmung und Tendenzen zur „Proletarisierung" in Teilen
des kleinen Adels standen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
in der inneradligen Diskussion,22 und die Gründung der Deutschen
Adelsgenossenschaft 1874 kann nur vor diesem Hintergrund verstan-
den werden. Mit enormem propagandistischen Aufwand und beschei-
denen Erfolgen betrieb die DAG die finanzielle Stützung in Not gera-
tener Standesgenossen als Gegenstück zu den Familienstiftungen des
vermögenden Adels durch Einrichtung von Hilfsfonds, Erziehungsbei-
fünf Jahrzehnten, Tübingen 1979, S. 12f.; Erich v. MANSTEIN, AUS einem Solda-
tenleben 1887-1939, Bonn 1958, S. 15.
20
FUNCK/MALINOWKSI, Geschichte von oben (wie Anm. 14), S. 247-253.
21
Hugo v. FREYTAG-LORINGHOVEN, Menschen und Dinge, wie ich sie in meinem
Leben sah, Berlin 1923, S. 336.
22
Bspw. Stephan KEKULÉ V. STRADONITZ, Armut und Reichtum im deutschen Adel,
in: Deutsche Revue 36 (1911), S. 35-42; anonym., Über Berufswahl, in: Deut-
sches Adelsblatt 4 (1886), S. 102f. und GRAF BÜLOW V. DENNEWITZ-GRÜNHOFF,
Soziale Bedeutung und Aufgaben des Adels, in: ebda. 23 (1905), S. 761-765. So
einfach wie Hartwin SPENKUCH, Das Preußische Herrenhaus. Adel und Bürgertum
in der Ersten Kammer des Landtages 1854-1918, Düsseldorf 1998, S. 26 (s. a.
Fußnote 34) kann man das Problem des „verarmten Adels" nicht vom Tisch wi-
schen. Hier trübt die spezifische Forschungsperspektive den Blick fürs Ganze -
denn was man nicht sucht, kann man eben auch nicht finden.
hilfen und Stipendien.23 Durch den sozialen Absturz des kleinen Adels
nach 1918 verschärfte sich die finanzielle Situation von Standesgenos-
sen gerade aus militäradligen Familien zusehends und konnte weder
durch staatliche Pensionszahlungen noch durch inneradlige Stüt-
zungsmaßnahmen und Stellenvermittlungen im Adelsblatt unter Kon-
trolle gebracht werden.24 Auch ist die Zuordnung des Militäradels zum
kleinen Adel insofern sinnvoll, als dadurch die Beschränkung der
Analyse auf die adligen Spitzen innerhalb der militärischen Profession
aufgegeben und die Masse der nach 1918 entlassenen Offiziere in den
Blick genommen wird.
23
Neben dem Central-Hilfsverein, der zwischen 1888 und 1891 insgesamt 142
Familien mit bescheidenen 40.000 Mark unterstützt haben will, war die „Nobili-
tas. Verein zur Förderung und Unterstützung verarmter Edelleute" die wichtigste
Unterstützungsagentur der DAG vor 1914.
24
In einem „an den Adel auf dem Lande" gerichteten Aufruf reagierte das Deutsche
Adelsblatt 1921 - also kurz nach der Heeresreduzierung - auf die hohe Nachfrage
von Standesgenossen, besonders von älteren und verheirateten Offizieren, die oh-
ne Stellung waren, nach Unterkunft und Tätigkeit auf dem Lande und forderte
Hilfe für diejenigen die „vorn an der Front Ihnen allen vier Jahren hindurch den
Feind von Haus und Hofhielten." In: Deutsches Adelsblatt (39/1921), S. 40.
25
Michael GEYER, Die Geschichte des deutschen Militärs von 1860-1945. Ein Be-
richt über die Forschungslage (1945-1975), in: Die moderne deutsche Geschichte
in der internationalen Forschung 1945-1975, hg. v. Hans-Ulrich Wehler, Göttin-
gen 1978, S. 256-286, hier: 265f. Vgl. auch Heinz REIF, Adel (wie Anm. 11), S.
47f.
26
Bspw. Daniel J. HUGHES, The King's Finest. A Social and Bureaucratic Profile of
Prussia's General Officers 1871-1914, New York 1987.
27
Georg SIMMEL, Exkurs über den Adel, in: Soziologie. Untersuchungen über die
Formen der Vergesellschaftung, Gesammelte Werke, Bd. 11, hg. v. Otto Ramm-
stedt, Frankfurt a. M. 1992, S. 824.
28
So schon Georg H. KLEINE, Adelsgenossenschaft und Nationalsozialismus, in:
Vierteljahreshefte ffir Zeitgeschichte 26 (1978), S. 100-143.
29
Eine nützliche Einführung in die ältere soziologische Elitenforschung liefert
Heiger OSTERTAG, Bildung, Ausbildung und Erziehung des Offizierkorps im
deutschen Kaiserreich 1871-1918 - Eliteideal, Anspruch und Wirklichkeit, Frank-
furt a. M. 1990. Vgl. auch Bernhard R. KROENER, Generationserfahrungen und
Elitenwandel. Strukturveränderungen im deutschen Offizierkorps 1933-1945, in:
Soutou/Hudemann, Eliten (wie Anm. 7), S. 219-233.
30
Ähnlich schon Heinz HÜRTEN, Das Offizierkorps des Reichsheeres, in: Hanns
Hubert Hofmann (Hg.), Das deutsche Offizierkorps 1860-1960, Boppard 1980, S.
244f. Vgl. Wilhelm HEYE, Mein Lebenslauf, in: BA-MA Ν 18/4 (Heye), fol. 216,
der die Reichswehroffiziere als „Paria der Gesellschaft" beschreibt.
31
GEYER, Abrüstung oder Sicherheit (wie Anm. 9), 23f.
32
Alle Zahlen nach: Vom Sterben des Deutschen Offizierkorps, hg. v. Constantin
V. ALTROCK, Berlin 1921 u. Otto-Emst VOLKMANN, Soziale Heeresmißstände als
Mitursache des deutschen Zusammenbruchs von 1918, in: Das Werk des Untersu-
chungsausschusses der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung
und des Deutschen Reichstages 1919-1930, Vierte Reihe: Die Ursachen des Deut-
schen Zusammenbruches im Jahre 1918, Zweite Abteilung, Bd. 1/11, Berlin 1928.'
mehr als ein Drittel aller adligen Männer im kriegsfähigen Alter, stieg
deren Zahl bis 1918 noch auf ca. 10.200.33
Schon die bloßen Zahlen weisen auf gewaltige soziale Verschie-
bungen innerhalb des Armee-Offizierkorps während des Ersten Welt-
krieges hin. Aufgrund des enormen Bedarfs an militärischem Füh-
rungspersonal und des Mangels an ausgebildeten aktiven Offizieren,
insbesondere nach dem „Sterben des [alten] Offizierkorps" 1914/15,
gewannen die zumeist bürgerlichen Reserveoffiziere, vor allem in den
unteren, frontnahen Hierarchieebenen erheblich an Bedeutung. Auch
wurden mit der Auflösung der relativen Homogenität des Offizierkorps
die Befehlshierarchien entlang der militärischen Erfordernisse neu
geordnet. Dieser Entwicklung gab der Rückzug des Kaisers als Ober-
ster Kriegsherr und der Machtzuwachs der Obersten Heeresleitung
ebenso Ausdruck wie die Verschiebungen im Herrschaftsgefiige zwi-
schen Kommandierenden Generalen und Generalstabsoffizieren bzw.
Etappen- und Frontoffizieren. Aus der ohnehin prekären Einheitlich-
keit der Vorkriegsarmee entfalteten sich verstärkt seit 1916 offensicht-
lich konkurrierende Offizierskonzeptionen, welche die Wehrdebatten
bis in die 1930er Jahre hinein bestimmen sollten. Nach dem Prinzip der
ungleichen Verteilung adliger Offiziere auf die verschiedenen Rang-
stufen - je höher der Rang desto größer der Adelsanteil34 - konzen-
trierte sich der Militäradel in den frontfernen Entscheidungszentren,
während die Verwendung an der Front auf jüngere Adelsoffiziere bis
zum Major beschränkt blieb. Dies ist in zweierlei Hinsicht von Be-
deutung: einmal lag hier der Nukleus für den tiefen Bruch zwischen
den Adels-Generationen, der die Zugehörigkeit zu einem gemeinsa-
33
Angesichts des Mangels an differenziertem statistischen Material, handelt es sich
bei diesen Zahlenangaben um vorsichtige Schätzungen. Einigermaßen verläßliche
Zahlen existieren für das Jahr 1912, in dem insgesamt 7.096 adlige Offiziere (da-
von 5.944 aktive Offiziere) in den deutschen Armeen dienten. Vgl. Helene
PRINZESSIN V. ISENBURG, Der Berufswandel im deutschen Adel (1912-1932), in:
Deutsches Adelsblatt 54 (1936), S. 43-45 u. 74f. und dies., Berufswandel im deut-
schen Uradel während des letzten Vierteljahrhunderts (1912-1937), in: ebda. 55
(1937), S. 887f. Hans-Ulrich WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3:
Von der „Deutschen Doppelrevolution" bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges
1849-1914, München 1995, S. 819 liegt mit der Angabe von 6.630 aktiven adligen
Offizieren (inklusive Fähnriche und Offiziere à la suite) wohl etwas zu hoch, wäh-
rend Iris FREIFRAU V. HOYNINGEN-HUENE, Adel in der Weimarer Republik. Die
rechtlich-soziale Situation des reichsdeutschen Adels 1918-1933, Limburg 1992,
S. 284 für 1914 Ist- und Soll-Stärken miteinander verwechselt, somit sagenhafte
8.700 adlige Offiziere ermittelt.
34
Zur „Adelspyramide": BALD, Der deutsche Offizier (wie Anm. 5), S. 93-96.
men Stand überlagern sollte, 35 zum anderen wurde die große Zahl ad-
liger Offiziere vom Stabsoffizier aufwärts in funktionale Stellungen
gedrängt, wo sie entgegen ihrer heroischen Familientraditionen zwar
über die Front verfugen und Tod zuteilen, aber nicht mehr direkt in das
Frontgeschehen eingreifen konnten.36
Aufgrund der erfolgreichen Vemebelungstaktik der gezielten Le-
gendenbildung ist die Größenordnung der adligen Kriegstoten nur un-
gefähr zu ermitteln. Die repräsentative, für eine breite Öffentlichkeit
zusammengestellte Helden-Gedenkmappe des deutschen Adels bei-
spielsweise verzeichnet insgesamt 4.800 adlige Kriegsopfer. Darunter
finden sich allerdings auch Offiziere bzw. Soldaten, die an Krankhei-
ten starben, Attentaten zum Opfer fielen, nach 1918 in den Revoluti-
onskämpfen getötet wurden oder einfach nur „an Überarbeitung im
Dienst für das Vaterland" starben sowie Frauen und Kinder.37 Nach
anderen, nicht weiter begründeten Angaben lag die Opferquote des
deutschen Adels bei etwa 25% der adligen Kriegsteilnehmer, was auf
eine absolute Zahl von ungefähr 4.000 infolge von Kampfhandlungen
getöteten adligen Soldaten und Offiziere schließen läßt.38 Am genaue-
sten lassen sich die Verluste für einzelne Geschlechter nachweisen,
zumal diese für den Familiengebrauch detaillierte Opferverzeichnisse
35
Andeutungen in diese Richtung bei Kroener, Generationserfahrungen und Eliten-
wandel (wie Anm. 29), S. 228-233.
36
Diese Bemerkung schließt nicht aus, daß es gerade den adligen Etappenoffizieren
auch im Krieg möglich war, einen aristokratischen Lebensstil zu pflegen. Vgl. die
von zeitweiligem Artilleriebeschuß unterbrochenen Jagdgeschichten bei Erwin
V. WITZLEBEN, Privates Kriegstagebuch, Bd. 2, 14.2. 1915-24.4. 1916, in: BA-
MA Ν 228/2 (ν. Witzleben), und die gänzlich außergewöhnlichen „Kriegserlebnis-
se" eines Hochadligen bei Andreas DORNHEIM, Kriegsfreiwilliger, aber Anne-
xionsgegner: Alois Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg und seine
„Kriegsbriefe", in: Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätenge-
schichte des Ersten Weltkriegs, hg. v. Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Dieter
Langewiesche/Hans-Peter Ulimann, Essen 1997, S. 170-188. Dort (S. 179) auch
die Wiedergabe einer bezeichnenden Beschreibung eines alternativen Kriegsall-
tags vom 14.12. 1914: „In meinem ganzen Leben habe ich nicht so gefaulenzt."
37
Vgl. Alexis V. SCHOENERMARCK, Helden-Gedenkmappe des deutschen Adels,
Stuttgart 1921; noch umfassender (und unglaubwürdiger) ist die Ehrentafel der
Kriegsopfer des reichsdeutschen Adels 1914-1919, Gotha 1921. Daran angelehnt
und falsch sind die phantastischen Zahlen bei HOYNINGEN-HUENE, Adel in der
Weimarer Republik (wie Anm. 33), S. 20.
38
Friedrich Wilhelm v. OERTZEN, Junker. Preußischer Adel im Jahrhundert des
Liberalismus, Berlin o.J., S. 385f.
39
Vgl. als Beispiele die Gedenkschrift der Familie v. d. Marwitz mit ihren detail-
lierten Beschreibungen der jeweiligen Todesarten der im Weltkrieg gefallenen
„Vettern", in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam (BLHA), Rep. 37
(Friedersdorf), Nr. 259, fol. 105-120 und das schlichte „Verzeichnis der dem Mi-
litär angehörenden Mitglieder der Familie v. Arnim", in: ebda., Rep. 37 (Boitzen-
burg), Nr. 3356.
40
Die v. Kleist im Weltkriege, o. O. 1920.
41
Richard BESSEL, Germany After the First World War, Oxford 1993, S. 9-11.
42
Daher kann von einer „sozialen Konsolidierung" des preußischen Adels infolge
der Reduzierung auf 4.000 Offiziersstellen höchstens aus der verengten Perspekti-
ve der militärischen Profession die Rede sein. Vgl. Wolfgang ZOLLITSCH, Adel
und adlige Machteliten in der Endphase der Weimarer Republik. Standespolitik
und agrarische Interessen, in: Heinrich August Winkler (Hg.), Die deutsche
Staatskrise 1930 bis 1933. Handlungsspielräume und Alternativen, München
1992, S. 242 u. Detlef BALD, Vom Kaiserheer zur Bundeswehr. Sozialstruktur des
Militärs: Politik der Rekrutierung von Offizieren und Unteroffizieren, Frankfurt a.
M./Bern 1981, S.21.
43
Briefentwurf des Chefs des Generalstabes des Feldheeres an Kriegsminister Rein-
hardt vom 17.12. 1918, in: Württembergisches Hauptstaatsarchiv Stuttgart
(WHStA), Kriegsarchiv, MIO Bü 22, fol. 66.
44
Entwurf eines Abschiedsschreibens im Armee-Oberkommando Süd vom Juni
1919 in: BA-MA Ν 97/6 (ν. Bredow) u. Schreiben von Walter Freiherr v. Lütt-
witz' an Friedrich Ebert vom 19.6. 1919 in: ebda. Ν 97/7, fol. 12.
45
Francis L. CARSTEN, Geschichte der preußischen Junker, Frankfurt 1988, S. 149.
Daneben nehmen sich die gezwungen anmutenden Aufzählungen für das Reichs-
heer (ebda. S. 164f. und 176f.) doch sehr bescheiden aus. Vgl. die Aufzählung bei
DEMETER, Offizierkorps (wie Anm. 18), S. 54.
46
Karl Anton PRINZ ROHAN, Heimat Europa. Erinnerungen und Erfahrungen, Diis-
seldortfKöln 1954, S. 56.
47
Informativ die Berufsaufstellung ehemaliger Marineoffiziere nach Angaben des
Marine-Offizier-Verbandes in: Christian GÄSSLER, Offizier und Offizierkorps der
alten Armee als Voraussetzung einer Untersuchung über die Transformation der
militärischen Hierarchie, Wertheim 1930, S. 85-90. Auch wenn sich die statisti-
schen Angaben über die (zumeist bürgerlichen) 4361 Marineoffiziere nicht auf die
adligen Armeeoffiziere übertragen lassen, geben sie doch einen Eindruck von dem
möglichen Spektrum beruflicher Neuorientierung. Demnach fanden 43,8% dieser
Offiziere ein Unterkommen in Industrie und Handel, zumeist in leitenden Positio-
nen. Typisch allerdings die Tatsache, daß ein Drittel der Befragten keine Berufs-
angabe machte. Für ehemalige Offiziere in der Wirtschaft vgl. a. Dietrich v.
OPPEN (Hg.), Leseskizzen aus der Familie von Oppen vornehmlich im 20. Jahr-
hundert. Ein zeitgeschichtliches Lesebuch, Freiburg/Brsg. 1985, S. 172. Der
Reichsarbeitsnachweis für Offiziere e.V. erstellte Personalprofile für ausgeschie-
dene Offiziere und vermittelte Stellen vorzugsweise in der Industrie.
48
Als Paradebeispiel kann hier der Ausbruch des Kriegsleutnants Henning v. Tre-
sckow aus der militärischen Welt im Oktober 1920 angeführt werden, den er al-
lerdings bereits im Februar 1 9 2 6 rückgängig machte. Vgl. Bodo SCHEURIG, Hen-
ning von Tresckow. Ein Preuße gegen Hitler, Frankfurt a. M./Berlin 1987, S. 20-
30. Andere, denen der Eintritt in die Reichswehr verwehrt blieb, sammelten sich
in den unzähligen und keineswegs nur der nostalgischen Erinnerung verpflichteten
Wehr- und Regimentsvereinen.
ganz ohne was dazustehen, da ich, immer an der Front, keine Gelegen-
heit zu Bekanntschaften in der Industrie pp gehabt hatte."49 Immerhin
gelang es ihm, die Aufnahme eines unstandesgemäßen Berufs zu ver-
meiden, indem er nach seinem Eintritt in das Freiwillige Regiment
Reinhardt Ende Januar 1919 in die Reichswehr übernommen und
schließlich Chef der 5. Kompanie im Infanterie-Regiment 5 in Anger-
münde wurde. Auf sein bescheidenes Gut in der Provinz Brandenburg
zurückkehren konnte sein Vetter, der Major der Reserve Bernd v. Ar-
nim, doch auch hier überwogen Verunsicherung und Orientierungslo-
sigkeit: „Aus meiner großen, arbeitsreichen, verantwortungsvollen
Tätigkeit, die meine ganze Arbeitskraft ausfüllte, bin ich ausgeschie-
den und da ich nun heimgekehrt bin, weiß ich nicht wie und wo anfan-
gen, lohnt es sich wieder mit dem Aufbau dessen zu beginnen, was die
lange Kriegszeit wirtschaftlich bei uns zerstörte?"50
Infolge der Heeresreduzierung nach 1918 kam es zu dramatischen
Verschiebungen der Berufsstruktur auf allen Ebenen der Adelshierar-
chie, wobei zu berücksichtigen ist, daß die hochadligen und die ver-
mögenden Familien des landgesessenen Adels den beschleunigten
Wandel mit sehr viel weniger Einbußen verkrafteten.51 Während 1912
aus jeder der ausgezählten Adelsgruppen - Fürsten, Grafen, Uradel
und Briefadel - fast genau ein Drittel der Männer im aktiven Offiziers-
dienst standen, reduzierte sich bis 1932 der Anteil des Offizierberufs in
den jeweiligen Adelsgruppen auf ein bis vier Prozent. Dagegen stieg
zur mit Abstand größten Berufsgruppe die Kategorie „ohne Beruf an,
mit einem Anteil von knapp 40 Prozent in uradligen bis zu über 50
Prozent in fürstlichen Familien. Ganz gleich welche Berufe und Ein-
kommensquellen sich tatsächlich hinter dieser Tarnbezeichnung ver-
bargen, diese dürften vom hochadligen Rentierdasein bis zum kleinad-
ligen Handelsreisenden reichen, der Offizierberuf, das älteste, bedeu-
tendste Tätigkeitsfeld und elementarer Bestandteil der angestammten
Lebenswelten nicht nur des preußischen Adels, war jedenfalls fast
vollständig weggebrochen.
49
Hans-Jürgen v. ARNIM, Erinnerungen, IV. Teil: Vom Kompaniechef bis zum
Bataillonskommandeur. Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in der Weima-
rer Republik, in: BA-MA Ν 61/8 (ν. Arnim), fol. 2.
50
Brief Bemd v. Arnims an seinen Bruder Dietloff v. Arnim-Boitzenburg vom
23.12. 1918, in: BLHA, Rep. 37, Herrschaft Boitzenburg, Nr. 4457/5: Briefe von
Bernd an Dietloff von Amim-Boitzenburg 1912-1919.
51
Die folgenden Angaben richten sich nach Helene PRINZESSIN V. ISENBURG, Der
Berufswandel im deutschen Adel (wie Anm. 33)
52
Wilhelm DEIST, Zur Geschichte des preußischen Offizierkorps 1888-1918, in:
ders., Militär, Staat und Gesellschaft. Studien zur preußisch-deutschen Militärge-
schichte, München 1991, S. 43-56 u. Isabel V. HULL, The Entourage of Kaiser
Wilhelm II., Cambridge 1982, S.16f.
53
Ludwig FRHR. V. FALKENHAUSEN, Erinnerungen aus dem Weltkrieg 1914/18, in:
BA-MA Ν 21/2 (ν. Falkenhausen), fol. 379.
54
Smilo FRHR. V. LÜTTWITZ, Soldat in 4 Armeen. Lebenserinnerungen des Gene-
ralleutnants a.D., in: BA-MA, Ν 10/9 (ν. Lüttwitz), fol. 52: „Aber die Tatsache
der .Flucht' blieb mir in Gedenken an die Tapferkeit unserer Soldaten und an die
hohen Traditionen der hohenzollernschen Monarchie eine herbe Enttäuschung."
55
Vgl. Wilhelm GROENER, Lebenserinnerungen. Jugend, Generalstab, Weltkrieg,
hrsg. v. Friedrich Frhr. Hiller v. Gaertringen, Göttingen 1957, S. 468
sehen den weiterhin aktiven Offizieren und Wilhelm II. schuf.56 Zwar
blieb die Monarchie fur den größten Teil der Generalstabs- und Trup-
penoffiziere die einzig denkbare Staatsform,57 doch nahm die private
und dann auch öffentliche Kritik der adligen Offiziere an der Person
des Kaisers wie des Kronprinzen schnell an Ausmaß und Schärfe zu.58
Während nur bei einer ganz unwesentlichen Minderheit der Offiziere
der Ablösungsprozeß vom Monarchen mit einer Hinwendung zur Re-
publik korrespondierte, sahen eher traditional-konservativ eingestellte
Offiziere im absolut gesetzten Staat, in der Nation, die Brücke zwi-
schen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.59 Einen gewissen
Bruch mit der aristokratischen Offiziertradition markierte hingegen die
Orientierung zum Volk als Grundlage militärischer Arbeit, eine Ein-
stellung wie sie besonders außerhalb des institutionalisierten Militärs
häufig war. Diesen Übergang zum Völkischen formulierte in zunächst
gemäßigter Form Admiral Adolf v. Trotha in einer Denkschrift vom
12.3. 1919: „In der Vergangenheit gab sich der Offizier mit seiner
ganzen Person in die Hand des Monarchen als der Verkörperung des
Staates, seines Vaterlandes. [...] Heute haben sich diese Verhältnisse
ganz verschoben. Der ideelle Mittelpunkt liegt jetzt im völkischen
56
Ekkehard P. GUTH, Der Loyalitätskonflikt des deutschen Offizierkorps in der
Revolution 1918-1920, Frankfurt a. M./Bern/New York 1983.
57
Friedrich FREIHERR HILLER V. GAERTRINGEN, Monarchismus in der deutschen
Republik, in: Michael Stürmer, Die Weimarer Republik. Belagerte Civitas, Kö-
nigstein/Ts. 1980, S. 254-271. Vgl. die z.T. absurden Gedankenspiele über eine
monarchische Restauration und die damit verbundene Destruktionspolitik der
weitverzweigten monarchisch-antirepublikanischen Verbände in den Nachlässen
der pensionierten Militärfossilien August v. Cramon (BA-MA Ν 266) und Karl v.
Einem (BA-MA Ν 324).
58
Bspw. ein Brief des Generals Walter v. Hülsen vom 26.11. 1932, in: BA-MA Ν
280/36 (ν. Hülsen): „Man ist in Potsdam und Doorn so weit gegangen die, die im
Dienste des Vaterlandes blieben und es retteten verächtlich zu machen. Göthe
sagte richtig: Warum, wie mit einem Besen, sind die Könige weggefegt? Wärens
Könige gewesen, sie stünden heut noch unbewegt. Wenn sich S.M. über uns alte
Soldaten entrüstet, dass wir ihn noch immer nicht wiedergeholt hätten, so vergißt
er, dass er selbst seinen Platz verlassen hat." (Hervorhebung im Original) Vgl. den
Beitrag KOHLRAUSCH in diesem Band.
59
Vgl. den (von v. Seeckt entworfenen) Aufruf des Oberbefehlshabers des Grenz-
schutzabschnittes Nord, General der Infanterie v. Quast, an das Offizierkorps vom
24.4. 1919, abgedruckt in: Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhun-
derten, hg. v. Manfred MESSERSCHMIDT, Stuttgart 1964, S. 217-219. Zur Bedeu-
tung der Reichsidee für die Wehrideologie: Michael SALEWSKI, Reichswehr, Staat
und Republik, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 31 (1980), S. 271-
288.
60
Adolf V. TROTHA, Volkstum und Staatsflihrung, Briefe und Aufzeichnungen
1915-1920, Berlin 1928, S. 197.
61
Tilo FRHR V. WILMOWSKI, Rückblickend möchte ich sagen... - an der Schwelle
des 150jährigen Krupp-Jubiläums, Oldenburg/Hamburg 1961, S. 88.
62
Franz v. PAPEN, Der Wahrheit eine Gasse, München 1952, S. 116. Weitere Hin-
weise bei Funck/Malinowski, Geschichte von oben (wie Anm. 14), S. 261 f.
63
Annelise THIMME, Flucht in den Mythos. Die Deutschnationale Volkspartei und
die Niederlage von 1918, Göttingen 1969. Zur „Dolchstoßlegende": Ulrich
HEINEMANN, Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegs-
schuldfrage in der Weimarer Republik, Göttingen 1983.
würde: „Nun sind wir schon drei lange Vierteljahre Krieger, haben
vergessen, daß einmal Friede war und Stille, daß es eine Zeit der Rosen
und der Schmetterlinge gab. [...] Aus einem Volk friedlicher Arbeiter
wurde ein Volk der Kämpfer. [....] Aber daß wir jeden Tag Soldat sein
müssen, daß jeden Tag ein Gegner, jeden Tag ein Kampf, jeden Tag
ein Schicksal auf uns wartet, dem wir uns stellen müssen, das hat uns
doch erst dieser Krieg gelehrt. [...] Daß unser Leben nur ein Lehen ist,
daß unsere Zukunft auf dem Blut beruht, das wir als Verpflichtung
empfangen und als Opfer hinzugeben haben, daß wir lodernd nur dann
das Leben genießen, daß wir jubelnd nur dann den Tod begrüßen,
wenn wir wissen, daß kein noch so bescheidenes Stückchen Leben von
Wert ist, wenn wir nicht den Einsatz dafür gewagt haben, das hat uns
doch dieser Krieg gelehrt."64 Damit wurde zwar das aristokratische
Offizierkonzept endgültig in ein von Härte geprägtes preußisches, rein
kriegerisch-soldatisches überführt, in dem der Adel nur noch eine Ne-
benrolle spielen konnte, doch wurde so das Weiterkämpfen ermöglicht
und mit neuem Sinngehalt unterlegt.65
Die adligen Offiziere kämpften nach dem 9. November 1918 inner-
halb und außerhalb des institutionalisierten Militärs weiter, und zwar
mit zunächst sehr konkreten Zielen: Niederschlagung der Revolution,
die in Erinnerung der Ereignisse in Rußland seit 1917 auch als Bedro-
hung des eigenen Lebens empfunden wurde, und im Falle der Gutsbe-
sitzer die Sicherung des Eigentums. Dieser militärische Dienst wurde
allerdings in ganz unterschiedlichen, z.T. rivalisierenden Institutionen
(reguläre Armee, Freikorps, Selbstschutzverbände etc.) geleistet, die
sich in den Wirren des Bürgerkrieges und der Demobilisierung gebil-
det hatten, und in Organisationsgrad und Befehlshierarchie, nicht zu-
letzt auch in ihren politischen Zielsetzungen fundamental voneinander
unterschieden. Es kann gar nicht stark genug betont werden, daß die
Jahre der Revolution und Konterrevolution geprägt waren von dem
Konflikt zwischen der Tendenz zur Privatisierung von Krieg und Ge-
walt in den paramilitärischen Verbänden und den Anstrengungen der
Reichswehrführung das Gewaltmonopol wiederzuerlangen.66 Das ei-
64
Bogislaw v. SELCHOW, Hundert Tage aus meinem Leben, Leipzig 1936, S. 257.
65
Ausführlicher: Marcus FUNCK, The Meaning of Dying. East Elbian Noble Fami-
lies as „War Tribes" in the 19th and 20th Centuries, in: Matt Berg/Greg Eghigian
(Hg.), Sacrifice and National Belonging in Twentieth-Century Germany, Arling-
ton 2001.
66
GEYER, Aufrüstung oder Sicherheit (wie Anm. 9), S.25. Neben den verstreuten
Hinweisen bei Otto-Ernst SCHÜDDEKOPF, Das Heer und die Republik. Quellen zur
gentliche Ausmaß der Bewaffnung von unten kann erst durch lokal-
und regionalgeschichtlich angelegte Detailstudien aufgezeigt werden.67
Gutshäuser in adligem Besitz bildeten organisatorische Schaltstellen
der konterrevolutionären Bewegungen, des bewaffneten Widerstandes
gegen Revolution und Demokratie auf dem flachen Land. So stellte der
Rittmeister a.D. Wilhelm v. Oppen-Tornow nach 1918 sein Gutshaus
verschiedenen Verbänden als Waffenkammer und Kommandozentrale
zur Verfugung, beherbergte Fememörder und unterstützte die Küstriner
Putschisten, während der Rittergutsbesitzer v. Natzmer als Führer der
Bauern die Revolution in Cottbus zurückgeschlagen haben soll. 68 Sol-
che Aktivitäten basierten vornehmlich auf traditionellen Vorstellungen
von militärischem Herrentum, nur daß sie nach 1918 auf privat finan-
zierte und geführte Einheiten übertragen wurden und auf die „Basis-
Militarisierung"69 der Bevölkerung angewiesen blieb.
Grundlegend anders stellten sich die Beziehungen zwischen Offi-
zieren und Soldaten in den eigenmächtig „von unten" gebildeten Frei-
korps dar - die staatsnahen, „von oben" eingesetzten Freikorps seien
hier außen vor gelassen. 70 Der Zerstörung der staatlich-institutionellen
Kollektivität wurden hier neue, aus der erlebten und stilisierten Front-
kameradschaft geschöpfte Bindungsformen entgegengesetzt, die einen
71
SCHÜDDEKOPF, Heer und Republik (wie Anm. 66), S.44. Vgl. die Erinnerungen
des „roten Generals" Georg MAERCKER, Vom Kaiserheer zur Reichswehr, Leipzig
1921.
72
Vortrag „Die Truppen im Baltikum", gehalten vor dem preußischen Kriegsmini-
sterium am 1.10. 1919 in: BA-MA Ν 5/18 (ν. Stülpnagel), fol. 29.
73
Hans V. SEECKT, Die Reichswehr, Leipzig 1933, S. 14.
74
Bspw. Rüdiger GRAF V. D. GOLTZ, Meine Sendung in Finnland und im Baltikum,
Leipzig 1920; Bernhard V. HÜLSEN, Der Kampf um Oberschlesien, Berlin 1922;
Manfred V. KJLLINGER, Kampf um Oberschlesien 1921, Leipzig 1934; Walther
FREIHERR v. LÜTTWITZ, Im Kampf gegen die November-Revolution, Berlin 1934.
75
Vgl. Ernst v. SALOMON, Die Geächteten, Berlin 1930, S. 167: „Eine Welle des
dumpfen Hasses stieg aus der Masse zu uns herauf, der Haß zweier Rassen, der
blinde Ekel voreinander [...]."
76
Garde-Kavallerie-Schützenkorps: „Erfahrungen aus den Straßenkämpfen in
Berlin" vom 31.3. 1919, in: BA-MA Ν 280/106 (ν. Hülsen).
77
Vgl. die Passagen über Paul v. Lettow-Vorbeck in Klaus THEWELEIT, Männer-
phantasien, Bd. 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, Basel/Frankfurt a. M.
1977.
78
Vgl. FUNCK/MALINOWSKI, Geschichte von oben (wie Anm. 14), S. 260-266.
man könne einen toten Leichnam, die alte Armee, nicht einfach „gal-
vanisieren".79 Wenn es nun darum ging eine neue Armee aufzubauen,
so wurden die Rahmenbedingungen von den Siegermächten bestimmt,
während die innere Ausgestaltung der Armee, u.a. die Auswahl der
Offiziere ausschließlich Sache der deutschen Militärführung blieb.80
Hier gab es durchaus konträre Vorstellungen, insbesondere zwischen
dem aus Württemberg stammenden preußischen Kriegsminister Gene-
ral Walter Reinhardt einerseits und Seeckt sowie führenden Offizieren
des Generalstabes anderseits,81 von außerhalb der Militärfiihrung for-
mulierten Offizierskonzepten ganz abgesehen.82 Schließlich setzte sich
die „restaurative Linie" des Generalstabes durch, bevorzugt General-
stabsoffiziere in die neue Armee zu übernehmen und in verantwortli-
che, militärpolitisch sensible Stellungen zu hieven, zumal nach Wil-
helm Groeners Argumentation „der Generalstabsoffizier die durch
immer erneute Prüfung und Siebung gewonnene Elite des gesamten
Offizierkorps [war]."83 Groener formulierte auch das Kalkül der mili-
tärischen Zentrale in einem früheren Schreiben an das Personalamt im
preußischen Kriegsministerium. Den Wiederaufbau sah er nur dann
gewährleistet, wenn „die besten Männer4' blieben. Gerade die Neu-
organisation, die Verkleinerung des Heeres gäbe Gelegenheit, „das
Offizierkorps von dem ihn aus dem Kriege und aus der Revolutionszeit
anhaftenden Schlacken zu reinigen, wenn eine feste und zielbewußte
Hand den Bau leitet[e]."84 Übrig blieb also der professionelle Kern des
79
Friedrich v. RABENAU, Seeckt. Aus seinem Leben 1918-1936, Leipzig 1940, S.
126. Diese Haltung brachte ihm die bittere Feindschaft der abgetretenen Schnauz-
bartmilitaristen ein. Vgl. ebda. S. 232.
80
Besonders in diesem Punkt zeigten sich Oberste Heeresleitung (Hindenburg,
Groener) und preußisches Kriegsministerium (Reinhardt) gegenüber den Arbeiter-
und Soldatenräten keinerlei Kompromißbereitschaft. Bezeichnend Groeners tau-
tologisches Argument: „Führer können nicht gewählt werden, weil gewählte Offi-
ziere keine Führer sind." Protokoll einer Besprechung zwischen dem Rat der
Volksbeauftragten, Groener und dem Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte
(27-Ausschuß) vom 30.12. 1918, in: BA-MA Ν 42/11 (ν. Schleicher)
81
BALD, Vom Kaiserheer zur Bundeswehr (wie Anm. 42), S. 22-24 und WETTE,
Noske (wie Anm. 3).
82
Für die republikanische Variante: Franz Carl ENDRES, Reichswehr und Demokra-
tie, München/Leipzig 1919.
83
Schreiben Wilhelm Groeners an Walter Reinhardt vom 24.8. 1919, zitiert nach:
Detlev BALD, Gerhild BALD, Eduard AMBROS (Hg.), Tradition und Reform im
militärischen Bildungswesen. Von der preußischen Allgemeinen Kriegsschule,
Baden-Baden 1985, S. 46, S.153.
84
Schreiben Groeners an Reinhardt vom 26.3. 1919 in: BA-MA PH 3/27, 2.
alten Heeres, der sich weniger als „echter Träger der alten Tradition
des deutschen Offizierkorps", 85 als vielmehr durch einen sachlich-
funktionalen Zugriff auf militärfachliche Fragen auszeichnete.
Natürlich war in dieser Gruppe auch eine überproportional hohe Zahl
adliger Offiziere zu finden, der Adelsanteil im Generalstab betrug bei
Beginn des Weltkriegs annähernd 50 Prozent, doch waren sie in erster
Linie nicht aufgrund von Herkunft und Protektion, sondern aufgrund
von Expertenwissen, Leistung und systematischer Auslese in ihre
Stellungen gelangt und dort verblieben. Insofern setzte sich in der
Reichswehr der Aufstieg der „Bürosoldaten" beschleunigt fort.
Die Rekrutierungspraxis war anfänglich ohnehin sehr viel differen-
zierter und das Offizierkorps sehr viel heterogener als in der Literatur
gemeinhin dargestellt wird. Im Januar 1920 beklagte sich Seeckt ge-
genüber Reichswehrminister Noske, daß „das Offizierkorps auch die
Ansätze einer einheitlichen Zusammensetzung von Ansichten und
Wille nicht erkennen läßt. Wir haben eine Menge kleiner Republiken
in der Armee. Das geht weiter nicht an."86 Das Offizierkorps setzte
sich zusammen aus höheren und mittleren Truppenführern vom Regi-
mentskommandeur aufwärts, jüngeren, aktiven Offizieren, die sich in
Generalstabs- und Stabsstellungen befanden, Kriegsleutnants und den
sogenannten „Noske-Offizieren", aus dem Unteroffizierkorps teilweise
auch aus dem Mannschaftsstand beförderte Offiziere, die jedoch sehr
schnell wegen vorgeschobener „Unzuverlässigkeit" ausgesiebt wurden.
Den Wehrkreiskommissionen, die für die Übernahme der Stabsoffizie-
re zuständig waren, und später den Regimentskommandeuren wurde
nahegelegt nicht den traditionellen Auswahlkriterien zu folgen: Weder
soziale Herkunft noch Bildung oder gar die wirtschaftlichen Verhält-
nisse der Bewerber standen an oberster Stelle, sondern Charakter, Ge-
sinnung und militärisches Können.87 Dies ermöglichte die gnadenlose
Aussiebung demokratisch gesonnener Offiziere ebenso wie unliebsa-
mer Frontsoldaten, doch war es eben kein Rückfall in eine Zeit, in der
das Offizierkorps soziales Prestige über die Ausstrahlungskraft seiner
Herkunft und Exklusivität bezog. Bei der Eingliederung neueinge-
stellter Offiziere scheint es zu erheblichen Schwierigkeiten gekommen
zu sein, da häufig jüngere Offiziere, die mit den Mannschaften eng
verwachsen waren, ihre Stellen für ältere und ranghöhere Offiziere
räumen mußten. Zwar bemühten sich die Wehrkreise, soweit dies die
Bedingungen der Siegermächte zuließen, um einen behutsamen und
sukzessiven Austausch,88 doch waren sie nicht in der Lage das be-
drohliche Protestpotential der von Entlassung bedrohten Offiziere ab-
zubauen.
Die militärische Aufbauarbeit der frühen Jahre war durchaus restau-
rativ in dem Sinne, daß Revolution und Konterrevolution aus dem
Offizierkorps verdrängt wurden. Frontsoldatentum, Revolution und
Bürgerkrieg hatten die ohnehin fragile Homogenität des Offizierkorps
aufgelöst, so daß von den politischen Ambitionen einzelner militäri-
scher Persönlichkeiten abgesehen, die Reichswehrpolitik anfanglich
unter dem Motto „Wir müssen arbeiten!" 89 in erster Linie auf Wieder-
herstellung der militärischen Einheit unter Führung der Offiziere und
auf Verankerung des Wehrgedankens in der Bevölkerung zielte. Das
angestrebte Führerheer als Speerspitze der oberhalb des republikani-
schen und der Verfassung angesiedelten wehrhaften Nation knüpfte an
ein vermeintlich unpolitisches, rein militärische fundiertes Offiziers-
konzept an, wie es vor 1914 am ehesten im Generalstab entwickelt
worden war.
Die z.T. grotesk anmutenden Versuche v. Seeckts, die Wiederer-
richtung des Offizierkorps als militärische Funktionselite und als ge-
sellschaftliche Wertelite bis in die Kompanien hinein zu steuern, rissen
nach seiner Verabschiedung 1926 nicht ab. Doch orientierten sich sei-
ne Nachfolger nüchterner an den gegebenen Realitäten, versuchten die
Basis des Offizierersatzes zu erweitern und zeigten sich in Theorie und
Praxis der militärischen Elitenrekrutierung insgesamt sehr viel experi-
mentierfreudiger. Auch hinsichtlich der Elitenbildung im Offizierkorps
88
Schreiben des preußischen Kriegsministers Reinhardt an alle Kommandobehörden
vom 13. Mai 1919, in: Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (SHStA), Bestand
Heeresabwicklungsamt, Ρ 7151, fol. 172.
89
Erlaß des Chefs der Heeresleitung, Generalmajor v. Seeckt, an die Generalstabsof-
fiziere vom 7.7. 1919, abgedruckt in: Offiziere im Bild von Dokumenten (wie
Anm. 59), S. 217-219.
galt es, „aus dem Gebiet der Utopien herauszukommen." 90 Dazu ge-
hörte zunächst einmal die Überlegung, die Armee aus der selbstver-
schuldeten gesellschaftlichen Isolation herauszufuhren, indem sie von
der Reichswehrfiihrung näher an den republikanischen Staat, damit ins
Zentrum der politischen Entscheidungen, herangerückt werden sollte.91
Am deutlichsten formulierte dies der Kommandeur des III. Wehrkrei-
ses General Otto Hasse, der damit bezeichnenderweise der vom sozial-
demokratischen Reichstagspräsidenten Hermann Löbe vorgeschlage-
nen Neuordnung der Offiziersergänzungsbestimmungen und einer
allgemeinen „Hetze gegen die Reichswehr4' entgegentreten wollte:
„Wir haben eine Republik und können es aus sachlichen und perso-
nellen Gründen nicht ändern und wollen es auch nicht ändern." Er
forderte, ein offenes Wort für die Demokratie auszusprechen und den
Mut zum Bekenntnis, der jedoch „durch inneren konventionellen
Zwang, von außen durch gesellschaftlichen Terror der politisch unori-
entierten und dilettantierenden Kreise, die sich meist nicht aus den
klügsten Elementen zusammensetzen, unterdrückt [würde]." Nur über
eine symbolische Annäherung an die Republik könne das Heer wieder
sichtbar werden bzw. in die Mitte des Volkes rücken. 92 In einem von v.
Seeckts Nachfolger, General Wilhelm Heye, unterzeichneten Umlauf-
papier für Offiziere im Reichswehrministerium wurde diese Überle-
gung sogar noch weitergeführt: „Monarchie oder Republik? Dabei ist
diese Frage, so wie sich die Dinge nun mal entwickelt haben, keine
Tatfrage mehr. Es gibt in Deutschland kaum ein Dutzend ernst zu
nehmender Männer, die die Wiederherstellung der Monarchie in ab-
sehbarer Zeit für zweckmäßig, geschweige denn für möglich und
durchführbar halten." Um den „Kommunisten und Pazifisten den Wind
aus den Segeln zu nehmen", solle sich die Reichswehr an der Ausge-
staltung der Republik beteiligen. Des weiteren müßten alle Reichs-
90
Brief Joachim v. Stülpnagels an Friedrich v. Rabenau vom 14.5. 1926, in: B A -
MA Ν 5/21 (ν. Stülpnagel), fol. 7.
91
Überhaupt verlangten führende Offiziere im Ministerium, daß die Rolle des Offi-
zierkorps durch offensive „Öffentlichkeitsarbeit" auch in der Gesellschaft wieder
zu entsprechender Geltung gebracht werden sollte. Diese Linie vertrat schon früh-
zeitig insbesondere Kurt v. Schleicher. Vgl. die Aufzeichnung über eine „Bespre-
chung des Herrn Chefs P.A. mit den Abteilungsleitern des Rw.M. über den gesell-
schaftlichen Verkehr des Offizierkorps der Reichswehr" vom 14.12. 1927, in:
BA-MA Ν 42/42 (ν. Schleicher), fol. 62-64.
92
General Otto Hasse an den Chef der Heereleitung Hans von Seeckt vom 30.11.
1926, die Hetze gegen die Reichswehr betreffend, in: BA-MA Ν 247/89 (ν. Se-
eckt), fol. 65-69.
93
Umlaufpapier zum Jahreswechsel 1926/27, in: BA-MA Ν 42/39 (ν. Schleicher),
fol. 81-90.
94
So ein beißendes Schreiben aus der Heeresorganisationsabteilung an Oberstleut-
nant Werner Frhr. v. Fritsch vom 26.10. 1926, in: BA-MA Ν 42/42 (ν. Schlei-
cher), fol. 15-17, in dem auch daraufhingewiesen wurde, daß die Vorstellung, die
Erinnerung an entzogene Kriegsmittel führe zu Mitteln und Wegen ohne sie den
Kampf zu bestehen in sich widersprüchlich und für die Reichswehr kontrapro-
duktiv sei.
95
Vgl. die Denkschrift Joachim v. STÜLPNAGELS „Der gegenwärtige Zustand und
die Zukunftsaufgaben des Offizierkorps vom 20.11. 1928, in: BA-MA Ν 5/22 (ν.
Stülpnagel), fol. 16-24. „Das Ziel ist die Schaffung eines Offizierkorps, das cha-
rakterlich und geistig eine Elite von Menschen darstellt, die über den Rahmen der
Berufsaufgaben hinaus auf die Masse der Bevölkerung eine Einwirkung ausübt."
96
Ein Entwurf findet sich in BA-MA Ν 5/22 (ν. Stülpnagel), fol. 3-4.
97
Wie Anm. 92.
98
Vortragsnotizen aus dem Arbeitsgebiet des Personal-Amts vom 19.11. 1928; Β Α -
ΜΑ Ν 5/22 (Ν. Stülpnagel), fol. 14. Vgl. auch Detlev BALD, Tradition und Reform
(wie Anm. 8 1 ) , S. 4 6 .
99
Wie Anm. 92
100
„Gedanken zur Denkschrift" vom 5.12. 1928 und Antwortschreiben vom 6.12.
1928, ebda. 25-28 bzw. 29-33. Vgl. die 1932 von der Heeresorganisationsabtei-
lung emsthaft angestellten Überlegungen, hierarchische Rangabzeichen durch
Funktionszeichen zu ersetzen, in: GEYER, Aufrüstung oder Sicherheit (wie Anm.
9), S. 16.
101
GEYER, Professionals and Junkers (wie Anm. 9), S. 81 dort auch Beispiele. Im
Reichswehrministerium beschäftigte man sich sogar mit der Frage der Abnutzung
von Uniformen durch zu häufiges Tragen und kam zu der Antwort, daß finanziell
schlechter gestellte Offiziere, die Uniform nicht immer tragen müßten.
102
David N. SPIRES, Image and Reality. T h e Making of the German Officer 1921-
1933, Westport (Conn.) 1984.
103
Marcus FUNCK/Stephan MALINOWSKI, „Charakter ist alles!" Erziehungsideale und
Erziehungspraktiken in deutschen Adelsfamilien im 19. und 20. Jahrhundert, in:
Jahrbuch für Historische Bildungsforschung 4 (2000), S. 71-91.
104
In einer Auftragsarbeit des Militärschriftstellers (und ehemaligen Reichswehroffi-
ziers) Kurt Hesse für die Heeresausbildungsabteilung heißt es: „Vergessen wir
nicht, daß die Führerrolle, die uns vor Augen steht, die Rolle des Führers des Vol-
kes, nur dann übernommen sein kann, wenn wir auch die geistige Qualität dazu
haben. Es sind viele Ansätze im Offizierkorps zur Persönlichkeit, aber die Zahl
der Persönlichkeiten ist noch immer gering." Zwar konstatierte er einen allgemei-
nen Rückgang an Persönlichkeiten, nannte aber in konventioneller Manier „ge-
sunden [!] Adel, alte Beamtenfamilien, Großgrundbesitz und alt eingesessene
Kaufleute" als Schichten, die eine gewisse Gewähr für Qualität böten. Vgl. B A -
MA Ν 558/43 (Hesse), S. 19.
105
Eckart KEHR, Zur Soziologie der Reichswehr (wie Anm. 4), S. 240.
106
Friedrich DOEPNER, Zur Auswahl der Offizieranwärter im 100.000-Mann-Heer,
in: Wehrkunde 22 (1973), S. 200-204 u. 259-263.
110
Eine plastische Beschreibung der Bedeutung von Netzwerken und persönlichen
Beziehungen (und deren Grenzen) für die Einstellung als Offizieranwärter liefert
- bezeichnenderweise am Beispiel eines Bürgerlichen - Hans MEIER-WELCKER,
Aus dem Briefwechsel zweier junger Offiziere des Reichsheeres 1930-1938, in:
Militärgeschichtliche Mitteilungen 14 (1973), S. 57-100. S. a. Friedrich DOEPNER,
Die Entscheidung für den Offizierberuf, in: Wehrkunde 23 (1974), S. 421-428.
Hermann TESKE, Analyse eines Reichswehr-Regiments, in Wehrwissenschaftli-
che Rundschau 12 (1962), S. 252-269, hier: S. 256 berichtet von sogenannten
„Traditionssöhnen", die von ihren Vätem, alten Gardisten, dem Regiment zur Er-
ziehung übergeben wurden. Gerade unter Seeckt war es auch innerhalb der
Reichswehrführung möglich, „Adjutantenpolitik" zu betreiben und Einstellungen
von Freunden und Bekannten zu forcieren. Vgl. Friedrich v. RABENAU, Auszug
aus meinen Erinnerungen an meine Adjutantenzeit, in: BA-MA, Ν 62/11 (ν. Ra-
benau), fol. 19-29. Daß diese Praxis den „Modernisierern" ein Dorn im Auge war,
geht nicht zuletzt aus der Diskussion um Stülpnagels Denkschrift vom November
1928 hervor. Vgl. Anm. 92.
111
Generalmajor Friedrich v. Loßberg sah in der Tradition das letzte Ideal, „das dem
Soldaten des Söldnerheeres Standesbewußtsein einimpft und ihn bei der Truppe
hält." Schreiben des Kommandeurs Gruppenkommando 2 „Erhaltung der Überlie-
ferung des alten Heeres" vom 30.9. 1919, in: BA-MA Ν 247/89 (ν. Seeckt), fol.
5f. Vgl. Erlaß des Reichswehrministeriums - Chef der Heeresleitung, General der
Infanterie v. SEECKT „Die Grundlagen der Erziehung des Heeres" vom 1.1. 1921,
abgedruckt in: Offiziere im Bild von Dokumenten (wie Anm. 59), S. 224-226. Der
eigentliche „Traditionserlaß" mit der Zuweisung konkreter Traditionseinheiten
stammt vom 24.8. 1921.
112
Für das IR 9 siehe TESKE, Analyse (wie Anm. 105) u. die nostalgisch-tendenziöse
Regimentsgeschichte von Wolfgang PAUL, Das Potsdamer Infanterie-Regiment 9
1918-1945. Preußische Tradition in Krieg und Frieden, Osnabrück 1984. An die-
ser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, was der eindrucksvolle Adelsanteil
in solchen Offizierkorps tatsächlich bedeutete. Im IR 9 verbargen sich hinter den
62% im Jahre 1920 ganze 47 adlige Offiziere (vs. 29 bürgerliche): 7 Stabsoffizie-
re, 11 Hauptleute und 29 Leutnante; hinter den 47% im Jahre 1933 ganze 33 adli-
ge Offiziere (vs. 37 Bürgerliche): 4 Stabsoffiziere, 7 Hauptleute und 22 Leutnante.
113
Im Fall der adligen Offiziere lag die Selbstrekrutierungsrate sogar leicht darüber,
1932 bspw. bei 56,4 Prozent.
114
HOYNINGEN-HUENE, Adel in der Weimarer Republik (wie Anm. 33), S. 293.
15
Denkschrift v. Lüttwitz' vom 3.12. 1927, in: LÜTTWITZ, Soldat in 4 Armeen (wie
Anm. 54) fol. 71-73 u. ebda. S. 82.
116
Für das Anknüpfen an Familientraditionen und einen „feudalen" Lebensstil vgl.
die Stilisierungen bei Rudolf V. GERSDORFF, Soldat im Untergang, Frankfurt a.
M./Berlin/Wien 1977 u. Dietrich v. CHOLTITZ, Soldat unter Soldaten, Kon-
stanz/Zürich/Wien 1951.
117
Christian Walter GÄSSLER, Offizier und Offizierkorps der alten Armee in
Deutschland als Voraussetzung einer Untersuchung über die Transformation der
militärischen Hierarchie, Wertheim a. M. 1930, S. 78.
118
Jedoch verliefen auch die Beziehungen der Regimenter zu den Regimentsvereinen
keineswegs so harmonisch, wie es nach der Außendarstellung den Anschein hatte.
Vgl. BLHA, Rep. 37, Herrschaft Neuhardenberg, Nr. 1894 Vereins-Akten IV,
Jahresversammlung des Vereins ehemaliger Offiziere des Ulanen Regiments Kai-
ser Alexander II. von Rußland vom 26.2. 1921 und vom 17.2. 1927.
119
August V. CRAMON, Der Leipziger Hochverratsprozeß im Lichte deutscher Frei-
heit, in: BA-MA Ν 266/80 (ν. Cramon), fol. 15-18.
120
So auch die Rechtfertigung der in Leipzig angeklagten Leutnante. Vgl. den Vor-
trag des Majors Theisen (militärischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung
in Leipzig) vor dem Offizierkorps des Reichswehrministeriums, „Der Prozeß ge-
gen die ehemaligen Leutnante Scheringer und Ludin und Oberleutnant a.D. Wendt
vor dem Reichsgericht in Leipzig" vom 14.10. 1930, in: BA-MA Ν 26/6 (ν.
Hammerstein) und den offenen Brief Richard Scheringers an Groener aus der Fe-
stungshaft vom 28. Oktober 1930, abgedruckt in: SCHÜDDEKOPF, Heer und Repu-
blik (wie Anm. 66), S. 302.
121
Eine Übersicht liefert das Handbuch der Vereinigungen deutscher Kriegs- und
Friedens-Truppenteile, Oldenburg/Berlin 1925.
122
Beispielhaft für die tiefgreifenden Konflikte zwischen den Offiziersgenerationen,
die hier leider nicht weiter ausgeführt werden können, war die durch Kurt HESSE,
Von der nahen Ära der „jungen Armee", Berlin 1925 ausgelöste Debatte. S. a. die
durch v. Seeckt inspirierte, schulmeisterliche Gegenschrift des Majors im Reichs-
wehrministerium Friedrich v. RABENAU, Die alte Armee und die junge Generati-
on. Kritische Betrachtungen, Berlin 1925. Die politische Problematik des Genera-
tionskonflikts verdeutlicht Peter BUCHER, Der Reichswehrprozeß. Der Hochverrat
der Ulmer Reichswehroffiziere 1929/30, Boppard 1967. Allgemein: KROENER,
Generationserfahrungen und Elitenwandel (wie Anm. 29).
123
Vgl. einen Brief Joachim v. Stülpnagels an Kuno Graf Westarp vom 8.10. 1919,
in: BA-MA Ν 5/18 (ν. Stülpnagel), in dem er die Kampfweise der Kreuz-Zeitung
als unruhestiftend zurückwies und das (nachträgliche) Urteil von Erich v. d. Bus-
sche-Ippenburg, Die Wehrmachtsführung von 1918 bis 1933, in: BA-MA Ν
386/4 (v. d. Bussche-Ippenburg): „Gegenspieler der Reichswehr war die DNVP."
124
Zitate aus Rüdiger Graf v. d. Goltz, Überhebliche Geschichtsfalschung vom 3.1.
1927, fol. 2, in: BA-MA Ν 714/10 (v. d. Goltz) und Friedrich Graf v. d. Schulen-
burg, „Erlebnisse" des Grafen Friedrich von der Schulenburg, in: BA-MA Ν 58/1
129
Bspw. die heftigen Konflikte anläßlich des Uniformverbots u.a. für den Stahl-
helm, in die sich auch der Kronprinz einschaltete. Dieser mußte sich von v. Ham-
merstein-Equord allerdings sagen lassen, daß das Recht auf Uniform nur den
„wirklichen Soldaten", d. h. der Reichswehr gebühre. Anstelle verabschiedeten
Offizieren eine Regimentsuniform zu verleihen, die sie dann bei kindlichen Auf-
märschen und Soldatenspielen zur Schau trügen, hätte man alten Offizieren besser
das Geld zu einem gut sitzenden Frack geben sollen. Siehe den Bericht des Ober-
sten v. Thaer über Äußerungen des Generals v. Hammerstein vom 22.12. 1931, in:
B A - M A Ν 42/21 (ν. Schleicher), fol. 120-122. Selbst der Kronprinzenberater
Friedrich Graf v. d. Schulenburg, Reichstagsabgeordneter für die DNVP, später
NSDAP-Mitglied und SS-General, hielt nur wenig von der „draufgängerischen
Stahlhelmpolitik politisch urteilsloser Generale" und bevorzugte die Herrenklub-
Variante. Vgl. die Briefe v. d. Schulenburgs an v. Schleicher vom 27.6. 1930, in:
B A - M A Ν 42/27 (ν. Schleicher) und vom 15.8. 1931, in: ebda. Ν 42/21 (ν.
Schleicher), fol. 80.
130
Vgl. HOYNINGEN-HUENE, Adel in der Weimarer Republik (wie Anm. 33), S. 319-
321. Die Bedeutung des Unvereinbarkeitserlasses ist wohl darin zu sehen, daß
sich dadurch die DAG und zahlreiche weitere Organisationen v.a. aus dem rechten
Spektrum noch stärker vom Staat und seinen Organen distanzierten und sich als
außerhalb stehende „nationale Opposition" präsentieren konnten.
131
Vgl. das pathetische Bekenntnis von Graf Rüdiger v. d. Goltz, Soldat und Politik
' vom 14.10. 1929, in: BA-MA Ν 714/11: „Wir alten Offiziere haben nach der Re-
volution den geliebten hohen Beruf aufgegeben oder auch aufgeben müssen, als
wir noch voll arbeitsfähig, aber grossenteils nicht mehr jung genug waren, einen
neuen Beruf zu ergreifen. Das Gleiche gilt für den größten Teil der später aus der
Reichswehr ausgeschiedenen Offiziere. Da Arbeit uns anerzogen war, suchten wir
nach neuer Tätigkeit. Es war das Natürliche, dass wir irgend etwas ergriffen, das
dem alten Berufe nahe lag und unserer Vorbildung entsprach. Zu diesen Möglich-
keiten gehört das Arbeiten und Werben fur den Wehrgedanken."
132
Hans MOMMSEN, Militär und zivile Militarisierung in Deutschland 1914 bis 1938,
in: Ute Frevert (Hg.), Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stutt-
gart 1997, S. 265-276.
133
Rüdiger Graf v. d. Goltz, Alte und neue Führerschicht vom 23.7. 1929, in B A -
MA Ν 714/11.
tung. 134 Zur Annäherung an den republikanischen Staat oder gar zur
Integration fehlten der Reichswehr letzten Endes Wille und politische
Kraft.
Jenseits der Sphäre des professionellen Militärinstituts gewann ein
militärisch geprägtes „Adelsproletariat" in den Wehr- und Veteranen-
verbänden ein weites Betätigungsfeld und wirkte in verheerender Wei-
se auf große Teile der Adelsgesellschaft und ihrer Organisationen (vor
allem die DAG) zurück. Ökonomisch und sozial bedroht, teilweise
sogar deklassiert, wurden von hier aus jene Standesgenossen, die sich
der Republik und ihrer Einrichtungen nicht von vornherein verweiger-
ten, systematisch ausgegrenzt, wurde der radikale Antisemitismus sa-
lonfähig gemacht, der gesellschaftliche Führungsanspruch auf völki-
scher Basis reformuliert, gemäßigte konservative Strömungen zurück-
gedrängt und der Adel militärisch mobil gehalten. Gerade die militäri-
schen und paramilitärischen Verbände dienten als bevorzugtes Sam-
melbecken für den militärisch geprägten Teil insbesondere des preußi-
schen Adels, der mit dem Verlust der Monarchie 1918 seine gesell-
schaftliche und politische Orientierung verloren hatte. Insofern folgte
auch diese Adelsgruppe der fur die Weimarer Republik charakteristi-
schen Tendenz zur gesellschaftlichen Selbstorganisation und Mobil-
machung außerhalb staatlicher Institutionen. Auf diese Weise konnten
die vormaligen militärischen Herren zwar einen ungebrochenen An-
spruch auf Führung formulieren, doch gründete dieser nurmehr auf der
kriegerischen Vergangenheit. Folgerichtig wurde das Offizierkorps als
ein eigenständiger Führerstand gedacht, mit dem gemeinsam die Stan-
desgenossen als Führer an die Spitze der „Volksgenossen" treten soll-
ten. 135 Von da an war es nur noch ein kleiner Schritt zu der Forderung
nach der Bildung eines Neuadels aus „Blut und militärischer Beru-
fung". Da alle Offiziere im Weltkrieg ihre Pflicht erbracht und „ge-
blutet" hätten, so Rüdiger Graf v. d. Goltz, müsse der neue Adel als
„rassischer Schwertadel" definiert werden und die Abkömmlinge
kriegsbewährter Offizierfamilien integrieren.136 Damit aber war das
aristokratische Offizierkonzept faktisch abgeschafft und in ein rassi-
stisch aufgeladenes, vorgeblich rein soldatisches überführt worden.
134
Klaus-Jürgen MÜLLER, Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches
Regime 1933-1940, Stuttgart 1969; Manfred MESSERSCHMIDT, Die Wehrmacht im
NS-Staat. Die Zeit der Indoktrination, Heidelberg 1969.
135
W. v. HAGEN, Adel verpflichtet!, in: Deutsches Adelsblatt 39 (1921), S. 37f.
136
Rüdiger GRAF V. D. GOLTZ, Offizier und Adel, in: Deutsches Adelsblatt 53 ( 1935),
S. 504f.
Der Begriff „Adel" fehlt nicht nur in den Sachregistern der Literatur
zur Weimarer Republik, sondern den meisten Darstellungen auch als
analytische Kategorie. Bei genauerem Hinsehen ist über die Ge-
schichte des Adels nach 1918 vieles behauptet und einiges belegt,1 der
Begriff Adel bislang jedoch kaum mit jener analytischen Differenzie-
rung verwendet worden, welche die Sozialgeschichte der letzten Jahre
etwa für den Begriff „Bürgertum" etabliert hat. Von Hans Rosenbergs
einflußreichen Deutungen der „Rittergutsbesitzerklasse"2 bis zu den
genauesten Analysen der Auslieferung des Weimarer Staates ist weni-
Zu den wenigen Arbeiten über den Adel nach 1918 gehören die auf präzise Belege
verzichtende, der Ehrenrettung der „Junker" verpflichtete Arbeit von Walter
GÖRLITZ, Die Junker. Adel und Bauer im deutschen Osten, Limburg 4 1981, S.
326-410, der Überblick von Francis L. CARSTEN, Geschichte der preußischen Jun-
ker, Frankfurt/M. 1988, S. 154-189 und die analytisch enttäuschende Arbeit von
IRIS FREIFRAU V. HOYNINGEN-HUENE, Adel in der Weimarer Republik, Limburg
1992. Zuletzt: Wolfgang ZOLLITSCH, Adel und adlige Machteliten in der Endpha-
se der Weimarer Republik. Standespolitik und agrarische Interessen, in: Heinrich
August Winkler (Hg.), Die deutsche Staatskrise 1930-1933. Handlungsspielräume
und Alternativen, München 1992, S. 239-256. Wichtige Ausgangspunkte dieses
Beitrages bilden die hervorragenden Arbeiten von George KLEINE, Adelsgenos-
senschaft und Nationalsozialismus, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 26
( 1 9 7 8 ) , S. 1 0 0 - 1 4 3 u n d K a r l - O t m a r FREIHERR VON ARETIN, D e r b a y e r i s c h e A d e l .
Von der Monarchie zum Dritten Reich, in: Martin Broszat/Elke Fröhlich u.a.
(Hg.), Bayern in derNS-Zeit, Bd. 3, München 1981, S. 513-567.
Hans ROSENBERG, Die Pseudodemokratisierung der Rittergutsbesitzerklasse, in:
ders., Machteliten und Wirtschaftskonjunkturen, Göttingen 1978, S. 83-101.
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174 Stephan Malinowski
Heinrich August WINKLER, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deut-
schen Demokratie, München 1993, S. 607.
Heinrich August WINKLER, Deutschland vor Hitler. Der historische Ort der Wei-
marer Republik, in: Walter Pehle (Hg.), Der historische Ort des Nationalsozialis-
mus, Frankfurt/M. 1990, S. 28. Aufgenommen und unterstrichen bei Hans-Ulrich
WEHLER, Einleitung, in: ders. (Hg.), Europäischer Adel 1750-1950, Göttingen
1990, S.14.
Vgl. die präzisen Darstellungen von WINKLER, Weimar (wie Anm. 3), S. 477-594
und - in stark personalistischer Zuspitzung: Henry A. TURNER, Hitlers Weg zur
Macht. Der Januar 1933, München 1996.
Zuerst: Hans-Jürgen PUHLE, Agrarische Interessenpolitik und preußischer Kon-
servatismus im Wilhelminischen Reich (1893-1914), Hannover 1966. Zuletzt:
Stephanie MERKENICH, Grüne Front gegen Weimar. Reichs-Landbund und agrari-
scher Lobbyismus 1918-1933, Düsseldorf 1998.
Die genaue Anzahl ist unbekannt. Auch HOYNINGEN-HUENE, Adel (wie Anm. 1 ),
S. 17-20, die für die o.g. Untergrenze plädiert, liefert nicht mehr als begründete
Schätzungen.
Heinrich August WINKLER, Requiem für eine Republik. Zum Problem der Ver-
antwortung für das Scheitern der ersten deutschen Demokratie, in: Peter Stein-
bach/Johannes Tuchel (Hg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn
1994, S. 54-67, zit. S. 57.
riern" haften blieb, tendenziell erstarrte und nicht etwa „den" Adel,
sondern mit den ostelbischen Großgrundbesitzern einen Typus unter
die Lupe nahm, der zweifellos zu den einflußreichsten Teilgruppen des
Adels gehörte. In beiden Fällen ist es das „verhängnisvolle" Fortbeste-
hen überproportionaler Macht, gespeist aus Großgrundbesitz, perso-
nellen Netzwerken und Lobbyismus, die das Interesse an diesen
Adelsgruppen zu begründen scheint. Die nicht zu bestreitende Tatsa-
che, daß der politische Einfluß einzelner Adelsiraktionen nach 1918
immens blieb, scheint jedoch den Blick auf die ebensowenig bestreit-
bare Tatsache verstellt zu haben, daß der Zusammenbruch von 1918
für den Adel einen Sturz markiert, der tiefer als für jede andere Gruppe
des Kaiserreichs war. Die Tiefe dieses Sturzes wird freilich erst dann
deutlich, wenn der schmale Fokus auf die vergleichsweise kleinen
weiterhin erfolgreichen Adelsgruppen (reiche Gutsbesitzer, höhere
Reichswehroffiziere, hohe Beamte, Diplomaten, etc.) um jene Abstei-
ger und Verlierer erweitert wird, die in keinem der traditionellen pro-
fessionellen Felder des Adels mehr Platz fanden und nicht genug so-
ziales und kulturelles Kapital besaßen, um in einer bürgerlichen Kar-
riere zu reüssieren. Die immensen Gräben zwischen äußerlich voll-
kommen ungebrochenem adligen Reichtum und Einfluß, Abstieg und
Misere verliefen zwischen verschiedenen Adelsgruppen, verstärkt je-
doch auch quer durch einzelne Familien. Zum adligen Gutsbesitzer
gehörten meist die jüngeren, nichterbenden Brüder, die unvorbereitet
„in ein Leben [geworfen wurden], das wesentlich anders ausschaut[e],
als die Erwartungen der Kinderstube verheißen hatten."9 Zur Gruppe
der ca. 900 Adligen, die sich im Offizierkorps der Reichswehr etablie-
ren konnten, gehören die ca. 10.000 adligen Kriegsoffiziere des alten
Heeres,10 deren „vorgezeichneter Weg durchs Leben" 11 1918 vielfach
ein abruptes Ende fand. Schließlich gehört zum männlichen Anteil
jener Adelsfraktionen, die den Umbruch von 1918 zumindest materiell
gut überstanden hatten, ein erheblicher Teil der adligen Frauen, die,
auf ein selbständiges Leben in wirtschaftlicher Knappheit durch nichts
vorbereitet, als Schwestern, Töchter, Tanten und Witwen bescheidene
bis klägliche Existenzen in Damenstiften, immer häufiger jedoch in
beengten Stadtwohnungen oder im „Tantenflügel" eines Gutshauses
Erwein FRHR. V. ARETIN, Rundbrief an den jungen Adel Bayerns (1923), in:
Archiv der Fürsten Öttingen-Wallerstein (AFÖW), VIII, 19.1c, Nr. 117.
Für genauere Angaben vgl. den Beitrag von Marcus FUNCK in diesem Band.
Karl Anton PRINZ ROHAN, Heimat Europa. Erinnerungen und Erfahrungen, Düs-
seldorCKöln 1954, S. 56
12
Bundesarchiv Berlin (BAB), Ref. 2 R Pers., Christoph Prinz v. Hessen,
(*14.5.1901). Der Prinz trat 1930 der NSDAP bei, nachdem er u.a. eine Schlos-
serausbildung begonnen und bei einer Versicherungsgesellschaft gearbeitet hatte.
Er stieg nach 1933 zum Ministerialdirektor im Reichsluftfahrtministerium auf.
Karrieren wie diese sind im Hochadel nach 1918 zwar nicht typisch, aber - wie
sich u.a. anhand der NSDAP-Akten belegen läßt, auch keine skandalösen Einzel-
fälle mehr.
13
So z.B. das Viererschema (Dynastien, Hochadel/Standesherren, Niederadel, Neu-
nobilitierte) bei Hans-Ulrich WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849-
1 9 1 4 , ( B d . 3 ) , M ü n c h e n 1 9 9 5 , S. 8 0 5 - 8 2 5 .
zeichnet wird. 15 Von Paul de Lagarde bis Edgar Julius Jung hatte die
Forderung nach einem „Neuen Adel" in dieser Denktradition eine zen-
trale Rolle gespielt.16 Für den Adel waren diese Konzepte nach 1918
Bedrohung und Angebot zugleich.
Soll die Rekonstruktion dieser Konzepte mehr als eine Fußnote zur
Ideengeschichte der politischen Rechten im 20. Jahrhundert sein, müs-
sen die Orte ihrer Produktion und Umsetzung besucht werden: Ein
Blick auf die Adelsverbände ist ein Blick in ein gesellschaftliches und
diskursives Zentrum des Adels, in dem über die Befestigung des alten
und die Komposition eines „Neuen Adels" intensiver als an jedem
anderen Ort debattiert wurde.
In diesem Beitrag werden mit der Deutschen Adelsgenossenschaft
und dem Deutschen Herrenklub zwei der wichtigsten Laboratorien
vorgestellt, in denen Adlige nach 1918 versuchten, den Begriff Adel
neu zu definieren, den traditionellen Anspruch auf politische Führung
theoretisch zu erneuern und praktisch durchzusetzen. Trotz diverser
Berührungspunkte handelt es sich um zwei unterschiedliche, in wichti-
gen Fragen konträre Konzepte, die den beiden grundsätzlichen Optio-
nen entsprachen, die fur den Adel nach 1918 gang- bzw. denkbar wa-
ren: Homogenisierung, Abschließung und innere Festigung des „deut-
schen Adels" war der Weg, der von der Deutschen Adelsgenossen-
schaft propagiert und befördert wurde. Die Alternative bestand in der
systematischen Öffnung zum Bürgertum, genauer: einer Koalition mit
jenen vom Bürgertum dominierten Berufsgruppen, welche die strategi-
schen Herrschaftsbereiche im modernen Industriestaat Deutschland
kontrollierten - der Weg, den Adlige im Deutschen Herrenklub zu
gehen versuchten.
Der Beitrag geht von der Vorstellung aus, daß Adel auch nach 1918
eine analytisch sinnvolle Kategorie bleibt, mit der sich eine ver-
gleichsweise leicht eingrenzbare Gruppe mit spezifischen Lebenswel-
15
Armin MÖHLER, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein
Handbuch, Darmstadt 4 1 9 9 4 (erstmals 1949). Jenseits marxistischer Dekonstruk-
tionen die überzeugendste Kritik an Möhlers einflußreicher Deutung: Panajotis
KONDYLIS, Konservativismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang, Stuttgart
1986, S. 469-493 sowie Stefan BREUER, Anatomie der Konservativen Revolution,
Darmstadt 1993. Mit dem Begriff Neue Rechte lassen sich die deutliche Distanz
zum Konservativismus und die fließenden Übergänge zum Nationalsozialismus
beschreiben.
16
Paul DE LAGARDE, Die Reorganisation des Adels, (erstmals 1853) in: ders., Deut-
sche Schriften, Göttingen 1881, s. v.a. S. 64-66. Edgar Julius JUNG, Adel oder Eli-
t e ? , in: E u r o p ä i s c h e R e v u e 9 / 1 9 3 3 , S . 5 3 3 - 5 3 5 .
Von Bedeutung blieben v.a. der vom westfälischen Adel dominierte Verein ka-
tholischer Edelleute Deutschlands (VKE, 1869) und die Genossenschaft katholi-
scher Edelleute in Bayern (GKEB, 1875). Dazu: Heinrich v. WEDEL, Über Ent-
würfe zur Reorganisation des deutschen Adels im 19. Jahrhundert, in: Deutsches
Adelsblatt (DAB) 20-32/1912 (Fortsetzungsserie, S. 295-467).
Die Deutsche Adelsgenossenschaft. Was sie erstrebt und ob man ihr beitreten soll,
in: DAB 1884, S. 556.
19
Kurt FRHR. v. REIBNITZ, Der Gotha, in: Querschnitt, 2/1928, S. 73.
20
1884 verzeichnete die Mitgliederliste 206 (männliche) Adlige, darunter 21 Grafen,
36 Barone und 149 Untitulierte. Abgesehen vom Schriftleiter der Kreuz-Zeitung
(v. Hammerstein) handelte es sich ausschließlich um Gutsbesitzer, Offiziere und
Beamte: DAB 1884, S. 157-161.
21
Die DAG, Was sie erstrebt und ob man ihr beitreten soll. In: DAB 1884, S.604.
22
So die Ausführungen des bayerischen Grafen Karl Anton v. Drechsel, Aberken-
nung und Niederlegung des Adels, Rede auf dem Adelstag in Berlin, 18.2.1911,
Protokoll in: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BHSAM), Abtl. V, Be-
stand: Genossenschaft katholischer Edelleute in Bayern (GK.EB), Bd. 3.
Formulierungen im ersten Programm der DAG, zit. n. DAB 1884, S. 556.
24
DAG-Satzung von 1892 in: Westfälisches Adelsarchiv Münster (WAAM), Nach-
laß Kerckerinck-Borg, Nr. 508.
25
Als frühe Auseinandersetzung der DAG mit dem (exklusiveren) Johanniter-Orden
über diese vier Aspekte, hier in Form einer Auseinandersetzung über das engli-
sche Adels-Modell, vgl.: Wochenblatt des Johanniter-Ordens Balley Brandenburg,
29.4.1885 und die Erwiderung im DAB 1885, S. 267.
26
Zur moderaten aber erkennbaren Zunahme der Nobilitierungen von Mitgliedern
der reichen Bourgeoisie unter Wilhelm II.: Lamar CECIL, The Creation of Nobles
in Prussia 1871-1918, in: American Historical Review 3/1970, S. 757-795.
27
Über Foren und Ausmaß adlig-bürgerlicher Annäherungen in Berlin vgl. Heinz
REIF, Hauptstadtentwicklung und Elitenbildung: „Tout Berlin" 1871 bis 1918, in:
Michael Grüttner/Rüdiger Hachtmann/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.), Geschichte
und Emanzipation, FS Reinhard Riirup, Frankfùrt/M.-New York 1999, S. 679-
699.
28
V.a. die 200-Millionen-Mark-Havarie im Strousberg-Skandal, aus der Bismarck
nach 1870/71 mehrere seiner reichen Standesgenossen durch seinen jüdischen
Bankier Bleichröder retten ließ, schien geeignet, um die Weltdeutungen der DAG-
Leitung zu bestätigen. Vgl. dazu Fritz STERN, Gold und Eisen, Bismarck und sein
Bankier Bleichröder, Frankfurt/M.-Berlin 1978, S. 439-455.
29
DAB, 1884, S. 581.
und selbst gegen den jungen Kaiser und seine Hoffiihrung offen vor-
tragen: „Strenger als das Jüdischhandeln der Juden verurtheile man das
Jüdischhandeln der christlichen Deutschen und zumal vor allem jener
Standesglieder, welche sich nicht entblöden, ihrer edlen Vorfahren
Erbe in Saus und Braus zu verprassen um dann neue Mittel für ihre
Vergeudung in allerlei gründerhaften Spekulationen zu erstreben".30
Der Ruf nach einem „Stöcker der Aristokratie" und die Selbsternen-
nung zur „politischen Leibwache des sozialen Königthums" 31 ist vor
dem Hintergrund eines Kaisers zu sehen, der sich an Bord modernster
Stahlschiffe, umgeben von jüdischen und nicht-jüdischen Financiers,
bürgerlichen Industriellen und Fachgelehrten sowie „Rennkamelen",
auf „Nordlandfahrt" oder archäologische Erkundungen begeben 32 und
sich von der sprichwörtlichen „Scholle" immer weiter entfernt hatte:
Den weitreichenden Aufbrüchen des „Herrn der Mitte" 33 in die Mo-
derne wollte und konnte ein großer Teil des alten Adels nicht folgen.
Was die DAG solchen adlig-bürgerlichen Annäherungen entgegenzu-
setzen hatte, war wenig: Eine Wappenmalschule, ein Damenunterstüt-
zungsfond, Stipendienprogramme, Ballabende, einen mit bescheidenen
Mitteln landesweit operierenden Hilfsverein und ein Übermaß an
Rhetorik zur Stilisierung der kargen Kartoffel- und Roggenäcker ihrer
Mitglieder: „Der Hofkavalier möge nie vergessen, daß der erdige Ge-
ruch des von den Vätern ererbten Grund und Bodens stets das beste
Edelmanns-Parfüm [...] bleiben wird." 34 Die Kennzeichnung von Ju-
den „durch weithin leuchtende Zeichen", die Errichtung neuer Ghettos,
„eventuell mit Kasernements für die Juden-Schutztruppe", wurden im
Adelsblatt bereits vor 1900 gefordert. Der Adel sollte die vornehmen
Ressentiments gegen das Milieu der Biertische aufgeben, sich an die
Spitze der antisemitischen Bewegung stellen und in ihr „die Führer-
fahne ergreifen".35 Immer wieder wurden Adlige, die sich in Berufe
30
Oldwig V. UECHTRITZ, Semitismus und Adel (Artikelserie), in: DAB 1885, S.
1 6 9 - 2 3 5 , zit. S. 2 3 3 .
31
DAB 1884, S. 580
32
Emst GRAF ZU REVENTLOW, Von Potsdam nach Doom, Berlin 5 1940, S. 379. Vgl.
Carl FÜRSTENBERG, Lebensgeschichte eines deutschen Bankiers 1870-1914, hg. v.
Hans Fürstenberg, Berlin 1931, S. 443f. und Hugo FRHR. VON FREYTAG-
LORINGHOVEN, Menschen und Dinge wie ich sie in meinem Leben sah, Berlin
1923, S. 172f. („Rennkamele").
33
Nicolaus SOMBART, Wilhelm II. Sündenbock und Herr der Mitte, Berlin 1996, S.
117-130.
34
DAB 1884 S. 605.
35
DAB 1892, S. 646f.
oder Kreise begeben hatten, die als jüdisch galten, zur Umkehr und
zum Rückzug aus „Judas Hexen-Gebräu"36 aufgefordert: „Wir können
[...] den für die Judenschutztruppe geworbenen adeligen Chefs nur
dringend rathen, sich rechtzeitig aus dem Geschäft zu ziehen."37 Die
frühe Radikalisierung des hier gepflegten Adels-Antisemitismus ist für
unseren Zusammenhang unter zwei Aspekten bedeutsam: Als Blocka-
de jeder modernefahigen Annäherung des Adels an das höhere Bür-
gertum und als ideologische Grundlage politischer Affinitäten nach
1918.
Das Selbstbewußtsein, mit dem die DAG-Führung nach Kriegsen-
de auftrat, hatte mehrere Wurzeln: Der auf unter 2000 männliche Adli-
ge gesunkene Mitgliederbestand lag numerisch über allem, was die
katholischen Verbände später erreichen sollten. Die DAG verfügte
über ein landesweites Organisationsnetz von Holstein bis Bayern, über
ausbaufähige Verbindungen zum Hochadel und über eine eigene Zeit-
schrift, die seit 35 Jahren ein ideologisches Feld abgesteckt hatte. An-
deren Adelsorganisationen auf diese Weise voraus, trat die DAG 1919
mit der Parole „Los vom jüdischen Geist und seiner Kultur4' mit dem
Programm an, „den deutschen Adel" zu einen: „Der ganze Adel muß
es sein, der noch Tradition im Leibe und seinen Wappenschild rein
erhalten hat. Ob hoher oder niederer, ob Ur- oder Briefadel, ob Groß-
oder Kleingrundbesitzer, ob ohne Aar und Halm, ob arm oder reich,
alle müssen ihr angehören."38 In der nun überall einsetzenden Kon-
junktur der Zusammenfuhrung und ideologischen Homogenisierung
des Adels39 hatte die DAG vor allen anderen Adelsverbänden einen
deutlichen Organisationsvorsprung.
36
Hofprediger Stöcker und die konservative Partei, in: DAB 1885, zit. S. 304.
37
Der Antisemitismus und die Geburtsaristokratie (Serie) DAB 1892, zit. S. 627.
38
Werberuf der DAG-Leitung in: DAB, 30.12.1919, S. 413f.
39
Vorsichtiger, aber tendenziell ähnlich: Alois Fürst zu Löwensteins (Vorsitzender
der bayerischen GKEB) rief zu „möglichst weitgehender Einmütigkeit im [...]
deutschen Adel" auf: Mitteilungen der GKEB, 10.4.1918; Erwein Frhr. v. Aretin,
Rundbrief (wie Anm. 9). Und aus standesherrlicher Perspektive: Christian Emst
Fürst zu Stolberg-Wernigerode, vorbereitendes Schreiben zur ersten Wemigeroder
Adelstagung, September 1924, in: Landeshauptarchiv Magdeburg, Außenstelle
Wernigerode (LHAM-AW), Rep. H Stolberg-Wernigerode, O, L, Nr. 9, Bd. 1.
Mitgliedern einen Höchststand, der bis Ende 1930 auf ca. 14.000 Mit-
glieder absank.40 Spätere Sammlungserfolge wurden v.a. dadurch er-
reicht, daß die Kinder der Mitglieder seit 1936 „als in die DAG hinein-
geboren betrachtet" wurden41 und zum Zeitpunkt ihrer Volljährigkeit
automatisch einen Mitgliedsausweis ausgestellt bekamen.
Die Vielfalt der verschiedenen landschaftlich-regionalen Traditio-
nen und Identitäten des deutschen Adels spiegelte sich in 21 Landes-
abteilungen wider, die sich wiederum in Bezirks- und Ortsgruppen
aufgliederten. Im Jahre 1926 waren die vier mitgliederstärksten Lan-
desabteilungen Brandenburg, Hannover-Oldenburg-Braunschweig,
Schlesien und Bayern.42 Die Leitung der Landes- und Bezirksabteilun-
gen lag meist in den Händen von Mitgliedern des alten Adels, die zu
den renommierten Familien der jeweiligen Region gehörten. In einzel-
nen Fällen hatten auch Mitglieder aus standesherrlichen bzw. hochad-
ligen Häusern Vorstandsämter übernommen. 43 Hochadliges Engage-
ment gab es jedoch v.a. in den diversen Hilfsorganisationen der DAG.
Trotz dieser eindrucksvollen Sammlungserfolge wäre es ein schwe-
rer methodischer Fehler, den politischen Kurs der DAG-Leitung als
repräsentativ für die politische Haltung „des Adels" zu werten. Inner-
halb der DAG sind zwei Ebenen auseinanderzuhalten. Zum einen der
erstaunlich große und heterogene Mitgliederkreis, der vom bayerischen
Fürsten über den pommerschen Leutnant a.D. bis zum nobilitierten
Universitätsprofessor reichte, und zum anderen kleinere, hochaktive
Gruppen, u.a. in der Berliner Hauptgeschäftsstelle, welche die Koope-
ration der Landesabteilungen, die großen Adelstagungen sowie die
40
Interne DAG-Berichte v. 12.12.1929, August 1930 und 5./6.12.1930: Deutsches
Adelsarchiv Marburg, DAG, Landesabteilung Bayern (DAAM, LAB), Bd. 2, Hft.
„Protokolle" und „Rd.schreiben" 26/34.
41
Wege und Ziele der DAG (DAG-Rundschreiben, Mai 1938), in: Landeshauptar-
chiv Schwerin (LHAS), Großherzogliches Kabinett III (GHK III), Nr. 2647. V g l
die Schreiben von Schleinitz (22.1.1941) in: DAAM, LAB, Bd. 1, Hft. „39/44"
und Fürst Bentheim (29.4.1937), in: ebd., Bd. 9, Hft. „Guttenberg". Das Adels-
blatt hatte 1937 eine Auflage von 25.000.
Listen mit den jeweiligen Vorständen der Landesabteilungen (auf dem Adelska-
pitel) für 1930 und 1931: DAAM, LAB, Bd. 2, Hft. „Protokolle" und ebd., Bd. 1,
Hft. „25/29".
43
So z.B. Waldemar Prinz v. Preußen in Schleswig-Holstein, Prinz Ratibor-
Corvey/Fürst Bentheim in Westfalen, Max Egon Fürst zu Fürstenberg in Baden
und nacheinander drei Standesherren in Bayern (Sitzung des DAG-
Adelsausschusses in München, April 1925, in: DAAM, LAB, Bd. 2, Hft. „Proto-
kolle" 24/34 und Archiv der Fürsten zu Fürstenberg, Donaueschingen, (AFFD),
XXVIII/i, Vereine, DAG).
44
Aufruf (November 1919) zur Gründung einer Adelsmatrikel, gezeichnet von ca.
30 Mitgliedern renommierter Familien, in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Potsdam (BLHA), Rep. 37 Friedersdorf, Bd. 478, Fol. 3f.
45
Aufruf (Januar 1920) von 127 pommerschen Adligen, darunter Fürst Putbus, 15
Grafen, 10 Freiherren, v.a. Gutsbesitzer und Offiziere a.D., in: LHAM-AW, Rep.
H Karow, Nr. 220, Fol. 201.
46
Protokolle der Pro-Contra Positionen (Frhr. v. Houwald gegen einen Grafen Spee)
in: BLHA, Rep. 37 Friedersdorf, Nr. 240, Fol. 16f. (Zitat aus Houwalds Erklä-
rung, Oktober 1920).
47
Paragraph 8 der Edda-Satzung, setzte „einen Semiten oder Farbigen" in der 32er-
Ahnenprobe als Höchstwert fest. Vgl. DAB, 15.4.1921, S.98. Zur Debatte und zur
Gründungsversammlung, auf der neben DAG-Mitgliedern u.a. auch Vertreter des
Johanniter- und Malteserordens vertreten waren, s. folgende Nummern des DAB:
39/1921, S. 82; 15.8.1920, S. 259f.; 39/1921, S. 82, 97-99, 115-117. Resümierend
einordneten.52 Die alte Vorstellung, nach der Adel mit „blauem", d.h.
„hochwertigem" Blut zu tun hatte, mutierte unter massiver Mithilfe der
DAG-Führung zur Vorstellung, daß „reines Blut" die Grundvorausset-
zung von Adel bzw. Fiihrertum war. Nahm man diese Logik ernst,
mußte der Anteil des Adels an einer künftigen „Führerschicht" auf jene
0,1-0,2% schrumpfen, die seinem Anteil in der Bevölkerung entspra-
chen - „reines Blut" hatten auch andere.
52
R.W. DARRE, Neuadel aus Blut und Boden, München 1930, S.163. Vgl. Hans F.
K. GÜNTHER, Adel und Rasse, München 1926.
53
Diese „Führerdebatten" lassen sich nur im Adelsblatt, sondern auf allen Tagungen
des „Jungadels" nachzeichnen, was cum grano salis auch für die Veranstaltungen
einiger katholischer Verbände gilt. Protokolle entsprechender Veranstaltungen in
Heidelberg (1931) und an der überkonfessionellen Jungadelsschule „Ellena" in
Thüringen (1926-1932), in: WAAM, Nachlaß Lüninck, Nr. 815 und DAAM,
LAB, Bd. 3, Hft. „Ellena".
54
Walter V. ZEDDELMANN, Adelsdämmerung - Adelserneuerung, in: DAB 1930, S.
34-36.
55
Ferdinand TÖNNIES, Deutscher Adel im neunzehnten Jahrhundert, in: Die Neue
Rundschau, August 1912, S.1062f.
56
Edgar Julius JUNG, Die Herrschaft der Minderwertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablö-
sung durch ein Neues Reich, Berlin 3 1930, v.a. S. 101-105; 168-173; 324-332.
Vgl. zu Oswald Spenglers Rede auf dem DAG-Adelstag ("Aufgaben des Adels"):
DAB 42/1924, S. 209. Außerdem: Ludwig PESL, Adel und neue Zeit, in: Gelbe
Hefte 6/1930, S. 601-625 und ders., Zur politischen Einstellung des Jungadels, in:
ebd., S. 665-680. Emst MAYER, Vom Adel und der Oberschicht, Langensalza,
1922, v.a. S. 13f. und S. 23f. Präziser Überblick bei Walter STRUVE, Elites
Against Democracy. Leadership Ideals in Bourgeois Political Thought in Ger-
many 1890-1933. Princeton 1973.
57
Otto FRHR. V. TAUBE, Vom deutschen Adel, in: Erwein Frhr. v. Aretin, Rundbrief,
(wie Anm. 9), S. 8-12. Vgl. die scharfe Kritik des Herausgebers der philofaschisti-
schen Zeitschrift „Italien" an seinen bildungsunwilligen Standesgenossen:
WERNER V. D. SCHULENBURG, Deutscher Adel und deutsche Kultur, in: Süddeut-
sche Monatshefte, Februar 1926, S. 365-369. Im Ton moderater, inhaltlich ähnlich
bei: (Dr.) v. STEGMANN, Wir müssen aus dem Turm heraus, in: Jahrbuch (Kalen-
der) der DAG 1927, S. 6-12.
58
Vgl. v.a. die Beiträge von M. v. Binzer, Carl Gustav v. Platen und Heribert Frhr.
v. Lüttwitz, in: DAB, 1930, S. 66f„ S. 82f. und S. 166f.
5 9
B ö r n e s FRHR. V. MÜNCHHAUSEN, A d e l u n d R a s s e , in: D A B 4 2 / 1 9 2 4 , S. 6 3 - 6 5 .
60
Vgl. den Briefwechsel zwischen Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe und Gottfried
v. Bismarck-Kniephof (März-Juni 1926) am Rande des hochadlig dominierten
"Wernigeroder Kreises".
61
Walter v. BOGEN (Schlußbemerkung) in: DAB 1930, S. 168f.
62
BAB, NSDAP-Akte Walter v. Bogen u. Schönstedt, *24.4.1880 (Parteibeitritt
nach langer und intensiver Werbung für die NS-Bewegung am 1.5.1933).
63
Dr. iur., Oberjustizrat a.D., vgl. seine Selbstdarstellung in einem Schreiben vom
7.7.1938 in: BAB, NSDAP-Akte Albrecht Frhr. v. Houwald, »10.6.1866 (Partei-
beitritt 1931).
64
Kurt FRHR. V. REIBNITZ, Gestalten rings um Hindenburg. Führende Köpfe der
Republik und die Berliner Gesellschaft von heute, Dresden 2 1929, S. 135.
65
Beitrags-Debatten der bayerischen Landesabteilung (1925/26) und Bericht des
Vorstandes an alle Landesabteilungen vom 7.3.1931 in: Archiv der Freiherren v.
Lerchenfeld, Heinersreuth (AFLH). Vgl. bereits die DAG-Satzung von 1891 in:
LHAM-AW, Rep. H, St. Ulrich, Nr. 458, Fol. 1-5.
66
Entsprechende Initiativen aus Frankfurt/Oder, Bayern und Württemberg und ihre
Zurückweisung durch Walter v. Bogen (1927) in: BLHA, Rep. 37 Friedersdorf,
Nr. 478, Fol. 132-138 und in: AFLH (Berichte und Schriftwechsel vom 30.6.1929
und 23.11.1929).
67
DAG-Vermögensnachweis, 31.12.1932, in: DAAM, LAB, Bd. 2, Hft. „Rund-
schreiben" 26/34.
68
Geschäftsbericht der DAG Landesabteilung Bayern (1926) in: AFLH.
69
Jahresberichte der Landesabteilung Bayern für 1925, 1930 und 1931, in: DAAM,
L A B , Bd. 2 Hft. „ 1 9 2 8 - 1 9 4 2 " und ebd. Hft. „21/29". Geschäftsberichte mit weite-
ren Belegen in: AFLH.
70
Bericht der GKEB-Wirtschaftsstelle für 1929/30 in: Mitteilungen der GKEB,
3 1 . 5 . 1 9 3 1 , S. 2 .
71
Carl August GRAF V. DRECHSEL, Chronik der G K E B 1876-1908, Ingolstadt 1908,
in: B H S A M , G K E B , Nr. 1.
72
Arthur MOELLER VAN DEN BRUCK, Der preussische Stil, Neuausgabe, Breslau
1931 (zuerst 1916). Vgl. Oswald SPENGLERS einflußreiche Vision eines neuen
waren auch einem Großteil des alten Land- und Militäradels problem-
los zu vermitteln: Ein Blick auf Lebenswelten, Habitus, Denk- und
Sprachgewohnheiten des Landadels73 zeigt, daß die anti-
materialistischen Tiraden der in Berlin gestrandeten Standesgenossen
hier nicht auf taube Ohren stießen. Die „Einfachheit [der] Lebensfüh-
rung" zu bewahren,74 um dem „weichlichen, parfümierten, üppigen
Luxus" der „Juden" zu widerstehen, war eine in allen Teilgruppen des
alten niederen Adels verbreitete gedankliche Figur, auf die man jen-
seits der ostelbischen Elogen „eiserner Zucht und Ordnung"75 auch im
katholischen Adel überall stößt.76
77
Dr. V. TROTTA-TREYDEN, Die Teilnahme des Adels an den akademischen Berufen,
in: D A B 1921, S. 19f.
78
Vorschläge eines Herrn v. Reichmeister (Major a.D.) zur Organisation des kauf-
männisch berufstätigen Adels (Dezember 1928) in: D A A M , LAB, Bd. 2, Hfl.
„Protokolle"; und: „Standesgenossen heraus!", undatierter Aufruf der Wirtschafts-
stelle in: ebd., Bd. 11, Hft. „Korrespondenz".
79
Verzeichnis von „kaufmännisch tätigen Mitgliedern" in: D A A M , LAB, Bd. 14,
Hft. „29/32", vgl. D A B 1929, S. 1-8 u. S. 321.
80
Bericht der DAG-Zentral-Hilfe fur 1930, in: DAAM, LAB, Bd. 14, Hft. „Zentral-
hilfe".
81
Die Ausbildung unserer Töchter (Broschüre der DAG-Zentralhilfe), in: D A A M ,
LAB, Bd. 14, Hft. „Zentralhilfe". Schirmherrin der Zentralhilfe war die preußi-
sche Kronprinzessin.
82
Liste: "Erwerbstätige Damen", in: Bericht der DAG-Zentral-Hilfe über das Jahr
1930, in: DAAM, LAB, Bd. 14, Hft. „Zentralhilfe 30/43".
83
Berg an alle Landesabteilungen, 28.6.1931, in: D A A M , LAB, Bd. 14, Hft. „Kor-
respondenz 29/32".
84
Warum ist der Zusammenschluß des reinblütigen deutschen Adels notwendig?
(DAG-Rundschreiben vom 20.5.1938), in: LHAS, GHK III, Nr. 2647.
85
Stephan KEKULE V. STRADONITZ, Armut und Reichtum im deutschen Adel, in:
Deutsche Revue 1/1911, S. 35-42, zit. S. 42.
86
Frhr. v. Seydlitz, Leiter der DAG-Wirtschaftsabteilung, Rundschreiben v.
28.3.1931, in: DAAM, LAB, Bd. 14, Hft. „Wirtschaftsabteilung".
"Standesgenossen heraus!", undatierter Aufruf der Wirtschaftsstelle in: D A A M ,
LAB, Bd. 11, Hft. „Korrespondenz".
88
Der Begriff wird von Michael G. MÜLLER fìir die deklassierten Teile des polni-
schen Adels verwendet, die interessante Parallelen zum deutschen Beispiel zei-
gen: Der polnische Adel 1 7 5 0 bis 1 8 6 3 , in: Wehler (Hg.), Europäischer Adel, S.
2 1 7 - 2 4 2 , zit. S. 2 3 9 .
Werner HENNEKE, Adel und die Krisis des europäischen Bürgertums (Serie), in:
D A B 1 9 3 0 , zit. S. 591 f.
9 0 Wilhelm v. OERTZEN, Nuradel, in: Adlige Jugend ( D A B - B e i l a g e ) , 1 . 1 . 1 9 3 0 , S. 4
und die Zustimmung des Grafen zu Eulenburg („Gesinnungsadel oder N a m e n s -
a d e l " ) in: ebd., 1 . 2 . 1 9 3 0 , S. 6.
einen engen Vertrauten Wilhelms II. von 66 Jahren, und brachte einen
reichen westfälischen Standesherren rechtsradikaler Orientierung, den
20 Jahre jüngeren westfälischen Standesherren Adolf Fürst zu Bent-
heim an die Spitze der Organisation. 91 Der unter Bentheim 1933 voll-
zogene Kotau war ebenso formvollendet wie nutzlos, die Proteste der
süddeutschen Landesverbände und der katholischen Adelsorganisatio-
nen waren intern scharf, blieben aber konsequenz- und kraftlos. 92 Zwar
entging die DAG der Auflösung der monarchistischen Verbände, das
Ziel der DAG-Führung, sich innerhalb des Dritten Reiches als „politi-
scher Führerstand" zu etablieren, war jedoch auf allen Ebenen geschei-
tert. In einer Kampfschrift, mit der eine Gruppe „alter Kämpfer" aus
dem Adel die „Maiveilchen" unter ihren Standesgenossen angriff,
brachte ein Mitglied des Hochadels 1934 freimütig auf den Punkt, wie
das Dritte Reich die von der DAG jahrelang betriebene Aushöhlung
des Adelsbegriffes konsequent fortzufuhren gedachte: „Was wir [Na-
tionalsozialisten] mit ,AdeP bezeichnen - das habt Ihr von nun an
darunter zu verstehen. Selbst dann, wenn ihr Euch danach selbst nicht
mehr dazuzählen könnt." 93
Offensichtlich wurde die hier skizzierte Entwicklung der DAG von
einem großen Teil der Mitglieder befürwortet und vom Rest geduldet.
Wichtig ist an dieser Stelle jedoch der Hinweis auf erhebliche Wider-
stände in der DAG, die v.a. von den süddeutschen Landesverbänden
hartnäckig formuliert wurden. Eine nähere Betrachtung der bayeri-
schen Landesabteilung ist in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich.
Nacheinander von drei Standesherren gefuhrt war die Abteilung Mitte
der 1920er Jahre mit 1048 Mitgliedern, darunter 344 Frauen, die viert-
größte der DAG. 94 Inhalt und Tonfall katholischer Adelstagungen und
91
Vgl. KLEINE, Adelsgenossenschaft (wie Anm. 1), S. 114ff.
92
Zur kraftlosen Kapitulation der katholischen Verbände: Bekanntgabe des Fürsten
Alois v. Löwenstein-Wertheim-Rosenberg vom 20.11.1933 in: Mitteilungen der
GKEB, 3.12.1933, S. 1. Roderich Graf Thun, Rede auf der Generalversammlung
des V K E am 24.1.1934, in: WAAM, Nl. Lüninck, Nr. 809. Eugen Graf v. Quadt-
Isny, Der Adel im 3. Reich, Vortrag v. 12.4.1934 in München, in: D A A M , LAB,
Bd. 6, Hfl.: „Adel und NS". Zustimmende Bemerkungen des Fürsten (Dettingen,
der sich 1933 aus dem Vorstand der bayerischen DAG-Abteilung zurückzog, in:
ebd., Bd. 2, Hft. „33/34".
93
Friedrich Christian PRINZ ZU SCHAUMBURG-LIPPE, WO war der Adel?, Berlin
1934, S. 50.
94
Der bayerische Thronprätendent Kronprinz Rupprecht hatte im Jahre 1926 die
„Schutzherrschaft" übernommen. 29 Mitglieder gehörten dem hohen Adel an, der
Fürsten/Prinzen-Titel war 18, der Grafen-Titel 108, der Freiherren-Titel 460 Mal
vertreten. Jahrbuch (Kalender) der DAG, 1927, S. 77-112.
95
Dieses Urteil stützt sich auf eine Auswertung umfangreicher Vorstands-
Korrespondenzen und Sitzungsprotokolle der katholischen Adelsverbände, die
hier nicht ausgebreitet werden kann. Ausgewertet wurden diverse Archivbestände
der Genossenschaft katholischer Edelleute und der bayerischen DAG-Abteilung
und des Vereins katholischer Edelleute in Augsburg, Marburg, München und
Münster.
96
Karl Frhr. v. Aretin an Karl A. Graf v. Drechsel, 7. und 8. 11.1933, in: B H S A M ,
GKEB, Nr. 6.
97
Briefe Aretins vom 6.7. und vom 31.8.1931 in: D A A M , LAB, Bd. 1, Hft. „30/31".
98
Graf v. Drechsel an Fürst Oeningen, 16. u. 17.12.1931, in: D A A M , LAB, Bd. 3,
Hft. „Ellena".
99
Die entsprechende Deutung bei ARETIN, Der bayerische Adel (wie Anm. 1), läßt
sich anhand der fur diese Arbeit ausgewerteten Archive vielfach bestätigen.
tet worden, 100 ohne daß man sich ernstlich für die Frage interessiert
hätte, welche Gruppen des Adels sich in dieser wohl wichtigsten Orga-
nisation der Ring-Bewegung engagiert haben. Der beeindruckende
Adelsanteil von 30-60% in den einzelnen Klubs der Ring-Bewegung
ist in seiner Größe, nicht jedoch in seiner Komposition bekannt. Diese
genauer zu kennen, wäre für eine Untersuchung adliger Neuorientie-
rungen nach 1918 von einiger Bedeutung - so wenig die DAG der
Interessenverband des Adels war, so wenig war es der Adel, der im
Herrenklub ein neuartiges soziales und politisches Forum fand.
Zwei zentrale Unterschiede zwischen dem größten deutschen
Adelsverband und dem Herrenklub bedürfen keiner längeren Erläute-
rung: Während die Wurzeln der DAG bis in das frühe Kaiserreich
reichten, lagen die ferneren organisatorischen Ursprünge des DHK in
der Zeit des Ersten Weltkrieges, präziser: in einer der für die Neue
Rechte der Nachkriegszeit wichtigsten Neugründungen: Der Deutsche
Herrenklub ging Ende 1924 aus dem Zerfall des 1919 gegründeten
Juni-Klubs hervor,101 dessen spiritus rector Arthur Moeller van den
Bruck bereits vor Erscheinen seines Hauptwerks „Das dritte Reich" 102
zu den wichtigsten Ideengebern der Neuen Rechten gehörte, die mit
Inhalten und Formen des Vorkriegs-Konservativismus explizit gebro-
chen hatten. Anders als die DAG war der Herrenklub weder ein exklu-
siv adliger Kreis, noch ein frei zugänglicher Verband der adligen
„Massen". In Anspruch und Praxis konstituierte sich der DHK als kon-
trollierte Zusammenfuhrung ausgesuchter Teilgruppen aus Adel und
Bürgertum. Der DHK glich einer Konzentration ökonomischen, sozia-
len,. und kulturellen Kapitals, einem per Kooptationsverfahren behut-
100
Manfred SCHOEPS, Der deutsche Herrenklub. Ein Beitrag zur Geschichte des
Jungkonservatismus in der Weimarer Republik, Phil. Diss., Erlangen-Nürnberg
1974. Joachim PETZOLD, Wegbereiter des deutschen Faschismus. Die Jungkon-
servativen in der Weimarer Republik, Köln 1978. Yuji ISHIDA, Jungkonservative
in der Weimarer Republik. Der Ring-Kreis 1928-1933. Frankfurt/M./Bern/New
York/ u.a. 1988. Zuletzt in der bislang präzisesten Untersuchung von Berthold
PETZINNA, Erziehung zum deutschen Lebensstil. Ursprung und Entwicklung des
jungkonservativen Ring-Kreises 1918-1933 (erscheint demnächst im Akademie-
Verlag).
101
Vgl. Ishida, Jungkonservative, S. 29-43; Petzold, Wegbereiter, S. 89-110 und
Petzinna, Erziehung, S. 118-230 (alle wie Anm. 100).
102
Arthur MOELLER VAN DEN BRUCK, Das dritte Reich, Hamburg "1931 (zuerst
1923). Zu Moeller, seinem Umfeld und dem Juni-Klub vgl. Hans-Joachim
SCHWIERSKOTT, Arthur Moeller van den Bruck und der revolutionäre Nationalis-
mus in der Weimarer Republik, Göttingen u.a. 1962 und PETZINNA, Erziehung
( w i e A n m . 1 0 0 ) , S. 1 1 - 6 4 .
103
Heinrich v. Gleichen, Adel, eine politische Forderung, in: Preußische Jahrbücher
197 (1924), S. 131-145.
104
Richtlinien und Satzung des DHK, undatiert (1924/25), in: LHAM-AW, Rep. H
Ostrau, II, 158, Fol. 2-5. Protokoll der DHK-Mitgliederversammlung, 17.11.1927.
DHK-Jahresbericht 1926/27, beide in: WAAM, Nl. Lüninck, Nr. 820. Vgl. die
Programmschrift "Ring, Gemeinschaft der Führenden" (Dezember 1929), im An-
h a n g b e i SCHOEPS, H e r r e n k l u b , S . 2 3 7 - 2 4 1 . V g l . d i e D a r s t e l l u n g e n v o n ISHIDA,
Jungkonservative, S. 5 1 - 5 5 . PETZOLD, W e g b e r e i t e r , S. 175-182 und PETZINNA,
Erziehung, S. 220-230, (alle wie Anm. 100).
105
Wilhelm v. Oertzen-Roggow an Oswald Spengler, Juni 1926, in: LHAS, Bestand
Herrengesellschaft Mecklenburg (HGM), Bd. 1, Fol. 124-126.
106
ISHIDA, Jungkonservative, S. 62.
107
Mitgliederverzeichnisse von 1926 (ca. 250 Mitglieder) und 1928 in: WAAM, N L
Lüninck, Nr. 820. Vgl. die Liste von 1932 im Anhang bei SCHOEPS, Herrenklub,
S. 244-257.
108
(1882-1961), Angaben nach: NSDAP-Personalakte in: BAB, Ref. 2 R Pers.. Al-
venslebens Vater Werner Ludwig hatte sich erfolgreich als Agrar-Industrieller be-
tätigt und war eine bekannte Gestalt am Berliner Hof, die Wilhelm II. durch den
Grafentitel und mit Jagdbesuchen auf seinem Gut geehrt hatte.
109
(1882-1959), Angaben nach: NSDAP-Personalakte in: BAB, Ref. 2 R Pers.. Vgl.
seine Selbstdarstellung von 1947 in: Bundesarchiv Koblenz, Kl. Erw. 402, Fol. 4f.
und die Angaben bei SCHWIERSKOTT, Moeller (wie Anm. 102), S. 43-46.
DHK-Mitgliederverzeichnis, abgeschlossen am 31.1.1928: WAAM, Nl. Lüninck,
Nr. 820. Vgl. ebd.: Mitgliederverzeichnis vom 30.6.1926 (mit ca. 250 Mitglie-
dern). Die „Herrengesellschaften" im Reich hatten zu dieser Zeit insgesamt ca.
6 0 0 Mitglieder. Vgl. die Mitgliederliste von 1932 im Anhang bei SCHOEPS, Der
Deutsche Herrenklub (wie Anm. 100), S. 244-257.
111
Allein durch die Träger des Grafentitels waren hier folgende Familien, -z.T. mehr-
fach·, vertreten: Arnim, Ballestrem, Bassewitz, Behr, Bismarck, Cartlow, Dohna,
Dönhoff, Douglas, Dürckheim, Eulenburg, Finck v. Finckenstein, Garnier, Hagen,
Hardenberg, Helldorff, Kalckreuth, Keyserlingk, Landsberg, Loë, Magnis, Piick-
ler, Schlieffen, Schmettow, Schulenburg, Solms, Strachwitz und Wuthenau.
1
Albrecht Prinz v. Hohenzollern-Namedy, Nikolaus Erbgroßherzog v. Oldenburg,
Fürst zu Salm-Salm, Christoph Martin Fürst zu Stolberg-Roßla, Christian Ernst
Fürst zu Stolberg-Wernigerode, Heinrich Prinz X X X I V . v. Reuß j.L..
1
Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg, Nl. Schleicher, Nr. 7, Fol. 6.
114
U.a.: Edmund Stinnes; Tilo Frhr. v. Wilmowsky; Karl Euling, Generaldirektor der
Borsigwerk AG; Friedrich Schwartz, Präsident der Preußischen Central-
Bodencrededit A.G.; Reichsminister a.D. v. Schlieben, Präsident des Landesfi-
nanzamtes; die Lufthansadirektoren Otto Merkel und E. Milch; Ministerialrat
Brandenburg, Dirigent der Abteilung Luft- und Kraftfahrwesen im Reichsver-
kehrsministerium.
115
Zu den 49 (zumeist alt-) adligen Gutsbesitzern sind eine Reihe von (z.T. hoch-)
adligen Grundbesitzern hinzuzuzählen, die ohne Berufsangabe verzeichnet sind,
so etwa Heinrich Burggraf zu Dohna-Mallmitz, Albrecht Prinz zu Hohenzollern,
von Rang und in Form des bis 1924 von Martin Spahn geleiteten Poli-
tischen Kollegs in Berlin-Spandau ein Schulungszentrum aufgebaut
hatte, das durch Aufbau und Niveau einer leistungsfähigen Privat-
Hochschule glich, an der die Ideen der Neuen Rechten an den „Führer-
nachwuchs" der verschiedenen Berufs-„stände" vermittelt wurden. 118
Die stets im Dezember organisierten „Jahresessen" des DHK, ver-
sammelten z.T. weit über 500 Gäste von inner- und außerhalb des
Klubs. Die eindrucksvollen Teilnehmerlisten, die sich wie ein Who is
Who der wichtigen Funktionseliten lesen, verweisen noch deutlicher
als der Mitgliederkreis auf die Weite der hier angestrebten Elitenfusi-
on. Die ausgefeilten Tisch- und Sitzordnungen, der vorgeschriebene
Frack und die Preise auf den Speisekarten 119 verweisen auf finanzielle
und soziale Standards, die außerhalb der Reichweite vieler D A G -
Mitglieder lagen. DAG-Hauptgeschäftsfuhrer v. Bogen brachte diese
soziale und politische Differenz Ende 1931 in seiner Absage an den
westfälischen Gutsbesitzer Baron Lüninck auf eine einfache Formel:
„Zum [Jahresessen] des Herrenklubs komme ich nicht, es ist mir, offen
gesagt, zu teuer und außerdem sind sicher sehr viele hochgestellte Per-
sönlichkeiten da, mit denen ich nicht besonders gern zusammen
bin.« 120
118 Dokumentation der Professoren, Dozenten und Kurse des Politischen Kollegs in:
Geheimes Staatsarchiv Berlin, Rep. 3 0 3 , Nr. 1 7 3 - 1 7 5 ; Bundesarchiv Koblenz, R
118, Nr. 53 u. 54. Vgl. dazu SCHWIERSKOTT, Moeller (wie Anm. 102), S. 6 1 - 6 6
und S. 179f. sowie PETZINNA, Erziehung (wie Anm. 100), S. 1 4 3 - 1 6 8 , 2 1 5 - 2 2 0 .
119 L H A S , Großherzogliches Kabinett III, Nr. 2 6 5 3 : Teilnehmerlisten und Tischord-
nungen für die Jahresessen von 1930 und 1 9 3 2 (im großen Festsaal von Kroll ge-
genüber dem Reichstag). Die Plazierung der Tische im Raum und die Sitzordnung
der „Herren" an den einzelnen Tischen dokumentieren das feinsinnige Gespür für
soziale Hierarchien und den Versuch, unterschiedliche Machtfelder „am weißen
Tisch" miteinander in Verbindung zu bringen. 1932 gab es 6 7 5 Teilnehmer, die an
7 2 Tischen à 8 - 2 4 Personen plaziert wurden. Serviert wurde ein viergängiges Me-
nü und deutscher Schaumwein zum Flaschenpreis von 16 Mark.
120 Bogen an Lüninck, 1 . 1 2 . 1 9 3 1 , in: W A A M , Nl. Lüninck, Nr. 8 1 5 .
121 Franz v. PAPEN, Der Wahrheit eine Gasse, München 1 9 5 2 . Vgl. Joachim PET-
ZOLD, F r a n z von Papen. Ein deutsches Verhängnis, M ü n c h e n / B e r l i n 1 9 9 5 , S. 15-
4 7 . Papens feste und dauerhafte Bindungen an die Denkwelten des Adels werden
hier j e d o c h kaum thematisiert. Die spöttischen Urteile über Papens angeblich „be-
schränkten" Horizont, in denen Zeitgenossen und Forschung übereinstimmen,
sind zwar erheiternd, j e d o c h kaum geeignet, die Mehrfachkarriere des Herrenrei-
ters in verschiedenen Lebenswelten angemessen zu deuten.
122 Angaben nach seiner Autobiographie: Tilo FRHR. V. WILMOWSKY, Rückblickend
m ö c h t e ich sagen, Oldenburg/Hamburg, 1 9 6 1 .
123
Protokoll der DHK-Tagung vom 9.4.1927 in: LHAM-AW, Rep. Stolberg, O, E,
Nr. 32.
124
Wilmowsky an Krupp v. Bohlen, 28.2.1929, zit. n.ZTPNIEA
PETZINNA, Erziehung (wie
Anm. 100), S. 229.
125
Akten des Corps Borussia, darin u.a. Mitgliederlisten der „alten Herren" sowie
diverse Schreiben Schröders, in: AFFD, Fürstl.Hs., Erziehung, Corps Borussia
1901 ff.
126
Auf der Grundlage z.T. unzugänglicher Quellenbestände, mit unangemessenen
mildem Urteil, in dem der ehemals scharfe (marxistische) analytische Blick des
Autors einer merkwürdigen Gutsherren-Verehrung gewichen ist: Lothar ELSNER,
Die Herrengesellschaft. Leben und Wandlungen des Wilhelm von Oertzen, o.O.
1998, v.a. S. 31-59.
127
Fritz-Günther v. TSCHIRSCHKY, Erinnerungen eines Hochverräters, Stuttgart 1972,
S. 57. Tschirschky gehörte später zum Mitarbeiterstab Papens im Vizekanzleramt.
Daß die schlesische Vereinigung v.a. „den Abwehrkampf gegen die N S D A P
vorbereiten]" sollte, ist bereits angesichts des Gründungsdatums (1927/28) als
barer Unsinn erkennbar.
128
Schreiben Oertzens v. 8.11.1930, zit. nach Elsner, Herrengesellschaft, S. 35f.
(Zitat) und S. 48 (Teilnehmerzahl). Zum Ablauf der Vortrags-Veranstaltungen
vgl. TSCHIRSCHKY, Erinnerungen, S. 58f. und PAPEN, Wahrheit (wie Anm. 121),
S. 138f..
deutlich von der DAG unterscheiden läßt. Das Verhältnis der Ring-
Bewegung zum Nationalsozialismus wird in der Literatur kontrovers
beurteilt.129 Zweifellos jedoch hielt die Leitung des DHK zur N S -
Bewegung eine weit größere Distanz als die DAG. Antisemitische
Züge innerhalb der Ring-Bewegung aufzuzeigen, ist zwar wie überall
innerhalb der Weimarer Rechten eine leichte Übung, niemals jedoch
wurde der Antisemitismus innerhalb des Klubs, der auch einige jüdi-
sche Mitglieder hatte, zum konstitutiven Bestandteil des hier gepfleg-
ten Ideals des „freien Herrentums". Jenseits der gemeinsamen anti-
demokratischen Ausrichtung unterschied sich der Herrenklub nach
sozialer Zusammensetzung und politischer Zielsetzung deutlich von
der NS-Bewegung. Diese Differenzen spiegelten sich v.a. zur Zeit des
Papen-Kabinetts in massiven Angriffen der NS-Publizistik auf den
Herrenklub wider. Bei aller Anerkennung der „Leistungen" und Poten-
tiale des Nationalsozialismus mußten Ziel und Praxis des Herrenklubs,
unabhängig über den Massen zu stehen, konsequenter Weise heißen,
die eigene Position nicht in sondern über der NS-Bewegung zu su-
chen. In einem „offenen Brief an Adolf Hitler" hatte Heinrich von
Gleichen diesen Herren-Standpunkt im dazu passenden Tonfall bereits
1931 dargelegt: „Ich stelle jedenfalls fest, daß Männer, die sich zur
fuhrenden Schicht Deutschlands nicht erst von der gegenwärtigen Ge-
neration her rechnen, Ihr Ruf darum nicht erreicht und auch nicht er-
reichen wird, weil Sie auf diese Männer [...] keinen Wert legen. Denn
Sie fordern und wünschen: bedingungslose Gefolgschaft! Dazu werden
Sie aber Männer, die ihr Handeln aus eigener Verantwortung bestim-
men, nicht bekommen."130 Auf dem Höhepunkt der Konfrontation
zwischen NS-Bewegung und dem Kabinett der Barone verkündete
Goebbels den „rücksichtslosen Kampf gegen jene „Sorte von Adel",
die - zurückgelehnt in „Herrenklubsesseln"- das Volk als „stinkende
Masse" bewertete. In den großen NS-Zeitungen trat er eine Kampagne
los, für die auch die prominenten Partei-Adligen, u.a. Prinz August
Wilhelm v. Preußen, Prinz Schaumburg-Lippe und Graf Reventlow
von der Kette gelassen wurden.131
129
Vgl. PETZOLD, Wegbereiter, S. 320-336; 350-364; ISHIDA, Jungkonservative, S.
238-263 und PETZINNA, Erziehung, S. 274-286 (alle wie Anm. 100).
130
Heinrich v. GLEICHEN, Offener Brief an Hitler, in: Der Ring, 6.11.1931, S. 835.
131
Zitat: Angriff, 23.9.1932. Vgl. Völkischer Beobachter 15.10.1932; Preußische
Zeitung 24./25.9.1932: „Die Pflicht des wahren Adels. Mit Hitler ñlr das deutsche
Volk. Ein Aufruf der nationalsozialistischen Adligen." und ein Pamphlet von Go-
ebbels späterem Adjutanten: F. C. PRINZ ZU SCHAUMBURG-LIPPE, Der Berliner
Was ein genauerer Blick auf die adligen Binnenverhältnisse nach 1918
zu Tage fördert, hat nur wenig Ähnlichkeit mit einer Machtelite. In den
Blick gerät vielmehr eine Verlierergruppe und ihre mehrfach gebro-
chenen Versuche, adelsspezifische Lebenswelten, Wertsysteme und
Führungsansprüche neu zu definieren.
Für die Untersuchung dieser Gruppe scheint ein differenzierter
Adelsbegriff, der zwischen sozial und kulturell verschiedenen Teil-
gruppen unterscheiden und die Homogenisierungsversuche im Blick
behalten kann, besser geeignet als der überall verwendete Begriff der
konservativen Eliten, der hochaktive Teilgruppen innerhalb des Klein-
adels nicht erfaßt. Zumindest der aktivste Teil jener Adelsgruppen,
welche die Planierung des unebenen Weges vom traditionellen Selbst-
verständnis des Adels zum „Führertum" innerhalb der NS-Bewegung
forciert und die Selbstzerstörung des traditionellen Adelsbegriffs be-
trieben hat, läßt sich weder sinnvoll einer Elite zuordnen, noch als
konservativ bezeichnen.
Gerade für eine „kritische" Sozialgeschichte des Adels nach 1918
dürfte es gewinnbringend sein, den tradierten Rahmen der demokra-
tisch-liberalen Junkerschelte zu verlassen. Zwar steht dessen histori-
sche Berechtigung nicht zur Disposition, die darin möglichen historio-
graphischen Leistungen werden jedoch beschränkt bleiben, wenn man
sich künftig mit der empirischen Unterfutterung bereits bekannter Tat-
sachen begnügt: Daß die Agrarier keine Demokraten und der Einfluß
kleiner Adelskreise mit Immediatzugang zum greisen Reichspräsiden-
ten verhängnisvoll waren, ist bekannt und unbestritten.
Bezüglich des historiographischen Brennpunkts 1933 würden die
Ergebnisse einer Adelsgeschichte, die sich verstärkt den hier skizzier-
ten Teilgruppen zuwendet, die eingangs zitierten Urteile über das Ver-
hältnis von Adel und Nationalsozialismus eher verschärfen als abmil-
dern. Deutlicher als in der Betrachtung der (einfluß-) reichsten Groß-
grundbesitzer ist die Vorstellung, im Adel hätten nur vereinzelte
134
Walter GÖRLITZ, Die Junker (wie Anm. 1) S. 373f. Tendenziell ähnlich die diffuse
Beurteilung bei HOYNRNGEN-HUENE, (wie Anm. 1), S. 62-74, 92-111. Die o.g.
Gegeneinschätzung als Teilergebnis meines laufenden Dissertationsprojektes, ne-
ben einer Untersuchung der Adels-Verbände u.a. auf eine umfassende Auswer-
tung der NSDAP-Mitgliederkarteien gestützt.
135
Fritz FISCHER, Bündnis der Eliten. Zur Kontinuität der Machtstrukturen in
Deutschland 1871-1945, Düsseldorf 1979.
136
Hannah ARENDT, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 1986,
S. 1 9 5 .
6
Anneliese THIMME, Flucht in den Mythos. Die Deutschnationale Volkspartei und
die Niederlage von 1918, Göttingen 1969, S. 27f.
7
Jens FLEMMING, Konservatismus als „nationalrevolutionäre Bewegung". Konser-
vative Kritik an der Deutschnationalen Volkspartei 1918-1933, in: Dirk
STEGMANN u.a. (Hg.), Deutscher Konservatismus im 19. und 20. Jahrhundert,
Bonn 1983, S. 295-331,301.
8
Ebd. S. 316.
9
Geoff ELEY, Konservative und radikale Nationalisten in Deutschland: Die Schaf-
fung faschistischer Potentiale 1912-1928, in: ders., Wilhelminismus, Nationalis-
mus, Faschismus. Zur historischen Kontinuität in Deutschland, Münster 1991,
S. 209-247, 235; Heidrun HOLZBACH, Das „System Hugenberg". Die Organisation
bürgerlicher Sammlungspolitik vor dem Aufstieg der NSDAP, Stuttgart 1981,
S. 228f.
10
FLEMMING, Konservatismus (wie Anm. 7), S. 323.
11
Zum Antisemitismus im Adel Georg H. KLEINE, Adelsgenossenschaft und Natio-
nalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 26 (1978), S. 100-143, 110
und den Beitrag von Stephan MALINOWSKI in diesem Band.
12
Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 37, Friedersdorf, Nr. 640:
Bodo von der Marwitz, Fragebogen zur Entnazifizierung, sowie Wolfgang
ZOLLITSCH, Die Erosion des traditionellen Konservativismus. Ländlicher Adel in
Preußen zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik, in: Dieter DOWE u.a.
(Hg.), Parteien im Wandel vom Kaiserreich zur Weimarer Republik. Rekrutierung
- Qualifizierung - Karrieren, München 1999, S. 169-190, 190.
13
KLEINE, Adelsgenossenschaft (wie Anm. 11), S. 113 f.
14
Ulrich HEINEMANN, Ein konservativer Rebell. Fritz-Dietlof Graf von der Schu-
lenburg und der 20. Juli, Berlin 1990, S. 27 ff.
15
Dazu auch ZOLLITSCH, Adel (wie Anm. 2), S. 246.
Der Versuch von Teilen des Adels, durch eine Annäherung an den
Nationalsozialismus aus der ständisch geprägten gesellschaftlichen
Isolation auszubrechen und die NS-Massenbewegung als Vehikel für
den eigenen Führungsanspruch nutzbar zu machen, übersah die offen-
sichtlichen Widersprüche im Verhältnis von Adel und Nationalsozia-
lismus und erwies sich schließlich als reines Wunschdenken. Das Ein-
schwenken auf die nationalsozialistische Neuadels-Mythologie be-
stärkte den Adel in seiner Sonderrolle und vertiefte eher den Graben zu
bürgerlichen Schichten. Aber die antifeudalen Ressentiments im Na-
tionalsozialismus, die vor allem auf Seiten der bäuerlichen Basis der
NS-Agrarbewegung zum Ausdruck kamen, deuteten an, daß den Füh-
rungsambitionen des Adels innerhalb des Nationalsozialismus enge
Grenzen gesetzt waren.16 So bedienten sich die Nationalsozialisten nur
zeitweise adeliger Galionsfiguren, um im agrarischen Verbandswesen
Fuß zu fassen, langfristig waren sie aber nicht bereit, den adeligen
Agrareliten das Feld zu überlassen.
16
Zu antifeudalen Ressentiments im Nationalsozialismus Wolfram PYTA, Dorfge-
meinschaft und Politik 1918-1933. Die Verschränkung von Milieu und Parteien in
den protestantischen Landgebieten Deutschlands in der Weimarer Republik, Düs-
seldorf 1996, S. 337 ff.
17
Die geradezu klassische Definition lieferte 1925 Ewald v. KLEIST-SCHMENZIN:
„Auf einem Gebiet muß der Adel seine Stellung ganz besonders sorgfältig wah-
ren, nämlich auf dem Lande. In einem großen Landbesitz liegen die Wurzeln sei-
ner Kraft und werden sie immer liegen. Die Führung auf dem Lande darf nie ver-
loren werden." Zit. nach Hans ROSENBERG, Die Pseudodemokratisierung der Rit-
tergutsbesitzerklasse, in: DERS., Machteliten und Wirtschaftskonjunkturen. Studi-
en zur neueren deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Göttingen 1978, S.
83-101,100.
Dokumentiert ist dieser Konflikt z.B. im Fall des bereits erwähnten Bodo von der
Marwitz: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 37, Friedersdorf,
Nr. 140. Mit ähnlicher Einschätzung Thomas NABERT, Der Großgrundbesitz in
der preußischen Provinz Sachsen 1913-1933, Köln u.a. 1992, S. 97f.
Berechnungen auf Grund der Landwirtschaftlichen Adreßbücher der Provinz Pom-
mern (7. Aufl. Leipzig 1922, 8. Aufl. 1928, 9. Aufl. 1939). Als ein durchaus reprä-
sentatives Beispiel der Kreis Demmin, Adelsgüter über 100 ha: 1922 62 Güter/40.581
ha Gesamtfläche, 1928 59/39.920, 1939 38/28.624. Als genereller Überblick (ohne
Adelsanteil) Landwirtschaftliche Betriebszählung. Die land- und forstwirtschaftlichen
Betriebe nach Betriebsgröße, Besitzverhältnissen und Viehhaltung, hg. V. Statisti-
schen Reichsamt, Berlin 1937 (Statistik des Deutschen Reichs Bd. 459), S. 1/54.
20
Siehe die ausführliche Darstellung bei Stephanie MERKENICH, Grüne Front gegen
Weimar. Reichslandbund und agrarischer Lobbyismus 1918-1933, Düsseldorf
1998, S. 319 ff. und PYTA, Dorfgemeinschaft (wie Anm. 16), S. 360 ff.
21
Zu den „gouvernementalen" Agrariern Dieter GESSNER, Agrarverbände in der
Weimarer Republik, Düsseldorf 1976, S. 262.
22
Zum „Herrenclub" Manfred SCHOEPS, Der Deutsche Herrenclub. Ein Beitrag zur
Geschichte des Jungkonservativismus in der Weimarer Republik, phil. Diss. Er-
langen 1974 sowie der Beitrag von Stephan MALINOSWKI in diesem Band. Zum
„Bund zur Erneuerung des Reiches" Wolfgang ZOLLITSCH, Das Scheitern der
„gouvernementalen" Rechten. Tilo von Wilmowsky und die organisierten Interes-
sen in der Staatskrise von Weimar, in: Wolther v. KŒSERITZKY U. Klaus-Peter
SICK (Hg.), Demokratie in Deutschland. Chancen und Gefährdungen im 19. und
20. Jahrhundert, München 1999, S. 254-273, 259 f.
23
Zu Wilmowsky und seinen vielfältigen Aktivitäten s. ebd.
24
Der Adelsanteil stieg dementsprechend von 1930 (46%) auf 1932 (58%):
SCHOEPS, H e r r e n c l u b ( w i e A n m . 2 2 ) , S. 4 8 .
25
MERKENICH, Front (wie Anm. 20), S. 304f.; ZOLLITSCH, Adel (wie Anm. 2),
S. 248f.
26
ZOLLITSCH, Scheitern ( w i e A n m . 2 2 ) , S. 267.
27
Siehe Anm. 21.
28
Sigmund NEUMANN, Die deutschen Parteien. Wesen und Wandel nach dem Krie-
ge, Berlin 1932, S. 68.
29
Zum Problem der „kulturellen Hegemonie" des Adels Hans-Ulrich WEHLER,
Einleitung, in: OERS. (Hg.), Europäischer Adel 1750-1950, Göttingen 1990,
S. 9-18, 17.
30
So auch KERSHAW, Hitler (wie Anm. 1 ), S. 473.
31
ZOLLITSCH, Scheitern (wie Anm. 22), S. 258.
32
Zum ländlichen Adel im Kaiserreich Hans-Ulrich WEHLER, Deutsche Gesell-
schaftsgeschichte. Dritter Band: 1849-1914, München 1995, S. 805ff.
33
David CANNADÍNE, The Decline and Fall of the British Aristocracy, London 1992,
S. 449ff„ 462f.
34
Siehe Reinhard NEEBE, Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933. Paul Silver-
berg und der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer
Republik, Göttingen 1981, S. 130.
35
Betont wird dieser Aspekt bei Heinrich A. WINKLER, Deutschland vor Hitler. Der
historische Ort der Weimarer Republik, in: Walter H. PEHLE (Hg.), Der histori-
sche Ort des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1990, S. 11-30, 28.
36
Cannadine, DECLINE (wie Anm. 33); Heinz-Gerhard H A U P T , Der Adel in einer
entadelten Gesellschaft: Frankreich seit 1830, in: WEHLER (Hg.), Adel (wie Anm.
29), S. 286-305; Christophe CHARLE, Noblesse et élites en France au début du
XXè siècle, in: Les Noblesses Européennes au XIXe siècle, Università di Mila-
no/École Française de Rome 1988, S. 407-433.
bereits erwähnt, zum Beispiel Bodo von der Marwitz für sich getroffen
hatte.37
Die anderen genannten Länder wiesen ein davon abweichendes ge-
sellschaftliches Konfliktschema auf. Sie verfugten über bereits gefe-
stigte bürgerlich-liberale Traditionen oder waren in ihrem politischen
Diskurs noch an den Zielvorstellungen einer vorindustriellen Bürger-
gesellschaft orientiert. Deshalb konnte dort die Konkurrenz von tradi-
tionellem Adel und liberalem Bürgertum auf einer Ebene erfolgen, die
eine stärkere Verschmelzung von alten und neuen Eliten ermöglichte.
Die konservativen Eliten aus Adel und gehobenem Bürgertum erwie-
sen sich somit als gefestigter und konnten radikalen Bewegungen von
rechts eine größere politische Beharrungskraft und ideologische Stand-
festigkeit entgegensetzen.
37
Siehe oben Anm. 12.
1. Vorbemerkung
erre GuiLLEN/Ilja MIECK (Hg.), Deutschland, Frankreich und Rußland im 19. und
20. Jahrhundert. München (im Druck); Gottfried NIEDHART, Internationale Bezie-
hungen 1917-1947, Paderborn 1989; DERS., Die Außenpolitik der Weimarer Re-
publik, München 1999.
Peter KRÜGER, Die Außenpolitik der Republik von Weimar, Darmstadt 1985,
2
1993; DERS., Struktur, Organisation und Wirkungsmöglichkeiten der leitenden
Beamten des auswärtigen Dienstes 1921-1933, in: Klaus SCHWABE (Hg.), Das di-
plomatische Korps als Elite, 1871-1945, Boppard 1985; DERS., Versailles. Deut-
sche Außenpolitik zwischen Revisionismus und Friedenssicherung, München
1993.
3
A D AP, B, Bd. XVI, Nr. 174, S. 435-437.
referates ernannt worden, sondern 1925 in der Karriere sogar zum Lei-
ter der Abteilung Westeuropa aufgestiegen. Wie verträgt sich das mit
der auf Frankreich ausgerichteten neuen Verständigungspolitik der
Stresemann-Administration seit den Konferenzen von London und
Locamo 1924/25, wenn ausgerechnet ein angeblicher Gegner dieser
Politik Leiter der zuständigen Abteilung wird? War von Biilow also ein
antiwestliches Trojanisches Pferd der alten wilhelminischen Eliten in
den Büros der Wilhelmstrasse ? Oder steht Bülow nicht viel mehr für
den Versuch, deutschen Nationalismus mit europäischen Interessen zu
vereinbaren, im Sinne der deutschen Revisionspolitik von Rathenau
und Stresemann bis Brüning und von Papen ? Warum war von Bülow
das paneuropäische Mäntelchen so wichtig, wenn es sich bei der Be-
wegung des österreichischen Grafen doch im Grunde lediglich um eine
periphere Propagandaorganisation handelte? Ging es um die öffentli-
che Meinung in Deutschland, in Frankreich oder gar in Mitteleuropa,
und welchen Stellenwert hatten dort europäische Motive? Die schwer
zu beurteilende und kaum eindeutig einzuordnende Zwischengestalt
des adligen Berufsdiplomaten von Bülow verrät dabei mehr über die
zwiespältige und janusköpfige Außenpolitik der Weimarer Republik
als manche Darstellung Stresemanns.
Zur Beantwortung dieser einfach erscheinenden Fragen fehlen uns
zudem immer noch wichtige historische Informationen. Leider gibt es
noch so gut wie keine grundlegenden biographischen, prosopographi-
schen, elitenhistorischen und mentalitätsgeschichtlichen Untersuchun-
gen zum diplomatischen Personal in Deutschland - und anderen wich-
tigen europäischen Staaten - im 20. Jahrhundert. Dies wäre nicht nur
wichtig für das Verständnis einer kontrovers beurteilten Persönlichkeit
wie von Bülow und seine Einordnung in die deutsche Außenpolitik.
Solche Untersuchungen wären außerdem eine unentbehrliche Grundla-
ge einer Sozialgeschichte der internationalen Beziehungen im 20.
Jahrhundert. Dies kann auch an dieser Stelle nicht geleistet werden.
Dagegen soll es um einen anderen Aspekt gehen.
Dem dunklen Bild des als rückständig bewerteten, sozusagen den
borussisch-kleindeutschen Nationalismus verkörpernden Bülow wer-
den in der traditionellen Europahistoriographie die idealistischen und
fortschrittlichen Vertreter europäischer Bewegungen gegenüber um so
mehr in ein helles Licht gerückt. 4 Dann wird jemand wie der euro-
4 Vgl. z.B. den informativen Pionieraufsatz von Walter LIPGENS, Europäische Eini-
gungsidee 1 9 2 3 - 1 9 3 0 und Briands Europaplan im Urteil der deutschen Akten, in:
Historische Zeitschrift 203 (1966), S. 4 6 - 8 9 , S. 3 1 6 - 3 6 3 . Ähnlich betont Krüger
turbund" einfach ignoriert. Das war umso einfacher, da Rohan sich seit
Mitte der dreißiger Jahre als Anhänger des Nationalsozialismus diskre-
ditiert hatte, nach 1945 sudetendeutsche Interessen vertrat und sich
sehr kritisch gegenüber der Westorientierung und vor allem den USA
äußerte.8 Er konnte somit kein richtiger oder gar repräsentativer Euro-
päer gewesen sein. Karl Anton Prinz Rohan, geboren 1898 als Sohn
eines böhmischen Großgrundbesitzers und Politikers auf Schloß Al-
brechtsburg in Niederösterreich, stammte aus dem Zweig einer alten
französischen Hochadelsfamilie, die während der Französischen Re-
volution nach Böhmen ausgewandert war. Als Kind lernte er zunächst
französisch, erst später kamen deutsch und tschechisch hinzu. Der
Schloßkaplan sprach das Kind mit „Durchlaucht" an. 1914 erfuhr Ro-
han mit dem Tod des Vaters und dem Beginn des Weltkrieges „Das
Sterben eines Zeitalters". So lautet die Überschrift des ersten Kapitels
seiner 1954 im Düsseldorfer Diederichs Verlag publizierten Erinne-
rungen, die unter dem Titel „Heimat Europa" erschienen.
Dieser aus dem Militärdienst entlassene und vom sozialen Abstieg
bedrohte dreiundzwanzigj ährige Prinz Rohan schuf zwischen 1921/22
und 1925 mit dem „Europäischen Kulturbund" von Wien, Paris, Mai-
land und Frankfurt aus die bedeutendste europäische Elitenvereinigung
der zwanziger Jahre. Dies geschah von Anfang an auf Wiener Terrain
in direkter und emstzunehmender Konkurrenz zur „Paneuropa-Union"
des ebenfalls österreichischen Grafen Richard Coudenhove-Kalergi.
Dessen gesellschaftlicher und politischer Hintergrund des habsburgi-
schen Vielvölkerstaates und seiner Auflösung wurde allerdings bisher
viel zu gering berücksichtigt. Von einer derzeit in Graz im Entstehen
begriffenen Habilitationsschrift Anita Ziegerhofers als erste wissen-
schaftliche Biographie Coudenhove-Kalergis ist dazu endlich Aufklä-
rung zu erwarten.
Keiner könnte besser diese ganze Problematik des österreichischen
wie aristokratischen Hintergrundes charakterisieren als die gesell-
schaftliche, kulturelle und mentale Kontinuität, die sich in der Person
von Coudenhoves Nachfolger an der Spitze der Paneuropa-Bewegung
verkörpert: Otto von Habsburg. Seine Person bedeutet keinen Bruch,
sondern eine ausdrückliche Kontinuität in der jungkonservativen
Mentalität des charismatischen Gründers und seinem oligarchischen
Europaverständnis.
Karl Anton ROHAN, Heiße Eisen: Deutschland, Europa, Der Westen, Nürnberg
1963.
2.3. Der „neue Adel": das Konzept einer neuen geistigen Elite bei dem
Paneuropa-Gründer Coudenhove-Kalergi
Sicher zu recht hat Emanuel Richter auf die Bedeutung des Wiener
Hintergrunds der Jahrhundertwende für die „Mischung aus elitärem
Sendungsbewußtsein und kosmopolitischer Weitläufigkeit" bei dem
Grafen Coudenhove-Kalergi hingewiesen.10 Doch unterschied sich der
Graf durch seine deutliche Wendung gegen den vorherrschenden Anti-
semitismus von den meisten seiner Standesgenossen und der öffentli-
chen Meinung im Wien um 1900. Coudenhoves Verbandsarbeit in der
Paneuropa-Union war in einer solchen Weise personalisiert und auf
seine eigene äußerst einsatzbereite, geltungssüchtige und phantasiebe-
gabte Führungsgestalt zugeschnitten, daß publizistische Selbstdarstel-
lung des Grafen mit Propaganda, Ziel und gesellschaftlichen Vorstel-
lungen der Paneuropa-Bewegung in eins fallen. So ist die Schrift Cou-
denhoves aus den frühen zwanziger Jahren mit dem schlichten Titel
„Adel" nicht nur aufschlußreich für sein eigenes ideelles, soziales und
politisches Weltbild; sie läßt auch Schlüsse auf die gesellschaftlichen
Ideale der Paneuropa-Union zu.
9
Emanuel RICHTER, Die Paneuropa-Idee. Die aristokratische Rettung des Abend-
landes, in: Jürgen NAUTZ/Richard VAHRENKAMP (Hg.), Die Wiener Jahrhundert-
wende. Einflüsse, Umwelt, Wirkungen, Wien 1993, S. 788-812.
10
Ebd., S. 794.
11
Richard COUDENHOVE-KALERGI, Adel, Leipzig 1923, S. 43.
12
Ebd., S. 25.
13
Karl Anton Prinz ROHAN, Ordnung, nicht Chaos, in: Hans BARION/Ernst-Wolf-
gang BÖCKENFÖRDE u.a. (Hg.), Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, Berlin
1968, S. 325-331; DERS., Heimat Europa. Düsseldorf 1954, S. 232-233.
14
Karl Anton ROHAN, Europa, Leipzig 1923, 2. Aufl. 1924, S. 8-9.
15
Hier ist eine zentrale Gestalt der Frankfurter Physiker und Zentrumspolitiker
Friedrich Dessauer, der 1928 einen Vortrag beim Prager Kongreß des Kulturbun-
des hielt. Er stand Brüning nahe, forderte die vielfaltigen Bestrebungen des Orga-
Ebd., S. 25. Die kursiv gedruckte Stelle ist dort gesperrt gedruckt. Es heißt weiter:
„Der Fascismus ist durchaus revolutionär. [...] Das aristokratische System ist erle-
digt, demokratische und sozialistische Versuche sind endgültig gescheitert, ein
neuer Weg des Aufbaus einer neuen Weltordnung muß beschritten werden. [...]
Der Fascismus ist durchaus konservativ. Die wenigen noch lebensfähigen Werte
müssen erhalten bleiben. [Hier zitiert Rohan in einer Fußnote ausführlich Pietro
Gorgolinis Anti-Liberalismus nach dessen französischer Ausgabe „Le fascisme"
mit einem Vorwort Mussolinis], [...] Der Facsismus ist durchaus traditionell. Aber
Tradition lähmt ihn nicht. [...] Tradition ist ihm Forderung fur das Heute, Peitsche
zur Höchstanspannung der Kräfte und nicht passives Schwelgen in der Vergan-
genheit. Er will die Hierarchie des Kopfes über die Hand, des Geistes über die
Tat. Er hat kein eigentliches Programm, aber, was heute gewiß mehr bedeutet, den
Glauben an die Zukunft. Der revolutionäre Impuls des jungen Europa, der im Bol-
schewismus so entsetzliche Um- und Irrwege ging, ist hier zentral, als konservati-
ve Revolution aufgetreten. Durchaus linksradikal, macht er Front gegen Reaktion
der demokratischen, der sozialdemokratischen Welt, als einer Welt des Rationa-
lismus, will aber alle rettbaren Werte wahren, um sie aus dem chaotischen Liqui-
dationsprozeß der Gegenwart in eine neue Zukunft überzuführen." (S. 24f.) So
entwickelt Rohan das Programm der Konservativen Revolution direkt aus dem
italienischen Faschismus. Über die „rettbaren Werte" macht er allerdings wie
viele selbsterklärte Retter keine konkreten Angaben.
Karl Anton ROHAN, Die Aufgabe unserer Generation, Hg. von Karl HOEBER, Bd.
17), Köln 1926, S. 20.
„In diese Situation tritt die junge Generation ein, erfüllt von ihrer Missi-
on, eine neue Ordnung, eine neue Lebensform aufzubauen. Aus all dem
Gesagten weist nur Eines nach vorn: das Streben nach neuer, engerer
Gemeinschaft. [...] Politische Ordnung ist nur denkbar als Gleichgewicht
zwischen Führer und Geführten. [...] Die Gesellschaft ist ein Organis-
mus, gleich wie der menschliche Körper, der zu seinem Leben verschie-
dene Organe braucht. [...] Wollen wir aufbauen, so müssen wir bei der
Führerauslese beginnen. [...] Ich glaube, daß es in allen Zeiten politi-
scher Ordnung Adel in irgendeiner Form geben wird. [...]
Nachdem die Hilfskonstruktion des Rousseau'schen Denkens, die Uto-
pie der Gleichheit aller Menschen, ein für allemal durchschaut ist, geht
es nicht mehr an, jedem den gleichen sozialen Wert zuzuerkennen. Es
gibt im heutigen Europa Qualität: sie beginnt sich sogar bereits als gei-
stige Elite zu konstituieren, und zwar auf dem Wege, den Ortega y
Gasset so schön definiert hat: ,Der Erlesene erlest sich selbst, indem er
mehr von sich verlangt als von den Andern.'" 20
Als den neuen Führer stellt Rohan die neusachliche ,kalte Person' 21
vor: den starken und selbstbewußten, von der Masse distanzierten,
unsentimentalen, heroischen und stilbewußten Helden, der scharf zwi-
schen Gesinnung und Verantwortung trennt:
Diese Sicht übertrug er auch auf die Heranbildung einer neuen euro-
päischen Geistesoligarchie:
„Die Wendung nach einer neuen europäischen Ordnung kann auf zwei-
erlei Wegen erfolgen: entweder es bildet sich um einen Führer oder um
die neue Gemeinschaftsidee des übernationalen Europa ein Mythos, der
die Atmosphäre zu rascher Verwirklichung schafft, oder aber wir wer-
den Schritt für Schritt, organisch gleichsam, im kalten Verfahren auf-
bauen müssen. Unsere neue Einstellung zur Gemeinschaft verbietet es
uns, vom unabhängigen Einzelmenschen als Aufbauzelle der Gesell-
schaftsbildung auszugehen. Nicht das abstrakte Individuum, sondern
wohl das Individuum, aber in seiner sozialen Verbundenheit, als sozial
bedingte Entität, bildet die Grundlage der organischen Gesellschaft."23
Dabei bezog Rohan sich ausdrücklich zurück auf das Reich der Karolin-
ger: „Solche Richtlinien, auf den heute große Politik allein interessie-
renden Raum Europa bezogen, führen in die Nähe der Forderung, die
Valéry Larbaud unlängst in der .Europäischen Revue' gestellt hat, als er
schrieb: ,Alle unsere Bemühungen sollten dahin gehen, das letzte Mei-
sterwerk wieder zu erschaffen, das uns in der jüngsten Vergangenheit
gelungen ist: das Reich Karls des Großen.'" 24
22
ROHAN, Problematik (wie Anm. 20).
23
Ebd.
24
Ebd.
In Österreich wurde Karl Anton Prinz Rohan seit 1921 gefördert durch
den führenden Staatsrechtler und Regierungsberater Joseph Redlich,
den Großkaufmann Julius Meinl, den Dichter Hugo von Hofmannsthal
und vor allem den Prälaten und Bundeskanzler Ignaz Seipel. Auf deren
Rat hin eroberte der gesellschaftlich gewandte Prinz aufgrund seines
Namens seit 1923/24 führende Vertreter der Pariser Gesellschaft für
seine Anliegen.
Eingeladen wurde er nach Paris durch den jungen rechtsextremisti-
schen Intellektuellen Baron Robert Fabre-Luce, dessen Ziel die Grün-
25 ROHAN, Problematik (wie Anm. 20). Vgl. die leicht abgeänderte Druckfassung:
ROHAN, A u f g a b e ( w i e A n m . 19).
26
Ebd. S. 21.
27
Robert Fabre-Luce gründete später eine eigene extrem rechte europäische Bewe-
gung unter dem Namen „Vers l'Unité", deren Anhängerschaft in Frankreich sehr
begrenzt blieb und die 1933 bei Hitler und Goebbels keine Unterstützung fand.
Der deutschen Sektion, die 1927 gegründet wurde, gehörten der DNVP-Abgeord-
nete Martin Spahn, Otto Hoetzsch, Schrenck-Notzing, Baron Heinrich von Glei-
chen, Graf von Manteuffel und Vertreter des Stahlhelm wie der „Jungnationalen
Vereinigung" an. (Vgl. Guido MÜLLER, Deutsch-Französische Gesellschaftsbe-
ziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Habilitationsschrift, Aachen 1997, S. 407,
Anm. 36).
28
L'œuvre de la Fédération des Unions intellectuelles 1923-1928, Prag 1928, S. 9;
Union Intellectuelle Française: But de la Fédération des Unions Intellectuelles,
Privatdruck Paris 1924, in: Teilnachlaß Lily von Schnitzler in Privatbesitz.
29
Statuten des Kulturbundes, in: L'œuvre (wie Anm. 28), S. 7.
nach der Synthese - Europäer."30 Auch hier ist wieder das Bemühen
um die Verbindung der beiden Begriffe Nationalismus und Europa
evident.
Rohan beruft sich auf die neue Führungsaufgabe des Adels, der als
traditionelle Aristokratie im welthistorischen Umbruch 1917/18 liqui-
diert worden sei. Er betont die herausragende Rolle seiner Jugend-
Generation, der Frontkämpfer-Generation, und ihres Kriegserlebnis-
ses, in dem eine neue religiöse Sehnsucht erwacht sei. 31 Er stellt den
Anti-Liberalismus, den Anti-Rationalismus und in ihrer Folge den
Anti-Kommunismus als die zentralen Voraussetzungen seiner gegen
die Ideen von 1789 gerichteten gegenrevolutionären Ideologie heraus.
Rohan wendet sich gegen Spenglers kulturpessimistisches Schlag-
wort vom „Untergang des Abendlandes" und gegen zyklische Ge-
schichtsvorstellungen. Er setzt auf eine fortschreitende Entwicklung zu
einer „Welt von morgen" mit einem „ständisch gegliederten Produkti-
onsprozeß", in dem nicht nur der besitzende Bourgeois keinen Platz
mehr habe, sondern auch der Mittelstand von Handwerkern und Ge-
werbetreibenden ganz verschwinden werde. Dafür würden an der Spit-
ze Wirtschaftsgeneräle, Industrieuntemehmer und Finanziers stehen,
„abwärts bis zum Kopfarbeiter". Der Arbeiter müsse „vom besitzer-
30
Karl Anton ROHAN, Gründungsschrift des „Kulturbundes", Wien Herbst 1921, in:
Nachlaß Lily von Schnitzler. •
31
Geradezu hymnisch schreibt Rohan: „Vielleicht hat noch nie eine Generation
gelebt, die den Einschnitt, die Kluft zwischen gestern und morgen so bewußt emp-
fand, wie die unsere. Gewiß gab es noch nie eine Generation, die mit soviel Ernst
darum wußte, daß sie keine einzige Frucht ihrer fast verzweifelten Arbeit selbst
würde ernten dürfe. Denn das, worauf es ankommt, greift über Jahrhunderte zu-
rück, und soll der Keim sein, der erst nach manchen Generationen zur Reife ge-
langen kann." (Ebd., S. 18f.). Eine selbständige Publikation widmet Rohan diesem
Generationskultus in: DERS., Aufgabe (wie Anm. 19). In dieser Broschüre legt
Rohan erneut sein Bekenntnis zum italienischen Faschismus ab: „Unsere Genera-
tion hat ein feines Gehör für das Notwendige, und in Zeiten, da eine Krise die an-
dere jagt, sind eben auch Gewaltmaßnahmen, oft blutige Operationen notwendig.
[...] Die Jugend hat im Schützengraben die Demut gelernt, die zur Religion führt.
[...] Italien: Dort zeichnet sich der Typus der jungen Generation am klarsten; denn
dort ist er bereits an der Macht. [...] Der Fascismus hat keine Ideologie. Das wer-
fen ihm seine Feinde, die alten Generationen vor. [...] Unsere Generation glaubt
aber nicht an Programme. [...] Der Fascismus drückt lediglich das Lebensgefühl
der Jugend aus. [...] Das Problem des Fascismus geht die ganze europäische Ju-
gend an. Denn hier ist, allerdings streng innerhalb der Nation, zum ersten Mal
versucht worden, Traditionalismus mit Zukunftswillen zu verknüpfen. Alle libera-
len Positionen, die unhaltbar geworden sind, werden eingerannt, man versucht den
Weg zu einer organischen Volksvertretung zu finden." (Ebd., S. 9, 19f.).
32
Ebd., S. 34f..
33
Alfred WEBER, Rede beim Schlußbankett der Internationalen Jahresversammlung
in Mailand, in: Europäische Revue Bd. 1/2 (1925/26), S. 302. Vgl. auch DERS.,
Die Krise des modernen Staatsgedankens in Europa, Stuttgart 1925.
34
Guido MÜLLER, Europäische Revue, in: Caspar von SCHRENCK-NOTZING (Hg.),
Lexikon des Konservatismus, Graz/Stuttgart 1996, S. 162f.
Alfred WEBER am 10.5.1928 an Liliane von Schnitzler, in: Nachlaßrest von
Schnitzler in Privatbesitz.
36
Hugo von HOFMANNSTHAL, Ansprache bei Eröffnung des Kongresses der Kultur-
verbände in Wien, in: DERS., Prosa IV, Frankfurt a. M. 1977, S. 336-342.
37
Alfred WEBER, Rede beim Empfang des Kongresses (18.10.1926), Bl. 2, in: Sep-
tième Rapport (1926) du Sécrétariat général, Illè Assemblée de la Fédération des
Unions intellectuelles, Vienne, le 18, 19 et 20 octobre 1926, gedrucktes Manu-
skript, in: Nachlaß Lily von Schnitzler in Privatbesitz; die französische Fassung
ebd. S. 21; vgl. Alfred WEBER, Der Deutsche im geistigen Europa, in: Europäi-
sche Revue, Bd. 2/2 (1926/27), S. 276-284; französische Fassung in: Septième
Rapport, S. 20f.
Gesellschaft". Ihr Ziel sei eine feste und starke „europäische Gemein-
schaft." Diese beruhe allerdings auf den nationalen Werten, die Ange-
hörige der Frontkämpfergeneration durch ihr Leben verteidigt hatten.
Die Generation der Frontkämpferelite werde den Krieg überwinden
und aus ihm die Voraussetzungen der Solidarität beziehen.38
Euphorisch stimmten diesem Bekenntnis zu einer zugleich national
und europäisch gesinnten Kriegsgeneration ein junger Italiener und ein
junger Deutscher zu. Der eine war der Faschist Aldo Pontremoli, der
seit 1923 zum Kulturbund gehörte, der andere der damals noch der
DDP nahestehende Heidelberger Privatdozent Arnold Bergsträsser.
Bergsträsser sprach davon, daß „kein anderer Weg als der des gegen-
seitigen geistigen Austrage des Nationalen in seiner ganzen Fülle und
Schwere" zu Europa führen könne. Für seine Generation war „Europa
zur Realität zuerst durch den Krieg" geworden. Für den kriegsverletz-
ten Bergsträsser war „allein die Idee der Nation, vielleicht die am tief-
sten europäische aller Ideen Europas", geeignet, eine „gestalthafte
Einheit unseres abendländischen Kontinents sich herausbilden zu las-
sen". Er berief sich dabei auf eine „Art Kameradschaft, die unter denen
entstand, für die der Krieg zum großen Eingangstor ihres Lebens ge-
worden ist," einer „Kameradschaft ,à l'ombre des épées'". 39 Erst voll
ausgeprägte, befriedigte und ausgelebte Nationen konnten demnach ein
gemeinschaftliches Europa schaffen. Bergsträsser stand hier ganz unter
dem Eindruck der „Ideen von 1914", die für ihn den Beginn eines We-
ges zur „gestalthaften Einheit unseres abendländischen Kontinents"
darstellten.
Nicht nur der bekannte französische Dichter Paul Valéry zeigte sich
ergriffen von diesem europäischen Generationsbekenntnis. Auch für
Hofmannsthal waren diese drei Äußerungen die jugendliche „Apotheo-
se des Kongresses".40 In einem Brief an den österreichischen Staats-
rechtslehrer Josef Redlich klingt diese Begeisterung noch nach. Hof-
mannsthal betonte, daß er unter den Bestrebungen, europäische Aus-
sprachen herbeizuführen, denen Rohans „bei weitem den Vorzug"
gebe. Er wolle „alles tun, um sie zu fordern". Die faschistischen Dele-
38
Pierre VLÉNOT, in: Rapport (wie ANM. 37).
39
Aldo PONTREMOLI, in: ebd., S. 24; Arnold BERGSTRÄSSER: Antwortrede. Beilage
zum Rapport über den III. Kongreß, in: ebd., S. 2.
4 0
HOFMANNSTHAL, in: e b d . , S. 2 5 .
41
HOFMANNSTHAL am 9.11.1926 an Redlich, in: Helga FUDGÄNGER (Hg.), Hugo von
Hofmannsthal/Josef Redlich, Briefwechsel, Frankfurt a. M. 1971, S. 78 f.
42
ROHAN, Aufgabe (wie Anm. 19), S. 121. Vgl. auch DERS., Umbruch der Zeit:
1923-1930. Gesammelte Aufsätze. Berlin 1930.
43
Hugo von HOFMANNSTHAL, Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation. Rede,
gehalten im Auditorium maximum der Universität München am 10. Januar 1927,
München 1927, Nachdruck Berlin 1933; Abdruck in: DERS., Reden und Aufsätze
III (1925-1929), Frankfurt a. M., S. 29-41.
44
Karl Anton ROHAN, Schicksalsstunde Europas: Erkenntnisse und Bekenntnisse,
Wirklichkeiten und Möglichkeiten, Graz 1937.
4. Zusammenfassung
ßen europäischen Rasse" sollte sich über den gesellschaftlich und kul-
turell erneuerten völkischen Nationalismen gründen und behaupten. Er
war im Grunde das Ziel dieser stärker kulturell, ästhetisch und wirt-
schaftlich als politisch argumentierenden Europabewegungen. Der
kulturpolitische Hintergrund der 1918 untergegangenen habsburgisch
dominierten Vielvölkermonarchie war dabei wichtig sowohl für den
hohen Grad an Mitwirkung durch katholische und österreichische Ad-
lige wie für die starke Dominanz des Kulturellen. Das Reich als My-
thos, als „supranationale" oder transnationale Ordnungseinheit in Eu-
ropa hatte in diesen Kreisen ebenso wie das „Abendland" noch nichts
von seiner Faszination eingebüßt.
Soziales Ziel war die Stiftung eines neuen Adels über die nationalen
Grenzen Europas hinweg, die Schaffung und Etablierung einer „Euro-
ligarchie". Darin stimmten sowohl Graf Coudenhove-Kalergi wie der
altadlige Prinz Rohan überein. Diese „Geistesaristokratie" sollte sich in
Ablösung des alten Blut-, Militär- und Verdienstadels aus jungkonser-
vativen Intellektuellen und sozial-patriarchalisch eingestellten Wirt-
schaftsführern zusammensetzen. Während Coudenhove dabei aus-
drücklich Anfang der zwanziger Jahre auch die Juden einbezieht, fehlt
diese Überlegung -ebenso aber auch antisemitische Einstellungen- bei
Rohan. Im Gesamtbild der Adels-Diskussion der Zwischenkriegszeit
stellt diese sowohl europäische wie neue Perspektive allerdings eher
eine Randerscheinung und eine radikale Minderheitenposition dar. Sie
konnte damit allerdings Attraktivität und bürgerliche Anhängerschaft
in neusachlichen, technokratischen und jungkonservativen Industriel-
len- und Intellektuellenkreisen finden. Dabei erhofften sich vor allem
junge Adlige und Rechtsintellektuelle der um 1900 geborenen „Front-
kämpfergeneration", die nach 1918 vom sozialen Abstieg bedroht wa-
ren, eine führende Mitwirkung an der Durchsetzung eines „neuen
Adels" sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Daher ver-
wundern auch die Verbindungen vor allem von Mitgliedern des elitä-
ren „Europäischen Kulturbundes" Anfang der dreißiger Jahre zum
„Herrenclub" und zur jungkonservativen „Ring"-Bewegung ebenso
wenig wie die zum Kreis um v. Papen. 45 Hierarchisch-autoritäre Füh-
rerstrukturen waren hierbei ein zentrales Element. Sowohl durch die
Nur wenige Stunden nach dem fehlgeschlagenen Attentat vom 20. Juli
1944 betonte Adolf Hitler in einer Ansprache gegenüber Arbeitern in
Rastenburg: „Ich habe von Anfang an gewußt, daß ihr das nicht gewe-
sen seid. Es ist mein tiefer Glaube, daß meine Feinde die ,vons' sind,
die sich Aristokraten nennen." 1 Andere NS-Größen äußerten sich
ähnlich, unter ihnen der Führer der Deutschen Arbeitsfront (DAF)
Robert Ley, der in primitivster Vulgarität die Verschwörer als „blau-
blütige Schweine" bezeichnete. Leys Ausbruch gegen den Adel ver-
band sich mit antisemitischen Versatzstücken: „Degeneriert bis in die
Knochen, blaublütig bis zur Idiotie, bestechlich bis zur Widerwärtig-
keit und feige wie alle gemeinen Kreaturen, das ist die Adelsclique,
die der Jude gegen den Nationalsozialismus vorschickt. [...] Dieses
Geschmeiß muß man ausrotten, mit Stumpf und Stiel vernichten. Es
genügt nicht, die Täter allein zu fassen und unbarmherzig zur Rechen-
schaft zu ziehen, man muß auch die ganze Brut ausrotten." 2
In gewisser Weise, wenn auch unter gleichsam umgekehrten Vor-
zeichen, fand freilich diese Identifikation von Widerstand und Adel
ihren Weg auch in die Nachkriegszeit. So wird bis heute in ganz er-
heblichem Umfang insbesondere deijenige Teil des Widerstands gegen
den Nationalsozialismus, der im Attentatsversuch des 20. Juli 1944
gipfelte, im öffentlichen Bewußtsein als Adelsopposition wahrge-
nommen. Ethisch-moralisch unangreifbar rückt so der Adel als soziale
Großgruppe, nicht etwa nur der Kreis der in der Tat überproportional
am Widerstand beteiligten Adeligen im engeren Sinne, auf die Seite
Zit. nach: Max DOMARUS, Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945, 2 Bde.,
Wiesbaden 1973, hier Bd. 2, S. 2127.
Robert LEY, Gott schütze den Führer, in: Der Angriff, 2 3 . 7 . 1 9 4 4 , zit. nach: Detlef
GRAF VON SCHWERIN, „Dann sind's die besten Köpfe, die man henkt". Die junge
Generation im deutschen Widerstand, München 1994, S. 430.
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270 Eckart Conze
Otto Heinrich VON DER GABLENTZ, Die Tragik des Preußentums, München 1948,
S. 103 f. (Hervorhebung des Verfassers).
Marion GRÄFIN DÖNHOFF, „Um der Ehre willen". Erinnerungen an die Freunde
vom 20. Juli, Berlin 1994, Zit. auf S. 34.
Zit. nach: Georg H. KLEINE, Adelsgenossenschaft und Nationalsozialismus, in:
Vierteljahreshefte fur Zeitgeschichte 26 (1978), S. 110-143, hier S. 139.
Zur Begrifflichkeit sei an dieser Stelle lediglich angemerkt, daß ich die Begriffe
„Widerstand des 20. Juli" und „nationalkonservativer Widerstand" weitestgehend
synonym verwende. Die nationalkonservative Opposition sehe ich, Klaus-Jürgen
Müller folgend, als einen „Spezialfall des Verhaltens traditioneller Machteliten in
einer geschichtlichen Umbruchsituation", „als Verhalten traditioneller Eliten ge-
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Adel und Adeligkeit im Widerstand 271
I.
10
Vgl. Hans MOMMSEN, Der Widerstand gegen Hitler und die deutsche Gesell-
schaft, in: Schmädeke/Steinbach (wie Anm. 6), S. 3-23, hier S. 5.
11
MÜLLER, Struktur (wie Anm. 6), S. 330. Vgl. auch Axel SCHILDT, Konservatismus
in Deutschland. Von den Anfangen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Mün-
chen 1998, S. 204 f.
12
Vgl. Ekkehard KLAUSA, Politischer Konservatismus und Widerstand, in: Peter
Steinbach/Johannes Tuchel (Hg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus,
Bonn 1994, S. 219-234, v.a. S. 227 f. Zu Kleist-Schmenzin im übrigen noch im-
mer die Biographie von Bodo SCHEURIG, Ewald von Kleist-Schmenzin. Ein Kon-
servativer gegen Hitler, Oldenburg/Hamburg 1968.
13
Zur Generationenspezifik des Widerstandes vgl. Wolfgang SCFFLEDER, Zwei Gene-
rationen im militärischen Widerstand gegen Hitler, in: Schmädeke/Steinbach (wie
Anm. 6), S. 436-459; Detlef GRAF VON SCHWERIN, Der Weg der „Jungen Genera-
tion" in den Widerstand, in: ebd., S. 460-471; Nicolai HAMMERSEN, Politisches
Denken im deutschen Widerstand. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte neokon-
servativer Ideologien 1914-1944, Berlin 1993, S. 78-83.
14
BROSZAT ( w i e A n m . 7 ) , S. 2 9 5 .
15
Vgl. ebd., S. 306.
16
MOMMSEN, Gesellschaftsbild (wie Anm. 8), S. 48.
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276 Eckart Conze
17
Dietrich BONHOEFFER, Widerstand und Erhebung, hg. v. Eberhard Bethge, Mün-
chen 1956, S. 205.
18
Vgl. ebd., S. 51. Zur Bedeutung der katholischen Soziallehre für die Ordnungs-
konzepte des Kreisauer Kreises s. auch Michael POPE, Alfred Delp SJ im Kreisau-
er Kreis, in: Karpen/Schott (wie Anm. 8 ) , S. 6 3 - 7 0 , sowie Antonia LEUGERS,
Staatsaufbau und Verfassungspläne Georg Angermaiers - Mitglied des Rösch-
Kreises, in: ebd., S. 7 1 - 8 8 .
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Adel und Adeligkeit im Widerstand 277
19
Vgl. hierzu Hans MOMMSEN, Die politische Vorstellungswelt des Kreisauer Krei-
ses, in: Karpen/Schott (wie Anm. 8), S. 9-18.
20
Zu der Gegenüberstellung von „Aristokratie" und „Demokratie" vgl.
HAMMERSEN, (wie Anm. 13), S. 249 f., bezogen auf die Genese dieser Gegensatz-
konstruktion im 19. Jahrhundert s. Werner CoNZE/Christian MEIER, Art. Adel,
Aristokratie, in: Otto Brunner u.a. (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Histori-
sches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart
1972, S. 1-48, vor allem S. 35-47.
21
Als Beispiele: R. Walther DARRE, Neuadel aus Blut und Boden, München 1930,
oder Heinrich HIMMLER, Die Schutzstaffel als antibolschewistische Kampforgani-
sation, München 1936, sowie DERS., Der Weg des SS-Mannes, o.O., o.J.
22
Zu Schulenburg ausführlich Albert KREBS, Fritz-Dietlof Graf von der Schulen-
burg. Zwischen Staatsraison und Hochverrat, Hamburg 1964, sowie Ulrich
HEINEMANN, Ein konservativer Rebell. Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg
und der 20. Juli, Berlin 1990.
23
Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Schulenburgs sog. Denkschriftfrag-
ment, das vermutlich 1943 entstanden ist. Der Text ist abgedruckt in: HEINEMANN
( w i e A n m . 2 2 ) , S. 2 2 6 - 2 4 1 .
24
Horst VON EINSIEDEL, Stellungnahme zu Fragen der Agrarpolitik, 28.11.1941,
abgedruckt in: Ger van Roon, Neuordnung im Widerstand. Der Kreisauer Kreis
innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, München 1967, S. 521-523.
25
Zit. nach: Reinhold BRUNNER, Landadeliger Alltag und primäre Sozialisation in
Ostelbien am Ende des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift fur Geschichtswissen-
schaft 39 (1991), S. 995-1011, hier S. 998. Vgl. auch Jens FLEMMING, Konserva-
tismus als „nationalrevolutionäre Bewegung". Konservative Kritik an der Deut-
schnationalen Volkspartei 1918-1933, in: Dirk Stegmann u.a. (Hg.), Deutscher
Konservatismus im 19. und 20. Jahrhundert. FS Fritz Fischer, Bonn 1983, S. 295-
331, v.a. S. 300-303 u. 315.
26
Zur Auflösung der Fideikommisse und zur zentralen Bedeutung dieser besitz-
rechtlichen Institution für den deutschen Adel vgl. Eckart CONZE, Adeliges Fami-
lienbewußtsein und Grundbesitz. Die Auflösung des Gräflich Bernstorffschen Fi-
deikommisses Gartow nach 1919, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S.
455-479.
11
Helmuth James GRAF VON MOLTKE, Ausarbeitung, 1939, abgedruckt in: Ger van
Roon (Hg.), Helmuth James Graf von Moltke. Völkerrecht im Dienste der Men-
schen. Dokumente, Berlin 1994, S. 154-158. Das Konzept der „kleinen Gemein-
schaften" wurde von Moltke im wesentlichen in dieser Ausarbeitung aus dem Jah-
re 1939 entwickelt.
28
Vgl. ROON (wie Anm. 24), S. 402 f.
29
MOLTKE ( w i e A n m . 2 7 ) , S. 1 5 4 .
30
Ebd., S. 156 f.
EINSIEDEL (wie Anm. 2 4 ) , S . 5 2 2 . Vgl. hierzu im übrigen auch die Gespräche über
Agrarfragen im sog. Dossier: Kreisauer Kreis, in: Roman BLEISTEIN (Hg.), Dos-
sier: Kreisauer Kreis. Dokumente aus dem Widerstand gegen den Nationalsozia-
lismus. Aus dem Nachlaß von Lothar König S.J., Frankfurt a.M. 1987, S. 47-58.
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Adel und Adeligkeit im Widerstand 283
32
S. hierzu ausführlicher Steven KROLAK, Der Weg zum Neuen Reich: Die politi-
schen Vorstellungen von Claus Stauffenberg - Ein Beitrag zur Geistesgeschichte
des deutschen Widerstands, in: Schmädeke/Steinbach (wie Anm. 6), S. 546-559,
sowie auch Anselm DOERING-MANTEUFFEL, Über das Ethos des Attentäters.
Claus Schenk Graf von Stauffenberg, in: Ders./Joachim Mehlhausen (Hg.),
Christliches Ethos und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Europa,
Stuttgart u.a. 1995, S. 46-57.
Π.
33
S. hierzu Ulrike ΗΕΤΤ/Johannes TUCHEL, Die Reaktionen des NS-Staates auf den
Umsturzversuch vom 20. Juli 1944, in: Steinbach/Tuchel (wie Anm. 12), S. 377-
389.
34
Hinzu traten freilich andere Faktoren wie Flucht und Vertreibung aus den deut-
schen Ostgebieten, auf die in unserem Kontext nicht ausführlicher einzugehen ist.
35
Vgl. Klaus TENFELDE, Soziale Grundlagen von Resistenz und Widerstand, in:
Schmädeke/Steinbach (wie Anm. 6), S. 799-812, hier S. 806 (Hervorhebung des
Verfassers).
36
Karl MANNHEIM, Das Problem der Generationen, erstmals in: Kölner Vierteljah-
reshefte für Soziologie 7 (1928), S. 157-185 u. 309-330. Vgl. dazu auch Hans
JAEGER, Generationen in der Geschichte. Überlegungen zu einer umstrittenen
Konzeption, in: Geschichte und Gesellschaft 3 (1977), S. 429-452. Im Sinne
Mannheims argumentiert im übrigen auch SCHIEDER, Generationen (wie Anm.
13), S. 440.
37
Spiegelbild einer Verschwörung. Die Kaltenbrunner-Berichte an Bormann und
Hitler über das Attentat vom 20. Juli 1944, hg. v. Archiv Peter, Stuttgart 1961, S.
96. An anderer Stelle der Kaltenbrunner-Berichte heißt es, daß „die Werbung
neuer Mitwisser und Verschwörer (...) meist aufgrund früherer Bekanntschaft oder
Verwandtschaft erfolgte". S. ebd., S. 523.
38
Bei DÖNHOFF (wie Anm. 4), S. 186, wird die Multidimensionalität dieser adeligen
kulturellen Praxis deutlich. Bezogen auf ihre eigenen Verbindungen zum Wider-
stand schreibt die ostpreußische Adelige: „Mit den Geschwistern Lehndorff bin
ich aufgewachsen, die Yorcks kannte ich seit meiner Studienzeit, Schulenburg seit
er 1934 nach Ostpreußen kam. Wir waren alle etwa gleichen Alters, alle unter
dreißig, kamen alle aus einem ländlichen Milieu, in dem Kontinuität, Verantwor-
tung für das Gemeinwohl, Ehre, Pflicht und eine gewisse .austerity' selbstver-
ständlicher Lebensstil gewesen sind." Zum Thema Bürgerlichkeit als kulturelle
Praxis s. insbesondere Wolfgang KASCHUBA, Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800.
Kultur als symbolische Praxis, in: Jürgen Kocka (Hg.), Bürgertum im 19. Jahr-
hundert, 3 Bde., Göttingen 1995, Bd. 2, S. 92-127, hier S. 92-95, sowie auch
Klaus TENFELDE, Stadt und Bürgertum im 20. Jahrhundert, in: Ders./Hans-Ulrich
Zur Fortentwicklung dieser Begrifflichkeit für die Adelsforschung und damit zum
Begriff von „Adeligkeit" VG I Marcus FuNCK/Stephan MALINOWSKI, Geschichte
von oben. Autobiographien als Quelle einer Sozial- und Kulturgeschichte des
deutschen Adels in Kaiserreich und Weimarer Republik, in: Historische Anthro-
pologie 7 (1999), S. 236-270, v.a. S. 244-247; des weiteren auch Eckart CONZE,
Von deutschem Adel. Die Grafen von Bernstorff im 20. Jahrhundert, Stutt-
gart/München 2000, S. 20f. sowie 287-396 passim.
39
Zur „Grafen-Gruppe" s. insbesondere SCHWERIN, Köpfe (wie Anm. 2); in geraff-
t e r Z u s a m m e n f a s s u n g DERS., W e g ( w i e A n m . 13).
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Adel und Adeligkeit im Widerstand 287
40
Vgl. ebd., S. 464.
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288 Eckart Conze
Zur Bedeutung gerade dieser beiden Regimenter für die Geschichte des militäri-
schen Widerstands s. beispielsweise Ekkehard KLAUSA, Preußische Soldatentradi-
tion und Widerstand - Das Potsdamer Infanterieregiment 9 zwischen dem „Tag
von Potsdam" und dem 20. Juli 1944, in: Schmädeke/Steinbach (wie Anm. 6), S.
533-545; Kurt FINKER, Das Potsdamer Infanterieregiment 9 und der konservative
militärische Widerstand, in: Bernhard R. Kroener (Hg.), Potsdam. Staat, Resi-
denz, Armee, Frankfurt a.M./Berlin 1993, S. 451-464; SCHIEDER (wie Anm. 13),
S. 450.
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Adel und Adeligkeit im Widerstand 289
Man wird sich allerdings davor hüten müssen, Adeligkeit allein und
per se als gleichsam hinreichende Voraussetzung beziehungsweise
Bedingung adeligen Widerstands zu betrachten. Bestimmte Formen
adeliger kultureller Praxis boten vielmehr die Möglichkeit, zu konspi-
rativem Handeln - vom vertraulichen Austausch über politische Fra-
gen bis hin zur Planung des Staatsstreichs - zu gelangen. Selbstver-
ständlich traten andere Faktoren hinzu, insbesondere individuelle
Überzeugungen, welche erst die Möglichkeiten adeliger Konspirativi-
tät aktivierten und nützten. Die Genese dieser Überzeugungen ist hier
im einzelnen nicht darzustellen, die Biographen der Widerstandsange-
hörigen haben das immer wieder übernommen. Fragt man jedoch ein-
mal mehr nach spezifischen Prädispositionen widerständigen Handelns
von Adeligen, so ist darauf zu verweisen, daß von den adeligen Ver-
schwörern und insbesondere ihrer Kemgruppe eine auffallend große
Zahl bürgerliche Eheverbindungen eingegangen war. So waren die
Ehefrauen von Moltke (Freya Deichmann), Yorck (Marion Winter),
Schulenburg (Charlotte Kotelmann), Schwerin-Schwanenfeld (Mari-
anne Sahm), Haeften (Barbara Curtius) und Trott zu Solz (Ciarita Tie-
fenbacher) bürgerlich - oder vielleicht besser: nicht-adelig. Insbeson-
dere im Kreisauer Kreis mag dieser Sachverhalt Brückenschläge in
andere Gesellschaftsschichten erleichtert, ja sogar gefördert haben.
Ebenso wäre durch weitere Forschung auch genauer zu erkunden, ob
nicht Auslandserfahrungen (Studien- oder berufliche Aufenthalte,
ausgedehnte Reisen oder verwandtschaftliche Beziehungen) politische
Überzeugungen mitprägten, die für den Entschluß zum Widerstand
von Bedeutung waren. Auch diese Frage entzieht sich verallgemei-
nernden Antworten, und sie kann bei der Identifikation eines womög-
lich typisch adeligen Widerstandsprofils nur bedingt weiterhelfen.
Eher wäre vor einer Überbewertung von Auslandserfahrungen zu war-
nen. So lassen, wie erwähnt, die Staats- und Verfassungsmodelle des
Kreisauer Kreises den Einfluß eines westlich-liberalen Politikver-
ständnisses kaum erkennen, trotz einschlägiger und intensiver Aus-
landserfahrungen von Männern wie Moltke, Yorck oder Trott.
m.
Ob nun an der Verschwörung direkt beteiligt, von ihr Kenntnis ha-
bend oder - das galt für die überwältigende Mehrzahl des Adels -
ahnungslos, viele Adelige bezogen die Ereignisse im Umfeld des 20.
Juli stark auf sich selbst als soziale Gruppe. Christian Graf Bernstorff
beispielsweise, ein entfernter Verwandter des von den Nationalsoziali-
sten im April 1945 ermordeten Diplomaten Albrecht von Bernstorff,
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290 Eckart Conze
notierte 1949 rückblickend: „Wir [das bezog sich auf seine im meck-
lenburgischen Bernstorf lebende Familie] spürten nur die Folgen, wel-
che sich angesichts der Tatsache, daß das Attentat von Adeligen ver-
übt war, gegen unseren Stand als solchen richteten [...]."42 In dieser
Sichtweise, die ja keineswegs aus der Luft gegriffen war, deutet sich
indes eine adelsgeschichtlich durchaus belangvolle Wirkung des 20.
Juli 1944 in die deutsche Nachkriegsgeschichte hinein an.43
So sehr in den fünfziger Jahren in der westdeutschen Bevölkerung
der Widerstand im Umfeld des 20. Juli, noch mit Verrat assoziiert
wurde, so sehr bemühten sich die staatlichen Institutionen und die
Repräsentanten der Bundesrepublik darum, den Widerstand gegen den
Nationalsozialismus in die Traditionsbildung des jungen Staates ein-
zubeziehen. Man identifizierte gerade im nationalkonservativen Wi-
derstand der traditionellen Eliten ein anderes, ein besseres Deutsch-
land, welches eine Verbindungslinie zu ziehen ermöglichte zwischen
der Demokratie von Weimar und dem Bonner Staat, der sich seiner-
seits vor dem aktuellen Hintergrund des Kalten Krieges als das andere,
das bessere Deutschland betrachtete. Auch im Kontext der seit Anfang
der fünfziger Jahre diskutierten Wiederbewaffnung spielte die positive
Bewertung des Widerstandes und insbesondere seiner militärischen
Träger eine wichtige Rolle. In diesem allgemeinen Sinne hatten der
Widerstand und die Pflege der Erinnerung an ihn eine zentrale Be-
deutung für die Selbstvergewisserung des westdeutschen Staates nach
1945.44
Fast noch mehr aber gilt dies für den Adel, dem die Bundesrepublik
durch ihren Umgang mit dem nationalkonservativen Widerstand die
Reverenz erwies. Bereits wenige Jahre nach Kriegsende - und ganz
anders als in der DDR - war in Westdeutschland im Zusammenhang
42
Christian VON BERNSTORFF, Bericht über die Ereignisse in Bernstorf 1944-1949,
Bergen 1949 (unveröffentlichtes Manuskript in Familienbesitz), S. 2.
43
Die folgenden Überlegungen beruhen auf meinen Forschungen zur Geschichte der
Grafen von Bernstorff in der Nachkriegszeit. Vgl. dazu ausführlicher CONZE (wie
Anm. 38), insbesondere S. 278-300.
44
Vgl. hierzu allgemein: Christiane TOYKA-SEID, Der Widerstand gegen Hitler und
die westdeutsche Gesellschaft: Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte des „an-
deren Deutschland" in den frühen Nachkriegsjahren, in: Steinbach/Tuchel (wie
Anm. 12), S. 572-581; Gerd R. UEBERSCHÄR (Hg.), Bewertung und Rezeption des
deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime, Köln 1994. Vgl. im übrigen auch
Manfred KITTEL, Die Legende von der „Zweiten Schuld". Vergangenheitsbewäl-
tigung in der Ära Adenauer, Berlin/Frankfurt a.M. 1993, S. 187-227, mit der pro-
blematischen These von der Widerstandsrezeption als Teil intendierter Vergan-
genheitsbewältigung.
45
Vgl. Annedore LEBER (Hg.), Das Gewissen steht auf. 64 Lebensbilder aus dem
deutschen Widerstand, Frankfurt a.M. 1955. Zur Rezeption des Widerstandes in
der DDR s. Ines REICH, Das Bild vom deutschen Widerstand in der Öffentlichkeit
und Wissenschaft der DDR, in: Steinbach/Tuchel (wie Anm. 12), S. 557-571, so-
wie DIES., Der 20. Juli 1944 in der Geschichtsschreibung der SBZ/DDR seit 1945,
in: Zeitschrift fur Geschichtswissenschaft 39 (1991), S. 533-553.
46
Bekenntnis und Dank. Rede des Bundespräsidenten Theodor Heuss am 19. Juli
1954, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung,
20.7.1954. Der adelige Offizier Friedrichs II. von Preußen war aus der preußi-
schen Armee entlassen worden, nachdem er sich im Siebenjährigen Krieg gewei-
gert hatte, ein befohlenes Pliinderungsunternehmen durchzuführen. Im branden-
burgischen Friedersdorf erinnert ein Gedenkstein an ihn, dessen Inschrift Heuss
zitierte: „Sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in allen seinen Kriegen,
wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte."
schrift für Albrecht von Bernstorff aus dem Jahre 1952 mit Beiträgen
u.a. von Carl Jacob Burckhardt, Marion Gräfin Dönhoff, Ernst Kanto-
rowicz, Harold Nicolson, Kurt Riezler und Eric Warburg erschien
1962 aus der Feder des adeligen Publizisten Kurt von Stutterheim eine
Biographie Bernstorffs mit dem Titel: „Die Majestät des Gewissens",
eine von Respekt und tiefer Verehrung geprägte Schrift, die auf lange
Zeit die einzige ausführliche biographische Würdigung Bernstorffs
blieb.47 Dem Bändchen lieferte, was in unserem Kontext fast noch
wichtiger ist als Stutterheims Darstellung selbst, Theodor Heuss ein
langes Vorwort. Heuss, der Bernstorff im Berlin der Zwischenkriegs-
zeit kennengelernt hatte, wies diesem einen historischen Platz zu in
einer „nicht abreißenden Reihe" jener „Mitglieder dieses alten nieder-
deutschen Grafengeschlechts [...], die ihre Namen in die politische
Geschichte eingetragen haben". 48 So adelte ein führender Vertreter
der Republik die Grafen von Bernstorff als Adelsgeschlecht gleichsam
unter republikanisch-demokratischen Vorzeichen aufs neue. Er wies
hin auf den Anspruch „dieser Ahnen- und Verwandtenreihe" und die
Albrecht von Bernstorff daraus entstandene Verpflichtung, „sich sel-
ber und damit dem Namen treu zu bleiben". 49 Das war mindestens
ebenso sehr auf den deutschen Adel der Nachkriegszeit und die Ange-
hörigen der Familie von Bernstorff bezogen wie auf den Stintenburger
Grafen. Noch allgemeiner formuliert und intendiert waren diejenigen
Gedanken von Heuss, in denen er über den „geistig-seelischen" Zu-
sammenhang von adeligen Standesbezeichnungen und „den Sinn und
Wert des Edlen" reflektierte. Solche Überlegungen wiederum mit dem
ermordeten Albrecht von Bernstorff verknüpfend, schloß Heuss: „[...]
wir, die ihn liebten, spürten in seinem Wesen, in seiner Art sich zu
geben, in seiner herzhaften, unmittelbaren, nicht intellektualistisch
argumentierenden Art des Urteilens das ,Adlige', das Edle seiner Na-
tur. Deshalb liebten wir ihn." 50
Die Würdigung des ehemaligen Bundespräsidenten, die Äußerun-
gen der Weggefahrten in dem Gedenkbändchen und die Ansprachen,
in denen Albrecht von Bernstorffs von staatlicher Seite gedacht wurde,
prägten die Erinnerung der gesamten Familie Bernstorff an ihren er-
47
Kurt VON STUTTERHEIM, Die Majestät des Gewissens. In memoriam Albrecht
Bernstorff, Hamburg 1962. Erst 1996, 34 Jahre nach Stutterheims Werk, legte
Knut HANSEN, Albrecht Graf von Bernstorff. Diplomat und Bankier zwischen
Kaiserreich und Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. u.a. 1996, eine wissen-
schaftliche Biographie Albrecht von Bernstorffs vor.
48
Theodor HEUSS, Vorwort, in: Stutterheim (wie Anm. 47), S. 5-9, hier S. 5.
49
Ebd., S. 6.
50
Ebd., S. 9.
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Adel und Adeligkeit im Widerstand 293
Werner GRAF VON BERNSTORFF, Die Herren und Grafen v. Bernstorff. Eine Fami-
liengeschichte, Celle 1982 (Privatdruck), S. 351-362.
52
Vgl. hierzu noch immer die Überlegungen von Ralf DAHRENDORF, Gesellschaft
und Demokratie in Deutschland, München 1965, S. 464-480. Dazu auch jüngst:
Michael PRINZ, Ralf Dahrendorfs „Gesellschaft und Demokratie" als epochen-
übergreifende Interpretation des Nationalsozialismus, in: Matthias Frese/Michael
Prinz (Hg.), Politische Zäsuren und gesellschaftlicher Wandel im 20. Jahrhundert.
Regionale und vergleichende Perspektiven, Paderborn 1996, S. 755-777, vor al-
lem S. 757 f.
53
Hans-Peter SCHWARZ, Die Ära Adenauer 1949-1957. Gründeijahre der Republik,
Stuttgart 1981, S. 382.
54
Zur Modernisierung unter „konservativen Auspizien" vor allem Christoph
KLEßMANN, Ein stolzes Schiff und krächzende Möwen. Die Geschichte der Bun-
desrepublik und ihre Kritiker, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 476-
494, hier S. 485.
55
Der Begriff „Weltanschauungsbesitzer" stammt aus dem Roman von Elisabeth
[VON] PLESSEN, Mitteilung an den Adel, Zürich 1991.
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