Professional Documents
Culture Documents
Care-Politiken
in Deutschland
und Frankreich
Migrantinnen in der Kindertagespflege –
moderne Reproduktivkräfte
erwerbstätiger Mütter
Care-Politiken in Deutschland und
Frankreich
Janina Glaeser
Care-Politiken
in Deutschland
und Frankreich
Migrantinnen in der Kindertages-
pflege – moderne Reproduktivkräfte
erwerbstätiger Mütter
Janina Glaeser
Frankfurt am Main, Deutschland
D.30
Die vorliegende Arbeit wurde durch die Hans-Böckler-Stiftung und die Deutsch-
Französische Hochschule gefördert.
Springer VS
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die
nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung
des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen,
Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem
Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche
Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten
wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa
tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind.
Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder
implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt
im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten
und Institutionsadressen neutral.
Besonders herzlicher Dank gilt den Betreuerinnen meiner Dissertation, Prof. Dr.
Ursula Apitzsch und Prof. Dr. Catherine Delcroix. Sie haben die Ausarbeitung aller
dieser empirischen Arbeit zugrundeliegenden Schritte kontinuierlich unterstützt, sie
kritisch anerkannt und begleitet. In Frankreich wurden sowohl meine Forschungsauf-
enthalte, Lehrtätigkeiten, Teilnahmen an Ateliers als auch meine zahlreichen Gesprä-
che in Straßburger Restaurants von dem Esprit einer Gruppe junger Wissenschaft-
ler_innen begleitet, deren Begeisterung für ein exploratives Vorgehen in der Migrati-
onsforschung ohne die Leitung von Catherine Delcroix undenkbar erscheint. Ebenso
offerierte der langjährige Austausch in dem von Ursula Apitzsch und Lena Inowlocki
animierten Kolloquium einen wichtigen Raum für die Auseinandersetzung mit ande-
ren Forschenden und ihren Projekten. Ich danke meinen Betreuerinnen für alle Be-
mühungen, die den Forschungsprozess langfristig gesichert haben, inklusive des im
Cotutelle-Verfahren besonders hohen Bedarfs an Gutachten und Unterschriften. Der
transnationale Gegenstand der Arbeit, der überdies mit den unterschiedlichen Wis-
senschaftssystemen Frankreich und Deutschland verwoben ist, hat vor allem von der
engen Zusammenarbeit dieser beiden Professorinnen profitiert. Ein entsprechender
Austausch ist die beste Voraussetzung für eine gelingende Cotutelle, wie die hier
vorliegende Dissertation demonstriert.
Weiterhin danke ich allen Kolleg_innen am Cornelia Goethe Centrum für Frauenstu-
dien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse. Derselbe Dank gilt meiner
6 Danksagung
Zu guter Letzt: herzlichen Dank meiner Familie und meinen Freunden, die mich auf
meinem Weg unterstützt haben. Damit danke ich auch Ronjeeta Skiba, meiner aus
Indien kommenden Tagesmutter aus Kindheitsjahren.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ..................................................................................................................13
Gegenstand der Untersuchung ...............................................................................13
Forschungsinteresse und methodischer Zugang ....................................................17
Stand der Forschung ..............................................................................................19
Aufbau der Arbeit..................................................................................................24
1 Theoretische Überlegungen zur Einbettung des Phänomens ......................27
1.1 Care-Arbeit und Reproduktion ................................................................27
1.2 Intersektionale Perspektiven ...................................................................28
1.3 Kapital biografischer Erfahrung...............................................................29
1.4 Soziale Mobilität und Möglichkeitsräume ...............................................31
1.5 Care in kapitalistischen Gesellschaften ....................................................34
1.6 Care-Macht: weibliche Fürsorgemoral als politische Stärke....................35
1.7 Die „Transnationalisierung der sozialen Welt“ ........................................37
1.8 Care-Arbeit und transnationale Migration ...............................................39
1.9 Globalisierte Haushaltsarbeit im Spannungsfeld einer expandierenden
Zeitindustrie .............................................................................................42
1.10 Der globalisierte Privathaushalt als teilöffentlicher Raum .......................43
2 Zur Entstehung des Care-Defizits in den postindustriellen Ländern .........47
2.1 Die Funktion des Dienstbotenwesens während der Industrialisierung .....47
2.2 Die Etablierung einer häuslichen Kultur ..................................................51
2.3 Die Ent-Professionalisierung der Hauswirtschaft ....................................53
2.4 Die Auslagerung von Care-Arbeit auf Migrantinnen ...............................56
3 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland in ihrer
nationalstaatlichen, historischen und ökonomischen Entwicklung......................59
8 Inhaltsverzeichnis
Die Einbeziehung der Frauen in das Erwerbsleben und die damit einhergehende
Pluralisierung der Lebensformen in einer Phase des „postindustriellen“ Kapitalismus
(vgl. Fraser 2001: 69-70) wird sowohl in Frankreich als auch in Deutschland von
einer zwingenden Care-Nachfrage begleitet. Die Ablösung des Ernährer-Modells
durch Mehr-Verdiener-Haushalte, die Globalisierung, eine unzureichende Umvertei-
lung der Haushalts- und Sorgetätigkeiten innerhalb von Partnerschaften, der demo-
grafische Wandel einer alternden Gesellschaft, die Diversifizierung von Familien-
formen, eine veränderte Generationenfolge durch spätere Schwangerschaften und der
Mangel institutioneller Absicherung – all dies reißt ein Loch in die Reproduktions-
vorsorge. Zu den Konsequenzen einer alternden Bevölkerung gehört ein vergrößerter
Pflegebedarf beziehungsweise ein Pflegenotstand. Die Versorgung von Kindern
erwerbstätiger Mütter schreibt sich in dieses Generationenverhältnis, das der demo-
grafische Wandel zunehmend verschiebt, ausdrücklich ein. Gleichwohl setzen die
Volkswirtschafen in ganz Europa auf die vollständige Einbeziehung von Frauen und
Männern in den Arbeitsprozess. Männer sind als Folge einer traditionell zweige-
schlechtlich organisierten und differenzierten Arbeitsteilung bereits vollständig in
den postindustriellen Arbeitsmarkt integriert. Da Frauen dort zunehmend auch ihren
Platz finden, werden die neu entstandenen Care-Dienstleistungen überwiegend von
anderen Frauen angeboten, das heißt aus der Kernfamilie auf dritte Personen verla-
gert. Dieses Outsourcing von Reproduktionsarbeiten verläuft zu einem großen Teil
entlang von Geschlechter- und Armutsgrenzen (vgl. Apitzsch & Schmidtbaur 2010;
Apitzsch 2014b). Oft sind es Migrantinnen aus ökonomisch schwächeren Ländern,
Gegenstand der Untersuchung 15
die heute vermehrt in die Haushalte oder Dienstleistungssektoren des globalen Nor-
dens streben, um dort ihre Dienste anzubieten – regulär und irregulär.
Wie kann die Care-Problematik in einer nach Verwertung von Humankapital stre-
benden Wirtschaftsordnung, die die Arbeitskraft qualifizierter Frauen zunehmend
einschließt, untersucht werden? Ein Blick auf die Care-Infrastruktur Deutschlands
und Frankeichs macht deutlich, dass die gesellschaftlichen Prozesse des demografi-
schen Wandels und der neuen Lebens- und Arbeitswelten in bedeutendem Maße von
den staatlich geschaffenen Rahmenbedingungen beeinflusst werden. Sowohl das
deutsche als auch das französische Wohlfahrtsregime werden den „konservativ-
kooperatistischen“ zugeordnet (vgl. Esping-Andersen 1990; Ullrich 2005). In beiden
Ländern existieren Sozialversicherungen, die Vergabe von finanziellen Leistungen ist
an Erwerbstätigkeit gekoppelt, und in familienpolitische Maßnahmen fließt jeweils
ein hohes Maß an Sach- und Geldmitteln. Dennoch unterscheiden sich die Länder
grundlegend in den sozialpolitischen Maßnahmen, die die Berufstätigkeit der Frau
fördern, in diesem Zusammenhang vor allem in der Bereitstellung formaler
(Klein-)Kinderbetreuung: “However, the French welfare state differs from other
corporatist-conservative countries in that the state has responsibility for providing
social care.” (Fagnani & Letablier 2005: 135) Der französische Wohlfahrtstaat unter-
stützt Familien in besonderer Weise. In Deutschland dagegen hat sich der Staat erst
in den letzten Jahren um die Beantwortung der Care-Nachfrage bemüht. Familien-
und sozialpolitische Maßnahmen sind in beiden Ländern an unterschiedliche histori-
sche Entwicklungen gebunden, die zum Teil zu gegensätzlichen politischen Maß-
nahmen geführt haben. Auf der Grundlage gemeinsamer Probleme drängen daher
augenfällige Divergenzen in der Care-Frage, auch in ihrer politischen Dimension, zu
einem Vergleich. Meines Erachtens ist es sinnvoll, diese politischen Rahmenbedin-
gungen genau an der Stelle zu untersuchen, wo Frauenerwerbstätigkeit, unter den
gegebenen Bedingungen, überhaupt erst ermöglicht wird.
Das Outsourcing der Versorgung und Betreuung von Kindern bildet die Vorausset-
zung zur Erwerbsbeteiligung von Müttern. In Frankreich ist die gesellschaftliche
Relevanz einer Betreuungsform unbestritten: die Kindertagespflege. Mehr als die
Hälfte der unter Dreijährigen in formaler Betreuung werden über eine sogenannte
16 Einleitung
1
Weil Tageseltern in Frankreich fast ausschließlich Frauen sind, wird in der Folge verallgemei-
nernd von assistantes maternelles gesprochen. Die Berücksichtigung des in Deutschland immer
geläufiger werdenden Gendergaps findet dennoch ihr Äquivalent in französischen Schreibweis
en wie assistant-e-s maternel-le-s oder assistant.e.s maternel.le.s.
2
Prinzipiell können Tagespflegepersonen im Haushalt der Eltern, im Haushalt der Tageseltern
oder in andern geeigneten Räumen arbeiten. In Frankreich definiert der Artikel L.421-1 des Code
de l'action sociale et des familles die Profession der Tageseltern wie folgt: « L'assistant maternel
est la personne qui, moyennant rémunération, accueille habituellement et de façon non perma-
nente des mineurs à son domicile. »
3
Die durch Unterstrich gefüllte Lücke zwischen den Geschlechtsendungen, der gender_gap,
schließt alle sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten jenseits der hegemonialen Zwei-
geschlechtlichkeit ein.
4
Während die Bezeichnung „Menschen mit Migrationshintergrund“ in der Regel auf jene ver-
weist, von denen mindestens ein Elternteil migriert ist, reduziert sich die Bezeichnung „Men-
schen mit Migrationshinweis“ nicht auf diese Definition, sondern verdeutlicht allgemein die Be-
deutung von Migration im Leben eines Menschen.
Forschungsinteresse und methodischer Zugang 17
5
Policy meint im Unterschied zur polity, welche die institutionellen Aspekte des Politischen
umfasst und zu politics, welche die Form politischer Prozesse fokussiert, die Inhalte politischer
Auseinandersetzungen. Also beispielsweise Aufgaben und Ziele in der Familienpolitik (vgl. Ro-
he 1994).
18 Einleitung
Der Fokus liegt auf der Frage, inwiefern care policies auf die soziale Mobilität der
Kindertagespflegepersonen einwirken und damit, als Teil der modernen Arbeitstei-
lung unter Frauen, die gesamtgesellschaftliche Problematik von Care im europäi-
schen Wohlfahrtsstaat beeinflussen. In beiden Ländern interessieren hierbei die Pro-
zesse und Mechanismen, die Autonomie eröffnen oder einschränken und wie sich
akkumulierte Ressourcen im dialektischen Verhältnis externer, politischer Umstände
und interner, subjektiver Voraussetzungen darstellen. Im Rahmen der vorliegenden
Politikfeldanalyse wurde daher in beiden Ländern ein bereits regulierter Tätigkeitsbe-
reich ausgewählt. Inwiefern die darin tätigen Akteure diesen regulierten Rahmen
verlassen oder nicht, zeigen die empirischen Befunde.
Ebene als vision androcentrique (dt. ‚androzentrische Vision‘) reguliert wird (vgl.
Bourdieu 1998). Dementsprechend berührt der Forschungsgegenstand dieser Studie
einen Bereich mit einer stark strukturierenden, heteronormativen Grundlage, in dem
zweigeschlechtlich und heterosexuell organisierte Familien- und Versorgungsver-
hältnisse dominieren und hierarchisch organisierte sexuelle (Familien-)Beziehungen
privilegiert werden (vgl. Degele 2005). Obwohl der Care-Bereich von Prekarisierung
betroffen und für die Ausbeutung migrantischer Frauen besonders anfällig ist, könn-
ten sich Möglichkeiten autonomen Handelns abzeichnen. Die Arbeit leistet somit
einen Beitrag zur Migrations-, Geschlechter-, Ungleichheits-, Alter(n)s-, und verglei-
chenden Wohlfahrtsstaatenforschung. Sie liefert neue Erkenntnisse zu den Konse-
quenzen des demografischen Wandels, dem Pflegenotstand im Generationenverhält-
nis und dem Fachkräftebedarf als ökonomischem Faktor, der nicht zuletzt den Erhalt
des sozialen Sicherungssystems berührt.
6
Mit dem Begriff „Illegalisierung“ soll ausgedrückt werden, dass Illegalität kein natürliches
Wesensmerkmal ist.
20 Einleitung
sonders anfällig sind (vgl. Anderson 2000, 2003; Parreñas 2001). Im Zuge einer
Ökonomisierung des Pflegesektors hat die Taylorisierung der Arbeitsabläufe ganz-
heitliche Konzepte der Pflege abgelöst (vgl. Aulenbacher/Binner/Dammayr 2011),
seit den 1990er Jahren wurden im Gesundheitswesen Elemente von Marktlogik und
Effizienz etabliert (vgl. Auth 2013). Juliane Karakayali hat für Haushalte in Deutsch-
land festgestellt, dass legal beschäftigte Care-Arbeiterinnen auf der Ebene der Ar-
beitsverhältnisse bezüglich des Lohns, der Arbeitsrechte, der Unterbringungen und
bei sexuellen Übergriffen ähnliche Erfahrungen machen, wie ihre Kolleginnen, die
ohne Papiere arbeiten (vgl. Karakayali 2009). Reguläre Beschäftigungen in Form von
haushaltsbezogenen Dienstleistungen werden, selbst wenn sie dem Arbeitsmarkt
entgegen kommen, in Deutschland kaum gefördert (vgl. Brückner 2008; Heubach
2002; Weinkopf 2002). Im französischen Wissenschaftsdiskurs wurde die Care-
Debatte maßgeblich von Patricia Paperman, Sandra Laugier und Pascale Molinier
thematisiert. Letztere hat beispielsweise qualitative Studien zu Care-Arbeiter_innen
in Pariser Altenheimen erhoben und die empirischen Befunde anhand der Dimensio-
nen Arbeit, Ethik und Politik reflektiert (vgl. Molinier 2005, 2013). In hervorste-
chenden Studien wird die Notwendigkeit einer Politisierung von Care (vgl. Guérin
2010a, 2010b, 2013; Molinier/Laugier/Paperman 2009) sowie die Dringlichkeit einer
Care-Ethik für feministische Zielsetzungen (vgl. Laugier 2010) betont. Der Sammel-
band Vers une société du care? befasst sich mit der Frage, inwiefern die heutigen
Gesellschaften Care in ihre (politischen) Konzeptionen einbeziehen und damit auf
eine sozial verantwortliche Welt zusteuern oder nicht (vgl. Delcroix/Matas/Bertaux
2014).
Bisher wurde in der Debatte um den globalisierten Privathaushalt vor allem themati-
siert, wie Migrantinnen und Migranten in den Haushalten anderer Menschen tätig
werden, indem sie: putzen, ältere Menschen in deren Zuhause pflegen oder auch
Kinder betreuen (vgl. zum Beispiel Avril 2006; Doniol-Shaw/Lada/Dussuet 2007;
Hess 2002, 2009; Klenner & Stolz-Willig 1997; Lutz 2008; Mozère 2005; Rerrich
24 Einleitung
2002, 2006; Satola 2010, 2015; Scrinzi 2004). Im Fokus der vorliegenden Untersu-
chung zu migrantischen Pflegekräften beziehungsweise Tageseltern steht jedoch
erstmals der eigene Privathaushalt, das heißt das eigene Zuhause als lohnbezogener
Care-Arbeitsplatz.
Das zweite Kapitel legt die historischen Hintergründe der heute so dringlich gewor-
denen Care-Nachfrage in den hochindustrialisierten Ländern dar. Skizziert wird die
Funktion des Dienstbotenwesens im Zuge der Industrialisierung als Teil der sich
etablierenden modernen Hauswirtschaft, in der sich Öffentlichkeit und Privatsphäre
geschlechtsspezifisch konstituieren. Anhand der zunehmenden Erwerbstätigkeit von
Frauen etwa ab den 1960er Jahren wird gezeigt, wie sich die privilegierte
Ernährerfunktion des Mannes in Mehr-Verdienenden-Haushalten verschiebt, Fami-
lien sich pluralisieren und Reproduktionsarbeiten zunehmend auf (migrantische)
Care-Arbeiterinnen verlagert werden.
Aufbau der Arbeit 25
Das vierte Kapitel widmet sich der selbst erhobenen Empirie. Eine ausführliche
methodische Einleitung skizziert neben dem methodischen Zugang, dem theoreti-
schen Sampling und den Besonderheiten während der ethnographischen Erhebungs-
phase, wie sich die Fragestellung im Laufe der Zeit modifiziert und letztlich auf
Kindertagespflegepersonen fokussiert hat. Folgend werden die Länder Deutschland
und Frankeich wieder einzeln betrachtet. Kontinuierlich werden die empirischen
Befunde an exemplarischen Fallbeispielen verdeutlicht. Zunächst wird der lebensge-
schichtliche Verlauf des Weges der Migrantinnen und Migranten bis zum Eintritt in
die Kindertagespflege dargelegt. Im Anschluss wird das Augenmerk auf soziale
Mobilität und Identitätskonstruktionen in der Berufspraxis Kindertagespflege gelegt.
Neben der Arbeitssituation wird auf signifikante Andere, wie deren Partnerinnen
oder Partner, das berufliche Umfeld und die in Betreuung gebenden Eltern, Bezug
genommen sowie die Besonderheiten des Arbeitsplatzes im eigenen Zuhause aufge-
zeigt. Zuletzt werden in der Empirie zutage getretene Perspektiven von Handlungsfä-
higkeit und Selbstermächtigung in der Profession beleuchtet.
Ein Resümee, in dem die Befunde diskutiert werden, und ein kurzer Ausblick auf die
Entwicklungspotenziale der Kindertagespflege in Deutschland und Frankreich be-
schließen die Arbeit.
1 Theoretische Überlegungen zur Einbettung des Phäno-
mens
Was im Konzept von Care in der gesamten Debatte immer wieder benannt wird, je-
doch untertheoretisiert bleibt, ist die Tatsache, dass Care-Arbeit nicht nur die soziale
Einbettung von Produktion darstellt, nicht nur ein Teil des sozialen Lebens ist, son-
dern dass diese Tätigkeit selbst außerordentlich zentrale gesellschaftliche Produktion
ist, nämlich Produktion der Form des gesellschaftlichen Lebens selbst, die immer
Reproduktion ist (Hearn 1987:58). Um diese bedeutende Erkenntnis festzuhalten,
bleibt der Begriff der Reproduktion neben dem von Care unverzichtbar. Es ist zu
fragen, was mit dieser reproduktiven Form gesellschaftlichen Lebens geschieht,
wenn sie sich immer wieder unter der Bedingung kapitalistischer Waren-Produktion
vollzieht. (Apitzsch & Schmidbaur 2010: 12-13, Hervorhebungen im Original)
Produziert also die Care-Arbeiterin Lohnarbeitende, die „ihre eigene Haut zu Markte
tragen“, selbst unter entfremdeten Bedingungen, dann tut sich ein drastischer Wider-
spruch zum ethischen Wesenskern und der Sinnhaftigkeit von Care auf. Care-
Aktivitäten verstanden als Aktivitäten der Produktion haben letztlich zum Ziel, das
Leben mit all seinen Möglichkeiten zu wahren und zu schützen; ihre immanente
Logik widersetzt sich dem Einfluss des allgegenwärtigen (Kapital-)Marktes (vgl.
Bertaux 2014: 119). Was wir unter Einbezug dieses Verständnisses begrifflich unter
Care fassen können, ist, was die Gesellschaften in ihrem Ganzen zusammenhält –
oder bedroht. Während Care-Arbeit den ökonomischen Charakter der Sorgearbeit
näher beschreibt, verweist der Begriff der Reproduktion auf einen gesellschaftlich
allumfassenden Charakter von Sorgetätigkeit, das heißt auch auf die Reproduktion
gesellschaftlicher Verhältnisse.
We cannot study gender in isolation from other inequalities, nor can we only study
inequalities ‘intersection’ and ignore the historical and contextual specificity that dis-
tinguishes the mechanisms that produce inequality by different categorial divisions,
whether gender, race, ethnicity, nationality, sexuality, or class. (Risman 2004: 443)
Die Mechanismen von Care-Arbeit variieren deshalb zum Beispiel im Kontext der
historischen Entwicklung von Nationalstaat zu Nationalstaat. Ressourcen wie Wohl-
stand, Staatsbürgerschaft oder Bildung sind ungleich auf die handelnden Personen
verteilt. Die Menschen, welche in der Mittelklasse gut genug situiert sind, können es
sich leisten, Care-Arbeiter_innen einzustellen. Sie können auf dem Markt frei wäh-
len. Die Menschen, welche nach einer gewinnbringenden Beschäftigung suchen,
müssen dem Markt ihre Arbeitskraft anbieten. Als Migrierende aus ökonomisch
schwächeren Ländern verfügen sie meist nicht über die gleichen staatsbürgerlichen
Rechte. „Während erstere also an ihrer Karriere basteln, indem sie ihre Klassen- und
Kapital biografischer Erfahrung 29
7
Auch nach Anthony Giddens reproduzieren Akteure selbst gesellschaftliche Strukturen: “Ac-
cording to the notion of the duality of structure, the structural properties of social systems are
both medium and outcome of the practices they recursively organize. Structure is not ‘external’
to individuals […].” (Giddens 1984: 25)
30 Theoretische Überlegungen
Tageseltern bewegen sich demnach in einem sozialen Teilbereich, der auf Care-
Aktivitäten spezialisiert ist. Innerhalb dieses von vielschichtigen Positionen besetzten
Feldes verfügen die Handelnden über einen bestimmten Anteil oder eine bestimmte
Komposition von Eigenkapital.
Wie aber steht es um all jene Personen, die weder ökonomisches, kulturelles oder
soziales Kapital haben? Haben sie wirklich keine Möglichkeit zu handeln und ihre
Situation zu verbessern? Catherine Delcroix hat zahlreiche ethnografische Studien zu
Familien in sozialschwachen Vierteln am Rande der Großstädte („banlieues“), unter
ihnen viele Migant_innen, erhoben. Dabei unterstreicht sie, dass ihnen allen zumin-
dest eine Art von Ressource zum Handeln bleibt: die eigenen physischen und menta-
len Energien; manuelle und intellektuelle Fähigkeiten; Know-how erworben durch
Erfahrung; Beziehungen, die sich als sehr nützlich erweisen können, um Informatio-
nen zu sammeln; eine moralische Stütze. Diese Ressourcen, die jeder und jede zu
einem unterschiedlichen Grad in sich trägt, hat sie als „subjektive Ressourcen“ be-
zeichnet (vgl. Delcroix 2009: 144).8 Hierzu zählen Kompetenzen und Kenntnisse, die
durch biografische Erfahrung erworben werden:
Toutes ces expériences, qui se sont faites au sein d’une sphère privée en continuité
avec la sphère publique, aboutissent à la formation de ce que nous appellerons des
8
In der deutschsprachigen Forschung ist der Begriff der „biografischen Ressource“ seit den
1980er Jahren geläufig. Erika Hoerning versteht darunter eine Wertanlage, die für zukünftige bi-
ografische Projekte verwendet werden kann (vgl. Hoerning 1989: 148) und Maria Kontos sieht
darin eine Vorform von Kapital: „Aus der Ressource kann Kapital erschlossen werden.“ (Kontos
2000: 53) In der durch biografische Erfahrung akkumulierten Ressource wird ein Mittel zum
weiteren Handeln beziehungsweise zu neuen Handlungsmöglichkeiten gesehen. Diese Verwen-
dung ist mit dem Gebrauch von Delcroix vergleichbar (s. Delcroix 2001: 73, 2007b : 97, 2009:
144, 2010b: 106, 2016: 77).
Soziale Mobilität und Möglichkeitsräume 31
9
Leistungen (vgl. Apitzsch 2014b) , ist Teil dieser Ressourcenbildung
und -vermittlung. Weil Ressourcen vor allem innerhalb von Familien weitergegeben
werden – als Transmission –, entscheidet die Herkunftsgeschichte einer Person über
eventuelle Chancen, Privilegien und Beschränkungen. Je nachdem, wie sich eine
Gesellschaft entwickelt und kontextuell darstellt, tragen einzelne Ressourcen eher zur
Verwirklichung von Lebenszielen oder angestrebten Lebensstandards bei als andere.
Aus dem Wechselspiel kontextueller Bedingungen, Transmissionen und akkumulier-
ter Ressourcen entstehen „Möglichkeitsräume“:
L’ambivalence des rapports n’est qu’une des raisons qui fait que la vie n’est pas pré-
déterminée; une autre réside dans la multiplicité des niveaux de déterminations, qui
aboutit le plus normalement du monde à créer des situations où les déterminants pè-
sent dans des directions opposées : paradoxalement cette « surdétermination contra-
dictoire » crée ainsi des espaces de liberté sous contrainte, puisque les agents sont en
quelque sorte sommés de choisir. Ainsi s’ouvre à chaque instant, pour chaque être,
un champ de possibles. (Bertaux & Bertaux-Wiame 1988: 16, Hervorhebungen im
Original)
Der Transmission von Generation zu Generation unterliegt ein Prozess des Tradie-
rens von Werten, Normen und Einstellungen: „Das Wesentliche an jedem Tradieren
ist das Hineinwachsenlassen der neuen Generation in die ererbten Lebenshaltungen,
Gefühlsgehalte, Einstellungen.“ (Mannheim 1964: 538) Wo Tradition gelebt wird,
bilden sich Identitäten, die nur eingeschränkt Raum für individuelle Lebensentwürfe
gestatten, da sie das gegebene Selbstverständnis einer Gruppe, einer Familie oder
eines Individuums bedrohen können. So binden beispielsweise familiäre Erwartun-
gen den Menschen an vorgegebene Identitäten. Individuelle Lebensziele, die eventu-
ell über veränderte Lebensbedingungen zum Tragen kommen, konfligieren in diesem
Prozess schnell mit familiären Erwartungen, aber auch mit gesellschaftlichen „Identi-
tätsanrufungen“.10 Aus ihnen auszubrechen beziehungsweise übermittelte Lebenshal-
9
Siehe hierzu auch Inowlocki 2013, die von generational work spricht, um die Anstrengungen zu
beschreiben, durch die der Lebensweg der eigenen Kinder begleitet wird.
10
Althusser zufolge bezeichnen Ideologische Staatsapparate, von denen es eine Vielzahl gebe,
Realitäten in Form von Institutionen, die ihre Subjekte über Interpellation rekrutieren: „Wir be-
Soziale Mobilität und Möglichkeitsräume 33
tungen zu verändern, bedeutet, den Erwartungen, die die Tradition setzt, nicht zu
entsprechen und damit Konflikte hervorzurufen. Bei besonders starken Konflikten
kann dies zu einer Transformation familiären oder gesellschaftlichen Selbstverständ-
nisses führen. In diesem Zusammenhang birgt Biografizität, verstanden als „Zwang
und die Chance zugleich, unser Leben selbst zu gestalten“, das Potential zur Verän-
derung von Strukturen: „Die Modifikation individueller Selbst- und Weltbezüge birgt
Chancen zur Transformation auch der institutionellen Rahmenbedingungen sozialer
Existenz.“ (Alheit 2008: 15)
Für diese Mädchen entwickelt sich nun eine eigentümliche Dialektik: Je stärker sie
nämlich eingebunden sind in die Verantwortung für die Familie, desto eher sind sie
in der Lage, das Projekt Emigration für sich zu evaluieren und eine Erfolgsbilanzie-
rung und Erfolgskorrektur vorzunehmen. (Apitzsch 1995: 112)
In diesem Prozess wird deutlich, dass subjektve Ressourcen im Kontext der Migrati-
on die Unterprivilegierung von Migrantinnen in Wirtschaft und Familie verschiebt.
Die Transmission identischer weiblicher Rollenbilder wird aufgebrochen. Damit
werden Frauen in diesem Prozess dominant, während meist männliche Jugendliche
losgelöst von Familienpflichten „[…] diesen Freiraum unter den Bedingungen der
Migration zumeist nur in einer Weise nutzen, daß sie sich als Außenseiter profi-
lieren, mit Devianzkarrieren spielen usw.“ (Apitzsch 1995: 112). Offenbar kann der
veränderte Lebenskontext die Rollen, die eingenommen werden, verändern.
haupten außerdem, daß die Ideologie in einer Weise ‚handelt‘ oder ‚funktioniert‘, daß sie durch
einen ganz bestimmten Vorgang, den wir Anrufung (interpellation) nennen, aus der Masse der
Individuen Subjekte ‚rekrutiert‘ (sie rekrutiert sie alle) oder diese Individuen in Subjekte ‚trans-
formiert‘ (sie transformiert sie alle).“ (Althusser 1977: 142, Hervorhebungen im Original)
34 Theoretische Überlegungen
Da Frauen in den Familien Care Work nicht warenförmig ausführen, ist diese Arbeit
in einer kapitalistischen Gesellschaft, deren Entwicklung auf Warenförmigkeit be-
ruht, nichts wert. Wer sie verrichtet, genießt wenig gesellschaftliche Anerkennung,
erfährt vielmehr gesellschaftliche Entwertung. (Winkler 2008: 50)
11
Becker-Schmidt definiert Prekarisierung wie folgt: „Für jene, die nicht auf längere Sicht mit
einem Einkommen rechnen können, das für eine selbstständige Existenzsicherung ausreicht, hat
sich sie Bezeichnung ‚Prekariat‘ eingebürgert; für die Gefahr, dort zu landen, der Begriff
‚Prekarisierung‘.“ (Becker-Schmidt 2013: 173)
Care-Macht 35
tion ‘discréditante’ font ou non preuve d’action autonome dans le long terme, et
d’une réflexion anticipatrice qui accompagne nécessairement ce type d’action, est
une question empirique. » (Delcroix 2009b : 4) Autonomes und strategisches Han-
deln in einer prekären Lebenslage wird demnach in der Empirie erst unter Einbezug
der Perspektive der handelnden Person ersichtlich.
Die Diskussion um Care-Ethik führt in eine der wesentlichen Aporien des Feminis-
mus beziehungsweise der Feminismen. Die Kontroverse situiert sich in dem unauf-
löslichen Widerspruch zwischen Essentialismus und Universalismus, zwischen der
12
Benhabib betont, dass Gerechtigkeits-Theoretiker wie Rousseau, Hobbes, Locke, Kant, Hegel,
Kohlberg und Rawls immer vom Standpunkt des weißen, gesunden Mann aus gedacht haben: “I
want to argue that the definition of the moral domain, as well as the ideal of moral autonomy, not
only in Kohlberg's theory but in universalistic, contractarian theories from Hobbes to Rawls, lead
to a privatization of women's experience and to the exclusion of its consideration from a moral
point of view. […] Universalistic moral theories in the Western tradition from Hobbes to Rawls
are substitutionalist, in the sense that the universalism they defend is defined surreptitiously by
identifying the experiences of a specific group of subjects as the paradigmatic case of the human
as such. These subjects are invariably white, male adults who are propertied or at least profes-
sional.” (Benhabib 1992: 152f) Es sei jedoch notwendig, the contrete other, den ‚konkreten An-
deren‘, mit einzubeziehen, das heißt auch die weniger privilegierten.
36 Theoretische Überlegungen
Notwendigkeit, eine „weibliche“ Stimme für die öffentlichen Interessen der Frauen
zu stärken und der Notwendigkeit, mit einer dichotomen, binären Konstruktion von
Geschlecht zu brechen. Indem Gilligan Frauen eine different voice zuweist, betont sie
einen geschlechtlichen Unterschied, der sich in zwei unterschiedlichen Denkweisen
manifestiert. Jene Autor_innen, die eine queer-feministische Perspektive einnehmen,
sind kritisch gegenüber Essentialisierungen und differenzfeministischen Ansätzen
und widersprechen der Vorstellung, dass sich eine „different voice“ aus naturalisier-
ter Zweigeschlechtlichkeit herleiten ließe (vgl. Weisstein 1993, Butler 2004, Badinter
2010). Gilligan jedoch geht es nicht um die Festschreibung biologischer Unterschie-
de, sondern um die Sichtbarmachung einer Fürsorgemoral, die – als historischer
Prozess – vor allem „Frauen“ zugewiesen wurde. Dass diese mehr von einer Care-
Ethik geprägt sind, schließt nicht aus, dass zum Beispiel auch Männer eine solche
Ethik entwickeln. Gilligan unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen einer
weiblichen Fürsorgemoral in patriarchalen Gesellschaften und einer feministischen
Care-Ethik in demokratischen Gesellschaften.13
In der jüngeren Debatte zur Care-Ethik erhält Gilligans Standpunkt zur weiblichen
Fürsorgemoral und Care-Ethik Anerkennung, da er auf die aktuellen Probleme von
Frauen antworten könne (vgl. Laugier 2010; Paperman 2009). Tronto zufolge liegt in
der Fürsorgemoral die Möglichkeit, Macht zu artikulieren: “By calling care a power
of the weak, we notice that care givers provide an essential support for life. Without
care, infants would not grow to adults; men would not have children to inherit their
wealth, and so forth.” (Tronto 1993: 122) Diese inhärente Macht von Care kann
genutzt werden, um Interessen einzufordern und durchzusetzen. Wird also die gesell-
schaftliche Bewertung der Fürsorgemoral neu formuliert, kann sie sich als politische
Forderung Geltung verschaffen. Die große Präsenz von Migrantinnen auf dem tertiä-
ren Arbeitsmarkt könnte einer solchen Entwicklung entgegenkommen: „Diese größe-
re Partizipation von Frauen [am öffentlichen Leben] legt die Vermutung nahe, daß
sie zu stärkeren Akteurinnen werden können und daß vielleicht auch ihre Rolle im
Arbeitsmarkt besser sichtbar wird.“ (Sassen 1998: 208f) So werden zum Beispiel in
13
Siehe den französischsprachigen Artikel « Assistant(e)s maternel(le)s d’origine étrangère et
politiques de la petite enfance » (Glaeser 2014b: 55).
Transnationalisierung der sozialen Welt 37
Nach Anthony Giddens werden moderne staatliche Formationen von der Idee der
Abgegrenztheit getragen: “Modern societies (nation-states), in some respects at any
rate, have a clearly defined boundedness. […] Virtually no pre-modern societies were
as clearly bounded as modern nation-states.” (Giddens 1990: 14) In den Gesellschaf-
ten der Moderne waren demnach Sozialräume und damit die Interaktion der Indivi-
duen mit geographisch bestimmten Flächenräumen verschachtelt. Das heißt, es konn-
te nur einen Sozialraum (beziehungsweise eine Nationalgesellschaft) in einem Flä-
chenraum mit territorialem Ausschließlichkeitsanspruch (beziehungsweise einem
Nationalstaat) geben. Diese „Container-Gesellschaften“, die der Soziologe Ludger
Pries als „doppelt exklusive Verschachtelungen von Sozialraum und Flächenraum“
bezeichnet, werden, wie folgend gezeigt wird, durch die „Transnationalisierung der
sozialen Welt“ in Frage gestellt (vgl. Pries 2008: 79).
14
Geringe Teile der folgenden theoretischen und historischen Einbettung erschienen in ähnlicher
Form in meiner Diplomarbeit Transnationale Verlagerung von Care-Arbeit in Hinblick auf Aus-
beutungs- und Emanzipationsaspekte (vgl. Glaeser 2010).
38 Theoretische Überlegungen
Flächen- und Sozialraum werden nicht als ineinander verschachtelt begriffen und
Sozialräume erstrecken sich über Nationalstaaten hinweg. Das Lokale oder der
Flächenraum verliert deshalb aber nicht an Bedeutung, sondern bleibt in transnationa-
len Prozessen konstitutiv. Außerdem wird die Rolle sozialer Akteure in der Trans-
formation der nationalstaatlichen Ordnung in den Blick genommen. Vorgänge, die
im Rahmen der Globalisierung stattfinden, werden nicht nur auf anonyme Markt-
kräfte oder subsystemspezifische Rationalitäten reduziert. Diasporen beispielsweise –
in denen Migrant_innen sich zwar physisch-räumlich, aber weniger sozial einrichten
– sind von kulturellen Praktiken geprägt, die neue Sozialräume konstituieren und
gleichzeitig Flächenräume „pluri-lokal“ überspannen.15
15
Einen kritischen Überblick zur Transnationalismus-Debatte liefert außerdem Peter Kivisto
(2001): Theorizing transnational immigration.
Care-Arbeit und transnationale Migration 39
Bei der Verlagerung von Care-Arbeit auf haushaltsfremde Personen entstehen globa-
le Betreuungsketten, in denen beispielsweise eine Frau aus den Philippinen ältere
Menschen in den USA pflegt, während ihre eigenen Kinder auf den Philippinen von
einer migrantischen Kinderfrau betreut werden. „Ärmere Frauen ziehen die Kinder
wohlhabender Frauen auf, während noch ärmere – oder ältere oder vom Lande kom-
mende – deren Kinder aufziehen.“ (Hochschild 2001: 164) Außerdem kann es an
Ländergrenzen zu regelmäßigen Pendelmigrationen kommen (vgl. zum Beispiel
Morokvasic-Muller 1999; Palenga-Möllenbeck 2014; Satola 2010, 2015). Als Polen
nicht Mitglied der EU war (beigetreten 2004), tauchte dieses Phänomen sehr häufig
an der Grenze zwischen Polen und Deutschland auf. Die Migrierenden durften für
einen dreimonatigen Aufenthalt legalisiert nach Deutschland einreisen, eine Beschäf-
tigung in diesem Zeitraum wurde jedoch illegalisiert. Im dreimonatigen Rotations-
system pendelten daher viele sich gegenseitig abwechselnde Frauen, die ältere Men-
schen in Deutschland pflegten, auch um eine Emigration zu vermeiden: « Pour eux la
migration n’est qu’une alternative attrayante à l’émigration […]. » (Morokvasic-
Muller 1999: 9) Die mit 2011 zu Ende gegangene siebenjährige Übergangszeit er-
möglicht Pol_innen nun auch ohne Arbeitserlaubnis in Deutschland zu arbeiten. Die
Existenz von global care chains oder von Pendelmigration im Rotationssystem ma-
chen deutlich, dass die Umverteilung der Care-Arbeit länderübergreifende Verhält-
nisse und Lebenswelten produziert. Die geographisch-räumlichen Formationen des
Sozialen verändern sich. Vorstellungen eines in sich begrenzten und abgeschotteten
Nationalstaates müssen deshalb in bedeutendem Maße relativiert werden.
Transmigrants are immigrants whose daily lives depend on multiple and constant in-
terconnections across international borders and whose public identities are config-
Care-Arbeit und transnationale Migration 41
[Es ist] nicht zu übersehen, dass die migrantischen Mütter und deren zurückbleiben-
den Kinder am unteren Ende dieser Kette stehen und den emotionalen und sozialen
Preis für den Abzug der Versorgungsressourcen bezahlen. (Lutz 2008: 33)
42 Theoretische Überlegungen
16
Im Dualismus von Öffentlichkeit und Privatheit ist der weitgehende Ausschluss von Frauen für
die bürgerliche Öffentlichkeit bis heute strukturbildend. Er baut daher auf einer symbolischen
Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit auf: « Il appartient aux hommes, sités du côté de
l’extérieur, de l’officiel, du public, du doit, du sec, du haut , du discontinu, d’accomplir tous les
actes à la fois brefs, périlleux et spectaculaires […] ; au contraire, les femmes, étant situées du
côté de l’intérieur, de l’humide, du bas, du courbe et du continu, se voient attribuer tous les tra-
vaux domestiques, c’est-à-dire privés et cachés, voire invisibles ou honteux, comme le soin de
enfants et des animaux […]. » (Bourdieu 1998: 49) Dennoch ist diese Trennung nicht festgelegt
beziehungsweise unveränderbar. Klaus und Drüeke zufolge wird Öffentlichkeit eine zentrale Ka-
tegorie der Gender Studies bleiben, „[…] weil subalterne, nicht-dominante Gruppen immer die
Öffentlichkeit erreichen müssen, um ihre Interessen und Ziele durchzusetzen.“ (Drüeke & Klaus
2010: 249)
Der globalisierte Privathaushalt 43
Die Anforderungen der neuen Lebens- und Arbeitswelt verlegt den Rationalisie-
rungsdruck auf die private Sphäre. In dem Roman Momo von Michael Ende stiehlt
die Gesellschaft der grauen Herren den Menschen Lebenszeit. Die heute in der Er-
werbsarbeitswelt angekommenen Frauen versuchen wie die Menschen in Momo’s
Kleinstadt, Zeit zu sparen. Sie werden darüber hinaus zu „Zeitkäuferinnen“: “It is
women who feel more acutely the need to save time and women who are most tempt-
ed by the goods and services of the growing ‚time industry‘.” (Hochschild 1997: 230)
Die durch eingekaufte Zeit gewonnenen privaten Räume, sich einander widmen zu
können, werden zur quality time. Der Einkauf dieser Dienstleistungen verändert das
Leben im Privathaushalt, denn dieser muss für haushaltsfremde Personen geöffnet
werden.
Aus dem latenten Bedarf kann eine Nachfrage nach haushaltsbezogenen Dienstleis-
tungen entstehen, wenn der kulturelle Rahmen der Lebensführung (soziale Deu-
tungsmuster und Leitbilder) es erlaubt, Haushaltsarbeit von Personen erbringen zu
lassen, die nicht zum Haushalt selbst gehören, wenn er es also erlaubt, die Grenzen
zwischen privat und öffentlich zu überschreiten. (Geissler 2002: 43-44, Hervorhe-
bung im Original)
Die Dichotomisierung von Öffentlichkeit und Privatsphäre wird von einer fremden
Person perforiert. Mit dem Einzug der Person in den Privathaushalt wird dieser plötz-
lich zu einem halböffentlichen Raum. Die Care-Arbeit im privaten Raum bleibt
überwiegend weiblich konnotiert, nimmt womöglich jedoch Merkmale fremder Eth-
nizität an.
Trotz des Einzugs der Öffentlichkeit in den Privathaushalt entzieht er sich als Rück-
zugsort weiterhin zu großen Teilen staatlicher Kontrolle und rechtlichem Schutz
beziehungsweise einer Arbeitsplatzkontrolle: „[…] fast überall [auf der Welt] wird
Haushaltarbeit aus dem Arbeitsrecht ausgeschlossen; dadurch fehlen Möglichkeiten,
Missbrauch aufzuspüren und Sanktionen gegen Arbeitgeber und Vermittlungsorgani-
sationen zu verhängen.“ (Lutz 2008: 31) Care-Arbeit im Haushalt bleibt größtenteils
privatisiert und der globalisierte Privathaushalt wird zu einem irregulären Raum.
Informale Beschäftigungsformen im Privathaushalten Europas werden nahezu überall
geduldet. Dadurch werden Care-Arbeiter_innen leichter ausbeutbar. Dies gilt beson-
ders für sogenannte live-ins, die gleichzeitig im Haushalt der Arbeitgeber_innen
leben (vgl. Anderson 2000; Hodge 2006; Karakayali 2010).
Der Privatraum der Arbeitgebenden ist in vielerlei Hinsicht emotional besetzt. Mit
dem Eindringen der Care-Arbeiterin (oder gelegentlich dem Care-Arbeiter) in den
intimen (Rückzugs-)Ort entsteht die Gefahr zwischenmenschlicher Konflikte. Die
Tätigkeit im Privathaushalt erfordert daher einen professionellen Umgang mit Emo-
tionalität. In der Erbringung von Care wird Einfühlsamkeit zur Voraussetzung. Arlie
Russel Hochschild bezieht den Marx’schen Begriff des Mehrwerts, der auf die Aus-
beutung des Arbeiters auf dem öffentlichen Erwerbsarbeitsmarkt bezogen wurde, nun
auf die (Lohn-)Arbeit, die im Privathaushalt erbracht wird. Die Care-Arbeiterin er-
zeugt einen „emotionalen Mehrwert“, der aus Liebe und Fürsorge besteht (vgl. Hoch-
schild 2001: 162). Forderungen nach einer Repolitisierung des Privaten bleiben daher
Der globalisierte Privathaushalt 45
Mit dem Aufkommen des Industriezeitalters und der Formierung größerer Städte
entstand neben der Industriearbeiterschaft ein Dienstbotenwesen, das sich in Haus-
halten des Großbürgertums verankerte. Da die Mechanisierung auch der Landwirt-
schaft in den ärmeren Gebieten Arbeitskräfte freisetzte, zogen viele Frauen vom
Die Arbeit im Dienstbotenwesen blieb bis zum Ersten Weltkrieg bedeutend für die
weibliche Erwerbstätigkeit. Unter den Gesindeordnungen und Verboten wie Koaliti-
ons- und Streikrecht war ihr Arbeitsalltag jedoch freiheitsbeschränkend und prekär
(vgl. Fraisse 2010: 329; Friese 2002: 230; Schmidt 2002: 221). Der Code Civil sah
noch bis 1868 vor, dass im Streitfall bezüglich der Löhne dem Meister „auf seine
Versicherung hin geglaubt“ werden müsse, was die Höhe und die Bezahlung des
Lohns betrifft (vgl. Daumand 1986: 115). Durch Gesundheitszeugnisse wurde die
„gesunde Lebensführung“ der jungen Frauen überprüft, die sich wiederum nach der
dominierenden Moral richtete (vgl. Mozère 1999: 51). In der Folge wurde eine Un-
terwerfung von Körper, Arbeitskraft und Persönlichkeit unter das Beschäftigungs-
verhältnis subsumiert:
Die Erwartung, dass Dienstboten ohne jede Einschränkung Tag und Nacht für die
etwaigen Bedürfnisse ihrer Herrschaft zu Verfügung stehen würden, galt bis zum
Ersten Weltkrieg als Selbstverständlichkeit und wurde von den Zeitgenossen nur sel-
ten in Frage gestellt. (Schmidt 2002: 210)
Trotz der oft prekären Arbeitssituation beinhaltete der Dienst in einem bürgerlichen
Haushalt für das Dienstmädchen, meist jung und noch unverheiratet, neue Möglich-
Die Funktion des Dienstbotenwesens 49
keiten, sich zu bilden und einen sozialen Aufstieg zu realisieren. Oft halfen sie mit
ihren Einkommen, die Familie finanziell abzusichern. Die Dienstbotinnen hatten
gegenüber den auf dem Lande gebliebenen Frauen tatsächlich Vorteile: “Although
literacy statistics are very difficult to find for the nineteenth century, it is clear for the
few available data that servants were more literate that other lower-class individuals
of rural origins.” (McBride 1976: 86) In den bürgerlichen Haushalten bestand für das
Dienstmädchen eine gute Aussicht darauf, Schreiben und Lesen zu lernen. Nicht
zuletzt legte nämlich die bürgerliche Familie Wert auf ein Mindestmaß an Bildung
ihrer Bediensteten.
17
Hierzu dichteten Heiner Zille: „Wenn in’n Tiergarten die Ammen / Unscheniert die kleenen
Strammen / Frische Nahrung lassen ziehn – / Denn ist Frühling in Berlin!“, oder Theodor Fonta-
ne: „Nichts entlehnt und nichts geborgt, / Für Großes und Kleines ringsum gesorgt, / Und gesorgt
vor allem auch / Schon für unser kommendes Geschlecht – / Das sind für uns Gewähr unsre lie-
ben, strammen / Und fast unmöglichen Spreewaldammen.“
50 Zur Entstehung des Care-Defizits
Im Zuge der Auflösung der Großfamilie zwang die nun fehlende Fürsorge zu einer
Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau in der Kleinfamilie. Insofern entstanden die
nachrangig strukturierten Arbeits- und Lebensverhältnisse von Frauen (im System
der Zweigeschlechtlichkeit) nicht auf der Basis normativer Setzung, sondern bedurf-
ten materieller Gewalt (vgl. Becker-Schmidt 2013: 180-181). Unter gesellschaftli-
chen Herrschaftsverhältnissen entstand eine Sozialordnung, die politisch-
ökonomische Aktivitäten von weniger geschätzter Familienarbeit trennte und sich bis
heute aktualisiert:
Die aufstrebende Bourgeoisie produzierte ein Wissen, das sie zur erziehungsgerech-
ten Leitlinie erhob – auch gegenüber dem Proletariat. Im frühbürgerlichen Kapitalis-
mus formierte sich ein Mittelstand, der Berufsbilder und die Vorstellungen von der
bürgerlichen Kleinfamilie geschlechts- und klassenspezifisch segmentierte. Das Bild
der Mutter als zentrale Erzieherin des Kindes etablierte sich: « À partir de 1750,
l’Assistance par exemple se modifie, elle prend à présent la famille comme lieu géo-
métrique de la santé et de la vie de la population et inclut en quelque sort les enfants
dans ce dessein. » (Mozère 1999 : 3) Damit wurden die Ehegattin und deren Kinder
vor allem in den gehobenen Schichten Kern der familiären Sphäre des Heims, dem
52 Zur Entstehung des Care-Defizits
Privathaushalt. Die Mägde vom Land wurden in die städtischen Haushalte integriert
und über das professionalisierte Tätigkeitsfeld der bürgerlichen Frau ausgebildet –
oft von der Hausherrin selbst. Hieraus entstanden auch spezifische „Frauenberufe“
wie jener der Hebamme, Kindergärtnerin oder Hauswirtschaftlerin. Dem gegenüber
gab es allerdings bereits sehr dezidierte Forderungen, die eine andere Rolle der Frau
in der Gesellschaft stützen sollten. 18
18
Sozialistinnen und Saint-Simonistinnen wie Jeanne-Désirée Véret (1810-1890) und Flora Tristan
(1803-1844) in Frankreich versuchten im Zuge der Juli-Revolution von 1830 die politischen
Gleichheitsansprüche der Französischen Revolution von 1789 für Frauen durchzusetzen. In
Frankreich tobten zu jener Zeit Aufstände mit der Forderung nach sozialer Gleichstellung. Die
französischen Frühsozialistinnen nutzten diese Aufbruchsstimmung nach der Juli-Revolution,
um sich für die Rechte der Arbeiterinnen einzusetzen. Mit der Publizierung ihrer Zeitschrift La
Femme Libre – Apostolat des Femmes im Jahre 1832 schuf Véret ein mediales Sprachrohr, in
welchem sie sich folgendermaßen ausdrückt: « C’est en affranchissant la femme qu’on affranchi-
ra le travailleur, leurs intérêts sont liés et de leur liberté dépend la sécurité de toutes les classes.
[…] Vous ne pourrez satisfaire votre amour de la propriété, en jouir tranquillement en accrois-
sant sa valeur qu’en changeant le système commercial et en associant le ménage et l’industrie. »
(Véret 1832: 37) Mit der Februarrevolution von 1848 und der Ausrufung der Zweiten Französi-
schen Republik durch das Bürgertum wurden den frauenpolitischen Bestrebungen der Frühsozia-
listinnen zunächst Schranken gesetzt. Die Funken der Februarrevolution fielen jedoch als März-
revolution auch auf die Staaten des Deutschen Bundes. Auch hier stellten Frauen wie Clara Zet-
kin (1857-1933) oder Lily Braun (1865-1916) die Lösung der Frauenfrage unter die soziale Fra-
ge. Sie gingen davon aus, dass die Emanzipation der Frau im gemeinsamen Kampf mit den pro-
letarischen Männern zu realisieren sei. Demnach war die soziale Frage auf das engste mit der
Arbeiterfrage verbunden und die Gleichstellung der Frau mit ihrer Eingliederung in die Lohnar-
beit. Folglich sollte die Arbeiterbewegung in den Augen der Frühsozialistinnen gleichzeitig zu
einer Arbeiterinnenbewegung werden, welche sich für die Belange der neu organisierten Indust-
rie- und Hauswirtschaft einsetzte. Aus den Analysen der heutigen Frauen- und Geschlechterfor-
schung geht jedoch hervor, dass die frühsozialistischen Ansätze in Hinblick auf die Umgestal-
tung von Ehe und Familie auch von den renommiertesten Vertretern der Arbeiterklasse im
Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutungsklasse, wie Marx (1818-1883), nicht eingelöst
wurden: „Obwohl Marx die Industriearbeit von Frauen als Schritt zu ihrer Gleichberechtigung
herausgestellt hatte, war für ihn die Befreiung der Frau nur vom Klassen-, nicht aber vom Ge-
schlechterkampf zu erwarten. So wurde die Frauenfrage zum Nebenwiderspruch, der erst in der
sozialistischen Gesellschaft gelöst werden könnte.“ (Gerhard/Pommerenke/Wischermann 2008:
186)
Die Ent-Professionalisierung der Hauswirtschaft 53
Die Gesellschaft im Wandel vom 19. auf das 20. Jahrhundert kennzeichnete zwei
einschneidenden Verschiebungen: „[…] diejenige von bezahlter Arbeit im Haus zur
bezahlten Arbeit außer Haus, und schließlich diejenige von bezahlter Arbeit im Haus
zu unbezahlter Arbeit im Haus.“ (Bock/Duden 1976: 153) Die Hausherrinnen began-
nen nun unbezahlt im Privathaushalt Arbeiten zu verrichten, die zuvor noch über
Bezahlung an andere Frauen delegiert wurden: „Dies aber war der Übergang von der
Hausherrin zur Hausfrau, von der Aufsicht über bezahlte Hausarbeit anderer zur
eigenen unbezahlten Hausarbeit.“ (Bock/Duden 1976: 155) Dienstmädchen wurden
selbst zur „Hausherrinnen“ – gleichzeitig wurden aber Hausherrinnen zu dienenden
Haushälterinnen. Daher wurde die neue Autonomie des Dienstmädchens in der öf-
fentlichen Erwerbsarbeitswelt, die durch die vergleichsweise abgesicherte industriel-
19
Clara Zetkin (1857-1933) führt in ihrem Kampf für die Gleichberechtigung der Frau in der
Gesellschaft in diesem Zusammenhang auf: „1882 zählte man in Deutschland auf 23 Millionen
Frauen und Mädchen 5 ½ Millionen Erwerbstätige, das heißt, fast ein Viertel der weiblichen Be-
völkerung konnte seinen Lebensunterhalt nicht mehr in der Familie finden. Nach der Volkszäh-
lung von 1895 hat in der Landwirtschaft im weitesten Sinne die Zahl der erwerbstätigen Frauen
seit 1882 um mehr als 8 Prozent zugenommen, in der Landwirtschaft im engeren Sinne um 6
Prozent, während gleichzeitig die Zahl der erwerbstätigen Männer um 3 beziehungsweise 11
Prozent abgenommen hat. Auf dem Gebiete der Industrie und des Bergbaus haben die erwerbstä-
tigen Frauen um 35 Prozent zugenommen, die Männer nur um 28 Prozent; im Handel die Zahl
der Frauen sogar um mehr als 94 Prozent, die der Männer nur um 38 Prozent. Diese trockenen
Zahlen sprechen weit beredter von der Dringlichkeit der Lösung der Frauenfrage, als es über-
schwängliche Deklamationen könnten.“ (Zetkin 1896: 190) Die Dringlichkeit der Lösung der
Frauenfrage bemaß sich an dem stetigen Anstieg der Frauen auf dem Erwerbsmarkt, vor allem in
der Industrie und im Handel. Nicht aber bei haushaltsnahen Dienstleistungen.
54 Zur Entstehung des Care-Defizits
le Arbeit möglich wurde, von ihrer neuen Rolle als unbezahlte Hausfrau einge-
schränkt. Der amerikanische Ökonom J. K. Galbraith schrieb 1973 in seinem Buch
Economics and the public purpose:
Gemeinsam mit der bürgerlichen Frau, trotz Lohnarbeit außer Haus, wurde die prole-
tarische Frau Bestandteil einer neuen volkswirtschaftlichen Mathematik: enorme
Einsparungen wurden durch einen kostenfreien Reproduktionssektor realisiert.
20
Während der Aufklärung begründeten Philosophen wie Rousseau im Ancien Régime ihre Vor-
stellungen von Erziehung und Bildung. In seinem pädagogischem Hauptwerk Émile ou De
l’éducation (1762) hebt er die häuslichen Pflichten der Frau hervor, welche er mit dem Gebären
der Kinder und der Unterwerfung unter Vater und Ehemann in Verbindung bringt. Eine logische
Erschließung des Wissenschaftlichen hingegen schreibt er der Rolle des Mannes zu (vgl. Rous-
seau 1762: 19).
Die Ent-Professionalisierung der Hauswirtschaft 55
La démarche la plus capitale et la plus décisive dans la vie des femmes est précisé-
ment celle qu’une femme regarde toujours comme la plus insignifiante. Mariée, elle
ne s’appartient plus, elle est la reine et l’esclave du foyer domestique. La sainteté des
femmes est inconciliable avec les devoirs et les libertés du monde. Émanciper les
femmes, c’est les corrompre. (Balzac 1842: 149)
Demnach wurde die Ehefrau über die Heirat vertraglich dem Ehemann unterworfen.
Sie wurde als Hausherrin geadelt und verlor zugleich ihre Autonomie. Die Frau des
gehobenen Bürgertums bekam sowohl eine regulierende als auch dienende Funktion
im häuslichen Bereich zugewiesen. Versuche, als junge Frau aus dem „häuslichen
Idyll“ auszubrechen, mündeten typischerweise in öffentlicher Ächtung. Wie auch der
gesellschaftskritische Schriftsteller Theodor Fontane durch das tragische Schicksal
Effi Briests deutlich gemacht hat, scheiterten beispielsweise Flüchte sexueller Natur
an den neuen, durchaus auch repressiven Momenten von „Rationalität“ und „Ver-
nunft“. Jene Frauen, die über andere Wege aus dieser Ordnung heraustraten, Schau-
spielerinnen oder Dirnen beispielsweise, verfügten über größere Freiheiten als die
verheiratete Bürgersfrau.
56 Zur Entstehung des Care-Defizits
Die Umgestaltung der Landkarte Europas nach den Ereignissen von 1989 und dem
Zusammenbruch der kommunistischen Regime beinhaltete eine unvorhergesehene
Mobilität von Personen und kündigte eine neue Phase in der Geschichte europäischer
Migration an. (Morokvasic-Muller 2003: 43)
Die Migration von Frauen unterscheidet sich von dem Phänomen des migrantischen
Industriearbeiters, der im Zuge der prosperierenden Wirtschaften nach dem Zweiten
Weltkrieg in vielen Ländern Europas angeworben wurde. Die Frauen streben viel-
mehr in einen immer größer werdenden Dienstleistungssektor, in dem es vor allem in
pflegerischen und gesundheitlichen Bereichen einen hohen Mangel an Arbeitskräften
gibt. Außerdem werden private Reproduktionsarbeiten, meist von Frauen erbracht,
zunehmend auf andere Frauen – darunter viele Migrantinnen – verlagert. Die Einbe-
ziehung der Frauen in den Erwerbsarbeitsmarkt seit den 1990er Jahren hat zu einem
„Care-Defizit“ geführt, wie Arlie Hochschild am Beispiel der USA darstellt:
Recent trends in the United States have expanded the need for care while contracting
the supply of it, creating a “care deficit” in both private and public life. In public life,
the care deficit can be seen in federal and sometimes state cuts in funds for poor
mothers, the disabled, the mentally ill, and the elderly. (Hochschild 2003: 214,
Hervorhebungen im Original)
21
Pull-Faktoren wie mögliche ökonomisch zu erzielende Erträge und Push-Faktoren, wie geringe
Verdienstmöglichkeiten in den Herkunftsländern unterstützen die Migration. Damit kann ein
brain drain, ein Verlust an Bildungskapital, für die Herkunftsländer einhergehen. Nutzt das Auf-
nahmeland dieses Bildungskapital nicht, wird auch vom brain waste gesprochen.
Auslagerung von Care-Arbeit auf Migrantinnen 57
Die Verlagerung von Care-Arbeit auf Migrantinnen wird von mehreren gesellschaft-
lichen Veränderungen begünstigt. Häufig leben Familienmitglieder, die füreinander
Care leisten könnten, durch erhöhte Mobilitäten in der Lebens- und Arbeitswelt nicht
mehr in der Nähe ihrer Angehörigen. Außerdem altert die Gesellschaft durch die
längere Lebenserwartung der Menschen. Der demographische Wandel wird von
niedrigen Geburtenraten begleitet und Frauen bekommen im höheren Alter Kinder.
Aus dem Ernährer-Modell sind Zwei-Verdiener-Haushalte geworden, in denen die
Frauen mindestens Teilzeit arbeiten. Dies hat zur Folge, dass der durchschnittliche
Lohn sinkt, da die Lebenshaltungskosten einer Familie nicht mehr allein vom Fami-
lienlohn abhängen (vgl. Winkler 2008: 50). Die steigende Erwerbstätigkeit der Frau-
en hat allerdings nicht zu einer Umverteilung der Haushalts- und Sorgetätigkeiten in
58 Zur Entstehung des Care-Defizits
Partnerschaften geführt. Care-Arbeit ist bis heute zum größten Teil Frauensache.
Jedoch ist die Arbeitgeberin, die Care-Tätigkeiten verlagert, im Regelfall erwerbstä-
tig. „Nun sind die Hausmädchen wieder zur gesellschaftlichen Normalität geworden
– nicht mehr als Statussymbol des Bürgerhaushalts, sondern als oft einziger Ausweg
aus einer objektiv nicht anders zu bewältigenden Belastung der Familien.“ (Frings
2010: 57) Es wächst eine „Sandwich-Generation“, die sich im Zweifel um die Pflege
näherer Angehöriger, um (Klein-)Kinder und den Job gleichzeitig kümmern muss.
Die Familie des 21. Jahrhunderts entspricht zudem nicht mehr der Norm der traditio-
nellen Kleinfamilie. Familien pluralisieren sich. Nancy Fraser zufolge hängt diese
Entwicklung mit einem Übergang zur postindustriellen Phase des Kapitalismus zu-
sammen:
Postindustrial families, meanwhile, are less conventional and more diverse. Hetero-
sexuals are marrying less and later, and divorcing more and sooner. […] In short, a
new world of economic production and social reproduction is emerging – a world of
less stable employment and more diverse families. (Fraser 2013: 113)
Bei der Verlagerung von Care-Arbeit auf Migrant_innen lassen sich Migrationspoli-
tiken und Care-Politiken ob ihrer Verschränkung oft nur schwer voneinander abgren-
zen. Bestimmte politische Regulierungsversuche begleiten die Care-Arbeiter_innen
im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte jedoch besonders. Die Arbeitsmarktpolitik
schafft idealerweise die Bedingungen, unter denen die (Care-)Arbeiter_innen ihre
Beschäftigungsverhältnisse aufnehmen, während der Staat über die Familienpolitik
das Zusammenleben der Staatsbürger_innen im familiären Kontext steuern soll. Die
Migrationspolitik wiederum beschäftigt sich mit den Regeln, denen Menschen un-
terworfen werden, wenn sie sich zwischen den rechtlichen Sphären abgegrenzter
Nationalstaaten bewegen. Die hier genannten Dimensionen von social policy (und
Folgend werden die (Sozial-)Politiken beider Länder in ihrer Historie näher beleuch-
tet. Auch die Gesetzmäßigkeiten der Kindertagespflege werden dargelegt. Am
Schluss des Kapitels liefert ein tabellarischer Überblick Informationen zu thematisch
interessanten Statistiken.
22
Die Verknüpfung von Care, Sozialpolitiken und dem Wohlfahrtsstaat wird auch als social care
bezeichnet (vgl. Martin 2008: 31).
23
Der sich ausbreitende Pauperismus beeinflusste sogar die Wehrtätigkeit der sich ausbildenden
Nationalstaaten, sodass das Militär Einfluss auf den Gesundheitszustand zukünftiger Rekruten
nehmen wollte.
Entstehung von Sozialstaaten 61
teilzuhaben. Ausdruck hierfür ist der unter Napoleon eingeführte Code Civil über
weite Teile Europas. Das hiermit verbundene Gesetz der nationalen Wohltätigkeit
von 1793 war die Grundlage für eine allgemeine Organisation der öffentlichen Wohl-
fahrt und nahm die soziale Gesetzgebung des 20. Jahrhunderts vorweg (vgl. Soboul
1986: 46). All diese Umstände nötigten die Staaten zur Sozialpolitik.
I shall call these three parts, or elements, civil, political and social. The civil element
is composed of the rights necessary for individual freedom – liberty of the person,
freedom of speech, thought and faith, the right to own property and to conclude valid
contracts, and the right to justice. […] By the political element I mean the right to
participate in the exercise of political power, as a member of a body invested with
political authority or as an elector of the members of such a body. The corresponding
institutions are parliament and councils of local government. By the social element I
mean the whole range from the right to a modicum of economic welfare and security
to the right to share to the full in the social heritage and to live the life of a civilized
being according to the standards prevailing in the society. The institutions most
closely connected with it are the educational system and the social services. (Mars-
hall 1977: 78f, Hervorhebungen durch JG)
Nach Marshall entstanden bürgerliche Rechte (Code Civil, zum Beispiel in Form von
fairen Gerichtsverhandlungen) etwa im 18. Jahrhundert, politische Rechte im 19.
Jahrhundert (gleiches Wahlrecht) und soziale Rechte im 20. Jahrhundert („Sozialge-
setzgebung“, zum Beispiel in Form von kostenlosen sozialen Diensten). Damit be-
schreibt er eine stufenweise Entwicklung, in der sich der Staatsbürgerstatus und sein
Einfluss auf soziale Teilhabe allmählich institutionell mit dem Aufstieg des Kapita-
lismus entfalteten. Mit der Etablierung des Wahlrechts (wenn auch nicht als vollstän-
dige politische Gleichheit aller) hatte der Staat stellvertretend für den Staatsbürger
auch die Bildung der heranwachsenden Kinder zu fördern. Marshall betont weiter:
“The right to education is a genuine social right of citizenship, because the aim of
education is a genuine social right of citizenship, because the aim of education during
childhood is to shape the future adult.” (Marshall 1977: 89) Hierin leitet Marshall das
Recht auf Erziehung als Bestandteil von sozialen Staatsbürgerrechten ab. Gleichstel-
62 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
lung erfolge weniger zwischen Klassen als vielmehr zwischen Individuen einer Be-
völkerung, die jetzt für diesen Zweck so behandelt werden, als seien sie eine Klasse
(vgl. Marshall 1949: 113). Der Staatsbürgerstatus bestimmt die Bedingungen sozialer
Zugehörigkeit und erlangt nur für die Mitglieder einer nationalen Gemeinschaft
Gültigkeit.
Die von Marshall entworfene Entwicklung bezieht sich auf den Staatsbürgerstatus
von Männern. Damit werden Kräfte übersehen, die aus der Trennung von Öffentlich-
keit und Privatsphäre, Staat und Familie, bezahlter und unbezahlter Arbeit entstanden
sind. Politische Rechte wie das Wahlrecht erhielten Frauen beispielsweise erst sehr
viel später. Neben den „Ausländer_innen“ blieb auch der Staatsbürgerin eine gleich-
wertige Partizipation an citizenship verwehrt. Dies änderte sich erst mit der Anerken-
nung ihrer Arbeitskraft im öffentlichen Erwerbsarbeitsleben (vgl. Gerhard 2001: 5).
24
„Dekommodifizierend“ bezeichnet hier Maßnahmen in Richtung des gemeinschaftlichen Nut-
zens der Bürger_innen an der Wohlfahrt, welche die Unabhängigkeit zum Markt gewährleisten,
während „kommodifizierende“ Maßnahmen die Überführung ins Private visieren: „The outstan-
ding criterion for social rights must be the degree to which they permit people to make their li-
ving standards independent of pure market forces. It is in this sense that social rights diminish
citizens’ status as ‘commodities’.“ (Esping-Anderson 1990: 3)
Entstehung von Sozialstaaten 63
der Defamilialisierung, die den Individuen erlaubt, ihre Ressourcen unabhängig von
ihren Familien einzusetzen.
Unter feministischer Kritik der Theorie Esping-Andersens haben sich auch die Be-
griffe des „Gender-“ und „Migrationsregimes“ etabliert, welche auf die besondere
Verknüpfung der Dimensionen von Geschlecht und Migration im Wohlfahrtsregime
verweisen. Durch das Genderregime wird ein Komplex von Regeln und Normen in
der Geschlechterordnung der jeweiligen Gesellschaft verankert und institutionell
abgesichert und durch das Migrationsregime zum Beispiel die Beschäftigung von
Migrant_innen in Privathaushalten reguliert (vgl. Lutz 2008: 37). Es lässt sich außer-
dem kritisch anmerken, dass die Zuordung Frankreichs als „konservativ-
kooperatistisch“ im Bereich der Kleinkindbetreeung nicht trägt, da der französische
Staat durchaus Veranwortung übernommen hat.
Der deutsche Sozialstaat 65
Mit diesen Interventionen Bismarck’s in die Innenpolitik wurden die Grundzüge des
Sozialstaates als Versicherungsmodell etabliert, das schließlich in ähnlicher Form in
ganz Europa übernommen wurde.
Die Sozialgesetze bestimmten die Entwicklung des modernen Sozialstaats von Grund
auf: „Mit ihnen wurde es möglich, Rechts- und Sozialstaatlichkeit auf das engste
miteinander zu verbinden sowie dem Konzept der Staatbürgergesellschaft in seiner
modernen Form zum Durchbruch zu verhelfen.“ (Metzler 2003: 12) Soziale Sicher-
heit, bürokratisch verwaltet, wurde zum Grundstein nationaler Identität. Nur wer
Staatbürger war, konnte die Errungenschaften der Geburtsstunde des Wohlfahrts-
66 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
staats in Anspruch nehmen. Darunter fiel auch die Kinder- und Jugendfürsorge mit
entsprechenden Erziehungsanstalten.
Bis zur Wirtschaftsdepression der Weimarer Republik entwickelte sich der deutsche
Sozialstaat progressiv:
Wichtigste Zielgruppe dieser Politik war die Industriearbeiterschaft. Auf ihre Situa-
tion waren die ersten sozialpolitischen Gesetze zugeschnitten, die der Reichstag in
den frühen 1880er Jahren verabschiedete: 1883 das Krankenversicherungsgesetz,
1884 das Unfallversicherungsgesetz, 1889 schließlich das Invaliditäts- und Alters-
versicherungsgesetz. […] Um zu ermessen, welche Tragweite diese ersten Gesetze
bereits hatten, muß man sich nur in Erinnerung rufen, daß es seither nur zwei we-
sentliche Ergänzungen bei den Sozialversicherungen gegeben hat: die Arbeitslosen-
versicherung von 1927 sowie die Pflegeversicherung von 1995. (Metzler 2003: 20)
Der Reichstag hat demnach im 19. Jahrhundert die Grundsteine einer Sozialversiche-
rung geschaffen, die bis heute aktuell ist. Erst der demographische Wandel, welcher
den Sozialstaat aufgrund einer alternden Gesellschaft vor neue Herausforderungen
stellte, provozierte eine Erweiterung der Versicherungsformen. Nach dem Zweiten
Weltkrieg etablierte sich die Bundesrepublik Deutschland als westdeutscher Sozial-
staat. Auch in der damaligen Deutsche Demokratischen Republik (DDR) wurden
Sozialstaatsgesetze in ähnlicher Form beschlossen.
Migrations-Politiken
Die preußische Abwehrpolitik
Von den 1880er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg beschäftigte das Deutsche Reich
über 1,2 Millionen Wanderarbeiter (vor allem aus Polen, aber auch aus Italien) (vgl.
Oltmer 2010: 32). Daran wird deutlich, dass die regulative Bevölkerungspolitik und
Binnenwanderung allein nicht in der Lage war, die Bedürfnisse der entstehenden
Industrie und der Landwirtschaft zu stillen.
waren Arbeiterinnen) in ihren östlichen Gauen. Sie wurden daher einer nationalen
Kontrolle, einer Abwehrpolitik, unterstellt. Die Arbeitskräfte aus Polen mussten nach
einer gewissen Sperrfrist, meist saisonal, wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren.
Deshalb sollten sie vornehmlich in der Agrarwirtschaft statt in der Industrie einge-
setzt werden. Auch Max Webers Studie zu den Entwicklungstendenzen in der Lage
der ostelbischen Landarbeit von 1894 setzte sich mit der Frage auseinander, welche
Gesamtentwicklung die Stellung der ostelbischen Landarbeiter innerhalb der Nation
nehme. Weber kommt zu der Feststellung, dass sich die ostelbischen großen Güter
als „lokale politische Herrschaftszentren“ gegenüber dem städtischen Großbürgertum
nicht halten könnten. Er schreibt: „Es besteht aber eben deshalb die Gefahr, daß
gerade diejenige Schicht der Bevölkerung auf diese Weise ansässig wird, welche mit
den geringsten Kulturansprüchen sich begnügen kann, also ein Grundbesitzer-
Proletariat – der schrecklichste der Schrecken – entsteht.“ (Weber 1988: 508,
Hervorhebungen im Original) Die Arbeitskräfte aus dem Osten, welche ihre Dienste
zu niedrigeren Bedingungen anboten, haben demnach den Zerfall der Güter und
damit die Monopolisierung des städtischen Bürgertums befördert. Die antipolnische
Abwehrpolitik in Preußen erleichterte der Polizei, die Wanderarbeiter_innen zu kon-
trollieren:
1909 wurde in Preußen der „Legitimationszwang“ eingeführt. Seither bestand für al-
le ausländischen Arbeitskräfte die Verpflichtung, bei der 1911 in „Deutsche Arbei-
terzentrale“ umbenannten Vermittlungsstelle eine „Arbeiter-Legitimationskarte“ zu
beantragen, die in den 39 Grenzstellen der Arbeiterzentrale ausgefertigt wurde. Die
Legitimationskarte stellte eine schnelle Identifikation aller ausländischen Arbeiterin-
nen und Arbeiter durch die Polizeibehörden sicher und markierte die Nationalität.
(Oltmer 2010: 34)
In Preußen etablierten sich daher die ersten Instrumente einer repressiven Migrati-
onspolitik, welche sich an ethnischen und nationalen Merkmalen orientierte. Zwar
wurde schon im Deutschen Kaiserreich das Abstammungsprinzip (ius sanguinis) zur
gesetzlichen Grundlage der Staatsangehörigkeit, es verfestigte sich jedoch 1914
durch das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, welches das Geburtsortsprinzip
außer Kraft setzte. Erst im Jahr 2000 gab es mit dem Optionsmodell diesbezüglich
entscheidende Änderungen (s. u.).
68 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
Arbeit und Migration in, zwischen und nach den beiden Wel t-
kriegen
Während des Ersten Weltkriegs (als auch während des Zweiten Weltkriegs) wurden
in Deutschlands Kriegswirtschaft viele Zwangs-Arbeiter_innen verpflichtet. In der
darauf folgenden Weimarer Republik wurde die restriktive Arbeitsmarktpolitik für
„Ausländer_innen“, orientiert an den Bedürfnissen der Inländer_innen, ausgebaut. In
der Zeit zwischen den Weltkriegen wanderten aber auch viele Menschen aus
Deutschland aus, darunter viele Dienstmädchen. Während des Dritten Reichs und im
Anschluss durch den verlorenen Krieg bewirkten Flucht, Vertreibung und Deportati-
on Migrationsbewegungen von ungekannter Größe. Bis zu zwölf Millionen Arbei-
ter_innen wurden als Fremdarbeiter_innen in die deutsche Kriegswirtschaft gezwun-
gen. Für die nach Kriegsende in Deutschland gebliebenen displaced persons musste
eine Regelung gefunden werden:
Mit dem „Gesetz über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer“ vom 25.04.1951
schuf die Bundesrepublik einen im Vergleich zum internationalen Flüchtlingsrecht
großzügigen Rechtsstatus, der aber keine Gleichstellung mit deutschen Flüchtlingen
und Vertriebenen oder eine erleichterte Einbürgerung vorsah. (Oltmer 2010: 46)
Selbst nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Holocausts blieb folg-
lich die ethnisch „homogene“ Nation ein tiefer Grundfeiler bundesrepublikanischer
Politik.
Mit dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Deutsch-
land ein Knotenpunkt für die Ost-West-Migration. Neben den Gastarbeitern und
Asylsuchenden nahm im Deutschland der Nachkriegszeit auch die Zuwanderung
durch „deutschstämmige“ Aussiedler_innen zu. In den Jahren von 1988 bis 1996
wurde Deutschland zum Hauptimmigrationsland in Europa (vgl. Héran 2011: 19).
Das mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 formulierte Asylgesetz
gewährte politisch Verfolgten dauerhaften Schutz. Der Immigrationsdruck in den
folgenden Jahrzehnten führte zu immer stärkeren Einschränkungen des Asylrechts,
zum Beispiel mit der Herausnahme des Notaufnahmeverfahrens und mit der Grund-
gesetzänderung von 1993, dem Drittstaatenabkommen. Wer aus einem sicheren
Drittstaat kommt, in dem die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der
Europäischen Konvention der Menschenrechte per Gesetz gesichert ist, muss in
diesen rücküberführt werden. Die Länder, die Deutschland und Frankreich umschlie-
ßen, sind allesamt „sichere“ Herkunftsstaaten. Mit dieser Gesetzgebung ließ der
Strom der Asylberechtigten entscheidend nach.
Im Jahr 2000 setzte ein neues Staatsangehörigkeitsrecht ein. In dieser Reform wurde
das Abstammungsprinzip durch das Geburtsortsprinzip ergänzt. Der Erwerb der
Staatsbürgerschaft ist seither mit einer Optionspflicht verbunden: Die betreffende
70 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
Person muss zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr per Antrag für die deutsche
Staatsbürgerschaft optieren. Nur in den seltensten Fällen wird doppelte Staatsbürger-
schaft gewährt. Mit dem 2005 verabschiedeten Zuwanderungsgesetz veränderte sich
zudem die Migrations- und Integrationspolitik umfassend. Im Aufenthaltsrecht wird
nun zwischen befristeter Aufenthaltserlaubnis und unbefristeter Niederlassungser-
laubnis unterschieden. Als Einbürgerungs-Kriterien werden die Ausbildung, die
Erwerbstätigkeit, humanitäre Gründe (Asylsuchende) oder familiäre Motive betrach-
tet. Deutschland erkennt de facto an ein Einwanderungsland zu sein.25 Damit werden
auch Integrationsmaßnamen eine gesetzliche Aufgabe. Integration wird verstärkt
materiell gefördert, zum Beispiel durch im Rahmen von Integrationskursen angebo-
tene Sprachkurse, auf die Neuzugewanderte jetzt ein Recht haben. Die Kosten für
diese Kurse sind allerdings von den Teilnehmer_innen selbst aufzubringen. Für die
damalige Bundesregierung (Koalition aus CDU/CSU und SPD 2005-2009) bedeutete
Integration auch, dass Migrant_innen sich aktiv in diesen Prozess einzubringen ha-
ben. Einbürgerungstests überprüfen beispielsweise die politische Einstellung und das
Wissen über die Geschichte und Verfassung der Bundesrepublik. Neben integrati-
onspolitischen Bemühungen wurde etwa durch die Green-Card die Einwanderung
von Menschen stärker gesteuert. Damit sollen sie entsprechend der Erfordernisse des
Arbeitsmarktes ausgewählt werden. Nach einer Novelle des Zuwanderungsgesetzes
von 2007 zum Ausländer- und Aufenthaltsrecht müssen die Antragsteller_innen auf
einen deutschen Pass sich unter anderem seit mindestens acht Jahren in Deutschland
aufhalten, den eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit bestreiten können, oder
bei Nachzug im Falle der Ehepartnerin beziehungsweise des Ehepartners mindestens
18 Jahre alt sein (vgl. Bpb 2007). Immigrant_innen müssen ihren Wohnsitz bezie-
hungsweise ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, um Familienbei-
hilfen des Staates beziehen zu können.
Die jüngste sogenannte Flüchtlingskrise von ca. einer Millionen Geflüchteten im Jahr
2015 stellt die Bundesregierung durch die zeitlich gerafft stattfindende Öffnung der
Grenzen erneut vor migrationspolitische Probleme. Die Geflüchteten müssen in
25
Heute leben in Deutschland zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime beziehungsweise Muslima
mit Migrationshintergrund. Aufgrund der Bedeutung dieser Migrationsgruppe lud Schäuble 2006
zum ersten Islamgipfel (vgl. Frindke et. al. 2012: 15).
Der deutsche Sozialstaat 71
kürzester Zeit erfasst, versorgt, in den Arbeitsmarkt überführt und in die Gesellschaft
integriert werden. Die Konsequenzen dieser Asylsituation sind zum Beispiel in Hin-
blick auf den Aufenthaltsstatus noch nicht absehbar.
Während des Zweiten Weltkriegs strebte das Dritte Reich nach Bevölkerungsexpan-
sion und begründete dies rassenideologisch (so propagierte es beispielsweise das
„Volk ohne Raum“). Der Krieg erforderte in besonderem Maße Nachwuchs und
Frauen wurden in die Kriegswirtschaft einbezogen, um den Aufbau des Reiches
voranzutreiben. Der Sozialstaat wurde unter dem faschistischen Regime instrumenta-
lisiert: „Die Möglichkeiten der Perversion und des Mißbrauchs des Sozialstaates
zeigten sich in aller Schärfe in der nationalsozialistischen Gesundheits- und Bevölke-
rungspolitik.“ (Ritter 1991: 133) Hier trat ein übermächtiger Führer als Vaterfigur,
das Massenideal Hitler, an die sozialpolitische Stelle des Staates und diktierte ein in
dieser dominanten Form nie dagewesenes Mutterbild:
Die bereits in den Weimarer Jahren geführte Diskussion über den Geburtenrückgang
mündete nun in politischen Maßnahmen. Die lagen zum einen auf propagandistisch-
symbolischem Gebiet, indem das Ideal der „deutschen Mutter“ unablässig gepredigt
und mit der Einführung von Muttertag und „Mutterkreuz“ symbolhaften Ausdruck
fand. Zum anderen versuchten die NS-Machthaber, durch materielle Anreize das re-
produktive Verhalten in positivem Sinn zu beeinflussen. (Metzler 2003: 126)
Nach den Erfahrungen der repressiven Familienkontrolle durch den Staat während
des Dritten Reiches verlor der familienpolitische Einfluss im Westdeutschland der
Nachkriegszeit an Bedeutung. Während De Gaulle sich nach dem Krieg mit den
Worten „Frankreich braucht zwölf Millionen Babys“ an das Volk wendete, genügte
Adenauer die Hypothese „Kinder bekommen die Leute immer“ (vgl. Kuchenbecker
2007: 79). Nach Ehmann stellt im Gegensatz zu Frankreich „[…] die Beeinflussung
des generativen Verhaltens der Bevölkerung aufgrund der negativen Erfahrungen im
Dritten Reich keine direkte Aufgabe der deutschen Familienpolitik dar.“ (Ehmann
1999: 16) Der ostdeutsche Teil Deutschlands nahm jedoch nach dem Krieg durchaus
familienpolitische Regulierungen in Angriff.
Nach 1949 wurden in der DDR breite Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie
und Beruf getroffen. Dank eines großzügigen Ausbaus institutioneller Kinderbetreu-
ung wie Krippen, günstiger Arbeitszeitregelungen und Lohnfortzahlung während des
Mutterschutzes war die ostdeutsche Frau in aller Regel erwerbstätig und gebar Kin-
der. Sie war auf dem Arbeitsmarkt wesentlich besser integriert als die westdeutsche
Frau. Deshalb erinnern die Mütter in der Zeit der DDR an die französischen Mütter
von heute – beide realisieren zu einem vergleichbaren Maße Familie und Beruf.
In der Bundesrepublik Deutschland stand die Wirtschaftsordnung seit 1949 unter den
Geschicken Ludwig Erhards (CDU). Das von seiner Regierung verfolgte Konzept der
sozialen Marktwirtschaft, welches die neue Wirtschafts- und Sozialpolitik bestimmte,
ergänzte die Wirksamkeit der Gesetze des freien Marktes im Bereich der Produktion
durch soziale Interventionen des Staates (vgl. Ritter 1991: 162). Familienpolitisch
knüpfte die Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an das männliche Ernäh-
rer-Modell an. Der Lohn des Mannes sollte für die Bedürfnisse der Kleinfamilie mit
Ehefrau und etwa zwei Kindern ausreichen. Das Bundesministerium für Familie
wurde 1953 gegründet und erstmals gab es seit 1954 ab dem dritten Kind mit einer
direkten monetären Transferleistung Kindergeld.
Der deutsche Sozialstaat 73
Erst um 1960 setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass der sogenannte absolute
Familienlohn mit dem sich etablierenden Leistungslohn der sozialen Marktwirtschaft
nicht aufrecht zu erhalten war. Der Anteil der westdeutschen Frauen in Erwerbsarbeit
und Bildungsinstitutionen stieg. Auf dem Arbeitsmarkt waren 1970 etwa 46% der
Frauen aktiv. Diese Zahl steigt bis 2009 auf 69% (vgl. BMSFJ 2012: 86). Gleichzei-
tig sank seit den 1960er Jahren die Geburtenrate. Das von Adenauer überlieferte Zitat
„Kinder bekommen die Leute immer“ verlor seine Wirksamkeit durch das Aufkom-
men der Anti-Babypille, die nun den Frauen gestattete, wesentlich effektiver selbst
zu bestimmen, ob sie Kinder bekommen oder nicht. Erst 1961 wurde das Kindergeld
ab dem zweiten Kind, und schließlich 1975 ab dem ersten Kind gewährt. Der einset-
zende demographische Wandel verschärfte sich jedoch weiter:
Dadurch, daß die Geburtenraten sanken und bald die Zahl der Geburten diejenige der
Sterbefälle nicht einmal mehr ausgleichen konnte, begann die eigentliche Basis des
„Generationenvertrages“ zu bröckeln, woran auch die familienpolitischen Verbesse-
rungen (Kindergeld ab dem ersten Kind, Erhöhung des Kindergeldes, Einführung ei-
nes Mutterschaftsgeldes) jener Jahre nichts zu ändern vermochten. Das bedrohte das
System der Alterssicherung, wie es 1957 etabliert und 1972 noch erheblich ausge-
baut worden war. (Metzler 2003: 190)
Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde ein zwingendes Thema in der gesell-
schaftlichen Wirklichkeit. Nach Inkrafttreten des Allgemeinen Teils des Sozialge-
setzbuches 1975 wurde das Recht auf Bildung und Arbeitsförderung, auf Sozialversi-
cherung, auf soziale Entschädigung bei Gesundheitsschäden, auf Minderung des
Familienaufwands, auf Zuschuss für eine angemessene Wohnung, auf Jugend- und
Sozialhilfe sowie auf Eingliederung im Fall von Behinderung gewährt (vgl. Ritter
1991: 162). Vor allem in den Großstädten begannen Eltern vermehrt die Betreuung
ihrer Kinder privat zu organisieren. Krabbelstuben und Kinderläden entstanden. Die
Regierung führte dann 1986 das Erziehungsgeld während der Erziehungszeit ein. Die
Diskrepanz der sozialpolitischen Maßnahmen führte 1990 zu einer Intervention des
Bundesverfassungsgerichts: es forderte eine Neuregelung des Familienlastenaus-
gleichs. Obwohl das Kindergeld für das erste und zweite Kind sowie der Kinderfrei-
betrag angehoben wurden, erhielten alle Familien ungeachtet ihrer sozialen Lage in
gleicher Höhe Transferleistungen. Gleichzeitig wurden Kindererziehungszeiten von
74 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
zu Hause gebliebenen Müttern für jedes nach 1992 geborene Kind mit 36 Monaten in
der gesetzlichen Rentenversicherung honoriert (vgl. Ehmann 1999: 15).
Nach dem Beitritt der neuen Bundesländer in die Bundesrepublik Deutschland wurde
die soziale Marktwirtschaft gesamtdeutsche Ordnung. Der Ausbau der Hinterbliebe-
nenrente deutete auf die Hausfrauenehe als sozialpolitisches Leitbild hin (vgl. Metz-
ler 2003: 198). Der Einbruch der Beschäftigung in Ostdeutschland nach der Wieder-
vereinigung führte zu sinkenden Geburtenraten: von gut 1,7 Kindern pro Frau in den
1980er Jahren auf einen Tiefstand von 0,77 Kindern pro Frau 1993/1994 (vgl.
Destatis 2012b: 14f). In den Jahren zwischen 1990 bis 2013 rangierte die Geburten-
ziffer des früheren Bundesgebiets zwischen 1,34 und 1,45 (vgl. Destatis). Das west-
deutsche Familienbild wurde nun auch von Frauen in Ostdeutschland übernommen.
Das Stigma der sogenannten Rabenmutter, die eine „schlechte“ Mutter ist, weil sie
ihr Kind fremdbetreuen lässt, aktualisiert sich immer noch. Beispielhaft hierfür ist
das 2012 eingeführte Betreuungsgeld, das an Familien gezahlt wurde, die ihre Kinder
nicht in öffentliche Betreuung geben. Im Jahr 2014 betrug es 150€ im Monat, wurde
aber im Juli 2015 für verfassungswidrig erklärt. Außerdem erhalten Familien zurzeit
(2016) bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres ein Kindergeld von jeweils 190€ für
die ersten beiden Kinder, 196€ für das Dritte und 221€ für die folgenden.
Das Kindergeld wird seit 2007 durch ein Elterngeld ergänzt. Es löst das von 1986 bis
2006 existierende Erziehungsgeld ab, das einen 24monatigen Bezug vorsah und etwa
bei 300€ lag. Das Elterngeld jedoch kann bis zu einer Höchstgrenze von 14 Monaten
bezogen werden und beträgt etwa zwei Drittel des vorherigen Nettoeinkommens des
Antragstellenden (mindestens 300€ monatlich, höchstens 1800€). Es bietet daher
mehr Anreize, Frauen wieder früher in den Beruf zu überführen. Frauenpolitisch
76 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
Sie erhalten ElterngeldPlus in maximal halber Höhe des Elterngeldes, das dem El-
ternteil ohne Einkommen nach der Geburt zustünde, dafür aber doppelt so lange.
[…] Teilen sich Vater und Mutter die Betreuung ihres Kindes und arbeiten parallel
für vier Monate zwischen 25 und 30 Wochenstunden, erhalten sie zudem einen Part-
nerschaftsbonus in Form von jeweils vier zusätzlichen ElterngeldPlus-Monaten. (vgl.
BMFSFJ)
Es kann daher als ein Anreiz verstanden werden, beide Partner in den Erziehungspro-
zess einzubinden.
26
Als Niedriglohnempfänger_innen gelten diejenigen Arbeitnehmer_innen, deren Bruttostunden-
verdienst zwei Drittel oder weniger des nationalen Medianverdienstes beträgt.
Der deutsche Sozialstaat 77
gen Müttern in Paarfamilien lebten 19% überwiegend von den Einkünften ihrer An-
gehörigen (Destatis 2012c: 41). Strukturell schafft der deutsche Sozialstaat daher
immer noch die Voraussetzungen hierarchisierter Beziehungsverhältnisse, in denen
Frauen aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt werden.
Der Wohlstand, der über reproduktive Tätigkeiten in Familien geleistet wird, findet
daher immer noch keine Anerkennung neben der Güter produzierenden Wirtschaft.
Angesichts der Geschlechtsblindheit, die die Politiken des sich etablierenden Zwei-
Verdiener-Modells begleitet, muss meines Erachtens das Gesetz zum Ehegattenun-
terhalt nach Scheidungen von 2008, §1568 DGB kritisch betrachtet werden. Es be-
freit die Ehepartner und -partnerinnen nach einer Trennung frühzeitig von gegensei-
tigen Unterhaltszahlungen. Insofern geht das Gesetz davon aus, dass jede Person ihre
Existenz eigenständig sicher kann – ohne zu beachten, ob in den Partnerschaften
unbezahlte Care-Arbeit geleistet wurde. Unter dem Deckmantel der Geschlechter-
neutralität blendet es jene Nachteile von Frauen aus, die aus der geschlechtsspezifi-
schen Arbeitsteilung resultieren. Zu denken geben in diesem Sinne die verminderten
Chancen bei der Wiedereingliederung in einen Arbeitsmarkt nach eventuell jahrelan-
gen Ausfallzeiten, die Qualifikationsdefizite und das höhere Alter: „Nach einer kin-
derbedingten Erwerbsunterbrechung gestaltet sich für viele Frauen in Deutschland
der Wiedereinstieg schwierig. Er gelingt oft nur über eine Teilzeitstelle oder eine
geringfügige Beschäftigung unterhalb des eigentlichen (Aus)bildungsniveaus.“ (Luci
2011: 8) Im Jahr 2014 waren rund 39% der alleinerziehenden Mütter auf Transfer-
leistungen wie Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe zur Finanzierung ihres Lebensun-
78 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
terhalts angewiesen (vgl. Lenze 2014: 8, s. auch Destatis 2010: 24). Die mit der
Gesetzesänderung eingeleitete Wende im Leben vieler Frauen, vor allem alleinerzie-
hender, wird trotz dieser alarmierenden Zahlen erstaunlich wenig diskutiert. Es bleibt
zu bezweifeln, ob die Neuregelung des Unterhaltsrechts von März 2013, welche die
Verhältnismäßigkeit ausbleibender Unterhaltsverpflichtungen von sogenannten
Altehen überprüft, diese Entwicklung auffangen kann.
Auf der anderen Seite ist das Bekenntnis zur Nation und die Sorge um ihre Zukunft
ein Grundpfeiler konservativen Denkens. Aus dieser Sicht wird der Geburtenrück-
gang als Problem wahrgenommen, weil er die quantitative Größe Deutschlands be-
droht, unseren Einfluss verringert und Deutschland in der internationalen Konkur-
renz an Boden verlieren lässt. (Beck-Gernsheim 2007: 858)
Die Wiedereingliederung von Frauen in den Beruf folgt einer Wirtschaftslogik, wel-
che mit der Förderung unbezahlter Heimarbeit kollidiert. Vor diesem Hintergrund
bekommen junge Frauen seltener Kinder.
einen Betreuungsplatz für ihr Kleinkind. Die Betreuungsquote der unter Dreijährigen
lag 2015 in den ostdeutschen Bundesländern bei 51,9%, in den westdeutschen Bun-
desländern bei 28,2% – bei einer bundesweiten Quote von 32,9% (vgl. Destatis). Im
internationalen Vergleich wird deutlich, dass 2008 sämtliche Länder mit einer Kin-
derbetreuungsrate von unter 20% sehr niedrige Geburtenraten hatten (BMSFSJ 2011:
12).
Im Prozess des Ausbaus von Betreuungsplätzen ist eine wachsende Bedeutung der
Kindertagespflege für die Betreuung der Kleinkinder in Deutschland zu erwarten:
„Diese Veränderung des gesellschaftlichen Kontextes üben einen erheblichen Druck
aus auf den Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung, bei dem ein weiterentwickel-
tes System ‚Tagespflege‘ insbesondere für die unter Dreijährigen ein wichtiger Bau-
stein wird.“ (Jurczyk/Rauschenbach/Tietze 2004: 49) Das Tagesbetreuungsausbauge-
setz hat bewirkt, dass der Beruf von Tageseltern sich langsam als Ergänzung zu den
Krippen professionalisiert. Nach dem Aktionsprogramm Kindertagespflege (Kinder-
fördergesetz KiföG) sollen rund ein Drittel der Kleinkinder über Tageseltern versorgt
werden, um die anvisierte Betreuungsquote von 35% zu erreichen. Laut dem Statisti-
schen Bundesamt hat sich die Zahl von 2007 auf 2012 bereits um 31% erhöht, näm-
lich von 33 100 Personen auf 43 400 (Destatis 2012: 28). Im Jahr 2015 waren von den
betreuten unter Dreijährigen in Westdeutschland 15% in Kindertagespflege, 84% in
einer Kindertageseinrichtung (Destatis 2016: 7). Von Eltern wird die Kindertages-
pflege besonders für junge Kinder als geeignete Betreuungsform bewertet (vgl. Rie-
del & Heitkötter 2014: 798).
Auch die Anstellung eines Au-pair-Mädchens oder –Jungens vor allem in Zwei-
Verdiener-Haushalten stößt zunehmend auf Nachfrage (vgl. Glaeser 2014c; Glae-
ser & Kupczyk 2015, Hess 2002, 2009). Diese kamen 2012 zu größten Teilen aus
Ländern östlich von Deutschland: etwa 15% aus Georgien, 15% aus der Ukraine,
13% aus Russland, 7% aus China; lediglich 2% kamen beispielsweise aus den USA
(vgl. Konjunkturumfrage 2012: 7).
Der deutsche Sozialstaat 81
Die Kindertagespflege in Deutschland wird 2005 mit dem Inkrafttreten des Tagesbe-
treuungsausbaugesetzes (TAG) in die öffentlichen Kindertagesbetreuungsformen
eingegliedert. Mit der Novellierung des Achten Sozialgesetzbuchs der Kinder- und
Jugendhilfe (SGB VII) wird die Gleichstellung mit institutionellen Betreuungsange-
boten formuliert (vgl. BMFSFJ). Die Betreuung von Kleinkindern durch „Kinder-
frauen“ war vor dieser Gesetzesänderung überwiegend eine private Angelegenheit.
„Kinderfrauen“ wurden meist unter der Hand beschäftigt und Eltern mussten sich
diese Betreuung leisten können, gehörten also eher den gehobenen Schichten an (vgl.
van Santen 2006). Vor allem migrantische oder erwerbslose Frauen, die einen Zuver-
dienst zum Familieneinkommen erwirtschaften wollten, boten ihre Arbeitskraft auf
dem unregulierten Markt an.
Die Tätigkeit als Kindertagespflegeperson in Deutschland führt auch bei einem ho-
hen Arbeitspensum nicht zu einer Existenzsicherung (vgl. Sell & Kukula 2012).
sätzlichen finanziellen Belastung sind hier keine Seltenheit. (Schoyerer & Weimann-
Sandig 2015: 4)
Der gewährte Stundensatz variiert erheblich zwischen den Bundesländern und liegt
für eine Tagespflegeperson mit mindestens einer 160-Stunden-Qualifizierung im
bundesweiten, gewichteten Durchschnitt bei 3,55€ je Kind im U3-Bereich und bei
3,50€ je Stunde und Kind für eine Betreuung eines Kindes über drei Jahren. (Ibus
2011: 4)
Diese Zahlen müssen jedoch mit Vorsicht betrachtet werden, da eine gründliche und
aussagekräftige Ermittlung des Verdienstes aufgrund der Unübersichtlichkeit und
nicht konstanter monatlicher Einnahmen bisher nicht möglich war. Neben dem
unbezifferbaren Verdienst der Kindertagespflegepersonen sind auch die Kosten, die
auf Eltern zukommen, die ihre Kinder in Tagespflege geben, nicht festgelegt. Es gibt
keine allgemein verbindlichen und festen Gebührensätze.
Prinzipiell wäre eine Beschäftigung von Tageseltern auf Basis eines Minijobs mög-
lich, dann darf die Person aber lediglich 450€ im Monat verdienen, ohne dass Abga-
ben oder Steuern anfallen – allerdings setzt die Beschäftigung als Tagesmutter über
einen Minijob die Eingliederung in den Haushalt der Eltern voraus (vgl. Minijob-
Zentrale). Dieses Beschäftigungsmodell findet kaum Anwendung, da Tagesmütter
überwiegend im eigenen Haushalt tätig sind. Eine abhängige Beschäftigung wird
daher nicht erfüllt.
Gabriel Schoyerer und Nina Weimann-Sandig haben in einer der jüngsten Studien im
Rahmen des Aktionsprogramms Kindertagespflege Tagespflegepersonen in Ausbil-
dung zu Erzieher_innen beziehungsweise zu sozialpädagogischen Fachkräften be-
gleitend untersucht:
Deutlich wurde im Rahmen unseres Samples, dass die Kindertagespflege eine gute
Möglichkeit für Quereinsteigende in das Feld der Kindertagesbetreuung darstellt.
Aufgrund der niedrigschwelligen Zugangsbedingungen war es den von uns inter-
viewten Tagespflegepersonen möglich, trotz fehlender einschlägiger ausbildungsbe-
zogener Vorkenntnisse, ihren Wunsch nach einer Arbeit mit Kindern zu erfüllen.
Dieser niedrigschwellige Einstieg in die Grundqualifizierung zeichnet die Kinderta-
gespflege zweifelsfrei als einen Zugangsweg aus. (Schoyerer & Weimann-Sandig
2015: 84)
In den Kinder- und Jugendhilfestatistiken des Tagespflegebereichs, der erst seit 2006
erfasst wird, fehlen Angaben zum Migrationshintergrund der Kindertagespflegeper-
sonen gänzlich. Sie werden bisher in Politik und Forschung ausgeblendet. Dabei sind
Der deutsche Sozialstaat 85
27
Siehe auch den Sammelband von Barbara Ehrenreich und Arlie Russel Hochschild (2003):
Global Woman. Nannies, maids, and sex workers in the new economy.
86 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
Anfang des 19. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung in Frankreich stark, musste
jedoch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Fertilitätsdefizit verzeichnen.
La population française est passée de 36,9 million d’âmes, en 1876, à 39,6 millions
seulement en 1911. Un ralentissement de la croissance démographique qui a fait ré-
trograder la France à la cinquième place, alors qu’elle avait été la nation la plus peu-
plée d’Europe jusqu’au début du XIXe siècle. (Daguerre 2010 : 68)
verhindern. Da überdies die Sterblichkeit niedriger war als früher, schien es weniger
notwendig als früher, viele Kinder zu haben. (Armengaud 1986: 148)
Durch den Geburtenrückgang in Folge der Kontrazeption fehlten dem Land die
„schaffenden Hände“, die der industrielle Apparat benötigte. In Deutschland wurde
das Fertilitätsproblem hingegen erst Anfang des 20. Jahrhunderts akut.
Die Französische Republik als Staat hat durch die Französische Revolution 1789 zur
Abschaffung des feudalistischen Ständestaats geführt und damit zur Enteignung des
Grundbesitzes des Adels. Die Umbrüche sowohl der Revolution als auch der nach-
folgende Bonapartismus stärkten das Bürgertum. Bonaparte führte 1804 das französi-
sche Gesetzbuch zum Zivilrecht, den Code Civil, ein. Er garantierte darin männli-
chen Bürgern unter anderem Schutz des Privateigentums und die Trennung von Staat
und Kirche. 28 Die Leibeigenschaft der Bauern in Frankreich wurde bereits 1789
aufgehoben. In den deutschen Staaten gelang dies erst nach den Märzrevolutionen
von 1848, teilweise auch erst später. Die Abschaffung der Feudalordnung, die Er-
leichterung der Steuerlast und der Anstieg der landwirtschaftlichen Einkommen
gestattete den Bauern ein wirtschaftliches Arbeiten auf den Höfen. Dadurch bestand
ein geringerer Druck zur Mechanisierung der Landwirtschaft – trotz des seit 1793
geltenden gleichen Rechts auf die Teilung der Güter an alle männlichen Nachfahren.
28
Die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges reagierte 1791 auf die Deklaration der Menschenrechte
in Frankreich mit einer „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ (vgl. De Gouges
1791: 19). Die gesetzliche Anerkennung der Forderungen De Gouges nach Gleichstellung erfüll-
te der französische Staat allerdings erst 1944 mit dem allgemeinen Wahlrecht und immerhin
brauchte es bis 1965, damit die gesetzliche Gleichstellung von Frauen und Männern in Fragen
der Vormundschaft und elterlicher Autorität umgesetzt wurden (vgl. Bpb. 2004: 26). Eine Aus-
nahme bildete die Pariser Kommune 1871, welche während ihrer dreimonatigen revolutionären
Pariser Stadtratszeit das Frauenwahlrecht einführte. In Deutschland wurde das Frauenwahlrecht
1919 eingeführt.
88 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
Die Revolution von 1789 nahm der Aristokratie und dem Klerus die Quelle ihres
Reichtums: den Grundbesitz. Dadurch gelang es dem Bürgertum, sich im großen Stil
Grundbesitz anzueignen. Im Département Nord stieg zum Beispiel der bürgerliche
Grundbesitz im Jahr 1802 von 16% auf über 28% und der der Bauern von 30% auf
42% (vgl. Soboul 1986: 61). Insgesamt belief sich der Grundbesitz der Bauernschaft
auf 52% der Nationalgüter. Auch wenn sich die ärmeren Bauern nicht durch Aneig-
nung von Eigentum an dem Sturz der Aristokratie bereichern konnten, verteidigten
sie doch über kollektive Besitztümer und Nutzungsrechte ihre wirtschaftliche Bedeu-
tung. Zum Beispiel konnten sie über Einhegung der freien Weiden, die der Dorfge-
meinschaft unterstellt wurden, Land wirtschaftlich nutzen. Der Zugriff und damit die
Aufsplitterung der Böden steigerte die landwirtschaftliche Produktion und verzögerte
dadurch eine Kapitalisierung der Landwirtschaft (vgl. Soboul 1986: 61). Diese ge-
wonnene wirtschaftliche Bedeutung verlieh der französischen Landwirtschaft gegen-
über dem Bürgertum ihre besondere Stellung. Das Bürgertum hingegen verlegte ihre
Investitionstätigkeit auf Bodenerwerb, wodurch es weniger lohnend war, in Industrie
zu investieren:
Man muß den spekulativen Charakter dieser vielen Unternehmen auf dem Gebiet der
Lieferung und Dienstleistungen für den Staat hervorheben. Ihre nur allzuoft skanda-
lös hohen Profite wurden weniger in die Industrie investiert, als vielmehr in Grund-
besitz und repräsentativer Verschwendung angelegt. (Soboul 1986: 58)
Die niedrige Geburtenrate, die Gesetze zu Erbfolge und Besitz und die hohe Beschäf-
tigung von Arbeitskräften machten es möglich, dass Frauen ihre Arbeitskraft länger
als in den europäischen Nachbarstaaten auf dem Lande einsetzten. Hierdurch verzö-
gerte sich die Verstädterung als auch die Vermarktung des Dienstmädchens durch die
moderne Wirtschaft.
Der französische Sozialstaat 89
Von 1860 über den Deutsch-Französischen Krieg (trotz Reparationen an das Deut-
sche Kaiserreich) bis zum Ersten Weltkrieg prosperierte Frankreich wirtschaftlich
und wurde wieder zu einer ernstzunehmenden Größe im Wettbewerb der europäi-
schen Nationen. Während des Imperialismus wurde Frankreich zur zweitgrößten
Kolonialmacht der Welt. Auch die industrielle Entwicklung prosperierte. Bis 1913
wurde sie die viergrößte Industrienation mit 7% der Weltproduktion (vgl. Daguerre
2010: 70). Die Nachfrage an Industriearbeitenden stieg, aber auch die an Dienstbo-
tinnen. Die bonne à tout faire (dt. ‚Dienstmädchen für alles‘) nahm jetzt eine bedeu-
tende Stelle für das weibliche Proletariat ein: „[…] 29% des femmes actives en 1866,
33% en 1896, 45% des femmes travaillant à Paris en 1901.“ (Fraisse 2009: 27)
Mit dem 1906 beschlossenen Sonntagsruhegesetz und der 1910 durchgesetzten Ver-
sicherung für Alter und Invalidität richtete sich das Interesse auf eine mehr an der
Gemeinschaft orientieren Sozialpolitik. Die Altersrenten wurden für Arbeiter und
Bauern (Retraites ouvrières et paysannes) eingeführt. Landarbeiter und –wirte,
Handwerksmeister und Kleinhändler wurden in die Regelungen einbezogen (vgl.
Haupt 1996: 307). In Deutschland hingegen hatte die 1889 eingeführte Arbeiter-
pflichtversicherung den Industriearbeiter als Hauptverdiener einer Familie im Auge.
In Frankreich wurde den Versicherten im Namen der Gleichheit aller Bürger vor dem
Gesetz mit dem 65sten Lebensjahr (1912 dann schon ab dem 60sten) eine Rente
gewährt (Kott 1996: 317). Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stand das Versiche-
rungswesen in Frankreich unter dem mutualisme, einem ‚Genossenschaftswesen‘, in
dem die französischen Bürgerinnen und Bürger freiwillig versichert waren. Damit
verpflichten sich die sozialpolitischen Anfänge einer Idee der Solidarität ohne
Zwang. Während die deutsche Krankenversicherung 1914 etwa 15 Millionen Mit-
glieder hatte, waren in den Registern der französischen Gemeindefürsorge (assistan-
ce communale) lediglich zwei Millionen Empfänger eingetragen (Kott 1996: 328).
Die sozialpolitischen Interventionen der staatlichen Instanzen in Frankreich galten
stärker dem Arbeitsschutz und der Armenversorgung als dem Aufbau eines Versiche-
rungssystems (vgl. Haupt 1995: 171).
Die Schulgesetzgebung ist ihrem Wesen nach republikanische Sozialpolitik, weil sie
die Integration eines jeden Bürgers in die Nation zum Ziele hat. Sie erlaubt es ihm,
die intellektuelle Unabhängigkeit zu erlangen, die die Voraussetzung der Staatsbür-
gerschaft darstellt. Sie ist es auch ihrer Form nach, weil sie einen allein dem Staat als
Ausdruck des gemeinschaftlichen Willens vorbehaltenen Zwang einführt. Schließ-
lich ist sie es ihrem Prinzip nach, weil sie als allgemein zugängliche Institution die
soziale Umverteilung fördert. (Kott 1996: 324)
Der französische Sozialstaat 91
Die Einlösung der bürgerlichen Rechte und Pflichten der Staatsbürgerinnen und
Staatsbürger sollten die Einheit der Nation und damit den contrat social wirksam
etablieren. Innerhalb staatlicher Fürsorge sollten sie befähigt werden, ihre Rechte und
Pflichten wahrzunehmen. Deshalb auch die allgemeine Schulpflicht als gleiches
Recht, aber auch als Pflicht, für alle zugleich.
In den Folgejahren baute die Französische Republik den Sozialstaat weiter aus und
betrieb eine aktive Sozialpolitik, die weiterhin vor allem in der Familienpolitik ihren
Ausdruck fand. Ihre Durchsetzungskraft zeigt sich beispielsweise darin, dass wichti-
ge Versorgungsträger wie die Electricité de France, die Bahngesellschaft SNCF, La
Poste oder France Télécom bis heute staatlich geblieben sind.
Migrations-Politiken
Die ersten Einflüsse von Migration auf den französischen So-
zialstaat
Seit 1889 kann jedes in Frankreich geborene Kind, das ausländische Eltern hat, mit
Erreichen der Volljährigkeit automatisch die französische Staatsbürgerschaft anneh-
men. Bei diesem Geburtsortsprinzip (ius soli), welches unabhängig von der Staatan-
gehörigkeit der Eltern gilt, ist der Ort der Geburt für die Vergabe der französischen
Staatsbürgerschaft bindend, nicht die biologische Abstammung. Hierin lag ein ent-
scheidender Unterschied zu Deutschland, wo sich die Vergabe der deutschen Staats-
bürgerschaft zunächst nach dem Abstammungsprinzip (ius sanguinis) richtete. Das
92 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
Verständnis von Staatsbürgerschaft in Frankreich ist bis heute ein anderes als in
Deutschland:
Neben mehreren Konflikten und Krisen während der Dritten Republik (1871-1940)
(Panamaskandal, Dreyfus-Affäre, Faschoda-Krise, Marokkokrise) stand Frankreich
nach Ende des Ersten Weltkriegs vor verheerenderen Bevölkerungsverlusten. Es
rekrutierte fremde Arbeiter_innen aus Italien, Belgien, Spanien und Polen, um den
Mangel an Arbeitskräften aufzufangen.
Die beiden Gesetze Loi Pasqua (benannt nach dem derzeitigen Innenminister Charles
Pasqua) von 1986 und 1993 setzten die Politik der Europäischen Gemeinschaft um:
das Schengen-Abkommen über die Freizügigkeit in der EU und die Drittstaatenrege-
lung zur Einschränkung des Asylrechts. Nicht-EU-Bürger_innen ohne Aufenthalts-
genehmigung dürfen sich bis heute nicht länger als drei Monate auf französischem
Boden aufhalten und müssen finanzielle Sicherheiten nachweisen. Außerdem wurde
94 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
Il est interdit de collecter ou de traiter des données à caractère personnel qui font ap-
paraître, directement ou indirectement, les origines raciales ou ethniques, les opi-
nions politiques, philosophiques ou religieuses ou l'appartenance syndicale des per-
sonnes, ou qui sont relatives à la santé ou à la vie sexuelle de celles-ci. (vgl.
Legifrance: Loi n° 78-17, s. auch Meron 2009)
Unter dem Innenminister und späteren Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy (von 2007-
2012) wurde 2003 ein Gesetz (das Loi Sarkozy II) verabschiedet, das Einwanderung
stark beschränkt:
Die Migrationspolitik wurde daher bedeutend restriktiver. Die Aufnahme von Mig-
rant_innen und die Vergabe von Aufenthaltstiteln wurden an private Erbringungs-
pflichten und neue Sprachanforderungen geknüpft.
Mit dem Code de l’Entrée et du Séjour des Etrangers et du Droit d’Asile (CESEDA)
von 2006 wurde die „Eingliederung“ der migrantischen Bevölkerung in die französi-
sche Gesellschaft zu einer Bedingung: „Die Anpassung an die französische Gesell-
Der französische Sozialstaat 95
Der immigration choisie, die sich nach Menschen orientierte, die für die ökonomi-
sche Situation Frankreichs hilfreich sind, wurde einer immigration subie gegenüber-
gestellt: „Als solch ,erlittene, ertragene‘ Einwanderung werden dabei Asyl, Fami-
liennachzug und irreguläre Migration definiert.“ (Ludwig 2008: 61) Ausdruck hierfür
ist, dass Asyl-Fragen nun von der Einwanderungsbehörde bearbeitet wurden. Die
Zahl der Abschiebungen erhöhte sich drastisch und 2006 wurden nur noch 20% der
Asylanträge positiv beantwortet (vgl. Daguerre 2010: 81). Die Übertragung der Asyl-
Begehren unter das Dach der Einwanderungsbehörde dürfte den Einfluss gestärkt
haben, allgemeine Einwanderungsbemühungen zu schwächen und gezielte Immigra-
tionspolitik mit einer langfristig orientierten Integrationspolitik zu verbinden. Die
Rekrutierung von Migrant_innen im Bereich des Pflege- und Gesundheitssektors
spielte in diesem Zusammenhang eine immer größere Rolle, denn der schnelle Zu-
gang zu personenbezogenen Dienstleistungen wurde erleichtert (vgl. Cognet
2010: 123; Merckling 2002).
Wie bereits für die Entstehungszeit des französischen Sozialstaats skizziert, entstan-
den die sozialpolitischen Regelungen, die die Gemeinschaft betreffen, erst aus ihnen
vorangehenden Fürsorgegesetzen. Diese beruhten auf einem Geburtenrückgang in
96 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Familienpolitik Frankreichs gilt als eine
der ältesten Europas (vgl. Martin 2010: 31).
Das Verbot von Abtreibung und Verhütung schränkte die Freiheitsrechte von Frauen
massiv ein.29 Gleichzeitig wurde mit den Maßnahmen der Grundstein für staatliche
Familienpolitik gelegt, die Kinder in Anbetracht des demografischen Wandels als
bien public und source de capital humain begreift (Martin 2010: 32f). Kurzum: “The
legitimacy of state action in this domain is not questioned.” (Fagnani & Letablier
2005: 135)
Angesichts des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges und der schlechten kriegsbeding-
ten Ernährung schnellte die Kindersterberate in die Höhe. Das Vichy-Regime (1940-
29
Das Recht auf Verhütung wird Frauen erst 1967 (Loi Neuwirth) zugesprochen, das zur Abtrei-
bung 1975 (Loi Veil).
Der französische Sozialstaat 97
1944) und in ihrer Folge die Vierte Französische Republik (1946-1958) reagierten
abermals mit Verstärkung familienpolitischer Maßnahmen. Neben der Einrichtung
des Institut national d’études démographiques wurde 1945 der Quotient familial
eingeführt. Dieses Familiensplittingsystem entlastet kinderreiche Familien steuerlich,
unabhängig vom Trauschein. Der Familienquotient, der bei einem Faktor von 0,5 –
1,0 pro Person liegt, wird mit der Anzahl der Familienmitglieder verrechnet, wo-
durch sich der Beitrag in der Einkommenssteuer reduziert. 30 Außerdem führte der
Gesundheitsminister Billoux 1945 die Protection maternelle et infantile ein. Er si-
cherte damit die Kleinkindbetreuung nach institutionellen Regeln ab und überführte
sie in eine medizinisch-soziale Kontrolle durch den Staat:
Elle instaurait, entre autres, le certificat de mariage, mais aussi une réorganisation
des services de prévention, prévoyant outre celle du médecin inspecteur,
l’intervention d’une assistante sociale appelée à s’insérer dans le tissu social par des
visites à domicile. Ce texte sera repris dans ses grandes lignes par l‘Ordonnance du 2
novembre 1945 organisant la Protection maternelle et infantile qui prévoyait une
surveillance médicale et sociale généralisée. C’est dans ce cadre qu’est prévue une
surveillance des enfants placés hors de leur domicile familial, ainsi que des institu-
tions ou personnes chargées de les accueillir. (Mozère 1999: 55)
Das Gesetz schuf daher eine Grundlage für das französische Sozialsystem und die
Betreuung von Kindern auch außerhalb der eigenen Familie und bezog jene ein, die
die Sorgearbeit erbringen. Sozialarbeiter_innen (assistantes sociales) erhielten eine
kontrollierende Funktion. Damit wurden die Grundlagen des sich entwickelnden
Tätigkeitsbereichs der Kindertagespflege gelegt.
30
Rechenbeispiel zum gegenwärtigen Familienquotienten: Bei einem Einkommen von 40 000€
(Person A) plus einem Einkommen von 20 000€ (Person B) eines Paares mit zwei Kindern wird
durch den Quotienten 3,0 geteilt (jeweils 1,0 pro Elternteil, jeweils 0,5 pro Kind). Die Einkom-
menssteuer wird in diesem Beispiel daher lediglich auf 20 000€ angerechnet. Stößt ein drittes
Kind hinzu, wird die Berechnung des Steuerbetrags um den Quotienten 1,0 erhöht. Alleinerzie-
hende bekommen einen zusätzlichen Quotienten von 0,5.
98 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
Die Frauenerwerbsquote in ganz Europa stieg ab den 1960er Jahren, der demografi-
sche Wandel setzte ein und das Aufkommen der Antibabypille etwa seit 1960 verur-
sachte den sogenannten Pillenknick, wodurch weniger Kinder geboren wurden:
Depuis que les femmes maîtrisent leur fécondité, on assiste à quatre phénomènes qui
touchent tous les pays développés : un déclin de la fertilité, une hausse de l’âge
moyen de la maternité, une augmentation des femmes sur le marché du travail et la
diversification des modes de vie féminins, avec l’apparition, dans un nombre crois-
sant de pays, du modèle du couple ou de la célibataire sans enfant. (Badinter
2010: 26-27)
Während des Mutterschutzes können Mütter seit 1946 bis zu 14 Wochen und seit
1980 bis zu 16 Wochen 100% des vorherigen Gehalts beziehen. Danach endet der
Bezug und viele Mütter, die eine geregelte Beschäftigung haben, nehmen ihre Er-
werbstätigkeit wieder auf. Deshalb werden Kinder meist im Alter von drei bis sechs
Monaten in Betreuung gegeben.
Die Allocation parentale d’éducation (APE) von 1985 (seit 2004 Complément du
libre choix d‘acitivté) erhielten Mütter ab dem dritten Kind (später schon ab dem
zweiten), wenn sie ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, um sich um ihr Kind unter
drei Jahren zu kümmern. Es lag zwischen 276€ und höchstens 552€ im Monat (vgl.
APE). Einer Studie von Thomas Piketty zufolge ist darauf die Erwerbsquote von
Der französische Sozialstaat 99
Müttern mit zwei Kindern in drei Jahren von 70% auf 55% gesunken (vgl. Piketty
2005). Die Leistung war vor allem für einkommensschwache Mütter attraktiv, jedoch
wird die Wiedereingliederung in den Beruf durch die längeren Elternzeiten erschwert
(vgl. Bloch & Buisson 2003; Fagnani 1996). Insofern hat dieses Gesetz die Arbeits-
marktpartizipation von Müttern verringert.
Die unter anderem über das Familiensplitting geschaffene Verteilung der Steuerlast,
die nach Leistungsgerechtigkeit orientiert ist, wurde seit den 1970er Jahren durch
einen massiven Ausbau institutioneller Betreuungsmöglichkeiten ergänzt. Krippen,
Tagesmütterdienste (crèche familale) und Ganztagschulen wurden geschaffen. Zu-
dem wurden Tagesmütter ausgebildet, die Kleinkinder in ihrem eigenen Haushalt
betreuen. Eltern, die ihre Kleinkinder in Betreuung geben, erhalten Subventionen und
Steuererleichterungen (s. u.). Der Großteil der Kinder ab drei Jahren ist in (laizisti-
schen) kostenlosen Ganztagsschulen, den Écoles maternelles, untergebracht, die es
schon seit 1881 gibt. Am traditionellen schulfreien Mittwochnachmittag, während
der Schulferien oder an Randstunden außerhalb der regulären Versorgung kann der
Service Périscolaire oder die Services extrascolaires in Anspruch genommen wer-
den. Mit den verschiedenen Angeboten sollen die Familien frei wählen können.
100 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
In Frankreich wurden 2005 von den 3,78% des BIP 1,39% für Geldleistungen, 1,62%
für Sachleistungen und 0,77% für Steuervergünstigungen ausgegeben (vgl. BFSFJ
2010: 40). Da in dieser Berechnung allerdings nicht alle Leistungen enthalten sind,
die zu den Familienpolitiken Frankreichs beitragen, werden die realen Ausgaben
(ungeachtet der École maternelle) 2003 bei 5% des BIP verortet (vgl. Abouy & Roth
2003). Trotz der Ausgaben steigt die Nachfrage erwerbstätiger Mütter an Be-
treuungsplätzen kontinuierlich (vgl. Delcroix 2007: 97; Mozère 1999; Vanovermeir
2012: 7). Das Familienministerium beschließt 2006 zusätzlich zu den 2002 bis 2008
anvisierten 72 000 Kinderbetreuungsplätzen die Schaffung von 40 000 weiteren Be-
treuungsplätzen für unter Dreijährige. Laut Jeanne Fagnani hatte dieser Ausbau ins-
besondere das Motiv, vor dem Hintergrund drohender Arbeitslosigkeit neue Arbeits-
plätze im sozialen Dienstleistungssektor zu schaffen (vgl. Fagnani 1998).
Seit den 1980er Jahren sind die Arbeitsplätze im Bereich der Tagespflege und Fami-
lienhilfe am stärksten angewachsen (+106%) und werden überwiegend von Migran-
tinnen besetzt: “Immigrant women are over-represented in care services and in paid
domestic work: 23% compared to 12% among the total female working population.”
(vgl. Fagnani & Letablier 2005: 149) Da das Angebot an Kinderbetreuungsplätzen
Der französische Sozialstaat 101
weiterhin wächst, ist nicht von einer Sättigung der Nachfrage an Care-
Dienstleistungen auszugehen.
In Fortsetzung zur APE (s.o.) werden Eltern, die ihre Erwerbstätigkeit aufgeben, um
ihre Kinder selbst zu betreuen, mit der 2004 implementierten PAJE (Prestation
d’accueil du jeune enfant, dt. ‚Kombinierte Leistung für Kleinkinder‘) bezuschusst.
Diese Politik folgt einer Philosophie der „Wahlfreiheit“. Individuelle Persönlichkeits-
rechte werden vermehrt vor die der Familie gestellt. Die ihre Kinder selbst betreuen-
den Eltern erhalten das Complément de libre choix d’acitivité (CLCA) (dt. ‚Zulage
zur freien Wahl der Tätigkeit‘), das bisher höchstens 572€ beträgt. Es handelt sich
dabei um eine Erziehungszeit, in der Erziehungsgeld gezahlt wird. Beim ersten Kind
liegt es für sechs Monate bei 552,11€ inklusive Grundversorgung. Bei Teilzeittätig-
keit bis 50% bei 419,83€ (ohne Grundversorgung 241,88€) und bei Teilzeittätigkeit
von 50-80% bei 317,48€ im Monat (ohne Grundversorgung 139,53€). Eltern mit
mehreren Kindern erhalten es bis zum dritten Geburtstag des jüngsten Kindes. Aller-
dings wird es nur an Eltern gezahlt, die in den zwei Jahren vor Geburt des Kindes
berufstätig waren (in den letzten vier Jahren bei zwei Kindern, in den letzten fünf
Jahren ab dem dritten Kind). Folglich können Eltern, die unregelmäßige Erwerbsbio-
grafien haben, nur eingeschränkt auf diese Leistung zurückgreifen.
Contrée sur l’aide financière aux familles et la promotion du père pourvoyeur, elle
contraint les femmes à choisir entre la famille et le travail dès la naissance du pre-
mier enfant. […] Or, force est de constater que les Allemandes (et les Allemands)
semblent prendre de plus en plus goût au style de vie childless. (Badinter 2010: 166)
Es mag paradox erscheinen, aber Maßnahmen, die die Erziehungstätigkeit der Mütter
über einen längeren Zeitraum begünstigen, fördern den Entschluss vieler Frauen,
102 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
kinderlos zu bleiben. Sie wirken sich negativ auf Lebenschancen aus, die junge Frau-
en über Erwerbstätigkeit gewinnen. In Deutschland liegt die Kinderlosenquote von
Akademikerinnen bei 40%. Das Modell der kontinuierlich vollzeiterwerbstätigen
Mütter wird in Frankreich durch das CLCA unterwandert. Neue Ungleichheiten
zwischen Frauen, die einer Rhetorik der „freien Wahl“ unterliegen, können daraus
resultieren (vgl. Dang & Letablier 2009 : 28). Die Mütter riskieren eine erfolgreiche
Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt (vgl. Luci 2011: 20). Vor allem Eltern mit
geringem Einkommen beenden oder reduzieren nach Bezug des Mutterschaftsgeldes
ihre Erwerbstätigkeit. Bei jungen Müttern mit Migrationshintergrund kann sich die
Leistung nachteilig auf die Sprachfähigkeiten der Kinder und deren Integration in
Gruppen auswirken (vgl. Halwachs 2010: 130). Das CLCA bewirkt aber auch, dass
Eltern mit hohem Einkommen häufiger Teilzeit arbeiten (vgl. Ananian 2010; Marical
2007; Vanovermeir 2012).
Seit 2014 werden mit dem Erziehungsgeld auch zunehmend Väter angesprochen. Die
Umverteilung der Sorge- und Haushaltsarbeiten in Partnerschaften ist eigentlich kein
erklärtes Ziel der französischen Sozialpolitik. Die Familienpolitik basiert auf einem
stark binären Rollenverständnis von Frauen und Männern, wobei Kinderbetreuung
eine affaire des femmes ist (vgl. Bloch & Buisson 1998; Dang & Letablier 2009;
Fagnani 2005, 2012; Halwachs 2010). Seit dem 1. Januar 2002 können Väter bei der
Geburt eines Kindes zwei Wochen bezahlten Vaterschaftsurlaub nehmen. Die im Juli
2014 eingeführte Prestation partagée d’éducation de l’enfant (PréParEe) forciert
immerhin erstmals auf politischer Ebene die Einbeziehung von Männern in die Be-
treuungsarbeit. Der Bezug des Erziehungsgeldes wird beim ersten Kind von sechs
Monate auf zwölf Monate verlängert, wenn der Vater beziehungsweise die Partnerin
die Hälfte übernimmt. Bei mehreren Kindern beziehen Eltern das Erziehungsgeld in
Höhe von bisher höchstens 572€ nur noch bis zum dritten Geburtsjahr des jüngsten
Kindes, wenn der Partner beziehungsweise die Partnerin mindestens sechs Monate
übernimmt – sonst entfällt ein halbes Jahr (vgl. Préparee). Nach der Soziologin Ma-
rie-Thérèse Letablier wird diese Reform jedoch nicht zu wesentlichen Veränderun-
gen führen: „Man verändert nicht den Kern des Problems, also einen finanziellen
Ausgleich für das verloren gegangene Gehalt.“ (vgl. BZ) Für den männlichen Partner
bedeutet diese Leistung aufgrund der zu geringen Höhe des Erziehungsgeldes daher
Der französische Sozialstaat 103
À défaut des pères qui se font toujours tirer l’oreille pour partager équitablement les
tâches parentales et ménagères, c’est l’État qui est jugé coresponsable du bien-être et
de l’éducation de nouveau venu. Aux yeux de tous, il a des devoirs envers la mère et
l’enfant. (Badinter 2010: 202)
Auch wenn sich der Staat der institutionellen Care-Versorgung angenommen hat,
bleibt private Sorgearbeit in Frankreich Frauensache. Hinzu kommt ein starkes Rol-
lenbild als attraktive und begehrenswerte Frau, die sich außerdem im Beruf verwirk-
licht. Die Journalistin Kuchenbecker spitzt die männlichen Privilegien dieser Macho-
Kultur folgendermaßen zu: „Kein Stress mehr der Alleinernährer zu sein, kein Win-
delwechsel-Diktat und immer eine schicke Frau an der Seite.“ (Kuchenbecker
2007: 131) Soll eine Gleichstellung von Mann und Frau erfolgen, ist ein kultureller
Wandel von Nöten, der eine aktivere Rolle des Vaters anerkennt und fordert.
nimmt die Zahl der geborenen Kinder mit steigendem Bildungsniveau der Frauen
eher ab (Destatis 2012b: 32).
Die Verteilung der von den erwerbstätigen Müttern nicht mehr erfüllten Care-Arbeit
wird maßgeblich mit Hilfe des Staates auf andere Frauen verlagert: « Il y a à la fois
plus de femmes qualifiées accédant à des fonctions et professions traditionnellement
masculines, et plus de femmes occupant des postes peu ou pas qualifiés et, pour la
plupart, dans des secteurs très féminisés. » (Maruani 2000: 43) Die Dotierung weibli-
cher Beschäftigung bewegt sich in zwei Richtungen. Ein geschlechtlich diversifizier-
ter und ein stark nach traditionellen weiblichen Rollen ausgerichteter Arbeitsmarkt
entstehen. Zu den stark feminisierten Sektoren zählen haushaltsnahe Dienstleistungen
oder vergleichbare Beschäftigungen mit niedriger Lohnauszahlung.
Il établit des droits et des obligations entre les deux contractants, en terme de soutien
matériel, de logement, de patrimoine, d'impôts et de droits sociaux. Par contre, il est
sans effet sur les règles de filiation et de l'autorité parentale si l'un des contractants
est déjà parent. (Insee 2011)
Aus diesen Gründen unterscheidet er sich lediglich in Fragen der Adoption und El-
ternschaft von der Ehe. Paare können über den PACS zum Beispiel bei einer Fami-
liengründung vertraglich füreinander Verantwortung übernehmen. Im Jahr 2010 sind
hieraus 196 415 gemischtgeschlechtliche und 9 143 gleichgeschlechtliche Lebensge-
meinschaften entstanden (vgl. Insee 2011). Sie wird also überwiegend von Paaren
genutzt, die in gegengeschlechtlichen Verbindungen leben. Mit Einführung der
Mariage pour tous 2013 wird die Ehegemeinschaft aus Gleichstellungsgründen auch
für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet. An dieser Art der Zusammenschlüsse be-
ziehungsweise der Partnerschaften lässt sich ablesen, dass das Institut der Ehe oder
Der französische Sozialstaat 105
der Familie sich gesellschaftlich verändert. Dass 2013 beispielsweise 238 592 Ehen
gegenüber 168 126 PACS geschlossen wurden (vgl. Ined), macht deutlich, dass die
Form partnerschaftlicher Absicherung in einem PACS den gesellschaftlichen Verän-
derungen angepasst ist.
Die Finanzkrise von 2008 stellt den französischen Staat vor große Herausforderun-
gen, da eine steigende Arbeitslosigkeit die Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs in
Frage stellt. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen werden daher Programme
diskutiert, die – ähnlich wie die Agenda 2010 in Deutschland – die Sozialausgaben
reduzieren sollen. Auch in Frankreich geht es um die Implementierung von mehr
eigenverantwortlicher Vorsorge bei den Arbeitnehmenden und um die Reduzierung
der Kosten für Unternehmen. Die angekündigten Maßnahmen betreffen zum Beispiel
die Reduzierung von Steuervorteilen aus dem Familiensplitting. Die Unterstützung
der Familien wird unter der Regierung Manuel Valls ab Juli 2015 für Haushalte mit
Einkommen über 6 000€ im Monat um die Hälfte reduziert. Allerdings sollen der
Familienzugschlag für kinderreiche Familien und die Beihilfe für Alleinerziehende
angehoben, sowie 275 000 neue Betreuungsplätze geschaffen werden (vgl.
Ambassade de France).
Durch die unter der damaligen Arbeitsministerin Martine Aubry 1991 implementierte
Aide de l’emploi d’une assistante maternelle agréée (AFEMA), heute das Complé-
ment de libre choix du mode de garde (CLMG) (dt. ‚Zulage zur freien Wahl der
Betreuungsart‘), wird die Einstellung einer akkreditierten Tagesmutter beziehungs-
weise eines Tagesvaters bezuschusst. Wahlweise können Eltern auch bei der Einstel-
lung einer Betreuungskraft (die keine Lizenz haben muss) im eigenen Haushalt die
Allocation de Garde d’Enfant à Domicile (AGED) beziehen, diese wird aber kaum
genutzt. Die 2004 eingeführte PAJE, die diese Leistungen zusammenfasst, hat außer-
dem maßgeblich dazu beigetragen, dass immer mehr Eltern auf akkreditierte, das
heißt deklarierte Tageseltern zurückgreifen. Das Complément de libre choix du mode
de garde (CLMG) erstattet Eltern, die eine Tagespflegeperson beschäftigen, die zu
entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge, sowie einkommensabhängige Zuschüsse
zum Gehalt der Tagespflegeperson. Einkommensschwache Familien profitieren
davon.
Über den Chèque Emploi Service (CES, später CESU) können Eltern bis zu 50% der
Kosten von der Steuer absetzen, was zu einer Steuerersparnis von bis zu 5 000€ füh-
ren kann. Dies macht die reguläre Beschäftigung einer assistante maternelle für
Eltern sehr attraktiv. Dieser Dienstleistungscheck hat maßgeblich dazu beigetragen,
dass hunderttausende Frauen aller Couleur im Pflege- und Reinigungsbereich unter
das Sozialversicherungsrecht fallen. Während in Frankreich bis 1996 über 280 000
Haushalte sozialversicherungspflichtige Haushaltshilfen im Privathaushalt über den
CES (s. o.) beschäftigten, sind es in Deutschland im Jahr 2000 gerade mal 38 000
Haushalte (vgl. Jaehrling 2004: 634).
Die Kosten für Krippenplätze und für Tagespflege gleichen sich an und belaufen sich
heute auf etwa 300-350€ (vgl. Blanpain 2009: 3; Luci 2011: 17; Veil 2003: 18).
Daher können sich Eltern ohne finanzielle Einbußen für eine der beiden Betreuungs-
formen entscheiden. Die Nutzung formaler Kinderbetreuung ist in Frankreich mit
41% relativ hoch (vgl. Eurostat 2009). Unter den formalen Betreuungsmöglichkeiten
von Kindern unter sechs Jahren in Frankreich werden Tageseltern am häufigsten
Der französische Sozialstaat 107
genutzt. Über die Hälfte der unter Dreijährigen in Frankreich wird über eine Tages-
mutter beziehungsweise einen Tagesvater betreut (vgl. Blanpain & Momic 2007).
Mit geschätzt 944 300 Plätzen 2012 ist ihr Angebot zweieinhalbmal höher als in
Betreuungseinrichtungen (vgl. Borderies 2014: 5). Dies zeigt den Einfluss der von
der Politik gestützten Betreuungsmodi auf erwerbstätige Eltern.
Mit dem Gesetz vom 27. Juni 2005 und dem Dekret vom 29. Mai 2006 wurden wei-
tere Maßnahmen zur Professionalisierung getroffen (vgl. Legifrance: Décret n°2006-
1153). Nach diesen Reformen des Statut des assistantes maternelles erhöhte sich die
zu absolvierende Fortbildung auf 120 Stunden. Sie berührt pädagogische Themen der
Kleinkindbetreuung wie Ernährung, Rhythmus, Zeitgestaltung, Spiele und Pflege und
108 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
wird vom Conseil général bezahlt. Ein Arbeitsvertrag wurde verbindlich, die durch-
schnittliche wöchentliche Arbeitszeit auf 45 Stunden gelegt und ein bezahlter Urlaub
von fünf Wochen festgesetzt. Die Hälfte der Tageseltern gab 2005 jedoch an, mehr
als 45 Stunden die Woche zu arbeiten (vgl. Blanpain & Momic 2007: 6). Sie unter-
liegen der Sozialversicherung und sind damit durch die Kranken-, Renten-, und Ar-
beitslosenversicherung geschützt. Außerdem müssen sie eine Haftpflichtversicherung
abschließen. Das agrément (die ‚Pflegeerlaubnis‘) muss alle fünf Jahre erneuert
werden und begrenzt die Anzahl der möglichen zu betreuenden Tageskinder zunächst
auf drei Kinder, seit 2009 auf vier Kinder. Die Anzahl kann auf bis zu sechs Kinder
erhöht werden, allerdings sollen nicht mehr als drei Kinder gleichzeitig betreut wer-
den. Die Protection maternelle et infantile (PMI) evaluiert jährlich die Tätigkeit der
Tagesmütter. Dabei wird besonders auf die Wohn- und Lebenssituation, Sicherheit,
Erziehung, Gesundheit und Hygiene geachtet (CFAS, aricle L421-1). Außerdem
werden Tagespflegepersonen als auch Eltern durch die Relais d’assistante maternelle
(RAM, dt. ‚Tagesmütterzentren‘), begleitet, beraten und betreut.
Mit der Professionalisierung der assistante maternelle wuchs auch die Bewegung
von Vereinen und Gewerkschaften. Im Jahr 1983 schlossen sich mehrere Vereine
von Tagespflegepersonen und Familienpfleger_innen zu einer nationalen Interessen-
vertretung zusammen, der Association nationale Assistants maternels
Assistants/Accueillants familiaux. Ihre Solidarisierung und die sich entwickelnden
Pflegegewerkschaften haben maßgeblich dazu beigetragen, dass sich das Berufsbild
der Tagespflege etablieren konnte.
Die Tageseltern werden von den Eltern, die vom Staat Gelder erhalten, eingestellt
und von diesen direkt bezahlt. Nach der mit der AFEAMA 1991 eingeführten Sub-
vention der Eltern (s. o.), die eine Tagespflegeperson beschäftigen, hat sich die An-
zahl berufstätiger, registrierter Tageseltern allein von 1995 bis 2001 um 150% erhöht
(vgl. Algava & Ruault 2003: 2f). Die Beschäftigungsquote der akkreditierten
assistantes maternelles lag 2001 im Durchschnitt bei 75,5% (vgl. ebd.: 3). Etwa zwei
Drittel der Beschäftigten gaben an, Vollzeit zu arbeiten, ein Drittel Teilzeit. Im Jahr
2011 konstatierte eine Studie ein Durchschnittsgehalt der Tageseltern von 850€ Netto
im Monat (vgl. Piot 2013). Unter den Tageseltern sind jedoch große Verdienstunter-
Der französische Sozialstaat 109
Insofern ist von einer großen Schere unterschiedlich verdienender Tageseltern auszu-
gehen, von denen viele nicht Vollzeit arbeiten können oder wollen.
Zur Ausbildung im Pflegebereich nutzen viele Franzosen und Französinnen auch die
Validation des acquis d’experiénce (VAE) (dt. etwa ‚Zertifizierung persönlicher
Erfahrung‘). Diese 2002 eingeführte Qualifizierungsoption ermöglicht es, biografi-
sche Erfahrungen beziehungsweise biografisch angeeignete Kompetenzen beispiels-
weise in einem Verein oder einer gemeinnützigen Tätigkeit staatlich zertifizieren zu
110 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
lassen und wird vor allem von Frauen in pflegerischen Berufen genutzt (vgl. Glaeser
2014: 182f). Über diesen Weg können Tageseltern innerhalb eines Jahres ein Zertifi-
kat erhalten, die CAP petite enfance (dt. etwa eine ‚Berufsausbildung zur Betreuung
von Kleinkindern‘). Mit dieser Weiterbildung, die zwölfwöchige Praktika zum Bei-
spiel in Krippen, Kindergärten oder Écoles maternelles einschließt, können die Ta-
gesmütter auch in Gemeinschaftseinrichtungen wie Krippen arbeiten. Nach dem Loi
de cohésion social31 von 2006 können Pflegende auch Zeiten anrechnen lassen, in
denen sie Angehörige (Ältere, Kinder, Behinderte) gepflegt haben. Dies wird als eine
Aufwertung von Care interpretiert: « Cette validation des acquis de l’expérience
domestique et sa transférabilité dans le monde professionnel est un pas supplémen-
taire dans la reconnaissance du ‘care’. » (Dang & Letablier 2009 : 25) Kompetenzen,
die im Bereich der unbezahlten Familienarbeit angeeignet wurden, können so in die
Erwerbsarbeitswelt transferiert werden.
Im Durchschnitt sind die Tagespflegepersonen 2002 etwa 45 Jahre alt, leben zu 92%
in Partnerschaften und haben oft überdurchschnittlich viele eigene schulpflichtige
Kinder – nur selten handelt es sich um allererziehende und alleinlebende Frauen (vgl.
Algava & Ruault 2003: 1; Blanpain & Momic 2007: 5). Sie sind zu 99,5% Frauen
(vgl. Insee). Zudem sind sie meist niedrig qualifiziert und stammen häufig aus Arbei-
terfamilien mit geringem Einkommen (vgl. David-Alberola & Momic 2008: 2). Die
Hälfte unter ihnen hat kein Diplom oder höchstens ein Certificat d’études primaires
(CEP), das heißt der Grundschule, oder ein Diplôme nationale du brevet (BEPC), das
heißt im Sekundarbereich I. Neun Prozent der Tageseltern hat bereits eine Qualifika-
tion im Bereich personenbezogender Dienstleistungen. Vier bis fünf Prozent unter
ihnen hatte 2002 keine französische Staatsbürgerschaft (vgl. ebd.: 7). Trotz fehlen-
der, gesicherter Statistiken zu ethnischen Merkmalen kann davon ausgegangen wer-
den, dass viele Frauen mit Migrationshinweis im Pflege- und Gesundheitssektor
arbeiten, darunter vor allem Frauen aus dem Maghreb (vgl. Cognet 2010; Maki 2014;
Mozère 2000). Im Jahr 2007 arbeiteten 60% der erwerbstätigen Immigrantinnen im
31
Im Rahmen des Soutien familial und der Allocation personnalisée d‘autonomie (APA).
Europapolitische Einflüsse 111
Migrations-Politiken
Die Europäische Union (EU) rief mit dem Schengen-Abkommen 1985 erstmals eine
gemeinsame Migrationspolitik ins Leben. Arbeitnehmerfreizügigkeit und Binnenmo-
bilität waren Gegenstand dieses Beschlusses, welcher bis heute die freie Zirkulation
der arbeitenden Bevölkerung innerhalb der Grenzen der Europäischen Union genauso
gewährleisten soll wie die Freiheit des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs.
Menschen, die über eine Staatsbürgerschaft außerhalb der Europäischen Union ver-
fügen, richten sich zum Beispiel bei der Bitte um Asyl nicht mehr allein an die Regu-
larien einzelner Mitgliedsstaaten: Ihre Forderungen sind Angelegenheiten von ge-
meinsamen europäischen Interesse geworden.
112 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
Vor- und ausgelagerte Kontrollen und restriktive Visa-Politik wirken zusammen und
transformieren die europäische Grenzpolitik in eine „non-arrival policy“ – die es für
Personen aus bestimmten Staaten offiziell schwieriger macht, überhaupt nach Europa
zu reisen. (Ludwig 2008: 53)
Die EU schottet sich nach außen hin ab, während im Inneren die Rolle der National-
staaten gegenüber der Rolle der Gemeinschaft an Bedeutung verliert. Gleichzeitig
nehmen seit den 1980er Jahren die politiques du guichet, dt. ‚Schalterpolitiken‘, zu
(vgl. Dubois 2010) – auf administrativer, institutioneller Ebene wird über Bescheide
von Migrant_innen entschieden. Menschen ohne gültige Papiere, Geflüchtete und
andere illegalisierte Personen suchen nach neuen Möglichkeiten, der restriktiven
Ordnung zu begegnen:
Europa erinnert zunehmend an eine Festung, die ihre Eintrittstore verengt, während
sich Menschen nach alternativen Durchgängen umsehen und ihre Migrationsstrate-
gien modifizieren, mit dem Ziel, den Einfluss dieser neuen Beschränkungen zu un-
terlaufen. (Morokvasic-Muller 2003: 162f)
Während Länder wie Rumänien, Bulgarien und Kroatien bei den letzten EU-
Osterweiterungen Teil der insgesamt 28 Mitgliedsstaaten wurden und eine Mitglied-
schaft der Türkei zumindest in Erwägung gezogen wird, sind Tourist_innen der
Maghreb-Staaten seit der Unterzeichnung des Schengen-Abkommens visumspflich-
tig. Trotz der französischen Interessen und der historisch-politischen Präsenz im
südlichen Mittelmeerraum, zeichnet sich eine klare Präferenz für die Staaten des
ehemaligen Ostblocks ab. Die Orientierung der EU nach Osten, hat Catherine Withol
de Wenden zufolge auch ethisch-kulturelle Gründe: „Die Westeuropäer ihrerseits
Europapolitische Einflüsse 113
Die Grenzen der Abschottungspolitik und der Willen vieler Menschen, ihre Her-
kunftsländer zu verlassen, um in der EU zu leben, werden in der sogenannten Flücht-
lingskrise in Europa 2015 deutlich. Der Bürgerkrieg in Syrien, die Unterdrückung
durch islamischen Terrorismus oder die Menschenrechtslage in Afghanistan, Pakis-
tan, Eritrea, Nigeria oder Somalia lösen neue Migrationsströme aus. Sie sind von der
EU nur schwer zu steuern. Um die Flüchtlingszahlen zu begrenzen, werden die
Westbalkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt.
Die Gleichstellung von Mann und Frau im Sinne eines gender mainstreaming soll
EU-weit gefördert und die Erwerbstätigkeit der Frau gesteigert werden (Barcelona-
Ziele 2002). Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird mit Blick auf den demografi-
schen Wandel eine familienpolitische Leitlinie der EU (vgl. Daly & Martin 2013,
Martin 2010b). Im Sinne einer Defamilialisierung, das heißt einer Minderung der
Abhängigkeit der Menschen von familiären Verpflichtungen, wird im Europaziel
2010 eine Betreuungsquote von 33% für unter Dreijährige angestrebt. Die mit der
114 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
Nach der EU-Leitlinie sollen alle Menschen erwerbstätig sein können. Es muss je-
doch darauf hingewiesen werden, dass Care-Verpflichtungen weiterhin existieren. In
der Migrations- und Geschlechterforschung wird gefordert, dass Migrant_innen über
geleistete Care-Arbeit Staatsbürgerschaftsrechte erlangen (Apitzsch 2014, 2012;
Dang & Letablier 2009; Gerhard 2010; Molinier/Laugier/Paperman 2009; Nakano
Glenn 2009).32 In Kanada gibt es mit dem Live-in care giver program bereits diese
Möglichkeit, auch wenn die Verpflichtung, über längere Zeit im Haushalt der
Arbeitgebenden zu leben, zu neuen Formen der Ausbeutung führen kann (vgl. Hodge
2006). Der Zugang zum Staatsbürgerschaftsrecht ist für viele Care leistende Migran-
tinnen dann allerdings nicht mehr von dem Status und dem Beschäftigungsverhältnis
des (Ehe-)Partners abhängig. Dennoch erreicht diese Regelung weiterhin nicht Mig-
rantinnen, die unbezahlte Reproduktionsarbeit leisten und deshalb nicht als aktive
Erwerbsbürgerinnen gelten.
Derzeit liegt eine Möglichkeit, über Kinderbetreuung legal nach Europa zu gelangen,
für junge Menschen in einem Au-pair-Jahr (vgl. Glaeser & Kupczyk 2015, Glaeser
2014c). Im Europarat wird über Migrations- und Arbeitsmarkpolitiken beraten, wel-
che jungen Au-pairs eine rechtliche Absicherung verschaffen sollen. Diese jungen
Frauen, und später auch zunehmend Männer, werden vordergründig als Kulturinte-
ressierte beschrieben, die für ein Jahr in eine Familie des Auslands reisen, um – so
steht es in einem deutschen Ratgeber von 1989 – „der Hausfrau das Leben zu erleich-
tern“ (Mulder 1989: 39) und im Gegenzug über freie Kost und Logis Sprach- und
32
Brouckaert & Longman stellen in ihrer Studie zu Care-Arbeit von Müttern ohne Papiere in
Frankreich und Belgien auch heraus, dass travail maternel (Mütterarbeit) als Strategie zur Aner-
kennung einer möglichen Staatsbürgerschaft genutzt werden kann: « Le travail lié aux soins
apportés aux enfants depuis une position de ‘sans-parts’ peut reproduire, contester ou fournir,
dans son accomplissement, des solutions de rechange aux discours dominants sur le maternage.
Ces pratiques contre-hégémoniques peuvent être prises en compte comme des pratiques ci-
toyennes qui, au-delà de la sphère privée, affectent la sphère publique et dépassent par consé-
quent la notion classique de la citoyenneté. » (Brouckaert & Longman 2011: 169)
Europapolitische Einflüsse 115
“Au pair” placement is the temporary reception by families, in exchange for certain
services, of young foreigners who come to improve their linguistic and possibly profes-
sional knowledge as well as their general culture by acquiring a better knowledge of the
country where they are received. (Council of Europe: 2)
33
Claude Martin spricht von einer „Diversifikation“: « Les familles se sont diversifiées, les
femmes ont entrées massivement sur le marché du travail salarié, la fécondité a chuté, alors que
le nombre des divorces, des familles monoparentales et reconstituées a considérablement aug-
menté. » (Martin 2010 : 40). Siehe auch Martin 2009.
Zusammenfassender Vergleich 117
Während in Deutschland eine höhere Landflucht von verarmten Bauern einsetzte und
sich die industrielle Revolution schlagartiger entwickelte, wirkten sich diese Verän-
derungen in Frankreich auf die Landwirtschaft weniger stark aus. Hierdurch wurden
auch die Verstädterung und die Vermarktung des Dienstmädchens durch die moderne
Wirtschaft verzögert.
Ein Paradigmenwechsel in Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
findet in Deutschland mit dem TAG von 2005 statt, das Eltern einen Betreuungsplatz
ab 2013 staatlich garantiert. Damit beginnen auch die Professionalisierung der Kin-
dertagespflege und ihre Gleichstellung gegenüber anderen öffentlichen Betreuungs-
formen. In Frankreich existiert der Beruf der assistante maternelle mit Arbeitneh-
merstatus schon seit 1977 und wurde sukzessive ausgebaut, durch Subventionen auch
für Eltern gestützt und dadurch größtenteils regularisiert. Die Arbeitsstatus und -
standards der Kindertagespflege und ihre Nutzung durch Eltern sind daher in Frank-
reich wesentlich höher als in Deutschland. Während in Frankreich Tageseltern häufi-
ger in Anspruch genommen werden als Krippenplätze, sind Kleinkinder in Deutsch-
land hauptsächlich in Krippen betreut. Allerdings besteht in beiden Ländern eine
Tendenz der Prekarisierung von Tageseltern, wobei dies in Frankreich vordergründig
jene in den Sozialbauvierteln betrifft.
Statistischer Überblick 121
FAMILIE UND
BETREUUNG
Kinder unter 3 Jahren:
Kinderbetreuungsdichte (0- 28%4 9%4
2 Jahre) 2007
Ausschließliche Betreuung 45%1 68%1 51%1
durch die Eltern 2009
124 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
ALLEINERZIEHENDE
Haushalte Paare mit Kin- 39,9%1 29,5%1
dern 2008
Statistischer Überblick 125
KINDERTAGESPFLEGE
Beschäftigte in der Kinder- 99,5%3 97%5
tagespflege sind Frauen
Anzahl der Tagesmütter 306 2568 (aktiv) 52 0005
2010 855 0006
944 300
Dadurch bestehende Plätze (2012)6
STAATLICHE LEISTUN-
GEN
Familienbezogene Trans- 1,39% des BIP7 1,43% des
fers als Geldleistung 2005 BIP7
Familienbezogene Trans- 1,62% des BIP7 0,74% des
fers als Sachleistung 2005, BIP7
auch Familiendienstleistun-
gen genannt
Familienbezogene Trans- 0,77% des BIP7 0,87% des
fers als Steuervergünsti- BIP7
gungen 2005
126 Care-Politiken in Frankreich und Deutschland
* Die Erwerbstätigenquote wird berechnet, indem die Zahl der erwerbstätigen Personen im
Alter zwischen 20 und 64 Jahren durch die Gesamtbevölkerung derselben Altersgruppe divi-
diert wird. Der Indikator beruht auf der EU-Arbeitskräfteerhebung. In der Erhebung wird die
gesamte in privaten Haushalten lebende Bevölkerung erfasst. Keine Berücksichtigung finden
Personen, die in Anstaltshaushalten (Pensionen, Wohnheime, Krankenhäuser usw.) leben. Zur
erwerbstätigen Bevölkerung zählen alle Personen, die in der Berichtswoche mindestens eine
Stunde lang gegen Entgelt oder zur Erzielung eines Gewinns arbeiteten oder nicht arbeiteten,
aber einen Arbeitsplatz hatten, von dem sie vorübergehend abwesend waren.
Die „biografische Policy-Evaluation“ verbindet, wie der Name sagt, den biografisch-
narrativen Ansatz qualitativer Sozialforschung mit einer Politikfeldanalyse: in bio-
grafischen Narrativen wird analysierbar, wie Politiken sich auf biografisches Han-
deln auswirken. Die Bedeutung einzelner Politiken für die Lösung des Care-Defizits
wird an den Narrativen jener, die die Care-Arbeit erbringen, untersucht. Auf diesem
Weg wird deutlich, wie policies – in dieser Studie vor allem Familien-, Migrations-
und Arbeitsmarktpolitiken – in Wechselwirkung zu Institutionen und anderen Akteu-
ren stehen. Care-Gebende informieren uns daher aus biografischer Perspektive über
die Bedeutung von Politiken für die gesamtgesellschaftliche Problematik des Care-
Defizits.
System. Mit dem empirischen Ansatz der biografischen Policy-Evaluation wird den
Verknüpfungen von Mikro, Meso-, und Makro-Faktoren nachgegangen:
It is rather the embeddedness of the biographical account in social meso- and macro-
structures that we are looking at, especially hierarchically controlled social situations
and other heteronomous social conditions that lead to exclusion, such as unemploy-
ment. (Apitzsch/Inowlocki/Kontos 2008: 13)
Studie unter den jeweiligen politischen Ordnungen hervorgeholt. Darin werden auch
die Übergänge unterschiedlicher politischer Regulierungsversuche und die (nicht)
intendierten Effekte von policies auf biografisches Handeln deutlich.
Ethnografische Feldforschung
Dem Soziologen Stéphane Beaud zufolge wird eine sinnvolle Interpretation narrati-
ven Datenmaterials erst möglich, wenn auch die Interviewsituation selbst beobachtet
wird (vgl. Beaud 1996: 236).35 Orte und Personen beispielsweise, die die Interviewsi-
tuation konstituieren, liefern weitere Interpretationselemente. Die in dieser Studie
durchgeführten Interviews wurden entsprechend als Situationen teilnehmender Be-
obachtung begriffen. Auf diesem Weg konnten die Lebenszusammenhänge und
Sichtweisen der untersuchten Personen besser verstanden und die Validität der über
Interviewführung erlangten Daten überprüft werden. Wohnungen der Tageseltern,
Spielplätze und städtische Begegnungszentren wurden Teil dieser Studien. Die Inter-
aktionen der Tageseltern mit den Bediensteten der Städte und mit den Eltern erwie-
sen sich als die wesentlichsten kommunikativen Bezugspunkte innerhalb der Kinder-
tagespflege. Wenn Eltern beispielsweise ihre Kinder von einer Tagespflegeperson
abholten, konnten über die biografische Erzählung hinaus alltagspraktische Interakti-
34
Auch Catherine Delcroix betont den Einfluss von Politiken auf die Lebenswege von Menschen
und hebt in diesem Zusammenhang den Wert einer lebensweltlichen Erkundung des beforschten
Feldes hervor (vgl. Delcroix 2007: 2). Die sich vor allem in den 1960er Jahren in den USA unter
Harold Garfinkel entwickelnde ethnographische Methode wird häufig mit dem Werk „symboli-
scher Interaktionisten“ wie Herbert Blumer, Howard Becker und Erving Goffman assoziiert. Ha-
rold Garfinkel integrierte die Erkenntnisse vom vertrauten Alltagshandeln der Menschen und
dem vertraut machen des Fremden in seine empirische Forschung und entwickelte sie als kultur-
soziologische Ethnomethodologie weiter (vgl. Garfinkel 1967).
35
Siehe für eine weiterführende Lektüre auch Rostaing, Corinne (2010): « On ne sort pas indemne
de prison » ; Jounin, N. (2009): « Chantier interdit au public » ; Riemann, Gerhard (2005) :
“Ethnography of practice – Practising Ethnography“.
130 Methodisches Vorgehen
onen und ihre Bedeutung für die Konstruktion sozialer Wirklichkeit beobachtet und
interpretiert werden.
Die interviewte Person im sozialen Feld der Kindertagespflege, als auch das Ich als
interviewende Person, spielten eine die Situationen und Forschungsergebnisse prä-
gende Rolle. Ich ordnete die Menschen, die mir begegneten, ein und mobilisierte
dabei (unbewusst) Stereotypen, oder, wie Herbert Blumer pointiert: “All of us, as
scholars, have our share of common stereotypes that we use to see a sphere of empir-
ical social life that we do not know.” (Blumer 1969: 30) Die Tageseltern, auf der
anderen Seite, kategorisierten auch mich. Persönliche Erkennungsmerkmale wie
unter anderem Größe, Alter und Hautfarbe beeinflussten die gegenseitige Wahrneh-
mung des Anderen. Im Verlauf der Studie entwickelte ich „Strategien der Inszenie-
rung“, des impression managements beziehungsweise der self-presentation (vgl.
Goffman 1959).36 Da die Kindertagespflege ein mit aller Auffälligkeit von Frauen
dominierter Bereich ist, spielte die Kategorie Geschlecht als Erkennungsmerkmal
eine große Rolle. “There is often some scope, then, both for capitalizing on gender
roles and for renegotiating some aspects of them for the purposes of the fieldwork.”
(Atkinson & Hammerslay 2007: 75) Vor allem der für diese Arbeit sehr bedeutend
gewordene Einblick in die häusliche Sphäre der Tagesmütter eröffnete sich mir als
Frau relativ schnell. Andererseits kann nicht ausgeschlossen werden, dass mir auf-
grund von Identitätszuschreibungen Dinge nicht erzählt wurden, über die Männer
vielleicht in besonderer Form aufgeklärt worden wären.
Catherine Delcroix hat in ihrer Studie zu der Familie Nour die Methode angewandt,
lange zu beobachten (vgl. Delcroix 2001; Delcroix 2007; Delcroix 2010: 131). Mit
der Zeit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Umgebung sich an den Forschenden
gewöhnt und wieder „authentischer“ handelt. Um ein vertrauliches Arbeitsbündnis
herzustellen und einen „gemeinsamen Pakt“ (vgl. Beaud 1996 : 236) zu schließen,
traf ich mich mit manchen Tageseltern häufiger, dehnte Feldforschungsaufenthalte
aus oder händigte ihnen die angefertigten Transkripte aus. In dieser Absicht legte ich
36
Siehe in diesem Zusammenhang auch den Artikel von Daniel Bizeul (1998): « Le récit des
conditions d’enquête : exploiter l’information en connaissance de cause ».
Theoretisches Sampling 131
außerdem offen, dass ich mich im Rahmen einer Dissertation für die Lebensge-
schichten migrantischer Tageseltern interessierte und bemühte mich, die Position
meiner Interviewpartnerinnen und -partner als Expertinnen ihres Feldes aufrechtzu-
erhalten. Ausdruck des Gelingens dieser Mission waren beispielsweise die Tee- oder
Kaffetassen, die im Eifer des Erzählens regelmäßig voll blieben.
sucht und verglichen. Dadurch werden Gesetzmäßigkeiten ersichtlich, die der Wei-
tergabe der Care-Arbeiten von erwerbstätigen Eltern auf migrantische Kindertages-
pflegepersonen unterliegen. Daher wurde der Forschungsgegenstand auf die Kinder-
tagespflege in Deutschland und Frankreich eingegrenzt. Es sind in der Folge weitere
21 biografische Interviews mit migrantischen Tageseltern im Zeitraum von 2011 bis
2014 entstanden. Zehn davon wurden in Westdeutschland erhoben, elf in Frankreich.
Sie machen den Kern des empirischen Teils aus. Alle Interviews wurden eigenhändig
und vollständig transkribiert.
Der Fokus der Erhebungen in Deutschland richtet sich auf die alten Bundesländer,
weil im Osten und Westen heute unterschiedliche Kinderbetreuungskulturen existie-
ren. Der größere Kontrast zwischen Westdeutschland und Frankreich macht die Ein-
grenzung auf die alten Bundesländer plausibel. Vor der Wiedervereinigung verfolg-
ten die Familienpolitiken in der ehemaligen DDR und in der Bundesrepublik andere
Ziele:
Auch wenn die Familienpolitik Ostdeutschlands nach der Wende an die westdeutsche
angepasst wurde, gibt es weiterhin substanzielle Unterschiede im Arbeitsmarktver-
halten von Müttern. Immer noch sind Frauen mit Kindern in Ostdeutschland häufiger
erwerbstätig und die Betreuungsrate ist höher. Vollzeit arbeiteten beispielsweise
2012 in Westdeutschland 22% der erwerbstätigen Mütter, gegenüber 53% in Ost-
deutschland (vgl. Destatis). Außerdem wurden 2010 im Westen 35% der Kinder
unter drei Jahren in öffentlich geförderte Kinderbetreuung gegeben, gegenüber 71%
im Osten (Pfau-Effinger & Smidt 2011: 219). Ostdeutschland in das Sample einzu-
beziehen käme einem dreifachen Vergleich nahe, der aber im Rahmen dieser Arbeit
nicht geleistet werden kann.
Theoretisches Sampling 133
Der Zugang zum Feld erfolgte über ein persönliches Kennenlernen der Tageseltern in
Begegnungsräumen oder über die Vermittlung verantwortlicher Personen in den
städtischen Behörden. Mit der Zeit entwickelte sich ein Spektrum, das mehr Inter-
viewmöglichkeiten eröffnete, als beantwortet werden konnten. Dieses Interesse er-
klärt sich, wie sich später herausstellte, aus der in der Öffentlichkeit eher wenig the-
matisierten Erfahrung, die migrantische Tageseltern in die Tätigkeit einbringen. Das
Interview eröffnete ihnen die Möglichkeit, diese Erfahrungen zu verbalisieren. Durch
das sich erweiternde Spektrum konnten die Fälle sukzessive relativ gut miteinander
kontrastiert und innerhalb der Gruppe der Tageseltern systematisch Unterschiede
maximiert werden.
Howard S. Becker schlägt für die Auswahl der Fälle im Verlauf der Forschung vor:
“Once we have isolated such a generic feature of some social relation or process and
given it a name, and thus created a concept, we can look for the same phenomenon in
places other than where we found it.” (Becker 1998: 141) In Frankreich bin ich vor
allem auf maghrebinische Frauen gestoßen, in Deutschland auf Tageseltern aus den
postsozialistischen Ländern. Deshalb bezog ich auch Tageseltern aus Ländern des
globalen Südens mit ein. Die Migrantinnen und Migranten in Deutschland kommen
zu großen Teilen aus Ländern, die nicht zur EU gehören oder deren Herkunftsländer
erst im Laufe ihres Lebens Mitglied wurden. Allerdings sind auch einige Migrantin-
nen aus EU-Mitgliedsstaaten vertreten. Einzelne Tageseltern in beiden Ländern ge-
hören schon der zweiten Generation einer Einwanderungsfamilie an. Der normativen
Geschlechterordnung im Sektor Kindertagespflege konnten in Deutschland die Er-
zählungen zweier Tagesväter entgegengesetzt werden. In Frankreich sind zwei Frau-
en Hochschulabsolventinnen mit erhöhter Klassenmobilität, die Übrigen haben keine
abgeschlossene Schulbildung. In Deutschland gibt es jedoch keinen Fall ohne den
(angefangenen) Besuch einer Hochschuleinrichtung und Unterschiede in der jeweili-
gen Klassenmobilität ergeben sich erst durch die Wahl des Partners oder der Partne-
rin. Innerhalb der Länder wurden Kindertagespflegepersonen aus unterschiedlich
situierten Stadtteilen interviewt, was vor allem in Frankreich aufgrund der banlieues
(dt. ‚Sozialbauviertel‘ oder ‚Arbeiterviertel‘) eine Generalisierung des Phänomens
auf die Probe stellte. Die Kategorie des Familienstands unterlag schnell der theoreti-
schen Sättigung: Es fand sich keine kinderlose Person, da bei allen, wie sich heraus-
stellte, die eigenen Kinder den Anlass zum Eintritt in die Kindertagespflege gaben.
Nur eine Tagesmutter in Frankreich ist alleinerziehend. Das Alter der interviewten
Personen beginnt bei 32 Jahren, liegt im Durchschnitt bei 39-45 Jahren und wird um
einzelne Tageseltern um die 60, die bereits Enkelkinder haben, bereichert.
Das Kontrastieren der Fälle geschah in der Intention, den objektiven Gehalt des Er-
forschten „aus dem Allgemeinen im Besonderen“ zu beziehen: „Das Maß solcher
Objektivität ist nicht die Verifizierung behaupteter Thesen durch ihre wiederholende
Prüfung, sondern die in Hoffnung und Desillusion zusammengehaltene einzel-
menschliche Erfahrung.“ (Adorno 1958: 19) Ob die einzelmenschliche Erfahrung,
sofern die Forscherin sie isolieren kann, wiederum generalisierbar ist, zeigte sich im
Interviewtechnik und Narrationsanalyse 135
Vergleich mit anderen Fällen. Nachdem beispielsweise im Fall der Tagesmutter die
eigene Familiengründung als Auslöser für die Orientierung am Berufsfeld Kinderta-
gespflege identifiziert wurde, fand sich dasselbe Phänomen im kontrastierenden Fall
des Tagesvaters wieder.
In seinem Roman Mein Name sei Gantenbein lässt der deutschsprachige Autor Max
Frisch seinen Protagonisten Entwürfe des Ichs anprobieren „wie Kleider“ und so
stellt Gantenbein auch folgerichtig fest: „Jeder Mensch erfindet sich früher oder
später eine Geschichte, die er für sein Leben hält […] oder eine ganze Reihe von
Geschichten.“ (Frisch 1998: 49) Der Entwurf beziehungsweise die gespielte Rolle
des Ichs wird als Konstruktion begriffen. Auch jede Person, die aufgefordert wird,
ihre Lebensgeschichte zu erzählen, entwirft eine Geschichte (oder eine ganze Reihe
davon). Die Idee ihres sich von einem Punkt in der Vergangenheit bis in die Gegen-
wart und vielleicht darüber hinaus entwickelnden Ichs muss sie sprachlich herstellen.
Deshalb erfolgen die Interpretationen der in dieser Arbeit erhobenen Narrative als
Analysen sprachlich-kommunikativen Handelns. Insofern ist die Biografieanalyse
auch immer eine Form der Diskursanalyse (vgl. Rosenthal 2008:172). Nach dem
136 Methodisches Vorgehen
Prinzip der Sequenzialität wurden narrative Textteile dieser Arbeit an ihrer diskursi-
ven Form interpretiert, dabei beobachtet was wie erzählt wird und dann miteinander
verglichen.
Die erzählende Person muss das Ich beziehungsweise die eigene Lebensgeschichte
aus ihrer gegenwärtigen Lebenssituation heraus entwerfen. Sie muss daher die geleb-
te Zeit mit ihrer Position in der Jetzt-Zeit verknüpfen.
The construction of a life history is the mode by which the individual represents
those aspects of this past which are relevant to the present situation, i.e., relevant in
terms of the (future-oriented) intentions by which he guides his present actions. Life
histories are thus not a collection of all the events of the individual’s life course, but
rather “structured self-images”. (Kohli 1981: 65)
Menschen als ein von zwei Sinnstrukturen bestimmtes Wesen, dem der Psychoanaly-
tiker durch „szenisches Verstehen“ in „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ folgt:
Psychoanalyse richtet sich auf beide Sinnstrukturen, indem sie in ihrer szenisch-
narrativen Analyse sich von der „Oberfläche“ her, vom sprachlich-manifesten Mit-
teilungssinn her auf den Weg zu den unbewußten Lebensentwürfen macht. (Lorenzer
2002: 224)
Manifeste, aber auch latente Sinnstrukturen werden bedeutend: Der manifeste Sinn
bezieht sich auf die bewussten und akzeptierten Lebensentwürfe (Erwartungen, In-
tentionen, Sorgen), der latente Sinn auf die unbewussten oder noch nicht bewussten
und verpönten Lebensentwürfe (Wünsche, Träume, Ängste). Die Aufmerksamkeit
für die Bedeutung von Unausgesprochenem, dem, was gerade nicht gesagt wird,
kann so geschärft werden (vgl. auch Memmi 1999: 135). Auch in der
Biografieforschung gilt: Wie nebensächlich Worte, Gesten und Fehlleistungen auch
erscheinen mögen, sie können manifest oder latent bedeutsam sein. Deshalb wurde
bei der Analyse der Narrative auch der Blickwinkel für das geschärft, was nicht
thematisiert oder über den „sprachlich-manifesten Mitteilungssinn“ hinaus gemeint
gewesen sein könnte.
Die Narrationsanalyse kann anhand der von Fritz Schütze aufgestellten idealtypi-
schen Prozessstrukturen des Lebensablaufs Erkenntnisse über aktive und passive
Handlungsmomente gewinnen. Schütze und Gerhard Riemann generalisieren in
diesem Zusammenhang das Konzept der trajectories von Anselm Strauss. Lebensläu-
fe können von sogenannten Verlaufskurven äußerlich determiniert beziehungsweise
gelenkt werden:
Trajectory processes of suffering convey a sense of fate in the life of the trajectory
incumbents; they force them to see themselves as controlled by strange outer forces
that cannot be influenced easily or at all. They reshape the present life situation, re-
verse expectations of the future, and mobilize reinterpretations of the life course.
(Riemann & Schütze 1991: 338)
138 Methodisches Vorgehen
Einen ähnlichen Ansatz zur Analyse der Narrationen verfolgen Tamara Hareven und
Kanju Masaoka. Auf Basis des Konzepts von transitions können Übergänge in Le-
bensverläufen identifiziert werden. Damit sind zum Beispiel normative, einem be-
stimmten Zeitschema angepasste Übergänge gemeint, wie eine Erwerbsarbeit aufzu-
nehmen, von Zuhause auszuziehen oder zu heiraten. Als turning point wird ein
Übergang begriffen, normativ oder nicht, der als Krise, als kritischer Wandel oder als
Neubeginn erlebt wird (Hareven & Masaoka 1988: 272). Mit Hilfe dieses Konzepts
konnten Schlüsselmomente in den Lebensgeschichten meiner Interviewpartnerinnen
und -partner erkannt und in Hinblick auf den Kontext, in dem sie sich weiterentwi-
ckeln, analysiert werden.
37
Vgl. auch Schütze (1980b): „Prozeßstrukturen des Lebensablaufs“.
Interviewtechnik und Narrationsanalyse 139
Da ich überzeugt bin, das man sich entfernen muss, um sich anzunähern, dass man
sich selbst einbringen muss, um sich auszuschließen, dass man sich objektivieren
muss, um die Erkenntnis zu entsubjektivieren, war mein erstes Objekt der anthropo-
logischen Erkenntnis ganz bewusst die anthropologische Erkenntnis selbst, und die
Differenz, die sie notwendigerweise von der praktischen Erkenntnis unterscheidet.
(Bourdieu 2003: 45)38
38
Vgl. zu dieser Frage auch Bourdieu (1984: 10): Homo academicus.
140 Methodisches Vorgehen
Eine besondere Herausforderung dieser Arbeit liegt darin, dass der ganze beschriebe-
ne Forschungsprozess doppelt erfolgte. Zwei ähnliche soziale Felder, die in sich
verschieden sind, wurden in unterschiedlich strukturierten Räumen (Nationalstaaten)
untersucht. Die Fälle innerhalb der einzelnen Felder wurden miteinander verglichen,
um sie dann wieder als Ganzes aufeinander zu beziehen und zu vergleichen. Sie
wurden aber nicht als voneinander getrennte Räume oder Einheiten begriffen, son-
dern als transnationale Geflechte.
39
« La sociologie comparée n’est pas une branche particulière de la sociologie ; c’est la sociologie
même, en tant qu’elle cesse d’être purement descriptive et aspire à rendre compte des faits. »
(Durkheim 1986 :137)
Forschung im bi-nationalen Vergleich 141
eines Flächenraumes geben kann, so begrenzt sich die Wissenschaft mindestens auf
gerade jene (imaginierten) Grenzen.
Im folgenden Teil dieser Arbeit wird zunächst beschrieben, wie die migrantischen
Tageseltern ihre Identitäten in der Narration der Lebensgeschichte und im untersuch-
ten Feld der jeweiligen Länder konstruieren. Zur besseren Lesbarkeit ist dieser Teil
im Präsens (episches Präteritum) dargestellt. Nach und nach wird ihr Handeln in
Bezug zu strukturellen Ebenen gesetzt. Dabei wird immer wieder aufgegriffen, wie
Aufbau des empirischen Teils 143
Normen und Ideologien des Alltagswissens auf der Ebene symbolischer Repräsenta-
tion bedient, wiederholt und damit verfestigt oder auch gestört werden können. Der
empirische Teil schließt mit einem Vergleich der empirischen Befunde in Frankreich
und Deutschland.
5 Deutschland: Empirische Befunde
Folgend werden die Lebensgeschichten und -verläufe der Migrantinnen und Migran-
ten in Westdeutschland bis zum Eintritt in das Berufsfeld Kindertagespflege nachge-
zeichnet. Exemplarisch werden, ausgehend von zwölf Personen, einzelne biografi-
sche Verläufe eingehender geschildert. Sie wurden ausgewählt, weil an ihnen stell-
vertretend für die anderen Fälle die Hauptmechanismen zur Annäherung an das Tä-
tigkeitsfeld deutlich werden. Anschließend wird der lebensgeschichtliche Prozess,
der zur Kindertagespflege führt, typisiert.
40
Das stimmt in etwa mit den allgemeinen Altersangaben der Bundesregierung überein, wohinge-
gen die in Ostdeutschland Beschäftigten deutlich älter sind: „Während in Westdeutschland nur
11% der Beschäftigten mindestens 55 Jahre alt waren, betrug der Anteil in Ostdeutschland 19%.“
(vgl. Destatis 2012: 24) Dies hängt wahrscheinlich mit der längeren Kinderbetreuungskultur in
Ostdeutschland zusammen.
Amalia beginnt mit ihrer Kindheit, die sie in einer Großfamilie in der Tschechoslo-
wakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) verbracht hat. Sie ist die Enkelin von
Großeltern mit Gutsbesitz. Mit der Enteignung nach dem Zweiten Weltkrieg und
1986 der Bedrohung durch russische Soldaten nach der gewaltsamen Beendigung des
Prager Frühlings muss sich die Familie zunehmend mit materiellen Fragen auseinan-
dersetzen. Amalia, die 1962 geboren wurde, schildert ihr Aufwachsen fremdbe-
stimmt. Ihre Familie hegt eine kritische Haltung gegenüber der kommunistischen
Regierung. Diese Haltung, ihre Eltern treten nicht der kommunistischen Partei bei,
wirkt sich negativ auf ihren institutionellen Bildungsweg aus. Ein Studium wird ihr
verweigert. Schon als Jugendliche hegt sie den Wunsch, das Leben im Westen ken-
nenzulernen. Die Empfindung politischer Unterdrückung im Osten steht im Gegen-
satz zur imaginierten Freiheit im Westen, die eine Art innerlichen Sturm und Drang
auslöst. Während dieser Zeit absolviert sie, berufen von der sozialistischen Regie-
rung, eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester und arbeitet anschließend im
Kinderheim. Von hier aus wird sie auf die Intensivstation einer Klinik versetzt, arbei-
tet außerdem für einen Notarztwagen und in einem Asthma-Sanatorium.
Als 1989 offiziell die Ausreise aus der ČSSR ermöglicht wird, beantragt sie diese
unverzüglich. Mit der Qualifikation als Kinderkrankenschwester nimmt sie gezielt an
einem Anwerbeprogramm teil und wird daher direkt in eine Universitätsklinik in
Deutschland übermittelt, die Fachkräfte sucht. Nach einer Anerkennungsphase, in der
41
Namen, Orte und andere Hinweise auf die Personen dieser Studie wurden, um Anonymität zu
gewährleisten, verändert.
Lebensverläufe 147
Mit ihrem heutigen Mann, ebenfalls einem Migranten aus Osteuropa, der im Hotel
im Schichtdienst arbeitet, gründet sie eine Familie. Ein Umbruch in der Berufskarrie-
re wird ein paar Jahre später durch das Anwachsen ihrer Familie eingeleitet. Amalia
ist mit einer unbefristeten Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung und einer Festan-
stellung vollwertig in die Arbeitswelt integriert. Sie schildert die zugrundeliegenden
Prozesse der beruflichen Neuorientierung:
Also, also, die Arbeit hat mir sehr gut gefallen. Ähm gut. Und dann hab ich geheira-
tet. Hab ich dann mein erstes Kind bekommen in 1996. Gut. Und dann ähm, dann
war's bisschen schwieriger für mich mit der Arbeit. Hab ich's aber noch relativ lange
dann gemacht. Äh schwierig war das wegen, mein Mann hatte auch im Schichtdienst
gearbeitet. In=in Hotelbereich und äh mit dem Kind war das bisschen, ja, wir muss-
ten uns bisschen immer absprechen, mit dem Dienstplan usw. Und, gut, mit einem
Kind hat das noch ganz gut geklappt. Äh vier Jahre später bekamen wir noch zweites
Kind. Ja, und ab da war das für mich äh noch schwieriger. Wir haben das aber noch
drei Jahre dann äh ja durchgezogen. Teilweise war ich, ein Jahr war ich dann zu
Hause, ganz. In Mutter- äh also in Elternzeit. Und äh als die Tochter dann, also die
Tochter ist die ältere, ist dann in die Schule gegangen und mein Sohn ins Kindergar-
ten. Und ab da haben wir gedacht, das ist nicht mehr möglich, dass wir beide arbei-
ten. [Hm.] Weil äh, ja, schon allein wegen der Schule. Das, ja, in Deutschland fängt,
also, das kennen Sie aber bestimmt, dass die Schule mal um acht, mal viertel vor
neun anfängt oder um halb zehn. Und äh ja, wir hatten auch kein Hortplatz erst mal
bekommen. Und ja, mein Sohn war in Kindergarten erst mal nur Vormittag bis zwölf
Uhr. Und äh, mit der Schichtarbeit war das dann äh nicht mehr möglich. Und dann
hab ich wirklich gekündigt. Nach elf Jahren und äh bin ich erst mal zu Hause geblie-
ben. Und hab ich aber relativ schnell gemerkt, so finanziell, aber auch überhaupt,
geht das nicht=nicht lange gut. Und ähm ja hab ich nach Alternative gesucht. Und
damals war die Tagepflegevermittlung hier um die Ecke, in der Straße. Und äh da
bin ich eines Tages hingegangen und hab ich dann äh gefragt, was da überhaupt
möglich ist zu machen und ich habe da wirklich ganz nette Dame getroffen damals.
Und sie hat mir das alles erklärt, dass ich die Möglichkeit habe, Tagesmutter zu wer-
148 Deutschland: empirische Befunde
den. Und äh hab ich dann auch relativ schnell ein Kurs bekommen, also, diese erste
Qualifikationskurs. Und das hab ich dann auch gemacht.
Amalias Fall zeigt, wie sich bei einer integrierten und qualifizierten Migrantin das
Berufsleben in Deutschland durch die Familiengründung drastisch erschwert. Wäh-
rend ein Kind organisierbar bleibt, kann die Versorgungslücke bei einem zweiten
Kind nicht mehr geschlossen werden. Die Lage Amalias illustriert die klassische
Unvereinbarkeitslage von Familie und Beruf in Deutschland, die über das dritte
Geburtsjahr des Kindes hinaus geht. Die Arbeitswelt, die institutionellen Einrichtun-
gen (Schule und Kindergarten) und der Schichtdienst des Ehemannes fordern von
Amalia mehr Flexibilität, als sie leisten kann. Erziehungszeiten (darunter die einjäh-
rig geförderte Elternzeit) stellen eine vorübergehende Lösung dar, erschweren aber
mit Beginn von Kindergarten und Schule die Wiedereingliederung in den Beruf. Im
Prinzip ist Amalia, Kind erwerbstätiger Eltern, sehr arbeitsmarktorientiert. Auch
wenn der Ehemann nicht als erziehende Person in Frage kommt, versteht sie „Haus-
frau und Mutter sein“, nicht als erstrebenswerte Norm. Während unseres gemeinsa-
men Kaffekränzchens mit den Kindern fragte sie diese halb entschuldigend, ob sie zu
viel Zuhause gewesen sei. In der Kindertagespflege liegt daher mindestens die Lö-
sung, erwerbstätig zu bleiben.
setzen uns an einen Glastisch. Bei einer Tasse Kaffee beginnt Marja in fließendem
Deutsch zu erzählen.
Marja’s Eltern sind erwerbstätig. Sie lernt früh, sich um sich selbst und ihre drei
Geschwister zu kümmern. Zügig durchläuft sie die Grundschule, macht Abitur und
absolviert eine Ausbildung im Bereich Touristik. Da in diesem Berufszweig Fremd-
sprachenkenntnisse besonders wichtig sind, plant sie einen längeren Auslandsaufent-
halt, den sie im Alter von 22 Jahren über ein Au-pair-Jahr in Deutschland realisiert.
Während heute vornehmlich junge Frauen aus der Ukraine und Russland als Au-pair
nach Deutschland kommen, kamen in den 1990er Jahren viele dieser Frauen aus
Polen, das 2004 der Europäischen Union beitrat. Erst seit 2011, nach einer siebenjäh-
rigen Übergangszeit, können polnische Bürger und Bürgerinnen europaweit ohne
Arbeitserlaubnis arbeiten. Marja erzählt, wie der Au-pair-Aufenthalt in einer Migra-
tion mündet:
Und dann bin ich 1996 nach Deutschland gekommen. Für ein Jahr eigentlich. Als
Au-pair. Und da war auch eigentlich der Kontakt, ich äh war in eine Familie äh mit
einer alleinerziehenden Mutter, die Lehramt studiert hat und gleichzeitig noch gear-
beitet hat. Als OP-Schwester. Und sie hatte zwei Töchter. Und ich sollte die Kinder
dann von der Schule abholen und vom Kindergarten und sie bisschen betreuen. Hm.
Ja, innerhalb von diesem Jahr hab ich meinen jetzigen Mann kennengelernt. Das
heißt, war die Motivation, dass ich doch länger bleibe. In Deutschland. Und damals
war das aber alles noch sehr kompliziert. Polen war noch nicht in der EU. Und da ich
nicht heiraten wollte ((lacht)), also sofort, ja?!, ähm dacht ich mir, also, ja, welche
Möglichkeiten, welche Wege gibt es, um legal in Deutschland zu bleiben. Und das
war eigentlich äh das Studium. Also studieren. [Hm.] Und ähm hab ich gedacht, ja,
schaff ich das, oder nicht. Aber so peu à peu haben wir das angefangen. Mit, mit den
Formalitäten. Und man musste zuerst so ein Jahr Abitur-Ausgleich machen, so Stu-
dienkolleg. Um das auszugleichen, meine Ausbildung in Polen mit, mit dem deut-
schen Stand. Und äh danach, nach einem Jahr, konnte ich mein Studium anfangen.
Also das war glaub ich 1998. Ja. Und äh ja und in der Zeit hab ich auch so als Baby-
sitter gearbeitet. Um mein Studium ein bisschen zu finanzieren. Und ähm .. ja , das
war eigentlich der nächste Kontakt. Ich hab äh Kunstpädagogik als Hauptfach stu-
diert und als Nebenfächer hatte ich dann Pädagogik und Kunstgeschichte. […] Und
ähm ich hab ähm Sprachkurse besucht. Ich hab die äh die Prüfung auch gemacht, in
der Zeit. Das gibt dann so verschiedene Stufen von Zertifikat, und dann Mittelstu-
fenprüfung usw. [Hm.] Äh also ich konnte wirklich die Sprache lernen und in der
Familie leben und meine Erfahrungen machen. Also es war wirklich ein ganz tolles
Jahr. […] Äh ja, ich musste vorweisen, dass ich mit Studium beginne. Und äh mein,
150 Deutschland: empirische Befunde
eigentlich wie ich das finanziere. Ja und wo ich dann bleibe. Ja, also, ich hatte da-
mals, ich hab damals mit meinem jetzigen Mann gewohnt und dass er mir das er-
möglicht und ja, das musste auch, das musste er auch unterschreiben und das alles
dann einreichen.
Für Marja beginnt mit einer Schwangerschaft noch während des Studiums ein neuer
Lebensabschnitt. Über die Heirat mit ihrem Mann, einem Deutschen, der selbst aus
Polen eingewandert ist, erlangt sie derweil die deutsche Staatsbürgerschaft. Ihr beruf-
licher Umbruch vom Studium zur Festlegung auf den Care-Bereich geht Hand in
Hand mit der Erziehung ihres 2000 geborenen Sohnes:
Ähm ja, muss ich überlegen, ja zwischendurch hab ich geheiratet. Und dann studiert.
Und dann hab ich mein Kind bekommen. Und studiert ((lacht)). Und äh ja und hier
in der Vorstadt hab ich festgestellt dass die, dass das Thema Kinderbetreuung äh
noch sehr unterentwickelt war. Ähm das heißt ähm um zu studieren, mussten wir das
wirklich privat organisieren, dass ich in die Stadt fahren konnte. Weil ähm, also man
hat einfach keinen Betreuungsplatz bekommen, wenn man nicht gearbeitet hat. Und
das war auch eigentlich auch sehr kompliziert. Musste die Kinder wirklich schon bei
der Geburt anmelden, um hier den Platz zu bekommen. [Hm.] Und ähm das war
wirklich, wirklich sehr schwierig und ähm tja nach dem Studium war mein Sohn ei-
gentlich, muss ich überlegen, der war eigentlich schon fast fertig mit dem Kindergar-
ten, sollte in die Schule. Und ich hab dann, also, in der Zeit hab ich auch so Malkur-
se für die Kinder organisiert. Und ich hab festgestellt, dass ähm es macht mir zwar
Spaß, aber ähm um in meinem Beruf richtig zu arbeiten, muss ich sehr flexibel sein,
weil es für Kunstpädagogen eigentlich nur so auf Honorarbasis äh Beschäftigungs-
angebote gibt's. Das heißt vielleicht so Nachmittagsbetreuung für die Hortkinder und
Lebensverläufe 151
Malkurse äh da hatte ich auch so ein Angebot hier in der Grundschule. Dass ich so
was für die Kinder anbieten könnte, aber da war immer das Problem: was mach ich
mit meinem Kind, in der Zeit. Weil mein Mann auch erst spät, nachmittags oder
abends, nach Hause kam und ähm entweder musste ich dann ihn mitnehmen oder für
ihn was Organisierung. Und da ich damals wusste, dass es, dass er mein einziges
Kind bleibt und ähm ich wollte das schon so ein bisschen ähm begleiten, ja? [Hm.]
Äh hab ich mir gedacht, ist mir schade, wenn, wenn mein Kind dann von Fremden
betreut wird, um, also, damit ich andere Kinder betreue. [Hm] Und ähm im Kinder-
garten äh hatten wir im Bekanntenkreis eine Tagesmutter. Und wir haben viel mit
den Kindern unternommen und ich konnte das so ein bisschen so verfolgen, wie das
so, wie das organisiert wird. Und äh ich dachte vielleicht ist es erst mal eine Alterna-
tive für die Grundschulzeit. Äh um das alles zu vereinbaren. Dass ich so in diesem
Bereich, also, pädagogischen Bereich arbeiten kann. Und trotzdem für mein Kind da
bin. Ja, dass er dann nach der Schule nach Hause kommt. Und ich bin hier und trotz-
dem hat er Kontakt zu anderen Kindern. Und äh dass es vielleicht eine gute Idee wä-
re. Und trotzdem kann ich dann auch so beruflich was machen und auch mit Kunst,
weil mit Kleinen kann man natürlich auch viele Sachen machen. Und ähm ja und
dann hab ich in der Stadt nachgefragt wie das aussieht. Und da bin ich irgendwie so
ganz schnell reingerutscht. Weil es sehr ((lacht)) also so ja, damals war das auch, bis
jetzt ist es sehr gesucht, also Personen gesucht für die Kindertagespflege. Die Stadt
möchte das ausbauen und ähm ja hab ich so den ersten Kurs gemacht und ähm ja das
hat auch so drei Monate gedauert. Ähm und dann nach weiteren vier Monaten hab
ich schon meine ersten Kinder betreut, hier. [Hm.] Ja. Und ähm .. für mich war das,
also, im Studium hab ich auch so festgestellt, oder, in der Phase, als ich die Malkurse
angeboten habe für die Kinder, dass es ähm dass mich zwar das Künstlerische, dass
mir das gefällt, dass mich das sehr reizt. Aber so richtig Vollzeit in diesem Bereich
tätig zu sein, also, diese Kreativität eigentlich ständig zu haben, dass es sehr schwie-
rig ist. Ja?! Also, weil kreativ sein für sich selbst, es ist was anderes, als dass jeden
Tag acht Stunden oder jeden Tag zu ähm ja anzubieten. Dass man ständig neue Ideen
hat. Und ich habe festgestellt, dass mich das Pädagogische eigentlich mehr reizt und
mir mehr gefällt, ja?! [Hm.] Und ähm ja ich dacht mir, dass ist dann, dass ich das
einfach ausprobier. Dass ich eigentlich das nur in der Grundschulzeit für mein Kind
äh ja das zu vereinbaren versuche und danach was anderes. Und, ja, jetzt sind fünf
Jahre vergangen.
Nachdem Marja während des Au-pair-Jahres noch das Care-Defizit der alleinerzie-
henden Mutter ausgeglichen hat, steht sie nun selbst vor dieser Problematik. Wie
bereits geschildert, ist in den 2000er Jahren die Vereinbarkeitsproblematik in
Deutschland noch akuter als in den 2010er Jahren, weil es kaum Betreuungsmöglich-
keiten gibt. Anspruch auf einen Betreuungsplatz hatten zu jener Zeit nur Mütter, die
bereits erwerbstätig waren. Durch die Migration Marja’s (und vermutlich auch ihres
152 Deutschland: empirische Befunde
Ehemanns) bricht außerdem die Hilfe nahe lebender Angehöriger weg. Dieses Phä-
nomen tritt zunehmend auf, da junge Menschen vor allem in die Städte ziehen und
dort ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt haben. Marja muss die Betreuungsengpäs-
se selbst auffangen. Wie viele andere Mütter in Deutschland stellt sie mit der Geburt
des Kindes für mehrere Jahre die Erwerbsarbeit zurück. Marja’s Ehemann wird vo-
rübergehend zum alleinigen Familienernährer, was verdeutlicht, dass er wenig Rep-
roduktionsarbeiten in der Familie übernimmt. In den Erziehungszeiten entsteht ein
ausdrücklicher Care-Wille als wertestiftende Dimension. Eine mögliche Fremdbe-
treuung des eigenen Sohnes bedroht jetzt diese Position. Im Moment der drohenden
Fremdbetreuung des eigenen Sohnes bekräftigt Marja daher den Wert von Care-
Arbeit. Schließlich überführt Marja ihre Rolle als Familienfürsorgerin und ihre künst-
lerisch-pädagogische Bildung in die Kindertagespflege. Als professionelle Tagesmut-
ter setzt sie einen Schwerpunkt auf den kreativen Impuls ihrer neuen Arbeit.
In Marja’s Fall lenkt der migrations- und familienpolitische Kontext in das Berufs-
feld Kindertagespflege, auch wenn die Tätigkeit nicht der Höhe ihrer Qualifikationen
entspricht. Der Eintritt Marjas in das Berufsfeld Kindertagespflege um 2009 fällt
zusammen mit dem staatlichen Programm zur Erhöhung der Betreuungsquoten. Das
TAG befördert daher die Bereitschaft der Institutionen den Berufszweig zu öffnen.
Das Paradox, einer Fremdbetreuung der eigenen Kinder kritisch gegenüberzustehen
und gleichzeitig andere Kinder über die Kindertagespflege professionell fremd zu
betreuen, findet sich in den meisten Narrativen.
Das Ehepaar Welter: über den Verlust und die (Wieder-)Aneignung von
sinnstiftender Tätigkeit
Eine Angestellte der Stadt erzählte mir von einem Paar, das gemeinsam Tageskinder
betreut. Bisher war ich noch nicht auf eine entsprechende Arbeitskonstellation gesto-
ßen. Mann und Frau arbeiten als Ehepartner zusammen in diesem Beruf? Wie ist es
dazu gekommen? Wie funktioniert das? Der Fall des Ehepaars Welter wird zeigen,
wie auch ältere Migrierende aufgrund familiärer Umstände in den Beruf der Kinder-
tagespflege kommen.
Lebensverläufe 153
Gespannt treffe ich Herrn und Frau Welter in ihrer Wohngegend an einer Straßen-
bahn-Haltestelle. Es handelt sich um eine mittelgroße Stadt in Westdeutschland. Hier
leben Teile der einkommensschwächeren Bevölkerung, darunter viele Migrantinnen
und Migranten. Die aneinander gereihten Wohnhäuser ähneln Sozialbauten. Die
Straßen sind gepflegt, die Häuser scheinen in einem guten Zustand zu sein. Die Plät-
ze sind belebt. Als wir einander erkennen, fällt mir sofort die Nähe zwischen Herrn
und Frau Welter auf. Eingespielt lächeln und nicken sie mir zu. Frau Welter ist zu
diesem Zeitpunkt 55 Jahre, Herr Welter 57 Jahre alt. Sie haben zwei Kinder und zwei
Enkelkinder. Wir gehen in ein italienisches Eiscafé in der Nähe. Das Café ist leer,
nur gelegentlich dringt das Geräusch der Cafémaschine in unser Gespräch. Sie setz-
ten sich mir gegenüber nebeneinander. Sie wirken heiter. Über den Verlauf unseres
Treffens interagieren sie wie eine symbiotische Choreografie.
Herr Welters Erzählung geht zurück bis ins Ende des 18. Jahrhunderts, in die Zeit
Katharina der Großen. Seine Vorfahren waren deutsche Einwanderer, die in der
Wolgadeutschen Republik Arbeit fanden (wahrscheinlich in der Landwirtschaft).
Nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion und der Auflösung der
Wolgadeutschen Republik 1941 unter Stalin wurden sie zwangsumgesiedelt. Herr
Welter wurde somit in den 1950er Jahren in eine russlanddeutsche Familie in einem
kasachischen Dorf geboren. Zu dieser Zeit mussten Deutsche in Russland schwere
Repressalien durch die sowjetische Regierung erleiden. Andeutungen über eine er-
fahrene Internierung lassen vermuten, dass seine Eltern in Arbeitslagern der UdSSR
Zwangsarbeit leisten mussten. Die Aussichten auf ein autonomes Gebiet verschlech-
terten sich in der Folgezeit. Seit dem Bundesvertriebenengesetz von 1970 wird Wol-
gadeutschen die Einreise und Einbürgerung nach Deutschland ermöglicht. Wie viele
andere Russlanddeutsche dieser Zeit wanderten die meisten Verwandten von Herrn
Welter in den 1980er Jahren nach Deutschland aus, darunter seine Eltern und seine
kleine Schwester. Auch Herr Welter und seine Frau zogen später mit dem Aussied-
ler-Status nach. Heute kümmert sich die Schwester um die pflegebedürftigen Eltern.
Herr Welter durchlebt zunächst eine Dorfjugend im Norden Kasachstans und macht
einen mittleren Schulabschluss. Dann studiert er an einer Fachhochschule Kunst.
Sein Studium wird vom Militärdienst unterbrochen. Danach setzt er sein Studium in
154 Deutschland: empirische Befunde
Russland fort und wird dort Choreograf an einem Theater. Dort lernt er eine Theater-
regisseurin kennen und lieben, seine heutige Frau: „Dann, also, da habe ich sie ge-
troffen ((lachen)) – Frau Welter: Sofort Kind gekriegt! – Ja, wir haben sofort ein
Kind gekriegt.“ Frau Welter wurde in einer russischen Großstadt geboren und wuchs
dort mit ihren zwei Schwestern auf. Ihre Verwandtschaft samt Nichten und Cousinen
sind in Russland geblieben. Zum Studium zog sie in eine andere Stadt Russlands.
„Und da habe ich diesen Verrückten getroffen. – Herr Welter: Ein Deutscher! – Ein
Deutscher, und natürlich meine Eltern waren auch, beide waren die Zweite Weltkrieg
Teilnehmer.“ Die beiden sind ein ungewöhnliches Paar. Welters heiraten, auch wenn
beide Familien diese „Mischehe“ missbilligen. Direkt nach dem Studium bekommen
sie ihre erste Tochter – Frau Welter ist Anfang zwanzig –, bald darauf noch einen
Sohn. Am Theater verbinden sie Regiearbeit und Choreografie in gemeinsamen
Projekten. Sie erwerben sich im Umfeld einen guten Ruf, sind bekannt und angese-
hen.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gerät Russland wirtschaftlich unter Druck.
Frau und Herr Welter verdienen immer weniger Geld und befürchten, sich mit ihrem
Beruf nicht dauerhaft über Wasser halten zu können. Sie denken an die Zukunft ihrer
Kinder, denen sie eine gehobene Bildung ermöglichen möchten. Sie stellen den An-
trag per Aussiedler-Status nach Deutschland migrieren zu dürfen. Nachdem er positiv
beschieden wird, zögern sie die Migration immer wieder hinaus. Als im Jahr 1998
der Rubel im Zuge der Russlandkrise abgewertet wird, und Frau Welters Eltern ver-
sterben, setzen sie den Entschluss zu migrieren um. Die Kinder sind zu dieser Zeit
jugendlich.
In Deutschland treffen die Welters auf den Familien- und Bekanntenkreis aus Herrn
Welters Kindheit. Familiäre Netzwerke haben sich bereits gebildet. Die Migration
erfüllt aber nicht die Idee einer „deutschen“ Identität in Deutschland. In Russland
wird er als Russlanddeutscher verpönt, in Deutschland als „Ausländer“. Er spricht
kein Deutsch und kann seine Arbeit als Choreograf am Theater nicht fortsetzen. Das
Paar wird nach der Migration nicht mehr in die Herkunftsländer zurückkehren. Nur
einmal, nach zehn Jahren, reist Frau Welter nach Russland, um vor Ort ihre Rente zu
beantragen. Ihre Verwandten kommen zu Besuch nach Deutschland.
Lebensverläufe 155
Weder Herr Welter noch Frau Welter können weiterhin am Theater arbeiten. Wäh-
rend Frau Welter sehr schnell begreift, dass sie schon aufgrund gebrochener Sprach-
kenntnisse als Theaterregisseurin in Deutschland nicht Fuß fassen kann, wagt Herr
Welter einen fruchtlosen Versuch. Bald sehen sich jedoch beide gezwungen, eine
durch Herrn Welters Schwager vermittelte Fabrikarbeit aufzunehmen, die ihren intel-
lektuellen und künstlerischen Vorstellungen stark widerspricht. Die als Entfremdung
empfundene neue Arbeit führt zu einer emotionalen Krise. Herr Welter betont wie-
derholt diesen Aspekt:
Herr Welter: Und das wollte ich was dazu sagen. Dass beruflich haben wir uns hier
nicht ähm nicht gefunden, eigentlich. Ich habe dann mein äh integriert Praktikum in
einen Theater gemacht. In () Theater, Stadtviertel. Aber äh äh .. da wurde was ver-
sprochen natürlich und nicht äh und bisschen äh haben die uns ausgenutzt. Aber
trotzdem ich wollte da äh danach wollt ich nicht weiter als Choreografie arbeiten,
weil äh äh (Themen?) nicht mich interessiert sagen, sondern die kulturellen Sachen
sind so unterschiedlich, weil äh die deutsche Kultur ist so zu konzeptuell würde ich
sagen. Und äh die nicht so gefühlmäßig wie bei uns. Äh deswegen das passt irgend-
wie mich nicht äh richtig gut und äh da wurde es ziemlich schwer mir was, also, zu
vorschlagen als Choreografie.
Frau Welter: Also wir waren in andere-
Herr Welter: Aber habe ich sofort nach dem Praktikum, nach dem integrierten Prak-
tikum was beruflich zu ().
Frau Welter: Wir waren in andere Weltumschauung erzogen!
Herr Welter: Ja.
Frau Welter: Und äh unsere Generation in Russland [hm], ich=ich kann nicht sagen
die Jugend () jetzt, aber unsere Generation hat so geschätzt, dass äh die Schönheit
rettet der Welt. Das war die Credo. Und es passt nicht so zusammen äh mit alles was
läuft jetzt mit Kunst in Deutschland. Also wir waren einfach eine fremde. Eine-
Herr Welter: Ich hab gerade ein Stück äh choreografiert, wo, von Peer Gynt äh von
Ibsen äh Peer Gynt und da war, ich hab so ge- einfache Sachen gemacht, so kleine,
aber die, die zu choreografieren war für mich wirklich ein, ich hatte wirklich ein
Schritt, einfache äh nicht das Gefühl, also, Regieästhetik, was äh .. wir waren so un-
terschiedlich, das=das war ziemlich schwer für die. Deswegen ich hab aufgehört was
zu suchen äh in den Bereich. Und d a n n arbeiten wir in ein Fabrik fünf Jahre lang.
Frau Welter: Ja, wie in eine Gefängnis.
Herr Welter: Wir-
Frau Welter: Das war eine Fehler.
Herr Welter: Das war, das war absolut nicht unsere, also, äh das passte zu uns gar
nichts. Das war die eigentliche Gefängnis für uns (), wir haben unseren Lebensunter-
halt dort verdient, aber das war wirklich nicht schön, für unsere Geist, ((lacht)), für
unsere Seele, alles. Und für unsere Körper. Wir leiden immer noch von der, von der
156 Deutschland: empirische Befunde
An der Interaktion wird deutlich, wie die Konsequenzen der Migration zur Umorien-
tierung im Berufsleben nötigen. Der Umschwung ist für die beiden nicht allein von
ökonomischer Natur, auch wenn er sich unter ökonomischen Prämissen abspielt. Ihr
autonomer künstlerischer Drang, der gleichzeitig ihr intellektueller Ausdruck ist,
wird plötzlich inhaltsleer. An die Stelle des kreativen Freigeistes tritt Fließbandar-
beit. Die Welters hatten in Russland eine sinnstiftende Arbeitssituation am staatli-
chen Theater, das von einem breiten Publikum gewürdigt wurde. In Europa beginnen
sie nach Eingliederung in den Arbeitsprozess zu verstehen, dass sich die sozio-
ökonomische Anerkennung ihrer Arbeit in Deutschland anders darstellt. Sie bemer-
ken, dass ihre neue Position in der Aufnahmegesellschaft prestigelos ist. Dadurch
verschärft sich der Umbruch von Lebens- und Arbeitswelt.
Die neue Beschäftigung bietet ökonomische Sicherheit und stellt die Finanzierung
der Bildung der Kinder in Deutschland sicher. Außerdem ermöglicht sie die Fortset-
zung ihres engen Arbeitsbündnisses – „wir haben immer zusammen gearbeitet. Also,
wir waren immer ((lacht)) 24 Stunden zusammen. Er hat äh als Choreograph gearbei-
tet, ich als Theaterregisseurin. Und äh wir haben immer was zusammen gemacht.“
Allerdings wird die neue Lebens- und Arbeitssituation nicht als Gewinn wahrge-
nommen. Frau Welter expliziert etwas genauer, wie die verzwickte Erwerbsrealität
nach der Migration zu einer erneuten Umorientierung in die Kindertagespflege führt:
Frau Welter: Wir haben sofort eine fest Vertrag bekommen. Und das war für uns
Katastrophe. Weil unsere Kinder haben gelernt noch. Und ähm wir haben keinen
Geld gehabt. Also wir könnten nicht einfach uns kündigen, weil dann sollten wir drei
Monaten keine Unterhalt äh von Arbeitsamt und Sozialamt bekommen. Und es war
wirklich- ((spricht kurz auf Russisch))
Herr Welter: Ja, wie eine Falle.
Frau Welter: Wie eine Falle. Weil von andere Seite wir wollten dann nicht arbeiten,
von andere, wir konnten nicht kündigen. Und es hat gedauert. Das war furchtbar.
Das war die schlimmste Zeiten, fünf Jahren, die schlimmsten verlorenen Zeiten in
Lebensverläufe 157
unsere Leben. Weil ich persönlich am Ende fünfte Jahre ich wollte einfach sterben.
Wirklich. Ich habe die Augen geöffnet. Ich will nicht leben weiter. Und dann hat
mein Mann mir geretten.
Herr Welter: Gerettet ((lacht)).
Frau Welter: Gerettet, ja. Ein Tag, ja, unsere Tochter hatte erste Kind bekommen.
Bei Studium. Kind war sehr klein und äh sie haben hier äh in Ort gewohnt. Und wir
können unsere Enkelkind äh nur einmal in zwei Wochen sehen. Das war schwer. Wir
wollen natürlich mehr sehen, das war erste Enkelkind. Und dann unsere Chef hat
meinem Mann eine Vorschlag gegeben. Also äh die höchste Gehalt ((lacht)), also
und-
Herr Welter: Als Stapelfahrer.
Frau Welter: Ja ((lacht)) und er hat gesagt äh: Besser kündige mir. Und wir waren
gekündigt. Und dann haben wir eine Chance bekommen was Neues anzufangen.
Weil ich habe schon eine Idee gehabt. Eine von meine Kollegen, deutsch Kollegin da
ist, auch diese Betrieb, hat mir einmal gesagt: Ich versteh nicht, wieso ähm machst
du nicht Tagespflege? Ich: Was, was ist Tagespflege? Weil in Russland äh war, da-
mals gab sowas nie. Das war nur staatliche Krippe und Kindergarten. Das war's. Und
äh dann habe ich im Internet geguckt, was eigentlich ist Tageskinderpflege und ähm
da war im, das war die Zeiten von Schröder, war diese Programm für Selbstständige.
Und äh ich habe überlegt, ja, das können wir tun, wirklich. Und ich habe ihm meine
Konzept erzählt. Dass wir nehmen Kinder, dass wir machen zwei Sprachen, dass wir
sprechen Russisch mit Kindern. Egal, was für Kinder wir haben, ob sie Deutsche
sind oder Russen. Oder, jetzt haben wir Amerikaner, usw. Aber wir sprechen Rus-
sisch, Deutsch und .. es hat geklappt. Einfach. .. Das war eine Idee und das hat ge-
klappt. Und äh die äh die Stimmung war unsere eigene äh Enkelkinder, weil gerade
in diesem Moment hatte mein Sohn uns benachrichtigt, dass äh die Freundin, die war
damals Freundin und sie haben beide bei uns gewohnt, dass sie schwanger. Und sie
war noch Schülerin. Und dann haben wir verstanden, wir haben keine andere-
Herr Welter: Das muss gesorgt werden.
Frau Welter: - keine andere Wahl haben, als jetzt wirklich diese Kindertagespflege
zu machen. Und erste Kindertageskinder waren unsere eigene Kind-
Herr Welter: Wenn das Kind geboren sind, dann machen wir sofort die, das Beruf.
Und wir, wir äh gründen sofort die Tageskrippe.
Frau Welter: Unsere Unterstützung war nicht eh finanziell, finanziell schon, aber
sehr wenig, weil äh zuerst haben wir auch sehr, sehr wenig verdient und wir hatten
nicht für uns Geld genug. Äh sondern wir haben, die waren genauso alle wie wir. Die
haben früh geheiratet, früh Kinder gekriegt, nach dem Studium. Äh und unsere Sohn
hat das äh gerade nach dem Gymnasium ein Kind gekriegt.
Herr Welter: Auch, auch-
Frau Welter: Auch mit eine junge Frau und äh die waren alle bei uns und dann haben
wir einfach diese Entscheidung getroffen äh Tagespflege hier zu machen. ..
Herr Welter: Das war-
Frau Welter: wegen unsere eigene Enkelkinder und äh Kinder, weil die sollen doch
158 Deutschland: empirische Befunde
weiter studieren ((lacht)). Und die sollen doch eine Möglichkeit haben. […]
Herr Welter: Wir machen jetzt wirklich was () äh was das S i n n macht. Ähm mit
unsere neue, neue Beruf, mit den Kindern. Das macht wirklich Sinn. ((Lacht)) Ir-
gendwie dass alles wird neu äh neu gelebt oder wie äh wir betrachten das alles schon
anders. Was wir früher gemacht haben und was machen wir jetzt. Das was wir jetzt
machen für uns äh spielt viel größere Rolle als äh unsere Vergangenheit. .. Die Leute
respektieren und auch und wir respektieren die auch-
Frau Welter: Wir haben eine gute Gefühl, dass wir machen eine äh Arbeit die
braucht man wirklich.
Herr Welters knappe Feststellung „Das muss gesorgt werden“ enthält alle Hinweise
den Umbruch zur Kindertagespflege deutend verstehen zu lernen. Die sich durch
neue Enkelkinder zunehmend vergrößernde Familie führt zum Wendepunkt. Gesorgt
werden muss für die Kinder der selbst noch versorgungsbedürftigen Kinder (die zum
Teil noch im eigenen Haushalt leben), das heißt für die Kinder als auch die Enkel-
kinder. Das familiäre Care-Defizit, die jetzt erweiterte Versorgungslücke, verlangt
Sorgearbeit, damit das Familienprojekt an den eigenen Kindern nicht scheitert. Be-
merkenswert ist, dass die (groß)elterliche Unterstützung nicht allein über finanzielle
Transferleistungen erfolgt. Diese Güter sind knapp. Sie erfolgt über private Dienst-
leistungen an den Enkelkindern, die in die öffentliche Erwerbsarbeit überführt wer-
den. Der Pragmatismus von Frau Welter beweist unternehmerisches Denken, das mit
den 2006 aktuellen politischen Voraussetzungen der Ich-AG in Deutschland zusam-
menfällt. Ihr beruflich als deklassiert empfundenes Arbeitsverhältnis wird zur Chan-
ce deklariert. Diese perspektivische Umdeutung begleitet bei Herrn als auch Frau
Welter die erste berufliche Orientierung am Tätigkeitsfeld Care. Das ungewöhnliche
Beispiel zeigt, wie auch Männer, in diesem Fall über die Initiative der Ehe-Frau, in
die Lage versetzt werden können, an Care-Arbeit zu partizipieren. Das Konzept
mehrsprachiger Erziehung in der Kindertagespflege greift ihren intellektuellen An-
spruch und ihre mitgebrachte Kreativität auf (wir werden später auf diesen Punkt
zurückkommen). Indem sie wieder Sinn in ihrer beruflichen Tätigkeit finden, können
sie die empfundene Entwürdigung in der Fabriktätigkeit überwinden.
Lebensverläufe 159
Wenn wir gerade nicht jetzt kommunistische Ideen oder Parteizugehörigkeit hatten
ähm, man hat schon gemerkt das sind die, die Vorteile haben, ganz, ganz genau, da
160 Deutschland: empirische Befunde
wussten wir auch die=die bekommen schon die Schule, die bekommen auch die bes-
sere Arbeit, die können studieren.
Die Frauen und Männer, die ihre Lebensgeschichte erzählt haben, besuchen in ihren
Herkunftsländern alle die Schule und erwerben mindestens das Abitur. Ihre Bil-
dungsorientierung ist auffällig. In der Regel machen sie nach der Schule einen Ab-
schluss an einer Hochschule oder qualifizieren sich durch eine spezifische Ausbil-
dung. Dennoch können ihre Bildungsaspirationen nicht immer verwirklicht werden.
In den ehemaligen Sowjetstaaten zum Beispiel können ihre Wünsche mangels Beste-
chungsgeld oder fehlender beziehungsweise falscher Parteizugehörigkeit der Familie
torpediert werden.
Aus den geschilderten Situationen heraus entwerfen die Frauen und Männer ihre im
Jugendalter entstandene Vorstellung von einem Leben im „Westen“. Sie migrieren
meist einige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in den 1990er oder 2000er
Jahren. Die Idee eines „freiheitlichen“ Westens beinhaltet für die Migranten und
Migrantinnen, ihre Bildungsbestrebungen zu verwirklichen und damit langfristig ihre
Jobchancen und ihre Lebenslagen zu verbessern. Wirtschaftliche Krisen in ihren
Herkunftsländern verstärken die Motivation zu migrieren. Der Wunsch nach sozialer
(Klassen-)Mobilität entspricht dem der Migranten und Migrantinnen der südlichen
Länder. Die Migration wird in den meisten Fällen über die Einschreibung an einer
deutschen Universität realisiert, durch ein Au-pair-Visum, oder auf dem Wege des
Aussiedler-Status.
Die migrantischen Tagesmütter Marja und Penelope nutzen eine besondere Migrati-
onsstrategie: ein Jahr als Au-pair mit entsprechendem Visum. Ausgehend von Jobs in
der Tourismusbranche in ihren Herkunftsländern wollen sie innerhalb dieses Jahres
Deutsch lernen, um sich in ihrem ansässigen Arbeitsbereich besser zu qualifizieren.
Sie erlernen Umgangsformen, Tipps und Kniffe vom Leben in Deutschland und
richten sich in ihrer neuen Umgebung ein. Dann lernen sie einen festen Partner ken-
nen und entschließen sich zu heiraten. Noch vor Ablauf des Au-pair-Jahres bereiten
sie die Einschreibung an einer Hochschule vor, die eine Voraussetzung für den Erhalt
Lebensverläufe 161
des nächsten Visums ist. Eine langfristige Migration entsteht somit auf der Basis
eines regulären Aufenthalts mit Kost und Logis bei einer in Deutschland lebenden
Familie. Nicht selten verdienen Au-pairs während eines anschließenden Studiums ihr
Geld mit Babysitting. Über das Au-pair-Wesen entstehen zudem innerfamiliäre
Netzwerke unter Schwestern. Diese kommen auch als Au-pair nach, um dann durch
ein Studium ebenfalls langfristig in Deutschland zu bleiben. Es wird deutlich, dass
Au-pair zu einer bedeutenden Strategie transnationalen Familienlebens gehört, die
sogar als Strategie der Familienzusammenführung fungiert. Als Care-Tätigkeit mit
Kindern kann sie außerdem begünstigender Teil des Weges in die Kindertagespflege
sein.
Ein weiteres Motiv liegt in dem Wunsch, mit dem in der Aufnahmegesellschaft ken-
nengelernten Partner zusammenzuleben. Ihre (transnationalen) Beziehungen sollen in
langfristige lokale Beziehungen mit Lebensmittelpunkt in Deutschland überführt
werden. Oft heiraten sie, auch um den Aufenthaltsstatus zu sichern. Mit einem Leben
in Deutschland möchten sie die Zukunftschancen ihrer angestrebten oder schon exis-
tenten Familie stützen.
Herr Welter: Die Gehirnzellen sind ab- sind schon ((lacht)) abgestorben.
Frau Welter: Ja, ja, schon gestorben ((lacht)). Und natürlich sehr schnell.
Herr Welter: Meine Kinder haben praktisch hier keine Zeit dafür gegeben und die
haben viel besser als ich gesprochen. Äh ich hab acht Stunden pro Tag gelernt wie
verrückt und die haben mich äh einfach überholt mit den Sprache.
162 Deutschland: empirische Befunde
Die mangelnden oder sich nur langsam entwickelnden Sprachkenntnisse tragen dazu
bei, dass die Migrantinnen und Migranten in Deutschland zu vielen Berufen keinen
Zugang finden. Durch die Betreuung von Kleinkindern haben die migrantischen
Tageseltern jedoch häufiger Kontakt zu fließend deutschsprachigen Eltern. Es wird
sich zeigen, dass der Beruf der Kindertagespflege zur Verbesserung der Sprach-
kenntnisse führt. Die Sprachkurse stehen oft in Verbindung zu inzwischen verbindli-
chen Integrationskursen. Im Laufe der Zeit entsteht eine gewisse Distanzierung zum
Herkunftsland. Die Dominikanerin Penelope identifiziert sich schnell mit „der deut-
schen Ordnungsdisziplin“:
Es ist äh auch in der Dom Rep, weil ich immer pünktlich, ordentlich und ich struktu-
riert .. drei Sachen, die ein Dominikaner, es ist ihm fremd, diese Worte. […] Und
dann kam ich hier und denke, boah, ich bin angekommen. Also hier sind die Leute
echt, es war so meins. Wie ich von klein auf war.
Die Entfernung zur Herkunftsfamilie wird von den Interviewten oft als eine der ers-
ten Schwierigkeiten nach der Migration identifiziert. Andererseits halten die Fami-
lien transnationale Kontakte. Zudem stoßen sie oft auf bereits migrierte Bekannte
oder Familienmitglieder. Die Migranten und Migrantinnen gehen Beziehungen mit
Menschen unterschiedlicher Nationalitäten ein. Viele der Partnerinnen und Partner
sind in Familien geboren, welche schon über Generationen in Deutschland leben. Da
diese in Deutschland sozialisiert wurden, sind sie signifikante Stützen bei der Integ-
ration in die Aufnahmegesellschaft und bei Verhandlungen mit Behörden und Institu-
tionen. Sie vermitteln zwischen Herkunft und Ankunft der Partnerinnen und Partner.
Vor allem die Migranten und Migrantinnen aus dem ehemaligen Ostblock haben
Beziehungen zu Menschen, die auch aus der ehemaligen Sowjetunion kommen.
Begünstigend für das Kennenlernen scheint die oft mögliche Verständigung auf
Russisch zu sein. Der noch ausstehende Erwerb der deutschen Sprache, als auch die
als verbindend empfundene „Herkunftsmentalität“, spielen dabei eine begünstigende
Rolle, wie folgender Ausschnitt von Olgas Narration zeigt:
So, und ein Jahr später hab ich hier mein Mann kennengelernt. Der auch aus der Uk-
raine [sie kommt aus Weißrussland, Anm. JG] kam. Und ähm der hat einfach mal ..
ja, wir waren dann aus einem Welt sozusagen. Wie ich hier in Deutschland ange-
kommen bin, das war .. äh nicht nur wegen der Sprache. Sprache hat mir nicht gefällt
ähm ich konnte einfach mal die Leute nicht immer verstehen. Ja äh, die deutsche
Kultur oder deutsche Mentalität.
Es folgt eine Phase der Integration in die Gesellschaft und das Bildungssystem. Meist
nach ein paar Jahren eines Studiums wird das erste Kind geboren.
Die Migranten und Migrantinnen dieser Studie, die in Deutschland in der Kinderta-
gespflege arbeiten, sind in der Regel bereits berufserfahren. Sie waren zumeist in
ihren Herkunftsländern schon erwerbstätig und somit ökonomisch einigermaßen
selbstständig, obwohl ihre Arbeitsverhältnisse sie nicht immer zufriedengestellt ha-
ben. Sie arbeiteten vor der Kindertagespflege im Theater, im Labor, in der Touris-
musbranche, der Gastronomie, oder etwa als Graphiker. Viele nähern sich nach der
164 Deutschland: empirische Befunde
Migration dem Tätigkeitsfeld mit und um „Kinder“: über Babysitting, als Au-pair,
über ein Pädagogik- beziehungsweise Lehramts-Studium, als Aushilfe im Kindergar-
ten.
Zwei Faktoren führen meist zur Aufgabe der von den Frauen und Männern ursprüng-
lich erlernten Tätigkeit: die nicht umsetzbaren Qualifikationen auf dem deutschen
Erwerbsarbeitsmarkt und eine nicht zu bewältigende Problematik der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf in Deutschland. Die sozial schwache Ausgangslage mit
sprachlichen Verständigungsproblemen fällt mit der Familiengründung zusammen
und löst den Umbruch zur Kindertagespflege aus.
Mit der Familiengründung lässt sich das Berufsleben beziehungsweise das Studium
in Deutschland nicht mehr konfliktfrei fortsetzen. Schnell entsteht der Wunsch, aber
auch Zwang, für die eigenen Kinder Sorge zu tragen. Zeit wird kostbar. Es herrscht
Unzufriedenheit über die abverlangte Flexibilität im Job und die niedrigen Einkünfte.
Die Berufstätigkeit wird nun als Stressfaktor empfunden. Diese Situation wird von
mangelnden Betreuungsoptionen für Kinder in Deutschland überlagert. Das Be-
treuungsangebot kann nicht mit der Arbeitszeit in Einklang gebracht werden und
durch die Migration fehlt zudem eine eventuelle familiäre Unterstützung. Die Mütter
und Väter kalkulieren situativ Kosten und Nutzen von Erwerbsarbeit gegenüber
Familienarbeit. Oft setzen sie in dieser Zeit ihr Studium oder ihren Beruf aus. Da die
meisten Kinder vor 2007 geboren wurden, nehmen diese jungen Mütter neben dem
Bezug von Kindergeld meist Erziehungsgeld in Anspruch, das unabhängig vom
Einkommen für 24 Monate je nach Anpassung ca. 300€ im Monat betrug (oder 450€
über zwölf Monate).42 Die Partnerinnen oder Partner sind meist im Niedriglohnsektor
tätig. In den Fällen, in denen die Migranten und Migrantinnen mit Ortsansässigen
liiert sind, bestehen allerdings bessere Basiseinkünfte.
42
Dieser Konflikt zwischen Erwerbstätigkeit und Care-Arbeit ähnelt der Problematik, die viele
Zweiverdiener-Paare in Deutschland haben. Immer häufiger sind unter anderem aufgrund der
Verstädterungsprozesse auch für diese Paare die eigenen Eltern als Stütze nicht mehr verfügbar.
Schon nach der Geburt des ersten Kindes tritt eine Person, meist die Partnerin, aus dem Erwerbs-
leben aus und wendet sich oft ein ganzes Jahr (oder länger) dem Familienleben zu, um die Ver-
sorgung der Kinder sicher zu stellen. In dieser Zeit bekommt sie seit 2007 bis zu zwölf Monate
Elterngeld, das 67% des vorherigen Netto-Einkommens beträgt. Wenn ein Wiedereinstieg in die
Arbeit erfolgt, dann meist nur in Teilzeit.
Lebensverläufe 165
Nach einiger Zeit, in der die Mütter (und Väter) ihre Familie privat versorgen, wächst
der Druck nach einem zweiten Gehalt. Zum Zeitpunkt der ersten Interviewführung
haben die Befragten in Deutschland im Durchschnitt zwei bis drei Kinder. Je mehr
Kinder geboren werden, desto schwieriger wird die Gestaltung von Arbeits- und
Familienzeit. Gleichzeitig verstärkt sich der Wunsch, den Beruf mit der Erziehung
ihrer Kinder vereinbaren zu können. Sie möchten in dieser Situation die Familienar-
beit fortsetzen und vermeiden, dass ihre eigenen Kinder fremdbetreut werden. Eine
Tagesmutter drückt das so aus:
Weil ich will schon auch, ich will .. eine Arbeit neben, zum Beispiel die kann ich zu-
sammen mit mein Kinder und Arbeit auch zusammenmischen. Ich will auch nicht
mein Kinder zum Beispiel äh Hort schicken oder zum Beispiel so draußen. […] das
heißt wir wollen immer auch nen bisschen lange Zeit mit unseren Kindern bleiben.
Die Migranten und Migrantinnen entwickeln die Strategie, den Konflikt zwischen
Kindererziehung und Beruf über das Tätigkeitsfeld „Kindertagespflege“ zu entschär-
fen.43 Als Tageseltern erwirtschaften sie meist einen Zuverdienst und ziehen gleich-
zeitig die eigenen Kinder Zuhause groß. Jamila bringt den mit der Familienarbeit
verquickten Gewinn auf den Punkt:
Dann kommt die Idee zum Beispiel Tagesmutter. .. Dann kann ich auch meine eige-
ne Kinder viel helfen auch, weil was geht um Tageskinder geht's auch um meine ei-
gene Kinder und was geht um meine eigene Kinder geht's auch um Tageskinder. Das
heißt, ich arbeite zu Hause und ich bin schon eine Mutter. Ob Tagesmutter oder
((lacht)) Mutter, ich bin schon generell eine Mutter.
Diese Identifikation im Beruf verfestigt sich, umso größer die eigene Familie wird.
Dabei werden die eigenen Kinder meist bis zum dritten Lebensjahr selbst betreut, bis
diese in den Kindergarten kommen. Auch während der Kindergartenbetreuung und
der Schulzeiten bleiben Defizite, die die Wahl einer anderen Berufstätigkeit be-
schränken.
43
Diese empirischen Befunde zur Situation von Tageseltern in Deutschland entsprechen anderen,
kürzlich erhobenen, qualitativen Forschungsergebnissen. Auch diese kommen zu dem Schluss,
dass die veränderte Familiensituation einen biografischen Bruch markiert und „die Entscheidung
zur Tätigkeit in der Kindertagespflege in erster Linie durch den Wunsch nach einer besseren
Vereinbarkeit von Familie und Beruf motiviert ist.“ (Schoyerer & Weimann-Sandig 2015: 41f)
166 Deutschland: empirische Befunde
Es fällt auf, dass Ortsansässigen als auch länger in Deutschland lebenden Mig-
rant_innen die Kindertagespflege als Möglichkeit, sich offiziell selbstständig zu
machen, oft unbekannt ist. Meist lernen sie andere Tageseltern auf Spielplätzen, über
Freunde oder Nachbarn kennen und erfahren so von dieser Möglichkeit. Auch Mütter
und Väter sind über diese öffentliche – nicht private – Betreuungsoption wenig in-
formiert, haben nur vage Vorstellungen und hegen Vorbehalte im Vergleich zur
institutionellen Einrichtungen wie Krippen. Beide Umstände hängen höchstwahr-
scheinlich mit der sehr jungen Professionalisierung der Tätigkeit zusammen, die mit
der öffentlichen Förderung der Kindertagespflege mit dem Tagesbetreuungsausbau-
gesetz von 2004 (TAG) beginnt. Auch etwa zu dieser Zeit, in den 2000er Jahren,
beginnen die Tageseltern dieser Studie ihre Tätigkeit. Oft wird das Moment der Ent-
scheidung, Tagesmutter oder Tagesvater zu werden, durch den Hinweis anderer
beeinflusst. Dies gilt besonders für Elia, einem der zwei Tagesväter des Samples, der
von einem Gespräch mit seiner Nachbarin berichtet: „ ‚A h h h , du gehst gut mit
Kinder, vielleicht das ist etwas für dich.‘ Und .. ich sag: ‚Ja, probier mal.‘ “ Häufig
bewertet das Umfeld den Umgang der zukünftigen Tageseltern mit Kindern positiv
und ermutigt sie in ihrer Entscheidung.
chen sie sich als akkreditierte Tageseltern selbstständig. Sukzessive steigern die
Tageseltern die Anzahl der möglichen zu betreuenden Kinder mit der Folge eines
auch nur allmählich ansteigenden Verdienstes. Zur Zeit der Interviewführung betreu-
en sie im Durchschnitt drei Tageskinder, die Höchstgrenze liegt bei fünf. Im Allge-
meinen stoßen sie auf eine positive Nachfrage durch Kommunen und kirchliche
Institutionen. Die hier betrachteten Tageseltern qualifizieren sich zwischen den Jah-
ren 2005 und 2008 und sind daher Pioniere des neuen staatlichen Programms. Zwei-
felsohne ist der Druck nach der Akquise neuer Tagespflegekräfte in Westdeutschland
zu dieser Zeit gerade im städtischen Raum hoch. Für manche Eltern stellt die Kinder-
tagespflege eine Alternative dar, wenn institutionelle oder familiäre Formen der
Betreuung ausgeschlossen werden müssen. Andere Eltern sind froh, überhaupt einen
Betreuungsplatz zu bekommen (vgl. Heeg 2010: 377f).44
44
Während die Betreuungsquote (in Kindertageseinrichtungen oder bei einer Tagespflegeperson)
von Kindern unter drei Jahren 2007 in Westdeutschland noch bei 11% und in Ostdeutschland bei
42% liegt (bundesweit 15,5%) (vgl. Destatis 2012:7), wächst sie 2014 in Westdeutschland auf
27,4% und in Ostdeutschland auf 52% (bundesweit 32,3%) (vgl. Destatis 2016: 7).
168 Deutschland: empirische Befunde
Die migrantischen Tageseltern dieser Studie treten zwar über die Kindertagespflege
wieder in den Beruf ein und verhindern das Outsourcing der eigenen innerfamiliären
Erziehungstätigkeit, verlieren dabei jedoch ökonomische Eigenständigkeit. Das Ein-
kommen des Partners beziehungsweise der Partnerin erweist sich als Grundvoraus-
setzung der Kindertagespflege. Sie können mit ihrer neuen Tätigkeit lediglich einen
Zuverdienst zum Familieneinkommen erwirtschaften. Insofern trifft ihre Lebenslage
auf die von Robert Castel beschriebene neuartige soziale Verwundbarkeit
(vulnérabilité) zu.46 Die Arbeitssituation der migrantischen Tageseltern dieser Studie
45
Nach dem theoretischen Ansatz des doing gender sind, „Geschlechtszugehörigkeit nicht als
Eigenschaft oder Merkmal von Individuen zu betrachten, sondern jene sozialen Prozesse in den
Blick zu nehmen, in denen ‚Geschlecht‘ als sozial folgenreiche Unterscheidung hervorgebracht
und reproduziert wird.“ (Vgl. Gildemeister 2010: 137) Das gleiche gilt für doing family, wonach
Familie ebenfalls als Inszenierung beziehungsweise soziale Konstruktion begriffen wird.
46
Der Abbau sozialstaatlicher Leistungen Ende des 20. Jahrhunderts und die Auflösung unbefriste-
ter Arbeitsverhältnisse führen zu einer Prekarisierung der Arbeit, wie Robert Castel mit Blick
auf den Anstieg der Arbeitslosigkeit feststellt: « Mettre l’accent sur cette précarisation du travail
permet de comprendre les processus qui alimentent la vulnérabilité sociale et produisent, en fin
de parcours, le chômage et la désaffiliation. Il est d’ores et déjà équivoque de caractériser ces
formes nouvelles d’emploi de ‹particulières› ou d’ ‹atypiques›» (Castel 1995: 401) Das als „be-
sonders“ oder „atypisch“ bezeichnete Beschäftigungsverhältnis entspricht Castel zufolge nicht
mehr dem Arbeits-Statut des Fordismus im 19. Jahrhundert und begründet eine Wiederkehr sozi-
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 169
aler Unsicherheit. In Anlehnung an Castel, der die Krise der sozialen Sicherung im Kern als eine
Krise der Lohnarbeit nachzeichnet (vgl. Castel 1995), führt Brigitte Aulenbacher die Notwen-
digkeit an, die Familie in als weiteren Stabililtätskern in Relation zu setzen (vgl. Aulenbacher
2009: 75). Die gegenwärtige soziale Frage stellt sich demnach auch am Wandlungsprozess der
Familie.
170 Deutschland: empirische Befunde
Die Stundenlöhne bleiben auf Seiten der befragten Tageseltern so gering, dass einige
unter ihnen private Zuzahlungen von den Eltern verlangen. Gelegentlich bewegen sie
sich damit bewusst wie unbewusst in irregulären Grauzonen. Die Zuzahlungen stei-
gern die Kosten der Tageseltern gegenüber anderen Betreuungsformen. Manche
Kommunen verbieten sie deshalb ausdrücklich. Die juristische (Nicht-)Anerkennung
dieser Zuzahlungen ist noch ungeklärt und unterscheidet sich von Region zu Region.
Im September 2014 hat das Verwaltungsgericht im Bremen entschieden, „dass die
Forderung von Tagesmüttern und-vätern von privaten Zuzahlungen zu den Be-
treuungskosten durch die Eltern rechtmäßig seien. Begründet wird dies u.a. mit dem
Recht der freien Berufsausübung nach Art. 12 GG.“ (vgl. Bundesverband Kinderta-
gespflege e. V.) Um sie einzudämmen, werden Tageseltern in einigen Gebieten Er-
satzleistungen ausgezahlt.
Meist kamen die Tageseltern dieser Studie zum Ende ihrer Erzählungen ausführlich
auf bürokratische Probleme rund um die Selbstständigkeit und das Einkommen zu
sprechen. Auch in den sozialen Foren und Medien wie Facebook wird deutlich, dass
47
Zurzeit zahlen die Eltern an die Kommunen einen Kostenanteil, der von der jeweiligen Gebüh-
renordnung abhängt und nicht höher liegen soll als der, den Eltern für Kindertageseinrichtungen
entrichten müssen (meist um die 275€ für eine Vollzeit-Betreuung). Die Kommunen wiederum
bezahlen ihrerseits die Tageseltern. Die Eltern bekommen entsprechend ihrer Arbeitsmarktparti-
zipation gestaffelte Stundenpakete zugewiesen. Durch die Regulierung und Unterstützung der
Kindertagespflege ist diese für einkommensschwache Eltern bezahlbarer geworden. So können
beispielsweise für eine westdeutsche Großstadt etwa 280€ pro Monat für bis zu 19 Betreuungs-
stunden wöchentlich, 290€ für 24 Betreuungsstunden, usw. bis über 35 Betreuungsstunden für
390€ anfallen. Nach dem Kinderförderungsgesetz 2008 (KiföG) haben auch Arbeitsuchende An-
spruch auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege, was mit 2013 für alle
Kinder vom vollendeten ersten bis zum vollendeten dritten Lebensjahr rechtlich gilt (vgl. KiföG
2008: 2). Stellen die Kommunen keinen von den Eltern gewünschten Kita-Platz zur Verfügung,
dann können sie auf eine Kindertagespflegeperson verweisen.
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 171
Milana: Wir nehmen ne Zuzahlung, weil das vom Jugendamt einfach nicht ausreicht.
Wir sind selbstständig, wir haben Unkosten, wir sind ja dann nebenbei auch noch
Unternehmerinnen, ne?! Das muss man ja auch noch bedenken. Und das ist auch das,
wo ich oft sage, daran könnt's irgendwann bei mir scheitern, wenn das so weiter
geht. Weil mich das schon manchmal ähm nervt. Diese ganze Bürokratie und dieses
ganze, diesen Papierkram, den ich nebenbei noch mache. Der ja letztlich auch Ar-
beitszeit ist, wenn man so will. Das mach ich abends, das mach ich an den Wochen-
enden. Ich muss ständig, alle halbe Jahre ähm neue Anträge stellen auf äh wir krie-
gen ja so ne hälftige Erstattung zur Kranken- und Rentenversicherung. Ähm, wir
kriegen auch noch ne Förderung vom Land. Ähm und das muss alles immer bean-
tragt werden. Also man kriegt von verschiedenen Stellen praktisch Geld und das
macht das Ganze auch so unüberschaubar. Und, ja, mein Stundensatz, ich hab mitt-
lerweise nen anderen- also, jede Tagesmutter hat nen anderen Stundensatz. Das
kommt auch noch dazu. Dass es für die Eltern eben schwierig ist, weil jede Tages-
mutter ne andere Zuzahlung nimmt. [Hm.] Das hängt halt auch davon ab, welche
Ausgaben hat man, wie lebt man, ja, das ist, es ist halt schwierig. Es ist ne Selbst-
ständigkeit und letztlich ist man ja doch über's Jugendamt irgendwo da weisungsge-
bunden und deswegen, ja, das ist halt so ne Nische, irgendwo. […] Und ähm .. für,
also, ich kann jetzt von meinem Beispiel nur ausgehen, ich hab entweder äh Ganz-
tagskinder - also ab 35 Stunden die Woche. Oder drei Tageskinder. Also, das ist so
meins. Alles andere dazwischen hatt‘ ich jetzt in der Form so noch nicht. Oder dann
nur kurzfristig. Und, also, wenn ich jetzt mal ausgehe von einem .. also, ein Vollzeit-
kind mittlerweile kriegt, da krieg ich vom Jugendamt diese 485€ für ein Kind und
die Eltern müssen dann noch an mich äh 390€ zahlen. Das ist nen Volltag, also nen
Ganztagsplatz. [Hm] Genau, und ähm .. also, nen Dreitagesplatz, da krieg ich dann
230€ zirka, also ich weiß es nicht auf den Cent genau. Und da müssen die Eltern an
mich zahlen, 280. Weil ich hab die Staffelungen auch für mich so gehalten, dass ich
im unteren Bereich teurer bin, als im oberen Bereich. Weil ich einfach möchte, hört
172 Deutschland: empirische Befunde
aber gut. Also um die, gut, 1300€ müssen Sie gleich abziehen. Oder wahrscheinlich
(). Also bleibt dann, also netto bleibt ungefähr 1500€. Das ist mein Netto. Das ist
jetzt aber gutes Verdienst, ja?! Weil äh ich hab jetzt drei Kinder, die bis 18 Uhr
kommen und das ist, also pro Kind bekomme ich den 900 irgendwas Euro im Monat,
pro Kind. Wenn die Kinder weniger kommen, weil das ist auch nicht immer so das,
solche Eltern gibt die äh das ganze Paket in Anspruch nehmen. Es gibt Eltern, die
sagen „Nee, ich möchte nur 15 Stunden die Woche“ [hm], für die 15 Stunden die
Wochen bekommen wir im Monat 500€ pro Kind. Das heißt, wenn ich drei davon
habe, dann habe ich brutto 1500. Gut, dann ist es weniger äh Versicherung und Steu-
er. Aber trotzdem, das wahrscheinlich, gute Hälfte musst du gleich abziehen. Dann
arbeitet eine Tagesmutter dann schon für 1000€ im Monat. Ist immer unterschied-
lich, je nachdem wie lange die Kinder kommen.
Eine Kalkulation der üblichen Einkommen von Tageseltern ist unter den verschiede-
nen Bezahlmodi und Betreuungsmodi, die sich miteinander vermischen, kaum mög-
lich. Weder für die Tagesmutter selbst, noch für die Eltern, die Tagespflege buchen.
Auch eine außenstehende Betrachtung, welche Einkommen hier erzielt werden kön-
nen, ist deshalb schwierig. Angesichts der Komplexität der Regelungen kann die
Einkommenssituation nur als Schätzung darstellt werden. Zwischen staatlich festge-
legten Bezügen und den Zuzahlungen der Eltern entsteht eine Grauzone, die Auswir-
kungen auf Steuern und (Sozial-)Versicherungen einschließt. Es ist nicht geklärt, ob
diese Zahlungen abrechenbar sind oder in der Grauzone verbleiben. Die Autorität der
Stadt opponiert mit dem Recht der freien Berufsausübung für Selbstständige. Die
zeitlichen Bedürfnisse, die Eltern in Bezug auf ihre Kinder haben, konfligieren mit
einem kontinuierlichen Arbeitstag der Tageseltern. Unregelmäßigkeiten, wie viele
Kinder wie lange kommen und wann welche rechtliche Regelung die andere ablöst,
machen konstante Berechnungen schwierig. Die Tageseltern müssen „selbstständig“
die eingeführten Regelungen der Kindertagespflege optimieren, um einen angemes-
seneren Lohn zu erlangen. Die finanziellen als auch zeitlichen Regelungen zeigen,
dass die Interessen der Auftraggebenden und jene der Tageseltern zum Teil gegen-
sätzlich sind. Entgegen der gestaffelten Regelungen von Zeit und Entgelten sorgen
manche Tageseltern über private Pauschalen für geregeltere Arbeitszeiten. Die Bei-
spiele machen deutlich, wie Unsicherheiten in Bezug auf Lohn und Lohneinforde-
rung allein durch die Tageseltern getragen werden.
174 Deutschland: empirische Befunde
Nach dem TAG von 2004 ist der „qualitätsorientierte, bedarfsgerechte und flexible
Ausbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen“ ein Ziel der Bundesregie-
rung, das mit einer „Aufwertung der Kindertagespflege zu einer qualitativ gleichran-
gigen Alternative“ zu anderen öffentlichen Einrichtungen einhergehen soll (vgl. TAG
2004). Es wird daher angestrebt, für die Eltern Wahlfreiheit zwischen Krippen und
Tageseltern zu schaffen. Vermittlerin ist das Jugendamt, dessen Angestellte mit der
schwierigen Mission betraut werden, für Eltern neben der Krippe ein möglichst kos-
tengleiches Angebot in der Kindertagespflege zu schaffen, ohne einen angemessenen
Lohn auf Seiten der Tageseltern versichern zu können. Gleichzeitig bezahlt und
kontrolliert die öffentliche Jugendhilfe den Bereich der Kindertagespflege:
So hat die öffentliche Jugendhilfe von juristischer Seite für den Kindertagespflegebe-
reich eine doppelte Funktion, und zwar eine Vermittlungs- und eine Kontrollfunktion
bzw. Fachaufsicht. Die Vermittlungsfunktion wird durch die Kommunen jedoch in
unterschiedlichen Organisationsformen – in einigen Kommunen aber auch gar nicht
– umgesetzt. (Wiemert 2009: 71)
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 175
Das Gesetz zielt eher auf eine zusätzliche Regelung zur Betreuung von Kindern ab,
als auf die Etablierung der Berufstätigkeit von Tagesmüttern. 48 Diese Problematik
macht sich in den Erzählungen der migrantischen Tageseltern bemerkbar. Zum einen
werden die Bediensteten von den Tageseltern oft als überlastete Personen beschrie-
ben, die unter Zeitdruck stehen würden und oft nur vorübergehend in dieser Funktion
tätig seien. Daher bezweifeln manche Tageseltern deren Professionalität und Urteils-
kraft in Bezug auf das Wohl der betreuten Kinder. Zum anderen werden sie oft trotz
ihres guten Willens als Stressfaktor, wenn nicht gar als Bedrohung oder Aggressor,
wahrgenommen. Ihre Unterstützung tritt hinter der bürokratischen Funktion zurück.
Ihnen wird unterstellt, die Interessen von Eltern, Krippen oder Kitas voranzustellen.
Die Jugendämter laufen daher Gefahr, Tageseltern durch Vorgaben eher zu be-
schneiden, als zu befördern. Der Anspruch einer qualitativen Kindertagespflege als
vollwertiger Beruf kann nur unzureichend eingelöst werden, und der prekäre Status
quo bleibt weitgehend erhalten. Die Kindertagespflegepersonen bleiben in wesentli-
chen rechtlichen, finanziellen und steuerlichen Fragen auf sich selbst gestellt. Mehr
Vertrauen drücken die Tageseltern gegenüber den parallel bestehenden, beratenden
und begleitenden kirchlichen Fachdiensten wie der Caritas aus, die in manchen Städ-
ten von den Jugendämtern beauftragt werden.
Die Höhe des Verdienstes ist neben dem gewünschten Betreuungsumfang der Eltern
außerdem abhängig von den individuellen Lebensrealitäten der Kindertagespflege-
personen selbst. Der Umfang der eigenen Familienarbeit entscheidet beispielsweise
über die Kapazitäten, die sie als Tagesmutter oder er als Tagesvater anbieten können.
Der Familienstand kann sich auf die Höhe des zu versteuernden Einkommens aus-
wirken. In dieser Studie zeigt sich, dass der Lebensstandard der Tageseltern und ihrer
Familien wesentlich von einem existenzsichernden Verdienst des Partners oder der
Partnerin abhängt. Er ist Voraussetzung, um als Kindertagespflegeperson arbeiten zu
48
Eine Studie von Papst und Schoyerer zeigt bereits, dass die fachliche Beratung und Begleitung
sowie der Umgang mit Ausfallszeiten einer Tagespflegeperson durch die öffentlichen Jugendhil-
feträger in Deutschland bei einem belastend hohem Fachberatungsschlüssel zu einer nachlässi-
gen Übernahme der Förderauftrags führen (Papst & Schoyerer 2015).
176 Deutschland: empirische Befunde
können. In den meisten Fällen begünstigt daher der niedrige Verdienst als Kinderta-
gespflegeperson die traditionelle Rollenverteilung des Ernährer-Modells.
Die Partner und Partnerinnen der migrantischen Tagesmütter und –väter dieser Stu-
die in Deutschland haben oft ebenfalls einen Migrationshinweis und sind außerdem
vorwiegend im Niedriglohnsektor mit unsicherer Vertragslage beschäftigt, in auffäl-
liger Häufigkeit in typischen sogenannten Männerberufen, wie zum Beispiel als
Stapelfahrer oder Kfz-Mechaniker. Einkommensknappheit bestimmt daher das Leben
der Familien. Im Kontrast hierzu stehen jene migrantischen Tageseltern, die mit
ortsansässigen Partnern zusammenleben. Bei ihnen gewährleistet der Partner bezie-
hungsweise die Partnerin mehr ökonomische Sicherheit, zum Beispiel über eine feste
Stelle bei einer Bank oder als Psychologe. Für Penelope, die einen gut verdienenden
Ehepartner hat, macht es aufgrund des Ehegattensplittings ökonomisch keinen Sinn,
Vollzeit zu arbeiten:
Wenn man fünf Kinder hat wird noch mehr von alle fünf Kinder abgezogen. Das
heißt, und ich habe alles durchgerechnet, ähm in manche Fälle mag gut sein, aber in
meinem Fall es ist so, dass ich wenn ich fünf Kinder betreue, eineinhalb habe ich
umsonst betreut.
Die Migrantinnen und Migranten dieser Studie müssen vor allem zu Beginn ihrer
Tätigkeit als Kindertagespflegepersonen nach Beschäftigung suchen und daher um
Nachfrage werben. Ihnen begegnen verunsicherte Eltern. Ein Teil der Eltern hegt
noch Zweifel an der Qualität der Kindertagespflege (vgl. auch Riedel & Heitkötter
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 177
2014: 789f). Skepsis drückt sich auch gegenüber des befürchteten Einflusses gebro-
chener Deutschkenntnisse auf die sprachliche und kulturelle Entwicklung ihrer Kin-
der aus. Da die Kindertagespflege in der Regel nicht in einem öffentlichen Raum
verortet ist, befürchten Eltern darüber hinaus einen Mangel öffentlicher Fürsorge-
pflicht und bezweifeln die Care-Fähigkeit der Tageseltern. Hörbar unvollständige
Sprachkenntnisse tragen zur Sorge bei, dass die Ausbildung der Tageseltern qualita-
tive Lücken aufweist. Hinzu kommt eine Meinung aus der deutschsprachigen Mehr-
heitsgesellschaft, die besagt, Mehrsprachigkeit überfordere Kinder und keine Sprache
werde richtig gelernt. Noch im Dezember 2014 forderte die Christlich Soziale Union
(CSU) in einem Leitantrag „Wer dauerhaft hier leben will, soll dazu angehalten wer-
den, im öffentlichen Raum und in der Familie Deutsch zu sprechen“ (vgl. Die Zeit
2014). Unter diesen Voraussetzungen ist der Eintritt in diese Tätigkeit für Migrantin-
nen und Migranten zunächst schwierig.
Manche Städte oder Gemeinden bedienen sich zur Vermittlung von Tageseltern und
Familien Computerprogrammen und technologischer Innovationen. Dennoch wird
schnell klar, dass es Hauptaufgabe der Tageseltern selbst ist, neue Kunden einzuho-
len, Nachfrage zu beantworten und geeignete Bewerbende auszuwählen. Kinderta-
gespflegepersonen in Deutschland als Teil der digitalisierten Welt sind, wie bereits
erwähnt, in beachtlichem Maße in sozialen Medien aktiv. In Foren vernetzen sie sich
mit anderen Kindertagespflegepersonen. Neben dem Austausch über Bezahlung und
rechtliche Rahmenbedingungen werben sie hier gezielt um Tageskinder. Ihre Präsenz
erstreckt sich über Profile, die Fotos, Lebensläufe und Selbstpräsentationen beinhal-
ten. Das Ego wird in Hinblick auf Kinderfreundlichkeit, Aktivitäten, pädagogischem
Ansatz und Fürsorgecharakter in Selbstbeschreibungen inszeniert. Hier nur ein
Beispiel:
touch with any questions that you might have. I can provide references. I can speak
Russian, Serbian and German up to B2 level. (vgl. Betreut.de)
Mehrsprachige Kindertagespflegeangebote
Eine fremde Sprache kann im Zuge der schwierigen Annäherung an die Aufnahme-
gesellschaft ein Hindernis für ein gelingendes Betreuungsmodell darstellen, jedoch
auch einen Anspruch betonen, der sich gerade an dessen Ressourcencharakter be-
misst. Bevor das Ehepaar Welter 2006 begann in der Kindertagespflege in Deutsch-
land zu arbeiten, entstand eine spezifische Geschäftsidee:
Und äh ich habe überlegt, ja, das können wir tun, wirklich. Und ich habe ihm mein
Konzept erzählt. Dass wir nehmen Kinder, dass wir machen zwei Sprachen, dass wir
sprechen Russisch mit Kindern. Egal, was für Kinder wir haben, ob sie Deutsche
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 179
sind oder Russen. Oder, jetzt haben wir Amerikaner, usw. Aber wir sprechen Rus-
sisch, Deutsch und .. es hat geklappt.
Eine hinter der knappen Formulierung „und .. es hat geklappt“ liegende aufwendige
Vertrauens- und Werbearbeit wird durch die „Zugzwänge des Erzählens“ aufgedeckt.
Fritz Schütze zufolge zwingen diese die erzählende Person dazu, die Narration sinn-
voll in eine detailreiche Erzählung einzubetten und sie zu Ende zu gestalten, sodass
sie für den Zuhörenden nachvollziehbar wird (vgl. Schütze 1984: 79). In Herrn und
Frau Welters Erzählung werden die hinter der Erfolgskonstruktion ihrer Geschichte
liegenden Mühen entsprechend im Zuge des Erzählens aufgedeckt:
Herr Welter: Haben wir viel Werbung gemacht auch. Wir haben mehr Platz ge-
macht. Haben-
Frau Welter: Aber zuerst es war sehr, sehr schwer. Zuerst haben wir nur zwei Kinder
gekriegt. Und da war so, dass wenn zu uns eine deutsche Familie kommt, kennenzu-
lernen, die hören uns und dann gehen sie raus und sie r u f e n nicht zurück. Und
jetzt hat man, natürlich, jetzt () deprimierend. Weil wir wollen eigentlich nicht uns
nur auf äh russische Familien konzentrieren, sich konzentrieren. Weil ich finde das,
das ist dumm. In äh Deutschland wohnen und konzentrieren sich nur auf russische
Familien.
Herr Welter: Ja, wir sind keine geschlossene Gesellschaft sozusagen.
Frau Welter: Ja. Wir wollen nicht, keine geschlossene Gesellschaft zu bauen. Und äh
deswegen es war sehr, sehr schwer. Äh langsam sind zu uns zuerst unsere Landes-
leute gekommen.
Herr Welter: Gekommen
Frau Welter: Ja. Und äh da war eigene Probleme, weil äh, die sind anderes als Deut-
sche. Zum Beispiel für unsere Leute war wirklich Entdeckung: "Wie?! Wir sollen
Urlaub bezahlen? Du arbeitest nicht und ich bezahle deine Urlaub? Das kann nicht
sein." [Hm.] Das war wirklich was äh Ungewöhnliches, für unsere Leute. .. Ja. Und
dann hat zu uns erste Deutsche gekommen, die, die waren von uns überzeugt. .. Die
äh [hm] arbeitet bis heute äh an technische Uni und äh sie hat uns, sie hat für uns
Vertrauen halt gehabt. Einfach so. Und wenn äh wenn äh Kind war bei uns ein Jahr,
und nachdem sie hat aus äh eigene Stimmung, ja? Kann man so sagen? ((Spricht
kurz Russisch)) Aus eigene Entscheidung eine Initiative, eine g r o ß e Rückmel-
dung geschrieben. Wirklich eine große. Drei äh volle äh Schreibblätter ((lacht)). Das
war äh die größte Rückmeldung in meine Leben. Ja. Die hat ganze Geschichte er-
zählt. Mit der Kind, wie es war früher, wie es jetzt. Und die ist sehr begeistert. Und
sie hat aus eigene Initiative diese Rückmeldung überall geschickt. In Tageseltern-
vermittlung, (), Jugendamt, und uns natürlich alle. Und sie hat dann gesagt: „Ja gut,
wenn nächste Deutsche zu euch kommen, du darfst meine Telefonnummer geben.
[Hm.] Weil alle werden Zweifel haben, wegen die Sprache.“ .. Und das ist wirklich,
180 Deutschland: empirische Befunde
weil gerade in diesem Moment lernt man sprechen. .. Zwischen ein und drei und fünf
Jahren. [Ja]
Frau Welter: Und es hat super geklappt äh mit nächste deutsche Familien. Haben sie
angerufen, sie hatte alles- wirklich, die deutsche Kinder haben keine Probleme mit
deutsche Sprache.
Herr Welter: Die haben sie ganz schnell, genauso gut wie ihre, wie unsere Sprache ..
Frau Welter: genauso gut, ja
Herr Welter: ((Lacht)) Aber drei Jahre verstehen sie gut Russisch. Natürlich dann,
vergessen sie russische Sprache. Aber die Synapsen im Gehirn bleiben doch. Und
dann Gehirn ist einfach vorbereitet für nächste fremde Sprache. Es ist so. Das ist hier
((zeigt auf den Kopf)).“
Der Erhalt der Muttersprache hat für viele Migrationsfamilien eine identitätsstiftende
Bedeutung. In Familien mit und ohne jüngere Migrationsgeschichte wächst das Inte-
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 181
Frau Welter: Ne, letztes Jahr es war 50% Deutsche. Weil diese Jahr, in diesem Jahr,
ja, haben wir so Russische.
Herr Welter: Die wollen ihre Kinder auch die zwei, zweisprachige Erziehung und die
wollen äh die Muttersprache zu behalten, weil es geht bei uns ziemlich oft einfach
verloren, weil die, obwohl die beide Eltern sprechen so schlecht Deutsch, Kind wird
Deutsch sprechen.
Frau Welter: Kind spricht genauso schlecht Russisch.
Herr Welter: Ja ((lacht)). Wir haben sowas ziemlich oft beobachtet, deshalb haben
wir uns entschieden äh im Konzept geht das und ()-
Frau Welter: Ja, mit viele Kinder es hat geklappt. Weil mit unsere eigene Enkelkin-
der es hat super geklappt. Die sprechen ein Deutsch ohne jede Akzent. Kein Mensch
kann nicht sagen, dass die sind aus russische Familie. Aber die sprechen auf Rus-
sisch auch äh ohne Akzent.
Herr Welter: Ohne Akzent.
49
Differenziert wurde hierbei nicht zwischen Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege.
Auch über den Migrationshintergrund der Kindertagespflegepersonen informiert die Statistik
nicht. Es bleibt unbeantwortet, inwiefern migrantische Kindertagespflegepersonen oder Mig-
rant_innen in Kindertageseinrichtungen zur Betreuungsdichte von Kindern mit Migrationshin-
tergrund beitragen.
182 Deutschland: empirische Befunde
Tageseltern mit Migrationshinweis fördern auf diese Art Tageskinder mit und ohne
Migrationshinweis. Für die Tageskinder, deren Eltern einsprachig Deutsch aufge-
wachsen sind, kann diese fremde Sprachressource der migrantischen Tageseltern die
nun unter der Globalisierung erkennbar werdende Einsprachigkeit der ansässigen
Eltern ausgleichen. Diese Integrationsleistung von Seiten der transnationalen Tages-
eltern sensibilisiert Tageskinder in der frühen Kindheit für die mehrsprachige Welt
und offeriert auch migrantischen Familien die Transmission von familialen Mutter-
sprachen.50 Damit können migrantische Tageseltern eine Klientel mit der gleichen
Herkunftssprache bedienen. Die Erzählungen zeigen, dass diese Beziehungen glei-
chermaßen konfliktreich oder harmonisch verlaufen, wie die Beziehungen zur deut-
schen Mehrheitsgesellschaft. Die Transnationalisierung der sozialen Welt verschiebt
insofern die Bewertung von Sprachkompetenzen zugunsten der Mehrsprachigkeit.
Die von der CSU eingebrachte Verengung auf Deutsch überlebt sich.
Und in meine Arbeit es war einfacher zu, hier zu kommen für mich. Also, weil ich
hab gewusst, dass in der Stadt äh mit alle die Leute, die kommen überall äh ich wer-
de Arbeit finden. Also, das war für mich äh nicht äh unmöglich. [Hm.] Äh ich hab
mich trotzdem beraten lassen von der Stadt. Da hab ich gehört, dass ich werde kein
Arbeit finden, weil die Leute suchen ähm Tagesmutter, die sind deutsch, die spre-
chen Deutsch, für die Kinderentwicklung und so. Äh und also, dass die machen es
gern, meine Anmeldung, dass ich kann gern meine Qualifizierung, meine Grundqua-
lifizierung machen. Aber, dass ich werde kein Arbeit finden, weil es gibt keine ..
Markt dafür. Aber ich war äh sicher, dass es war nicht der Fall. Ich war sicher, dass
50
Auch Mozère stellt in ihrer Studie zu migrantischen Tageseltern in Frankreich fest, dass gebro-
chene Sprachkenntnisse zwar zu einem handicap linguistique werden können, jedoch sehen
manche Eltern in der Mehrsprachigkeit auch eine Ressource (vgl. Mozère 2000: 147).
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 183
es gibt genug äh Leute, die sind interessiert in die französische Sprache und äh dann,
die haben mir gesagt im Amt: ja, Sie werden nur mit französische Leute arbeiten. Ja,
es gibt viele Franzosen in der Stadt. Also, mal sehen. Aber ich war nicht ähm äh ..
also, ich habe es nicht wahrgenommen. Hein?! [Hm.] Und äh dann hab ich einfach
kleine Anzeige überall geklebt, weil ich hab mich entschieden, privat zu arbeiten.
Selbstständig. Also, ich bin im Amt gemeldet. Die kennen mich. Die kommen hier
zu Hausbesuch. Die sind meine Ansprechpartner für alles Mögliches. Aber ich arbei-
te mit die Eltern privat. Also, die Amt bezahlt nix, hein?! Also, ich bin teurer als die
äh normale Tagesmutter hier in der Stadt. [Ah ja.] Weil äh ich äh biete an, eine Be-
treuung mit viele Erfahrung. Ich hab insgesamt viel mehr Erfahrung als die anderen
hier. Also, nicht immer. Aber äh ich bin die alte Tagesmutter mit Erfahrung. Ähm
ich biete an eine französische Sprachkurs, weil eigentlich ich betreue die Kinder ja
auf Französisch. In meine Muttersprache. Und äh wir essen auch französische Kü-
che. Natürlich, hein?! Und wir gehen auch ins Schwimmbad, in den Zoo, im Theater
äh usw. Also wir machen, wenn es möglich ist, wenn die Kinder so weit sind, hein?!
[…] Äh Eltern, die sind äh die waren super motiviert mit mein Konzept. Die waren
begeistert und die waren bereit, es zu bezahlen auch, hein?! Und die meisten von
diese Eltern sind überhaupt nicht französisch. Die sind deutsch und äh die suchen,
also, die meisten, ich hatte bis jetzt nur eine Mama, die war französisch. Der Rest
sind alle deutsche Eltern. Und äh die wollen diese spezielle, speziell, also, diese an-
dere äh Betreuung, hein?! Weil ich habe auch eine Art und Weise, es zu machen.
Vielleicht es ist komplett anders als in Deutschland. Ich weiß es nicht. Man hat nicht
dieselbe Kultur, dieselbe Art mit die Kinder. Und äh die suchen sich das speziell aus.
Pascale über die 1 000-1 500€ Endverdienst nicht hinaus, im Gegensatz zu einem
ehemaligen Netto-Verdienst von 2 500€ in Frankreich.
Das auf beiden Seiten gewünschte flexible Betreuungsverhältnis kann Vorteile und
Bürden generieren. Flexibilität auf Seiten der Tageseltern beantwortet die Nachfra-
gewünsche der Eltern. Flexibilität auf Seiten der Tageseltern bemisst sich an den
Bedürfnissen ihrer eigenen Kinder entsprechend spezifischer Lebenslagen. Die Ta-
geseltern versuchen durch Auswahl der Familien ihre Betreuungszeiten an die eige-
nen Lebensumstände anzupassen. Übergangszeiten des Kindergartens müssen gema-
nagt oder Kinder zur Schule gebracht beziehungsweise von dieser abgeholt werden.
Das Alter und die Anzahl der eigenen Kinder beeinflusst, wie viele Tageskinder sie
in Betreuung nehmen. Zeitlich besteht eine höhere Flexibilität gegenüber den öffent-
lichen Einrichtungen, was Eltern wiederum zu schätzen wissen. Allerdings ist das
mögliche Arbeitspensum der Tageseltern von den genannten Familienumständen,
ihrem Gesundheitszustand, ihrer Energie und Fitness abhängig. Auch die eigenen
51
Unter den Nutzer_innen der Kindertagespflege arbeiten im Übrigen Mütter häufiger Teilzeit als
Nutzer_innen von Kitas, wo der Anteil vollzeiterwerbstätiger Eltern höher ist (vgl. Rie-
del & Heikötter 2014: 787)
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 185
Körperkräfte, die gerade im höheren Lebensalter nachlassen, sind daher an die mög-
liche Entlohnung gekoppelt.
Die genaue Definition von Arbeitszeiten fällt den Tageseltern dieser Studie schwer,
da sich unbezahlte Arbeitsinhalte und offizielle Arbeitszeiten überlagern. Jene Tätig-
keiten, die die Tageseltern außerhalb oder auch innerhalb ihrer „Dienstzeiten“ als
Mehrwert erbringen, werden meist nur beiläufig erwähnt. Oft ist das Tagesprogramm
der Kindertagespflegepersonen anspruchsvoll. Die Arbeit beginnt beim Frühstück,
wo Nahrungsaufnahme als sozialer familiärer Akt inszeniert wird. Der Nährwert der
Nahrung wird als Qualitätsmerkmal der Betreuung ausgewiesen. Weitere Maßnah-
men der Gesundheitsförderung erfolgen durch tägliche Bewegung an der frischen
Luft. Putzen, Aufräumen, Einkaufen und Kochen sind nicht Teil der vergüteten Ar-
beitszeiten, wobei die Kosten für Lebensmittel erstattet werden. Auf meine Aufforde-
rung, ein bisschen mehr über ihren Arbeitsalltag in der Kindertagespflege zu erzäh-
len, gibt Tagesmutter Olga detailreich Auskunft. Sie hat drei eigene Kinder und
betreut drei Tageskinder in Vollzeit.
Äh um halb vier geh ich mit den Kindern meine Kinder wieder abholen vom Kinder-
garten und gehe wieder zum Spielplatz mit der ganzen Bande. [Hm.] Und um fünf,
ab 17 Uhr oder halb sechs, werden dann die Tageskinder abgeholt. Also ich arbeite
jeden Tag bis 18 Uhr. Mit die Tageskindern. Außer Freitag. Also quasi den ganzen
Tag hab ich die Kinder, wenn die abgeholt sind, die Tageskinder, hab ich wieder
meine ((lacht)). Der Große kommt, ja, von der Schule. Die Hausaufgaben müssen
gemacht werden. Dann decken die Kleinen, auch das ist die Pflicht von den Kleinen,
die decken dann den Tisch. Es wird zu Abendessen, Abendbrot gegessen. Weil so
viel zu kochen schaff ich auch nich jeden Tag. Ich koche einmal warm. Die Mittag-
essen. Und die Kleinen essen dann warm, einfach wenn Kindergarten- am Wochen-
enden koche ich dann alles schön und warm. .. Ja. Nach dem Abendessen gibt's noch
Bücher lesen. Der Große darf abräumen. Das ist seine Pflicht, wenn die Kleinen de-
cken, dann der Große räumt ab. .. Und ich lese dann inzwischen für die kleine Kin-
der einfach noch mal Bücher vor. Und dann gehen die auch mal schlafen, so um 20
Uhr, acht, halb neun, gehen die dann schlafen. Dann hab ich Feierabend quasi. [Hm.]
Dann hab ich Qual der Wahl, was ich mache. Entweder lese ich ein Buch oder gehe
ich schlafen. Oder spreche mit meinen Mann noch, weil der braucht ja auch noch
was von mir. Der wollte auch die Seele raus lassen, da muss ich auch noch mal zuhö-
ren. Ja. Und dann irgendwann, also, ich geh ins Bett zwischen elf und zwölf. Also
nicht, früher schaff ich nicht. Weil ich bereite normalerweise für den nächsten Tag
noch mal Mittagessen. Also das heißt Gemüse schneiden oder Kartoffeln vorberei-
186 Deutschland: empirische Befunde
ten. Oder Fleisch auftauen. Also irgendwas, was ich für den Mittagessen, für die Ta-
geskinder am nächsten Tag schnell koche. Damit ich nicht noch äh viel Zeit verliere,
alles noch mal zu schneiden und schnipseln, weil das hab ich nicht so viel. [Hm.]
Und am nächsten Morgen um sechs fängt das wieder an. Alles von vorne. Und das
ist schön. Das ist das Leben, das einfach mal einem auch Kraft bringt. Irgendwann
wurde ich gefragt: „Olga, wieso bist du so fit?“ Ich sage: „Ja, ich geh nie zum Fit-
nessstudio, ehrlich. Bin nie dagewesen. Es ist einfach, weil mein Leben mal so aktiv
ist.“ Ja, wenn andere im Büro sitzen und sich äh alles da sammelt sich langsam, es ist
bei mir nicht der Fall. Man läuft. Also gute 15 Stunden am Tag dann (). Ja, und dann
noch mal dazwischen kommt aufräumen, von Zuhause. Ja, das es alles sauber ist.
Das ist auch wichtig, weil wenn die Pflegekinder kommen, ich mag nicht, wenn es
irgendwo rumliegt oder schmutzig ist. Der Boden muss immer sauber gewaschen
werden, weil vom Spielplatz kommt auch immer viel Dreck. Ja, oder wenn es regnet.
Das ist auch dann, also, es muss dann immer alles ordentlich sein. Das ist auch noch.
Dazu ist es manchmal meine Freitag fällig ((lacht)), ja. Also wenn ich am Freitag
dann frei habe, dann habe ich dann jeden Freitag Frühjahrsputz. Fenster putzen, alles
putzen, sauber machen. So, dass es ordentlich aussieht. So ist es mein Tag. Und so
ist dann die ganze Woche einfach. Also Woche für die Woche.
Die Kindertagespflegepersonen dieser Studie haben mich in der Regel für gemein-
same Treffen zu sich nach Hause eingeladen. Ich habe sie oft mehrfach in ihren pri-
vaten Räumlichkeiten, das heißt an ihrem Arbeitsplatz, aufgesucht. Alle für diese
Studie interviewten Personen leben in Miets- oder gelegentlich auch Eigentumswoh-
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 187
Das Leben in diesen privaten und über die Kindertagespflege gleichzeitig teilöffent-
lichen Räumen habe ich bei meinen Besuchen meist als lebhaft wahrgenommen.
Zentrum des Geschehens war meist das Wohnzimmer, in dem Tageskinder und eige-
ne Kinder zugegen waren. Des Öfteren traf ich auch auf Eltern. Da der Arbeitsplatz
immer auch der Ort des privaten Lebens bleibt, findet ein permanentes Management
von Grenzziehungs- oder auch Grenzöffnungsarbeit statt. Es zeigt sich, dass die
Tageseltern in einem Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit und privater Sphäre
ihrer Arbeit nachgehen. Einerseits wünschen sich die Tageseltern häufig eine deutli-
chere räumliche Trennung von ihrer Erwerbsarbeitswelt, andererseits eröffnet der
Arbeitsplatz im eigenen Zuhause die Verschränkung von Arbeit und Leben. Dieser
Widerspruch scheint unauflöslich. Folgend wird der Arbeitsplatz der Kindertages-
pflegepersonen in Abgrenzung zum „Arbeitsplatz Privathaushalt“, bei dem es sich
meist um fremde Wohnungen handelt, als „Arbeitsplatz Zuhause“ bezeichnet.
188 Deutschland: empirische Befunde
Marja, deren lebensgeschichtlicher Verlauf von Polen über ein Au-pair-Jahr in die
Kindertagespflege bereits nachgezeichnet wurde, handelt Grenzen von Privatsphäre
und öffentlicher Sphäre sprachlich aus. Nachdem sie einerseits die Vorteile des Ar-
beitsplatzes im eigenen Zuhause im Wegfall der Fahrtwege betont: „Ich weiß das zu
schätzen, dass ich eigentlich, auch wenn die Kinder, also, halb acht kommen, dass
ich eigentlich Zuhause bin. Und ich muss mich dann nicht beeilen, mich nicht stres-
sen. Ich mach die Tür auf und die Arbeit kommt zu mir“; schildert sie andererseits,
wie diese erwerbsbedingte Spielstätte für Tageskinder vor dem eigenen Sohn zwie-
spältig wird: „Ja, also, er weiß was es ist, wenn ich dann sage, ‚ne im Moment hab
ich keine Zeit dir zu helfen‘, weil die Kleinen was wollen, ich sag dann immer ‚ich
arbeite noch‘ ((lacht)), ja, und ähm er muss warten. Er spielt mit den Kleinen, wenn
er Zuhause ist.“ Lohnarbeitszeit wird hergestellt über „ich sage dann immer ‚ich
arbeite noch‘“: sie setzt in Kraft, was sie benennt und bekräftigt diese Benennung
durch Wiederholung. Der britische Sprechakttheoretiker John L. Austin definiert eine
solche Sprachhandlung als „performativen“ Akt: “[…] a case in which to say some-
thing is to do something; or in which by saying or in saying something we are doing
something.” (Austin 1962: 12, Hervorhebungen im Original)52 Über die Sprachhand-
lung Marja’s werden die Grenzen zwischen Arbeit und Leben in Kraft gesetzt. Die
Grenzziehung von Arbeiten gegenüber dem Leben im Haus setzt voraus, dass Arbeit
durch Entlohnung vom Leben getrennt ist. Die Grenzziehung von Marja durch einen
Sprechakt an dieser Stelle verdeutlicht genau jenen Widerspruch von Arbeit und
Leben im eigenen Zuhause, der die Tageseltern dieser Studie begleitet.
Während Marja noch den Wert des Arbeitsplatzes betont, der „zu einem nach Hause
kommt“, spricht Penelope aus der Perspektive jener, die nicht selbst zur Arbeit gehen
kann, um dessen „Türen“ auf- und wieder zuzuschließen:
52
Wird darüber hinaus das Tun in der Sprachhandlung expliziert (zum Beispiel “ich lege fest, dass
jetzt Arbeitszeit ist”) handelt es sich um einen „expliziten performativen Sprechakt“ (explicite
performative): “Moreover, the verbs which seem, on grounds of vocabulary, to be specially per-
formative verbs serve the special purpose of making explicit (which is not the same as stating of
describing) what precise action it is that is being performed by the issuing of the utterance [...].”
(Austin 1962: 61, Hervorhebung im Original)
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 189
Viel also ähm, dass hier meine Wohnung ist und von meine Familie. Also, ich kann
hier nicht äh alle Pflanzen entfernen und äh ich lebe hier. Und nicht nur ich. Sondern
meine Familie, das heißt, ich hätte gerne so. Wie wir für uns, wir, gerne hätten. Und
natürlich sind sicher, ne?! Alle Steckdosen sind gesichert, es steht nicht vor die Kin-
der äh irgendeine Gefahr darstellt. Aber ich will nicht hier, es ist immer noch meine
Wohnung. Das sind keine private Räumlichkeiten, die ich nur für die Tagespflege äh
das heißt von 8 bis 17 Uhr, oder, jetzt bis 16 Uhr, so wie sie das sehen, dann ich
guck ich mal, dass natürlich liegt hier rum und sind die Spielzeuge. Äh wenn die ge-
hen, räum ich alles in Kasten, in Schubladen, und das ist die Wohnung für, für uns
da. [Hm.] Und das ähm da haben mich dann die ganzen Jahren kein Ärger mit meine
Familie hier. Oder mit meine Kinder. Sozusagen. Weil die, sie gehen morgens zur
Schule und wenn sie nach Hause kommen, es steht genauso die Sachen, so wie sie
gelassen haben. Das heißt, die Kinder wissen, das gehört uns und das dürfen wir.
Was auf dem Schreibtisch ist gehört meine Kinder, dürfen wir nicht. Ich auch nicht.
Also, das, wir sagen immer wir, wir kommt besser, ähm und dann sage ich „ich ma-
che auch nicht, ihr auch nicht“ und äh und dann ähm denk ich mal äh erleichtert das
Ganze. Dass für meine Familie keine Belastung ist, dass hier Fremde äh na am An-
fang sind Fremde irgendwann nicht, aber doch, Leute, die nicht zu unserer Familie
gehören äh hier den Tag verbringen. Also das, das sind so Sachen, die für mich stres-
sig sind, weil ich muss morgens gucken, dass meine Kinder nicht hier irgendwo lie-
gen gelassen haben. Wiederum abends gucke ich, dass die Tageskinder nicht ir-
gendwas kaputt oder sonst von meine Kinder. Äh und die so bisschen Frieden äh zu
haben hier. [Hm.] Und das, das empfinde ich in die Tagespflege als an-, das ist an-
strengend! Weil ich kann, ich mache nicht die Tür zu und gehe zur Arbeit und kom-
me, sondern ich bin den ganzen Tag hier und muss immer gucken äh, dass für die
Kinder gut ist und dass für die andere, die hier wohnen, meine Familie äh auch gut
ist. Und das ist ähm das empfinde ich als anstrengend. ((Räuspert sich)) [Hm.] Aber
es ist so. ((Lacht)) Ja. Und das, das auch, auch mit den fremden Leute, dass, dass äh
das ist auch der Nachteil, meine Meinung nach. Dass man, wenn neue Eltern kom-
men, dann muss ich natürlich mein Zuhause, die kenn ich nicht. Die habe ich am Te-
lefon gehabt und ähm und dann muss ich hier=hier die Wohnung zeigen. Die müssen
in mein Zimmer, die müssen, wo die Kinder sich bewegen. Und die bewegen sich
eben in die ganze Wohnung. Also muss ich äh im Bad, ist egal, und das ist für mich
äh ja wo ich denke manchmal "ah ja" ((lacht)) ähm hm! Das, das mag ich nicht so
besonders, aber es ist so. Also, ich denke ähm das ist die äh die andere Seite, die
nicht so angenehm ist. [Hm.] Von der Tagespflege. Dass man, danach kennt man die
und es ist in Ordnung, aber am Montag hat ich eine Familie hier und die sind, die
sind Fremde, also die hab ich noch nie gesehen und trotzdem gehen sie in meinen in-
timen Bereich. Also, die gehen in Bad, wo unsere Sachen sind. Die gehen- und das
immer wieder kostet äh eine Überwindung, ja?! Und das, wo ich denke „ah nee“.
Wohnen ist ein wesentlicher Teil der Reproduktion und damit auch die Wohnstätte.
Indem aber bezahlte Care-Arbeit in dieser Wohnstätte ihren Platz findet, dringt sie in
190 Deutschland: empirische Befunde
den privaten und daher intimen Reproduktionsbereich der Familie ein. Die unbezahl-
te Reproduktionsarbeit unterliegt der bezahlten Arbeit und fällt zeitlich mit ihr zu-
sammen. Das intime Zuhause muss immer wieder der Öffentlichkeit, das heißt den
Kunden, präsentiert werden. Der Verlust der Privatheit ist die Grundlage des ökono-
mischen Gewinns am Arbeitsplatz Zuhause. Da die Wohnung privat und gleichfalls
zu bestimmten Zeiten durch den Arbeitsauftrag genutzt wird, gibt es eine Über-
schneidung der jeweiligen Bedürfnisse. Dieser Konflikt bestimmt das gesamte Ar-
beitsverhältnis. Die Verwandlung verschiedener familiärer Räume in vorübergehende
berufliche Sphären ist eine andauernde Grenzarbeit. Letztlich sucht Penelope die
Intimität der Familie zu verteidigen, indem die Spuren der Lohnarbeit für den Eintritt
der Familienzeit unkenntlich gemacht werden und umgekehrt. Es wird dabei deut-
lich, dass sich in der Kindertagespflege eine besondere Form von Haushaltsarbeit
verstärkt: mindestens zwei Mal am Tag den Privathaushalt zum Ort für Tageskinder
umzufunktionieren und vice versa. Öffentliche Einrichtungen wie Krippen, Kitas
oder Schulen behalten im Vergleich dazu langfristig ihren institutionellen Charakter
bei und die Gebäudereinigung wird in aller Regel auf externe Firmen ausgelagert.
Die Familie vor der Belastung der Kindertagespflege zu schützen, ob über Haus-
haltsarbeit oder verbale Grenzziehungen, ist unbezahlte Mehrarbeit.
Eine besondere Funktion nimmt die Türschwelle der Wohnung ein. An dieser Stelle
findet die wesentliche Kommunikation mit den Eltern statt. Hier werden Privatsphäre
und Öffentlichkeit oder Arbeitswelt und Privatleben am deutlichsten verhandelt. Sie
symbolisiert das ambivalente Verhältnis, das die Kindertagespflegepersonen zum
Arbeitsplatz Zuhause einnehmen. Marja hat im Eingangsflur zu ihrer Wohnung di-
rekt neben der Haustür ein Programm mit Speiseplan und vorgesehenen Aktivitäten
zur Einsicht für die Eltern angebracht.
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 191
Tagesmutter zieht. Dies ist kein vertrauter Ort einer liebevollen Hausfrau, die sich
„mütterlich“ um ihre Gäste sorgt und sie willkommen heißt, sondern trennt als pro-
fessioneller Arbeitsplatz Arbeitgebende von Arbeitnehmenden. Er bewahrt eine
Dienstleistung vor der Interpretation, sie sei naturgegebene Sorgearbeit und mahnt an
eine distanzierte Haltung. Ab der Haustürschwelle beginnt das Reich der Tagesmut-
ter. Und trotzdem: sie markiert auch die Schwelle zur privaten Welt der Mutter und
Ehefrau Marja. Immer wieder konnte ich beobachten wie zur Ankunft oder beim
Abholen der Tageskinder die Kommunikations- und Körperarbeit mit den Eltern an
der Türschwelle beginnt und endet. Die Tageseltern berichteten dann beispielsweise
von den Ereignissen des Tages (was haben die Kinder gegessen, was wurde unter-
nommen, ...). Indem sie sich dabei aber körperlich an der Türschwelle positionierten,
markierten sie für die Eltern den Beginn und das Ende von Arbeitsraum und Arbeits-
zeit.
Zum Beispiel eine ist schon letzte Monate in Kindergarten. Ich hab auch gestern mit
ihr telefonisch geredet. Direkt mit mir telefonisch und die fragt mich: „Jamila, ich
hab dich vermisst.“ Und ich frag die auch: „Wie war im Kindergarten?“ – „Ja, das
war schön, ich hab schon Freundin da“, und die erzählt. Die war schon eine Baby,
die Mutter auch am=am äh am Ende, als die, als hat schon, wir ham Abschiedsfeier
gemacht, sie hat schon geweint. Sie hat mir gesagt, unglaublich, zwei Jahre bin ich
hin und zurück und die war, das war auch ein bisschen, ja, äh wie gesagt. Das auch,
tut auch ein bisschen weh für uns. Auch, ja natürlich, ein Kind, zwei Jahre und dann
geht.“
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 193
Tageseltern halten oft langfristig Kontakt zu ihren Tageskindern und empfinden nicht
selten eine Art von Trennungsschmerz, wenn das Tageskind „Flügge wird“. Auch
wenn sich gelegentlich eine Art Befremden von Seiten mancher Mütter einstellt, die
erwerbstätig sind, wird diese Bindung in der Regel von den Eltern gestützt. Auch
Karin Jurczyk präzisiert: „Die Betreuerin soll wie eine Mutter sein, ohne diese zu
sein.“ (Jurczyk 2004b: 20, Hervorhebung im Original) Oft wird das Geschwisterchen
eines Tageskindes hinzugegeben, sodass enge familiäre Konstellationen in die Kin-
dertagespflege verlagert werden. Geschwister-Konstellationen treten darüber hinaus
auch mit den Kindern der Tageseltern auf – alle werden sozusagen Teil einer Fami-
lie.
Die eigene Familie ist ein intrinsischer Auslöser für den Einstieg der Migrant_innen
in die Kindertagespflege. In der Bewertung des Arbeitsalltags wird ein Care-Gewinn
für die Entwicklung der eigenen Kinder aufgezeigt, wie Marja verdeutlicht:
Ja, das, diese Möglichkeit, diese, dass man das vereinbaren kann mit der eigenen
Familie. Das ist auch sehr schön. Ja, dass mein Kind das nicht kennt mit dem Schlüs-
sel nach Hause zu kommen [hm], was ich eigentlich, vielleicht ist es auch jetzt Be-
zug zu der Kindheit ((lacht)), was ich eigentlich kenne, ja?! [Hm.] Dass man alleine
ist, ja?! Nachmittags. Äh .. und auch, ja, die Erfahrung für ihn. Als Einzelkind. Das
finde ich, vielleicht auch dadurch, dass ich viele Geschwister hatte. Das weiß ich,
dass das schon, man ist, man führt jetzt vielleicht ganz anderes Leben. Also mit den
Geschwistern. Aber trotzdem man weiß, da ist jemand. Und er hat das eigentlich. Al-
so in kleinem Maße, ja?! Und durch die Kinder hat er das auch so, konnte er halt
auch diese Erfahrung machen. Ja?! [Hm.] Als der große Bruder. Nur also so kurzes
Beispiel, das war wir hatten ein Schulkind, ein, das Mädchen ist in die erste Klasse
gekommen und Markus war schon in der vierten Klasse. Und die saßen zusammen
am Tisch ähm und er kam und dann sagt er: „Na, wie war dein Tag? hast du schon
Freunde in der Klasse?“ Das war wirklich wie ein großer Bruder. Ja?! Der fragt
dann: „Ja, wie geht’s dir? Wie war dein Tag? Du bist neu in der Schule.“ Und da hab
ich mir gedacht, schön, dass er sowas erleben darf, ja?! Weil er hätte das nie erleben
können, ja?! Weil er keine Geschwister hat, kleinere. Und er hat das durch die Ta-
gespflege jetzt ganz toll, also, er hat sich ganz toll entwickelt.
Anhand des „Schlüsselkinds“ greift Marja einen Begriff auf, der im Deutschland der
Nachkriegszeit für Kinder erwerbstätiger Eltern ohne Nachmittagsbetreuung geläufig
war und hier eine starke Wirkung mit negativer Konnotation in der Gesamtgesell-
schaft erzeugte. Marja stellt die Tätigkeit in der Kindertagespflege als Care-Leistung
194 Deutschland: empirische Befunde
am eigenen Kind dar. Ihre Argumentation verfolgt dabei das Ziel einer Entlastung.
Auch wenn in Marjas Kindheit in Polen das Vorurteil des Schlüsselkindes nicht
verbreitet war, hat der deutschlandspezifische Diskurs um die Rabenmutter (im Übri-
gen ein Wort, dass es im Französischen nicht gibt) sie längst erreicht. Neben der
Befürchtung, als Mutter in der modernen Kleinfamilie zu enttäuschen, erscheint die
(biografische) Erfahrung von Großfamilie wertvoll. Großfamilie wird über Tageskin-
der als vermeintliche Substitution für Geschwister hergestellt und mit einem pädago-
gischen Gewinn verknüpft, der ihre Erwerbstätigkeit positiv besetzt.
Öffentliche Szenen
Also ich hatte so einen Doppelwagen auf dem Flohmarkt gekauft. Ich konnte mit
Beiden auch spazieren gehen. Und jede Oma auf der Straße hat gesagt „Oh, süße
Zwillinge“, obwohl eine zehn Monate und das zweite gerade mal so ein kleines Baby
war. Also, ich wurde dann öfter angesprochen. Und später habe ich mir einen Vierer-
Kinderwagen gekauft. Aus Amerika. Sieht ganz süß aus. Das ist so wie ein Zug. Für
vier Kinder. Also ein Sitz, zwei, drei, vier, unter einem Dach, blau. Jedes Kind ist
angeschnallt und die Sitze sind wie Fahrradsitzen, so ungefähr. Man kann die auch
umkippen. Und wenn ich mit diese Kinderwagen unterwegs war, wurde ich sofort
gefragt: „Oh, wie? V i e r l i n g e ?“ Glauben Sie mir, wie viele Male ich das ge-
fragt wurde „O h h h , die Frau hat aber Mut. Oh je, oh je, oh je.“ Und ich hatte eine
Kind, die kam aus China, der eine war blond, der dritte war schwarz und der, keine
Ahnung, die Manja, genau, die Manja war rothaarig, weil die Mama ist aus Irland
gewesen, hatte rote Haare und so Locken. Trotzdem alle Omas meinten: „Da sind die
Vierlinge!“
Diese Erzählung verrät, wie stark homogene Vorstellungen von Familie im kollekti-
ven Gedächtnis der Gesellschaft verankert sind. Optische Unterscheidungsmerkmale,
zum Beispiel von Ethnizität oder Alter, werden vor der zum Faktum gewordenen
Vorstellung biologischer Familienzusammengehörigkeit gar nicht erkannt bezie-
hungsweise übersehen. Neue Formen von doing family, die auch vermehrt als Patch-
work- oder Regenbogenfamilien existieren, werden von der Umgebung unter be-
kannte Sinnstrukturen subsumiert und dabei verkannt. Diese Anekdoten verraten, wie
Familienpolitik und kulturelle Wahrnehmung zusammenhängen oder auseinander-
klaffen. Dominant bleibt ein Bild, nach dem die heutige Migrationsgesellschaft eth-
nisch homogen und Familienerscheinungen wesentlich als biologische Kleinfamilie
verstanden werden.
widerläuft, wie andere Konstellationen, die im Zuge der Pluralisierung der Lebens-
formen für Deformation und Verschiebung stehen, normativen Prinzipien von Ver-
wandtschaft.
Tageskinder kommen nicht alleine in den Haushalt der Tagesmutter: „Und man hat
nicht nur das Kind, sondern auch die Eltern. Und bei vier Kindern .. da hat man acht
Leute die, also, insgesamt sind sind es zwölf ((lacht)), die man mehr oder weniger
hat.“ Tageskinder bedeuten, wie Penelope hier aufklärt, für die Tageseltern immer
auch eine Auseinandersetzung mit überantwortenden Eltern. Nicht nur Variablen wie
Arbeitszeiten und Anfahrtswege der Eltern haben Auswirkungen auf die Arbeit der
Tageseltern. Ein neues Tageskind bedeutet darüber hinaus auch Beziehungsarbeit mit
den dazugehörigen Elternteilen, in der Regel der Mutter. Schon beim ersten Telefon-
gespräch wird im Voraus mit Bauchgefühl abgeschätzt, ob ein Arbeitsbündnis mit
den Eltern gelingen kann. Beziehungsarbeiten setzen sich über den gesamten Verlauf
des Arbeitsbündnisses fort: Grenzen ziehen, Emotionen glätten, Sinnzusammenhänge
überprüfen und Erziehungsfragen klären. Diese Aushandlungen sind Teil des wider-
sprüchlichen Prozesses von Öffentlichkeitsherstellung versus Schutz von Privatsphä-
re, wie bereits anhand des Arbeitsplatzes Zuhause illustriert. Die Türschwelle der
Wohnung als symbolische Schwelle zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre inklu-
diert in besonderem Maße die Beziehungsarbeit zu Eltern. Um eine Vereinnahmung
durch Eltern zu unterbinden, wird Distanz über Körperarbeit symbolisch hergestellt.
Das Gros der Emotionsarbeit wird an dieser Stelle geleistet, wie Penelope verdeut-
licht: „Aber ähm zu fragen, aber sie fragen, also die wollen, also, wenn, wenn nach
den Eltern wäre, würde ich jeden Tag halbe Stunde an der Tür stehen. [Hm.] Und ich
lasse sie nicht rein!“ Art und Dauer des Kommunikationsbedürfnisses der Eltern
können daher die Arbeitsbelastung der Tageseltern vergrößern.
Entlang der Erzählungen der Tageseltern dieser Studie entsteht der Eindruck, dass
die Kommunikation mit den Eltern sehr belastend sein kann. An Penelopes Erläute-
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 197
rungen lässt sich zudem eine hierfür beispielhafte Nähe und Distanz-Problematik
veranschaulichen:
Und das ist sehr besondere in diese Beruf. Weil man hat im Kindergarten oder Krip-
pe, die Kinder, ne?!, das gibt ein Elternabend. Hier ist mehr persönlich. Also hier
ähm die sind nicht meine Freunden die Eltern, trotzdem es gibt so eine, man sieht sie
jeden Tag. Man weiß mehr, als man lieb ist ((lacht)) äh von der Familie. Und es ist
so, irgendwie, es ist, weder noch. Das sind nicht Freunden, aber auch das sind ganz
nah. [Hm.] Ähm na ja, also, sie mehr als ich. Also von mir wissen sie ja weniger,
aber ähm man kriegt immer mit ähm von allem in alle Zeit in diesen Familien pas-
siert. Und, und das verbindet einfach, ne?! […] Ja, also, dass ich dann ähm wie ge-
sagt äh die Eltern mehr oder weniger, das ist eigentlich ein blödes Wort, aussuche.
Da such ich mir die aus, aber gut. [Hm.] Ich versuche so, dass sie ein bisschen hier
reinpassen von, von Lebensart her, sagen wir mal so. Aber natürlich die haben ein
Chef, die haben Partner, die haben x Problem. [Hm.] Also, da ist es passiert, dass
kommen eine Mutter morgens um acht und sagt „hast du eine Minuten?“ Und ich,
natürlich habe ich keine, weil ich habe die andere Kinder und die kommen und dann,
aber ich, natürlich, also, man will nicht, und dann erzählen sie mir äh, eine weint,
dass äh weil da so viel Druck in, bei der Arbeit ist. Und sie muss was äh hinkriegen
und schafft nicht und der Mann hat heute nicht gehört, weil der auch seine Sachen
hat. Und natürlich es ist so, dass ich da bin ((lacht)). Ich bin da. Ich bin da. Ich bin
nett. Die mögen mich. [Hm.] Und ähm ((lachen)) und ja, doch, das ist einfach, denk
ich mal, sich zu öffnen. Also, sie erzählen mir Sachen, wo ich kann weder äh nichts
sagen. Ich sag gar nichts am besten. Oder, oder mit dem Partner, ne?! Oder er hat
heute mir so und so gesagt, wo ich denke „interessiert mich nicht.“ Also, da hat nicht
mit dem Kind zu tun, direkt. Und das zeige ich am Anfang. Ich will alles was mit
dem Kind zu tun hat, die relevant ist, für mich, für die Erziehung, für=für unsere Ar-
beit. Dann möchte ich gerne wissen. [Hm.] Alle anderen nicht. Aber da wie so, das
ist so wie eine Grauzone. Da mit den, ich=ich versuche mich, ich bin echt, ich mache
Seminare, ich mache alles Mögliche, dass ich weiß, ich weiß, wo meine Grenzen
sind. Ich zeige die auch, aber wird oft äh übersehen. Also, meine Freundlichkeit
((räuspert sich)) die ich auch habe äh wird s o o o anders interpretiert, ne?! Oft. Also,
das heißt, die denken, und die denken das ehrlich, dass ich eine Freundin bin
((lacht)). Wo ich denke „äh bin ich nicht.“ Also ich habe auch viele Freundinnen, wo
ich äh, das sind meine Freundinnen, und das ist hier äh eine Arbeitsverhältnis, sozu-
sagen, ne?!
Die Mutter trägt Konflikte an die Schwelle von Penelopes Haustür, die aus der Ab-
gabe von Care-Arbeit zum Zweck der Erwerbsarbeit resultieren. Penelope erfährt die
Ambivalenzen zweier Familieninszenierungen, die einander gleichzeitig konstituie-
ren: das doing family in der Kindertagespflege gibt es nicht ohne das doing family
198 Deutschland: empirische Befunde
berufstätiger Mütter. An Penelopes Zitat wird erkennbar, dass auch die Mutter des
Tageskindes ein doing family in Kraft setzen möchte, in der sie selbst gleichsam Teil
der familiären Sphäre wird. Diese Handlungen stehen in Konflikt mit der von Pene-
lope bevorzugten Gestaltung von Arbeit. Da ihre eigene Familienkonstruktion auf der
Zusammenführung von beruflicher Tätigkeit mit privater Sorgetätigkeit basiert,
bricht sich die Intimität einer freundschaftlichen Annäherung zur Mutter an der
Grenze zur beruflichen Sphäre, die Distanz erfordert. Der Schutzraum der Professio-
nalität wird durch das Kommunikationsbedürfnis der Mutter perforiert, deren Er-
werbseintritt dennoch Grundlage der entstandenen Profession der Tagesmutter ist.
Um professionelle Distanz zu etablieren, entwickelt Penelope eine Strategie, die sie
dem Modell der öffentlichen institutionellen Einrichtungen entlehnt: sie organisiert
Elternabende, die thematisch auf die Tageskinder (nicht auf die privaten Sorgen der
Eltern) abgestimmt sind. Rückblickend schlussfolgert sie: „Äh und dann mit den,
zwischen Tür und Angel ist ein bisschen reduziert seitdem.“
Da merke ich, dass sie denken, ich bin ein Teil der Familie sozusagen, weil ich äh ih-
ren Kind zwei Jahre oder drei Jahre, und die sind so dankbar. Das ist es, das ist es.
Das ist das Wort. Die sind so dankbar, dass so gut gelaufen ist und dass so toll war
und dass das Kind sich so gut entwickelt und ähm dann wollen sie mir so zurückge-
ben, so um, nehmen mich sozusagen auf, in diese Familiengeschichte, wo ich nicht
hingehöre und mich nicht wohl fühle, natürlich. Weil äh wenn die gehen kommen
andere und ich pflege ein bisschen diese Beziehungen, aber ich, bei 40 Kinder, kann
ich nicht. Also ich kann nicht 40 Kinder, das sind 80 Eltern, die ich äh und Großel-
tern, die ich mal kennenlerne. Und da muss ich sagen „nein“, äh „kann ich nicht“,
oder mittlerweile sage ich „ich möchte nicht“, weil ich [hm] gehör nicht da.
Nachdem einzelne Tageskinder aus der Betreuung ausgetreten sind, muss Peneople
die Inszenierung des Familienlebens beenden. Die hohe Anzahl der betreuten Tages-
kinder verringert die Möglichkeiten, eine langfristige Beziehung aufrechtzuerhalten.
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 199
Gegenüber den Eltern muss Professionalität in Fragen der Erziehung gegenüber den
Eltern hergestellt werden. Einerseits holen Eltern bei den Tageseltern Ratschläge ein.
Andererseits möchten sie die Erziehung ihrer Kinder bei der Kindertagespflegeper-
son mitbestimmen. Im Zentrum stehen Fragen der Ernährung, Schlafenszeiten und zu
fördernde Aktivitäten. In schwierigen Beziehungen zu Eltern kann der Arbeitsplatz
Zuhause auch zum Ort der Bedrohung durch diese werden. Konflikte können oft nur
schwer bereinigt werden, solange sie auf der Ebene des Privaten ausgehandelt wer-
den.
Viele Interventionen in Bezug auf Erziehungsfragen kommen von Müttern, die sich
nur langsam vom alltäglichen Leben mit dem eigenen Kind distanzieren. Jamila
berichtet in diesem Zusammenhang:
Weil manchmal zum Beispiel als Tagesmutter ich bleibe viel Zeit oder ich äh mit das
Kind. Ich kann vielleicht mehr beobachten als die Mutter, weil die Mutter ist schon
unter Stress. Zum Beispiel ganz Tag in Arbeit und wenn kommt nach Hause, entwe-
der kurz Zeit mit das Kind zum Beispiel oder hat keine Zeit zum Beispiel oder das
viel zum Beispiel beobachten. Aber bei uns als Tagesmutter, das gehört auch unsere
äh äh Arbeit zum Beispiel diese Kinder beobachten. Gibt's die Eltern, die sagen, ja
ok, das ist mein Sohn, ich kenn ihn besser, ich weiß, was geht um ihn.
lösen und sie in die Kindertagespflege zu verlagern, ist Ausdruck dieses zwiespälti-
gen Wandels. Die Tageseltern wiederum müssen um Anerkennung ihres Kompe-
tenzbereichs kämpfen, der Erziehungsfragen beinhaltet, die nicht immer den Vorstel-
lungen der Eltern entsprechen. Eine Krippe oder eine Kita repräsentiert eine instituti-
onelle Gemeinsamkeit. In der Kindertagespflege in Deutschland hingegen gibt es
diesen stärkenden institutionellen Rahmen nicht, der Professionalität stärker deutlich
macht.
ziell auf sich gestellt waren, haben sie jedoch aufgrund des geringen Verdienstes
nicht als Kindertagespflegeperson arbeiten können.53
Gerade ich, wo ich's weiß, was es bedeutet ähm finanziell schlechter gestellt zu sein
und dann eben auch ähm nicht weiter zu kommen, aufgrund dessen. [Hm.] Also, ich
hab jetzt auch ne Mutter, das muss ich auch ehrlich sagen, von der nehm ich gar kei-
ne Zuzahlung. Das ist ne alleinerziehende Mutter, ähm der Mann ist verstorben, ähm
die kann das nicht begleichen. Das war dann so, dass ich einfach für mich gesagt
hab: Ich=ich ähm möchte dieser Frau einfach die Chance geben, ja?! Ich häng das
jetzt nicht an die große Glocke, also, die anderen Eltern wissen das auch gar nicht.
Ich weiß nämlich nicht, wie sie darauf reagieren würden. Aber da ich weiß, dass die
anderen Eltern wirklich gut gestellt sind, finanziell, finde ich es einfach nur gerecht,
dann auch ähm einer Mutter die Möglichkeit zu geben, die es eben nicht leisten
kann, auch wieder ins Berufsleben reinzukommen. [Hm.] Ne, das sind auch Gelder,
die mir zwar monatlich dann verloren gehen. Aber da muss ich einfach gucken, weil
dafür hab ich dann nen Kind mehr, was ich aufnehme, zum Beispiel, um das dann
wieder auszugleichen.
Die eigene prekäre Lebenslage scheint Milana unter anderem für die Lebenslagen
anderer zu sensibilisieren, namentlich alleinerziehende Mütter. Qua ihrer Berufung
leistet sie über Care direkte Hilfe. Sie nimmt daher eine aktive Rolle bei der Vertei-
lung von Wohlfahrt in der Gesellschaft ein. Es wird deutlich, dass sie kein Vertrauen
in die staatliche Fürsorge hat. Sie wird da ersetzt, wo die Grauzone der Regulierung
von Zuzahlungen an den unterschiedlichen Voraussetzungen der Eltern scheitert. Die
Bereitschaft hier der Gerechtigkeit Vorschub zu leisten, weist auf Einblicke in die
Problematiken eines postindustriellen Wohlfahrtsstaats hin, in dem die
Ökonomisierung sozialer Dienstleistungen zu Pflegenotständen führt und zusätzlich
jene benachteiligt, die die Pflegearbeit erbringen.
53
Diese Forschungsergebnisse widersprechen im Übrigen den Forschungen von Schoyerer und
Weimann-Sandig, die in ihrem Sample eine hohe Zahl von Alleinerziehenden verzeichnen, diese
allerdings einem sehr fragilen, von Unsicherheiten bestimmten, Typus zuordnen (vgl.
Schoyerer & Weimann-Sandig 2015: 86).
202 Deutschland: empirische Befunde
Die Männer-Problematik
Der Mann am Arbeitsplatz
Vorurteile gegenüber Männern, die vom Stereotyp des potentiell das Kindeswohl
gefährdenden Mannes genährt werden, stellen ein Problem dar. Auf der Grundlage
meiner Forschungsergebnisse beziehen sich die oft nur angedeuteten Ängste in der
Kindertagespflege vordergründig auf fehlende Fürsorgebereitschaft, einen denkbaren
Alkoholismus oder mögliche pädophile Neigungen, die bei den Ehemännern bezie-
hungsweise Partnern oder jugendlichen Söhnen der Tagesmütter befürchtet werden.
Pascale spiegelt die Ängste wider, die von Seiten der Eltern auf sie einwirken:
Hier in Deutschland, ich weiß nicht wie es ist, es gibt diese Geschichte, es gibt Ge-
schichte mit Kinderkrippe, aber mit Tagesmutter, das ist etwas noch: in eine fremde
Haus. Also nicht eine Kinderfrau die kommt zu Hause. Das existiert seit Generatio-
nen in reiche Familie, hm?! Die Nanny zu Hause, es existiert seit der Anfang der
Zeit. Fast man kann sagen. Aber äh diese Sache mein Kind zu bringen, in ein fremde
Haus, zu eine fremde Frau, mit eine fremde Familie. Ein fremder Mann. Fremde
Kinder. Vielleicht größere Kinder. Vielleicht Jungs auch. Also, das macht schon
Angst!
rung des Mannes wird vom Prozess der Stigmatisierung 54 genährt. Erwin Goffman
zufolge diskreditieren die zugewiesenen Attribute das Individuum und hindern es
daran, in der Gesellschaft vollständig akzeptiert zu werden (vgl. Goffman 1991: 3f).
Für den Mann am Arbeitsplatz der Kindertagespflege erschwert dies sowohl den
Zugang zu Care-Berufen, als auch die Partizipation am Alltag der häuslichen Sphäre
der Tagesmutter, was wiederum seine Rolle als Versorger stützt.
Neben der Stigmatisierung des potentiell übergriffigen Mannes werden von Seiten
der Eltern auch Verlustängste gegenüber dem „fremden“ Mann ausgedrückt, wenn
dieser plötzlich zu einer väterlichen Identifikationsfigur für die eigenen Kinder wird.
Dann wird auch die ohnehin seltene Vaterfigur der Kernfamilie im doing family-
Prozess ausgelagert, denn der Ehemann der Tagesmutter übernimmt seine Position.
Der Einbezug des Ehepartners in den Berufsalltag der Tagesmutter ist aber eher
selten oder findet aktiv nur am Rande der Betreuungsstunden statt. Viele der Tages-
mütter, die ich in ihre Lebenswelten begleiten durfte, verteidigten „ihren“ Bereich
Kindertagespflege. In meiner Gegenwart wurden die Partner (und eine Partnerin) oft
der Wohnung oder in ein separates Zimmer verwiesen. Auch maternal gatekeeping,
bei dem die Partizipation des Vaters an der Kindeserziehung verhindert wird,55 ist
daher Teil einer Grenzziehungs- und Professionalisierungsstrategie von Tagesmüt-
tern – nicht nur innerfamiliär, sondern vor allem in Abgrenzung zu den betreuten,
fremden Kindern.
54
Die Bedeutung der hier gebrauchten Bezeichnung bezieht sich auf folgende Definition von
Erwin Goffman: “While the stranger is present before us, evidence can arise of his possessing an
attribute that makes him different from others in the category of persons available for him to be,
and of a less desirable kind - in the extreme, a person who is quite thoroughly bad, or dangerous,
or weak. He is thus reduced in our minds from a whole and usual person to a tainted, discounted
one. Such an attribute is a stigma, especially when its discrediting effect is very extensive; some-
times it is also called a failing, a shortcoming, a handicap. […] There are blemishes of individual
character perceived as weak will, domineering or unnatural passions, treacherous and rigid be-
liefs, and dishonesty, these being inferred from a known record of, for example, mental disorder,
imprisonment, addiction, alcoholism, homosexuality, unemployment, suicidal attempts, and rad-
ical political behavior.” (Goffman 1991: 3f)
55
Puhlman und Pasley bieten folgende Definition für das maternal gatekeeping an: “[…] a set of
complex behavioral interactions between parents, where mothers influence father involvement
through their use of controlling, facilitative, and restrictive behaviors directed at father's chil-
drearing and interaction with children on a regular and consistent basis.” (Puhlman & Pasley
2013: 176)
204 Deutschland: empirische Befunde
Betrachten wir die von Frauen dominierte Kindertagespflege aus der Perspektive von
den beiden migrantischen Tagesvätern dieser Studie, lässt sich zunächst feststellen,
dass sich ihre Motive nicht wesentlich von jenen der Tagesmütter unterscheiden.
Auch sie wollen nach der Familiengründung aus einer statusbeschränkten Lebenslage
heraus selbst für die eigenen Kinder da sein. In der Konstruktion ihrer prozesshaften
Berufs(um)orientierung wird Geschlecht zunächst nicht thematisiert. In den folgen-
den Beschreibungen der Arbeitsinhalte wird jedoch ein geschlechtsbinärer Umgang
mit Arbeitsinhalten immer deutlicher und letztlich auch von den Tagesvätern expli-
ziert. Die Beschreibungen reflektieren, was es heißt als „Mann“ in einem von Frauen
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 205
dominierten Arbeitsfeld zu agieren und immer wieder durch die Gesellschaft auf
Geschlechterrollen rückverwiesen zu werden.
Elia ist ein Mann mittleren Alters, der seine aus Deutschland stammende Ehefrau in
seiner Heimat in Mexiko kennengelernt hat. Als diese schwanger wurde, migrierte er
zu ihr nach Westdeutschland. In der neuen Wahlheimat sieht er eine bessere Zukunft
für seine Familie, was er an Bildungsoptionen für seine Kinder festmacht und an der
Sicherheit, die Deutschland im Gegensatz zu den „Drogen-Kartellen“ Mexikos biete.
Elia und seine Frau haben heute insgesamt drei Kinder. Seine Frau geht in Deutsch-
land kontinuierlich einer festen Beschäftigung nach.
Elia hatte nach der Migration aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse als Graphiker
Schwierigkeiten, sich in den Arbeitsmarkt der Aufnahmegesellschaft einzugliedern.
Außerdem wollte er eine Fremdbetreuung seiner Kinder vermeiden. In Folge dessen
kam es zur Annahme der Rolle als Hausmann und Erzieher, die sich während der
Phasen gelegentlicher Arbeitslosigkeit festigt. Er erzählt:
Für mich ist besser hier zu sein, wenn die Kinder von der Schule kommen. [Hm.]
Und nicht, dass die nach Hause kommen und=und sie sitzen da und sie müssen .. äh
etwas von der Tiefregal essen oder- .. Fernsehen gucken. Das finde ich ist schwierig,
schwer. Deswegen, das ist eine=eine, meine Motive, dass ich hier zu Hause bleiben
will. Ich wollte nicht, dass andere Leute auf meine Kinder aufpassen. Ich=ich=ich ..
ich weiß, dass es gibt viele Tagesmütter und andere Optionen oder kann ich mein
Kinder Hort schicken. Und da kann essen und Hausaufgaben machen. Aber ist nicht
dasselbe. Ist .. ist nicht die Familie. Ist jemand anders passt auf meine Kinder auf.
Und das wollte ich nicht, das. Vielleicht ist ein bisschen, denke ich, es gibt Leute, die
denken: Ja, .. so ist das, ja?! Aber .. für mich ist wichtiger die Kinder, ja, die Familie.
Vielleicht liegt das äh als äh .. dass ich eine schöne Familie und eine sehr enge Fami-
lie hab=hab=habe. Und ich wollte das weitergeben. Weiß es nicht, also ((lacht)).
Aber für mich ist besser, hier zu sein. Und die Kinder zu äh Tür aufmachen, sagen:
Ja, wie war die Schule? Ja, wir essen zusammen. .. Ich weiß nicht, ich denke, für die
Kinder in der=der Zukunft wird das eine gute Erinnerung .. Papa war da und hat uns
geholfen mit den Hausaufgaben, haben wir zusammen gelebt.
Die Familien- und Care-Orientierung Elias ist offensichtlich. Er betreut fremde Kin-
der, lehnt es aber ab, seine eigenen Kinder fremd betreuen zu lassen. Ein Paradox,
206 Deutschland: empirische Befunde
dass sich auch durch viele Narrative der Tagesmütter dieser Studie zieht. Familienle-
ben wird bei Elia als Priorität vor der Erwerbsarbeitswelt rekonstruiert – mit der
Konsequenz einer Verschiebung traditioneller Geschlechterrollen, die sowohl für
Deutschland als auch für Mexiko gelten. Zudem wird der Wechsel in hauptverant-
wortliche Reproduktionsarbeit durch die Migration und den damit verbundenen Sta-
tusverlust befördert. Sein Zuverdienst als Tagesvater wird vom ethischen Wert als
Qualität gestützt, den die US-amerikanische Psychologin Carol Gilligan eigentlich
unter der Entwicklung einer ausgewiesen weiblichen Fürsorgemoral beschreibt und
aufwertet (vgl. Gilligan 1996:27). Die Entdeckung und Aufwertung der Fürsorgemo-
ral durch Elia erfolgt vielleicht gerade deshalb, weil er vom beobachtenden Stand-
punkt aus auf die Seite der Teilhabe wechselt. Auf der Basis einer neuen Erfahrung
lernt er den Wert von Care zu schätzen. Im Gegensatz hierzu übernehmen die Ta-
gesmütter dieser Studie den Wert von Care oft mit größerer Selbstverständlichkeit.
Weil sie hat mir gesagt: ich wollte mehr für mein Kind ein=ein Männervorbild krie-
gen, als .. und=und das hab ich auch in der Kindergarten, wo meine Kinder war, vie-
le Mutter haben gesagt: ich werde besser, wenn=wenn ein Erzieher ein Mann da wä-
re als nur Frauen, ne, Erzieherinnen. […] Ich habe in=in diese Kurs als die Grund-
qualifizierung, war nur Frauen. Ich war die einzige ((lacht)) Mann da. Aber alles ha-
ben toll gefunden. Das: „Ah, du machst auch den Kurs, ah, und wir finden toll und
sehr schön“, und .. ja ((lacht)) .. ich glaube, als Mann es gibt auch ein Vorteil,
weil=weil es gibt nicht so viele und=und die Leute finden das äh interessant, ja, dass
ein Mann auf die Kinder passen kann und mit Kinder spielen und .. ja. Und ich den-
ke, und eine und eine Tagesmutter hat einmal erzählt, dass äh sie hat äh gemerkt auf
dem Spielplatz zum Beispiel, wie=wie Männer und Frauen mit Kinder gehen. Zum
Beispiel Männer sind mehr, lassen die Kinder, ok, das äh .. geh auf der Rutsche al-
lein, oder probier mal. Und äh bei Frauen ist mehr, die äh musst schützen, ja, ich
muss immer dabei sein und, ja: ja, mach das nicht. […] Aber .. aber ich=ich persön-
lich, ich war so mit meine Kinder da, ich war nicht so ((lacht)) .. ich war mehr locker
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 207
und habe der Kinder einfach allein laufen lassen. Und zum Beispiel mit Alex hab ich
gesagt äh äh zum Beispiel ich war im Park und er ist weit weit weggelaufen und er
ist einfach gedreht und mir geguckt und habe einfach gesagt: hier bin ich. Er hat ge-
guckt und dann weiter gespielt. Aber ich habe nicht gesagt: Ja, komm her! Ne, nicht
weit weg. Oder .. nur wenn ich wusste, dass etwas gefährlich wird, zum Beispiel eine
Straße oder so. Dann hab ich, bin ich ein bisschen nah gelauft. Aber sonst hab ich ..
also, zum Beispiel die=die eine Rutsche, hab ich mein Sohn allein gelassen, dass er
richtig klettern und dann rutscht. Und, erinnern mich, ich war ganz oft bei Muttern,
haben gesagt: „Lasst du dein Kind alleine? Ist nicht zu gefährlich?“ Hab ich gesagt:
„Ne, ich bin da.“ Aber ich will nicht so mein Kind so die ganze Zeit halten und sa-
gen was, wie oder weiß nicht, das muss allein lernen. Ich habe nur gesagt: „Du musst
richtig festhalten und langsam.“ Hat er so gemacht und gerutscht. () Hat so: ich
schaffe das nicht. Aber ich denke, das lernen die Kinder auch. Wenn man so viel
Angst hat, dann die Kinder sind auch so ne das nehm ich nicht oder äh .. weiß nicht.
Vielleicht das ist Unterschied zwischen Erziehern oder Mutter und Vater. .. Ich weiß
nicht. .. Und vielleicht das schätzen viele Eltern, dass sagen, ja, ich will besser ein äh
Tagesvater als ein Tagesmutter.
Die Aufwertung als Tagesvater durch die positive Resonanz aus dem Umfeld von
Müttern und Tagesmüttern führt dazu, dass Elia seine Erziehungsrolle neu definiert:
im Sinne einer Pädagogik, die Kindern Autonomie zutraut, die ihnen Freiheiten lässt,
um Erfahrungen zu sammeln und Gefahren eigenständig zu bewältigen. Diese Strate-
gie geht so weit, dass er die Rolle des Tagesvaters jener der Tagesmutter entgegen-
setzt. Er positioniert die Erziehungskompetenz des Tagesvaters in binärer Opposition
zu der schützenden, beschränkenden, vor Gefahr bewahrenden Tagesmutter und
betont dadurch eine männliche Kompetenz. Die Dominanz weiblicher Erziehungs-
muster in öffentlichen Einrichtungen und die immer seltener werdenden Männer in
Erziehungsprozessen lassen ein Defizit erkennen. Elia bringt jetzt professionell
männliche Erziehungsmuster in den Prozess ein, ohne traditionelle Rollen in Frage
zu stellen. Er betreibt insofern Identitätsarbeit als erziehender Mann.
Es fällt auf, dass Elia die Rolle seiner Ehefrau innerhalb der eigenen Familie nicht
erwähnt. Sie ist die Haupternährerin, die die ökonomischen Verhältnisse der Familie
gewährleistet. Er jedoch schöpft seine Identität aus der neu gewonnen Funktion als
Hausmann und männlicher Erzieher. Es ließe sich interpretieren, dass diese Betonung
des Wertes männlicher Care-Arbeit mehr Gleichwertigkeit ermöglicht.
208 Deutschland: empirische Befunde
Für das Ehepaares Welter ist die gemeinsam verbrachte Arbeitszeit im Leben be-
zeichnend. Die Idee der Kindertagespflege als Eintrittsmöglichkeit in eine sinnstif-
tende Tätigkeit und als Fortführung eines gemeinsamen Projekts wurde von Frau
Welter hervorgebracht und mit Herrn Welter umgesetzt. Neben der dramatischen
Ausgangslage hat die enge Partnerschaft, die Erwerbsarbeit einschließt, sicherlich die
Care-Orientierung des Mannes begünstigt. Trotz der gemeinsamen Arbeit an gleicher
Stelle werden unterschiedliche identitätsbezogene Care-Positionierungen deutlich,
was folgende Interaktion aufweist:
Frau Welter: Also, da gibt's bestimmte Regeln. Äh wenn man will eine Tagepflege
machen, dann soll er zuerst Grundqualifizierung machen. Dann Erste Hilfe Kurs.
Und äh dann soll er die Wohnung, auch vorbereitet sein.
Herr Welter: () dafür.
Frau Welter: Ja. Nicht da in () wahrscheinlich. Aber äh-
Herr Welter: Da die Sicherheit äh Sachen äh montieren usw. Das meine ich.
Frau Welter: Ja. […]
Interviewerin: Sie haben erzählt, dass Sie ja zu zweit arbeiten. Können Sie mehr da-
rüber erzählen?
Herr Welter: Wie geschmiert eigentlich ((Frau Welter: lacht)). Wie geschmiert. Die
Popo wäscht sie ((Frau Welter: lacht)) (( alle lachen)) ..
Frau Welter: Ich soll nicht lachen ((alle lachen)).
Herr Welter: Die Arbeit wird äh während, einige Sachen mache ich, bis sie die Win-
deln wechselt, ich bin bei der Kinder da spiele-
Frau Welter: Wir sind zusammen 37 Jahre und ähm wir haben i m m e r zusammen
gearbeitet. Immer.
Herr Welter: Ja.
Frau Welter: Ich kann mich nicht vorzustellen, wie kann ich äh ohne ihn arbeiten. Es
ist so. Wir waren immer zusammen. [Hm.] Sogar in diese Betrieb, wir waren zu-
sammen. […]
Herr Welter: Also die, die unsere äh Vertretung ge- äh bei der Arbeit jetzt, sind nicht
fest verteilt ((lacht)). Deswegen wir machen, wir sind bei, wir sind aktiv die ganze
Zeit äh übernehmen von eine andere Mutter, Kinder, alles. Das wichtig, dass die
kocht. Ich koche nicht äh gerne. () gerade, dass, wenn ich dazu Zeit habe, wenn ich
nicht mit der Kinder beschäftigt usw.
Interviewerin: Auch die Windeln? ((lacht))
Herr Welter: Äh die Windeln-
Frau Welter: und die auch-
Herr Welter: Die Windeln mache ich auch.
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 209
aber das Bild der berufstätigen Karrierefrau das der Rabenmutter und führt zu einer
schrittweisen Anerkennung professioneller Tageseltern.
Konkurrierende Betreuungsformen
Ja. Und das ist natürlich die ursprünglichste Form, die Familie, ne?! Und ich denke
in der heutigen Zeit ist die Familie das wichtigste immer noch, was, obwohl es im-
mer nur ein Kind vielleicht gibt. ((Flüstert mit dem Kind, dass neben dem Tisch
spielt)) Obwohl das oft nur ein Kind ist, aber diese enge .. Bindung in der Familie,
das ist natürlich schön. Das hat man nirgendswo so sehr wie man seine Familie, das
ist immer eine ganz enge Bindung und das ist ja irgendwie da in der Tagespflege
auch. Die Kinder sind alle in einem, in einem, in einer Wohnung oder in einer ähm
zwei, drei Räume und es ist immer eine Person da und die haben wie so ein Ge-
schwisterverhältnis. Entstehen Freundschaften. Da wird gestritten genauso wie ge-
lacht und gesungen wird. Und da wird alles so in eine familiären äh Situation äh ei-
gentlich gelebt. [Hm.] Und ich glaub das ist die Ursprung. Und da, da, da, da geht's
auch zurück. Deswegen funktioniert das auch so toll. Das ist die, die ur-, ursprüng-
lichste Form und letztendlich ist das der Schönste für so ein Kind von null bis drei,
den man geben kann. Da wird auch frisch gekocht. Da wird um den Tisch gegessen.
Alle zusammen. Da werden die Rituale irgendwie, Traditionen, gelebt. .. Und das hat
alles mit Stärke und mit, mit ähm mit Selbstbewusstsein dann auch der Kinder und
mit dieses Gefühl ähm eine Richtung, eine Linie zu haben.
Mit der Zeit haben die in dieser Studie interviewten Tageseltern die Verträge an ihre
spezifische Berufssituation angepasst. Krankentage werden beispielsweise so festge-
legt, dass sie auch im Falle der Krankheit des eigenen Kindes gelten. Pascale trägt in
ihre privaten Verträge Kündigungsfristen von bis zu zwei Monaten ein. Im Fall einer
Mutter, die ihr Kind plötzlich in den Kindergarten schickt, hat sie dadurch vor Ge-
richt eine juristische Handhabe:
Hier ist die Tagespflegeregelungen des Landes und es ist hier genau geschrieben,
dass die Stadtschulamt bezahlt keine Kündigungsfrist. Und weil es gibt ein Vertrag
dann logischerweise die Eltern müssen bezahlen. Und äh dann die haben akzeptiert
die Hälfte zu zahlen.
Wenn Eltern Absprachen missachten, schützt der private Vertrag die Lohnsicherheit
mehr als der städtische.
Perspektiven der Handlungsfähigkeit 215
Das ist im Grunde meine äh meine Sozialversicherung. Wie's=wie's bei dem Arbeit,
wenn man irgendwo arbeitet. Ich hab nen Vertrag mit den Eltern. Ähm den wir auch
äh ganz am Anfang geb ich den den Eltern mit, noch bevor der unterschrieben wird,
damit sie sich den wirklich ganz gut durchlesen können, w e i l es ist auch so, dass
diese Extra-Gelder mit äh Eintritt des dritten Lebensjahres des Kindes wegfallen. Al-
so, das ist ne Förderung für Kinder unter Dreijährige. Wenn nen Kind jetzt aber im
Januar drei wird und noch keinen Kindergartenplatz hat äh werd ich dieses Kind jetzt
nicht vor die Tür setzen. Sondern ich werd's weiterbetreuen, bis es in den Kindergar-
ten geht. Und das können ja dann noch mal acht Monate ins Land ziehen. In diesen
acht Monaten fehlt mir das Extra-Geld. .. Und ähm da hab ich dann auch im Vertag
stehen, für diese Zeit verpflichten sich die Eltern, diese Extra-Gelder zu übernehmen.
Da kommen dann auch noch mal Kosten auf die Eltern zu.
Äh und dann haben wir gedacht, ne, komm, dann ähm organisieren wir uns. Weil wir
hatten das Gefühl, dass ähm auch von Seite der Stadt ähm würden viele Sachen ge-
macht, wo wir einfach so gestellt bekommen haben. Also war kein Gesprächsbereit-
schaft. Und dann haben wir gedacht, einen Verein und äh haben so eine äh dann gu-
cken wir mal, das wir nach den Qualität gucken. Ähm das wir einfach wachsam sind.
Dass wir uns organisieren. Das wir uns (eben?) sein muss, unser Standpunkt. Ähm
vertreten können gegenüber der Stadt und es ist egal gegenüber wen. Das wir uns ei-
nen, einen Rechtsanwalt, also, juristischen Beistand, suchen. Haben wir. Das wir äh
einen Steuerberater, die sich fit macht für unsere äh für die Tagespflege. […] Die
Behörden, die Sachen, ist eine andere, hat eine andere Dynamik. Ähm und manch-
mal laufen da Sachen die, die nicht in Ordnung sind. Ne, zum=zum=zum äh Benach-
teiligung der Tagespflegepersonen. Und dann haben wir gesagt ähm vom Verein, al-
so, wir wollen auch diese Leute äh die Hilfe brauchen und die nicht etwas Komi-
sches gemacht haben, das ist uns ganz klar ähm die=die einfach korrekt arbeiten,
aber irgendwas wird unterstellt oder wie auch immer. Dann stehen wir natürlich da.
Und dann ist diese Mensch, die natürlich allein arbeitet, wie jede Tagespflegeperson,
ist nicht allein, sondern hat eine Körperschaft hinter sich, die dazu steht und ihr hilft.
Und das ist, haben wir immer wieder ein Fall. Aber das, das ist ein gutes Gefühl. Al-
so dass äh bin ich froh, dass wir einen Verein haben.
Die Gründung des Vereins und die hier ausgewiesenen Problematiken zeigen, dass
das Engagement der Tageseltern die Bedingungen der Tätigkeit verbessern kann. Die
Funktionsfähigkeit des Berufs zu garantieren, sich gegenseitig zu unterstützen, Öf-
Perspektiven der Handlungsfähigkeit 217
fentlichkeitsarbeit zu leisten, sichtbar zu werden und die Qualität der Arbeit zu si-
chern, verfolgt eine Organisierung mit arbeitsrechtlichen Interessen. Die selbst orga-
nisierten Tagesmütter verbleiben jedoch noch auf der Ebene struktureller Unterstüt-
zung in Steuer- und Rechtsfragen und kämpfen primär für ihren guten Ruf. „Da wird
jetzt noch mal drauf geschaut, ist sie wirklich auch geeignet. Was ich sehr, sehr wich-
tig find. Nicht einfach zu sagen, jeder kann das machen, sondern dass da noch mal
selektiert wird irgendwie, ne?!“ Neben der Selektion professionell einzuordnender
Tageseltern möchten sie sicherstellen, dass die Kindertagespflegepersonen weiterhin
Standards erfüllen. Während Kitas und Erzieher_innen ihre Interessen innerhalb von
Gewerkschaften vertreten, lässt sich bundesweit für Kindertagespflegepersonen noch
keine gewerkschaftliche Schlagkraft politischer Natur erkennen. Der Ausschluss der
städtischen Behörden verweist zudem auf eine polarisierte Beziehung zu jenen, die
eigentlich mit der Qualitätssicherung beauftragt sind.
Herr Welter: Und dann haben wir eine Thema genommen zum Prüfung äh die
Grundphase, also die schwierigste Phase ((lacht)). Weil wir wollten das wirklich äh
ausüben und theoretisch uns wirklich vorbereiten. Äh das wirklich, das ist die
schwierigste Thema, mit den Kindern. Mit den Kindern klarzukommen in der Trotz-,
in der Trotzphase. Diese Thema dann genommen für uns und das hat uns wirklich
geholfen in Praktik, in der Praktik.
218 Deutschland: empirische Befunde
Frau Welter: Ja, wir haben fünf Kinder, die sind gleichzeitig in diese Trotzphase ge-
gangen, gerade in der Zeit. Und deswegen unsere äh Arbeit war wirklich auch eine
Praktikum ((lacht)). War unsere Alltag-Praktikum.
Herr Welter: Das hat wirklich uns geholfen. Die viele Fragen wurden jetzt klarer und
äh ..
Frau Welter: Ja, ja.
Herr Welter: Zurzeit haben wir keine Probleme mit der, mit der Phase ((lacht)). Ob-
wohl die ist immer noch anstrengendste. Aber trotzdem, wir können damit umgehen
schon viel lockerer.
Frau Welter: Und mit den Eltern auch.
Herr Welter: Und mit den Eltern auch, weil die Eltern sind auch äh erwischt von der
Phase-
Frau Welter: Und überrascht, meistens, ja.
Herr Welter: Ja. Die fragen, was machen wir jetzt?
Frau Welter: Gestern war eine nette Kind und heute ist eine Monster. Wieso?
Herr Welter: Ja.
Frau Welter: Das ist sehr schwer für die Eltern auch. Deswegen, na.
Herr Welter: Jetzt können wir jetzt äh die Eltern beraten plus äh wir haben die Lite-
ratur dazu. Äh zum lesen, die kriegen das auch von uns.
Frau Welter: Auch beide Sprachen.
Herr Welter: Ja, beide Sprachen.
Frau Welter: Haben wir gelernt ((lächelt)) .. Kinderpsychologie auf Russisch und auf
Deutsch ((lacht)). Diese Thema. Das war gut.
Die Frauen und Männer dieses Samples haben zum Teil die deutsche Staatsbürger-
schaft. In den Fällen, in denen unbegrenzte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung
besteht, ist nicht erkennbar, dass das Ziel einer deutschen Staatsbürgerschaft verfolgt
wird. So könnten beispielsweise Olga und ihr Mann, oder Amalia, eine Einbürgerung
beantragen, möchten sich aber nicht von ihren jeweiligen, aktuellen, Staatsbürger-
schaften trennen. Ihre Kinder haben jedoch in der Regel die deutsche Staatsbürger-
schaft, wenn auch mit Optionspflicht.
men eines breadwinners eine Grundvoraussetzung der neuen Lebens- und Arbeitssi-
tuation wird. Die prekäre (Schein-)selbstständigkeit verursacht hohe Kosten bei
unregelmäßigen Arbeitszeiten und unbezahlte Mehrarbeit außerhalb der offiziellen
Arbeitszeiten. Die Forderung nach privaten Zuzahlungen durch Eltern kann in Grau-
zonen der Legalität führen. Zwar stagniert die soziale Mobilität der Paare, da auch
die Partner in der Regel wenig verdienen, im neuen Berufsleben der Kindertages-
pflege treten jedoch auch selbstbehauptete Identitätskonstruktionen auf. Die Fremd-
sprachenkenntnisse der migrantischen Tageseltern werden beispielsweise als qualita-
tive Ressource der Betreuung ausgewiesen und dadurch als Geschäftsmodell genutzt.
Ihre mehrsprachige Erziehungs- und Bildungspraxis sensibilisiert Eltern und Tages-
kinder für die Konsequenzen einer globalisierten, transnationalen Welt und offeriert
in der Migrationsgesellschaft eine Rückbesinnung auf familiale Muttersprachen von
selbst Eingewanderten. Als weitere selbstbewusste Identitätskonstruktion sticht die
Rollenfindung der migrantischen Tagesväter hervor, die die Stigmatisierung des
Mannes im Bereich der Kindertagespflege mit einer Identitätsarbeit als Mann und
Care-Arbeiter positiv wenden und hierdurch gleichzeitig ihren sozialen Statusverlust
ausgleichen.
Aus der Perspektive der Handlungsfähigkeit wird immer wieder ein ermächtigendes
Merkmal der Kindertagespflege betont: dem durch Verlagerung auf fremde Personen
beförderten Entfremdungseffekt von Reproduktion wird eine qualitative und gleich-
sam familiale Alternative entgegengesetzt, die persönliche und zwischenmenschliche
Fürsorge sichert. Ihre intellektuelle Kompetenz beziehen die Tageseltern aus zertifi-
zierten Seminaren und Fortbildungen. Außerdem sichern manche der Tageselten ihre
juristische Handhabe in Steuer- und Rechtsfragen, die aus Erfahrungen der Selbst-
ständigkeit entstanden sind, über eine gemeinsame Interessenvertretung in einem
Verein. Auf rechtlicher Ebene gilt außerdem, dass die Tageseltern dieser Studie ihre
Tätigkeit nur über einen unbegrenzten Aufenthalts- und Arbeitsstatus oder durch die
deutsche Staatsbürgerschaft garantieren konnten. Allerdings deutet die ausbleibende
Altersvorsorge aufgrund geringen Verdienstes auf eine geringe Rente und eine Ab-
hängigkeit von Partner_innen und Staat im Alter hin.
6 Frankreich: Empirische Befunde
Guten Tag, ich heiße Leila. Ich bin 44 Jahre alt. Ich wurde in Algerien geboren. Ich
habe, ich habe vier Schwestern und, nein, ich habe sechs Schwestern und vier Brü-
der. Nach der mittleren Reife ((lacht auf)) habe ich mit der Schule aufgehört. Das ist,
man hat mir vorgeschlagen zu heiraten und, und ich habe akzeptiert. Ich bin bis heu-
te mit meinem Mann verheiratet. Äh und nach der Hochzeit, nach der Hochzeit, das
war nach einem Jahr, da habe ich meine ältere Tochter bekommen. 56
56
« Bonjour, je m'appelle Leila. J'ai 44 ans. Je suis née en Algérie. J'ai, j'ai quatre sœurs et, non, j'ai
six sœurs et quatre frères. Et après le collège ((elle se mit à rire)) j'ai arrêté des études. C'est, on
m'a proposé mariage et j'ai, j'ai accepté. Je suis mariée avec mon mari jusqu'à aujourd’hui. Euh et
après le mariage, après le mariage, c'était, c'est un an, un an j'ai eu ma grande fille. »
57
Auch die japanische Soziologin Yoko Maki ist bei ihren qualitativen Studien in Paris auf eine
Vielzahl von Tageseltern mit arabischen Namen gestoßen, die einen Migrationshinweis auf
Nordafrika haben (Maki 2014: 62, 67).
58
Nachdem es mit den Verträgen von Évian 1962 zu einem Waffenstillstand im Algerienkrieg kam
und Algerien unabhängig wurde, warb Frankreich weiterhin um algerische Arbeitskräfte. Bis
heute sind die algerisch-französischen Beziehungen geopolitisch und wirtschaftlich miteinander
verflochten. Kinder, die in Frankreich geboren sind und von denen mindestens ein Elternteil vor
dem 3. Juli 1962 in Algerien geboren wurde, besitzen die volle französische Staatsangehörigkeit
(vgl. Ambassade de France). Auf administrativer Ebene, zum Beispiel in der Schul- und Kultur-
politik, blieb Algerien zu bedeutenden Teilen frankophon. Auch Tunesien und Marokko sind
heute noch enge Partner Frankreichs.
Lebensverläufe 227
sein anderer Tagesmütter und der Sozialarbeiterin bietet sie mir an, ihre Lebensge-
schichte zu erzählen und steigt prompt wie folgt ein:
Guten Tag. Ich bin eine Tagesmutter, die in einem fremden Land geboren wurde. Äh
in den 80er Jahren, also, ich bin das zwölfte Kind einer großen Familie. Ich habe ei-
ne sehr glückliche Kindheit verbracht. Wie alle anderen auch bin ich in die Grund-
schule gegangen, weil es keine Vorschule gab. Und dann aufs Collège, dann auf das
Gymnasium. Ähm ich war dann also auf dem Gymnasium mit Schwerpunkt auf Na-
turwissenschaften. Das war schön in der Schule. Ich habe nicht, ich habe mein Abi
nicht gemacht, weil man mir die Fotos meines zukünftigen Mannes geschickt hat
((lacht)). Und so habe ich mich mehr auf meinen zukünftigen Mann konzentriert, als
auf die Schule. Neun Monate nach meiner Ankunft in Frankreich habe ich mein ers-
tes Baby bekommen.59
Da Lydia bereits nach einigen Sätzen auf den schulischen Verlauf zu sprechen
kommt und ihn positiv besetzt, scheint er eine in ihrem heutigen Leben nicht unwe-
sentliche Rolle zu spielen. Die abgebrochene Schulausbildung erklärt sich aus der
Priorität, die sie der eigenen Familie und der Idee, Ehefrau zu werden, zuweist.
Noch während Lydia auf die nötigen Papiere wartet, um Teil der in Frankreich le-
benden Familie ihres Ehemanns zu werden, macht sie eine Ausbildung zur Schneide-
rin:
Äh zwischenzeitlich habe ich das Schneidern gelernt, als ich auf meinen Mann war-
tete, der meine Papiere organisiert hat. Ich habe gelernt, ich habe eine Schneideraus-
bildung gemacht. Äh über sechs Monate. Wohl wissend, dass ich das gar nicht prak-
tizieren würde.60
59
« Bonjour. Je suis, je suis une assistante maternelle qui est née dans un pays étranger. Euh des
années 80 alors je suis la 12ème enfant d'une grande famille. Euh j'ai vécu une enfance très heu-
reuse. Je, j'ai fait mes études comme tout le monde en primaire, parce qu’il n’y avait pas de ma-
ternelle. Et puis collège. Puis lycée. Euh j'étais, j'étais donc, au lycée j'étais en classe euh
sciences, sciences naturelles. Euh j'ai passé des bons moments au lycée et pareillement au col-
lège. J'ai pas, j'ai pas eu mon bac, parce qu'on m’a envoyé des photos de mon futur mari ((elle se
mit à rire)). Alors euh voilà j'étais plus concentrée sur mon futur mari que, que mes études. Neuf
mois après mon arrivé en France j'ai eu mon premier bébé. »
60
« Euh entre temps j'ai appris la couture en attendant que mon mari prépare mes papiers. J'ai fait
des études, j'ai fait une formation de couturière. Euh pendant six mois. Sachant que je pratique
même pas la couture. »
228 Frankreich: empirische Befunde
lifikationen nur marginal Platz zu finden. In dieser Zeit übt das Foto des Mannes
außerdem eine symbolische Macht aus, die sie mit einer zukünftigen Mutterrolle
verknüpft: „Um zu kommen äh und hier meine eigene Familie zu gründen.“ 61 Das im
Leben wesentliche Projekt der Hochzeit, als Familiengründungsprojekt und ange-
kündigtes persönliches Glücksversprechen, kann retrospektiv von Lydia betont wer-
den, weil es sich zurzeit der Interviewführung mit vier Kindern auch erfüllt hat. In
ihrem Lebensverlauf ist das Ideal der kinderreichen Mutter und Hausfrau fest veran-
kert.
Das neue Leben in Frankreich wird von der Eingliederung in die neue Familie getra-
gen. Der selbst nur wenig Arabisch sprechende Ehemann hilft Lydia dabei, ihr Fran-
zösisch zu verbessern. Mit der Schwiegermutter und den Schwägerinnen führt sie ein
Leben in der häuslichen Sphäre, das zwar von Konflikten begleitet wird, aber den
vertrauten Gefühlen vom Leben im Maghreb näher kommt:
Und mit meiner Schwiegermutter und mit ihm äh ich kannte Frankreich noch nicht,
wie das funktionierte, wie, wie die Leute denken, wie das draußen läuft, ich, äh wohl
wissend, dass ich nicht gerne rausging, weil ich dann die Entfernung zu meiner Fa-
milie spürte. Ich spürte dann, dass ich in einem fremden Land bin. 62
Diese starke Konzentration auf das familiäre Leben über mehrere Jahre führt zu einer
Absonderung von der Aufnahmegesellschaft. Sie bekommt in dieser Zeit drei Kinder.
Außerdem wirkt sich die Arbeitslosigkeit des Mannes auf das Leben in Frankreich
aus. Der gelernte Gabelstapelfahrer findet über mehrere Jahre keine feste Beschäfti-
gung und hat lediglich gering bezahlte Gelegenheitsjobs unterschiedlicher Art. Dies
beschränkt die Unabhängigkeit des jungen Paares. Sie können nur bescheiden an der
Gesellschaft teilhaben, da ihnen für materielle Anschaffungen und Aktivitäten das
Geld fehlt.
Aus dieser prekären Situation heraus sucht Lydia erstmals nach einer Möglichkeit, in
Frankreich Geld zu verdienen. Ihre drei Kinder sind zu jener Zeit noch jung und der
61
« Pour venir et construire ma propre famille ici. »
62
« Et avec ma belle-maman et avec euh lui euh je connaissait pas encore la France, comment ça
fonctionnait, comment, comment les gens ils pensent, comment ça marche dehors, je, euh sa-
chant que j'aimais pas trop sortir dehors, parce que comme ça je sentais pas l’éloignement de ma
famille, je sens pas que je suis dans un pays étranger. »
Lebensverläufe 229
Anspruch, die eigene Identität in der Familienarbeit zu wahren, ist groß. Sie sucht
daher nach einem Weg, Geld zu verdienen, ohne ihre eigenen Kinder in Fremdbe-
treuung geben zu müssen. Außerdem möchte sie ihr Kopftuch bei der Tätigkeit wei-
terhin tragen: „Und mit Blick darauf, dass ich Muslimin bin und ich kann nicht, ich
habe nicht, selbst von mir selbst aus kann ich mein Kopftuch nicht abnehmen, um
aus dem Haus zu gehen.“63 Die in Frankreich untersagte Zurschaustellung „auffälli-
ger religiöser Symbole“ in öffentlichen Einrichtungen erschwert daher in Frankreich
die Suche nach einer geeigneten Beschäftigung. Das laizistische Frankreich wertet
seit 2004 la voile als religiöses Symbol. Darüber hinaus wird die abgebrochene
Schulbildung jetzt zu einem spürbaren Qualifikationsmangel auf dem französischen
Arbeitsmarkt. Sie stellt fest, dass ihre Schwägerinnen einen ähnlichen Konflikt
durchlebt haben und heute als Kindertagespflegepersonen bei sich Zuhause arbeiten.
Im Zuge dieser Beobachtung beschließt auch sie, in der Kindertagespflege zu arbei-
ten: „Kurzum, für mich war das die einzige, die einzige Tür, um herauszukommen äh
um zu arbeiten. Ich konnte keine andere Arbeit machen.“64 Durch die eigene „Haus-
tür“ nimmt Lydia daher ihren Weg in die Kindertagespflege.
63
« Et vu que je suis musulmane et je ne peux pas, j'ai pas, au moins de moi même je peux pas
enlever mon foulard pour sortir dehors. »
64
« Enfin bref, pour moi c'était la seule, la seule euh la seule porte de sortie pour euh pour travail-
ler en fait. Je pouvais pas faire un autre travail. »
230 Frankreich: empirische Befunde
mit ihrem Freund, nebenbei hört sie uns zu und klinkt sich ab und an in das Gespräch
ein. Kaya zündet sich eine Zigarette an und beginnt ihre Erzählung unaufgefordert
mit dem Satz: „Ähm .. es ist schon mal so .. ich, also, als ich in Frankreich ange-
kommen bin, hatte ich keinen Beruf!“65
Nicht zufällig beginnt Kaya ihre Erzählung mit ihrem Leben als erwachsene Frau in
Frankreich. Ihre Erfahrungen als 33jährige Alleinerziehende, die beginnt sich in
Frankreich neu zu entwerfen, markieren einen lebensgeschichtlichen Einschnitt, der
entscheidend mit ihrem vorangegangenen Leben in Algerien kontrastiert. Migratio-
nen haben Kayas Leben immer eine besondere Wendung gegeben. Entlang des Woh-
norts konstruiert sie ihr Leben dreiteilig: das Aufwachsen in Frankreich, das Leben in
Algerien als Jugendliche und die Zeit als erwachsene Frau in Frankreich.
Kaya wird in Frankreich in eine achtköpfige Familie geboren und geht hier auch zur
Schule. Ihr Vater ist ein Arbeitsmigrant, der vermutlich in einer der Sektoren des
industriellen Booms angestellt wurde. Frankreich, das sich mit Ende des Zweiten
Weltkriegs als Einwanderungsland definiert, zuerkannte 1947 die französische
Staatsbürgerschaft für Algerier und Algerierinnen. Dies führte vor allem zwischen
1949 und 1955 zu einer erheblichen Migration von ca. 180 000 algerischen Arbeitern
nach Frankreich und in den Folgejahren stieg auch die Zahl zugewanderter Frauen an
(vgl. Requate 2011: 126f). Mit der Trendwende nach 1974 in der Migrationspolitik
wurden Remigrierenden unter der Präsidentschaft Giscard d’Estaings finanzielle
Prämien versprochen. Kayas Vater entscheidet daraufhin, dass die Familie nach
Algerien zurückkehrt.
Zur Zeit der Remigration der Familie ist Kaya 14 Jahre alt, im republikanischen
Frankreich sozialisiert und hat bestimmte Werte internalisiert, die sie in der französi-
schen Gesellschaft erfahren hat. Dann verändert sich ihr Leben abrupt. Mit 15 wird
sie verheiratet und „erlernt“, was es bedeuten kann, eine Ehefrau in Algerien zu sein.
Sie verlässt den in Frankreich begonnen institutionellen Bildungsweg und erlebt
einen traumatischen Verweis in die Privatsphäre. Sie erzählt:
65
« Euh .. déjà () moi, en fait quand je suis arrivée euh en France j'avais pas de métier! »
Lebensverläufe 231
Ich war sehr jung, als ich geheiratet habe, weil ähm nein, das war so bei uns zu einer
anderen Zeit. Das ist was Familiäres. Ich habe geheiratet. Ich blieb, also, .. ich bin 18
Jahre verheiratet bei demselben Mann geblieben. In der Zwischenzeit, na, habe ich
meine Tochter bekommen, die jetzt 27 Jahre alt ist. Und ich lebte, na, ich lebte in
Algerien ein, ich sag mal, sehr banales Leben! .. Sehr banal und auch sehr bescheu-
ert, denn wie ich so Zuhause blieb, ich bin Zuhause geblieben, verstehst du?! Ich ar-
beitete nicht. Letztlich, als ich geheiratet habe, fand ich mich in dem Clan einer Fa-
milie wieder. Das waren mehrere Brüder, die in demselben Haus lebten. Alle verhei-
ratet. Aber mit ihren Kindern, aber ähm das war ein sehr großes Haus. Alle wohnten
dort. .. Schlussendlich, vom Grunde her ähm hatte ich wirklich eine andere Erzie-
hung, weil das war nicht die gleiche. Ich hatte eine französische können wir sagen.
Ich habe in Frankreich gelebt. Und dann ist das übergegangen zu einer Erziehung zur
verheirateten Frau. Aber sehr jung und ich, die ich überging, die fast nichts vom Le-
ben kannte. Mit 15 Jahren weißt du nichts! Und die direkt in so eine Situation ge-
kommen ist. Die Situation einer verheirateten Frau, die Verpflichtungen hat. Sachen,
an die du in dem Alter, wenn du heiratest, nicht denkst. Na ja, also, dann mit der
Zeit, sagen wir mal, hatte ich meine Schwägerinnen, ich musste k o c h e n lernen.
Ich musste lernen .. ähm .. mich um einen Mann zu kümmern. Denn das, was ich bis
dahin hatte, das waren feste Freunde. Das war nicht eine verheiratete Frau sein.66
An Kayas Erzählung ist zunächst abzulesen, dass sie durch die frühe, arrangierte
Hochzeit in eine Versorgungstätigkeit eingebunden wird, die ihrem bisherigen Le-
bensweg widerspricht. Die Norm, der sie sich in Algerien nur widerwillig anpasst, ist
weiblich konnotiert. Dies umso mehr, als sie sich an anderer Stelle als garçon
manqué bezeichnet (dt. etwa ‚verloren gegangener Junge‘). Die Erziehung zur guten
Ehefrau, die die ihr zugewiesene Verantwortung übernimmt, impliziert eine Schu-
66
« Je me suis mariée très jeune, parce que après j'en euh non, c'est des situations qui étaient les
nôtres à un autre temps. C'est sur familiale. Je me suis mariée. Je suis restée, bon bah, .. je suis
restée euh 18 ans mariée avec euh le même homme. Entre temps bah j'ai eu ma fille qui a main-
tenant 27 ans. Et j'ai vécu bah j'ai vécu en Algérie euh la vie euh, on va dire, très banale! .. Très
banale et très conne aussi, parce qu'en restant aussi à la maison euh, je restait que à la maison,
hein?! Je travaillais pas, en restant à la maison et en fin de compte, quand je me suis mariée je
me suis retrouvée dans un clan, d'une famille. C'est plusieurs frères qui vivaient dans la même
maison. Mariés tous, mais avec leur enfants, mais euh c'était euh une grande maison. Tout le
monde y habitait. .. En fin de compte pour la base euh c'est vrai que j'ai eu une autre éducation,
parce que c'était pas la même parce que- moi j'en avais eu une française, on va dire. J'ai vécu en
France. Après ça je passais à une éducation de femme mariée. Mais très jeune et me qui passe,
qui connaissait presque rien de la vie euh. À 15 ans on connait rien. Et qui passe directement
dans une situation comme ça, une situation de femme mariée et qui a des euh obligations,
des=des choses qui- en cet âge là, qu'on-t-on se mariée, on n'y pense pas. Après bon bah, avec le
temps bah, on va dire, j'ai mes belles sœurs, il a fallu que j'apprenne à faire à m a n g e r , il a
fallu que j'apprenne euh .. à m'occuper d'un homme. Parce que euh pour moi, ce que j'avais eu,
c'était des petits copains. C'était pas être une femme mariée. »
232 Frankreich: empirische Befunde
Der Autonomieverlust Kayas lässt sich beim Erwachsenwerden nicht länger negie-
ren. Im mittleren Alter vollzieht Kaya den Ausstieg aus ihrem Leben in Algerien und
verlässt ihren Ehemann. Ihr Impuls nach Frankreich zu gehen, wird von dem Wunsch
geleitet, selbstbestimmter zu leben. Sie migriert zunächst alleine nach Frankreich und
holt binnen kurzer Zeit ihre zu dem Zeitpunkt 14jährige Tochter nach. Eine Schei-
dung von ihrem Ehemann konnte bis heute nach algerischem Recht nicht realisiert
werden. Jedoch kann Kaya das Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft umsetzen, da
sie in Frankreich geboren wurde.
Und nun gut, ich habe mir ein neues Leben aufgebaut, ich habe mein Leben neu be-
gonnen ähm ich habe mir mein Leben so aufgebaut wie ich es wollte. Sagen wir das
mal so ((lächelt)). Das ist eine Veränderung ähm ob da ein Mann ist, der dir sein Le-
ben aufzwingt. .. Denn wenn du in Algerien bist, du=du- die=die=die Stärke der Frau
gibt es da nicht. Es gilt was der Mann sagt. Und hier habe ich meine Rechte für mich
ähm es stimmt, dass ich als ich hier angekommen bin diesen Zustand eigener Freiheit
gefunden habe. Der mich trotz allem in meinem Leben voran gebracht hat. […] Ich
Lebensverläufe 233
musste noch einmal lernen .. als Frau frei zu leben u n d=und gesellschaftlich. Denn
hier musst du auch ein soziales Leben wiederfinden. 67
Die Migration fungiert als Befreiungsakt von der Unterdrückung durch Gesell-
schaftsstrukturen, die die Freiheitsrechte der Frau stark einschränken. Dabei handelt
es sich nicht nur um ihre persönliche Freiheit, sondern auch um die Freiheit des Um-
gangs mit anderen Menschen.
Aufgrund der Geburt ihrer zwei weiteren Kinder kann Kaya in Frankreich eine
Alleinerziehendenhilfe von ca. 950€ bis zum dritten Geburtstag des jüngsten Kindes
beziehen, die Allocation de parent isolée, die seit 2009 in den Revenu de solidarité
active (RSA), vergleichbar mit dem Arbeitslosengeld II, eingegliedert wurde. Noch
vor dem dritten Geburtstag des jüngsten Kindes nutzt Kaya die in der Ehe in Algeri-
en und während der Familiengründung angehäuften biografischen Care-Ressourcen
zum Erwerb der Pflegeerlaubnis zur assistante maternelle:
Und dann ähm wollte ich, habe ich von dieser Arbeit als Kinderfrau erzählt bekom-
men. Also dann hab ich das so ein bisschen wie alle anderen gemacht, ein bisschen
recherchiert um herauszufinden was da verlangt wird. Welche Leistung erbracht
werden muss. Nun gut, ich habe den Antrag gestellt und ähm das war günstiger für
mich mein Kind noch mit einem anderen Kind zusammen zu betreuen. Gut, ich hab
dann den Antrag gestellt, mein télé-dossier und dann habe ich auf die Antwort der
Kommission gewartet. Denn das ist hier die Stadt, die die Pflegeerlaubnis vergibt.
Und dann habe ich meine Pflegeerlaubnis bekommen, nachdem ich meine Pflegeer-
laubnis bekommen habe, musste ich eine Ausbildung von 60 Stunden absolvieren.
Ich habe mit einem kleinen Jungen angefangen [hm], der drei Monate alt war. Und
meine Tochter, meine Tochter war schon über zwei Jahre alt und mein Sohn einein-
halb. Dann macht das gleichzeitig, das sind=das sind zwei Dinge. Es stimmt, dass
diese Arbeit, das ist eine Arbeit die Zuhause gemacht wird. Deswegen ist es einfach,
sich um die eigenen Kinder zu kümmern und um die Kinder der anderen. […] Es
stimmt, am Anfang war das eine Arbeit .. um sich ernähren zu können und ähm mit
der Zeit möchte ich ähm mochte ich diese Arbeit. Das war fast so, dass das, was
mich in diesen Beruf gebracht hat, anfangs meine Kinder waren. Du suchst eine Ar-
67
« Et bon bah j'ai refait ma vie, j’ai refait ma vie eh, j’ai refait ma vie comme moi je voulais. On
va dire ((elle se mit à sourire)). Ca change de euh que ca soit un homme qui m'impose ma vie. ..
Parce que, quand on est en Algérie, la force de la femme elle y est pas. C'est ce que dit l'homme.
Que là j'avais mes droits à moi euh, c'est vrai que=qu'en arrivant là j'ai trouvé cette situation de
liberté. Qui m'a quand même avancé dans la vie. […] Il a fallu que je réapprenne .. à vivre en
tant que femme libre e t =et sociale. Parce que il faut retrouver une vie sociale ici. »
234 Frankreich: empirische Befunde
Um sich an den Arbeitsmarkt anzupassen nutzt Kaya in ihrer Situation ohne Zeugnis-
se und Zweiteinkommen die Möglichkeit, Kindertagespflegeperson zu werden. Die
Aufnahme des Berufs der Tagesmutter ist rein pragmatisch. Die (Re-)Migration, der
Mangel an Geld, der Status als Alleinerziehende bei gleichzeitigem Familienzuwachs
und das Defizit an Diplomen führen über die Erziehungszeiten zur in Frankreich
verfügbaren Option Kindertagespflege. Hierbei wird deutlich, dass Kaya die Sorge
für die eigenen Kinder mit einer Erwerbstätigkeit, die ihre ökonomische Lage sichert,
verbinden will – nämlich als Arbeit, die sie Zuhause leisten kann. Mit der Zeit ent-
deckt sie den für sie gewonnenen Wert einer weitgehend selbstbestimmten Arbeit,
den sie im Gegensatz zur aufgezwungenen Dienstleistung in der Großfamilie in Al-
gerien ausdrücklich bejaht. Die Kindertagespflege wird zum Faktor der Inklusion in
die französische Gesellschaft, um „als Frau frei zu leben und gesellschaftlich“ und
sichert ihr soziales Leben ab. Der Beruf ermöglicht durch die Integration in das Sozi-
alsystem und die Versorgung der eigenen Kinder die Teilhabe am gesellschaftlichen
und kulturellen Leben.
68
« Après bon, j'ai voulu euh on m'a parlé de ce travail de=de nounou. Alors j'ai fait un peu comme
tout-le-monde, un peu de recherche pour savoir ce qu'ils demandaient. Ce qu'il faillait faire. Bah
je faisais la demande et puis euh euh ca me revenait moins cher de garder ma fille avec un enfant
avec. Alors je bah j'ai fait la demande, mon télé-dossier euh après euh est allé en commission,
parce que c'est, ici, c'est la PMI .. qui donne euh les agréments. Après bon j'ai eu mon agrément.
Après que j'ai eu mon agrément, il fallait faire euh une formation de 60 heures. C'était qu'un petit
garçon. [Hm.] Qui avait trois mois. Et ma fille, moi j'avais ma fille qui avait déjà euh deux ans et
mon fils avait un an et demi. Après ça faisait en même temps, c'est=c'est deux choses. C'est vrai
que ce travail là, il euh euh c'est un travail à domicile, alors c'est facile de pouvoir s'occuper de
ses enfants et des enfants des autres. […] Au début, c'est vrai, c'était un travail .. pour pouvoir se
nourrir et pour pouvoir euh au fur et à mesure c'est vrai qu'avec le temps moi j'aimais euh j'ai-
mais ce travail.. c’est presque qui m'a fait rentrer dans ce métier, c'est plutôt mes enfants, au dé-
but. Tu cherches du travail pour avoir une vie sociable, pour pouvoir euh avoir euh comme tout-
le-monde une retraite plus tard, pour travailler. Et pour ça il fallait que je fasse garder mes en-
fants ou que je garde d'autres enfants. C'est vrai que ce métier était euh adapté, pour moi euh,
c'était euh je trouvais le métier, que c’etait le plus adapté pour moi. Pour ma situation. En ayant
aucun diplôme. »
Lebensverläufe 235
Noura wächst mit vier Geschwistern in einem Dorf in Tunesien auf. Ihre Mutter ist
Hausfrau, ihr Vater verstirbt im Alter von etwa 60 Jahren. Die Familie ist mittellos.
Früh hilft sie ihrer Schwester, deren Kinder zu versorgen, zu erziehen, zu betreuen.
Im Alter von etwa zwölf Jahren bricht sie die Schule am Collège (Sekundärstufe I)
ab, um in einer deutschen Kleiderfabrik in Tunesien zu arbeiten und damit bereits
etwas Geld zu verdienen. Als 15jährige verlobt sie sich und heiratet im Alter von 19
Jahren. Sie fügt hinzu: „Das ist eben Familie, mein Mann.“69 Vermutlich ist es eine
arrangierte Ehe mit einem Mann aus dem Verwandtschaftskreis. Da dieser in Italien
lebt, migriert sie ebenfalls dort hin, hilft ihm sporadisch als Tellerwäscherin in einem
Snack-Restaurant und bekommt ihre erste Tochter. Sie leben vier Jahre in Italien,
erwerben aber nicht genügend Italienisch-Kenntnisse, um sich in der dortigen Gesell-
schaft ausreichend zurechtzufinden. Das einsame Leben auf dem Land in Italien
gefällt ihnen nicht. Sie entschließen sich zur Weitermigration nach Frankreich. Meh-
rere Gründe sprechen für das Nachbarland: bessere, wenn auch nicht flüssige,
Sprachkenntnisse; familiäre Netzwerke des Mannes, dessen Bruder eine Arbeit ver-
mitteln kann; günstige Bildungsaussichten für die Kinder.
69
« Parce que c’est la famille, mon mari. »
236 Frankreich: empirische Befunde
In Frankreich helfen sie zunächst im Restaurant von Nouras Schwager aus. Es folgt
eine längere Periode der Arbeitslosigkeit. Dann werden sie bei einem türkischen
Restaurant beschäftigt. Schließlich kaufen sie sich selbst ein kleines Snack-
Restaurant. Weil sich dies nicht rentiert, müssen sie verkaufen und verlieren sehr viel
Geld. Ihre prekäre Lage verschärft sich dadurch drastisch. Es entstehen bei der Bank
hohe Schulden, die sie monatlich abzahlen müssen und dazu kommen weitere offen
stehende Kredite. Ihre Finanzen werden notariell überwacht, sodass ihnen lediglich
die zum Leben notwendig erachteten Beträge bleiben. Mit ihren vier Kindern und
ihrem Ehemann wohnt sie heute in einer Fünf-Zimmer-Wohnung, deren Wände (wie
die vorherigen) feucht sind. Eine Tochter erleidet deshalb gesundheitliche Schäden.
Der Ehemann arbeitet inzwischen als Angestellter in seinem ehemaligen verkauften
Snack-Restaurant.
Während sich die Lage des Paares in der oben geschilderten Form verschärft, führt
Nouras Weg in die Kindertagespflege. Der Kauf des Snack-Restaurants erforderte
viel Kapital. Zur Zeit dieses Kaufs beginnt Noura sich nach einer Arbeit in Frank-
reich umzuschauen. Sie erzählt:
Und ich habe angefangen hier eine Arbeit zu suchen. Ähm weil hier in Frankreich
kann man nicht mit dem Kopftuch arbeiten. Es gibt nichts. Das ist auch so, dass ich
nur ein bisschen Französisch spreche, weil ich die Schule nicht beendet habe und all
das. Wenn ich bisher gearbeitet habe, dann war das nur Putzen. Aber mein Mann
möchte nicht, dass ich außerhalb von der Wohnung putzen gehe. Mit der Kleinen
und dann .. ((stöhnt)) .. [hm] hab ich den zweiten Jungen bekommen. Ich habe auch
noch ein Mädchen bekommen und noch ein Mädchen. Drei Mädchen, ein Junge.
[Hm.] Ich habe daran gedacht, eine Pflegeerlaubnis einzuholen, um Zuhause zu ar-
beiten. Pflegeerlaubnis für Tagesmütter. .. Und ich habe sie beantragt, sie haben
mich angenommen. Ähm und ich habe lange gearbeitet, fast mit vielen, als ich die
Pflegeerlaubnis bekommen habe, arbeitete ich sofort. Ich blieb nicht ohne Arbeit. Ich
arbeitete viel, mit fast sechs Kindern.70
70
« Et j'ai commencé chercher un travail euh ici. Euh parce que ici en France, on ne peut pas
travailler avec le foulard, il n'y est a rien, parce que je parle un peu le français aussi, parce que
j'ai pas terminé mes études et tout euh je faisais juste le ménage, mais mon mari il veut pas que je
travaille pour faire le ménage en dehors de la maison. Avec la petite et après .. euh .. ((gémisse-
ment)) [hm] j'ai eu le deuxième garçon. Et j'ai eu une autre fille aussi et une autre fille. J'ai quatre
enfants. Trois filles, un garçon. [Hm.] J'ai pensé demander un agrément pour travailler à la mai-
son. Agrément d'assistante maternelle. .. Et j'ai fait le demande, ils m'acceptaient. Euh j'ai travail-
Lebensverläufe 237
Anhand Nouras Weg in die Kindertagespflege wird deutlich, dass sich innerhalb der
stark diskreditierten und ernüchternden Ausgangslage der migrantischen Familie im
europäischen Wohlfahrtssystem eine Chance des Berufszugangs für Frauen im
Dienstleistungssektor eröffnet. Monetäre Engpässe zwingen dazu, dass Noura die
Familie mit ernährt. Dem gegenüber stehen tradierte Werte, denen zufolge die Ehe-
frau ihren Lebensmittelpunkt Zuhause bei den Kindern haben muss. Die Kinderta-
gespflege wird für Noura zu einem Weg, die Sorge um ihre eigenen Kinder mit Er-
werbstätigkeit zu verbinden. Damit setzt ein Tradierungsprozess des familiären Pra-
xiswissens ein, der auf biografischen Ressourcen beziehungsweise dem biografischen
Wissen als Familienfürsorgerin basiert. Der „Kniff“, der zur Zustimmung des Ehe-
mannes führt, liegt in einem vermeintlichen Rückgriff auf traditionelle Häuslichkeit,
die sie in die Erwerbsarbeitswelt transportiert. Indessen bewirkt der Zugang zum
Arbeitsmarkt eine Verschiebung traditioneller Zuschreibungen von Geschlecht und
Erwerbsarbeit. Da jedoch die Beschäftigung als Care-Arbeiterin gleichzeitig inner-
halb der für maghrebinische Familien typischen binären geschlechtsspezifischen
Arbeitsteilung verbleibt, stellt sie das Wertesystem von mit Häuslichkeit verbundener
Mütterlichkeit nicht grundlegend in Frage.
lé longtemps, avec beaucoup, quand j'ai pris l'agrément j’ai travaillé tout de suite. Je suis pas res-
té sans travail. Je travaillais beaucoup, avec presque six enfants. »
71
Die Soziologin Lacoste-Dujardin stellt in ihrem Werk Des mères contre les femmes, maternité et
patriarcat au Maghreb (dt. ‚Mütter gegen Frauen, Mutterherrschaft im Maghreb‘) aus dem Jahr
238 Frankreich: empirische Befunde
Bei den maghrebinischen Frauen ist eine arrangierte Ehe zumeist ausschlaggebend
für die Migration zum bereits in Frankreich lebenden Ehepartner. Es wird aber auch
von selbst gewählten Partnern aus dem familiären Umkreis berichtet. Auch die Fami-
lien der Partner weisen damit eine Migrationsgeschichte auf, die im Maghreb be-
ginnt. Manchmal sind die Ehemänner der Frauen auch schon in Frankreich geboren.
Mit der Volljährigkeit konnten diese für die französische Staatsbürgerschaft optieren.
1985 fest, dass Mutterschaft in der patriarchalen Ideologie maghrebinischer Familien vor allem
davon motiviert ist, einen Sohn zu haben: « Pour une Maghrébine, être femme ce n’est pas vivre
avec un homme, c’est posséder un fils. Mais alors que, dans l’idéologie de couple, une femme
désire un enfant d’un homme, un enfant qui soit une création à deux, une œuvre qui consacre et
prolonge le couple, dans l’idéologie patriarcale une femme attend, à l’exclusion d’une fille, un
garçon qui appartiendra socialement à un homme, certes, mais qu’elle possèdera affective-
ment. »71 (Lacoste-Dujardin 1985: 144)
Lebensverläufe 239
Die Migration wird für die Frauen zunächst nur als ein Teilaspekt des neuen Lebens
bewertet, im Vordergrund steht die Gründung einer eigenen Familie. Auf meine
Aufforderung, etwas mehr über die gemeinsame Geschichte mit dem Ehemann zu
erzählen, antworteten viele der Frauen so oder ähnlich:
Meinen Ehemann?! [Hm] Ähm ich kannte ihn. Ja, da drüben. Wir haben uns vor al-
lem vorher gesehen. Heute sehen und treffen sich die Leute auch. Gut, sie sprechen
miteinander und so. Aber früher meine ich ähm da gab es Eltern, sie begannen uns
zu fragen, man kannte sich so, das heißt nicht, dass man miteinander gesprochen hät-
te oder so, ja?! Vor der Hochzeit. Man kannte sich so, weil er ist mein=mein Cousin.
Ich habe ihn gesehen. Ja, ja. Das heißt man kannte sich. Ja. Das ist alles. Also haben
wir geheiratet ((lacht)).72
Es handelt sich bei der Auswahl des Mannes entweder um einen Cousin, um ein
Mitglied einer befreundeten Familie oder um jemanden, der mit demselben Dorf
„verwurzelt“ ist. Diese Männer haben sehr stabile transnationale Beziehungen zum
vertrauten Familien- und Bekanntenkreis aus dem Maghreb und oft enge Beziehun-
gen zu der Großfamilie ihrer neuen Ehefrau. Die transnationalen Netzwerke der
Großfamilien erstrecken sich überdies von Nordafrika über ganz Europa bis in die
USA.
Verwoben mit der Heirat eines Mannes in Frankreich und dem Aspekt der Familien-
gründung sind Aspirationen nach sozioökonomischer Sicherheit beziehungsweise
sozialem Aufstieg sowie der Wunsch nach einem autonomen Leben: „Nach Frank-
reich, warum. Für diese Freiheit dort. Machen, was man wirklich machen möchte.“73
Die Idee eines autonomen Lebens ist zum einen losgelöst von den paternalistischen
Vorgaben der Eltern. Zum anderen geht es um die Erweiterung von Möglichkeiten,
die erlauben, vorhandene Ideen von Leben und Arbeit überhaupt umsetzen zu kön-
nen. Eine wesentliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Aussicht auf reprä-
72
« Mon mari?! [Hm.] Euh je le connais, moi. Oui, là-bas. On se rencontrait surtout avant. Mainte-
nant aussi ils se voir et ils se rencontrent. Bon, ils parlent et tous. Mais dans l'autre temps, ça
veut dire euh il y a les parents, si ils nous disent est-ce que, on se connait comme ça, ça veut dire
on n'a pas parlé ensemble et tous, hein?! Avant le mariage. On se connait comme ça, parce qu'il
est mon, mon cousin. Je l'ai vu. Oui, oui. On se connait ça veut dire. Oui. C'est tout. Alors on
s'est marié. ((Elle se mit à rire)). »
73
« En France, pourquoi. C'est pour cette liberté là. Faire ce qu'on a envie de vraiment faire. »
240 Frankreich: empirische Befunde
sentative und bezahlbare Bildungskarrieren für die eigenen Kinder, wie das Zitat
einer Tagesmutter verdeutlicht:
Das ist so, ich wollte mein Studium beenden. Aber ich konnte nicht. Das ist alles. Ich
habe alles getan, damit meine Kinder aufwachsen und studieren. Eigentlich bin ich
deshalb hier, damit meine Tochter ihr Studium beenden kann. Dass ich ihr helfe
((lacht)). Weil das nicht einfach ist mit den Kindern und allem Medizin zu studieren,
das ist schwierig.74
Der französische Sozialstaat soll den Söhnen, und mit besonderem Nachdruck auch
den Töchtern, jene Weiterbildungsmöglichkeiten verschaffen, auf die sie selbst ver-
zichten mussten.
Auffällig ist die rasche und kontinuierliche Umsetzung der Familiengründung. Die
Frauen gebären ihr erstes Kind im Folgejahr der Heiratsmigration, etwa im Alter von
18 bis 19 Jahren. In regelmäßigen Abständen gebären sie weitere Kinder. Im Durch-
schnitt haben die maghrebinischen Frauen dieser Studie zur Zeit der ersten Interview-
führung drei bis vier Kinder und sind im Alter von 32 bis 52 Jahren. Die Familien-
gründung führt zu einer starken Orientierung auf die eigenen Kinder und den Ehe-
mann. Viele der jungen Frauen erleben dadurch nach der Migration eine Phase star-
ker Isolation in der Aufnahmegesellschaft. In dieser Zeit wird das familiäre Leben im
Maghreb reinszeniert beziehungsweise bestmöglich in die neue Umgebung übersetzt.
Die Anpassung an die neue Familie wird bisweilen von größeren Schwierigkeiten im
Verhältnis zu den Schwiegermüttern begleitet. Nach Möglichkeit werden Kontakte
zu bereits vorhandenen maghrebinischen Netzwerken hergestellt. Eine Erkundung
der Aufnahmegesellschaft wird zunächst vermieden, wie die Bemerkung der Tages-
mutter Leila an dieser Stelle verdeutlichen soll: „Und ich die ich noch nie Frankreich
gesehen hatte, als ich gehe, ich bekam Kinder und bin nicht mal rausgegangen. [Hm.]
74
« C'est, je voulais bien terminer mes études. Mais j'ai pas pu. C'est tout. J'ai tout fait pour que
mes enfants ils grandissent et fassent des études. En fait c'est pour ça que je me suis installée ici
pour que ma fille termine ses, fait ses études et tout. Que je l'aide. ((Elle se mit à rire)) Parce que
c'est difficile avec les enfants et tout de faire des études en médecine, c'est difficile. »
Lebensverläufe 241
Man sah nur das. Man hat nichts anderes gesehen.“75 In dieser Zeit spielt der Ehe-
mann eine vermittelnde Rolle zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre, die für den
neuen Alltag essentiell ist. Die Kinder hingegen integrieren sich durch Schulbesuch
und Kontakt mit anderen Kindern in die französische Gesellschaft.
75
« Et moi qui n’ai jamais visité la France, quand je vais, j'avais des enfants et je sortais même pas.
C’est comme un a des () on sortait même pas, on est encore attaché à notre pays. À notre famille.
[Hm.] On voyait que ça. On voyait pas autre chose. »
76
« On habitait dans mon premier appartement, qui était un studio à deux- 18m². [I: Combien?] 18!
Là, pour moi c'était un hôtel, hein?! »
242 Frankreich: empirische Befunde
in den über Frankreich hinaus so berüchtigten banlieues, in denen sich oft soziale
Konflikte entladen.
Zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, während der trente glorieuses
(dem französischen Wirtschaftswunder), erlebte Frankreich einen plötzlichen demo-
grafischen und industriellen Boom. Dies bedeutete eine entschiedene Ablösung von
der Agrarwirtschaft zugunsten urbanen Lebens, die auch als Seconde Révolution
française bezeichnet wird (vgl. Requate 2011: 109ff). Unter Zeitdruck wurden
Hochhaussiedlungen errichtet, in denen vor allem Industriearbeiter an den Rändern
der städtischen Ballungsräume eine bezahlbare Wohnung fanden. Als Erbe dieser
Wohnungspolitik leben heute in diesen Vororten vor allem Migrant_innen mit gerin-
gem Einkommen, die zudem oft Sozialleistungen beziehen. Die Eltern der neu auf-
wachsenden Generation waren oft Arbeitsmigranten aus dem Maghreb. Auch für
einige Ehemänner und Familien der Frauen dieser Studie gilt eine entsprechende
Migrationsgeschichte.
Durch die Orientierung der Frauen an günstigem Wohnraum oder den Zuzug in jene
Viertel entstehen erste Kontakte in maghrebinischen Enklaven. In diesen marginali-
sierten Stadtteilen orientieren sie sich nach der Migration neu und der Anschluss an
die restliche Aufnahmegesellschaft verzögert sich. In der neuen Community stärkt
die Ausrichtung der Mütter an Familienarbeit die gemeinsame Identität und hält den
traditionell weiblichen Bezug auf Care-Arbeit aufrecht. Während der Interviews in
den Privatwohnungen der Frauen wurde schnell klar, dass die Lage des Zuhauses für
die Beschäftigungslage der Kindertagespflegepersonen bedeutend ist. Der vorhande-
ne Wohnraum ist Grundvoraussetzung für die Pflegeerlaubnis und generiert daher die
Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt.
Die interviewten Frauen haben teilweise nur eine Grundschule besucht oder weiter-
führende Schulen früher oder später abgebrochen. Häufig fehlen daher Bildungsqua-
lifikationen. Durch die anfängliche Orientierung am Familienleben wird erst langsam
präsent, dass sich dies nachteilig auf die Eingliederung in den französischen Er-
Lebensverläufe 243
In den Erzählungen der Frauen wird die gute Integration der Kinder in das französi-
sche Schulsystem betont. Nach Möglichkeit wird in Nachhilfe und Mehrsprachener-
werb investiert, um die Kinder auf dem Weg zum Abitur, und zu einem Studium, zu
unterstützen. Es wird deutlich, dass die Migrantinnen den Wert des transnationalen
Lebens nicht allein auf eine ökonomische, sondern auch auf eine intellektuelle Ebene
transportieren. Verschiedene Fähigkeiten wie Sprache, Wissen und theoretische
Kenntnisse sollen die Möglichkeiten der Kinder erweitern, wie beispielsweise die
Tagesmutter Pegricia erkennen lässt: „Das größte Vermächtnis, das man seinen Kin-
dern überlassen kann ist nicht Geld, sondern Bildung. So haben sie einen intellektuel-
len Besitz. Aus meiner Sicht ist das sehr wichtig. Also, die Kinder sprechen drei
Sprachen. Das hat ihnen viele Türen geöffnet.“78 Die Bildungswege der Kinder wer-
den als Resultat ihrer Migration erfahren und damit zu messbaren Erfolgen ihrer
eigenen Entbehrungen und Kämpfe.
77
Die in den 1950er und 1960er Jahren umfassende Demokratisierung des französischen Schulsys-
tems bis in die Ära Mitterands schuf neue Chancen für sozialen Aufstieg und berufliche Einglie-
derung über zertifizierte Abschlüsse, wodurch soziale Herkunft eine geringere Rolle spielte. Die
Qualifikationen differenzieren und spezialisieren sich zunehmend (vgl. Monchâtre 2010 : 22).
78
« Le meilleur héritage qu'on peut faire à un enfant, c'est pas de l'argent, c'est les études. Comme
ça ils ont un bagage intellectuel. De mon point de vue, c'est très important. Alors, les enfants, ils
parlent trois langues. Et ça leur a ouvert beaucoup de portes. »
244 Frankreich: empirische Befunde
Auf Basis stagnierender Mittel begreifen die Paare prozessartig, dass die ausschließ-
liche Orientierung der Frauen an der familiären Reproduktion in Konflikt steht mit
der Erreichung (oder Aufrechterhaltung) des gewünschten Lebensstandards. Auf der
einen Seite steht ein Weltbild, das den Frauen die Aufgabe zuweist, die Kinder un-
entgeltlich großzuziehen. Die in dieser Studie interviewten Frauen in Frankreich
identifizieren sich mit dieser Aufgabe und gebären viele Kinder. Auf der anderen
Seite steht eine Aufnahmegesellschaft, die längst das Zwei-Verdiener-Modell als
Norm etabliert hat und daher die Frau zur Partizipation auf dem Erwerbsarbeitsmarkt
drängt. Von hier an greift Zahnrad in Zahnrad. Die Familien bemerken die Notwen-
digkeit der Erwerbstätigkeit der Frau, um die notwendigen Einkünfte zu erzielen und
an den Gütern der französischen Gesellschaft teilhaben zu können. In der Regel
arbeiten die Ehemänner im Niedriglohnsektor, haben befristete Arbeitsverträge oder
Lebensverläufe 245
sind arbeitslos. Sind die Ehemänner über längere Perioden ohne Beschäftigung,
entsteht eine besonders hohe ökonomische Dringlichkeit ein zweites Familienein-
kommen zu erwirtschaften. Den Familienmitgliedern – im besonderen Maße den
männlichen Familienernährern – wird dies oft erst allmählich, mit Anwachsen der
Familie, ernsthaft bewusst.
Auch jene Frauen dieser Studie, die nicht aus dem Maghreb oder aus gehobeneren
Schichten nach Frankreich migriert sind, konzentrieren sich nach der Geburt ihrer
Kinder auf das Familienleben und stellen das Erwerbsleben oder Studium zurück. In
der Folge gleichen ihre Fälle den anderen. Auch sie haben entweder keine verwertba-
ren Qualifikationen für den französischen Arbeitsmarkt oder durch die Kindererzie-
hungszeiten deren zeitnahen Einsatz verpasst, was die Auswahl an Berufsmöglich-
keiten bedeutend beschränkt.
Für die meisten maghrebinischen Frauen dieser Studie erschwert das von Ihnen ge-
tragene Kopftuch die Erwerbsintegration in Frankreich. Demonstrativ zur Schau
getragene religiöse Symbole, unter die la voile zählt (sowie Kippa und Habit oder
große Kreuze), dürfen in öffentlichen Einrichtungen nicht mehr getragen werden.
Dies wurde 2004 unter Jacques Chirac bestimmt. Je nach Einstellung und Willen der
Arbeit gebenden Person gilt dieses Verbot zum Beispiel auch für die Haushalts- und
Gebäudereinigung, eine der wenigen ergreifbaren Erwerbstätigkeiten für die Migran-
tinnen ohne Qualifikationen. Folgende Aussage einer Tagesmütter verdeutlicht die
Effekte diesen Verbots: „Und damals konnte ich nicht draußen arbeiten gehen wegen
meinen Kindern und wegen meinem Kopftuch. Das ist es. Deswegen habe ich=habe
ich=habe ich gesagt, ich arbeite nicht.“ 79 Viele der Frauen dieser Studie sind
überzeugterweise nicht gewillt, ihr Kopftuch für eine Arbeit abzunehmen, was eine
Berufsausübung verzögern oder gar verhindern kann.
79
« Et, et à l'époque je ne pouvais pas aller travailler dehors par rapport à mes enfants et par rap-
port à mon foulard. C'est ça. C'est pour ça j'ai=j'ai=j'ai dit je travaillais pas. »
246 Frankreich: empirische Befunde
Über die Aneignung des Berufszweigs Kindertagespflege vereinen die Frauen dieser
Studie scheinbar disparate Interessen, nämlich ihre Care-Tätigkeiten Zuhause fortzu-
setzen und gleichzeitig zu arbeiten. Die Frauen suchen nach Perspektiven, in denen
ihre Identifikation als Mutter und die von ihnen geleistete Wertschöpfung in der
Familienarbeit Anschluss findet. Obwohl sie Erwerbsarbeit leisten müssen, wollen
sie weiterhin die Familienarbeit erfüllen. Die kostengünstige Betreuung für Kinder in
Frankreich wird aus traditionellen Gründen nicht in Erwägung gezogen. Sie wün-
schen sich, dass sich Familie und Beruf vereinbaren lassen, jedoch nicht als vonei-
nander getrennte Sphären: Familie mit Beruf statt Familie und Beruf.
Die Sorge um Verwandte soll eine innerfamiliäre Angelegenheit bleiben, wie eine
Tagesmutter verdeutlicht: „Ich konnte wem auch immer kein Vertrauen schenken
und die Kinder überlassen.“80 Interessanterweise kommt Ihnen jetzt entgegen, was sie
selbst zur Erwerbsbeteiligung zwingt: Die Lebenswirklichkeiten in der Doppelver-
diener-Gesellschaft Frankreich erfordern eine Betreuungsgrundlage, wie sie die Kin-
dertagespflege bietet. Für die Vielzahl der in Vollzeit erwerbstätigen Mütter in
Frankreich stellen Tageseltern bei der Versorgung der unter Dreijährigen die primär
genutzte Betreuungsoption dar. Wegen der ausbleibenden Partizipation der Väter ist
80
« Je ne pouvais pas donner ma confiance à qui que ce soit pour laisser les enfants. »
Lebensverläufe 247
die Arbeit als Tagesmutter von der festen Beschäftigung der Mütter in Frankreich
abhängig, die Beschäftigungsmöglichkeit der Mütter wiederum von der Arbeit der
Kindertagespflegepersonen. In diesem Kontext wird das Ergreifen des Berufs
assistante maternelle für die Migrantinnen zum Verhandlungsraum zwischen eigenen
Wünschen und der neuen Lebensrealität. Sie qualifizieren sich kostenfrei, benötigen
keine Zugangsvoraussetzungen oder Zertifikate und vereinen räumlich wie sozial die
Prämissen Familie, Erwerbsarbeit und das Kopftuchtragen. „Deshalb hab ich das
gemacht, weil das Zuhause war, ich war nicht gezwungen mein Kopftuch abzuneh-
men und ich musste meine Kinder nicht zurücklassen,“81 sagt die Tagesmutter Oran.
In den Narrativen der Tageseltern drückt sich ein starkes Selbstbewusstsein als Müt-
ter aus, das in den neuen Beruf übertragen wird. Eine der Tagesmütter erzählt etwa:
„Da ich ja schon Kinder hatte war das nicht so kompliziert. Ich habe nachgemacht,
was ich mit meinen eigenen Kindern gemacht habe. Du folgst deinem Instinkt als
Mutter.“82 Sie wenden ihre Erfahrungen als Erziehungsleistende an, denn ihre biogra-
fisch gesammelten Care-Kenntnisse entsprechen dem neuen Einsatzfeld.
Und dann, als ich geheiratet habe, habe ich mich um meine Kinder gekümmert. Und
als sie groß wurden, als der letzte drei Jahre alt war, da hab ich gesagt: „Ich weiß
nicht, mit ohne Diplom, was werde ich als Arbeit finden mit den Kindern, ohne Dip-
lom.“ Ich wusste nicht, dass es Tagesmütter gibt. Das wusste ich nicht. [Hm.] Dann,
als ich eines Tages zur Sozialarbeiterin gegangen bin und sie um Hilfe gefragt habe,
um etwas zu finden, hat sie gesagt: „Was willst du?“ Und ich habe gesagt, dass ich
81
« C'est pour ça que je l'ai fait, parce que c'était à la maison, j'étais pas obligée de faire euh le
foulard et j'étais pas obligée de laisser mes enfants. »
82
« Comme j'ai déjà eu des enfants, c'était pas très compliqué. J'ai reproduit, c'est ce que j'avais fait
avec les miens. Tu suis ton instinct comme une mère. »
248 Frankreich: empirische Befunde
nicht viel studiert habe und dass ich kein Diplom habe und dass ich mit Kindern ar-
beiten möchte. Dann hat sie zu mir gesagt: „Warum wirst du nicht Tagesmutter?“83
Diese Kommunikation ist entscheidend, da sich die Idee der Kindertagespflege als
öffentlich gefördertes Betreuungsmodell oft noch der Kenntnis oder gar Vorstellung
der Frauen entzieht. Der kostenfreie Erwerb der Qualifikation und der obligatori-
schen Pflegeerlaubnis (agrément) mit insgesamt 120 Ausbildungsstunden, zuzüglich
darauf aufbauender Fortbildungsstunden, erfolgt bei den Tagesmüttern dieser Studie
zügig, ungeachtet der zum Teil gänzlich fehlenden Schulbesuche. Der einfache
Sprachgebrauch der Dossiers wird von den Migrantinnen positiv bewertet und die
Ausbildung lässt sich mit der Familiensituation vereinbaren, zumal sie nach Mög-
lichkeit über Parallelbetreuung in die Arbeitszeiten eingegliedert wird. Da sich die
Frauen oft in Phasen des Familienzuwachses befinden und Säuglinge versorgen, ist
die praktische Umsetzbarkeit der beruflichen Neuorientierung Grundvoraussetzung.
Ein mehrjähriges Studium oder lange Ausbildungszeiten widersprächen ihrer Le-
benssituation und -vorstellung.
83
« Et après, quand je me suis mariée, je me suis occupée de mes enfants et quand ils ont grandi, le
dernier il a trois ans, là j'ai dit: je sais pas, avec sans diplôme, qu'est-ce que je vais trouver un
travail avec les enfants, sans diplôme. Je savais pas qu'il existe assistante maternelle. Je savais
pas celle la. [Hm.] Après, un jour je suis partie voir une assistante sociale et je voulais, je lui ai
demandé pour des, une aide pour trouver quelque chose. Elle m'a dit ‹qu'est-ce que tu veux›, je
lui ai dit j'ai pas fait des grandes études et je suis sans diplôme et je voulais faire quelque chose ()
comme travailler avec les enfants. Et après elle m'a dit ‹pourquoi tu fais pas assistante mater-
nelle›. »
Lebensverläufe 249
84
« Parce que elle est venue, la puéricultrice, elle m'a demandé où ils vont dormir, je lui ai montré
comment ça se passe. Mais je crois, elle, elle, comme elle m'a dit, il faut une chambre vide pour
eux, pour les enfants. Pas avec mes enfants. »
250 Frankreich: empirische Befunde
durch selbst keine Nachfrage generieren, und Vorbehalte anderer Eltern gegenüber
diesen „Problemvierteln“, wie später näher erläutert werden wird.
Auch wenn die Kalkulation des Einkommens kompliziert ist, geben die Tageseltern
an, pro Vollzeitkind etwa 700€-800€ im Monat zu verdienen. Kaya bringt am Ende
einer unserer Gespräche verschmitzt zum Ausdruck: „Wir haben auch einen Vorteil.
Bei dem ich nicht weiß, ob ich ihn Ihnen verraten soll ((lacht)) [Das heißt sie-] be-
zahlen keine Steuern. Das ist der Vorteil dieser Arbeit ((lacht)).“ 85 Durch eine festge-
legte Pauschale, die vom Endverdienst abgezogen wird, sind ihre Brutto-Einnahmen
letztlich Netto-Einnahmen. Die Stundenlöhne der Betreuung pro Kind variieren von
2,3€ bis 5€ und werden vor allem in den Stadtkernen sehr selbstbewusst eingefordert.
Die Tagesmütter dieser Studie berichten jedoch, dass es in den quartiers populaires
auch zu Unterbietungen des gesetzlichen Mindestlohnes von momentan 2,7€ die
Stunde und Kind kommt. Manche der migrantischen Tageseltern mit entsprechenden
Erfahrungen bedauern daher, dass das Gehalt nicht einheitlich bleibt, sondern von der
fortdauernden Anzahl der betreuten Tageskinder abhängt. Dadurch sind die Tagesel-
tern stärker von den Turbolenzen auf dem Arbeitsmarkt abhängig als sogenannte
Normalarbeitnehmer_innen mit festem Monatslohn. In der Regel suchen Eltern nach
einer Vollzeit-Betreuung, da Mütter in Frankreich meist selbst Vollzeit beschäftigt
sind. Dadurch haben die Tageseltern annähernd regelmäßige Arbeitszeiten.
85
« Nous on a l'avantage d'une chose aussi. Que je suis pas sûr de vous le dire ((elle se mit à rire)).
[Donc vous-] paye pas d'impôts. L'avantage de ce travail ((elle se mit à rire)). »
86
« J'aime travailler à la maison et j'aime les enfants, moi ((elle se mit à rire)). J'ai la patience avec
les enfants et j'aime travailler avec eux.»
252 Frankreich: empirische Befunde
son generiert Noura nun einen Verdienst von 1 400€ bis 1 600€ im Monat. Aufgrund
der ökonomischen Lage des Paares ist davon auszugehen, dass der Ehemann keinen
Verdienst erzielt, der im bedeutenden Maße darüber hinaus geht. Die sich nach und
nach verschlechternde Situation hat eine aktive Rolle der Ehefrau auf dem Arbeits-
markt ab einem gewissen Tiefpunkt notwendig gemacht. Das hohe und schnelle
Arbeitspensum, von dem Noura berichtete – „ähm und ich habe lange gearbeitet, fast
mit vielen, als ich die Pflegeerlaubnis bekommen habe arbeitete ich sofort, ich blieb
nicht ohne Arbeit“87 –, verhilft ihr zu einer wirtschaftlich relevanten Position. Zur
Zeit der Interviewerhebungen bezieht Noura dessen ungeachtet Erziehungsgeld. Als
Konsequenz aus ihrer Tätigkeit als assistante maternelle hat sie Anrecht auf den
pauschalen Zuschuss zur freien Wahl der Tätigkeit (frz.: Complément du libre choix
d’activité), was ihr eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit bis zum dritten Geburts-
jahr des jüngsten Kindes ermöglicht.
Kaya, die sich im Alter von dreißig Jahren von ihrem Mann in Algerien löste und
ohne Bildungszertifikate mit ihrer 14jährigen Tochter nach Frankreich migrierte,
versorgt als Alleinerziehende ihre vierköpfige Familie. Sie arbeitet in einem gut
situierten Stadtkern, in dem es eine hohe Nachfrage an Tageseltern gibt. Nach acht
Jahren in diesem Beruf sagt sie:
In Frankreich haben wir nämlich ein System, bei dem es keinen Sinn macht schwarz
zu arbeiten, weil, sagen wir mal, wir werden gut bezahlt. [Hm.] 2 000€, das ist nicht
nichts. .. Äh und manchmal komme ich auf 2 300€ im Monat. Das ist nicht nichts.
Danach muss ich sagen, hab ich die 2 300 plus die 300 von den CAF [Familienaus-
gleichskassen, Anm. JG] für die Kleinen. Das macht am Ende des Monats schon, das
macht etwa 2 500€ im Monat. Äh und mit einer Miete, die bei 400€ liegt [ja], die ich
für die Miete bezahle, weil die Wohnhilfe 550€ von der Miete zahlt. Siehst du, damit
hat man was zum Leben. Na, mir geht’s gut. Siehst du, das ist nicht, das ist nicht- Ich
konnte meine Kinder in die Kolonie [umgangssprachlich: nach Algerien, Anm. JG]
schicken, das hat mich 2 000€ gekostet .. Für 20 Tage. Sehen Sie, [der Sohn ruft: 21
Tage!] es ist wahr dass hier- es ist wahr, dass man hier lebt, dass man=man=man hier
in Frankreich gut lebt. Das ist nicht äh ich habe niemanden. Ich habe nur mich und
87
« Euh j'ai travaillé longtemps, presque avec beaucoup, quand j'ai pris l'agrément je travaillais
toute suite. Je pas resté sans travail. »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 253
meine Kinder. Ich habe es nicht schlecht zu Hause. Man kann sagen das ist äh das ist
einzig mein Gehalt von dem wir leben. Und wir können davon gut leben.88
Kaya zeigt, dass sie den Bedarf im Care-Sektor in Frankreich nutzen kann, um sich
in den Arbeitsmarkt einzugliedern, obwohl sie weder eine höhere Schulbildung vor-
weisen konnte noch die Unterstützung eines Partners beziehungsweise einer Partne-
rin. Die familienpolitischen Maßnahmen werden von anderen staatlichen Subventio-
nen wie Wohngeld und Zulagen für Alleinerziehende begleitet und machen die Ver-
knüpfung von Familienarbeit und Erwerbsarbeit zum Zwecke der Lebenserhaltung
möglich.
Kayas Tochter, die denselben beruflichen Weg wie ihre Mutter eingeschlagen hat,
rechnet mir auf einem Stück Papier vor, warum der Verdienst ihrer Mutter steuerfrei
bleibt:
88
« Parce qu'en France on a le système pour ça et on n'a pas à chercher du travail au noir, parce que
on va dire on est bien payé. [Hm.] 2 000€, c'est pas rien. .. Euh il y a des fois que j'arrive à 2 300.
C'est pas rien. Après je vais dire, j'ai 2 300 plus j'ai les 300€ de la CAF des petits. Ca me fait
quand même la fin du mois, ça fait à peu prêt, j'arrive à avoir 2 500€ par mois. Et avec un loyer
qui est à 400€ [oui] ce que je paie dans le loyer, dans les 400 euros euh la =l’APL, l'aide au lo-
gement, paie 550 dessus. Tu vois, ça fait quand même qu’on a de quoi à vivre. Bah je vis très
bien. Tu vois, c'est pas, c'est pas. Moi j'ai pu envoyer mes enfants en colonie, ca me coutait 2 000
euros. .. Pour vingt jours. Vous voyez, [son fils: vingt et un jours!] c'est vrai que ici c'est- c'est
vrai que on y vit, on=on=on vit bien dans en France. C'est pas euh moi j'ai personne. J'ai que moi
et mes enfants. J'ai pas de main à la maison. On va dire que c'est euh c'est mon seul salaire avec
lequel on vit. Et ce nous fait bien vivre. »
254 Frankreich: empirische Befunde
Übersetzung: Kaya ist 8 Stunden am Tag präsent. Der Mindestlohn liegt bei 9,27 und für 8
Stunden und mehr zählt man 3 Stunden Mindestlohn. Also mindestens 8 Stunden Präsenz, das
macht 3 Stunden Mindestlohn 3 x 9,27 = 27,81 am Tag. 27,81 x 22 Tage im Monat = 611,83€
+ 70€ Essen + 60€ Ausgleichszahlung. Steuerpflichtiges Netto 680€, also ist die Steuerberech-
nung: 680 + 70 + 60 – 611,82 = 198,18. Also reduziert sich das steuerpflichtige Netto von
611,18 auf 198,18€ im Monat.
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 255
Anhand der Berechnung ist erkennbar, dass der für die Steuer herangezogene Betrag
so niedrig ist, dass er steuerfrei bleiben muss.
Die Anerkennung als assistante maternelle überträgt sich nach und nach auf Kayas
Identifikation als Care-Arbeiterin. Sie gewinnt ein Selbstbewusstsein als Tagesmut-
ter, die rechnerisch denkt:
Kaya: Es kommt drauf an, weil alles ansteigt. Wie soll ich sagen, das ist=das ist=das
ist wie in der Wirtschaft, nicht wahr?! Man muss, also, wenn der Preis für das Brot
ansteigt, ist man gezwungen den Rest anzuheben. Das ist an die Situation angepasst.
Interviewerin: Aber Sie gehen nicht unter 3,5€?
Kaya: Nein. Nein. Sagen wir mal, in Anführungszeichen, das bringt mir nichts. Das
ist trotzdem, das ist trotzdem, ein Gehalt. Das ist eine Arbeit. 3,5€. Sonst verdient
man nichts. Schön und gut ist es, den Beruf zu lieben, aber es ist ein Unterschied
seinen Beruf zu lieben und seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Also, man kann
nicht unter 3,5€ gehen.89
Kaya entwickelt, wie andere Tagesmütter dieser Studie in Frankreich, eine ökonomi-
sche Verhandlungsmentalität. Über- und Unterbieten von Stundenlöhnen oder das
Ausloten von Spielräumen in den Verträgen wird zu einem Alltagsgeschäft der Ge-
haltsmaximierung. Grundlage hierfür ist das entwickelte und jetzt eingeforderte
Selbstverständnis, die Tätigkeit müsse angemessen entlohnt werden. Als „angemes-
sen“ wird ein Gehalt begriffen, das mindestens die ökonomischen Bedürfnisse der
Familie stillt. Aber auch der Anspruch darüber hinaus konsumieren zu können, wie
zum Beispiel die Kinder zum Urlaub nach Algerien zu schicken, symbolisieren einen
neuen Lebensstandard und Lebensstil.
89
Kaya : Ca dépend, parce que, bon, c'est comme tout euh tout augmente. C'est=c'est=c'est com-
ment dire, c'est dans l'économie, hein?! Faut, voilà, la baguette augmente, on est obligé d'aug-
menter le reste. Voilà, c'est par rapport à la situation et euh voilà, c'est euh. Intervieweuse : Mais
vous faites pas au dessous de 3,5€? Kaya: Non. Non. On va dire, entre guillemets, ça me ramène
rien. C'est quand même, c'est quand même, un salaire. C'est un travail. 3,5€, après on ne gagne
rien. Mais on a=on a beau aimer le métier, mais il y a aimer le métier et gagner sa vie. Alors, on
ne peut pas descendre au dessous de 3,5€.
256 Frankreich: empirische Befunde
In der Phase der Feldforschung habe ich des Öfteren diese staatlichen Vermittlerin-
nen in ihren Büros besucht und mich mit Ihnen unterhalten oder habe sie zu Treffen
mit Kindertagespflegepersonen, Singkreisen oder anderen Aktivitäten begleitet.
Diese Frauen bearbeiten in eigenen Geschäftszimmern Listen von Eltern und Tages-
eltern, die beide Parteien einsehen können, und führen auf beiden Seiten vertrauliche
Gespräche. Dies mindert den Organisationsaufwand für die migrantischen Tagesel-
tern dieser Studie erheblich. Während die Vermittlung vor allem in den innerstädti-
schen Zentren in Hinblick auf Angebot und Nachfrage relativ problemfrei verläuft
und zu einer vergleichsweise konfliktfreien Annäherung zwischen Eltern und Tages-
eltern beiträgt, kann es in Problemvierteln zu Vermittlungsproblemen kommen.
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 257
Hier in dem Viertel gibt es keine Arbeit. Weil alle Tagesmütter werden. Nicole [die
Kinderkrankenpflegerin, Anm. JG] hat gesagt es sind fast 80% hier in dem Viertel.
Weil wir alle Kopftuch tragen. Wir können nicht. Die Türken und die Araber, alle,
sie tragen alle Kopftuch, sie können nicht arbeiten, weil es hier nicht erlaubt ist mit
dem Kopftuch zu arbeiten. Das Gesetz. In Frankreich. Das Gesetz, man kann nicht
arbeiten.90
90
« Ici dans le quartier il y a plus de travail. Parce que tout le monde travaille comme assistante
maternelle. Il y a presque 80% d'assistante maternelle a dit Nicole [la puéricultrice, Anm. JG] ,
ici dans le quartier. Parce qu’on a toutes le foulard. On peut pas. Les Turcs et les Arabes, toutes,
elles mettent le foulard, elles ne peuvent pas travailler, parce qu'on n'a pas le droit de travailler
avec le foulard ici. Les lois. En France. La loi, on ne peut pas travailler. »
258 Frankreich: empirische Befunde
Außerdem sinkt der Marktpreis der Tagesmütter, wenn sie sich gegenseitig in ihren
Stundenpreisen unterbieten oder länger arbeiten, als sie bezahlt werden. In solchen
Situationen werden die gesetzlichen Regelungen daher, aus Not heraus, unterlaufen.
Bei den meisten Tagesmüttern dieser Studie kommt die Krippe als zweitbeliebte
öffentliche Betreuungseinrichtung kaum zur Sprache. Überraschenderweise fördert
der Staat jedoch in einem Problemviertel, in dem eine Tagesmutter dieser Studie
arbeitet, den Ausbau von Krippenplätzen. Tatsächlich kommt es unter Familienmi-
nisterin Nadine Morano 2010 zu der Initiative „Crèche Espoir Banlieues“, die zum
Ziel hatte, mit 3 000 zusätzlichen Krippen in banlieues sozialschwachen Familien die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen und so die Arbeitsmarktpartizi-
pation der dort lebenden Frauen anzuregen (vgl. Crèche Espoir Banlieue). Die Krip-
pen zeichnen sich durch besonders flexible und lange Öffnungszeiten aus. Leila
erzählt, welche Konsequenzen in ihrem Viertel daraus erwachsen:
Das sind die Krippen, es gibt hier viele Krippen. Tausend Krippen. Sie beschäftigen
keine Tagesmütter von hier. Manchmal kommen die Tagesmütter von weit her. Hier
gibt es Tagesmütter, sie holen andere Tagesmütter, das ist nicht normal! Nein. Siehst
du, sie haben alle eine Ausbildung mit mir gemacht. Alle meine Freundinnen. Und
sie haben wirklich alle Erziehungszeit und so, aber sie haben nie Kinder zum Betreu-
en.91
91
« C'est des crèches, il y a beaucoup des crèches là. Y a mille crèches. Ils font pas travailler des
assistantes maternelles d'ici. Des fois elles viennent, les assistantes maternelles, de loin. Ici, il y a
des assistantes maternelles ici, ils ramènent des autres assistantes maternelles, et c'est pas nor-
mal! Non. Tu vois, ils m'ont fait une formation. Et à toutes mes copines. Et ils ont, vraiment ils
ont des congés parentaux et ça, mais ils n’ont jamais des enfants pour garde. »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 259
Im Verlauf der biografisch-narrativen Interviews forderte ich die Frauen in der Regel
irgendwann dazu auf, noch ein bisschen von ihrem momentanen Arbeitsalltag zu
sprechen. Mich verwunderte zunächst, dass einige von ihnen so oder ähnlich antwor-
teten:
- Oh, momentan bin ich in Erziehungszeit .. ich warte noch bis der Kleine drei
Jahre alt wird .. .92
- Jetzt? Nein, jetzt arbeite ich nicht. [Sie sind-] in der Erziehungszeit. Aber ich
habe eine Pflegeerlaubnis für drei Kinder. Ja. Aber momentan arbeite ich nicht,
ich bin in Erziehungszeit bis September. Weil mein Jüngster im September drei
wird.93
Es fiel außerdem auf, dass die akkreditierten Tagesmütter zwar oft eine Pflegeer-
laubnis erhalten haben, aber einige Jahre nicht davon Gebrauch machten. Das Erzie-
hungsgeld regt, wie sich herausstellte, diese Tagesmütter dazu an, die Beschäftigung
bis zum dritten Lebensjahr der Kindes, das heißt mit Eintritt des Kindes in die École
maternelle, auszusetzen. Dies gilt verstärkt für jene Tagesmütter, deren Arbeits-
marktlage ungünstig ist. Nach den Richtlinien gilt: wenn sie zuvor zwei Jahre er-
werbstätig waren (bei zwei Kindern zwei Jahre in den letzten vier Jahren, bei drei
Kindern zwei Jahre in den letzten fünf Jahren) können sie in dieser Zeit einen „pau-
92
« Oh, maintenant je suis en congé parental … j’attend que le petit ait trois ans .. »
93
« Maintenant? Non, maintenant je ne travaille pas. [Vous êtes-] en congé parental. Mais j'ai un
agrément de trois enfants. Oui. Mais pour le moment je travaille pas, je suis en congé parental
jusqu'au mois de septembre. Parce que mon dernier il aura trois ans au mois de septembre. »
260 Frankreich: empirische Befunde
schalen Zuschuss zur freien Wahl der Tätigkeit“ in Höhe von bis zu 576,2€ im Monat
erhalten. Hinzu kommt der Bezug von Kindergeld.94 Viele der Tagesmütter erwerben
erst durch die Tätigkeit als akkreditierte Tagesmutter den Anspruch auf das Erzie-
hungsgeld, also in der Regel nach 2004. Da aber in den Zeiten der Berufsaufnahme
immer neue Kinder entstehen, bedeutet dieses familienpolitische Instrument vor
allem für jene Frauen, die in den quartiers populaires Beschäftigungsprobleme ha-
ben, oft einen Anreiz die Erwerbstätigkeit als Tagesmutter periodisch – bis zum
dritten Lebensjahr des jüngsten Kindes – wieder auszusetzen. Der lange Bezug des
Erziehungsgeldes steht im Gegensatz zu der starken Vollzeitbeschäftigung der meis-
ten Mütter in Frankreich, die in der Regel schon einige Monate nach der Geburt
zurück ins Erwerbsleben streben.
Bei Noura wird eine gute Beschäftigungslage durch eine Schwangerschaft mit an-
schließendem Bezug des Erziehungsgeldes unterbrochen:
Ich habe viel gearbeitet, mit fast sechs Kindern. Kommt drauf an. Ich habe Vollzeit
mit zwei Schwestern, Schwarze, gearbeitet und, aber ich habe mit ihnen fast dreiein-
halb Jahre gearbeitet. Bis ich mit der Kleinen schwanger geworden bin. Und ihre
Mutter, vorher hat ähm bei Lidl gearbeitet, und danach hat sie aufgehört, um sich um
ihre Töchter zu kümmern. Sie vertraut niemandem außer mir, weil die Kinder gerne
bei mir sind und so. Als ich schwanger geworden bin ((stöhnt)), ich, jetzt, ich bin
jetzt in der Erziehungszeit bis ähm bis drei Jahre. Die Kleine ist jetzt zwei Jahre und
zwei Monate alt. Und danach geht es weiter mit der Suche nach einer anderen Arbeit
((lacht)) mit Kindern als Tagesmutter, weil ich nicht draußen arbeiten kann mit vier
Kindern und allem.95
94
Das Kindergeld beträgt 2012 ab zwei Kindern 127,68€, bei drei Kindern 291,27€, bei vier Kin-
dern 454,86€, bei fünf Kindern 618,45€ und zusätzlich pro weiterem Kind 163,69€ (vgl. Securité
sociale). Ab Juli 2015 ist das Kindergeld unter der Regierung Manuel Valls einkommensabhän-
gig deutlich reduziert worden.
95
« Je travaillais beaucoup, avec presque six enfants. Ca dépend. En temps plein et j'ai travaillé
avec deux sœurs, black et, mais j'ai travaillé avec elles presque trois ans et demi. Et deux der-
nières sœurs. Jusqu'à ce que je tombe enceinte de la petite. Et leur mère, avant elle travaillait le
euh à Lidl, et après elle a arrêté pour garder ses filles. Elle ne donne pas sa confiance à qqn
d'autre que moi, parce que les enfants elles aimaient rester avec moi et tout. Quand je suis tombé
enceinte ((gémissement)) je, maintenant, je suis en congé maternité ((elle fait claquer sa langue))
euh jusqu'à trois ans. La petite, maintenant, elle a deux ans et deux mois. Et après on commence-
ra à chercher un autre travail et ((elle se mit à rire)) avec les enfants comme assistante mater-
nelle, parce que moi je ne peux pas travailler dehors avec quatre enfants et tout. »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 261
Durch das Erziehungsgeld, und das Kindergeld für vier Kinder, erhält sie etwas über
1 000€ im Monat („mille et quelques“). Die Aufgabe der Erwerbstätigkeit bedeutet
unter Bezug dieser Leistungen einen monetären Verlust von einigen hundert Euro:
„Vorher habe ich im Monat mit Kindergeld und meiner Arbeit 1 500, 1 400, verdient.
Kommt drauf an. 1 500, 1 600, das kommt auf die Stunden der Mama an, aber das
Kindergeld, das ist fix. Sie geben jeden Monat so viel, soviel, oder so viel. [Hm.] Hm
((schnieft)).“ 96 Der Gehaltseinbruch scheint, unter der durch das Anwachsen der
Familie erforderlichen Versorgung der eigenen Kinder, hinnehmbar zu sein. Wie
schnell Noura wieder in Beschäftigung kommt, wenn das Erziehungsgeld nicht mehr
gezahlt wird, bleibt offen.
Ich hatte zwei die am Ende des Schuljahres gegangen sind und zwei sind geblieben.
Ähm von September bis März. Mit zweien. Und ich habe ähm im Dezember, Januar
und Februar Arbeitslosengeld bezogen. Als die beiden neuen kamen, zwei Neue, na
ja, da habe ich nicht mehr das Geld bezogen und hatte vier. [Hm.] Seit März. Und
von März bis Juli und dann sind wieder zwei gegangen, sehen Sie? [Hm.] Zwischen
Juli und August sind zwei gegangen, weil eigentlich die Großen in die École
Maternelle integriert wurden. Und dann ähm normalerweise habe ich Arbeitslosen-
geld beantragt, weil nur noch zwei blieben. Und das hat gedauert und gedauert und
gedauert mit dem Antrag bis=bis=bis letzten Monat, als mir das Recht auf die Beihil-
fe zugesagt wurde. Ähm und jetzt im Januar habe ich zwei Neue bekommen. 97
96
« Avant par mois j'ai, j'ai gagné à la Caf et mon travail 1 500, 1 400, ca dépend. 1 500, 1 600, ça
dépend le, les heures de la maman et, mais le Caf, c'est fixe. Ils donnaient chaque mois quel, quel
ou quel. [Hm.] Hm ((renifler)). »
97
« J'en ai deux qui sont partis euh à la fin de l'année scolaire et, et je suis restée avec deux. Euh de
septembre jusqu'à mars. Avec deux. Et j'ai touché l'indemnité chômage euh en décembre, jan-
vier, février. Quand j'ai eu l'entrée de deux nouveaux, deux nouveaux euh bien je ne touchais
plus d'indemnité car j'en avais quatre. [Hm.] Depuis mars. Alors de mars jusqu'à juillet il y eu
sorti de nouveau de deux, vous voyez? [Hm.] Entre juillet et aout en fait il y en a deux qui sont
partis parce que les grands sont, on=ont intégré la, la maternelle. Et puis euh normalement j'ai
262 Frankreich: empirische Befunde
Mit dem Eintritt der Ehefrauen in die Erwerbstätigkeit erfährt die Ernährerfunktion
des Mannes einen Wandel. Auch die Ehefrauen generieren nun als assistantes
maternelles einen Verdienst etwa in der Höhe des Mindestlohns, wenn nicht sogar
darüber hinaus. Noura, die berichtete: „Aber mein Mann möchte nicht, dass ich au-
ßerhalb der Wohnung putzen gehe,“98 bricht die alte Rollenaufteilung über die Kin-
dertagespflege auf, indem sie die ökonomische Sicherung der Familie mit über-
demandé la l'indemnité chômage, parce qu'il m'en restait que deux. Et le dossier a trainé, a trainé,
a trainé jusqu'à le=le=le mois dernier pour me dire que j'ai le droit à l'allocation. Euh et j'ai eu
l'entrée de deux nouveau là en janvier, en fait. »
98
« Mais mon mari il veut pas que je travaille pour faire le ménage en dehors de la maison. »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 263
nimmt. Die tradierte Identifikation mit der Mutterrolle wird allerdings weiterhin
aufrecht erhalten. Erfahrungen lehren, wie Ursula Apitzsch feststellt,
[…] daß die Suche nach sozialer und kultureller Zugehörigkeit in der neuen Auf-
nahmegesellschaft in einem großen Maße verbunden ist mit biographischer Anstren-
gung, die sich auf die Wiederherstellung eines symbolischen Raumes von
Traditionalität bezieht, auf deren Hintergrund erst die Möglichkeit entsteht, als Mig-
rantIn den eigenen Platz in der neuen Gesellschaft zu bestimmen. (Apitzsch
1999: 11)
Die Ehemänner dieser Studie erkennen den vermeintlich weiblichen, hohen Wert der
Mutterrolle in der Tagespflege an, weil die Frauen einen „symbolischen Raum von
Traditionalität“ aufrechterhalten. Mit dem Eintritt ins Erwerbsleben ist diesen zu-
mindest die Möglichkeit gegeben, eine selbstbewusste Rolle über die ihnen zuge-
dachte Gender-Rolle hinaus wahrzunehmen. Oft befürworten und unterstützen die
Ehemänner die Weiterqualifizierung ihrer Ehefrauen in ihrem neuen Beruf, beispiel-
weise über eine Zertifizierung erworbener Erfahrung (VAE, Validation des acquis de
l‘expérience). Der Anstoß zur Integration in die Aufnahmegesellschaft ist damit
gegeben. Die Isolation der Frauen wird aufgebrochen, indem sie Zugang zum staatli-
chen Bildungssektor erhalten und in Kontakt mit anderen Personen außerhalb des
engen familiären Bezugskreises treten. Dies können unter anderem Eltern, Tageskin-
der, Sozialarbeiterinnen oder andere Tagesmütter sein.
Oft lernen sich Tageseltern in Parks oder auf Spielplätzen kennen. So geschieht es
beispielsweise bei Elise und Pascale:
264 Frankreich: empirische Befunde
Und als Marie geboren wurde, ein paar Monate später haben wir uns kennengelernt,
Pascale mit Maik ähm wir haben uns im Park kennengelernt. Wir dachten alle beide,
dass die ganzen Kinder unsere seien. Ich vermutete nicht, dass sie Kinderfrau sei. Sie
glaubte nicht bis zu dem Tag als wir: „Das sind deine Kinder?“ – „Nein, ich bin
Kindermädchen.“ – „Na, ich auch.“ – „Ach so.“ ((Lacht.)) Das war lustig. So haben
wir uns kennengelernt ((lachen)).99
Damit eröffnet sich der Zugang zu einer Gruppe von Tageseltern, die eine
Vergemeinschaftung, im Sinne einer subjektiv gefühlten Zusammengehörigkeit der
Beteiligen (vgl. Weber 2006: 49), ermöglicht.
Man ist mit Kindern zusammen, man ist mit Eltern zusammen. Man ist nicht alleine,
das ist es. Wir haben einen starken Kontakt zu Angelique [Bedienstete des RAM,
Anm. JG]. […] Deshalb mochte ich diesen Beruf, weil es dort Eltern gibt, da gibt es
99
« Donc euh quand Marie est née, quelques mois après on s'est connu, Pascale euh avec Maik euh
on se connu au parc. On=on=on pensait toutes les deux que tous les enfants étaient les nôtres.
Moi, je pensais pas qu'elle était nourrice. Elle pensait pas non plus pour moi jusqu'au jour où:
‹Ce sont tes enfants?› – ‹Non, je suis nounou.› – ‹Bah, moi aussi.› – ‹Ah bon.› ((elle se mit à
rire)) C'était rigolo. C'est comme ca qu'on s'est connu. ((Elle se mit à rire)) »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 265
Kinder, da gibt es Angelique. Da gibt es Freundinnen, die Tagesmütter. Sie sind Ta-
gesmütter und gleichzeitig sind sie meine Freundinnen. 100
Die Treffpunkte, welche durch die institutionelle Bereitstellung gegeben sind, eröff-
nen daher einen Raum, in die Öffentlichkeit zu treten und soziale Kontakte aufzu-
bauen. Über die soziale Integration in die Personengemeinschaft des Arbeitssektors
bricht die häusliche Bezogenheit auf die eigene Familie auf.
Ich habe im Verlauf der Studie viele dieser Räumlichkeiten gesehen. Ich war über-
rascht von der Vielzahl verschiedener Räume, kindgerecht mit Mal- und Spielutensi-
lien ausgestattet, für die sich die Tageseltern entscheiden konnten. In den animierten
Spiel- und Singkreisen spielten Tageskinder miteinander und Tageseltern tauschten
sich während der gemeinsamen Tätigkeiten aus. Ich konnte beispielsweise verfolgen,
wie sie die ökonomische Krise Frankreichs diskutierten und ob deshalb ein Rückgang
der Betreuungsnachfrage zu spüren sei. Eine von mir interviewte Tagesmutter nutzte
dort den gesamten Vormittag um einen Säugling und dessen Mutter vor der Ver-
tragsabschließung kennenzulernen. Frauen und Kinder gingen ein und aus. Bald
konnte ich auch bemerken, dass ein regelmäßiges Ateliers in einem quartier
populaire ein Treffpunkt maghrebinischer Tagesmütter war. Die Frauen trafen sich
dort regelmäßig, auch wenn sie keine Tageskinder zu betreuen hatten oder gerade in
Erziehungszeit waren. Als ich das erste Mal dieses Atelier betrat, blickten ungefähr
fünf Frauen mit Kopftüchern von ihrer Arbeit auf dem großen Tisch in der Mitte der
Raumes auf und grüßten mich freundlich. Sie agierten als Gemeinschaft. Zusammen
mit der von ihnen gepriesenen Sozialarbeiterin hatten sie vor kurzem ein interkultu-
relles Bühnenstück aufgeführt, mit dem sie um die Gunst der Eltern werben wollten.
Bei meiner Ankunft bastelten sie an einem Buch, in dem sie eine Fabel aus der Kind-
heit einer der Frauen illustrierten. Eine unter ihnen, Leila, erzählt mir in einem per-
sönlichen Gespräch:
100
« Y avait un contact avec les enfants, un contact avec les parents. On n’est pas seul, c’est ca. On
a un contact fort avec Angelique [la puéricultrice, annotation JG] aussi. […] C'est pour ca j'ai
aimé ce métier, parce qu'il y a les parents, il y a les enfants, il y a Angelique. Il y a des copines,
les assistantes maternelles. elles sont assistantes maternelles et en même temps c'est mes co-
pines. »
266 Frankreich: empirische Befunde
Und mit den Zusammenkünften haben sie uns das erklärt, wie man ein Gehalt vor-
schlägt, wie man stundenweise bezahlt wird, wie man die Steuererklärung ausfüllt,
wie, du siehst, diese Dinge ähm dann, danach, damit und hab ich gesagt, ich mochte
diese Arbeit, aber als ich dann wirklich gearbeitet habe, habe ich die Arbeit noch
mehr gemocht. […] So bleibe ich nicht Zuhause und mache nichts. Ohne, weißt du,
wenn es da eine Arbeit für dich gibt, du bist Zuhause, du hast nichts zu tun. Und dass
gibt mir die Möglichkeit mit den Kindern rauszugehen, alle möglichen Dinge mit
den Kindern zu machen, vor allem, wenn man viel macht, so komme ich hier her, um
mit den anderen Tagesmüttern zu arbeiten. Jeden Nachmittag komme ich, kennst du
das Atelier da? Ab 14 Uhr öffnet es. Für die Kinder und die Tagesmütter und die El-
tern. Empfang der Eltern und der Kinder, das ist da drüben, jeden Nachmittag bringe
ich die Kinder da hin, und ich treffe die Tagesmütter. Wir sprechen miteinander, wir
diskutieren, die Kinder spielen. Das mag ich an meiner Arbeit. Es ist der Dialog mit
den anderen. Gespräche, wie, wie man mit den Kindern arbeitet. Du kommst mit an-
deren Ideen raus. Mit vielen äh mit vielen Dingen. Und wann war das? Das war letz-
tes Jahr. 2011 habe ich mir was überlegt, ich werde eine Weiterbildung als Klein-
kindbetreuerin machen. Ein Diplom der CAP petite enfance.101
101
« Et avec les réunions comme ça ils nous expliquent comment, comment on propose notre
salaire, combien on demande par heure, comment on remplit les impôts, comment, tu vois, les
trucs euh de, après avec ça et j'ai dit quand, j'ai aimé ce travail, mais quand je suis rentrée dans le
travail, je l'ai aimé encore plus. […] Comme ça je reste pas à la maison sans rien faire. Sans, tu
vois, quand il y a ton travail, tu es à la maison là, tu as rien à faire. Et ca elle m'a permis de, de
sortir avec les enfants, de faire pleins des trucs avec les enfants, surtout qu'on fait beaucoup,
comme ça je viens ici, travailler avec d'autres assistantes maternelles. Tous les après-midis je
vais, tu vois où il y a l'atelier là? Après de 14 heures il est ouvert. Pour les enfants et assistantes
maternelles et parents. Accueil des parents et les enfants, c'est là-bas, tous les après-midis je ra-
mène les enfants là-bas, et je rencontre les assistantes maternelles. On parle, on discute, les en-
fants ils jouent. C'est ce que j'aime dans mon travail. C'est le dialogue avec les autres. Les dia-
logues, comment, comment travailler avec les enfants. Tu sors avec les autres idées. Avec pleins
euh avec pleins de trucs. Et c'était quand? () C'était l'année dernière. 2011 j'ai réfléchi à un pro-
jet, je vais faire CAP petite enfance. Je fais un, prends un diplôme de CAP petite enfance. »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 267
Aus dem bereits erwähnten interkulturellen Bühnenstück schöpfen die Frauen ein
neues Selbstbewusstsein:
Als wir ein Bühnenstück gemacht haben. Das war das erste Bühnenstück, das wir
gemacht haben, wir haben gesagt, das würden wir nicht zustande bekommen. Wir
sind noch ne auf die äh auf die Bühne gestiegen, um zu singen. Das war schwierig
für uns. Weil wir hatten noch nie mit den Leuten vom Atelier gesungen. Das ist wie
wenn du sagst, wenn du sagst, in einem Monat wirst du singen, Million, das war ()
das waren Kinder die kannten nur die Betreuenden der Krippen, das war mit den
Krippen, und wir haben=wir haben das gemacht, dieses Bühnenstück auch mit den
Eltern. Das sag ich dir, man muss hochsteigen, um das erste Mal zu singen. Das war,
wir haben viel gearbeitet, aber als wir auf der Bühne waren, auf die Bühne zu kom-
men, neben der Direktorin der Krippe und allen, dem Team der Krippe, da haben wir
uns gesagt „oh là là, ob wir das schaffen“. Und das war wirklich, wenn du rein-
kommst, dann dann bist du ruhig und sagst dir „ah, das ist gut“. Aber die haben das
Stück von uns gemocht. Deshalb haben wir mit dem Buchprojekt begonnen. Das ist
es, was ich mag.102
In der neuen Profession wird eine kreative Kraft geweckt, mit der sich Leila selbst
zum Ausdruck bringt. Das Bühnenstück, in dem sie auftritt, hat den Effekt, dass das
Selbst in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit anderer Menschen tritt. Die Verwirk-
lichung ihrer Ideen drückt sich im kreativen Tun aus und schafft einen
präsentierbaren Wert über die Gemeinschaft der Kindertagespflege hinaus. Ihre Rolle
auf der Bühne hat Konsequenzen für die Verortung ihrer Identität auch auf der Bühne
der sozialen Welt und damit auf ihre Funktion und ihren Selbstwert als Tagesmutter.
Etwas schaffen und sich selbst dabei erschaffen bedeutet zu produzieren bezie-
102
« Quand on fait le spectacle. C'était le premier spectacle qu'on ait fait, c'est on a dit on va jamais
pouvoir faire ce spectacle. On a jamais monté sur le, le euh le la scène pour chanter ça, c'était
difficile pour nous, parce qu'on a jamais chanté avec, avec l'atelier des gens. C'est comme tu dis,
comme tu dis, d'un mois tu vas chanter, de millions de, c'était () c'était des enfants qui savaient
que des animatrices de crèches, c'était avec des crèches et on a fait ça, ce spectacle avec des pa-
rents aussi. C'est te dire, faut monter la première fois pour chanter. C'était, on a bien travaillé,
mais quand on a porté à la scène, pour passer à la scène à côté de, de la directrice de crèche et de
tous les, l'équipe de crèche, on a dit oh là là, comment on va faire, là. Et c'était vraiment, quand
tu rentres dedans, ca=ca re() t'es tranquille tu dis ah c'est bon. Mais ils ont aimés le spectacle
qu'on a fait, c'est pour ca qu'on a commencé à faire le, le projet de livre. Et c'est ça, c'est ça que
j'ai aimé. »
268 Frankreich: empirische Befunde
hungsweise ein Werk zu vollbringen, mit dem gleichzeitig das Selbst reproduziert
wird. Diese Form kreativer Reproduktion wertet die Arbeit auf als ein Bestreben,
dass um seiner selbst willen verfolgt wird.
Spezifische Familien- und Lebenssituationen der Tageseltern geben Anlass, die Be-
treuung der Kinder bestmöglich zu managen. Samsara sucht Eltern mit spezifischem
Profil, um den Arbeitstag ihren familiären Bedürfnissen anzupassen und ihr transna-
tionales Familienleben in den Sommermonaten in Tunesien fortzusetzen:
Und also es ist so, ich habe Glück, dass ich mehrere Eltern habe, die lehren. Zum
Beispiel die Mama von Louis, sie ist Französisch-Lehrerin auf dem Gymnasium.
Und ich habe außerdem eine andere, ein anderes Elternteil auf einer Schule (), das
heißt sie hat auch Schulferien. Das korrespondiert also auch äh ich habe regelmäßig
mindestens zwei Eltern, die Lehrkräfte sind und äh ich habe äh und=und=und der
dritte, () ich darf nach meiner Pflegeerlaubnis vier Kinder betreuen. Vier Kinder
gleichzeitig. Und normalerweise habe ich zwei bis drei regelmäßig und zwischen-
zeitlich vier. Damit habe ich nicht so oft vier auf einmal. Ähm und die anderen El-
103
In Frankreich gilt seit 2000 offiziell die Regelarbeitszeit von 35 Stunden die Woche. Nach
Eurostat wird im Durchschnitt 38 Stunden die Woche gearbeitet (vgl. Eurostat).
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 269
tern, wie machen die das, sie haben ihre Familie und Großeltern, die auch mal auf
das Kind aufpassen können, ihre Eltern, in der Zeit wenn die Tagesmutter keine Zeit
hat. [Hm.] Also auch das, also habe ich Glück gehabt Kinder zu finden, die zu mei-
nem Profil passen und ihre, und ihre Verfügbarkeit im Jahr.104
Die persönliche familiäre Situation als auch die transnationale Lebensweise der Ta-
gesmütter erfordern bestimmte Beschäftigungszeiten, die ihrer Lebensrealität ange-
passt werden müssen. Daher stehen Flexibilität von Seiten der Eltern und Flexibilität,
verstanden als eigener Möglichkeitsraum, in der Kindertagespflege in Konflikt zuei-
nander. Lehrerinnen und Lehrer als auch Beschäftigte im Hochschulwesen und Eltern
mit nahe lebenden Familienangehörigen können als begünstigt gelten, da sie oft über
mehr Flexibilität verfügen. Da sie also auch Flexibilität gegenüber den Tagesmüttern
offerieren können, erlangen diese mehr Freiraum in der eigenen Zeitgestaltung. Das
Management von Arbeitszeiten in der Kindertagespflege verläuft insofern immer als
Anpassung an die Realitäten des französischen Arbeitsmarktes. Da in Frankreich die
Geschäfte traditionell vor allem im August ruhen, werden die transnationalen Aktivi-
täten und Beziehungen der maghrebinischen Tagesmütter in den Sommermonaten
begünstigt.
104
« Et donc euh voilà j'ai la chance d'avoir euh plusieurs parents qui sont enseignants. La maman
de Louis par exemple, elle est, elle est prof de français dans un lycée. J'ai aussi une autre, un
autre parent dans une école euh du (sur?sour?) en fait, donc aussi elle a des vacances scolaires.
Donc ça correspond. Aussi euh j'ai régulièrement au moins deux parents qui sont enseignants et
euh j'ai euh et=et=et le troisième, () moi j'ai le droit à quatre enfants en fait, dans mon agrément.
Je peux avoir quatre enfants simultanément. Et en général j'ai deux à trois régulièrement et puis
une petite période dans l'année où j'en ai 4. Donc je n'ai pas les quatre euh souvent, hein?! Quatre
enfants souvent. Euh et donc les autres parents, ils se débrouillent comment, ils ont leur famille
et les grands-parents qui peuvent aussi garder les enfants, leurs enfants le temps quand l'assis-
tante maternelle n'est pas disponible. [Hm.] Donc ça aussi, ça, donc j'ai la chance de trouver ()
des enfants qui correspondent à mon profil et puis moi aussi je corresponds au profil des parents
et leur, et leur disponibilité dans l'année. »
270 Frankreich: empirische Befunde
Zuhause oder das Kochen in den Abendstunden entsteht. Grenzziehungs- und Grenz-
öffnungsarbeiten bestimmen auch in Frankreich den Arbeitsalltag. Die Privatsphäre
muss gegenüber den Eltern gewahrt und die Abendgespräche reduziert werden, um
das Ende der Betreuungszeit einzuhalten. Manche der Tageseltern gehen regelmäßig
am Nachmittag mit ihren Tageskindern in eine der nahe gelegenen Maisons de
l’enfance und lassen die Tageskinder dort von den Eltern abholen. Das Kopftuch
taucht als ausschließendes Problem in den Schilderungen der Tätigkeit der Tages-
mütter nicht mehr auf, auch wenn sie es in den Maisons de l’enfance tragen.
Kaya: Also, das ist schon wahr, dass ich gleichzeitig bei mir bin. Ich kann sozusagen
ähm sagen wir mal ich könnte mich ausruhen, aber na ja, ich habe einen Moment
ähm .. ich kann, ich weiß nicht, morgens so rennen wie, wenn man aufsteht, wenn
man auf die Arbeit geht, ich sehe wie die Eltern bei mir ankommen ähm .. 8:30 Uhr,
sind ein bisschen gestresst, weil- kommen zu spät. Ich hingegen, ich bin nicht zu
spät, weil ich bei mir bin. Ich, ich muss nicht rennen, ich habe nicht, gleichzeitig
wachsen meine Kinder bei mir auf. Ich muss sie morgens nicht mehr zur Schule
bringen, weil sie da selbst hingehen. Also bin ich bei mir Zuhause. Da gibt es mor-
gens keinen Stress. Tagsüber gibt es Stress, weil es nicht einfach ist die Kinder zu
beaufsichtigen, weil sie, man hat viel Verantwortung. Aber es gibt nicht den dicken
Stress, holen gehen ähm ich habe den Bus verpasst, ich habe verpasst ähm ich ähm
das Auto ist kaputt oder was weiß ich, es gibt viele Sachen, die .. also, ich habe mei-
ne Wochenenden. Ich arbeite nicht am Wochenende ((lacht)). Es gibt andere Kin-
dermädchen, die am Wochenende arbeiten. Am Samstag. … Und außerdem habe ich
auch meine Tochter mit dem Virus infiziert. Den Virus? Ja.
Interviewerin: Die Krankheit?
Kaya: Ja, ja, wenn du so willst. Man nennt das einen Virus. Weil man dir sagt-
Interviewerin: Die Arbeit?
Kaya: Genau.
Tochter: Wenn du „Virus“ sagst-
Kaya: Aber nein! Sie hat es verstanden. Sie hat mir gesagt die gleiche Arbeit, die
meine Tochter jetzt macht.
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 271
Tochter: Genau. Und ich, ich bin diejenige die samstags arbeitet.
Kaya: Sie ist es, die samstags arbeitet ((lacht)). So ist das. 105
Das ineinander übergehende und einander einschließende Leben und Arbeiten in der
Kindertagespflege als Vorteil auszuweisen, deutet auf eine Kritik an den Anforde-
rungen des modernen Arbeitsmarktes außerhalb der eigenen Räumlichkeiten hin.
Diese Kritik berührt fremdbestimmte Attribute wie Flexibilität, Überstunden und
Pünktlichkeit am Arbeitsplatz. Der Arbeitsplatz Zuhause hingegen weist durch aktive
Zusammenführung von Erwirtschaftung des Lebensunterhalts und häuslicher Repro-
duktion auf Lebensweisen hin, die die Trennung von Lebens- und Arbeitszeit wieder
aufhebt. Mit dem Arbeitsplatz Zuhause meint Kaya dem Diktat der Anwesenheit am
fremdbestimmten Arbeitsplatz ein Stück weit zu entgehen und dem eigenen Rhyth-
mus folgen zu können. In dieser Haltung als Zeitmanagerin, die sich selbst organi-
siert, drückt sich der Freiheitsaspekt aus, keinem Chef untergeordnet zu sein. Im
Beschäftigungsverhältnis tauchen Vorgesetzte wenn, dann in Form von Sozialarbei-
terinnen auf. Diese werden aber von den meisten Tagesmüttern dieser Studie als
Mitspielerinnen wahrgenommen. Kayas positive Bewertung der Arbeitssituation im
eigenen Zuhause wurde der Tochter übermittelt. Auch diese arbeitet heute als
assistante maternelle. Aus einer Perspektive, die die Vorteile der Kindertagespflege
105
Kaya : Voilà, alors, ça fait que euh c'est vrai que euh et même temps je suis chez moi. On va dire
je peux euh on va dire je pourrais pas me reposer mais bon, j'ai un moment de euh .. je peux, je
sais pas, courir le matin comme, quand on se lève, quand on va travailler, je vois les parents
quand ils arrivent chez moi euh .. 8:30h sont un peu pressés, parce que- ils arrivent en retard.
Que moi, je suis pas en retard, parce que je suis chez moi. J'ai pas, j'ai pas à courir, j'ai pas, en
même temps mes enfants grandissent. Alors j'ai plus le=le matin à les monter à l'école, parce que
ils montent tout seuls. Alors, je suis chez moi. Il y a pas ce stress du matin. Il y a le stress de la
journée, parce que les enfants, c'est pas facile à garder, parce qu'ils, il y a beaucoup de responsa-
bilité. Mais il n'y a pas le stress de pouvoir, d'aller chercher euh j'ai raté mon bus, j'ai raté euh je
euh la voiture marche pas ou je sais pas quoi, il y a pleins des trucs qui .. voilà. .. Et j'ai mes
week-ends. Je travaille pas le week-end ((elle se mit à rire)). .. Ah bah non il y a d'autres nounous
qui travaillent le week-end. Le samedi. ... Et en même temps j'ai passé le virus à ma fille. Le vi-
rus? Oui. – Sondeuse : La maladie? – Kaya : Si=si tu veux. On appelle un virus [le boulot?]
Parce que on te dit- – Kaya : Voilà. – Fille : Si tu lui dis « virus- » – Kaya: Mais non. Elle a
compris. Elle m'a dit le même travail que fait votre fille maintenant. Voilà. Ma fille fait le même.
– Fille: Voilà. Et moi, c'est moi qui travaille le samedi. – Kaya: Et c'est elle qui travaille le sa-
medi. ((Elle se mit à rire.)) Voilà.
272 Frankreich: empirische Befunde
betont, wird der Arbeitsplatz Zuhause zur Option, pendeln zwischen Arbeitsplatz und
Zuhause zu vermeiden: „Auswählen, sich nicht fortzubewegen“, 106 wie Samsara sagt.
Die Tageskinder sind, wenn sie zu ihrer Tagesmutter kommen, in der Regel etwa drei
bis sechs Monate alt, in manchen Fällen auch etwas über zwei Monate. Viele Mütter
nehmen die Erwerbsarbeit einige Monate nach der Geburt wieder auf, weil der be-
zahlte Mutterschutz (frz. Congé de maternité) dann endet.107 Dies korrespondiert mit
vielen Tageseltern, die bevorzugt jüngere Kinder aufnehmen. Samsara erzählt:
Zwischen drei und sechs Monaten, um dann wieder arbeiten zu gehen und außerdem
gibt es manche, die ein Jahr bevorzugen. Ein Jahr (), aber das ist eher selten. Und ich
bevorzuge Kinder zu bekommen, die noch ganz klein sind, drei Monate, vier Mona-
te. Weil sie sich schneller anpassen. Ähm die Trennungskrise, das Kind beginnt die
Trennung ab sieben, acht Monaten zu verstehen. Ähm und von da an beginn- ähm es
gibt Kinder die jetzt anfangen Schwierigkeiten zu haben, sich von ihren Eltern zu
trennen, um dieses Alter herum. Und deswegen ist die Anpassung ein bisschen heik-
ler. Aber wenn sie ganz klein sind, passt sich das schnell an.108
Die Tagesmütter versuchen dieser „Trennungskrise“ zwischen Eltern und Kind wäh-
rend der Überführung in Fremdbetreuung pragmatisch entgegenzutreten. Die schnel-
lere Eingewöhnung des Tageskindes in die neue Betreuungssituation durch frühe
Übernahme reduziert den Arbeitsaufwand einer „Trennungskrise“, die hier als Bruch
mit der schon fester etablierten Eltern-Kind-Beziehung verstanden wird. Die frühe
106
« Choisir de ne pas se déplacer. »
107
Während der Mutterschutz (frz. Congé de maternité) zwischen 16 und 26 Wochen als volle
Lohnfortzahlung entrichtet wird, gibt es für die anschließende Elternzeit (frz. Congé parental)
keine monetäre Ersatzleistung. Es bleibt das Erziehungsgeld (frz.: Complément du libre choix
d’activité), das wiederum mit etwa 527€ im Monat für Normalverdiener_innen sehr niedrig an-
gesetzt ist.
108
« Entre trois et six mois, pour reprendre leur activité et puis il y en qui préfèrent prendre une
année. Une année (), mais c'est plus rare. [Hm.] Et moi je préfère avoir les enfants qui sont tout
petits, de trois mois, quatre mois. Parce qu'ils s'adaptent rapidement. Euh la crise de séparation,
l'enfant commence à comprendre la séparation à partir de sept, huit mois. Et c'est là qu'ils com-
mencent- euh il y a des enfants qui commencent à avoir euh du mal à se séparer de leurs parents,
à cet âge là. Et donc l'adaptation elle est un peu plus délicate. Mais quand ils sont tout petits, ça
s'adapte rapidement. »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 273
Die Ernährung des Kleinkindes in der Fremdbetreuung kann nicht über das Stillen
erfolgen, zumal die Mutter abwesend ist. Tatsächlich stillen Mütter ihre Kinder in
Frankreich vergleichsweise selten. Ende der 1970er bis Mitte der 1990er Jahre wur-
den weniger als die Hälfte der Neugeborenen gestillt und noch 2010 ist die Quote der
Mütter, die stillen, mit 60,2% eine der niedrigsten Europas (vgl. Blon-
del & Kermarrec 2011: 33). In der Zeit nach der Geburt sinkt diese Quote zudem
schnell: Drei Monate alte Kinder werden einer 2014 erschienen Studie des Institut de
veille sanitaire zufolge nur noch zu 39% gelegentlich und zu 10% exklusiv durch
Muttermilch gestillt (vgl. Salanave et al. 2014: 450). 109 Das Babyfläschchen hat
daher in Frankreich Tradition. Élisabeth Badinter zufolge hat es für die französische,
erwerbstätige Mutter einen emanzipatorischen Stellenwert: « Dans les années
soixante-dix, il [l’allaitement] est abandonné au profit du biberon qui permet aux
jeunes mères de continuer à travailler, et celles qui allaitent alors ne sont qu’une
petite minorité. » (Badinter 2010: 84) Auch wenn Badinter befürchtet, dass die Zahl
der stillenden Mütter in Frankreich ansteigt, ist die vergleichsweise frühe Fremdbe-
treuung der Säuglinge immer noch kulturell verankert.
109
Erst mit der Entdeckung der Pasteurisierung von Milch um 1864, welche durch Erhitzung die
Bakterien in der Milch abtötet, entstand die Möglichkeit Milch für das Neugeborene haltbar zu
machen. Mit der Verwendung adäquater Ersatzmilch und dem Fläschchen für den Säugling wur-
den ansteckende Krankheiten seltener und die Nährmutter vom Lande entbehrlich.
274 Frankreich: empirische Befunde
weist er auf sie zurück – zum Beispiel in der äußeren Erscheinung, dem Sprachge-
brauch, dem Benehmen oder den Fremdsprachenkenntnissen des betreuten Kindes.
Die in den Betreuungszeiten aufgebaute Nähe zu den Tageskindern kann bei der
Überführung in die École maternelle Verlustängste auslösen. Bei Elise zum Beispiel
besteht eine starke Bindung zu einem Tageskind, dessen Betreuung sie zunächst
aufgrund einer eigenen Schwangerschaft ausgesetzt hat. Doch weder die Familie des
Tageskindes noch ihre eigene Familie (inklusive des Ehemanns) sind glücklich, dass
das Kind nicht mehr Teil des betreuten Alltags in der Tagespflege ist. Es passiert
folgendes:
Also habe ich ihn schnell wieder aufgenommen. Nach sechs Monaten habe ich ähm
es war vorgesehen, dass ich zwei Jahre aufhöre. Aber na ja, das ist dermaßen
schlecht verlaufen. Paul hat uns so sehr gefehlt, dass wir uns gesagt haben: gut, das
ist nicht schlimm, ich nehme meine Arbeit wieder auf und habe äh habe also nach
sechs Monaten Paul genommen, ich hatte also mein sechsmonatiges Baby und Paul,
der zu diesem Zeitpunkt ein Jahr, eineinhalb Jahre alt gewesen sein muss, ja?! Und
äh ich glaube, dass ich zu dem Zeitpunkt wirklich zu schätzen begonnen habe, Ta-
gesmutter zu sein, Kinderfrau. Eine die eine sehr, sehr starke Bindung hatte, die sich
zwischen meinen eigenen Kindern und der Familie des Kindes, das ich betreute, er-
streckte. Wir waren sehr, sehr vertraut. Wir sind es immer noch.110
Elise und ihr Mann haben die Liebe zum Tageskind in das vertraute Familienleben
integriert. In dieser Familieninszenierung werden die Grenzen familiärer Zugehörig-
keit neu definiert. Der hier zugelassene Bindungsprozess der Bezugsperson(en) zum
Neugeborenen betrifft einen grundlegend ethischen Wert von Reproduktionsarbeit,
nämlich die emotionale Zuwendung.
110
« Donc je l'ai repris assez rapidement. Après six mois j'ai euh c'était prévu que je m'arrête deux
ans. Mais bon, ça se passait tellement mal. Paul nous manquait tellement que on s'est dit: bon,
c'est pas grave, je reprends mon travail et donc après six mois j'ai euh j'ai pris Paul, donc j'avais
mon bébé qui avait six mois et Paul qui devait avoir à ce moment là un an, un an et demi, hein?!
Et euh donc je pense que c'est là où vraiment j'ai euh j'ai apprécié euh d'être, d'être assistante ma-
ternelle, d'être nounou et qui avait des liens très, très fort, qui se mettait entre mes propres en-
fants, entre la famille de l'enfant que je gardais. On était très, très proche. On est toujours. »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 275
Denn zum einen rührt die Betreuungsarbeit an die Emotionen eines Menschen. Es
handelt sich um emotionale Arbeit, und oftmals ist sie sogar mehr als das. […] Ge-
fühle sind keine „Ressource“, die man so einfach jemanden wegnehmen und einem
anderen geben kann. Doch andererseits unterscheiden sie sich doch auch wieder
nicht völlig von einer Ressource. (Hochschild 2001: 162)
Bei den Tagesmüttern dieser Studie ist das Verteilen von Gefühlen Grundlage einer
Arbeit, die gleichzeitig im innerfamiliären Kontext stattfindet. Die Trennung von
Gefühlsarbeit als Erwerbsarbeit und Gefühlsarbeit als Familienarbeit ist, wenn über-
haupt, nur sehr schwer zu vollziehen. Der Ausdruck „il faut aimer“ (dt. ‚man muss
lieben‘) taucht überdurchschnittlich häufig in den Narrativen der Tagesmütter auf.
Dieser der Sphäre der symbolischen Repräsentation entnommener Phraseologismus
wird häufig als Referenz zur Liebe zu Kindern allgemein verwendet. Die Liebe zu
den Tageskindern wird unterstrichen durch die Liebe zu den eigenen Kindern, von
denen sie gemessen an französischen Verhältnissen überdurchschnittlich viele haben.
Pegricia steigert diese Liebesauffassung in einer Weisheit, die sie mir übermittelt:
Um glücklich zu sein, muss man eine andere Person glücklich machen. Dann wirst
du dein ganzes Leben glücklich sein. .. Aber ja, wenn du deinen Freund glücklich
machst, bist du auch glücklich. Man darf nicht egoistisch sein, um glücklich zu sein,
man muss geben. Um glücklich zu sein. Man muss Kinder lieben, um sich um sie
kümmern zu können. Um einen guten Job zu machen.111
111
« Pour être heureux il faut rendre heureux une autre personne. Comme ça tu seras heureux pour
toute ta vie. .. Mais oui, si tu rends heureux ton copain que tu es heureuse aussi. Il faut pas être
égoïste pour être heureux, il faut donner. Pour être heureux. Pour s'occuper des enfants, il faut les
aimer. Pour faire un bon boulot. »
276 Frankreich: empirische Befunde
Oft werden nach und nach auch Geschwister von Tageskindern aufgenommen. Hier-
durch entsteht eine neue Form des familiären Zusammenlebens, die durch das Out-
sourcing gemeinsamem Geschwisterlebens möglich gemacht wird. Tageseltern,
deren Kinder und die Tageskinder inszenieren ein familiäres Leben in einer Großfa-
milien ähnlichen Konstellation. Eigene Kinder und Tageskinder, manchmal im sel-
ben Alter, begegnen sich täglich. Viele der Tageseltern greifen in diesem Zusam-
menhang einen Diskurs auf, der in der französischen Gesellschaft besagt, dass Kinder
für die Entwicklung des Sozialverhaltens früh in die Gesellschaft anderer Kinder
kommen sollten. Gemeinsame Aktivitäten binden die Kinder aneinander, sodass
Freundschaften entstehen, die bis ins Erwachsenenleben anhalten können. Kaya
verdeutlicht diesen „Familienalltag“:
Meine=meine äh, also zum Beispiel Faruk, er spielt gut mit den Kleinen. Wenn er da
ist, bin ich eigentlich nicht mehr gemeint, ich beaufsichtige sie mehr als dass ich mit
ihnen spiele. Ich passe auf, dass- vor allem dass sie nichts Schlechtes machen. Aber
ich spiele nicht mit ihnen, weil sie meistens lieber mit dem Großen spielen wollen
als mit mir. Ab diesem Moment haben sie- interessieren sie sich nicht für mich. Da
geht’s mehr um die Großen, das, was sie machen.112
Während die Kinder füreinander Interessen entwickeln, werden, wie in anderen Fa-
milien auch, einzelne Rollen konstruiert. Die im Spiel erfolgte Exklusion der Tages-
mutter stärkt die Bindung unter den Kindern, was umso mehr an ein Geschwisterver-
hältnis erinnert. In Kayas Erläuterung wird deutlich, dass Betreuungs- und Beschäfti-
gungsfunktionen im doing family mit den Tageskindern auf unterschiedliche Fami-
lienmitglieder verschoben werden können. Die Beteiligung der eigenen Kinder am
Arbeitsalltag der Tagesmutter veranschaulicht erneut, wie Leben und Arbeit am
Arbeitsplatz Zuhause zusammenfallen.
112
« Les miens=les miens euh, alors comme Faruk, il joue bien avec les petits. En fait, quand on est
là je suis plus en=en garde, je suis plus en surveillance que jouer avec eux. Je surveille ce que-
qu'ils se fassent pas mal surtout. Mais je joue pas avec eux, parce que la plupart du temps ils veu-
lent plus jouer avec le grand que jouer avec moi. A ce moment là ils ont- moi, je les=je les inté-
resse pas. C'est plutôt les grands ce qu’ils font, ce qu'il y a, voilà. »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 277
Eine Trennung der Bedürfnisse von eigenen Kindern versus Tageskindern wird durch
die emotionale Komponente des „il faut aimer“ erschwert. Das Zusammenfließen
von Arbeit und Familienleben kann problematisch werden, wenn im engen Verhält-
nis professionelle Distanz erforderlich wird. Kaya, die zuvor noch die Vorteile des
Arbeitsplatzes Zuhause beschrieben hat, macht auch die Kehrseite dieser Situation
deutlich:
Dass man trennen muss. Das Problem des Berufs ist, dass man nicht machen kann,
wie man die Sachen sozusagen machen muss mit unseren Kindern, man ist dazu ge-
zwungen, sie nach der Arbeit zu machen. [Hm.] Ich kann nämlich nicht die Hausauf-
gaben mit meinem Sohn machen, weil die Kleinen an meiner Ferse hängen. Das geht
nicht, kann man nicht …113
Die staatlichen Subventionen der Tageseltern in Frankreich gelten für den Bereich
der unter Dreijährigen. Dennoch werden Tageseltern auch für die Betreuung von
(Vor-)Schulkindern engagiert. Familieninszenierungen setzen sich interessanterweise
fort, weil ehemalige Tageskinder von den Tageseltern vor allem in den Mittagspau-
113
« On va dire, c'est ca l'inconvénient de ce métier. C'est qu'il faut séparer. L'inconvénient du
métier, c'est qu'on ne peut pas faire, on va dire comme on devrait faire les choses avec nos en-
fants, on est obligé de les faire que après le travail. [Hm.] Parce que moi je peux pas faire les de-
voirs à mon fils, avec les petits dans les pieds. Il y a pas, peut pas .. »
278 Frankreich: empirische Befunde
sen der Schulzeiten weiterbetreut werden. Zudem kommen die eigenen Kinder in der
Schulzeit häufig zum Mittagessen nach Hause, obwohl in Ganztagsschulen in Frank-
reich in der Regel Essen in Kantinen angeboten wird. Auch nach der Schule oder an
dem in Frankreich traditionell schulfreien Mittwoch kommen (ehemalige) Tageskin-
der zur assistante maternelle. 114 Zwar ist meist an die École maternelle ein Hort
angegliedert, über die diese Stunden überbrückt werden können, jedoch bevorzugen
Tageskinder und Eltern oft die Fürsorge der (ehemaligen) Tagesmütter, wie Elise und
Pascale mir erklären:
- Elise: Um hier zu essen, weil in der Kantine, sie haben sehr lange Tage, verste-
hen sie?! Das sind, das sind sehr lange Tage. In der Schule, sind sie einmal in
der Schule äh von acht Uhr dreißig bis mittags, zwei Stunden, bis 16 Uhr. Es
gibt manche, die auch bis 18 Uhr im Hort bleiben. Und äh da ist es sehr laut,
das äh das sind sie nicht gewöhnt, gut, sie kommen lieber zum Essen. Mit der
kleine Schwester, weil ich die kleine Schwester betreue. Sie wollen, sie essen
lieber bei der Nounou als in der Kantine. Ja, das ist schwer für sie. 115
- Pascale: Und dann er ist zu mir gekommen für Mittagessen und für schlafen
auch. Für diese kleine Mittagsschlaft. Es war oft Kinder, die haben es noch ge-
braucht. Und deswegen hab ich l a n g mit diese Kinder gearbeitet, weil die
waren bei mir noch jede Nachmittag, jede Ferien, äh Schulferien bei mir und
jede Mittwoch. Dass du ihn abholst für Mittag essen, dann ist gut bei dir, er
kann sich ausruhen, es ist nicht s o o laut wie in die Schule. Und das hab ich
äh deswegen hab ich manchmal mit Kindern gearbeitet, sechs Jahre lang.
114
Seit 2014 gilt mittwochs nur noch der Nachmittag als schulfrei (vgl. Heures école primaire). Die
école maternelle schließt gegen 16 Uhr.
115
« De manger à la, ici, parce que la cantine, ils ont des très longues journées, hein?! C'est, c'est
des journées qui sont très longues. À l'école, une fois qu'ils vont à l'école euh de 8h30 à midi,
deux heures, jusqu'à 16 heures. Il y en a qui restent à la garderie jusqu'à 18h aussi. Et euh ca fait
beaucoup de bruit, c'est euh ils ont pas l'habitude et, bon, ils préfèrent venir manger. Avec la pe-
tite sœur, parce que je garde la petite sœur. Ils veulent, ils préfèrent manger chez leur nounou
que à la cantine. Oui, c'est dur pour eux. »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 279
tagespflege als familiäre Pflege am Menschen. Es bleibt offen, ob dies einer Ambiva-
lenz geschuldet ist, die Eltern bei der ganztägigen Verlagerung der Care-Arbeit in
öffentliche Einrichtungen an ihren Kindern erfahren – trotz der breiten Anerkennung
und Förderung öffentlicher Betreuungsstrukturen in Frankreich. Aus der Perspektive
der Tageseltern dieser Studie werden Stressfaktoren, denen Kinder in öffentlichen
Betreuungsinstitutionen ausgesetzt sind, im doing family der Kindertagespflege ab-
gemildert.
Für die Tageseltern bedeuten diese extra betreuten Stunden ein zusätzliches Gehalt,
das in Form einer privaten Dienstleistung entlohnt wird. Einige Tagesmütter berich-
teten mir von älteren Frauen, die ebenfalls Schulkinder stundenweise betreuen wür-
den, um ihre Rente aufzubessern. Auch die Inszenierung von doing grandma ist
daher ein denkbarer Teil des Verlagerungsprozesses.
Tageseltern betreuen „ihre“ Tageskinder intensiv: Sie geben das Fläschchen, frühstü-
cken mit ihnen, wechseln Windeln und Kleidung, begleiten sie auf Toilette, spielen,
sorgen für Ruhepausen und Aktivitäten, bereiten Essen zu, bekommen ihre ersten
Worte mit. Die Care-Arbeit schließt auch die Intimsphäre des Kindes ein. Pegricia
kommentiert einen dreijährigen Jungen, der während unserer Unterhaltung auf einem
Babyklo aus Plastik sitzt: „Normalerweise machen sie Pipi und Kacka auf dem Topf.
Aber er ist noch nicht sauber. Er fragt nicht. Aber er macht sicher ein kleines Kacka
auf dem Topf. Alles was ihm fehlt ist zu fragen: kann ich Pipi machen, oder kann ich
280 Frankreich: empirische Befunde
Kacka machen.“116 Tagein tagaus erleben und beobachten sie die Entwicklung des
Tageskindes vom Kleinkindsalter an. Juliette sagt: „Wir leben unseren Alltag. Ja, wir
leben das Alltägliche.“117 Am Ende des Tages haben sie oft mehr von den einzelnen
Entwicklungen mitbekommen, als deren Eltern. Kaya erzählt:
Weil ich, die meiste Zeit betreue ich sie, ich betreue sie zehn Stunden am Tag. [Oh.
Hm.] Ja, ich betreue sie von 8:30 Uhr bis 18:30 Uhr. Das macht zehn Stunden. Das
heißt sie, wenn sie nach Hause kommen, ihnen zu Essen geben, sie duschen, sie ins
Bett bringen. Weil am nächsten Morgen müssen sie wieder auf die Arbeit, da bleibt
am Ende, um 20:30 Uhr () was bleibt da? Es bleiben zweieinhalb Stunden mit ihnen!
[Hm.] Aber die zehn Stunden verbringen sie mit mir. Hier zum Beispiel ist es sozu-
sagen so, die Kinder werden nach und nach groß. Und wenn sie schlecht erzogen
sind, dann wird man sagen, das meiste der Erziehung liegt an mir, weil ich es bin, die
sie äh .. […] Weil das ist eher Assistante maternelle. Eine Person, die den Eltern as-
sistiert. Das drückt die Bezeichnung aus. [Okay.] Weil wir sie zehn Stunden haben
äh assistieren wir den Eltern eigentlich. Weil wir sie erziehen sie auch- wir erziehen
sie mehr äh als die Eltern. Als die Eltern, die sie am Wochenende haben und an den
Abenden. So ist das. Das=das=das ist mehr vom anderen als Betreuung, das ist Be-
treuung plus Erziehung. Erziehung von allem. Ob es um’s Essen geht, um’s Trinken,
sprechen zu lernen, wie- das ist viel.118
Die Auslagerung der Erziehung aus den Händen der Eltern lässt in den Erzählungen
der Tageseltern erkennen, wie viel Reproduktionsarbeit in der Realität noch in den
Händen der Eltern liegt. Kayas Argumentation suggeriert überdies, dass die Tages-
116
« Mais normalement ils vont pipi, caca sur pot. Mais il n'est pas propre encore. Il ne demande
pas. Mais il fait très sur un petit caca au pot. La seule chose qui lui manque c'est demander: je
peux faire pipi, ou: je peux faire caca. »
117
« On vit nos quotidiens. Oui, on vit le quotidien. »
118
« Parce que moi, la plupart du temps que je les garde, je les garde dix heures par jour. [Oh. Hm.]
Oui, je les garde de 8h30 à 6h30. Ca fait dix heures. Ca fait que eux, quand ils rendent chez eux,
ils les font= ils les font manger, ils les douchent, ils les mettent au lit. Parce que c'est le matin il y
a un autre travail, alors, il y a tout le reste, à l'heure de 8h30 () il reste quoi? Il reste deux heures
et demie avec eux! [Hm.] Mais les dix heures ils les passent avec moi. Ici, par exemple, on va
dire les enfants grandissent, petit-à-petit, quand ils grandissent, ils sont mal élevés, bah euh c'est-
on va dire l'éducation la plupart, elle euh elle revient à euh envers moi, parce que c'est moi qui
les ai euh .. […] Parce que là c'est plutôt assistante maternelle. Qui assiste de les parents. C'est le
mot qui veux dire ca. [D'accord.] Parce qu'on les a dix heures euh on assiste les parents en fait.
Parce que on les élève auss- on les élève euh plus que les parents. Que les parents ils les ont en
week-end et ils les ont les soirs. Voilà. Et c'est ce, c'est à peu prêt ça. C'est=c'est=c'est plus de
euh c'est plus que de la garde, c'est la garde avec l'éducation avec. L'éducation de tout. Que ça
soit de manger, de=de boire, de=de comment on apprend à parler, comment- il y a beaucoup des
choses. »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 281
119
« Je me substitue pas aux parents, mais j'apporte ma propre euh signature. »
282 Frankreich: empirische Befunde
der Care-Frage unbeweglich. Gleichwohl gibt es Tagesväter, wie mir eine Tagesmut-
ter bekräftigend verrät: „Ich bin ihnen schon begegnet. Bei der Prüfung, als ich meine
Prüfung abgelegt habe, da habe ich Männer gesehen. Und im Park auch, da bin ich
Männern begegnet. Die andere Arbeiten aufgegeben haben, um Kinder zu betreuen
und sich gleichzeitig um ihre eigenen Kinder zu kümmern.“ 120 Es bleibt nicht ohne
Ironie, dass die Begegnung des Mannes in der Kindertagespflege eine originelle
Entdeckung bleibt.
Auch die Abwesenheit der Ehemänner am Arbeitsplatz Zuhause ist auffällig. Ich bin
ihnen weder begegnet, noch vorgestellt worden, obwohl ich mich häufig in den
Wohnzimmern und am Arbeitsplatz Zuhause aufgehalten habe. Ihre Beteiligung in
der professionellen Kindertagespflege scheint nicht gegeben. Der Tätigkeitsbereich
ist offensichtlich den migrantischen Tagesmüttern vorbehalten. Dass es dennoch über
die Kindertagespflege auf der Basis traditioneller Werte zu einer Verschiebung der
traditionellen Funktionen kommt, habe ich bereits am Beispiel von Noura deutlich
gemacht, die über die ihr zugedachte Familienrolle hinaus zur Miternährerin der
Familie wurde.
120
« J'en ai déjà croisé. À l'examen, quand j'ai passé mon examen, j'en ai croisé des messieurs. Et au
parc aussi, j'en croise des messieurs. Qui ont laissé leur travail pour garder des enfants, en même
temps s'occupe de leurs propres enfants. »
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 283
Thus the involvement of women in paid work has not resulted in a corresponding
level of involvement by men in unpaid work, although the time spent by men on do-
mestic tasks has slightly increased. Although the right to care is incorporated into so-
cial policies in order to promote gender equality at work, the gender culture, in terms
of norms and values, continues to guide social practices, particularly in maintaining a
genderbased division of labour in the home. The burden on women is heavy, espe-
cially for those in low-income families or lone mothers who cannot delegate part of
their domestic tasks. (Letablier 2003: 159)
Die Normen und Werte der französischen Gesellschaft in Hinblick auf Geschlecht
sind so stark, dass sie offenbar im privaten Bereich als auch in sogenannten Frauen-
berufen keine nennenswerte Veränderung für die Identitätskonstruktion des Mannes
zulassen. Während das erstrebenswerte Bild von Frauen häusliche Care-Arbeit, Er-
werbsarbeit und heteronormativ sexualisierte Attraktivität vereint, bleibt das erstre-
benswerte Bild des Mannes eindeutig in der von Care-Arbeit losgelösten Erwerbsar-
beitswelt verankert. Frankreich wurde deshalb auch als „moderates Ernährermodell“
typisiert (vgl. Lewis & Ostner 1994).
284 Frankreich: empirische Befunde
121
« C'est que ma vie tourne autour des enfants. Mais oui. C'est ma carrière, c'est assistante mater-
nelle. »
Perspektiven der Handlungsfähigkeit 285
Also bei dem Beruf, das, was bei dem Beruf gut ist, da sind eigentlich die Kinder.
Kontakt mit Babys haben. Also die Babys, ich, ich habe die ganz Kleinen schreck-
lich gern. Also, sie sind w u n d e r v o l l. Mit drei Monaten, und sie dann aufwach-
sen zu sehen ist unglaublich, das ist unglaublich. Sie sind, sie sind wundervoll. Aber
sie ändern sich eigentlich jeden Tag. Ein Baby, das drei Monate alt ist bis zum fünf-
ten, sechsten Monat, sie ändern sich immer, man sieht Dinge. Und sie beginnen zu
reden- Zuerst Silben und dann machen sie ihre ersten Schritte und dann, also, all das,
das ist wunderbar.122
Am wachsenden Kind lassen sich Tag für Tag der Fortschritt und die Ergebnisse der
investierten Care-Arbeit ablesen. Es spiegelt die eingebrachte Liebe und Mühe. Die
Wirkung der eigenen Tätigkeit im Gegenüber ist identitätsstiftend. Die sich im Su-
perlativ erschöpfende Beschreibung des Erlebens von Reproduktion („w u n d e r v o
l l“, „unglaublich“) bekräftigt den nicht entfremdeten Teil von Care-Arbeit.
Die Tätigkeit der assistante maternelle ist heute aufgrund der Professionalisierung
ein anerkannter Beruf. Die meisten Eltern nutzen diese Dienstleistung. Es gibt aber
auch Vorurteile. Es wird an den Narrativen der migrantischen Tagesmütter in den
quartier populaires deutlich, dass diese auch Vorbehalten durch Eltern begegnen.
Dies zeigt sich unter anderem an der geringen Nachfrage ihrer Dienstleistung. Zu-
sätzlich ist die gegenseitige Konkurrenz hier größer. Die Enklavenbildungen und das
Kopftuchverbot bewirken Nachteile gegenüber Tageseltern in anderen Vierteln, die
besser beschäftigt sind. Darüber hinaus werden die assistantes maternelles, ähnlich
wie in Deutschland, mit bestimmten, gesellschaftlichen Familienbildern und –
normen konfrontiert:
Ja, weil, gut, es gibt immer diesen Blick der Leute von außen, ja?! Das ist äh das ist
nicht immer äh vor allem, wenn man viele Kinder hat, wissen nicht alle, dass ich
Kinderfrau bin. „Oh viele Kinder, Madame, wie machen sie das?“ ((Lachen)) Gut,
also, das macht jetzt vier, fünf Jahre, dass ich mit einer Familie arbeite, die äh die
gemischt ist äh wo der Papa äh Afrikaner aus Nigeria ist und die Mama Französin
122
« Alors le métier, ce qui est bien dans ce métier, c'est les enfants en fait. C'est d'avoir ce contact
avec euh les bébés. Mais alors les bébés, moi, j'adore les tout petits. Mais euh ils sont a d o r a b
l e s. À trois mois, et puis les voir évoluer euh c'est incroyable, c'est incroyable. Ils sont, ils sont
adorables. Mais ils changent tous les jours en fait. Un bébé qui a trois mois jusqu'à cinq mois, six
mois, ils changent toujours, on voit autres choses et puis, ils commencent à dire des, des s-,
d'abord () oui et puis après vers des syllabes et après il va faire ses premiers pas et après, voilà,
tout ça, c'est merveilleux. »
286 Frankreich: empirische Befunde
und äh also zweimal ist die selbe, die beiden selben Familien die Kinder hatten äh
erstes Kind, zweites Kind. Und das sind Kinder, die zusammen etwa jedes Mal im
selben Alter aufgewachsen sind. Also waren zum Beispiel die großen Brüder 20
Monate alt äh und dann hatte ich eine kleine Blondine mit blauen Augen und äh ei-
nen kleinen Gemischten, und neben mir halten die Menschen an: „Oh, wie haben sie
das gemacht?“ ((Lachen)) – „N e i n . Das sind nicht meine.“ – „Oh.“ Und da war
mal ein Papa, ein Schwarzer Papa: „Oh. Wie haben Sie das gemacht? ((Lacht)) Oh,
ich verstehe.“ Aber das ist scheinbar machbar ((lacht)). Na gut, außerdem ist da im-
mer dieser Blick von außen, wo die Leute echt denken, dass ähm dass das ein degra-
dierender Beruf ist, obwohl das ganz und gar nicht das ist, will ich meinen. Das ist
äh das ist, nun gut, für mich ist das genau das Gegenteil.“ 123
123
« Oui, parce que, bon, il y a toujours le regard des gens d'extérieur, hein?! C'est euh c'est pas
toujours euh surtout quand on a beaucoup des enfants tout le monde ne sait pas que je suis nour-
rice. ‹Oh, beaucoup d'enfants, madame, comment vous faites?› ((Rire)) Alors, bon, là à ce mo-
ment ça fait quatre, cinq ans que je travaille avec une famille qui est métisse euh dont papa euh
africain de Niger et maman française et euh donc ça fait deux fois avec la même, les deux mêmes
familles qui ont eu les enfants euh première enfant, le deuxième enfant. Donc ce sont des enfants
qui ont grandi ensemble et qui ont à peu près le même âge à chaque fois. Donc les grands frères,
par exemple, ils avaient euh 20 mois euh donc j'avais une petite blondinette avec les yeux bleus
et euh un petit métisse, à côté les gens ils s'arrêtent: ‹Oh, comment vous avez fait?› ((Elle se mit
à rire)) – ‹N o n . Sont pas les miens.› – ‹Oh.› Et () c'est un papa, un papa black, qui m'est arr-
qui, qui est arrivé: ‹Oh. Comment vous avez fait ça? ((Elle se mit à rire)) Oh, d'accord.› Mais
c'est faisable apparemment. ((Elle se mit à rire)) Mais bon, après il y a toujours ce, ce regard de
l'extérieur où euh les gens qui pensent vraiment c'est euh que c'est un métier euh dégradant alors
que c'est pas du tout ça quoi, je veux dire. C'est euh c'est, fin, pour moi c'est tout le contraire. »
Perspektiven der Handlungsfähigkeit 287
Am Anfang war das wirklich nachlässig. Wie ein deklassierter Beruf. In kleinen
Schritten ist das dann von den Gewerkschaften zurechtgerückt worden. Äh sie ver-
teidigen regelmäßig und jedes Jahr den Berufsstatus der Kindertagespflegepersonen.
[…] Vielleicht gab es auch ein schlechtes Bild vom Beruf, weil er noch nicht gere-
gelt war. Der Staat hat wahrgenommen, dass viele Frauen schwarz arbeiteten. Sie
waren nicht sozialversichert usw., und dann, auch wegen dem Schutz des Kindes.
Weil man nicht so genau weiß, wie sie arbeitet, was passiert und äh das war gar nicht
geregelt. Also, ich denke, sie haben das wahrgenommen und angefangen, den Eltern
und Tageseltern zu helfen. Äh und dann gab es auch ein Mangel an Plätzen, ja?!
Weil, gut, nicht genug Krippen, nicht genug Horte, also brauchten sie uns für die
Kinderbetreuung. Außerdem haben Frauen in Frankreich nur, nur drei Monate Mut-
terschutz. Deshalb gehen sie danach wieder arbeiten. Äh man musste eine Lösung
finden für äh für diese Kinder da und dass es sicher ist für das Kind, für die Eltern.
Weil das nicht selbstverständlich ist, sein Neugeborenes einer Person zu überlassen,
die man nicht kennt und äh die keine Ausbildung hat äh und die mehr oder weniger
alleine in der Wohnung ist mit den Kindern. 124
124
« Au début c'était vraiment négligé. C'est comme un sous-métier, c'était euh et petit à petit donc
la () (qui?) a mis en place des syndicats. Euh qui défend régulièrement et chaque année le statut
d'assistante maternelle. […] Peut-être que le métier était mal vu aussi, parce que euh il n'y avait
pas vraiment de, c'était pas encadré. L'Etat a pris conscience qu'il y avait beaucoup de, euh des
femmes qui travaillaient au noir. Elles ont pas d'assurance euh sociale et tout ça [hm] et deux euh
pour la protection de l'enfant aussi. Parce que on sait pas trop ce, comment elle travaille, qu'est
ce qui ce passe et euh c'était pas du tout encadré. Donc je pense qu'ils ont pris conscience de ça
288 Frankreich: empirische Befunde
Die Qualitätssicherung der Arbeit beginnt mit ihrer Regulierung durch die öffentliche
Hand, die sie in einen Beruf mit Arbeitnehmendenstatus und nationalem Tarifvertrag
überführt. Die sehr analytische Betrachtung der Tagesmutter verweist auf ein heute
statusbewusstes Selbstverständnis als Arbeitnehmerin. Wie in der Beschreibung der
Tagesmutter deutlich wird, schafft die Professionalisierung durch den Staat Vertrau-
en bei den Eltern. Dies führt zur notwendigen Anerkennung des Arbeitsplatzes Zu-
hause.
Die Gewerkschaften verhandeln bis heute über die Tarifverträge, Rechte und Pflich-
ten des Berufszweigs. Außerdem werden Gewerkschaftsmitglieder bei der Kalkulati-
on des Verdienstes und der Anmeldung der Lohnsteuer von den
Arbeitnehmendenvertretungen unterstützt. Die Forderungen und Verbesserungswün-
sche, die die Tagesmütter dieser Studie an den Beruf der Kindertagespflege stellen,
beziehen sich zum Beispiel auf die Anpassung des Tarifvertrags an jene Verträge, die
in Unternehmen geschlossen werden: „Weil, wenn man sich das genau anguckt, ist er
nicht wie äh er unterstützt nicht die Arbeitsrechte wie äh ein, wie ein Tarifvertrag
von=von Unternehmen.“ 125 Es ist immer noch nicht geregelt, ob Tageseltern dem
Arbeitsrecht oder dem Familienrecht zuzuordnen sind. Wenn sie Arbeitslosenhilfe
beantragen wollen, wissen die Beschäftigten des Pôle emploi (entspricht der Bundes-
agentur für Arbeit) oft nicht, wie sie die Tageseltern klassifizieren sollen. Ihre Ei-
nordnung bereitet Schwierigkeiten, weil die Verträge mit den Eltern einzeln ge-
schlossen werden, so dass in einem Jahr bis zu acht Verträge Grundlage der Entloh-
nung werden können. Zudem werden die assistantes maternelles direkt von den
et qu'ils ont commencé à aider euh les parents et les assistantes maternelles. Euh après il y a eu
un manque de place aussi, hein?! Parce que, bon, il n'y a pas assez des crèches, il n' y a pas assez
de haltes-garderies, donc ils ont eu besoin de nous euh pour pouvoir garder ces enfants. Puis que
euh les femmes en France ont juste, juste trois mois de, de congé de maternité. Donc après elles
vont travailler. Euh il fallait bien trouver une solution pour euh pour ces enfants là et que ce soit
euh sécurisé pour l'enfant, pour les parents. Parce que c'est pas évident de laisser son nourrisson
à une personne qu'on connait pas et euh qui n'a pas suivi de formation euh et qui est seule à la
maison, plus ou moins, avec, avec ses enfants. »
125
« Parce que si on la voit de prés elle est pas comme euh elle ne soutient pas les euh les droits
de=de=du travail comme euh un=un, comme la convention collective de=de, des entreprises. »
Perspektiven der Handlungsfähigkeit 289
Ich hatte ein Problem mit einer Mama. Ich hatte zwei Probleme mit zwei Mamas. Es
gab eine Mama, die mir ihren Sohn brachte, die Zulagen haben sie mir gegeben, das
Gehalt hat sie mir nicht gezahlt. Bis heute nicht, seit vier Jahren. Und die zweite hat
mich auch seit fast sechs Jahren nicht bezahlt. Zwischen den beiden sind das große
Summen, aber sie haben nicht, 800€ bei beiden. Aber sie haben mich nicht be-
zahlt.127
Da die Tageseltern direkt von den Eltern bezahlt werden, ist der Schutz vor Ausbeu-
tung begrenzt. Laut einer Studie des DREES bleiben Eltern vor allem einzelne, ver-
gessene oder übersehene Stunden schuldig (vgl. David-Alberola & Momic 2008: 7).
Aufgrund dieser Unsicherheiten gibt es Forderungen auf Seiten der Tageseltern, vom
Staat bezahlt zu werden. Um diesem Wunsch Nachdruck zu verleihen, schreiben
manche Tagesmütter ein festes Monatsgehalt in ihre Verträge. Rechte und Pflichten
der Tageseltern sind bis heute offensichtlich noch nicht an die regulärer
Arbeitnehmender angepasst. Dennoch schafft die Solidarisierung von Care-
Arbeitenden in Gewerkschaften eine Basis, Rechte erkämpfen und ausweiten zu
können. Mindeststandards der Arbeit werden dadurch abgesichert.
126
Zum Beleg können die Arbeitgebenden eine Lohnabrechnung (frz. ‚bulletin de salaire‘) auf der
offiziellen Seite der französischen Verwaltungsbehörde ausfüllen. Dadurch erhalten die Eltern
eine Beihilfe für die Kosten der Tageseltern von den Kassen der Familienbeihilfe (Caf).
127
« J'avais un problème avec une maman. J'avais deux problèmes avec deux mamans. Il y a une
maman elle a ramené son fils, mes indemnités ils m'en donnés, salaire elle m'a pas payé. Ce jus-
qu’à maintenant, depuis quatre ans, et la deuxième elle m'a pas payé depuis presque six ans aus-
si. Entre les deux c'est des grosses sommes, mais ils m'ont pas, 800€ en comptant les deux. Mais
ils m'ont pas payé. »
290 Frankreich: empirische Befunde
chen Arbeitszeiten statt, dann erhält die Kindertagespflegeperson eine Beihilfe, die
seit 2014 bei 3,44€ die Stunde liegt (vgl. Casamape). Die Tagesmütter dieser Studie
bekräftigen, dass sie hierdurch einen Bildungsfortschritt erlangen, der sie gegenüber
den Eltern als professionelle Tagespflegepersonen auszeichnet.
Kaya : Und dann, für mich ein, wie nennt sich das, zu haben .. na, zumindest in mei-
nem Leben ein Diplom zu haben, ich habe eins erworben ähm das ist jetzt ein Jahr
her oder?
Ihre Tochter: Ja, das ist ein Jahr her, seitdem du den letzten Kurs gemacht hast.
Kaya: Genau. Ich habe das Zertifikat CAP petite enfance gemacht.
Interviewerin : Und ändert das etwas, ähm das Diplom ?
Kaya : Äh das ändert etwas für mich .. ich habe trotzdem, ich habe nicht studiert,
aber ich habe trotzdem ein Diplom äh für mich. Darüber hinaus stimmt es schon,
dass das was ändern kann, sagen wir mal in einigen Jahren. Wenn ich, na, wenn
meine Kinder groß werden und äh sie zumindest .. weniger Lust- äh wenn sie mich
weniger brauchen .. mit diesem Diplom könnte ich dann draußen arbeiten, in der
Krippe. [Ah. Ok.] So ist das. Oder in der Vorschule arbeiten als ATSEM128. Mit der
Vorschule. Das ist ein äh das ist ein Diplom das schon auch dienlich ist, das was
bringt. Aber mein Ziel ähm, als ich das CAP gemacht habe, das Ziel war, mir zu sa-
gen ich habe etwas gemacht. Ich habe eine VAE gemacht. Zertifizierung der Erfah-
rung. Voilà. Voilà. Voilà. Voilà, also, ich bin zufrieden mein CAP zu haben. […]
Und am Ende, da waren andere mit mir, die schon Diplome hatten. Oder das Abi,
oder eine Lehre, all das. Aber ich hatte das alles nicht. Ich musste Französisch, Ma-
128
Agent Territorial Spécialisé des Écoles Maternelles
Perspektiven der Handlungsfähigkeit 291
the, Grammatik alles was äh Geschichte äh alles was geografisch ist, alles. Und dann
über meinen Beruf reden. Ich musste alles durchlaufen. 129
129
Kaya : Et après pour moi avoir euh comment s'appelle ça .. bah avoir au moins un diplôme dans
ma vie, j'ai passé euh ça fait un an maintenant? – Sa fille : Oui, ça fait un an que tu as passé le
cours dernier. – Kaya: Voilà. J'ai passé mon=mon CAP petite enfance. – Intervieweuse: Et ça
change quelque chose, euh ce diplôme? – Kaya: Euh, ça change pour moi .. j'ai pas obtenu, j'ai
pas fait d'études j'ai quand même un diplôme que euh pour moi. Après c'est vrai que ça peut
changer on va dire dans quelques années. Si moi bah mes enfants ils grandissent et euh ils au-
raient au moins là .. moins d'envie- euh moins besoin de moi .. avec ce diplôme je pourrais tra-
vailler à l'extérieur en crèche. [Ah. Ok.] Voilà. Ou travailler à l'école en tant que ATSEM. Avec
la maternelle. C'est un euh c'est un diplôme quand même qui sert, qui sert à quelque chose. Mais
moi le euh le but quand j'ai passé le CAP c'était le but de me dire j'ai fait quelque chose. Je l'ai
passé en VAE. Validation des acquis. Voilà. Voilà. Voilà. Voilà, alors, je suis contente d'avoir
mon CAP. […] C'est que en fin de compte, d'autres, qui étaient avec moi, avaient déjà eu
des=des diplômes. Ou le bac, un brevet, tout ça. Mais moi j'avais pas tout ca. Il a fallait que moi
je repasse le français, les maths, la grammaire, tout ce qui euh concerne l'histoire euh tout ce qui
est géographique, tout. Et après, de parler de mon métier. Il fallait que je passe tout.
292 Frankreich: empirische Befunde
ßig Urlaub in Tunesien zu machen. Mit Rücksicht auf die Gepflogenheiten in einem
muslimischen Haushalt konnte ich außerdem beobachten, dass sie in meiner Anwe-
senheit ein Kopftuch abnahm, es jedoch dann, als ein franko-französischer Vater sein
Kind abholte, wieder anzog. Es bleibt unbeantwortet, ob dies eine Geste der Ge-
wohnheit ist, einem identitätsstiftenden Sinn unterliegt, oder der Konfrontation mit
Öffentlichkeit geschuldet ist und damit ein Ausschlusskriterium für die Beschäfti-
gung in Institutionen darstellt.
Noura hat zur Zeit der Interviewführung eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung
für zehn Jahre. Ihr migratorischer Parcours wird von den jeweiligen nationalstaatli-
chen Regelungen innerhalb Europas mitbestimmt:
Perspektiven der Handlungsfähigkeit 293
Und dann, er, er wohnt in Italien. Er hatte keine Papiere. Er blieb fast vier oder fünf
Jahre ohne Papiere. Vier Jahre! Vier Jahre! Ich habe mich mit ihm verlobt, er war
nicht mit uns, seine Familie ist gekommen, ich verlobte mich, aber mein Mann war
nicht dabei, er war in Italien ohne Papiere. [Hm.] Er blieb nach der Verlobung drei
Jahre und dann haben sie ein Gesetz beschlossen, um Papiere zu erlauben. Wenn du
nachweisen kannst, dass du an dem und dem Datum gekommen bist, kannst du Pa-
piere bekommen. Sie haben die Papiere gemacht und dann ist er nach Tunesien ge-
kommen. Wir haben den Geburtsakt äh den Heiratsakt gemacht, um die Papiere für
mich vorzubereiten. Und dann hat er die Anfrage für mich gemacht und ich bin zu
ihm gekommen. Als er die Papiere und alles fertig hatte, haben wir geheiratet. Nach
einem Jahr habe ich ihn in Italien erreicht. Dann bin ich vier Jahre bei ihm geblieben.
Dann sind wird nach Frankreich. […] Das ist das Restaurant meines Schwagers, ja.
Er hat einen Vertrag gemacht, er hat mit ihm und mir gearbeitet. Vorher wollten sie
keine Papiere geben, weil mein Mann hier ein Visum gemacht hat. Äh ich habe die
Kleine mit zwei Jahren mit mir genommen. Und war schwanger mit meinem Jungen,
als ich nach Frankreich kam. Schwanger. [Hm.] Schwanger. Fünf Monate oder so, in
meinem Bauch der Junge. Sie wollten keine Papiere ausstellen, sie hat „nein“ zu mir
gesagt, für meinen Mann der hier arbeitet „ja“, für mich „nein“. Ich hatte nicht das
Recht Papiere zu bekommen und alles. Ich habe mir eine Anwältin genommen. Weil
ich schwanger bin, hat die Anwältin gesagt: „Wie wird sie das machen ohne
Gesundheitskarte und allem, sie kann das Kind hier nicht gebären und sie hat keine
Papiere, nur die Papiere aus Italien.“ Ich habe Papiere für ein Jahr bekommen, ich
und mein Mann. Ein Jahr, ein Jahr, dann für fünf Jahre. Und dann haben sie Papiere
für zehn Jahre gegeben. Für mich und meinen Mann. […] Und vielleicht nehmen wir
die Staatsbürgerschaft an. Ich fahre nach Tunesien, ich mache die Papiere, weil mei-
ne Tochter hier eine Durchgangskarte hat, weil sie nicht hier geboren wurde, sie
wurde in Italien geboren. [Hm.] Das ist nicht, zwischen ihr und ihren Brüdern exis-
tieren unterschiedliche Karten. [Hm.] Und deswegen beantragen wir die Staatsbür-
gerschaft, für sie und die anderen. 130
130
« Et après, lui, il a habité en Italie. Il n'a pas des papiers. Il est resté presque quatre ans ou cinq
ans, y a pas de papiers. Quatre ans! Quatre ans! J'ai fait les fiançailles et lui, il n'a pas avec nous,
sa famille elle est venu pour faire le, j'ai fait les fiançailles, mais mon mari il est, n'est pas avec
nous, il est en Italie sans papiers. [Hm.] Il est resté après les fiançailles trois ans et après ils ont
fait une loi pour faire les papiers qu'il a là-bas en Italie trois, si tu a la preuve que, que t'es rentré
euh et à quel date, tu peux faire les papiers. Ils ont fait les papiers et après il est descendu en, en
Tunisie. On a fait le, l'acte de naissance euh l'acte mariage, pour préparer euh les papiers pour
moi. Et, et après il a fait la demande pour euh moi je, je vais chez lui. On fait, après quand il a
terminé les papiers et tous, on a fait le mariage. Après un an, moi, je l'ai attrapé en Italie. Et, et
après on a, moi, je suis restée avec lui quatre ans. Après on est venu en France. […] C'est le res-
taurant de mon beau-frère, oui. Il a fait un contrat, il a travaillé avec lui et moi, avant, ils vou-
laient pas donner les papiers, parce que mon mari il a fait le Visa ici. Euh j'ai ramené la petite
avec moi à deux ans. Et je suis venue en France enceinte moi avec le garçon. Enceinte. [Hm.]
Enceinte. Cinq mois quelque chose comme ca, dans mon ventre le garçon. Ils vont pas faire les
294 Frankreich: empirische Befunde
papiers, elle m'a dit ‹non›, pour mon mari parce qu'il travaille ici, pour moi ‹non›. J'ai pas le droit
de faire les papiers et tout. J'ai pris un avocat. Et je fais, comme quoi, parce que je suis enceinte
euh l'avocat elle a dit : ‹Comment elle va faire sans carte vitale et tout, elle peut pas, accoucher
ici et elle n'a pas de papiers, juste les papiers de l'Italie.› J'ai pris euh les papiers un an, moi et
mon mari. Un an, un an, pour dans cinq ans. Et après on m'a donné euh pour dix ans. Des papiers
pour dix ans. Pour moi et pour mon mari. […] Et peut-être on va faire le nationalité. Je descends
en Tunisie, je vais faire les papiers, parce que ma fille elle a une carte de circulation ici, parce
que elle n'est pas née ici, elle est née en Italie. [Hm.] C'est pas, entre elle et ses frères, différent
les cartes. [Hm] Euh c'est pour ça qu'on va faire la nationalité, pour elle et pour les autres. »
Perspektiven der Handlungsfähigkeit 295
kann. Um den Beruf zu wechseln. Um etwas anderes zu machen, womit ich gleich
beginnen kann. Und das einzige, was man finden kann, ist putzen.“ 131
Einzelne Tageseltern können sich vorstellen, später über die erworbene CAP petite
enfance in eine öffentliche Krippe zu wechseln. Andere denken gemeinsam mit ande-
ren Tageseltern über die Gründung einer sogenannte micro-crèche (dt. ‚Familien-
krippe‘) nach.
131
« J’ai réfléchi pour faire. Pour changer de métier. Pour faire, pour faire autre chose en fait. Que
je peux trouver tout de suite. Et la seule chose qu'on peut trouver c'est le ménage ici. »
296 Frankreich: empirische Befunde
Prozessartig wird den Paaren mit dem Anwachsen der Familien bewusst, dass ein
zweiter Verdienst notwendig wird. Das an Doppelverdienern orientierte Frankreich
verlangt nach der Erwerbstätigkeit der Frauen. Durch die Konzentration auf das
Familienleben fehlen den jungen Migrantinnen jedoch Qualifikationen für den fran-
zösischen Arbeitsmarkt. Erschwert wird die Erwerbsintegration außerdem durch das
von vielen unter ihnen genutzte Kopftuch, das als religiöses Symbol gewertet wird,
und daher nicht in öffentlichen Einrichtungen getragen werden darf. Auf der Suche
nach Erwerbsperspektiven, in denen sie ihre biografischen Ressourcen aus der Fami-
lienarbeit und ihre Identifikation als Mütter übertragen können, stoßen sie auf die
Kindertagespflege als Option. Über diesen Beruf können sie scheinbar disparate
Interessen vereinen: Zuhause bleiben und gleichzeitig arbeiten. Eine Fremdbetreuung
der eigenen Kleinkinder wird vermieden und die Tradition des Kopftuchtragens
gewahrt.
In der Berufstätigkeit als assistante maternelle verdienen die Frauen erstmals ein
eigenes Gehalt. Oft werden sie gleichermaßen Ernährerinnen der Familie, manchmal
werden sie sogar zu den Haupternährerinnen ihrer Familie. Über den neuen Beruf
gelten sie als sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerinnen, die durch eine be-
Resümee 297
sondere Regelung für ihre Berufsgruppe keine Steuern zahlen. Insofern erreichen die
Frauen auf Basis einer sehr bescheidenen Ausgangslage einen sozialen Aufstieg, der,
wie im Fall der alleinerziehenden Tagesmutter Kaya, bemerkenswert sein kann und
neues Selbstbewusstsein schafft. Diese Entwicklung wird allerdings von der Beschäf-
tigungslage einzelner Tagesmütter in quartier populaires stark konterkariert. Auf-
grund der hohen Konzentration maghrebinischer Tagesmütter in diesen Vierteln
kommt es zu einer nur geringen Nachfrage und der Verdienst bleibt bescheiden. Um
in Phasen der Schwangerschaft oder Arbeitslosigkeit einem Verdienstausfall entge-
genzuwirken, machen die Tagesmütter von sozialpolitischen Leistungen wie dem
Arbeitslosen- oder Erziehungsgeld Gebrauch. Letzteres kann zu einem längeren
Wiederaustritt aus der Erwerbstätigkeit führen, weil die Ersatzleistung bis zum drit-
ten Lebensjahr des jüngsten Kindes für einkommensschwache und gleichzeitig kin-
derreiche Familien eine gewisse Attraktivität besitzt.
tion von Liebe, in der Liebe als für die Arbeit notwendiges Faktum ausgewiesen wird
(„il faut aimer“), einen emotionalen Mehrwert. Der Interessenausgleich zwischen
eigenen Kinder und Tageskindern bedeutet eine zusätzliche Belastung. Gefühlsarbeit
als Erwerbsarbeit und Gefühlsarbeit als Familienarbeit scheinen unauflöslich inei-
nander verwoben zu sein. Der von den Frauen erzeugte emotionale Mehrwert in der
Arbeit wird auch von Eltern geschätzt, die ihre schon (vor-)schulpflichtigen Kinder
für die Mittagszeiten bei einer Tagesmutter (weiter-)betreuen lassen. Der Rückgriff
auf Tageseltern bedeutet dann eine Weiter- beziehungsweise teilweise Rückverlage-
rung von öffentliche in familiäre Strukturen.
Weil die Tagesmütter viel Zeit mit den Tageskindern verbringen, können sie oft
Dinge beobachten, die den Eltern verborgen bleiben. Dies kann zu Auseinanderset-
zungen über Erziehungsfragen führen und in Spannungen kumulieren. Die Identitäts-
konstruktionen von Mutterschaft auf der Seite der assistantes maternelles, die auf
Familienarbeit konzentriert sind, stehen im Kontrast zu jenen der überantwortenden
Mütter, die in die außerfamiliäre Erwerbsarbeitswelt streben. Gleichzeitig können die
Identitäten beider in der modernen Arbeitswelt nur über diese Polarisierung gelebt
werden, da sie einander ihre Existenzen garantieren. Männer spielen eine marginale
Rolle, da sie kaum Care-Arbeiten übernehmen. Während die Rolle des Mannes auf
Erwerbstätigkeit beschränkt bleibt, wird die der Frau in der französischen Gesell-
schaft ausgeweitet – sie ist erwerbstätig und leistet das Gros der Familienarbeit.
Durch das transnationale Familienleben der Frauen und die nationalstaatlichen Rege-
lungen in Bezug auf Staatsbürgerschaft haben die einzelnen Familienmitglieder oft
unterschiedliche rechtliche Status. Bezüge zum kolonialen Frankreich, das Familien-
recht oder eine gesicherte Situation des Ehemannes können den Erhalt einer langfris-
tigen Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung erleichtern. Die Tagesmütter sind über
die Erwerbstätigkeit alle in das französische Rentensystem einbezogen. In den quar-
tier populaires ist dennoch wegen der stagnierenden Beschäftigung mit einer gerin-
gen Rente im Alter zu rechnen.
7 Zusammenfassender Vergleich der empirischen Be-
funde
Den Wandel von der Großfamilie zur Kleinfamilie, der in den Ländern Mitteleuropas
seit dem 19. Jahrhundert stattgefunden hat und dem nunmehr eine Pluralisierung der
Lebensformen folgt, erfahren ansässige Familien in Deutschland und Frankreich nun
schon über mehrere Generationen. Sowohl die Frauen (und Männer) dieser Studie,
die aus den postsozialistischen Ländern nach Deutschland migrieren, als auch jene,
die aus den Maghreb-Staaten nach Frankreich kommen, haben ihren familialen Zu-
sammenhalt in einer in Westeuropa als tradiert geltenden Großfamilie. Das Zusam-
menleben der einzelnen Familienmitglieder in einer Großfamilie war zwingende
Voraussetzung zur Erwirtschaftung von Nahrung, Versorgung und Behausung und
damit Lebenserhaltung. In der Großfamilie sind Familienprojekte bestimmend, um
alle Mitglieder der Familie abzusichern. Damit einher geht ein Vorrang der Familie
gegenüber individuellen Wünschen und Bewegungsräumen. Im europäischen Wohl-
fahrtsstaat haben Individuen unabhängig von der Familie mehr Möglichkeiten ein
autonomeres Leben zu führen; gleichzeitig führt diese „Individualisierung“ zu prekä-
ren Lebenslagen, in denen Menschen häufiger auf sich selbst gestellt bleiben (vgl.
Beck 1986: 146, 150; Dumont 1983; Giddens 1990; Taylor 1989). Trotz der Verän-
derungen in den Familienstrukturen hat die „Transmission“ von Kenntnissen und
Gütern auch in der Klein- oder Patchworkfamilie weiterhin eine prägende Funktion.
Die Ressourcen der Familie, ideeller und materieller Art, werden von Generation zu
Generation an die einzelnen Familienmitglieder weitergegeben und beeinflussen
daher signifikant die persönliche Orientierung der Einzelnen. Der Lebensverlauf
einzelner Familienmitglieder entspringt somit der gesamten Entwicklung der Familie,
der „familiären Verlaufskurve“, und Reproduktion verortet sich so als dynamischer
Prozess in der Familieneinheit (vgl. Bertaux & Bertaux-Wiame 1988: 8). Die anhän-
gigen Familienprojekte der Migrantinnen und Migranten in der Kindertagespflege
samt Erfolgen und Misserfolgen in Hinblick auf soziale Mobilität konstituieren sich
vor diesem Hintergrund sowohl in Frankreich als auch in Deutschland.
ration eröffnete sich nach der Oktoberrevolution von 1917 neben lebensentscheiden-
den Beschränkungen ein erweiterter Möglichkeitsraum. Abhängigkeiten in der pat-
riarchalen Gesellschaft wurden geschwächt, indem Scheidungen möglich wurden,
und Bildungs- und Erwerbsarbeitsmärkte wurden erobert. Ausgehend von den Erfah-
rungen einer realsozialistischen Familienpolitik übermitteln die Eltern ihren Kindern,
dass Bildung der Schlüssel zum Erfolg sei. Zudem unterstützen sie einen legalen
Zugang nach Europa, zum Beispiel als Au-pair oder mit Studierenden-Visum. Wäh-
rend im Maghreb Bildungsaspirationen im Licht einer Heirat für die Frauen plötzlich
unwesentlich erscheinen, streben die Migrantinnen und Migranten aus der ehemali-
gen Sowjetunion oder aus dem ehemaligen Jugoslawien und Polen umgekehrt über
Bildung nach sozialem Aufstieg. Im Gegensatz zu den maghrebinischen Migrantin-
nen, deren Französisch-Kenntnisse im Aufnahmeland während der Familiengrün-
dung in den Hintergrund treten, erlernen die osteuropäischen Migrantinnen und Mig-
ranten die deutschen Sprache neu. Ihre Migrationsprojekte sind, sehr viel mehr als
jene aus dem Maghreb, mit dem Interesse verbunden, persönliche Autonomie über
den Bildungsweg zu gewinnen. Einen Konflikt zwischen Geschlecht, Familie und
Arbeit erwarten sie dabei nicht.
Obwohl die Migrantinnen und Migranten aus den postsozialistischen Ländern nur
schwer zum Arbeitsmarkt Zugang finden und auch der Spracherwerb ein Problem
darstellt, gliedern sie sich vergleichsweise schnell in die Aufnahmegesellschaft ein.
Im Prozess der schwierigen Anerkennungsphase bereits erworbener Qualifikationen
orientieren sie sich in Beruf und Bildung um, geraten jedoch nicht in eine dauerhafte
Arbeitslosigkeit. Im Unterschied zu den maghrebinischen Frauen in Frankreich stellt
daher nicht der Qualifikationsmangel ein Problem dar, sondern der relative Rück-
schlag eines bereits erworbenen Status. Analog mit der Bildungsorientierung wird die
Teilhabe an der Aufnahmegesellschaft befördert und eine Familiengründung verzö-
gert. Die Familienpolitik in Deutschland, die lange Zeit ausschließlich das Ernährer-
Modell favorisierte, unterstützt ein im Vergleich zu den postsozialistischen Staaten
konservatives Familienleben. Im Zuge einer sich verfestigenden Paarbeziehung be-
einflusst dieses Modell nun auch die Lebensrealität der Migratinnen (und Migranten)
in Deutschland. Im Kontrast zu den migrantischen Tageseltern in Frankreich, die zur
Zeit der Interviewführung drei bis vier Kinder haben, tritt erst nach einigen Jahren
304 Zusammenfassender Vergleich der empirischen Befunde
des Aufenthalts in der deutschen Gesellschaft eine familienorientierte Phase auf, aus
der weniger, zur Zeit der Interviewführung etwa zwei bis drei Kinder, hervorgehen.
Allerdings zwingt die Familiengründung der Frauen in Deutschland umso heftiger zu
einem Rückzug aus dem Erwerbsleben oder dem Studium. Sie löst einen
signifikanten turning point im Sinne Tamara Hareven und Kanju Masaokas aus: “A
turning point is a process involving the alteration of life path, of a ‚course correc-
tion‘.” (vgl. Hareven & Masaoka 1988: 272, 274) Vereinbarkeit von Familie und
Beruf wird jetzt für diese Migrantinnen zur in Deutschland klassischen Kardinalfrage
und ändert die vorherige Lebensplanung grundsätzlich. Das Berufsleben, meist im
Niedriglohnsektor, wird aufgrund einer nicht mehr zu bewältigenden Vereinbarkeit
von Familie und Beruf eingestellt. Ihre Kurskorrektur besteht in der Anpassung an
die Mehrheitsgesellschaft in Westdeutschland, in der Frauen nach der Familiengrün-
dung das Berufsleben meist für längere Zeit aussetzen. Ihre liberale Sozialisierung in
Hinblick auf Geschlecht verschiebt sich zugunsten einer konservativen Rollenvertei-
lung in der neuen Wertegemeinschaft.
Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland haben die jungen Familien meist nied-
rige Einkünfte. Auffällig sind die prekären Beschäftigungsverhältnisse der maghrebi-
nischen Ehemänner in Frankreich, deren Frauen zusätzlich erwerbslos sind. Die oft
selbst migrierten Partner arbeiten in typischen sogenannten Männerberufen mit nur
geringen Aufstiegschancen. Partnerschaften entstehen deshalb innerhalb von spezifi-
schen Schichten, wodurch letztere zusätzlich reproduziert werden. In Deutschland
leisten die hinzu gewanderten Frauen (und Männer) jedoch immer einen Zuverdienst
und häufiger haben der Partner oder die Partnerin schon ein stabiles Beschäftigungs-
verhältnis. Die Partnerwahl der Frauen aus den postsozialistischen Ländern erfolgt
zudem selbstbestimmter. Im Vergleich hierzu ist die meist arrangierte Ehe der Frauen
aus dem Maghreb mit Männern in Frankreich a priori entschieden. Die Umsetzung
des Familienplans als Plan der Großfamilie mit Ziel bald mehrere Kinder zu bekom-
men erfüllt sich. Da ihre Hauptaufgabe in der Reproduktion der Familie liegt, ver-
knüpfen die Frauen Sinn und Zweck ihres Lebens mit der entstehenden Familie, was
die soziale Eigenständigkeit in bedeutendem Maße reduziert. Die aus der Konzentra-
tion auf die Privatsphäre resultierende Isolation wird durch die staatliche Wohnungs-
politik begünstigt, da sie häufig in maghrebinische Enklaven führt. In der neuen
Wege in die Kindertagespflege 305
Umgebung wird die vertraute Lebenswelt reinszeniert. Auch die Nähe zur französi-
schen Sprache, in Einwanderungsländern oft als der Schlüssel zur Integration geprie-
sen, verhilft kaum zu einem Anschluss. Eine Abhängigkeit zum Ehepartner und
traditionelle Geschlechternormen manifestieren sich zunächst.
Der Druck nach einer bezahlten Beschäftigung steht für die Migrantinnen in Frank-
reich als auch in Deutschland in Widerspruch zu dem Wunsch weiterhin Familienar-
beit zu leisten. Allerdings basiert der Wunsch auf einem Unterschied: die Frauen in
Frankreich verteidigen die längst internalisierte weibliche Care-Ethik als biografi-
sche Erfahrung, die Frauen und Männer in Deutschland wollen das neu gewonnene
306 Zusammenfassender Vergleich der empirischen Befunde
Folgend ist der beschriebene Vergleich der Wege in die Kindertagespflege noch
einmal graphisch gegenübergestellt:
Wege in die Kindertagespflege 307
Lebensweg
Großfamilie Stärkere Migration um
… in Osteuropa … Orientierung … ökonomisch zu …
an Bildung reüssieren und für
In „Freiheit“
Deutschland Migrations-
Sozialismus
Politiken
Frankreich
Familien- Fokussierung auf
gründung Haushalt und Phase der
(sofort) … eigene Kinder … Isolation …
Arbeitsplatz Zuhause
Lebensstandard Mangel an Kopftuchverbot
heben Qualifikationen
(ökonomischer Öffentliche
Druck) Nachfrage an
Kinderbetreuung
Frankreich
Familienleben
mit dem Beruf
Deutschland
vereinbaren
Probleme die Öffentliche
Betreuung der Lebensstandard Nachfrage an
eigenen Kinder zu heben Kinderbetreuung
organisieren (ökonomischer
Druck)
308 Zusammenfassender Vergleich der empirischen Befunde
Deutschland und Frankreich stehen insofern immer in Relation zu den eigenen Fami-
lienverhältnissen als auch zu den Realitäten des jeweiligen Arbeitsmarktes und den
Arbeitszeiten der Eltern in ihrer Wohngegend. Auch die Tageseltern in den französi-
schen quartier populaires haben oft unregelmäßige Arbeitszeiten.
Familiengründung
¯ Maghrebinische assistantes maternelles
im städtischen Raum in Frankreich
D
Maghrebinische assistantes maternelles
in den quartier populaires in Frankreich
Migration Zeit
Es ist kein Zufall, dass die meisten Interviews dieser Studie in den Privatwohnungen
der Tageseltern stattgefunden haben. Am Arbeitsplatz Zuhause kündigt sich der
Verlust beziehungsweise Erhalt von Privatheit an. In der Öffnung der Privatsphäre
für die öffentlich geförderte Kindertagespflege liegt der Vorteil einer möglichen
Verschränkung von Arbeit und Leben, gleichzeitig trennt die Entlohnung die Arbeit
vom Leben im Haus und überlagert die unbezahlte Reproduktionsarbeit. Arbeitszei-
Soziale Mobilität und Identitätskonstruktionen 311
ten und Arbeitsinhalte von Familie und Arbeit verschwimmen und entstehen unent-
wegt neu.
Über das Betreuungsmodell der Kindertagespflege wird Familie neu inszeniert. Das
Ideal der Kleinfamilie in der Aufnahmegesellschaft wird in eine patchwork-artige
Konstellation überführt. Ein bedeutender Unterschied dieser Konstellationen liegt im
Altersunterschied: Während die Kinder in Frankreich im Säuglingsalter in die Obhut
der Tagesmütter gegeben werden, sind sie in Deutschland in der Regel schon ein Jahr
alt. In Deutschland werden Schulkinder häufig aufgrund von Versorgungslücken in
den Nachmittagsstunden nach Schulschluss von den Tageseltern dieser Studie wei-
terbetreut. In Frankreich führt der ganztätige Schulalltag umgekehrt dazu, dass
Schulkinder in den Mittagszeiten in die familiäre Struktur der Kindertagespflege
zurückgegeben werden. Nach Inobhutnahme entwickeln sich am Arbeitsplatz Zuhau-
se Bindungen zwischen Tageseltern, deren Kindern und Tageskindern. Emotionale
312 Zusammenfassender Vergleich der empirischen Befunde
Beziehungsarbeit ist sowohl Teil der Erwerbsarbeit als auch Teil der Familienarbeit.
Dadurch werden im doing family Schranken familiärer Zugehörigkeit brüchig. Die
starke emotionale Bindung zwischen den Beteiligten kann zu langfristigen Beziehun-
gen führen und die Grenzziehung zu professioneller Distanz erschweren.
Erwerbstätige Frauen in Frankeich passen sich stärker als Frauen in Deutschland dem
männlich konnotierten Karrieremodell an. Allerdings bleiben Geschlechterrollen in
der privaten Sphäre binär organisiert. Männer als Fürsorger widersprechen in
Deutschland und in Frankreich dem stark normierten Rollenbild. Auch die Ehemän-
ner der Tagesmütter sind nicht in die Tätigkeiten am Arbeitsplatz Zuhause involviert.
Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich sind Männer überdies einer institutio-
nellen und gesellschaftlichen Stigmatisierung ausgesetzt. Die Erzählungen der Ta-
gesmütter verweisen auf den Männern zugewiesene Attribute wie Alkoholismus und
mangelnde Fürsorgebereitschaft, die durch Sozialämter und Eltern herangetragen
werden. Unter anderem in Reaktion auf diese Zuschreibungen werden die Ehemänner
der Tagesmütter durch maternal gatekeeping an den Rand der Kindererziehung ge-
drängt und vom professionellen Alltag der Kindertagespflege ausgeschlossen.
Tagesväter sind zudem äußerst selten. Mit Blick auf die Tagesväter dieser Studie in
Deutschland könnte die Stigmatisierung des Mannes allerdings eine Veränderung
erfahren. Der Trend beziehungsweise die Forderung, mehr Männer (und Mig-
rant_innen) für pädagogische Berufe zu gewinnen, führt zu einer neuen Identitätsar-
beit als Care-leistender Mann. Die Tagesväter dieser Studie haben besonders bei
alleinerziehenden Frauen, die für ihre Kinder eine männliche Identifikationsfigur
suchten, Sympathien geweckt. Im Übrigen wird dieses Phänomen, dass auch Männer
vom Care-Sektor angezogen werden, auch in Japan festgestellt (vgl. Hirata 2011).
Die heute gültigen Richtlinien in Frankreich werden seit den 1980er Jahren durch
Arbeitnehmendenvertretungen gestützt, die sich zum Teil mit anderen Verbänden für
personenbezogene Dienstleistungen zusammengeschlossen haben. Sie sichern gewis-
se Mindeststandards der Arbeit. Aufgrund beruflicher Selbstständigkeit müssen Ta-
geseltern in Deutschland Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Vertretung und Ur-
laubsansprüche oder etwa den Schutz vor Kündigung privat erarbeiten. Deshalb
müssen sie viel mehr Eigeninitiative zeigen. Erster Ort beruflicher
Vergemeinschaftung ist meist der Spielplatz. Um mehr Handlungsfähigkeit zu erlan-
gen, organisieren sich manche der befragten migrantischen Tageseltern in eingetra-
genen Vereinen. Sie sorgen daher für Begegnungsräume, auf Basis derer es zur orga-
nisierten Unterstützung in Steuer- und Rechtsfragen kommen kann. Eine durchset-
zungsfähige Arbeitnehmendenvertretung konnte sich in Deutschland bisher aller-
dings nicht etablieren. Heike Wiemert stellte in ihrer Dissertation zu Tagesmüttern an
einer Stellungnahme der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) heraus,
dass diese es sogar für falsch erachteten, die institutionellen Tageseinrichtungen mit
der Kindertagespflege gleichzustellen und eine Professionalisierung und
314 Zusammenfassender Vergleich der empirischen Befunde
Verberuflichung der Kindertagespflege ablehnt (vgl. Wiemert 2009: 66). 132 Hierin
kann abgelesen werden, dass sich die arbeitsrechtlichen Forderungen am etablierten
Berufszweig der Erzieher_in orientieren, mit einer Ausschlusstendenz ähnlicher,
aufstrebender Berufsbilder.
Als Migrantinnen und Migranten der ersten Generation haben die Tageseltern dieser
Studie unterschiedliche Aufenthaltsstatus, die ihre Berufs- und Lebenssituation be-
stimmen. Für die Migrantinnen in Frankreich ist im Unterschied zu Deutschland eine
doppelte Staatsbürgerschaft möglich. Wobei in Deutschland in seltenen Fällen Aus-
nahmen gemacht werden. Einige der Migrantinnen und Migranten haben befristete,
anderer unbefristete Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen. Andere wiederum
besitzen die Staatsbürgerschaft der Aufnahmegesellschaft. In Frankreich ist der
Rechtsstatus der maghrebinischen Frauen und ihrer Ehemänner eng mit der kolonia-
len Vergangenheit und einer transnationalen Lebensweise verbunden. Die maghrebi-
nischen Mütter der vorliegenden Studie pflegen ein im Unterschied zu den Müttern
aus den postsozialistischen Ländern stärkeres transnationales Familienleben. Ihr
Aufenthalt in Frankreich ist deutlicher mit engen Beziehungen aus dem Familien-
und Bekanntenkreis in Nordafrika verknüpft. Häufig streben sie daher nach Sommer-
aufenthalten in ihren Herkunftsländern. Unterschiedliche Geburtsorte der Kinder
können aufgrund des in Frankreich dominierenden ius soli zu unterschiedlichen
Rechtsstatus zwischen den einzelnen Familienmitgliedern führen. Mit Aufwachsen
der Kinder wird eine gesicherte langfristige Aufenthaltslage aber immer dringlicher.
In Deutschland erwerben die Migranten und Migrantinnen aus den postsozialisti-
schen Ländern meist eine vorläufig über das Studium, ein Au-pair-Jahr oder andere
Bildungswege legalisierte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Diese wird oft über
Heirat langfristig gesichert. Über den Arbeitnehmendenstatus in der Kindertagespfle-
132
Wiemert bezieht sich auf die „Ausschussdrucksache 16 (13)350e: Stellungnahme der GEW zur
öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Thema
‚Kinderförderungsgesetz‘, 23. Juni 2008“. Darin heißt es: „Aber die GEW lehnt ein eigenständi-
ges Berufsbild ‚Kindertagespflege‘ ab. Wir sind der Meinung, dass wir mit der bisherigen Palette
von Sozialassistentin, Kinderpflegerin, Heilerziehungspfleger beziehungsweise –helfer und Er-
zieherin sehr wohl eine Bandbreite an Berufen anbieten. Der Kern sollte die Erzieherin sein, mit
dieser Ausbildung kann man einen Schwerpunkt wählen, zum Beispiel Tagespflege. Wir glau-
ben, dass mit dem Berufsbild der Erzieherin und einer Vertiefung der Ausbildung dem entspre-
chenden Auftrag genüge getan werden kann.“ (vgl. Stellungnahme Kifög 2008: 20)
Professionalisierung und Handlungsfähigkeit 315
reich Vollzeit arbeitet, ist die Mehrzahl der Mütter in Deutschland Teilzeit beschäf-
tigt. Die heutigen Fertilitätsraten der beiden Nationalstaaten laufen zudem aus sich
gegenüberstehenden Extremen aneinander vorbei: So hat Deutschland, von einer
hohen Population ausgehend, heute eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt;
Frankeich, von einer niedrigen Population ausgehend, heute eine der höchsten Ge-
burtenraten Europas. In Deutschland erscheinen die verhaltenen Anstrengungen
paradox, da sich das Care-Defizit bei einer relativ hohen Wirtschaftsleistung vergrö-
ßert. Ein Erklärungshinweis gibt die vergleichsweise zeitnahe Problematik des de-
mografischen Wandels, der erst in den 1970er Jahren einsetzt, und ein historisch fest
verankertes, ideologisch aufgeladenes Familien-Ernährer-Modell vor allem in West-
deutschland.
Den eher niedrig qualifizierten Migrantinnen in Frankreich, die überwiegend aus den
Maghreb-Staaten kommen, steht ein wesentlich gebildeterer und flexiblerer Gegen-
part in Deutschland, meist Migrantinnen (und Migranten) aus den postsozialistischen
Ländern, gegenüber. Aufgrund der unterschiedlichen Ausbildungsniveaus hätte sich
die im Forschungsprozess aufgetane Vermutung bestätigen können, dass die Migran-
tinnen und Migranten in Deutschland zügiger auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen und
einen höheren sozialen Status einnehmen werden als ihr auf Heirat und Familien-
gründung fixierter maghrebinischer Counterpart in Frankreich. Die Ausgangskapita-
lien, mit denen sie um soziale Positionen kämpfen, scheinen ungleich verteilt. Diese
Annahme musste allerdings fallen gelassen werden, da die familienorientierten
maghrebinischen Frauen in Frankreich als assistantes maternelles einen Statusge-
winn erlangen, der einem Statusverlust der hochgebildeten Migrantinnen und Mig-
ranten in Deutschland gegenübersteht. Der biografische Verlauf der Tageseltern in
Deutschland und Frankreich nimmt daher, ähnlich wie die in Extremen verlaufende
historische Populationsentwicklung, eine gegensätzliche Entwicklung.
Aus der Empirie wurde ersichtlich, dass die Kindertagespflege in Frankreich als
Beruf für Migrantinnen mehr Möglichkeiten zu einer autonomen Lebensführung
eröffnet als in Deutschland. Ihre subjektiven Ressourcen und die sozialen, kulturellen
Wege in die Kindertagespflege 323
geschaffen wurde. Die Familiengründung ist für die professionelle Entwicklung der
Migrantinnen in Deutschland demnach ähnlich prägend wie die Migrationserfahrung
selbst. Dennoch verbessert das Tätigkeitsfeld Kindertagespflege zunächst die schwie-
rige soziale Situation nach der Familiengründung. Gebrochene weibliche Berufskar-
rieren führen so zur Akquise neuer Tagespflegepersonen, mit dem widersprüchlichen
Ziel, genau jene Vereinbarkeitsproblematik bei anderen Müttern aufzufangen. Inso-
fern wird ein brain drain hochqualifizierter Arbeitskräfte verursacht, der diese im
Umkehrschluss in einen kostengünstigen care gain lenkt.
In Frankreich nehmen die Frauen eine Care-Identität ein, die zwar nicht identisch,
jedoch äquivalent ist zur Fürsorgerolle ihrer Mütter im Maghreb. Aus der in der
Aufnahmegesellschaft diskreditierten Situation heraus bieten jene Möglichkeitsräu-
me, in denen sie agieren können, mehr Chancen auf einen Autonomiegewinn. Die
Affinität zur Sorgearbeit wird von Beginn an bejaht. Die manifeste Identität als eine
ihre Kinder selbstversorgende Mutter und fehlende Qualifikationen machen eine
Beschäftigung in der Kindertagespflege für die meisten der interviewten Frauen unter
dem Druck der Zwei-Verdiener-Gesellschaft attraktiv. Dazu zählt auch die Unwirk-
samkeit des sogenannten Kopftuchverbots in der Kindertagespflege, nach dem la
voile als religiöses Symbol gewertet und nicht in öffentlichen Einrichtungen getragen
werden darf. Die Ergebnisse zeigen daher auch, dass der Zwang zum Kopftuchverbot
in anderen Beschäftigungszweigen nicht unbedingt zu einer Assimilation führt, son-
dern die Erwerbsintegration in öffentliche Arbeitsstellen verhindern kann. Die fami-
lienpolitischen Anstrengungen und die Regelungen der Kindertagespflege in Frank-
reich erfüllen, wie folgend dargelegt wird, schließlich eine die Frauen ermächtigende
Funktion, auch wenn diese durch die Wohnsituation in Sozialbauvierteln oder durch
den Bezug des Erziehungsgeldes (CLCA) konterkariert werden kann (s.u.).
Ein Elterngeld wie in Deutschland, das bei einer Höchstbezugsdauer von 14 Monaten
bis zu 67% des wegfallenden Einkommens ersetzt, gibt es in Frankreich nicht. Das
hier geltende Mutterschaftsgeld wird über 16 Wochen als 100%ige Lohnfortzahlung
gewährt, danach ist nur noch der Bezug eines deutlich geringeren Erziehungsgeldes
und des Kindergeldes möglich. Daher geben Eltern in Frankreich ihre Kinder in der
Regel im Alter von etwa drei bis sechs Monaten in formale Betreuung, wohingegen
sie in Deutschland schon mindestens ein Jahr alt sind. Die vergleichsweise kurze
Unterbrechung der Arbeitszeit erwerbstätiger Mütter in Frankreich begünstigt des-
halb den zeitnahen Rückgriff auf Tageseltern.
Neben den Leistungen, die der Staat Eltern gewährt, die ihre Kinder zu einer Tages-
pflegeperson geben, begünstigen folgende Rahmenbedingungen die Tätigkeit der
maghrebinischen Tagesmütter in Frankreich: ein einfacher Zugang zum Beruf mit in
der Regel 120 Qualifikationsstunden (plus weiteren Fortbildungsstunden), ein
Arbeitnehmendenstatus, ein nationaler Tarifvertrag, ein Mindestlohn, eine berufsbe-
gleitende Infrastruktur mit professioneller Begleitung durch Sozialarbeiter_innen und
eine besondere Regelung im Steuerrecht, durch die sie praktisch keine Steuern zah-
len. Der Berufseinstieg erfordert keine besonderen Vorqualifikationen. Deshalb
Care-politische Erfolge 327
Der Eintritt in die Erwerbsarbeitswelt markiert den turning point im Leben der magh-
rebinischen Tagesmütter dieser Studie. Im Gegensatz hierzu bewirkte bei den Tages-
eltern in Deutschland die eigene Familiengründung einen entscheidenden Wandel. In
Frankreich wird die durch den familiären Kontext angeregte Care-Identität als Mutter
auf die Kindertagespflege als symbolischer Raum traditioneller Mutterschaft transfe-
riert und ausgeweitet. Die Tätigkeit erhält damit innerhalb der familiären Netzwerke
Anerkennung.
sorgungsverhältnisse zur Voraussetzung haben. Sie tun dies, indem sie die private
Familienarbeit um bezahlte Familienarbeit innerhalb des eigenen Haushalts erwei-
tern. Ein „moderner“ Berufszweig lädt sich dadurch „traditionell“ auf. Genauer hin-
geschaut, passiert dabei etwas Beachtliches: Im Folgen der Tradition bewahren und
überleben die maghrebinischen Frauen die Tradition unbezahlter Reproduktionsarbeit
und bewirken damit eine Veränderung sozialer Praxen. In diesem Sinne stellt Lena
Inowlocki bereits fest, dass die biografische Auseinandersetzung mit Traditionspraxis
deren Aneignung, Transformation und Weiterführung bewirkt (vgl. Inowlocki 1999:
88). Indem die Tageseltern ihr subjektiven Ressourcen, die im traditionellen Kontext
der Familie erlangten Care-Fähigkeiten, mobilisieren, überwinden sie Normen und
Zwänge – auf Basis der bestehenden Rollenverteilung modifizieren sich die Zuwei-
sungen an die Rolle. Der hegemoniale Diskurs wird nicht aufgebrochen, jedoch ver-
schieben sich die geltenden Figurationen.
Die durch policies gestützte Bezahlung von Care-Arbeit hat für viele nicht qualifi-
zierte migrantische Frauen dazu beigetragen, dass sie auch auf soziale Rechte des
regulären Marktes zurückgreifen können. Die weibliche Fürsorgemoral offenbart in
diesem Kontext eine politische Stärke. Ein sozialer Aufstieg manifestiert sich entlang
des möglichen Verdienstes, der ihre Arbeit erstmals ökonomisch bewertet. Die Tä-
tigkeit führt für die Mehrzahl der interviewten Frauen in Frankreich zu einer lebens-
sichernden Größe, mindestens werden sie zu Miternährerinnen der Familie. Care-
Arbeit und jene, die sie ausführen, werden damit in ihrer ökonomischen und sozialen
Dimension erkennbar aufgewertet. Gleichzeitig wird der Zutritt in das öffentliche
Leben der Aufnahmegesellschaft eröffnet, der die familiäre Isolation aufbricht (s.u.).
Erziehungszeiten. Der Trend dieser in sich sehr zwiespältigen „Politik der freien
Wahl“ verringert den Bedarf formeller Betreuungsangebote in der Gesellschaft und
löst daher vermutlich einen den Arbeitsumfang der Tageseltern reduzierenden
Backlash aus.
Die von Badinter jüngst ausbuchstabierte Warnung vor einer aufkommenden Natura-
lisierung der Mutterschaft (vgl. Badinter 2010) hat noch die allgemeine Stellung der
Frau in der französischen Gesellschaft zum Gegenstand, die zwischen den Polen
Erwerbsarbeit und Kindererziehung hadert. Unter Berücksichtigung migrantischer
Erfahrung lässt sich in der vorliegenden Studie jedoch eine kleine, aber feine, Diffe-
renzierungslinie entlang der Kindertagespflege ziehen. Es wird deutlich, dass weni-
ger die überantwortenden Eltern – also die potentiellen Kunden – primäre Nutznie-
ßer_innen dieser Leistung sind, sondern eher die Kindertagespflegepersonen selbst.
Durch die Erwerbstätigkeit in der Tagespflege erhalten die assistantes maternelles
Anspruch auf das Erziehungsgeld, mit dem sie, spiegelbildlich, die Erwerbstätigkeit
wieder unterbrechen können. Weil der Aufnahme der Tätigkeit immer eine Familien-
gründung voraus geht, haben die maghrebinischen Tageseltern in Frankreich, die in
dieser Studie zur Zeit unserer ersten Begegnung im Durchschnitt drei bis vier Kinder
haben, mit jedem neuen Kind bis zum Erreichen des dritten Geburtstages des jüngs-
ten Kindes Anspruch auf Erziehungsgeld. Da sie gemessen an der Gesamtgesell-
schaft immer noch zu den Geringverdienenden zählen und eine hohe Identifikation
mit Familienarbeit gegeben ist, nehmen sie diese Leistung oft in Anspruch. Daher
reduziert das Erziehungsgeld vor allem das Angebot, das heißt die Care-
Dienstleistung, nicht die Nachfrage der erwerbstätigen, inländischen Frau. Das Er-
ziehungsgeld verzögert somit im Bereich der Kindertagespflege, der ja immerhin den
Großteil der formal betreuten Kleinkinder einschließt, die Erwerbstätigkeit der Ta-
geseltern und damit die Einlösung der Care-Nachfrage.
Weder in Frankreich noch in Deutschland spielen Männer bei der Verlagerung von
Care-Arbeit auf migrantische Tageseltern eine wesentliche Rolle. Besonders auffällig
ist aber, dass sich der Staat in Frankreich, als affaire d’État, der Care-Frage ange-
nommen hat, ohne Männer zu adressieren beziehungsweise in die Verantwortung
einzubeziehen oder ihnen einen vielseitigeren Identitätsentwurf zu ermöglichen. Die
Ordnung der Geschlechterverhältnisse innerhalb der Familie wurde im policy making
ausgespart. Zwei Wochen Vaterschaftsurlaub und das 2015 auch für Männer einge-
führte, aber sehr geringe Erziehungsgeld, setzen wenig Anreize, die Erwerbsarbeit
zugunsten von Reproduktionsarbeit zu unterbrechen. Die Unberührtheit der Ge-
schlechterfrage im öffentlichen politischen Raum lässt die starke
Vergeschlechtlichung der Frau in Frankreich zu. Um es zuzuspitzen: Auch als Mutter
folgt sie dem männlich geprägten Karrieremodell, ist privat aber Hausfrau und unter
Hinzunahme weiblicher Attitüden zudem attraktiv. Diese dreiseitige Rollenanforde-
rung stellt einen weiteren Widerspruch der sonst sehr familien-, und damit Care-
politischen Ausrichtung Frankreichs dar.
En tant que mère, elle suit également le modèle de carrière marqué par les valeurs
masculines, en privé elle est cependant femme au foyer (et à cela il faut ajouter
qu’elle fait, de plus, souvent preuve d’attitudes particulières féminines). Ces types
d’exigences liées au rôle de mère constituent une contradiction supplémentaire de
l’orientation des politiques publiques en France, sinon très orientées vers les poli-
tiques familiales, et donc vers les politiques du care.
Die Stagnation sozialer Mobilität in den Sozialbauvierteln wird wiederum von dem
Erziehungsgeld und dem Kopftuchverbot langfristig gestützt. Das Kopftuchverbot,
politisch intendiert als integrationsstützende und gleichstellungsfördernde Maßnah-
me, verfehlt an dieser Stelle das angestrebte Ziel. Die Identifikation als Muslima
sowie der soziale Druck in den Vierteln behindern die Berufstätigkeit im öffentlichen
Raum. Es fehlt eine Agenda, die die Verhältnisse in den Wohnvierteln nachhaltig zu
verändern und die sich selbst generierende Abfolge aufzubrechen verspricht. Integra-
tion und sozialer Zusammenhalt bleiben schließlich Voraussetzungen, um die Er-
werbstätigkeit und damit die Prosperität der Wirtschaft zu gewährleisten. Aus einer
erwerbslosen Situation heraus wird der Beruf Tagesmutter, obwohl er in den Sozial-
bauvierteln nur schwer zu einer eigenständigen Existenzsicherung führt, dennoch zu
einem Mittel der Integration in die Aufnahmegesellschaft.
Im Vergleich zu Frankreich hat die Politik in Deutschland mehr Anreize zur Umver-
teilung von Care- und Reproduktionsarbeiten in Partnerschaften gesetzt. Zwar bleibt
der männliche Teil der Bevölkerung ebenfalls weitestgehend von Reproduktionsar-
beit entpflichtet, jedoch wurden hier auf politischer Ebene sowohl mit den
„Vätermonaten“ als auch jüngst mit dem ElterngeldPlus Anreize geschaffen, Männer
332 Resümee und Diskussion der Befunde
Politiken wie das Ehegattensplitting, das einjährige Elterngeld, das Kindergeld und
eine nur begrenzt ausgebaute Care-Infrastruktur haben private Kinderbetreuung lange
begünstigt. Das Ehegattensplitting setzt, vor allem bei gut Situierten, wenig Anreize,
damit Frauen erwerbstätig werden oder eine Familie gründen. Es fördert Ehepaare
oder Lebenspartner_innen, von denen ein Teil wesentlich mehr verdient als der ande-
re, ohne Kinder zu berücksichtigen. Die einjährige Elternzeit wird häufig in längere
Erziehungszeiten oder Teilzeitbeschäftigung überführt, nicht zuletzt, weil Be-
treuungsinstitutionen nicht ausreichend vorhanden sind und weil der Halbtagsbetrieb
in Schulen ohne Essensversorgung immer noch die Regel ist. Die genannten Rege-
lungen kollidieren mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit der Frau.
private Fürsorge und Privatsphäre orientiertes Land wie Deutschland diese als fami-
liär zu charakterisierende Betreuungsform nicht stärker für sich in Anspruch nimmt,
nicht zuletzt aus Kostengründen. Auf der anderen Seite werden Krippen oft noch
bevorzugt, weil die Qualitätsstandards der Kindertagespflege in Deutschland noch
schwer einzuschätzen sind.
Ist der Großteil der Tagesmütter in Frankreich tagsüber Vollzeit beschäftigt, arbeiten
Tageseltern in Deutschland – entsprechend der geringen Vollzeitbeschäftigung der
Mütter – meist Teilzeit. Die Kindertagespflege wird im Vergleich zu Kitas, vermut-
lich aufgrund einer höheren Flexibilität, häufiger von Teilzeit arbeitenden Müttern
genutzt (vgl. Riedel & Heikötter 2014: 787). Flexibilität gegenüber den Nachfrage-
wünschen der überantwortenden Eltern kann deshalb mit der gewünschten Flexibili-
tät gegenüber den eignen Kindern der Tageseltern kollidieren. In der Regel richten
sich die Arbeitszeiten nach den Ergebnissen diese Studie jedoch nach den Wünschen
der Arbeit gebenden Eltern. Dies hat auch Einfluss auf die hohe Fluktuation von
betreuten Kindern zu unterschiedlichen Tageszeiten, wohingegen die Arbeitszeiten
der Tageseltern in Frankreich insgesamt konstanter ausfallen und höhere Regel-
mäßigkeiten aufweisen.
schen Ländern eine Rolle als Familienfürsorgerin ein, die sich an der in Deutschland
tradierten Familienorganisation orientiert. Ihre Tätigkeit als Selbstständige in der
Kindertagespflege hat das Haupteinkommen eines Partners beziehungsweise einer
Partnerin zur Grundvoraussetzung. Daher wird die soziale Position von privilegier-
tem Ernährer und anhängiger Zuverdienerin verfestigt. Der geringfügige Verdienst –
der zudem kaum zu beziffern ist – macht häufig die Einforderung von privaten Zu-
zahlungen notwendig, die wiederum in rechtliche Grauzonen führen können und die
Kosten gegenüber anderen Betreuungsformen erhöhen. Daran wird deutlich, dass die
Politik in Deutschland die Förderung der Kleinkindbetreuung durch Kindertagespfle-
gepersonen trotz ihrer Dringlichkeit nur beschränkt und mit Fokus auf die Eltern
begleitet. Das formulierte Ziel der Bundesregierung, die Kindertagespflege als
gleichwertige Form der Kinderbetreuung neben Krippen beziehungsweise anderen
institutionellen Einrichtungen zu etablieren, kann den Ergebnissen dieser Studie
zufolge bisher nicht eingelöst werden. Auch das Potential zu einer Bewegung, einer
juristischen Interessenvertretung oder einer gewerkschaftlichen Organisierung bleibt
noch eingeschränkt.
Die Sicherung der Altersvorsorge bleibt den in Deutschland als Selbstständige arbei-
tenden migrantischen Tageseltern, die schließlich selbst in Phasen der Abhängigkeit
gelangen können, überlassen. Da ihnen kaum Rücklagen für eine private Altersvor-
sorge bleiben, ist eine hohe Prekarisierung zu erwarten. Eine Studie zur Lebenssitua-
tion migrantischer Tageseltern im höheren Alter stellt in Deutschland, als auch in
Frankreich, noch ein Forschungsdesiderat dar.
Tagesväter in Deutschland
Als Mann kontrastiert der Tagesvater mit den vielen Tagesmüttern dieser Studie.
Dennoch folgt sein Weg in die Kindertagespflege den gleichen Prämissen, die bei
den Frauen aus den postsozialistischen Ländern verfolgt werden konnten. Die Pro-
zesse, die in die Kindertagespflege führen, unterschieden sich nur marginal. Bei den
Tagesvätern löst ebenfalls die Familiengründung eine Neubewertung von Care- und
Reproduktionsarbeit aus. Der Wechsel in hauptverantwortliche Reproduktionsarbeit
wird durch die Migration, Sprachprobleme und den damit verbundenen Statusverlust
befördert und bewirkt eine Orientierung auf Familie und Care-Arbeit, deren Wert die
Tagesväter von da an betonen und verteidigen.
Indem die beiden Tagesväter sich die Kindertagespflege aneignen, findet eine Ver-
schiebung traditioneller Geschlechterzuweisungen statt. Allerdings knüpfen sie in-
nerhalb dieser weiblich konnotierten Tätigkeit an männlich konnotierte Aspekte an.
Ihre Identitätsarbeit als professionell erziehende Männer wird in Abgrenzung zu
vermeintlich weiblichen Erziehungsmustern konstruiert. Dem sozialen Statusverlust
nach der Migration wird auf der Ebene symbolischer Repräsentation eine selbstbe-
wusste Identität als Care-Arbeiter entgegengesetzt, die ebenso eine Fürsorgemoral
beinhaltet. Dieser Entwurf inkludiert unter anderem typische Haushaltstätigkeiten
von Männern in technischen Bereichen, wie etwa der Konstruktion von großen Kin-
derwagen, und erinnert daher an das Phänomen des migrantischen handyman (vgl.
Kilkey & Perrons 2010), mit dem Unterschied, dass der Tagesvater die Arbeit in sein
eigenes Zuhause holt.
Der Dreh- und Angelpunkt der ambivalenten Verhältnisse und Beziehungen in der
Kindertagespflege ist das eigene Zuhause, das gleichzeitig den Arbeitsplatz darstellt
und daher in dieser Studie als „Arbeitsplatz Zuhause“ bezeichnet wurde. Die Care-
Arbeiter_innen sind nicht als fremde Personen im Haushalt anderer tätig, sondern in
ihrer eigenen Intimsphäre, in die allerdings haushaltsfremde zu versorgende Personen
Identitätskonstruktionen am „Arbeitsplatz Zuhause“ 337
eintreten. Der Arbeitsplatz Zuhause wird zu einer Schnittstelle von Privatsphäre und
Öffentlichkeit. Als Konsequenz wird das, was im Wohnraum die eigenen Wertesys-
teme repräsentiert, zu einem Schauplatz. „Grenzziehungs“- und „Grenzöffnungsar-
beiten“ bestimmen den Arbeitsalltag der Tagespflegepersonen sowohl in Deutsch-
land als auch in Frankreich.
Die Tageseltern führen eine tägliche performance im Goffman’schen Sinne auf (vgl.
Goffman 1959). Als Publikum werden die Eltern der Tageskinder adressiert. Die
front, das heißt die Bühne, besteht aus einem setting aus Möbeln und zum Beispiel
im Flur angebrachten Speiseplänen, die so arrangiert werden, dass sie Professionali-
tät von Familiarität, öffentlich geförderte Kinderbetreuung von der Privatsphäre und
die eigene Familie von der Tagesfamilie abgrenzen. Das Maß an zusätzlicher Haus-
arbeit für diese Inszenierungen, die im einen Moment für die Öffentlichkeit bestimmt
sind, im anderen für das private Familienleben, ist beträchtlich. Sie bleibt durch die
notwendige Abwechslung der Präsentation unauflöslich. Über performative Sprech-
akte während der Aufführung werden Grenzen sprachlich gezogen oder geöffnet.
Wichtigster Ort dieser performance ist die Türschwelle. Indem sich die Tageseltern
hier im Kontakt mit den Eltern körperlich positionieren, ziehen sie dort die deutlichs-
te Grenze.
Die Ambivalenzen von Öffentlichkeit und Privatsphäre, von Nähe und Distanz, von
Grenzziehungs- und Grenzöffnungsarbeit treten in Deutschland stärker auf als in
Frankreich. Maßgeblich hierfür erweisen sich das Alter der Kleinkinder zur Zeit der
Aufnahme in die Kindertagespflege beziehungsweise die Länge der Erziehungszeiten
der Mütter, die Regelarbeitszeiten der Eltern sowie die strukturelle Unterstützung des
Berufszweigs durch Umgebung, Begleitung und offerierte Räumlichkeiten.
roduktionsarbeit zeitlich mehr Raum ein, da die Kinder jünger sind und tagsüber in
der Regel länger bleiben. Dadurch wird auch der Einflussbereich der Erziehung
stärker auf die Tagesmütter verlagert. Dies hat Effekte auf die Kommunikation und
das Verhältnis der sich täglich begegnenden Mütter – also den Tagesmüttern und den
in Betreuung gebenden Müttern.
In Frankreich stehen sich in der Regel zwei sehr entgegengesetzte Konzeptionen von
Mutterschaft gegenüber. Die maghrebinische Tagesmutter ist eher familienorientiert,
die überantwortende Mutter eher arbeitsmarktorientiert. Mit anderen Worten: Die
ihre Kinder überantwortende Mutter steht der sich in Mutterschaft professionalisie-
renden Frau gegenüber. Und umso mehr sich ihre Identitätskonstruktionen voneinan-
der entfernen und die Partner sich außerhalb dieses Arrangements bewegen, desto
eher sind sie aufeinander angewiesen.
(Maisons de l’enfance) verlegen und die Beziehungsarbeit somit zum Zweck der
eigenen Abgrenzung in den öffentlichen Raum tragen. Es wird deutlich, dass die
institutionelle Infrastruktur und die Einstiegszeiten mit jüngeren Kleinkindern in
Verbindung mit den bereits genannten Rahmenbedingungen die Ambivalenzen des
Arbeitsplatzes Zuhause zum Teil auffängt. Umgekehrt gilt, dass das Konzept traditi-
oneller Mutterschaft in Deutschland die Etablierung eines getrennten Zuständigkeits-
bereichs für die Tageseltern behindert, da in beiden Identitäten die familiäre Orientie-
rung eine wesentliche Rolle spielt.
Doing family
Umso stärker die Bindung, die sich im alltäglichen und fürsorglichen Miteinander
verstärkt, desto weniger gelingt eine professionelle Distanzierung. Die Identifikation
mit der weiblichen Fürsorgemoral erreicht einen emotionalen Höhepunkt, in dem
Liebe und Gefühlsarbeit als feste Norm zusammenlaufen und als Bedingung der
Kindertagespflege konsequent konstruiert und reproduziert beziehungsweise
„reiteriert“ werden: « Il faut aimer! » (dt. ‚man muss lieben!‘) Das doing family in
der familiären Struktur der Kindertagespflege betont im Rückzug in die Privatsphäre,
wo eine starke Fürsorgemoral konstruiert wird, ihre Qualität gegenüber den öffentli-
chen (Ganztags-)Einrichtungen; gleichzeitig reduziert ihr Rückzug in die Privatsphä-
re das Maß möglicher Kontrolle von außen und ist dadurch auch für Eltern weniger
transparent. Im Übergang von professioneller Distanz zu emotionaler Nähe spiegelt
Identitätskonstruktionen am „Arbeitsplatz Zuhause“ 341
Vor allem bei den migrantischen Tageseltern in Deutschland hat sich gezeigt, dass
gebrochene Sprachkenntnisse den Werbeprozess um Kunden behindern können.
Gleichzeitig kann aber Mehrsprachigkeit als Ressource gehandelt werden. Die trans-
nationalen Wirklichkeiten in multinationalen Großstädten machen mehrsprachige
Erziehung als Kindertagespflegeangebot mit Blick auf eine globalisierte Zukunft
zunehmend erfolgreich. Es zeigt sich, dass ein Ranking prestigebesetzter Sprachen
den Wert von Mehrsprachigkeit unterschiedlich bemisst (mit dem Angebot Franzö-
sisch lässt sich mehr Gehalt einfordern als mit Russisch). Allerdings wird mehrspra-
chige Kindertagespflege gerade für Eltern interessant, die selbst einen Migrations-
hinweis aufweisen und die Sprachen ihrer Herkunftsländer an die eigenen Kinder
übermittelt sehen möchten. Mehrsprachigkeit wird von den maghrebinischen Tages-
eltern in der vorliegenden Studie jedoch nicht als Konzept in die Kindertagespflege
eingebracht. Es bleibt offen, wie verbreitet beispielsweise die Transmission von
Arabisch- oder Tamazightkenntnissen bei den maghrebinischen Tagesmüttern ist.
Der Nutzen mehrsprachiger Kindertagespflegeangebote von Migrant_innen wirft
allerdings innovative Perspektiven auf die Qualitätsmerkmale zukünftiger Kleinkind-
betreuung, von denen Betreute und Betreuende profitieren könnten.
Der Arbeitsplatz Zuhause hat vor allem bei den maghrebinischen Tagesmüttern den
hier besonders deutlich gewordenen Rückzug aus dem öffentlichen Leben aufgebro-
chen. Mit dem Einzug der öffentlich geförderten Kindertagespflege in den eigenen
Privathaushalt sind nicht nur Kontakte zu Kindern und Eltern entstanden, sie wurden
auch Teil einer Berufscommunity. Darüber hinaus entwickelten sich Arbeitsbündnis-
se mit den Bediensteten der staatlichen Vermittlungsbehörden, den Relais
d’assistante maternelle (dt. ‚Tagesmütterzentren‘). Kindertagespflegepersonen in
Deutschland müssen sich ohne entsprechende Begegnungsräume und Rahmenbedin-
gungen weitestgehend selbst organisieren. Die Rolle der strukturgebenden Bera-
tungs- und Begleitungsnetzwerke mitsamt ihrer zur Verfügung gestellten Räumlich-
342 Resümee und Diskussion der Befunde
keiten sowohl für die Integration und den Erfolg der Frauen in der französischen
Aufnahmegesellschaft als auch für die Professionalisierung des Berufszweigs muss
unterstrichen werden. Am empirischen Material wurde deutlich, dass die Rahmenbe-
dingungen, die diese Behörden den Tageseltern offerieren, eine der erfolgreichsten –
und als solche auch intendierten – Maßnahmen zur Lösung der Care-Frage über die
Kindertagespflege darstellen. Überdies mindern sie die ausschließenden Effekte vor
allem jener, die in den Sozialbauvierteln wohnen.
Il y a aussi du bonheur à aider l’autre. Il y a aussi dans l’aide à un proche, à titre fa-
milial ou non, une part de chemin personnel, de réalisation d’une éthique et d’estime
de soi. Une façon de se sentir auteur de sa vie, de se construire à travers l’autre. On
gagne en estime de soi à aider l’autre. (Guérin 2010a : 4)
Nach dem Prinzip des donnant donnant (dt. ‚geben und nehmen‘) stiftet die Wirkung
der sorgenden Tätigkeit am Gegenüber Sinn. Diese essentielle Sorgearbeit menschli-
cher Reproduktion um ihrer selbst willen kommt den „legitimen“ Eltern jedoch zu-
nehmend abhanden. Weder erwerbstätige Männer noch Frauen bekommen einen
befriedigenden Identitätsentwurf in der privaten Sorge- oder Familienarbeit angebo-
ten – trotz quality time, die alles, was als „schmutzig“ gilt, per definitionem aus-
schließt. Die in den industrialisierten Ländern sich durchsetzende Weiterreichung
von Care-Beziehungen bedeutet, umso erfolgreicher sich das Outsourcing von Care
ausbildet, daher auch eine neue Stufe der Entfremdung dieser Reproduktionsarbeit.
Durch die auf diese Weise einsetzende Ökonomisierung der Sorgetätigkeit entsteht
eine zeitlich und organisatorisch taylorisierte Abfolge von Pflege und Betreuung.
Das Angebot von citizenship oder zumindest einer Green-Card nach nordamerikani-
schem Modell könnte die Anerkennung von Care-Leistungen stützen. Die Offerte
einer dauerhaften Legalisierung durch Staatsbürgerschaft käme sowohl dem Care-
Defizit als auch der positiven Integration jener Migrant_innen entgegen, die bereits
regulär auf dem Care-Arbeitsmarkt vertreten sind. Außerdem würde biografisches
Kapital in Werte übersetzt, von denen die Gesellschaft allgemein profitiert. Sorgetä-
tigkeit als ein legalisierendes Ziel für Migrant_innen zu formulieren (vgl. Apitzsch
2014b, Tronto 2008), könnte daher eine strategische policy zur Care-Versorgung
sein, doppelte Staatsbürgerschaft (wie sie in Frankreich bereits angewendet wird)
eingeschlossen.
Die Abhängigkeit von care giver und care taker ist wechselseitig und erinnert trotz
ihrer Antagonismen an die Notwendigkeit kollektiver Solidarität. Die Tagesmutter,
welche die Fremdbetreuung ihrer eigenen Kinder vermeiden möchte und ihre Identi-
tät auf das Kind bezogen entwirft, benötigt die Nachfrage an Kinderbetreuung. Der
Entwurf einer Identität als Karrierefrau und Mutter benötigt wiederum das Angebot
133
Das Aktionsprogramm Kindertagespflege sieht zum Beispiel in einem Pilotprojekt den Querein-
stieg beziehungsweise berufsbereitende Weiterbildungen zu pädagogischen Fachkräften vor (vgl.
Schoyerer & Weimann-Sandig 2015).
Quo vadis Kindertagespflege? 345
der Kinderfrau. Das Geben und Nehmen verlangt wegen der Überantwortung der zu
versorgenden Kinder außerdem Vertrauen. Dieses Vertrauen ist Voraussetzung für
eine mögliche Allianz der beteiligten Frauen. Die beidseitige Abhängigkeit zwischen
den Care-leistenden Migrantinnen und Müttern der Mehrheitsgesellschaft lässt einen
Schulterschluss auf Basis dieser Einsicht langfristig notwendig erscheinen.134 In der
vorliegenden Studie hat sich gezeigt, wie Tageseltern in Deutschland im vorauseilen-
den Fürsorgebewusstsein eigenständig Kosten für alleinerziehende Mütter in prekä-
ren Lagen gesenkt und bei wohlhabenden Eltern entsprechend erhöht haben. Ande-
rerseits haben zufriedene Mütter durch Weiterempfehlungen gegenüber anderen
Eltern zum Erfolg der Tätigkeit und zum Abbau von ethnischen Vorurteilen beige-
tragen. Diese Handlungen verbleiben allerdings von individuellen und schicksalshaf-
ten Umständen bestimmt. Über policies und gewerkschaftliche Unterstützung könnte
die gegenseitige Abhängigkeit zu Rahmenbedingungen führen, die die private gegen-
seitige Anerkennung in gesellschaftliche Solidarität übersetzen und damit das verti-
kale Abhängigkeitsverhältnis modifizieren. Mit der Diversifizierung der Familien-
formen, der Auflockerung des Generationenvertrages und dem demografischen
Wandel gerät die Versorgung, vor allem der älteren Bevölkerung, ins Wanken. Dabei
nehmen die Tagespflegepersonen eine mehrfach konstituierende Funktion ein. Sie
gewährleisen den Modernisierungsprozess von Familie und Gesellschaft durch ihre
Dienstleistungen gesamtgesellschaftlich, aber auch privat. Den demografischen
Wandel gleichen sie sowohl über eine überdurchschnittlich hohe eigene Kinderzahl
aus, als auch durch das von ihnen umgesetzte Betreuungsangebot, was neue Fami-
liengründungen erleichtert. Policies können deshalb nicht nur die Solidarität zwi-
schen Care-Gebenden und Care-Nehmenden berühren, sondern auch die Solidarität
im Generationenverhältnis.
Einige der in dieser Arbeit betrachteten care policies begleiten die gesamtgesell-
schaftliche Problematik von Care im europäischen Wohlfahrtsstaat, indem sie die
moderne Arbeitsteilung unter Frauen stützen. Affinität zu Sorgearbeit, die von fami-
134
Siehe für eine Betrachtung von Möglichkeiten transnationaler feministischer Solidarität zwi-
schen inländischen Müttern und migrantischen Care-Arbeiterinnen auch meinen Aufsatz „Die
eine hilft der anderen – transnationaler Feminismus auf dem Care-Arbeitsmarkt“ (Glaeser
2014c).
346 Resümee und Diskussion der Befunde
ADORNO, Theodor W. (1958), „Der Essay als Form“, in: Theodor W. Adorno:
Noten zur Literatur, Bd. 1, Berlin u.a: Suhrkamp (Bibliothek Suhrkamp, 47), S. 9-49.
ALBOUY, V. & N. ROTH (2003), Les Aides publiques en direction des familles.
Ampleur et incidence sur les niveaux de vie, Rapport au Haut conseil de la population
et de la famille, Paris : HCPF.
ALGAVA, Élisabeth & Marie RUAULT (2003), « Les assitantes maternelles: une
profession en développement », in : DREES, Études et résultats, N° 232, Avril 2003.
ANANIAN, Sévane (2010), « L’activité des mères de jeunes enfants depuis la mise
en place du complément de libre choix d’activité », DRESS, Études et résultats, N°
726, Mai 2010.
ANDERSON, Bridget (2000), Doing the Dirty Work? The Global Politics of Domes-
tic Labour, London and New York: Zed Books.
APITZSCH, Ursula (2014b), „Care in Alltag, Biografie und Gesellschaft. Über die
Ent-Sorgung von Sorgearbeit und die unfertige Revolution im Geschlechterverhält-
nis“, in: Brigitte AULENBACHER, Birgit RIEGRAF & Hildegard THEOBALD
(Hg.), Sorge: Arbeit, Verhältnisse, Regime – Care: Work, Relations, Regimes, Sozia-
le Welt, Sonderband 20, Baden-Baden: Nomos, S.139-153.
APITZSCH, Ursula, Lena INOWLOCKI & Maria KONTOS (2008), “The method of
biographical policy evaluation”, in: Ursula APITZSCH & Maria KONTOS (Hg.),
Literaturverzeichnis 349
APITZSCH, Ursula (1995), „Frauen in der Migration“, in: Wiltrud GIESKE u.a.
(Hg.), Erwachsenenbildung als Frauenbildung, Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 104-
122.
ARMENGAUD, André ([1976] 1986), „Die Rolle der Demographie“, in: Fernand
BRAUDEL & Ernest LABROUSSE (Hg.), Wirtschaft und Gesellschaft in Frank-
reich im Zeitalter der Industrialisierung. 1789-1880, Bd 1, S. 126-173.
Klaus DÖRRE (Hg.), Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Be-
ginn des 21. Jahrhunderts, Frankfurt/New York: Campus, S. 65-77.
AUSTIN, John L. ([1955] 1962), How to do things with words, Cambridge, Massa-
chusetts: Harvard University Press.
AVRIL, C. (2007), S’approprier son travail au bas du salariat. Les aides à domicile
pour personnes âgées, Thèse de sociologie, EHESS (direction : O. Schwartz).
BALZAC, Honoré de ([1842] 1965), La femme de trente ans, Paris : Garnier Flam-
marion.
BECK, Ulrich (1986), Risikogesellschaft: auf dem Weg in eine andere Moderne,
Frankfurt am Main: Suhrkamp.
BECKER, Howard S. (1998), Tricks of the trade. How to think about your research
while you’re doing it, Chicago/London: The University of Chicago Press.
Literaturverzeichnis 351
BENHABIB, Seyla (1992), Situating the Self: Gender, Community and Postmodern-
ism in Contemporary Ethics, Cambridge, England: Polity Press.
BLANPAIN, Nathalie (2009), « Les dépenses pour la garde des jeunes enfants »,
DREES, Études et résultats, N° 695, Juin 2009.
352 Literaturverzeichnis
BLOCH, Françoise & Monique BUISSON (1998), La garde des enfants, une histoire
des femmes. Entre don, équité et rémunération, Paris : L’Harmattan.
BMSFSJ, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2012), „Zeit
für Familie. Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik“,
Achter Familienbericht;
‹http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/8.-
Familienbericht,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf›
(14.04.2016).
‹http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-
Anlagen/Europ_C3_A4ischer-Unternehmensmonitor-Familienfreundlichkeit-
deutsch,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf› (14.04.2016).
BOCK, Gisela & Barbara DUDEN (1976), „Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit. Zur
Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus“, in: Frauen und Wissenschaft, Berlin:
Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen, S. 118-199.
BUTLER, Judith (2000), Antigone’s Claim: Kinship Between Life & Death, New
York: Columbia Univ. Press.
BUTLER, Judith (1997), excitable speech. A politics of the performative, New York:
Routledge.
CARROLL, Lewis (Charles L. Dodgson) (1872), Through the Looking Glass, Ra-
leigh, NC: Hayes Barton Press.
CHEEVER, Susan (2003), “The Nanny Dilemma”, in: Barbara EHRENREICH &
Arlie Russel HOCHSCHILD (Hg.), Global Woman. Nannies, Maids, and Sex Work-
ers in the New Economy, New York: Holt Paperbacks, Metropolitan Books, 2003,S.
31-38.
DAUMAND, Adeline ([1976] 1986), „Der liberale Staat und der wirtschaftliche
Liberalismus“, in: Fernand BRAUDEL & Ernest LABROUSSE (Hg.), Wirtschaft
und Gesellschaft in Frankreich im Zeitalter der Industrialisierung 1789-1880, Bd. 1,
S. 110-125.
356 Literaturverzeichnis
DE GOUGES, Olympe ([1791] 2008), „Erklärung der Rechte der Frau und Bürge-
rin“, in: Ute GERHARD, POMMERENKE & Ulla WISCHERMANN (Hg.): Klassi-
kerinnen feministischer Theorie, Bd. 1 (1789-1919), Königstein im Taunus: Helmer.
DELCROIX, Catherine, Juan MATAS & Daniel BERTAUX (Hg.) (2014), Vers une
soicété du care ?, Université de Strasbourg : Revue des Sciences Sociales, N°52.
‹http://ceas.alsace.free.fr/ceas/pdf/forums/091012CR_Conf_FEC.pdf consulté le
18/08/11› (14.04.2016).
DE RIDDER, G & J. N. SALESSE (1989), « Celles qui travaillent et celles qui gar-
dent les enfants », in : Activité féminine – vie familiale, Recherches et Prévisions, N°
18-19, Décembre- mars.
DESTATIS (2013), „Familien mit minderjährigen Kindern 2011 nach Zahl der min-
derjährigen Kinder und nach der Familienform“, Wiesbaden: Statistisches Bundes-
amt;
‹https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Haushalt
eFamilien/Tabellen/FamilienKindern.html;jsessionid=ED001B7E73AB1FAD25952F
56B76A7049.cae2› (14.04.2016).
esbetreuung/begleitmaterial_PDF.pdf;jsessionid=B2148885A0E56A991462548ACB
975E81.cae4?__blob=publicationFile› (14.04.2016).
DESTATIS (2012c), „Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ergebnisse des Mikro-
zensus 2010“, Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.
ESPING-ANDERSEN, Gøsta (2002), “Towards the good society, again?”, in: Gøsta
ESPING-ANDERSON, Duncan GALLIE, Anton HEMERIJCK & John MYLES,
Why we need a New Welfare State, Oxford University Press, S. 1-26.
FAGNANI, Jeanne (2007), “Family policies in France and Germany. Sisters or dis-
tant cousins?”, Community, Work and Family, Vol. 10, No.1, S. 39-56.
FAGNANI, Jeanne (2005), “Family policies in France : old challenges, new ten-
sions”, CESifo DICE Report 02/2005; ‹https://www.cesifo-
group.de/pls/guestci/download/CESifo%20DICE%20Report%202005/CESifo%20DI
CE%20Report%202/2005/dicereport205-rm1.pdf› (14.04.2016).
FAGNANI, Jeanne & Marie-Thérèse LETABLIER (2005), “Social rights and care
responsibility in the French welfare state”, in: Birgit PFAU-EFFINGER & Birgit
GEISSLER, Care and social integration in European societies, Bristol: The Policy
Press, S. 135-152.
FAGNANI, Jeanne (2001), « Les Françaises font toujours plus d’enfants que les
Allemandes de l’Ouest », Recherches et prévisions, N° 64, S. 49-63.
FAGNANI, Jeanne (1998), “Helping mothers to combine paid and unpaid work – or
fighting unemployment ? The ambiguities of French family policy”, Community,
Work and Family, Vol. 1, No. 3, S. 297-312.
Literaturverzeichnis 361
FAGNANI, Jeanne (1996), « Retravailler après une longue interruption le cas des
mères ayant bénéficié de l’allocation parentale d’éducation », Revue française des
affaires sociales, 3, 1996, S. 129-152.
FRAISSE, Geneviève (2009), Service ou servitude. Essai sur les femmes toutes
mains, Éditions Le Bord de l’Eau (une première version de ce texte a été publiée en
1989 par les éditions du Seuil).
FRISCH, Max ([1964] 1998), Mein Name sei Gantenbein, Frankfurt am Main: Suhr-
kamp.
FUCHS, Tatjana, Falko TRISCHLER (2008), „Arbeitsqualität aus Sicht von Erziehe-
rinnen und Erziehern“, Ergebnisse aus der Erhebung zum DGB-Index Gute Arbeit,
INIFES, Stadtbergen, Jugendhilfe und Sozialarbeit.
GALBRAITH, John Kenneth (1973), “Economics and the public purpose”, Boston:
Houghton Mifflin Company.
GERHARD, Ute (2010), “Care und Citizenship”, in: Ursula APITZSCH &
SCHMIDBAUR, Marianne (Hg.), Care und Migration. Die Ent-Sorgung menschli-
cher Reproduktionsarbeit entlang von Geschlechter- und Armutsgrenzen, Opladen &
Farmington Hills: Barbara Budrich, S. 97-112.
GLAESER, Janina & Monika KUPCZYK (2015), “Caring for recognition – young
women on their way”, ZQF, 14. Jg., Heft 1-2/2014, S.115-130.
364 Literaturverzeichnis
GLAESER, Janina (2014c), „Die eine hilft der anderen – transnationaler Feminismus
auf dem Care-Arbeitsmarkt“, in: Yvonne FRANKE, Kati MOZYGEMBA, Kathleen
PÖGE, Bettina RITTER & Dagmar VENOHR (Hg.), Feminismen heue. Positionen
in Theorie und Praxis, Bielefeld: transcript, S. 191-202.
GLASER, Barney & Anselm STRAUSS (1967), The Discovery of Grounded Theory:
Strategies for Qualitative Research, Chicago: Aldine.
GLASER, Barney (1978), Theoretical Sensitivity, Mill Valley, CA: Sociology Press.
GOFFMAN, Erving (1959), The presentation of self in everyday life, New York:
Anchor Books, a Division of Random House.
HAN, Petrus (2005), Soziologie der Migration, Stuttgart: Lucius & Lucius UTB.
HAREVEN, Tamara K. & Kanju MASAOKA (1988), “Turning points and transi-
tions: perceptions of the life course”, Journal of Family History, Jan 1, 13/3.
HEGEL, G.W.F (1979) [1812-1816]: Werke. Auf der Grundlage der Werke von
1832-1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Mi-
chel, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1979 (Theorie-Werkausgabe). Bd. 5.
366 Literaturverzeichnis
HIRATA, Helena (2011), « Le travail du care pour les personnes âgées a Ja-
pon. », Informations sociales, 6/2011, N° 168), S. 116-122 ; ‹www.cairn.info/revue-
informations-sociales-2011-6-page-116.htm› (14.04.2016).
HOCHSCHILD, Arlie Russel (2010), “The Back Stage of a Global Free Market.
Nannies and Surrogates“, in: APITZSCH, Ursula & SCHMIDBAUR, Marianne
(Hg.), Care und Migration. Die Ent-Sorgung menschlicher Reproduktionsarbeit
Literaturverzeichnis 367
entlang von Geschlechter- und Armutsgrenzen, Opladen & Farmington Hills: Barba-
ra Budrich, S. 23-39.
HOCHSCHILD, Arlie Russel (1997), The time bind. When work becomes home and
home becomes work, New York: Metropolitan Books, Henry Holt and Company.
M. SEEBERG, I. LEVIN & C. LENZ (Hg.): Holocaust as active memory: the past in
the present. Farnham, S. 29-43.
INOWLOCKI, Lena (1999), „Wenn Tradition auf einmal mehr bedeutet: Einige
Beobachtungen zu biographischen Prozessen der Auseinandersetzung mit Religion“,
in: Ursula APITZSCH (Hg.), Migration und Traditionsbildung, Opladen/Wiesbaden:
Westdeutscher Verlag.
INSEE (2012), « Hommes, femmes : à chacun son métier », Info web, n°84/2012,
‹http://www.insee.fr/fr/themes/document.asp?reg_id=16&ref_id=18349›
(14.04.2016).
KILKEY, Majella & Diane PERRONS (2010), “Gendered Divisions iin Domestic
Work Time. The rise of the (migrant) handyman phenomenon”, Time & Society, July
2010, Vol. 19, No. 2, S. 239-264.
KOHLI, Martin (1981), “Biography. Account, text, method.”, in: Daniel BERTAUX
(ed.), Biography and Society, The Life History Approach in the Social Sciences,
SAGE, S. 61-75.
KONTOS, Maria (2000), „Bildungsprozesse, Abbrüche und die Motivation zur Selb-
ständigkeit. Überlegungen zum Konzept biographischer Ressourcen“, Hessische
Blätter für Volksbildung, 1, S. 44 – 57.
KRUSE, Jan & Christian SCHMIEDER (2012), „In fremden Gewässern“, in: KRU-
SE, Jan, Stephanie BETHMANN, Debora NIERMANN & Christian SCHMIEDER
(Hg), Qualitative Interviewforschung in und mit fremden Sprachen. Eine Einführung
in Theorie und Praxis, Weinheim und Basel: Belz Juventa.
Literaturverzeichnis 371
‹http://www.ipss.go.jp/webj-ad/webjournal.files/population/2003_6/9.Letablier.pdf›
(14.04.2016).
LEWIS, Jane (2003), „Auf dem Weg zur ‚Zwei-Erwerbstätigen‘-Familie“, in: Sigrid
LEITNER, Ilona OSTNER & Margit SCHRATZENSTALLER (Hg.), Wohlfahrts-
staat und Geschlechterverhältnis im Umbruch. Was kommt nach dem
Ernährermodell?, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 62-84.
LEWIS, Jane & Ilona OSTNER (1994), “Gender and the evolution of European
social policies”, ZeS-Arbeitspapier 1994/4, Bremen : [s.n.].
LORENZER, Alfred (2002), Die Sprache, der Sinn, das Unbewußte. Psychoanalyti-
sches Grundverständnis und Neurowissenschaften. Stuttgart: Klett-Cotta.
LUCI, Angela (2011), Frauen auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland und Frankreich.
Warum es Französinnen besser gelingt, Familie und Beruf zu vereinbaren, Friedrich-
Ebert-Stiftung, Internationale Politikanalyse, Berlin.
LUTZ, Helma, unter Mitarbeit von Susanne SCHWALGIN (2008), Vom Weltmarkt
in den Privathaushalt. Die neuen Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung,
Opladen & Farmington Hills: Barbara Budrich.
MAKI, Yoko (2014), « Quelles formes prend l’accueil par les assistantes maternelles
en France? », Espace des Femmes, no 31 [Article en japonais].
MANNHEIM, Karl (1964), „Das Problem der Generationen“, in: Ders.: Wissenssozi-
ologie, Fürstenberg: Luchterhand Verlag, S. 509-565.
MARICAL, Fancois (2007), « Réduire son activité pour garder son enfant: les effets
de la PAJE », Recherches et Prévisions, 88, S. 21-33.
MARSHALL, T.H. ([1950] 1977), Class, Citizenship and Social Development, Es-
says by T. H. Marshall, Chicago and London: The University of Chicago Press.
MARTIN, Claude (2008), « Qu’est-ce que le social care? Une revue de questions »,
Revue Française de Socio-Économie 2008/2, n°2, S. 27-42.
MARTÍNEZ, Matías & Michael SCHEFFEL (2010): Klassiker der modernen Litera-
turtheorie. Von Sigmund Freud bis Judith Butler, München: Verlag C. H. Beck.
MERCKLING, Odile (2003), Emploi, migration et genre. Des années 1950 aux
années 1990, Paris : L’Harmattan, Logiques sociales.
374 Literaturverzeichnis
MOZÈRE, Liane (2000), « Les difficultés des assistantes maternelles étrangères face
au chômage. Quelques indications concernant leur usage de la langue », in: Jules
FALQUET, Annette GOLDBERG-SALINAS & Claude ZAISMAN (Hg.), Femmes
en migrations. Cahiers du Cedref, n° 8/9, S. 141-165.
MULDER, Marianne (1989), Au pair in Europa, USA, Kanada und Israel. Cornel-
sen.
NAPOLES, Juliane Noack & Helza Ricarte LANZ (2015), „Lebensweg zu und Mo-
tive bei der Entscheidung, in der Kindertagespflege tätig zu sein –explorative empiri-
sche Befunde“, ZfW, 38: 71-82.
376 Literaturverzeichnis
PABST, Christopher; Gabriel SCHOYERER (2015), Wie entwickelt sich die Kinder-
tagespflege in Deutschland?, Empirische Befunde und Analysen aus der wissen-
schaftlichen Begleitung des Aktionsprogramms Kindertagespflege, Weinheim/Basel:
Beltz Juventa.
PIOT, Franck (2013), « Travailler pour des particuliers: essor des métiers de la garde
d’enfants », Insee première, n°1472, novembre 2013.
PRIES, Ludger (2008), „Zum Verhältnis von Sozialraum und Flächenraum“, in:
Ludger PRIES, Die Transnationalisierung der sozialen Welt: Sozialräume jenseits
von Nationalgesellschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 77-117.
REQUATE, Jörg (2011), „Frankreich seit 1945“, in: Thomas MERGEL (Hg.), Euro-
päische Zeitgeschichte, Bd. 4., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, UTB.
RIEDEL, Birgit (2007): „Zwischen Beruf und Leihoma – zum aktuellen Profil der
Kindertagespflege“, in KOMDAT Jugendhilfe, Jg. 10, H. 10, Juni 2007.
RISMAN, Barbara (2004), “Gender as a social structure: theory wrestling with activ-
ism”, Gender & Society, 18 (4) (2004), S. 248-257.
ROUSSEAU, Jean-Jacques ([1762] 1971), Emile oder über die Erziehung, Schö-
ningh: UTB.
SASSEN, Saskia (2003), “Global Cities and Survival Circuits”, in: Barbara
EHRENREICH & Arlie Russel HOCHSCHILD (Hg.), Global Woman. Nannies,
Maids, and Sex Workers in the New Economy, New York: Holt Paperbacks, Metro-
politan Books, S. 254-274.
SCHMIDT, Dorothea (2002), „Eine Welt für sich? Dienstmädchen um 1900 und die
widersprüchliche Modernisierung weiblicher Erwerbsarbeit“, in: Claudia GATHER,
Birgit GEISSLER & Maria S. RERRICH (Hg.), Weltmarkt Privathaushalt. Bezahlte
Hausarbeit im globalen Wandel, Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 204-222.
SCRINZI, Francesca (2004), « ‹Ma culture dans laquelle elle travaille›. Les mi-
grantes dans les services domestiques en Italie et en France », Les Cahiers du CE-
DREF, Genre, travail et migration en Europe, 12/2004.
TAYLOR, Charles (1989), Sources of the Self : The Making of the Modern Identity,
Cambridge, Massachusetts: Harvard University Press.
TRONTO, Joan C. (2008), „Feminist Ethics, Care and Citizenship“, in: Hans-Günther
HOMFELDT, Wolfgang SCHRÖER, Cornelia SCHWEPPE (Hg.), Soziale Arbeit und
Transnationalität. Herausforderungen eines spannungsreichen Bezugs, Weinheim –
München: Beltz, S. 185-202.
WEINKOPF, Claudia (2002), „‘Es geht auch anders‘ - Reguläre Beschäftigung durch
Dienstleisungspools“, In: Claudia GATHER, Birgit GEISSLER und Maria S. RER-
RICH (Hg.), Weltmarkt Privathaushalt. Bezahlte Haushaltsarbeit im globalen Wan-
del, Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 154–166.
WERSIG, Maria (2013), Der lange Schatten der Hausfrauenehe. Zur Reformresis-
tenz des Ehegattensplittings, Opladen: Barbara Budrich.
WIEMERT, Heike & Stefan HEEG, unter Mitarbeit von Martina HEITKÖTTER
(2012), Kindertagespflege – Tätigkeitsfeld und Betreuungsform mit Potential. Ansät-
ze einer qualitätsorientierten Weiterentwicklung, München/Bielefeld: Deutsches
Jugendinstitut e.V.
WIEMERT, Heike (2009), Tagesmutter als Beruf : eine Untersuchung über die pre-
käre Anerkennung der Kindertagespflege als Beschäftigungsfeld und das Arbeits-
384 Literaturverzeichnis
WINKLER, Gabriele & Nina DEGELE (2009), Intersektionalität. Zur Analyse sozia-
ler Ungleichheiten, Bielefeld: transcript.
WINKLER, Gabriele (2008), „Neoliberale Regulierung von Care Work und deren
demografische Mystifikationen“, Älterwerden Neu Denken, S. 47-62.
ZETKIN, Clara ([1896] 2008), „Nur mit der proletarischen Frau wird der Sozialis-
mus siegen!“, in: Ute GERHARD, Petra POMMERENKE & Ulla WISCHERMANN
(Hg.), Klassikerinnen feministischer Theorie, Bd. I (1789-1919), Königstein/Taunus:
Ulrike Helmer Verlag, S. 189-200.
Literaturverzeichnis 385
BZ, Badische Zeitung, „Bei der Elternzeit gilt Deutschland als Vorbild“;
‹http://www.badische-zeitung.de/kommentare-1/bei-der-elternzeit-gilt-deutschland-
als-vorbild--78821694.html› (14.04.2016).
BETREUT.DE: ‹https://www.betreut.de/kinderbetreuung-natasav-berlin/3754981›
(14.04.2016).
BPB, Bundeszentrale für politische Bildung (2007), „Die Novellierung des Zuwande-
rungsgesetzes 2007“; ‹http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-
migration/56350/zuwanderungsgesetz-2007› (14.04.2016).
386 Literaturverzeichnis
DIE ZEIT (2014), „CSU schwächt Sprachvorgabe für Migranten ab“, 8. Dezember
2014; ‹http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-12/csu-deutsch-sprechen-
leitantrag-parteitag-bayern› (14.04.2016).
EUROSTAT: ‹http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/statistics/themes›
(14.04.2016).
EUROSTAT, „Arbeitslosenquote“;
‹http://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&language=de&pcode=te
ilm020&plugin=1› (14.04.2016).
MINIJOB-ZENTRALE:
‹https://www.minijobzentrale.de/DE/0_Home/03_mj_in_privathaushalten/08_an_und
_abmeldung/10_haushaltsnahe_taetigkeiten/node.html› (14.04.2016).
SERVICE-PUBLIC.FR : ‹http://vosdroits.service-
public.fr/particuliers/F12812.xhtml› (14.4.2016).
.. kurze Pause
… mittlere Pause
…. Lange Pause
Da- Wortabbruch