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Acht

von Moritz Klenk

Zählt nicht nicht nur das Zählen, zählt nicht auch das
Wort, der Signifikant?

Ich schreibe sie, die Acht. Als 8, als acht, als Acht...
und höre sie, das Kratzen der Feder auf dem Papier, die
Bewegung der Hand, die den Stift führt; höre sie, wie ich
sie leise mitspreche, ganz leise zu mir [axt], die
Bewegung der Zunge, gewölbt zum Rachen hin die Bewegung
zur Zungenspitze, wie sie fast an meinen Zähnen schnippt,
wie die Laute verfliessen zur homophonen Homonymie, wie
sie kratzt, die [axt]/8/Acht in der Kehle und auf dem
Papier.

Sie spricht zu mir, wie ich sie spreche. Im Zählen bringt


der Körper, die »Rauheit der Stimme« (Barthes 2015) den
Überschuss des Sinns der Sinnlichkeit im Spiel der
Signifikanten hervor, unwillkürlich. Die 8 zählt nicht,
sie erzählt.

Die Acht, als Aufmerksamkeit, Bedeutung »heute


vornehmlich in Wendungen wie (sich) in acht nehmen,
ausser acht lassen, achtgeben, achthaben« (Pfeifer 1993),
ist in ihrem substantiven Charakter (ihrer Substanz?)
verblasst (vgl. ebd.).

Sie flüstert nur noch, von ihren Vorfahren ahta (Ahd.),


der Überlegung, der Meinung, erinnert nur noch zart an
ihre Wurzeln denken, meinen. Wie schön, denke ich, dass
das Etymologische Wörterbuch nach Wolfgang Pfeifer hier
von einem Verblassen spricht... vorsichtig richtet sich
die Aufmerksamkeit auf jenes Verschwinden und spürt der
Spur der Signifikanten nach, tastet nach den Rillen im
Palimpsest...

»Ob sich die germ. Gruppe mit aussergerm. Formen wie


griech. óknos (ὄκνος) ›Bedenklichkeit, Zaudern‹, okné͞ in
(ὀκνεῖν) ›zögern, Bedenken tragen‹, toch. B āks- ›wach
sein‹ verbinden und der Wurzel ie. *ok- ›überlegen‹
zuordnen lässt, ist nicht mit Sicherheit zu erweisen
[Hervorhebung M.K.].« (Pfeifer 1993)

Pfeifer zögert, die Sicherheit der Verbindung zum Zögern


ist nicht mit Sicherheit zu erweisen. Bedenklich, denke
ich, die Acht als jenes Zaudern, frage mich, wer hält
mich ab, diese Ungewissheit zur Gewissheit zu machen,
wäre sie doch Gewissheit des Zögerns (also eine immer
verblassende). Die Acht wacht darüber, das Denken als
Zögern, als Zaudern zu bewahren,... ich folge den
Schleifen der Feder, Schwung um Bogen, wie sie wie um
zwei Pole kreist, ruhelos, ohne sich festzulegen...

»Im Zaudern verdichtet sich ein kritisches, krisenhaftes


von Tat und Hemmung, Gesetz und Vollzug; und dabei wird
zwangsläufig der Boden aufgewühlt, auf dem sich überhaupt
eine Welt, ein Weltverhältnis konstituiert.« (Vogl 2014,
33f.)
Siehst du die zwei Pole? Tat und Hemmung, Gesetz und
Vollzug, der Boden aufgewühlt, vielleicht sä(h)e ich hier
den Samen eines vorsichtigen Gedankens, - das Seminar -
doch zögere ich...

Im so lauten Sprechen von der Mode gewordenen


›Achtsamkeit‹ als sehnsuchtsvoller Ausdruck nach
verlorener Stille vielleicht, ist dieses Zögern, die
Verschiebung, die Ruhelosigkeit, die Bewegung der
Abstossung von jenen Extremen in belangloser Wellness-
Ideologie vergessen, verschluckt; zu schnell verstanden
stirbt die angehaltene Bewegung, diese Spannung des
Zauderns, durch die Vernichtung der Bewegung in der
Gewissheit. Die Acht steckt mir ärgerlich im Hals, macht
mich räuspern, kratzt beim Aussprechen wie beim
Schlucken. Gut so, denke ich.
Die Schleifen zwischen Tat und Hemmung, ist es nicht
diese Dialektik der Bewegung des Denkens, die mich das
Spiel der Zeichen lehrt? Erachten als ein »Wofür Halten,
Ansehen« setzt den Distanzgewinn, die Abstossung voraus.
Im Moment des Ergreifens (oder Ergriffenwerdens?) zwingt
mich der Signifikant zur Unterbrechung, ich verliere mich
in der »Lust am Text«.

»Weder die Kultur noch ihre Zerstörung sind erotisch;


erst die Kluft zwischen beiden wird es (...) aber nicht
die Gewalt imponiert der Lust; die Zerstörung
interessiert sie nicht; was sie will, ist ein Ort des
Sichverlierens, der Riss, der Bruch, die Deflation, das
fading, das das Subjekt mitten in der Wollust
ergreift« (Barthes 2006, 13f.)

Sichverlieren, verblassen, der Riss, das Denken als


Abstand nehmen zeigt sich als jene kreisende Bewegung um
zwei sich abstossende Pole. Die Acht ist jenes Zögern,
welches ein echtes (Schwiizerdiitsch: »ächt«) Ansehen als
denkendes Erkennen ermöglicht. Die Acht ist damit
zugleich Unterbrechung und Bewegung, Unterbrechung einer
Bewegung, nicht ihre Vernichtung; ein Anhalten, das
Aushalten der Spannung und die erzwungene
Ausweichbewegung und Fluchtversuche, angezogen und
abgestossen zugleich - Achtung und die Schleifen der Acht
werden in der Zeit entfaltet, verlaufen zu Schlaufen,
verlieren sich zur Spur.

So flüstert die Acht zu mir, und ich zu ihr, im Dunkeln


der Nacht, die die Sinne schärft, schon müde, doch noch
wach, im kratzenden Tasten der Bewegung, und dem Lauschen
auf das Rauschen der Sprache.

Literatur

Barthes, Roland. 2006. Die Lust am Text. Bibliothek


Suhrkamp 378. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Barthes, Roland. 2015. Die Rauheit der Stimme. In: Der


entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays
III, übers. von Dieter Hornig, 269–278. 9. Auflage.
edition suhrkamp 1367. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Pfeifer, Wolfgang et al., 1993. Acht. In: Etymologisches
Wörterbuch des Deutschen in der digitalisierten und von
Wolfgang Pfeifer überarbeiteten Version im Digitalen
Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin: Berlin-
Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. https://
www.dwds.de/wb/Achtung (zugegriffen: 30. November 2021).

Vogl, Joseph. 2014. Über das Zaudern. Neuaufl.


TransPositionen. Zürich: Diaphanes.

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