pr. Rudolf Steinee,
it
Stuttgart, 18, Jaitar 1907
(Nach Notizen von Frau Alice Kinkel, Stuttgart).
Heute soll os meine Aufgabe sein im Sinne der Geisteswissen-
schaft Ihnen tiver den Ursprung des Bésen zu sprechen. Die Tatsache
des Bésen und sein Vorhandensein in der Welt steht ja wie cine
grofe Bitselfrage des Lebens mitten in unserem Dasein darinnen.
Und derjenige, welcher die menschliche Hatwickelung durchdrungen
sich denkt von géttlicter Macht, gittlicher Figung, der wirft sich
die Frage auf, wie ist es méglich, daB das Géttliche das Bise cu-
ast? Und diejenigen, dic das @ttliche leugien, fiir sie ist das
Dasein des Bésen leicht mit einer der Grimde gu solcher Leugaung.
Sie sagen: Wie kann man sich eine solche Welt, wo das Bése so in
den verschiedensten Gestalten herrscht und sich breit macht, unter
g¥8ttlicher Leitung denken? Jodenfalle stellt sich diese Frage des
Bésen ratselvoll beunrubigend in wiser Leben hineine
Seit Menschengedenken ist die Frage nach dem Grande und
Ureprung des Bésen eine wichtige Frage. So wollen wir uns heute
besch’ftigen mit der Tatsache des Bésen; und es soll gesagt werden
‘und aufmerksan gemacht werden suf einzelne Lisungspunkte.) a i were
Dabei missen wir sae vor allem érimern an Jakob Bolme, der in
seinen Schriften sumer wieder die Frage autwirst: "Wie komt das
Bise in die Welt nd weteno Stellung nimt a“ in der Mensohheits-
| entwickelung ein?" EB
machen. Fir Bole ist das Bése das, was | die Finsternis secoealig
dem Lichte ist. Bétme sagt: Den Lichte dy sanll verdanken die
Wesen ihr Dasein; das Licht ist der Erhalter, der Schipfer des
Daseins in der Welt. rst durch die Finsternis wird das Licht er-
kannt und Licht ist nur vorhanden mit Finsternis gemischt. Fra-
gen wir nach dem Grunde der Finsternis oder suchen wir gar das
Licht mit der Finsternis gu erkléren, so kommen wir auf die Ent-
sprechung von Ungrund gegentiber dem Urgrund.
Will das Licht erscheinen, dann mu es das, das aus keinen
Grunde da ist und doch dem Lichte sich entgegenstellt, vertreiben, .
iiberwinden; der géttliche Urgrund des Daseins, das Gute hebt sich
von selbst dabei hereus. Er ist gut; er ist das lautere Gute;
aber das Licht dringt ein in den Ungrund des Bisen, um sich voll
entfalten su kémnen. Das ist eine Begriffserklirung, die licht-
Voll erscheint fir unser Begriffsvermégen.
In der Heuseit scheint die Frage von Gut und Bise wieder
@ine Rolle zu spielen, z. B. bei dem, der viele, viele beeindruckt
hat, bei Nietzsche. Sie alle kennen das Buch: "Jenseits von Gut
und Bise". Der neuzeitliche Philosoph Mietzsche stellt gut und
Schlecht, nicht gut und bise einander gegentiber. Mr sagt, wir
‘rauchen uns um den Ureprung des Bésen gar nicht zu kimmern; wir
unterscheiden Schwache und Starke, Willensstarke. Sie herrschen,5
die Willensstarken; sie wollen sich selbst, ihre Ideen durchsetzen
und das muS naturgemiS zum Kampfe mit den Schwachen, mu ihrer
Unterdriickung fiihren. Die Herrschenden betrachten sich als die
Guten. Die Bedriickten denken ganz anders dariiber. Sie empfinden,
@a8 das, was die Herrschenden tun, ihnen, den Schwachen, gum Hach-
teil ist. Da sie die Schwachen sind, kommen sie zu dem Schlug,
@a8 es noch ein Gutes gibt, das nicht verwirklicht ist. Sie sehen
das, was die Starken tun, als bise an. Da ist nun der Ursprung
des Gedanken-Widerspruchs der Schwachen und der Starken. Hieraus
flieBt das, was man Sklaven-Moral nennt. p Imgrunde haben die, die
tiefer gedacht haben, die Stellung za Gut und Bose immer relativ
genoumen; wir brauchen hier blo8 an Goethe zu denken, wenn er sagt:
“ach, wenn die Menschen nur nicht immer gleich sprechen wiirden,
das ist gut und das ist bése, sondern eingehen wiirden auf die 7
Triebkraft ihrer Handlungen."
In seinem "Faust" hat Goethe den Kampf zwischen Gut und Biése in
der Menschheit geschildert. In seiner Jugend hat Goethe in seiner
Faust-anlage diese gewaltigen Gegensitze noch nicht so herausgear—
beitet. In der jetzigen Fassung aber tritt bei Goethe und
seinen Faust schon im "Prolog im Himmel" das Charakteristische
éavon im Auftreten der guten Macht und des Mephistopheles hervor.
Goethe hat das tief Binschneidende von Gut und Bise im Menschen ge-
schickt empfunden; im Faust sucht er dieses Obere der Gefiihle su
ergriinden.
Unsere Aufgabe ict es heute nach der neuen Geistesforschung
Oder Theosophie, die Tatsache des Ursprungs von Gut und Bose su
ergrimden. Wir miissen in der Tat dazu weit curiickgehen in der
Menschheitsentwickelung. Die Bibel geht dabei auch sehr weit,4
fast bis in den Ureprung des Menschen gurtick. Hine der wanderbar-
sten und gruSten Allegorien tiber dieses Thema ist der "Stindenfall"
selbst fiir die, die nicht an die Tatsache glauben. Die Schlange
ist der Verfithrer der Menschen, die im Anfange nur zum Guten ge-
schaffen waren. Zrst durch eine Tat des freien Willens des Men-
chen ist der Unterschied von Gut und Bése gedacht. Die Tiere
tun viel Furchtbareres, als das ist, was wir bése bei den Menschen
nennen; wem wiirde es “aver einfallen, von einen bésen Mer in diesem
Simne au sprechen. Das Tier folgt bei seinen Taten einem ihm ein-
gepflanzten Gesetz, und da hat es keinen Sima, von Gut und Bise zu
sprechen; das ist nur beim Menschen der Fall. Die Geisteswissen-
schaft mS bei dieser Frage surtickgehen bis zu dem Punkte, wo der
Mensch als die Krone in unserem Erdenplaneten erscheint. Warum
konnen wir beim Tier von Bése nicht sprechen? Das Tier hat auch
awar eine Seele, aber keine Individualseele, sondern eine Gruppen-
seele. Was ist eine Gruppenseele? Was beim Tier eine ganze Gruppe
det, das hat der Mensch fiir sich allein. Zum Verstindnis brauchen
wir uns nur die eine Tatsache vor Augen zu fihren, daS der Mensch
eine Biographie hat, das Tier nicht.
Jeder Mensch, ohne Ausnahme, hat fur uns ein biographisches
Interesse und wir wissen, da® es keinen zweiten tm mit der ganz
gleichen Biographie gibt. Beim Tier ist es in gleichem Mage nur
die ganze Gattung und Art, die uns interessiert. Wie alle Lowen
msamen, so interessiert wns der einzelne Mensch. Dic Seele
existiert fir eine ganze tierische Art gemeinsam. Der Mensch ist
erst aufgestiegen von einer Gruppenseele mu einer individuellen,
Der Mengoh steht mitten in dieser Hatwickelung darinnen. Wooh
Menschen gegentiber, die als @lied des Stammes erscheinen08
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Je inhaltsreicher aber das Leben der Seele wird, je weniger
dist diese Seele Gattungs-Seele, je mehr sie ihr eigenes Geprige
annimmt in Gebirden und Supfindungen. So ist der Mensch selbst
meist hineingestellt awischen Gruppenseele und Individualseele; und
gehen wir in die Zukunft, so wird er iumer mehr individuelle, und
in der Vergangenheit immer mehr Gattungsseele.
Bis zuriick sum Anfang der Extwickelung des Menschen missen
wir gehen. Wenn wir den Menschen guriickverfolgen, so gehen wir
@ie Zeiten aurick, die wir die geschichtlichen nennen. Die ge-
achichtlichen Zeiten schlieSen wir mit der fimften Hauptrasse und
deren verschiedenen finf Unterrassen.
Betrachten wir die indischen Veden; wir almen da eine gewal-
tige Kultur, die selbst Max Miller, ein ganz niichterner Forscher,
anerkemt. Bis dahin also gehen die geschichtlichen Zeiten. Von
Giesen geht die Geisteswissenschaft zurtick m den vorgeschichtli-
chen Zeiten. Die Methoden, wie man so gurtickgeht durch die Aus—
pilaumg der inneren Sinne, finden Sie naher ausgefthrt in moiner
Zeitschrift “Luzifer-Gnosis". Die Theosophie nimmt an, dag swi-
chen Amerika, Afrika und Buropa einst sich ein gewaltiger Konti-
nent befunden hat, die Atlontis, der durch Naturkatastrophen unter-
gegangen ist und von dem heute nur noch kleine Inselspitzen tibrig
geblieben sind. “Heute fungt die moderne Naturwissenschaft an,
@ies zu bestiitigen. Sie kimnen im "Koumos" (Zeitechrift) tiber die
Atlantis lesen. Die Geisteswissenschaft hat immer von der Atlantis
gesprochen. Die dortigen Lebensvorhiltnisse waren vollstindig
andere; die Atmosphire war wie wallende Hebelmassen, daher "#ibel~
heim". ‘In-den Volkssagen ist wus dieses Webelheim noch aufbewahrt,
Das war damals noch ein uraltes Menschengeschlecht; den Ursprungges irdischen Menschen aber haben wir noch weiter guriick, in Lem
rien m suchen, einem Kontinent, der im heutigen indischen Ozean
gelegen war. Dort finden wir die ereten so gearteten Menschen,
wie der heutige Mensch ist.
Wie stellt sich nun die Geisteswissenschaft diesen Menschen-
Urspronmg vor? Fir die Geisteswissenschaft stammt der Mensch nicht
urspriinglich von einen materiellen Wesen ab, sondern das Geistige
ist das Erete. Der physische Kérper war damals noch sehr unvoll-
konmen. Die Geisteswissenschaft steht auf dem Stendpunkte, daS
der slemrigche Mensch iuBerlich sehr unvollkommen war, aber nie~
mals vom Affen abgestammt hat, sondern umgekehrt; er hat die Affen
auf niederer Stufe zuriickgelassen.
Die Organisation des physischen Menschen stand damale auf der
Hohe der reptiliechen Organisation, und seine Seele wohnte noch
auBerhalb seines Leibes. Heute hat sie der wachende Mensch in sei-
nea Leibe; beim Schlafenden, der nicht durch die Tore der Sinne
wahrnimot, da wei die Geisteawissenschaft, @a8 seine Seele auser-
bald seines Leibes ist. Der Hellseher sieht don Astralleib und
desdén Arbeit am physisohen Leib in der Nacht. Je weiter wir nun
suriickgehon, sehen wir, wie der astralische Leib tutig ist am phy-
Sischen. Pir die Geisteswissenschaft ist némlich der geistige
Leib der Schaffénde fiir den physischen. In Lemurien sehen wir den
Dhysigchen Menschen noch unschwebt von dem tatigen Astralleib.
Der astralische Leib oder die Seele hat niimlich den physischen
Leib geschaffen; er ist der Sdhipfer desselben, und der Zeitpunkt
ist der wichtige, wo diese Seele. ganz augerhalb des Leibes war,
wo sie, nachdem sie ihn vollkomen gasacht hat, diese Seele nan
yon rein sugerlicher Tétigkeit mach innen tbergeht und sum Ichwird. Bin wichtiger Moment, wie in der lewurischen Zeit die Mensch-
werdung vor sich geht. Gro8, gewaltig und sinnvoll ist das auege-
driickt, wo die Bibel sagt: "Und Gott blies dem Menschen den Odem
ein; und er ward eine lebendige Seele". Damit ist der Moment an~
gedeutet, wo die Gruppenseele sur Individualseele beim Menschen
wird, der Zeitpmnkt des Binziehens des Astralleibes in den physi-
schen Leib. Als Gruppenseele weilte sie in der geistigen Welt;
der religitse Ausdruck dafiir wire: solange die Seele rukte im
SchoSe der Gottheit, war sie Gruppensesle. Beispiel daftir: die
Finger der Hand; sie sind Glieder, Organe; sie stehen genau zum
physischen Leib in dem Verhiiltnis, wie die Seele war vor ihrem Sin-
mag in den physischen Leib, also als Gruppenseele. Sie war ein
Glied in dem groSen Wesen, das-man nun Gott oder Allgeist nennen
mag. In diesen Seelen war es die Gottheit, die handelte. Bei~
spiel: Wasser und Schwimmchen, die mit Wasser sich fillen. Mit
dem Einziehen in den physischen Leib warden diese Seelen zu ein-
zelnen Tropfen yon Wasser.
So entreist in der Matwickelung gleichsam der physieche Leib
demMesttlichen dite Seele, und was hat das zur Folge? Vorher fuhlt
und handelt sie nicht selbstindig, sondern wie das Gdttliche es
thr eingibt. Dieses Gdttlighe ist ein Toil der gomeinsamen gtt—
lichen Substan# Alle Seelen wagten dsher etwas voneinander; sic
batten ein gemeincemes BewuStsein; dieses hérte nun auf. Die in-
dividuelle Existenz beginnt nun. Vorher war das géttliche Gesetz
ihr Dirigent, jetzt nicht mehr. Und damit beginnt nun der Agois-
mus, die Selbsteucht eine Rolle zu spielen. Gottes Wille war vor-
her der Wille der eigenen Seele; jetzt muste sie zum eigenen Wil-
len, sur Selbstsucht koumen. Wun mufte sie zu der Geburt derSelvstsucht kamen, mit ihr gugleich die Gevurt des IchbewuSteeins.
Die Ablisung der Weltordnung der Weisheit durch die Weltordnung
der Liebe trat jetzt ein, so nannte es die Geisteewiesenschaft
aller Zeiten. Die Idebe und der Egoismus war vorher nicht da.
Die Liebe verlangt, daB Selbstindiges zu Selbstindigem
tritt, daS freie Hingabe gegeben wird. Beispiel dafir, daS Liebe
yorher unmglich war: meine rechte Hand kann meine linke Hand nicht
lieben. - Jetzt trat also die Liebe in die Welt und zwar in ihrer
untergeordnetsten Form, in der geschlechtlichen liebe. Da erséhlt
nun die Geisteswissenschaft, das war auch der Zeitpunkt der Tren-
nung der Geschlechter. Mit der physischen Menschwerdung treten
sie gugleich mit der Differensierung als miinnlich und weiblich auf;
und domit ist der crate Antrieb gegeben, die erste Kraft fir den
Leib za verwerten. So haben wir swei Bpochen: die cine ganz be-
herrscht von der Weisheit, die zweite ganz beherrscht von der Ent-
wickelung der Idebs, den hiheren und den niederen Menschen. Der
Leib war damals niederer, die Seele hiher entwickelt.
Auf der heutigen Stufe hat die Seele lange nicht die
Vollkomenheit, die der physische Leib ale solcher hat. Spiter
wird sich die Seele im selben Mafe entwickeln. Beispicl fiir die
wunderbare vollkommone Beschaffenheit des physischen Leibes: der
Overschenkelkno@ien, der mit kleinstew Materialaufwand eine solche
‘Tragkraft entwickelt, wie sie der genialste Ingenieur nicht aussu~
donken vermag. Der Geistesforscher weif, daS dieser Leib der Aus~
@ruck der géttlichen Weisheit ist. Beiepiel: Betrachtung des
Hergeng. - VerkSrperte Weisheit ist der phyeische Leib des Menschen,
Wenn wir dagegen die in der Zukunft weit den physischen Leib an
Vollkommenheit iibertreffende Seele ansehen, So ist sie jetzt sehrunvollkommen. Die Seele ist die Verfihrerin 2u alledem, was die
Taten des Menschen sind, nicht der physische Leib. Die Seele
feblt, siimdigt, verirrt sich im Leibe. In seiner Art und Vollkom-
menheit stent heute der Leib héher ale die Seele. Zu dieser Voll-
koumenheit war der Menschenleib damals, als er von der Seele bezo-
gen wurde, schon veranlagt. Heute ist dieser Binzug der Seele noch
nicht ganz vollzogen. So viel an ihr Gruppenseele ist, das hat
der‘physische Leid aufgebaut. Der Teil, der eingezogen ist in den
Leib, muS das noch durchmachen. 4s gibt keine andere Art cur Bat-
wickelung fiir den Menschen, als das Durchgehen durch den physischen
Leib. “Biene" wurde die Seele daher in der griechischen Mysterien-
lehre genamnt. Sie saugt das Licht ein, sie hirt, sie saumelt
éurch ein Bentitzen des Leibes als ein Instrument. Und das, was
die Seele sammelt hier unten auf dieser Erde, das wird sie hintra-
gen und einst auf den Altar der Gottheit legen.
So wird aie vollxoumen werden und immer mehr geeignet,
das Zeitliche au verewigen. Das Zeitliche vergeht, aber die Friich-
te davon werden verewigt sein von der Menschenseele. Alle Wunder—
werke aver, die Freuden sind bestimmt, Mmpfindungen zu bleiben.
So ist das Leben der Seele eine Essenz, die sie zum geistigen Da~
sein bringt.
Durch das Durchgehen durch das kérperliche Dasein mu8 sie
etwas begrimden, was weicheitsvoll in den weisheitsvollen Bau des
Kosmos eingegliedert ist. Das ist nicht auf einmal entstanden,
Sondern in langem, langem Werdeprozes.
Was heute weisheitsvoll gebaut ist, war einst unweisheitevoll.
Denken wir uns denselben ProgeS beispielsweise mit der Liebe;
hier ist aie gleiche Eatwickelung. benso steigt dic Liebe gu10
jmmer hdheren und reineren Aspekten und Gestaltungen empor , der
[debe entgegen, die einst alle Menschen zu Briidern machen wird.
Die Liebe wird einst das sein, was den ganzen Kosmos durchgliht
und durchtreibt. Die ganze Welt ist durchzogen von einem Strom
von Liebe, die dann alles beherrschen wird, wie jetzt die Weisheit.
Uns strémt Weisheit aus der Welt gu, ihnen, den sp&teren Rassen,
strimt Liebe dann aus der Welt au. Liebe der Welt einzupragen,
das ist unsere Arbeit. Aber das kimnte nie sein, wenn nicht auch
das Gegenteil miglich wire. Liebe mug selbstandig, frei von Wesen
ga Wesen gebracht werden, darum beginnt die Aera der Liebe sugleich
mit derjenigen des Rgoisms. Zur Ueberwindung des Sgoismus wird
die Liebe sich herausarbeiten, das ist ihr Ziel. Der Ausgangs-
punkt des Kosmos ist die Liebe; aus ihr ist ganz von selbst auch
der Egoismus herausgewachsen.
Die Familie, der Stam, Gruppen von Menschen wurden von
Liebe durchdrungen; was mit einander verwandt ist, was gemeinsanes
Blut hat, das liebt sich. Wohl tobt der Kampf, aber Stiick um Stick
wird die Menschheit zur Liebe getrieben. Von Stamm zu Stamm, von
Geachlecht zu Geschlecht, von Volk zu Volk breitet sie sich aus.
Als beim jiidischen Volk ganz allmihlich die Ausbreitung
des.Prinzips des Jehova oder Jahve vor sich ging, nimt es dic
Geheimwicsenschaft oder Geisteswissenschaft, die vor unserer Zeit—
rechnung war, auf. Und nun spricht man von einer Kraft, von einem
Prinzip, welches das Bise genaunt wird, von einer Kraft in der
Geisteswissenschaft, die sich dem Jehova-Prinsip entgegenstelit.
Ich will Iimen das an einem Beispiel klar machen. Sie wissen, in
der Schule gibt es Schiller, @ie nicht von einer Klasse in die
andere mitkoumen; sie bleiben sitzen; so ist es auch im Kosmos.Die Welt wurde damals durchwaltet von Wesenheiten wie wir;
diese Wesen hatten ihre Entwickelung abgeschlossen im Weisheite—
Zeitalter. Es gab aber in dieser Byoche auch Krafte, die ihre
Entwickelung nicht im Weisheitezeitalter vollendet hatten; diese
wirken nun weiter im Zeitalter der Lieve. Das ist das zurtickge-
pliebene, das lusiferische Prinzip; dieses mm, das sehen wir als
den Gegenpol des Jahveschen Prinzipes an. Darum, damit die Liebe
eine freie sein kann, wirkt in der Welt das trennende Prinzip.
ie versucht seine Wirkungen beim Menschen, (der den Menschen liebt,
beim Menschen, )der eine freie selbstindige Perstnlichkeit sein will.
Im Entgegenwirken schon wir die Gegenkraft, das Bése, das eigent-
lich, um mit Goethe (Faust) au sprechen, das Gute schafft. Sie
sos 4] a@rangt die Menschen auseinander, diese Kraft, die das egoistische
Prinzip ist; aber die Liebe m8 darum eben immer gréSer und gréger
werden, um die Menschen gu vereinen.
Das Jahve-Prinzip brauchte die Blutsverwandtschaft zur Durch~
setamg des Liebes-Prinzips, und dann wirkte daneben das Iusifer—
Prinzip, die Selbstsucht und Selbstindigkeit férdernd. Die Liebe
und der Egoismus wird immer gréfer; und die Menschheit pendelt
@azwischen hin und her; und darum ist das Vorhandensein des Guten
und deg Bésen so sehr natiirlich, die Pendelbewegung zwischen Liebe
und Egoicmus. Mit der Selbstsucht kam das Bése in die Welt; der
Rgoiemus mus nun tiberwunden werden. Zr m8 sich das gefallen las-
sen, weil das Gute nicht erreicht werden Kénnte ohne das Buse.
Bs liefert die Méglichkeit fur die Liebesentwickelung. Die Geiste
Wissenschaft sieht das so an, dai ein Zeitpunkt kamen muBte, wo
eine Tat, die allergréfte unserer Bréenentwickelung geschehen muS,
die geeignet ist, die Menschen gusammenzufihren; und der Vorléufer
@avon ist Johannes der Tiufer, der das vorbereitet, und in ChristusBr
Jesus ist diese Tat verkérpert. Das Wort des Christus—Jesus:
“Wer nicht verlasset Vater und Mutter und Brider um meinetwillen,
der kann nicht mein Jiinger sein", das ist geistig su verstehen.
Christus, durch den man die grofe Liebe und den selbstindigen
Menschen zusammen erhalten kann, der geeignet ist, all den Antried
es Bisen zu iiberwinden, Christus ist die Verktrperung dieser
grofen Kraft, die das Band der Liebe nach Ueberwindung alles Rgois-
mas vom Menschen gum Menschen werden soll. Durch Christus soll
das Liebesband verkniipfen den freien Menschen mit dem freien Men-
sehen.
Das Christentum ist die Kraft, die erst im Anfange ihrer Mnt-
wickelung ist; sie wird das notwendige Buse und die Welt tiberwinden.
rst der freie Mensch kann der rechte Christ werden; er kann in den
‘Grit Brliser die Kraft sehen, die sur villig freigewordenen Persin-
lickkeit hinfihrt. So ist das Buse der Untergrund, in den das
Licht der Liebe hineinscheint; so ist das Licht erst erkennbar
durch die Finsternis. “Und das Licht schien in die Pinsternis,
und die Pinsternis hat es nicht begriffen".
Die Liebe wird die Menschheitsentwickelug nach und
nach durchstrémen; die Liebe, je stirker die Kraft, die sie zu
‘berwfinden hat, je mehr wird sie wachsen. Sie ist es, diese
Liebe, die den Sinn des Bésen, die Stellung des Bisen in der Welt
erklart. se
Und so diirfen wir dieses mit einen Wort von Favre d' Olliviers)
vergleichen. Die Auslegung des Bisen in der Welt,sagt er: "Sehet
such an die Perle mit ihrem wundersamen @lanz und ihrer zarten
Schnheit; wodurch enteteht sie? Aus einer Krankheit der Muschel./