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DER STAAT
ZEXTSCHRIFT FOR STAATSLEHRE
OFFENTLICHES RECHT UND VERFASSUNGSGESCHICHTE
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Herausgegeben von
Ernst-Wolfgang Bockénforde, Gerhard Oestreich
Roman Schnur, Werner Weber, Hans J. Wolff
Heft 1
1968
7. Band
DUNCKER & HUMBLOT/BERLINDER STAAT
ebre, Ofte
Zeitschrift fOr Si jes Recht und Verfassungegesthi
Herausgegeben von Prof, Dr. Ernst-Wolfgang BdckentOrde, Heidelberg
Dr, Roman Schnur, Bochum
Prof, Dr, Werner Weber, Gditingen / Prof. Dr. Hans J. Wolfl, Minster i, W.
Redaktion: Prof. Dr. Roman Schnur (geschifistihrend), 469 Bochum,
Kénigsallee 121, und Prof. Dr, Erast-Wolfgang Backenférde, 69 Heidelberg,
‘Friedrich-bert-Anlage 6—10.
Inhalt
Abbandlungen und Aufsitze
Jallen Freund, Der Grundgedanke der poiachen Philoophie von J: J
‘Rousseau...
Peter Weber-Schifer, ,Sozial* und ston “Anmeriungen mur Demo-
1
‘kratiediskussfon 1
Wolfgang Ritfner, Uberschnldunen und gegenseiige Eretnzungen der
Grundrecite .-. a
Berichte und Kritite
Rolf Grawert, Finanzreform und Bundesstaatereform ........cssseese+ 68
Gotz Landwehr, Kénigtum wnd Landfrieden. Gedanken zum Problem
Rechisbildung im Mittelalter in
Buchbesprechungen
Oakeshott, Michael: Rationalismus in der Politik (Friedrich Jonas) ...... 99
101
, Jacques: L'Musion Politique (Franz Xaver Kaufmann) ..
Jonas, Friedrich: Die Institutionenichre Arnold Gehilens (Helmut Klages) 108
Fortsetzung 3. Umschlagseite
DER GRUNDGEDANKE DER
POLITISCHEN PHILOSOPHIE VON J. J. ROUSSEAU*
Von Julien Freund, StraBburg/ Frankreich
‘War im Grunde genommen Rousseau ein Wegbereiter der Demokratie
oder des Totalitarismus? Diese Frage lift sich nicht eindeutig beant-
worten, weil die meisten Theoretiker der modernen Demokratie sich
auf Rousseau berufen, wilhrend andere Interpreten seiner politischen
Philosophie seit
rismus sehen. Diese Deutung ist an sich nichts Neues, denn Benjami
Constant hat sie schon vor 150 Jahren gegeben. Wahrend einer Sitzung
der franzésischen Kammer am 10. Marz 1820 redete B. Constant den
Vertreter der Regierung mit folgenden Worten an: ,Der Minister des
AuBeren hat sich auf Rousseau berufen; nun, jedesmal wo man es ver-
‘sucht hat, Gesetze gegen die Freiheit aufzuzwingen, hat man sich aut
die Autoritat von Rousseau gestiitzt." In seinem Cours de Politique
constitutionnelle taucht dasselbe Thema auf. Anlaflich
rung des Problems der Mehrheit und Minderheit seh
hat diese Wahrheit verkannt. Sein Irrtum ist Schuld daran, daB sein
Contrat social, auf den man sich so oft zugunsten der Freiheit beruft,
als das schauderhafteste Hilfswerk
Es geht aber hier nicht um den vielseitigen, ja sogar widersprechen-
den Einflu8, den Rousseau spiiter ausgeiibt hat, sondern um seine per-
sénliche Stellung und Meinung zu den wichtigen politischen Fragen,
Das hier zu behandelnde Problem besteht nicht darin, zu untersuchen
ob, wie und warum Rousseau einen revolutioniren und einen demo-
Ikratisch gesinnten EinfluS ausgetibt hat, sondern zu wissen, ob er ein
Revolutionr und ein Demokrat war. Und da die neue Lektiire seines
wrtragen méchte, etwas anstéBig erscheinen kann,
werde ich mit Pedanterie verfahren und mich stets auf Zitate stiitzen.
1. Eins ist sicher und filllt jedem Leser auf, der seine Bitcher ohne
ideologischen Hintergedanken liest: Rousseau war kein liberaler Den-
ker. Nicht nur seine Einwande gegen das parlamentarische System son-
dern auch seine Auffassung der volonté générale schliefen eine solche
* Vortrag Im Institut fiir Politische Wissenschaft der Ruhr-Universitat
Bochum am 6.7. 1967.