'- Wir, träumerischen Dichter, glauben, dass alles irn Himmel und auf Erden belauscht und gedeutet we:rde will, _ auch d.is Zarteste, auch das Lautlose, und selb; ·das Verborgenste. Wie wir das beginnen, das· wissen wir selbst nicht; da hilft kein Wollen, ·d a .gibt e$ keine ,,Methode". Denn das ist doch keine ·, ,Methode", wenn wir nämlich ,,träumerisch ·dichteh". Wir wis_sen so gut, wie die anderen Menschen, dass ,,Traum'' nicht mehr als ,,Traum" ist, u.nd dass sich ,,Dichtung" und ,,Wahr- heit'' nicht decken ... . . . ,;Nicht mehr als Traum" ~ .. 1st de·n n der Traum aber so wenig? 1st der Mensch so minderwertig, wenn er träumt? Vielleicht , - ini. Gegenteil . . . Vielleicht wird er gerade irn Traum - Hellseher und Meister der Wahr- heit . . . Ich rneine natiirlich nicht den gewöhnlichen All- nachtstraum., in .d em man immer nur sich selbst in allen möglichen Gestalten sieht, sich bewundert,r geniesst, ab- lehnt, oder gar verabscheut . . . Ich meine den ,,Traum" des träumerischen Dichters . . . Und das ist etwas ganz anderes. W:ir können uns alle dariiber einigen, dass das ,,Wesen der Welt", oder die ,,Seele al.ler Sachen'' ver- Der träumerisc;he Dichter 125
porgen ble_ibt un~ .sic~ nicht so leicht, nicht so hand-
reiflich g1bt. W1e d1e anderen Menschen dahinter ;ommen, wissen wir, t~äumerischen Dichte:r:, nicht ; es ist auch möglich, dass d1e Anderen iiber das W~sen der Welt wirklich nichts wissen, was sie zuweilen ehrlich zugeben. Wir glauben jedoch, dass die Welt gleichsam . schläft : sie ist jn sich gegangen, in sich versunk,e n und ·hält auf diese Weise ihr eigentliches Wesen ve.r borgen. Und wir . .· . wir gehen ihr nach, um sie zu erreichen un<;i ihre Seele wa.hrzunehmen~ Wenn wir dichten, so schlafen wir eigentlich nicht. ~ Aber wenn wir dem verbor.g enen Wesen der Welt nach- gehen, so ,,schlumrnern" wir gleichsam ein. Es schlurn- mert in uns nämlich unse.r ~ii~hternes Tages-Ich ein, rnit seiner so wenig verrnögenq.en Wahrnehrnung und sei- nen augenscheinlich so ,,k1ugen'' Verstandes'.""Oedanken .. Dieses beschränkte Subjekt geht in einer ·feinen, zarten I
Dämrnerung au.f -u nd e~sGhliesst ~s damit eine neue,
eine träumerische Schau. Dann erwachen in uns andere 1
Kräfte . . . Als ob der Boden unter unseren Fiissen und
die Decke iiber unserern Haupt sich auftun, schrnelzen -qnd verschwinden. . . Dann sehen wir die•St~rne arn Himmel beim voilen Tageslicht, wie . aus einern tiefe:i:t Brunnen, und erleben in voller Nachtfinsternis das innere, geheim- nisvoUe Wti.hlen der verborgenen Kräfte der Welt. Auf diese Weise kommen wir gleichsam ~n eine neue Welt, oder, vielleicht, eine neue Welt dringt in· uns. herein. In dies~r neuen Welt weilen wir; ~ie wird von uns unmittel- bar erlebt, geschaut, belauscht. Wir verlieren -uns irn Gewebe dieser Welt, - im v~rborgenen, wesenhaften _Urele-inent des Seins. Wir ,,schlummern" mit der Welt 126 Der Heimgang
zusammen und ,,träumen" mit ihr ihre verborgen~,
schöpferisch-bewegende Idee. Wir leben in der Welt-- seele, in der Seele aller Sachen und Geschöpfe, und be-- tefiigen uns an ihrem Schaffen. Von ausse,n gesehen, niichtern gesprochen, - ist es ,, wacher Traum", ,,dich-- terische Phantastik' ', vielleicht sogar - , ,Unsinn'' . . . In Wirklichkeitjedoch istes ein Erwachen zum Allerinner-- sten und Allerrealsten im Leben, zum lebendigen W esen des Seins . . . Und das, was wir schauen und lauschen, ist .e twas ganz anderes, als das, was uns das gewöhnliche Sehen und Hören gibt. Uns singt die Sonne ; uns wa:rnen die Sterne ; uns duftet die W olke ; es betet das Ge-- birge, es dichtet der Bach; es verkiindet das Meer; und der stille Schnee bringt uns seinen m.ilden Trost ... Die ganze Welt ist voll von -schlummernder Liebe und -von schweigendem Gesang. •Die Blumen sinnen und deuten. Die Vögel wissen und sagen wahr. Und stolze Gedanken reifen im Baume und im Strom. Was aber der Wind uns bringt, wird uns niemand glauben wollen ... So lange wir in diesem träumerischen Wachen restlos aufgehen, können wir weder ,,dichten", noch ,,formen". Dieser Zustand kann jedoch nicht, darf auch nicht zu lange dauern : sonst kommt man nicht mehr zuriick ... Dieses schlummernde Wachen· schwindet und wir finden uns wieder in der Alltagswelt. Bereichert kommen wir zu uns und bringen eine ganze Ladung mit, eirten Schatz, den wir nie voll und ganz unterbringen oder zum Aus- druck bringen können. A-ch, so manches verlieren wir unterwegs ! Und .was wir aufgehoben und mitgebracht Der träumerische Dichter 127
haben, scheint uns .oft so verarmt . und entstellt zu se1n
. . .. .zuweilen haben w1r sogar d1e Empfindung, als lese der soeben noch iiberreiche Königsso}J.n die .ihm· iibrigge- bliebenen Bettlerscherben zusamm.en . . . · . Und dennoch haben wir das verborgene Wesen -der Welt erlebt und belauscht. Das Belauschte und Aufge- hobene ringt jetzt nach Ausdruck, verlangt nach Fassung, Form und Deutung . . . · ' Wie findenwir nundieseDeutung un<i dieseForm? . . . Wer ist so mächtig, urn Gottes Ideen auszus_p r_e chen?. ~. Wer ist so gewaltig, .u m sie z~m richtigen Ausdruck zu bringen? ... Verloren ~nd demiitig traut sich kaum de:r träumerische Dichter, an-dies.e_s Werk zu gehen ;-und nur der Drang der inne'.!'.'en Ladung selbst zwingt ihn, sich zu entladen. Der eine singt's. Der andere malt's. Der dritte ringt nach Luft in Worten. Noch welche bauen, meisseln, tan- zen. Und was sie tun und schaffen, die träumerischen Dichter, - das ist viel mehr, als bloss ihr eigenes Werk ; denn diesem Werk, dem dienen sie ja selbst rtur als Organ, als Stimme oder Geige. Und wer sie richtig hört, in ihrem sch.lichten Gesang, dem bebt das Herz . u.nd stellt die leise, schiichtern auftauchende Frage: ,,war das nicht mehr, .al~ Dichtung? war das nicht uralt, wie die Welt selbst? nicht jung und neu, wie der Tag von heute? war das nicht Glti.ck der erlebten Wahrheit? Hab' ich hier _nicht.das verborgene Geheirq.nis der Welt belauschen dti.rfen ?'' Und wer es nicht richtig hört, und wem es ,,nicht ge- fällt'', der schilt uns ,,die träumerischen Dichter'' und zuckt die Achsel und geht an uns vorbei .- . . V erle gen 128 Der Heimgang
schweigen wir dann und schleichen uns hinweg, _ denn
wir können ja nichts ,,beweisen" ; und Stieit erheben iiber Visionen des Jenseits - ist nic;:ht gestattet . . . _