Indogermanische Dichtersprache
Am 29. November 1932 hat Jacob Wackernagel den hier
abgedruckten Vortrag im Rahmen der Miinchener Universi-
tatsvortriige gehalten. Im NachlaB des am 21./22. Mai 1938
Verstorbenen fand sich ein vollstindiges eigenhindiges Ma-
nuskript dieses Vortrags mit Spuren einer vielleicht fiir die
Veréffentlichung bestimmten Uberarbeitung, auSerdem ein ma-
schinengeschriebenes Stiick einer inhaltlich im wesentlichen
iibereinstimmenden, aber sonst stark abweichenden Fassung,
iiber deren zeitliches Verhiiltnis zur Handschrift nichts zu er-
mitteln ist. Ferner liegt ein groBes Paket Notizblitter zum
selben Gegenstand vor, die teils als Stoffgrundlage fiir den
Vortrag gedient haben, zum gréBten Teil aber weitere Beob-
achtungen enthalten. — Zur idg. Dichtersprache vgl. man jetzt
H. H. Schaeder, Ein idg. Liedtypus in den Gathas, ZDMG.
94, 1940, 399ff. und die dort 8. 399, Anm.1 u. 2, genannte
Literatur. — Die FuSnoten stammen von mir.
A. Debrunner*)
Als mich mein Freund und Kollege Stroux zur Bezeich-
nung des Gegenstandes meines Vortrages aufforderte, nannte
ich ihm zuniichst die Bezeichnung ,,Sprachwissenschaftliche
Bemerkungen zu den Dichtersprachen der Alten“, Damit wire
gesagt worden, daB ich keine zusammenhiingende, jedenfalls
keine warmherzige, in die tiefsten Seclengriinde hinabsteigende
Gesamtdarstellung, sondern mehr nur einige von kalter Be-
trachtungsweise eingegebene Hinzelbemerkungen zu geben hatte
a1") Der ,,Philologus, der Jacob Wackernagel zu seinen Mitarbeitern
zihlen durfte, hatte noch von dem Lebenden die Zusage erhalten, da
ihm der Vortrag iiber ,Indogermanische Dichtersprache“ und ferner ein
Aufsatz, der eine Anzahl Sprachbeobachtungen, namentlich zur griechi-
schen Akzentuierung, zusammenfassen wiirde, zum Abdruck tiberlassen
werde. Daf in diesem und in dem nichstfolgenden Hefte beides erscheinen
kann, daftir gebiihrt den Verwaltern des Nachlasses und vor allen Pro-
fessor A. Debrunner der besondere Dank unserer Zeitschrift und unserer
Loser. Die Redaktion.
Philologus XOV (N.F. XLIX), 1/2 a3 Jacob Wackernagel
und bescheiden philologisch, fast mikrologisch verfahren miisse.
Das schlieSlich veréffentlichte Thema wies auf den Versuch
hin, den ich machen wollte, ein Stick der Vorgeschichte der
antiken Dichtung yon einer Seite ein wenig zu beleuchten,
von der aus sie m. W. noch wenig angefaBt worden ist, von
der rein sprachlichen und von einer mehr auf dialektische
und chronologische Unterschiede eingestellten Sprachwissen-
schaft,
I. Das Augment
Den Ausgangspunkt bildete fiir mich ein AnstoB: Wie
kam Homer dau, das Augment bei Priiterita wegzulassen?
Und zwar durch alle Teile seiner Dichtungen hindurch und
nur mit den zwei untergeordneten Beschriinkungen, daB er
den sogenannten gnomischen Aorist nie ohne Augment lieB,
auch einzelne allzu Jautarme Formen vermied, und wenn der
Uberlieferung zm trauen ist, auch sonst einige wenige, wie z. B.
Ge statt Fide, diese wohl zufiillig. Bekanntlich haben es alle
griechischen Dichter wie Homer gehalten, BloB im Jambus
gilt im ganzen diese Freiheit nicht; gemi8 seinem Grund-
charakter geht er bei strenger Durchfithrung mit der unmetri-
schen Rede zusammen. Fir diese ist das Augmentieren det
Priiterita unverbriichliches Gesetz, das nur in einzelnen Mund-
arten und in jtingerer Entwicklung unter lautlichen Finflissen
beiseite gesetzt ist und noch im heutigen Griechisch innerhalb
bestimmter, auch wieder lautlich bedingter Grenzen wirkt}).
Wie konnte der Dichter in solcher Weise von dem Ub-
lichen abweichen? Gegeniiber sol
n ; die ihm verwandte iilteste
poetische Literatur ebenfalls volle Belichigheit des Augmen-
ticrung, wie Homer, wihrend die Prosa der alten Zeit und
das Klassische Sanskrit ebenso konsequent augmentieren wie
die Gri¢chen in unmetrischer Rede. Und auch das iilteste
Tranisch stimmt dazu, Allerdings miissen wir hier zwei dia-
1) Wackernagel, Gut. Nachr. 1906, 1488. und j
Grice) Wackernagel, fachr, SA. und jetzt Ed. Schwyzer,Indogermanische Dichtersprache 3
lektisch verschiedene Sprachtypen zusammennehmen. Einerseits
haben wir die altpersischen Inschriften der Achaimeniden, bei
denen man einem neuerlichen Vorschlag, sie als metrische
‘Werke m fassen2), unméglich folgen kann. Diese Inschriften
zeigen eine fast mit absoluter Konsequenz augmentierende
Prosa. Die ganz wenigen Abweichungen diirfen zu den Fehlern
gerechnet werden, die jenen Texten infolge davon anhaften,
daB sie von Leuten abgefaBt zu sein scheinen, fiir die das
Altpersische keine ganz lebendige Sprache mehr war. Diesen
Tnschriften steht das Awesta gegeniiber, ein in seinen Haupt-
teilen metrisches, im iibrigen auf Nachahmung metrischer Texte
aufgebautes Werk. Hier wie bei Homer und im Veda kann
im Priteritum das Augment beliebig gesetzt oder weggelassen
werden. Diese Ubereinstimmungen kiénnen m. E. nicht zufillig
sein; Brugmann?) hat sich begniigt, daraus zu folgern, dab
schon in der sog. indogermanischen Grundsprache zwischen
Setzung und Nichtsetzung des Augments geschwankt worden
sei. Nur Delbriick*) hat erkannt, daB es sich in diesem Falle
nicht um ein Schwanken iiberhaupt, sondern um eine alte
Sondereigenheit dichterischer Rede handelte. Er erklirt die
Beliebigkeit der Augmentsetzung aus metrischer Bequemlich-
keit. Nun, da8 man einfach dem Metrum zuliebe eine der-
artig bedeutungsvolle Anfangssilbe oder Anlautquantitit habe
fallen lassen kénnen, ist von vornherein wenig wahrscheinlich.
Jedenfalls auf Homer paft diese Erklirung schlecht. Wohl
wire — um Beispiele gleich aus dem Anfang der Ilias zu
holen — npotayev, dd€xovto mit quantitativem Augment, yéveto
mit syllabischem dem Hexameter zuwider gewesen, aber im
iibrigen war diaotitmy mit dot, dvdave mit fvdave me-
trisch gleichwertig, und die Paare tedxe und @revxe, Bij und
%8n kommen beide bei Homer vor, ohne dab die kiirzere oder
die Tingere Form metrisch bequemer wire als die andere.
Noch weniger kénnte man im Rigveda Fehlen des Augments
aus metrischer Verlegenheit der Dichter erkliren.
ae Fi Mitt
2) J. Friedrich, Or. Litztg 1928, 239M, B. Herzfeld Arch. Mitt.
aus Tran TIT 91, 128; dagegen \tcillet-Benveniste Gramm. du V. P. 17f.
®) Grandsig? IP 8, 13f
4) Synt. Forsch. IV 68. ”4 Jacob Wackernagel
Vielmehr mu8 yersucht werden, die Erscheinung tiefer zu
begriinden. Innerhalb des idg. Sprachkreises konnen wir, wie
schon angedeutet, in bezug auf die Setzung des Augments
zwei Gruppen unterscheiden. Alle westlichen und nordwest-
lichen Sprachen: die italischen, keltischen, germanischen, bal-
tischen und slavischen, weisen keine Spur von Augment auf.
Dagegen treffen wir es bei den cigentlichen Aricrn und bei
den Griechen und in Resten bei den Armeniern, um von den
ungentigend bezeugten Sprachen zu schweigen, Noch ist keine
Uhereinstimmung dariiber erzielt, ob das Fehlen der Augmen-
tierung bei den Westvilkern auf Verlust oder aber deren
Eintreten bei den dstlichen auf Neuschdpfong beruht. Im
ersteren Falle, also wenn das Augment urspriinglich allgemein
war, hiitten wir anzunehmen, daB die dichterische Praxis aus
einer Zeit des Schwankens stamme, in deren Folge die einen
das Augment ganz aufgegeben, die andern es wieder durch-
geftihrt hiitten. Ansprechender (namentlich in Hinblick auf
den hier nicht zu erdrternden vedischen Gebrauch) wire die
andere Annahme, da8 die belicbige Auslassung des Augments
durch die Dichter ein Rest aus einer Urzeit war, in der es
liberhaupt noch kein Augment gab. Bei beiden Annahmen
liegt ein Archaismus der dichterischen Praxis vor, der ge-
legentlich auch metrisch gute Dienste leistete,
Il. Die metrische Form
Wie dem sei, die Hauptsache scheint mir, daB aus dieser
Dichterpraxis eine den vorgeschichtlichen Gri
‘age autwerfen, ob diese alte
noch andere formale B
hatte, und wird geneigt sein, ihr den Besitz d
lichsten Kunstmittel zuzuschr
tungen indogermanischer Val
‘esonderheiten
ler hauptsiich-
r in den Dich-
lem wird man
ciben, die wir spiite
Iker treffen, Vor all
en. Leider scheinen
ie iiber gelangt zu
sein, wie beschaffen man si i ii
denken soll, Innerhalb des sprachwissenschaftlichen HorizontesIndogermanische Dichtersprache 5
waren allerdings manche stark geneigt, die nahen Bezichungen
anzuerkennen, die der bekannte franzisische Sprachforscher
Meillet®) zwischen den vedischen Versen und denen der Aoli-
schen Dichter aufzudecken bemiiht war.
Vom vorhistorischen Gebrauche anderer Kunstmittel kann
mehr nur negativ gesprochen werden. Man kénnte zwar an
Alliteration als ausgesprochene Higenheit der alten Dichter-
sprache denken wollen, aber diese ist eine Besonderheit der
Dichtung der westlichen Indogermanen, der Italiker und Ger-
manen (auch der Kelten); sie hangt mit der Eigenheit ihres
‘Worttones zusammen. Sie darf aber auch bei diesen kaum
auf einen gemeinsamen Urbesitz zuriickgefihrt werden). Sprach-
liche Griinde sprechen dagegen. Dazu ist, wie die besten
Kenner italischer und germanischer Dichtung, Friedrich Leo ay
und Andreas Heusler’), gezeigt haben, die Art ihrer Hand-
habung bei beiden Volksgenossenschaften verschieden, bei den
Italikern mehr nur eine freudige und gelegentlich im UbermaB
verwendete Klangfigur, bei den Germanen ein konsequent
durchgefiihrtes, den metrischen Bau regelndes Kunstgesetz.
Womit nicht geleugnet werden soll, da® in einzelnen Fallen
der italische Brauch dem germanischen sehr nahekommt; ich
denke etwa an die beriihmte Herentas-Inschrift yon Corfinium ey
und an das Grabepigramm des Ennius™), AnBerhalb der ge-
nannten westlichen Stiimme spielt die Alliteration gar keine
wesentliche Rolle. Inder und Griechen haben blo8 ganz ver-
einzelt und spielerisch alliteriert.
Il. Die Wortstellung
Aber es gibt andere Besonderheiten, die man getrost der
anfiinglichen Dichtersprache zuschreiben kann.
Als B. Delbriick, der eigentliche Begriinder der historisch-
vergleichenden Syntax, sich der Erforschung der Wortstellungs-
®) Les origines indo-européennes des métres grecs. Paris 1923.
°) J.Gonda, Acta or. 18 (1940) 71f,, 76 hilt die Anfinge des Reims
und der Alliteration fir indogermanisch. ‘
7) Gesch. der rém. Lit. I, 1913, 38f.
®) Deutsche Versgeschichte I, 1926, 92f.
*) Von Planta 254, Conway 216,
1) Cic. Tusc. I 15, 34.6 4Jacob Wackernagel
gesetze zuwandte, erkannte er, daS, um das in ‘ltester Zeit
GewohnheitsmiBige festzustellen, nicht das iilteste idg. Sprach-
denkmal, der Rigveda, zu untersuchen sei. Vielmehr legte er
hier wie in anderen Fragen der Syntax die von ihm erst
atborhaupt fiir die sprachliche Forschung erschlossene alte in-
dische Prosa zugrunde”). Den klaren Gesetzen, die sich
an dieser erkennen lieBen, entzog sich die priesterliche Dichtung
fast vollig. Und ebenso steht es wieder in der alten iranischen
Literatur: in der Prosa der altpersischen Inschriften normale
Wortfolge, in den Liedern des Zarathustra anscheinend ein
buntes Durcheinander. Selbst in dem Namen des hichsten
Gottes, des Ahura-Mazda, erscheinen die beiden Glieder nur
vereinzelt zusammen, Ofters getrennt und dann erst noch in
wechselnder Reihenfolge. Nur ganz weniges, das gesetzmibig
wire, hat sich in diesen Texten bisher wahrnehmen lassen
(Andreas u. Wackernagel, Gt. Nachr. 1931, 313). Wir kénnen
ruhig sagen: die Dichtersprache beider arischen Vélker hat
viele sonst geltende Stellungsgesetze vernachlissigen kénnen.
SchlieBt sich die antike Dichtung diesem Zeugnis an, und
zwar so, da8 man der uns hier beschiiftigenden vorgeschicht-
lichen Dichtung eben diese Freiheit zuschreiben kann? Zu-
nichst ist allgemein bekannt und anerkannt, da8 iiberall und
bis in die neueste Zeit sich die Dichter dem Versbau oder
dem Reim zuliebe, auch wohl
gende Gefiihle durchbrechen,
Rede geliinfige Wortfolge hi
hat einer der scharfsinni
gelegentlich, wenn miichtig wo-
liber die ihnen in gewéhnlicher
nwegsetzen kinnen, Zutreffend
¥ igsten Syntaktiker der Gegenwart, John
Ries, bemerkt, daB sich hierin kein poetisches Werk dem Ein-
flusse des Metrums und des Rhythmus entzieh
en ki rt
stellung des Beowulf 70; ae
3 vel. Karg Germanica, Ed, Sievers
zum 75. Geb. 474). Unz oh
‘thlige Hinzelbelege licfern h hier
die Werke der antiken Literatur. j cae
Nur ein hiibsches Beispicl,
das Kirzlich von Wilhelm Schulze (K% 58, 205 = Kleine
Schriften 360) ans Licht gezogen y
a vorden ist, sei hier angefiihrt.
Juvenal sagt einmal (14, 209) hoe diseunt omnes ante alpha
et beta puellae: ganz normal und der gewohnlichen Rede gemib!
™) Syntakt. Forsch. III, 1878, §. Vi,Indogermanische Dichtersprache 7
Wem wiirde es beifallen, von Dac statt von abe, von Betalpha
statt von Alphabet zu sprechen? Trotzdem muBte sich Aratos,
der doch ein gebildeter Dichter, kein Binkelsiinger war, dazu
verstehen, in einem Epigramm fire kai dpa Meywy zu sagen).
Das verbindende xai gestattete im daktylischen VersmaBe keine
andere Reihenfolge. Aber es erscheint mir geboten und zweck-
miBig, sich mit einem solchen allgemeinen Hinweise nicht zu
begniigen, sondern eine genaue Untersuchung insbesondere der
griechischen Dichtung anzustellen. Ich bitte zum voraus um
Entschuldigung, daB ich mir hier etwas gréBere Ausfiihrlich-
keit gestatte.
Innerhalb der héheren Dichtung der Griechen kann man
in bezug auf Beobachtung von Gesetzen der Wortfolge drei
Stufen unterscheiden. Am weitesten entwickelt ist das Ver-
fahren der hellenistischen Dichter. Sie stellen sich iiberhaupt
nicht auf Gemeinverstindlichkeit ein, wollen lieber durch
miglichste Kiinstlichkeit den literarischen Feinschmecker reizen
und erfreuen. Das spiegelt sich auch in ihrem Satzbau wider.
Die Baustiicke des Satzes werden von ihnen mit Vorliebe bunt
durcheinander geworfen. So hat z. B. Kallimachos es tiber
sich gebracht, in seinen Aitia den schlichten homerischen Satz
(p 218) We aie tov duotov dye Geds Wo Tov Spotov in ein
Distichon hineinzupressen™):
aivoc Ounpikdc, aiei dyotov
Wg Be6¢, ob weudns, é¢ Tov duoiov dye.
(Randbemerkung: ygl. noch Theognis 461 und Bergk dazu;
Lobeck zum Aias 476 (S. 286); Kallim. fr. 175, 306, 445,
Theokrit 29,3.) DaB rémische Neoteriker wie Catull (66, 18;
44,8f) ihm das nachgetan haben (Randbemerkung: thnlich
Verg. Catal. 13,1£; Horaz Sat. 1, 5, 72; Ovid Met. 9, 95f;
Horaz Sat. 2, 2, 21f), ist weniger verwunderlich, als daB der
So andere Kunstprinzipien verfolgende, sich sonst als peinlich
strenger Homeriker darstellende Apollonios sich gelegentlich
das tollste Durcheinander der Satzglieder gestattet hat (4, 478).
Das sind Erscheinungen einer Uberreife, die sich am besten
2
) Maasa Aratea 229. :
3) Pap, Ox. XI 1862 = Callim. fr. nuper rep. (ed. R. Pfeiffer) Nr. 8,
ft. 1, col. T, vs. 9f.8 +Jacob Wackernagel
mit iiberraschend ihnlichen Kiinsteleien der skandinayischen
Skalden vergleichen lassen (vgl. J. Grimm K1. Schriften 3, 354).
Auf einer zweiten Stufe scheint die chorische Lyrik zu
stehen. Trotz allem Redepomp entfernt sie sich hier weniger
weit vom Normalen als die alexandrinische Dichtung. Und
wo es geschieht, geschicht es wohl hauptsiichlich unter dem
Druck der auBerordentlichen Schwierigkeiten, die -hier das
Metrum bereitete. Nicht blo8 Pindar und Bakchylides zeigen
diese Weise; schon Stesichoros hat etwa eine Wortfolge, die
bei Homer unmiglich wire (fr. 48 Bergk¢ = 20 Diehl). Dieser
weist innerhalb der héheren Dichtung die einfachste Weise
auf. Es sei mir gestattet, an dreierlei seinen Anschlu8 an die
Norm aufzuweisen,
Delbriic!
iiber die Wi
Gesetz entd
kM) hat bei den vorhin erwihnten Forschungen
ortfolge der alten indischen Prosa als erster das
leckt, daB Enklitika und Kleinere schwachtonige
Worter ihre Stelle unmittelbar hinter dem ersten Worte des
Satzes haben, und zwar dies iiberaus oft auch dann,
syntaktische Zusammenhang fiir sie eine andere Stell
Das Gesetz erwies sich als Semeinindogermanisch'5), Der
Rhythmus des idg. Satzes bedingte Anschlu® eines schwach
jCnigen Gliedes an das starktonige Exordium des Satzes. “Nun,
kein griechischer Schriftstell.
ler hat dieses Gesetz treuer bewahrt
als Homer. Gleich im Eingang der Ilias lesen wir z. B. tis
Tdp o~pwe Dey Epudt Evvence dxeodar, Hier haben im Interesse
der Zweitstellung die Wortchen tap und Spwe die Gruppe
ngt und ist der usativ opwe
von dem regierenden Verbum Euvénke weit eee oa
Attikern ist vieles davon fremd Beworden; sie haben in zahl-
reichen Fallen die Logik i 1 ia
wenn der
le fordert.
mit Fug auf die
der wachsenden Glieder hingewiesen
4) A. a. 0. 47,
™) Wackernagel, IF 1 (1891) g33Indogermanische Dichtersprache 9
worden"®), Es handelt sich dabei um die durch viele, wenn
nicht alle Sprachen durchgehende Neigung, unter gleichgeord-
neten Gliedern das umfanglichste ans Ende zu stellen, oder
man kann auch sagen, dem letzten Gliede gré8ten Umfang
zu geben. Der Germanist Behaghel hat dieses sog. Gesetz
am entschiedensten und mit der reichsten Sammlung von
Beispielen vertreten!”), den Grundgedanken vor ihm andere,
darnnter auch Wolfflin, erkannt. Die antike Alltagssprache
wie auch die antike Dichtung weist zahllose Belege auf. So
kann man z. B. bei Horaz kaum eine Ode lesen, die nicht
derartige Falle bite. Und gegentiber Horazens (Sat. 1, 2,13 =
A. P. 421) dives agris, dives positis in fenore nummis stellt
sich Vergils (A. 9,26) dives equum, dives pictai vestis et auri.
Fast noch deutlicher ist der Vers aus Ovids Einleitung zu den
Metamorphosen (1, 5) ante mare et terras et quod. tegit omnia
caelum. Und nun hat schon Homer sich iiberaus oft an diesen
allgemeinen Gebrauch gehalten. Einmal, wenn er Helden auf-
zhlt, die an einem Kampfe beteiligt waren, zeichnet er gern
den letzten in der Reihe etwa durch ein ehrendes Beiwort
oder ein Patronymikon aus, z. B. N 790ff.
Gui te KeBptovnv Kai dudpova TMoukuddéyavta
Dadinv “Opbaidv te Kal dvti®eov Tlohugrmy
Tléhuuy 1” “Aoxévidv te Mépuy @ ul? ‘Immotiwvoc.
Sehr selten sind die Fille, wo ein anderes Glied der Reihe
in solcher Weise ausgezeichnet wird. Weiterhin beobachtet er
dieses Verfahren fast ausnahmslos in den Volks- und Orts-
listen des Schiffskatalogs, z. B. B 496 ff.
of & ‘Ypinv évépovto Kal Adhida TETPHEOOAV
Xxoivev te TKWdv te ToAVKVMOY 7 'ETewvov
Oéoraav Cpaidv te Kai edpvxopov Mukadnoody.
Auch hier kinnte man die positiven Beispiele hiufen; auch
hier pflegen die ehrenden Epitheta die letatgenannte Ortlichkeit
zu treffen,
Ein drittes: Auch in einer durch zabllose Fille ver-
tretenen Gruppe, wo sich Homer yon unseren eigenen Stellungs-
1) Schmalz-Hofmann® 8044,
D 1”) TF 26 (1909/10) 110ff.; Zeitschr. f. Deutschkunde 1930, 86f.;
eutsche Syntax ILI 867ff. S. auch Havers Syntax 178. 262.10 +Jacob Wackernagel
gewohnheiten weit entfernt, entfernt er sich nicht von der
ungehobenen Rede: Gleich beim ersten Verse beider Epen
iissen wir daran anstoBen, daB ein Substantiv von den zu-
gehérigen naheren Bestimmungen durch Vokativ und Verbum
getrennt ist: pfivv von dem Grenetiv Tindniédew “Axidfiog, dvopa
von dem Adjektiv no\érponov. Livius in seiner lateinischen
Odyssee konnte dies genau nachmachen: virwm mihi Camena
insece versutum. Wir kénnen es nicht. Uns ist Kontakt
awischen so zusammengehérigen Satzteilen Bediirfnis; cin Ad-
jektiv kann von dem Substantiv, zu dem es gehért, gar nicht,
cin Genetiv héchstens durch eine Partikel getrennt werden,
Aber diese Abweichung Homers vom modernen Sprachgebrauch
ist nicht eine Besonderheit der poetischen Rede. In den alten
Sprachen ist iiberhaupt derartige Spaltung oder Sperrung zu-
Nissig und ihnen ganz geliufig; darin ist der gréBte Unterschied
zwischen antiker und moderner Wortstellung enthalten, Unser
sroBer Dichter hat sich allerdings ither diese Einschrinkung
hinweggesetzt und in Hermann und Dorothea, wo das Metrum
auf Nachahmung antiker Weise hinfiihrte, Wendungen gewagt
wie: und auf das Mawerchen seteten beide sich nieder des
Quells®), oder: es hirte die Frage, die freundlliche, gern in
dem Schatten Hermann des herrlichen Baums®), Gewif unter-
liegt solche Spaltung bestimmten Grenzen, und man kann nach
Grad und Art ihrer Zulassung zwischen Stilarten und Schrift-
stellern abstufen. Aber es muS nachdriicklich betont werden,
daB sie auch vollig unstilisierter Rede nicht fremd ist.
Ich darf als bekannt voraussetzen,
iv, au
das 2u einem
attributiven Be-
dem es gehérte, das Adjekt
. iv cu stellen,
zweiten Substantiy
Behirte, also die beiden
1) Erato Vs, 38f.
&) Melpomene Vs, 57%,
") Thtus und Akzent im lat, Sprechvers (Berlin 1998) 39Indogermanische Dichtersprache rT
stimmungen zusammen vorauszuschicken, wie es etwa in dem
Pentameter des Tibull heiBt: sera tamen tacitis poena venit
pedibus. Der Ausdruck wurde so enger gusammengefaBt und
beim Hérer und Leser eine Spannung des Aufmerkens erzeugt.
Kleine Anfiinge zu solcher Wortfolge finden sich schon bei
den Griechen, sogar in der platonischen Prosa. Wieso es aber
kam, da8 vorziiglich die rémischen Dichter schon von Liv:
Andronicus an davon Gebrauch machten, hat im AnschluB
an Leo%) besonders schin Norden®) gezeigt. Es ist nicht
dieses Ortes, auszufiihren, in welcher Weise dieser Typus
variiert wurde und welchen Dichtern und welchen Ver:
er am meisten eignete. Kin Beispiel, wo sogar drei Attr
so ihren Substantiven vorausgeschickt wurden, hat Horaz in
dem Schlusse einer Ode des ersten Buches:**) mune et latentis
proditor intimo gratus puellae risus ab angulo, wo latentis zu
puellae, proditor und gratus 2 risus, intimo 2u angulo gehort.
Ich bin in den rémischen Dichtern nicht belesen genug, um
festzustellen, wo sich tihnliche Steigerung des Gebrauches findet
oder die Horazstelle vielleicht sogar iiherboten wird.
Doch wir miissen den Weg zu Homer und zu dem Probleme,
das uns beschiiftigt, zuriickfinden. Homer ist also den all-
gemeinen Normen der Wortfolge in manchem treuer geblicben
als mehrere Gruppen spiiterer griechischer Dichter und z. T.
auch die Prosa. Ist er diesen Normen ganz treu geblicben?
Das wird heute mit lauter Stimme verkiindet. H. Ammann
hat sich in einer Reihe gewissenhafter, sorgfiltiger Unter-
suchungen bemiiht, zu zeigen, daB sich die Anordnung der
Worte bei Homer in der Regel auf bestimmte Gesetze zuriick-
fiihren lasse*), Im Anschlu8 daran lehrt Porzig?), daB Homer
(wie im ganzen den Dichtern tiberhaupt) schlechtweg gesetz-
maBiges, nicht durch Willkiir bedingtes noch durch das Metrum
sehemmtes Ordnen der Worte zuzuerkennen sei. Dieser Lehre
von der Natiirlichkeit der homerischen Wortfolge scheinen im
2) NGG 1895, S, 4154f. vgl. Gesch. d. rém. Lit. T (1913) 62 A. 1.
A Konm, Vergil, Aencis VI, Anbg III, 3S. 8984. (8. A.).
), 21f.
25) Untersuchungen zur hom. Wortfolge (Freiburg i. B. 1922); IF 42
(1924) 149 ff., 8004f.; Glotta 12 (1924) 1074.
28) IF 44 (1926) 97.Tie Jacob Wackernagel
stillen auch einzelne namhafte Philologen anzuhangen. Hie-
gegen mu8 bestimmter Widerspruch erhoben werden,
Nehmen wir zuerst einen einzelnen, untergeordneten Fall,
den Ammann in seiner vor mehr als zwanzig Jahren er-
schienenen Erstlingsarbeit tiber die Stellung des attributiven
Adjektivs behandelt hat®?). Er erklirt da Homers Wechsel
awischen Téa heuxdy und devxoio yédaKtos psychologisch. Tn
Wirklichkeit liegt die Sache so: yada Aeuxdv und deuKdv aha
waren im ganzen fiir einen Hexameter gleich gut verwendbar;
daB Homer ydha deuxdy vorzog, mag wohl auf dem Her-
kommen beruhen, demgemaS Farbadjektiva licber nachgestellt
werden. Umgekehrt im Genetiv war die Folge yéhaxtog hevKod
oder Aevxofo im Vers wenn nicht
ganz unméglich, so doch
unbequem; daher nun devxoio yahaxtog. Man kénnte viele
einzelne Beispiele Ammanns und Porzigs thnlich erledigen.
Oder wie kann man in die verschiedene Stellung des Posses-
sivums in den beiden gleichwertig,
: en Ausdriicken téxvov uv
und éudv téko¢ etwas hineingeheimnissen wollen, da doch die
metrische Bedingtheit jedenfalls von éudv téxog mit Hinden
zu greifen ist: téog euév wire fiir den Hexameter unméglich
gewesen.
Aber ich ziehe vor, Ihnen zwei Stellen aus den Anfingen
der beiden Epen vorzulegen, wo die Abweichung Homers von
Sim: deer erkenswertem Zasammen-
) IF 29 (1911/12) 14,Indogermanische Dichtersprache 13
Klang mit einer AuBerung des Solon) die Neigung der Menschen,
das Leid, an dem sie selbst schuld sind, auf die Gétter zu-
riickzufiihren. Also avtav yap o@erépmioiv muB stchen. Aber
Bekker war durchaus berechtigt, daran Ansto8 za nehmen.
‘Wo immer sei es Homer sei es die Attiker dem Possessivum
den Genetiv yon atté¢ im Singular oder Plural beifiigen und
dadurch dem Possessivum reflexive oder auch gegensiitzliche
Bedeutung geben, folgt der Genetiv von attég dem Possessi-
vum. Die Beispiele sind so zahlreich, daB von einer absoluten
Giiltigkeit der Regel gesprochen werden kann. Die iiberlieferte
Lesung von a 7 stellt eine yillige Abweichung yon der Norm
dar, die Stelling avtiv operépmot ist beispiellos. Wie der
Verfasser des Verses zu seiner fehlerhaften Wortstellung ge-
langte, 1aBt sich erraten. Es schwebte ihm der Vers A 409
kelvor 08 O@etépniow dtaceadimow Sdovto vor. Weil aber der
jiingere undichterische Sprachgebrauch, wie wir aus den In-
schriften und Literaturdenkmilern Athens wissen, bei oétepog
immer mehr den Beisatz dos Genetivs abtév vor der nackten
Setzung des Possessivums bevorzugte, empfand er das Be-
diirfnis, den Genetiv beizufiigen. Aber Platz dafiir fand er
nur vor ogerépnioiv. DaB er sich aber dann nicht nur yon
den Wortfolgegewohnheiten anderer Dichter, sondern auch von
dem, was ihm selbst natiirlich sein mubte, losléste, beruht
nun eben darauf, daS ihm beliebige, willktirliche Umstellung
der Worter als epische Freiheit galt.
Vielleicht wird man den geringwertigen Verfasser des
Prooimion der Odyssee nicht als vollgiiltigen Zeugen fiir epi-
schen Gebrauch gelten lassen, Aber ganz gewichtig ist das
Zeugnis des ersten Verses der Ilias mit seinem Ausgang
TnAniddew *Ayidfiog. Wenn etwas im Epos uraltertiimlich ist,
80 ist es der hiiufige Beisatz des Patronymikums zum indi-
viduellen Personennamen, » Wer und wessen Sohn bist du?“
War in der Urzeit die iibliche Anrede an den unbekannten
Fremdling; die ehrendste Form der Benennung in Anrede
und Erzihlung war wiederum die mit eigenem und Vater-
namen zugleich. Das liSt sich yon den iltesten Indern bis
hinab mu den heutigen Russen verfolgen. Wobei dann die
Anwendung eines patronymischen Nomens das Altere, die des14 +Jacob Wackernagel
Genetivs des Vaternamens mit oder ohne ,Sohn* das Jiingere
ist. Aber tiberall, wo so oder so der Vater mitgenannt wird,
kommt (wie das in der Natur der Sache liegt) sein Name
erst als zweites Glied der Rede. Das gilt auch wieder fir
die heutigen Russen so gut wie fiir die vedischen Inder, Bei
Setzung des Genetivs ist dies gleichmiBig italischer und grie-
chischer Gebrauch. Und diejenigen Griechen, bei denen das
alte Patronymikum lebendig geblieben ist, geben es immer an
aveiter Stelle. Der Gebrauch ist véllig konstant, Der Dichter
Steht also mit seinem TIndniédew *Ayijog in Idarem Gegensatz
zum lebendigen Gebrauch. Diesem ware das Metrum nicht
unbedingt zuwider gewesen. Der Dichter hatte zur Not den
Genetiv "AxAfiog Thnaniddew bilden kénnen, aber TTydriddew
"AxiMfiog ergab einen schénklingenden Verschlu8, Abnliches
gilt 2. B. von B 1 &90? ad Tudeldny Atopidea. In vielen Fiillen
folgt der Dichter bald dem Herkommen, bald seinem metrisch
i sagt z. B. "Ayauéuvovog ’Arpeiduo, aber
- Und nun beriihrt er sich darin, ohne
Homers auf die Rémer die Rede sein
n rémischen Dichtung. Die alten rémi-
Schen Geschlechtsnamen anf -ius sind bekanntlich von Hause
seiner Nachfolger, das Pri i
i » da n folgt, also die
Dichter gemiB chen dichtori ihe oe
das 0 fest gefligte rémis
auch praktisch so wichtigen curs Te
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zt 4 on dem Scipionen
Sagt: consol censor aid: a
: anz in Ab-
,idilis hie fuet apud vos,
Weichung von der Uherschrift des Ehrendenkmals (CIL I 8),
aides egg msstben Scipionen gebeiflen hatte: sei gewesen
aidiles cosol cesor?8),
Sa
26
Scheme Die Tnschriften Nr, 7 und 9b
ft n auen den Saturni,
SSF Shen roa oa a Mtg nach demIndogermanische Dichtersprache 15
Ich darf dies Stiick meiner Betrachtung nicht weiter ver-
gern. GewiB diirfen wir auch der iltesten griechischen und
rémischen Dichtung die Freiheiten der Wortstellung zuer-
kennen, die den alten Indern und Iraniern in ihren Dichtungen
eignen, und damit sie auch fiir die urindogermanische Dichtung
voraussetzen.
IV. Die Wortwahl
Wir haben bis jetzt blo® ein paar Besonderheiten der
vorhistorischen Dichtersprache nennen kénnen, die mehr tiuBer-
licher Natur sind, mit dem poetischen Gehalt der Dicht-
werke nur mittelbar etwas zu tun haben. Ganz eng dagegen
hangt mit diesem die Wortwahl zusammen, die den edeln und
durch langen Gebrauch ehrwiirdig gewordenen Ausdruck und
den der Phantasie Spiclraum gewihrenden vor dem alltiiglichen
und unanschaulichen Ausdruck bevorzugt. Wie stark sich der
Wortschatz in den uns erhaltenen Dichtungen der verschie-
denen Vélker von dem Wortschatze der gewihnlichen Rede
positiv und negativ unterscheidet, braucht nicht ausgefithrt zu
werden. Und wer nun den Anspruch erhebt, die idg. Dichter-
sprache schildern zu wollen, ware eigentlich verpflichtet, auch
auf diesem Gebiet sichere Nachweise zu geben. Ich bin im
Augenblick hiezu nicht imstande. Wohl ist es héchst wahr-
scheinlich, da sich manche Worter, die in die homerische
Sprache gerade so noch hineinragen, ohne da breite und
mannigfaltige Anwendung zu finden, und die nach Homer gar
nicht oder miBverstiindlich gebraucht werden, aus vorhomeri-
scher Dichtung stammen; aber wie solcher Ursprung férmlich
erwiesen werden kénnte, entgeht mir einstweilen. Aber wenig-
stens der Forderung michte ich entschiedenen Ausdruck geben,
daB bei etymologischen Kombinationen von Wértern verschie-
dener Sprachen mehr, als es vielleicht bisher geschehen ist,
daranf geachtet wiirde, ob die verglichenen Wérter und das
ihnen zugrunde liegende vorgeschichtliche Urwort dem all-
Semeinen Sprachschatze angehért oder etwa ausgesprochen
Poetischen Charakter trigt.
ee
daher die beiden Wortumstellungen! Vgl. den vedischen Tristubh-Jagati-
Anfang 4-3-4 (6) neben 8-}-2-+4(6), wo freilich Wortende nur
nach dem vier- oder fiinfsilbigen Eingangsglied obligatorisch ist.16 +Jacob Wackernagel
EinigermaBen als Ersatz fiir das, was hier in meiner
Darlegung fehlt, mége der Hinweis auf eine der iiltesten Kom-
Dinationen dienen, die der vergleichenden Grammatik gelungen
sind. Das xAoc dqOttov ,unvergiinglicher Ruhm“, das wir
bei Homer und in der altesten griechischen Inschriftdichtung
finden, hat, wie vor langen Jahren Adalbert Kuhn®) gezeigt
hat, sein genaues Gegenstiick in der vedischen Dichtung. Nicht
bloB der Umstand, daB diese Wortgruppe in beiden Sprachen
zuniichst in poetischen Texten bezeugt ist, sondern anch der
Inhalt des Ausdrucks fiihrt darauf, ihn fiir die iilteste Dichter-
sprache in Anspruch zu nehmen. Von unvergiinglichem Ruhme
der Helden zu reden, war vor allem Sache dee Dichters.
Im Zusammenhang hiermit mag an eine Auferung An-
dreas Heuslers erinnert werden, der in seinem Werke iiber
die altgermanische Dichtung®») bemerkt, manche der altgerma-
nischen Personennamen seien wie ein Kleines Gedicht nach
Inhalt und Klang; so Siegfried eigentlich, siegreicher Friede-
fiirst* oder Heruwolf eigentlich »Schwertwolf*, Und ausge-
zeichnete Namenforscher hy i
alten idg. Herrenmenschei
N voraussetzen und z,
daB die ihrem Wesen n,
‘ach vornehmen griechischen Namen
auf «Ais nicht blo® tuBerlich mit dem dichterischen Ausdruck
"Neos deity zusammenhiingen?
Eine andere ererbte Wortgruppe tritt ung griechisch in
Zebs natiip, im Vokativ Zo Tétep, lateinisch in Tuppiter,
vedisch in dyaus pita entgegen, cinem Doppelnamen, der den
Himmelsgott als pater familias der Gétterfamilie kennzeichnet.
Dies ist ein Ausdruck anch der Dichtung, yor allem aber ein
hieratischer Ausdruck. Die Sprache des Kultus hat mit der
Sprache der Dichtung von jeher manches geméin gehabt (es
wird uns gleich nachher wieder ein Beispicl begegnen), freilich
*) KZ. 2 (1853) 467,
3 a pi sliels Handb. d. Lit.wiss. §. 16,
t Frock, Heakenaeah ee Eigennamen Geidelberg 1922) 1544f.;
. B. annehmen,Indogermanische Dichtersprache 17
ohne der metrischen Form zu bediirfen. Und besiSen wir
nihere Kenntnis der iltesten hieratischen Sprachen der uns
beschiiftigenden Vélker, so wiirde sich gewiS auch viel vor-
historisches Gut ergeben. Gerade auf diesem Gebiet muB die
Macht der Uberlieferung besonders groB gewesen sein. Ich
erinnere hier auch an den einst auch von Kuhn®) gegebenen
Nachweis der fast wértlichen Ubereinstimmung zwischen alt-
indischen und altgermanischen Zauberspriichen.
‘Weniger bedeutsam als die lexikalischen mégen die rein
formalen Eigenheiten der Dichtersprache erscheinen. Aber
gewiB nie ganz gefchlt haben z B. lautliche Veriinderungen
der Wérter zum Zweck ihrer Verwendbarkeit im Verse. Etwas
den Quaestiones epicae von Schulze Gleichartiges lieBe sich
zwar iiber die vedischen Hymnen nicht schreiben, weil ihnen
solcher Zwiespalt zwischen Sprachstoff und metrischer Regel,
wie ihn die hexametrische Dichtung aufweist, fremd war,
Aber z. B. metrische Liingungen und Kiirzungen kennen sie
auch®),
Die erhaltenen Dichtungen der idg. Vilker, wenigstens
die alteren, weisen durchweg auch eigenartige Flexionsformen
auf, Freude am Altertiimlichen und im Alltag Ungewohnten
wie auch metrisches Bediirfnis haben darauf hingewirkt. Viel-
fach ist dies bei Homer behandelt worden. Hier spielt die
Dialektmischung hinein. Manche homerische Wortformen be-
ruhen auf freier Erfindung der homerischen Dichter; z. B. ein
Tnfinitiy wie pudaocéueven fiir uddooev hat im gesprochenen
Griechisch nie existiert. Dem epischen Dichter machte es Ver-
Sniigen, nach dem Muster der alten iiolischen Infinitive auf
“wevar auch zu Verben auf -w solche zu erfinden und damit
eine wohlklingende, sich in den Vers schin einfiigende Infi-
nitiviorm zu gewinnen. Aber wir diirfen auch hier auf vor-
seschichtliche Verhiiltnisse zuriickgreifen. Eine allerdings bis
Jetzt nur fiir das Indoiranische nachweisbare Kasusendung sei,
obwohl ich an dieser Stelle iiber derartiges zu reden kein
Recht habe, ihrer grundsiitzlichen Bedeutung wegen hier kurz
erwihnt. Bei den alten o-Stiimmen, also bei den Nomina der
ee
*) KZ. 18 (1864) 494.
“) Wackernagel, Altind. Gramm, I 47f. § 43b.
Phllologus XCV (N.B, XLIX), 1/2 218 + Jacob Wackernagel
im Griechischen und Lateinischen zweiten Deklination, haben
die Inder und Iranier zwei Endungen, eine allgemein iibliche
auf -ds aus -ds, die zu den oskisch-umbrischen anf -is -a -ir
stimmt, daneben eine zweite, lingere -asas, die dem Veda und
in entsprechender Form dem Awesta, geliufig ist. Nun ist
bemerkenswert, daB auf indischem Boden diese Endung, ob-
wohl von der prosaischen Rede villig verschmiaht, in der alten
buddhistischen Dichtung trotz dem Ersatz der altindischen
persischen Proga dient sie zur Bildung
tes baga- Gott“. Hier kénnen wit
reifen, wo die hieratische
terischen zusammengeht®),
wen der metrischen ‘Texte
in kurzer Andeutung auch
- Von Homer an finden wir bei
den Griechen, da8 Erzi
des Nom. Plur. des Wor
Wiederum einen Fall mit Hinden g
Sprache mit der dich
Wenn ich hier iiber die Gren:
meinsam ererbten, auf metrische Darstellung nicht beschriinkted
Exzihlertypus vor uns,
Ich bin a
innerhalb des
dem und jene
peak Tue
m Schlusse angelangt,
Gesagten ciniges tiberzey
m meiner verehtten Hip
Vielleicht wird, wenn
send gewirkt hat, bei
er ein Bedanern dar-
%) Wackernage
}Debrunner, Altind, Gram
r } . m, IIT b.
Nachlad, UMfangreiche Sammlurycy dazu find rate
en sich in WackernagelsIndogermanische Dichtersprache 19
iiber aufsteigen, daB so das Higengut der klassischen Volker
verringert wird. Aber ich darf wohl sagen, da8 bei solcher
Betrachtung gerade dieses Kigengut um so deutlicher hervor-
tritt. Und wahrlich ist es fiir die Wiirdigung cines Volkes
nicht gleichgiiltig, wie es ein sprachliches Exbe, das ihm von
seinen Vatern her zuteil wurde, iibernommen hat, ob es das
Erbe erworben hat als ein reiches, sorglich gepflegtes und
aus eigenem Kénnen ausgebautes Besitztum. Weder Hellas
noch Rom werden bei solcher Betrachtungsweise firmer.
Basel +Jacob Wackernagel