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Deutschland

Manfred Hettling/Jörg Echternkamp


Heroisierung und Opferstilisierung
Grundelemente des Gefallenengedenkens
von 1813 bis heute

Die Ursprünge des modernen Gefallenengedenkens in Deutschland liegen im


frühen 19. Jh. Die Befreiungskriege gegen die napoleonische Expansionspolitik
lieferten zwar den Anlass, doch die fundamentalen Veränderungen in der gesell-
schaftlichen Repräsentation des toten Soldaten vollzogen sich im Schnittpunkt
zweier säkularer gesellschaftlicher Umbrüche, die deutlich über den Ereig-
nishorizont von 1813 hinausreichen und die sich – vereinfachend – mit den
Begriffen Nation und Revolution charakterisieren lassen. Einerseits hatte sich
in den Kriegen des 18. Jh. eine Veränderung der Fremd- und Selbstwahrneh-
mung angebahnt. Insbesondere der Siebenjährige Krieg hatte in Preußen eine
Teilhabe der Bevölkerung am Kriegsgeschehen begünstigt, die das militärische
Geschehen nicht mehr nur als Anliegen des Fürsten verstand, von dem der
einzelne Untertan möglichst nicht betroffen werden wollte, sondern als Gesche-
hen, das die ,,Nation“ als solche und jedes Mitglied gleichermaßen betreffe. In
seinem politischen Testament hatte Friedrich II. 1768 nochmals das alte Ideal
einer vollkommenen Trennung von kriegführendem Fürsten und einer von der
Kriegführung unberührten Bevölkerung beschrieben, welches es ermögliche,
auch im Krieg die Grenzen so zu schützen, ,,daß der friedliche Bürger ruhig
und ungestört in seiner Behausung bliebe und nicht wüßte, daß seine Nation
sich schlägt, wenn er es nicht aus den Kriegsberichten erführe“. Einschränkend
erklärte er jedoch, sich auf die in Preußen nach dem 1763 beendeten Krieg
nur zu gegenwärtige Erfahrung beziehend, ,,wenn wir nicht mit ganz Europa
zu kämpfen hätten“.1 Die Erfahrung der im Lande geführten Schlachten, der
Bedrohung des Staates, der Gefährdung bürgerlichen Lebens und bürgerlichen
Eigentums durch die Truppen hatte in Preußen zu Manifestationen einer bür-
gerlichen Teilhabe am Schicksal des Königs und des Landes geführt, die über
die unmittelbare eigene Existenz hinausging.2 Was zeitgenössisch als ,,Patrio-

1
Richard Dietrich (Hg.), Politische Testamente der Hohenzollern, München 1981, S. 268.
2
Zum Patriotismus vgl. Rudolf Vierhaus, ,,Patriotismus“. Begriff und Realität einer mo-
ralisch-politischen Haltung, in: Ders. (Hg.), Deutsche patriotische und gemeinnützige
Gesellschaften, München 1980, S. 9–30; Reinhart Koselleck, Patriotismus. Gründe und
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tismus“, als ,,Liebe zum Vaterland“ bezeichnet wurde, fasste die Vorstellung
einer Zusammengehörigkeit von König und Untertanen als Nation in Worte,
die zusätzlich durch die Abgrenzung von anderen Nationen gespeist wurde.
Der Zusammenhang von Ausgrenzung und Integration, von Feindschaft und
politischer Identität war einer der tiefgreifenden Wirkungszusammenhänge,
der an die Durchsetzung der ,,Nation“ gekoppelt war.3 Andrerseits bahnte sich
eine innere Mobilisierung an, die in der Bereitschaft zur Verteidigung des
Gemeinwesens einen Ausdruck fand, aber keineswegs darauf zu reduzieren ist.
Der Patriotismus beanspruchte die aktive Teilhabe des einzelnen Bürgers an
den Geschicken des Gemeinwesens; die Verteidigung mit der Waffe war nur
ein Ausdruck dieser neuartigen Bereitschaft, Ziele jenseits des individuellen
oder ständischen Eigeninteresses zu verfolgen. Diese allgemeine Mobilisierung
der Bürger war untrennbar verbunden mit dem Anspruch auf Partizipation,
die Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen und wurde damit zur Her-
ausforderung der alten ständisch verfassten Herrschaftsordnung. Darin lag das
potentiell politisch Revolutionäre dieser Mobilisierung.
Das Gefallenengedenken spiegelt diese Veränderung wider. Denn es stellt
einen Kernbereich der Beziehung zwischen dem Einzelnen und dem Gemein-
wesen dar. Die Entwicklung neuer sprachlicher Formen wie ,,Gefallener“ oder
,,Krieger“ sowie die Aufwertung des Begriffs und des gesellschaftlichen Anse-
hens des Soldaten um 1800 sind bereits Ausdruck dieser Transformation, ebenso
wie der neuartige Anspruch des Einzelnen, als Bürger mit Waffengewalt das
eigene Gemeinwesen zu verteidigen. Sich für das Gemeinwesen auch mit dem
eigenen Leben einzusetzen wurde zum Anspruch an bürgerliche Mittelschichten
in den deutschen Ländern und zum Ideal einer liberalen ,,Bürgertugend“, wel-
che als ,,höchste Pflicht die der Aufopferung und des Todes für das Vaterland“
definierte.4 Im Gefallenengedenken wurden damit nicht nur Vorstellungen von
Nation und Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht, sondern auch Grundüberzeu-
gungen von politischer Teilhabe und demokratischer Egalität.

Grenzen eines neuzeitlichen Begriffs, in: Robert von Friedeburg (Hg.), ,,Patria“ und
,,Patrioten“ vor dem Patriotismus. Pflichten, Rechte, Glauben und die Rekonfigurierung
europäischer Gemeinwesen im 17. Jahrhundert, Wiesbaden 2005, S. 535–552. Zu den na-
tionalen Kriegsphantasien im Gefolge des Siebenjährigen Krieges siehe: Hans-Martin Blitz,
Aus Liebe zum Vaterland. Die deutsche Nation im 18. Jahrhundert, Hamburg 2000.
3
Michael Jeismann, Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und
Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792–1918, Stuttgart 1992, S. 11; zum
frühen Nationalismus in Deutschland vgl. Jörg Echternkamp, Der Aufstieg des deutschen
Nationalismus (1770–1840), Frankfurt 1998.
4
Carl Theodor Welcker, Bürgertugend, in: Carl v. Rotteck/Carl Theodor Welcker, Das Staats-
lexikon. Encyklopaedie der Staatswissenschaften, Bd. 2, Altona2 1846, S. 763–770, hier
S. 765.
Heroisierung und Opferstilisierung 125

Deshalb legt der folgende Beitrag den Akzent auf die politische Funktion des
Totenkultes und fragt nach Beziehungen zwischen dem einzelnen Bürger und
dem Gemeinwesen. Wir gehen davon aus, dass im Gefallenengedenken Grund-
fragen politischer Kollektivität und der Bindung des Einzelnen an die politische
Ordnung thematisiert werden. Kriegerdenkmäler als zentrale Ausdrucksform
des Gefallenengedenkens sind, wie jede Form von Erinnerungskultur, ,,Identi-
tätsstiftungen der Überlebenden“ (Reinhart Koselleck), die keine Aussage über
die Motive und Überzeugungen derer zulassen, an die erinnert wird. Ihrem ge-
waltsamen Tod wird erst nachträglich Sinn zugeschrieben. Nur die Deutungen ex
post sind im Gefallenengedenken empirisch greifbar. Diese Spannung ist nicht
lösbar: Zwar geht es immer um den gewaltsamen Tod des anderen, doch wird der
als Mitglied des eigenen Gemeinwesens in Erinnerung gerufen. Dabei werden
in der Regel Kriegsgeschichten erzählt, die den Tod, die Realität des Sterbens
und insbesondere des Tötens höchstens am Rande erwähnen (Michael Geyer).
Das hat sich erst mit der Thematisierung des Massenmordes in den Lagern des
20. Jh. geändert, die neuartige Formen der Repräsentation hervorgerufen hat. Je-
de Form des Gefallenengedenkens kann daher ideologisch aufgeladen werden,
weil ihr stets eine politische Funktion zukommt. Sie geht aber in dieser politi-
schen Funktionalisierbarkeit nicht auf.5
In der preußisch-deutschen Tradition haben sich die einzelnen Grundelemen-
te des modernen Gefallenengedenkens als einer spezifischen Traditionsbildung
in den Befreiungskriegen nach 1813 herausgebildet. Seither haben sich ein-
zelne Elemente weiterentwickelt, differenziert oder abgeschwächt, doch sind
– betrachtet man die zwei letzten Jahrhunderte im Überblick – wenig neuartige
hinzugekommen. Deshalb sollen erstens jene Einzelbestandteile beschrieben
werden, die 1813 geprägt wurden und das Arsenal des neuzeitlichen Totenkultes
in Deutschland darstellen. Dieses Arsenal lässt sich mit vier Begriffen skizzie-
ren: Individualisierung, Ritualisierung, Monumentalisierung und politisierte
Religion. Zweitens werden die wichtigsten Etappen in der Entwicklung des
Gefallenengedenkens skizziert. Drittens werden aktuelle Tendenzen des neuen,

5
Reinhart Koselleck, Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, in: Odo
Marquard/Karlheinz Stierle (Hg.), Identität, München 1979, S. 255–275; Michael Geyer,
Eine Kriegsgeschichte, die vom Tod spricht, in: Thomas Lindenberger/Alf Lüdtke (Hg.),
Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt 1995, S. 136–161. Be-
tont ideologiekritisch, sich ganz auf die auch mögliche politische Instrumentalisierung des
Gefallenengedenkens konzentrierend: Wolfgang Kruse, Strukturen, Entwicklungslinien und
Perspektiven der öffentlichen Erinnerung an die Toten moderner Kriege in Deutschland und
Westeuropa, in: Günter Morsch (Hg.), Mittel- und langfristige Perspektiven für den Wald-
friedhof Halbe, Berlin 2009, S. 103–118. Exemplarisch für die Darstellung des Todes in den
Lagern nur James E. Young, Beschreiben des Holocaust (1988), Frankfurt 1992; Saul Fried-
länder, Probing the Limits of Representation. Nazism and the ,,final solution“, Cambridge/
Mass. 1992.
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auf die Bundeswehr bezogenen Gedenkens an tote Soldaten vorgestellt – geht


es doch erstmals um Soldaten, die im Auftrag der Demokratie im Einsatz
waren.

Die Entstehung
des modernen Gefallenengedenkens 1813

Noch im 18. Jh. war der einfache Soldat nicht denkmalsfähig; in aller Regel wur-
den die gefallenen Soldaten nach einer Schlacht sogar ohne großen Aufwand in
Massengräbern bestattet, oft nach Leichenfleddereien durch die überlebenden
Soldaten und Zivilisten. Das Begraben hatte primär hygienische Gründe, des-
halb wurden sehr oft Sieger und Verlierer gemeinsam verscharrt.6 Auch noch
nach der Völkerschlacht bei Leipzig wurde der Großteil der 90.000 Leichen in
Kohorten beerdigt, wobei man weder nach Nationalitäten trennte, noch die Ein-
zelnen irgendwie identifizierte oder erinnerte, geschweige denn die Angehörigen
informierte.7 Einzelgräber finden sich fast nur für adlige Offiziere, die oft vorläu-
fig auf dem Schlachtfeld bestattet und später in die Familiengräber umgebettet
wurden.
Die preußische Mobilisierung zum Kampf gegen die französische Besatzung
konnte gleichzeitig an die in Teilen der Bevölkerung durchaus vorhandene Be-
reitschaft zum kriegerischen Einsatz anknüpfen und wertete die Teilhabe des
einzelnen Bürgers am Krieg auf. Der preußische Kriegseintritt gegen Napole-
on basierte 1813 sowohl auf einer in der Bevölkerung verbreiteten aggressiven
Stimmung gegen die französische Besatzung als auch auf einer dynastisch kalku-
lierenden Koalitionspolitik des Monarchen. 1813 verband sich die funktionale
Notwendigkeit, Männer sehr schnell zum Kriegsdienst zu bewegen, ohne wie
gewohnt Zwang anwenden und sie jahrelang drillen zu müssen, mit einer erst-
mals auch in bürgerlichen Kreisen vorhandenen Begeisterung zum Waffendienst
als ,,Krieger“. Wie negativ das allgemeine Bild des Soldaten dabei noch war,
zeigt die verbreitete Ablehnung der allgemeinen Wehrpflicht, die von den preußi-
schen Reformern und der monarchischen Führung eingeführt wurde. Barthold
Georg Niebuhr, keineswegs napoleonfreundlich gesinnt, verdammte sie noch
1808. Durch sie, urteilte der Althistoriker, seien auch die Römer ,,im Grunde
immer Barbaren“ geblieben, die ,,Unterbrechung des Berufs durch Soldaten-
dienst“ störe sowohl das Gewerbe als auch die Erziehung der Einzelnen, diesen
,,dummen Friedensdienst“ müsse man ablehnen – nur der ,,wirkliche Kriegs-

6
Als ein Beispiel vgl. Marco Arndt, Vor 250 Jahren. Die Schlacht bei Kesselsdorf am 15.
Dezember 1745, in: Sächsische Heimatblätter 6 (1995), H. 1, S. 361–365.
7
Johann Christian Reil (Arzt aus Halle, Prof. in Berlin) an Frhr. vom Stein, 26.10.1813, in:
Die Befreiungskriege in Augenzeugenberichten, München 1973, S. 192–195.
Heroisierung und Opferstilisierung 127

dienst [ … ] für einige Zeit“ zeuge Positives. 1813 dann war auch Niebuhr zum
Kriegs- und Kriegsdienstemphatiker geworden, es trieb ihn ,,unwiderstehlich,
mich an das Militär anzuschließen“. Im März des Jahres, schon vor dem Abzug
der Franzosen, fing er an, ,,das Exercieren heimlich zu üben“, denn man könne
nicht von der Armee und den Soldaten allein den Kampf für die Freiheit fordern,
vielmehr ,,müssen wir es auch selber tun“.8 Die Begeisterung in der preußischen
Bevölkerung war jedoch, entgegen der späteren borussischen Legende, nicht all-
gemein verbreitet. Nicht der König rief, und alle, alle kamen. Vielmehr riefen
maßgebliche Teile der Bevölkerung und der Eliten, und schließlich gab der Kö-
nig nach und versuchte die nationale Stimmung monarchisch einzubinden. Die
berühmten Aufrufe des Königs im Frühjahr 1813 appellierten an die nationa-
le Stimmung, forderten zur Beteiligung am Krieg auf und verteidigten zugleich
die monarchische Kompetenz in diesen Fragen.9 Eine geschickte propagandis-
tische Inszenierung etablierte die Formel ,,Mit Gott für König und Vaterland“
zum zentralen Sinnspruch der Befreiungskriege und des Gefallenengedenkens.
Der preußische König Friedrich Wilhelm III. verstand die Verbindung von Kö-
nig und Vaterland jedoch keineswegs additiv und damit fortschrittlich, sondern
konsekutiv und damit traditionell: Nur was dem Monarchen passend erschien,
könne dem Vaterland recht sein.10
Die Entstehung des modernen Gefallenengedenkens ist Teil einer umfas-
senderen Wandlung der vormodernen Totenmemoria, denn auch die zivile
Grabkultur und das zivile Totengedenken haben sich an der Wende zum 19. Jh.
fundamental verändert. An die Stelle komplexer Vorstellungen von der Gegen-
wart der Toten und ihrer realen Verbundenheit mit den Lebenden trat nun die

8
Niebuhr an Altenstein, 5.11.1808, in: Die Briefe Barthold Georg Niebuhrs, hg. von Diet-
rich Gerhard und William Norvin, Berlin 1926, Bd. 1, S. 496 und S. 498; Niebuhr an Dore
Hensler, 22.1.1813, in: Ebd. Bd. 2, Berlin 1929, S. 363, (an Dore Hensler 21.3.1813),
S. 377. Auch Schleiermacher, Fichte und andere Bildungsbürger sprachen 1813 nicht
nur über den Krieg, sondern versuchten selber ,,Krieger“ zu werden; Herfried Münkler,
,,Wer sterben kann, wer will den zwingen“. Fichte als Philosoph des Krieges, in: Johan-
nes Kunisch/Herfried Münkler (Hg.), Die Wiedergeburt des Krieges aus dem Geiste der
Revolution. Studien zum bellizistischen Diskurs des ausgehenden 18. und beginnenden
19. Jahrhunderts, Berlin 1999, S. 241–259.
9
,,An mein Volk“, ,,An mein Kriegsheer“ und zur Bildung der Landwehr (17. März 1813);
vgl. dazu Julius von Pflug-Hartung, Die Aufrufe ,,An mein Volk“ und ,,An mein Kriegs-
heer“, 1813, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 26
(1913), S. 265–274.
10
Gerhard Graf, Gottesbild und Politik. Eine Studie zur Frömmigkeit in Preußen während
der Befreiungskriege 1813–1815, Göttingen 1993, S. 28; vgl. auch ders., Die Devise ,,Mit
Gott für König und Vaterland!“ Eine Orientierung auch für die Disziplin Kirchengeschich-
te, in: Pastoraltheologie 74 (1985), S. 478–497; Karen Hagemann, ,,Mannlicher Muth und
Teutsche Ehre“. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege
Preußens, Paderborn 2002, S. 281–289.
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Erinnerung. Vereinfacht formuliert: Tote wurden nicht mehr durch Praktiken


(memoria) vergegenwärtigt, um in der Welt der Lebenden präsent zu sein,
in der sie auch als Verstorbene bestimmte Funktionen übernehmen konnten.
Stattdessen bewahrte man sie fortan durch (individuelle oder kollektive) Er-
innerungskonstruktionen im Gedächtnis. Die mittelalterliche memoria zielte
darauf, durch Riten eine Gegenwart der Toten unter den Lebenden darzustellen,
während das neuzeitliche Totengedenken die Erinnerung der Lebenden an die
Verstorbenen als Vergangene zum Kern hat. Vielfältige Formen der Repräsenta-
tion und der Funktionalisierung des Gedenkens erwuchsen daraus.11 Beeinflusst
wurde dadurch nicht nur die zivile Grabkultur in hohem Maße. Nur weil die
Toten aus der Gegenwart der Lebenden verschwanden und an sie nur noch
erinnert wurde,12 konnte auch ein Gefallenengedenken im nationalen Rahmen
entstehen. Die potentiell unbegrenzte Memorierungsleistung der Überlebenden
symbolisiert seither auch den Anspruch auf eine Dauerhaftigkeit des politischen
Gemeinwesens, dem auf diese Weise eine innerweltliche Unsterblichkeit attes-
tiert wird. Der im Kontext der Befreiungskriege sich entwickelnde politische
Totenkult war Teil dieser Traditionsbildung; vier Dimensionen bestimmen seine
Gestalt bis heute.

Individualisierung

Die neuen Erscheinungsformen des Gefallenengedenkens, die 1813 entstanden,


sind Teil dieser Mobilisierung und Restabilisierung der traditionellen monarchi-
schen Autorität. Der erstrebten aktiven Teilhabe des Einzelnen – seiner fraglosen
Bereitschaft zum ,,Tod fürs Vaterland“, wie es seit dem 18. Jahrhundert, an an-
tike Formeln anknüpfend,13 wieder hieß, – korrespondierte 1813 die landesweit
umgesetzte individuelle Nennung des Namens jedes Einzelnen Gefallenen. Das
wurde in den Jahren nach 1813 in Preußen erstmals in der Neuzeit in einem Staat
umgesetzt. Während der Leichnam in der Regel noch anonym im Massengrab
endete, ordnete Friedrich Wilhelm III. am 5. Mai 1813 an, in jeder Kirche auf
Gemeindekosten eine Tafel mit den Namen aller Gefallener dieser Gemeinde zu
errichten. Auch an die einfachen Soldaten wurde erinnert, auch ihre Leistung für

11
Zur Veränderung der Erinnerungsformen und -funktionen im Umbruch zwischen Vormo-
derne und Moderne: Otto Gerhard Oexle, Memoria als Kultur, in: Ders. (Hg.), Memoria
als Kultur, Göttingen 1995, S. 9–78.
12
Ders., Die Gegenwart der Toten, in: Herman Braet/Werner Verbeke (Hg.), Death in the
Middle Ages, Leuven 1983, S. 19–77, bes. S. 19–26; zum zivilen Friedhofswesen siehe
Barbara Happe, Ordnung und Hygiene. Friedhöfe in der Aufklärung und die Kommuna-
lisierung des Friedhofswesens, in: Raum für Tote, hg. vom Museum für Sepulkralkultur
Kassel, Braunschweig 2003, S. 83–110.
13
Vgl. zur berühmten Horazstelle Dieter Lohmann, Dulce et decorum est pro patria mori, in:
Schola Anatolica. Freundesgabe für Hermann Steinthal, Tübingen 1989, S. 336–372.
Heroisierung und Opferstilisierung 129

Abbildung 1: ,,Gedächtnistafel“
für 1813, Caputh (Kirchenkreis
Potsdam), errichtet nach 1815
(Foto: Burkhart Franck).

das ,,Vaterland“ wurde gewürdigt, dezentral in den Gedenktafeln der Gemein-


den auf individuelle Weise,14 zentral auf staatlicher Ebene durch ein nationales
Denkmal.
Diese Namensnennung und Aufwertung des Einzelnen bestand 1813 in
Preußen ausschließlich aus einer egalitären Nivellierung, sie war nicht mit
einer politischen Partizipation verbunden. Indem an alle Gefallenen unabhängig
von ihrem Stand und Rang, erinnert wurde (erst viel später erhielten alle den

14
Die Gedächtnistafeln, wie sie zeitgenössisch meist genannt wurden, sind bisher kaum unter-
sucht worden und werden selten beachtet. Auf Initiative und Betreiben Friedrich Wilhelms
III. versuchte die preußische Bürokratie, eine möglichst einheitliche Gestaltung durchzu-
setzen, was nicht immer gelang. Erfolgreich war die preußische Verwaltung jedoch darin,
in allen Kirchen des Landes diese Tafeln durch die Gemeinden errichten zu lassen und die
Namen aller Gefallenen aus diesen Gemeinden öffentlich bekannt zu machen. 1813 war
die Errichtung dieser Tafeln in den Kirchen durch die staatliche Verordnung Pflicht, nach
den späteren Kriegen wurde die Errichtung den Gemeinden jeweils freigestellt, langfristig
verschob sich die umfassende Namensnennung dann vom kirchlichen in den weltlichen Be-
reich, auf die Kriegerdenkmäler. Die Variationsbreite der Tafeln allein im Stadtgebiet von
Potsdam ist gut dokumentiert bei Sylvia Müller-Pfeifruck, Die Kriegergedächtnistafeln für
den Befreiungskrieg 1813–15 in den Kirchen der Landeshauptstadt, in: Brandenburgische
Denkmalpflege 18.2009, H. 1, S. 83–96.
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Anspruch auf ein Einzelgrab), stellte man alle in den gleichen unmittelbaren
Bezug zur Nation und zum Monarchen. Die dem äußeren Anspruch nach gleiche
Ehrung aller wurde damals zuerst für die Lebenden vorgenommen: Das von
Karl Friedrich Schinkel entworfene ,,Eiserne Kreuz“, am 10. März 1813 für
die Dauer des Krieges gestiftet, sollte den Verdienst im Kampf unabhängig von
Stand und Rang würdigen. Damit waren in Preußen und Deutschland zum ersten
Mal alle gesellschaftlichen Kreise gleichermaßen ordensfähig. Die Stiftung der
Gedenktafeln für die Gefallenen erfolgte erst zwei Monate später, die Indivi-
dualisierung und Egalisierung der Toten hinkte damit derjenigen der Lebenden
hinterher.15 Zugleich wurde die politische Sprengkraft der Individualisierung
dadurch gemindert, dass sich die Namenstafeln nicht im öffentlichen Raum,
sondern im Inneren der Kirche befanden. Aufgewertet wurde der Einzelne
hier als preußischer Christ, nicht als preußischer Bürger; die Aufwertung des
Einzelnen führte 1813 noch nicht zu einer politischen Demokratisierung.

Ritualisierung

Nach 1813 entstanden säkulare Gedenkpraktiken und -formen (Gedenkfeiern


und -tage, Todestage, Grabpflege), die nicht in den religiösen oder privaten Trau-
er- und Gedenkformen aufgingen. Was 1813 auf monarchische Anordnung hin
im kirchlichen Raum als religiöse Feier vollzogen wurde, löste sich in der Folge-
zeit von der Bindung an die Religion. Zentrale Gedenktage gibt es heutzutage in
nahezu allen Staaten, in Preußen wurde ein derartiger zentraler Erinnerungstag
erstmals 1816 durch eine Kabinettsordre gestiftet, zur Würdigung und gemein-
staatlichen Erinnerung an die Gefallenen von 1813. Verordnet wurde ein allge-
meiner ,,Feiertag zum Gedächtnis der Entschlafenen“. Dieser transformierte die
zentrale staatliche Feier für die Gefallenen der Freiheitskriege, die am 4. Juli
1816 in ganz Preußen gefeiert worden war, bändigte aber eine politische Aufla-
dung des Rückbezugs an die patriotische Teilhabe und politische Aktivität der
Bevölkerung, indem der Gedenktag an die Kriegstoten als religiöser Feiertag ge-

15
Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland, Bd. 1, Heidelberg 1985, S. 75f. Das
Eiserne Kreuz wurde erster und zweiter Klasse gestiftet, zuerst musste die zweite Klasse
erworben werden, bevor man die erste verliehen bekommen konnte. Der König verordnete
zwar einerseits, dass mit dem Eisernen Kreuz ,,der Soldat mit dem General ganz gleich“
geehrt werden würde, schob dann aber eine ständische Differenzierung nach, die funktio-
nal begründet wurde, indem er erläuterte, dass die Verdienste eines Generals für den Staat
unstrittig viel größer seien als die eines Soldaten, da sein Wirkungskreis viel umfangrei-
cher sei – selbst wenn ein Soldat das Eiserne Kreuz öfter erhielte als der General; Max
Zimmermann, Das Eiserne Kreuz, Berlin 1914, S. 7f.; zur späteren Geschichte vgl. Ralph
Winkle, Der Dank des Vaterlandes. Eine Symbolgeschichte des Eisernen Kreuzes 1914–
1936, Essen 2007.
Heroisierung und Opferstilisierung 131

staltet wurde.16 Da er bald am letzten Sonntag des Kirchenjahres stattfand und


sich an die katholischen und protestantischen Totenfeiertage Allerseelen bzw.
Totensonntag (der jedoch im 18. Jh. kaum noch gefeiert worden war) anlehn-
te, wurde die Erinnerung an die Toten der Freiheitskriege einerseits kanalisiert
und andererseits durch den religiösen Rahmen domestiziert.17 Zur Ritualisie-
rung gehören aber genauso Erinnerungsfeiern der Teilnehmer, die sich auf die
gemeinsame Beteiligung an den Feldzügen bezogen. Nach 1815 entstanden in
Preußen zudem zahlreiche Vereine von ehemaligen Kriegsteilnehmern, die seit
1842 gemäß einer Kabinettsordre als ,,Krieger-Begräbniß-Vereine“ geführt wur-
den – auch das war ein Versuch, ihre politische Bedeutung zu begrenzen.18 Die
Kriegervereine erlangten eine immer größere Bedeutung für die Gestaltung des
Gedenkens. Sie initiierten in den meisten Fällen den Bau eines Denkmals und
stellten – bis 1933 – eines der wichtigsten Scharniere für die Verbindung von
Militär und Gesellschaft dar.

Monumentalisierung

An Vorschlägen für ein zentrales, gemeinsames Denkmal mangelte es 1813 und


in den Jahren danach nicht. Bereits 1813 entwarf Schinkel im Auftrag einer Kor-
poration von Ständen einen ,,Brunnen der Begeisterung“, und 1814 – um ein
weiteres Beispiel zu geben – propagierte Ernst Moritz Arndt zum Jahrestag der
,,Völkerschlacht“ die Idee eines Denkmals. Dieses sollte, das war der Tenor, kein
Denkmal der Fürsten und Feldherren sein, sondern der Gefallenen und des Vol-
kes, wohin ,,unsere Urenkel noch Wallfahrten gehen“ werden, so Arndt.19 Aus
diesen Plänen, die sich auf die erst noch politisch zu einende deutsche Nation
bezogen, wurde jedoch nichts. Stattdessen ließ der preußische König 1821 ein
,,Krieges-Denkmal auf dem Kreuzberge“ als ,,Anerkenntniß edler Hingabe für

16
Erst der Volkstrauertag, 1925 auf Initiative des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge
nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt, wurde ganz als säkularer Gedenktag beschlossen;
vgl. Alexandra Kaiser, Von Helden und Opfern. Eine Geschichte des Volkstrauertages,
Frankfurt 2010.
17
Paul Graff, Beiträge zur Geschichte des Totenfestes, in: Monatsschrift für Pastoraltheologie
2 (1905/06), S. 62–76. Das Kirchenjahr beginnt mit dem vierten Sonntag vor dem 25.12.,
der Totensonntag liegt damit auf dem fünften Sonntag vor dem ersten Weihnachtstag.
18
Seit 1848 bezeichneten sie sich selber allgemeiner als ,,Kriegervereine“ oder ,,Ve-
teranenvereine“, Eckhard Trox, Militärischer Konservativismus. Kriegervereine und
,,Militärpartei“ in Preußen zwischen 1815 und 1848/49, Stuttgart 1990, S. 41.
19
Thomas Nipperdey, Kirchen als Nationaldenkmal. Die Pläne von 1815, in: Festschrift Otto
von Simson, Berlin 1977, S. 412–431, hier S. 412; vgl. auch Jürgen Döring, Das ,,Zeitalter
der Monumenten-Wuth“. Zum Denkmalverständnis um 1800, in: Niederdeutsche Beiträge
zur Kunstgeschichte 29 (1990), S. 111–149; Klaus Lankheit, Friedrich Weinbrenner und
der Denkmalskult um 1800, Basel 1979.
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Abbildung 2: Kreuzbergdenkmal,
Berlin 1821
(Foto: Manfred Hettling).

König und Vaterland“ errichten, das erste Beispiel dieses neuen Typs im deut-
schen Kontext.20
Friedrich Wilhelm III. achtete sorgsam darauf, dass es als Stiftung des Mon-
archen für das Volk gestaltet wurde. Die Inschrift artikulierte dieses Verständnis
eindeutig: ,,Der König dem Volke, das auf seinen Ruf hochherzig Gut und Blut
dem Vaterlande darbrachte; den Gefallenen zum Gedächtnis, den Lebenden zur
Anerkennung, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung.“ Sie stammte
von August Böckh, einem Altphilologen, knüpfte aber nicht an antike Muster
an. Das Kreuzbergdenkmal – eine gusseiserne, pyramidenförmig aufgebaute
Säule im gotischen Stil, mit dem Eisernen Kreuz an der Spitze – war zwar dem
Volk gewidmet und betonte dessen Untertänigkeit gegenüber dem Monarchen.
Es unterlief aber nicht nur mit der Inschrift die Demokratisierungstendenz und
orientierte sich – leicht kaschiert – noch immer an den vormodernen Ausdrucks-
20
Die Königliche Eisen-Giesserei zu Berlin 1804–1874, Ausstellungs-Kat. Stadtmuseum
Berlin, Berlin 2004, 44f.; Michael Nungesser, Das Denkmal auf dem Kreuzberg von Karl
Friedrich Schinkel, Berlin 1987.
Heroisierung und Opferstilisierung 133

formen, den Fürsten- und Feldherrendenkmälern. Die im Sockel als Statuen


angebrachten Genien symbolisierten die Schlachtorte, ihre Gesichtszüge aber
waren Fürsten und Feldherrn nachgebildet.21 Damit blieb die beginnende
Individualisierung des Gefallenengedächtnisses, die sich in den Gedächtnis-
tafeln in den Kirchen manifestierte, in ein breites Spektrum herkömmlicher
Formen wie Denkmäler für Feldherren (etwa Blücher), Schlachtfelddenkmälern
(von Großbeeren bis Waterloo) und Fürstendenkmälern eingebettet. Auch das
Kreuzbergdenkmal repräsentiert noch diesen traditionell-monarchischen Deu-
tungsrahmen, ohne indes noch den Fürsten selber in den Mittelpunkt stellen zu
können.

Politisierte Religion

Auch im neuen staatlichen Totenkult blieb die Religion präsent. Erstens war jede
Sinndeutung des Todes noch an den christlich-religiösen Deutungskontext von
Auferstehung und göttlichem Gericht gebunden; zweitens wurde die ,,Nation“
mit religiösen Deutungsmustern verbunden; drittens übernahm die Kirche, vor
allem im 19. Jh., eine zentrale Rolle im säkularen Gefallenengedenken. 1813
wurde in Preußen die protestantische Kirche extensiv in Anspruch genommen,
sowohl für die mentale Mobilisierung der Bevölkerung zum Krieg als auch für
die Memorialisierung. Eine Bedingung hierfür war einerseits die enge Verzah-
nung von Staat und Kirche, da der preußische König weltliches und kirchliches
Oberhaupt zugleich war, andererseits eine fundamentale Intensivierung der
religiösen Orientierung nach 1800, die sich in relativ kurzer Zeit vollzog. 1815
gehörte Religion nach der aufklärerischen Skepsis des 18. Jh. ,,wieder zum
Grundgefühl der Zeitgenossen wie zu ihrer Reflexion auf Welt, Leben und
Sinn“.22 Thematisierungen sowohl des Todes (auch des Soldatentodes) als auch
der Nation waren deshalb eng an religiöse Deutungen gebunden. Der religiöse
Volkskrieg, der damals von russischer Seite propagiert worden war, fand auch in
Preußen einen Resonanzboden, wo sich die Geistlichen bereitwillig um die ideo-
logische Betreuung der Bevölkerung kümmerten. Gewohnt, die Interessen des
Staates wahrzunehmen, segneten die Prediger die ausziehenden Freiwilligen ein
und organisierten Spendensammlungen. Zu einzelnen Anlässen wie etwa dem
Beginn des Feldzugs am 28. März 1813 wurden beiden Konfessionen im ganzen
Land entsprechende Predigten aufgetragen, der Bezug auf eine bestimmte Bibel-
stelle (Jeremias 17, 5–8) vorgegeben sowie die Verlesung des königlichen Auf-
rufs ,,An mein Volk“ von der Kanzel befohlen. Ein regierungsamtlicher Aufruf
verpflichtete die Geistlichen darüber hinaus am 24. März, den ,,Geist“ der Bevöl-

21
Ebd., S. 55.
22
Nipperdey, Kirchen als Nationaldenkmal, S. 412–443; ders., Deutsche Geschichte 1800–
1866, München 1983, S. 404 (Zitat).
134 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

kerung so zu beeinflussen, ,,daß jeder nicht sich lebe, sondern dem Vaterland,“
und daraus ein ,,besseres Geschlecht“ entstehen möge. Die Pastoren wurden zu
,,Feldpredigern“ und zu nationalen Erziehern mit dem Auftrag, die innere Läu-
terung jedes Einzelnen zu befördern. Von der Kanzel aus überhöhten Prediger
wie Friedrich Schleiermacher den Feldzug zu einem ,,heiligen Krieg“.23

Grundformen des Gedenkens

Opfer für …

In Deutschland lassen sich idealtypisch drei große Phasen des Gefallenenge-


denkens unterscheiden. Die erste beginnt, wie erwähnt, 1813 und dauert bis
zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Sie ist geprägt durch zwei relativ kurze und
siegreiche kriegerische Konflikte, die antinapoleonischen Feldzüge 1813–1815
und die preußisch-deutschen Einigungskriege 1864, 1866 und 1870/71. In ihnen
wurde ein heroisierendes Gefallenengedenken nachhaltig geprägt, welches das
individuelle Opfer für die zu errichtende Nation in den Mittelpunkt des Geden-
kens stellte und bis 1914 in einer latenten Spannung zwischen monarchischem
und nationalem Bezug stand. Der ,Tod fürs Vaterland‘ erschien einer großen
Mehrheit der Bevölkerung im 19. Jh. als heldenhaft ,,männlich“. Dass Krieg ein
Instrument staatlichen Handelns sein konnte, wurde nicht in Frage gestellt.24 Die
politischen Erfolge 1815 und 1871 legitimierten in den Augen der Zeitgenossen
den Gefallenentod, denn die Entscheidung zum Krieg hatte sich jeweils ex post
aus der Sicht des Siegers als richtig und berechtigt erwiesen. Zudem blieben die
Gefallenenzahlen in diesen Feldzügen verglichen mit den großen Kriegen im
17./18. und 20. Jh. relativ niedrig. Bei der ,,Völkerschlacht“ 1813 lag die Zahl
der preußischen Verluste bei etwa 16.000, 1864 bis 1871 insgesamt bei knapp
45.000.25 Nach 1870 wurden erstmals Soldatenfriedhöfe angelegt, wobei die

23
Gneisenau und andere bürgerliche Reformer hatten das schon länger gefordert, Georg
Heinrich Pertz, Das Leben des Generalfeldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau,
Bd. 2, Berlin 1894, S. 112–142; Friedrich Schleiermacher, Die große Veränderung, de-
ren unser Volk sich erfreut, von Seiten unserer Würdigkeit vor Gott betrachtet. Ueber
Jerem. 17,5–8 und 18,7–10, in: Ders., Predigten, Bd. 4, Berlin 1835, S. 37–50, hier S. 38;
dazu Matthias Wolfes, Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft. Friedrich Schleiermachers
politische Wirksamkeit, Bd. 1, Berlin 2004, 349–365; vgl. allgemein Gerhard Graf, Got-
tesbild und Politik. Eine Studie zur Frömmigkeit in Preußen während der Befreiungskriege
1813–1815, Göttingen 1993, S. 33–36, der Aufruf an die Geistlichkeit vom 24.3.1813 ebd.
S. 124f.
24
Zu den Männlichkeitsbildern in Bezug auf den Militärdienst vgl. Ute Frevert, Die kaser-
nierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001.
25
Gerhard Graf, Die Völkerschlacht bei Leipzig in zeitgenössischen Berichten, Leipzig, 1988,
S. 16; Lurz, Kriegerdenkmäler, Bd. 2, S. 125; Bd. 3, S. 30.
Heroisierung und Opferstilisierung 135

Angehörigen beider kriegführenden Nationen oft noch auf demselben Friedhof


bestattet wurden. Neu war die Dauerhaftigkeit des Soldatengrabs. Deutschland
und Frankreich verpflichteten sich im Friedensvertrag von 1871, die Gräber der
auf ihrem Gebiet ruhenden Soldaten zeitlich unbegrenzt zu erhalten. Das ,,dau-
ernde Ruherecht“, das bis heute für Soldatenfriedhöfe gilt, wurde erstmals 1872
für Gräber in Elsass-Lothringen beschlossen und symbolisierte sowohl die ge-
stiegene Wertschätzung des Gefallenen als auch den Anspruch der Nation auf
Unsterblichkeit.26
Die ,,Kriegerdenkmäler“, die vor allem nach 1871 und in einer zweiten Wel-
le seit den 1890er Jahren errichtet wurden, spiegeln diese Popularisierung des
Krieges wider. Sie bemühen sich um eine Visualisierung der Sinnhaftigkeit des
Opfers der Gefallenen, indem sie entweder den Sieg symbolisieren (etwa mit
antiken Siegesgöttinnen), den Fürsten als siegreichen Feldherren und Einiger
der Nation darstellen (Kaiser Wilhelm I.) oder die Symbolik des neuen Staa-
tes (etwa den Reichsadler) präsentieren und zugleich die Namen der Gefallenen
aufführen.27 Die Soldaten selber werden auf den Denkmälern kaum figürlich
repräsentiert, im Unterschied zu den Denkmälern nach 1918. Von der Popula-
risierung des Gefallenengedenkens zeugen auch die Stifter der Denkmäler: Nur
eine kleine Zahl geht auf fürstliche Initiativen zurück, die große Mehrheit wur-
de durch das Militär (Regimentsdenkmäler) oder durch private Vereine oder die
jeweiligen Gemeinden errichtet.
Das 1813 entstandene Arsenal von Denkmälern, Gedenktagen, Orden und
Gedenkfeiern wurde nach 1870 ausdifferenziert, jedoch nicht grundsätzlich ver-
ändert. Erwähnt seien der Sedantag am 2. September zur Erinnerung an den Sieg
über Napoleon III., die erneute Verleihung des Eisernen Kreuzes, die Feierlich-
keiten am örtlichen Kriegerdenkmal und die religiöse Überhöhung des Krieges
gegen Frankreich zum Kreuzzug. Die Bevölkerung adaptierte all diese Gedenk-
formen und -praktiken und bekräftigte so die Bedeutung der als Helden geehrten

26
Lurz, Kriegerdenkmäler, Bd. 2, S. 134. Noch 1864 war die Zahl der Gefallenen gering, so
dass die Toten in der Regel auf den zivilen Friedhöfen beigesetzt wurden; 1866 erfolgte
dann die Bestattung entweder in Massengräbern auf dem Schlachtfeld oder auf den zivilen
Friedhöfen in Schlachtfeldnähe.
27
Zu den Denkmälern der Einigungskriege vgl. die zeitgenössische Zusammenschau bei Fritz
Abshoff, Deutschlands Ruhm und Stolz. Unsere hervorragendsten vaterländischen Denk-
mäler in Wort und Bild, Berlin o.J. (1904); sowie die – mehr auf Bismarck- und Wilhelm-
Denkmäler konzentrierte – Arbeit von Reinhard Alings, Monument und Nation. Das Bild
vom Nationalstaat im Medium Denkmal. Zum Verhältnis von Nation und Staat im deut-
schen Kaiserreich 1871–1918, Berlin 1996; allgemein zur Rezeption der Einigungskriege in
der Öffentlichkeit des Kaiserreichs, jedoch ohne Berücksichtigung der Kriegerdenkmäler:
Frank Becker, Bilder von Krieg und Nation. Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öf-
fentlichkeit Deutschlands 1864–1913, München 2001; viele Hinweise auf Einzelnes, doch
ohne eine überzeugende Systematisierung: Lurz, Kriegerdenkmäler, Bd. 2.
136 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

Gefallenen.28 In Deutschland entwickelte sich im Lauf des Jahrhunderts, wie in


anderen europäischen Gesellschaften auch, ein positives Bild des ,,Opfers für das
Vaterland“. Damit einher gingen heroisierende Vorstellungen vom soldatischen
Einsatz in einem Kriege, der – was man nicht vergessen darf – als eine selbstver-
ständliche Option staatlichen Handelns galt. Mit diesen auf 1813 und 1864 bis
1871 bezogenen Erinnerungsbildern im Kopf zogen die Menschen dann 1914 in
den nächsten Krieg – der radikal andere Kriegserlebnisse vermittelte.

Opfer an sich

Mit dem Ersten Weltkrieg beginnt die zweite Phase des Gefallenengedenkens,
denn in den Schützengräben des Weltkrieges rückte ein mythisiertes Kriegs-
erlebnis des Aushaltens in den Mittelpunkt der Erinnerung – nicht nur, aber
vor allem in den ,,Verlierergesellschaften“. Der Gefallenenkult, von der Fra-
ge des Sieges entkoppelt, geriet zum zentralen Bestandteil des Nationalismus;
der Bezug auf den Kaiser hatte sich bereits zu Kriegsbeginn verflüchtigt. Als
Wilhelm II. im November wenig heldenhaft ins niederländische Exil flüchte-
te und vor der Zumutung eines inszenierten heroischen Opfertodes auf dem
Schlachtfeld davonlief, hatten sich Gefallenengedenken und politische Legiti-
mationsdeutung längst vom Monarchen gelöst. Von der 1813 geprägten Trias
Gott – König – Vaterland überdauerte nun allein die nationale Komponente.
Der Mythos des nationalen Kriegserlebnisses wurde in einem spezifischen ,,Er-
lebnisraum“ greifbar, der das Gefallenengedenken bestimmte.29 Dazu gehörten
zum einen die Soldatenfriedhöfe, verwiesen die Begrabenen doch auf die Aura
des Kriegserlebnisses, indem ihr Sterben den Überlebenden als Bestätigung der
Außeralltäglichkeit diente und den Kriegsschauplatz zum mythischen Ort wer-
den ließ; zum anderen die Denkmäler als Zeichen, die in der Heimat auf diesen
Ort verwiesen und zugleich als ritueller Ort für wiederkehrende Feiern dienten,
die sich auf die Toten und das Kriegserlebnis bezogen.

28
Die Inschriften der Denkmäler verwenden vor allem drei Bezeichnungen. Ein Gemein-
schaftsbezug zwischen Überlebenden und Gefallenen wurde auf den Regimentsdenkmälern
(oder bei Stiftungen von Kriegervereinen) als militärischer Zusammenhang dargestellt und
die Toten als ,,Kameraden“ tituliert, in den städtischen Denkmälern wurden die Toten als
,,Söhne“ familial definiert oder als ,,Helden“ überhöht; Lurz, Kriegerdenkmäler, Bd. 2,
S. 364.
29
Zum Mythos des Kriegeserlebnisses und seinen primären Symbolen, den Soldatenfried-
höfen, Kriegerdenkmälern und Gedenkfeiern vgl. George L. Mosse, Gefallen für das
Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben, Stuttgart 1993, S. 13f., konzep-
tionell zum Begriff Erlebnisraum und der Einheit von Bezugsereignis (Historie), Denkmal
(Objekt), Fest (Ritual) vgl. Manfred Hettling, Erlebnisraum und Ritual. Die Geschichte des
18. März 1848 im Jahrhundert bis 1948, in: Historische Anthropologie 5 (1997), S. 417–
434.
Heroisierung und Opferstilisierung 137

Zwar lässt sich diese Mythisierung des Kriegserlebnisses in allen am Ersten


Weltkrieg beteiligten Staaten beobachten und in zugespitzter Weise in den Ver-
liererstaaten, doch in Deutschland wurde es auf besondere Weise ideologisch
überhöht und politisch aufgeladen. Während in Italien, der Türkei und Russ-
land die nationalen bzw. revolutionären Neugründungen unter faschistischem,
jungtürkischem oder sozialistischem Vorzeichen neue politische Legitimationen
anboten und deshalb weniger auf den Weltkrieg Bezug nahmen, ja ihn zum Teil
ausblendeten, stellten Krieg und Kriegserlebnis in Deutschland den zentralen
Deutungszusammenhang dar – für alle politischen Lager. Das Gefallenengeden-
ken war deshalb in die politischen Konflikte und Deutungskonkurrenzen der
Weimarer Republik untrennbar verwickelt. Einerseits verhinderte das ein ge-
samtstaatliches Denkmal, andererseits wurde das Gefallenengedenken dadurch
in parteipolitische Auseinandersetzungen hineingezogen. Das führte zu milieu-
spezifischen Erinnerungskulturen mit einem regelrechten ,,Krieg der Denkmä-
ler“.30
Die Überhöhung des Kriegserlebnisses wurde in den zehntausenden Krieger-
denkmälern besonders sichtbar. In den meisten Fällen erinnerte eine figürliche
Darstellung des uniformierten Soldaten an die ,,Opfer“ der 1,8 Mio. Gefallenen.
Diese blieben ,,Helden“, sie wurden als Krieger, d.h. in Uniform, dargestellt,
nicht als Bürger,31 auch wenn sich nicht beantworten ließ, für welches politische
Ziel, für welche politische Ordnung sie gefallen waren. Ein bekanntes Beispiel
hierfür ist das Hamburger Dammtordenkmal, ein Regimentsdenkmal (76. In-
fanterieregiment), das auch als Gegendenkmal gegen das von einem sozialde-
mokratisch und liberal dominierten Senat errichtete Barlachdenkmal vor dem
Rathaus gedacht war. Dieses verweigerte mit einem überlebensgroßen Relief
,,Trauernde Mutter mit Kind“ und der Inschrift ,,40.000 Söhne der Stadt ließen
ihr Leben für Euch“ jedes Heroisierungsangebot. Dem setzte das Dammtordenk-
mal die Inschrift ,,Deutschland muß leben/und wenn wir sterben müssen“ und
eine dezidierte Überhöhung des Opfers entgegen.32

30
Christian Saehrendt, Der Stellungskrieg der Denkmäler. Kriegerdenkmäler im Berlin der
Zwischenkriegszeit 1919–1939, Bonn 2004; zu den gescheiterten Plänen, in Weimar ein
zentrales ,,Reichsehrenmal“ zu errichten, vgl. Benjamin Ziemann, Die deutsche Nation und
ihr zentraler Erinnerungsort. Das Nationaldenkmal für die Gefallenen im Weltkriege und
die Idee des Unbekannten Soldaten 1914–1935, in: Helmut Berding u. a. (Hg.), Krieg und
Erinnerung. Fallstudien zum 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 67–91; Henrik
Hilbig, Das Reichsehrenmal bei Bad Berka. Entstehung und Entwicklung eines Denkmal-
projekts der Weimarer Republik, Aachen 2006.
31
Michael Jeismann/Rolf Westheider, Wofür stirbt der Bürger? Nationaler Totenkult und
Staatsbürgertum in Deutschland und Frankreich seit der Französischen Revolution, in:
Reinhart Koselleck/Michael Jeismann (Hg.), Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler
in der Moderne, München 1994, S. 23–50.
32
Hugo Sieker, Das Hamburger Ehrenmal im Wandel der Zeiten, in: Hamburger Mittel- und
Ostdeutsche Forschungen 7.1970, S. 9–38; Hans Walden, ,,Symbol deutschen Soldaten-
138 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

Abbildung 3: Dammtordenkmal Hamburg, Richard Kuöhl, 1936


(Foto: Manfred Hettling).

Der Bezug zum Kaiserreich, das den Krieg begonnen hatte, war obsolet ge-
worden; den Bezug zur Weimarer Republik, die aus der Niederlage entstanden
war, lehnte die Mehrheit ab. In den offiziellen staatlichen Feiern zum Gedenken
an die Toten des Weltkrieges bestimmte hingegen die Trauer den Grundton. So
wurde etwa auf der Reichstagsfeier am 3. August 1924 zum Gedenken an die
Gefallenen weder eine politische Sinndeutung des Kriegstodes noch eine Legi-
timation der eigenen politischen Ordnung (der Weimarer Demokratie) versucht,
stattdessen wies man auf das gemeinsame ,,Erlebnis einer im Leid geeinten
Schicksalsgemeinschaft“ hin, die aus diesem Leid, dem Tod der Gefallenen, neue
Zuversicht schöpfen sollte.33 Ein politisches Ziel konnte damit nicht verbun-
den werden, das scheiterte auch an der politischen Fragmentierung. Ein großes
Transparent, das die Front des Reichstags zur Feier im Sommer 1924 schmückte,

tums“. Zum Kriegerdenkmal am Stephansplatz in Hamburg, in: Sammlung. Jahrbuch 2 für


antifaschistische Literatur und Kunst, Frankfurt 1979, S. 97–104. Überregional bekannt
geworden ist das Denkmal durch die langwierigen Diskussionen in den 1970er Jahren, ob
das Denkmal abgerissen werden sollte, und vor allem durch die dann beschlossene Lösung,
es stehen zu lassen und zugleich ein Gegendenkmal daneben zu errichten, das ,,Mahnmal
gegen den Krieg“ von Alfred Hrdlicka, wovon jedoch nur zwei der ursprünglich geplanten
vier Teile finanziert und aufgestellt werden konnten (1983, 1986).
33
Sabine Behrenbeck, Gefallenengedenken in der Weimarer Republik und im ,,Dritten
Reich“, in: Sabine R. Arnold u. a. (Hg.), Politische Inszenierung im 20. Jahrhundert. Zur
Sinnlichkeit der Macht, Wien 1998, S. 35–55, hier S. 44.
Heroisierung und Opferstilisierung 139

brachte das auf den Begriff: ,,dem lebenden Geiste unserer Toten“ stand dort zu
lesen. Was dieser Geist sei und was die Lebenden daraus gewinnen könnten, das
blieb jedoch unbestimmt. Das grundlegende Deutungsmuster war auch weiter-
hin ein Appell an die Lebenden, sich des Vermächtnisses der Toten anzunehmen.
Darin lag nichts anderes als eine Verpflichtung ohne inhaltliche Bestimmung,
was Raum ließ für unterschiedlichste parteipolitische Interpretationen, nicht zu-
letzt für Radikalisierungen.
Im Nationalsozialismus wurde der Rekurs auf den Mythos des Kriegserleb-
nisses zum Programm. Nun definierte man den Krieg und den Kriegstod (wie
auch den Tod der ,,alten Kämpfer“, der nationalsozialistischen Aktivisten vor
1933) in eine Bedingung des eigenen Erfolges um. Die Trauerfeiern wurden
zu Siegesfeiern verwandelt. ,,Der Führer will nicht, daß der 9. November ein
Trauertag wird, er soll ein Siegstag sein“, notierte Joseph Goebbels 1936 in sei-
nem Tagebuch über den gescheiterten Sturm auf die Feldherrnhalle 1923.34 Die-
se Deutungsverschiebung erfasste auch die Toten des Weltkrieges. Schon 1934
wurde der ,,Volkstrauertag“, der dem Andenken der Weltkriegstoten gewidmet
war, in ,,Heldengedenktag“ umbenannt. Weil der Gedenktag ,,Volkstum und
Volkskraft stärkt“, argumentierte Ende 1933 der ,,Bundesführer“ des ,,Volks-
bundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ Siegfried Emmo Eulen, dürfe er kein
Tag der Trauer bleiben, sondern müsse ,,ein Tag der Erhebung werden, ein Tag
des Aufgehens der blutigen Saat“.35
Im Nationalsozialismus wurde der gewaltsame Tod – der Tod im Krieg wie
der Tod der eigenen Anhänger in den politischen Kämpfen der Weimarer Zeit
– zu einem heroischen Opfer stilisiert, das den eigenen Erfolg erst ermöglicht
habe. Es blieb ein Kampf- und Opfermythos, denn gefeiert wurden Kampf und
Einsatz selbst, ohne dass diese an eine bestimmte politische Ordnung gebunden
gewesen wären. Im Mittelpunkt dieses Mythos stand die Hingabe um ihrer selbst
willen, beschworen wurde ein Opfer an sich – dadurch sollte sich das Volk, die
Rasse auszeichnen und eine neue Qualität, eine neue Reinheit gewinnen. Der
Einzelne wurde darin entwertet, nicht nur durch die schiere Masse der Verluste
und die militärische Sinnlosigkeit des Kampfes (wie bei Stalingrad 1942/43),
sondern auch durch die Aufgabe der Freiwilligkeit. Denn die Bereitschaft zum
Opfer für das Vaterland wurde weder als bürgerliche noch als nationale Teilhabe
am Gemeinwesen, sondern als rassische Qualität und völkische Aufgabe insze-

34
Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente, hg. von Elke Fröhlich, Bd.
2, München 1987, S. 725 (14.11.1936); am ausführlichsten dazu Sabine Behrenbeck, Der
Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923 bis
1945, Köln 1996.
35
Fritz Schellack, Nationalfeiertage in Deutschland 1871 bis 1945, Frankfurt 1990, S. 299f.;
Thomas P. Petersen, Die Geschichte des Volkstrauertages, Kassel2 1999; Kaiser, Von Hel-
den und Opfern.
140 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

niert. Angesichts der Gefahr war nicht Verantwortung für etwas gefragt, sondern
,,Haltung“.36

Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft

Nach 1945 war diese Heroisierung des Opfers obsolet geworden: Die Millio-
nen an Toten und die Dimension der Verbrechen stellten jeglichen politischen
Sinn des Sterbens in Frage. Die dritte Phase des Gefallenengedenkens zeichnet
sich deshalb in Deutschland durch eine radikale Verweigerung der Sinnhaftig-
keit des gewaltsamen Todes als Opfer für etwas oder als Opfer an sich aus.
Gedenken wurde primär ,,sinnfordernd“, vor allem wenn es um die Opfer der
nationalsozialistischen Verbrechen ging.37 Dieser Verzicht auf das Überhöhen
des gewaltsamen Todes war in der Bundesrepublik mit langwierigen inneren
Konflikten um die Gestaltung der Erinnerung an die Toten verbunden. Das Ge-
fallenengedenken entwickelte sich parallel zu der Erinnerung an die Opfer der
nationalsozialistischen (und bald auch der sozialistischen) Verbrechen und ist
deshalb nur in diesem Spannungsverhältnis zu verstehen.
Zahlreiche Konflikte prägten das bundesdeutsche38 Soldatengedenken, weil
es nicht von den verbrecherischen Zielen des militärischen Handelns gelöst wer-
den konnte; das verhinderte jedes ehrende Andenken oder eine besondere Würdi-
gung ihres Todes. Auch wenn die Veteranenverbände und vor allem Konservative
über Jahrzehnte hinweg immer wieder ein zentrales Denkmal forderten, gebaut
wurde es nie. Stattdessen erinnerten in aller Regel Zusatztafeln auf den Denkmä-
lern für den Ersten Weltkrieg an die Gefallenen – mit der impliziten Übernahme
der Deutungsangebote aus den 1920er und 1930er Jahren. Neue Denkmäler wa-
ren betont unpolitisch und nutzten religiöse Deutungsangebote und Symbole –
das christliche Kreuz ersetzte das Eiserne Kreuz. Dann stehen die Namen der
,,Helden“ von 1914–18 (oder des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71)
neben den Namen der ,,Opfer“ von 1939–1945. Denkmäler des Ersten Weltkrie-
ges konnten um steinerne Gedenktafeln für die Opfer des Krieges von 1870/71
oder von 1939–1945 erweitert werden.39

36
Zu ,,Haltung“ als erstrebtem Verhaltensmodell im Nationalsozialismus vgl. die Hinweise
bei Jürgen Matthäus u. a. (Hg.), Ausbildungsziel Judenmord? ,,Weltanschauliche Erzie-
hung“ von SS, Polizei und Waffen-SS im Rahmen der Endlösung, Frankfurt 2003.
37
Koselleck, Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, S. 274.
38
Auf das Gefallenengedenken in der DDR wird hier nicht eingegangen, da es von offizieller
Seite in der DDR nur Denkmäler für Widerstandskämpfer, für Opfer des Faschismus (vgl.
die Neue Wache) und für Soldaten der sowjetischen Roten Armee gab.
39
Vgl. die Abb. beim Denkmalprojekt Gefallenendenkmäler, http://www.denkmalprojekt.
org/2009/reischach_1870-71_wk1u2_bay.htm.
Heroisierung und Opferstilisierung 141

Seit den 1980er Jahren wurde jedoch kritisch diskutiert, wie die Erinnerung
an die Opfer des Nationalsozialismus thematisiert und verbunden werden konnte
mit dem Gedenken an die Soldaten, die für das nationalsozialistische Deutsch-
land gekämpft hatten. Die komplexe Gemengelage von heterogenen Täter- und
Opferschaften verhinderte bis zur Neugestaltung der Neuen Wache 1993 die Er-
richtung einer zentralen staatlichen Gedenkstätte.
Stattdessen entstanden verschiedene Ersatzlösungen. Erstens wurden im
Kommunalen die bestehenden Denkmäler durch bloße Namenstafeln oder den
Rekurs auf eine christliche Symbolik ergänzt; zweitens wurden drei zentrale
,,Ehrenmale“ der Teilstreitkräfte Marine, Luftwaffe und Heer fortgeführt bzw.
neu angelegt,40 die ohne jede direkte politische Sinnstiftung der Soldaten als
bloßer militärischer Funktionsträger gedachten. Sie entnationalisierten und
universalisierten den Gefallenenkult, um politischen Deutungsschwierigkeiten
zu entgehen. Drittens schließlich kam es zu einem Kompromiss, der sich in der
Formel ,,Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ manifestierte. In den 1960er
Jahren wurden mit dieser Formulierung auch die Toten in der DDR und an
der innerdeutschen Grenze gewürdigt und in ein Gedenken einbezogen, das
die totalitäre Gemeinsamkeit von NS- und SED-Diktatur betonte.41 Dadurch
ließen sich die Opfer des Nationalsozialismus leichter in die bundesdeutsche
Gedenkkultur integrieren. Das zentrale Denkmal für die gefallenen Soldaten
der Wehrmacht, das die Veteranenverbände immer wieder gefordert hatten,
scheiterte jedoch an der Aufgabe, auch die Opfer des NS-Regimes zu berück-
sichtigen. Die Neue Wache repräsentierte in den frühen 1990er Jahren dann
einen doppelten Kompromiss.42 Erhalten blieben die sterblichen Überreste
des unbekannten Widerstandskämpfers und des unbekannten KZ-Insassen, die
1960 dort beigesetzt worden waren. Damit wurden spezifische Symbole des
DDR-Gedenkens integriert, das sich ganz auf die (kommunistischen) Opfer des
Nationalsozialismus (und die Gefallenen der Roten Armee) konzentriert und für
die gefallenen Wehrmachtsoldaten keine Denkmäler errichtet hatte. Integriert

40
Dazu und zum Folgenden ausführlicher Manfred Hettling, Militärisches Ehrenmal oder
politisches Denkmal? Repräsentationen des toten Soldaten in der Bundesrepublik, in: Her-
fried Münkler/Jens Hacke (Hg.), Wege zur Bundesrepublik. Politische Mythen, kollektive
Selbstbilder, gesellschaftliche Identitätspräsentation, Frankfurt am Main 2009, S. 131–52.
41
Bezeichnenderweise wurde das Kriegsgräbergesetz (1952) in einer Novellierung 1965
umbenannt in ,,Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewalt-
herrschaft“ und zugleich der Zuständigkeitsbereich um die beiden genannten Gruppen
erweitert.
42
Die Schinkelsche Wache entstand nach 1816 als Wachhaus und Gedenkort für die preußi-
schen Gefallenen in den napoleonischen Kriegen; 1931 wurde sie von Heinrich Tessenow
zum preußischen Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges umgestaltet; 1960 in
der DDR als ,,Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus“ umgestaltet, 1993
zur ,,Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik für die Opfer von Krieg und Gewaltherr-
schaft“ umgeändert.
142 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

wurde aber auch der in der Bundesrepublik seit den 1960er Jahren immer
stärker gewordene Bezug auf die Opfer des Nationalsozialismus. Die Inschrift
der Neuen Wache nahm die berühmte Formel Richard von Weizsäckers auf, der
in seiner Gedenkrede zum 8. Mai 1985 die verschiedenen Opfergruppen aus-
führlich und ausdrücklich benannt hatte.43 Auch wenn die Formel die 3,5 Mio.
gefallenen Soldaten eher beiläufig erwähnte, akzeptierten die Veteranenverbän-
de das Denkmal, nicht zuletzt gedrängt durch den nationalkonservativen CDU-
Politiker Alfred Dregger. Seither wird am Volkstrauertag dort der gefallenen
Soldaten und der Opfer der deutschen totalitären Systeme im 20. Jahrhundert
gedacht. In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert der Bezug zu den na-
tionalsozialistischen Opfern, diese stehen im Zentrum der bundesdeutschen
Gedenkkultur. Die Formel ,,Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“, die sich
allgemein durchgesetzt hat, schließt die gefallenen Soldaten der Weltkriege
ein, was die aktive Dimension ihres Handelns ausblendet und eine politische
Diskussion ausschließt. Die in der Bundesrepublik so verbreitete Identifikation
mit den Opfern44 hat dazu geführt, dass die aktive Dimension des Handelns,
ohne die es kein Opfer für etwas gäbe, nicht mehr artikuliert wird, ja im Rahmen
der bundesdeutschen Erinnerungsmuster in Bezug auf den gewaltsamen Tod
gar nicht mehr dargestellt werden kann. Das begrenzte die Möglichkeit, die
tradierten Formen des Gefallenengedenkens und der Erinnerungskultur auf eine
neue Situation zu übertragen – mit der Folge, dass es für die etwa 2.600 Soldaten
der Bundeswehr, die seit 1955 während ihres Dienstes ums Leben gekommen
sind, keine angemessenen Formen des öffentlichen Gedenkens gab.

Die Transformation des politischen Totenkults


seit dem Ende des Kalten Krieges

Mitte der 1990er Jahre wurden die bundesdeutschen Gedenkformen und -


inhalte von einer veränderten politischen Gegenwart überholt – genau in dem
Moment, als sich nach langwierigen Konflikten ein Konsens gebildet hatte, den
die umgestaltete Neue Wache als zentrales bundesrepublikanisches Denkmal
symbolisierte.45 Nach dem Ende des Kalten Krieges vollzog sich ein sicher-

43
An der Neuen Wache werden die verschiedenen Opfergruppen auf einer Tafel nach der uni-
versalisierenden Sequenz ,,Die Neue Wache ist der Ort der Erinnerung und des Gedenkens
an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ detailliert aufgezählt, ohne einen spezifi-
schen nationalen Bezug.
44
Vgl. als kritische Bilanz der bundesdeutschen Erinnerungskultur Ulrike Jureit/Christian
Schneider, Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart 2010.
45
Zur Neuen Wache vgl. Christoph Stölzl (Hg.), Die Neue Wache Unter den Linden. Ein
deutsches Denkmal im Wandel der Geschichte, Berlin 1993. Die Ausdifferenzierung des
Heroisierung und Opferstilisierung 143

heitspolitischer Paradigmenwechsel, dem in weiten Teilen der Bevölkerung ein


verändertes Verständnis von Sicherheit und Verteidigungspolitik folgte. Die
NATO ging dazu über, auch außerhalb ihres Gebietes mit militärischen Mitteln
Frieden zu sichern und notfalls zu erzwingen. Als die Bundeswehr im Rahmen
der NATO-Missionen seit 1996 in Bosnien-Herzegowina, seit 1999 im Kosovo
und seit 2002 in Afghanistan zu ,,Auslandseinsätzen“ aufbrach, rechtfertigte
man das damit, ,,die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am Hindukush
verteidigt“.46 Die Bundeswehr hat sich inzwischen von einer Armee zur Ver-
teidigung des eigenen Territoriums zu einer weltweit operierenden ,,Armee im
Einsatz“ transformiert und wird in Systemen kollektiver Sicherheit mit völ-
kerrechtlichem Mandat zur Sicherung der internationalen Friedensordnung in
anderen Ländern ,,eingesetzt“. Die anfänglich grundsätzliche Zustimmung der
Öffentlichkeit zu diesen Einsätzen und die relativ hohe Wertschätzung der Bun-
deswehr47 gehen jedoch mit einer begrenzten Bereitschaft der bundesdeutschen
Gesellschaft einher, dafür Tote in Kauf zu nehmen. Eine heroismusskeptische
Gesellschaft wie die deutsche bleibt – im Jargon der Militärsoziologen – casual
shy.
Der ,,neue“ Kriegstod stellt die Gesellschaft jenseits der privaten Trauer vor
grundsätzliche politische Probleme, für die – das ist das Besondere in Deutsch-
land – nicht einfach an historische Deutungsformen angeknüpft werden kann.
Denn diese Toten48 , vom demokratischen Souverän zum aktiven Handeln in den
Einsatz geschickt, können nicht mehr umstandslos als passive ,,Opfer von Krieg
und Gewaltherrschaft“ erinnert werden. Welche neuen Formen des Gedenkens
und der Legitimation des Soldatentodes zeichnen sich nun in der Gegenwart
ab? Zu unterscheiden sind die unterschiedlichen Akteure und ,,Gedenk-Gemein-
schaften“: erstens das staatspolitische Gedenken ,,von oben“ (in Bund, Ländern

Gedenkens vollzog sich, wenn man so will, in beide Richtungen. Einerseits erforderten die
Toten der Bundeswehr eine Repräsentation, andererseits entwickelte sich die Denkmals-
landschaft für die Opfer der nationalsozialistischen Verbrecher immer weiter aus.
46
So Verteidigungsminister Struck 2002; vgl. die bislang beste Bilanz von Hans J. Gießmann/
Armin Wagner (Hg.), Armee im Einsatz. Grundlagen, Strategien und Ergebnisse einer Be-
teiligung der Bundeswehr, Baden-Baden 2009.
47
Zwischen 1997 und 2009 bewegt sich der Anteil der Bundesbürger, die eine ,,positi-
ve“, ,,eher positive“ und ,,sehr positive“ Einstellung gegenüber der Bundeswehr haben,
zwischen 76 % (1997) und 86 % (2003, 2007, 2009). Im Alltag nehmen 2009 90 % der Bun-
desbürger die Bundeswehr positiv wahr; bei Gesprächen in der Familie 86 %. Das Vertrauen
auf die Bundeswehr ist auf hohem Niveau stabil: 2006: 75 %, 2007: 85 %, 2009: 88 %; vgl.
Sicherheits- und verteidigungspolitisches Meinungsklima in Deutschland. Ergebnisse der
Bevölkerungsbefragung Oktober/November 2009, Kurzbericht, hg. Sozialwissenschaftli-
ches Institut der Bundeswehr, Strausberg 2010, S. 18f. u. S. 24, Abb. 5.1.
48
In Afghanistan etwa sind bis Mai 2012 52 Bundeswehrsoldaten ums Leben gekommen,
davon 34 durch ,,Fremdeinwirkung“.
144 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

und Gemeinden), zweitens die binnenmilitärische Praxis und drittens ein gesell-
schaftliches Gedenken ,,von unten“ mit privat-öffentlichem Charakter.

Staatspolitische Gedenkformen

Am ,,Volkstrauertag“ wurde erstmals 2006 auf der zentralen Feier in Berlin von
Kanzlerin Angela Merkel in einer Trauerrede nicht nur der Soldaten der beiden
Weltkriege, sondern auch jener ,,jungen Männer“ gedacht, die in Auslandseinsät-
zen ihr Leben verloren hatten. Das ,,deutsche, europäische und transatlantische
Engagement“ sei, so Merkel, ein ,,Vermächtnis der Kriegstoten“.49 Die neuen
Auslandseinsätze werden auch in den lokalen Gedenkkulturen inzwischen eher
selbstverständlich in die Geschichte der nationalen Kriege eingeordnet. Während
die staatliche Politik und nationale Öffentlichkeit noch darüber streiten, ob die
Bundeswehrsoldaten Krieg führten, sind die Toten in den Gemeinden und Gar-
nisonsstandorten bereits in die Gemeinschaft der in den Weltkriegen Gefallenen
integriert worden.50 Wie bei der symbolischen und inhaltlichen Erweiterung be-
stehender Denkmäler stößt diese Sinnstiftung aber an Grenzen. Die Diskrepanz
zwischen dem historischen Bezug zur vergangenen deutschen Gewaltherrschaft
und der politischen Distanzierung von ihr auf der einen Seite, und dem aktu-
ellem politischen Bezug zu demokratisch legitimiertem militärischen Einsätzen
auf der anderen Seite lässt sich nicht überzeugend überwinden. Im Gegensatz
zu anderen Staaten kann das Gefallenengedenken in Deutschland deshalb nicht
einfach an nationale Traditionen anknüpfen und diese stetig weiterentwickeln.
Was deshalb hinsichtlich des zentralen Gedenktages erst vereinzelt gefordert
wird, eine strikte Trennung der staatspolitischen Gedenkformen für die Toten
vor 1945 und die des eigenen Gemeinwesens,51 ist im Monumentalbereich be-

49
Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der zentralen Gedenkstunde
zum Volkstrauertag am 19. November 2006 in Berlin: Die Bundesregierung, http://
www.bundesregierung.de/Content/DE/Archiv16/Rede/2006/11/2006-11-19-rede-bkin-
volkstrauertag.html (20.5.2010).
50
Ähnlich auch im ,,Ehrenmal des Heers“ in Ehrenbreitstein, wo neben dem Denkmal zur
Erinnerung an die Toten der Weltkriege 2006 ein Gedenkstein errichtet wurde mit der In-
schrift ,,Den Heeressoldaten / der Bundeswehr, die für / Frieden, Recht und Freiheit / Ihr
Leben ließen“; vgl. Hettling, Militärisches Ehrenmal oder politisches Denkmal?
51
Von kirchlicher Seite wurde jüngst die Forderung nach einem eigenen Gedenk- und Ehren-
tag für die im Dienst ums Leben gekommenen Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr
laut. Weil der Volkstrauertag an Hass, Elend und ,,ungerechte Gewalt“ bis 1945 erinnere,
sei er als Termin für die ums Leben gekommenen ,,Bürger in Uniform“ ungeeignet, meinte
2009 Militärgeneralvikar Walter Wakenhut. An dem neuen Gedenktag sollte das politische
Gemeinwesen seiner Soldaten historisch unbelastet und würdevoll gedenken können; vgl.
Militärgeneralvikar Wakenhut zum Ehrenmal der Bundeswehr (Interview), Berlin, in: Ka-
tholische Nachrichtenagentur, 4.9.2009.
Heroisierung und Opferstilisierung 145

Abbildung 4: Empfang des kanadischen Generalstabschefs vor dem ,,Bundeswehr-Ehrenmal“,


Berlin 2010
(Foto: Bundeswehr/Mediendatenbank).

reits in einem ersten Exempel realisiert. Am 8. September 2009 wurde in Berlin


auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums das ,,Bundeswehr-Ehrenmal“
eingeweiht.52
Das ,,Ehrenmal“ ist nicht allein den gestorbenen Soldaten, sondern allen mi-
litärischen und zivilen Angehörigen der Bundeswehr gewidmet, die in Folge
der Ausübung ihrer Dienstpflichten ihr Leben verloren haben. ,,Den Toten un-
serer Bundeswehr – Für Frieden, Recht und Freiheit“ lautet die Widmung, die
auf die Frage nach dem ,,Wofür“ des Soldatentods eine erste Antwort geben
soll. Verteidigungsminister Franz Josef Jung hatte 2005 – nach einem Trup-
penbesuch in Afghanistan – die Errichtung eines ,,Ehrenmals“ vorgeschlagen.
Das Ministerium organisierte und lenkte daraufhin den Prozess der Errichtung.
Eine öffentliche Debatte und offene Ausschreibung, wie es sonst inzwischen üb-
lich ist, fand nicht statt. Im Zuge der verhaltenen öffentlichen Diskussion wurde

52
Vgl. ausführlich dazu Manfred Hettling, Gefallenengedenken – aber wie? Das angekündig-
te ,,Ehrenmal“ für die Bundeswehrsoldaten sollte ihren demokratischen Auftrag darstellen,
in: Vorgänge 2007, H 1, S. 15–22; ders., Militärisches Ehrenmal oder politisches Denk-
mal?; ders./Jörg Echternkamp (Hg.), Bedingt erinnerungsbereit. Soldatengedenken in der
Bundesrepublik, Göttingen 2009; Bilder des Denkmals und das offizielle Deutungsangebot
sind einsehbar unter http://www.bmvg.de.
146 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

Abbildung 5: ,,Bundeswehr-Ehrenmal“, Cella


(Foto: Manfred Hettling).

die ursprüngliche Planung stillschweigend modifiziert. Statt eines altarähnlichen


Steinblocks (der offenkundig Heinrich Tessenows Gestaltung der Neuen Wache
in der Weimarer Republik zitiert hätte) soll nun eine versetzte Bodenplatte den
Einschnitt des Todes symbolisieren, assoziiert jedoch als geöffnete Grabplatte
auch ein christliches Auferstehungsversprechen, das indes nicht expliziert wird.
Aufleuchtende und verlöschende LED-Lämpchen projizieren die Namen der To-
ten im kurzzeitigen Wechsel an die Wand.53
Ob und in welchem Umfang sich das ,,Bundeswehr-Ehrenmal“ zu einem Ort
der Trauer für die Angehörigen oder der Gesellschaft insgesamt entwickeln wird,
bleibt abzuwarten. Gedenken wird hier nicht primär als staatsbürgerliches Han-
deln gestaltet, sondern als militärische Erinnerung. Denn die Erinnerung an die
Gefallenen wird an die Armee delegiert, ein besonderer Anspruch an die Gesell-
schaft oder ein Anspruch der Gesellschaft auf Teilhabe kommen darin nicht zum
Ausdruck. Dem entspricht eine Unsicherheit über die Inhalte des Gedenkens. Es
gibt schlicht keine bundesdeutschen Gedenkpraktiken, an die sich anknüpfen
ließe; alle etablierten Erinnerungsformen beziehen sich auf die Opfer von Krieg
und Gewaltherrschaft.
Das Gedenken an die Gefallenen vollzieht sich bisher vorwiegend im
Binnenraum der militärischen oder politischen Exekutive. Beispielsweise be-
suchten Einheiten vor ihrem Einsatz in Afghanistan das ,,Ehrenmal“, oder
legten der Kommandeur der internationalen Schutztruppe ISAF, US-General

53
Die Namen der Gefallenen – zuerst war vorgesehen, dass die Toten anonym bleiben soll-
ten – können auf der Website des Verteidigungsministeriums aufgerufen werden; vgl. auch
Bundesminister der Verteidigung (Hg.), Das Ehrenmal der Bundeswehr, Berlin 2009 (offi-
zielle Broschüre, die am Ehrenmal verteilt wird).
Heroisierung und Opferstilisierung 147

Stanley McChrystal, und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg


dort 2010 gemeinsam Kränze nieder und versicherten sich der wechselseitigen
Unterstützung im Afghanistan-Krieg.54 Zugleich ließen die ersten Versuche,
das Trauergedenken staatspolitisch zu füllen, eine unübersehbare rituelle und
semantische Unsicherheit erkennen. Die Bundesregierung hatte sich, mit
Ausnahme des Verteidigungsministers, aus dem Gefallenengedenken für die
Bundeswehrsoldaten zunächst jahrelang herausgehalten; bei Trauerfeiern suchte
man vergebens nach hochrangigen Regierungsvertretern.
Das änderte sich schlagartig im April 2010. Drei Angehörige der Luftlande-
brigade 31 waren am Karfreitag 2010 in Afghanistan in den bislang schwersten
Gefechten in der Geschichte der Bundeswehr ums Leben gekommen. Nach einer
ersten Trauerfeier für die drei getöteten Soldaten in Afghanistan wurden die
Särge mit einer Regierungsmaschine nach Deutschland überführt und ein Trau-
ergottesdienst mit staatspolitischem Anspruch gestaltet.55 An der kirchlichen
Feier in der evangelischen St.-Lamberti-Kirche in Selsingen nahmen am 9. April
2010 unter anderem der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff,
der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, der Verteidigungsmi-
nister zu Guttenberg und die Bundeskanzlerin Merkel teil. Die niedersächsische
Gemeinde stand ganz im Zeichen der Trauer: Menschen säumten die gesperrte
Hauptstraße, Fahnen wehten auf Halbmast, die Ortseingangsschilder waren
schwarz umflort, Taxifahrer hatten ein Trauerbändchen an den Außenspiegeln
befestigt, ein Foto der drei Toten hing in den Schaufenstern der Geschäfte. Im
Rahmen eines ökumenischen Gottesdienstes sprachen der Minister und die
Kanzlerin, die sich vor jedem der mit schwarz-rot-goldenen Fahnen bedeckten
Särge verneigte.
Die Unsicherheit im Umgang mit den Toten der Bundeswehr spiegelt sich
in einem Changieren der Begriffe, mit denen über den Tod der Soldaten öf-
fentlich gesprochen wird. Sind die deutschen Soldaten ,,gefallen“? Haben sie
in einem ,,Krieg“ gekämpft? Sind es ,,Helden“? Diese Begriffe haben die
Deutschen jahrzehntelang vor allem mit den Weltkriegen verbunden – und
sich davon distanziert. Die Bundeswehr führe in Afghanistan keinen Krieg,
weil hier nicht zwei souveräne, über ein Gewaltmonopol verfügende Staa-
ten einen zwischenstaatlichen Konflikt austrügen, weshalb die Bundeswehr
lediglich an ,,internationalen Friedens- und Hilfsmissionen“ teilnehme und
,,der Stabilisierung dienende Operationen im Einsatzgebiet“ unterstütze, lau-

54
Freilich eignet sich das Ehrenmal als Ort von höchster Symbolkraft auch als Zielscheibe
des ebenso symbolischen Protests. So rief der Berlin-Brandenburger Landesverband der
DFG-VK im Februar 2010 dazu auf, sich beim nächsten Toten am Ehrenmal zu betrinken –
womit er auch unter Kriegsgegnern auf Ablehnung stieß; vgl. kritisch: http://www.taz.de/1/
politik/deutschland/artikel/1/kein-schampus-auf-gefallene.
55
Vgl. Tagesspiegel, 10.4.2010, S. 1, 3 und 15.
148 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

tete zunächst die Sprachregelung. Weil Bundeswehrsoldaten es nicht mit


,,Kombattanten“ zu tun hätten, sondern mit ,,Verbrechern“ und ,,Terroristen“
(so Verteidigungsminister Jung 2009), war bis Oktober 2008 auch nicht von
,,Gefallenen“ die Rede, wenn deutsche Soldaten dabei ,,ums Leben kamen“,
,,verunfallten“ oder ,,getötet wurden“. Eine sprachliche Verschiebung zeich-
nete sich dann erstmals 2008/09 ab. Nachdem zwei Bundeswehrsoldaten bei
einem Anschlag in Kundus am 20. Oktober 2008 getötet worden waren, hieß
es von einem toten Soldaten offiziell, dass er ,,im Einsatz für den Frieden
gefallen“ sei. Brigadegeneral Jürgen Setzer, Kommandeur vor Ort, gedachte
am Volkstrauertag 2009 in Mazar-e Sharif der Soldaten, die ,,für ein besseres
Afghanistan und die Sicherheit unseres Landes gefallen sind“.56 Formeln wie
,,Stabilisierungseinsatz“ waren überholt, als der neue Verteidigungsminister zu
Guttenberg Ostern 2010 zunächst im Bundestag von ,,kriegsähnlichen Zustän-
den“ in Afghanistan, dann explizit von ,,Krieg“ sprach – wenn auch mit der
Einschränkung, dass dies ,,umgangssprachlich“ sei. Die Bundeskanzlerin traf
kurz darauf eine weitere Unterscheidung. Sie ,,verstehe“, dass viele Soldaten
lieber von einem ,,Krieg“ als von einem ,,bewaffneten Konflikt“ sprächen,
stellte jedoch klar, dass von einem Krieg im völkerrechtlichen Sinne keine Rede
sein könne. Die Presse hatte für derlei feine Unterschiede keinen Platz und
griff die plakative Sprache sofort auf.57 In einer Gedenkrede für deutsche und
verbündete afghanische Soldaten formulierte zu Guttenberg, sein Mitgefühl
gelte den Familien dieser ,,gefallenen beziehungsweise ums Leben gekomme-
nen afghanischen Soldaten“. Damit wurde die Sinnhaftigkeit des Soldatentodes
implizit wieder artikulierbar. ,,Die versehentlich Getöteten ,kommen ums Le-
ben‘, die anderen ,fallen‘. Die ,Gefallenen‘ sterben einen sinnvollen Tod, die
,ums Leben Gekommenen‘ einen sinnlosen. Erstere fallen, Letztere haben einen
Unfall.“58
Aktuell scheint auch die Bereitschaft zu wachsen, das klassische Vokabular
des Heldentums zu reaktivieren. Verteidigungsminister zu Guttenberg benutzte
in seiner Trauerrede im April 2010 dazu einen rhetorischen Umweg: Die Frage
einer seiner beiden kleinen Töchter, ob die getöteten Soldaten ,,drei tapfere Hel-
den“ seien, habe er mit ,,Ja“ beantwortet. Für die Angehörigen der Gefallenen
haben diese begrifflichen Fragen, was oft übersehen wird, handfeste Folgen.
Lebensversicherungen zum Beispiel schließen mit der sogenannten Kriegs-
klausel Zahlungen bei bestimmten Bedingungen aus.59 Auch in den Details

56
Ebenso hieß es, die traditionelle bundesdeutsche Formel aufgreifend, ,,wir gedenken unse-
rer gefallenen Kameraden. Wir gedenken aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Gott
segne sie“; http:\\www.deutschesheer.de.
57
Vgl. Kanzlerin verneigt sich vor unseren Gefallenen, in: Bild, 10.4.2010.
58
Claude Haas, Krieg ist plötzlich ein tröstendes Wort, in: DIE ZEIT, 24.4.2010.
59
Bis 2009 musste in über zwanzig Fällen der Bund die Versicherung übernehmen, vgl.
Heroisierung und Opferstilisierung 149

versorgungsrechtlicher Ansprüche und Regelungen steht in der Bundesrepublik


ein Lernprozess mit der Gestaltung der Folgen des gewaltsamen Todes noch
aus.
In der öffentlichen Debatte geht es jedoch um Sinn-, nicht um Versicherungs-
fragen. Das Tasten der politischen Akteure nach dem adäquaten begrifflichen
Ausdruck spiegelt eine eklatante und unübersehbare Kluft zwischen der gewalt-
erfüllten Realität in Afghanistan und der normativ aufgeladenen Distanzierung
von Krieg in der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Die politischen Repräsentan-
ten haben bisher versucht, den gewaltsamen Tod der Soldaten positiv zu inter-
pretieren, ihn als sinnvoll zu deuten, ohne aber einer Rechtfertigung des Krieges
verdächtigt werden zu können. Wie schmal der Grat ist, zeigte der Rücktritt des
Bundespräsidenten Horst Köhler im Mai 2010, der für seine offene Bemerkung,
die Auslandseinsätze lägen auch im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands, un-
gewöhnlich heftig kritisiert worden war.

Binnenmilitärisches Totengedenken

An den Gedenkorten der Teilstreitkräfte in Laboe, Fürstenfeldbruck und


Koblenz-Ehrenbreitstein traten die Toten der Bundeswehr gegenüber den Mil-
lionen Gefallenen der Weltkriege in den Hintergrund. Da neben gefallenen
Wehrmachtssoldaten kein positiver Sinnbezug möglich war, entstanden in
den letzten Jahren andere Formen, an die ums Leben gekommenen ,,eigenen“
Kameraden zu erinnern (durchaus mit partiellem Rückgriff auf traditionale
Elemente wie das Eiserne Kreuz, das in der Bundeswehr von Anfang an als
Symbol verbreitet war). Die Initiative hierfür ging eher von unten, von den
Soldaten bzw. den Einheiten, aus. Diese neue Gedenkkultur der Bundeswehr ist
im Inland und an den Standorten im Einsatzgebiet durch die gleiche Formen-
sprache bestimmt.60 Nationale Verweise fehlen in diesem binnenmilitärischen
Gedenken weitgehend, für politische Sinnbezüge steht die Formel ,,Für Frieden,
Recht und Freiheit“, im Mittelpunkt stehen die Nennung des Namens und
religiöse Trauerbezüge.
Ein traditionelles Mittel des stetigen öffentlichen Erinnerns ist die Namens-
patronage. Erstmals wurde 1992 eine Liegenschaft der Bundeswehr nach einem
verstorbenen Vorbild benannt, als sich die Unteroffiziersschule des Heeres in
Delitzsch (Sachsen) den Namen ,,Feldwebel-Boldt-Kaserne“ gab. Erich Boldt
war 1961 ums Leben gekommen, weil er zwei Soldaten während der Ausbildung

Wegen Kriegsklausel. Versicherung verweigert Zahlung für tote Soldaten, in: Die Welt,
10.7.2009.
60
Vgl. Loretana de Libero, Einsatzarmee und Erinnerung. Gedenkkulturen in der Bun-
deswehr, in: Bernhard Chiari/Magnus Pahl (Hg.), Auslandseinsätze der Bundeswehr,
Paderborn 2010, S. 279–287.
150 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

vor einer Sprengladung geschützt hatte.61 An der Offiziersschule der Luftwaf-


fe in Fürstenfeldbruck wurde bereits 1977 das Auditorium Maximum nach dem
Oberleutnant Ludger Hölker benannt, der durch die Verhinderung einer Flug-
katastrophe in Straßberg sein Leben verloren hatte. Auch Straßennamen dienen
dem Gefallenengedenken: Im Feldlager in Prizren (Kosovo) wurde eine ,,Straße“
nach dem ersten Soldaten benannt, der im KFOR-Einsatz zu Tode kam. Der Fall
des Oberstabsarztes Sven Eckelmann, der am 30. Mai 1999 in einem ,,Fuchs“-
Panzer von einer maroden Brücke in Albanien gestürzt war, machte nicht zu-
letzt deshalb Schlagzeilen, weil die Hardthöhe der Witwe die Einmalzahlung
von 38.000 DM verweigerte – schließlich, so das Argument, hätte diese Art von
Unfall auch in Deutschland passieren können.62
Nach wie vor aber markiert der Gedenkstein, meist ein roher Findling oder
ein Obelisk, an dem häufig eine Tafel mit den Namen der Toten angebracht ist,
den privilegierten Ort des Gedenkens im öffentlichen Raum. In den Gemeinden
entstehen vereinzelt neue Denkmäler: Im ostfriesischen Leer, dem Standort des
Kommandos ,,Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst“, wurde 2009 neben dem
Ehrenmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten, einem Backstein-
Rondell, ein kleiner Gedenkstein errichtet. Er erinnert an die Angehörigen der
Bundeswehr, die in Auslandseinsätzen ihr Leben verloren haben:63 ,,Den Toten
zur Ehre, den Lebenden zum Trost“ lautet der erste Teil der Inschrift oberhalb
eines Eisernen Kreuzes; darunter heißt es: ,,Den Toten unserer Bundeswehr.
Für Frieden, Recht und Freiheit“. Diese lokalen Denkmäler repräsentieren eine
Verbindung zwischen Gemeinde und Soldaten: Die Kommune zeigt ihre Ver-
bundenheit mit den am Ort stationierten Einheiten und mit den Soldaten im
Auslandseinsatz.
Daneben werden insbesondere von den militärischen Einheiten selber Ge-
denksteine aufgestellt. Drei Beispiele mögen das verdeutlichen. In der Werratal-
Kaserne erinnert ein Gedenkstein an die verstorbenen und gefallenen Soldaten
des Standorts Bad Salzungen, wo seit 1990 29 Soldatinnen und Soldaten nament-
lich geehrt wurden. Unter einem Eisernen Kreuz lautet die goldfarbene Inschrift
,,Zum Gedenken an unsere Kameraden“; vor dem Findling ist Platz für Krän-
ze und ein Ewiges Licht, das an die Gegenwart Gottes erinnert. In der Blücher-
Kaserne in Berlin-Kladow erinnert seit dem 12. Oktober 2007 ein Gedenkstein

61
Bereits 1982 war zu Ehren des Feldwebels der ,,Feldwebel-Boldt-Preis“ gestiftet worden,
den der Bund Deutscher Pioniere e.V. dem jeweiligen Jahrgangsbesten der Feldwebellehr-
gänge an der Pionierschule/FSH BauT verleiht.
62
Das Berliner Verwaltungsgericht bestätigte diese Auffassung 2002. Der Bundestag verab-
schiedete 2004 das ,,Einsatzversorgungsgesetz“, demzufolge es keine Rolle mehr spielt, ob
ein Soldat Opfer eines Anschlags oder eines Unfalls wurde. Die Witwe eines getöteten Be-
rufssoldaten erhält nun eine einmalige Entschädigung von 60.000 Euro und sechzig Prozent
seines Ruhestandsgehalts.
63
http://www.sanitaetsdienst-bundeswehr.de (27.2.2010).
Heroisierung und Opferstilisierung 151

an Alexander Arndt, den ersten bei einem Auslandseinsatz getöteten Bundes-


wehrsoldaten. Der damals 26jährige Sanitätsfeldwebel gehörte zum deutschen
Anteil der UNTAC-Mission in Kambodscha und war im deutschen Feldhospi-
tal als Krankenpfleger eingesetzt. Am 14. Oktober 1993 war er in Phnom Penh
erschossen worden. Auf dem von zwei Lebensbäumen eingerahmten Findling,
gestiftet von seinem Regiment, sind ein Eisernes Kreuz und eine Gedenktafel
angebracht.64 In Frankenberg (Hessen) haben die Soldaten des Bataillon Elek-
tronische Kampfführung 932 der Burgwald-Kaserne den vier Soldaten, die am
7. Juni 2003 in Kabul einem Sprengstoffanschlag zum Opfer fielen, einen Eh-
renstein aus Basalt gesetzt; eine Tafel nennt die Namen.
Auch in den Einsatzgebieten wurde auf diese Formensprache zurückgegrif-
fen. In Sarajewo erinnern im Garten der deutschen Botschaft seit August 2007
ein Felsbrocken und eine Gedenktafel an die 16 deutschen Soldaten, die wäh-
rend des Einsatzes in Bosnien-Herzegowina ums Leben gekommen sind. Der
tonnenschwere Gedenkstein stand zunächst im Feldlager Rajlovac, dem Sitz des
deutschen Einsatzkontingentes von EUFOR.65 Eine vergleichsweise komplexe
Gedenklandschaft ist in den letzten Jahren in Afghanistan entstanden. In Camp
Warehouse steht das Internationale Ehrenmal. Die von Lorbeerzweigen einge-
rahmte Inschrift lautet: ,,DEN TOTEN ZU EHREN“. Die Namen der Toten
und ihre Nationalität wurden auf Gedenktafeln an einer Ziegelmauer hinter dem
Marmorblock festgehalten. Das Gedenken ist weder auf Deutsche noch auf Sol-
daten beschränkt. Als 2007 vier Polizisten der Deutschen Botschaft bei einem
Attentat ums Leben kamen, wurde hier am 15. August die Gedenkandacht ge-
halten.66 Die Inschrift der Gedenktafel lautet: ,,In Remembrance of [ … ] who
gave their lives in the service of the Federal Republic of Germany“. Ein ,,Ehren-
hain“ wurde im Camp Marmal in Mazar-e Sharif angelegt. Hier wurde 2009 der
sechs Bundeswehrsoldaten gedacht, die in Afghanistan ums Leben gekommen
waren.67
Das zentrale Ereignis des religiösen Totenrituals ist nach wie vor der Ge-
denkgottesdienst für die gefallenen Soldaten am Standort der Gefallenen. Durch
eine Mischung traditioneller und neuer Formen sollen nicht zuletzt jüngere
Soldaten angesprochen und auch kirchenfremde Personen erreicht werden.
So fand im April 2010 in der Evangelisch-Lutherischen Bartholomäuskirche

64
Ebd.
65
http://www.einsatz.bundeswehr.de (27.2.2010).
66
http://www.militaerseelsorge.bundeswehr.de (15.5.2010).
67
Auf dem Internationalen Flughafen von Kabul steht seit dem 3. September 2003 ein ,,Berli-
ner Bär“ auf einem rötlich-sandsteinernem Sockel. Indem der deutsche Botschafter Rainer
Eberle daran erinnerte, dass der Berliner Bär für Frieden und Freiheit stehe, schlug er ei-
ne symbolpolitische Brücke aus der deutschen in die afghanische Hauptstadt. Frieden und
Freiheit: Das wünschte man auch dem Land am Hindukush. Vgl. http://www.berlin.de/
rbmskzl/rathausaktuell/archiv/2003/09/03/14806/index.html.
152 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

in Boostedt ein Gedenkgottesdienst statt, in dem Soldatinnen und Soldaten


aufgefordert wurden, ihre Gefühle auf sogenannte Gedenkzettel zu schreiben
und diese an einem Holzkreuz zu befestigen. Nicht im Evangelischen Kir-
chengesangbuch, sondern in der Popmusik sollten die Soldaten unter dem
Leitsatz ,,Kein Leid kann so tief sein“ mit ihren Kameraden eine Melodie
finden, die ihren Ängsten Ausdruck gab.68 Zum Ende des Gottesdienstes ge-
dachten die Anwesenden der gefallenen Soldaten mit einer Schweigeminute
– einem rituellen Ausdrucksmittel gemeinsamer Trauer, das nicht religiös
konnotiert ist und auch jenen die Möglichkeit zur öffentlichen Bekundung
ihrer Trauer gibt, die mit den Gefallenen nicht persönlich bekannt waren.69
Das spezifisch religiöse Trostangebot, ganz gleich ob von protestantischer
oder katholischer Seite, zielt auf die Transzendenz des menschlichen Todes,
nicht auf politische Deutungen. So versuchten etwa während eines ökume-
nischen Trauergottesdienstes Militärgeneralvikar Walter Wakenhut und der
Militärgeneraldekan Matthias Heimer angesichts der vier Särge ,,die unaus-
weichliche Frage nach dem Sinn des Todes im Einsatz zu beantworten“, indem
sie den Tod als Übergang zum ewigen Leben deuteten: ,,Wir stehen heute
vor diesen tragisch zu Ende gegangenen Leben und legen sie zurück in Got-
tes Hände“. Wenn die Geistlichen dann jedoch auch einen irdischen Zweck
benannten und den Tod als ein Opfer dafür deuteten, dass andere in Frie-
den und Freiheit leben könnten, verbanden sie politische Ziele mit religiösen
Deutungen. Dem Gläubigen, den diese irdischen Antworten auf die Sinnfra-
ge nicht überzeugen, blieb und bleibt als letzter Trost das ,,Vertrauen“ auf
Gott.70

Private Erinnerungsformen

Kerzen, Kreuze, Kondolenzbücher – die bekannten Elemente des Totenkultes


finden sich ab etwa 2005 in der neuen virtuellen, interaktiven und kollabo-
rativen Welt des Web 2.0. Institutionen wie Schulen, Universitäten und das
Vereinswesen (Kriegervereine, Feuerwehr, Schützenvereine), die bis in die
Zwischenkriegszeit zu den wichtigsten sozialen Trägern des Gefallenengeden-

68
In Anlehnung an das Lied von Xavier Nadoo, ,,Halte Durch“; vgl. den Bericht unter: http://
www.militaerseelsorge.bundeswehr.de.
69
Schweigeminuten haben sich in vielen Ländern als Ausdrucksformen eines Gefallenen-
gedenkens entwickelt, welches nationsweit zelebriert werden; vgl. etwa die Beiträge von
Stefan Goebel und Maoz Azaryahu in diesem Band. In Deutschland kam es nach 1918,
auf Grund der politischen Zersplitterung zu keinen analogen Ritualen, welche die gesamte
Nation integrierten.
70
Der Gottesdienst fand am 24. April 2010 im Ingolstädter Liebfrauenmünster statt. Vgl. den
Bericht unter: http://www.militaerseelsorge.bundeswehr.de.
Heroisierung und Opferstilisierung 153

kens zählten, treten heutzutage kaum in Erscheinung; die Erinnerung beschränkt


sich gegenwärtig auf das militärische Milieu einerseits, den Verwandten- und
Freundeskreis andererseits. Eine im eigentlichen Sinne gesellschaftliche und
breite öffentliche Gedenkkultur existiert in der Bundesrepublik bisher nicht.
Doch die Online-Plattformen der Trauer und die digitalen Möglichkeiten der
Mitwirkung haben das Netz der Trauernden nach außen weiter gezogen und
nach innen dichter geknüpft.
Dabei sticht ein Merkmal des Gefallenengedenkens deutlich hervor. Die
zuerst in der Französischen Revolution erhobene Forderung, jedes Gefallenen
namentlich zu gedenken, wird hier unter den Bedingungen der modernen Me-
diengesellschaft aktualisiert. Dieses Bedürfnis hat sich in Deutschland gegen
eine restriktive staatliche Informationspolitik durchgesetzt, die die Namen der
Gefallenen aus Datenschutzgründen, wie es hieß, zuerst nicht veröffentlichen
wollte. Der nationalstaatliche Regulierungsversuch scheiterte aber an der glo-
balen Dimension des Internet: Wer sich in Deutschland über die Namen und
Gesichter der gefallenen Bundeswehrsoldaten informieren wollte, konnte das
über amerikanische Websites machen. Auch im ,,Bundeswehr-Ehrenmal“ sollte
zunächst die Namensnennung unterbleiben, sollten die Erinnerten anonym
bleiben und die Erinnerung damit nicht personenorientiert geschehen. Dagegen
hat sich in den vergangenen Jahren zunächst in den Online-, bald auch in
den Print-Medien die Tendenz durchgesetzt, die Toten zu ,,veröffentlichen“,
den Gefallenen ein Gesicht und einen Namen zu geben, wie das außerhalb
Deutschlands bereits üblich war. Die New York Times informiert etwa auf ihrer
Seite ,,Faces of the Dead“ mit den entsprechenden Suchfunktionen über jeden
im Irak und in Afghanistan gefallenen Armeeangehörigen mit Bild, Alter,
Heimatstadt und Kriegsschauplatz.71 Nach diesem Muster zeigt inzwischen
auch Spiegel online72 ein Foto aus Lebzeiten und informiert über Todesursache
und Trauerfeier.
Spezielle Internet-Plattformen fungieren als eine Art virtuelle Neufassung
von Kriegerdenkmälern.73 Zugleich dienen diese Plattformen als Multiplikato-
ren für die tradierten Gedenkformen, indem sie beispielsweise die am Denkmal
im Einsatzgebiet angebrachten Gedenktafeln reproduzieren. Diese Formen des
virtuellen Gedenkens sollen auch als Korrektiv für den – von den Betreibern
ausdrücklich beklagten – Mangel an Aufmerksamkeit und Wertschätzung in der
Öffentlichkeit wirken.

71
http://www.nytimes.com (15.5.2010).
72
http://www.spiegel.de/flash/0,5532,19180,00.html Bundeswehr in Afghanistan, Gefallene
Soldaten/Orte der Anschläge/Einsatzorte der Bundeswehr.
73
Die Website www.das-kriegerdenkmal.de/bundeswehr.html etwa gehört zu einer privat be-
triebenen ,,Internetpräsenz“ im Aufbau, die der ,,Gefallenen aller Kriege und aller Länder
gedenken“ will; andere sind www.soldatengedenken.de oder http://kameradengedenken.de.
154 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

Neben diesen umfangreichen virtuellen Inventaren gibt es zahllose Varian-


ten von Fotogalerien oder Gedenkvideos, die einem oder einer kleinen Gruppe
von gefallenen Bundeswehrsoldaten gewidmet sind. Angehörige und ehemali-
ge Kameraden nutzen die kostenlosen Möglichkeiten der Internet-Videoportale
YouTube oder MyVideo, um zu Lebzeiten aufgenommene Videoclips hochzula-
den oder durch die Montage von Porträtfotos, Bildern der Sterbeorte und sym-
bolischen Versatzstücken wie der schwarz-rot-goldenen Fahne einen Gedenk-
Videoclip zu kreieren, der in der Regel mit Untertiteln, Kommentaren aus dem
Off oder Musik unterlegt wird.74 Einige Plattformen und Clips beziehen sich auf
die Gefallenen einer spezifischen Mission,75 andere auf eine der Teilstreitkräfte
der Bundeswehr,76 wieder andere bleiben unspezifisch.77
Diese virtuellen Formen des politischen Totengedenkens setzen ein zentra-
les Element des neuzeitlichen Gefallenengedenkens auf eine neue Weise fort.
Das auf das einzelne Individuum konzentrierte Gedenken spiegelte den Funda-
mentalprozess der Demokratisierung und Gleichheit wider.78 Die Datenbanken,
Fotogalerien und persönlichen Videos des Web 2.0 verlängern daher das ältere
Bemühen, den toten Soldaten durch eine Namensnennung und eine Bestattung
im Einzelgrab der Anonymität zu entreißen, in das digitale Zeitalter.
Auch musikalisch verbindet sich Altbekanntes mit Neuem, Nationales mit
Internationalem. Während zum Beispiel der Clip ,,Gedenken an die gefallenen
Soldaten in Afghanistan V. 01“ mit Uhlands fast 200 Jahre altem Lied ,,Der
gute Kamerad“ unterlegt ist,79 erklingt im Video-Stream ,,ISAF Tribute (Bun-
deswehr)“ die 2003 erschienen Ballade ,,My Immortal“ der US-amerikanischen
Band Evanescence.80 Mittlerweile ist die Todesgefahr der Bundeswehrsoldaten
gar zum Sujet eines deutschen Schlagers geworden, der sich an dieser Stelle
ebenfalls findet. Das Cover des Liedes der rheinischen Schlagersängerin Yvon-
ne König ,,Gott schütze Euch!“ zeigt die intakte Erkennungsmarke als Symbol
des individuellen lebenden Soldaten und nimmt damit ein Motiv des Berliner

74
Vgl. http://www.jan-erik-schaefsmeier.beepworld.de/unvergessen.htm; zum Gedenken an
den in Kunduz 2008 gefallenen Mischa Meier: http://www.youtube.com/watch?v=
GtJDAWgWZgo&feature=related.
75
Vgl. für ISAF den Clip ,,The forgotten Comrades (German/American ISAF Tribute)“:
http://www.youtube.com/watch?v=_sVQMMB84p4.
76
Vgl. zur Marine: http://www.marineforum.de/forum/zum_gedenken_gefallener_
kameraden_der_bundeswehr-t11028.html.
77
Vgl. http://www.myvideo.de/watch/2457810/Im_gedenken_an_alle_gefallenen_
Bundeswehr_Soldaten.
78
Reinhart Koselleck, Der Einfluß der beiden Weltkriege auf das soziale Bewußtsein, in:
Wolfram Wette (Hg.), Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten,
München2 1995, S. 335.
79
http://www.youtube.com/watch?v=PEE_qrhvyRI (25.10.2010); zu Uhlands Lied vgl. Kurt
Oesterle, Die heimliche deutsche Hymne, in: taz Magazin Nr. 6597, 10.11.2001, S. 4.
80
http://www.youtube.com/watch?v=3BHNmMlt100 (25.10.2010).
Heroisierung und Opferstilisierung 155

,,Ehrenmals“ von 2009 auf, bei welchem Metallpanelen mit ausgestanzten For-
men ganze und halbierte Erkennungsmarken erahnen lassen.81
Im Hinblick auf den politischen Charakter des Gefallenengedenkens fällt ein
medienspezifisches Novum besonders auf. Das Web 2.0 als interaktives Me-
dium bietet nicht nur jedem die Chance, selbst visuelle Gedenkbotschaften zu
verbreiten. Jeder hat auch die Möglichkeit, diese Botschaft zum Anlass zu neh-
men, seine eigene Meinung zu äußern. Statt auf Konsens zielender, extrem ver-
knappter Inschriften finden sich hier vielfältige, teils auch widersprüchliche und
weitschweifige Erläuterungen. Der Clip ,,ISAF Tribute (Bundeswehr)“ zum Bei-
spiel wurde zwischen Mai 2007 und 2010 mehr als 110.000 Mal aufgerufen und
mit Hunderten von Kommentaren versehen.82 Vor allem die in der Forschung
bislang wenig beachteten Militär-Blogs haben Gedenk-Rubriken eingerichtet,
in denen sich die Einträge individueller Nutzer aneinanderreihen. Der ,,Streit-
kräfte-Blog mit dem robusten Mandat“ ist ein Beispiel hierfür.83 Die Funktion
solcher Militärblogs, als Ventil für die Truppe zu dienen, ist im Falle der öffentli-
chen Trauerarbeit besonders einsichtig.84 Auch ein längst vorhandenes soziales
Netzwerk wie Facebook verknüpft die am ,,Soldatengedenken“ Interessierten
zu einer virtuellen Gemeinschaft und bietet Veranstaltungstipps, etwa zu Ort
und Zeit des nächsten Schweigemarsches. Soziale Netzwerke und Internet-Foren
vermitteln lokalen und regionalen Initiativen der Trauerbekundung eine überre-
gionale Resonanz. ,,Von unten“ organisierte Schweige- und Trauermärsche wie
etwa in Würzburg am 2. Mai 201085 sind ebenso neue Formen der sozialen Pra-
xis des politischen Totenkults wie die private Initiative, mit einem ,,Gelben Band
der Solidarität“ am Revers sein Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen.86
Das Totengedenken auf privat organisierten Plattformen im Internet öffnet
auch Raum für ungehinderte politische Deutungen. Da kaum zu bestimmen ist,

81
Textauszug: ,,Euer Auftrag lautet ,Frieden‘ / Ihr wollt helfen, seid bereit / Wir hoffen nur, es
geht Euch gut / Und es gibt ein Wiedersehen / Gott schütze Euch, Gott schütze Euch / […] /
Gott schütze Euch, Gott schütze Euch, / Bis wir uns wiedersehen“ (Carlton Musikvertrieb
GmbH).
82
http://www.youtube.com/watch?v=3BHNmMlt100 (25.10.2010).
83
http://soldatenglueck.de/category/bundeswehr/gedenken.
84
Vgl. zu den französischen und amerikanischen Militär-Blogs die Analyse von Marine Chat-
renet, Les Blogs Militaires, August 2007 (= Les thématiques du Centre d’études en sciences
sociales de la défense No. 9). Die Militärsoziologin nennt u. a. folgende Funktionen: Unter-
halten von Soldaten, ihren Angehörigen oder militärnahen Zivilisten zeichnen Militärblogs
mehrheitlich ein positives Bild der Armee (Stolz, Leistung), tragen zu einer Verbreitung der
militärischen Kultur im zivilen Bereich bei, dienen als Barometer der Moral der Truppe,
stützen diese als Ventil für Unzufriedenheit und als Möglichkeit, mit den Angehörigen in
Kontakt zu bleiben. Militärblogs modernisieren die bislang hierarchische Kommunikation
innerhalb des Militärs von oben nach unten durch ihren bottom up Ansatz.
85
http://www.facebook.com/video/video.php?v=1168325508618.
86
Zur Verwendung des weltweiten Symbols in diesem Kontext vgl. www.gelbe-schleife.de.
156 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

wer genau sich hier artikuliert und wo diese Meinungsäußerungen im Spektrum


der allgemeinen Öffentlichkeit liegen, sind die politischen Äußerungen im neuen
Medium schwer zu interpretieren. Eine populare Trauerkultur, die auf der loka-
len Gemeinschaft der Standorte basiert und neue Ausdrucksformen entwickelt
hat – wie in den USA87 – gibt es in der Bundesrepublik bisher nicht.

Fazit

Eine Bilanz der Grundelemente und Formwandlungen des politischen Toten-


kultes in Deutschland fällt unterschiedlich aus, je nachdem, welche zeitliche
Perspektive gewählt wird. Überblickt man im langen Bogen die Entwicklung
von den Anfängen im frühen 19. Jh. bis heute, wird eine Kontinuität in zentra-
len Bestandteilen sichtbar. Betrachtet man jedoch nur den Zeitraum von 1945
bis heute, treten eher Veränderungen hervor. Wenige Grundkonstellationen und
Deutungsformen, bedingt auch religiös-kulturelle Setzungen, stellen den Rah-
men dar für die Gestaltung des politischen Totenkultes. In den verschiedenen
politischen Ordnungen wurden unterschiedliche Akzente gesetzt, die politische
Gestaltbarkeit des Totenkultes erscheint jedoch nicht als beliebig.
Betrachtet man nur die Entwicklung seit 1945, treten zwei gegensätzliche
Tendenzen hervor. Auf der einen Seite fällt in der ,,alten“ Bundesrepublik
die Abwendung von der Legitimation des Krieges seit Kriegsende auf, die in
Deutschland durch die normative Distanzierung von Nationalsozialismus und
die Erinnerungskultur gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus gestützt
und intensiviert wurde und zu einer moralisch aufgeladenen Ablehnung kriege-
rischer Interventionen an sich führte. Das wurde zusätzlich befördert durch das
Fehlen jeglicher kriegerischer Erfahrungen, die viele europäische Nachbarn seit
1945 – im Unterschied zu Deutschland – in den Konflikten der Dekolonisierung
oder im Rahmen internationaler Interventionen gemacht haben. Seit sich die
Bundesrepublik jedoch, 1992 beginnend, an derartigen Interventionen beteiligt
und diese wiederum moralisch legitimiert, ist die deutsche Gesellschaft zuneh-
mend gezwungen, sich wieder an ,,Krieg“ zu gewöhnen und sich über politische
Deutungsmuster dafür zu verständigen.
Auf der anderen Seite kann man die Entwicklung seit den Befreiungskriegen
wie folgt bilanzieren. Die Individualisierung (durch die namentliche Erinnerung
und individuelle Bestattung des einzelnen Gefallenen), die Ritualisierung (in
Form öffentlicher Praktiken der Gedächtnisbewahrung) und die Monumenta-
lisierung (vor allem durch Denkmäler als Ausdrucksform der öffentlichen Er-
innerung) haben sich als Kernelemente des neuzeitlichen Totenkults über alle

87
Vgl. dazu den Beitrag von Michael Geyer in diesem Band.
Heroisierung und Opferstilisierung 157

Epochen- und Systemwechsel hinweg erhalten und das Gefallenengedenken in


Deutschland geprägt, unabhängig von der politischen Form des staatlichen Ge-
meinwesens. Dieser Befund umfasst auch die Jahrzehnte nach 1945, als sich
in der DDR das Totengedenken auf die Widerstandskämpfer und Angehörigen
der Roten Armee konzentrierte und in der Bundesrepublik die Gefallenen der
Wehrmacht eher in die lokalen Erinnerungspraktiken integriert wurden, sich ei-
ne zentrale bundespolitische Gedenkkultur für die Gefallenen des Weltkrieges
jedoch nicht entwickelte. Diese Kontinuität lässt sich für das vierte Element, die
politisierte Religion, nicht beobachten. Religiöse Institutionen und Deutungsfi-
guren werden für das staatspolitische Totengedenken nicht mehr unmittelbar in
Anspruch genommen. Die Religion und die religiösen Trauer- und Deutungsan-
gebote haben aber überdauert. Das zeigte sich einerseits im privaten Bereich,
indem das christliche Versprechen einer Überwindung des Todes auch in ei-
ner tendenziell säkularen Gesellschaft in der Extremsituation des Verlustes von
Angehörigen als tröstendes Angebot akzeptiert wird. Die Militärseelsorge der
Bundeswehr besteht heute als unabhängige Einrichtung der Kirche und ist nicht
in die Militärhierarchie integriert. Gleichzeitig sieht sich die Militärseelsorge
selber als eine dem einzelnen Soldaten verpflichtete Institution an und nicht als
staatspolitische Legitimationsquelle. Andererseits wird der Wandel auf indirekte
Weise im Bereich des Politischen deutlich, indem die Politik heutzutage weni-
ger die Religion in den Dienst nimmt und die eigene Rat- und Sprachlosigkeit
hinter religiösen Formen verbirgt. In der bundesdeutschen Gegenwart gibt es in-
des keine direkten Rechtfertigungen politischer Entscheidungen durch religiöse
Institutionen – diese Form der Sakralisierung von Politik ist überholt.88 In dem
Maße, wie man keine politischen Sinnangebote formulieren kann (oder will),
kommt den religiösen Trauer- und Deutungsformen damit eine vorläufige Stell-
vertreterfunktion zu.
Darüber hinaus erscheinen im langfristigen Vergleich zwei Befunde beson-
ders bemerkenswert. Erstens zeichnete sich bereits im 19. Jh. ab, dass die auf
den Monarchen bezogenen Deutungsmuster verblassten, die 1813 dezidiert ge-
gen den Patriotismus ,,von unten“ verteidigt worden waren und viele Elemente
des Totenkults wie die Gedenktage, die Denkmäler und Orden geprägt hatten.

88
Vgl. mit weiterführender Literatur Angela Dörfler-Dierken, Reformen in der Militärseel-
sorge. Feldgeistlicher, Befreiungsprediger, Seelsorger der Bundeswehr, in: Karl-Heinz Lutz
u. a. (Hg.), Reform, Reorganisation, Transformation. Zum Wandel in deutschen Streitkräf-
ten von den preußischen Heeresreformen bis zur Transformation der Bundeswehr, München
2010, S. 505–522; zur Friedensethik auf evangelischer Seite vgl. die Denkschrift der Evan-
gelischen Kirche in Deutschland ,,Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“
(2007), die vom Leitbild des gerechten Friedens ausgeht; sowie Angelika Dörfler-Dierken/
Gerd Portugall (Hg.), Friedensethik und Sicherheitspolitik. Weißbuch 2006 und EKD-Frie-
densdenkschrift 2007 in der Diskussion, Wiesbaden 2010; für die katholische Seite etwa
Dürfen Christen Krieg führen? in: Liborius-Magazin 3 (2010).
158 Manfred Hettling/Jörg Echternkamp

Auf die Dauer war diesem Versuch einer monarchischen Loyalitätserzwingung


kein Erfolg beschieden, spätestens im Ersten Weltkrieg waren die Soldaten, folgt
man den Identitätskonstruktionen der Überlebenden, nicht mehr für den Ho-
henzollernkaiser gefallen – dessen Großvater noch auf vielen Denkmälern zur
Erinnerung an 1870/71 stand –, sondern für ,,Deutschland“. Dass Wilhelm II. im
November 1918 den Opfertod an der Front ablehnte und lieber ins Exil ging, ist
Teil dieser Auflösung: Der Soldatentod war nicht mehr auf den Monarchen und
ein besonderes Treueverhältnis zu ihm bezogen; die Verweigerung Wilhelms II.,
den ,,Soldatentod“ auf dem Schlachtfeld zu suchen, trug umgekehrt zum Ende
der Monarchie in Deutschland bei.
Ein zweiter Befund erweist sich aber als bedeutender, weil er bis zur Ge-
genwart reicht. Ein bürgerlicher, ja staatsbürgerlicher Totenkult hat sich in
Deutschland kaum ausgebildet. Zu den komplexen Ursachen hierfür zählt,
dass die preußische Monarchie im 19. Jh. einen staatsbürgerlichen politischen
Totenkult dezidiert zurückgedrängt hatte und dass sich im 20. Jh. nach den
Kriegsenden jeweils die Herausforderung stellte, nach Niederlage und Sys-
temwechsel in der neuen Ordnung die Verantwortung für die Toten der alten
Ordnung zu übernehmen. Nach 1918 fiel die Gesellschaft in dieser Frage aus-
einander. Nach 1945 drängte man das politische Totengedenken an den Rand
der öffentlichen Wahrnehmung ab und verbarg die ungelösten politischen Deu-
tungsfragen auf den kommunalen Friedhöfen, indem man schlichte Zusatztafeln
an den bestehenden Denkmälern anbrachte. Beides verhinderte die Ausbildung
explizit politischer Deutungsangebote. Stattdessen ist das Gefallenengedenken
in Deutschland in besonderer Weise durch militärische Elemente bestimmt.
Viele Formen und Beispiele des Gedenkens wurden im Militärischen gestiftet,
die Kriegervereine waren bis 1933 die wichtigsten zivilen Organisationen für
die Errichtung von Denkmälern, auch die Sprache des Gedenkens ist dadurch
beeinflusst, bis hin zur besonderen Wertschätzung kriegerischer Qualitäten.89
Ob die Bundesrepublik inzwischen davon frei ist und weniger die militärische
Qualität der ,,Ehre“ in neu errichteten ,,Ehrenmalen“ im Mittelpunkt des Ge-
fallenengedenkens steht als eine internationale Völkergemeinschaft und ihre
übergreifenden Werte, das wird sich zeigen. Die Europäisierung der Militärpo-
litik, so mühsam sie seit Jahren vorankommt, wird diese Entwicklung weiter
vorantreiben, zugleich aber eine politische Gestaltung des Gefallenengedenkens
geradezu erzwingen.

89
Für die Denkmäler nach dem Ersten Weltkrieg vgl. Jeismann/Westheider, Wofür stirbt der
Bürger?

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