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553, Sartre, Jean-Paul (1905-80), franz. Phi- los. und Schriftsteller, geb. in Paris, 1924-29 Studium an der Ecole Normale Supérieure, u.a. mit Merleau-Ponty. Hier traf er 1929 seine zukiinftige Le- bensgefahrtin Simone de Beauvoir. 1931-33 Gymnasiallehrer in Le Havre, 1933-34 Stipendiat am Institut Francais in Berlin, wo er sich mit der modernen dt. Phanomenologie* und Existenzphilos.* (Husserl, Heidegger, Jaspers, Scheler) beschaftigte. 1934-36 hatte er wieder eine Stelle als Gymnasiallehrer in Le Havre, 1936-37 in Laon, danach in Pa- ris. 1936 erschien sein erstes Buch, das philos.-psychologische Werk L’imagina- tion, und 1938 erzielte er mit dem Roman La nausée einen literarischen Durch- bruch. Seit 1944 lebte S. ausschlieBlich als freier Schriftsteller. S. erstes philos. Hauptwerk L’étre et le néant (1943; Das Sein und das Nichts, 1966) ist maBgebend fiir die Entwicklung der franz. Philos. nach dem 2. Weltkrieg. Unverkennbar ist der Einflu8 von Hei- degger und Hegel. Sein besonderes Profil erhalt das Werk aber durch S. Radikali- sierung des Freiheitsproblems*. Aus- gangspunkt bildet die These, daB nichts Gegebenes die Entscheidungen, die wir treffen, im voraus begriinden kann. Ent- scheidungen lassen sich weder durch reli- gidse Instanzen, Traditionen, gesell- schaftliche Normen oder im Riickgang auf die biologische Natur begriinden. Die Grunderfahrung des Menschen, welche S. in seiner radikalen Freiheitsphilos. auf den Begriff bringt, ist diese Erfahrung der Unbegriindetheit und Unbegriind- barkeit vorgegebener faktischer Nor- men. Radikal ist S. Freiheitsbegriff insofern, als er das Sein* des Menschen selbst als Freiheit bestimmt. Der Mensch existiert nicht erst, um dann iiber seine bloBe Exi- stenz hinaus eine Freiheit zu besitzen. Er existiert vielmehr als Freiheit. Das zeigt sich darin, daB Freiheit bereits Voraus- setzung dessen ist, sich selbst die Freiheit abzusprechen. Die Preisgabe der Frei- heit ist gleichermaBen ein Ausdruck von Sartre, Jean-Paul Freiheit. Ganz gleich, wie wir sind, wir sind dazu verurteilt, frei zu sein. Um diesen radikalen Charakter der Frei- heit zu bestitigen, unterscheidet S. scharf zwischen zwei Grundformen von Sein, namlich An-sich-sein und Fiir-sich- sein (vgl. an* sich). Das An-sich-sein ist die Art und Weise, in der Dinge sind. DaB etwas «an sich» (en soi) ist, besagt, daB es nur das ist, was es ist. Es ist etwas Gegebenes, etwas bloB Vorliegendes. Der Mensch dagegen zeichnet sich da- durch aus, daB er nicht nur das ist, was er ist. Er kann sich stets auf andere Még- lichkeiten hin «entwerfen», sich andere Ziele setzen. Er kann mit seinem bisheri- gen Dasein brechen, sich dafiir entschei- den, etwas anderes zu werden. Sein Sein ist durch eine Negativitat gekennzeich- net: Er kann das Gegebene verneinen, dieses und sich selbst als Gegebenes iiberschreiten. Er ist nicht nur, was er ist, sondern verhiilt sich zu seinem Sein, zu seiner Situation*, die erst dadurch zu einer solchen wird. Er ist «fiir sich» (pour soi). S. analysiert in L’étre et le néant die Strukturen der menschlichen Existenz*. Diese selbst ist Freiheit: Uberschreitung (Transzendenz*), Negativitaét, Sichver- halten. Gleichzeitig deckt er einen Selbstwiderspruch in dieser Bestimmung von Existenz auf: Sie ist grundlegend Freiheit, aber auch ein Suchen danach, an sich zu sein, sich selbst dieselbe Festig- keit zu geben wie sie den Dingen eigen ist (etwa in Form der Identifikation mit be- stimmten sozialen Rollen, sozialen Posi- tionen usw.). Dies deutet S. als den Ver- such, die Angst* vor der eigenen Freiheit zu verdecken. Da die Existenz des Men- schen durch Selbstiiberschreitung ge- kennzeichnet ist, kann er sich selbst belii- gen, sich selbst tauschen (mauvaise foi, Unredlichkeit). Nach S. ist die Wahl absolut. Auf irgend- eine andere begriindende Instanz auBer- halb unserer selbst zu verweisen, hieBe unsere Verantwortung _ verfliichtigen. Wir selbst sind es, die wihlen. Die Wahl eines Menschen ist etwas Einzigartiges, Sartre, Jean-Paul Jean-Paul Sartre Individuelles. Deshalb kann nichts im voraus Gegebenes die Wahl begriinden. Durch das, was er tut, wahit der Mensch sich selbst. Diese Uberlegungen S. kén- nen als Ausdruck eines extremen Subjek- tivismus* gedeutet werden. L’étre et le néant scheint in einer Lehre der unaufhebbaren Einsamkeit des Men- 554 schen in der Wahl seiner selbst zu enden. Allerdings ware eine solche Deutung zu kurzsichtig; denn S. bringt bereits in die- sem Buch seine Erfahrungen im Krieg auf die Einsicht, daB es notwendig sei, sich zu engagieren. So charakterisiert er schon in L’étre et le néant das Wesen des Menschen als Engagement*. Als eine 555 dritte Form von Sein, die das Sein-an-sich und das Sein-fiir-sich miteinander verbin- den soll, beschreibt er das Sein-fiir-ande- re. Indem man fiir sich selbst ist, sieht man sich selbst zugleich durch den Anderen*, der einen sieht. S. pragte damit einen phi- los.-existentialistischen Begriff der ge- meinsamen menschlichen Welt. Erst mit dem zweiten philos. Hauptwerk Critique de la raison dialectique (1960; Kritik der dialektischen Vernunft, 1967) schafft S. jedoch die Grundlage fiir eine Philos. des Engagements als eines Han- delns in einer sozialen und geschicht- lichen Situation. Es gibt mehrere Ebenen in diesem Werk. Unmittelbar stellt es einen Versuch dar, den Marxismus als Geschichtsphilos. weiterzudenken, in- dem es dessen verdeckte existentielle Grundlage ans Licht bringt. Damit will es Marxismus und Existentialismus von ih- rem gemeinsamen Ausgangspunkt her miteinander vers6hnen: dem Humanis- mus*. Grundlegender jedoch als diese Verséhnung ist die systematische Ausar- beitung einer dialektischen Sozial- und Geschichtsphilos. In dieser Hinsicht stellt diese Arbeit den groBangelegten Versuch dar, den Begriff der Dialektik* neu zu be- stimmen. Man hat diskutiert, wie sich S. beide Hauptwerke zueinander verhalten. Auf der einen Seite entwickelt Critique de la raison dialectique Ansatze aus L’étre et le néant weiter, vor allem vermittelt durch die Sozial- und Geschichtsphilos. Mer- leau-Pontys. Dies gilt in erster Linie fir den Begriff der Freiheit und die Analyse der gemeinsamen Welt. Andererseits vollzieht S. eine deutliche Korrektur der individualistisch gepragten Position von L’étre et le néant. Das Verhiltnis laBt sich verkiirzt so beschreiben: S. Anliegen in Critique de la raison dialectique ist inso- weit dasselbe wie in L étre etlenéant, als es darum geht, das Charakteristische des menschlichen Seins, die Freiheit, zu be- stimmen. Auch das zweite Hauptwerk konzentriert sich auf das Freiheitspro- blem. Letztlich besteht das Ziel dieses Werks darin, die Dialektik als «Logik der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, Freiheit» zu begreifen. S. nimmt hier denn auch Schliisselbegriffe aus L’étre et le néant wieder auf, die sich aber bedeu- tungsmiBig verschieben. Diese Verschie- bung besteht darin, daB-die Uberschrei- tung (Transzendenz) jetzt mehr als Praxis, als ein Handeln in der Welt bestimmt wird, das von kollektiven Gebilden oder Institutionen gepragt ist, d. h. die Freiheit nun deutlicher in einem sozialen und ge- schichtlichen Zusammenhang gesehen wird. Ausg.: Ges. Werke in Einzelausgaben, 1981 ff. Philos. Schriften I-IX (bishererschienen I-III, V-VI), 1978ff. Das Sein und das Nichts. Ver- such einer phinomenologischen Ontologie, 1952, 1991. Was ist Literatur, 1958. Die Tr szendenz des Ego, 1964. Die Warter, 1965. tik der dialektischen Vernunft, 1967. BewuBt- sein und Selbsterkenntnis. Die Seinsdimension des Subjekts, 1973. Der Idiot der Familie. Gu- stave Flaubert 1821-57, 5Bde., 1977-79. — Lit,: W. Biemel: J.-P. S. in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 1964, 1980. A. Cohen- Solal: S., 1988. D.G. Cooper/R.D. Laing: Vernunft und Gewalt, 1973. A.C. Danto: P.S., 1993. T. Konig (Hg.): S. Ein KongreB, 1988. C. Lévi-Strauss: Geschichte und Dialek- tik. In: Ders.: Das wilde Denken, 1968. A. Ra- nant: S., le dernier philosophe, 1993. G. Se S., Dialektik, 1971. M. Theunissen: Der Ande- re. Studien zur Sozialontologie der Gegenwart, 1965. Satz. 1. Lehrsatz, Theorem. 2. In Logik und Sprachwissenschaft Bezeichnung fiir die elementare sprachliche Einheit, mit der ein Sprechakt* ausgefiihrt werden kann; z. B. wird ein Urteil* behauptet (in- dikativischer S.), eine Frage gestellt (in- terrogativer S.) oder ein Befehl gegeben (imperativischer S.). Lit.: E. Tugendhat/U. Wolf: Logisch-semanti- sche Propadeutik, 1983. Satz vom ausgeschlossenen Dritten, logi- sches Axiom, welches besagt, daB einem Subjekt x das Pradikat a entweder zu- kommt oder nicht zukommt und daB eine dritte Méglichkeit ausgeschlossen ist (ter- tium non datur). Zum S. y. a. D. fiihrt das Bivalenzprinzip, nach welchem ein Aus- sagesatz entweder wahr oder falsch ist.

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