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Reporter ohne Scham-Grenzen

von Volker Bräutigam

(4. Mai 2006) Sie nennen ge andere nicht Belorussen. rung als Journalist, Teil-
sich „Reporter ohne Gren- Neun von ihnen kamen fast nahme an verbotenen De-
zen“. Schon der Name dieser sofort wieder frei (worüber monstrationen (z. B. inner-
„Menschenrechtsorganisati- kaum berichtet wurde). In- halb der Bannmeile um das
on“ ist billiger Abklatsch. zwischen sind alle wieder ent- Parlamentsgebäude) Beleidi-
Reporters Sans Frontières lassen. Von mindestens ei- gung des Staatsoberhaupts
(RSF) wurde bei Vereins- nem, dem Kanadier Frede- und Vandalismus hätten
gründung 1985 in Marseille rick Lavoie, geben nun sogar auch in unseren „westlich-
in Anlehnung an die Médici- die Reporter ohne Grenzen freiheitlichen Demokratien“
nes Sans Frontières gewählt, zu, dass er nicht ordnungs- strafrechtliche Konsequen-
die „Ärzte ohne Grenzen“. gemäß als Journalist akkre- zen. Illegal tätige ausländi-
Vom wohlerworbenen und ditiert war. Andere „Kolle- sche „Journalisten“ wandern
verdienten Ansehen dieser gen“ (etliche stammen aus in Deutschland gleichfalls in
Organisation wollte man bil- der Ukraine) hatten keine den Knast, und zwar nicht
ligen Niesbrauch haben. Personalpapiere, was eben- nur zwei Wochen, wie in Be-
„26 Journalisten in Weiß- so aus Angaben der bela- larus. Stimmt’s?
russland festgenommen“, russischen Behörden hervor- Bei dem RoG-Bericht han-
meldete der Evangelische ging wie z. B. aus Bemerkun- delt es sich nach meiner
Pressedienst (epd) am 28. gen des europäischen Online- Ansicht um einen klassi-
März unter Bezug auf ei- Nachrichtenmagazins Euro- schen Beitrag zur Förde-
ne Mitteilung der deutschen politan.Was trieben sie in rung politischer Vorurteile,
RSF-Sektion, der „Reporter Belarus? Zu den Aktivitä- in diesem Fall gegen Bela-
ohne Grenzen“ (RoG). Die ten dieser Leute und den Be- rus und sein politisches, wirt-
epd-Meldung war Grundlage gründungen für ihre Festnah- schaftliches und soziales Sy-
für Veröffentlichungen in Zei- me bzw. Verurteilung („Van- stem, das zwar immerhin von
tungen, Zeitschriften und im dalismus“, „Beleidigung des der belorussischen Bevölke-
Rundfunk. Sie diente als wei- Staatsoberhaupts“) nahmen rung so und nicht anders ge-
terer Beleg für journalistische die „Reporter ohne Grenzen“ wollt wird, dies aber sehr
Freiheitsdefizite in Belarus in ihrer offiziellen Mitteilung zum Missvergnügen der Mei-
sowie Ausdruck der Inhuma- nicht Stellung. Ob die Fest- nungsmacher in den „west-
nität des „autoritär regie- nahmen und Verurteilungen lichen Demokratien“. Bela-
renden“ (unglücklicherweise in Minsk auf nachgewiese- rus ist weitgehend antikapi-
aber gerade mit Dreiviertel- nen Rechtsverstößen beruh- talistisch verfasst – und da-
mehrheit wiedergewählten) ten, interessierte die Repor- mit für gewisse Kreise eo ipso
Präsidenten Lukaschenko. ter ohne Grenzen offenbar schlecht.
Die RoG-Information war nicht. Als ob diese Frage völ- Es wäre folglich an der
wegen ihrer Unvollständig- lig nebensächlich wäre. Zeit, alle, aber auch wirk-
keit grob irreführend. Ordnungswidrigkeiten wie lich alle „Nachrichten“ über
Einige der 26 festgenom- der Aufenthalt ohne Visum Belarus (und nicht nur über
menen „Journalisten“ waren auf fremdem Staatsgebiet, dieses Land) daraufhin zu
keine Medienleute und eini- Recherche ohne Akkreditie- prüfen, ob sie aus unbezwei-

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felbar sauberer Quelle flos- National Endowment for De- ippinen berichtet, obwohl
sen. Es sollte selbstverständ- mocracy zur CIA gehört, mö- die Zahl der dort ermorde-
lich sein, genau hinzuschau- gen kompetentere Leute un- ten Journalisten die weltweit
en, wer da welche „Informa- tersuchen als ich. zweithöchste sei. Auch im
tion“ zum besten gibt. „Reporter mit runtergelas- Falle der in den USA inhaf-
Schauen wir einmal ge- sener Hose“ betitelte Caro- tierten „Lebenslänglichen“
nauer auf die Organisati- lina Cositore im ZNet ihren Miami Five und des zum
on „Reporter ohne Gren- Bericht über antikubanische Tode verurteilten und von
zen“. Der Verein wird an- Machenschaften der RoG. Amnesty International un-
teilig von der französischen Thomas Immanuel Steinberg terstützten Journalisten Mu-
und von der US-Regierung (www.SteinbergRecherche.com) mia Abu Jamal sei keinerlei
bezahlt, u.a. über die ob- beschrieb den Verein als Berichterstattung durch RoG
skure US-Stiftung National „Reporter ohne Scham- erfolgt.
Endowment for Democracy. Grenzen“. Diese und vie- Wir sollten, wenn der Na-
Er habe damit überhaupt le andere Kritiker werfen me „Reporter ohne Grenzen“
kein Problem, erklärte RSF- den Reporters Sans Fron- fällt, nicht so tun, als hät-
Vorsitzender Mènard dazu tières einäugige Berichter- ten wir noch nie von po-
öffentlich. Heißt es nicht: stattung über die Verfolgung litischer Desinformation ge-
Wes’ Brot ich ess’, des von Journalisten vor. Die hört, von Schwarzen Kassen,
Lied ich sing’ ? Besagte Stif- Auswahl der Länder orien- geschmierten Kollegen, von
tung, im Kalten Krieg von tiere sich an der Schwarzen aus Geheimdienstquellen fi-
Präsident Reagan zunächst Liste des US-State Depart- nanzierten Werbebüros und
zur Destabilisierung Kubas ment: Iran, Syrien, Nordko- ihrem Einfluss auf die veröf-
und Nicaraguas gegründet, rea, Vietnam, China, Kuba, fentlichte Meinung. Die RoG
hat früher antikommunisti- vermeide jedoch jegliche Be- mögen ihre Verdienste ha-
sche US-Kampagnen in aller richterstattung über Aktivi- ben. Man würde sie aller-
Welt finanziert, in jüngerer täten gegen Journalisten in dings höher achten, wenn sie
Zeit die neoliberale Oppositi- den USA bzw. in den mit den ihrer Arbeit weniger einäu-
on in Serbien und die eben- USA liierten Ländern. So ha- gig nachgingen, mehr objek-
so neoliberale orangene Be- be RoG nicht über getötete tive Information böten und
wegung in der Ukraine. Ob Medienleute auf den Phil- weniger miese Propaganda.

Volker Bräutigam war bis vor 10 Jahren NDR-Redakteur, u.a. zehn Jahre Redakteur der Hamburger
Zentralredaktion der „ARD-Tagesschau“. Er schreibt als Pensionär regelmäßig für die Zeitschrift Ossietzky
(www.sopos.org/ossietzky).

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