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19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution Literalurwissenschaft anne Literatur wissenschaft online Du bist hier: Startseite / Grundkurs Literaturwissenschaft / Grundkurs Dekonstruktion Poststrukturalismus und Dekonstruktion Prof. Dr. Albert Meier Vorbemerkung Obwohl der Poststrukturalismus die Basis-Annahmen des klassischen Strukturalismus negiert, behdit die Strukturale Textanalyse (vgl. die Lemeinheit zum Strukturalismus) ihre Berechtigung. Die poststrukturalistische Kritik begrenzt jedoch die Reichweite strukturaler Analysen: Struktur-Analysen kénnen nur bestimmte Aspekte von Texten erfassen und sind — wie jede Methode — fiir andere Aspekte zwangslaufig blind; dies gilt insbesondere fir literarische »lroniec (= alle Arten uneigentlichen Sprechens), die sich strukturalen Analysen grundsatzlich entzieht, vom poststrukturalistischen Blick aber ins Zentrum der Aufmerksamkeit geriickt wird. Insgesamt gilt: Jede Arbeit an Texten setzt voraus, dass man wei, was man will und weshalb man sich fiir eine bestimmte Methode entscheidet! Das bedeutet vor allem, dass man sich iiber die jeweiligen Grenzen des eigenen Vorgehens Rechenschaft ablegt, also selbstkritisch arbeitet und stets das eigene Verhalten kritisch reflektiert Begriffsklarung 1) Poststrukturalismus: Zeichentheorie nach« dem klassischen Strukturalismus 4 Ja de Saussure, die insbesondere das Verstndnis vom »Zeichen« (signed) als fester Koppelung von »Bezeichnendem« (»signifiant«) und »Bezeichnetem« (»signifié) revidiert; der poststrukturalistischen Auffassung zufolge verweisen Zeichen nicht auf (reale) Referenten, sondern immer nur auf andere Zeichen; der entscheidende Ansatz zur Kritik an der Konzeption de Saussures fut auf der Bevorzugung der »*Schrift« gegentiber hitps:wwu Iiteraturwissenscheft-online.un-bel. delgrunkurs-iteraturwissanschatlgrundkurs-dekonstrution#ftogge-id-3 na 19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution - Literalurwissenschaft anne Literatur wissenschaft online Innovation; postmoderne Kunst entsteht vor dem Hintergrund der poststrukturalistischen Zeichentheorie und arbeitet haufig mit dekonstruktivistischen Verfahren; Kriterien sind in erster Linie Intertextual Popularitat und Pluralitat des Sinns. 3) Dekonstruktion: poststrukturalisches Analyseverfahren, das nicht auf die Rekonstruktion der sinnhaften Ordnungen in einem Text zielt, sondem untersucht, inwiefern die Ordnungsstrukturen (Oppositionen) nur scheinbar gelten, weil die Zeichen ihrer Sprachlichkeit wegen der vermeintlichen Ordnung widersprechen (Dekonstruktion zeigt auf, warum die von der strukturalen Textanalyse beanspruchte Rekonstruktion von Sinn nicht méglich ist). Beispiel fiir »postmoderne< = dekonstruktivistische Kunst Jasper Johns: Three Flags (1958; Whitney Museum of American Art, New York) (externer Link) Die Stars and Stripes-Flagge ist »an sich ein Zeichen fiir das politische Gebilde »Vereinigte Staaten von Amerikac, soll also direkt auf einen realen Sachverhalt verweisen. - Indem Jasper Johns ein dreifaches Abbild des Sternen-Banners malt, kappt er diese Beziehung des Zeichens zum Bezeichneten und macht das Zeichen »selbstreferenziell«: Das postmoderne Gemilde stellt jetzt die »Zeichenhaftigkeit: der Flagge aus, weil das Zeichen >Flaggec in sich selbst kopiert wird. Damit ist keine politisch-ideologische Kritik an der Realitét USA intendiert, sondern eine kunstimmanente Reflexion des asthetischen Materials. Deutlich wird die Differenz zwischen »Flaggec und ihrem Dreifach-Abbild an folgendem Gedankenspiel: Wiirde das Verbrennen (einer Reproduktion) von Jasper Johns’ Gemalde in gleicher Weise einen Protest gegen die Politik der USA sbedeutenc kénnen, wie das dem Verbrennen einer (nachgemachten) Fahne gelingt? — Woh! nicht, weil beim Kunstwerk eben die politische Wirklichkeitsreferenz suspendiert ist; mit dem Verbrennen des Gemaldes (bzw, einer Kopie) kénnte daher bestenfalls gegen Kunst protestiert werden. hitps:wwu Iteraturwissenscheft-online.un-bel. delgrunurs-iteraturwissanschatgrundkurs-dekonstruktion#ftogge-id-3 ana 19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution - Literalurwissenschaft anne Literatur wissenschaft online verstanden. Dabei setzt er zweierlei voraus + Zeichen sind odistinkt: (gegeneinander abgegrenztiisoliert) + zwischen »signifiant: und »signifiéc gibt es keine »motiviertec Beziehung, d.h die Verbindung von Zeichen und Bezeichnetem/Ding ist rein varbitrar« Owillkiirlichy »zufallige) Beispiel: Das Wort (bzw. die Lautfolge) »Apfek verweist auf die Frucht >Apfelc und nur auf diese (man kann zu einem Apfel daher nicht sinnvollerweise »Bime« sagen). — Fiir diese Beziehung von Wort und Ding gibt es aber keinerlei inneren, sachlich zwingenden = objektiven Grund, Kritikpunkte des Poststrukturalismus am klassischen Strukturalismus. 1) Die poststrukturalistische Sprach- bzw. Zeichen-Theorie bestreitet die strukturalistischen Zentral-Postulate der »Starrheit« und »Willkiirlichkeit: in der Verbindung von Zeichen und Ding ebenso wie die These von der absoluten Distinktivitat/Abgegrenztheit des einen Zeichens von den anderen: Sprache ist immer mehrdeutig und offen, weil sprachliche Zeichen sich nicht in ihrer konkreten Bezeichnungsfunktion erschépfen, sondem untereinander kommunizieren: Wérter z.B. sind — ihrer Etymologie wegen — semantisch >unrein«, beziehen aus dieser Kontamination ihr »Eigenleben: und bedeuten daher »mehr., als ihr Sprecher damit intendiert (Wérter haben also keine »Bedeutung;, die jeweils auf ein einziges Objekt fokussiert ware, sondern >streuen«, weil sie immer in assoziativem Kontakt mit anderen Zeichen stehen — vgl. Jacques Derridas Begriff »dissémination: = Streuung) Beispiel: Auch in der Alltagssprache unterlaufen vielfach Doppeldeutigkeiten wie z.B.: »Ist der Professor bei sich?« (>befindet er sich in seinem Dienstzimmer?« «vist er bei Bewusstsein?«) Die semantische Autonomie aller Zeichen (nicht nur der sprachlichen!) hat nicht blo® Missverstandnisse zur Folge, sondern ist die Voraussetzung fiir jedes >uneigentlichec Sprechen (Ironie/Tropen). Sie verhindert aber zugleich, dass ein Sprecher seine AuRerungen vollstandig kontrolliert und exakt >weifk, was er sagt (die Sprache redet ihm gewissermaten drein). hitps:wwu Iiteraturwissenscheft-online.un-bel. delgrunkurs-iteraturwissanschatgrundkurs-dekonstruktion#ftogge-id-3 ana 19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution - Literalurwissenschaft anne Literatur wissenschaft online Darlegungen und Formulierungen, die mifsverstanden werden kénnen und von denen manche — das war doch vorauszusehen — miBverstanden werden miissen.« (Reich-Ranicki 1999, S. 324) = Marcel Reich-Ranickis Antwort dementiert sich selbst: Der Sprecher will sagen, dass Martin Walsers Rede zwangslaufig missverstanden wurde, weil sie zu unklar war (miissen: ist hier also deskriptiv gemeint) — tatséichiich sagt er jedoch das Gegenteil: Man soll »missverstehen<, damit man missverstehen kann (>miissenc hat eben auch eine imperativisch/normative Bedeutung). 2) Poststrukturalistische Kern-These: Es gibt keine starre Struktur-Beziehung von »signifiant« und »signifiéd — Weil Zeichen autonom sind, beziehen sie sich gar nicht wirklich auf Dinge bzw. Sachverhalte, sondern sind »selbstreferenzielk (d.h. sie stehen in einem permanenten, aber offenen Wechselverhaitnis zu anderen Zeichen); Zeichen sind daher nicht blo® durch ihre Bezeichnungsfunktion definiert, sondern miissen als eigenstandig = substanziell erst genommen werden. René Magrittes Gemalde Ceci n'est pas une pomme (»Das hier ist kein Apfel«)(1964) kann als gemalte Zeichen-Theorie im Sinn des Poststrukturalismus verstanden werden: Es zeigt keinen Apfel, sondern dessen »Abbildc — der abgebildete »Apfel:, den niemand essen kann, vist: in der Tat kein Apfel, sondem blo dessen Zeichen, das assoziativ sofort weitere Bedeutungen abzurufen vermag (z.B.: *Siindenfall>Wurm«), Jacques Derrida: De la grammatologie (1967) Jacques Derrida (1930-2004) kann als Hauptvertreter des Poststrukturalismus und als Begriinder der Dekonstruktion gelten. Mit seinem Hauptwerk De la grammatologie (Wissenschaft von der Schrift) leistet er u. a. eine Grundsatzkritik an der klassischen Zeichentheorie de Saussures, der er insbesondere einen >Logozentrismus« = hitps:lwww Iiteraturwissenscheft-online.un-kel. delgrunkurs-iteraturwissanschatlgrundkurs-dekonstrutiontoggle-id-3 ana 19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution - Literalurwissenschaft anne Literatur wissenschaft online Eigenstandiges. Die aus dieser Gegenposition resultierende Zeichentheorie bestreitet die Annahme de Saussures, »Zeichen: wiirden auf Referenten in der Wirklichkeit verweisen, und setzt die These dagegen, dass Zeichen immer nur auf andere Zeichen referieren Da die Zeichen folglich keine feste Bindung an auRersprachliche Referenten eingehen kénnen, sondem »streuen: (— »dissémination:), ergibt sich daraus ein ofreies Spiel der Signifikantenc Es gibt kein Signifikat, das dem Spiel aufeinander verweisender Signifikanten entkéime, welches die Sprache konstituiert, und sei es nur, um ihm letzten Endes wieder anheimzufallen. (Derrida 1983, S. 171.) (Zitat in franzésischen Original im Reiter “weitere Zitate” am Ende der Seite) Bei der Lautsprache ist der Sprecher »anwesend und kann dadurch die »Prasenz« des Sinns garantieren. Bei der »Schrift (= alle Zeichen ohne gegenwartigen Urheber) ist der Urheber jedoch abwesend, da das Schreiben immer schon in der Vergangenheit liegen muss - damit ist der Sinn offen bzw, kann nicht auf je einen bestimmten Referenten bezogen werden. Jacques Derrida: fa différance Derrida hat den fiir die Dekonstruktion zentralen Neologismus »aifférance: Zuerst in einem Vortrag vor der Société frangaise de philosophie am 27. 1. 1968 entwickelt (abgeleitet von frz. sdifférer: abweichen + ver- bzw. aufschieben; aus lat. odifferrec). Das uniibersetzbare sdifférance: belegt die Eigenstandigkeit der Schrift, da die grafische Variation (ndifférancec statt odifférencec) nur geschrieben, aber nicht gesprochen werden kann (das Franzésische kennt hierfiir keinen phonetischen Unterschied). Die odifférancec (dt.: »Differanz« statt »Differenzc) ist als zentrale Eigenschaft bzw. Kraft von Zeichen zu verstehen: Diese »verschieben: den Sinn unvermeidlicherweise. Aus dem Konzept der »différance: leitet Derrida seine Fundamentalkritik an der Zeichentheorie de Saussures ab: hitps:/iwww teraturwissenschaft-online.un-Kelde/grundkurs-iteraturwissenschaftgrundkurs-dekonstruktion/Mtogge-id-3 ena 19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution - Literalurwissenschaft anne Literatur wissenschaft online Das Zeichen, so sagt man gewohnlich, setzt sich an die Stelle der Sache selbst, der gegenwértigen Sache, wobei »Sachec hier sowohl! fiir die Bedeutung als auch fiir den Referenten gilt. Das Zeichen stellt das Gegenwartige in seiner Abwesenheit dar. Es nimmt dessen Stelle ein. Wenn wir die Sache, sagen wir das Gegenwartige, das gegenwértig Seiende, nicht fassen oder zeigen kénnen, wenn das Gegenwartige nicht anwesend ist, bezeichnen wir, gehen wir ber den Umweg des Zeichens. Wir empfangen oder senden Zeichen. Wir geben Zeichen. Das Zeichen ware also die aufgeschobene (différée) Gegenwart. (Derrida 1988, S. 371.) (Zitat in franzésischen Original im Reiter “weitere Zitate” am Ende der Seite) 2. Wahrend de Saussure das Verhaltnis zwischen Objekt und Zeichen als temporale Differenz erlautert, nutzt Derrida im Begriff der différance die semantische Doppeldeutigkeit von sdifférerc, das sowoh! »aufschieben: (temporal) als auch »verschieben: (réumlich) meinen kann. Demzufolge begreift er das Verhaitnis zwischen Objekt und Zeichen als réumliches, so dass kein Zeichen wirklich das Objekt vertreten kann (wie de Saussure annimmt), sondern immer in Distanz dazu steht und Beziehungen zu anderen Zeichen ausspielt: Jeder Begriff ist seinem Gesetz nach in eine Kette oder in ein System eingeschrieben, worin er durch das systematische Spiel von Differenzen auf den anderen, auf die anderen Begriffe verweist. (Derrida 1988, S. 40) (Zitat in franzésischen Original im Reiter ‘weitere Zitate” am Ende der Seite) Dekonstruktion als methodologische Konsequenz des Poststrukturalismus a) Was ist Dekonstruktion? Pramisse: Der Strukturalismus versucht, den »Sinnc eines Textes zu »re- konstruierenx, indem er die Organisation der Text-Elemente in ihrem Verhaltnis zueinander ermittelt - die Dekonstruktion bestreitet die Maglichkeit eines veinzigen: Textsinns und richtet deshalb das eigene hitps:wwu Iiteraturwissenscheft-online.un-bel. delgrunkurs-iteraturwissanschatgrundkurs-dekonstruktion#ftogge-id-3 ena 19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution - Literalurwissenschaft anne Literatur wissenschaft online wie RNUHAHeHZ-F UstUaL). Der Poststrukturalismus begreift die Zeichen als »nicht-distinktc, da sie stets in einem (nicht starren) Verhaltnis zu anderen Zeichen stehen: Zeichen bilden daher immer »Gewebex, d.h. ‘Textec, deren Verflechtung verhindert, dass ein Autor: volle Verfiigungsgewalt iiber seine spezifische Zeichen- Verwendung gewinnt. — Die Sprache setzt den Sprechem sozusagen »Widerstandc entgegen, weil sie mehr ist als bloRes Instrument der Bedeutungszuweisung Hier setzt die »Dekonstruktionc an: Sie fragt nach den Widerspriichen zwischen dem »Gemeintenc und dem »Gesagtenc, um jeweils den Nachweis zu fllhren, dass logisch konstruierte Hierarchien aufgrund der Zeichen- Autonomie nicht funktionieren kénnen. = Es geht hier um die Kritik am sog. >Logozentrismus« der abendlandischen Metaphysik, die auf der Illusion beruht, mit dem Instrument der menschlichen Ratio kénnte die Wirklichkeit vollstandig begriffen und dadurch auch beherrschbar gemacht werden! - Dem wird entgegengehalten, dass wir unser rationales Handwerkszeug — die Sprache — gar nicht kontrollieren kénnen. b) Technik der Dekonstruktion Pramisse: Jeder Autor: will seinen »Text: so strukturieren, dass er eine Ordnung/Hierarchie zum Ausdruck bringt. Ihrer Sinnlichkeit/Unreinheit wegen selzt die Sprache solchen Strukturierungsabsichten Widerstand entgegen. Methode: Die Dekonstruktion sucht nach Widerspriichen zwischen dem »offensichtliche Gemeinten und dem statséichlich Gesagten, indem die Sprache beim Wort genommen wird: Die Analyse bezieht sich insbesondere auf die Mehrdeutigkeit der Zeichen, die aus der zwangslaufigen »Uneigentlichkeit: allen Sprechens resultiert (insbesondere muss nach Metaphern und Metonymien gesucht werden, die mehrdeutig sind und den >eigentlichen: Sinn konterkarieren). hitps:lwww Iteraturwissenscheft-online.un-kel. delgrunckurs-iteraturwissanschatlgrundkurs-dekonstruktion/ftoggle-id-3 73 19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution - Literalurwissenschaft anne Literatur wissenschaft online MOUESUTUCTE UarUN, HILL BEYFUNUbAle UIUNUNYeH Mera LINEI/OySteHIe sprachkritisch zu hinterfragen und in ihrer Giltigkeit zu problematisieren. Beispiel einer dekonstruktivistischen Analyse: Friedrich Schiller: Die Antike (an einen Wanderer aus Norden) (1795) Uber Stréme hast du gesetzt und Meere durchschwommen, Uber der Alpen Gebirg trug dich der schwindlichte Steg, Mich in der Nahe zu schauen und meine Schéne zu preisen, Die der begeisterte Ruf riihmt durch die staunende Welt; Und nun stehst du vor mir, du darfst mich Heilge beriihren, Aber bist du mir jetzt naher und bin ich es dir? Hinter dir liegt zwar dein nebligter Pol und dein eiserner Himmel, Deine arkturische Nacht flieht vor Ausoniens Tag, Aber hast du die Alpenwand des Jahrhunderts gespalten, Die zwischen dir und mir finster und traurig sich tiirmt? Hast du von deinem Herzen gewaizt die Wolke des Nebels, Die von dem wundernden Aug’ waizte der frahiiche Strahl? Ewig umsonst umstrahit dich in mir loniens Sonne, Den verdiisterten Sinn bindet der nordische Fluch. (Schiller 1992, S. 433) Die 7 heroischen Distichen (antike Versform) behaupten »scheinbar« die parallelen Oppositionen Siiden vs, Norden und Antike vs. Moderne. Da die Antike spricht, entsteht vordergriindig der Eindruck, dass die Antike (bzw. der Siiden) der Moderne (bzw. dem Norden) tiberlegen sei. In konventioneller Interpretation lieBe sich das z.B: in folgender Weise erldutern: a) Das Gedicht illustriert Schillers Geschichtsphilosophie, die von der wesensmaBigen Differenz zwischen »naiver< Antike und »sentimentalischer< Moderne ausgeht. b) Schiller rechtfertigt mit der Behauptung, durch eine Reise in den Siiden lasse sich die Antike nicht wirklich angemessen erfahren, seinen Verzicht auf eine Reise nach Italien hitps:lwww Iiteraturwissenscheft-online.un-kel. delgrunkurs-iteraturwissanschatlgrundkurs-dekonstrutiontoggle-id-3 ana 19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution - Literalurwissenschaft anne Literatur wissenschaft online damit zur Autoritat liber sie, b) Die Differenz von »Beriihren der Antikec (das kann der nordische Reisende im Siiden - vgl. v. 5) und »Sehen: (das kann der Reisende laut v. 11 und v. 14 nicht) widerlegt sich selbst, weil Vers 12 und die folgenden davon sprechen, dass das Auge des Reisenden durch den »fréhlichen Strahk siidlicher Sonne befreit ist. - Hier kollidiert die Metaphorik mit sich selbst: Einerseits heift es, dass die siidliche Sonne strahit - andererseits wird behauptet, dass eine »Wolke des Nebels: das Herz des Reisenden blind macht. Die Antike nimmt fiir sich also in Anspruch, in ihrem Licht »gesehenc werden zu kénnen - sie verlangt aber, dass das nicht mit dem kérperlichen »Sehsinn geschieht, sondern mit dem Herzen (und darauf hat die siidliche Sonne begreiflicherweise keinen Einfluss). Die Antike macht dem Wanderer also einen Vorwurf, der gar nicht berechtigt ist - die Uberlegenheit der Antike wird damit hinféilig Der Tod des Autors Unter dem Schlagwort »Tod des Autors« wendet sich Roland Barthes 1968 gegen die herkémmliche Praxis der (v. a. franzésischen) Literaturwissenschaft, sich bei der Frage nach dem Sinn eines Textes an den Autor zu halten und zuallererst nach der »Autor-Intention< zu suchen. Die poststrukturalistische Gegen-These lautet hierzu: Ein Autor ist nicht der »Vater« (= Ursprung) seines Textes, da der Text vielmehr ein Eigenleben fiihrt, Statt vom »Autor« muss man daher vom bloRen >»AufschreiberLektiirenc hervorbringt (auch der »Autor: ist insofern nichts als ein Leserc = alle Lektiiren sind prinzipiell gleichrangig): »Wir wissen, dass der Mythos umgekehrt werden muss, um der Schrift eine Zukunft zu geben. Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors.« (Barthes 2000, S. 193) Konsequenzen fur die literaturwissenschaftliche Arbeit Dekonstruktion lasst sich als Umkehrung der gleichermafen hermeneutischen wie strukturalistischen Absicht begreifen: anstatt zu fragen, wie ein bestimmter Text richtig zu verstehen ist, wird untersucht, welche Faktoren in einem Text dessen giiltiges Verstandnis (Interpretation) verhindern, Dekonstruktion ist insofem eine »negativec Literaturwissenschaft, weil sie sich (selbstreflexiv) auf die eigenen Grenzen konzentriert und auf Interpretation verzichtet: - traditionelle Begriffe, die autorbezogen sind, sind obsolet (Einfluss<>Entwicklungd »Autorintention<>Bedeutung:) - Interpretationenx, die auf die Ermittlung des einen, objektiven Text-Sinns abzielen, sind gegenstandsios - im Mittelpunkt der philologischen Analyse muss die Erforschung der sthetischen Bedingungen von literarischer Uneindeutigkeit stehen, d.h. die Dekonstruktion des jeweiligen sprachlichen »>Gewebes«: hitps:lwww Iteraturwissenscheft-online.un-kel. delgrunckurs-iteraturwissanschatlgrundkurs-dekonstruktion/ftoggle-id-3 ron 19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution - Literalurwissenschaft anne Literatur wissenschaft online “Il n'est pas de signifié qui échappe, éventuellement pour y tomber, au jeu des renvois signifiants qui constitue le langage” Jacques Derrida: De la grammatologie. Paris 1967, S. 16 “Le signe, dit-on couramment [= im Sinne von de Saussure], se met a la place de la chose méme, de la chose présente, xchose valant ici aussi bien pour le sens que pour le référent. Le signe représente le présent en son absence. Il en tient lieu. Quand nous ne pouvons prendre ou montrer la chose, disons le présent, 'étant- présent, quand le présent ne se présente pas, nous signifions, nous passons par le détour du signe. Nous prenons ou donnons un signe. Nous faisons signe. Le signe serait donc la présence différée.” Jacques Derrida: La différance. In: Jacques Derrida: Marges de la philosophie. Paris 1972, S. 1-29, hier S. 9 “Tout concept est en droit et essentiellement inscrit dans une chaine ou dans un systéme a 'intérieur duquel il renvoie a l'autre, aux autres concepts, par jeu systématique de différences.” Jacques Derrida: La différance. In: Jacques Derrida: Marges de la philosophie. Paris 1972, S. 1-29, hier S. 11 + Quellennachweise Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Herausgegeben und kommentiert von Fotis Jannidis [u.a]. Stuttgart 2000, S. 185-193 Barthes, Roland: La mort de l'auteur. In: Roland Barthes: CEuvres completes, Tome II: 1966-1973. Edition établie et présentée par Eric Marty. [Paris] 1994, S. 491-495. hitps:lwww Iiteraturwissenscheft-online.un-kel. delgrunkurs-iteraturwissanschatlgrundkurs-dekonstrutiontoggle-id-3 wna 19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution - Literalurwissenschaft anne Literatur wissenschaft online Lora, vauyues, GraniiauiUyle. UUEISELLL vr! Malis-vUIy Rheinberger und Hanns Zischler. Frankfurt am Main 1983 (stw. 417) Derrida, Jacques: Die différance. In: Jacques Derrida: Randgaénge der Philosophie. Hrsg. von Peter Engelmann. Wien 1988, S. 29-52. Reich-Ranicki, Marcel: Das Beste, was wir sein kénnen. Walser, Bubis, Dohnanyi und der Antisemitismus. In: FAZ vom 2.12.1998. Zitiert aus: Frank Schirrmacher (Hg.): Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation. Frankfurl/M. 1999. Schiller, Friedrich: Werke und Briefe in zwélf Banden. Herausgegeben von Otto Dann [u.a.]. Bd. 1: Gedichte. Herausgegeben von Georg Kurscheidt. Frankfurt/M. 1992 (Bibliothek deutscher Klassiker; 74), S. 433, = weiterfiihrende Literatur (ebenso umfassend wie gut verstandlich): Culler, Jonathan : Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie, Ubersetzt von Manfred Momberger. Reinbek bei Hamburg 1999 (Rowohlts Enzyklopadie Nr.55635) weitere Titel: Bossinade, Johanna: Poststrukturalistische Literaturtheorie Stuttgart — Weimar 2000 (Sammlung Metzler; 324). Jannidis, Fotis/Lauer, Gerhard/Martinez, Matias/Winko, Simone (Hgg.): Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000 Neumann, Gerhard (Hg.): Poststrukturalismus — Herausforderung an die Literaturwissenschaft. Stuttgart - Weimar 1997 (Germanistische-Symposien- Berichtsbande; 18) hitps:wwu Iiteraturwissenscheft-online.un-bel. delgrunkurs-iteraturwissanschatgrundkurs-dekonstruktion#ftogge-id-3 yana 19.05.23, 15:31, Posisrukturalsmus / Dekonstrution Lileraturwissenschat onine Literatur wissenschaft online ‘ Zur Ubersicht ™ Zur nachsten Einheit hitps:wwu Iiteraturwissenscheft-online.un-bel. delgrunkurs-iteraturwissanschatgrundkurs-dekonstruktion#ftogge-id-3 1313

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