19.08.23, 15:31 Poststrukturalsmus / Dekonstrution Literalurwissenschaft anne
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Poststrukturalismus und Dekonstruktion
Prof. Dr. Albert Meier
Vorbemerkung
Obwohl der Poststrukturalismus die Basis-Annahmen des klassischen
Strukturalismus negiert, behdit die Strukturale Textanalyse (vgl. die
Lemeinheit zum Strukturalismus) ihre Berechtigung. Die
poststrukturalistische Kritik begrenzt jedoch die Reichweite strukturaler
Analysen: Struktur-Analysen kénnen nur bestimmte Aspekte von Texten
erfassen und sind — wie jede Methode — fiir andere Aspekte zwangslaufig
blind; dies gilt insbesondere fir literarische »lroniec (= alle Arten
uneigentlichen Sprechens), die sich strukturalen Analysen grundsatzlich
entzieht, vom poststrukturalistischen Blick aber ins Zentrum der
Aufmerksamkeit geriickt wird.
Insgesamt gilt: Jede Arbeit an Texten setzt voraus, dass man wei, was man
will und weshalb man sich fiir eine bestimmte Methode entscheidet! Das
bedeutet vor allem, dass man sich iiber die jeweiligen Grenzen des eigenen
Vorgehens Rechenschaft ablegt, also selbstkritisch arbeitet und stets das
eigene Verhalten kritisch reflektiert
Begriffsklarung
1) Poststrukturalismus: Zeichentheorie nach« dem klassischen
Strukturalismus 4 Ja de Saussure, die insbesondere das Verstndnis vom
»Zeichen« (signed) als fester Koppelung von »Bezeichnendem« (»signifiant«)
und »Bezeichnetem« (»signifié) revidiert; der poststrukturalistischen
Auffassung zufolge verweisen Zeichen nicht auf (reale) Referenten, sondern
immer nur auf andere Zeichen; der entscheidende Ansatz zur Kritik an der
Konzeption de Saussures fut auf der Bevorzugung der »*Schrift« gegentiber
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Innovation; postmoderne Kunst entsteht vor dem Hintergrund der
poststrukturalistischen Zeichentheorie und arbeitet haufig mit
dekonstruktivistischen Verfahren; Kriterien sind in erster Linie Intertextual
Popularitat und Pluralitat des Sinns.
3) Dekonstruktion: poststrukturalisches Analyseverfahren, das nicht auf die
Rekonstruktion der sinnhaften Ordnungen in einem Text zielt, sondem
untersucht, inwiefern die Ordnungsstrukturen (Oppositionen) nur scheinbar
gelten, weil die Zeichen ihrer Sprachlichkeit wegen der vermeintlichen
Ordnung widersprechen (Dekonstruktion zeigt auf, warum die von der
strukturalen Textanalyse beanspruchte Rekonstruktion von Sinn nicht
méglich ist).
Beispiel fiir »postmoderne< = dekonstruktivistische Kunst
Jasper Johns: Three Flags (1958; Whitney Museum of American Art, New
York) (externer Link)
Die Stars and Stripes-Flagge ist »an sich ein Zeichen fiir das politische
Gebilde »Vereinigte Staaten von Amerikac, soll also direkt auf einen realen
Sachverhalt verweisen. - Indem Jasper Johns ein dreifaches Abbild des
Sternen-Banners malt, kappt er diese Beziehung des Zeichens zum
Bezeichneten und macht das Zeichen »selbstreferenziell«: Das postmoderne
Gemilde stellt jetzt die »Zeichenhaftigkeit: der Flagge aus, weil das Zeichen
>Flaggec in sich selbst kopiert wird.
Damit ist keine politisch-ideologische Kritik an der Realitét USA intendiert,
sondern eine kunstimmanente Reflexion des asthetischen Materials.
Deutlich wird die Differenz zwischen »Flaggec und ihrem Dreifach-Abbild an
folgendem Gedankenspiel: Wiirde das Verbrennen (einer Reproduktion) von
Jasper Johns’ Gemalde in gleicher Weise einen Protest gegen die Politik der
USA sbedeutenc kénnen, wie das dem Verbrennen einer (nachgemachten)
Fahne gelingt? — Woh! nicht, weil beim Kunstwerk eben die politische
Wirklichkeitsreferenz suspendiert ist; mit dem Verbrennen des Gemaldes
(bzw, einer Kopie) kénnte daher bestenfalls gegen Kunst protestiert werden.
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verstanden. Dabei setzt er zweierlei voraus
+ Zeichen sind odistinkt: (gegeneinander abgegrenztiisoliert)
+ zwischen »signifiant: und »signifiéc gibt es keine »motiviertec Beziehung, d.h
die Verbindung von Zeichen und Bezeichnetem/Ding ist rein varbitrar«
Owillkiirlichy »zufallige)
Beispiel: Das Wort (bzw. die Lautfolge) »Apfek verweist auf die Frucht
>Apfelc und nur auf diese (man kann zu einem Apfel daher nicht
sinnvollerweise »Bime« sagen). — Fiir diese Beziehung von Wort und Ding
gibt es aber keinerlei inneren, sachlich zwingenden = objektiven Grund,
Kritikpunkte des Poststrukturalismus am klassischen Strukturalismus.
1) Die poststrukturalistische Sprach- bzw. Zeichen-Theorie bestreitet die
strukturalistischen Zentral-Postulate der »Starrheit« und »Willkiirlichkeit: in der
Verbindung von Zeichen und Ding ebenso wie die These von der absoluten
Distinktivitat/Abgegrenztheit des einen Zeichens von den anderen: Sprache
ist immer mehrdeutig und offen, weil sprachliche Zeichen sich nicht in ihrer
konkreten Bezeichnungsfunktion erschépfen, sondem untereinander
kommunizieren: Wérter z.B. sind — ihrer Etymologie wegen — semantisch
>unrein«, beziehen aus dieser Kontamination ihr »Eigenleben: und bedeuten
daher »mehr., als ihr Sprecher damit intendiert (Wérter haben also keine
»Bedeutung;, die jeweils auf ein einziges Objekt fokussiert ware, sondern
>streuen«, weil sie immer in assoziativem Kontakt mit anderen Zeichen
stehen — vgl. Jacques Derridas Begriff »dissémination: = Streuung)
Beispiel: Auch in der Alltagssprache unterlaufen vielfach
Doppeldeutigkeiten wie z.B.: »Ist der Professor bei sich?« (>befindet er sich
in seinem Dienstzimmer?« «vist er bei Bewusstsein?«)
Die semantische Autonomie aller Zeichen (nicht nur der sprachlichen!) hat
nicht blo® Missverstandnisse zur Folge, sondern ist die Voraussetzung fiir
jedes >uneigentlichec Sprechen (Ironie/Tropen). Sie verhindert aber zugleich,
dass ein Sprecher seine AuRerungen vollstandig kontrolliert und exakt
>weifk, was er sagt (die Sprache redet ihm gewissermaten
drein).
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Darlegungen und Formulierungen, die mifsverstanden werden kénnen
und von denen manche — das war doch vorauszusehen —
miBverstanden werden miissen.« (Reich-Ranicki 1999, S. 324)
= Marcel Reich-Ranickis Antwort dementiert sich selbst: Der Sprecher will
sagen, dass Martin Walsers Rede zwangslaufig missverstanden wurde, weil
sie zu unklar war (miissen: ist hier also deskriptiv gemeint) — tatséichiich
sagt er jedoch das Gegenteil: Man soll »missverstehen<, damit man
missverstehen kann (>miissenc hat eben auch eine imperativisch/normative
Bedeutung).
2) Poststrukturalistische Kern-These: Es gibt keine starre Struktur-Beziehung
von »signifiant« und »signifiéd — Weil Zeichen autonom sind, beziehen sie
sich gar nicht wirklich auf Dinge bzw. Sachverhalte, sondern sind
»selbstreferenzielk (d.h. sie stehen in einem permanenten, aber offenen
Wechselverhaitnis zu anderen Zeichen); Zeichen sind daher nicht blo® durch
ihre Bezeichnungsfunktion definiert, sondern miissen als eigenstandig =
substanziell erst genommen werden.
René Magrittes Gemalde Ceci n'est pas une pomme (»Das hier ist kein
Apfel«)(1964) kann als gemalte Zeichen-Theorie im Sinn des
Poststrukturalismus verstanden werden: Es zeigt keinen Apfel, sondern
dessen »Abbildc — der abgebildete »Apfel:, den niemand essen kann, vist: in
der Tat kein Apfel, sondem blo dessen Zeichen, das assoziativ sofort
weitere Bedeutungen abzurufen vermag (z.B.: *Siindenfall>Wurm«),
Jacques Derrida: De la grammatologie (1967)
Jacques Derrida (1930-2004) kann als Hauptvertreter des
Poststrukturalismus und als Begriinder der Dekonstruktion gelten. Mit
seinem Hauptwerk De la grammatologie (Wissenschaft von der Schrift)
leistet er u. a. eine Grundsatzkritik an der klassischen Zeichentheorie de
Saussures, der er insbesondere einen >Logozentrismus« =
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Eigenstandiges. Die aus dieser Gegenposition resultierende Zeichentheorie
bestreitet die Annahme de Saussures, »Zeichen: wiirden auf Referenten in
der Wirklichkeit verweisen, und setzt die These dagegen, dass Zeichen
immer nur auf andere Zeichen referieren
Da die Zeichen folglich keine feste Bindung an auRersprachliche Referenten
eingehen kénnen, sondem »streuen: (— »dissémination:), ergibt sich daraus
ein ofreies Spiel der Signifikantenc
Es gibt kein Signifikat, das dem Spiel aufeinander verweisender
Signifikanten entkéime, welches die Sprache konstituiert, und sei es
nur, um ihm letzten Endes wieder anheimzufallen. (Derrida 1983, S.
171.) (Zitat in franzésischen Original im Reiter “weitere Zitate” am Ende
der Seite)
Bei der Lautsprache ist der Sprecher »anwesend und kann dadurch die
»Prasenz« des Sinns garantieren. Bei der »Schrift (= alle Zeichen ohne
gegenwartigen Urheber) ist der Urheber jedoch abwesend, da das Schreiben
immer schon in der Vergangenheit liegen muss - damit ist der Sinn offen
bzw, kann nicht auf je einen bestimmten Referenten bezogen werden.
Jacques Derrida: fa différance
Derrida hat den fiir die Dekonstruktion zentralen Neologismus »aifférance:
Zuerst in einem Vortrag vor der Société frangaise de philosophie am 27. 1.
1968 entwickelt (abgeleitet von frz. sdifférer: abweichen + ver- bzw.
aufschieben; aus lat. odifferrec). Das uniibersetzbare sdifférance: belegt die
Eigenstandigkeit der Schrift, da die grafische Variation (ndifférancec statt
odifférencec) nur geschrieben, aber nicht gesprochen werden kann (das
Franzésische kennt hierfiir keinen phonetischen Unterschied). Die
odifférancec (dt.: »Differanz« statt »Differenzc) ist als zentrale Eigenschaft bzw.
Kraft von Zeichen zu verstehen: Diese »verschieben: den Sinn
unvermeidlicherweise.
Aus dem Konzept der »différance: leitet Derrida seine Fundamentalkritik an
der Zeichentheorie de Saussures ab:
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Das Zeichen, so sagt man gewohnlich, setzt sich an die Stelle der
Sache selbst, der gegenwértigen Sache, wobei »Sachec hier sowohl! fiir
die Bedeutung als auch fiir den Referenten gilt. Das Zeichen stellt das
Gegenwartige in seiner Abwesenheit dar. Es nimmt dessen Stelle ein.
Wenn wir die Sache, sagen wir das Gegenwartige, das gegenwértig
Seiende, nicht fassen oder zeigen kénnen, wenn das Gegenwartige
nicht anwesend ist, bezeichnen wir, gehen wir ber den Umweg des
Zeichens. Wir empfangen oder senden Zeichen. Wir geben Zeichen.
Das Zeichen ware also die aufgeschobene (différée) Gegenwart.
(Derrida 1988, S. 371.) (Zitat in franzésischen Original im Reiter
“weitere Zitate” am Ende der Seite)
2. Wahrend de Saussure das Verhaltnis zwischen Objekt und Zeichen als
temporale Differenz erlautert, nutzt Derrida im Begriff der différance die
semantische Doppeldeutigkeit von sdifférerc, das sowoh! »aufschieben:
(temporal) als auch »verschieben: (réumlich) meinen kann. Demzufolge
begreift er das Verhaitnis zwischen Objekt und Zeichen als réumliches, so
dass kein Zeichen wirklich das Objekt vertreten kann (wie de Saussure
annimmt), sondern immer in Distanz dazu steht und Beziehungen zu
anderen Zeichen ausspielt:
Jeder Begriff ist seinem Gesetz nach in eine Kette oder in ein System
eingeschrieben, worin er durch das systematische Spiel von
Differenzen auf den anderen, auf die anderen Begriffe verweist.
(Derrida 1988, S. 40) (Zitat in franzésischen Original im Reiter ‘weitere
Zitate” am Ende der Seite)
Dekonstruktion als methodologische Konsequenz des
Poststrukturalismus
a) Was ist Dekonstruktion?
Pramisse: Der Strukturalismus versucht, den »Sinnc eines Textes zu »re-
konstruierenx, indem er die Organisation der Text-Elemente in ihrem
Verhaltnis zueinander ermittelt - die Dekonstruktion bestreitet die
Maglichkeit eines veinzigen: Textsinns und richtet deshalb das eigene
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wie RNUHAHeHZ-F UstUaL).
Der Poststrukturalismus begreift die Zeichen als »nicht-distinktc, da sie stets
in einem (nicht starren) Verhaltnis zu anderen Zeichen stehen: Zeichen
bilden daher immer »Gewebex, d.h. ‘Textec, deren Verflechtung verhindert,
dass ein Autor: volle Verfiigungsgewalt iiber seine spezifische Zeichen-
Verwendung gewinnt. — Die Sprache setzt den Sprechem sozusagen
»Widerstandc entgegen, weil sie mehr ist als bloRes Instrument der
Bedeutungszuweisung
Hier setzt die »Dekonstruktionc an: Sie fragt nach den Widerspriichen
zwischen dem »Gemeintenc und dem »Gesagtenc, um jeweils den Nachweis
zu fllhren, dass logisch konstruierte Hierarchien aufgrund der Zeichen-
Autonomie nicht funktionieren kénnen.
= Es geht hier um die Kritik am sog. >Logozentrismus« der abendlandischen
Metaphysik, die auf der Illusion beruht, mit dem Instrument der menschlichen
Ratio kénnte die Wirklichkeit vollstandig begriffen und dadurch auch
beherrschbar gemacht werden! - Dem wird entgegengehalten, dass wir
unser rationales Handwerkszeug — die Sprache — gar nicht kontrollieren
kénnen.
b) Technik der Dekonstruktion
Pramisse: Jeder Autor: will seinen »Text: so strukturieren, dass er eine
Ordnung/Hierarchie zum Ausdruck bringt. Ihrer Sinnlichkeit/Unreinheit
wegen selzt die Sprache solchen Strukturierungsabsichten Widerstand
entgegen.
Methode: Die Dekonstruktion sucht nach Widerspriichen zwischen dem
»offensichtliche Gemeinten und dem statséichlich Gesagten, indem die
Sprache beim Wort genommen wird: Die Analyse bezieht sich insbesondere
auf die Mehrdeutigkeit der Zeichen, die aus der zwangslaufigen
»Uneigentlichkeit: allen Sprechens resultiert (insbesondere muss nach
Metaphern und Metonymien gesucht werden, die mehrdeutig sind und den
>eigentlichen: Sinn konterkarieren).
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MOUESUTUCTE UarUN, HILL BEYFUNUbAle UIUNUNYeH Mera LINEI/OySteHIe
sprachkritisch zu hinterfragen und in ihrer Giltigkeit zu problematisieren.
Beispiel einer dekonstruktivistischen Analyse: Friedrich
Schiller: Die Antike (an einen Wanderer aus Norden) (1795)
Uber Stréme hast du gesetzt und Meere durchschwommen,
Uber der Alpen Gebirg trug dich der schwindlichte Steg,
Mich in der Nahe zu schauen und meine Schéne zu preisen,
Die der begeisterte Ruf riihmt durch die staunende Welt;
Und nun stehst du vor mir, du darfst mich Heilge beriihren,
Aber bist du mir jetzt naher und bin ich es dir?
Hinter dir liegt zwar dein nebligter Pol und dein eiserner Himmel,
Deine arkturische Nacht flieht vor Ausoniens Tag,
Aber hast du die Alpenwand des Jahrhunderts gespalten,
Die zwischen dir und mir finster und traurig sich tiirmt?
Hast du von deinem Herzen gewaizt die Wolke des Nebels,
Die von dem wundernden Aug’ waizte der frahiiche Strahl?
Ewig umsonst umstrahit dich in mir loniens Sonne,
Den verdiisterten Sinn bindet der nordische Fluch. (Schiller 1992, S. 433)
Die 7 heroischen Distichen (antike Versform) behaupten »scheinbar« die
parallelen Oppositionen Siiden vs, Norden und Antike vs. Moderne. Da die
Antike spricht, entsteht vordergriindig der Eindruck, dass die Antike (bzw. der
Siiden) der Moderne (bzw. dem Norden) tiberlegen sei. In konventioneller
Interpretation lieBe sich das z.B: in folgender Weise erldutern:
a) Das Gedicht illustriert Schillers Geschichtsphilosophie, die von der
wesensmaBigen Differenz zwischen »naiver< Antike und
»sentimentalischer< Moderne ausgeht.
b) Schiller rechtfertigt mit der Behauptung, durch eine Reise in den
Siiden lasse sich die Antike nicht wirklich angemessen erfahren,
seinen Verzicht auf eine Reise nach Italien
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damit zur Autoritat liber sie,
b) Die Differenz von »Beriihren der Antikec (das kann der nordische
Reisende im Siiden - vgl. v. 5) und »Sehen: (das kann der Reisende
laut v. 11 und v. 14 nicht) widerlegt sich selbst, weil Vers 12 und die
folgenden davon sprechen, dass das Auge des Reisenden durch den
»fréhlichen Strahk siidlicher Sonne befreit ist. - Hier kollidiert die
Metaphorik mit sich selbst: Einerseits heift es, dass die siidliche
Sonne strahit - andererseits wird behauptet, dass eine »Wolke des
Nebels: das Herz des Reisenden blind macht. Die Antike nimmt fiir
sich also in Anspruch, in ihrem Licht »gesehenc werden zu kénnen - sie
verlangt aber, dass das nicht mit dem kérperlichen »Sehsinn
geschieht, sondern mit dem Herzen (und darauf hat die siidliche Sonne
begreiflicherweise keinen Einfluss). Die Antike macht dem Wanderer
also einen Vorwurf, der gar nicht berechtigt ist - die Uberlegenheit der
Antike wird damit hinféilig
Der Tod des Autors
Unter dem Schlagwort »Tod des Autors« wendet sich Roland Barthes 1968
gegen die herkémmliche Praxis der (v. a. franzésischen)
Literaturwissenschaft, sich bei der Frage nach dem Sinn eines Textes an den
Autor zu halten und zuallererst nach der »Autor-Intention< zu suchen. Die
poststrukturalistische Gegen-These lautet hierzu: Ein Autor ist nicht der
»Vater« (= Ursprung) seines Textes, da der Text vielmehr ein Eigenleben
fiihrt, Statt vom »Autor« muss man daher vom bloRen
>»AufschreiberLektiirenc hervorbringt (auch der »Autor: ist
insofern nichts als ein Leserc = alle Lektiiren sind prinzipiell gleichrangig):
»Wir wissen, dass der Mythos umgekehrt werden muss, um der Schrift
eine Zukunft zu geben. Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem
Tod des Autors.« (Barthes 2000, S. 193)
Konsequenzen fur die literaturwissenschaftliche Arbeit
Dekonstruktion lasst sich als Umkehrung der gleichermafen
hermeneutischen wie strukturalistischen Absicht begreifen: anstatt zu fragen,
wie ein bestimmter Text richtig zu verstehen ist, wird untersucht, welche
Faktoren in einem Text dessen giiltiges Verstandnis (Interpretation)
verhindern, Dekonstruktion ist insofem eine »negativec Literaturwissenschaft,
weil sie sich (selbstreflexiv) auf die eigenen Grenzen konzentriert und auf
Interpretation verzichtet:
- traditionelle Begriffe, die autorbezogen sind, sind obsolet
(Einfluss<>Entwicklungd »Autorintention<>Bedeutung:)
- Interpretationenx, die auf die Ermittlung des einen, objektiven Text-Sinns
abzielen, sind gegenstandsios
- im Mittelpunkt der philologischen Analyse muss die Erforschung der
sthetischen Bedingungen von literarischer Uneindeutigkeit stehen, d.h. die
Dekonstruktion des jeweiligen sprachlichen »>Gewebes«:
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“Il n'est pas de signifié qui échappe, éventuellement pour y tomber,
au jeu des renvois signifiants qui constitue le langage”
Jacques Derrida: De la grammatologie. Paris 1967, S. 16
“Le signe, dit-on couramment [= im Sinne von de Saussure], se
met a la place de la chose méme, de la chose présente, xchose
valant ici aussi bien pour le sens que pour le référent. Le signe
représente le présent en son absence. Il en tient lieu. Quand nous
ne pouvons prendre ou montrer la chose, disons le présent, 'étant-
présent, quand le présent ne se présente pas, nous signifions,
nous passons par le détour du signe. Nous prenons ou donnons
un signe. Nous faisons signe. Le signe serait donc la présence
différée.”
Jacques Derrida: La différance. In: Jacques Derrida: Marges
de la philosophie. Paris 1972, S. 1-29, hier S. 9
“Tout concept est en droit et essentiellement inscrit dans une
chaine ou dans un systéme a 'intérieur duquel il renvoie a l'autre,
aux autres concepts, par jeu systématique de différences.”
Jacques Derrida: La différance. In: Jacques Derrida: Marges
de la philosophie. Paris 1972, S. 1-29, hier S. 11
+ Quellennachweise
Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Texte zur Theorie der
Autorschaft. Herausgegeben und kommentiert von Fotis Jannidis
[u.a]. Stuttgart 2000, S. 185-193
Barthes, Roland: La mort de l'auteur. In: Roland Barthes: CEuvres
completes, Tome II: 1966-1973. Edition établie et présentée par
Eric Marty. [Paris] 1994, S. 491-495.
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Lora, vauyues, GraniiauiUyle. UUEISELLL vr! Malis-vUIy
Rheinberger und Hanns Zischler. Frankfurt am Main 1983 (stw.
417)
Derrida, Jacques: Die différance. In: Jacques Derrida: Randgaénge
der Philosophie. Hrsg. von Peter Engelmann. Wien 1988, S. 29-52.
Reich-Ranicki, Marcel: Das Beste, was wir sein kénnen. Walser,
Bubis, Dohnanyi und der Antisemitismus. In: FAZ vom 2.12.1998.
Zitiert aus: Frank Schirrmacher (Hg.): Die Walser-Bubis-Debatte.
Eine Dokumentation. Frankfurl/M. 1999.
Schiller, Friedrich: Werke und Briefe in zwélf Banden.
Herausgegeben von Otto Dann [u.a.]. Bd. 1: Gedichte.
Herausgegeben von Georg Kurscheidt. Frankfurt/M. 1992
(Bibliothek deutscher Klassiker; 74), S. 433,
= weiterfiihrende Literatur
(ebenso umfassend wie gut verstandlich):
Culler, Jonathan : Dekonstruktion. Derrida und die
poststrukturalistische Literaturtheorie, Ubersetzt von Manfred
Momberger. Reinbek bei Hamburg 1999 (Rowohlts Enzyklopadie
Nr.55635)
weitere Titel:
Bossinade, Johanna: Poststrukturalistische Literaturtheorie
Stuttgart — Weimar 2000 (Sammlung Metzler; 324).
Jannidis, Fotis/Lauer, Gerhard/Martinez, Matias/Winko, Simone
(Hgg.): Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000
Neumann, Gerhard (Hg.): Poststrukturalismus — Herausforderung
an die Literaturwissenschaft. Stuttgart - Weimar 1997
(Germanistische-Symposien- Berichtsbande; 18)
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