You are on page 1of 27

Die DDR

1
2
3
4
20.1 Entstehung der DDR und ihr politisches System

i Informationen
Der Weg zur Deutschen Demokratischen Republik

Anfang Mai 1945 Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) fliegt eine Gruppe deut-
scher Kommunisten(„Gruppe Ulbricht“)aus dem Moskauer Exil
nach Berlin, damit sie die Besatzungsmacht beim Umbau der politischen
Strukturen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) unterstützt. Flagge der DDR
Ab Juni 1945 Auf dem Gebiet der SBZ bilden sich Parteien (KPD, SPD, CDU, LDPD).
Juli 1945 Die vier großen Parteien schließen sich auf Veranlassung der SMAD zum
„Block antifaschistisch-demokratischer Parteien“ zu-
sammen, der seine Beschlüsse einstimmig trifft.
22. April 1946 Unter dem Druck der sowjetischen Besatzungsmachtschließen sich KPD
und SPD zur „Sozialistischen Einheitspartei Deutsch-
lands“(SED) zusammen.
ab 1948 Die SED wandelt sich zu einer „Partei neuen Typs“ nach sowjeti-
schem Vorbild; zeitgleich beginnen – legitimiert mit der Bekämpfung
und Bestrafung der „Kriegs- und Naziverbrecher“ – in der SBZ die Bo-
denreform, die Enteignung von Banken und Sparkas-
sen und Verstaatlichung der Industrie.
seit Mitte 1948 Die Pläne zur Errichtung eines (ostdeutschen) Staates zur Sicherung der
Herrschaft der SED nehmen konkrete Gestalt an: Ein von der SED domi-
nierter Verfassungsausschuss entwirft eine Verfassung.
7. Oktober 1949 Mit der Verkündung einer Verfassung entsteht die Deutschen De-
mokratischen Republik (DDR). M1: Aufruf des Zentralkomitees
der Kommunistischen Partei an
das deutsche Volk zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands vom 11. Juni 1945:
Schaffendes Volk in Stadt und Land!
Männer und Frauen! Deutsche Jugend!
Wohin wir blicken, Ruinen, Schutt und Asche. Unsere Städte
sind zerstört, weite, ehemals fruchtbare Gebiete verwüstet
5 und verlassen. Die Wirtschaft ist desorganisiert und völlig
gelähmt. Millionen und Abermillionen Menschenopfer hat
der Krieg verschlungen, den das Hitlerregime verschuldete,
Millionen wurden in tiefste Not und größtes Elend gestoßen.
Eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes ist über
10 Deutschland hereingebrochen, und aus den Ruinen schaut
das Gespenst der Obdachlosigkeit, der Seuchen, der Arbeits-
losigkeit, des Hungers.
Und wer trägt daran die Schuld?
Die Schuld und Verantwortung tragen die gewissenlosen
15 Abenteurer und Verbrecher, die die Schuld am Kriege tragen.
Es sind die Hitler und Göring, Himmler und Goebbels, die
aktiven Anhänger und Helfer der Nazipartei. Es sind die
Träger des reaktionären Militarismus, die Keitel, Jodl und
Konsorten. Es sind die imperialistischen Auftraggeber der
20 Nazipartei, die Herren der Großbanken und Konzerne, die
Krupp und Röchling, Poensgen und Siemens. [...]
Das Hitlerregime hat sich als Verderben für Deutschland Faksimile des Aufrufs (Seite 1)

erwiesen; denn durch seine Politik der Aggression und der Gewalt, des Raubes und des Krieges, der
Völkervernichtung hat Hitler unser eigenes Volk ins Unglück gestürzt und es vor der gesamten gesit-
25 teten Menschheit mit schwerer Schuld und Verantwortung beladen.

5
Ein Verbrechen war die gewaltsame Annexion Österreichs, die Zerstückelung der Tschechoslowa-
kei. Ein Verbrechen war die Eroberung und Unterdrückung Polens, Dänemarks, Norwegens, Belgi-
ens, Hollands und Frankreichs, Jugoslawiens und Griechenlands. Ein Verbrechen, das sich so furcht-
bar an uns selbst rächte, war die Coventrierung1 und Ausradierung englischer Städte.
30 Das größte und verhängnisvollste Kriegsverbrechen Hitlers aber war der heimtückische, wortbrü-
chige Überfall auf die Sowjetunion, die nie einen Krieg mit Deutschland gewollt hat, aber seit 1917
dem deutschen Volke zahlreiche Beweise ehrlicher Freundschaft erbracht hat. [...]
Und ungeheuerlich sind die Gräueltaten, die von den Hitlerbanditen in fremden Ländern begangen
wurden. An den Händen der Hitlerdeutschen klebt das Blut von vielen, vielen Millionen gemordeter
35 Kinder, Frauen und Greise. In den Todeslagern wurde die Menschenvernichtung Tag für Tag fab-
rikmäßig in Gaskammern und Verbrennungsöfen betrieben. Bei lebendigem Leibe verbrannt, bei
lebendigem Leibe verscharrt, bei lebendigem Leibe in Stücke geteilt, – so haben die Nazibanditen
gehaust! Millionen Kriegsgefangene und nach Deutschland verschleppte ausländische Arbeiter wur-
den zu Tode geschunden, starben an Hunger, Kälte und Seuchen.
40 Die Welt ist erschüttert und zugleich von tiefstem Hass gegenüber Deutschland erfüllt angesichts
dieser beispiellosen Verbrechen, dieses grauenerregenden Massenmordens, das von Hitlerdeutschland
als System betrieben wurde.
Wäre gleiches mit gleichem vergolten worden, deutsches Volk, was wäre mit dir geschehen?
Aber auf der Seite der Vereinten Nationen, mit der Sowjetunion, England und den Vereinigten
45 Staaten an der Spitze, stand die Sache der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Fortschritts. Die Rote
Armee und die Armeen ihrer Verbündeten haben durch ihre Opfer die Sache der Menschheit vor der
Hitlerbarbarei gerettet. Sie haben die Hitlerarmee zerschlagen, den Hitlerstaat zertrümmert und damit
auch dir, schaffendes deutsches Volk, Frieden und Befreiung aus den Ketten der Hitlersklaverei ge-
bracht.
50 Um so mehr muss in jedem deutschen Menschen das Bewusstsein und die Scham brennen, dass
das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine
Folgen trägt.
Nicht nur Hitler ist schuld an den Verbrechen, die an der Menschheit begangen wurden! Ihr Teil
Schuld tragen auch die zehn Millionen Deutsche, die 1932 bei freien Wahlen für Hitler stimmten,
55 obwohl wir Kommunisten warnten: „Wer Hitler wählt, der wählt den Krieg!“
Ihr Teil Schuld tragen alle jene deutschen Männer und Frauen, die willenlos und widerstandslos zu-
sahen, wie Hitler die Macht an sich riss, wie er alle demokratischen Organisationen, vor allem die
Arbeiterorganisationen, zerschlug und die besten Deutschen einsperren, martern und Köpfen ließ.
Schuld tragen alle jene Deutschen, die in der Aufrüstung die „Größe Deutschlands“ sahen und im
60 wilden Militarismus, im Marschieren und Exerzieren das alleinseligmachende Heil der Nation erblick-
ten.
Unser Unglück war, dass Millionen und aber Millionen Deutsche der Nazidemagogie verfielen, dass
das Gift der tierischen Rassenlehre, des „Kampfes um Lebensraum“ den Organismus des Volkes
verseuchen konnte.
65 Unser Unglück war, dass breite Bevölkerungsschichten das elementare Gefühl für Anstand und
Gerechtigkeit verloren und Hitler folgten, als er ihnen einen gutgedeckten Mittags- und Abendbrot-
tisch auf Kosten anderer Völker durch Krieg und Raub versprach.
So wurde das deutsche Volk zum Werkzeug Hitlers und seiner imperialistischen Auftraggeber.

Deutsche Arbeiter und Arbeiterinnen! Deutsche Arbeiterjugend!


70 Schaffendes deutsches Volk!
Gegen den Willen eines geeinten und kampfbereiten Volkes hätte Hitler niemals die Macht ergrei-
fen, sie festigen und seinen verbrecherischen Krieg führen können. Wir deutschen Kommunisten
erklären, dass auch wir uns schuldig fühlen, indem wir es trotz der Blutopfer unserer besten Kämpfer
infolge einer Reihe unserer Fehler nicht vermocht haben, die antifaschistische Einheit der Arbeiter,
75 Bauern und Intelligenz entgegen allen Widersachern zu schmieden, im werktätigen Volk die Kräfte
für den Sturz Hitlers zu sammeln, in den erfolgreichen Kampf führen und jene Lage zu vermeiden, in
der das deutsche Volk geschichtlich versagte.

1Coventrierung: Coventry ist der Name der Stadt, die von den Deutschen mehrfach durch Flächenbombardement
zerstört wurde. Der Name wurde sprichwörtlich für die Zerstörung von Städten durch Luftangriffe.

6
Nach all dem Leid und Unglück, der Schmach und Schande, nach der dunkelsten Ära deutscher
Geschichte, heute, am Ende des „Dritten Reiches“, wird uns auch der sozialdemokratische Arbeiter
80 recht geben, dass sich die faschistische Pest in Deutschland nur ausbreiten konnte, weil 1918 die
Kriegsschuldigen und Kriegsverbrecher ungestraft blieben, weil nicht der Kampf um eine wirkliche
Demokratie geführt wurde, weil die Weimarer Republik der Reaktion freies Spiel gewährte, weil die
Antisowjethetze einiger demokratischer Führer Hitler den Weg ebnete und die Ablehnung der antifa-
schistischen Einheitsfront die Kraft des Volkes lähmte.
85 Daher fordern wir:
Keine Wiederholung der Fehler von 1918!
Schluss mit der Spaltung des schaffenden Volkes!
Keinerlei Nachsicht gegenüber dem Nazismus und der Reaktion.
Nie wieder Hetze und Feindschaft gegenüber der Sowjetunion; denn wo diese Hetze auftaucht, da
90 erhebt die imperialistische Reaktion ihr Haupt!
Die Kommunistische Partei Deutschlands war und ist die Partei des entschiedenen Kampfes gegen
Militarismus, Imperialismus und imperialistischen Krieg. Sie ist nie von diesem Wege abgewichen. Sie
hat die Fahne Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, Ernst Thälmanns und Jonny Schehrs stets
reingehalten. Mit Stolz blicken wir Kommunisten auf diesen Kampf zurück, in dem unsere besten
95 und treuesten Genossen fielen. Rechtzeitig und eindringlich haben wir gewarnt, der imperialistische
Weg, der Weg des Hitlerfaschismus führt Deutschland unvermeidlich in die Katastrophe. [...]

Jetzt gilt es, gründlich und für immer die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Ein ganz neuer
Weg muss beschritten werden!
Werde sich jeder Deutsche bewusst, dass der Weg, den unser Volk bisher ging, ein falscher Weg,
100 ein Irrweg war, der in Schuld und Schande, Krieg und Verderben führte! Nicht nur der Schutt der
zerstörten Städte, auch der reaktionäre Schutt aus der Vergangenheit muss gründlich hinweggeräumt
werden. Möge der Neubau Deutschlands auf solider Grundlage erfolgen, damit eine dritte Wiederho-
lung der imperialistischen Katastrophenpolitik unmöglich wird.
Mit der Vernichtung des Hitlerismus gilt es gleichzeitig, die Sache der Demokratisierung Deutsch-
105 lands, die Sache der bürgerlich-demokratischen Umbildung, die 1848 begonnen wurde, zu Ende zu
führen, die feudalen Überreste völlig zu beseitigen und den reaktionären altpreußischen Militarismus
mit allen seinen ökonomischen und politischen Ablegern zu vernichten.
Wir sind der Auffassung, dass der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre,
denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland.
110 Wir sind vielmehr der Auffassung, dass die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der
gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Auf-
richtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen
demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk.
[Es folgt eine Auflistung der dringendsten Aufgaben: die vollständige Zerschlagung der Organisationen des National-
115 sozialismus, Maßnahmen gegen das allgemeine Elend, Herstellung demokratischer Sturkturen, insbesondere der Selbst-
verwaltungsorgane auf lokaler Ebene, Enteignung der „Nazibonzen“ und der adligen „Junker“, Verstaatlichung der
Grundversorgung (Wasser, Gas, Elektrizität etc.), Wiedergutmachung für die angerichteten Schäden gegenüber anderen
Völkern.]
Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands ist der Auffassung, dass das vor-
120 stehende Aktionsprogramm als Grundlage zur Schaffung eines Blocks der antifaschistischen, demo-
kratischen Parteien (der Kommunistischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei, der Zentrumspar-
tei und anderer) dienen kann.
Wir sind der Auffassung, dass ein solcher Block die feste Grundlage im Kampf für die völlige Li-
quidierung der Überreste des Hitlerregimes und für die Aufrichtung eines demokratischen Regimes
125 bilden kann. [...]
Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands
Im Auftrage
Berlin, den 11. Juni 1945

7
i Informationen
Das politische System der DDR
Historische Erfahrungen und weltanschauliche Grundlagen. Die historische Erfahrung der Machtlosigkeit der Kommu-
nisten angesichts der Machtübernahme der Nationalsozialisten prägte die neue Führung in der DDR tief. Nie wieder sollte so etwas gesche-
hen, selbst dann nicht, wenn – wie 1933 – „reaktionäre Kräfte“ in einer Wahl die Mehrheit der Stimmen erhalten würden. Die Macht der
Arbeiterklasse und die sozialistische Demokratie mussten um jeden Preis verteidigt werden. Das war im Verständnis der DDR wichtiger als
formale demokratische Regeln. Nach der Theorie des Marxismus-Leninismus handeln diejenigen zum Wohl des Volkes – und damit demokra-
tisch –, die das Ziel des Sozialismus verfolgen. Bestenfalls über den richtigen Weg zu diesem Ziel könnte man sich streiten. Wer aber das Ziel
selbst infrage stellte, stand außerhalb der staatlichen Ordnung.

Die SED. Als „Partei der Werktätigen“ beanspruchte die Sozialistische Einheitspartei (SED) die Führung in Staat und Gesellschaft. Andere
Parteien oder Gruppierungen mussten sich unterordnen, verschiedene Meinungen wurden nicht mehr zugelassen. In den Jahren 1949/50
wurden alle bestehenden Parteien und die wichtigsten Massenorganisationen zu einem Block, zur „Nationalen Front“, zusammengeschlos-
sen. In dieser „Nationalen Front“ bestimmte nur die SED über alle wichtigen politischen Entscheidungen. Alle anderen Parteien und Organi-
sationen mussten sich diesen Entscheidungen unterordnen – im Volksmund hießen sie deshalb spöttisch „Blockflöten“.

Die Volkskammer. Bei den Wahlen zur Volkskammer trat die „Nationale Front“ mit einer Einheitsliste an. Die Anzahl der Sitze auf dieser
Liste wurde vorab zwischen den Parteien und Organisationen aufgeteilt. Da sich die SED immer die meisten Sitze sicherte, war ihr die absolu-
te Mehrheit in der Volkskammer sicher. Die Wähler konnten nur zwischen Zustimmung und Ablehnung dieser Liste entscheiden.

Politbüro und Zentralkomitee. Die Mitglieder des Zentralkomitees und des Politbüros konnten nur auf Vorschlag des Generalsekre-
tärs gewählt werden. Das Politbüro war – zusammen mit dem Sekretariat – die eigentliche Schaltstelle der Macht. Es war personell eng mit
den staatlichen Organen, dem Staatsrat und dem Ministerrat, verflochten.
[Zit. nach: https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0009_ant_de.pdf (abgerufen
[Aus: Zeiten und Menschen 3, hrsg. von H.-J. Lendzian, Paderbornam 20.02.2019).]
2009, S. 231.]

M2: Staatsaufbau der DDR:

8
M3: Stimmzettel zur Bundestagswahl in Wolfenbüttel, M4: Stimmzettel zur Gemeindewahl in Nossendorf, heute
Niedersachsen (BRD; 1945). Mecklenburg-Vorpommern (DDR; 1946).

M5: Stimmzettel zur Bundestagswahl in Wolfenbüttel, Niedersachsen (BRD; 1945).

9
M6: Geschichte der DDR im Überblick

M7: Flucht aus der DDR:

–––––––– Aufgaben––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
1. Arbeiten Sie aus dem KPD-Aufruf (M1) heraus,
a. wem die Schuld an Krieg und Niederlage gegeben wird,
b. wie die Rolle der deutschen Kommunisten bewertet wird,
c. welche Konsequenzen gezogen werden sollen.
2. Beschreibe mithilfe des Schaubildes M2 und der Informationen aus dem Infokasten den Staatsaufbau der DDR.
Erkläre, wie sich die SED die Macht im Staat sicherte.
3. Vergleiche M3 mit M4.
4. Interpretiere die Statistik M5.
5. Vervollständige den Zeitstrahl zur DDR-Geschichte M6. Notiere in M6 wesentliche Ereignisse.
6. Interpretiere M7.
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

10
2. Das Selbstverständnis der DDR

11
M1: Das Lied der Partei (1949).

Lieder, die den Staat, die Partei und/oder den Kommunismus besingen, waren fester Bestandteil offizieller Veranstaltungen, die z.B. zum „Tag
der Arbeit“ am 1. Mai wirkungsvoll inszeniert wurden. Eingängige Musik und Gemeinschaft stiftendes Singen wurden benutzt, um propagandis-
tische Inhalte im Sinne der kommunistischen Ideologie zu verbreiten. Eines der berühmtesten dieser Kampflieder ist das vorliegende „Lied der
Partei“, das bis in die 60er-Jahre in der DDR gesungen wurde.
Refrain:
1 Sie hat uns alles gegeben. 5 Sie hat uns niemals verlassen. Die Partei, die Partei, die hat immer
2 Sonne und Wind und sie geizte nie. 6 Fror auch die Welt, uns war warm. recht und Genossen es bleibet dabei
3 Wo sie war, war das Leben. 7 Uns schützt die Mutter der Massen. Denn wer kämpft für das Recht,
4 Was wir sind, sind wir durch sie. 8 Uns trägt der mächtige Arm. der hat immer Recht.
Gegen Lüge und Ausbeuterei.
9 Sie hat uns niemals geschmeichelt. 13 Zähltdenn noch Schmerz und
10 Sank uns im Kampfe auch mal der Mut. ………../Beschwerde (Frauenchor)
11 Hat sie uns leis nur gestreichelt 14 wenn uns das Gute gelingt? Wer das Leben beleidigt ist dumm oder
12 zärtlich und gleich war uns gut. 15 Wenn man den Ärmsten der Erde schlecht. / Wer die Menschheit vertei-
16 Freiheit und Frieden erzwingt? digt hat immer recht.
So aus Lenin´schem Geist wächst von
17 Sie hat uns alles gegeben. 21 Hetzen Hyänen zum Kriege Stalin geschweißt
18 Ziegel zum Bau und den großen Plan. 22 brichteuer Bau ihre Macht. die Partei, die Partei, die Partei.
19 Sie sprach: »Meistert das Leben. 23 Zimmert das Haus und Wiege.
20 Vorwärts Genossen, packt an!« 24 Bauleute seid auf der Wacht!

M2: „Auferstanden aus Ruinen“ Nationalhymne der DDR (1947/48)

1. Strophe: 2. Strophe:
Auferstanden aus Ruinen Glück und Friede sei beschieden
und der Zukunft zugewandt, Deutschland, unserm Vaterland.
laßt uns Dir zum Guten dienen, Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
Deutschland, einig Vaterland. reicht den Völkern eure Hand.
Alte Not gilt es zu zwingen, Wenn wir brüderlich uns einen,
und wir zwingen sie vereint, schlagen wir des Volkes Feind.
denn es muß uns doch gelingen, Laßt das Licht des Friedens scheinen,
daß die Sonne schön wie nie daß nie eine Mutter mehr
über Deutschland scheint, ihren Sohn beweint, ihren Sohn beweint.
über Deutschland scheint.

3. Strophe:
Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
lernt und schafft wie nie zuvor,
und der eignen Kraft vertrauend
steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben
unsres Volks in dir vereint,
wirst du Deutschlands neues Leben.
Und die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint,
über Deutschland scheint.

–––––––– Aufgaben––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
1. Erarbeite mithilfe der zwei Lieder M1 und M2 das Selbstverständnis der DDR.
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
12
3. Leben und Arbeiten in DDR und BRD

–––––––– Aufgaben––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
1. Erarbeiten Sie mithilfe der hier gegebenen Daten (M5–M9) die Lebenssituation der DDR-Bevölkerung.
2. Erläutern Sie, welchen Einfluss die BRD als Gegenbild durch „Westfernsehen“ und Reiseberichte auf die DDR-
Bevölkerung gehabt haben muss.
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
13
4. Der 17. Juni 1953 und Mauerbau 1961

M1: Forderungen der streikenden Arbeiter. Telegramm einer Streikleitung an die Regierung vom 17. Juni 1953):

Die Werktätigen des Kreises Bitterfeld fordern:


1. Sofortiger Rücktritt der Regierung, die durch Wahlmanöver an die Macht gekommen ist
2. Einsetzung einer provisorischen deutschen demokratischen Regierung.
3. Freie demokratische geheime und direkte
5 Wahlen in 4 Monaten.
4. Zurückziehung der deutschen Polizei von den
Zonengrenzen und sofortiger Durchgang für alle
Deutschen.
5. Sofortige Freilassung der politischen Häftlinge
10 [...].
6. Sofortige Normalisierung des Lebensstandards
ohne Lohnsenkung.
7. Zulassung aller großen demokratischen Partei-
en Westdeutschlands in unserer Zone.
15 8. Keine Repressionen gegen die Streikenden.
9. Sofortige Abschaffung der sogenannten
Volksarmee.
10. Zulassung der Delegationen aus der Ostzone,
die eine der westdeutschen Parteien gründen
20 wollen.

M2: Protestierende Arbeiter vor dem Brandenburger Tor am 17. Juni 1953:

M3: Der 17. Juni in einem DDR-Schulbuch für die 10. Klasse der Oberschule (1960):

Das Beispiel des friedliebenden sozialistischen Aufbaus strahlte immer mehr auf Westdeutschland aus
und die Anfangsschwierigkeiten sowie einige Mängel und Fehler beim Aufbau des Sozialismus wurden
überwunden. Die reaktionären Kräfte erkannten, dass die Einheit zwischen der Partei der Arbeiterklasse,
der Staatsmacht und den breiten Massen des Volkes sich immer enger gestaltete und dass damit ihre
5 Absichten zur „Aufrollung“ der Deutschen Demokratischen Republik immer aussichtsloser wurden. In
dieser Situation versuchten sie am 17. Juni 1953, einen faschistischen Putsch anzuzetteln, der die Arbei-
ter-und-Bauern-Macht stürzen sollte. Rowdys aus halbfaschistischen Organisationen, arbeitsscheue und
kriminelle Elemente wurden von den Westsektoren her in den demokratischen Teil Berlins einge-
schleust. Die Leitung lag in Händen des amerikanischen Geheimdienstes und Bonner Regierungsstellen.
10 Der Putsch wurde von unseren Staatsorganen gemeinsam mit den klassenbewussten Werktätigen nieder-
geschlagen. Die in der Deutschen Demokratischen Republik stationierten Streitkräfte der UdSSR ver-
hinderten, dass es zu einem militärischen überfall auf unseren Staat und damit zum Beginn eines neuen
Krieges in Europa kam. [... ] In geradezu erschreckendem Ausmaß zeigte sich in den letzten Jahren die
Durchdringung des gesamten Staatsapparates der Bundesrepublik [...] mit ehemaligen Nazis.

M4: Der frühere Botschafter der Bundesrepublik in der UdSSR Hans Kroll erinnert sich an ein Gespräch mit
Chruschtschow, dem damaligen Regierungschef der Sowjetunion, einige Tage nach dem Bau der Mauer 1961:
Ich sagte ihm, dass nicht nur die Berliner Bevölkerung, sondern das ganze deutsche Volk die Sperrmauer
durch seine alte Hauptstadt als Provokation empfinde [...]. Zu meiner Überraschung gab Chruschtschow
zu, dass er diese Gefühle des deutschen Volkes verstehe. Wörtlich fuhr er fort: „Ich weiß, die Mauer ist
eine hässliche Sache. Sie wird auch eines Tages wieder verschwinden. Allerdings erst dann, wenn die
5 Gründe fortgefallen sind, die zu ihrer Errichtung geführt haben. Was sollte ich denn tun? Mehr als 30

14
000 Menschen, und zwar mit die besten und tüchtigsten Menschen aus der DDR, verließen im Monat
Juli das Land. Man kann sich unschwer ausrechnen, wann die ost-deutsche Wirtschaft zusammengebro-
chen wäre, wenn wir nicht alsbald etwas gegen die Massenflucht unternommen hätten. Es gab aber nur
zwei Arten von Gegenmaßnahmen: die Lufttransportsperre oder die Mauer. Die erstgenannte hätte uns
5 in einen ernsten Konflikt mit den Vereinigten Staaten gebracht, der möglicherweise zum Krieg geführt
hätte. Das konnte und wollte ich nicht riskieren. Also blieb nur die Mauer übrig. Ich möchte Ihnen auch
nicht verhehlen, dass ich es gewesen bin, der letzten Endes den Befehl dazu gegeben hat. Ulbricht hat
mich zwar seit längerer Zeit und in den letzten Monaten immer heftiger gedrängt, aber ich möchte mich
nicht hinter seinem Rücken verstecken. Er ist viel zu schmal für mich.
10

M5: Flucht aus der DDR:

Volksaufstand von 17. Juni

Mauerbau

15
M6: Schießbefehl der DDR-Staatsführung (Erich Honecker, Sept. 1961):
„Gegen Verräter und Grenzverletzer ist die Schußwaffe anzuwenden. Es sind solche Maßnahmen zu
treffen, daß Verbrecher in der 100-m-Sperrzone gestellt werden können. Beobachtungs- und Schußfeld
ist in der Sperrzone zu schaffen.“
Anzahl der „Mauertoten“ (1961–1989): 238; trotzdem: teils spektakuläre Fluchtaktionen.
[M1: Hubertus Knabe: 17. Juni 1953. Ein deutscher Aufstand (2003) 215; M2: Dietmar von Reeken: Kurshefte Geschichte. Deutschland 1945. Geteilt und doch
verflochten? (2009) 80; M3: Hermann Langer, Der „Bonner Staat“ – ein „militärisches-klerikales Regime“, in: Praxis Geschichte 6/1996, S. 51.; M4:
Hans Kroll: Lebenserinnerungen eines Botschafters (1967) 512.

15
–––––––– Aufgaben––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
1. Erarbeiten Sie aus M1 die Forderungen der streikenden Arbeiter. Beziehen Sie dafür auch M2 mit ein.
2. Interpretieren Sie M2 bezüglich der Rezeption des Volksaufstandes in der DDR-Historiographie.
3. Erörtern Sie die Folgen der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung auf die Akzeptanz des kommunisti-
schen Regimes in der DDR.
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

16
5. Die Wirtschaft in der DDR

Subotnik in der DDR

17
Wirtschaftliche Entwicklung und mangelnde Akzeptanz einer Staatsform Teil: II

M1: Zeitplan nach dem XXII. Parteitags der KPDSU (1961):


Als Partei des wissenschaftlichen Kommunismus stellt und löst die KPDSU die Aufgaben des Kommu-
nismus in dem Maße, wie die materiellen und geistigen Voraussetzungen dafür entstehen und heran-
reifen, stets der Tatsache eingedenk, dass es ebenso wenig angeht, notwendige Entwicklungsstufen zu
überspringen wie beim Erreichten stehen zu bleiben und den Vormarsch aufzuhalten. Die Aufgaben des
5 kommunistischen Aufbaus werden kontinuierlich in mehreren Etappen gelöst werden. Im nächsten
Jahrzehnt (1961–1970) wird die Sowjetunion beim Aufbau der materiell-technischen Basis des Kommu-
nismus die USA – das mächtigste und reichste Land des Kapitalismus-in der Produktion pro Kopf der
Bevölkerung überflügeln; der Wohlstand, das Kulturniveau und das technische Entwicklungsniveau der
Werktätigen werden bedeutend steigen; allen wird ein gutes Auskommen gesichert; alle Kollektivwirt-
10 schaften und Staatsgüter werden sich in hochproduktive Betriebe mit hohen Einkünften verwandeln; der
Bedarf der Sowjetbürger an komfortablen Wohnungen wird im Wesentlichen gedeckt werden; die
schwere körperliche Arbeit wird verschwinden; die UdSSR wird zum Land mit dem kürzesten Arbeits-
tag. Im zweiten Jahrzehnt (1971–1980) wird die materiell-technische Basis des Kommunismus errichtet,
und für die gesamte Bevölkerung ein Überfluss an materiellen und kulturellen Gütern geschaffen; die
15 Gesellschaft wird unmittelbar darangehen, das Prinzip der Verteilung nach den Bedürfnissen zu verwirk-
lichen, es wird sich der allmähliche Übergang zum einheitlichen Volkseigentum vollziehen. Somit wird in
der UdSSR die kommunistische Gesellschaft im Wesentlichen aufgebaut sein. Vollendet wird der Aufbau
der kommunistischen Gesellschaft in der nachfolgenden Periode. Der majestätische Bau des Kommu-
nismus wird vom Sowjetvolk, von der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und der Intelligenz in beharrli-
20 cher Arbeit errichtet. Je erfolgreicher ihre Arbeit, desto näher rückt das große Ziel: die Errichtung der
kommunistischen Gesellschaft.
Einheit, 16. Jg. (1961), Sonderheft, S. 43 ; zit. nach : Alexander Fischer: Sowjetische Außenpolitik seit 1945 (1985) 69f.

Käuferschlange vor einer Fleischerei in Leipzig (1980):

18
Die Planwirtschaft in der Krise
Die Unzufriedenheit der DDR-Bürger mit der wirtschaftlichen und sozialen Situation war eine wesentli-
che Ursache für den Zusammenbruch des Systems 1989/90. Zwar verbesserte sich der Lebensstandard
in der DDR seit den 1950er-Jahren kontinuierlich, er blieb jedoch weit hinter dem der Westdeutschen
zurück. Die Planwirtschaft der DDR mit ihren staatlichen Subventionen für Waren des täglichen Bedarfs
blieb eine Mangelwirtschaft. Um die Unzufriedenheit der DDR-Bürger abzubauen, beschritt Erich
Honecker in den 1970er Jahren neue Wege. Die von ihm propagierte „Einheit von Wirtschafts-und So-
zialpolitik“ sollte die Versorgungslage und den Lebensstandard der Bevölkerung anheben. So stiegen der
allgemeine Wohlstand in der DDR, doch gleichzeitig auch die Staatsverschuldung. Diese wurde zusätz-
lich vergrößert durch die wirtschaftlichen Veränderungen seit der Ölkrise 1973/74. Die Sowjetunion
verlangte jetzt von der „Brudernation“ DDR für Erdöl- und Erdgaslieferungen den Weltmarktpreis in
Dollar. Die DDR musste aus diesem Grund den Westhandel einschränken, sodass auch die ohnehin
knappen Devisenvorräte für eine Modernisierung der DDR-Industrie zurückgingen.
Gegen Ende der 1980er-Jahre hatten die Wirtschaftsprobleme in der DDR Ausmaße erreicht, die oh-
ne grundlegende Strukturreformen nicht mehr zu bewältigen waren. Die Planwirtschaft erwies sich als
unfähig, die Bevölkerung flexibel mit den benötigten Gütern und Waren zu versorgen. Ohne den Le-
bensstandard der Bevölkerung drastisch abzusenken, hätte die DDR ihre hohen Schulden im Westen
nicht mehr bezahlen können. Hinzu kam, dass viele Wohnungen kaum oder nicht mehr bewohnbar wa-
ren und die Städte zunehmend verfielen. Außerdem nahmen aufgrund der wachsenden Umweltprobleme
die Sorgen vieler Menschen um ihre Gesundheit zu. Dieser Niedergang von Wirtschaft und Gesellschaft
beschleunigte das Ende der kommunistischen Diktatur in der DDR dramatisch.

Daten zur Wirtschaftsgeschichte der DDR


Sommer 1945 Bodenreform
1945/46 Schwerindustrielle Betriebe in sowj. Aktiengesellschaften; Verstaatlichungen
Okt. 1947 Dt. Wirtschaftskommission (DWK) : erste zentrale Planungsbehörde der SBZ
Juni 1948 Währungsreform
Okt. 1 949 Gründung der DDR Planwirtschaft, Recht auf Arbeit
1951 Erster Fünfjahresplan
1952–1960 Zwangskollektivierung der Landwirtschaft
Mai 1953 Normerhöhung um 10 %
1963 „Neues System der ökonomischen Planung und Leitung“
1968 „Ökonomisches System des Sozialismus“
1971 Ausbau der Sozialpolitik unter Honecker
1973/74 Weltweite Ölkrise
1980 Zwangsumtausch für westliche Reisende in die DDR erhöht
1982 Finanzkrise der DDR
1983/84 Milliardenkredite der BRD

19
Planwirtschaft in der DDR

M1: Konsumgüter in Privathaushalten der DDR 1960 bis 1987 im Vergleich zur BRD (in %):

Konsumgut DDR BRD


1960 1970 1980 1987 1987
Pkw 3 16 37 50 95
Fernseher 17 69 88 95 100
Farbfernseher – – 17 47 91
Kühlschränke 6 56 99 99 100
Gefrierschränke – 1 13 38 76
Waschmaschinen 6 54 80 97 98
Telefone – 10 12 16 97

M2: Käuferschlange vor einer Fleischerei in Leipzig (1980).

Begleittext zum Bild: Schlange stehen gehörte in der DDR zum Alltag. Durch Lieferschwierigkeiten oder Fehlkalkulationen der Staatli-
chen Planungskommission, die den Warenbestand der DDR plante und kontingentierte, kam es immer wieder zu Engpässen. Die für
den Bevölkerungsbedarf bestimmten Güter wurden in den Läden faktisch in frei verkäufliche Waren und in „Bückware“ unterteilt.
Diese Artikel wurden unter dem Ladentisch aufbewahrt und auf Nachfrage an ausgewählte Kunden verkauft. Gute Beziehungen, sei
es durch Verwandtschaft oder Bekannte bzw. durch die Möglichkeit, im Gegenzug selbst für die Zuteilung einer begehrten Ware
sorgen zu können (Naturalientausch), waren daher unerlässlich.

20
M3: Telefon – das unbekannte Wesen: In der DDR hatten bis zu deren Ende nur sechs Prozent aller Privathaushalte
einen Festnetz-Anschluss. Artikel von Peter Klinkenberg.
Im heutigen Zeitalter des Handy, des Smartphone oder des Tablet ist kaum noch vorstellbar, welche
kommunikative „Wüste“ die DDR bis zu ihrem Ende gewesen ist. Hatten im Jahre 1970 lediglich vier
Prozent aller Privathaushalte einen Festnetz-Telefonanschluss, so waren es selbst 20 Jahre später, also
am Ende des SED-Regimes, lediglich sechs Prozent gewesen. Zur gleichen Zeit hatten in der alten Bun-
5 desrepublik bereits 90 Prozent ein Telefon. Wie auf fast allen Feldern interessierten die Bedürfnisse der
Bevölkerung die alles beherrschende DDR-Staatspartei wenig oder gar nicht. […]
Technisch befand sich das Telefonnetz der DDR auf dem Niveau der zwanziger Jahre des vorigen
Jahrhunderts und es veraltete im Laufe der Jahrzehnte immer mehr. Neue Anschlüsse wurden jährlich
nur in äußerst geringer Zahl installiert. Und diese wurden vorrangig an hohe SED-Funktionäre und
10 wichtige Stützen des Regimes oder anderweitig Privilegierte wie etwa regimenahe Künstler vergeben
oder beispielsweise an die hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Insbesonde-
re Letzere sollten im Krisenfall ebenso wie die höheren Parteifunktionäre schnellstmöglich erreichbar
sein. Gleiches galt für wichtige Mitarbeiter der volkseigenen Betriebe, die rasch ihren Anschluss erhiel-
ten. […]
15 Wer daheim kein Telefon besass - wie fast alle - und ein Ferngespräch führen wollte, musste zum ört-
lichen Postamt gehen und sein Gespräch „anmelden“. Das konnte dort stundenlanges Warten zur Folge
haben. Ferngespräche in die Bundesrepublik führen zu wollen, war besonders strapaziös und oft mit
sechs oder acht Stunden Wartezeit in öden Postämtern verbunden. Gegen doppelte Gebühr erbaten die
Menschen daher oft sogenannte „Eilgespräche“. Zum zehnfachen Minutenpreis klappte es dann mit
20 „Blitzgesprächen“ manchmal binnen weniger Minuten. […]
[S]elbstverständlich wurde jahrzehntelang der gesamte innerdeutsche Telefonverkehr von Tausenden
Stasi-Mitarbeitern abgehört, mitgeschnitten und überwacht.
Als das SED-Regime durch die von Leipzig ausgehende friedliche Revolution im Herbst 1989 binnen
weniger Wochen hinweggefegt und die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990
25 endgültig Wirklichkeit geworden war, konnte sich die Deutsche Bundespost in den neuen Bundesländern
unverzüglich an die Arbeit machen, um die Millionen Anträge auf einen Telefonanschluss zu verwirkli-
chen. Mit der gigantischen Investition von rund 55 Milliarden D-Mark schaffte sie es bereits bis Ende
1995, etwa 90 Prozent aller dortigen Privathaushalte mit einem Festnetzanschluss zu versorgen.

M4: Aus einem Bericht der westdeutschen Zeitung „Frankfurter Rundschau“ über die DDR-Wirtschaft (18. 02. 1980):

„Haushalten und „Durchstehen“: Daran haben sich die Bürger [...] in 30 Jahren DDR durchaus ge-
wöhnt. Man weiß längst, dass die beste Qualitätsarbeit der Betriebe des Landes nie auf den heimischen
Markt kommt. Beliefert wird in der Regel in dieser Reihenfolge: Armee, NSW (nicht sozialistisches Wirt-
schaftsgebiet, also westliche Länder), Sowjetunion, SW (sozialistisches Wirtschaftsgebiet), DDR. Mit
anderen Worten Die DDR-Betriebe liefern ihre beste Qualitätsware [...] für den Westexport oder in die
Sowjetunion, sieht man einmal von der Armee ab.

M5: West-Kataloge voller Ost-Produkte, Artikel aus dem MDR (09.10.2018):

Klassenkampf hin oder her, um an Devisen zu kommen, ließ sich die DDR gerne als verlängerte Werk-
bank des Westens einspannen: Laut offiziellen Zahlen, die die DDR veröffentlichte, gingen 30 Prozent
ihres gesamten Außenhandels nach Westdeutschland. Berücksichtigt man Informationen westdeutscher
Firmen, so betrug der Export wohl sogar 50 Prozent. Während in der DDR immer mehr Beschwerden
5 über Mängel an den eigenen Erzeugnissen laut wurden, stimmte die Qualität bei den Produkten, die ins
Nachbarland verschickt wurden.
Insgesamt bezogen wohl 6 000 westdeutsche Firmen ihre Produkte aus dem Osten. Darunter Sala-
mander, Schiesser, Adidas und Bosch. Auch der Beiersdorfer Verkaufsschlager, die „Nivea Creme“,
wurde in der DDR hergestellt. Die Kooperation zwischen West und Ost sah indes nicht nur so aus, dass
10 Westunternehmer fertige Produkte aus dem Osten einfach abkauften. Der Deal der sogenannten „Ge-
stattungsproduktion“ ging darüber hinaus. Unternehmer aus dem Westen gaben ihre Wünsche in Auf-

21
trag, dann wurde produziert. Nur ein kleiner Teil der so entstandenen Waren musste in der DDR blei-
ben. Diese wurden dann vor allem in den teuren Delikat- und Exquisit-Läden verkauft.

M6: Geld und Tausch in der DDR-Wirtschaft: 1982 schrieb die Schriftstellerin Irene Böhme zwei Jahre nach ihrer Über-
siedelung in den Westen über die Auswirkungen der DDR-Mangelwirtschat auf das Konsumverhalten der Menschen:
In der DDR regiert Geld die Welt nicht. Man hat ausreichend, um durchschnittlich zu leben, Wohnung
und Grundnahrungsmittel zu bezahlen. Für Geld lässt sich wenig kaufen. Auf ein Auto wartet man zehn
bis zwölf Jahre, eine Nacht und einen Tag steht man vor dem Laden Schlange, um einen Farbfernseher
zu erwerben, Grund und Boden sind nicht käuflich, Häuser und Segel boote sind rar.
5 Da Geld nicht viel wert ist, muss „der Rubel rollen“. Man lebt für den Tag, die Stunde, isst und trinkt
viel. [... ] Geld wäre kein Problem, gäbe es nur die Mark der DDR. Jedoch kursiert die D-Mark [West].
Sie ist bei staatlichen Umtauschstellen in das staatliche Spielgeld „Forum-Scheck“ einzutauschen. Mit
Forum-Schecks zahlt der DDR-Bürger in Intershop-Läden und erhält Jeans, Kaffee, Schnaps, Süßigkei-
ten, Kosmetika, Autozubehör der westlichen Hersteller. Das Westgeld, im Volksmund „buntes Geld“
10 oder „Blaue Fliesen“ genannt, öffnet dem Besitzer viele Türen, beschafft rare Ersatzteile, lässt Hand-
werker pünktlich erscheinen. [... ]
Die Ware ist das wahre Zahlungsmittel des Landes. Wer etwas zu geben hat, hat Aussicht, etwas zu
kriegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg schossen Tauschzentralen aus dem Untergrund, die seriösen
Schwestern des „Schwarzen Marktes“. Man tauschte Wecker gegen Schuhe, Schuhe gegen Töpfe, Töpfe
15 gegen Wecker. Die DDR hat sich diesem Nachkriegszustand genähert. Mehr noch, sie macht den Wa-
rentausch zur hauptsächlichen wirtschaftlichen Verkehrsform. [... ] Ein Normalfall verläuft so: Ein Mann
braucht eine Etagenheizung, der Heizungsinstallateur braucht einen „Trabant“ [Auto] für seine Frau.
Der Mann hat eine Tiefkühltruhe zu bieten. Er sucht den Tauschpartner „Tiefkühltruhe gegen Auto“
(bei Wertausgleich), tauscht dann „Auto gegen Etagenheizung“ (bei Wertausgleich). [... ]
20 Die wirkliche Kunst ist, mit dem Warentausch zu spielen, Versorgungsketten aufzubauen, die neben
den offiziellen verlaufen und funktionieren. [... ] Gibt es im Autogeschäft Ersatzteile, stellen sich ganze
Familien an, um größere Mengen für späteren Tausch einzukaufen. [... ] Menschen, die etwas „besorgen“
können, sind angesehen.

M7: Aus einem Interview mit Rudi Rosenkranz, einem ehemaligen Kombinatsdirektor (1993):

Wir bekamen Auflagen, in denen vorgegeben war, was wir im Verlauf des Folgejahres zu produzieren
hatten, welches Material wir einsetzen durften, welche Investitionen möglich waren und viele derlei
Punkte noch dazu. Trotz aller Plandiskussionen hat sich an diesen Auflagen eigentlich nichts geändert,
man erwartete allerdings, dass im Ergebnis der Plandiskussion höhere Zielstellungen entstehen würden.
5 Dort, wo ich gearbeitet habe, war es immer so, dass schon die Vorgaben nicht erreichbar waren. Wir
haben uns eigentlich von der ersten Stunde an, wo wir uns mit dem Folgejahr beschäftigten, bis zur letz-
ten Stunde des Folgejahrs mit diesem Plan beschäftigt, den wir nie geschafft haben.
Aber das Allerschlimmste war, dass wir, ich würde mal sagen, den Plan ideologisiert haben. Mir wurde
bei einer solchen Planverteidigung einmal gesagt, „auf deinem Rechenschieber ist nicht die Kraft der
10 Arbeiterklasse!“ Mit dieser Ideologisierung hat man den Plan, der ja eigentlich sein muss, ganz herunter-
gewirtschaftet. Und je kritischer die Lage wurde, desto unmöglicher wurden die Planmethoden. [... ] Al-
so, für einen Industrieminister, für einen Generaldirektor, für einen Betriebsdirektor war der Plan, ich
muss das mal sagen, Lohn der Angst. Wir alle wurden daran gemessen, das Öffentlichkeitsbild in einem
Dorf, in einer Stadt, im ganzen Land wurde dadurch bestimmt, dass man sagte, wie ist seine Planerfül-
15 lung. Und das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass man den Plan nicht erfüllte. Die Information
ging dann herum wie ein Lauffeuer: Von den Maidemonstrationen bis zu allen möglichen öffentlichen
Konferenzen hieß es eben, das Unternehmen erfüllt den Plan nicht. Dann fühlten sich auch alle gesell-
schaftlichen Organisationen ringsherum dazu bemüßigt, auf den Plan-Nichterfüller einzugehen. Man
lebte tatsächlich in Angst vor jedem Rapport; den gab es ja nicht nur im Ministerium, sondern den gab es
20 auch in Gremien der Partei, den gab es im Bezirk, auf staatlicher Ebene, auf Parteiebene. Man wanderte
also von Plankontrolle zu Plankontrolle, um zu begründen, warum der Plan nicht erfüllt wurde.

22
Es ging so weit, dass Männer, die das nicht durchgestanden haben, versucht waren, Pläne abzurech-
nen, die so gar nicht gekommen waren, also Zahlen zu manipulieren, und damit hat sich diese Wirtschaft
natürlich selbst ins Abseits gebracht. Pläne wurden erfüllt, indem man irgendwelche Maschinen von ei-
25 nem Unternehmen zum anderen geschoben und drei-, viermal abgerechnet hat. Das vernebelte das Bild
über die wahre Situation der Wirtschaft im Lande, und nichts anderes ist geschehen.

[M1 & M2: Wolfgang Jäger: Kurshefte Geschichte. Weltwirtschaftskrise. Die USA und Deutschland im Vergleich (2011) 92.; Begleittext M2: Kurshefte Geschichte:
Weltwirtschaftskrise. Die USA und Deutschland im Vergleich. Handreichungen für den Unterricht, erarbeitet von Bernhard Lutz (2001) 55; M3: www.zeitzeugen-
buero.de/fileadmin/zzp/pdf/DDR-Telefon.pdf; M5: www.mdr.de/zeitreise/quelle-und-ddr-produkte-100.html; M6: Christoph Kletmann / Georg
Wagner (Hg.): Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945–1990. Texte und Dokumente zur Sozialgeschichte (1993) 380–382; M7: Wolfgang Kenntemich et
al.: Das war die DDR. Eine Geschichte des anderen Deutschland (1993) 72f.].

–––––––– Aufgaben––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
1. Erarbeiten Sie Grundzüge der DDR-Wirtschaft anhand von M1–M6.
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

23
6. Ausbau der Sozialpolitik unter Honecker ab 1971

M1: Der Historiker Günther Heydemann über die Wirtschafts-und Sozialpolitik von Erich Honecker (2003)

Tatsächlich bestand in der Steigerung sozial- politischer Leistungen durchaus eine gewisse Chance, sich
die Loyalität oder zumindest Neutralität der Bevölkerungsmehrheit zu sichern. Auf dieser Basis be-
schloss der VIII. Parteitag im Juni 1971 ein ganzes Bündel derartiger Maßnahmen („Einheit von Wirt-
schafts-und Sozialpolitik“). Es sah als Kernstück die Verbesserung der Wohnbedingungen durch ein
5 umfassendes Bauprogramm vor. Weiterhin gehörten dazu: die Erhöhung der Mindestlöhne und Min-
destrenten, die Arbeitszeitverkürzung für Frauen, insbesondre mit Kindern, einschließlich verlängertem
Mutterschaftsurlaub und Geburtenbeihilfe, um Berufstätigkeit und Mutterschaft besser vereinbaren zu
können; großzügige, zum Teil zinslose Kredite sowie bevorzugte Wohnungszuteilung bei Eheschließun-
gen, eine Verbesserung der medizinischen Versorgung und Betreuung und schließlich Ausbau und Aus-
10 weitung des Erholungswesens.
Das eigentliche Problem dieses sozialpolitischen Leistungskonzeptes lag jedoch in seiner Finanzier-
barkeit. Denn das Ansinnen, durch Intensivierung des Arbeitseinsatzes und des Produktionsprozesses,
„sozialistische Rationalisierung“ genannt, den erhöhten Finanzbedarf abzudecken, war mit einem enor-
men Risiko behaftet. Bereits im Herbst 1971, nur ein halbes Jahr nach Honeckers Machtübernahme,
15 hatte die staatliche Plankommission (SPK) zu konstatieren, dass der Export von DDR-Waren in westli-
che, Devisen bringende Länder wahrscheinlich um 390 Millionen Mark verfehlt werden würde, Importe
in die DDR aber um 100 Millionen [westdeutsche D-Mark] über dem Plan lägen. Zunächst jedoch wurde
das Defizit durch Kredite aus dem nicht sozialistischen Wirtschaftsbereich (NSW) gedeckt.
Günther Heydemann: Die Innenpolitik der DDR (2003) 29.

M2: Gerhard Schürer, 1965 bis 1989 Vorsitzender der Staatlichen Plankommission beim Ministerrat der DDR, erin-
nerte sich nach der Wiedervereinigung an seine Befürchtungen im Jahr 1972, als die SED die „Einheit von Wirtschafts-
und Sozialpolitik“ ankündigte:
Noch wollte ich es nicht glauben, dass Erich Honecker ökonomisch so ungebildet war, um nicht zu ver-
stehen, dass man mit vier Prozent Wachstum der Leistungen auf die Dauer nicht fünf bis sieben Prozent
Zuwachs im Lebensstandard bilanzieren kann. […]. Ich sah die Gefahr, dass dieses Programm nur
durch wachsende Kreditaufnahmen im westlichen Ausland oder, was noch schlimmer war, durch die
5 Vernachlässigung der Investitionen zur Modernisierung der Wirtschaft oder durch beides zu finanzieren
war. In der [... ] Diskussion im Politbüro wurde ich jedoch so scharf und einmütig zurückgewiesen, dass
mich selbst Zweifel plagten, ob mein Auftreten richtig war. [... ]
Unsere Berechnungen zum Sozialpolitischen Programm der Partei hatten sich leider als richtig erwie-
sen. Es war schlimm, dass ich mit meinem Einspruch im Politbüro aus dem Jahre 1972 Recht behielt
10 und dass eben manches nicht realisierbar war, auch wenn die Partei es wollte. Fakten sind hartnäckig.
Trotz gutem Wirtschaftswachstum von jährlich stabil vier Prozent reichten die Mittel aus eigener Leis-
tung nicht zur Finanzierung aus. Der ungenügende Effektivitätsgrad der Wirtschaft verdaute nicht die
Maßstäbe des Programms. [... ] Meine Interventionen bei Honecker zur Zahlungsbilanz bei jeder Vorlage
der Jahrespläne „beantwortete“ er stets mit einer Sitzung „im kleinen Kreis“, an der in unterschiedlicher
15 Zusammensetzung (und die wurde von Honecker festgelegt) im Wesentlichen die für Wirtschaftsfragen
im Politbüro verantwortlichen Mitglieder und wenige Experten teilnahmen. Diese Beratungen […] führ-
ten zu keinen grundsätzlichen Beschlüssen, sondern nur zu kosmetischen Veränderungen, dort etwas
mehr zu exportieren und dort etwas weniger Wichtiges zu streichen.
Jörg Roesler: Ostdeutsche Wirtschaft im Umbruch 1970–2000 (2003) 16, 28.

24
M3: Der Historiker Hans-Ulrich Wehler über Krise und Niedergang der DDR (2008):

Wegen der Wirtschaftskrise in den frühen 1970er-Jahren [...] kletterten auch die Schulden im Tempo
einer galoppierenden Schwindsucht weiter in die Höhe, bis sie 1989 einen Umfang von 49 Milliarden
Mark erreichten. Zwei von dem C5U-Chef Strauß 1983/84 vermittelten Kredite von je einer Milliarde
Mark retteten die Kreditwürdigkeit der DDR, wirkten aber nur wie der Tropfen auf den heißen Stein.
5 Im Inneren des Landes hatte die SED, die sich seit jeher mit der Verfechtung der wahren Volksinte-
ressen gebrüstet hatte, in einem beispiellosen Maße von der Substanz gezehrt. Der Kern der Städte war
bis zum Ende der 1980er-Jahre verfallen, da die eingefrorenen Mieten den privaten Hausbesitzern keine
angemessene Reparatur ermöglichten, während die staatlich beschlagnahmten Gebäude genauso wenig
modernisiert wurden. Mehr als die Hälfte aller Straßen litt an schweren Schäden, 18 % dieses Verkehrs-
10 netzes waren nach Expertenmeinung kaum mehr befahrbar. Im Hinblick auf Telefonanschlüsse rangierte
die DDR auf der Welt an 65. Stelle; 62 % der Fernsprechanlagen waren erheblich älter als 30 Jahre.
Diese Mängel der Infrastruktur verblassten aber vor den Dimensionen der immer schmerzhafter
spürbaren Umweltkatastrophe. Die SED hatte durch ihre ungeschützte Industrialisierung und rücksichts-
lose Braunkohleverwendung, mit ihrer Vergiftung der Luft und der Gewässer den Ruin ganzer Landstri-
15 che, Dörfer und Städte herbeigeführt, vor allem aber die Gesundheit und das Alltagsleben von Millionen
Menschen schwersten Belastungen ausgesetzt. Zahllose Krankheiten wurden durch die ökologischen
Probleme verursacht, und während die durchschnittliche Lebenserwartung westlich der Elbe sprungartig
anwuchs, stagnierte sie in der DDR. Diesen menschenfeindlichen Folgen ihrer eigenen Politik wollte sich
die Parteidiktatur aber nicht stellen, da die Alternative einer aktiven Umweltpolitik eine Kürzung der
20 Finanzierung der inzwischen umfänglichen sozialpolitischen Leistungen bedeutet hätte, die für die Legi-
timierung des Regimes und seine verbissene Machtbehauptung als unabdingbar galten. Dieser Parteiego-
ismus lief im Kern auf eine unaufhaltsame Selbstzerstörung des Landes hinaus.
Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5 (2008) 359f.

–––––––– Aufgaben––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
1. Beschreiben Sie anhand von M1 und M2, welche Veränderungen in der DDR-Wirtschaft ab 1971 vorgenommen
wurden.
Erörtern Sie dabei auch Gründe für diesen Kurswechsel und dessen Folgen.
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

25
26
27

You might also like