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Spatium 1
Spatium 1
INTERNATIONAL
SPACE
SCIENCE
INSTITUTE
Entstehung
des Universums
Faszination des Ursprungs:
Die drei ersten Minuten vor
rund 14 Milliarden Jahren
waren bestimmend für unser
Universum. Experimente der
Weltraumwissenschaft er-
möglichen uns Einblicke in
die Tiefen von Raum und
Zeit.
Editorial
Hansjörg Schlaepfer
Bern,im März 1998
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Die ersten Minuten und das weitere
Schicksal des Universums
Johannes Geiss, International Space Science Institute, Bern
Vortrag für den Verein Pro ISSI am 30.10.1997
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Stern
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stimmt man die Distanzen zu den verschiedenen Formen vor, am be- Aber auch jenseits der Dimensionen
entferntesten Objekten im Kosmos? kanntesten sind die «Spiralnebel» von Galaxienhaufen beobachten
Die Antwort ist im Prinzip einfach: (Abbildung 3). Doch auch die wir noch Inhomogenitäten in der
Die Helligkeit einer jeden Licht- Galaxien sind nicht gleichmässig, Materieverteilung. Diese werden
quelle nimmt mit dem Quadrat d.h. rein statistisch im Raume ver- mit exotischen Namen wie «Great
ihrer Entfernung ab.Wenn die abso- teilt. Sie kommen vielmehr in Attractor» belegt.Trotzdem herrscht
lute Helligkeit einer Quelle bekannt Haufen (Clusters of Galaxies) vor, bis heute die Ansicht vor, dass mit
ist, kann man daher deren Ent- von denen die grössten mehr als zunehmender Grösse des betrachte-
fernung bestimmen. Diese «Metho- tausend Galaxien enthalten. Der uns ten Volumens die Verteilung der
de der Standardkerzen» funktioniert nächstgelegene Haufen ist der Materie im Verhältnis immer homo-
sowohl auf der Erde als auch im Virgo-Haufen (Abbildung 4), an des- gener wird.
Kosmos. Die Astronomen haben sen Rand sich die Galaxis, die unser
verschiedene solcher Standardker- Sonnensystem beherbergt, befindet.
zen gefunden. Besonders wichtig
sind die Cepheiden, das sind Sterne
variabler Leuchtkraft. Aus der Fre-
quenz ihrer Lichtschwankungen
kann ihre absolute Helligkeit abge-
lesen werden. Für grössere Distan-
zen sind Supernova-Explosionen
eines bestimmten Typs verwendbar,
und für die grössten Entfernungen
nimmt man das Licht ganzer Gala-
xien oder deren Durchmesser. Auf
diese Weise wird die kosmische
Distanzleiter Stufe um Stufe aufge-
baut. Das Ganze klingt heute sehr Abbildung 3: Die Galaxie M66
Das Licht der Galaxien ist das Licht ihrer Sterne. Wie andere Galaxien
einfach. Es handelt sich aber um besteht M66 aus schätzungsweise 100 Milliarden Sternen.
eine hochentwickelte Methodik,
die nach vielen Jahren der Grund-
lagenforschung zu einer Ausmes-
sung des Kosmos bis zu Distanzen
von Milliarden von Lichtjahren ge-
führt hat (1).
Sterne,Galaxien und
Galaxienhaufen
(1) Das Heft Nr. 78 (Februar 1997) von Uninova, dem Wissenschaftsmagazin der Universität Basel, ist der Astronomie gewid-
met. Der Artikel von Gustav Andreas Tammann in diesem Heft beschreibt die Methoden und Ergebnisse der kosmischen
Distanzmessungen. Prof.Tammann hat zur Bestimmung der Dimensionen und des Alters des Universums bahnbrechende
Beiträge geleistet.
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sen geringere Rotverschiebungen
Dichten auf als die kleineren, das heisst, die
ersteren liegen uns näher. Der ent-
5m
fernteste Galaxienhaufen ist in Ab-
bildung 8 gezeigt. Seine Distanz
5 m3 Universum wurde zu 12 Milliarden Jahre be-
1m 1 Atom
stimmt. Das Universum kann aber
noch grösser sein, und wir können
5 m3
Galaxie zur Zeit nicht ausschliessen, dass es
1 000 000 Atome (Nachbarsschaft
der Sonne)
unendlich gross ist.Wir wollen diese
Frage nicht weiter verfolgen, weil
wir dann näher auf die Allgemeine
5 m3 Luft am
130 000 000 000 000 000
Jungfraujoch Relativitätstheorie Einsteins einge-
000 000 000 Atome
hen müssten. Diese Theorie lässt
verschiedene Lösungen zu; man
Abbildung 5: Vergleich von Dichten muss die Frage nach der Homo-
Man sagt, die Luft auf dem 3475 m hohen Jungfraujoch sei schon recht dünn, genität und der Unendlichkeit des
ihre Dichte ist aber im Vergleich zur Dichte in einer Galaxie und erst recht
zur Dichte im Universum unglaublich gross. Dieser Vergleich veranschaulicht Universums durch Vergleich zwi-
die sprichwörtliche Leere des Universums. schen diesen Lösungen und den
Beobachtungen beantworten.
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Im Kasten «Vergleich der Dimensionen»
werden die Dimensionen des Kos-
mos, der Galaxis und des Sonnen-
systems verglichen. Die Hierarchie
der Grössen ist beeindruckend. Die
nächsten Sterne sind 3 Lichtjahre
von uns entfernt, im Vergleich zu
kosmischen Dimensionen ist das
sehr nah. Doch wie winzig klein
nimmt sich erst unser Sonnen-
system mit seinem Durchmesser
von 0.002 Lichtjahren aus! Und
dann die Distanz Erde – Mond, die
doch die grösste Entfernung ist, die
je zwischen Menschen und ihrem
Mutterplaneten lag. Die erste Reise
zum Mond war eine bahnbrechen-
de Leistung.Aber, wie der Vergleich
zeigt, ist es nicht einmal ein erster
Schritt zur Eroberung des Weltalls.
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Zeiten und Alter Materie im
Universum ca. 14 Milliarden Jahre
Universum (2)
«Dark Age of the Universe» um 13 Milliarden Jahre
Erste Galaxien ca. 12 Milliarden Jahre
Sonne & Erde 4,6 Milliarden Jahre
Kambrium 0,5 Milliarden Jahre
Letzte Eiszeit 0,00002 Milliarden Jahre Art und Verteilung der Materie
ermöglichen uns, die Vorgänge im
Frühstadium des Universums zu re-
Expansion des Universums im Lau- logie des Sonnensystems und der konstruieren (2). Sie geben uns
fe der Zeit, die durch die gegenseiti- Erde hat auch das Physikalische In- Aufschluss über den Bildungspro-
gen Anziehungskräfte bewirkt wird. stitut der Universität Bern seit zess und die Weiterentwicklung der
Bevor man derartige Rückwärts- Jahrzehnten mit Altersbestimmun- Galaxis, aber auch über den Ur-
berechnungen mit genügender Ge- gen an Meteoriten-, Mond- und sprung des Sonnensystems sowie
nauigkeit anstellen konnte, schätzte Erdproben beigetragen.Wir wissen über die Geschichte von Sonne,
man das Alter des Universums auf heute, dass die Sonne und alle Planeten und Monden.
etwa 2 1/2 Milliarden Jahre, während Planeten vor 4,6 Milliarden Jahren
man das Alter der Erde mit während einer relativ kurzen Zeit- Die uns im heutigen Universum be-
4 1/2 Milliarden Jahren schon recht spanne entstanden sind. Die Erde kannten Teilchen sind in (Abbil-
genau bestimmt hatte. Dieser offen- hat also ein respektables Alter, im- dung 10) zusammengestellt.Wir stel-
sichtliche Widerspruch ist seit etwa merhin sind es 30% des Alters des len damit drei grundsätzlich ver-
35 Jahren durch immer bessere Universums. Dagegen ist die Epo- schiedene Materietypen vor:
Messungen vom Tisch. che der klassischen Geologie, die 1 Die Atome bilden die «gewöhn-
mit dem Kambrium begann, doch liche» Materie.
Der Kasten «Zeiten und Alter» gibt schon relativ kurz. 2 Die Photonen oder Lichtteilchen
einen Überblick über kosmische
und erdgeschichtliche Zeiten.
Zwischen dem Big Bang und der
Entstehung der Galaxien lag wahr-
scheinlich ein Intervall von 1 bis 2
Milliarden Jahren. Man nennt diese
Epoche auch «Dark Age of the
Universe», etwa mit «Finsterem
Mittelalter» zu übersetzen. Dies hat
zwei Gründe: Erstens weiss man
wenig über diese Epoche, und zwei-
tens war dazumal das Universum
nach dem unglaublich hellen und
heissen Big Bang unter 0o Celsius
abgekühlt. Aber die ersten Sterne
hatten noch nicht begonnen zu
leuchten. Diese bildeten sich erst Abbildung 9: Kugelsternhaufen
Die Kugelsternhaufen sind in ihrer Gesamtheit innerhalb relativ kurzer
etwa 1–2 Milliarden Jahre später. Zeit entstanden. Dies gibt uns die Möglichkeit, aus einem Vergleich des
(Abbildung 9). Entwicklungsstadiums von Sternen verschiedener Grösse das Alter des
Haufens, welches dem Alter seiner Sterne entspricht, zu bestimmen. Für
die Sterne des gezeigten Haufens ergibt sich so ein Alter von 12 Milliar-
Zur Entschlüsselung der Chrono- den Jahren.
(2) Über dieses Thema fand im Mai 1997 am International Space Science Institute in Bern ein Workshop statt. Die
Ergebnisse erscheinen im April 1998 unter dem Titel «Primordial Nuclei and their Galactic Evolution» (eds. Nikos
SPAT IUM 1 8 Prantzos, Monica Tosi und Rudolf von Steiger) als Band 4 der Space Science Series of ISSI , Kluwer Academic Publishers.
Die Bausteine der Atome stabilen und radioaktiven Isotopen.
Sonne, Erde,Wasser und Luft sowie
Baustein Atomgewicht Ladung Ort im Atom
alle Lebewesen bestehen aus dieser
Proton 1,0073 positiv Atomkern «gewöhnlichen» Materie.
Neutron 1,0087 neutral Atomkern
Elektron 0,0005 negativ Elektronenhülle
Die Bausteine der «gewöhnlichen»
Materie sind die Protonen, Neu-
tronen und Elektronen, deren Ei-
genschaften in Kasten «Die Bausteine
sind zwar sehr zahlreich, aber ihre den der modernen Physik nachge- der Atome» zusammengestellt sind.
Gravitationskraft spielt im heuti- wiesen werden. Die Massen der ein- Sitz der Protonen und Neutronen
gen Universum nur eine geringe zelnen Neutrinos sind sehr klein, sind die Atomkerne, die Elektronen
Rolle, da sie masselos sind. wir wissen aber nicht, ob die Neu- bilden die Atomhülle. In Abbildung
3 Die Neutrinos gehören zu einem trinos vollständig masselos sind. 11 ist angegeben, wie die einzelnen
dritten Typus, den wir «exotische» Deshalb sind wir noch nicht sicher, Kerne entstanden sind. Im Big Bang
Materie nennen wollen. ob ihre Gravitationskräfte im heuti- werden nur die 6 leichtesten syn-
gen Universum eine wesentliche thetisiert, nämlich die zwei Isotope
Die «exotische» Materie zeichnet Rolle spielen.Wir werden später auf von Wasserstoff (1H und 2H), von
sich dadurch aus, dass sie mit der die «exotische» Materie zurück- Helium (3He und 4He) und von
gewöhnlichen Materie und mit kommen und zunächst näher auf Lithium (6Li und 7Li).Vollständig aus
dem Licht nur sehr schwach in die «gewöhnliche» Materie einge- dem Big Bang stammt allerdings nur
Wechselwirkung tritt. Deshalb wird hen. der schwere Wasserstoff (2H, auch
die «exotische» Materie von uns Deuterium genannt).
nicht direkt wahrgenommen. Sie Die «gewöhnliche» Materie umfasst Wie wir später zeigen werden, ist
kann nur mit den subtilsten Metho- alle chemischen Elemente mit ihren der Prozess der Elementsynthese im
Big Bang nach etwa drei Minuten
abgeschlossen. Lithium ist das
schwerste Element, das dabei ent-
5m
standen ist. Zu den extrem seltenen
Elementen Lithium, Beryllium
1m 1 Atom 5 m3
und Bor trägt die Zertrümmerung
schwerer Kerne durch die kosmi-
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Sekunden, als die Temperatur auf
eine Milliarde Grad abgesunken
war, begannen sich Neutronen und
Protonen miteinander zu verbin-
den, es entstanden zusammengesetz-
te Atomkerne (3). Dabei verbanden
sich je zwei Neutronen und Proto-
nen zu 4 He, dem sehr stabilen,
schweren Heliumisotop. Fast alle
Neutronen wurden so im Helium
fixiert, die Ausbeute an leichteren
und schwereren Kernen ist sehr
gering. Die Synthese im Big Bang
Abbildung 12: Die Bildung der Sterne Abbildung 13: Sterne als Quelle ergab also im wesentlichen schweres
Ein Stern entsteht durch Gravitationskollaps schwerer Elemente Helium ( 4 He) und, wegen des
eines Fragments einer interstellaren Dunkel- Bei den hohen Temperaturen und Dichten
wolke. In diesen Wolken ist die Dichte der im Innern der Sterne werden aus den leichte- Protonenüberschusses, auch leich-
Materie hoch und die Temperatur gering, so ren Elementen schwerere aufgebaut. Grössere ten Wasserstoff ( 1H).
dass die Gravitationskräfte den Gasdruck Sterne verlieren im fortgeschrittenen Alter
überwinden können. Es kommt örtlich zum einen Teil ihrer Materie, manchmal relativ
Kollaps, und es entstehen Sterne. Die oberen sanft, wie im Falle des hier abgebildeten
Bereiche der hier abgebildeten Dunkelwolke Ringnebels, oder, im Falle sehr grosser Ster-
«Adler Nebel» sind durch neugebildete Ster- ne, durch Super Novae Explosion. Gas und
ne beleuchtet. Beobachtungen, chemische Staub in der Galaxis werden so allmählich im- Gültigkeitsbereich unserer
Daten und Isotopenanalysen in unserem Son- mer reicher an schweren Elementen. physikalischen Gesetze:
nensystem lassen darauf schliessen, dass Sonne
und Planeten vor 4,6 Milliarden Jahren auf Test beim Universalalter von
ähnliche Weise entstanden sind. einer Sekunde
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Wie können wir nun die Menge an
schwerem Wasserstoff im Univer-
sum bestimmen? Das Wasser auf der
Erde gibt keine schlüssige Antwort
(Abbildung 14). Aus Isotopenmessun-
gen im Sonnenwind wurde schon
Anfang der 70er Jahre das Verhältnis
von schwerem zu leichtem Wasser-
stoff in der ursprünglichen Sonnen-
materie ermittelt (Abbildung 15). In-
zwischen ist das Deuterium auch im
interstellaren Gas, das uns heute
umgibt, gemessen worden. Berück-
sichtigt man die Zerstörung von Abbildung. 16: Die Temperaturstrahlung («Hintergrundstrahlung») im Universum
Deuterium in den Sternen unserer Das Bild zeigt die Temperaturstrahlung aus der gesamten Himmelskugel. Die kosmische
Temperatur, die im gesamten Universum herrscht, beträgt heute 2.73 K (2.73 Grad über dem
Galaxis, so ergibt sich, dass es im absoluten Nullpunkt).Aufgezeichnet sind hier nicht die Temperaturen selbst, sondern deren win-
Universum direkt nach dem Big zige Anisotropien. Zwischen blau und rot besteht ein Temperaturunterschied von einem hundert-
tausendstel Grad. (COBE data, provided by the COBE Science Working Group, NSSDC , NASA
Bang 1 Deuteriumatom unter Goddard Space Flight Center).
30 000 Wasserstoffatomen gab.
Hieraus kann man nun, wie oben
erläutert, den Gehalt an «gewöhn- liche» sogar übertrifft. Zwischen der
licher» Materie im Universum «gewöhnlichen» Materie und den Wie können Galaxien
berechnen. Es ergibt sich 1 Atom in Teilchen der «exotischen» Materie entstehen?
5 m 3 (vgl. Abbildung 10). besteht nur eine sehr schwache
Wechselwirkung. Die «exotischen» Für die Zusammenballung der Ma-
Materieteilchen laufen durch unsere terie in Galaxien und Galaxienhau-
«Exotische» Materie im Körper, ja durch die gesamte Erde fen sind zweifellos Gravitations-
Universum ungehindert hindurch, man nennt kräfte verantwortlich. Berechnun-
sie daher weakly interacting par- gen zeigen jedoch, dass diese Zu-
Die Materiedichte im Universum ticles. Es ist schwer vorstellbar: im sammenballung gar nicht so einfach
lässt sich aber auch auf ganz andere Universum dominiert eine Form zu bewerkstelligen ist.Während der
Art bestimmen, nämlich aus den der Materie, von der wir direkt ersten hunderttausend Lebensjahre
Anziehungskräften zwischen den nichts merken. unseres Universums war die ge-
Galaxien untereinander oder zwi- wöhnliche Materie nämlich an das
schen den Galaxien und dem Licht. Die Neutrinos, die wir aus Labora- Photonengas gekoppelt, und dieses
Dabei ergeben sich aber 3 –5 mal toriumsexperimenten kennen, und bestimmte dannzumal den Verlauf
grössere Materiedichten! Wie kann deren Häufigkeit im heutigen Uni- der Expansion. Weil sie masselos
man sich diese Diskrepanz erklären? versum wir berechnen können (vgl. sind, zeigten die Photonen jedoch
Hierüber ist viel diskutiert worden, Abbildung 10) gehören in diese Klas- keinerlei Neigung zur Zusammen-
aber es scheint nur die eine Mög- se der «exotische» Materie. Falls ballung und verhinderten dadurch
lichkeit zu geben: neben der uns Neutrinos eine wenn auch nur auch das Zusammenballen der
vertrauten «gewöhnlichen» Materie geringe Masse besitzen, könnten sie «gewöhnlichen» Materie. Als sich
gibt es im Universum noch eine die beobachtete, zusätzliche Anzieh- dann, nach etwa hunderttausend
andere, «exotische» Art von Materie, ungswirkung erzeugen. Es könnten Jahren der Expansion, die Kopplung
die in ihrer Dichte und damit ihrer aber auch viel schwerere «exotische» an das Photonengas abschwächte,
Gravitationswirkung die «gewöhn- Teilchen existieren (4). war die «gewöhnliche» Materie
(4) Vgl. den Artikel «Bringing Dark Matter in from the Dark» von Prof. Klaus P. Pretzl, Leiter des Laboratoriums für
Hochenergiephysik an der Universität Bern, in der Zeitschrift «Europhysics News», Band 24, S.167–171 (1993).
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schon zu stark verdünnt, um noch flocken» und Gravitationszentren spricht einer Temperatur von 2.73
eine für die Bildung von Galaxien- bilden, die dann auch die Zusam- Kelvin (d.h. 2.73 Grad über dem
haufen ausreichende Gravitations- menballung der «gewöhnlichen» absoluten Nullpunkt). Obwohl die
wirkung zu entfalten. Materie begünstigen. Photonen – weil masselos – nicht
zur Zusammenballung neigen,
Die Existenz von «exotischer» Ma- beobachten wir doch ganz geringe
terie im Universum könnte die Die Restwärme im Anisotropien in der Temperatur des
Entstehung der Galaxien und der Universum Universums (Abbildung 16). Diese
Galaxienhaufen entscheidend be- spiegeln den Beginn der Zusam-
günstigt haben. Erstens scheint, wie Wir haben oben erwähnt, dass das menballungen der «gewöhnlichen»
oben gezeigt, ihre Dichte und damit Photonengas die Dynamik des Materie und der «exotischen» Ma-
ihre Gravitationswirkung stärker zu frühen Universums entscheidend terie wider. Mit den sich in der Ent-
sein als diejenige der «gewöhnli- beeinflusst hat. Durch die mit der wicklung befindlichen Satelliten,
chen» Materie. Zum anderen, und Expansion während 14 Milliarden MAP der NASA und Planck der
das ist noch wichtiger, ist die Kopp- Jahren einhergehende Abkühlung ESA , sowie mit Beobachtungen
lung der «exotischen» Materie an sind die Photonen heute für die vom Boden aus, sollen die Tempera-
das Photonengas gering. Deshalb Dynamik recht bedeutungslos. Ihre turanisotropien wesentlich genauer
kann sie schon relativ früh «aus- Zahl und mittlere Energie ent- ausgemessen werden. Wir hoffen,
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Zukunftsperspektiven nur Wissenschafter liebend gerne
wissen, was eigentlich mit der Son-
Verdoppelung des CO2 in der Luft in 60 Jahren
ne und der Erde langfristig passieren
Nächste Eiszeit in 20 000 Jahren wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass
Die Sonne wird zum Roten Riesen in 5 000 000 000 Jahren unser Zentralgestirn einstmals mit
Kollision oder «near miss» mit in 6 000 000 000 Jahren
dem Andromeda-Nebel einem Stern kollidiert und zerstört
Unser Universum fällt in sich zusammen wahrscheinlich nie wird, ist klein. Hingegen wird sich
die Sonne in etwa 5 Milliarden
Jahren, wenn ihr Wasserstoffvorrat
aufgebraucht ist, in einen Roten
dass die Resultate eindeutig Aus-
kunft geben werden über die Ent-
Wo stehen wir, Riesen verwandeln. Dabei dehnt sie
sich gewaltig aus und verbreitet eine
stehung der Galaxienhaufen. Insbe- was bringt die unglaublich starke Strahlung. Das
sondere darüber, ob «exotische» bedeutet das Ende allen Lebens auf
Materie dabei eine wesentliche Zukunft? der Erde. Als weitere direkte Aus-
Rolle gespielt hat, und welcher Art wirkung werden die Planeten und
diese «exotische» Materie ist, die deren Atmosphären ihre Eigen-
wahrscheinlich heute noch das Ein paar zukünftige Ereignisse sind schaften ändern, was das Aus für
Universum füllt. im Kasten «Zukunftsperspektiven» zu- unser Sonnensystem, so wie wir es
sammengestellt. heute kennen, bedeutet.
Abbildung 18: Infrarot-Aufnahme der Galaxis durch den Abbildung 19: Kollision zweier Galaxien
COBE -Satelliten. Sollten unsere Galaxis und der Andromeda-Nebel in sechs Milliarden
Das Bild könnte den Endruck erwecken, es sei von einem Ort ausserhalb Jahren kollidieren, könnte sich einem zukünftigen entfernten Betrachter
unserer Galaxis aufgenommen, was natürlich nicht zutrifft.Aufnahmen ein Bild dieser Art zeigen. Die Cartwheel Galaxy ist nämlich das
dieser Art sind nur deshalb möglich, weil wir uns im äusseren Teil der Produkt einer Kollision zweier Galaxien.
Galaxis befinden und die Intensität der Infrarotstrahlung gegen das
Zentrum hin stark zunimmt.
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Andromedanebel (Abbildung 17) und
unsere Galaxis (Abbildung 18) bewe-
Schluss- wächst allmählich aus dem Stadium
der zum Teil wilden Spekulationen
gen sich nämlich aufeinander zu. bemerkung und unbegründeten Behauptungen
Nach heutigen Beobachtungen hinaus. Es gibt heute Ansätze und
werden die beiden in sechs Milliar- Möglichkeiten der Beobachtung,
den Jahren entweder nahe aneinan- die es erlauben, mit naturwissen-
der vorbeifliegen oder gar mitein- Spezialisierung, aber auch schaftlichen Methoden nach direk-
ander kollidieren. Was dann genau Integration bei den ten oder indirekten Spuren ausserir-
passieren wird, ist offen und diese Naturwissenschaften dischen Lebens im Sonnensystem
Frage ist ja auch nicht sehr akut. und sogar in der Galaxis zu suchen.
Abbildung 19 zeigt aber die Aus- Es wird heute oft geklagt, die Na- Sollten diese Versuche konkrete
wirkungen einer Kollision zweier turwissenschaft begäbe sich immer Hinweise oder gar Ergebnisse zeiti-
Galaxien recht eindrücklich. mehr auf den Weg der Speziali- gen, so würden nicht nur die Bio-
sierung. Dies ist in mancher Bezie- logie, sondern auch viele Geistes-
Die grosse philosophische Frage, ob hung richtig, aber es sollte auch er- wissenschaften näher an die astro-
sich das Universum immer noch kannt werden, dass gegenläufig zur nomisch-physikalische Kosmologie
weiter ausdehnen wird oder in sich Spezialisierung fortwährend auch rücken. Ich persönlich glaube, wir
zurückfällt (der sogenannte Big ein den Naturwissenschaften inhä- sind noch recht weit davon entfernt,
Crunch) können wir noch nicht renter Integrationsprozess abläuft. konkrete Evidenz für ausserirdi-
schlüssig beantworten. Nach heuti- Der Grund liegt in der Allgemein- sches Leben zu finden, aber nie-
ger Einschätzung reichen aber die gültigkeit der Naturgesetze, die im- mand weiss, wie weit.
Anziehungskräfte der Materie nicht mer wieder zu Vereinheitlichungen
aus, um die Expansion des Univer- von Theorien und zu neuen Quer- Ich möchte diesen Artikel Sir Hermann
sums umzukehren. verbindungen zwischen scheinbar Bondi widmen. Dieser hat während
streng getrennten Wissensgebieten mehr als vierzig Jahren wichtige wissen-
führt. Eines der wichtigsten Beispie- schaftliche Arbeiten und tiefe Gedanken
le in neuerer Zeit ist die Molekular- zur Kosmologie und zur Kosmogonie
biologie, in der sich Quantenphysik, beigetragen. In seiner Zeit als Director
Chemie und Biologie treffen. General der Europäischen Weltraumfor-
schungsorganisation ESRO hat er
Astronomie und Astrophysik in das
Never say never! Wissenschaftsprogramm aufgenommen.
Schliesslich hat Sir Hermann bei der
Auch in die Kosmologie werden Gründung des International Space
immer mehr Teildisziplinen und Science Institute Pate gestanden, er hielt
Methoden der Astronomie und am Eröffnungsabend die Festrede.
Physik einbezogen. Mein Vortrag
vermittelt davon vielleicht einen Ich danke Frau Dr. Kathrin Altwegg für
Eindruck. Dies wird sich fortsetzen. ihren Rat und ihre Hilfe bei der Vorbe-
Und – wer weiss – vielleicht wird reitung meines Vortrags und Herrn Prof.
eines Tages ein ganz grosser Schritt Rudolf Treumann für die kritische
getan: Die Suche nach Anzeichen Durchsicht des Manuskripts. Herrn
oder Spuren ausserirdischen Lebens Peter Abgottspon danke ich für die
Redaktion und Herrn Dr. Hansjörg
Schlaepfer für die Herausgabe dieses
Artikels.
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SPATIUM
Zum Autor
Prof. Johannes Geiss wurde 1926 in Johannes Geiss ist Gründer des
Pommern geboren, promovierte Vereins Pro ISSI und heute ge-
1953 an der Universität Göttingen schäftsführender Direktor des Inter-
und habilitierte sich 1957 nach national Space Science Institutes
mehreren Forschungsaufenthalten ISSI in Bern. ISSI wird von der
in den USA an der Universität gleichnamigen durch Contraves
Bern. Nach einer Professur für Space in Zürich gegründeten Stif-
Ozeanwissenschaften an der Uni- tung getragen. Das Institut wird
versität von Miami wurde er 1960 hauptsächlich von der Europäischen
Professor, ab 1966 Direktor des Weltraumorganisation ESA , von der
Physikalischen Instituts und 1982 / Schweizerischen Eidgenossenschaft,
83 Rektor der Universität Bern. vom Kanton Bern sowie vom
Schweizer Nationalfonds finanziert.
In diese Zeit fallen auch weitere ISSI widmet sich der interdiszipli-
Forschungsaufenthalte in Frank- nären Erforschung des Sonnen-
reich und den USA . Die Öffent- systems und des Universums, indem
lichkeit verbindet den Namen von es Wissenschaftler aus aller Welt zu
Prof. Geiss mit dem Sonnenwind- Arbeitstagungen und Workshops
Segel, das die amerikanischen Astro- einlädt und ihnen Gelegenheit gibt,
nauten 1969 als erstes Experiment ihre Erkenntnisse und die neuesten
auf dem Mond in Betrieb genom- Ergebnisse der Forschung auszutau-
men haben. schen und zu bewerten. Grundlagen
dieser Forschungstätigkeiten sind
Seither war und ist Professor Geiss die Weltraummissionen der Raum-
massgeblich an wissenschaftlichen fahrtagenturen Europas, der USA ,
Projekten der NASA und der Euro- Russlands und Japans, aber auch
päischenWeltraumorganisation ESA Experimente im Labor und Simula-
beteiligt. tionen auf dem Computer.