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Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

HSK 35.2
Handbücher zur
Sprach- und Kommunikations-
wissenschat
Handbooks o Linguistics
and Communication Science

Manuels de linguistique et
des sciences de communication

Mitbegründet von Gerold Ungeheuer ()


Mitherausgegeben 19852001 von Hugo Steger

Herausgegeben von / Edited by / Edités par


Herbert Ernst Wiegand

Band 35.2

De Gruyter Mouton
Deutsch
als Fremd- und Zweitsprache
Ein internationales Handbuch

Herausgegeben von
Hans-Jürgen Krumm, Christian Fandrych,
Britta Hueisen, Claudia Riemer

2. Halbband

De Gruyter Mouton
ISBN 978-3-11-020508-4
e-ISBN 978-3-11-024025-2
ISSN 1861-5090

Library of Congress Cataloging-in-Publication Data

Deutsch als Fremd- und Zweitsprache: ein internationales Handbuch /


edited by Hans-Jürgen Krumm … [et al.].
p. cm. ⫺ (Handbooks of linguistics and communication science ;
35.1/35.2)
Includes bibliographical references and index.
ISBN 978-3-11-020507-7 (hardcover : alk. paper)
ISBN 978-3-11-020508-4 (hardcover : alk. paper)
1. German language ⫺ Study and teaching ⫺ Foreign speakers.
I. Krumm, Hans-Jürgen.
PF3066.D462 2010
438.214⫺dc22
2010038971

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

쑔 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York


Einbandgestaltung: Martin Zech, Bremen
Satz: META Systems GmbH, Wustermark
Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany
www.degruyter.com
Inhalt

2. Halbband

XI. Speziische Bedingungen und Zielsetzungen


des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
119. Der Faktor „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Zweitspra-
che-Unterrichts · Rupprecht S. Baur und Andrea Schäfer . . . . . . . . 1073
120. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache im vor-
schulischen und schulischen Bereich · Havva Engin . . . . . . . . . . . . 1085
121. Curriculumentwicklung und Lehrziele DaZ in der Erwachsenenbildung:
Integrationskurse · Susan Kaufmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1096
122. Sprachliche und kulturelle Vielfalt im Deutsch als Zweitsprache-Unter-
richt · Ingelore Oomen-Welke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1106
123. Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch · Monika Ritter . . . . . 1116
124. Textkompetenz und Lernen in der Zweitsprache · Sabine Schmölzer-
Eibinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1130
125. Interkulturelle Erziehung · Gabriele Pommerin-Götze . . . . . . . . . . . 1138
126. Berufsorientierter Deutschunterricht · Hermann Funk . . . . . . . . . . 1145

XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte


127. Motivierung · Claudia Riemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1152
128. Lernerautonomie · Claudio Nodari und Cornelia Steinmann . . . . . . 1157
129. Lernberatung · Karin Kleppin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1162
130. Aufgabenorientierung · Paul Portmann-Tselikas . . . . . . . . . . . . . . 1166
131. Projektorientierung · Michael Schart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1172
132. Sprachlernspiele · Brigita Kacjan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1177
133. Sozialformen · Karen Schramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1182
134. Tandem-Lernen · Lars Schmelter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1188
135. Distanz- und Präsenzlernen · Eva Platten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1192

XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien


136. Die Funktion von Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als
Zweitsprache-Unterricht · Dietmar Rösler . . . . . . . . . . . . . . . . . 1199
137. Lehrwerke im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unter-
richt · Hans-Jürgen Krumm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1215
138. Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Lernen in elektroni-
schen Umgebungen · Nicola Würffel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1227
139. Audiovisuelle Medien · Jörg Matthias Roche . . . . . . . . . . . . . . . . 1243
140. Materialien für das Wortschatzlehren und -lernen · Peter Kühn . . . . . 1252
141. Materialien für das Grammatiklehren und -lernen · Lutz Götze . . . . . 1258
VI Inhalt

XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle


142. Kompetenzmodelle und Bildungsstandards für Deutsch als Fremd- und
Deutsch als Zweitsprache · Thomas Studer . . . . . . . . . . . . . . . . . 1264
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen · Michaela Perlmann-Balme 1272
144. Sprachprüfungen für Deutsch als Fremdsprache · Manuela Glaboniat . 1288
145. Sprachprüfungen für Deutsch als Zweitsprache · Gabriele Kniffka . . . 1299
146. Sprachstandsdiagnosen · Ingrid Gogolin . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1305
147. Portfolios und informelle Leistungsdiagnosen · David Little . . . . . . . 1315

XV. Lehrerinnen und Lehrer


148. Die Rolle des Lehrers / der Lehrerin im Unterricht des Deutschen als
Zweit- und Fremdsprache · Arnd Witte und Theo Harden . . . . . . . . 1324
149. Ausbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache und Deutsch
als Zweitsprache · Hans-Jürgen Krumm und Claudia Riemer . . . . . . 1340
150. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache ·
Michael Legutke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1351
151. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache ·
Rupprecht S. Baur und Andrea Schäfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1357
152. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse · Hans-Jürgen Krumm 1363
153. Aktionsforschung / Handlungsforschung · Michael Schart . . . . . . . . 1370

XVI. Kulturwissenschatliche Aspekte des Deutschen als


Fremd- und Zweitsprache
154. Geschichte und Konzepte einer Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als
Fremdsprache · Claus Altmayer und Uwe Koreik . . . . . . . . . . . . . 1378
155. Fremdverstehen und kulturelles Lernen · Adelheid Hu . . . . . . . . . . 1391
156. Konzepte von Kultur im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweit-
sprache · Claus Altmayer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1402
157. Interkulturelle Germanistik · Bernd Müller-Jacquier . . . . . . . . . . . 1413
158. Fremdbilder und Fremdwahrnehmung · Hans-Joachim Althaus . . . . . 1423
159. Vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung · Gordian Wolf . . . . 1431

XVII. Landeskunde
160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte ·
Uwe Koreik und Jan Paul Pietzuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1441
161. Sprachbezogene Landeskunde · Rainer Bettermann . . . . . . . . . . . . 1454
162. Informationsbezogene Landeskunde · Wolfgang Hackl . . . . . . . . . . 1465
163. Interkulturelle Landeskunde · Ulrich Zeuner . . . . . . . . . . . . . . . . 1472
164. Landeskundliche Gegenstände: Geschichte · Uwe Koreik . . . . . . . . 1478
165. Landeskundliche Gegenstände: Politik und Gesellschaft · Matthias
Grünewald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1484
166. Landeskundliche Gegenstände: Alltagskultur, Multikulturalität und He-
terogenität · Ernest W. B. Hess-Lüttich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1492
Inhalt VII

167. DACH-Landeskunde · Roland Fischer, Bruno Frischherz und Knuth


Noke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1500
168. Landeskunde in der Germanistik im nichtdeutschsprachigen Europa ·
Karen Risager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1511
169. Landeskunde in der Germanistik außereuropäischer Länder · Rainer
Kussler und Noraseth Kaewwipat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1520

XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache
170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht:
Gegenstände und Ansätze · Swantje Ehlers . . . . . . . . . . . . . . . . . 1530
171. Literatur, Kultur, Leser und Fremde ⫺ Theoriebildung und Literatur-
vermittlung im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache · Renate
Riedner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1544
172. Literarischer Kanon und Fragen der Literaturvermittlung · Michael
Ewert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1555
173. Literatur im Landeskundeunterricht · Peter O. H. Groenewold . . . . . 1565
174. Migrationsliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unter- red means
richt · Heidi Rösch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1571 that it may be
175. Kinder- und Jugendliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache- worth reading
Unterricht · Ulrike Eder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1577 for the
176. Kreatives Schreiben und Schreibwerkstatt · Karl-Heinz Pogner . . . . . 1583 master but
177. Drama- und Theaterpädagogik im Deutsch als Fremd- und Zweitspra- not for the
che-Unterricht · Manfred Schewe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1589 anteproyecto
178. Kunst und Musik im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht ·
Camilla Badstübner-Kizik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1596

XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutsch-


sprachigen Ländern: Bestandsaunahme und Tendenzen
179. Deutsch in Ägypten · Aleya Khattab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1602
180. Deutsch in Argentinien · Roberto Bein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1607
181. Deutsch in Australien · Heinz L. Kretzenbacher . . . . . . . . . . . . . . 1611
182. Deutsch in Belarus · Natalia Furaschowa und Dmitri Kletschko . . . . 1615
183. Deutsch in Belgien · Roland Duhamel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1619
184. Deutsch in Brasilien · Paulo Soethe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1624
185. Deutsch in Bulgarien · Ana Dimova . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1628
186. Deutsch in Chile · Ginette Castro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1632
187. Deutsch in China · Marcus Hernig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1637
188. Deutsch in Dänemark · Martin Nielsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1642
189. Deutsch in Elfenbeinküste / Côte d’Ivoire · Bechie Paul N’Guessan . . 1646
190. Deutsch in Estland · Merle Jung und Mari Tarvas . . . . . . . . . . . . . 1650
191. Deutsch in Finnland · Kim Haataja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1654
192. Deutsch in Frankreich · Martine Dalmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1658
193. Deutsch in Georgien · Anna Bakuradse und Iwa Mindadse . . . . . . . 1664
194. Deutsch in Ghana · Sebastian K. Bemile . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1667
VIII Inhalt

195. Deutsch in Griechenland · Angeliki Kiliari . . . . . . . . . . . . . . . . . 1670


196. Deutsch in Großbritannien · Gertrud Reershemius . . . . . . . . . . . . 1674
197. Deutsch in Indien · Rekha Kamath Rajan . . . . . . . . . . . . . . . . . 1680
198. Deutsch in Indonesien · Setiawati Darmojuwono . . . . . . . . . . . . . 1686
199. Deutsch in Irland · Joachim Fischer und Manfred Schewe . . . . . . . . 1689
200. Deutsch in Italien · Marina Foschi Albert und Marianne Hepp . . . . . 1693
201. Deutsch in Japan · Masako Sugitani . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1698
202. Deutsch in Kamerun · Alexis Ngatcha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1702
203. Deutsch in Kanada · Barbara Schmenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1705
204. Deutsch in Kolumbien · Alfonso Mejı́a und Antje Rüger . . . . . . . . . 1709
205. Deutsch in Korea · Ok-Seon Kim und Young-Jin Choi . . . . . . . . . . 1713
206. Deutsch in Kroatien · Siegfried Gehrmann und Ana Petravić . . . . . . 1717
207. Deutsch in Kuba · Orquidea Pino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1721
208. Deutsch in Lettland · Ilze Kangro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1725
209. Deutsch in Litauen · Lina Pilypaitytė . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1728
210. Deutsch in Luxemburg · Peter Kühn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1732
211. Deutsch in Marokko · Rachid Jai-Mansouri . . . . . . . . . . . . . . . . 1736
212. Deutsch in Mexiko · Joachim Steffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1740
213. Deutsch in der Mongolei · Khalzkhuu Naranchimeg . . . . . . . . . . . 1744
214. Deutsch in den Niederlanden · Lisanne Klein Gunnewiek und Wolfgang
Herrlitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1747
215. Deutsch in Nigeria · Arnd Witte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1753
216. Deutsch in Norwegen · Beate Lindemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1757
217. Deutsch in Polen · Franciszek Grucza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1761
218. Deutsch in Portugal · António Ribeiro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1767
219. Deutsch in Rumänien · Speranta Stănescu . . . . . . . . . . . . . . . . . 1771
220. Deutsch in Russland · Natalia Troshina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1775
221. Deutsch in Schweden · Christine Fredriksson . . . . . . . . . . . . . . . . 1781
222. Deutsch in Senegal · M. Moustapha Diallo . . . . . . . . . . . . . . . . . 1785
223. Deutsch in Serbien · Dušan Glišović . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1789
224. Deutsch in der Slowakei · Beáta Hockicková . . . . . . . . . . . . . . . . 1793
225. Deutsch in Slowenien · Neva Šlibar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1797
226. Deutsch in Spanien · Lucrecia Keim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1801
227. Deutsch in Südafrika · Carlotta von Maltzan . . . . . . . . . . . . . . . . 1805
228. Deutsch in der Tschechischen Republik · Evá Berglová . . . . . . . . . . 1809
229. Deutsch in Tunesien · Helmut Dietrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1814
230. Deutsch in der Türkei · Nilüfer Tapan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1817
231. Deutsch in der Ukraine · Oksana Pavlychko . . . . . . . . . . . . . . . . 1823
232. Deutsch in Ungarn · Erzsébet Drahota-Szabó . . . . . . . . . . . . . . . 1827
233. Deutsch in den USA · Peter Ecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1833
234. Deutsch in Vietnam · Ingo Schöningh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1839

Indices
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1843
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1861
Inhalt IX

1. Halbband
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

I. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache als speziisches


Lehr- und Forschungsgebiet
1. Perspektiven und Schwerpunkte des Faches Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache · Christian Fandrych, Britta Hufeisen, Hans-Jürgen
Krumm und Claudia Riemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

II. Entwicklungslinien des Faches


2. Die Strukturdebatte als Teil der Fachgeschichte · Lutz Götze, Gerhard
Helbig (†), Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm . . . . . . . . . . . . 19
3. Die Situation von Deutsch außerhalb des deutschsprachigen Raumes ·
Christian Fandrych und Britta Hufeisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4. Entwicklungen von Deutsch als Fremdsprache in Deutschland nach
1945 · Hans-Jürgen Krumm, Bernd Skibitzki und Brigitte Sorger . . . . 44
5. Entwicklungen von Deutsch als Fremdsprache vor 1945 · Ulrike Eder 55
6. Entwicklungen von Deutsch als Zweitsprache in Deutschland · Hans H.
Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
7. Entwicklungen von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in Österreich ·
Klaus-Börge Boeckmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
8. Entwicklungen von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in der
Schweiz · Michael Langner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

III. Sprachenpolitik
9. Die Verbreitung des Deutschen in der Welt · Ulrich Ammon . . . . . . 89
10. Zuwanderung und Sprachenpolitik der deutschsprachigen Länder · Verena
Plutzar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
11. Die deutsche Sprache in der Sprachenpolitik europäischer Institutionen ·
Konrad Ehlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
12. Sprachenpolitische Konzepte und Institutionen zur Förderung der deut-
schen Sprache in nichtdeutschsprachigen Ländern · Brigitte Ortner und
Katharina von Ruckteschell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
13. Institutionen und Verbände für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
in Deutschland · Matthias Jung, Hans-Jürgen Krumm und Rainer E.
Wicke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
14. Institutionen und Verbände für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
in Österreich · Brigitte Sorger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
15. Institutionen und Verbände für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
in der Schweiz · Monika Clalüna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
16. Die internationale Institutionalisierung von Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache · Britta Hufeisen und Brigitte Sorger . . . . . . . . . . . . 166
X Inhalt

IV. Linguistische Gegenstände in ihrer Bedeutung ür das


Deutsche als Fremd- und Zweitsprache
17. Grundlagen der Linguistik im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitspra-
che · Christian Fandrych . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
18. Phonetik / Phonologie · Ursula Hirschfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
19. Orthographie · Dieter Nerius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
20. Morphologie: Flexion · Heide Wegener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
21. Syntax · Cathrine Fabricius-Hansen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
22. Morphologie: Wortbildung · Maria Thurmair . . . . . . . . . . . . . . . 227
23. Wortschatz · Erwin Tschirner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
24. Phraseologismen und Kollokationen · Brigitte Handwerker . . . . . . . 246
25. Linguistische Pragmatik · Gabriele Graefen und Ludger Hoffmann . . 255
26. Mündliche Diskurse · Kristin Bührig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
27. Textlinguistik · Maria Thurmair . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
28. Textsorten · Maria Thurmair . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
29. Grammatiken · Maria Thurmair . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
30. Wörterbücher / Lernerwörterbücher · Peter Kühn . . . . . . . . . . . . . 304
31. Korpuslinguistik · Anke Lüdeling und Maik Walter . . . . . . . . . . . . 315
32. Übersetzen und Sprachmitteln · Juliane House . . . . . . . . . . . . . . . 323
33. Interkulturelle Kommunikation aus linguistischer Perspektive · Susanne
Günthner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

V. Variation und Sprachkontakt


34. Variation in der deutschen Sprache · Helmut Spiekermann . . . . . . . 343
35. Deutsch in Österreich: Standard, regionale und dialektale Variation ·
Peter Wiesinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
36. Deutsch in der Schweiz: Standard, regionale und dialektale Variation ·
Peter Sieber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
37. Deutsch in Deutschland: Standard, regionale und dialektale Variation ·
Alfred Lameli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
38. Das Deutsche außerhalb des zusammenhängenden deutschen Sprach-
raums · Ludwig M. Eichinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
39. Entwicklungen und Veränderungen im heutigen Deutsch · Ludwig M.
Eichinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
40. Alltagsdeutsch · Stephan Elspaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
41. Das Verhältnis zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ·
Johannes Schwittalla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
42. Jugendsprache · Eva Neuland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
43. Sprachkontakt: Einflüsse anderer Sprachen auf das Deutsche · Albrecht
Plewnia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439
44. Sprachkontakt: Ethnische Varietäten · Inken Keim . . . . . . . . . . . . 447

VI. Fach- und Wissenschatssprachen


45. Fachsprache der Wirtschaft und des Tourismus · Ewald Reuter . . . . . 458
46. Deutsch im medizinischen Kontext · Sabine Ylönen . . . . . . . . . . . . 467
Inhalt XI

47. Fach- und Wissenschaftssprachen in den Naturwissenschaften · Hans-R.


Fluck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
48. Fach- und Wissenschaftssprachen in den Ingenieurswissenschaften ·
Antje Heine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487
49. Fach- und Wissenschaftssprachen in den Geistes- und Sozialwissen-
schaften · Heinz L. Kretzenbacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
50. Sprache der Massenmedien und der Werbung · Nina Janich . . . . . . . 502
51. Wissenschafts- und Studiensprache Deutsch · Christian Fandrych und
Gabriele Graefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509

VII. Kontrastivität und Sprachvergleich


52. Nutzen und Grenzen der kontrastiven Analyse für Deutsch als Fremd-
und Zweitsprache · Rita Brdar-Szabó . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
53. Kontrastive Analyse Arabisch⫺Deutsch · Renate Riedner und Nabil
Kassem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
54. Kontrastive Analyse Bulgarisch⫺Deutsch · Ana Dimova . . . . . . . . . 538
55. Kontrastive Analyse Dänisch⫺Deutsch · Peter Colliander . . . . . . . . 544
56. Kontrastive Analyse Englisch⫺Deutsch · Christopher Hall . . . . . . . 550
57. Kontrastive Analyse Estnisch⫺Deutsch · Anne Arold . . . . . . . . . . . 562
58. Kontrastive Analyse Finnisch⫺Deutsch · Irma Hyvärinen und Marja-
Leena Piitulainen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568
59. Kontrastive Analyse Französisch⫺Deutsch · Martine Dalmas . . . . . . 579
60. Kontrastive Analyse Italienisch⫺Deutsch · Marcella Costa . . . . . . . 586
61. Kontrastive Analyse Japanisch⫺Deutsch · Christiane Hohenstein und
Shinichi Kameyama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593
62. Kontrastive Analyse Koreanisch⫺Deutsch · Holger Steidele . . . . . . . 602
63. Kontrastive Analyse Lettisch⫺Deutsch · Dzintra Lele-Rozentale . . . . 609
64. Kontrastive Analyse Litauisch⫺Deutsch · Lina Pilypaitytė . . . . . . . . 614
65. Kontrastive Analyse Madegassisch⫺Deutsch · Henning Bergenholtz
und Suzy Rajaonarivo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
66. Kontrastive Analyse Mandarin⫺Deutsch · Jin Zhao . . . . . . . . . . . 627
67. Kontrastive Analyse Neugriechisch⫺Deutsch · Eleni Butulussi . . . . . 634
68. Kontrastive Analyse Niederländisch⫺Deutsch · Madeline Lutjeharms . 641
69. Kontrastive Analyse Norwegisch⫺Deutsch · Cathrine Fabricius-Han-
sen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647
70. Kontrastive Analyse Polnisch⫺Deutsch · Lesław Cirko und Danuta
Rytel-Schwarz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654
71. Kontrastive Analyse Portugiesisch⫺Deutsch · Göz Kaufmann . . . . . 660
72. Kontrastive Analyse Rumänisch⫺Deutsch · Speranţa Stănescu . . . . . 667
73. Kontrastive Analyse Russisch⫺Deutsch · Anka Bergmann und Grit
Mehlhorn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673
74. Kontrastive Analyse Schwedisch⫺Deutsch · Christine Fredriksson . . . 680
75. Kontrastive Analyse Serbisch/Kroatisch⫺Deutsch · Olivera Durbaba . 687
76. Kontrastive Analyse Slowakisch⫺Deutsch · Christa Lüdtke und Kata-
rina Savchuk-Augustinová . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693
77. Kontrastive Analyse Spanisch⫺Deutsch · Andreu Castell . . . . . . . . 699
XII Inhalt

78. Kontrastive Analyse Thai⫺Deutsch · Christian Körner und Wilita Sriu-


ranpong . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705
79. Kontrastive Analyse Tschechisch⫺Deutsch · Peter Kosta . . . . . . . . 711
80. Kontrastive Analyse Türkisch⫺Deutsch · Christoph Schröder und Yaz-
gül Şimşek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719
81. Kontrastive Analyse Ukrainisch⫺Deutsch · Kersten Krüger . . . . . . . 726
82. Kontrastive Analyse Ungarisch⫺Deutsch · Rita Brdar-Szabó . . . . . . 732

VIII. Spracherwerb und Sprachenlernen: Modelle und


theoretische Ansätze
83. Spracherwerb und Sprachenlernen · Britta Hufeisen und Claudia Rie-
mer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738
84. Zweitsprachenerwerb und Fremdsprachenlernen: Begriffe und Konzepte ·
Frank G. Königs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754
85. Empirische Forschungsmethoden in der Zweit- und Fremdsprachen-
erwerbsforschung · Claudia Riemer und Julia Settinieri . . . . . . . . . . 764
86. Erstsprachenerwerb · Ute Schönpflug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781
87. Behavioristische Ansätze · Haymo Mitchian . . . . . . . . . . . . . . . . 793
88. Nativistische Ansätze · Claudia Riemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799
89. Kognitivistische / Konstruktivistische / Konnektionistische Ansätze ·
Claudia Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807
90. Sozial-interaktionistische Ansätze · Karin Aguado . . . . . . . . . . . . . 817
91. Mehrsprachigkeitskonzepte · Nicole Marx und Britta Hufeisen . . . . . 826

IX. Sprachenlernen: speziische Variablen und Faktoren


92. Lernersprache(n) · Ernst Apeltauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 833
93. Lern(er)strategien und Lerntechniken · Peter Bimmel . . . . . . . . . . . 842
94. Lernstile und Lern(er)typen · Karin Aguado und Claudia Riemer . . . 850
95. Sprachbewusstheit und Sprachenlernbewusstheit · Claudia Schmidt . . 858
96. Alter · Rüdiger Grotjahn und Torsten Schlak . . . . . . . . . . . . . . . 867
97. Affektive Variablen / Motivation · Martina Rost-Roth . . . . . . . . . . . 876
98. Lernerexterne Faktoren · Heike Rohmann . . . . . . . . . . . . . . . . . 886
99. Subjektive (Lerner-)Theorien · Annette Berndt . . . . . . . . . . . . . . . 895
100. Sprachlern-Eignung und Sprachlern-Bereitschaft · Gudula List . . . . . 901

X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden


101. Der Faktor „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Fremdspra-
che-Unterrichts · Hans-Jürgen Krumm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 907
102. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Fremdsprache · Rei-
ner Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 921
103. Unterrichtsplanung · Rainer E. Wicke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 933
104. Methodische Konzepte für den Deutsch als Fremdsprache-Unterricht ·
Hermann Funk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 940
105. Regionale Lehr- und Lernkulturen · Klaus-Börge Boeckmann . . . . . . 952
Inhalt XIII

106. Die sprachlichen Fertigkeiten · Renate Faistauer . . . . . . . . . . . . . . 961


107. Vermittlung der Hörfertigkeit · Gert Solmecke . . . . . . . . . . . . . . . 969
108. Vermittlung der Lesefertigkeit · Madeline Lutjeharms . . . . . . . . . . . 976
109. Vermittlung der Sprechfertigkeit · Martina Liedke . . . . . . . . . . . . . 983
110. Vermittlung der Schreibfertigkeit · Imke Mohr . . . . . . . . . . . . . . . 992
111. Ausspracheerwerb und Aussprachevermittlung · Julia Settinieri . . . . . 999
112. Grammatikerwerb und Grammatikvermittlung · Christian Fandrych . . 1008
113. Wortschatzerwerb und Wortschatzvermittlung · Lutz Köster . . . . . . . 1021
114. Textarbeit · Ingo Thonhauser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1033
115. Übersetzen und Sprachmitteln im Deutsch als Fremdsprache-Unterricht ·
Frank G. Königs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1040
116. Fach- und sprachintegrierter Unterricht · Kim Haataja . . . . . . . . . . 1047
117. Fachsprachenvermittlung · Winfried Thielmann . . . . . . . . . . . . . . 1053
118. Fehleranalyse und Fehlerkorrektur · Karin Kleppin . . . . . . . . . . . . 1060
XI. Speziische Bedingungen und Zielsetzungen
des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

119. Der Faktor Lehren im Bedingungsgeüge des


Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts
1. Darstellung des Bedingungsgefüges
2. Der Faktor ,Lerner‘ ⫺ der Faktor ,Lehrer‘
3. DaZ-Unterricht ⫺ Spezifika
4. Analyse von DaZ-Unterricht
5. Analyse von Lehrwerken
6. Fazit
7. Literatur in Auswahl

Wenn man den Faktor ,Lehren‘ im DaZ-Unterricht genauer betrachtet, fällt schnell auf,
dass es sich hier um einen Faktor handelt, der durch zahlreiche unterschiedliche Aspekte,
Bedingungen und Erwartungen geprägt ist und beeinflusst wird. U. a. gibt es Zusammen-
hänge mit der Lehrerausbildung bzw. Lehrerfortbildung (vgl. Art. 151). Um den komple-
xen Faktor ,Lehren‘ insgesamt in den Blick zu bekommen, soll zunächst das Bedingungs-
gefüge, in dem dieser Faktor zum Tragen kommt, dargestellt werden. Danach soll die
Verbindung zu weiteren ausgewählten Bereichen näher beleuchtet werden.

1. Darstellung des Bedingungsgeüges

1.1. Die Entwicklung von DaZ

Der Faktor ,Lehren‘ ist ein eigener Faktor in der Faktorenkomplexion (Königs 1983)
Sprachunterricht und bildet mit den Lernenden mit ihren unterschiedlichen Lernerzugän-
gen, den jeweiligen adressatenspezifischen Lernzielen, den Lehrenden und den gesell-
schaftlichen Bedingungen ein komplexes Bedingungsgefüge. Dabei ist vorab festzuhalten,
dass es ein einheitliches Lernziel, das ohne Differenzierung für alle Lerner gleichermaßen
gilt, nicht gibt.
Lernziele beeinflussen die Strukturierung des Lernprozesses aufgrund unterschiedli-
cher Bezugspunkte stark. Man kann dabei zwischen lernerbezogenen, lehrerbezogenen
wie auch zielbezogenen Fragestellungen unterscheiden. Diese wiederum können individu-
eller Natur sein, sich aber ebenso auch auf die gesamte Lernergruppe beziehen oder
lerngruppenübergreifende Strukturen betreffen. Auch können Lernziele auf unterschied-
lichen sprachlichen Ebenen (syntaktisch, lexikalisch, morphologisch, phonologisch, pho-
netisch, pragmatisch) ebenso wie die Aneignung außersprachlichen Wissens (z. B. Lan-
deskunde) oder soziale Ziele den Lehr- und Lernprozess beeinflussen (vgl. Königs 1983).
Um die Probleme mit den jeweiligen Lernzielen für alle Beteiligten, vor allem aber für
1074 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

die Lernenden, so gering wie möglich zu halten, sollten sie mit ihren Bedürfnissen von
Anfang an aktiv in die Unterrichtsplanung einbezogen werden. Die Lehrenden müssen
dafür die spezifischen Bedürfnisse ihrer Lerner erkennen und analysieren können. Da
Deutsch als Zweitsprache im Gegensatz zu Deutsch als Fremdsprache durch das ständige
Ineinandergreifen von gesteuerten und ungesteuerten Erwerbsprozessen gekennzeichnet
ist, muss der Lehrer beispielsweise den Lernstand seiner Lernenden erfassen und spezifi-
sche Fördermaßnahmen ergreifen können. Dazu gehört neben der Fähigkeit zu individu-
eller Lernstandsdiagnose auch die Entwicklung von Fördermaterialien (siehe Art. 146).
Hier einfach der Progression eines Lehrwerks zu folgen, kann den individuellen Bedürf-
nissen der DaZ-Lernenden i. d. R. nicht gerecht werden. Nach Edmondson und House
(2006) ist der Unterricht mit seinen Lehr- und Lernzielen, mit dem gesamten Lehrwerk,
seinem Lehrinhalt, den Methoden und Prinzipien, seinen Übungsformen dem geltenden
Curriculum unterworfen. Hier ist allerdings zu fragen, wer diese Vorgaben in den Curri-
cula macht und inwieweit diese Vorgaben die spezifischen Bedürfnisse der Lerner berück-
sichtigen. Im Idealfall sollte der Lehrer (nur) das lehren, was das Curriculum als Vorgabe
liefert und die Lerner sollten die im Curriculum vorgegebenen Inhalte auch wirklich
lernen können (Lernerperspektive). Faktisch ist Beides nicht immer gegeben: Abweichun-
gen des Lehrers von den curricularen Inhalten sind praktisch nicht kontrollierbar. Unrea-
listische Lernziele, aber auch die Anpassung an veränderte gesellschaftliche Anforderun-
gen führen zu einer ständigen Curriculumsrevision. Die Immigration nach Deutschland
und in andere deutschsprachige Länder und ein wachsender Anteil von Lernern mit
Migrationshintergrund in den verschiedenen Ausbildungsgängen stellen eine gesellschaft-
liche Realität dar, welche die Lernbedingungen in der Schule verändert hat. Das macht
es wiederum notwendig, dass sich auch die Curricula und die Lehrerausbildung verän-
dern müssen (vgl. Beitrag 151 in diesem Band).
Eine weitere, die Eigenständigkeit eines Fachs und damit auch das Fach DaZ beein-
flussende Komponente ist ebenfalls die Frage, ob das Fach in Abhängigkeit von einer
Bezugswissenschaft gesehen wird. In den 1970er Jahren konstituierte sich beispielsweise
das Fach Sprachlehr- und Sprachlernforschung und löste diesen Gegenstandsbereich he-
raus aus den vermeintlichen Basis- oder Bezugswissenschaften Linguistik, Didaktik und
Psychologie (vgl. Koordinierungsgremium 1983). Von dem Koordinierungsgremium im
DFG-Schwerpunkt Sprachlehr- und Sprachlernforschung sind damals weitsichtig auch
bereits vier Projekte aus dem Bereich DaZ gefördert worden. Das waren auf der einen
Seite zwei Projekte zur Zweisprachigkeit griechischer und türkischer Migrantenkinder,
also Projekte mit schulischer Relevanz (vgl. Koordinierungsgremium 1983: 93 ff.), auf
der anderen Seite zwei Projekte zum Zweitspracherwerb ausländischer Arbeitnehmer
(130 f. und 140 f.). Trotz dieser positiven Ansätze wurde das Fach lange Zeit hauptsäch-
lich als Domäne der Erziehungswissenschaften im Rahmen des Faches ,Ausländerpäda-
gogik‘ gesehen, bevor sich auch die Germanistik in den 1980er Jahren zögerlich der
Zweitsprachendidaktik zuwandte (vgl. im Einzelnen Art. 6). Die Einrichtung und die
Benennung von Zusatzstudiengängen können u. E. als Indikatoren auf die Sicht von
DaZ in der Lehrerbildung gewertet werden. Im Jahr 1987 wurde beispielsweise an einigen
Hochschulen in NRW der Zusatzstudiengang „Ausländerpädagogik einschließlich
Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache“ eingerichtet. 1995 wurde der Zusatzstudien-
gang umbenannt in „Interkulturelle Pädagogik“, im Jahr 2000 in „Deutsch als Zweit-
sprache/Interkulturelle Pädagogik“. Diese Benennungen zeigen, dass der Zusatzstudien-
gang im Bewusstsein der einrichtenden Kultusadministration zunächst vornehmlich als
119. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts 1075

eine pädagogische Aufgabe angesehen wurde, der auch Anteile von DaZ zugerechnet
wurden. Mit dem Boom der ,Interkulturellen Pädagogik‘ zu Beginn der 1990er Jahre
verschwand der sprachliche Anteil in der Benennung des Zusatzstudienganges ganz aus
dem Namen; auch in Österreich wurde auf die Anwesenheit von Kindern mit Migrations-
hintergrund zunächst dadurch reagiert, dass 1981 für die Lehrenden an Pflichtschulen
das Wahlfach „Interkulturelles Lernen“ eingeführt wurde (vgl. Art. 7). Dies zeigt, dass
die Interkulturelle Pädagogik damals mit dem Anspruch auftrat, für die Integration
nicht-deutschsprachiger Kinder insgesamt die angemessenen Konzepte zu entwickeln
bzw. diese bereit zu halten. Seit Ende der 1990er Jahre wird zunehmend deutlich, dass
der sprachlichen Seite der Integration mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.
Das drückt sich auch in der Umbenennung des Zusatzstudiengangs in „Deutsch als
Zweitsprache/Interkulturelle Pädagogik“ aus, in welcher der sprachliche Teil ⫺ diesmal
als DaZ ⫺ deutlich markiert ist. (Vgl. auch Baur 2001). Wie bildungspolitische Entwick-
lungen sich auf DaZ ausgewirkt haben, zeigt sich besonders in Folge der PISA-Studien
2000/2003 und der IGLU-Studie 2003. Da in allen Studien Kinder und Jugendliche mit
Migrationshintergrund erheblich schlechtere Leistungen in der Lesekompetenz als Kin-
der und Jugendliche mit der Muttersprache Deutsch aufwiesen, wurden in Deutschland
wie in Österreich Maßnahmen zur systematischen sprachlichen Diagnose und Förderung
der Migrantenkinder eingeleitet und die Forderung erhoben, DaZ-Kenntnisse in der Leh-
rerausbildung obligatorisch zu vermitteln. In der Erwachsenenbildung wurde die bil-
dungspolitische Bedeutung von DaZ durch die Einrichtung von Integrations(sprach)kur-
sen verstärkt (vgl. auch Abschnitte 2 und 5 sowie Art. 121).

1.2. Das Tätigkeitseld als Bedingungsaktor

Tab. 119.1: Tätigkeitsfelder DaZ


Schule (Kinder und Jugendliche) Erwachsenenbildung
Lehrer Sprachlehrer im Inland

in Schulen für Kinder mit an Goethe-Instituten,


DaZ Migrationsgeschichte Weiterbildungsinstitutionen,
Sprachschulen,
in vorschulischen DaZ-Kursen in Firmen und Betrieben,
und in der Sprachförderung in Integrationskursen des
BaMF bzw. ÖIF
in propädeutischen DaZ-Kursen

im Förderunterricht für Migranten-


kinder außerhalb von Schule

Wenn man sich die Adressaten von DaZ (Tabelle 119.1) vor Augen hält, wird deutlich,
dass DaZ ein sehr breites Tätigkeitsfeld umfasst bzw. sehr verschiedene Tätigkeitsfelder
bedienen muss. So gibt es beispielsweise extreme Unterschiede zwischen DaZ-Lernern,
die als Erwachsene Alphabetisierungskurse im Rahmen der Integrationskurse besuchen,
und Schülern in der Sekundarstufe II, die in eine deutschsprachige Umgebung hineinge-
boren wurden und die gesamte Schule bisher im deutschsprachigen Schulsystem durch-
laufen haben. Das verweist auf die Notwendigkeit, dass von den Adressaten her gesehen
1076 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

verschiedene und adressatengerechte DaZ-Ausbildungen angeboten werden müssten.


Faktisch ist das aber keineswegs der Fall. Die bestehenden Ausbildungsmöglichkeiten
können insgesamt in vier große Bereiche eingeteilt werden, die auf die Spezifik des späte-
ren Tätigkeitsfeldes vorbereiten sollten:
1. Ausbildungen für die vorschulische Förderung von DaZ. Diese Ausbildungen werden
seit Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts erst konzipiert. Sie existierten
bis dahin nicht (vgl. Art. 120);
2. Ausbildungen für die Schule im Rahmen von Lehramtsstudiengängen, Zusatzstudien-
gängen für das Lehramt oder Lehrerfortbildungen (vgl. Art. 149 und 151);
3. Ausbildungen von DaZ-Lehrern in der Erwachsenenbildung nach den Vorgaben des
Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bzw. des Österreichischen Inte-
grationsfonds (ÖIF)
4. Universitäre Ausbildungen im Rahmen von Bachelor-, Master- und Magister-Studien-
gängen, in denen DaF und DaZ häufig miteinander verbunden werden.
(vgl. Baur/Kis 2002; vgl. Art. 149)
Bis heute ist es nicht gelungen, die verschiedenen Gruppen von Lehrenden gezielt auf
ihr jeweiliges Tätigkeitsfeld vorzubereiten. Mehr als im schulischen Bereich hat man sich
allerdings in der Erwachsenenbildung darum bemüht, Grundqualifikationen zu bestim-
men, über die DaZ-LehrerInnen mindestens verfügen sollten. Nachdem in den 1990er
Jahren Kenntnisse und Fähigkeiten für DaZ-Kursleiter in der Erwachsenenbildung für
die Integrationskurse des Goethe-Instituts festgelegt worden waren (Schweckendieck und
Tietze 1994), sind die Anforderungen noch einmal erweitert und präzisiert worden, nach-
dem das Integrationsgesetz 2003 verabschiedet wurde und die Integrationskurse eine
neue Struktur erhalten haben (vgl. www.integration-in-deutschland.de). Diese Ausbil-
dung enthält alle wesentlichen Inhalte (der Schwerpunkt liegt auf methodisch-didakti-
schen Fertigkeiten), umfasst aber nur ein Stundenvolumen von 120 Stunden, so dass
Vieles nur angesprochen, aber nicht wirklich eingeübt und vertieft werden kann (vgl.
Art. 151).
Eine auf den Daten der Studienangebote an den deutschsprachigen Hochschulen ba-
sierende Untersuchung zur Struktur der Ausbildung in DaZ wurde 2002 von Baur und
Kis veröffentlicht. Diese Studie zeigt, dass im Jahre 2002 an 45 deutschsprachigen Hoch-
schulen in unterschiedlicher Form ein Studium DaF/DaZ angeboten wurde. Obwohl sich
mit der Einführung der BA- und MA-Ausbildung die Landschaft in diesem Bereich sehr
verändert hat und auch weiterhin verändert, nimmt die DaF-Ausrichtung an den
deutschsprachigen Hochschulen (Stand 2010) immer noch einen wesentlich größeren
Raum ein als die DaZ-Ausbildung. An vielen Hochschulen gibt es ein unspezifisches
DaF-DaZ-Angebot als Folge der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen: Die Hochschu-
len glauben die Berufschancen ihrer Absolventen zu verbessern, wenn sie ihnen polyva-
lente Abschlüsse anbieten. Nur wenige Studienstandorte bieten ausschließlich Qualifika-
tionen in DaZ an. Eine der Ursachen ist, dass DaZ in der Schule kein eigenes Fach ist.
Das sollte allerdings auch nicht angestrebt werden, denn das würde ja letztendlich bedeu-
ten, dass man zwei Lehrerprofile ausbildet: die Deutsch-als-Muttersprachen-Lehrer und
die DaZ-Lehrer, die für den Unterricht der Migrantenkinder verantwortlich wären, was
segregative Tendenzen verstärken könnte. Wie in Abschnitt 1.1 bereits angemerkt, muss
der umgekehrte Weg eingeschlagen werden: Alle Lehrer, auch die Fachlehrer, müssen
dazu befähigt werden, die spezifischen Bedürfnisse von Schülern mit Migrationshinter-
119. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts 1077

grund in ihrem Unterricht zu berücksichtigen. Aufgrund der Veränderung der gesell-


schaftlichen Rahmenbedingungen müsste sich in diesem Sinne die grundständige Lehrer-
ausbildung wesentlich verändern. Aus Gründen der Fachtradition sind Veränderungen
in den Fächern und ihren Inhalten allerdings sehr langwierige Prozesse. In letzter Konse-
quenz müsste nicht nur die Deutschlehrerausbildung, sondern jede Fachausbildung An-
teile von DaZ in die Ausbildung integrieren, was bei einem nicht erweiterbaren Gesamt-
stundenvolumen zur Reduktion traditioneller fachlicher Inhalte führen würde. Da diese
Veränderungen schulpolitisch auf erhebliche Widerstände treffen, wird DaZ als Ausbil-
dung für die Schule vornehmlich als Zusatzqualifikation angeboten, die unterschiedlich
benannt werden kann (vgl. auch Art. 151).
Zum Bedingungsgefüge des Bildungssystems in den deutschsprachigen Ländern ge-
hört es auch, dass man Lehrer nach Abschluss ihrer Ausbildung und nach ihrer Anstel-
lung nicht dazu verpflichten kann, sich fortzubilden, so dass ungewiss ist und bleibt, wer
in welchem Maße DaZ-Qualifikationen erwirbt. Die Motivation für ein solches DaZ-
Zusatzstudium kann aus der Erkenntnis erwachsen, sich ,nachrüsten‘ zu müssen, um
spezifischen Anforderungen des Unterrichts mit Schülern nicht-deutscher Herkunft ge-
wachsen zu sein. Die Motivation ist aber bei vielen LehramtsanwärterInnen auch ,instru-
mentell‘, d. h. von den Einstellungschancen her gesteuert: Wenn auf dem ,Markt‘ ein
Überangebot an Lehrern herrscht und sich Bewerber mit einer solchen Zusatzqualifika-
tion bessere Einstellungschancen versprechen, steigt das Interesse an dem DaZ-Studium.
Die ,schulscharfen‘ Ausschreibungen zahlreicher Schulen in Ballungsgebieten, die gezielt
nach Lehrern mit einer DaZ-Qualifikation suchen, weisen in diese Richtung. In Zeiten,
in denen Lehrermangel herrscht, kann man aber auch umgekehrt davon ausgehen, dass
es weniger attraktiv ist, eine fakultative Zusatzqualifikation zu erwerben, da die Einstel-
lungschancen für Lehrer ohnehin gut sind.
In der o. a. Studie von Baur und Kis (2002) wurde auch untersucht, mit welchen
Inhalten und mit welchen Studienvolumina DaZ-Zusatzausbildungen operieren. Auch
dabei zeigten sich große Unterschiede. Das geringste Volumen lag bei 12 Semesterwo-
chenstunden (SWS) (also sechs Veranstaltungen), das umfangreichste bei 40 SWS.

2. Der Faktor ,Lerner  der Faktor ,Lehrer

Betrachtet man in der Faktorenkomplexion den Lerner genauer, ist auf die große Hetero-
genität hinsichtlich zahlreicher Faktoren wie sozioökonomischer Status der Lernenden
(oder ihrer Familien), Alter, kulturelle Unterschiede, Motivation, Lerntyp, Einstellung
zur Zielkultur, Lernerfahrungen und insbesondere Kenntnisse in der Herkunftssprache,
der Zweitsprache Deutsch und in weiteren Fremdsprachen hinzuweisen. Lehrende müs-
sen sich mit den individuellen Besonderheiten der einzelnen Lernenden auseinanderset-
zen und diese im Lernprozess berücksichtigen. Dabei kann es für die Einschätzung des
individuellen Lernprozesses von Seiten des Lehrers z. B. von großer Bedeutung sein, ob
der Lerner zugewandert ist oder in Deutschland geboren wurde, ob er berufstätig oder
arbeitslos ist, ob er viel Zeit oder nur wenig für den Lernprozess einsetzen kann, ob er
in der Freizeit viele oder wenige Kontakte zu deutschsprachigen Kommunikationspart-
nern hat u. a. m. Auch familiäre, finanzielle und aufenthaltsrechtliche Probleme können
den Lernprozess in erheblichem Maße beeinträchtigen.
1078 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

Neben diesen individuellen Unterschieden müssen Lehrer auch auf unterschiedliche


Lernbedingungen vorbereitet sein, die durch vorschulischen, schulischen oder außerschu-
lischen Unterricht konstituiert werden. Für alle Lernbereiche kann vorab festgehalten
werden, dass die DaZ-Lerner im schulischen Ausbildungssystem in den deutschsprachi-
gen Ländern nicht von Lehrern unterrichtet werden, die für DaZ und für die Arbeit mit
Zweitsprachenlernern ausgebildet wurden. Die Defizite in der Ausbildung unterscheiden
sich in den verschiedenen Segmenten des Ausbildungssystems nur graduell.

1. Bedingungen für vorschulisches Lehren: Das Lehren von DaZ in diesem Bereich setzt
eine DaZ-Ausbildung von Erzieherinnen voraus, die bislang nirgendwo implementiert
wurde. Dieses Defizit in der Ausbildung ist inzwischen als gesellschaftliches Problem
erkannt worden, es werden neue Modelle der Ausbildung von Erzieherinnen diskutiert
und erprobt (vgl. z. B. Knapp et al. 2008; vgl. auch Art. 151). D. h. der Faktor ,Lehren‘
behindert im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts das Lernen in vorschulischen Ein-
richtungen erheblich, da als ,Förderlehrer‘ zu einem großen Teil unqualifizierte Personen,
wie z. B. Studierende des Faches Deutsch eingesetzt werden ⫺ in der irrigen Annahme,
dass ein Deutschstudium allein bereits für den Unterricht in DaZ qualifiziert. Professio-
nelle Unterstützung erwartet man sich auch durch den Einsatz von Studierenden (und
später Lehrenden) mit Migrationshintergrund, ohne dass diese Personen für diese Auf-
gabe in der notwendigen Weise vorbereitet wären. (vgl. Baur 2009)
Ob und in welcher Weise im vorschulischen Bereich bei Fördermaßnahmen differen-
ziert werden kann und soll, muss noch erforscht werden. Allgemein wird in der Bildungs-
politik angestrebt, vor der Einschulung Diagnoseinstrumente einzusetzen, die sprachliche
Defizite bei Kindern aufdecken und eine Förderung vorbereiten sollen (vgl. Art. 146).

2. Bedingungen in der Grundschule: In der Grundschule steigt der Anteil von Kindern
mit Migrationshintergrund ständig und ein großer Teil dieser Kinder wächst zweispra-
chig auf (vgl. Chlosta, Ostermann und Schroeder 2003). Auf diese Situation werden
GrundschullehrerInnen in ihrer Ausbildung unzureichend vorbereitet (Gogolin 2006,
2008a, 2008b; Gogolin und Saalmann 2007). Hier müsste verstärkt differenziert werden.
Zum einen sollte die Sprachförderung im vorschulischen Bereich mit der Förderung in
den ersten Klassen der Primarstufe koordiniert und aufbauend fortgeführt werden, zum
anderen muss in den oberen Klassen der Primarstufe die Lese- und Schreibkompetenz
systematisch beobachtet und ggf. stabilisiert werden. Eine solche differenzierte Betrach-
tungsweise hat auch Auswirkungen auf das ,Lehren‘: Die Bereiche Diagnose und Förde-
rung mit Blick auf den Übergang in die weiterführenden Schulen der Sekundarstufe I
müssten gezielt ausgebaut werden (vgl. Art. 151).

3. Bedingungen im Sekundarstufenbereich I: Förderung, die in der Primarstufe eingeleitet


wurde, muss in der Sekundarstufe I ziel- und adressatenspezifisch weitergeführt werden.
DaZ-Unterricht darf sich nicht nur auf den vorschulischen Bereich und die Primarstufe
konzentrieren, wie das von Bildungsexperten z. T. gefordert wird, sondern muss in Zu-
kunft gerade auch in der Sekundarstufe I ausgebaut werden, da sich erst hier der beson-
dere Förderbedarf in den Fächern bzw. den fachsprachlichen Zugängen zeigt. In der
Sekundarstufe I muss daher vor allem auf den Auf- und Ausbau der fachsprachlichen
Fähigkeiten geachtet werden, da diese die Grundlage für den weiteren Schulerfolg dar-
119. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts 1079

stellen. Deshalb ist auch eine DaZ-Ausbildung der Fachlehrer notwendig (vgl. Chlosta
und Schäfer 2008).

4. Bedingungen im Sekundarstufenbereich II: Die so genannte gymnasiale Oberstufe ist


in Bezug auf DaZ in der Schulpolitik bzw. in den Curricula nur wenig beachtet worden.
Eine DaZ-Förderung muss allerdings auch hier stattfinden, wenn Probleme in Studium
und Beruf vermieden werden sollen. Die Erfahrungen aus den Förderprojekten der Stif-
tung Mercator (http://www.stiftung-mercator.org/cms/front_content.php?idcat⫽35 [10. 5.
2010]) und aus dem universitären Bereich (http://www.uni-due.de/foerderunterricht/ [10. 5.
2010]) zeigen, dass DaZ-Lerner auf dem Gebiet des wissenschaftlichen Schreibens häufig
Unterstützung brauchen. Welche Förderungsmaßnahmen hier erfolgreich sein können,
muss in Zukunft verstärkt erforscht werden.

5. Bedingungen in Berufskolleg/Berufsschule: Wie die gymnasiale Oberstufe wurde auch


das Berufskolleg (z. T. auch unter dem Namen Berufsschule geführt) bisher bildungspoli-
tisch hinsichtlich des DaZ-Unterrichts wenig beachtet, obwohl sich hier ein hoher Anteil
von Schülern mit Migrationshintergrund in der Ausbildung befindet. Die Fachsprachen-
förderung stellt hier eine wichtige Grundlage für eine erfolgreiche Berufsausbildung dar
(vgl. Ohm, Kuhn und Funk 2008 sowie Art. 126).

6. Bedingungen in der Erwachsenenbildung: Durch Einführung der Integrations(sprach)-


kurse (vgl. Art. 121) hat der Faktor ,Lehren‘ eine besondere Struktur im Unterricht mit
zugewanderten Erwachsenen erhalten. Diese Lerner sollen zunächst in allgemeinsprachli-
chen Kursen Grundkenntnisse (auf dem Niveau B1) erwerben. Darauf aufbauend müs-
sen in weiteren Kursangeboten fachsprachliche und berufsbezogene Kenntnisse erworben
werden. Eine Lehrerausbildung in diesem wichtigen weiterführenden Aufgabenbereich
gibt es für DaZ bislang nicht. Eine Fokussierung dieses Bereichs fehlt erstaunlicherweise
auch in den Ausbildungsrichtlinien des BAMF für die Integrationssprachenlehrer (vgl.
Art. 151). Um eine Grundlage für das Lehren des berufssprachlichen Ausbildungsbe-
reichs zu schaffen, müssen deshalb zukünftig neue Fort- und Weiterbildungsangebote
entwickelt werden (vgl. Duxa 2001).

3. DaZ-Unterricht  Speziika

Im DaZ-Unterricht geht es immer auch um spezielle Bedingungen des Zweitspracher-


werbs: Generell lässt sich als Ähnlichkeit zwischen Zweitspracherwerb und Fremdspra-
chenlernen herausstellen, dass es in beiden Fällen einen Transfer von den jeweiligen mut-
tersprachlichen Fähigkeiten in die Zweit- bzw. Fremdsprache gibt. Im Unterschied zum
Fremdsprachenunterricht, bei dem von altersgemäßen Kenntnissen und Fähigkeiten in
der Muttersprache ausgegangen werden kann, sind die Kenntnisse in der Herkunftsspra-
che und die auf der Herkunftssprache aufbauenden Fähigkeiten bei Kindern und Jugend-
lichen mit Migrationshintergrund weitgehend unbekannte Größen. Obwohl die Forde-
rung, die Muttersprachen und Herkunftskulturen in der schulischen Sozialisation von
Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu berücksichtigen, immer wieder
erhoben wird (vgl. Ehlich et al. 2005), wird sie im DaZ-Unterricht äußerst selten einge-
1080 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

löst. Als Schwierigkeit kommt hinzu, dass das Verhältnis von Herkunftssprache und
Zweitsprache Deutsch bei den Migrantenkindern sehr unterschiedlich ausgebildet ist, so
dass es einen einheitlichen zweisprachigen Ansatz für alle nicht geben kann. Sprachförde-
rung in DaZ bedeutet deshalb immer Absicherung des Lernfortschritts auf der Grund-
lage und mit den Mitteln der Zweitsprache Deutsch (vgl. Kap. 5).
Bei der Bearbeitung konkreter Themen und Inhalte muss immer die Frage gestellt
werden, welche sprachlichen Mittel notwendig sind, um sich Kenntnisse anzueignen (re-
zeptive Ebene) und was ein Lerner mündlich formulieren und schreiben können muss
(produktive Ebene). Dies wiederum ist von den zu unterrichtenden Adressaten abhängig.
Die Sprachbedarfsermittlung bestimmt die notwendigen Inhalte des Unterrichts, z. B.
Kommunikation im Lebensalltag vs. Erwerb fachlichen Wissens auf der Grundlage eines
entsprechenden Fachwortschatzes. Zu unterscheiden ist hier der objektive Sprachbedarf
(angestrebte Handlungsfelder ⫺ Was ist zu lernen?) gegenüber dem subjektiven Sprach-
bedarf (Bedürfnisse des einzelnen Lerners ⫺ Wie kann und will der Einzelne lernen?).
Besonders sei noch auf einen Unterschied zwischen dem DaZ-Unterricht in der Schule
und in der Erwachsenenbildung hingewiesen: Auch wenn es für die Schule keine ausrei-
chende DaZ-Vorbeitung für die Lehrenden gibt, haben die Schul-Lehrer doch alle eine
grundständige Lehrerausbildung absolviert. Die Lehrqualifikation der Lehrenden in der
Erwachsenenbildung beruht dagegen häufig allein auf einer Zusatzausbildung. Gerade
in der Erwachsenenbildung sind Lernvoraussetzungen und Interessen der Adressaten al-
lerdings sehr unterschiedlich, weshalb die unterrichtsmethodischen Fähigkeiten der Leh-
rer in der Erwachsenenbildung gut ausgebildet sein müssen. Hierbei sind folgende As-
pekte besonders zu beachten: Teilnehmerorientierung (Einbeziehung von Erfahrungen
und Kompetenzen der Lernenden), Wahrnehmung der Kompetenzen der Lernenden, An-
regung zu Diskussionen und zu Erfahrungsaustausch, selbstständiges Arbeiten, Fähigkeit
zur Anpassung der Methoden an die Teilnehmer und an die Inhalte, Binnendifferenzie-
rung, Förderung von Spontaneität und Kreativität, Beachtung der Lerntypen (Anspre-
chen verschiedener Wahrnehmungskanäle bei der Präsentation und Erarbeitung des
Lernstoffs), Förderung von Interaktion, Beachtung der Rollenfunktionen innerhalb der
Gruppe, Förderung der Selbstidentität und Verarbeitung von Versagensängsten.

4. Analyse von DaZ-Unterricht

Lehrende im DaZ-Unterricht müssen unterschiedliche Lernziele im Blick behalten. Ob


und wie diese Lernziele erreicht werden, kann nur durch eine Beobachtung, Analyse und
Evaluation erkannt werden. Auch Selbstbeobachtung und Selbstreflexion sind Verfahren,
die zur Verbesserung des Unterrichts beitragen. Nach dem Modell der Kann-Bestimmun-
gen, wie sie im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GER) für Sprachen einge-
führt wurden, sollte festgelegt werden, was der Lerner nach dem Unterricht können soll.
Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und angestrebte Qualifikationen, die im Unterricht
angestrebt werden, sollen möglichst präzise formuliert werden. Nur so ist eine Lernziel-
kontrolle möglich. Nicht allein Lernstoff und Lerninhalt sollen evaluiert werden, sondern
ebenso auch das Lernverhalten und der Lernprozess. Eine Analyse der Lernziele kann
auf ganz unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Solche Ebenen sind u. a.: abstrakte und kon-
krete Lernziele, über- und untergeordnete Lernziele, Leit- oder Richtziele (bildungspoliti-
119. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts 1081

sche Zielsetzungen), Grob- (Hauptlernziele) und Feinziele (mit Bezug auf Unterrichts-
sequenzen und konkreter Bestimmung des Lernerverhaltens) und ebenso kognitive, affek-
tive, psychomotorische, interkulturelle sowie handlungsorientierte Lernziele (Künzli
David 2007).
Eine Analyse kann auch auf der Grundlage der Beobachtung von Unterrichtsphasen
sinnvoll sein (vgl. Art. 152). DaZ-Unterricht im Bereich der Erwachsenenbildung wird
nach unterschiedlichen Modellen durchgeführt. Zu unterscheiden wären hier beispiels-
weise das TTT-Modell (test ⫺ teach ⫺ test) oder das PPP-Modell (presentation ⫺ prac-
tice ⫺ production) ⫺ Lehrerinput, Übungsphasen, Anwendungsphasen. Grießhaber
(2005) teilt den DaZ-Unterricht (Förderunterricht für Schüler) in folgende Phasen ein:
1. Vorbereitungsphase, 2. Präsentation (Konfrontation mit dem neuen Lernstoff), 3. Ver-
stehenskontrolle, 4. Übungsphase 1 (drill), 5. Phase der Bewusstmachung (Kognitivie-
rung), 6. Übungsphase 2 (Festigung), 7. Transferphase, 8. Phase der freien Anwendung.
Übungstypologien, die hier zur Anwendung kommen, können nach Segermann (1994)
ihrerseits klassifiziert werden. Dabei entscheidet der Lehrende beispielsweise über den
Ort, an dem die Übung stattfindet, über die Wahl des Mediums und des Kanals, über
das Register der sprachlichen Äußerung, über die Sozialform, über den Einsatz von
Hilfsmitteln, über die Lernzielkontrolle und ggf. Beurteilungsform der Leistung und
letztlich auch darüber, welche Motivationsform für die Lerngruppe sinnvoll ist.
Ein weiterer zentraler Faktor für die Analyse und Beurteilung des Lernprozesses ist
die Progression. Bei einer steilen Progression im Bereich der Grammatik sollte darauf
geachtet werden, dass die Progression im Wortschatz nicht zu stark ist (und umgekehrt),
da der eine Bereich den anderen jeweils stützen oder behindern kann. Grießhaber (2005)
unterscheidet dabei folgende Formen der Progression: linear (einmalige Behandlung),
grammatisch (Reihenfolge nach grammatischen Gesichtspunkten), konzentrisch (mehr-
fache Behandlung, komplexe Bereiche werden in einfachere Teilbereiche zerlegt) und
kommunikativ (kommunikative Gesichtspunkte). Durch die Lehrwerke ist die Progres-
sion vorgegeben. Lehrende sollten deshalb überprüfen können, ob es bei den für ihre
Adressaten in Frage kommenden Lehrwerken Unterschiede in der Progression gibt und
welche Progression für die Adressaten mehr oder weniger geeignet ist. Entscheidungen
für die Auswahl von Lernmaterial im Unterricht mit fortgeschrittenen Lernern werden
dabei häufig durch methodische Fragen mitbestimmt (vgl. Art. 137).

5. Analyse von Lehrwerken

Im Bedingungsgefüge des DaZ-Unterrichts spielt das Lehrwerk eine zentrale Rolle. Auf
dem Markt befinden sich einerseits Lehrwerke, die sowohl DaZ- als auch DaF-Lerner
als Zielgruppe ansteuern, andererseits Lehrmaterialien und Lehrwerke, die sich adressa-
tenspezifisch auf DaZ-Lerner konzentrieren, beispielsweise für Spätaussiedler und Kon-
tingentflüchtlinge, Alphabetisierungs-Lehrwerke, Lehrwerke für Frauenkurse, Lehrwerke
mit Berufsbezug u. a. m. (vgl. Art. 137).
Um sich im Angebot der Lehrwerke und Lehrmaterialien besser orientieren und den
Unterricht adressatengerecht gestalten zu können, sollten DaZ-Lehrende in der Ausbil-
dung lernen, Lehrwerke zu analysieren. Das Thema ,Lehrwerksanalyse‘ ist deshalb in
fast allen Ausbildungen obligatorisch. Kriterienkataloge zur Analyse von Lehrwerken
1082 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

sollen dabei helfen, wesentliche Aspekte des mit dem Lehrwerk geplanten Lehr- und
Lernprozesses vorab zu klären (vgl. Kast und Neuner 1994). In der Realität erfolgt die
Auswahl eines Lehrwerks allerdings kaum auf der Grundlage einer Lehrwerksanalyse. I.
d. R. sind es die Schulen und Kursträger, die bestimmen, welche Werke eingesetzt wer-
den. Ob und wie sich ein Lehrwerk bewährt und welche Vermittlungs- und Lernprobleme
auftauchen (beispielsweise, weil die Progression zu steil oder das Übungsangebot zu
schmal ist), lässt sich nur schwer vorab auf der Grundlage einer Lehrwerksanalyse vor-
hersagen. Befragungen von DaZ-Lehrenden, die wir in den letzten Jahren im Rahmen
von Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt haben, bestätigten, dass die Lehrenden
die Vorzüge und die Nachteile eines Lehrwerks im Gebrauch entdecken und nicht eine
systematische Analyse durchführen. Besonders wichtig ist es deshalb für die Lehrenden,
vom Lehrwerk abhängige Mängel, die sich im Unterricht zeigen, selbstständig ,reparie-
ren‘ zu können. Das gilt insbesondere für das Übungsangebot.
Zum schrittweisen Aufbau der Kommunikationsfähigkeit hat sich die Übungstypolo-
gie zum kommunikativen Deutschunterricht von Neuner et al. (1981) bewährt: Stufe A ⫺
Übungen zur Entwicklung und zur Überprüfung von Verstehensleistungen (Heranführung
an authentische Texte, Texterschließung, Textverstehen), Stufe B ⫺ Übungen zur Grundle-
gung von Mitteilungsfähigkeit (reproduktive Übungen; Reproduktion sprachlicher Struk-
turen und Redemittel, stark gesteuerte Kommunikationssituationen, korrekte sprachliche
Form der Äußerungen), Stufe C ⫺ Übungen zur Entwicklung von Mitteilungsfähigkeit
(reproduktive ⫺ produktive Übungen; freiere Gestaltung der Kommunikationssituatio-
nen, offene, wenig gelenkte Übungen), Stufe D ⫺ Übungen zur Entfaltung freier Äußerun-
gen (produktive Übungen, Anregung zur sprachlichen Kommunikation, eigenständige
Gestaltung der Kommunikationssituation). ⫺ Lehrende sollten überprüfen, ob in einer
Übungssequenz bzw. einer Lektion alle vier Stufen vorhanden sind und ob die Fertig-
keitsbereiche, die gelernt werden sollen, auch wirklich geübt werden.
Eine große Unterstützung kann der Faktor ,Lehren‘ durch ein Lehrerhandbuch erfah-
ren. Hier sind meist Vorschläge für Übungen, Projekte, Differenzierungen, Medienge-
brauch, kontrastiv-linguistische Hinweise u. v. a. m. enthalten, die zur Verbesserung des
Unterrichts erheblich beitragen können.

6. Fazit
Die Berücksichtigung der verschiedenen Faktoren im Bedingungsgefüge des DaZ-Ler-
nens verlangt zunächst einmal eine gute Ausbildung der Lehrenden, denn diese werden
sich mit den verschiedenen Faktoren und ihrer Einschätzung in einem durch die Sprach-
lehr- und Sprachlernforschung abgesicherten wissenschaftlichen Kontext nur dann ausei-
nandersetzen, wenn sie dies in der Ausbildungsphase gelernt haben. Zweitens bedarf es
einer hohen Flexibilität auf Seiten der Lehrenden, wenn sie diese Faktoren im Blick
behalten und in ihrem Unterricht berücksichtigen wollen. Drittens werden Lehrende, die
diese Faktoren ernst nehmen, das Bedürfnis haben, sich weiterzubilden, weil sie erken-
nen, dass jede Ausbildung nur erste Einblicke in ihr Tätigkeitsfeld liefert und dass die
Beschäftigung mit diesen Faktoren durchaus positive Auswirkungen auf ihre Tätigkeit
haben kann.
Einige der das Lehren beeinflussenden Faktoren betreffen den Unterricht zentral und
sollten in der Ausbildung deshalb besonders beachtet werden. Dazu gehören Verfahren
119. „Lehren“ im Bedingungsgefüge des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts 1083

zur Sprachdiagnose und Sprachförderung, wobei letztere wieder mit didaktisch-methodi-


schen Fähigkeiten verbunden ist. Hier sollten in der Ausbildung Schwerpunkte gesetzt
werden.

7. Literatur in Auswahl
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Ahrenholz, Bernt (Hg.)
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2006 Mit FÖRMIG Chancengleichheit fördern. ADA-Mentoring. Fachzeitschrift für Mentoring
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1084 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

Gogolin, Ingrid
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1983 Sprachlehr- und Sprachlernforschung: Begründung einer Disziplin. Tübingen: Narr.
Künzli David, Christine
2007 Zukunft mitgestalten: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung ⫺ Didaktisches Konzept
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Rösch, Heidi
2006 Das Jacobs-Sommercamp ⫺ neue Ansätze zur Förderung von Deutsch als Zweitsprache.
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120. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache 1085

Schweckendiek, Jürgen und Ulrike Tietze


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Segermann, Krista
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Internetadressen

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http://www.integration-in-deutschland.de [Zugriff am 2. 3. 2009]
delfin 4:
http://www.callnrw.de/broschuerenservice/commons/index.php?lid⫽15 [Zugriff am 2. 3.
2009]
http://www.stiftung-mercator.org/cms/front_content.php?idcat⫽35 [Zugriff am 2. 3. 2009]
Förderunterricht:
http://www.uni-due.de/foerderunterricht/ [Zugriff am 2. 3. 2009]

Rupprecht S. Baur, Andrea Schäfer, Essen (Deutschland)

120. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch


als Zweitsprache im vorschulischen und
schulischen Bereich
1. Entwicklungen im vorschulischen Bereich
2. Entwicklungen im schulischen Bereich
3. Ausblick
4. Literatur in Auswahl

Während sich bis Ende der 1990er Jahre in den meisten Ländern der Bundesrepublik die
bildungspolitische und administrative Bezeichnung von Kindern und Jugendlichen mit
Einwanderungshintergrund an deren politischem Aufenthaltsstatus orientierte und diese
in den Statistiken und amtlichen Dokumenten als Kinder ausländischer Arbeitnehmer,
Aussiedlerkinder oder Kinder von Asylbewerbern bezeichnet wurden, gingen Anfang der
2000er Jahre viele deutsche Bundesländer ⫺ ähnlich die Bildungsbehörden in Öster-
reich ⫺ dazu über, diese Gruppe als Kinder mit Migrationshintergrund zusammenzufassen
und sich an der Spracherwerbsbiografie zu orientieren, was verdeutlichen sollte, dass ⫺
unabhängig vom ursprünglichen Zuwanderungsgrund und dem rechtlichen Aufenthalts-
status ⫺ die Kinder „ähnliche Anforderungen in Bezug auf den Erwerb der deutschen
Sprache zu bewältigen haben“ (Gogolin, Neumann und Roth 2003: 63). Auch Charakte-
risierungen wie Kinder mit nichtdeutscher Herkunftssprache, Kinder mit anderer Erstspra-
che oder Kinder mit Deutsch als Zweitsprache sind weiterhin üblich.
1086 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

1. Entwicklungen im vorschulischen Bereich


Die Thematik der sprachlichen Unterweisung und Förderung von Migranten in der deut-
schen Sprache konzentrierte sich bis Ende der 1990er Jahre auf schulische Kontexte. In
Folge der Veröffentlichung der internationalen PISA-Studie 2001 trat ein bildungspoliti-
scher Paradigmenwechsel ein, dessen wichtigstes Kennzeichen darin bestand, nunmehr
auch den vorschulischen Bereich in die Sprachförderung einzubeziehen, da sich zeigte,
dass eine bedeutende Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu
den Verlierern im deutschen und österreichischen Bildungssystem gehört. Dass die Bil-
dungsintegration von Kindern mit Migrationshintergrund ⫺ auch von denen in der zwei-
ten bzw. dritten Einwanderergeneration ⫺ aufgrund fehlender bzw. nicht ausreichender
Deutschkenntnisse bereits in der vorschulischen Phase nicht in erwünschtem Maße ge-
lingt, belegen auch die bundesweiten Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen (vgl.
Engin 2003; vgl. auch Art. 6).
Der PISA-Schock bewirkte, dass die vorschulische Bildung und Erziehung in den
Blick der Bildungspolitik rückte. Die Ergebnisse wurden als Aufforderung verstanden,
die sprachliche Förderung insbesondere von Migrantenkindern bereits in der vorschuli-
schen Phase beginnen zu lassen. Ähnlich den schulischen Rahmenplänen wurden Bil-
dungs-/Orientierungspläne für die vorschulische Bildung und Erziehung in Auftrag gege-
ben. Ihre Entwicklung und Implementierung vollzieht sich in den verschiedenen Ländern
in unterschiedlichen Zeitrahmen: so lag in Österreich Mitte 2008 erst der erste Teil des
Bildungsplans, der für die „frühe sprachliche Förderung für Kinder von 3⫺6 Jahren“
(kurz Bildungsplan-Anteil Sprache), vor; die Ausarbeitung des Gesamtplans, des „Län-
derübergreifenden Rahmenplans (Bildungsplans) für elementare Bildungseinrichtungen“
dauert gegenwärtig noch an. In Deutschland liegen seit Mitte der 2000er Jahre erste
Bildungs-/Orientierungspläne vor: Bayern stellte 2003 bzw. in seiner Endfassung 2005
einen Bildungs- und Erziehungsplan fertig. Von Nordrhein-Westfalen folgte wenig später
eine Bildungsvereinbarung, Berlin erstellte 2004 einen Bildungs- und Orientierungsplan
und Rheinland-Pfalz entwarf eine Bildungsempfehlung. Diese unterstreichen alle mit
Nachdruck die Notwendigkeit einer Überprüfung der kindlichen Sprachentwicklung so-
wie einer entsprechenden Förderung der deutschen Sprachkenntnisse insbesondere von
Kindern mit Migrationshintergrund in institutionellen Kontexten. Allerdings erfolgt die
Bezugnahme auf die Erstsprache der Kinder mit Migrationshintergrund und die Formu-
lierung von Lehrzielen für das Lernen des Deutschen als Zweitsprache in unterschied-
lichem Maße. So verweisen insbesondere der Berliner Bildungs- und Orientierungsplan
(2004), der Bremer Rahmenplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich (2004),
der hessische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren (2007), der
rheinland-pfälzische Bildungs- und Entwicklungsplan (2004), das sachsen-anhaltinische
Bildungsprogramm für Kindertageseinrichtungen (2004) sowie der thüringische Bildungs-
plan für Kinder bis 10 Jahre (2008) auf die in der Praxis vorliegende Mehrsprachigkeit
vieler Kindergartenkinder; sie wird als Chance und Reichtum gesehen. Des weiteren
empfehlen die aufgezählten Bundesländer, die Erstsprachen der Kinder zu respektieren
und wertzuschätzen; der thüringische Bildungsplan führt aus, dass „der sichere Erwerb
ihrer Familiensprache ein unterstützender Faktor für den Erwerb des Deutschen als
Zweitsprache [ist]“ (Thüringer Kultusministerium 2008: 47), und der rheinland-pfälzische
formuliert als Aufgabe der Kindertagesstätten, „die deutsche Sprache der Kinder mit
dem Ziel, einen möglichst risikolosen Übergang in die schulische Bildung zu ermögli-
120. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache 1087

chen, [ist zu] fördern. Dies geschieht unter Berücksichtigung der Mutter- bzw. Familien-
sprache sowie der Herkunftskultur der Kinder“ (Ministerium für Bildung, Rheinland-
Pfalz 2004: 40).
Auch in den in verschiedenen österreichischen Bundesländern gegenwärtig noch im
Einsatz befindlichen Bildungsplänen wird auf die lebensweltliche Mehrsprachigkeit der
Kinder mit Migrationshintergrund als Ressource verwiesen, mehr noch, „(…) stehen die
lebensweltliche Mehrsprachigkeit sowie das interkulturelle Lernen als Konzept und als
Bildungsziel im Vordergrund“ (De Cillia und Krumm 2009:12). Im krassen Widerspruch
hierzu verhalten sich jedoch die am stärksten im Einsatz befindlichen Sprachstandsfest-
stellungsinstrumente BESK 4⫺5 (Beobachtungsbogen zur Erfassung der deutschen
Sprachkompetenz 4,5 bis 5-jähriger Kinder) sowie SSFB 4⫺5 (Sprachstandsfeststellungs-
bogen), welche die individuelle Mehrsprachigkeit der Kinder komplett ausblenden.
Als ein zentrales Lehrziel wird in den Bildungs-/Orientierungsplänen der Erwerb
sprachlicher Handlungskompetenz im Deutschen bewertet. Sie betonen, dass „Spracher-
werb ein komplexer, eigenaktiver, konstruktiver Prozess [ist]. Kinder lernen Sprache
nicht nur über Nachahmung, sondern bilden, zunächst unbewusst, eigenständig Hypo-
thesen (…) wobei auch der Prozess des kindlichen Zweitsprachenerwerbs und die beson-
dere Rolle der Erstsprache (Muttersprache) bei Migrantenkindern zu beachten sind“
(Hessisches Sozialministerium / Hessisches Kultusministerium 2007: 66).
Eine unterschiedliche Vorgehensweise zwischen den Bildungs-/Orientierungsplänen
zeichnet sich auch hinsichtlich der Ausführungen bezüglich der Sprachförderung im
Deutschen ab: einige Bildungs-/Orientierungspläne beziehen sich zentral auf das Thema
und haben in der Zwischenzeit umfangreiche Handreichungen vorgelegt, so Niedersach-
sen: Handreichung Fit in Deutsch 2003; Berliner Senatsverwaltung: Handreichung
Deutsch plus 2005; Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein:
Erfolgreich starten. Integratives Sprachförderkonzept 2007; Ministerium für Generatio-
nen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen: Delfin 4 ⫺
Sprachförderorientierungen 2008). Andere Bildungs-/Orientierungspläne, wie beispiels-
weise der bayerische, behandeln das Thema nur am Rande und allgemein.
Im gegenwärtig in Österreich erarbeiteten „Länderübergreifenden Rahmenplan (Bil-
dungsplan) für elementare Bildungseinrichtungen“ bildet die Sprachförderung einen
zentralen Aspekt; ihr ist der gesamte erste Teil des Bildungsplans (Bildungsplan-Anteil
Sprache), der bereits ausgearbeitet vorliegt, gewidmet.
Bereits vor der Fertigstellung der Bildungs-/Orientierungspläne beschlossen nahezu
alle deutschen Bundesländer ⫺ mit Verweis auf die Ergebnisse von Schuleingangsunter-
suchungen ⫺ die Durchführung von Sprachstandserhebungsverfahren sowie daran an-
knüpfend die Entwicklung und Implementierung von Sprachfördermaßnahmen bzw.
-programmen. Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg und Niedersachsen setzten dieses Vor-
haben bereits Anfang der 2000er Jahre in der Weise um, dass sie selbst Verfahren entwi-
ckelten. Andere Bundesländer benötigten für die Konzeption und Implementierung mehr
Zeit. Das DELFIN 4-Screening ist in Nordrhein-Westfalen seit 2008 flächendeckend ver-
bindlich im Einsatz. Baden-Württemberg empfiehlt bis zur flächendeckenden Einführung
des eigenen Verfahrens den Einsatz verschiedener auf dem Markt befindlicher Instru-
mente (vgl. Fried 2004: 27; vgl. auch Art. 146).
Bis auf Bayern und Baden-Württemberg sind alle deutschen Bundesländer dazu über-
gegangen, entweder in der vorschulischen Phase, d. h. im Rahmen des Kindergartenbe-
suchs, oder zur Schuleingangsuntersuchung die Deutschkenntnisse aller Kinder mit und
1088 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

ohne Migrationshintergrund zu überprüfen und darauf aufbauend Sprachfördermaßnah-


men einzuleiten. Diese Sprachförderprogramme finden in Berlin, Niedersachsen und
Hessen in Vorlaufkursen im Umfang von 10 bzw. 12 Monaten vor der Einschulung statt.
Hamburg hat für betroffene Kinder Vorschulklassen an Kindertagesstätten eingerichtet,
in denen seit 2006 ein verlässliches fünfstündiges Unterrichtsangebot an fünf Wochenta-
gen durchgeführt wird (vgl. Vorblatt zur Senatsdrucksache Nr. 2005/0706 vom 15. 06.
2005). In Schleswig-Holstein ist die Sprachförderung in den täglichen Kindergartenalltag
integriert, wo die Kinder eine intensive Sprachschulung in den Monaten zwischen Ein-
schulungsgespräch und Schulbeginn über einen Zeitraum von 20 Wochen Stunden erhal-
ten (Ministerium für Bildung … Schleswig-Holstein 2007:5).
Auch in Österreich traten in den vergangen Jahren bezüglich der Feststellung der
Deutschkenntnisse von Schulanfängern zur Einschulung neue Regelungen in Kraft. Wur-
den bis 2008 die Deutschkenntnisse bei der Schulanmeldung seitens der Schulleitung mit
Hilfe von zu diesem Zweck formulierten Deutschstandards festgestellt, werden sie künf-
tig auf der Grundlage der „Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zur frühen Sprachförde-
rung“ (De Cillia und Krumm 2009: 6) bereits 15 Monate vor der Einschulung mit dem
Ziel einer daran anschließenden Förderphase diagnostiziert.
Die verschiedenen deutschsprachigen Kantone in der Schweiz haben sich unter Feder-
führung des Kantons Zürich ebenfalls darauf geeinigt, ab dem Schuljahr 2008/09 die
Deutschkenntnisse von Kindern beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule
mittels eines geeigneten Sprachstandserhebungsverfahrens zu messen (vgl. Bildungsdirek-
tion Kanton Zürich 2007: 7). Ein größeres Gewicht als der Sprachstandserhebung wird
seitens der Bildungsverantwortlichen jedoch der im Kindergarten von Anbeginn anset-
zenden Sprachförderung durch entsprechend qualifiziertes und professionalisiertes Per-
sonal beigemessen. Die kantonale Regelung in Zürich schreibt beispielsweise vor, dass
die kindliche Sprachentwicklung kontinuierlich begleitet wird und eine Reflexion der
Entwicklungen im pädagogischen Team stattfindet (vgl. Bildungsdirektion Kanton Zü-
rich 2007: 8 f.).
Einige in Deutschland im Einsatz befindliche Sprachstandserhebungsverfahren wur-
den seit ihrer Implementierung kontinuierlich evaluiert und überarbeitet. Hierzu zählen
das Bayerische DaZ-Screening, Fit in Deutsch, HAVAS 5 und DELFIN 4. Evaluiert wur-
den bisher auch die Sprachförderansätze SPRINT in Schleswig-Holstein und Sag’ mal
was in Baden-Württemberg sowie die Vorlaufkurse in Niedersachsen. Die ⫺ personell
wie zeitlich ⫺ aufwendige Beschäftigung mit Sprachstanderhebungsverfahren sowie
Sprachfördermodellen macht deutlich, wie schwierig es für die Verantwortlichen ist, ein
passgenaues Sprachförderkonzept zu formulieren bzw. Verfahren zu entwickeln, die er-
lauben, im Sinne der Gütekriterien valide und im Sinne der Sprachsozialisation der Mi-
grantenkinder einigermaßen objektive Ergebnisse zu liefern, die wiederum die Grundlage
für die Sprachförder-Curricula bilden.
Zusammenfassend lässt sich für den vorschulischen Bereich hinsichtlich der Entwick-
lung und Implementierung von Bildungs- und Orientierungsplänen sowie von Sprach-
standserhebungsverfahren und Sprachförderprogrammen festhalten, dass sie „aus päda-
gogischen Kontexten institutioneller Bildung heraus entstanden“ (Gogolin, Neumann
und Roth 2003: 81), geleitet vom Ziel der Praktikabilität und Handhabbarkeit hinsicht-
lich Umfang, Durchführbarkeit und Personal. Als positiv und zukunftsweisend ist der
Umstand zu bewerten, dass in die Weiterentwicklung die Ergebnisse der begleitenden
Evaluationen einbezogen werden, wodurch ein entscheidender Beitrag zur Verbesserung
der Testgütekriterien erwartet werden kann (vgl. Gogolin, Neumann und Roth 2003: 82).
120. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache 1089

Es wird abzuwarten bleiben, ob es in Deutschland mittel- und langfristig zu einer


länderübergreifenden Angleichung bzw. Abstimmung hinsichtlich der verwendeten
Sprachstandserhebungsverfahren und Sprachförderprogramme sowie der Formulierung
einheitlicher Curricula kommen wird bzw. wie weit sich in Österreich und der Schweiz
trotz der föderalen Strukturen landesweite Konzepte durchsetzen. Entscheidenden Ein-
fluss auf solche Entwicklungen wird die Publikation von Evaluationsergebnissen einzel-
ner Verfahren haben, die verlässliche Auskunft über die Effektivität und Nachhaltigkeit
dieser erlauben werden (vgl. z. B. Klingner 2006: 10 f.).

2. Entwicklungen im schulischen Bereich


Die Ergebnisse der PISA- und IGLU-Studien führten auch dazu, dass sich der bildungs-
politische Blick auf eine nachhaltigere Förderung von Kindern mit Zweitsprache
Deutsch in schulischen Kontexten richtete (vgl. Art. 6⫺8). Die Notwendigkeit einer im
vorschulischen Bereich beginnenden und die Schullaufbahn durchziehenden Deutschför-
derung wird immer stärker auch in demografischer Hinsicht relevant: Nach offiziellen
Zahlen des „Konsortium Bildungsberichterstattung“ haben in Deutschland bereits 2005
ein Drittel der Kinder in der Altersgruppe 0 bis 6 Jahre einen Migrationshintergrund,
von denen die meisten Deutsch als Zweitsprache systematisch erst in institutionellen
Strukturen erlernen (vgl. Deutsches Jugendinstitut 2001).

2.1. Rahmenpläne ür Deutsch als Zweitsprache

Seit Anfang 2000 sind in mehreren deutschen Bundesländern und in Österreich neue
Lehr-/Rahmenpläne für den Bereich Deutsch als Zweitsprache entwickelt und implemen-
tiert worden. Der in Deutschland am weitesten verbreitete ist der vom Bayerischen
Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2001 herausgegebene Lehrplan Deutsch als
Zweitsprache, der in den beiden Bundesländern Berlin und Niedersachsen seit 2002 und
im Land Thüringen seit 2003 in seinen besonderen Teilen unverändert, jeweils ergänzt
um einen landesspezifischen Teil, verwendet wird. Dieser soll im Folgenden exemplarisch
vorgestellt werden: Er ist in seinen besonderen Teilen in unterschiedliche Lernfelder so-
wohl für die Grundschule als auch für weiterführende Schulen, jeweils nach Grund-
und Aufbaukurs, differenziert: „Jedes Lernfeld wird durch Kerninhalte, lexikalische und
syntaktische Mittel sowie Vorschläge für Schüleraktivitäten zum Spracherwerb struktu-
riert. Der Lehrplan ist als Grundlage für verschiedene Unterrichtsformen konzipiert, die
von Übergangs- und Eingliederungsklassen über Intensivkurse bis hin zum Förderunter-
richt in Grundschulen und weiterführenden Schulen reichen. Anders als der sächsische
Lehrplan verfolgt er keine explizite Eingliederungsplanung“ (Gogolin, Neumann und
Roth 2003: 68 f.). Der Lehr-/Rahmenplan basiert auf drei grundlegenden Zielen: Die
Lernenden stehen im Mittelpunkt; der Spracherwerb ist als interaktiver Prozess angelegt
und er findet als interkulturelles Lernen statt (vgl. Rösch 2009). In seiner Berliner Version
wird eine enge Beziehung zur Berliner Handreichung Deutsch als Zweitsprache und dem
dort entwickelten Unterrichtskonzept hergestellt, welche folgende Lehrziele enthält (vgl.
Rösch 2009):
1090 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

⫺ Ziele, Aufgaben und Lerninhalte konzentrieren sich auf sprachliche, kommunikative


und interkulturelle Aspekte und benennen zu entwickelnde Lernstrategien.
⫺ Konzept des integrativen Sprachunterrichts / Sprache entdeckender Deutsch-als-
Zweitsprache-Unterricht.
⫺ Planungsmodelle
⫺ Darstellung einer sprachlichen Progression nach Kompetenzstufen
⫺ Überblick über Besonderheiten der deutschen Sprache.

Das zahlenmäßig größte deutsche Bundesland, Nordrhein-Westfalen, hat gegenwärtig


noch keinen DaZ-Lehr-/Rahmenplan; statt dessen wurden in den vergangenen Jahrzehn-
ten für den schulischen Deutschförderunterricht eine Reihe von Handreichungen publi-
ziert, von denen die erste ⫺ Empfehlungen für den Unterricht ausländischer Schüler
Deutsch als Zweitsprache ⫺ 1983 erschien und noch heute im Einsatz ist und die erste
ihrer Art bundesweit war. Die curricularen Lehrziele in den Handreichungen konzentrie-
ren sich auf den Erwerb einer den Klassenstufen entsprechenden Lese- und Schreibkom-
petenz, Erwerb von Kenntnissen der grammatischen Progression des Deutschen, der Ver-
mittlung kommunikativer Kompetenzen sowie kontrastiv angelegte Vergleiche zwischen
ausgewählten Herkunftssprachen und dem Deutschen. Die aktuelle Handreichung von
2008 formuliert als zentrales curriculares Lehrziel die Entwicklung eines individuellen
Förderplans auf der Grundlage entsprechender Sprachstandsdiagnoseverfahren.
Auch in Österreich wurden zu den in verschiedenen Schulstufen und Schularten vor-
handenen Lehr-/Rahmenplänen für das Fach Deutsch ergänzende Ausführungen
„Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache“ bzw. „Beson-
dere didaktische Grundsätze, wenn Deutsch Zweitsprache ist“ herausgegeben, nach de-
nen Schüler mit nicht ausreichenden Sprachkenntnissen Deutschförderung im Umfang
von bis zwölf Unterrichtsstunden erhalten können (vgl. BMUKK 2007: 31).
Ähnlich wie in Deutschland und Österreich ist auch in der Schweiz Bildungspolitik
dezentral organisiert und untersteht der Verantwortung der jeweiligen kantonalen Zu-
ständigkeit. Da sich die Schweiz jedoch als ein mehrsprachiges Land mit vier offiziellen
und verfassungsrechtlich geschützten Landessprachen versteht, hat die (bildungs)politi-
sche Auseinandersetzung und Förderung von migrationsbedingter Zwei-/Mehrsprachig-
keit eine andere Qualität und fand und findet einen anderen pädagogisch-institutionellen
Niederschlag (vgl. EKD 2004).
In der Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in
Deutsch als Zweitsprache sticht insbesondere der Kanton Zürich hervor und kann mit
seinem Programm „QUIMS“ (Sprachförderung und Qualität in Schulen mit besonders
multikultureller Zusammensetzung) als Vorreiter für die anderen deutschsprachigen
Schweizer Kantone angesehen werden. Hierbei handelt sich um ein kantonweites Schul-
entwicklungsprogramm, welches sich an Schulen mit einem hohen Anteil an Schülerin-
nen und Schülern mit Migrationshintergrund aus sozial benachteiligten Elternhäusern
richtet und bei der die Förderung sowohl von Deutsch als Zweitsprache als auch der
Herkunftssprachen im Zentrum steht (vgl. Bildungsdirektion Kanton Zürich 2007:15).
Der DaZ-Unterricht wird von Lehrkräften erteilt, die zu diesem Zweck entweder einen
Zertifikatslehrgang oder einen Nachdiplomkurs mit 450 Stunden Lernzeit durchlaufen
haben oder mindestens „eine Einführung in die DaZ-Didaktik von 10 Tagen Dauer“
absolvierten (Bildungsdirektion Kanton Zürich 2007: 7).
120. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache 1091

Die Grundlage für die Deutschförderung bilden Handreichungen wie folgende:


⫺ „Qualität in multikulturellen Schulen QUIMS“ (2006)
⫺ „Sprachförderung für eine mehrsprachige Schülerschaft“ (2007),
⫺ Handreichung Sprachförderung in der Schulprogrammarbeit mit Fokus auf Deutsch
für alle und Deutsch als Zweitsprache (2007)
⫺ „sims ⫺ Sprachförderung in mehrsprachigen Schulen“ (2007)
Diese Handreichungen sind durch umfangreiche didaktische Umsetzungsvorschläge ge-
kennzeichnet.

2.2. Organisatorische Rahmenbedingungen


In Deutschland findet der Sprachförderunterricht auf der Grundlage der jeweils bewillig-
ten Lehr-/Rahmenpläne sowie Handreichungen entweder in Förderklassen, in Über-
gangs- und Eingliederungsklassen, in Vorbereitungsgruppen, Vorbereitungsklassen, Vor-
bereitungsklassen mit berufspraktischen Aspekten oder in Regelklassen statt (Rösch
2009; Gogolin, Neumann und Roth 2003: 69). Schleswig-Holstein unterstützt darüber
hinaus seit 2008 die Bildung von Deutsch-als-Zweitsprache-Zentren, die in der Praxis
schulische Netzwerke darstellen, „die in einem dafür festgelegten Einzugsbereich Sprach-
förderangebote für interne und externe Schülerinnen und Schüler anbietet. Bisher konn-
ten 49 DaZ-Zentren mit entsprechenden Sprachförderangeboten installiert werden“ (Mi-
nisterium für Bildung, Schleswig-Holstein 2008: 6).
Für Österreich existieren unterschiedliche Sprachförderprogramme. In dem „Wiener
Modell der Sprachförderung 1⫹1“ ist vorgesehen, beginnend mit dem Schuljahr 2009/
10 Erstklässler mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen nicht mehr in Regelklassen
zu beschulen, sondern Vorschulklassen zuzuweisen, in denen sie gemeinsam mit nicht-
schulreifen Kindern unterwiesen werden sollen, was nach Ansicht von Bildungsexperten
eine schulische Segregation dieser Kinder von Anbeginn bedeutet (vgl. De Cillia und
Krumm 2009: 11).
In den verschiedenen Kantonen der Schweiz wird Sprachförderung entweder im Rah-
men des Regelunterrichts oder aber ergänzend hierzu erteilt. Beispielsweise kennzeichnet
sich der Kanton Zürich durch folgende amtliche Ausführungen (vgl. Bildungsdirektion
Kanton Zürich 2007: 7 f.):
„⫺ Der Kanton regelt, dass ab dem Kindergarten und in allen Schulstufen eine gezielte
Sprachförderung in DaZ für einzelne Lernende und Gruppen, die dies nötig haben, statt-
findet. Die DaZ-Förderung, die entweder den Regelunterricht ergänzt oder in diesen
integriert ist, wird durch eine qualifizierte DaZ-Lehrperson erteilt.
⫺ Der Kanton definiert stufenübergreifend und wo nötig für einzelne Stufen (Kindergar-
ten bis Sekundarstufe 2) Ziele, Anspruchsberechtigte, Mittel (Stundendotation und Fi-
nanzierung), Qualität und Evaluation des zusätzlichen DaZ-Unterrichts. Für DaZ-An-
fänger wird ein intensiver DaZ-Anfangsunterricht, für andere DaZ-Lernende ein DaZ-
Aufbauunterricht vorgesehen.“
Die hohe Bedeutung, welche der Sprachförderung in den verschiedenen Schweizer Kan-
tonen, insbesondere im Kanton Zürich, beigemessen wird, lässt sich auch daran erken-
nen, dass von politischer Seite die finanzielle Absicherung des DaZ-Unterrichts und an-
derer DaZ-Maßnahmen sowie deren personelle Ausstattung höchste Priorität genießt.
1092 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

3. Ausblick
Die Entwicklungen seit Anfang 2000 zeigen, dass nahezu alle deutschen Bundesländer
und Österreich dazu übergegangen sind, der Förderung der Sprachkenntnisse bei Kin-
dern mit Deutsch als Zweitsprache eine Sprachstandsdiagnose voranstellen. In der Zwi-
schenzeit haben Bundesländer wie Hamburg und Schleswig-Holstein Sprachförderpro-
gramme implementiert, welche die Ergebnisse der Sprachstandsdiagnose zur Grundlage
nehmen. In Berlin und Hamburg werden die Deutsch-als-Zweitsprache-Curricula und
Sprachförderprogramme im Sinne der Nachhaltigkeit als durchgängiges ⫺ d. h. alle Bil-
dungsinstitutionen umfassendes ⫺ Konzept umgesetzt und die Qualität durch Bildungs-
standards sichergestellt (Behörde für Bildung, Hamburg 2008a: 5; Senatsverwaltung für
Bildung, Berlin 2009: 8). Einen entscheidenden Beitrag für diese Entwicklung leistete
das von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung
(BLK) zwischen 2004⫺2009 geförderte Modellversuchsprogramm „Förderung von Kin-
dern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund FÖRMIG“, an dem zehn Bundeslän-
der teilnahmen und dessen Ziel darin bestand, in den beteiligten Bundesländern „innova-
tive Ansätze zur Optimierung von sprachlicher Bildung und Förderung (weiter) zu entwi-
ckeln, zu evaluieren, für einen Transfer guter Praxis zu sorgen sowie Ergebnisse für die
Bildungsplanung bereitzustellen“ (vgl. www.blk-foermig.uni-hamburg.de).
Trotz der positiven Entwicklungen der letzten Jahre sind noch einige Desiderata zu
beklagen. So ist vielfach die Zahl der Lehrkräfte, die Kinder mit Deutsch als Zweitspra-
che unterrichtlich fördern (können), noch zu gering; ebenfalls unzureichend ist die Zahl
derer, die bisher eine entsprechende didaktische Förderkompetenz im Rahmen von Fort-/
Weiterbildungen erworben haben. Weiterhin ist Deutsch als Zweitsprache immer noch
nicht überall verpflichtender Bestandteil des Lehramtsstudiums. Oft gibt es lediglich ein
bis zwei Pflichtseminare von geringem zeitlichem Umfang oder relativ kurze, nicht ver-
pflichtende Zusatzstudien (vgl. Art. 149 und 151). Die Bezugnahme auf die Erst/-Her-
kunftssprachen der Schülerinnen und Schüler findet in den meisten Lehramtsstudiengän-
gen ebenfalls nicht statt; damit fehlen angehenden Lehrkräften linguistische und didakti-
sche Kenntnisse hinsichtlich der Fehlerschwerpunkte der Schülerinnen und Schüler im
Deutschen.
Der Nachweis der Effektivität laufender Sprachförderprogramme steht noch aus. Es
ist daher in den kommenden Jahren verstärkt das Augenmerk auf die Quoten der erziel-
ten höherqualifizierenden Schulabschlüsse durch Schüler und Schülerinnen mit Migrati-
onshintergrund zu richten, um zu sehen, ob sich die Bildungsintegration dieser verbes-
sert hat.
Deutlich ist, dass die Frage einer erfolgreichen Bildungsintegration von Schülerinnen
und Schülern mit Migrationshintergrund in den kommenden Jahren massiv an Bedeu-
tung gewinnen wird. Angesichts der Tatsache, dass ausreichende Deutschkenntnisse der
wichtigste Prädiktor für den Bildungserfolg sind (vgl. Stanat 2003), wird die (Wei-
ter-)Entwicklung von Deutsch-als-Zweitsprache-Rahmenplänen sowie darauf aufbauen-
den Sprachförderprogrammen sowohl auf der Ebene von Wissenschaft als auch auf der
Ebene der Bildungspraxis noch stärkere Dringlichkeit erhalten. Die Bildungspolitik lässt
bisher positive Zeichen in diese Richtung teilweise noch vermissen, was als fahrlässige
Ausblendung der Thematik interpretiert werden kann.
120. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache 1093

4. Literatur in Auswahl
Sprachstandserhebungsverahren (Deutschland)

Berliner Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport


2001 Bärenstark. Berliner Sprachstandserhebung und Materialien zur Sprachförderung für Kin-
der in der Schuleingangsphase. Berlin.
Hobusch, Anna
2002 Sprachstandsüberprüfung und Förderdiagnostik für Ausländer- und Aussiedlerkinder (SFD).
Buxtehude: Persen Verlag.
Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg
2004 HAVAS 5 ⫺ Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstandes bei 5-Jährigen. Ham-
burg.
Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-
Westfalen ⫺ MSWWF
2006 DELFIN. 4.Sprachstandsfeststellung zwei Jahre vor der Einschulung. Düsseldorf.
Niedersächsisches Kulturministerium
2002 Fit in Deutsch. Verfahren zur Feststellung des Sprachstandes 10 Monate vor der Einschu-
lung. Hannover.
Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (Hg.)
2002 Kenntnisse in Deutsch als Zweitsprache erfassen. Screening-Modell für Schulanfänger.
München: Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung / Stuttgart: Klett
Verlag.
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin
2005 Deutsch plus. Sprachstandsmessung vor Schuleintritt. Berlin. URL: http://www.berlin.de/
sen/bildung/schulqualitaet/lernausgangsuntersuchungen/ (14. 12. 2009)
Ulich, Michaela und Toni Mayr
2003 Sismik. Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in Kindertagesein-
richtungen (Beobachtungsbogen und Begleitheft). Freiburg: Herder Verlag.

Bildungs-/Orientierungspläne (Deutschland)

Ein Verzeichnis aller Bildungs-/Orientierungspläne ist enthalten: Deutscher Bildungsserver. URL:


http//www.bildungsserver.de/ (14. 12. 2009)

Handreichungen

Bildungsdirektion Kanton Zürich


2007 Sprachförderung für eine mehrsprachige Schülerschaft. Empfehlungen an die Kantone.
Erarbeitet von der Erfa-Gruppe „Migration und Integration“ und Arbeitsgruppe „Sprachen“
der EDK-Ost-Kantone und Fürstentum Liechtenstein. Zürich.
Bildungsdirektion Kanton Zürich
2007 Handreichung Sprachförderung in der Schulprogrammarbeit mit Fokus auf Deutsch für alle
und Deutsch als Zweitsprache. Handreichung für Schulen, die in ihrem Schulprogramm
„Sprache“ als pädagogischen Schwerpunkt setzen wollen. Zürich.
Hessisches Kultusministerium
2002 Deutsch-Frühförderung in Vorlaufkursen. Eine Handreichung für Grundschulen. Wiesbaden.
Landesinstitut für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen
1990 Handreichung Sprachunterricht mit ausgesiedelten Kindern und Jugendlichen. Soest.
1094 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

Niedersächsisches Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales


2002 Wie Kinder sprechen lernen. Entwicklung und Förderung der Sprache im Elementarbe-
reich. Hannover.
Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport Berlin
2001 Handreichung Deutsch als Zweitsprache. Berlin.
Landesinstitut für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen
1999 Förderung in der deutschen Sprache als Aufgabe des Unterrichts in allen Fächern. Soest.
Landesinstitut für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen
2001 Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Familien mit Migrationshintergrund im
Deutschunterricht ⫺ Texte verstehen und schreiben. Soest.
Kompetenzzentrum Sprachförderung Köln
2007 Deutschlernen in mehrsprachigen Klassen der Grundschule, Handreichung Heft 1. Köln.
Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-
Westfalen ⫺ MSWWF
1999 Förderung in der deutschen Sprache als Aufgabe des Unterrichts in allen Fächern. Empfeh-
lungen. Schriftenreihe Schule in NRW Nr. 5008.
Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-
Westfalen ⫺ MSWWF
2008 Von der Sprachstandsdiagnose zur Förderplanung, Instrumente zur Beobachtung und Förde-
rung der individuellen Sprachentwicklung für die Primar- und Sekundarstufe. Düsseldorf.
Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein
2007 Erfolgreich starten Integratives Sprachförderkonzept in Schleswig-Holstein. Kiel.
Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein
2007 Erfolgreich starten. Handreichung für Sprache(n), Zeichen/Schrift und Kommunikation in
Kindertageseinrichtungen. Kiel.
Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft
2007 Handreichungen für die Praxis zum Bildungsprogramm für saarländische Kindergärten.
Weimar/Berlin: Verlag das netz.

Deutsch als Zweitsprache  Lehr-/Rahmenpläne

Ein Verzeichnis aller Deutsch als Zweitsprache Lehr- und Rahmenpläne ist enthalten: Deutscher
Bildungsserver. URL:
http//www.bildungsserver.de/ (14. 12. 2009)

Sekundärliteratur

Barkowski, Hans
2001 Curriculumsentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache. In Gerd Helbig u. a.
(Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch, 810⫺827. Bd. 2. (Hand-
bücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺2). Berlin: De Gruyter.
Baumert, Jürgen und Gundel Schümer
2002 Familiäre Lebensverhältnisse, Bildungsbeteiligung und Kompetenzerwerb im nationalen
Vergleich. In: Deutsches PISA-Konsortium (Hg.), PISA 2000 ⫺ Die Länder der Bundesre-
publik Deutschland im Vergleich, 159⫺202. Opladen: Leske & Budrich.
BLK-Programm Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund FörMig.
URL: http://www.blk-foermig.uni-hamburg.de (14. 12. 2009)
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK); Bundesministerium für Wissen-
schaft und Forschung (BMWF) und Österreichisches Sprachen-Kompetenz-Zentrum
2007 Sprach- und Sprachunterrichtspolitik in Österreich. Wien.
120. Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache 1095

De Cillia, Rudolf und Hans-Jürgen Krumm in Zusammenarbeit mit Andrea Dorner


2009 Die Bedeutung der Sprache. Bildungspolitische Konsequenzen und Maßnahmen. Länderbe-
richt Österreich. Wien: BMUKK.
Gogolin, Ingrid, Neumann, Ursula und Hans-Joachim Roth
2003 Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Gutachten. URL:
http://www.bmbf.de/pub/studie_foerderung_migration.pdf (14. 12. 2009).
Deutsches Jugendinstitut
2001 Treffpunkt deutsche Sprache. Sprachförderung von mehrsprachigen Kindern in Tageseinrich-
tungen. Forschungsansätze ⫺ Konzepte ⫺ Erfahrungen. München.
Ehlich, Konrad u. a.
2005 Anforderungen an Verfahren der regelmäßigen Sprachstandsfeststellung als Grundlage für
die frühe und individuelle Förderung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. (Bil-
dungsreform Bd. 11). Bonn/Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Engin, Havva
2003 „Kein institutioneller Wandel von Schule?“ Bildungspolitische Reaktionen auf Migration in
das Land Berlin zwischen 1990 und 2000 im Spiegel amtlicher und administrativer Erlasse.
Frankfurt a. M.: IKO-Verlag.
Fried, Lilian
2004 Expertise zu Sprachstandserhebungen für Kindergartenkinder und Schulanfänger. Eine kriti-
sche Betrachtung. URL: http://www.dji.de/bibs/271_2232_ExpertiseFried.pdf (14. 12. 2009)
Klingner, Bettina
2006 Die Umsetzung der Bildungspläne im frühkindlichen Bereich als Herausforderung an die
Lernkultur von Erzieher/innen. Eine Untersuchung am Beispiel des Sächsischen Bildungs-
plans. URL: http://www.kita-bildungsserver.de/downloads/download-starten/?did⫽168
(14. 12 .2009)
Konsortium Bildungsberichterstattung
2006 Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und
Migration. Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der
Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Berlin.
Neugebauer, Uwe und Dörte Schott
2006 Endbericht zur Evaluation der Multiplikatorinnen-Qualifizierung, durchgeführt im Rahmen
des Programms „Sag mal was ⫺ Sprachförderung für Vorschulkinder“ der Landesstiftung
Baden-Württemberg. Köln: Univation.
Stanat, Petra
2003 Schulleistungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund: Differenzierung deskripti-
ver Befunde aus PISA und PISA-E. In: Deutsches PISA-Konsortium, (Hg.), PISA
2000 ⫺ Ein differenzierter Blick auf die Länder der Bundesrepublik Deutschland, 243⫺259.
Opladen: Leske & Budrich.

Havva Engin, Heidelberg (Deutschland)


1096 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

121. Curriculumentwicklung und Lehrziele DaZ in der


Erwachsenenbildung: Integrationskurse
1. Integrationskurs: Definition und Zuständigkeiten
2. Der Integrationskurs als Erbe der bundesdeutschen Sprachförderung
3. Integrationskurse: Die Phase der Implementierung
4. Curriculum der Integrationskurse in Österreich
5. Evaluation der Integrationskurse
6. Integrationskurs: Entwicklung eines curricularen Rahmens
7. Literatur in Auswahl

1. Integrationskurs: Deinition und Zuständigkeiten


Als Integrationskurse werden Kurse bezeichnet, die nach gesetzlichen Vorgaben für er-
wachsene Migrantinnen und Migranten verpflichtend zum Erwerb von Aufenthaltstiteln
erforderlich sind (vgl. auch Art. 10). In Deutschland handelt es sich um Deutsch als
Zweitsprache-, Alphabetisierungs- und Orientierungskurse, die durch den Bund im Rah-
men des Zuwanderungsgesetzes gefördert werden. Die Kurse werden durch das dem
Bundesministerium des Innern unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) verwaltet, das sie von privaten und öffentlichen Trägern durchführen lässt. In
Österreich werden Integrationskurse, d. h. Deutsch- und Alphabetisierungskurse, durch
das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz für Migranten und zur Erlangung der Staats-
bürgerschaft vorgeschrieben und vom dem österreichischen Innenministerium zugeord-
neten Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) administriert, der seinerseits Träger für
die Durchführung der Kurse zertifiziert.

2. Der Integrationskurs als Erbe der bundesdeutschen


Sprachörderung
Die Integrationskurse traten 2005 das Erbe einer bereits fast 30 Jahre existierenden,
allerdings bundesweit extrem uneinheitlichen Deutschförderung für Zugewanderte an.
Sie basierten auf dem sog. „Gesamtsprachförderkonzept“, das in den 1990er-Jahren die
bis dahin von verschiedenen Behörden verwalteten und unterschiedlich ausgestatteten
Sprachkursangebote für nach ihrem Aufenthaltsstatus differenzierte Zuwanderergruppen
(vgl. Krekeler 2001: 20) zusammenfasste. Zuvor hatte es vereinzelt Planungshilfen für
den Unterricht, Lehrwerke und Lehrwerksgutachten, auch Fortbildungsangebote, eine
Vielzahl von Trägern und Kursleitende unterschiedlichster Erfahrung und Qualifikation
gegeben, ein übergreifendes, für alle geltendes Curriculum für Deutsch als Zweitsprache
existierte jedoch nicht. Dafür gab es mehrere Gründe: Einerseits war von Seiten der
fördernden Ministerien mehr Aufmerksamkeit auf die Verwaltung und Kontrolle öffentli-
cher Mittel als auf curriculare und didaktische Fragen gelegt worden, andererseits hatte
aber auch die Praxis wenig Interesse an einem einheitlichen Unterrichtsplan geäußert.
121. DaZ in der Erwachsenenbildung: Integrationskurse 1097

Angesichts der großen Heterogenität der Zielgruppe ging das Bestreben vor Ort eher
dahin, ein „Lerner-differenziertes Lernangebot“ (vgl. Barkowski 1982: 215) bereitzustel-
len, um „die nichtlineare Sprachentwicklung, die unterschiedlichen Lernerfahrungen und
die verschiedenen Bedürfnisse und Interessen“ (Krumm 2007: 170) der Zugewanderten
zu berücksichtigen.
Eine wichtige Rolle spielte auch die Tatsache, dass eine Klärung dessen, was die
Deutsch als Zweitsprache-Förderung für Erwachsene curricular bedeutete (einschließlich
einer klaren inhaltlichen Trennung von Deutsch als Zweit- und Deutsch als Fremdspra-
che) noch ausstand und zu diesem Zeitpunkt weder durch die zerstückelte Praxis der
Sprachförderung noch durch die wissenschaftliche Diskussion erbracht wurde. Seit dem
Handbuch für den Deutschunterricht mit Arbeitsmigranten (Barkowski, Harnisch und
Kumm 19862) waren keine umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen zur Deutsch-
didaktik für Zugewanderte mehr erschienen. Die Zeitschrift Deutsch lernen hatte sich
zwar als Forum für Deutsch als Zweitsprache positioniert, grundsätzliche Fragen waren
jedoch noch ungelöst: „Wissen wir genug darüber, wie im Ausland und im Inland gelernt
wird und gelernt werden kann? Was ist noch zu tun, um praxisrelevante Erkenntnisse
darüber zu gewinnen, wie gesteuertes Lernen und ungesteuerter Erwerb tatsächlich för-
derlich oder hinderlich ineinander greifen (…)? Wie hängen Sprache und Integration,
Sprache und Lebensperspektiven miteinander zusammen?“ fragte Reich (2002: 2). Um
solche und andere Fragen neu aufzugreifen und dabei die Vorarbeiten und Kenntnisse
aus der Praxis der zurückliegenden Jahre zu integrieren, hätte es kaum einen günstigeren
Zeitpunkt als die Einführung der Integrationskurse geben können. Eine umfassende
Sprachbedarfsanalyse mit „einer Untersuchung der Sprachlerngeschichten und der Le-
bens- und Lernkontexte der MigrantInnen“ (Krumm 2007: 171) bot sich an. Der Sprach-
bedarf von Zugewanderten wurde jedoch als weitgehend bekannt und verstanden ange-
nommen. Man bezog sich auf
⫺ den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) als
zunächst ausreichende Basis für den Unterricht,
⫺ vorangegangene Evaluationen der deutschen Sprachkursförderung (Social Consult
GmbH 1998 und 1999),
⫺ Erfahrungen von Trägervertretern in der „Bewertungskommission“, einem Experten-
gremium, das das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge berät.

3. Integrationskurse: Die Phase der Implementierung


„Ausländer sollen (…) mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so weit vertraut
werden, dass sie ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des
täglichen Lebens selbstständig handeln können.“ (Bundesregierung und Bundesministe-
rium des Innern 2004a: 1964). Dieses im deutschen Zuwanderungsgesetz verankerte poli-
tische Ziel wird später unter Bezug auf die Lernzielbeschreibungen und Prüfungen des
Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen präzisiert: „Über ausreichende
Kenntnisse der deutschen Sprache nach Absatz 1 Nr. 1 verfügt, wer sich im täglichen
Leben in seiner Umgebung selbständig sprachlich zurechtfinden und entsprechend sei-
nem Alter und Bildungsstand ein Gespräch führen und sich schriftlich ausdrücken kann
(Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen).“ (Bundes-
1098 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

regierung und Bundesministerium des Innern 2007: 2787). In der österreichischen Integ-
rationsvereinbarung wird in vergleichbarer Weise Integration mit der Beherrschung der
deutschen Sprache gleichgesetzt und wird zur Operationalisierung auf den Gemeinsamen
Europäischen Referenzrahmen Bezug genommen.

3.1. Teilnehmende: Anspruch, Berechtigung und Verplichtung

Einen auf zwei Jahre befristeten, gesetzlichen Teilnahmeanspruch haben in Deutschland


Neuzuwandernde, die sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten, sowie Spätaussiedler
und Spätaussiedlerinnen und deren Familienangehörige, wenn sie nach dem 1. Januar
2005 nach Deutschland gekommen sind. Zugewanderte, die bereits länger in Deutsch-
land leben, Bürger der Europäischen Union und deutsche Staatsbürger sind teilnahmebe-
rechtigt, wenn sie nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen
und soweit Kursplätze verfügbar sind. Teilnahmeverpflichtet wiederum sind Zuwanderer,
denen eine besondere „Integrationsbedürftigkeit“ (Bundesregierung und Bundesministe-
rium des Innern 2004b: 3371) attestiert wird. Keine Teilnahmeberechtigung haben Kinder,
Jugendliche und junge Erwachsene, die einer schulischen Ausbildung nachgehen, und
Neuzuwanderer mit erkennbar geringem Integrationsbedarf.
Für den Gesetzgeber ist das wichtigste differenzierende Kriterium im Hinblick auf
den Teilnahmeanspruch der Integrationsbedarf. Insbesondere Eltern minderjähriger Kin-
der, die sich nicht auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können und die
auf staatliche Hilfen angewiesen sind, um ihr Leben in Deutschland aufzunehmen, gelten
als integrationsbedürftig. Andererseits wird von „erkennbar geringem Integrationsbe-
darf“ (Bundesregierung und Bundesministerium des Innern 2004b: 3370) ausgegangen,
wenn der/die Zugewanderte einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss oder ver-
gleichbare Qualifikation vorweisen kann. Integrationsbedarf reflektiert und benennt hier
keine persönliche Bedarfsäußerung, sondern spiegelt die Außensicht, d. h. ob sich der/
die Zugewanderte voraussichtlich ohne staatliche Hilfe in das deutsche (Arbeits-)Leben
eingliedern wird.
Ähnlich verhält es sich auch in Österreich, wo Migranten mit am Arbeitsmarkt er-
wünschten Qualifikationen, d. h. Inhaber der sog. „Niederlassungsbewilligung ⫺ Schlüs-
selkraft“, und deren Familienangehörige von der Erfüllung der Integrationsvereinbarung
ausgenommen sind.

3.2. Heterogenität der Zielgruppe

Der beträchtlichen Heterogenität der Zielgruppe wird im Konzept für einen bundesweiten
Integrationskurs, das die Integrationskursverordnung weiter operationalisiert, durchaus
Raum eingeräumt. Als Konsequenz wird auf die Notwendigkeit einer Kursdifferenzie-
rung nach Leistung hingewiesen. Entsprechend der persönlichen Voraussetzungen der
Kursteilnehmer sollen „Kurse mit langsamer, durchschnittlicher und schneller Progres-
sion“ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2005a: 8) gebildet werden. Weiterhin
werden spezielle Zielgruppen definiert, für die „ein besonderer Unterricht oder ein erhöh-
ter Betreuungsaufwand erforderlich ist“ (Bundesregierung und Bundesministerium des
121. DaZ in der Erwachsenenbildung: Integrationskurse 1099

Innern 2004b: 3373) und die daher in der Ausgestaltung des Integrationskurses besondere
Berücksichtigung finden:
⫺ Zugewanderte mit Alphabetisierungsbedarf,
⫺ Frauen bzw. Eltern, die aus familiären oder kulturellen Gründen keinen allgemeinen
Integrationskurs besuchen können,
⫺ nicht mehr schulpflichtige junge Erwachsene (bis 27 Jahre), die sich auf den Besuch
weiterführender Schulen oder Hochschulen bzw. die Aufnahme einer Ausbildung vor-
bereiten,
⫺ Zugewanderte, die seit längerer Zeit in Deutschland leben, ihre Deutschkenntnisse
jedoch im außerunterrichtlichen Sprachkontakt erworben haben.
Es wären viele andere differenzierende Kriterien zu nennen, denn die Zielgruppe ist durch
besondere Heterogenität gekennzeichnet: Ausgangssprachen, Alter, Lebensumstände,
Motivation, Zielsprachenkontakt und viele mehr. Forschung dazu, welchen (unterschied-
lichen) Lernbedarf diese unterschiedlichen Menschen haben und welcher Unterricht für
sie angemessen ist, steht weitgehend aus.
Im Rahmencurriculum für den österreichischen Integrationskurs wird keine Außen-
differenzierung gefordert. Der Unterricht hat vielmehr „durch seine Methodik der Viel-
falt der Lerntypen gerecht zu werden und unter Bedachtnahme auf die Binnendifferenzie-
rung Raum für die Kursteilnehmer zu schaffen, damit sich diese durch den Unterricht
persönliche Interessensprofile und Handlungsspielräume erarbeiten können.“ (Bundes-
ministerin für Inneres 2005b: Anlage B)

3.3. Grundstruktur des Integrationskurses

Der deutsche Integrationskurs umfasst einen Deutschkurs von 600 Unterrichtseinheiten


(UE), unterteilt in einen Basis- und einen Aufbausprachkurs (mit jeweils drei Modulen
à 100 UE). An den Deutschkursteil schließt ein Orientierungskurs von 45 Unterrichtsein-
heiten zur Vermittlung von Grundkenntnissen über die deutsche Rechtsordnung, Kultur
und Geschichte an. Im Vergleich dazu hat der österreichische Integrationskurs mit 300
(ursprünglich sogar nur 100) UE und einem vorgelagerten Alphabetisierungsmodul von
75 UE einen erheblich geringeren Förderumfang. Die Ziele und Inhalte des deutschen
Integrationskurses orientieren sich am Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für
Sprachen. Im Basissprachkurs sollen die Teilnehmer Kenntnisse und Fähigkeiten erwer-
ben, die hier mit dem Niveau A2, im Aufbausprachkurs solche, die mit dem Niveau
B1 definiert sind. Der thematische Schwerpunkt im Sprachkurs soll aber auch auf der
„Alltagsorientierung beziehungsweise auf der Vermittlung von Alltagswissen“ liegen
(Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2005a: 9). Methodisch wird Wert auf erwach-
senengerechtes Lernen, Teilnehmerorientierung, einen partnerschaftlichen Umgang der
Lernenden und Lehrenden und die Förderung der Eigenverantwortung gelegt. Dass sich
hier ein Dilemma ergibt, zeigt sich beispielsweise an den angeführten Themenlisten, die
sich nur geringfügig von denen unterscheiden, die der Gemeinsame Europäische Referenz-
rahmen für Sprachen „für vorübergehende Besucher, die voraussichtlich nicht am Berufs-
und Bildungsleben des Landes teilnehmen werden“ (Europarat 2001: 58), nennt. Zahlrei-
che Fragen sind hier noch ungelöst: Wie verhält sich die Alltagsorientierung der Kurse zu
deren Prüfungszielen? Wie ist das unterrichtliche mit dem außerunterrichtlichen Lernen
1100 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

verknüpft? Sind die Orientierungsziele im Orientierungskurs am richtigen Platz? Und vor


allem: Wie soll ein teilnehmerorientierter Unterricht angesichts der Integrationslehrziele
konkret aussehen?

3.4. Sprachstandseststellungen

Die Integrationskursverordnung legt Sprachstandsfeststellungen zu Beginn, im Verlauf


und zum Ende des deutschen Integrationskurses fest (vgl. Art. 146). Der Einstufungstest
soll dazu dienen, Zugewanderte in die richtige Kursstufe, gegebenenfalls auch in einen
Alphabetisierungskurs, einzustufen. Zur Überprüfung des Lernerfolgs nach dem Basis-
bzw. Aufbausprachkurs sieht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Zwischen-
tests vor und empfiehlt dafür (2005a: 16) „als nicht sanktionierte Tests“ die vom Goethe-
Institut entwickelten Tests Start Deutsch 1 beziehungsweise Start Deutsch 2. Mit dem
Bestehen der Abschlussprüfung zum „Zertifikat Deutsch“ hat ein Teilnehmer das Niveau
B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen und damit die offiziel-
len Lehrziele des Integrationskurses erreicht.
In Österreich wird das Ziel der Integrationskurse durch das Erreichen des A2-Niveaus
des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen in Form einer verpflichten-
den Prüfung nachgewiesen.

3.5. Zusatzqualiizierung ür Kursleitende

In Deutschland müssen Lehrkräfte in Integrationskursen ein DaF- bzw. DaZ-Studium


abgeschlossen haben oder die erfolgreiche Teilnahme an einer Zusatzqualifizierung nach-
weisen. Anhand der Merkmale des DaZ-Unterrichts wurde ein differenziertes Anforde-
rungsprofil für Lehrkräfte erstellt, das die Grundlage für die Definition der Ziele, Inhalte
und Methoden dieser Qualifizierung bildet, die Konzeption für die Zusatzqualifizierung
von Lehrkräften im Bereich Deutsch als Zweitsprache (vgl. Buhlmann 2005). Diese Kon-
zeption ist für den Bereich Deutsch als Zweitsprache für Erwachsene insofern bedeutsam,
als hier zum ersten Mal die inhaltlichen und methodischen Anforderungen an die In-
tegrationskurse definiert werden (so z. B. Handlungsorientierung, Lernerorientierung, In-
terkulturelles Lernen), auch wenn einige für den Bereich relevante Qualifizierungsziele
(Verknüpfung von unterrichtlichem und außerunterrichtlichem Lernen, Umgang mit
Fossilisierungen, Einbeziehung der individuellen Mehrsprachigkeit u. a.) keine Berück-
sichtigung fanden (vgl. Art. 149 und 151).
In der österreichischen Integrationsvereinbarung werden die Anforderungen an die
Lehrenden sehr viel weniger detailliert formuliert (vgl. Bundesministerin für Inneres
2005b). Erwartet wird neben der allgemeinen Ausrichtung auf die Integration der Mi-
granten in die österreichische Gesellschaft die Orientierung an den im Rahmencurricu-
lum festgehaltenen Inhalten, die Bereitschaft zur Durchführung eines teilnehmerorien-
tierten und persönlich bedeutsamen Unterrichts sowie das Verständnis von Lehren und
Lernen als Kontaktprozess zur Umwelt. Eine Qualifizierung, die Lehrkräfte auf die Tä-
tigkeit in den Integrationskursen vorbereitet bzw. sie beruflich begleitet, ist nicht vorgese-
hen.
121. DaZ in der Erwachsenenbildung: Integrationskurse 1101

4. Curriculum der Integrationskurse in Österreich

Entsprechend seinem Auftrag, sowohl Alphabetisierungskurse für primäre und sekun-


däre Analphabeten und Deutsch-Integrationskurse für erwachsene Migranten zu fördern,
hat der Österreichische Integrationsfonds zwei Rahmencurricula (Anlage A und Anlage
B zur Integrationsvereinbarungs-Verordnung) entwickelt. Das hier betrachtete Rahmen-
curriculum für die Integrationskurse in Österreich (zur Alphabetisierung siehe Art. 123)
bietet lediglich Leitlinien in Bezug auf Inhalte und Methoden und verweist im Übrigen
auf die Lernzielbeschreibungen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für
Sprachen. Inhaltlich werden zwei Teilbereiche unterschieden: „Alltag“ mit den Bereichen
⫺ Eigene Identität
⫺ Wohnen (Wohnformen)
⫺ Ernährung (Lebensmittel, alltägliche Versorgung, Geld)
⫺ Gesundheit (Arztbesuch, Krankenhausaufenthalt)
⫺ Verkehr (Verkehrsmittel, Orientierung)
⫺ Ausbildung (Schule, Fortbildung)
⫺ Arbeit und Beruf (Wirtschaft, spezifische Berufsbereiche)
⫺ Freizeit (kulturelle Aktivitäten, Sport)
und „Staat und Verwaltung“ mit den Themen
⫺ Grundwerte einer europäischen demokratischen Gesellschaft
⫺ Staatsform
⫺ Politische Institutionen
⫺ Bundesländer
⫺ Bürokratiebewältigung
⫺ Sozialsystem in Österreich
⫺ Verträge
Wie lange und in welcher Reihenfolge die Module im Unterricht behandelt werden, wird
nicht festgelegt. Vielmehr wird empfohlen, „sich am Informationsbedarf der Lernenden
zu orientieren“. Die Alltagsorientierung soll durch einen hohen authentischen Input ge-
währleistet werden. Unklar bleibt, wie auf der Niveaustufe A2 die Themen aus dem
Bereich von Staat und Verwaltung sprachlich angemessen bearbeitet werden können.

5. Evaluation der Integrationskurse

Wie im Gesetz vorgesehen, wurden die Integrationskurse in Deutschland im Verlauf des


Jahres 2006 einer Evaluation unterzogen. Sie empfahl eine „Schwerpunktverlagerung
von verfahrens- auf zielorientierte Erfolgssteuerung im Sinne von modernem, öffentli-
chem Management“ (Rambøll Management 2007: 162) und in diesem Sinne für alle In-
tegrationskursteilnehmer verpflichtende Abschlusstests. Der Gesetzgeber folgte den hier
ausgesprochenen Empfehlungen. Die überarbeitete Integrationskursverordnung sieht vor:
a. einen für alle Teilnehmenden verpflichtenden skalierten Abschlusstest auf dem Niveau
A2 und B1,
1102 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

b. eine Wiederholungsmöglichkeit des Aufbausprachkurses für Teilnehmende, die in der


Abschlussprüfung das Niveau B1 nicht erreicht haben,
c. eine Anhebung der Stundenzahl für den Orientierungkurs von 30 auf 45 sowie einen
bundeseinheitlichen Test zum Orientierungskurs,
d. eine Anhebung der Stundenzahl auf insgesamt 945 für die speziellen Integrationskurse
für Eltern und Frauen, Jugendliche, Personen mit Alphabetisierungs- bzw. besonde-
rem „sprachpädagogischen Förderbedarf “ (Bundesregierung und Bundesministerium
des Innern 2007: 2790).
Für die Integrationskurse in Österreich liegt keine öffentlich zugängliche Evaluation vor.

6. Integrationskurs: Entwicklung eines curricularen Rahmens


Das seit 2008 für den deutschen Integrationskurs vorliegende Rahmencurriculum für In-
tegrationskurse Deutsch als Zweitsprache wurde im Auftrag des BAMF vom Goethe-
Institut entwickelt. Es sollte ein Werkzeug der Qualitätssicherung und Vereinheitlichung,
eine migrantenspezifische Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für
Sprachen und damit eine „Grundlage der Testentwicklung sowie der Qualitätskontrolle
in Zusammenhang mit der Zulassung von Lehrmaterialien“ (Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge 2005c: 2) sein. Das Rahmencurriculum zielt darauf, im Sinne gesell-
schaftlicher Teilhabe und Chancengleichheit die sprachliche Handlungsfähigkeit von Zu-
gewanderten zu fördern und soll „vorrangig an den Zielen, Bedürfnissen und Lernvo-
raussetzungen der Zugewanderten ausgerichtet“ (Buhlmann et al. 2008: 9) sein.
Im Zusammenhang mit seiner Erstellung wurden erste Sprachbedarfsanalysen durch-
geführt: eine Befragung von Institutionen, Kursträgern, Kursleitenden und -teilnehmen-
den (Ehlich, Montanari und Hila 2007) sowie eine Befragung von Teilnehmenden (unver-
öffentlicht). Diese Bedarfserhebungen ergaben, dass Zugewanderte sprachliche Handlun-
gen in den folgenden Handlungsfeldern ausführen:
⫺ Ämter und Behörden
⫺ Arbeit
⫺ Arbeitssuche
⫺ Aus- und Weiterbildung
⫺ Banken und Versicherungen
⫺ Betreuung und Ausbildung der Kinder
⫺ Einkaufen
⫺ Gesundheit
⫺ Mediennutzung
⫺ Mobilität
⫺ Unterricht
⫺ Wohnen
Weiterhin nennt das Rahmencurriculum auch sprachliche Kompetenzen, die in unter-
schiedlichen Kontexten immer wiederkehren, und ordnet diese in übergreifende Kommu-
nikationsbereiche:
⫺ Umgang mit der Migrationssituation
⫺ Realisierung von Gefühlen, Haltungen und Meinungen
121. DaZ in der Erwachsenenbildung: Integrationskurse 1103

⫺ Umgang mit Dissens und Konflikten


⫺ Gestaltung sozialer Kontakte
⫺ Umgang mit dem eigenen Sprachenlernen
Die den Handlungsfeldern bzw. Kommunikationsbereichen zugeordneten Lernziele wur-
den nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen kalibriert. Da
Zugewanderte komplexe Handlungen auch schon nach kurzer Aufenthaltsdauer ausfüh-
ren müssen, finden sich schon auf Stufe A1 komplexere sprachliche Handlungen, wie
z. B. „Kann mit einfachen Worten über die Schullaufbahn des Kindes im Herkunftsland
berichten“, die jedoch zu realisieren sind, wenn „der Partner langsam und klar spricht,
zu langsameren Wiederholungen und Umformulierungen bereit ist und jederzeit beim
Formulieren hilft“ (Glaboniat et al. 2002: 75). Hier sollen demnach die qualitativen Be-
schreibungen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen hinzugezogen
werden. Die Lernziele sollen jedoch nicht nur auf einer bestimmten Stufe vorkommen,
sondern in zyklischer Progression immer wieder aufgenommen werden.
Das Rahmencurriculum listet darüber hinaus auch landeskundliche und interkultu-
relle Lernziele auf und stellt sie den Handlungsfeldern als Passepartout-Kompetenzen
voran. Bei den landeskundlichen Lernzielen handelt es sich um Wissensziele, durch deren
Benennung das Rahmencurriculum wesentliche Aspekte des Orientierungskurses in den
Integrationskurs einbezieht. Bei den interkulturellen Lernzielen geht es darum, die Wahr-
nehmung zu erweitern für Vergleiche und für Handlungsmuster, die zuvor nicht bewusst
waren, und das interkulturelle Verstehen zu fördern. Für die Lernziele sind Formulierun-
gen wie „Ist sensibilisiert für den kulturellen Unterschied …“ gewählt.
Das Rahmencurriculum versteht sich nicht als Lehrplan, sondern gibt ein Maximalan-
gebot, aus dem Lehrwerksautoren, Prüfungsentwickler etc. zielgruppenbezogen auswäh-
len können. Es bleibt den Anwendern auch überlassen, lexikalische und morphosyntakti-
sche Lerninhalte auf der entsprechenden Niveaustufe und für die jeweilige Zielgruppe zu
definieren bzw. zu beschreiben. Diese lassen sich jedoch, so die Autorinnen, leicht aus
den „konkreten, durch Handlungsfeld, Situation, Beispiel und Aktivität spezifizierten
Lernziel[en]“ (Buhlmann et al. 2008: 18) ableiten.
Parallel und in Abstimmung zu dem Rahmencurriculum wurde vom Goethe-Institut
ein neuer Deutsch-Test für Zuwanderer entwickelt, der skaliert ist, d. h. dass mit einer
Prüfung zwei Niveaustufen abgedeckt werden. In jedem Prüfungsteil ⫺ Hören, Lesen,
Schreiben und Sprechen ⫺ können die Teilnehmenden entweder die Stufe A2 oder B1
erreichen. Auf dem Zertifikat wird das Ergebnis differenziert dargestellt. Das Spannungs-
feld, in dem sich das Rahmencurriculum bewegt, nämlich sowohl bedarfsgerecht sein zu
wollen, als auch Werkzeug für die Qualitätskontrolle und Testerstellung sein zu müssen,
spiegelt sich in den Herausforderungen an den Deutsch-Test für Zuwanderer als Instru-
ment der Leistungsmessung, das gleichzeitig die Situation von Zugewanderten berück-
sichtigt. Jedes Prüfungsitem musste daraufhin analysiert werden, ob es authentisch und
alltagsrelevant ist, ob es für alle Teilnehmenden in der heterogenen Zielgruppe geeignet
ist, auch für diejenigen, die wenig Erfahrung mit schulischem Lernen haben und über
ein möglicherweise geringes Wissen über deutsche Verhältnisse verfügen und ob es nicht
Vorbehalte oder traumatische Erlebnisse wachruft. Dies ist eine höchst sensible Aufgabe,
auch weil der Gesetzgeber einen Nachweis aufenthaltsrechtlicher Voraussetzungen mit
dem Prüfungserfolg verbindet. Ob der Spagat gelingt oder eine auf Dauer nicht haltbare
Zerreißprobe wird, wird sich erst in Zukunft herausstellen.
1104 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

7. Literatur in Auswahl
Barkowski, Hans
1982 Kommunikative Grammatik und Deutschlernen mit ausländischen Arbeitern. Königstein:
Scriptor.
Barkowkski, Hans
2001 Curriculumentwicklung und Lehrziele Deutsch als Zweitsprache. In: Gerhard Helbig,
Lutz Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein
internationales Handbuch, 810⫺827. Bd. 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikati-
onswissenschaft 19.1⫺2). Berlin und New York: de Gruyter.
Barkowski, Hans, Michael Fritsche, Richard Göbel u. a.
1986 Hans-Jürgen Krumm (Hg.), In: Deutsch für ausländische Arbeiter. Gutachten zu ausge-
wählten Lehrwerken. 3. Aufl. Mainz: Manfred Werkmeister.
Barkowski, Hans, Ulrike Harnisch, Ulrike und Sigrid Kumm
1986 Handbuch für den Deutschunterricht mit Arbeitsmigranten. 2. bearb. Aufl. Mainz: Man-
fred Werkmeister.
Buhlmann, Rosemarie
2005 Konzeption für die Zusatzqualifizierung für Lehrkräfte Deutsch als Zweitsprache. Erarbei-
tet vom Goethe-Institut im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.
Nürnberg: BAMF.
Buhlmann, Rosemarie, Karin Ende, Susan Kaufmann, Angela Kilimann und Helen Schmitz
2008 Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache. Erstellt im Auftrag des
Bundesministeriums des Innern. Nürnberg: BAMF und München: Goethe-Institut.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
2005a Konzept für einen bundesweiten Integrationskurs. Nürnberg: BAMF.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
2005b Protokoll der konstituierenden Sitzung der Bewertungskommission. Nürnberg: BAMF.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
2005c Protokoll der 3. Sitzung der Bewertungskommission. Nürnberg: BAMF.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
2008 Liste zugelassener Lehrwerke. Nürnberg: BAMF.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
2008 Liste der zugelassenen Lehrwerke für den Integrationskurs (Stand: November 2008). Nürn-
berg: BAMF.
Bundesministerin für Inneres
2005a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz §§ 14⫺16. In: Bundesgesetzblatt für die Republik
Österreich I Nr. 100.
Bundesministerin für Inneres
2005b Verordnung der Bundesministerin für Inneres über die Integrationsvereinbarung (Integra-
tionsvereinbarungs-Verordnung ⫺ IV⫺V). In: Bundesgesetzblatt für die Republik Öster-
reich, 449. Verordnung.
Bundesregierung und Bundesministerium des Innern
2004a Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufent-
halts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz). In:
Bundesgesetzblatt, Teil 1 Nr. 41, 1950⫺2011. Bonn: Bundesministerium der Justiz.
Bundesregierung und Bundesministerium des Innern
2004b Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaus-
siedler (Integrationskursverordnung ⫺ IntV). In: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2004, Teil
1 Nr. 68, 3370⫺3375.
Bundesregierung und Bundesministerium des Innern
2007 Erste Verordnung zur Änderung der Integrationskursverordnung. In: Bundesgesetzblatt,
Teil 1 Nr. 61, 2787⫺2692.
121. DaZ in der Erwachsenenbildung: Integrationskurse 1105

Ehlich, Konrad, Elke Montanari und Anna Hila


2007 Recherche und Dokumentation hinsichtlich der Sprachbedarfe von Teilnehmenden an Integ-
rationskursen DaZ ⫺ InDaZ ⫺ im Rahmen des Projektes des Goethe-Instituts zur Erstel-
lung eines Rahmencurriculums für Integrationskurse. München: Goethe-Institut.
Europarat (Hg.)
2001 Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin/
München: Langenscheidt.
Glaboniat, Manuela, Martin Müller, Helen Schmitz, Paul Rusch und Lukas Wertenschlag
2002 Profile Deutsch. Lernzielbestimmungen, Kannbeschreibungen und kommunikative Mittel für
die Niveaustufen A1, A2, B1 und B2 des „Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für
Sprachen“. Berlin/München: Langenscheidt.
Krekeler, Christian
2001 Sprachförderung für Spätaussiedler: ein erfolgreiches Auslaufmodell. Deutsch als Zweit-
sprache 1: 13⫺22.
Krumm; Hans-Jürgen
2007 Ein Curriculum für Integrationssprachkurse sollte mehr leisten als die Legitimierung von
Prüfungen. In: Ruth Eßer und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Bausteine für Babylon: Spra-
che, Kultur, Unterricht. Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans Barkowski, 170⫺182.
München: iudicium.
Maas, Utz und Ulrich Mehlem
2003 Qualitätsanforderungen für die Sprachförderung im Rahmen der Integration von Zuwande-
rern. (IMIS Beiträge 21.) Osnabrück: IMIS.
Rambøll Management
2006 Evaluation der Integrationskurse nach dem Zuwanderungsgesetz. Abschlussbericht und Gut-
achten über Verbesserungspotenziale bei der Umsetzung der Integrationskurse. Bundesmi-
nisterium des Innern (Hg.). Berlin: Rambøll Management.
Reich, Hans H.
2002 Was ist Deutsch als Zweitsprache? Deutsch als Zweitsprache 4: 2.
Social Consult GmbH
1998 Sprachförderung von Spätaussiedlern. Endbericht für das Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend. Social Consult GmbH: Bonn 1998.
Social Consult GmbH, Infratest Burke Sozialforschung GmbH, Fachbereich Deutsch als Fremd-
sprache der Universität Essen
1999 Evaluation der Sprachförderung Deutsch für ausländische Arbeitnehmer. Integrierter End-
bericht für das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. (Forschungsbericht
274). BMA: Bonn.
Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e. V.
1990 Fragen zur Beurteilung von Lehrwerken in Kursen, die vom Sprachverband Deutsch für
ausländische Arbeitnehmer e.V. gefördert werden. Deutsch lernen 1: 43⫺68.

Susan Kaufmann, Mainz (Deutschland)


1106 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

122. Sprachliche und kulturelle Vielalt im Deutsch


als Zweitsprache-Unterricht
1. Ausgangssituation
2. Selbstbild und Zweitsprachlernen im sozialen Kontext
3. Sprachliche Vielfalt im DaZ-Unterricht
4. Kulturelle Vielfalt im DaZ-Unterricht
5. Materialien und Hilfsmittel
6. Literatur in Auswahl

1. Ausgangssituation

Sprachliche und kulturelle Vielfalt sind Grundgegebenheiten der Lerngruppen in


Deutsch als Zweitsprache. Kinder und Jugendliche kommen aus unterschiedlichen Kon-
texten und mit unterschiedlichen, teils auch problematischen Welterfahrungen in den
DaZ-Unterricht, haben meist verschiedene Ausgangssprachen erworben und je eigene
Sprachlernwege durchlaufen. Der Wechsel von Sprache und Milieu bringt Verunsiche-
rungen mit sich, hinzu tritt die neue Erfahrung, dass vieles Bisherige im Zielsprachenland
anders bewertet wird als in der Herkunftsgruppe, auch die lernende Person selbst wird
oftmals geringer eingeschätzt. Der Anfang des Zweitsprachenlernens erfordert von den
Lernenden, sich auf Neues einzulassen und sich als Lernende neu zu konzipieren, auch
wenn sie in Erstsprache und Erstsprachengruppe schon altersgemäß sprechen und han-
deln konnten oder sogar eine stabile Identität ausgebildet hatten.
Eine DaZ-Lerngruppe kann sich zusammensetzen aus Lernenden derselben Aus-
gangssprache und -kultur oder aus Lernenden verschiedener Ausgangssprachen und -kul-
turen. Im zweiten Fall bringen die Lernenden ihre Sprachen und Kulturen in den Unter-
richt mit und machen ihn schon dadurch sprachlich und kulturell vielfältig. Im ersten
Falle begegnen die Lernenden anderer Erstsprache(n) der Sprache und Kultur des Auf-
nahmelandes, mit der sie sich auseinandersetzen. Es wäre jedoch ein vorschneller Schluss,
diese Situation auf eine bikulturelle zu verengen, in der zwei homogene Sprachen aufein-
ander träfen, im Gegenteil, unsere Sprachen und Kulturpraxen weisen vielfältige interne
Varianten auf, die immer zum Entdecken der Anderen auffordern (vgl. Art. 34).
Im Unterricht in der Zweitsprache stellt sich von Seiten der Lernenden der Vergleich
des Neuen mit dem Bisherigen zwangsläufig ein. Viele DaZ-Lernende möchten im Unter-
richt ihre Kulturerfahrungen, ihre bisherigen Sprachen, ihre Sprachlerntheorien und ihre
Funde aus dem Sprachvergleich spontan zum Ausdruck bringen, wozu ihnen allerdings
anfangs die Sprachmittel fehlen und wozu sie von den Unterrichtenden meist auch nicht
ermutigt werden („Das gehört jetzt nicht hierher. Bleib beim Thema!“).
Das Interesse von DaZ-Lernenden, ihre Befunde und Einstellungen bezüglich der
alten und auch der neuen Sprachen und Kulturen zu besprechen, lässt sich erkennen,
sobald die Lernenden in der Lage sind, sich zu artikulieren. Die folgenden Beispiele
belegen das für die Sprachbereiche Lautung, Lexik und Semantik, aber auch für Gram-
matik und Orthografie:
122. Sprachliche und kulturelle Vielfalt im Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1107

7⫺8 Jahre:
Lautung & Lexik
S 1: bär das ist kasachisch gib mir\
S 2: und spanisch gib mir heißt dame\
Grammatik: Artikel
S 3: bei deutsche mit artikel\
S 4: aber türkisch moschee schreibt man ohne artikel\
9⫺10 Jahre:
Orthografie
S 4: russisch gibt’s mehr buchstaben als deutsch\
Grammatik: Wortbildung
S 5: zahlen immer falsch ⫺* zwanzig vier\
Jugendliche:
Grammatik: Artikel
S 6: immer hab probleme mit die artikel\
Lautung und Orthografie
S 7: wir haben kein w und kein y/* dafür aber mehr zischlaute\
Grammatik: Gebrauch des Pronomens und Interpretation
S 8: deutsche sagen immer ich\* sagt man polnisch gar nicht\* wir sind mehr bescheiden\
Legende der Minimaltranskriptionen:
S1 ⫽ SchülerIn mit Zählnummer
/ ⫺ \ ⫽ Intonationskurve aufwärts, gleich bleibend, abwärts
* ⫽ sehr kurze Pause
Transkript 122.1.

Wie die letzte Äußerung zeigt, sprechen DaZ-Lernende auch gern über ihre lebensweltli-
chen Erfahrungen und Vorstellungen, wenn es ihnen im Unterricht ermöglicht wird. Sie
vergleichen die Lebensart im Herkunftsland mit der im Zielsprachenland: Kleidung, Es-
sen, Familie, Wohnen, Verkehr, Berufe, Gender, Technik usw. Dazu drei kleine Textaus-
schnitte:

9 Jahre:
S 9: ich finde türkei schön weil da immer so blüten⫺* sind und da gibt’s auch viele früchte da
kann man auch* viel spielen da gibt’s nicht viel autos\** die machen die da⫺* sind nicht
gefährlich\
S 10: das ist ein ast\* und dann die machen den boden rein⫺* und kühe ziehen\* reißt boden auf/*
aber traktor wär besser\
Jugendlicher:
S 11: sport nicht schön hier\ alles muss selber machen\* zuhause diener bringen/* handtuch war-
mes wasser für bad\* und tee\
Transkript 122.2.

Das Bedürfnis nach der Äußerung bisheriger Erfahrungen manifestiert sich nicht nur
in solchen Sprechpassagen. Beobachtungen legen nahe, dass das Unterdrücken solcher
Äußerungen zu nachlassendem Interesse der Lernenden am Unterricht führt. Sie fühlen
sich dann nicht wirklich akzeptiert als die, die sie sind und die etwas zu sagen haben,
und vermuten daher, der Unterricht sei nicht an sie adressiert (Oomen-Welke 2008b:
1108 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

486 f.). Die fatale Folge ist das Abwenden der Aufmerksamkeit von Unterricht und
Deutschlernen.
Für Modelle und theoretische Ansätze zu diesen Fragen sei auf Kap. VIII, Artikel
89⫺91 und auf Holstein und Oomen-Welke 2006 Kap. 5 verwiesen.

2. Selbstbild und Zweitsprachlernen im sozialen Kontext

Gerade im DaZ-Unterricht, der für viele Lernende die erste institutionelle Begegnung
mit Sprache und Kultur des Aufnahmelandes ist, müssen Befindlichkeit und bisherige
Erfahrungen der Lernenden eine Rolle spielen. Der DaZ-Unterricht selbst findet meis-
tens in Form von Vorbereitungsklassen bzw. Sprachlernklassen, in DaZ-Kursen oder in
einzelnen bzw. regelmäßigen Förderstunden statt; neuerdings gibt es auch Feriencamps
(Decker 2008 zu Vorbereitungsklassen und ihren Faktoren; Rösch 2007 zu Feriencamps;
Rösch 2008 zu DaZ-Kurs oder Lernbegleitung).
DaZ-Lernende kommen nicht als unbeschriebene Blätter, sondern als werdende oder
schon reife Persönlichkeiten mit ihren eigenen Sprachen in den Kurs. Zunächst einmal
haben viele Lernende Angst vor der neuen Situation. Sie geraten oft in eine Umgebung,
die widerständig ist und negative Fremdbilder konstruiert. Hier sind auch Identitäts-
und Motivationsfragen betroffen, denn DaZ-Lernende haben Handlungs- und kulturelles
Wissen, das in der deutschsprachigen Schule zunächst verborgen bleibt, jedoch ein Poten-
zial für den weiteren Unterricht sein kann. DaZ-Lernende können sich allerdings anfangs
nur mit Schwierigkeiten sprachlich verständigen, umso mehr sind sie auf Beobachtbares
und Interpretationen angewiesen, wobei Fehldeutungen nicht ausgeschlossen sind. In
dieser Situation ist es schwer, bei kritischen Rückmeldungen zwischen sach- und perso-
nenbezogener Kritik zu unterscheiden; es entsteht die Gefahr der Misserfolgsmotivierung
(„Das kann ich wieder nicht!“ nach Schmalt 1988), die schon per se Erfolge als zufällig
und Versagen als normal erleben lässt und im Weiteren den Lernerfolg zu einem großen
Teil verhindert, weil die Lernenden selbst nicht daran glauben. Die seit PISA gemessenen
schulischen Ergebnisse von Schülern mit Migrationshintergrund legen Rückschlüsse auf
die Verbreitung dieser Haltung nahe, die dazu führt, Anerkennung außerhalb von Schule
und Lernen zu suchen.
Die Anfangserfahrung, willkommen zu sein, respektiert zu werden und Beiträge leis-
ten zu können, hilft DaZ-Lernenden, sich im Unterricht zu entfalten, Verhaltenssicher-
heit und Stärke zu gewinnen, zu kooperieren und Wir-Identität zu entwickeln. Eine posi-
tive Aufnahme ihrer eigenen Sprachen und ihres Lernverhaltens (auch der sog. Fehler),
die hier „Sinn unterstellen“ genannt wird, stärkt ihre Persönlichkeit und Rolle; ausgren-
zende Erfahrungen bewirken das Gegenteil (vgl. z. B. Kniffka und Siebert-Ott 2007: 104)
die Merkmale der Unterrichtsforschung für erfolgreichen Unterricht referieren).
In diesem Kontext soll besonders an das Face-Konzept nach Goffman (seit 1959)
erinnert werden, das einen Versuch darstellt, Probleme der „Gesichtswahrung“ auch von
Kindern und Jugendlichen zu erklären. Das heißt, auch Kinder und Jugendliche im DaZ-
Erwerb wollen ihr „Gesicht“ respektiert sehen, von anderen akzeptiert und nicht einge-
schränkt oder bedroht werden, z. B. durch Missachtung oder Kritik, durch strikte Anwei-
sungen oder Verbote anstelle von Verstehensangeboten. Auch Kinder und Jugendliche
möchten darüber hinaus positive Anerkennung und Wertschätzung erlangen, selbst wenn
122. Sprachliche und kulturelle Vielfalt im Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1109

sie (noch) nicht zielsprachlich sprechen oder nach anderen als den Maximen der Mehr-
heit handeln. Da Gesichtswahrung sich in der Interaktion ereignet und als ein gegenseiti-
ger Prozess funktioniert, als Kooperation, bildet der schonende Umgang der Interakti-
onspartner miteinander, hier der DaZ-Lernenden, der anderen Schüler und Schülerinnen
und der Lehrpersonen, eine Voraussetzung des Gelingens kommunikativer Handlungen
und des schulischen Lernens. Es scheint, dass dieser Zusammenhang den Interagierenden
wenig bewusst ist. Speziell im Kontext der Sprachenvielfalt in der Klasse brauchen die
Schülerinnen und Schüler einen Vertrauensvorschuss z. B. in der Form, dass ihren Be-
obachtungen an Sprache(n) und ihren sprachvergleichenden Bemerkungen (s. Abschnitt
1) Sinn unterstellt wird, dass Sprachaufmerksamkeit und entstehendes Sprachbewusst-
heit in ihren Redebeiträgen erkannt werden und dass der Unterricht sich mit ihren
sprachvergleichenden Fragen beschäftigt, die übrigens für alle interessant sind.

3. Sprachliche Vielalt im DaZ-Unterricht

Da die Lernenden in den Prozess des Deutschlernens die schon gelernte(n) Sprache(n)
mitbringen, spielen diese gleichzeitig mit der Zielsprache Deutsch eine Rolle und sollten
zugleich thematisiert werden. Deren Thematisierung schafft günstige Lernvoraussetzun-
gen, erhöht die Motivation und stärkt das Gesicht der Lernenden sowie die Beziehungen
zur Lehrperson und untereinander. Außerdem werden die kognitiven Konstruktionen
der Lernenden im Vergleich besprech- und rekonstruierbar, aushandelnd entwickeln sie
sich weiter. Für Jugendliche und junge Erwachsene untersucht Wildenauer-Józsa (2005),
wann und wie DaF-Lernende ihre bisherigen Sprachen vergleichend nutzen (für Kinder
s. o. und Oomen-Welke 2008a und b).
Es existieren Sets von Unterrichtsroutinen, die von Lehrpersonen in DaZ genutzt
werden, um den Lernenden Respekt zu erweisen und die Vielfalt der DaZ-Klassen von
Anfang an erlebbar zu machen. Dazu gehören die Begrüßung und Verabschiedung in
den Sprachen der Lernenden und andere kleine Alltagsroutinen wie „Guten Appetit“. In
der Grundschule findet man öfter ein Klassenlied auf der Basis von „Paule Puhmanns
Paddelboot“ (Neuner und Vahle 1990), das die Namen der Kinder und die Herkunftslän-
der nennt, z. B.

Anesa kommt aus Bosnien / und Vesna aus Kosovo. / Sie wundern sich die ganze
Zeit, /denn in beiden Ländern begrüßt man sich so: / Dobar dan ⫺ Dowidschenja
⫺ Guten Tag ⫺ Auf Wiedersehn …
Mein Gott, was ist das für ne Schrift, / die Momoko schön schreibt? / In Japan
hat sie es gelernt, / wir hoffen, dass sie bleibt. / Konitschiwa ⫺ Sayonara ⫺ Guten
Tag ⫺ Auf Wiedersehn … (Brigitte Färber, Freiburg)

In der Sekundarstufe beginnt der DaZ-Unterricht häufig mit Vorstellungsrunden, Her-


kunftsangaben der Lernenden und Landkarten, übrigens auch in Lehrwerken. Im weite-
ren Verlauf des Unterrichts lässt die Vielfalt der Ausgangslage zugunsten einer Einheit-
lichkeit im Deutschen nach. Deswegen folgen an dieser Stelle Vorschläge, wie Aspekte
sprachlicher und kultureller Vielfalt immer wieder oder sogar durchgehend erhalten wer-
den können, um den o. g. Zielen zu dienen. Denn: Sprachenvielfalt im DaZ-Unterricht
1110 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

ist nicht primär abhängig von der Sprachenkompetenz der Lernenden, sondern auch von
der Einstellung der Lehrenden zu den Ausgangssprachen. Die Schülerinnen und Schüler
bereitet die Vielfalt im Unterricht auf die Vielfalt der Welt vor.

3.1. Sprachdidaktische Szenarien

Spracharbeit mit vielen Sprachen kann in vielerlei Lernszenarien stattfinden. Die Rollen
der Lehrperson und der Lernenden sind dabei jeweils verschieden. Genannt seien die
folgenden Standardszenarien:
⫺ spontane offene Sprachmitteilung durch SchülerInnen, orientiert an den Fragen und
Bedürfnissen der Lernenden; etwa wie in den Beispielen 122.1 und 122.2; das setzt
voraus, dass die Beobachtungen der Lernenden willkommen sind;
⫺ Vorschläge aufgreifen: Orientierung des Unterrichts an den spontanen Mitteilungen
der Lernenden; Rückgriff der Lehrperson darauf; z. B. gemeinsame Lösung einer
Sprachfrage (z. B. „Welche Wörter hat meine Sprache aus anderen Sprachen über-
nommen?“) durch Vergleich der Sprachen in der Lerngruppe;
⫺ Sprachwissen abrufen, orientiert am DaZ-Curriculum: Bitte um Beiträge aus den
Sprachen der Lernenden zu einem von der Lehrperson oder dem Arbeitsmaterial auf-
geworfenen Problem und seine Diskussion (z. B. Artikel; Vergangenheitstempora;
Höflichkeitsanrede);
⫺ Arbeit mit Materialien wie Sprachensilhouetten, Sprachenbäumen und anderen Mate-
rialien (z. B. Moore 2000: Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen); vgl. Sprach-
welt Deutsch (2003: 199); Krumm (2001: Sprachenbilder); verschiedene Aspekte im
Heft Sprachen öffnen Welten (2001); umfangreiche Materialien mit Arbeitsblättern zur
Sprachen- und Kulturenvielfalt liefern KIESEL sowie Oomen-Welke u. a. 2006: Der
Sprachenfächer).
⫺ Portfolio-Arbeit mit Dokumentation der eigenen Sprache(n) und der Sprachen in der
Klasse (dazu Oomen-Welke 2006; Decker 2007. Vgl. zu den Methoden auch Decker
und Oomen-Welke 2008.).

3.2. Stuen der Integration der Sprachenvielalt

Solche Lernszenarien lassen die Modellierung in Stufenfolgen zu (Oomen-Welke 2008b:


484⫺486). Die Stufen sind nicht bedingt durch die mehr oder weniger hohen Kompeten-
zen der Lernenden, sondern gemeint als Programm für Lehrpersonen, die lernen mit
anderen Sprachen zu arbeiten. Wenn ⫺ im Anschluss an das Face-Konzept ⫺ die Äuße-
rungen der Lernenden über ihre Sprache(n) und das Deutsche als sinnhaltige Konstruk-
tionen angesehen werden, dann sind sie für den Unterricht bedeutsam; die Lernenden
dürfen ihre Feststellungen mitteilen, und diese werden ⫺ je nach Entscheidung der Lehr-
person oder der Klasse ⫺ in den Unterricht integriert.
(1) Spontane Beiträge zu äußern ist eine Art Unterrichtsszenario. Solche Beiträge ver-
zeichnen wir vor allem von Kindern, denn Kinder thematisieren oft, was ihnen sprach-
vergleichend auffällt (vgl. Transkripte 122.1 und 122.2). Spontane Beiträge werden im
122. Sprachliche und kulturelle Vielfalt im Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1111

Unterricht akzeptiert und als bedeutsam bewertet. Andernfalls werden sie auf Dauer
nicht mehr vorgetragen.
(2) Lehrpersonen sind Profis darin, in den spontanen Beiträgen der Lernenden das
Lern- und Reflexionspotenzial zu erkennen. Bei S. 1⫺2 geht es um Artikelsprachen und
artikellose Sprachen, bei S. 6 um die Kasus- und Genusmarkierung des Artikels, bei
S. 4 und S. 7 um das Grapheminventar im Vergleich usw. Die Äußerungen zeigen den
Lehrpersonen, was Lernende wissen und denken, und lassen darauf schließen, was noch
gelernt werden sollte (vgl. Transkripte 122.1 und 122.2).
(3) An die Beobachtungen der Lernenden anknüpfend können diese Aspekte sprach-
vergleichend vertieft werden. Die genannten Beobachtungen werden als Vorschläge für
Unterrichtsthemen aufgefasst, was ihnen mehr Bedeutung verleiht. Zu solchem die Spra-
chen vergleichenden Unterricht können die Lernenden viel aus ihrem Vorwissen beitra-
gen und mit dem Neuwissen rekonstruieren. Beispiele können von den Lernenden aus
verschiedenen Sprachen zusammengetragene Listen von Wörtern (z. B. für Speisen) oder
kurze Sätze (z. B. Ja-Nein-Fragen) sein, die unter ausgewählten Sprachaspekten vergli-
chen werden.
(4) Sprachphänomene, deren Behandlung erforderlich ist, werden allerdings nicht im-
mer spontan thematisiert, sondern müssen oft auch von der Lehrperson zum Thema
gemacht werden. Sprachliche Vielfalt kann dabei erscheinen, wenn die Lernenden nach
dem Äquivalent in ihren Sprachen gefragt werden. Lernende sind auch in der Lage,
kooperativ eine Methode des Vergleichens zu finden. Es gibt eine ganze Reihe von
Sprachthemen in DaZ, die sich gut für sprachliche Vergleiche eignen, z. B. die Bildung
des Plurals im Deutschen, das Subjektpronomen, die Satztopologie usw. (vgl. Oomen-
Welke 2000: 149⫺155).
Erreicht wird ein hohes Maß an selektiver Sprachaufmerksamkeit sowie durch die
bearbeitenden Tätigkeiten auch Orientierung im Bereich verschiedener Sprachen, mehr-
sprachiges Sprachwissen und metasprachliches Wissen. Beides speist die Sprachbewusst-
heit, die wiederum zu höherer Sprachaufmerksamkeit führt und dem Lernen dient.

4. Kulturelle Vielalt im DaZ-Unterricht

Sprachgebrauch ereignet sich generell im Kontext kulturellen Handelns (s. Abschnitt 1).
Die vorhandene kulturelle Praxis der Lernenden, ihr kulturelles Wissen und die Dimen-
sionen des Gemeinsamen und der Verschiedenheit sollten in das DaZ-Lernen Eingang
finden, wie auch theoretisch begründet ist (s. Abschnitt 2 und die Artikel 89⫺91 dieses
Buchs). Analog zu den unter 3.2. genannten Stufen lassen sich in diesem Zusammenhang
folgende Stufen beschreiben:
(1 und 2) Spontane Berichte aus der lernerseitigen Lebenswelt und Wahrnehmung als
bedeutsam akzeptieren,
(3) die Mitteilungen der Lernenden als Vorschläge auffassen und aufgreifen,
(4) in passenden Zusammenhängen nach kulturellem Wissen aus den Herkunfts- und
anderen Ländern fragen und es dadurch herbeiholen, um vergleichend zu arbeiten. Das
kann mit Materialien zum Vergleich kultureller Praktiken geschehen und in Portfolios
integriert werden.
1112 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

Hier seien einige Dimensionen genannt, die in den Domänen der Schule/Bildung und
der Lebenswelt eine Rolle spielen und die Lernenden herausfordern. Sie können für die
unterschiedlichen Altersgruppen ausgearbeitet werden und produktiv sein:
⫺ Non- und Extraverbales: Zeichensprache, Handzeichen, Mimik, Körperhaltung, Klei-
derordnung bzw. Kleidermode, Wohnen usw. im Binnenvergleich (Unterschiede im
selben Land zwischen Altersgruppen, Regionen, Geschlechtern, Lebensstilen usw.) so-
wie im Vergleich zwischen Ländern und Kontinenten (Oomen-Welke 2004a, 2004b,
2006); Bedeutung der natürlichen Gegebenheiten dabei (Klima, Bodennutzung, Sied-
lungsdichte usw.), Traditionen;
⫺ Texte in verschiedenen Sprachen: einfache Gedichte, Kinderreime, Märchen usw. in
zwei Sprachen; Übersetzungsversuche einfacher Texte aus anderen Sprachen, dabei
Nachdenken über die Bildlichkeit der Sprache, die Textform, Implikationen und Sub-
tilitäten des Ursprungstexts und der Übersetzung (Beispiele bei Loch 1981; Dehn und
Gerdzen 1981; Hüsler-Vogt 1987 und in „Sprachen in der Klasse“ Praxis Deutsch
157/1999; „Sprachenvielfalt im Klassenzimmer“ Fremdsprache Deutsch 31/2004;
„Sprachliche Heterogenität“ Praxis Deutsch 202/2007);
⫺ Die Fassung von Welt durch Sprache: Ähnlichkeit und Verschiedenheit in Zahlensyste-
men (Zahlwörter, Einer vor oder hinter den Zehnern, Fünfersystem, Zehnersystem
oder andere Systemgrundlage usw. (Oomen-Welke demn. im Sprachenfächer; Oomen-
Welke und Kühn 2009: 163 ff.); unübersetzbare Wörter für bestimmte Sachen; sprach-
liche Bilder in Redewendungen und Sprichwörtern; Höflichkeitsausdrücke und gesell-
schaftliche Werte; Sprechen über sich und andere, gesichtsschonende Formulierun-
gen usw.;
⫺ Verschiedene Schriften und Orthografien: Typen von Schriften (von Bilderschriften,
Symbolschriften, logographischen Schriften über Silbenschriften zu alphabetischen
Schriften und Stenografie); unterschiedliche Nutzung des lateinischen Alphabets in
den europäischen Sprachen (Beispiel [š]: dt. sch, engl. sh, frz. ch, ung. s, türk. s˛; z. B.
Belke 1999);
⫺ Allgemeines und Philosophisches: Gespräche über Sprachentstehung, Sprachverschie-
denheit, Sprachkontakt und Spracheinfluss (u. a. Entlehnung); Sprechen und denken;
Symbole (außersprachlich, in der Schrift und in der Sprache kodiert) usw.
Solche Themen lenken nicht vom Lernen des Deutschen als Zweitsprache ab, im Gegen-
teil ermöglichen sie, dass die Lernenden das bisher Gelernte, das neu zu Lernende und
ihre subjektiven Konstruktionen in den Unterricht einbringen und gemeinsam weiterent-
wickeln. Die Lehrperson greift einiges vom spontan Geäußerten heraus und macht es
zum inhaltlichen Unterrichtsthema oder sie schlägt solche Themen selbst vor. Die
Sprachprogression in DaZ ist nämlich nicht auf Lehrbuchtexte angewiesen, sondern
kann für die Lernenden interessantere und bedeutsamere Inhalte wählen; die passenden
Inhalte, die sich in Lehrwerken finden, sollten selbstverständlich benutzt werden.

5. Materialien und Hilsmittel


Die Phasen der Entwicklung von DaZ-Lehrmaterialien für Schülerinnen und Schüler
und die Materialtypen zeichnet Kuhs (2008) nach; sie erwähnt auch die Wendung zum
Interkulturellen, den nicht immer vorhandenen Lehrplanbezug und die Benutzbarkeit
122. Sprachliche und kulturelle Vielfalt im Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1113

sowohl für DaZ-Kurse als auch für Regelklassen. „Evaluationen über Einsatzfrequenzen
und Effektivität der o. g. Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien liegen nicht vor, eine
empirische Lehrwerksforschung fehlt.“ (Kuhs 2008: 321; vgl. auch Oomen-Welke und
Schnitzer 2008). Dennoch werden für den hier geforderten DaZ-Unterricht, der die
sprachliche und kulturelle Vielfalt zur Grundlage des Lernens macht, Materialien und
Hilfsmittel dringend benötigt. Man findet Unterrichtsvorschläge in Form von didaktisch-
methodischen Publikationen (z. B. Schader 2000, 2004), in Zeitschriften (s. Abschnitt 4
und Der Deutschuterricht 5/2008) oder als Hefte von Organisationen („Sprachen öffnen
Welten“ 2001). Zwei Serien, KIESEL (ab 2003) und Der Sprachenfächer (Oomen-Welke
u. a. ab 2006) stellen in thematischen Lieferungen Arbeitsblätter zu den o. g. Themen
bereit (vgl. genauer Oomen-Welke 2008b und demn. 2010), die auch, aber nicht aus-
schließlich für DaZ konzipiert sind; speziell Der Sprachenfächer erfordert, dass die Ler-
nenden ihre Sprachen und ihr Handlungswissen vergleichend integrieren. Solche Mate-
rialien können ergänzend genutzt werden. Mehr Materialentwicklung für die sprachliche
und kulturelle Vielfalt ist für das effizientere Lernen erforderlich.

6. Literatur in Auswahl
Ahrenholz, Bernt (Hg.)
2007 Deutsch als Zweitsprache. Voraussetzungen und Konzepte für die Förderung von Kindern
und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Freiburg: Fillibach.
Ahrenholz, Bernt und Ingelore Oomen-Welke (Hg.)
2008/ 2009 Deutsch als Zweitsprache. 2. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider.
Belke, Gerlind
1999 Mehrsprachigkeit im Deutschunterricht. Sprachspiele ⫺ Spracherwerb ⫺ Sprachvermitt-
lung. Baltmannsweiler: Schneider.
Decker, Yvonne
2008 Deutsch als Zweitsprache in Internationalen Vorbereitungsklassen. In: Bernt Ahrenholz
und Ingelore Oomen-Welke (Hg.), 162⫺172.
Decker, Yvonne und Ingelore Oomen-Welke
2008 Methoden für Deutsch als Zweitsprache. In: Bernt Ahrenholz und Ingelore Oomen-Welke
(Hg.), 324⫺342.
Decker, Yvonne
2007 „Meine Sprachen und ich“. Praxis der Portfolioarbeit in Internationaler Vorbereitungs-
klasse und Förderkurs. In: Bernt Ahrenholz (Hg.), 169⫺185.
Dehn, Mechthild und Rainer Gerdzen
1981 Hänsel und Gretel ⫺ Der Zwerg Veli. Praxis Deutsch 47: 46⫺50.
Gamkrelidse, Thomas W. und Wiatscheslaw W. Iwanow
2007 Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen. Spektrum der Wissenschaft Dossier: Die
Evolution der Sprachen 50⫺57.
Goffman, Erving
1967/dt. 1971 Interaktionsrituale ⫺ Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt am
Main: Suhrkamp.
Haferland, Harald und Ingwer Paul (Hg.)
1996 Höflichkeit. (⫽ Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 52).
Holstein, Silke und Ingelore Oomen-Welke
2006 Sprachen-Tandem für Paare, Kurse, Schulklassen. Ein Leitfaden für Kursleiter, Lehrperso-
nen, Migrantenbetreuer und autonome Tandem-Partner. Freiburg: Fillibach.
1114 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

Hüsler-Vogt, Silvia
1987 Tres tristes trigres … Drei traurige Tiger … Zaubersprüche, Geschichten, Verse, Lieder und
Spiele für die mehrsprachige Kinder(Garten)-Gruppe. Freiburg i. Br.: Lambertus.
Interkulturelle Kommunikation ⫺ Interkulturalität
2008 (⫽ Der Deutschunterricht LX, 5).
KIESEL Kinder entdecken Sprachen, Erprobung von Lehrmaterialien
o. J. Download unter: http://www.oesz.at/sub_main.php?lnk⫽Publikationen (30. 12. 2010).
Kniffka, Gabriele und Siebert-Ott Gesa
2007 Deutsch als Zweitsprache ⫺ Lehren und Lernen. Paderborn: Schöningh.
Krumm, Hans-Jürgen
2001 Kinder und ihre Sprachen ⫺ lebendige Mehrsprachigkeit. Wien: eviva.
Kuhs, Katharina
2008 Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien für die schulische Vermittlung und Förderung von
Deutsch als Zweitsprache. In: Ahrenholz und Oomen-Welke (Hg.), 315⫺323.
Loch, Waltraud
1981 Cüce Veli, ein türkisches Märchen im Deutschunterricht. Praxis Deutsch 47: 43⫺45.
Moore, Thomas C.
2000 Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen 51. Spektrum der Wissenschaft Dossier: Die
Evolution der Sprachen, 51.
Neuner, Gerhard, Fredrik Vahle
1990 Paule Puhmanns Paddelboot: 10 Lieder zum Singen, Spielen und Lernen. Berlin: Langen-
scheidt.
Oomen-Welke, Ingelore
2010 (erscheint) Sprachliches Lernen im mehrsprachigen Klassenzimmer. In: Volker Freder-
king, Hans Werner Huneke, Axel Krommer und Christel Meier (Hg.), Taschenbuch des
Deutschunterrichts. Baltmannsweiler: Schneider.
Oomen-Welke, Ingelore
2008a Präkonzepte: Sprachvorstellungen ein- und mehrsprachiger SchülerInnen. In: Bernt Ah-
renholz und Ingelore Oomen-Welke (Hg.), 373⫺384.
Oomen-Welke, Ingelore
2008b Didaktik der Sprachenvielfalt. In: Bernt Ahrenholz und Ingelore Oomen-Welke (Hg.),
479⫺492.
Oomen-Welke, Ingelore
2006/22007 „Meine Sprachen und ich“. Inspirationen aus der Portfolio-Arbeit in DaZ für Vorbe-
reitungsklasse und Kindergarten. In: Bernt Ahrenholz (Hg.), Kinder mit Migrationshinter-
grund ⫺ Spracherwerb und Fördermöglichkeiten, 115⫺131. Freiburg i. Br.: Fillibach.
Oomen-Welke, Ingelore
2004a Körpersprachliches und Extrasprachliches verschiedener Kulturen in Welt, Schule und
Unterricht. In: Heinz S. Rosenbusch und Otto Schober (Hg.), Körpersprache und Pädago-
gik. Das Handbuch, 68⫺98. Baltmannsweiler: Schneider.
Oomen-Welke, Ingelore
2004b Nonverbales und Körpersprachliches aus verschiedenen Kulturen als semiotische Grund-
frage. In: Otto Schober (Hg.), Körpersprache im Deutschunterricht, 19⫺33. Baltmanns-
weiler: Schneider.
Oomen-Welke, Ingelore
2000 Umgang mit Vielsprachigkeit im Deutschunterricht ⫺ Sprachen wahrnehmen und sicht-
bar machen. Deutsch lernen 2: 143⫺163.
Oomen-Welke, Ingelore und Peter Kühn
2009 Sprache und Sprachgebrauch untersuchen. In: Albert Bremerich-Vos, Dietlinde Granzer,
Ulrike Behrens und Olaf Köller (Hg.), Bildungsstandards für die Grundschule: Deutsch
konkret, 139⫺184. Berlin: Cornelsen-Scriptor.
122. Sprachliche und kulturelle Vielfalt im Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1115

Oomen-Welke, Ingelore und Katja Schnitzer


2008 Evaluation von Arbeitsmaterialien für den vielsprachigen Deutschunterricht. In: Eva Bur-
witz-Melzer, Wolfgang Hallet, Michael K. Legutke, Franz-Joseph Meißner und Joybrato
Mukherijee (Hg.), Sprachen lernen ⫺ Menschen bilden. 22. Kongress für Fremdsprachendi-
daktik Gießen 2007, 205⫺216. Baltmannsweiler: Schneider.
Oomen-Welke, Ingelore und Arbeitsgruppe
2006 ff. Der Sprachenfächer. Freiburg: Fillibach/Berlin: Cornelsen. Neu 2010 Berlin: Cornelsen.
Rösch, Heidi
2007 DaZ-Förderung in Feriencamps. In: Bernt Ahrenholz (Hg.), 229⫺246.
Rösch, Heidi
2008 Sprachförderung DaZ oder Lernbegleitung? In: Bernt Ahrenholz und Ingelore Oomen-
Welke (Hg.) , 457⫺466.
Schader, Basil
2000 Sprachenvielfalt als Chance. Zürich: Orell Füssli.
Schmalt, Heinz-Dieter
1988 Über den Einsatz des LM-Gitters zur Messung der Leistungsmotivation in Schul- und
Unterrichtssituationen. In: Ingelore Oomen-Welke und Christoph v. Rhöneck (Hg.),
Schüler: Persönlichkeit und Lernverhalten, 42⫺57. Tübingen: Narr.
Sprachen in der Klasse
1999 (⫽ Praxis Deutsch 157).
Hartung, Regine und Krystyna Kudlinska-Stankulova
2001 Sprachen öffnen Welten (⫽ Miteinander leben in Europa Heft 7). Hamburg: Körber-Stif-
tung.
Sprachliche Heterogenität
2007 (⫽ Praxis Deutsch 202).
Sprachenvielfalt im Klassenzimmer
2004 (⫽ Fremdsprache Deutsch 31).
Peyer, Ann, Daniel Friederich, Therese Grossmann und Franziska Bischofberger
2003 Sprachwelt Deutsch. Bern/Zürich: Schulbuchverlag blmv/Lehrmittelverlag des Kantons
Zürich.
Wildenauer-Józsa, Doris
2005 Sprachvergleich als Lernerstrategie. Eine Interviewstudie mit erwachsenen Deutschlernen-
den. Freiburg i. Br.: Fillibach.

Ingelore Oomen-Welke, Freiburg (Deutschland)


1116 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

123. Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch


1. Geschichte
2. Modelle der Alphabetisierung in DaZ
3. Begrifflichkeiten
4. Die Lernenden
5. Alphabetisierung im Kontext von Integrationspolitik
6. Elementare Komponenten eines Unterrichtskonzeptes/Curriculums für die Alphabetisierung in
DaZ
7. Kompetenzbilanz, Portfolio: Wie können Kenntnisse dokumentiert und nachgewiesen werden?
8. Beratung und Einstufung
9. Aus- und Weiterbildung
10. Literatur in Auswahl

1. Geschichte
Ende der 1970er Jahre wird man in Deutschland, wie zuvor schon in Großbritannien,
darauf aufmerksam, dass ein nicht unwesentlicher Teil der erwachsenen einheimischen
Bevölkerung nicht über ausreichende Lese-Schreib-Kompetenzen verfügt. Alphabetisie-
rungskurse richteten sich zunächst ausschließlich an Personen mit deutscher Mutterspra-
che. Auch in Österreich und der Schweiz begann man mit einigen Jahren Verzögerung,
den Bedarf an Alphabetisierung für Einheimische zunehmend zu erkennen.
Alphabetierungskurse für MigrantInnen wurden im deutschsprachigen Raum bis
Mitte der 1980er Jahre nur vereinzelt angeboten. 1986 nahm in Deutschland der Sprach-
verband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e.V. die Förderung von Sprachkursen mit
Alphabetisierung in die Förderrichtlinien auf, nachdem sich in den zunehmend angebote-
nen Deutschkursen zeigte, dass viele Lernende, vor allem Frauen, nicht über ausrei-
chende Lese- und Schreibkenntnisse verfügten. Die Entwicklung von Kursmodellen, Un-
terrichtskonzepten, Diskussionsbeiträgen und Materialien (Baymak-Schuldt 1985) folgte.
Einen Überblick über die Entwicklung der Alphabetisierung mit MigrantInnen in
Deutschland mit grundlegenden und heute noch aktuellen Fragen gibt Szablewski-Çavus
(1991). Auch in der Schweiz, in Österreich und in Südtirol stellte man seit den 1980er
Jahren verstärkt einen Bedarf an Alphabetisierung in den Deutschkursen für MigrantIn-
nen fest.
Alphabetisierung für MigrantInnen findet heute in den deutschsprachigen Ländern
Europas hauptsächlich in Integrationskursen mit Alphabetisierung statt. Die seit den
1980er Jahren entstandenen vielfältigen und differenzierenden Konzepte und Kurse (z. B.
berufsbezogene Alphabetisierung) werden zunehmend auf dieses Angebot reduziert.

2. Modelle der Alphabetisierung in DaZ


Neben der Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch (DaZ) sind die Alphabetisie-
rung in der Muttersprache, sowie die zweisprachige Alphabetisierung zu nennen. Beide
werden sowohl im Schulbereich als auch in der Erwachsenenbildung nur vereinzelt ange-
123. Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch 1117

boten. Problematisch ist die Situation für nicht alphabetisierte Kinder und Jugendliche
über 10 Jahren (sog. Seiteneinsteiger), da nach der Grundschule in den Schulsystemen
der deutschsprachigen Länder kaum Fördermöglichkeiten für Alphabetisierung existie-
ren.
Der Ansatz der Family Literacy verbindet durch den Einbezug von Familie und Um-
feld zumeist isoliert nebeneinander stehende Maßnahmen in Schule, Erwachsenenbil-
dung, Sozialarbeit und Stadteilarbeit (Elfert und Rabkin 2007). Zunehmende Aufmerk-
samkeit und Förderung ist der berufsorientierten Grundbildung zu wünschen, die Grund-
bildung, Qualifizierung und Beschäftigung von Erwachsenen miteinander kombiniert.
Versuche der Alphabetisierung als Vorlaufmaßnahme vor dem Deutschkurs haben sich
aus zwei Gründen als unzureichend erwiesen: Erstens kann ausreichende Lese-Schreib-
Fähigkeit nicht in wenigen Wochen oder Monaten erworben werden. Zweitens muss ein
Alphabetisierungskurs mit MigrantInnen auch die Vermittlung von DaZ enthalten. Den
MigrantInnen in Alphabetisierungskursen ohne zweitsprachdidaktisches Konzept den
Spracherwerb quasi „nebenbei“ abzuverlangen, ist weder realistisch noch vertretbar.
Zweitschrifterwerb: Anders stellt sich die Sachlage bei MigrantInnen dar, die bereits
eine nichtlateinische Schrift beherrschen. Für sie ist eine kürzere Vorlaufmaßnahme ange-
messen, die auf die Übertragung der erstsprachigen Schriftsprachkompetenz auf die latei-
nische Schrift abzielt. Ein baldiger Wechsel in einen DaZ-Kurs für literate Lernende ist
für diese Gruppe sinnvoll und möglich. Allerdings muss auch in dieser Maßnahme dem
Spracherwerb ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt werden.

3. Begrilichkeiten

Da die verschiedenen im Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung verwendeten


Begrifflichkeiten auch unterschiedliche Konzepte, bildungspolitische Vorstellungen und
Haltungen den Betroffenen gegenüber transportieren, seien die wichtigsten hier kurz er-
läutert:
Primärer und sekundärer Analphabetismus: Von primärem Analphabetismus spricht
man, wenn eine Person keinerlei Lese- und Schreibkenntnisse erworben hat, von sekun-
därem Analphabetismus, wenn nach zu kurzem oder nicht erfolgreichem Schulbesuch
bereits erworbene Kenntnisse wieder in Vergessenheit geraten sind.
Der Begriff „funktionale Alphabetisierung“ stammt ursprünglich aus der älteren
UNESCO-Diskussion der 1960er Jahre. Gemeint war eine eingeschränkte Schriftsprach-
vermittlung für bestimmte für ökonomisch relevant erachtete Funktionen (z. B. für die
Arbeit in der Landwirtschaft) in den damals unabhängig gewordenen Kolonien. Aus
dieser Verwendung entstanden die bis heute üblichen Bezeichnungen „funktionale Anal-
phabeten“ und „funktionaler Analphabetismus“. Gemeint ist, dass die Betreffenden nicht
über ausreichende Schriftsprachkenntnisse verfügen, um sie zur persönlichen, beruflichen
und sozialen Partizipation in der Gesellschaft nutzen zu können (s. Kamper 2001; Bhola
1995). Im Begriff steckt insofern eine gewisse Problematik, als er einerseits reduziert auf
das Erlernen der alphabetischen Schrift und andererseits für die Betroffenen durch seine
Defizitorientierung stigmatisierend wirkt.
Literalität: Der von engl. literacy abgeleitete Begriff Literalität (auch Literarität) wird
seit etwa einem Jahrzehnt zunehmend in der Fachliteratur verwendet. Er ist positiv kon-
1118 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

notiert und schließt Elemente einer allgemeinen Grundbildung ein, die über die Grund-
kulturtechniken des Lesens, Schreibens und Rechnens hinausgehen.
Literalitäten als soziale Praxen: Anknüpfend an Barton (1994) wird in der heutigen
Diskussion vermehrt von Literalitäten im Plural gesprochen. Ausgangspunkt ist die
Überlegung, was ein Mensch an literalen Grundfertigkeiten braucht, um in seinen spezifi-
schen Lebenskontexten (privat, beruflich, in Bezug auf Weiterbildung und Teilhabe an
der Gesellschaft) bestehen und sich weiterentwickeln zu können. Dies verlangt eine ver-
stärkt lebensweltliche Situierung von Alphabetisierungs- und Grundbildungsmaßnahmen
und die Koppelung an die konkreten Bedarfe der Lernenden in ihren Lebenskontexten.
„Allgemeine“ Schriftsprachkompetenz wird als Abstraktion betrachtet, die sich aus ei-
nem Set literaler Praxen zusammensetzt.
Alphabetisierung als Teil von Basisbildung/Grundbildung: Die aktuelle Definition
von Grundbildung orientiert sich am Referenzrahmen der Europäischen Kommission
(2006), der die Schlüsselkompetenzen definiert, die die Bürgerinnen und Bürger in der
europäischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts für das Bestehen am Arbeitsmarkt und
in der Gesellschaft sowie den Einstieg ins Lebenslange Lernen benötigen. Als Elemente
der Grundbildung werden neben Lesen, Schreiben, Rechnen, Umgang mit neuen Medien
auch Kommunikation, Problemlösung, Arbeiten mit anderen und Lernkompetenz gese-
hen, sowie Deutsch als Zweitsprache für MigrantInnen im deutschsprachigen Raum. Als
problematisch kann die Tendenz der Orientierung an den Kompetenzstufen der EU gese-
hen werden, wenn Kompetenzmessung und Konstituierung von Leistungsstandards Bil-
dung vorwiegend warenförmig beschreiben und in defizitär formulierte Standards um-
schlagen, welche die Würde und Autonomie der Betroffenen in Frage stellen (Klein und
Reutter 2009: 7⫺11).

4. Die Lernenden
Die Lernenden mit Alphabetisierungsbedarf in der Zweitsprache Deutsch sind erwach-
sene ZuwandererInnen in den deutschsprachigen Ländern Europas sowie Kinder und
Jugendliche, die in ihren Herkunftsländern die Schule nicht oder nicht ausreichend lange
besuchen konnten. Die Gründe der Verhinderung des Schulbesuchs sind vielfältig und
reichen von Krieg und ethnischen Konflikten über individuelle und strukturelle Armut
(kein Geld für Schulbesuch, Schulen sind zu weit entfernt, Benachteiligung von Minder-
heiten im Schulsystem, existentiell notwendige Erwerbsarbeit schon in der Kindheit).
Frauen und Mädchen sind besonders stark betroffen: wenn nicht allen Kindern der Fa-
milie der Schulbesuch ermöglicht werden kann, sind meist die (ältesten) Mädchen diejeni-
gen, die anstelle des Schulbesuchs Verpflichtungen im Haushalt und bei der Betreuung
der Geschwister übernehmen müssen (Ritter 2004: 36⫺37).
Der Bildungsbedarf umfasst neben Alphabetisierung (auch in der Muttersprache) und
DaZ auch den Erwerb von sprach- und schriftbezogenen Lernstrategien und Strategien
für den selbstbestimmten Wissenserwerb sowie auf die berufliche und private Lebenssitu-
ation bezogene Fertigkeiten, also Grundbildung im umfassenden Sinn.
Die von den Lernenden mitgebrachten Kompetenzen erstrecken sich von Vorkennt-
nissen in Lesen und Schreiben und in DaZ über mündliche Mehrsprachigkeit und enthal-
ten vor allem auch vielfältige informell erworbene Kompetenzen in privaten und berufli-
chen Bereichen.
123. Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch 1119

Als Motivation für den Kursbesuch wird an erster Stelle der Wunsch nach Selbstän-
digkeit im Einwanderungsland genannt: schriftliche wie mündliche Kommunikationssi-
tuationen ohne fremde Hilfe bewältigen zu können, in privaten Rollen als Eltern, Nach-
barn usw. sowie in beruflichen Anforderungen und als mündige BürgerInnen agieren zu
können. Auch Wünsche nach beruflicher Qualifikation und einer besseren Arbeit werden
genannt (Dubis 1999). Bildung ist den illiteraten Zuwanderern als wertvolles Gut be-
wusst: Umfragen in Kursen zeigen, dass nicht wenige der illiteraten Mütter und Väter
ihren Kindern den Besuch von Universitäten und Berufsausbildungen ermöglicht haben.
Studien über Zahlen, Bildungsbedarf, Motivationen und mitgebrachte Qualifikatio-
nen von Zuwanderern mit Alphabetisierungbedarf existieren in den deutschsprachigen
Ländern noch nicht. Die obigen Aussagen stammen aus langjähriger Kurs- und Bera-
tungserfahrung.

5. Alphabetisierung im Kontext von Integrationspolitik

Die Verpflichtung für Zuwanderer, für die Aufenthaltsberechtigung bzw. Staatsbürger-


schaft Deutschkenntnisse nachzuweisen (vgl. Art. 10 und 121), bedeutet für Menschen
mit Alphabetisierungsbedarf eine zusätzliche Hürde. Im Anschluss an die Evaluation der
deutschen Integrationskurse hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge deshalb
ein für die Kursträger verbindliches Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs
(BAMF 2009) entwickelt, der im Rahmen von 945 bis maximal 1245 Unterrichtseinhei-
ten ein kombiniertes Sprachförderungs- und Alphabetisierungsprogramm umfasst, das
bis zum Niveau A 2.1 bzw. A 2.2 führen soll. In Österreich dagegen ist lediglich ein
vorgelagertes Alphabetisierungsmodul im Umfang von 75 Unterrichtseinheiten vorgese-
hen. Die Probleme lassen sich wie folgt zusammenfassen:
⫺ Wenn (wie in Österreich) Sprachprüfungen für den dauerhaften Aufenthalt und das
Erlangen der Staatsbürgerschaft zu absolvieren sind, die für literate Lernende entwi-
ckelt wurden, sind Zuwanderer mit Alphabetisierungsbedarf von diesem Zugang aus-
geschlossen. Fortschritte, die in jahrelangem Besuch von Alphabetisierungs- und
DaZ-Kursen gemacht wurden, werden ebenso ignoriert wie die hohen Integrations-
leistungen der illiteraten Zuwanderer: z. T. jahrzehntelange Berufstätigkeit, Begleitung
ihrer Kinder durch Schule und Ausbildung, Integration in der Nachbarschaft.
⫺ In den Integrationspolitiken der deutschsprachigen Länder fehlen Konzepte für mut-
tersprachliche und zweisprachige Alphabetisierung.
⫺ Die Mehrsprachigkeit der Lernenden wird ignoriert statt anerkannt, mehrsprachige
Lebensrealitäten fließen nicht in Kurskonzepte ein.
⫺ Von der Integrationspolitik vorgegebene Prüfungen und Kurskonzepte beeinflussen
Kursangebote und Kursinhalte: weg von lerner- und bedarfsorientierten Konzepten
hin zu prüfungsorientierten Konzepten. Dies hat für Menschen mit Alphabetisierungs-
bedarf massivere Konsequenzen als für literate Zuwanderer: die beiden zu lernenden
Gegenstände Sprache und Schrift sind zu umfangreich, als dass in einer Kursmaß-
nahme alle notwendigen Grundlagen vermittelt werden können, die den Lernenden
den selbständigen Transfer auf die konkreten Anforderungen in Beruf und Alltag
ermöglichen.
1120 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

⫺ Geht es einer Gesellschaft um die umfassende Literalität und Grundbildung auch


ihrer Zuwanderer, denen in der Kindheit kein Schulbesuch möglich war ⫺ entspre-
chend dem Menschenrecht auf Grundbildung ⫺ bedarf dies langfristig angelegter,
modularer und berufsbegleitender Maßnahmen und immer wieder an den konkreten
Bedarfen und Zielen der Lernenden orientierter Bildungsangebote, die konkrete be-
rufliche und soziale Literalitäten fördern. Die derzeit in den deutschsprachigen Län-
dern Europas praktizierten vereinheitlichten Kurse, Sprachprüfungen und Staatsbür-
gerschaftsprüfungen erschweren dies, indem sie wertvolle Kurs- und Lernzeit mit
nicht bedarfsorientierten Inhalten und Prüfungsvorbereitungen blockieren.

6. Elementare Komponenten eines Unterrichtskonzepts/


Curriculums ür die Alphabetisierung in DaZ

6.1. Koordination von Alphabetisierung und DaZ

Da die Lernprozesse Schriftspracherwerb und Spracherwerb komplex sind und jeder für
sich eine gewisse Zeit, meist mehrere Jahre, erfordert, und die Zuwanderer sowohl Spra-
che wie auch Schrift des Landes, in das sie eingewandert sind, unmittelbar und von
Anfang an benötigen, ist es sinnvoll, die beiden Lernprozesse nicht aufeinander folgend,
sondern koordiniert zu vermitteln. Da auch die Vorkenntnisse und Lernvoraussetzungen
der Lernenden unterschiedlich sind (unterschiedliches Niveau in Schrift und Sprache,
unterschiedliche schulische und außerschulische autodidaktische Lernerfahrungen sowie
mitgebrachte Lernstrategien, unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten der Sprachbe-
wusstheit und Fähigkeit zur metasprachlichen Betrachtung von Sprache und Schrift),
empfiehlt sich ein differenzierendes Konzept der Kombination von Alphabetisierung
und DaZ.
Ein seriöses didaktisch-methodisches Konzept für den Alphabetisierungsunterricht in
DaZ hat somit vier Komponenten zu enthalten:
a) erwachsenen- bzw. jugend- oder kindgerechten Alphabetisierungsunterricht, der die
bei DaZ-AnfängerInnen erst reduziert vorhandene Lingua Franca mit einer geeigne-
ten Didaktik zu ersetzen im Stande ist;
b) ein DaZ-Unterrichts-Konzept, das mit stark reduzierten schriftlichen Materialien aus-
kommt;
c) ein mehrstufiges Konzept, das unterschiedliche Vorkenntnisse in beiden Gegenstän-
den einbezieht sowie Offenheit für individuelle Förderung bietet;
d) lernerInnenorientierten Aufbau von Lernstrategien, die das Erkennen und Erarbeiten
einer Systematik bezüglich Schrift und Sprache sowie die Reflexion unterstützen.

6.2. Alphabetisierung in DaZ

Der Alphabetisierungsunterricht in DaZ steht vor der Herausforderung, die komplexen


Anforderungen des Schriftspracherwerbs mit einer zumindest bei DaZ-AnfängerInnen
nur rudimentär vorhandenen gemeinsamen Unterrichtssprache zu vermitteln. Weiters
123. Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch 1121

müssen auch metasprachliche Erklärungen nicht nur sprachlich erarbeitet, sondern auch
von ihrer metasprachlichen Komponente her erst aufgebaut werden.
Im folgenden werden einige Konzepte und Ansätze vorgestellt, die sich als nutzbrin-
gend besonders für die Alphabetisierung mit MigrantInnen (Kinder und Erwachsene)
erwiesen haben und die bspw. in den Ansatz des AlfaZentrums der Wiener Volkshoch-
schulen (www.vhs.at/alfazentrum) eingeflossen sind.
Für den schulischen Schriftsprach-Anfangsunterricht entwickelten Brüggelmann und
Brinkmann (1999) ein Konzept, das eine gute Grundlage für den Alphabetisierungsunter-
richt mit Kindern wie auch mit Erwachsenen bietet. Es verdeutlicht die Bereiche, die für
den Anfangsunterricht in Lesen und Schreiben relevant sind: a) Freies Schreiben eigener
Texte; b) Lesen von relevanter Literatur; c) Systematische Arbeit an Schriftelementen
und Leseverfahren, Sprachreflexion und Lese- wie Schreibtechniken sowie Strategien;
d) Aufbau und Sicherung eines Grundwortschatzes.
Ein Stufenmodell der Entwicklung kindlicher Lese- und Schreibstrategien ist darge-
stellt von Günther (1995). Das Modell zeigt, dass der Erwerb der Schriftsprache kein
geschlossener, ungegliederter und zeitlich eng begrenzter Vorgang ist. Es beschreibt den
Schriftspracherwerb von den präliteral-symbolischen Anfängen bis zur integrativ-auto-
matisierten Kompetenz in fünf zweistufigen Phasen. Besonders bedeutsam für die Alpha-
betisierung mit MigrantInnen ist an diesem Modell, dass sowohl notwendige Vorbedin-
gungen für das Erlernen einer alphabetischen Schrift (präliteral-symbolische Phase, logo-
graphemische Phase) einbezogen sind, wie auch aufgezeigt wird, dass es mit dem
Erlernen der Buchstaben nicht getan ist: neben der alphabetischen sind eine orthografi-
sche und eine Phase der Integration und Automatisierung der Lese-Schreib-Strategien
strukturiert dargestellt. Weiters zeigt die Darstellung auf, wie in den beiden Modalitäten
Lesen und Schreiben jeweils neue Strategien den Schriftspracherwerb auf ein höheres
Niveau führen. Dies macht es Unterrichtenden leichter, problematische Phasen bei den
Lernenden erkennen und zielgerichtet zu fördern.
Der Spracherfahrungsansatz (beschrieben in Young und Tyre 1991) bietet eine gute
Basis für lernerorientierten Alphabetisierungsunterricht. Freies sowie stellvertretendes
Schreiben von Anfang an und Arbeiten an den Texten der Lernenden sind wichtige Be-
standteile des Konzepts. Damit ist gewährleistet, dass die Texte relevante Lebenssituatio-
nen der Lernenden betreffen, wodurch die Schreib- und Lesemotivation von Anfang an
höher ist als beim ausschließlichen Arbeiten mit Lehrbuchtexten. Im Alphabetisierungs-
unterricht mit MigrantInnen können diese Texte weiter für sprachliche und sprachsyste-
matische Aktivitäten genutzt werden.

6.2.1. Phasen und Lernziele der Alphabetisierung mit MigrantInnen:

Im Folgenden sind zentrale Aspekte der Phasen (die sich auch immer wieder überlappen)
und exemplarisch einige Lernziele für die Alphabetisierung mit MigrantInnen beschrie-
ben (ausführlicher in Faistauer et al. 2006: 33⫺38). Bei der Beschreibung von Lernzielen
in der Alphabetisierung mit Zuwanderern kann keinesfalls undifferenziert der Bezugsrah-
men des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) ver-
wendet werden, da dieser ausschließlich für literate Lernende entwickelt wurde sowie für
das Lernen einer Fremdsprache, nicht aber für das Lernen des Deutschen als Zweitspra-
che.
1122 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

Kritische Phasen zu Beginn des Schriftspracherwerbs sind das Verständnis des alpha-
betischen Prinzips und die Aneignung des phonematischen Prinzips (Dehn 1995) mit der
dafür notwendigen Fähigkeit der Lautidentifikation und -diskrimination: gesprochene
Sprache aktiv auch unter dem Aspekt ihrer Einzellaute wahrzunehmen und zu betrach-
ten. Dies kann bei Menschen, die noch nie eine Schrift erlernt haben, nicht vorausgesetzt
werden, und gleichzeitig kann ein Versäumnis auf dieser grundlegenden Ebene lange
Zeit Probleme beim Lernprozess Schriftsprache verursachen. Erst die Sicherheit beim
Wahrnehmen der Lautgestalt des gesprochenen Wortes (Phoneme) und die Fähigkeit,
dieser Lautgestalt bestimmte graphische Zeichen (Grapheme) in der richtigen Reihen-
folge zuordnen zu können, bilden eine stabile Basis für die Alphabetisierung. Gut auf-
gearbeitete Grundlagen und methodische Anleitungen hierzu für den Alphabetisierungs-
unterricht in der Muttersprache Deutsch finden sich in Kamper (1997), deren Adaption
auf die Lernsituation in der Zweitsprache in Ritter (2004).
In der Phase des lautgetreuen Schreibens (alphabetische Strategie nach Günther 1995)
können Spracherwerb und Schriftspracherwerb voneinander profitieren: das in dieser
Schriftspracherwerbsphase zentrale genaue Hören und Aussprechen von Wörtern und
Sätzen wird durch phonetische und phonologische Spracharbeit unterstützt und umge-
kehrt. Hier darf vor allem nicht mit inhaltlich unzusammenhängenden oder unbekannten
phonetischen Beispielwörtern gearbeitet werden. Auch einfach erscheinende Laut-Zei-
chen-Beziehungen müssen sorgfältig aufgebaut werden, sodass den Lernenden sowohl
die bewusste Erforschung der Phänomene wie auch die implizite Regelbildung möglich
ist. Gleichzeitig ist in dieser Phase zu berücksichtigen, dass die Lesestrategie dieser Phase
nach Günther im Gegensatz zur Schreibstrategie keine alphabetische, sondern noch eine
logographemische ist: Die Lernenden erschließen mit Hilfe des Kontextes und teilweise
„ratendem“ logographemischem Lesen bereits Texte, die sie so noch nicht zu schreiben
imstande wären. Auch dies kann für den Spracherwerb genutzt werden, indem nicht
vereinfachte, sondern inhaltlich interessante Texte eingesetzt werden, die sich auf die
mündliche Spracharbeit beziehen und gerade nicht Wort für Wort entziffert, sondern
inhaltlich erschlossen werden mit Hilfe des im vorangegangenen Sprachunterricht erar-
beiteten Kontextes. So können komplexe schriftliche Texte zu einem gut bekannten Hör-
text eingesetzt werden, aus denen nur bestimmte Elemente schriftlich genauer bearbeitet
werden; auch in stellvertretendem Schreiben entstandene Texte eignen sich.
In der orthographischen Phase geht es vor allem um Kompetenz im eigenständigen
Schreiben komplexerer Texte sowie im Lesen authentischer Texte aus Alltag und Beruf
(Aufbau von Lesestrategien für inhaltsorientiertes Lesen, selektives Lesen, Aufbau von
Textsortenwissen, …). Grundlagen der Orthographie werden weiter ausgebaut, ebenso
Strategien zum Überarbeiten eigener Texte. Auch die Differenzierung von inhalts- und
formorientiertem Arbeiten ist hier noch immer zu beachten, dafür ist eine geeignete Me-
thodik zu verwenden.
Um zu vermeiden, dass die erworbenen Kenntnisse mangels ständiger Praxis wieder
verloren gehen, ist die Unterstützung durch ein betreutes Setting gerade für MigrantIn-
nen notwendig, die für das selbständige Ausüben des Lesens und Schreibens in der deut-
schen Sprache nicht nur mit schriftsprachlichen, sondern auch mit sprachlichen Hürden
kämpfen. Die Phase der Absicherung und Automatisierung schriftsprachlicher Fertigkei-
ten sollte von ihrer Dauer her nicht unterschätzt werden, sie kann zusätzlich genutzt
werden für den parallelen bedarfsorientierten Ausbau der Sprachkenntnisse in DaZ.
123. Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch 1123

6.3. Zweitspracherwerb im Alphabetisierungskurs:

Alphabetisierungsunterricht in der Zweitsprache Deutsch beinhaltet eine ganz eigene und


spannende Herausforderung: Die Kommunikationssprache, in der das Fach Alphabeti-
sierung unterrichtet werden soll, muss insbesondere mit der Gruppe der DaZ-Anfän-
gerInnen unter den Lernenden in der Alphabetisierung erst aufgebaut werden. Für das
Erlernen eines alphabetischen Schriftsystems ist die Beherrschung der Lautsprache eine
Voraussetzung: lesen und schreiben lernen kann man nur, was man auch verstehen und
(aus-)sprechen kann. Andererseits ist der Erwerb mündlicher Sprachkompetenzen nicht
von der Alphabetisierung abhängig, dies beweisen nicht zuletzt auch TeilnehmerInnen
von Alphabetisierungskursen, die gleich mehrere Sprachen fließend sprechen. Die Lern-
fortschritte beim Verstehen und Sprechen können mitunter deutlich größer sein als beim
Lesen und Schreiben, Unterrichtende müssen deshalb eine möglicherweise größer wer-
dende Schere zwischen den einzelnen Fertigkeitsniveaus zulassen und darauf achten, dass
sie über den zu Beginn langsameren Schrifterwerb nicht auf die Förderung mitunter
schneller voranschreitender mündlicher Fertigkeiten vergessen.
Um den Spracherwerb von MigrantInnen zu fördern, die noch unsicher oder gar nicht
lesen und schreiben können, muss der DaZ-Unterricht also vorwiegend mit mündlichen
Aktivitäten auskommen, vor allem dann, wenn es um komplexere sprachliche Ebenen
wie Grammatik geht. Die im DaZ- oder Fremdsprachunterricht eingesetzten schriftlichen
Lern- und Übungsmaterialien greifen hier zu kurz, da ihre Dekodierung bereits die Kon-
zentration fordert, die ja gerade auf das Erarbeiten von Satzstrukturen, Konjugation
usw. gelenkt werden soll.
Bei fortgeschrittenen Lernenden mit schriftlichen Grundkenntnissen kann und soll
Spracharbeit auch an schriftlichen Unterlagen vorgenommen werden, wenn für den De-
kodierungsprozess genügend Zeit eingeräumt wird.
Für den DaZ-Unterricht bietet sich vor allem das erwachsenengerechte, lernerorien-
tierte Konzept des Fremdsprachenwachstums (Buttaroni 1996) an, dessen Methodik kon-
struktive mündliche Spracharbeit auch ohne die üblichen schriftlichen Unterrichtsmate-
rialien ermöglicht. Da weiters vorwiegend mit authentischen Materialien gearbeitet wird,
lässt sich das Konzept gut auf die Zweitsprachsituation übertragen. Besonders die Aktivi-
täten zum inhaltsorientierten wie zum formorientierten (Grammatik) Erarbeiten von
Hörtexten und mündlichen Dialogen (freies und gelenktes Sprechen, Gesprächskon-
struktion) lassen sich erfolgreich für die Lernsituation mit AnalphabetInnen modifizieren
und übertragen, ebenso das Erarbeiten von Lesetexten und das freie Schreiben. Vor allem
ermöglicht die Methodik den Lernenden, die oben erwähnten Puzzleteilchen von mündli-
cher und auch schriftlicher Sprache konstruktiv und selbstgesteuert (innerhalb eines ge-
lenkten Settings) zu erarbeiten. Sprachelernen wird damit spannend und lustvoll auch
für nicht literate Menschen. Zum Einsatz des Fremdsprachenwachstums im Alphabetisie-
rungsunterricht mit MigrantInnen siehe Gross (2005), Faistauer et al. (2006: 27⫺45),
Ritter (2004).
Die Fertigkeiten Sprechen und Verstehen für den DaZ-Teil im Alphabetisierungskurs
müssen stärker auf die Lebensrealität und die Anforderungen der konkreten Lernenden
bezogen sein als im DaZ-Unterricht mit literaten Lernenden. Sie werden mit vorrangig
mündlicher und reduzierter schriftlicher Methodik erreicht. Weiters ist zu berücksichti-
gen, dass neben dem Alphabetisierungsprozess und dem Erarbeiten von geeigneten
1124 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

Sprachlernstrategien nur ein Teil der Unterrichtszeit für das Deutschlernen zur Verfü-
gung steht. Inhaltliche Vorgaben können also nur unter den obigen Gesichtspunkten
modifiziert aus DaZ-Curricula übertragen werden.

6.4. Lernerorientierung und Dierenzierung

Bei der Fülle von Lerngegenständen (Schrift, Sprache, Lernstrategien) ist das Auseinan-
derhalten von inhalts- und formorientiertem Arbeiten wesentlich. Beide Prozesse müssen
mit den geeigneten Methodiken und mit genügend Zeit sowie voneinander abgegrenzt
erarbeitet werden. So erfolgt z. B. mündliche Grammatikarbeit am Hörtext erst nach
seiner ausführlichen inhaltlichen Erarbeitung.
Lernerorientierung ist aktives Wahrnehmen der Lernenden und ihrer Ziele, Bedürf-
nisse, Schwierigkeiten, sowie ihrer individuellen Lernfortschritte. Lernerorientierung be-
deutet in ihrer Konsequenz auch Kreativität beim Finden von Lösungsstrategien, die den
Lernenden das Lernen leichter machen und Lernschwierigkeiten überwinden helfen. Sie
macht adäquate Entwicklung von Didaktik und Methodik erst möglich.
Lernerorientierung in der Alphabetisierung mit MigrantInnen unterscheidet sich nicht
grundsätzlich von Lernerorientierung in DaZ-Kursen oder in der muttersprachlichen Al-
phabetisierung in Grundschulen und lässt sich an folgenden Eckpunkten festmachen:
Erheben von Bedarf und Zielen, Einbezug der Interessen und vorhandenen Ressourcen
der Lernenden, sowie Abstimmen von Unterrichtsinhalten, Art und Modus der Aktivitä-
ten auf die Lernenden. Offener Unterricht und Werkstattunterricht erleichtern lernero-
rientiertes Unterrichten.
Lernerorientierung manifestiert sich sowohl im Unterricht wie auch in der Wahl des
Unterrichtsansatzes und der Konzeption der Maßnahmen: Passgenauigkeit von Alphabe-
tisierungs- und Grundbildungsangeboten setzt Bedarfserhebung und Einbeziehen von
Erfahrungen und Sichtweisen der Betroffenen und daraus resultierend differenzierte
Lernangebote voraus. Gerade Menschen ohne positive Erfahrung in formaler Bildung
erleben Lernen als subjektiv sinnvoll, wenn Lernangebote lebenswelt-, kontext- und situ-
ationsadäquat sind. Die Ausrichtung an der Heterogenität der Lernenden darf nicht nur
als Schlagwort im Curriculum vorkommen.
In der Konsequenz von Lernerorientierung entsteht Empowerment der Lernenden
durch Wertschätzung der mitgebrachten Kenntnisse und Erfahrungen, durch Autono-
mieförderung und adäquaten Unterricht, der sich an den Bedürfnissen und Lernzielen
der Teilnehmenden orientiert.

6.5. Selbstbestimmtes Lernen, Lernstrategien

Die erwachsenen Lernenden in Alphabetisierungskursen verfügen nicht über die üblichen


schulischen Lernstrategien und -techniken. Sie haben aber oft schon mehrere Sprachen
erfolgreich gelernt, memorieren Wichtiges, anstatt es aufzuschreiben, verfügen über
Problemlösungsstrategien (die ihnen durch die Migration und beim Aufbau einer Exis-
tenz im Zielland geholfen haben), etc. Diese autodidaktisch erworbenen Lern- und Prob-
lemlösungsstrategien gilt es aufzugreifen und für den effizienten systematischen Erwerb
von Sprache und Schrift zu erweitern und zu ergänzen. Zeitliche und finanzielle Ressour-
123. Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch 1125

cen der erwachsenen Lernenden lassen es meist nicht zu, dass sie über viele Jahre hinweg
Kurse besuchen ⫺ umso wichtiger ist es, sie im Unterricht für das eigenständige Lernen
auch nach dem Kurs zu befähigen und zu stärken.
Kinder und Jugendliche profitieren von geeigneten Lernstrategien nicht nur für Al-
phabetisierung und Spracherwerb, sondern auch für ihren weiteren Schulbesuch. Auch
für sie gilt, dass die schulischen Maßnahmen für Alphabetisierung und DaZ zeitlich be-
schränkt sind, also ebenfalls Eigeninitiative erforderlich ist, wollen sie erfolgreich durch
Schule und Ausbildung kommen.

Unterrichtsinhalte/Elemente des Curriculums sind somit auch:


⫺ Unterstützung beim Aufbau von Sprachbewusstsein und Sprachlernbewusstsein
⫺ Unterstützung beim Erwerb der notwendigen Elemente einer Metasprache, mit deren
Hilfe Sprache und Schrift und deren Erlernen kommunizierbar und für die Lernenden
fassbar werden
⫺ Vermittlung von Instrumenten der Ökonomisierung, Effektivierung und Automatisie-
rung von Sprach- sowie Schriftlernprozessen
⫺ Unterstützung bei der Formulierung von Lernzielen und Teilzielen sowie deren Evalu-
ierung durch die Lernenden selbst. (Kamper 1997: 35⫺44; Faistauer et al. 2006:
33⫺38)

6.6. Diversität als Grundhaltung und Einbezug der Muttersprachen


Wenn Integration und Inklusion, nicht Assimilation als Konzept hinter den Alphabetisie-
rungsmaßnahmen stehen, ist das respektvolle und wertschätzende Einbeziehen der Indi-
vidualität und Diversität der Lernenden (und auch der Unterrichtenden) eine Möglich-
keit, kulturelle, ethnische und religiöse Vielfalt im Kurs zu leben. Im Kurs spiegelt sich
die multikulturelle Gesellschaft mit all ihren Chancen und Herausforderungen wider. Für
Unterrichtende und Lernende ist das eine Chance, bewusster mit den eigenen Diversitä-
ten umzugehen und das Zusammenleben mit „dem Anderen“ zu üben. So können etwa
verschiedene Muttersprachen, Lebensrituale, Spiritualitäten als wertvoll und interessant
thematisiert werden, ohne dass Unterrichtende oder Lernende wertend oder gar missio-
narisch agieren (siehe Ritter 2005).
Auch wenn bei erstsprachig heterogenen Gruppen nicht zweisprachig gearbeitet wer-
den kann, so macht es trotzdem Sinn, den Lernenden immer wieder Gelegenheit zum
Wiederholen, Nachdenken und Reflektieren über Lerninhalte und Lernprozess in der
Muttersprache zu geben, bspw. in Partnergesprächen mit Mitlernenden. Hier kann sich
Gelerntes mit Hilfe der Muttersprache konkretisieren und festigen, Fragen können leich-
ter formuliert und geklärt werden. So wie für das Sprachenlernen allgemein der Rückbe-
zug zur Muttersprache notwendig ist, bewirkt fehlender Rückbezug des Erlernten zur
Muttersprache auch in der Alphabetisierung ein „In der Luft hängen“ des Gelernten in
Schrift und Sprache.

6.7. Materialien
Bezüglich der verwendeten Materialien stellt sich die Frage, ob der Einsatz eines kurstra-
genden Lehrwerkes in lerner- und bedarfsorientierten Kursen sinnvoll ist. Derzeit existie-
1126 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

rende Lehrwerke können als Steinbruch genutzt werden (z. B. Vorlagen für die Buchsta-
benarbeit, Hörtexte aus niederschwelligen DaZ-Lehrwerken), für die Textproduktion
und -rezeption empfehlen sich authentische Texte aus den Interessensgebieten der Ler-
nenden sowie die von den Lernenden produzierten Texten, die auch als Grundlage für
sprach- und schriftsystematische Übungen aufgegriffen werden können.

7. Kompetenzbilanz, Portolio: Wie können Kenntnisse


dokumentiert und nachgewiesen werden?
Obwohl erwachsene und jugendliche Zuwanderer zunehmend unter dem Druck stehen,
sprachliche und schriftliche Kenntnisse auch formal nachzuweisen, existieren im deutsch-
sprachigen Raum noch keine für MigrantInnen mit Alphabetisierungsbedarf geeigneten
Instrumente. Die Entwicklung von Kompetenzbilanzen oder Portfolios, welche die mo-
dulare Beschreibung von mündlichen und schriftlichen Kenntnissen auf unterschiedli-
chen Niveaus in den verschiedenen Fertigkeiten zulassen, steht noch aus (vgl. aber
Art. 147). So wie auch der GER nicht als Messlatte quer über sämtliche Fertigkeiten des
Fremdsprachenlernens gelegt werden will (Europarat 2001: 28⫺29), so ist gerade bei
Kompetenzdokumentationen für die Alphabetisierung in DaZ auf die Entkoppelung der
Bereiche Sprache und Schrift zu achten. Nur so können die mitunter weit auseinander
liegenden schriftlichen und mündlichen Kompetenzen adäquat dokumentiert werden.
Die Kompetenzbilanzen sollten offen genug sein, auch informelles Lernen aus der
privaten und beruflichen Lebenserfahrung einzubeziehen. Auch Lernstrategien, Umgang
mit den neuen Medien, Informationsbeschaffung und -bewertung können in diese Kom-
petenzbilanzen einbezogen werden, ebenso die Mehrsprachigkeit der Zuwanderer, die
mündlich oft mehrere Sprachen umfasst. Für Erwachsenene und Jugendliche macht wei-
ters die berufs- bzw. tätigkeitsorientierte Situierung der Kompetenzbilanzen Sinn, die
ihre sprachlichen und schriftlichen Kompetenzen auf die Bewältigung konkreter Aufga-
benstellungen bezieht. Dies wird der vielschichtigen Natur von Literalität besser gerecht.
Eine Orientierung können das Sprachen- und Qualifizierungs-Portfolio aus dem DaZ-
Bereich (Plutzar und Haslinger 2005) geben, im internationalen Alphabetisierungsbereich
z. B. Stockmann (2006) sowie „Equipped for the Future“ (Stein 2000), ein Framework,
das die Lernzielfindung und deren Evaluation mit den Lernenden einbezieht. Im Rahmen
eines Projektes (2008⫺2011) wird derzeit an der Entwicklung von Kompetenzmanage-
ment-Instrumenten für MigrantInnen in der Grundbildung gearbeitet (Kompetenzaner-
kennungszentrum der Volkshochschule Linz: www.kompetenzprofil.at; AlfaZentrum
Wien: www.vhs.at/alfazentrum).

8. Beratung und Einstuung

Beratungs- und Einstufungsgespräche für Alphabetisierungskurse in DaZ leisten ein


Mehrfaches: von der Information der KursinteressentInnen über Ermutigung und Aner-
kennung des Bildungswillens der Betroffenen, das Erheben des Kenntnisstandes in der
Zweitsprache Deutsch sowie in der Schriftsprache, bis hin zum Erheben der persönlichen
123. Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch 1127

Lernziele. Da die Betroffenen in unterschiedlichem Ausmaß Ängste und Traumata be-


züglich Lernen und Schrift mitbringen, hat die Erstberatung auch eine sozialberatende
Komponente. Hält man sich die existentiellen Zusammenhänge für die Betroffenen vor
Augen ⫺ Sprache und Schrift sind für die tägliche Lebensbewältigung nötig, die Kom-
munikation mit der Mehrheitsgesellschaft läuft auf allen Ebenen über die deutsche Spra-
che und Schrift ⫺ wird sichtbar, dass sowohl bereits vorhandene Kenntnisse wie auch
die Lernziele konkrete berufliche oder private Handlungsfelder betreffen und somit stan-
dardisierte allgemeine Tests weder für die Lernstandserhebung noch für die Erhebung
von Zielen das Mittel der Wahl sein können. Standardisierte Einstufungstests würden
hier nur zufällig nutzbare Ergebnisse bringen. Ein Beratungsgespräch durch qualifizierte
Beratende hingegen bringt adäquate Ergebnisse für die Einstufung, der dabei in Erfah-
rung gebrachte Stand der Vorkenntnisse und Lernziele können zusätzlich für die Kurs-
planung genutzt werden (vgl. Art. 129).

9. Aus- und Weiterbildung


Die Ausbildung für den Unterricht in Alphabetisierung in DaZ hat ein breites Spektrum
an Know How aufzubauen: Befähigung zum koordinierten Unterricht von Sprache und
Schrift, Kompetenzen in der Weiterentwicklung von Methodik und Materialien, in För-
derdiagnostik, Beratungskompetenz für Erstberatung und kursbegleitende Lernbera-
tung, aber auch soziale Erstberatungskompetenz bei sozialen Problemen der Lernenden,
Begleitungskompetenz beim Integrationsprozess, interkulturelle Sensibilität und Diversi-
tät, sowie Sensibilität gegenüber gesellschaftlichen Diskriminierungen von Zuwanderern
und Bildungsbenachteiligten.
Bereits existierende Aus- und Weiterbildungen für die Alphabetisierung mit Migran-
tInnen in der Erwachsenenbildung sind bspw. der Lehrgang Alphabetisierung und
Deutsch mit MigrantInnen des AlfaZentrums der Wiener Volkshochschulen (Ritter
2008b), der Schweizer Modullehrgang Literator/in für Mutter- und Fremdsprachige, der
Bielefelder Lehrgang zur Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch sowie der Leipzi-
ger Lehrgang für DaZ-Lehrkräfte in Integrationskursen mit Alphabetisierung.
Vergleicht man die Anforderungen an die Unterrichtenden mit den Rahmenbedingun-
gen ihrer Arbeit, ist eine massive Diskrepanz festzustellen: Die Lehrenden im Erwachse-
nenbildungsbereich arbeiten zum Großteil auf der Basis freier Dienstverträge mit ent-
sprechender Unsicherheit und niedrigen Honoraren und nur zum kleinsten Teil fest an-
gestellt. Institutionen und Auftraggeber erwarten die genannten mehrfachen Kompetenz
sowie langjährige Erfahrung, können aber keine qualitätssichernden und auf Nachhaltig-
keit gründenden Arbeitsbedingungen gewährleisten. Hier ist vor allem die Bildungspoli-
tik gefragt, für angemessenere Rahmenbedingungen zu sorgen.

10. Literatur in Auswahl


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1128 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

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Monika Ritter, Wien (Österreich)


1130 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

124. Textkompetenz und Lernen in der Zweitsprache


1. Was ist Textkompetenz?
2. Textkompetenz und Bildungserfolg
3. Textkompetenz und Sachlernen
4. Förderung von Textkompetenz
5. Literatur in Auswahl

1. Was ist Textkompetenz?

1.1. Literacy  Kontextualisierung und historische Entwicklung des


Begris

Der Begriff „Literacy“ wird in der angloamerikanischen Forschung generell für Schrift-
kundigkeit verwendet und ist auf all jene Bereiche der Bildung und Ausbildung bezogen,
die für eine Wissensgesellschaft elementar sind (academic literacy, multimedia literacy
etc.). Die „Literacy“-Forschung beschäftigt sich mit der Frage nach der Rolle und Funk-
tion von Schriftkundigkeit in einer Gesellschaft und deren Einfluss auf die Möglichkeiten
eines Individuums, am sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Leben zu
partizipieren.
Ein Blick auf die historische Entwicklung dieses Begriffs zeigt, dass literacy ursprüng-
lich vor allem als Kennzeichen westlicher, schriftkundiger Menschen betrachtet wurde,
die sich von Angehörigen oraler Gesellschaften durch größere intellektuelle Fähigkeiten
unterscheiden (vgl. Goody und Watt 1962). Diese Sichtweise lag zahlreichen psychologi-
schen und anthropologischen Arbeiten zugrunde und ist als great divide-theory in die
literacy-Diskussion eingegangen (vgl. Street und Lefstein 2007: 37).
Seit Beginn der 1980er Jahre wird literacy nicht mehr als ein bloß individuelles, son-
dern vielmehr als ein gesellschaftliches und kulturelles Phänomen betrachtet und in seiner
grundlegenden Bedeutung für das soziale Zusammenleben und den Fortschritt gesehen.
Literat sein bedeutet demnach nicht nur lesen und schreiben zu können, sondern auch
über die Fähigkeit zu verfügen, mit verschiedenen Optionen der geschriebenen und der
gesprochenen Sprache in einer Schriftkultur umzugehen und über sie als ein „kulturelles
Werkzeug“ zu verfügen (vgl. Brockmeier 1998: 201). Literatheit zeigt sich in der Fähig-
keit, die kulturspezifischen und sozialen Gebrauchszusammenhänge dieser Optionen zu
erkennen und zu berücksichtigen (Kern 2000: 4).
Anfang der 1990er Jahre entstanden zahlreiche interdisziplinäre Forschungsarbeiten
(„New Literacy Studies“), die sich mit literalen Praktiken und ihren sozialen und kultu-
rellen Dimensionen befassen (Street 1995, 1997)). Auch die soziokulturelle Prägung der
literalen Praxis in Bildungsinstitutionen ist in diesem Zusammenhang ein Thema: So
wird etwa die Schule als eine „Mittelschichtinstitution“ bezeichnet (Ehlich und Rehbein
1986: 172), die die literalen Praktiken der Mittelschichtfamilie übernimmt und zur Norm
erhebt (vgl. Street 1995: 104).
Neben soziokulturell ausgerichteten Forschungsarbeiten entstanden auch eine Reihe
von kognitiv orientierten Literacy-Studien, die sich mit den Auswirkungen der literalen
124. Textkompetenz und Lernen in der Zweitsprache 1131

Entwicklung auf die Sprach- und Denkfähigkeiten eines Individuums beschäftigen. Ihr
gemeinsamer Bezugspunkt besteht in der Annahme, dass Schriftlichkeit die Konzeptuali-
sierung von Sprache grundlegend verändert und literale Fähigkeiten neue Perspektiven
des sprachlichen Handelns, Denkens und Lernens eröffnen.
In der neueren Literacy-Forschung spielen auch lerntheoretische und didaktische As-
pekte eine zunehmend bedeutende Rolle. Ein häufig diskutiertes Thema ist kooperatives
Lernen, das als sozial-konstruktivistischer Prozess der Bedeutungsaushandlung betrach-
tet und in seinem Potential für den Sprach- und Wissenserwerb im Unterricht ausgelo-
tet wird.
Kress et al. (2000) plädieren für eine multimodale Perspektive auf kognitive Verarbei-
tungsprozesse und dafür, sprachliche und nichtsprachliche Zeichensysteme aufeinander
zu beziehen („multiliteracies“). „Multimodale Textkompetenz“ (Weidacher 2007) ist in
der Schule vor allem in den Sachfächern gefordert, da nonverbale Zeichensysteme (Dia-
gramme, Tabellen, Statistiken, etc.) für die Konstruktion von Bedeutungen und das Er-
schließen von Fachtexten eine wichtige Rolle spielen.

1.2. Textkompetenz  ein neuer Begri im Zentrum der Literacy-


Diskussion
In der deutschsprachigen Diskussion kursiert der Begriff der „Textkompetenz“ (Port-
mann-Tselikas 2001, 2002; Schmölzer-Eibinger 2008) neben Begriffen wie „Bildungsspra-
che“ (Gogolin 2004, 2007), „Sachfachliteralität“ bzw. „sachfachbezogene Diskurskompe-
tenz“ (Vollmer 2008; Zydatiß 2002, 2005). Diese Begriffe sind in unterschiedlichen fach-
lichen Kontexten entstanden und durch verschiedene Zugänge gekennzeichnet.
Gemeinsam ist ihr Fokus auf Lern- und Erwerbsprozesse in institutionellen Bildungskon-
texten. Während Gogolin eine erziehungswissenschaftliche Perspektive einnimmt und
von „Bildungssprache“ als zentraler Voraussetzung für den Schulerfolg spricht, fokussie-
ren Arbeiten zur „Diskurskompetenz“ auf sprachliche Kompetenzen in den Sachfächern.
Der Begriff der Textkompetenz unterscheidet sich von soziologisch, kulturwissenschaft-
lich und erziehungswissenschaftlich geprägten Ansätzen vor allem durch seine Orientie-
rung an Erkenntnissen der Textlinguistik und der Schreibforschung. Für die gegenwär-
tige Textkompetenzforschung ist eine Fokussierung auf Fragen des Erwerbs und der
Vermittlung von Wissen in der Zweitsprache charakteristisch. Textkompetenz wird als
Fähigkeit verstanden, „Texte selbständig zu lesen, das Gelesene mit den eigenen Kennt-
nissen in Beziehung zu setzen und die dabei gewonnenen Informationen und Erkennt-
nisse für das weitere Denken, Sprechen und Handeln zu nutzen. Textkompetenz schließt
die Fähigkeit ein, Texte für andere herzustellen und damit Gedanken, Wertungen und
Absichten verständlich und adäquat mitzuteilen“ (Portmann-Tselikas 2005: 2). Dieses
Begriffsverständnis bezieht sich nicht nur auf das Lesen und Schreiben, sondern auch
auf das Reflektieren, Abwägen und kritische Bewerten von schriftsprachlich gefasster
Information.
Aktuelle Arbeiten zur Textkompetenz beziehen sich überwiegend auf den Lernkontext
der Schule und des Studiums. Im Zusammenhang mit dem Wissenserwerb in der Zweit-
sprache sind hier vor allem die folgenden Aspekte von Bedeutung:
1. Textkompetenz ist eine individuelle Fähigkeit, die von früher Kindheit an entwickelt
und im Laufe der literalen Entwicklung entfaltet wird. Eine anregende literale Praxis
1132 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

in der Familie fördert die Textkompetenz eines Kindes, längst bevor es selbst lesen
und schreiben kann. Nicht alle Kinder finden jedoch ein Umfeld vor, in dem sie in
ihrer literalen Entwicklung ausreichend gefördert werden; das gilt für Migrantenkin-
der vielfach in besonderem Maße.
2. Textkompetenz ist eine soziale Fähigkeit, die in der sozialen Praxis des Lesens und
Vorlesens, des Schreibens und des Redens über Texte erworben wird. Das Erzählen
und Besprechen von Alltagserfahrungen, das Aushandeln von Bedeutungen, das Re-
den über Geschichten, das Gespräch über Bücher ist für die literale Entwicklung eines
heranwachsenden Kindes entscheidend. Diese Aktivitäten haben im Alltag längst
nicht aller Lernenden einen selbstverständlichen Platz; das gilt vor allem für Schüle-
rinnen und Schüler mit Migrationshintergrund.
3. Textkompetenz ist nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine kognitive Fähigkeit.
Wissen anhand von Texten zu erwerben bedeutet, Informationen aus Texten zu er-
schließen, mit dem vorhandenen Wissen zu verknüpfen und zu restrukturieren. Das
aus den Texten gewonnene Wissen wird dabei „umgeschrieben“ (representational rede-
scription, Karmiloff-Smith 1992) und muss, um für andere darstellbar zu werden,
sprachlich neu konzeptualisiert werden. In diesem Prozess der Wissenskonstruktion
werden „mentale Modelle“ aufgebaut, geprüft und verändert (Portmann-Tselikas
2007: 275). Auch diese Fähigkeit wird bereits in früher Kindheit angelegt und später
in der Schule weiter entwickelt ⫺ und auch hier gilt, dass nicht alle Lernenden da-
rüber in dem Maße verfügen, wie es die Schule von ihnen verlangt.
4. Textkompetenz ist eine sozial determinierte Fähigkeit. Faktoren wie der Beruf, die
soziale Positionierung und der Bildungshintergrund der Eltern spielen hier eine wich-
tige Rolle; ebenso die sozioökonomische Lage und die Wohnverhältnisse der Familie
(vgl. Brizić 2003, 2007). Migrantenkinder stammen vielfach aus bildungsfernen, sozial
und sozioökonomisch benachteiligten Familien und verfügen daher oft nicht über jene
Voraussetzungen, die eine erfolgreiche Bildungslaufbahn ermöglichen würden.
5. Textkompetenz ist eine transferierbare Fähigkeit, die von der Erst- auf die Zweitspra-
che weitgehend übertragbar ist. So können etwa Lernende, die in ihrer Erstsprache
effiziente Strategien des Lesens entwickelt haben, diese auch beim Lesen in der Zweit-
sprache nutzen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass sie eine sprachliche Basis aufgebaut
haben, d. h. dass sie grundlegende sprachliche Mittel und Strukturen in der Zweitspra-
che beherrschen (vgl. Schmölzer-Eibinger 2008: 57). Viele Zweitsprachenlernende ver-
fügen jedoch weder in ihrer Erstsprache noch in der Zweitsprache über eine gut entwi-
ckelte Textkompetenz und können Transferpotentiale daher auch nicht ausschöpfen.
6. Textkompetenz ist eine kulturell geprägte Fähigkeit. Das betrifft das Verstehen und
Interpretieren von Romanen oder Gedichten ebenso wie das Erschließen, Erklären
oder Diskutieren von Sachtexten. Migrantenkindern sind die kulturgeprägten Formen
der literalen Praxis in der Schule oft weder vertraut noch geläufig.
Textkompetenz wird auch verwendet, um kulturelle Standards zu definieren: Bildungsins-
titutionen wie die Schule legen fest, was gute Texte sind und was einen kompetenten
Umgang mit Texten ausmacht (vgl. Portmann-Tselikas 2005: 1). Kulturelle Standards
bestimmen, wie die Leistungen der SchülerInnen einzustufen und zu beurteilen sind. Die
Normen, die auf diese Weise zum Maßstab erklärt werden, steuern die Art des Denkens,
Verstehens und der Aneignung von Wissen. Schulerfolg ist schließlich nur möglich durch
eine Orientierung an den vorherrschenden kulturellen Standards. Für „bildungsferne“
SchülerInnen, und das betrifft jene mit Migrationshintergrund in besonderem Maße,
werden diese vielfach zur unüberwindbaren Hürde.
124. Textkompetenz und Lernen in der Zweitsprache 1133

2. Textkompetenz und Bildungserolg


Textkompetenz ist in der Schule nicht nur im schriftlichen, sondern auch im mündlichen
Sprachgebrauch verlangt ⫺ selbst da, wo im Unterricht gesprochen wird, erfolgt der
Wissenserwerb primär anhand einer textgeprägten Sprache, die anderen Charakters ist
als die erfahrungs-, erlebens- und kontaktbasierte Sprache des Alltags (vgl. auch Art. 109
und 110). Die Sprache der Schule ist gekennzeichnet durch maximale Kontextentbin-
dung, durch eine Anhäufung von Propositionen, durch sprachliche Explizitheit und Abs-
traktion, durch grammatisch wohlgeformte, komplexe Strukturen, durch einen fachspe-
zifisch geprägten Wortschatz und ein differenziertes Inventar an Textverknüpfungsmit-
teln (vgl. Feilke 2007). Es treten gehäuft Passivkonstruktionen, Funktionsverbgefüge,
Komposita und Nominalisierungen auf, alltagssprachliche Begriffe kommen zwar vor,
werden aber vielfach umgedeutet und mit neuen Bedeutungen versehen.
Im Laufe des Schulalters wird das situationsgebundene, mündlich geprägte Sprach-
vermögen der Schülerinnen und Schüler sukzessive in eine durch abstraktes Denken und
fachliche Wissensschemata geprägte Sprache umgebaut. Dies zeigt sich nach Portmann-
Tselikas (1998: 28) in einer zunehmenden Konzeptualisierung sowie in einer fort-
schreitenden thematischen Verknüpfung und einer immer stärker werdenden Sprachlas-
tigkeit. Diese „Überformung“ des alltagsbezogenen Sprachgebrauchs ermöglicht eine
neue Art des Denkens und des Umgangs mit Sprache (vgl. Portmann-Tselikas 1998: 26):
Man kann über Dinge nachdenken und sprechen, die sich der unmittelbaren Wahrneh-
mung entziehen, z. B. über Vergangenes (historische Ereignisse im Geschichtsunterricht),
nicht Sichtbares (Zellen und Atome im Biologieunterricht) oder nicht Erfahrbares
(fremde Länder und Kulturen im Geografieunterricht). Das mündliche Sprachvermögen
wird dabei nicht einfach verdrängt, sondern vielmehr ausdifferenziert, erweitert und re-
strukturiert. Damit wird ein sprachliches Handlungswissen eigener Art erworben, das
nicht nur die schriftlichen, sondern auch die mündlichen Sprachgebrauchsweisen der
Schülerinnen und Schüler tiefgreifend verändert und prägt (vgl. Feilke 1996: 1181).
Die mit dem schulischen Sprachgebrauch verbundenen Anforderungen sind schon für
so manche Muttersprachige, umso mehr aber für viele Zweitsprachenlernende schwer
bewältigen. Die Probleme von Zweisprachenlernenden, die Leistungsanforderungen im
Unterricht zu erbringen, werden im Laufe der Schulzeit oft trotz zunehmender mündli-
cher Sprachkompetenz nicht kleiner, sondern immer größer (vgl. De Cillia 1998: 231;
Reich und Roth 2001: 22). Dies hat vor allem mit den im Laufe der Schulzeit immer
komplexer werdenden Anforderungen in den Sachfächern zu tun. Textkompetenz ist da-
her in der Schule nicht nur im Sprachunterricht, sondern auch im Sachunterricht eine
zentrale Basis des Lernens.

3. Textkompetenz und Sachlernen


Die Vermittlung und der Erwerb der jeweiligen fachlichen Inhalte erfolgt im Sachunter-
richt primär anhand von Texten. Sachtexte erlauben es, „Welt“ in Sprache zu fassen und
darzustellen, wie Phänomene zustande kommen und welche Wirkungszusammenhänge
ihnen zugrunde liegen (vgl. Portmann-Tselikas und Schmölzer-Eibinger 2008: 7). Selbst
dort, wo Sachtexte durch visuelle Informationen erläutert, ergänzt oder illustriert werden
1134 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

(z. B. Grafiken, Diagramme), liefern sie die zentralen Informationen, Konzepte und Ka-
tegorien für das jeweilige Fach. Sachtexte erheben Anspruch auf Objektivität, sie sind
durch eine hohe Informationsdichte, begriffliche Präzision, Explizitheit und komplexe
Formulierungsschemata gekennzeichnet. Im Umgang mit Sachtexten ist von den Schü-
lerinnen und Schülern vor allem die Fähigkeit gefordert, relevante Informationen und
Sinnzusammenhänge zu erkennen, zu verarbeiten und die gewonnenen Erkenntnisse
nachvollziehbar darzustellen (vgl. Portmann-Tselikas und Schmölzer-Eibinger 2008: 9).
Es bedarf der Kenntnis fachspezifischer Denkweisen, Kommunikationsschemata und Be-
griffe, des Wissens um textsortenspezifische Muster und textbildende Prozeduren sowie
um die jeweils relevanten kommunikativen Funktionen und sprachlichen Mittel.
Sachfachliteralität zeichnet sich nach Vollmer (2006: 211) dadurch aus, dass Lernende
in der Lage sind, sich mit den fachlichen Meinungen und Konzepten anderer argumenta-
tiv auseinanderzusetzen und Bedeutungen in einem sachadäquaten Diskurs auszuhan-
deln. Der Wissenserwerb anhand von Sachtexten erfordert nicht nur das Verstehen und
Wiedergeben von Inhalten, sondern auch die Reflexion und kritische Auseinandersetzung
mit fachbezogenen Informationen (vgl. Art. 116).
SchülerInnen, die nicht über diese Fähigkeit verfügen, haben vielfach Probleme, die
Anforderungen an den Wissenserwerb im Sachunterricht zu bewältigen. Das betrifft das
Erfassen, Darstellen und Verknüpfen von Informationen ebenso wie das Diskutieren
und Reflektieren von Beobachtungen, Wahrnehmungen oder Einsichten. Eine besondere
Schwierigkeit besteht vielfach darin, Bedeutungen und Sinnzusammenhänge im jeweili-
gen Kontext zu erkennen und Texte distanziert und aus unterschiedlichen Perspektiven
zu betrachten (vgl. Schmölzer-Eibinger 2008: 147). Das betrifft SchülerInnen, die die
Unterrichtssprache als Erstsprache beherrschen, ebenso wie Lernende, für die die Unter-
richtssprache eine Zweitsprache ist. Zweitsprachenlernende sind von diesen Problemen
jedoch bei weitem häufiger und stärker betroffen. Sie verfügen oft nicht über die gefor-
derten sprachlichen, kommunikativen und kognitiven Mittel, die es ihnen ermöglichen
würden, mit der schriftsprachlich geprägten Sprache im Unterricht zurande zu kommen.
Betrachtet man Textkompetenz als Schlüsselkompetenz des Lernens, so kann auf För-
derung von Textkompetenz in den Sachfächern nicht verzichtet werden. Eine Integration
des Sprach- und Sachlernens erweist sich vielmehr als zentrale Voraussetzung für den
schulischen Lernerfolg (Art. 116).

4. Förderung von Textkompetenz

Die Förderung von Textkompetenz zählt zu den zentralen Herausforderungen an das


gegenwärtige Schul- und Bildungssystem. Aus didaktischer Perspektive sind dabei fol-
gende Aspekte von Bedeutung:

Die Förderung von Textkompetenz


⫺ ist Aufgabe des Sprachunterrichts und des Sachunterrichts: Integriertes Sprach- und
Sachlernen ist in jedem schulischen Fach als zentrales Prinzip zu verankern.
⫺ ist als individuelle Förderung zu realisieren: Es gilt an den vorhandenen literalen Fähig-
keiten der Lernenden anzusetzen und diese schrittweise aufzubauen und zu erweitern.
124. Textkompetenz und Lernen in der Zweitsprache 1135

⫺ vollzieht sich im Rahmen sozialer Interaktion: Es bedarf kooperativer, aufgabenorien-


tierter Lernformen und einer authentischen, situationsbezogenen sprachlichen Praxis
(vgl. Art. 130).
⫺ realisiert sich beim Lesen und Zuhören wie auch beim Sprechen und Schreiben: Rezep-
tive und produktive Sprachhandlungsaktivitäten sind in jeder Aufgabe anzuregen und
aufeinander zu beziehen.
⫺ erfolgt primär in und durch Aktivitäten des Schreibens: Prozessorientierte, epistemi-
sche Schreibformen sind in ihrem Potential für den Wissenserwerb in der Zweitspra-
che zu nutzen (vgl. Art. 110).
⫺ ist in kulturellen Kontexten und in der vorherrschenden literalen Praxis verankert: Die
Formen der Bewertung und Reflexion von Texten und die Aktivitäten des Lesens,
Schreibens oder Sprechens sind daran auszurichten.
⫺ erfordert Lernaktivitäten, die eine aktive Wissenskonstruktion ermöglichen und för-
dern: Gefordert sind Aufgaben, die eine individuelle Aneignung und Verarbeitung von
Wissen anregen und eine mehrfache Rekonzeptualisierung und Versprachlichung des
neu gewonnenen Wissens erfordern.
⫺ ist an den zentralen Problemen der Lernenden im Umgang mit Texten zu orientieren:
Kognitiv-sprachliche Operationen wie das Selektieren, das Fokussieren, das Gewich-
ten oder das Rekonstruieren von Informationen sind ins Zentrum der Lernaktivitäten
zu stellen (vgl. Art. 114).
Mit dem literacy-based approach (Kern 2000) wurde ein erstes umfassendes didaktisches
Konzept präsentiert, das die Förderung literaler Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellt.
Mit den Aufgaben und Verfahren dieses Modells sollen Studierende dabei unterstützt
werden, jene kulturellen Orientierungen und Werte kennen zu lernen, die dem Gebrauch
einer Fremdsprache zugrunde liegen (vgl. Kern 2000: 1). Sie sollen ein neues Denken
über Sprache, Kommunikation und Kultur entwickeln und jene diskursiven Fähigkeiten
ausbilden, die es ihnen ermöglichen, die Fremdsprache im jeweiligen soziokulturellen
Kontext zu verstehen und zu verwenden. Lese- und Schreibaktivitäten werden dabei als
kognitive und soziale Praktiken betrachtet, die die Kenntnis der soziokulturellen Kon-
ventionen des Gebrauchs von schriftlicher und mündlicher Sprache voraussetzen (vgl.
Kern 2000: 111).
Für den Unterricht in mehrsprachigen Klassen wurde mit der Literalen Didaktik
(Schmölzer-Eibinger 2008) ein didaktisches Instrumentarium zur Verfügung gestellt, dass
es ermöglicht, die Textkompetenz von Zweitsprachenlernenden schrittweise aufzubauen
und zu erweitern. Es ist primär für Zweitsprachenlernende gedacht, die bereits über gute
alltagssprachliche Fähigkeiten verfügen, jedoch Probleme im Umgang mit Texten haben.
Mit den Aufgaben und Verfahren des „Drei-Phasen-Modells“ (Schmölzer-Eibinger 2008)
werden grundlegende Strategien und Praktiken im Umgang mit Texten geschult, die un-
abhängig vom jeweiligen Fach, den jeweils eingesetzten Textsorten, der Komplexität und
den Inhalten der Texte beherrscht werden müssen, um anhand von Texten kommunizie-
ren und lernen zu können. Durch die in diesem Modell vorgeschlagenen Aufgaben und
Lernaktivitäten soll ein zielgerichtetes, kooperatives und reflexives Handeln mit Texten
in authentischen Sprachlernsituationen ermöglicht werden. Prozesse des Lesens, Verste-
hens und Produzierens von Texten werden dabei eng aufeinander bezogen und integriert.
Dieses Modell ist vor allem durch zwei Neupositionierungen gekennzeichnet (vgl.
Portmann-Tselikas 2005):
1136 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

1) Die Arbeit der Lernenden wird ins Zentrum gestellt, und damit wird ihre Fähigkeit,
sich im Lernfeld zu orientieren, zum Ausgangspunkt der sprachlichen und kognitiven
Aktivitäten im Unterricht gemacht.
2) Die Aufgabe, Verständnis über die Sache zu erreichen, wird in die soziale Sphäre
verlagert und ist mit dem Auftrag an die Lernenden verbunden, sich über die Sache
zu verständigen; sprachliches Lernen und Wissenserwerb werden damit als kommuni-
kative und kooperative Praxis im Unterricht verankert.
Weitere theoretische, empirische und didaktische Differenzierungen, die auf diesen
Grundlagen aufbauen, zählen zu den zentralen Aufgaben der gegenwärtigen Forschung
im Bereich der Textkompetenz und des Lernens in der Zweitsprache ⫺ ausgehend davon,
dass eine gezielte Förderung der Textkompetenz wesentlich dazu beitragen kann, den
Schulerfolg und die Bildungschancen von Zweitsprachenlernenden zu erhöhen.

5. Literatur in Auswahl
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2005 Diskursfunktionen in einem analytischen curricularen Zugriff auf Textvarietäten und
Aufgaben des bilingualen Sachfachunterrichts. Fremdsprachen Lehren und Lernen 34:
156⫺173.

Sabine Schmölzer-Eibinger, Graz (Österreich)


1138 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

125. Interkulturelle Erziehung


1. Problemaufriss
2. Historischer Rückblick
3. Beziehungen zwischen Multikulturalität, Transkulturalität und interkultureller Erziehung
4. Interkulturelle Erziehung auf dem Prüfstand
5. Literatur in Auswahl

1. Problemauriss
Interkulturelle Erziehung bezeichnet pädagogische Ansätze, die von der Notwendigkeit
und Chance gemeinsamer Bildung von Kindern unterschiedlicher ethnischer, sprachli-
cher, sozialer, kultureller und religiöser Herkunft ausgehen, Heterogenität also als gegen-
seitige Lernchance verstehen, von der alle Betroffenen profitieren. Während sich interkul-
turelle Erziehung vornehmlich in der Schule und in Bildungseinrichtungen des Elemen-
tarbereichs vollzieht, findet interkulturelles Lernen im Sinn eines lebenslangen Lernens
in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens statt.
Interkulturelle Erziehung ist in den vergangenen Jahren häufig als pädagogische Ant-
wort auf das gesellschaftliche Phänomen wachsender Multilingualität und Multikultura-
lität verstanden worden. Neben Beiträgen zu Fragen von (interkultureller) Erziehung
und Bildung unter historischem Aspekt (Ruhloff 2004) sind aus kulturwissenschaftlicher,
gesellschafts- und bildungspolitischer Sicht systematische Grundlagen erarbeitet worden,
die das Verhältnis zwischen Kultur, Politik und (interkultureller) Pädagogik untersucht
haben (Götze und Pommerin 1992; Hamburger 1994).
Aus der Vielfalt wissenschaftlicher Ansätze seien folgende wissenschaftliche Arbeiten
genannt, die eine konsequente Implementierung interkulturellen Lernens als integralen
Bestandteil aller Schulfächer sowie des gesamten Schullebens einforderten, Curricu-
lumentwicklungen und fachdidaktische Entscheidungen zu Gunsten interkulturellen
Lernens begründeten (vgl. dazu Reich, Holzbrecher und Roth 2000); bildungspolitische
Diskussionen auf Anti-Rassismus- und Friedenserziehung bzw. Umgang mit Frem-
denfeindlichkeit entfachten (Essinger und Uçar 1993), die Implementierung der „euro-
päischen Dimension“ (Luchtenberg und Nieke 1994) und Mehrsprachigkeit statt der
Fortsetzung eines „monolingualen Habitus“ einforderten (Gogolin 1994; Krumm 2009),
interkulturelle, kommunikative Kompetenz bzw. sprachliche Bildung als Schlüsselquali-
fikation und grundlegende Zielsetzung jeglicher interkultureller Erziehung (Luchtenberg
1999; Krüger-Potratz 2005) oder Handlungsorientierung im Rahmen interkultureller
Projektarbeit als angemessenes didaktisches Prinzip auswiesen (Pommerin 1996). Empiri-
sche Untersuchungen etwa zum Integrationsverhalten Heranwachsender mit Migrations-
hintergrund, ihrem Sprachverhalten, Fallstudien zum Umgang von Schulen mit Multi-
kulturalität oder zu Fragen des interkulturellen und interreligiösen Lernens wurden vor-
wiegend in den 1990er Jahren und Anfang 2000 durchgeführt (Kupfer-Schreiner 1994;
Auernheimer et al. 1996; Fischer et al. 1996; Fürstenau, Gogolin und Yagmur (Hg.)
2003).
125. Interkulturelle Erziehung 1139

2. Historischer Rückblick
Aus der Retrospektive zeichnen sich drei große Linien ab, die teilweise parallel zueinan-
der in verschiedenen Bundesländern existierten (vgl. auch Art. 6):
⫺ In den 1950er und 1960er Jahren wurden „Ausländer“ ⫺ zunächst aus Italien und
Spanien und später aus Griechenland und der Türkei ⫺ als „Gastarbeiter“ angewor-
ben. Ohne besondere Fördermaßnahmen wurden deren Kinder in Regelklassen „in-
tegriert“. Ihre Herkunftskultur und ihre muttersprachlichen Ressourcen wurden in
diesen Kompensationsprogrammen nicht nur nicht genutzt, sondern systematisch
ausgeblendet. Die Folgen dieser gescheiterten „Ausländerpolitik“ sind bekannterma-
ßen katastrophal: eine hohe Zahl von Schulabgängern ohne qualifizierten Schulab-
schluss, ein hoher Anteil an „Sonderschülern“, Semilinguismus und Kulturverlust.
⫺ Aufgrund vehementer Kritik an der herrschenden Bildungspraxis der 1960er und
1970er Jahre wurden auf Drängen der ausländischen Eltern, der Ausländerbeiräte
und WissenschaftlerInnen Konzepte des bilingualen Lernens entwickelt, die von der
Hypothese ausgingen, dass Kinder aus Migrantenfamilien erst dann die Zweitsprache
Deutsch erfolgreich lernen können, wenn sie ihre Muttersprache nicht nur auf dem
Niveau alltagssprachlicher Kommunikation beherrschen, sondern sich auch auf einem
hohen Niveau von Schul- und Fachsprachen sicher bewegen können. Es war zweifel-
los ein großer Verdienst der bilingualen Programme, die Muttersprachen der Kinder
systematisch weiter zu entwickeln und ihre kulturellen Wurzeln im Unterricht zu be-
rücksichtigen. Die einseitige Konzentration auf die Herkunftssprachen der Kinder
und ihren Migrationshintergrund ohne nennenswerte Anbindung an die peer group
der Mehrheitsbevölkerung, der Verzicht auf einen gemeinsamen Unterricht in allen
Fächern ohne gezielte Fördermaßnahmen in der Zielsprache Deutsch verhinderte aber
gerade das, was die Befürworter des Ansatzes intendierten, nämlich die Ausbildung
einer ausbalancierten Bilingualität. Stattdessen erfolgten Segregation und Rückzug in
den „Schonraum“ der eigenen Ethnie.
⫺ Als Antwort auf die gescheiterte Assimilationspolitik bzw. Ausländerpädagogik, aber
auch die Segregationspolitik der späten 1970er und 1980er Jahre wurden Konzepte
der interkulturellen Erziehung entwickelt (Pommerin u. a. 1996).
Konstitutive Merkmale interkultureller Erziehung waren:
⫺ Anti-Rassismus bzw. Friedenserziehung
⫺ Respekt vor dem Fremden bzw. Neugier auf das Fremde
⫺ Betonung von Gemeinsamkeiten und Ausgleichen der Differenzen
⫺ Förderung von Mehrsprachigkeit
⫺ Individualisierung des Unterrichts durch offene Lernstrukturen und Handlungs-
orientierung
⫺ Einbezug von Stadtteilarbeit bzw. community education als „Ernstfall des Lernens“
⫺ Neuorientierung der Lehrerrolle und Autonomie der Schule.

3. Beziehungen zwischen Multikulturalität, Transkulturalität und


interkultureller Erziehung
Eine grundlegende Frage aus forschungsrelevanter Perspektive betrifft die Verbindung
interkultureller Erziehung mit dem Verständnis von Multikulturalität bzw. Transkultura-
1140 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

lität oder Hybridkultur: Verhält es sich tatsächlich so, dass sich die Multikulturalität ⫺
nach Ansicht der Rechtswissenschaftlerin Seyran Ates ⫺ als folgenschwerer Irrtum mit
verhängnisvollen Folgen für unsere Gesellschaft erwiesen hat, weil Multikulturalität die
realen Konflikte einer pluralen Gesellschaft verharmlost? Insbesondere bezichtigt sie die
„Multikultis“, die Augen vor Zwangsheirat, Ehrenmord oder Rückzug in die eigene Eth-
nie zu verschließen. Unverbindliche Toleranz, die in Wirklichkeit Gleichgültigkeit über-
spiele, ermögliche erst, dass eine demokratische Grundordnung unterhöhlt werden könne
und Parallelgesellschaften entstehen (Ates 2007: 92). Dennoch brauche unsere Gesell-
schaft, so die Autorin, eine effiziente interkulturelle Erziehung (Ates 2007: 1).
Kritik am Multikulturalismus-Konzept und an interkultureller Erziehung erfolgt auch
aus der Sicht der transkulturellen Pädagogik. Multikulturalität würde, so ihre Vertreter,
in der Vorstellung verharren, unverändert vom „Eigenen“ und „Fremden“ auszugehen,
statt den Topos des „fließenden Dazwischen“ ins Blickfeld zu nehmen, Kulturen als
monolithische Blöcke wahrzunehmen statt Mischungen und Überlagerungen, die sich in
einem ständigen Wandel befinden (Welsch 1997; Göhlich et al. 2006). Dass sich hetero-
gene, kulturelle Inhalte in einem Nebeneinander drängen, kulturelle Räume sich durch-
dringen und überlagern, die Kulturen implodieren oder, wie es der Philosoph Byung-
Chul Han in seiner postmodernen Kulturtheorie formuliert ⫺ zu „structangles“ formie-
ren, stellt weder ein Novum dar noch einen Gegensatz zur Multikulturalität, die sich seit
langem von einem statischen Kulturverständnis verabschiedet hat.
Dieses „fließende Dazwischen“ ist ein Lebensgefühl, das vor allem die Dritte und
Vierte Generation prägt. Nach Aussagen von Betroffenen löst es ambivalente Gefühle
aus, da sie sowohl in Deutschland als auch in der Heimat ihrer Grosseltern als Fremde
wahrgenommen werden. Allerdings berge ein Leben in Übergängen auch ungeahnte
Chancen: Die fließenden Übergänge kultureller Anteile und mehrsprachiger Identitäten
eröffneten auch die Perspektive größerer Flexibilität. Schriftsteller, wie etwa Alev Teki-
nay, Trojanow oder José F. A. Oliver haben das Potenzial einer „gemischten Identität“
bereits in den 1980er Jahren keineswegs nur als Wurzellosigkeit, sondern als „kulturelles
Kapital“ und Durchbrechen starrer Systeme und Sehgewohnheiten erlebt. Aus der Viel-
falt von Topographien, Sprachen und „Heimaten“, literarischen Vorbildern und eigener
schöpferischer Kraft gelangten sie zu ihrer persönlichen unverwechselbaren Sprache (Oli-
ver3 1988: 127; Pommerin-Götze 2009: 365⫺369).
Der Hypothese eines Aufgebens von Alterität wurde allerdings heftig widersprochen:
Die Ignoranz von Differenz führt zu einer fatalen Fehleinschätzung der Realität durch
eine postmoderne Transkulturalität oder Hybridkultur. So gelangt etwa der Amerikanist
Helmbrecht Breinig zu dem Schluss, an ein Verschwinden der „Eigen-Fremd-Differenz“
sei nicht zu denken; im Gegenteil, „back to the roots“ sei ein kultureller Trend, den wir
als Gegenentwurf zur Globalisierung überall auf der Welt antreffen, wenn es um das
kulturelle Überleben ethnischer Minderheiten gehe (Breinig 2006: 69⫺82).
Wenn alle Grenzen fließend sind, sich weder in gesellschaftlichen Systemen oder Sub-
systemen markante Besonderheiten feststellen lassen, also alles zur „méttissage culturel“
wird und auch die Identitäten von Individuen in den verschiedenen Kulturen nur noch
als patchwork-Identität existieren, dann erübrigt sich auch jegliche Diskussion um kultu-
relle, soziale und ethische Werte. „Dieser zentrale Gedanke eines Kulturbegriffs der Wert-
orientierung und Normalität fehlt durchgängig in allen postmodernen Kulturtheorien“
so Götze, „seien sie nun der Hybridität, dem Multikulturalismus, der Hyperkultur oder
der Transkulturalität verpflichtet (Götze 2009: 6⫺7).
125. Interkulturelle Erziehung 1141

Die kritische Auseinandersetzung mit divergierenden kulturtheoretischen und päda-


gogischen Positionen ist insofern wichtig, als sie Einfluss auf die Konstituierung interkul-
tureller Erziehungskonzepte ausübt.

4. Interkulturelle Erziehung au dem Prüstand


Anti-Rassismus und Friedenserziehung wie auch eine Erziehung, die Respekt vor dem
Anderen und Neugier auf das Andere intendieren, stellen die unverzichtbaren Leitideen
interkultureller Erziehung dar. Gleichheiten und Unterschiede wahrnehmen und respek-
tieren zu lernen sind die Grundlagen einer politischen Kultur, die Einheit in der Vielfalt
beschwört, wie sie etwa von Charles Taylor bereits 1993 für Kanada gefordert wurde.
Sie fordert alle Bürger und Bürgerinnen, gleich welcher Nationalität, sozialer, ethnischer,
sprachlicher oder religiöser Zugehörigkeit, auf, auf der Basis anerkannter demokrati-
scher Grundrechte den Dialog fortzusetzen, auch wenn der Konflikt temporär unlösbar
scheint. In diesem Punkt treffen sich die Forderungen Taylors mit den Bemühungen
von Seyran Ates, die zwar dem Multikulturalismus im Sinne eines alles akzeptierenden
Nebeneinanders eine Absage erteilt, dennoch in der interkulturellen Erziehung die einzige
bildungspolitische Alternative sieht.
Wenden wir uns dem Aspekt der Mehrsprachigkeit, einem weiteren grundlegenden
Prinzip interkultureller Erziehung zu, so wird man feststellen, dass die Fähigkeit, meh-
rere Sprachen zu „beherrschen“, zwar in wissenschaftlichen Fachkreisen hohes Ansehen
genießt, in der konkreten Unterrichtspraxis aber nur zögerlich aufgegriffen wird, sieht
man einmal von Modellversuchen zur Förderung von Fremdsprachen, zum Frühbeginn
des Fremdsprachenunterricht, dem bilingualen Fach-Sprachunterricht oder dem Fremd-
sprachen zugewandten Konzept der Europaschulen ab (Hu 2003: 291; vgl. Art. 91).
Das Erkennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden war seit ihrer Entstehung
fester Bestandteil interkultureller Erziehung, wobei die Suche nach den Gemeinsamkei-
ten, vor allem im Elementar- und Primärbereich, im Vordergrund stand (vgl. Art. 158).
Diese Programme zeichnete der Versuch aus, gleiche oder ähnliche Bedürfnisse Heran-
wachsender aufzugreifen, um gegenseitige Vorurteile gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Die Lust am Spiel, an Essen und Trinken, das Basteln multikultureller Kalender, das
gemeinsame Feiern von Geburtstagen oder dem Zuckerfest, das Singen von Liedern in
verschiedenen Sprachen und schließlich das gemeinsame Entdecken der neuen Wohnum-
gebung oder auch fremder Stadtteile waren länderübergreifend Teil aller interkulturellen
Erziehungsprogramme. Differenzen zwischen den verschiedenen Kulturen, wie etwa ge-
schlechtsspezifische Verhaltensweisen oder der Umgang zwischen Kindern und älteren
Autoritätspersonen wurden als potenzielle Konfliktherde wahrgenommen und durch
„Verhaltensregeln“ zu entschärfen versucht. Aus heutiger Sicht erscheinen diese interkul-
turellen Lernprojekte freilich einseitig auf Harmonie bedacht, zumal, wenn „Fremdheit“
allein durch rationale Erklärungen überwunden werden sollte.
Weitere konstruktive Merkmale interkultureller Erziehungskonzepte, wie etwa offene
Lernstrukturen, größere Autonomie von Schulen, Öffnung der Schule zur Stadtteilarbeit
bzw. community education, Individualisierung und Handlungsorientierung des Unter-
richts und schließlich die Neuorientierung der Lehrerrolle (vgl. Art. 149) blieben, sofern
sie nur partiell erfolgten und nicht Teil einer äußeren und inneren Schulreform wurden,
Kosmetik an einer sonst verfehlten Bildungspolitik.
1142 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

Deshalb ist zu fragen, welche Lösungsmöglichkeiten für eine erfolgreiche Bildungs-


praxis genutzt werden sollten, um heranwachsenden Generationen Zukunftschancen zu
eröffnen:
⫺ Das dreigliedrige Schulsystem ist ein Anachronismus, das zu Gunsten eines flexiblen,
durchlässigen Schulsystems, etwa nach skandinavischen Vorbildern, aufzugeben ist.
⫺ Je nach den strukturellen Bedingungen eines Wohngebiets und Schulbereichs sollte
jede Schule ihr eigenes „interkulturelles Projekt“ entwickeln dürfen. Dazu aber bedarf
es einer weitaus größeren Autonomie der Schulen wie auch die Integration stadtteil-
spezifischer Lern- und Ausbildungsangebote, die innerhalb einer Schullandschaft vari-
ieren: Die Kooperation mit Wissenschaftlern und Künstlern mit dem Handwerk und
der Industrie sowie anderen Bereichen des öffentlichen Lebens.
⫺ Interkulturelle Lernangebote sind ⫺ unter Mitsprache der Lernenden ⫺ in allen Fä-
chern anzubieten. Eine enge Vernetzung mit außerschulischen Fördermaßnahmen,
wie etwa mit Mercator-Projekten, Sommercamps, Schreibwerkstätten mit Literatur-
häusern und Theatern, Modellen zur Fortbildung von Eltern und vielen anderen Akti-
vitäten könnte eine Brücke schlagen zwischen staatlicher und gemeinwesenorientierter
Verantwortung für interkulturelle Erziehung und Bildung.
⫺ Sitzenbleiben gehörte der Vergangenheit an, da seine Ineffizienz seit langem unbestrit-
ten ist. Stattdessen gäbe es ein differenziertes Förderangebot für Schülerinnen und
Schüler mit unterschiedlichen Begabungen und Schwächen.
⫺ Mehrsprachigkeit hätte in einem interkulturellen Schulprofil eine für alle Fächer und
für das gesamte Schulleben existenzielle Bedeutung und zwar in Form eines erweiter-
ten Angebots von Sprachen, die in Verbindung mit verschiedenen Sachaufgaben in
unterschiedlichen Niveaustufen erlernt werden könnten.
⫺ Die Förderung des Deutschen auf allen Fertigkeitsebenen hätte im Hinblick auf so-
ziale und berufliche Chancengleich Priorität im Sprachenkanon. Dies steht in keiner-
lei Widerspruch zu einer mehrsprachigen interkulturellen Erziehung.
⫺ Die heterogene Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen bietet eine Vielzahl an un-
terschiedlichen Sprech- und Schreibanlässen, an Situationen des genauen Zuhörens
und Verstehens. Lese- und Schreibkompetenzen wären an einem breiten Repertoire
von Textsorten zu entwickeln, das von Anfang an auch literarische Texte, Theaterstü-
cke, Filme, Autorengespräche und weitere sprach-ästhetische Angebote neben Sach-
texten mit einschließt.
⫺ Die geeignete Schulform wäre die Ganztagsschule, die neben strukturierten und freien
Lernprozessen auch informelle Angebote des interkulturellen Austausches mit ande-
ren und anders Denkenden bereit hielt. „Lernen im Ernstfall“ müsste sich mit Phasen
der Reflexion und des Übens sinnvoll abwechseln (Pommerin-Götze 2005: 143⫺162).
Wie es gelingen kann, die „Realutopie“ interkultureller Erziehung zur alltäglichen Praxis
werden zu lassen und ihr den Anschein von Exklusivität zu nehmen, gehört zu den dring-
lichsten Aufgaben unserer Gesellschaft.
Im Nationalen Integrationsplan der Bundesregierung, der 2007 in Kraft getreten ist,
werden Aufgaben des Bundes, der Länder und der Kommunen zum Gelingen der Inte-
gration zu insgesamt zehn „Themenfeldern“ formuliert. Eine intensivere Sprachförde-
rung des Deutschen, im Rahmen einer Mehrsprachigkeitserziehung in Schule und Vor-
schulerziehung ist herausragendes Ziel der gesamten Integrationsbemühungen (Der Nati-
onale Integrationsplan 2007).
125. Interkulturelle Erziehung 1143

5. Literatur in Auswahl

Ates, Seyran
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1996 Kreatives Schreiben. Handbuch für den deutschen und interkulturellen Sprachunterricht in
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Pommerin-Götze, Gabriele
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2009 Einladung zum literarischen Streifzug. Literatur der Fremde an ausgewählten Beispielen.
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2000 Fachdidaktik interkulturell. Ein Handbuch. Opladen: Leske ⫹ Budrich.
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2004 Humanismus, humanistische Bildung. In: Dietrich Benner und Jürgen Oelkers (Hg.), His-
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Gabriele Pommerin-Götze, Erlangen (Deutschland)


126. Berufsorientierter Deutschunterricht 1145

126. Berusorientierter Deutschunterricht


1. Zur Entwicklung des Begriffs und des Arbeitsfeldes
2. Begriffsbestimmung und Unterrichtsformen
3. Teilnehmerorientierte Kursorganisation: Von der Bedarfsanalyse bis zur Evaluation
4. Komponenten des berufsorientierten Deutschunterrichts: Wortschatz, Grammatik
5. Schlüsselqualifikationen und Mehrsprachigkeit
6. Literatur in Auswahl

1. Zur Entwicklung des Begris und des Arbeitseldes


Die Entwicklung des berufsorientierten Deutschunterrichts lässt sich in drei Phasen un-
terteilen, in denen sich die ökonomischen Rahmenbedingungen und in deren Folge
Sprachbedarf und Vermittlungskonzepte gewandelt haben. Dieser Prozess wurde beein-
flusst von einer rasanten Weiterentwicklung der Kommunikationstechnologie mit der
Möglichkeit zeitgleicher bzw. wenig zeitversetzter fremdsprachlicher Kommunikation.
Obwohl diese Entwicklungsphasen nicht im Sinne chronologischer Zäsuren klar abgrenz-
bar sind, kann man die Entwicklungsabfolge wie folgt verdeutlichen:

Tab. 126.1.
Ökonomische Didaktische Vermittlungsmethodik
Entwicklung Grundlagen
80er Nationalökonomien, Fachsprachlich und Fachwortschatzorientierung
Jahre Import⫺Export formorientierter und Handelskorrespondenz
Paradigma Fremdsprachen-
unterricht
90er Europäischer Binnen- Verbindung von Pragmatisch angereicherte
Jahre markt, Entwicklung der Formorientierung und oder bestimmte
„new economy“, Pragmatik, Zertifikat Wirtschaftsdeutschkurse
medial beschleunigte Deutsch für den Beruf
Kommunikation (1995)
Gegenwart Globalisierte und Europäischer Individualisierte, bedarfs-
regional-komplementäre Referenzrahmen, basierte Trainingsformen
Produktion und Aufgaben- und und Kursdesigns,
netzbasierte Interaktion Bedarfsorientierung Qualitätsmanagement

2. Begrisbestimmung und Unterrichtsormen


Berufsorientierter (oder berufsbezogener) Deutschunterricht bezeichnet eine Zielperspek-
tive, die weder an ein bestimmtes Sprachniveau noch an eine bestimmte Schul- oder
Unterrichtsform gebunden ist. Das gemeinsame Merkmal aller Formen des berufsorien-
tierten Deutschunterrichts ist, dass er darauf abzielt, Lernende auf die kommunikativen
Anforderungen ihres fremdsprachlichen Handelns in beruflichen Kontexten vorzuberei-
ten. Die damit umrissenen Planungsvariablen verändern und erhöhen für die Lehrenden
1146 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

die Kompetenzanforderungen im Bereich der Planung und Durchführung des Unter-


richts im Vergleich zum allgemeinen Deutschunterricht. Dies gilt besonders dort, wo
Unterrichtsziele spezifischer und inhaltlich anspruchsvoller werden und außerschulische
Instruktionsszenarien innovatives Materialdesign und flexible Lernarrangements erfor-
dern. Da die Ausbildung von Lehrkräften für dieses Arbeitsfeld in der Regel unzurei-
chend ist, hat ERFA-Wirtschaft-Sprache, ein Arbeitskreis von Sprachenverantwortlichen
in mehr als 50 deutschen Firmen, eigene Qualitätsmerkmale für Sprachtrainer veröffent-
licht.
Da berufsorientierter Deutschunterricht als Unterrichtsform nicht von allgemeinem
Deutschunterricht abgrenzbar ist, sind auch seine Planungskonzepte, Materialien und
die Lehrpersonalausbildung zuerst dem Forschungsstand der allgemeinen Fremdspra-
chendidaktik und -methodik verpflichtet. Von Lehrkräften, die Sprachunterricht in der
beruflichen Bildung oder in Firmen erteilen, werden also keine Kenntnisse spezieller Be-
rufsfelder oder Fachsprachen erwartet, wohl aber die Fähigkeit des Umgangs mit den
speziellen Sprachbedürfnissen konkreter Zielgruppen. Für Lernende des Deutschen als
Zweitsprache, also Personen mit Migrationserfahrung und beruflichen Zielen im Ziel-
sprachenland, steht der Aspekt der beruflichen Qualifikation oft im Mittelpunkt des
sprachlichen Lerninteresses und damit auch stärker die berufssprachlichen Spezifika
(Ohm, Kuhn und Funk 2007). Lernende, die Deutsch außerhalb des Zielsprachenlandes
lernen, bereiten sich mehrheitlich eher unspezifisch auf fremdsprachliche Berufsanforde-
rungen vor, wobei aber nicht zu übersehen ist, dass die Motivation zum Lernen der
deutschen Sprache immer stärker von beruflichen Motiven bestimmt wird. Berücksichtigt
man die vielfältigen Motivationen und differenzierten Formen global-komplementärer
Produktion und Dienstleistung deutscher Firmen und einer ebenso vielgestaltigen Ar-
beitsmigration, so verliert die für das Fach konstitutive DaF/DaZ-Unterteilung im be-
rufsorientierten Deutschunterricht ihre Bedeutung.
Die kommunikative Kompetenz eines Sprechers ist nicht teilbar in einen privaten und
einen beruflichen Teil. Der überwiegende Teil der berufsinternen Alltagskommunikation
besteht aus sprachlichen Handlungen, die weder berufs- noch berufssprachenspezifisch
sind: Lernende verfügen zu Beginn des Erwerbs berufsbezogener Sprachhandlungskom-
petenz in der Regel noch nicht über berufliche bzw. fachliche Kompetenz. Haben sie
aber Berufserfahrung, so ergibt sich daraus auch eine größere Spezifik der beruflichen
Kommunikationsanforderungen. Zusammenfassend kann man drei kurskonstituierende
Bereiche unterscheiden:

Planungsbereich 1: Berufsvorbereitender Deutschunterricht


Ziel ist die allgemeine Vorbereitung auf die sprachlichen Anforderungen von Berufen
allgemein. Zu dieser Kategorie gehören studienbegleitender Fremdsprachenunterricht
ebenso wie DaZ-Unterricht in den berufsvorbereitenden Klassen der Berufsschulen und
im weiteren Sinne jeder Sprachunterricht, in dem Deutsch mit teilweise beruflicher Moti-
vation gelernt wird. Da die Lernenden in der Regel nicht über berufliches Fachwissen
verfügen, müssen lexikalische und inhaltliche Anforderungen allgemeinverständlich und
frei von beruflicher Spezifik sein.

Planungsbereich 2: Berufsbegleitender Deutschunterricht


Ziel ist die (bessere) Bewältigung der aktuellen oder zukünftigen sprachlichen Anfor-
derungen in beruflichen Handlungskontexten. Hierzu gehören beispielsweise der ausbil-
126. Berufsorientierter Deutschunterricht 1147

dungsbegleitende Zweitsprachenunterricht im dualen System deutscher Berufsschulen


ebenso wie lehrgangsbegleitender Unterricht in Bildungsmaßnahmen. Ein großer Teil des
berufsbegleitenden Sprachunterrichts findet inner- und außerbetrieblich im Auftrag von
Betrieben statt, wobei die Bewältigung konkreter kommunikativer Anforderungen aus
der betrieblichen Praxis Anlass und Ziel von sprachlichen Lernvorgängen ist. In dieser
Unterrichtsform korrespondieren konkrete persönliche oder betrieblich vorgegebene
Zielstellungen verbunden mit klaren Zeitvorgaben mit einer in der Regel hohen Motiva-
tion. Betriebsinterne Fremdsprachenvermittlung wird in Abgrenzung zum schulischen
Lernen und in Betonung des handlungsorientierten Ziels zumeist als Training bezeichnet.

Planungsbereich 3: Berufsqualifizierender Deutschunterricht.


Ziel dieser Unterrichtsform ist es, die rechtlichen Voraussetzungen für einen Berufs-
oder Studienabschluss zu schaffen. Sprachunterricht ist hier Teil der Qualifikationsanfor-
derungen im Rahmen eins Studien- oder Ausbildungscurriculums. Sprachprüfungen sind
oft Bestandteil oder Voraussetzung eines Berufs- oder Studienabschlusses. In diesen Fäl-
len stehen weniger konkrete kommunikative Anforderungen eines Berufs als ein Lernziel-
katalog und oft eine Wortschatzliste im Zentrum. Oft wird ein externes Sprachenzertifi-
kat wie die Prüfung Wirtschaftsdeutsch verlangt.

Die drei Formen unterscheiden sich in Bezug auf Inhalte, Motivation, Ziele und Rah-
menbedingungen des Unterrichts erheblich. Im berufsvorbereitenden Unterricht sind die
fachsprachlichen Anforderungen flach und in Bezug auf unterschiedliche Berufsfelder
polyvalent zu halten, da subjektive, arbeitsmarktbedingte und technologische Verände-
rungen auch sprachliche Anforderungsprofile rasch verändern. Die Lernzielplanung hat
zudem zu berücksichtigen, dass sich berufliche Sprachverwendung stärker als in der Ver-
gangenheit in mündlicher und informell-schriftlicher Kommunikation manifestiert. Der
GeR kann als Instrument zur differenzierten Planung und Beschreibung der fremd-
sprachlichen berufsbezogenen Handlungskompetenz dienen, da er sowohl in den Kann-
Beschreibungen Bezug auf die Verwendung der Fremdsprache in der Arbeitswelt nimmt
als auch den beruflichen Bereich zu den Lebensbereichen (Domänen) zählt, in denen
Sprache im Kontext sozialer Situationen verwendet wird (GeR, 4.1.1). In der Broschüre
„Arbeitsplatz Europa“ ist, basierend auf den Kann-Beschreibungen des GeR, niveauspe-
zifisch ausgeführt, welche Sprachhandlungen auf den einzelnen Niveaustufen und in ein-
zelnen Fertigkeitsbereichen von beruflicher Relevanz sind (DIHK u. a. 2007).
Für den Unterricht mit Sprachanfängern stellen ein sprachhandlungsbezogenes Trai-
ning, ein kultursensibler und lernerzentrierter kommunikativer Unterricht mit abwechs-
lungsreichen Arbeits- und Sozialformen die beste Grundlage für die Kommunikation in
beruflichen Kontexten dar. Darüber hinaus können eine Reihe konkreter curricularer
Gestaltungsmerkmale der beruflichen Motivation von Deutschlernern vom A1-Niveau
an Rechnung tragen:
⫺ das Einbeziehen beruflicher Themen und Szenarien in die Sprachhandlungsplanung
auf allen Stufen,
⫺ die bewusste Vermittlung von Arbeitstechniken und Lernstrategien von besonderer
beruflicher Relevanz, z. B. Umgang mit authentischen Texten, neuen Medien und gro-
ßen Mengen neuen Wortschatzes,
⫺ die Thematisierung eines beruflich frequenten, fachlich polyvalenten grundlegenden
Wortschatzes schon im Anfangsunterricht.
1148 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

3. Teilnehmerorientierte Kursorganisation: Von der Bedarsanalyse


bis zur Evaluation
Bedarfsanalysen als empirische Verfahren zur Identifizierung berufsbezogener Sprach-
verwendungssituationen und der zu ihrer Bewältigung notwendigen sprachlichen und
interkulturellen Qualifikationen bilden eine Grundlage institutioneller und individueller
Kursplanung. Die Analyse kann sich auf den Sprachbedarf einzelner Personen, eines
Unternehmens oder eines beruflichen Szenarios beziehen, auf das vorbereitet werden
muss. Mourlhon-Dallies (2008: 198 ff.) unterscheidet zwischen Nachfrageanalyse, Be-
darfsanalyse und systemischer Analyse. Mit der Nachfrageanalyse werden die Bereiche
des kommunikativen Kontexts bzw. die konkreten Formen sprachlichen Handelns, wie
sie sich aus der Sicht des Unternehmens darstellen, erfasst. Mit der Bedarfsanalyse wer-
den berufliche Aufgaben unter dem Gesichtspunkt der sprachlichen Anforderungen er-
fasst und gewichtet, die systemische Analyse umfasst die zur Verfügung stehenden zeitli-
chen, materiellen und infrastrukturellen Ressourcen sowie die Voraussetzungen auf Sei-
ten der Lernenden. Hyland verweist auf die Problematik der konkreten Erfassung dieser
Informationen und den Unterschied zwischen Kommunikationsbedarf und subjektiven
Lernbedürfnissen (Hyland 2009: 205).
Bedarfsanalysen können mit Hilfe von Checklisten, Fragebögen, strukturierten Inter-
views, Tests, Beobachtungen oder in Kombination dieser Elemente durchgeführt werden
(vgl. Mourlhon-Dallies 2008: 198 ff.). Aus didaktischer Sicht ist besonders zu betonen,
dass es nur dann sinnvoll ist, Daten zu erheben, wenn anschließend auf dieser Grundlage
auch ein Sprachtraining aufgebaut werden kann. Das kooperative Erfassen von Daten
mit den Kursteilnehmenden zusammen schafft gleichzeitig Lernzieltransparenz als wich-
tigste Voraussetzung einer späteren Evaluation von Kursverlauf und -ergebnis.
Die Bedarfsanalyse ist nur der Beginn einer kontinuierlich nötigen kooperativen Ent-
scheidungsfindung in Bezug auf Inhalte und Arbeitsformen (Breen und Littlejohn 2000)
Die berufsorientierte Kursplanung basiert auf der Vernetzung unterschiedlicher Informa-
tionen mit den kommunikativen Anforderungen und muss die zur Verfügung stehenden
finanziellen, zeitlichen, medialen und personellen Ressourcen sowie die aktuelle Metho-
dendiskussion berücksichtigen. An die Phase der Bedarfsanalyse schließt sich die Konzi-
pierung des Kurses mit der Auswahl der Kursinhalte an, die sich in Themen, Materialien,
Aktivitäten und dem Umgang mit unterschiedlichen Texten an den real oder potenziell
zu bewältigenden kommunikativen Handlungen in der Arbeitswelt orientiert.
Da Lehrpersonal in berufsorientierten Kursen oft verstärkter Rechenschaftspflicht
unterliegt, gehören systematische kursbegleitende (formative) Kursevaluationen ebenso
zum Alltag wie abschließende (summative) Bewertungen und Einschätzungen des Lern-
ergebnisses.
Methodisch entspricht ein Gruppenunterricht mit vielfältigen kooperativen Arbeits-
formen am ehesten den kommunikativen Szenarien beruflichen Handelns. Im berufsbe-
gleitenden Unterricht ist auch das Einzeltraining (Wilberg 2002) ein zunehmender Teil-
bereich des Sprachtrainingsmarktes. Hier wird ein einzelner Lernender mit einem spezi-
fischen Sprachbedarf von einem Lehrenden betreut. Die Lernenden treten z. B. als
Experten ihres Faches, als Kunden oder Studenten auf, so dass das Einzeltraining neben
Rollen- und Lehr-Lernbewusstheit vor allem Improvisation und Flexibilität verlangt.
Eine weitere Variante des berufsorientierten Deutschunterrichts ist das Sprachcoa-
ching (vgl. Weber, Becker und Laue 2000: 160 ff.), ein auf eine Einzelperson oder Gruppe
126. Berufsorientierter Deutschunterricht 1149

zentrierter Beratungs- und Betreuungsprozess, der sich auf unterschiedliche Bedarfslagen


des Coachingnehmers beziehen kann, zeitlich begrenzt ist und vor allem als „Hilfe zur
Selbsthilfe“ dienen soll. Coaching begleitet das berufliche Handeln direkt am Arbeits-
platz, so dass Sprachprobleme von den Lernenden aufgezeigt und Lerninhalte aus den
konkreten Anforderungen des Arbeitsalltags entwickelt werden. Eine besondere Form ist
das Telefon-Coaching, das vor allem dann sinnvoll ist, wenn es um zielgerichtete sprach-
liche Nuancierungen und Effektivierungen oder die Registerwahl geht, d. h. es basiert
auf einem bereits vorhandenen fortgeschrittenen sprachlichen Können.

4. Komponenten des berusorientierten Deutschunterrichts:


Wortschatz, Grammatik

4.1. Wortschatz

Im Mittelpunkt des berufsorientierten Deutschunterrichts standen traditionell Termino-


logie und das Lesen von Fachtexten. Der relativ geringe Anteil der Fachsprache in der
mündlichen Fachkommunikation, das Veralten fachlicher Wortschatzbestände innerhalb
nur weniger Jahre, die Problematik sachgerechter Auswahlkriterien aus umfangreichen
terminologischen Listen macht eine begründete Fachwortschatzauswahl per didaktischer
Reduktion unmöglich. Während deshalb der Erwerb spezifischen Fachwortschatzes
außer in berufsqualifizierenden, prüfungsvorbereitenden Kursen kein Ziel sein kann, sind
alle Strategien, die dazu dienen, Lernende auf den autonomen Umgang mit großen Wort-
schatzmengen vorzubereiten, systematisch zu trainieren, z. B.
⫺ Erschließungsstrategien (auf der Wort-, Satz- und Textebene)
⫺ Wortschatzverarbeitungsstrategien,
⫺ Gebrauch von Nachschlagewerken,
⫺ Bewusstmachung aller Möglichkeiten des mentalen Lexikons zur lexikalischen Koor-
dination,
⫺ Strategien zur selbständigen Erweiterung von Wortfamilien und Wortfeldern,
Obwohl bisher weder ein Korpus der gesprochenen Sprache eines Berufs noch eines
Berufsfeldes vorliegt, kann davon ausgegangen werden, dass sowohl in kundenorientier-
ten Dienstleistungs- als auch in Handwerksberufen oder im Finanz- und Verwaltungsbe-
reich jeweils ein großer Teil des Wortschatzes berufsfeldübergreifend relevant und fre-
quent ist. Diese Wörter sind wegen ihrer beruflichen und umgangssprachlichen Polyva-
lenz im berufsvorbereitenden Unterricht von besonderem Interesse. Aus didaktischer
Sicht besteht hier erheblicher Forschungsbedarf. Im Hinblick auf die Gemeinsamkeiten
zwischen Berufen und Berufsfeldern ist zudem weniger auf den Bereich der meist fachbe-
zogenen Nomen als auf die Bereiche der Verben, die berufliche Handlungen beschreiben,
hinzuweisen. So sind beispielsweise die Verben der Bedeutungsbereiche
⫺ quantitative Relationen (Vergleich, Zunahme, Abnahme)
⫺ Definitionen (Gleichsetzung)
⫺ Stoff- und Produktbeschreibungen (Differenzierung, Abgrenzung)
⫺ Arbeitsanweisungen (sprachhandlungsbezogen, imperativisch)
1150 XI. Spezifische Bedingungen und Zielsetzungen des Deutsch als Zweitsprache-Unterrichts

in allen Berufsfeldern in hoher Frequenz und vielen Varianten vertreten. Angesichts der
Wortschatzmengen sind zudem die Wortbildungsregeln (rezeptiv) Gegenstand der syste-
matischen Wortschatzarbeit (Ohm, Kuhn und Funk 2007).

4.2. Grammatik

Das Bewusstmachen einzelner Strukturen ist nur sinnvoll, wenn die Kenntnis einer
Struktur bei der Bewältigung eines beruflich-kommunikativen Handlungszusammen-
hangs nützt, wenn Strukturen und Regeln in beruflichen Texten und Verwendungszusam-
menhängen hoch frequent und breit anwendbar sind. Auf der Textebene stehen alle For-
men pronominaler Referenz, berufstypischer Textstrukturen und der Bereich der Kon-
nektoren im Mittelpunkt. Je nach kommunikativer Aufgabenstellung können darüber
hinaus jene Strukturen, die der Präzisierung, der Verkürzung, der Generalisierung und
der Differenzierung dienen, thematisiert werden.

5. Schlüsselqualiikationen und Mehrsprachigkeit


Seit Mitte der 1980er Jahre, befördert durch sich rasch verändernde berufliche Anforde-
rungsprofile, wurde der berufliche Kompetenzbegriff mehr und mehr durch berufsüber-
greifende Szenarien und transferierbare Schüsselqualifikationen ergänzt, was zu einer
Konvergenz beruflicher und allgemeiner Bildung beitrug. Dies trägt der Tatsache des
raschen Wandels methodischer, sozialer und arbeitstechnischer Aspekte von Berufen
Rechnung. Sprachunterricht muss besonders zu den beruflichen Schlüsselqualifikationen
„Eigenständiger Umgang mit Aufgaben“, „Entscheidungsfähigkeit“, „Kritikfähigkeit/
Selbstevaluation“, „Informationsverarbeitungskompetenz“, „Sozialverhalten/Teamfähig-
keit“ und „Interkulturelle Kompetenz“ beitragen. Die Vorbereitung auf einen mehrspra-
chigen beruflichen Alltag und auf die berufliche und sprachliche Weiterqualifikation tritt
in den Vordergrund. Auch Migration und Globalisierung haben die Bedeutung mehr-
sprachiger Arbeitsumwelten verstärkt. Monolinguale Szenarien verlieren an Bedeutung.
Berufssprachliche Qualifikationsansätze müssen dieser Tatsache Rechnung tragen.

6. Literatur in Auswahl
Breen, Michael P. und Andrew Littlejohn (Hg.)
2000 Classroom Decision-Making. Negotiation and Process syllabuses in practice. Cambridge:
Cambridge University Press.
DIHK, VDP, telc GmbG, Henkel KGaA (Hg.)
2007 Arbeitsplatz Europa. Sprachkompetenz wird messbar. A Common European Framework of
Reference for Language Learning and Teaching (CEF). DIHK. Online: http://www.
duesseldorf.ihk.de/produktmarken/Publikationen/AusWeiterbildung/M6_
ArbeitsplatzEuropaSprache.pdf [29. 09. 2009].
ERFA-Wirtschaft-Sprache
ERFA Qualitätskriterien ⫺ Referenzrahmen für Trainerinnen und Trainer. Online unter
http://erfa-wirtschaft-sprache.de/index.php/ [15. 12. 2009].
126. Berufsorientierter Deutschunterricht 1151

Europarat (Hg.)
2001 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin:
Langenscheidt.
Goethe-Institut und DIHT
1995 DfB-Curriculum. München: Goethe-Institut.
Hyland, Ken
2009 Specific Purpose Programms. In: Catherine J. Doughty und Michael Long (Hg.), The
Handbook of Language Teaching, 201⫺217. Malden: Wiley-Blackwell.
Kuhn, Christina
2007 Fremdsprachen berufsorientiert lernen und lehren. Kommunikative Anforderungen der Ar-
beitswelt und Konzepte für den Unterricht und die Lehrerausbildung am Beispiel des Deut-
schen als Fremdsprache. Phil. Diss. Universität Jena.
Mourlhon-Dallies, Florence
2008 Enseigner une langue à des fins professionnelles. Paris: Didier.
Ohm, Udo; Christina Kuhn und Hermann Funk
2007 Sprachtraining für Fachunterricht und Beruf. Fachtexte knacken ⫺ mit Fachsprache arbei-
ten. Münster: Waxmann.
Van Avermaet, Piet und Sara Gysen
2006 Language learning, teaching and assessment and the integration of adult immigrants. The
importance of needs analysis. Online: http://www.coe.int/t/dg4/linguistic/Publications_
EN.asp [8. 12. 2009].
Schöpper-Grabe, Sigrid und Reinhold Weiss,
1998 Vorsprung durch Fremdsprachentraining. Ergebnisse einer Unternehmensbefragung. Köln:
Deutscher Institutsverlag.
Weber, Hartmut; Monika Becker und Barbara Laue
2000 Fremdsprachen im Beruf. Diskursorientierte Bedarfsanalysen und ihre Didaktisierung.
Aachen: Shaker.
Wilberg, Peter
2002 One to One. A Teacher’s Handbook. Boston: Heinle.

Hermann Funk, Jena (Deutschland)


XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

127. Motivierung
1. Einleitung
2. Ansätze in der L2-Motivationsforschung
3. Von der Einsicht in die Motivationsstruktur zur Motivierung von Lernenden
4. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
Motivation ist zweifellos einer derjenigen Faktoren, dem die Fremdsprachendidaktik und
fast alle Lehrenden gleichermaßen großen Einfluss wie auch das größte Interventionspo-
tential (durch motivierenden Unterricht) zuweisen. Ansichten wie die, dass die (Lern)-
Motivation von Fremdsprachenlernenden über die Gestaltung des Unterrichts verbesser-
bar ist, indem z. B. gezielt Unterrichtsformen, -inhalte und -materialien an die Lernenden
angepasst werden, sind von jeher Teil der Fremdsprachendidaktik. In einer Steigerung
der Motivation werden Chancen für verbesserte und schnellere Lernergebnisse gesehen.
Unterrichtsmodelle, die sich möglichst nah an Beweggründen von Lernenden für das
Fremdsprachenlernen orientieren, gelten dabei als besonders erfolgversprechend ⫺ sie
sind aber gleichzeitig auch besonders aufwendig, da nicht davon auszugehen ist, dass
Motivierungsstrategien universell wirksam sind, weil die Motiv-/Motivationsstruktur von
Lernenden individuell geprägt ist.

2. Ansätze in der L2-Motivationsorschung


Die Einsicht, dass Motivation ein individuell unterschiedlicher, mehrdimensionaler und
dynamischer Faktor ist, ist ein Hauptergebnis der internationalen L2-Motivationsfor-
schung bis dato. Motivation ist dabei aus der Perspektive des Lernenden konzeptionali-
siert und untersucht worden, d. h., Beweggründe für das Fremdsprachenlernen und Wil-
lensbildungsprozesse von Lernenden stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit ⫺ weniger
die äußeren Quellen, die diese Beweggründe und Prozesse (mit) initiieren und aufrechter-
halten (bzw. hemmen und zum Erliegen bringen).

2.1. Die Rolle von Einstellungen und Orientierungen

Im Rahmen des bis in die 1990er Jahre vorherrschenden und bis heute prominenten
socio-educational model (vgl. exemplarisch Gardner 1985) wird die Relevanz von (positi-
ven) Einstellungen von Lernenden zur L2 und zur damit verbundenen Kultur sowie
von Orientierungen, die sich auf die Hauptbeweggründe und langfristigen Ziele zum
127. Motivierung 1153

Fremdsprachenlernen richten, betont. Dabei werden instrumentelle von integrativen Ori-


entierungen zum L2-Lernen unterschieden: Lernende sind danach instrumentell orien-
tiert, wenn die Annahme, dass die Zielsprache für das spätere Leben nützlich ist (z. B.
Verbesserung der Berufschancen), vorrangig das Lernen steuert, während eine integrative
Orientierung aus Interesse und Offenheit für fremde Kulturen erwächst ⫺ und dabei
insbesondere für die Zielsprachenkultur, gegenüber der positive Einstellungen vorherr-
schen. Beide Orientierungen schließen sich nicht notwendigerweise aus; weitere spezifi-
sche Orientierungen wie Reisemotive, Bildungsmotive und allgemeine Kontaktmotive wur-
den nachgewiesen (vgl. exemplarisch Clément und Kruidenier 1983).
In Bezug auf Deutsch als Fremdsprache konnte im Rahmen unterschiedlicher Länder-
studien ermittelt werden, dass (neben länder- und regionenspezifischen Merkmalen) all-
gemeine Motivationstendenzen zu beobachten sind, die insbesondere die Instrumentalität
und den besonderen Status von Deutschkenntnissen (als Bereicherung des mehrsprachi-
gen Profils, in Ergänzung zu Englischkenntnissen) betonen (vgl. Riemer 2006a).

2.2. Die Rolle der Selbstbestimmung

Motivation und Motivationsintensität werden auch dadurch geprägt, dass der Anreiz
zum Lernen entweder vom Lernenden selbst ausgeht oder von außen kommt. Die Selbst-
bestimmungstheorie, die erst seit den 1990er Jahren in der Fremdsprachenforschung Be-
rücksichtigung findet, differenziert zwischen intrinsischen und extrinsischen Verhaltensre-
gulationen von Lernenden und bildet diese innerhalb eines Kontinuums zu-/abnehmen-
der Selbstbestimmung ab (vgl. exemplarisch Noels et al. 2000). Während intrinsisch
motivierte Lernende aus innerem Bedürfnis (Neugier, Selbstverwirklichung, Vergnügen)
eine Zielsprache lernen, benötigen extrinsisch motivierte Lernende Anreize, die außer-
halb der Lernaufgabe liegen. Vier Formen extrinsischer Verhaltensregulation werden un-
terschieden, die durch zunehmende Selbstbestimmtheit charakterisiert sind: (a) externale
Regulation (Konflikte sollen vermieden und Anerkennung gewonnen werden); (b) intro-
jizierte Regulation (Handeln folgt äußerem Druck und wird aus Pflichtgefühl erledigt);
(c) identifizierte Regulation (der Wert einer Lernaktivität wird erkannt und zum eigenen
Nutzen erledigt); (d) integrierte Regulation (die Lernaktivität ist als Ausdruck eines indi-
viduellen Bedürfnisses akzeptiert).

2.3. Die Rolle von Erolgserlebnissen und Attributionen

Dass Erfolg nicht nur die Folge motivierten Verhaltens ist, sondern selbst auch das wei-
tere Lernen durch gesteigerte Motivation befördern kann, ist spätestens seit den 1980er
Jahren auch für das Fremdsprachenlernen nachgewiesen. Warum und welche Erfolgser-
lebnisse hierfür wichtig sind, ist Untersuchungsgegenstand der Attributionstheorie, die
Selbstkonzepte von Lernenden in Bezug auf ihre Wahrnehmung von Lernerfolgen/-miss-
erfolgen (z. B. Selbstwirksamkeit, Kontrollüberzeugungen, gelernte Hilflosigkeit) ins
Zentrum rückt. Danach können Erfolgserlebnisse die Motivation verstärken, Misserfolgs-
erlebnisse sie schwächen. Erfolgserlebnisse wirken dann nachhaltig motivierend auf Ler-
nende, wenn diese den Erfolg auf ihre eigene Persönlichkeit und ihr eigenes Handeln
1154 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

zurückführen können. Haben Lernende regelmäßig den Eindruck, durch ihr Handeln
nichts bewirken zu können, kann dies ein negatives Selbstbild verstärken und die Motiva-
tion nachhaltig beschädigen (vgl. exemplarisch Williams, Burden und Al-Baharna 2001).

2.4. Motivation als Prozess

Die vorgestellten theoretischen Modelle implizieren, dass gute Beweggründe in Kombina-


tion mit ausreichender Selbstbestimmung und vorhandenen Erfolgserlebnissen motivier-
tes Verhalten ergeben. Nach Gardner (1985: 50) besitzt motiviertes Lernen folgende
Komponenten: “a goal, effortful behaviour, a desire to attain the goal and favourable
attitudes toward the activity in question.” Also sind außerdem Anstrengungen erforder-
lich (z. B. zum Lernen von Vokabeln, beim Lösen von fremdsprachlichen Aufgaben), die
Lernende tatsächlich aufbringen müssen, und zwar andauernd, oft über Jahre hinweg.
Hier ansetzende Modelle beschreiben die Entwicklung motivierten Handelns als Prozess
der Umwandlung von Zielsetzungen und Beweggründen in Handlungsabsichten und
schließlich Handlungen, wobei Lernende z. B. zwischen konkurrierenden Zielen auswäh-
len und eine motivationale Schwelle überschreiten müssen, um Lernhandlungen tatsäch-
lich auch zu initiieren und beizubehalten (vgl. exemplarisch Dörnyei und Otto 1998;
Riemer 2006b). Diese motivationalen und volitionalen, sich im Lernenden vollziehenden
Prozesse werden beeinflusst durch das jeweilige soziokulturelle Milieu (z. B. Einfluss von
Eltern und Peers), vorhandene Lernmöglichkeiten (z. B. Mediennutzung) ⫺ und im Falle
gesteuerten Fremdsprachenlernens ganz maßgeblich durch die Bedingungen des Fremd-
sprachenunterrichts (Lehrerpersönlichkeit, Lernergruppe, Lernmaterialien).

3. Von der Einsicht in die Motivationsstruktur zur Motivierung


von Lernenden

Anhand der Fülle der vorhandenen, auch kontrovers diskutierten theoretischen Ansätze
(vgl. auch Art. 97), Komponenten und Prozesse in Bezug auf die L2-Motivation wird
deutlich, dass hieraus nicht unmittelbar Konsequenzen für die Praxis des Fremd- und
Zweitsprachenunterrichts hervorgehen können in der Form, dass das motivierende Po-
tential spezifischer Lernarrangements, -materialien und Lehrtechniken generell prognos-
tiziert werden könnte. Ganz im Gegenteil: Einsicht in die Komplexität, Dynamik und
Individualität des Faktors Motivation muss sich in der allgemeinen Erwartung von Leh-
renden (aber auch von Lernenden) spiegeln, dass Motivierungsstrategien in unterschiedli-
chen Lernkontexten ganz unterschiedliche Auswirkungen (und Nebenwirkungen) haben
können. Für jede Lernergruppe sind ⫺ jeweils neu ⫺ Lernervoraussetzungen, Motive
und Variablen der Willensbildungsprozesse zu beobachten und z. B. auf der Basis gemein-
samer Unterrichtsreflexionen zu diagnostizieren.
Lernende handeln auf der Basis individueller Erwartungen und Ziele; motivieren kann
nur, was für den Lerner in klarem Bezug zu seinen Erwartungen, Zielen und auch Be-
dürfnissen steht. Motivierung impliziert also die gezielte Auswahl an den Interessen und
Bedürfnissen ausgerichteter Unterrichtsgegenstände, Materialien, Medien und Lehrtech-
127. Motivierung 1155

niken. Eine weitere Konsequenz aus der L2-Motivationsforschung ist die Unterstützung
der Lernenden bei der Festsetzung realistischer Lernziele (inkl. Zwischenziele) ⫺ gerade
in Bezug auf die spezifische Sprache Deutsch, die in vielen Regionen und auch im Kon-
text Deutsch als Zweitsprache als besonders schwere Sprache gilt. Und dementsprechend
müssen Lernende bei der Reflexion ihrer Lernfortschritte Hilfestellungen erhalten. Lang-
fristige Ziele und Erfolgserwartungen sind regelmäßig mittels zeitnaher Erfahrungen zu
aktualisieren und aufrechtzuerhalten. Lehrende sollen Lernende zu Erfolgserlebnissen
führen, die diese sich selbst zuschreiben und die sie selbst kontrollieren können ⫺ also
Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit der Lernenden stärken. In Kontexten, in denen
extrinsische Motivationen überwiegen, sollten Lernende dabei unterstützt werden (v. a.
in schulischen Pflichtkontexten), Formen stärker selbstbestimmter Lernmotivation zu
entwickeln, das heißt u. a. wahrzunehmen, dass Unterrichtsaktivitäten und Lerngegen-
stände für ihr gegenwärtiges und mutmaßlich ihr zukünftiges Leben von wirklicher Be-
deutung sind. Flankiert durch Maßnahmen, die Lernende dabei unterstützen, ihren eige-
nen Lernertyp besser kennenzulernen und ihr Lernstil-Repertoire wirklich auszuspielen
(und behutsam zu erweitern), implizieren solche Prinzipien eine Lehrhaltung, die Lerner-
autonomie fördert ⫺ auch indem Lernende grundsätzlich in unterrichtliche Entschei-
dungsprozesse involviert werden und wirklich Verantwortung für ihr eigenes Lernen
übertragen bekommen und wahrnehmen.
Allgemeine Motivierungsprinzipien wie die oben genannten sind im Rahmen unter-
schiedlicher Modelle präzisiert worden. Wicke (2004) stellt für den DaF-Unterricht mit
Jugendlichen „zehn einfache Regeln“ auf, die u. a. auch die Notwendigkeit einer gemein-
samen Zielsetzung von Lerngruppen und die Eigenmotivation der Lehrkraft betonen.
DaF-Unterricht muss danach die Vorerfahrungen der Lernenden einbeziehen und an
vorhandenen Lernmotivationen anknüpfen. Die Lernenden sollen von Themen, Texten
und Aufgaben wirklich betroffen sein, sie müssen für die Lernenden relevant sein. Ler-
nende müssen so oft wie möglich Gelegenheit zur Anwendung des bereits Erlernten er-
halten (möglichst durch Verwendung authentischer Sprache auch in zielsprachlicher Um-
gebung), um dadurch auch Rückmeldung über ihren (erfolgreichen) individuellen Lern-
stand zu erhalten. Lehrer müssen Neugier und Interesse wecken und diese nicht einfach
voraussetzen. Auch sollen sie durch angemessenes Feedback das Selbstvertrauen der Ler-
nenden stärken und sie davon überzeugen, dass Lernen auch soziales Lernen ist (vgl.
Wicke 2004: 15⫺16). Die zentrale Rolle der Lehrkraft, ihrer Vorgehensweisen sowie ihrer
Haltung für den Motivationsprozess heben ebenfalls Apelt (1996), Düwell (1998) sowie
Dörnyei und Csizér (1998) hervor. Der bis heute am weitesten ausgearbeitete Vorschlag
stammt von Dörnyei (2001), der insgesamt 35 (weiter unterteilte) Motivierungsstrategien
unterscheidet, die Maßnahmen vorsehen zur (a) Herstellung grundlegender motivationa-
ler Bedingungen (z. B. unterstützende Unterrichtsatmosphäre, gute Gruppendynamik);
(b) Entfaltung der Ausgangsmotivation (z. B. Verbesserung der Zielorientiertheit der Ler-
nenden, Anpassung von Lehrmaterialien); (c) Aufrechterhaltung der Motivation im wei-
teren Lernverlauf (z. B. motivierende Präsentation von Aufgaben, Lernerautonomieför-
derung); sowie zur (d) (positiven) Selbstevaluation der Lernenden (z. B. Verstärkung mo-
tivierender Attributionen, angepasste Feedbackverfahren).
Maßnahmen zur Motivierung von Lernenden sind nur sehr eingeschränkt planbar,
insbesondere was die Prognose von Konsequenzen und Nebenwirkungen betrifft. Bereits
Solmecke (1983) hat mit seinem Motivations-Handlungsmodell verdeutlicht, dass eine
Maßnahme zur Motivierung einer Gruppe immer auf unterschiedliche Fähigkeiten, Hal-
1156 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

tungen und Fertigkeiten der Lernenden trifft, nicht kalkulierbare (Selbst-)Bewertungen


impliziert, die das motivierende Potential unterschiedlich zur Entfaltung bringen ⫺ oder
eben nicht: Einfache Wenn-dann-Beziehungen sind also nicht herzustellen. Der Erfolg
von Motivierungsmaßnahmen ist damit letztlich ein Spiegel gelungener Unterrichtsinter-
aktion und Gruppendynamik.

4. Literatur in Auswahl

Apelt, Walter
1996 Motivation und Fremdsprachenunterricht ⫺ Bilanz und Ausblick. Fremdsprachenunter-
richt 40: 81⫺89, 166⫺171.
Clément, Richard and Bastian G. Kruidenier
1983 Orientations in second language acquisition: I. The effects of ethnicity, milieu, and target
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128. Lernerautonomie 1157

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Claudia Riemer, Bielefeld (Deutschland)

128. Lernerautonomie
1. Gegenstandsbestimmung
2. Begründung und Bedingungen der Autonomieförderung
3. Anforderungen an Lernende und Lehrende
4. Modellfunktion des Unterrichts
5. Aufgaben
6. Materialien
7. Literatur in Auswahl

1. Gegenstandsbestimmung
Nach Little sind Menschen beim Erfüllen einer bestimmten Aufgabe autonom, wenn
sie diese ohne Unterstützung bewältigen, in anderen Kontexten erworbenes Wissen und
Fähigkeiten auf diese Aufgabe übertragen und flexibel auf die speziellen Bedingungen
und Anforderungen der Aufgabe eingehen können (Little 1999:22). In diesem Sinn ist
Autonomie ein übergeordnetes, langfristiges Entwicklungsziel, das sich nicht auf das Ler-
nen von Sprachen beschränkt, sondern die Entwicklung verschiedenster schulischer und
persönlicher Kompetenzen mit einschließt und über den Rahmen der obligatorischen
Schulzeit hinausweist. Unter Autonomie kann aber auch ein didaktisch-methodischer
Ansatz, eine Fähigkeit, die ein Lernender für das Lernen mitbringt oder ein Prozess, der
gestaltet werden muss, verstanden werden.
Im Bereich der Didaktik des Fremdsprachenunterrichts existieren drei verschiedene
Interpretationen von Autonomie:
(1) Autonomie in Bezug auf Lernort, -zeit und -rhythmus
(2) Autonomie als Übernahme von Verantwortung für das Lernen
(3) Autonomie als Fähigkeit, eigene Lernprozesse selber zu steuern und zu reflektieren
Unter die erste, technizistische Interpretation von Autonomie im Fremdsprachenunter-
richt fallen Selbstlernprogramme, bei denen die Anwesenheit und die Intervention einer
Lehrperson nicht erforderlich ist, da in den Materialien die notwendigen Anleitungen,
Entscheidungsprozesse und Korrekturhilfen enthalten sind. Im Gegensatz dazu können
die Lernenden in Unterrichtsansätzen, die der zweiten Interpretation von Autonomie
folgen, auf Ziele, Inhalte, Materialien, Vorgehensweisen oder den Unterrichtsablauf Ein-
fluss nehmen. Mit zunehmender Autonomie übernehmen sie immer mehr dieser Entschei-
1158 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

dungen selbst. Bei der dritten Ausprägung von Autonomie kommt die bewusste Refle-
xion über eigene und fremdinitiierte Lernaktivitäten hinzu (Holec 1988: 7⫺9). Nur die
beiden letzten Interpretationen entsprechen der Autonomie im Sinne Littles. Autonomie-
fördernder Unterricht muss es den Lernenden also ermöglichen,
(1) sich im Lehr- und Lerngeschehen zu orientieren
(2) Verantwortung zu übernehmen
(3) über eigene und fremdinitiierte Lern- und Verhaltensweisen zu reflektieren
(Nodari 1994: 39).
Entsprechende unterrichtspraktische Ansätze sind in den 1970er Jahren aus Initiativen
des Europarates hervorgegangen, sie knüpfen aber auch an ältere Ansätze der Reformpä-
dagogik und der Freinet-Pädagogik an. Als Bezugswissenschaften für didaktische Kon-
zepte zur Lernerautonomie gelten die kognitive Psychologie, die Neurowissenschaften
und der Konstruktivismus.

2. Begründung und Bedingungen der Autonomieörderung


Aus ökonomisch-politischer Sicht ist die Förderung autonomen Lernens im Fremdspra-
chenunterricht sinnvoll, um die Lernenden für die Arbeitswelt mit ihren ständig wech-
selnden Anforderungen zu qualifizieren, lebenslanges Lernen zu ermöglichen und die
Entwicklung zu mündigen Bürgern zu unterstützen.
Zu den psycholinguistisch-didaktischen Begründungen gehören die Berücksichtigung
individueller Lernerbedürfnisse und -voraussetzungen und die positiven Auswirkungen,
die einem Unterricht zugeschrieben werden, der auf die autonome Verwendung der Ziel-
sprache ausgerichtet ist. Ein solcher Unterricht kann mit einer ganzheitlicheren Betrach-
tung von Sprache und dem Einsatz kooperativer Übungsformen erreicht werden (Wes-
kamp 1999: 11⫺12, 16⫺17; Little 1995: 176).
Autonomieförderung ist für unterschiedliche Sprachen und Altersgruppen, für Ler-
nende mit geringer Vorbildung und im Rahmen vorgegebener Curricula umsetzbar, da
man sie an vorgegebene Bedingungen flexibel anpassen kann (Gremmo und Riley 1995:
154⫺155; Little 1995: 179). Als ein universell gültiges, übergeordnetes Lehrziel kann
Autonomie aber auch problematisch sein, da es ein spezifisches, (ausbildungs-)politisches
Ziel impliziert, das sich auf Individualismus und Liberalismus stützt, wo vor allem die
persönliche Verantwortung und die Interessen des Einzelnen in den Vordergrund gestellt
werden. Aus diesem Grund sind autonomiefördernde Ansätze immer auch vor dem kul-
turellen Hintergrund der Beteiligten zu sehen und dementsprechend anzupassen.

3. Anorderungen an Lernende und Lehrende


Verschiedene Studien zu den Eigenschaften eines guten Sprachenlernenden stimmen da-
rin überein, dass er „ein aktiver Lernender ist, [der] seine Sprachproduktion überwacht,
in der Fremdsprache kommuniziert, bestehendes Sprachwissen nutzt, verschiedene Be-
haltensstrategien anwendet und von sich aus bei Unklarheiten nachfragt“ (Chamot 2004:
12). Erfolgreiche Lernende suchen also möglichst vielfältige Zugänge zur Zielsprache,
128. Lernerautonomie 1159

versuchen, aktiv neue Elemente der Zielsprache in ihre bestehende Lernersprache zu


integrieren und die Funktionsweise der Fremdsprache zu verstehen und sie setzen Lern-
strategien bewusst ein. Zwar verwenden auch weniger erfolgreiche Lernende Lernstrate-
gien, passen sie aber weniger geschickt an die aktuellen Aufgaben an und verwenden
seltener metakognitive Strategien (Neuner-Anfindsen 2005: 142⫺145).
Im Unterricht werden die Planungs- und Steuerungsfunktionen normalerweise von
den Lehrpersonen übernommen. Unter dieser Voraussetzung übernehmen Lernende
nicht automatisch Verantwortung für das Lernen. Sie sind bereits in Lernmustern soziali-
siert und müssen für neue Formen gewonnen werden (Weskamp 1999: 16). Sowohl die
Übernahme von Verantwortung als auch die Reflexion über die Lernprozesse muss von
den Lehrenden angeleitet werden (Little 1995: 176⫺177). Autonomieförderung ist also
kein Laissez-faire, sondern bedingt, dass die Lehrenden genau auswählen, in welchen
Bereichen sie den Klassen bzw. den einzelnen Lernenden Verantwortung überlassen kön-
nen und wollen (Little 1995: 179).
Eine weitere Aufgabe der Lehrpersonen besteht darin, im Unterricht erstens gezielt
Lernstrategien zu vermitteln und zweitens ihre bewusste Anwendung zu ermöglichen.
Denn Strategieinstruktion ist vor allem dann erfolgreich, wenn Gelegenheit besteht, die
neuen Strategien zu üben und in das Lernverhalten zu integrieren (Neuner-Anfindsen
2005: 164).
Mit der Förderung von Lernerautonomie verändert sich auch die Rolle der Lehren-
den, deren Aufgabe sich von der zentralen Steuerung aller Unterrichtsabläufe und -in-
halte hin zur Moderation von Unterricht, zur Schaffung von Lernsituationen und zur
Beratung der Lernenden verschiebt (Bimmel und Rampillon 2000: 33).

4. Modellunktion des Unterrichts


Durch Unterricht werden unbewusste Lerngewohnheiten entwickelt. Vor allem erwach-
sene Lernende können zwar oft ein langfristiges Lernziel definieren, die kurzfristigen
Ziele innerhalb eines Kurses aber nicht mit dem langfristigen abstimmen (Crabbe, Hoff-
mann und Cotterall 2001: 14). Sie möchten z. B. an Alltagsgesprächen teilnehmen kön-
nen, fragen im Kurs aber nach mehr Grammatikübungen. Ein autonomiefördernder Un-
terricht kann einerseits solche Diskrepanzen thematisieren und andererseits als Modell
für eigenes, selbständiges Handeln dienen, indem er den Lernenden eine optimale Orien-
tierung im Lehr- und Lerngeschehen ermöglicht. Das bedeutet, dass die Lernenden wis-
sen, was sie lernen, welches Ziel auf welchem Weg erreicht werden soll und wie viel Zeit
ihnen dazu zur Verfügung steht (Nodari 1994: 39). Dazu können Lehrende zum Beispiel
zu Beginn einer Lerneinheit die Lernziele offenlegen und am Ende gemeinsam mit den
Lernenden überprüfen oder mit den Lernenden Zeitpläne für die Unterrichtsarbeit und
die Hausaufgaben festlegen bzw. abändern.

5. Augaben
Autonomiefördernde Aufgaben sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Lernen-
den tatsächlich verschiedene Lernstrategien erproben und ihre eigenen Wege zum Lernen
1160 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

finden können. Genau wie der Unterricht müssen auch Aufgaben in Hinblick auf Ziele,
Vorgehensweisen, mögliche Strategien usw. transparent sein. Eine Lehrperson, die ihre
Lernenden auffordert, einen Text überfliegend zu lesen und einige Fragen dazu zu beant-
worten, schöpft das Lernpotential dieser Aufgabe nicht voll aus. Die Lernenden führen
damit zwar eine spezifische Lesestrategie aus, diese wird aber nicht begründet und als
Lernziel nicht bewusst gemacht. Erst wenn die Lernenden den Sinn und Zweck sowie
auch die Erreichbarkeit der Ziele klar erkennen, setzen sie ihr ganzes Lernpotential ein.
Baurmann (2002: 53) postuliert, dass gute Schreibaufträge eine „milde Form der Beses-
senheit auslösen“. Dieses Postulat gilt auch für autonomiefördernde Aufgaben.
Im Bereich Orientierung im Lerngeschehen kann z. B. durch das Entwickeln einer
Lehrwerksrallye die Aufmerksamkeit der Lernenden auf bestimmte Teile des Lehrwerks
gelenkt werden. Übertragung von Lernverantwortung kann im Rahmen eines Lerntage-
buchs eingeübt werden, in dem die Lernenden eigene Lernziele formulieren. Diese indivi-
duellen Formulierungen können später auch als Hilfsmittel für die Selbsteinschätzung
erzielter Fortschritte dienen. Im Bereich Lerninhalte bietet sich das Erstellenlassen einer
Übungskartei für einen ausgewählten Bereich wie etwa Grammatik an. Wahlangebote,
bei denen die Aufgabenstellung zum Beispiel in der verwendeten Lerntechnik variiert,
bieten den Lernenden Modelle, wie sie einen Lerninhalt unterschiedlich bearbeiten kön-
nen, und erlauben es ihnen, eigene Lernvorlieben zu erproben. Zum Bereich Reflexion
zählen Aufgaben, die die Wahrnehmung für verschiedene Lernweisen schulen oder zu
ihrer Optimierung beitragen. Das kann zum Beispiel geschehen, indem die Lernenden
einander bevorzugte Strategien vorstellen und über deren Effizienz diskutieren (Nodari
1994: 40⫺43, siehe dazu auch Rampillon 2000).

6. Materialien

Gemäß Holec sollen Lernende im Umgang mit Lern- und Lehrmaterialien die Erfahrung
machen können, dass „learning a language does not mean learning material but using
material to learn“ (Holec 1988: 11). Ähnlich wie die Lehrerrolle verschiebt sich auch
die Rolle der Materialien weg von der reinen Instruktion hin zum Hilfsmittel, das den
Lernprozess in Gang bringt oder stützt.
Idealtypisch sollte im Unterricht ausschließlich mit authentischen Materialien gear-
beitet werden. Dies ist zwar denk- und machbar, jedoch kaum realistisch. Lehrwerke
können Lehrpersonen in der Gestaltung eines autonomiefördernden Unterrichts entlas-
ten, wenn sie es den Lernenden einerseits ermöglichen, durch offene Aufgabenformen
schrittweise Verantwortung für verschiedene Lernprozesse zu übernehmen, andererseits
die Reflexion über eigene Lernverhaltensweisen systematisch einzubeziehen und zudem
möglichst authentische Materialien bieten (Nodari 1995: 129). Obschon neuere Lehr-
werke viele Elemente zur Förderung der Lernerautonomie enthalten, scheint das Poten-
tial, insbesondere was die Orientierungsfunktion anbelangt, noch lange nicht ausge-
schöpft.
Der Nutzen von neuen Medien für autonomes Lernen wird allgemein als sehr hoch
eingeschätzt. Insbesondere durch das Internet steht heute eine große Zahl leicht zugängli-
cher, authentischer zielsprachlicher Materialien zur Verfügung. Die neuen Medien sind
aber nicht per se autonomiefördernd. Gerade bei Selbstlernprogrammen auf CD-ROM
128. Lernerautonomie 1161

beschränkt sich die Autonomie häufig auf Aspekte wie die Wahl von Ort, Zeit, Tempo
oder Wiederholungsrate. Oft führen technische Einschränkungen auch zu einer ungünsti-
gen Beschränkung von Übungsformen und Aktivitäten.
Für autonomiefördernden Unterricht sind vor allem Medien geeignet, die für ver-
schiedene Aktivitäten offen sind. Neben den bereits erwähnten authentischen Materialien
gehören dazu verschiedene Softwareprodukte und Internetdienstleistungen, die nicht für
den Sprachunterricht gemacht wurden, aber als Hilfsmittel beim Erstellen von Lernpro-
dukten, als Kommunikationsmittel oder zum Nachschlagen spezifischer Informationen
dienen können (E-Mail-Projekte, Skype-Kontakte, Rechercheaufgaben usw.).

7. Literatur in Auswahl

Baurmann, Jürgen
2002 Schreiben, Überarbeiten, Beurteilen ⫺ ein Arbeitsbuch zur Schreibdidaktik. Seelze: Kall-
meyersche Verlagsbuchhandlung.
Bimmel, Peter und Ute Rampillon
2000 Lernerautonomie und Lernstrategien. Berlin u. a.: Langenscheidt.
Chamot, Anna Uhl
2004 Stand der Forschung zum Einsatz von Lernstrategien im Zweit- und Fremdsprachener-
werb. In: Hans Barkowski und Hermann Funk (Hg.), Lernerautonomie und Fremdspra-
chenunterricht, 10⫺35. Berlin: Cornelsen.
Crabbe, David, Alison Hoffmann and Sara Cotterall
2001 Examining the discourse of learner advisory sessions. AILA Review 15: 2⫺15.
Gremmo, Marie-José and Philip Riley
1995 Autonomy, self-direction and self access in language teaching and learning: The history
of an idea. System 23: 151⫺164.
Holec, Henri
1988 Autonomy and Self-Directed Learning (Education & Culture). Strasbourg: Council of
Europe Press.
Little, David
1995 Learning as dialogue: The dependence of learner autonomy on teacher autonomy. System
23: 175⫺181.
Little, David
1999 Autonomy in second language learning: Some theoretical perspectives and their practical
implications. In: Christoph Edelhoff und Ralf Weskamp (Hg.), Autonomes Fremdspra-
chenlernen, 22⫺35. Ismaning: Hueber.
Neuner-Anfindsen, Stefanie
2005 Fremdsprachenlernen und Lernerautonomie. Sprachlernbewusstsein, Lernprozessorganista-
tion und Lernstrategien zum Wortschatzlernen in Deutsch als Fremdsprache. (Mehrspra-
chigkeit und multiples Sprachenlernen/Multilingualism and Multiple Language Acquisi-
tion and Learning 1). Baltmannsweiler: Schneider.
Nodari, Claudio
1994 Autonomiefördernde Aufgaben im Fremdsprachenunterricht. Versuch einer Typologisie-
rung. Fremdsprache Deutsch 10: 39⫺43.
Nodari, Claudio
1995 Perspektiven einer neuen Lehrwerkkultur. Pädagogische Lehrziele im Fremdsprachenun-
terricht als Problem der Lehrwerkgestaltung (Sprachlandschaft Schweiz). Aarau: Sauer-
länder-Verlag.
1162 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

Rampillon, Ute
2000 Aufgabentypologie zum autonomen Lernen. Ismaning: Hueber.
Weskamp, Ralf
1999 Unterricht im Wandel ⫺ Autonomes Fremdsprachenlernen als Konzept für schülerorien-
tierten Fremdsprachenunterricht. In: Christoph Edelhoff und Ralf Weskamp (Hg.), Auto-
nomes Fremdsprachenlernen, 8⫺19. Ismaning: Hueber.

Claudio Nodari, Zürich (Schweiz)


Cornelia Steinmann, Zürich (Schweiz)

129. Lernberatung
1. Theoretische Grundlagen
2. Ziele, Funktionen und mögliche Adressaten von Sprachlernberatung
3. Durchführung und mögliche Organisationsformen
4. Literatur in Auswahl

1. Theoretische Grundlagen
Das Konzept der Lernberatung für das Fremdsprachenlernen (Sprachlernberatung)
stützt sich auf folgende unterschiedliche theoretische Ansätze, Wissenschaftsdisziplinen
und Annahmen: So wird davon ausgegangen, dass die Art, wie Menschen Fremdsprachen
lernen, durch eine Vielzahl von individuellen Faktoren beeinflusst wird (vgl. Kap. IX).
Individuelle Lernerfaktoren sind auch innerhalb einer Person als dynamisches Geflecht
zu betrachten; z. B. können Bedarfe und Bedürfnisse, Motivation und Ziele von Fremd-
sprache zu Fremdsprache, chronologisch oder auch lernumgebungsabhängig variieren.
Die Selbstwahrnehmung des Lernenden in seinem gesamten Kontext mit seinen persönli-
chen Eigenschaften, Einstellungen und Sichtweisen ist Grundlage einer Sprachlernbera-
tung.
⫺ In der Diskussion um Lernerautonomie (vgl. Art. 128) wird u. a. davon ausgegangen,
dass Lernende bei der Verarbeitung von Lerninhalten von außen nur eingeschränkt
zu beeinflussen sind. Eine Veränderung der Lehrerrolle hin zur Lernbegleitung und
Lernberatung solle allerdings dazu führen, dass bei Lernenden Reflexionen über den
Lernprozess angeregt werden, damit sie Kontrolle über das eigene Lernen (Steuerung,
Überwachung und Evaluation) ausüben und sich ihren individuellen Voraussetzungen
gemäß weiterentwickeln können. Basierend auf Rückmeldungen aus der Beratungs-
praxis und gestützt auf empirische Untersuchungen (vgl. u. a. Claußen 2009) nutzt
eine (individuelle) Sprachlernberatung die Reflexionen über die internen und externen
Lernerfaktoren direkt, um davon ausgehend mit dem Lernenden gemeinsam ⫺ durch-
aus kleinschrittige ⫺ Lernverfahren und Wege hin zum Nutzen für den Lernprozess
zu erarbeiten.
⫺ Weiterhin berücksichtigt das Konzept der Sprachlernberatung Erkenntnisse aus der
humanistischen Psychologie, z. B. die Einsicht, dass Menschen die Lösung für ihre
129. Lernberatung 1163

Probleme in sich tragen (vgl. z. B. Rogers 1985). Eine strukturierte Beratung kann es
dem Lernenden also ermöglichen, zu einem Verständnis seiner selbst zu gelangen und
auf Grund dieser neuen Orientierung positive Schritte zu unternehmen. Noch nicht
völlig geklärt ist die Frage, an welchem Punkt des Beratungsgesprächs vom Sprach-
lernberater basierend auf Fachwissen über Sprachlernprozesse klare Empfehlungen
gegeben werden können/sollten.
⫺ Zurückgegriffen wird für den konkreten Beratungsprozess auf Arbeiten aus der
(Kommunikations-)Psychologie, der allgemeinen pädagogischen Beratung und ent-
sprechende Gesprächstechniken (vgl. u. a. Bachmair et al. 1999; Siebert 2001).

2. Ziele, Funktionen und mögliche Adressaten von


Sprachlernberatung

Die genannten Grundlagen werden zum Teil unterschiedlich gewichtet und führen daher
auch zu unterschiedlichen Konzeptionen, Organisationsformen und Durchführungsmög-
lichkeiten, die u. a. von den Bedingungen vor Ort und von den entsprechenden Adressa-
ten beeinflusst sind (vgl. hierzu z. B. die Beiträge in der Zeitschrift für Interkulturellen
Fremdsprachenunterricht (Online) 11, 2, 2006; Wehmer 2003). Das hier vertretene Kon-
zept der individuellen Sprachlernberatung wurde zunächst für das Sprachenlernen im
Hochschulkontext entwickelt (vgl. u. a. Mehlhorn 2005). In, neben und außerhalb von
Kursen sollen Lernende in individuellen Beratungssitzungen zur Reflexion ihres Sprach-
lernverhaltens angeregt werden. Als „Experte für die eigene Person“ können sie Verant-
wortung für ihren Sprachlernprozess übernehmen und gemeinsam mit dem Sprachlern-
berater als „dem Fachexperten für das Fremdsprachenlernen“ Möglichkeiten zur Opti-
mierung finden.
Berater bieten dafür individuelle Anleitung, Hilfe und Betreuung an, etwa
⫺ bei der Bewusstmachung der individuellen Voraussetzungen, der jeweiligen persönli-
chen Zusammenhänge und der Entscheidungsbedingungen (z. B. könnten folgende
Überlegungen Ausgangspunkt für weitere Entscheidungen sein: „Ich kann schon ganz
gut Diskussionsbeiträgen folgen, wenn nicht zu schnell gesprochen wird; ich kann mich
noch nicht selbst beteiligen. Vielleicht wage ich es aber auch einfach nicht, weil ich Angst
davor habe mich zu blamieren? [Was heißt für mich eigentlich „blamieren“?] Ich will
zunächst herausfinden, was ich schon spontan äußern kann. Dafür mache ich Folgen-
des: ….“).
⫺ bei der möglichen Passung der gesamten den Lernprozess beeinflussenden Faktoren
mit den eigenen Zielen (z. B.: „Ich habe leider nicht viel Zeit; doch auch ich lerne eine
Sprache nicht im Schlaf, ich muss … tun, wenn ich … können will.“).
⫺ beim Erkennen von Lernschwierigkeiten und Lösungsmöglichkeiten (z. B.: „Ich weiß
überhaupt nicht, wie ich mich auf die Prüfung vorbereiten kann; versucht habe ich schon
Folgendes …. Ich weiß aber nicht mal, wie die Dozentin bei der Bewertung vorgeht.
Vielleicht sollte ich das erst einmal herausfinden.“).
⫺ beim Finden geeigneter Lernwege und -strategien (als mögliche Weiterführung des
obigen Beispiels z. B.: „Ich nehme mir vor die Dozentin zu fragen, worauf sie bei der
Bewertung dieser Prüfung besonderen Wert legt; dann komme ich noch mal, damit wir
1164 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

besprechen können, wie ich mich sinnvoll in der mir verbleibenden Zeit vorbereiten
kann.“).
⫺ beim Finden geeigneter Lernmaterialien und -situationen (z. B. als Ausgangspunkt für
einen Deutschlerner im Ausland: „Ich möchte mich auf einen Praktikumsaufenthalt in
Deutschland vorbereiten; habe schon einen A2-Kurs gemacht und frage mich, wie ich
mich in den verbleibenden zwei Monaten etwas besser darauf vorbereiten kann. Ich habe
mir z. B. Folgendes gedacht … und wollte fragen, ob es vielleicht noch andere Möglich-
keiten gibt.“).
⫺ beim Motivationsaufbau, Aufbau von Selbstwirksamkeit (z. B. als Ausgangspunkt:
„Ich habe das Gefühl, ich lerne überhaupt nichts mehr dazu; ich komme im Kurs immer
gut klar, aber ich sehe keine Fortschritte mehr und verliere langsam die Lust, überhaupt
noch am Kurs teilzunehmen. Ich frage mich, was ich tun kann, um wieder etwas zufriede-
ner mit meinem Sprachenlernen zu sein.“).
⫺ beim konkreten Umsetzen von eigenen Entscheidungen (z. B.: „Ich nehme mir für die
nächste schriftliche Prüfung vor, besonders auf eine klare Argumentation (was heißt das
genau?) zu achten; ich weiß ja, dass das zählt. Ich schreibe mir noch mal die wichtigsten
Strukturierungsmittel auf; die suche ich aus … heraus; und dann versuche ich, schon
mal ein paar einfache Argumentationen auszuprobieren.“).
⫺ beim Erkennen von Lernfortschritten und bei der Evaluation des eigenen Lernens
(z. B.: „Ich nehme mir vor, am Ende der nächsten Woche in Stichpunkten zu notieren,
was ich dann besser kann, auch wenn es nur ein paar Ausdrücke sind, die mir wichtig
sind.“).
Die Erfahrungen aus Beratungen mit erwachsenen Fremdsprachenlernern können nicht
direkt auf das Sprachenlernen im schulischen Kontext übertragen werden (zu einigen
Vorschlägen vgl. z. B. Kleppin und Mehlhorn 2008). Möglicherweise sollte für eine effek-
tive Nutzung von Sprachlernberatung vor allem bei jüngeren Schülern und insbesondere
beim Erlernen der ersten Fremdsprache zunächst im Unterricht z. B. durch eine Integra-
tion von Lernberatungselementen ein gewisser Grad an Lernerautonomie entwickelt wer-
den. Beratungselemente im Unterricht könnten z. B. sein: die Anregung zur Reflexion
interner Bedingungen und Voraussetzungen (z. B. Lernstile, Lernstrategien, Erfahrung
von Selbstwirksamkeit, interne Motive) und Möglichkeiten der Weiterentwicklung (z. B.
Entwicklung geeigneter Lernstrategien); die Auseinandersetzung mit den externen Lern-
bedingungen und -voraussetzungen (z. B. zu erreichende Mindeststandards, vorgegebene
Lernzeiten, -orte, Elternwünsche) und Möglichkeiten des Abbaus von Lernhindernissen
und Motivationsbarrieren; das Setzen eigener Lernziele, die an die Unterrichtssituation
angepasst sind bzw. die außerhalb der Unterrichtssituation realistisch zu erreichen sind;
das Erkennen von eigenen Lernschwierigkeiten und Lösungsmöglichkeiten (z. B. in ange-
leiteten und vom Lehrenden/Beratenden moderierten Gesprächen mit anderen Schülern,
zu solchen Verfahren vgl. z. B. Helmling 2005); das Erkennen von eigenen Lernfortschrit-
ten und der Aufbau von Selbstwirksamkeit u. a. durch das Einbringen von Selbstevalua-
tionsverfahren.

3. Durchührung und mögliche Organisationsormen


Bei einer sich in der Regel über mehrere Beratungssitzungen erstreckenden Sprachlernbe-
ratung dient ein erstes Treffen zunächst dazu, gemeinsam mit dem Lerner die Sprachlern-
biographie und die konkreten Bedingungen (Lernmöglichkeiten, zur Verfügung stehende
129. Lernberatung 1165

Lernzeit usw.) zusammenzustellen, d. h. die Ausgangsposition zu klären und für das wei-
tere Vorgehen zu motivieren. Bei der Erhebung der Sprachlernbiographie erhält einerseits
der Berater wichtige Informationen über den Lerner, andererseits wird dem Lerner selbst
durch die konkreten Fragen zu seinem bisherigen Lernen selbst möglicherweise schon
vieles bewusst. Das erste Treffen kann darüber hinaus dazu genutzt werden, dem Lerner
die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der Beratung aufzuzeigen. Allgemeingültige
Rezepte sind nicht zu erwarten. Bei den folgenden Beratungsgesprächen wird auf kon-
krete Bedürfnisse und Ziele eingegangen, diese werden in Verbindung mit den Lernerfak-
toren und den konkreten Bedingungen gebracht, auf Verbesserungsmöglichkeiten hinge-
wiesen und möglicherweise ein bestimmtes Lernproblem bearbeitet. Dabei können z. B.
Lernerlogbücher, Sprachenportfolios oder eigene Produktionen als Beratungsunterlagen
genutzt werden (vgl. z. B. Gick 2004; Langner 2006). Die letzte Phase dient der abschließ-
enden Evaluation. Dabei kann dem Lerner eventuell bisher Erreichtes vor Augen geführt
und ein positiver Ausblick auf das weitere Vorgehen gegeben werden.
Die einzelnen Beratungsgespräche können weiterhin in Phasen untergliedert werden,
die in einer Sitzung mehrfach und zyklisch durchlaufen werden (zu den einzelnen Phasen
vgl. Brammerts, Calvert und Kleppin 2005).
Die unter 1. schon genannten Gesprächstechniken dienen als Reflexionsanstöße und
Gesprächsimpulse. Dazu gehören z. B. offene Fragen, aktives Zuhören, Spiegeln durch
Beschreiben und Zusammenfassen, Mitteilen von Beobachtungen, vorsichtiges Interpre-
tieren anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse, Herstellen von Verbindungen zwischen
genannten Faktoren, Akzentuieren, Erweitern und Konkretisieren von Lerneraussagen,
vorsichtiges Zuschreiben von Ursachen, Initiieren und Anbieten von möglichen Schluss-
folgerungen, Konfrontieren mit anderen Möglichkeiten und evaluierendes Feedback (vgl.
Culley 1996 und zu konkreten Fragebeispielen für das Fremdsprachenlernen Mehlhorn
2005).
Organisationsformen für Beratungen hängen von unterschiedlichen Gegebenheiten
ab, wie z. B., ob Berater und Lerner sich am gleichen Ort befinden, ob der Berater gleich-
zeitig auch der Lehrer ist, ob der Lerner selbstgesteuert oder in einem Kurs lernt. Prä-
senzformen werden, soweit dies zeitlich und örtlich möglich ist, momentan noch Distanz-
beratungen vorgezogen, da hierbei leichter ein wirklicher Dialog mit allen nonverbalen
Elementen zustande kommen kann. Dies wird sich mit den immer besseren technischen
Möglichkeiten über das Internet audiovisuell zu kommunizieren, möglicherweise noch
verändern (vgl. hierzu z. B. die Beiträge in der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdspra-
chenunterricht (Online) 11. 2. 2006).
Formen der Implementierung von Sprachlernberatung in unterschiedlichen Lernum-
gebungen und für unterschiedliche Adressaten sind sicherlich noch weiter zu entwickeln,
was sich auch auf das Konzept auswirken wird.

4. Literatur in Auswahl
Bachmair, Sabine, Jan Faber, Claudius Henning, Rüdiger Kolb und Wolfgang Willig
1999 Beraten will gelernt sein. Ein praktisches Lehrbuch für Anfänger und Fortgeschrittene. 7.
Auflage. Weinheim: Beltz.
Brammerts, Helmut, Michael Calvert und Karin Kleppin
2005 Ziele und Wege bei der individuellen Lernberatung. In: Helmut Brammerts und Karin
Kleppin (Hg.), Selbstgesteuertes Sprachenlernen im Tandem. Ein Handbuch, 53⫺60. 2.
Auflage. Tübingen: Stauffenburg.
1166 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

Claußen, Tina
2009 Strategientraining und Lernberatung. Auswirkung auf das Kommunikations- und Lernver-
halten ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen. Tübingen: Stauffenburg.
Culley, Sue
1996 Beratung als Prozeß. Lehrbuch kommunikativer Fertigkeiten. Weinheim: Beltz.
Gick, Cornelia
2004 Einstiege ins Europäische Sprachenportfolio. Einige Ideen aus der Praxis für die Praxis.
Babylonia 46, abrufbar unter: http://www.babylonia-ti.ch/BABY204/PDF/didbeitr46.pdf.
Helmling, Brigitte
2005 Peergruppenarbeit ⫺ Tandems lernen von Tandems. In: Helmut Brammerts und Karin
Kleppin (Hg.), Selbstgesteuertes Sprachenlernen im Tandem. Ein Handbuch, 83⫺91. 2.
Auflage. Tübingen: Stauffenburg.
Kleppin, Karin und Grit Mehlhorn
2008 Sprachlernberatung im schulischen Kontext. Fremdsprache Deutsch 38: 47⫺51.
Langner, Michael
2006 Dokumente zur Sprachlernberatung. Zur Vorentlastung in Sprach(lern)projekten. Zeit-
schrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 11(2). (Online).
Mehlhorn, Grit (unter Mitarbeit von Karl-Richard Bausch, Tina Claußen, Beate Helbig-Reuter und
Karin Kleppin)
2005 Studienbegleitung für ausländische Studierende an deutschen Hochschulen. Teil I: Handrei-
chungen für Kursleiter zum Studierstrategienkurs. Teil II: Individuelle Lernberatung ⫺ Ein
Leitfaden für die Beratungspraxis. München: iudicium.
Rogers, Carl R.
1985 Die nicht-direktive Beratung. Frankfurt a. M.: Fischer.
Siebert, Horst
2001 Selbstgesteuertes Lernen und Lernberatung. Neuwied: Luchterhand.
Wehmer, Silke
2003 Lernberatung. In: Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm (Hg.),
Handbuch Fremdsprachenunterricht, 344⫺346. 4., überarbeitete Auflage. Tübingen: Fran-
cke.
Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht 11(2).
2006 Themenheft zur Sprachlernberatung. (Online).

Karin Kleppin, Bochum (Deutschland)

130. Augabenorientierung
1. Einleitung
2. Aufgabenorientierung als komplexer Begriff
3. Merkmale von Aufgaben
4. Ergänzungen und Fragen
5. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
Aufgabe und aufgabenorientierter Unterricht sind seit einigen Jahren zentrale Themen
einer durchaus kontrovers geführten Diskussion in unterschiedlichen Bereichen der Di-
130. Aufgabenorientierung 1167

daktik. In Bezug auf den Fremdsprachenunterricht verbindet sich mit ihnen der An-
spruch auf eine Erneuerung der unterrichtlichen Verfahren auf dem Stand des heutigen
Wissens zum Spracherwerb und zum Lernen im schulischen Kontext (vgl. Skehan 1998).
Auf der anderen Seite stehen Zweifel an der Neuheit und der Wirksamkeit der mit dem
Ansatz verbundenen Konzepte oder an der Möglichkeit, Aufgabe als Begriff hinreichend
scharf zu definieren und damit das Konzept gegenüber anderen abzugrenzen (vgl. dazu
die Beiträge in Bausch et al. 2006 sowie Müller-Hartmann und Schocker-von Ditfurth
2005b).
Die Beschäftigung mit Aufgaben ist nichts Neues; sie begleitet die Fremdsprachendi-
daktik seit jeher. Die aktuelle Ausformung, die diese Auseinandersetzung in der hier
diskutierten Aufgabenorientierung gefunden hat, hat ihre Wurzeln in der angelsächsi-
schen Diskussion, die vor allem mit den Begriffen task und task based language learning
operiert (Nunan 1989, 2004; Willis 1996; Ellis 2003). Je nachdem, wie konsequent die
entsprechenden Verfahren eingesetzt werden, kann man unterscheiden zwischen einem
streng aufgabenbasierten und einem aufgabenorientierten Zugang. Im Folgenden wird
ausschließlich der letztere Begriff verwendet.

2. Augabenorientierung als komplexer Begri

Die facettenreiche Diskussion zur Aufgabenorientierung lässt sich transparenter machen,


wenn zwei Aspekte klar unterschieden werden, die in fast jedem Gebrauch des Begriffs
im hier interessierenden Kontext mitgedacht sind.
a) Der erste Aspekt ist ein unterrichtstheoretischer, deskriptiver. Er besteht in der
These, dass Aufgaben die entscheidende Schnittstelle zwischen den didaktischen Ent-
scheidungen der Lehrkraft (und der hinter ihr stehenden Hersteller von Unterrichtsmate-
rialien) und den für den Unterrichtserfolg entscheidenden kognitiven Prozessen der Ler-
nenden bilden. Zwar sind diese Prozesse von außen im Einzelnen nicht im Detail plan-
und kontrollierbar. Aufgaben erlauben es aber, der Arbeit der Lernenden Themen und
Ziele vorzugeben, damit zumindest die fokalen Punkte ihrer Arbeit zu bestimmen und
darauf bezogene kognitive Prozesse anzustoßen.
Man braucht den Eigenwert der verwendeten Materialien nicht zu leugnen und kann
trotzdem daran festhalten, dass es die Aufgaben sind, welche die Beschäftigung damit
didaktisch gestalten und die Aktivitäten der Lernenden koordinieren. Der Imperativ
„Lerne die Fremdsprache“, den jeder fremdsprachliche Unterricht an die TeilnehmerIn-
nen stellt, wird nach dieser These in jedem Moment durch die aktuelle Aufgabe konkreti-
siert und in eine erlebbare Inszenierung der Lernsituation umgesetzt. So gesehen beruht
jeder Unterricht auf Aufgaben, unabhängig davon, welches didaktische Konzept in ihm
verfolgt wird, und seine Qualität kann an ihnen gemessen werden.
b) Der zweite Aspekt betrifft die didaktische und damit präskriptive Ausformung des
Konzepts der Aufgabenorientierung. Es ist ausgezeichnet durch eine spezifische Kombi-
nation didaktischer Grundsätze (s. Abschnitt 3). Auch wenn die meisten davon in der
einen oder anderen Form seit längerem bekannt sind, ist ihre spezielle Kombination
neu, ebenso der den Namen motivierende Sachverhalt, dass diese Grundsätze explizit als
Kriterien für die Konstruktion und Evaluation von Aufgabenstellungen formuliert wer-
den.
1168 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

Das Konzept der Aufgabenorientierung kann deshalb durchaus als neuer Ansatz (der
in leicht divergierenden Versionen vertreten wird) mit eigenem Profil gelten. Seine Inno-
vationskraft, aber auch seine Brisanz gewinnt er durch die Fokussierung auf die Aufgabe
als Zentrum des didaktischen Denkens, darüber hinaus durch seine Stoßrichtung, die
sich nicht zuletzt in seiner didaktischen Selektivität zeigt: Wesentliche Bausteine des tra-
ditionellen Unterrichts, v. a. die lehrerzentrierte Anlage der Unterrichtsarbeit, sind in
diesem Konzept nicht zu finden oder werden zumindest entscheidend marginalisiert.
Eine Konsequenz aus der spezifischen Konstruktion dieses Ansatzes ist, dass der Be-
griff der Aufgabe nicht ein für alle Mal konkret definiert werden kann. Aufgaben spiegeln
didaktische Konzepte und Überzeugungen wider, mit diesen variieren auch die Kriterien,
nach denen Aufgaben angelegt und beurteilt werden. Als übergreifendes Konzept bleibt
der Ansatz zudem zwangsläufig allgemein, ein Rahmen für die Entwicklung von konkre-
ten Aufgabenstellungen und Curricula.
Aufgaben sind in diesem Konzept Instrumente zur Gestaltung unterrichtlicher Lehr-/
Lernhandlungen, sie sind entscheidend für deren Professionalität und Effizienz. Es mag
Gründe geben, auch das, was sich jemand individuell vornimmt, als eine (selbstgestellte)
Aufgabe zu bezeichnen. Damit ist jedoch das Terrain des Unterrichts verlassen, das für
die hier geführte Diskussion zentral ist.

3. Merkmale von Augaben


Die Begründer des aufgabenorientierten Unterrichts stehen weitgehend in der Tradition
der kommunikativen Didaktik, an deren Grundlagen und Zielen sie sich orientieren.
Zusätzlich integrieren sie Einsichten, die sich aus der neueren Forschung zum Spracher-
werb, aus kognitivistischen und konstruktivistischen Lerntheorien und aus der empiri-
schen Erforschung des Fremdsprachenunterrichts ergeben haben. Skehans kurze Charak-
terisierung nennt die vielleicht wichtigsten Merkmale von Aufgaben, die sich vor diesem
Hintergrund ergeben: „A task is an activity which requires learners to use language, with
emphasis on meaning, to attain an objective.“ (Skehan 2003: 3)
Es existiert eine Vielzahl von Versuchen, die wesentlichen Merkmale von Aufgaben
zu erfassen. Sie unterscheiden sich sowohl in der Zahl der Merkmale wie auch in den
Details der Formulierung, mit der die in der Definition Skehans festgehaltenen Umrisse
eines auf Sprachgebrauch beruhenden Unterrichts im Hinblick auf seine didaktischen
Implikationen entfaltet werden. Nach Ellis sind tasks durch sechs konstitutive Merkmale
charakterisiert:
⫺ eine Aufgabe muss zu einem klar definierten Ziel führen;
⫺ die Aufgabe umfasst einen Arbeitsplan (oder kann in einen solchen entfaltet werden);
⫺ die Aufgabe ist bezogen auf einen Inhalt, ein sprachlich gefasstes bzw. in Sprache
fassbares Thema;
⫺ die Lernenden müssen, um die Aufgabe lösen zu können, kognitive Aktivitäten aus-
führen (Selegieren, Evaluieren, Ordnen von Information, Schlüsse ziehen etc.);
⫺ die geforderte Sprachverwendung soll authentisch sein oder zumindest Momente au-
thentischer Sprachverwendung erfordern;
⫺ die Aufgabe kann dazu verwendet werden, zusätzlich spezifische sprachliche Phäno-
mene bzw. spezifische Einzelfertigkeiten zu thematisieren (nach Ellis 2003: 9⫺16).
130. Aufgabenorientierung 1169

In diesen Beschreibungen wird deutlicher als in der Kurzcharakterisierung Skehans, dass


Aufgaben konzipiert werden als Kontexte, die die Lernenden für eine gewisse Zeit zu
eigenständigem und selbstorganisiertem sprachlichem Handeln anhalten. Darin wird ein
Impetus sichtbar, der diesen Ansatz in allen seinen Versionen prägt: Es geht darum,
dem oft kleinschrittigen, lehrerzentrierten Unterrichtsdiskurs ein alternatives Modell des
unterrichtlichen Sprachhandelns entgegenzusetzen. Dieses soll den Lernenden erlauben,
sich im Lernfeld zu orientieren und den eigenen Lernprozess zu gestalten. Die Aufgabe
als rahmensetzende Instanz sichert dabei einen gemeinsamen Fokus und vergleichbare
Ergebnisse trotz der im Einzelnen höchst individuellen Lösungswege. Allerdings hat diese
Grundlegung die Konsequenz, dass das Verhältnis dieses Ansatzes zu formaler Sprachbe-
trachtung und zu vielen traditionell als „Übungen“ bezeichneten Verfahren ein wichtiges
und problematisches Thema ist (vgl. dazu Ellis 2003, Kap. 5; Nunan 2004: 93⫺112).
Man kann Merkmalskataloge wie die von Ellis als Versuche sehen, die ideale Grund-
form von Aufgaben herauszuarbeiten. Dabei bleiben zwangsläufig bestimmte für den
Unterricht wichtige Aspekte an der Auseinandersetzung mit Sprache eher implizit, die in
anderen Zusammenhängen als besonders wichtig hervorgehoben werden. Dazu gehören
etwa:
⫺ Kommunikation zwischen den Lernenden als Bestandteil oder als Ziel von Aufgaben;
⫺ die Notwendigkeit begleitender Sprachaufmerksamkeit bzw. Sprachreflexion;
⫺ Fertigkeitenintegration bzw. Mehrfachverarbeitung;
⫺ Differenzierung und Individualisierung im Rahmen der Gesamtaufgabe;
⫺ Flüssigkeit der Sprachverwendung als Hauptziel;
⫺ die Wünschbarkeit metakognitiver Momente im Rahmen der Arbeit und danach;
⫺ die Unterscheidung von Arbeitsplan und letztlich realisiertem Arbeitsgang;
⫺ die Unterscheidung von Resultat (dem Produkt der Arbeit) und Ergebnis (dem Lern-
ertrag);
⫺ die Unterscheidung zwischen Aufgabenformulierung und den mit der Aufgabe ver-
bundenen didaktischen Intentionen usw.
Trotz der vielen Unterschiede im Einzelnen würden wohl die meisten VertreterInnen
eines aufgabenorientierten Unterrichts dem folgenden Minimalkatalog zustimmen kön-
nen. Er macht insbesondere die heute wohl weitgehend unbestrittene Einschätzung von
Lernen als einem sozial situierten, aktiven (bzw. konstruktiven) und zumindest teilweise
bewussten Prozess deutlich ⫺ und formuliert zugleich die didaktischen Konsequenzen
daraus:
a) Mit Aufgaben werden fremdsprachendidaktische Ziele verfolgt (d. h.: sie müssen cur-
ricular eingebunden oder zumindest einbindbar sein);
b) Aufgaben geben ein zu erreichendes Ziel vor, sie sind produktorientiert;
c) sie erlauben es den Lernenden, den Arbeitsprozess im Rahmen der Vorgaben selbst
zu organisieren und zu steuern, auch müssen die Lernenden die Tauglichkeit ihrer
Lösungen zunächst selber beurteilen;
d) sie erfordern eine Auseinandersetzung mit einem Thema im Medium der Sprache, und
sie beinhalten kommunikative Aktivitäten oder führen auf solche hin;
e) sie induzieren auf dem Weg zur Erreichung des Ziels Momente der Sprachaufmerk-
samkeit, in denen der adäquate rezeptive oder produktive Gebrauch der Sprache the-
matisiert wird.
1170 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

4. Ergänzungen und Fragen

Wichtige Punkte für die weitere Beschäftigung mit dem Ansatz sind u. a.:
⫺ Aufgaben im oben diskutierten Sinn stehen im Zentrum der Diskussion. In den Über-
legungen der Proponenten dieses Ansatzes spielen zusätzlich auch sog. pre-task- und
post-task-Aktivitäten eine wichtige Rolle. Ohne die Berücksichtigung von deren Po-
tenzialen ist eine sinnvolle gesamthafte Beurteilung des Ansatzes kaum möglich (vgl.
dazu Müller-Hartmann und Schocker-von Ditfurth 2005a).
⫺ Authentizität gehört zu den gewichtigen Forderungen an Aufgaben. Je nachdem, wie
dieser Begriff genau gefasst wird, kann die Beurteilung von Aufgaben höchst unter-
schiedlich ausfallen.
⫺ In den ursprünglichen Versionen des Ansatzes wird der mündliche Sprachgebrauch
und die Förderung der Flüssigkeit in den Vordergrund gestellt. Angesichts der Tradi-
tionen der kontinentalen Sprachdidaktik und der sich entwickelnden Formen einer
literalen Didaktik auch im fremdsprachlichen Bereich wird dieser Aspekt des aufga-
benorientierten Unterrichts sicherlich noch expliziter Bearbeitung bedürfen (vgl. die
Beiträge in Bausch et al. 2007).
⫺ Angesichts der Wichtigkeit, die der Bedeutungsorientierung zugemessen wird, stellt
sich die Frage nach der Möglichkeit strukturierter Arbeit an Grammatik im Rahmen
dieses Ansatzes (dazu auch Willis 1996; Littlewood 2000). Entsprechend wichtig wer-
den anschließbare Zugänge, wie sie etwa in Überlegungen zur Förderung des (schrift-
lichen) Outputs oder zur Formfokussierung (focus on form) zum Ausdruck kommen
(vgl. Swain 1995; Doughty und Williams 1998).
⫺ Ein Problem, das sich in der Entwicklung von Unterrichtsmaterial ergibt, ist die Ver-
folgung übergreifender curricularer Ziele über längere Sequenzen von Aufgaben hin-
weg. Wichtige Impulse liefern hier der Szenario- und Projektansatz (Di Pietro 1987;
Legutke 1991: Kap. 5 und 6; vgl. Art. 131).
⫺ Viele Aspekte des aufgabenorientierten Unterrichts bedürfen empirischer Untersu-
chung. In Ansätzen sind Lernprozesse und Lerneffekte untersucht worden (z. B.
Eckerth 2003).
⫺ Aufgabenorientierung ist als Thema für die Lehrerbildung ein erst in Ansätzen er-
schlossener Bereich.

5. Literatur in Auswahl

Bausch, Karl-Richard, Eva Burwitz-Melzer, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2006 Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erfor-
schung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr.
Bausch, Karl-Richard, Eva Burwitz-Melzer, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2007 Textkompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremd-
sprachenunterrichts. Tübingen: Narr.
Di Pietro, Robert J.
1987 Strategic Interaction. Learning Languages through Scenarios. Cambridge: Cambridge Uni-
versity Press.
130. Aufgabenorientierung 1171

Doughty, Catherine und Jessica Williams (Hg.)


1998 Focus on Form in Classroom Second Language Acquisition. Cambridge: Cambridge Uni-
versity Press.
Eckerth, Johannes
2003 Fremdsprachenerwerb in aufgabenorientierten Interaktionen. Tübingen: Narr.
Ellis, Rod
2003 Task-Based Language Learning and Teaching. Oxford: Oxford University Press.
Legutke, Michael und Howard Thomas
1991 Process and Experience in the Language Classroom. London: Longman.
Littlewood, William
2000 Task-based learning of grammar. Teaching and Learning Update 1: 40⫺57.
Müller-Hartmann, Andreas und Marita Schocker-v. Ditfurth
2005a Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht: Entwicklungen, Forschung und Pra-
xis, Perspektiven. In: Andreas Müller-Hartmann und Marita Schocker-v. Ditfurth (Hg.),
Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht. Task-Based Language Learning and
Teaching. Festschrift für Michael Legutke, 1⫺51. Tübingen: Narr.
Müller-Hartmann, Andreas und Marita Schocker-von Ditfurth (Hg.)
2005b Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht. Task-Based Language Learning and
Teaching. Festschrift für Michael Legutke. Tübingen: Narr.
Nunan, David
1989 Designing Tasks for the Communicative Classroom. Cambridge: Cambridge University
Press.
Nunan, David
2004 Task-Based Language Teaching. Cambridge: Cambridge University Press.
Skehan, Peter
1998 A Cognitive Approach to Language Learning. Oxford: Oxford University Press.
Skehan, Peter
2003 Tasked-based instruction. Language Teaching 36: 1⫺14.
Swain, Merrill
1995 Three functions of output in second language learning. In: Guy Cook und Barbara Seidl-
hofer (Hg.), Principle and Practice in Applied Linguistics, 125⫺144. Oxford: Oxford Uni-
versity Press.
Willis, Jane
1996 A Framework for Task-Based Learning. Harlow: Longman.

Paul Portmann-Tselikas, Graz (Österreich)


1172 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

131. Projektorientierung
1. Definition
2. Projektunterricht in der Fremdsprachendidaktik
3. Phasen der Projetkarbeit
4. Inhalte
5. Produkte
6. Rollenverteilung und Entscheidungsprozesse
7. Lerneffekte
8. Literatur in Auswahl

1. Deinition
Die Idee, Unterricht in Form von Projekten zu organisieren, zeichnet sich durch eine
bemerkenswerte Langlebigkeit und Beharrlichkeit aus. Durch John Dewey und William
Heard Kilpatrick (1935) zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Project Method in den päda-
gogischen Diskurs eingeführt, überstand der Projektunterricht alle didaktischen Strö-
mungswechsel der vergangenen Jahrzehnte. Dass seine Attraktivität und Aktualität bis
heute ungebrochen erscheinen, muss zu einem Teil allerdings der Unbestimmtheit des
Begriffes zugeschrieben werden (Oelkers 1997: 22), denn zu keinem Zeitpunkt seiner
langen Geschichte gab es eine einheitliche Theorie des Projektunterrichts.
Ein weitgehender Konsens besteht jedoch darüber, Projekte als zeitlich begrenzte und
auf ein bestimmtes Ziel oder Produkt gerichtete Unternehmungen im Rahmen von insti-
tutionalisierten Lehr- und Lernprozessen zu verstehen, bei denen die selbständige Aktivi-
tät der Lernenden eine herausgehobene Rolle spielt. Grundlegend ist dabei die Annahme,
dass das Lernen durch eine handelnde, verschiedene Fertigkeiten integrierende Auseinan-
dersetzung mit komplexen Situationen begünstigt wird. Die praktische Erfahrung, ge-
wonnen in eigenverantwortlich gestalteten Problemlösungs- oder Aushandlungsprozes-
sen, bildet daher den Dreh- und Angelpunkt von Unterrichtsprojekten.

2. Projektunterricht in der Fremdsprachendidaktik


In der Fremdsprachendidaktik wurde der Projektunterricht deutlich später als in anderen
Fachdidaktiken rezipiert. Zwar gab es im deutschsprachigen Raum bereits in den 1980er
Jahren erste Bestrebungen, die Projektidee auch für das Lehren und Lernen von Fremd-
sprachen fruchtbar zu machen (vgl. Legutke 2006), aber erst die neuen Medien weckten
mit ihrem Potenzial für die neuartige Gestaltung von Unterrichtsprozessen in den letzten
Jahren ein nachhaltiges Interesse an diesem Thema.
Die theoretische Grundlage für den Einsatz von Projekten im Fremdsprachenunter-
richt findet sich bereits in der für die kommunikative Fremdsprachendidaktik der 1970er
Jahre zentralen Überzeugung, dass Lernende ⫺ sollen sie auf die fremdsprachliche
Handlungsfähigkeit außerhalb des Klassenraums vorbereitet werden ⫺ bereits während
des Unterrichts die Möglichkeit erhalten müssen, sich mit Hilfe der Fremdsprache über
131. Projektorientierung 1173

relevante Themen auszutauschen, eigene Intentionen, Gedanken und Gefühle auszudrü-


cken oder in konkreten Situationen Handlungsabsichten zu realisieren. Eine von den
Beteiligten als sinnvoll erlebte Interaktion und die Auseinandersetzung mit bedeutungs-
vollen Inhalten stellen daher die zentralen Kriterien bei der Unterrichtsplanung dar (vgl.
Kumaravadivelu 2006: 134).
Eine nahe liegende Möglichkeit, diese Konzeption in Praxis zu übersetzen, besteht
darin, den Unterricht als eine Abfolge von Aufgaben (tasks) zu organisieren. Im Unter-
schied zu Übungen (exercises) handelt es sich hierbei um inhaltsbezogene und ergebnis-
offene Lernaktivitäten, die ohne eine gewisse kreative Eigenleistung der Lernenden nicht
bewältigt werden können. Vor diesem Hintergrund kann ein Projekt als maxi-task (Nu-
nan 2004: 75) beschrieben werden: Einzelne Teilaufgaben werden in einem zeitlich be-
grenzten Rahmen derart aneinander gekoppelt, dass sie die Lerngruppe sukzessive einem
vorab formulierten, gemeinsamen Ziel näher bringen.
Im Kontext der kommunikativen Fremdsprachendidaktik liegt die Besonderheit des
Projektunterrichts somit darin, dass er durch seine Zielorientierung bei gleichzeitiger
Öffnung von Freiräumen für die Lernenden Bedingungen schafft, unter denen die Moti-
vation zum sprachlichen Handeln von den Inhalten ausgeht. Solche kommunikativen
Ernstfälle lassen sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise verwirklichen. So können
mit E-Mail- oder Interview-Projekten die Grenzen des Klassenraums durchlässiger ge-
staltet bzw. überschritten werden. Aber auch eine situative Einbettung des Sprachge-
brauchs innerhalb des Unterrichts ist realisierbar, etwa in Form von Simulationen oder
im Rahmen inhaltsorientierter bzw. themenzentrierter Arbeitsphasen.
Projekte sind ein sehr flexibles Instrument der Unterrichtsgestaltung und lassen sich
mit einer Vielzahl von Zielen, Aufgabentypen oder Sozialformen vereinbaren. Dies macht
es einerseits zwar sehr schwierig, den Projektunterricht eindeutig begrifflich zu fassen,
doch bezieht er andererseits gerade aus seiner großen Anpassungsfähigkeit an lokale
Bedingungen sein besonderes Potenzial (vgl. Schart 2003: 67).
Die Veröffentlichungen zum Projektunterricht können zwei Kategorien zugeordnet
werden: Auf der einen Seite findet sich eine äußerst umfangreiche Zahl erzählender Be-
schreibungen von Unterrichtsprojekten, von denen zweifellos eine inspirierende Wirkung
ausgeht. Zugleich sind diese Darstellungen aber auch problematisch, weil sie nicht auf
systematisch reflektierten Beobachtungen beruhen, sich auf die Perspektive der Lehren-
den beschränken und vor allem zum überwiegenden Teil nur den Erfolg, nicht aber das
Scheitern thematisieren. Diesen Texten stehen auf der anderen Seite vielfältige Versuche
gegenüber, den Projektunterricht in Form von Modellen und Typologien theoretisch zu
fassen, was der folgende Überblick verdeutlichen soll.

3. Phasen der Projektarbeit

Freys (2007) Modell einer „Projektmethode“ stellt zweifellos den bekanntesten Versuch
im deutschsprachigen Raum dar, den Projektunterricht in einzelne Phasen aufzugliedern
und damit Lehrenden ein Planungswerkzeug an die Hand zu geben. Der Projektunter-
richt wird bei Frey zu einem Algorithmus, der sich scheinbar losgelöst von Zielen und
Inhalten anwenden lässt. Speziell für den Fremdsprachenunterricht entwickelte Stoller
(2002: 112) ein sehr ähnliches Modell in 10 Stufen: 1. Thema verabreden; 2. Zielsetzung
1174 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

verabreden; 3. Projekt strukturieren; 4. Schritt 5 sprachlich vorbereiten; 5. Informationen


einholen; 6. Schritt 7 sprachlich vorbereiten; 7. Informationen analysieren und aufberei-
ten; 8. Schritt 9 sprachlich vorbereiten; 9. Ergebnisse präsentieren; 10. Evaluieren. Sofern
sie nicht als Rezeptologie missverstanden werden, bieten Modelle dieser Art Lehrenden
und Lernenden eine hilfreiche Grundlage für die Konzeption eines eigenen, den jeweili-
gen Gegebenheiten angepassten Ablaufplans. Sie bergen jedoch zugleich die Gefahr, den
Projektunterricht auf eine Technik zu verengen und die Phasenfolgen überzubetonen,
was leicht zu routinenhaftem und monotonem Unterricht führen kann.

4. Inhalte

Einen weiteren wichtigen Ansatzpunkt für eine Systematisierung bietet die Frage nach
der inhaltlichen Gestaltung eines Projekts. Anhand dieses Kriteriums werden zum Bei-
spiel Textprojekte (Erstellen einer Kurs-Homepage, globale Simulationen, u. ä.), Korres-
pondenzprojekte (z. B. E-Mail-Partnerschaften), Umfrageprojekte oder Begegnungspro-
jekte (z. B. das „Airport-Projekt“ von Legutke 2006, bei dem Schülerinnen und Schüler
auf dem Flughafen in Frankfurt Interviews auf Englisch mit Passagieren führen) vonei-
nander unterschieden. Eine Typologie, die allerdings nur bedingt überzeugen kann, denn
die gebildeten Kategorien sind keineswegs trennscharf. Je nach Thema und Zielsetzung
bringt die Praxis eher diverse Mischformen dieser Projekttypen hervor.

5. Produkte

Zu den umstrittenen Punkten in den Debatten um den Projektunterricht zählt die Frage,
ob als Ergebnis ein materielles Produkt angestrebt werden sollte. Das betrifft insbeson-
dere den Fremdsprachenunterricht, vollzieht sich das Lernen dort doch vor allem über
kommunikative Prozesse, in denen Situationen gemeinsam gedeutet und ausgehandelt
werden. Die daraus resultierenden Einsichten oder Verhaltensänderungen lassen sich
aber weit schwieriger dokumentieren als handwerkliche Tätigkeiten. Es erscheint somit
folgerichtig, dass Stoller (2002: 111) auch Aufführungen (z. B. Theaterstücke), Veranstal-
tungen (z. B. Diskussionsrunden) oder organisatorische Strukturen (z. B. den Aufbau ei-
nes Austauschprogramms) als mögliche „Produkte“ der Projektarbeit im Fremdspra-
chenunterricht betrachtet.

6. Rollenverteilung und Entscheidungsprozesse

Die Rollenverteilung gehört zu jenen Gesichtspunkten, denen in den Beschreibungen


des Projektunterrichts eine zentrale Bedeutung zukommt, denn um Freiräume für die
Selbsttätigkeit der Lernenden zu öffnen, müssen Lehrende ihr Planungsmonopol aufge-
ben. Häufig werden die daraus resultierenden neuen Rollen in Metaphern beschrieben,
so etwa werden Lehrende zu Moderatoren oder Lernbetreuern. Das sind jedoch eher
131. Projektorientierung 1175

pädagogische Leitbilder als Planungshilfen. Beispielsweise kann das häufig thematisierte


Problem der Leistungsbewertung auf dieser Ebene nicht geklärt werden.
Für ein besseres Verständnis des Projektunterrichts erscheint deshalb ein deskriptiver
Zugang weitaus zweckdienlicher zu sein als ein normativer. Stollers (2002) Unterschei-
dung in strukturierte, halbstrukturierte und unstrukturierte Projekte wirkt allerdings zu
ungenau. Verständlicher lässt sich das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden
beschreiben, wenn man die für ein Projekt notwendigen Entscheidungsprozesse in den
Blick nimmt (vgl. Hackl 1994; Schart 2003). Dabei wird deutlich, dass sich bei jedem
einzelnen Schritt in einem Projektverlauf die Rollenverteilung neu gestalten kann. Wich-
tig bei diesem Ansatz ist die Überlegung, dass alle den Projektunterricht betreffenden
Entscheidungen zwei Domänen zugeordnet werden können. Da sind zum einen die nor-
mativen Entscheidungen. Sie regeln die grundlegenden Fragen von Macht und Mitbe-
stimmung im Klassenraum (z. B. die Orte, Zeiten und Ziele für das Lernen, die Gruppen-
größe, die Arbeitsformen oder die Bewertungsmaßstäbe). Diese normativen Entscheidun-
gen lassen sich von den operativen abgrenzen, bei denen es darum geht, innerhalb bereits
gesetzter Grenzen einzelne Lernprozesse zu gestalten (z. B. die Gliederung einer Aufgabe
und die Verteilung von Teilaufgaben in einer Gruppe, die Zeitplanung, die Koordination
oder das Konfliktmanagement innerhalb von Gruppen). Auf der Grundlage dieser Zwei-
teilung können die unterschiedlichen Facetten von Mitbestimmung und Autonomie für
ein konkretes Projekt beschrieben bzw. geplant werden (vgl. Schart 2003: 81⫺88).

7. Lerneekte

Dieser Aspekt führt zum neuralgischen Punkt des Projektunterrichts, denn der Vielzahl
an theoretischen Überlegungen und Erfahrungsberichten steht nur eine verschwindend
geringe Zahl empirischer Untersuchungen gegenüber. Die mit dieser Unterrichtsform
verknüpften positiven Lerneffekte tragen daher häufig hypothetischen Charakter.
Mit ihrem Project Framework unternehmen Beckett und Slater (2005) den Versuch,
die potenziellen Lerneffekte von Projektunterricht aus der Perspektive der Beteiligten
mit Hilfe eines Evaluationsbogens systematisch darzustellen. Und in einer Fallstudie ma-
chen sie deutlich, dass dieses Modell ein sehr hilfreiches Werkzeug bei der Planung und
Reflexion von Projekten darstellen kann. Um zu umfassenden Aussagen über die Lern-
prozesse im Projektunterricht zu kommen, sind jedoch weitaus komplexere Untersu-
chungsdesigns notwendig, an denen nach wie vor Mangel besteht.
Die Erkenntnisse, die aus den wenigen empirische Forschungen zu diesem Thema
bisher hervorgegangen sind, lassen es angebracht erscheinen, den Projektunterricht nicht
mit überhöhten Erwartungen zu belasten. Mit Blick auf die Lehrenden zeigen diese
Studien (Schart 2003, vgl. auch Beckett 2006), dass sich Projekte aus gegensätzlichen
Perspektiven sinnvoll arrangieren und mit vielen Zielen und Aktivitäten zweckmäßig
verknüpfen lassen. Lehrende interpretieren die Projektidee auf der Grundlage ihres be-
ruflichen Selbstverständnisses. Sie formen sich ihre eigene, für sie praktikable Projekt-
konzeption, indem sie diese weitestgehend widerspruchsfrei mit ihren Vorstellungen eines
effektiven Fremdsprachenunterrichts verschmelzen. Dabei erfahren einzelne Aspekte be-
sondere Aufmerksamkeit, während andere vernachlässigt oder weitgehend ausgeblendet
werden. Entsprechend vielfältig fallen die Lehrziele aus, die mit dieser Unterrichtsform
1176 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

verbunden werden und die sich auch sehr stark von den Erwartungen unterscheiden
können, mit denen die Lernenden in den Unterricht kommen. Hoffmann (2008) zeigt in
ihrer Studie, wie schwierig es ist, Lerneffekte zu planen, da einzelne Lernende die kom-
plexen Aktivitäten der Projektarbeit sehr unterschiedlich als Lernmöglichkeit auslegen
und nutzen.
Vor dem Hintergrund solcher Ergebnisse erscheinen longitudinale Studien notwendig,
die auf das individuelle Lernen im Projektunterricht ebenso fokussieren wie auf die sozia-
len und kommunikativen Prozesse. Nur so wird sich klären lassen, in welcher Form
Projekte tatsächlich einen Beitrag für das Erlernen einer Fremdsprache in unterschiedli-
chen institutionellen Kontexten leisten können.

8. Literatur in Auswahl
Beckett, Gulbahar H.
2006 Project-based and foreign language education: theory, research, and practice. In: Gulba-
har H. Beckett und Paul Chamness Miller (Hg.), Projct-Based Second and Foreign Lan-
guage Education, 3⫺18. Greenwich: Information Age Publishing.
Beckett, Gulbahar H. und Tammy Slater
2005 The project framework: a tool for language, content, and skills integration. English Lan-
guage Teaching Journal 59(2): 108⫺116.
Dewey, John und William H. Kilpatrick (Hg.)
1935 Der Projekt-Plan. Grundlegung und Praxis. Weimar: Böhlau.
Frey, Karl
2007 Die Projektmethode. Der Weg zum bildenden Tun. 9. überarbeitete Auflage. Weinheim:
Beltz.
Hackl, Bernd
1994 Forschung für die pädagogische Praxis. Wien: Österreichischer Studienverlag.
Hoffmann, Sabine
2008 Fremdsprachenlernprozesse in der Projektarbeit. Tübingen: Narr.
Kumaravadivelu, B.
2006 Understanding Language Teaching. From Method to Postmethod. Mahwah, NJ: Law-
rence Earlbaum.
Legutke, Michael
2006 „Projekt Airport ⫺ Revisited: Von der Aufgabe zum Szenario.“ In: Almut Küppers und
Jürgen Quetz (Hg.), Motivation Revisited. Festschrift für Gert Solmecke, 71⫺80. Berlin:
LIT Verlag.
Nunan, David
2004 Task-Based Language Teaching. Cambridge: Cambridge University Press.
Oelkers, Jürgen
1999 Geschichte und Nutzen der Projektmethode. In: Dagmar Hänsel (Hg.), Handbuch Pro-
jektunterricht, 13⫺30. Weinheim: Beltz.
Schart, Michael
2003 Projektunterricht ⫺ subjektiv betrachtet. Eine qualitative Studie mit Lehrenden für Deutsch
als Fremdsprache. Baltmannsweiler: Schneider.
Stoller, Fredricka L.
2002 Project work: a means to promote language and content. In: Jack C. Richards und Willy
A. Renandya (Hg.), Methodology in Language Teaching, 107⫺120. Cambridge: Cam-
bridge University Press.

Michael Schart, Tokyo (Japan)


132. Sprachlernspiele 1177

132. Sprachlernspiele
1. Fragmentarische Bestandsaufnahme
2. Positionierung
3. Begriffsbestimmung
4. Spieltypologie und Spielarten
5. Spielziele und Lernziele
6. Altersgemäßer Einsatz
7. Funktionalität und Effizienz
8. Fazit
9. Literatur in Auswahl

1. Fragmentarische Bestandsaunahme
Lernen und Spielen im Fremd- oder Zweitsprachenunterricht? Das erste wird im Prinzip
nicht angezweifelt, das zweite dagegen verursacht des Öfteren Einwände. Bereits in der
Vergangenheit wurden Spiele oftmals als altersspezifische soziale Erscheinungsform der
Kindheit betrachtet, was zur auch heute noch bekannten Dichotomie führte, Kinder
durften spielen, Jugendliche und Erwachsene dagegen nicht (mehr). Dieser dichotome
Standpunkt kann bei Kant, Buytendijk, Schaller, Stern, Schleiermacher, Freud u. a.
nachgewiesen werden (vgl. Kacjan 2003: 15⫺20). Der ablehnenden Meinung schlossen
sich in der Geschichte der Pädagogik auch einige bekannte Pädagogen an, wie z. B. der
Gnostiker Klemens von Alexandreia (ca. 150⫺215 n. Chr.), der Spiele allgemein ab-
lehnte, oder Jacqueline Pascal, die Spiele bzw. den Entzug der Spiele als Disziplinierungs-
maßnahme missbrauchte. Dem gegenüber betont Groos (1922) vor allem die funktiona-
len Aspekte der Spiele, er spricht z. B. von der Einübungs-, Ergänzungs- und Erholungs-
funktion der Spiele, die je nach Alter der Spielenden unterschiedlich stark in den
Vordergrund treten. In der Fremdsprachendidaktik und -methodik werden spätestens seit
der kommunikativen Wende und den Diskussionen um das frühe Fremdsprachenlernen
didaktische Spiele thematisiert, aber ebenfalls in dichotomischer Manier. Sie wurden
zwar als Lernmittel bei Kindern gepriesen, eine systematische theoretische Fundierung
blieb aber aus. Selbst heute gibt es nur wenige umfassende und systematische Spieltypo-
logien (vgl. Meyer 1987; Dauvillier und Lévy-Hillerich 2004; Kacjan 2008), aber zahlrei-
che Versuche, eine begrenzte Auswahl bestimmter, im DaF-/DaZ-Unterricht einsetzbarer
didaktischer Spiele sprachdidaktisch zu kategorisieren (Lohfert 1983; Behme 1988; Pfau
und Schmid 2001; Europarat 2001 u. a.). Die begrenzte Spielauswahl vermittelt auf den
ersten Blick zwar ein systematisches Bild, bei genauerer Betrachtung wird allerdings
deutlich, dass es sich nur um einen fragmentarischen Ausschnitt aus dem Gesamtbild
der Sprachlernspiele handelt.
Der Einsatz von Sprachlernspielen im DaF-/DaZ-Unterricht hängt von vielen ver-
schiedenen Aspekten ab, die wichtigsten werden im Folgenden etwas näher erläutert.

2. Positionierung
Die Begriffe „Spiel“ und „spielen“ werden in sehr vielen Bereichen des Lebens verwendet.
Insbesondere der Begriff „Spiel“ wird oft in Zusammensetzungen oder metaphorisch
1178 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

verwendet, dazu gehören sehr unterschiedliche Bereiche wie Kinderbeschäftigungen (Kin-


derspiele), Sport (Spieler), Literatur (Lustspiel ), Ästhetik (Spieltrieb), Malerei (Spiel des
Lichts und des Schattens), bildende Kunst (Spiel- und Standbein einer Statue), Technik
(Spielraum), Medizin (Spielsucht), Sprachphilosophie (Sprachspiel ), Mathematik (Spiel-
theorie), Lernen (didaktische Spiele) u. a. (vgl. Kacjan 2008). Die evidente Interdisziplina-
rität und weite Verbreitung des Begriffs ist ein ernst zu nehmender Hinweis, dass das
Phänomen Spiel stets genau und situationsgebunden betrachtet werden muss.

3. Begrisbestimmung

In Anbetracht der Vielfältigkeit der Erscheinungsformen der Spiele ⫺ auch der Sprach-
lernspiele ⫺ kann keine für alle Spiele gültige Definition gegeben werden, aber es soll
dennoch versucht werden, den Begriff näher zu bestimmen.
Spiele sind freiwillige, affektbesetzte, geistige oder körperliche Aktivitäten, die von
dem/den Spielenden als Spiel bezeichnet werden. Sie werden intensiv und ernsthaft ein-
zeln, in Paaren oder Gruppen durchgeführt. Spiele sind zweckfrei, erfüllen aber unter-
schiedliche Funktionen. Sie finden in einer räumlich und zeitlich festgelegten Spielwelt
statt, die sich von der realen Lebenswelt unterscheidet, und haben unter normalen Um-
ständen keine negativen Auswirkungen auf den Spielenden oder Folgen für ihn und seine
Umgebung. Spiele haben keine Zeitgrenzen, sie finden zwar in der Gegenwart statt, kön-
nen sich aber außer auf die Gegenwart auch auf die Vergangenheit und/oder die Zukunft
beziehen. Ebenso können sie plötzlich einsetzen und abrupt aufhören, ohne dadurch an
Wert zu verlieren. Wichtige Elemente der Spiele sind der Zufall, das Fällen von persönli-
chen Entscheidungen und häufige Wiederholungen mit variierenden Fortsetzungen, die
die für Spiele typische Spannung aufbauen. Alle Spiele haben als weiteres Strukturmerk-
mal verbindliche Regeln, die von dem/den Spielenden entweder im Voraus bestimmt oder
während des Spiels festgelegt, entwickelt und/oder variiert werden.
Spiele erfüllen wichtige didaktische Funktionen: Sie befriedigen die Spiellust, erleich-
tern das Lernen, beschäftigen und fördern die Fantasie, steigern die Motivation und
fördern das Selbstvertrauen der Spielenden (vgl. Kacjan 2003: 48⫺49). Diese Funktionen
werden durch eine fremdsprachliche Didaktisierung der Spiele bewusst und verstärkt ver-
folgt.
Die herrschende Begriffsvielfalt im Bezug auf Sprachlernspiele, die für das DaF-/
DaZ-Lernen eingesetzt werden können, weist auf ein akutes terminologisches Problem
hin: Die zahlreichen Begriffe werden teilweise synonym verwendet, obwohl mit ihnen
prinzipiell unterschiedliche Spiele bezeichnet werden. Das Problem gründet in der fehlen-
den klaren Bedeutungsbegrenzung der Begriffe, da selbst die aktuelle Fachliteratur zu
den Sprachlernspielen nicht einheitlich ist. Sie werden als Spiele, Sprachspiele, spielerische
Aktivitäten, aktuelle Spielformen für die Schule, Unterrichtsmittel, Aktivitäten mit be-
stimmten Regeln, Sprachlernspiele oder noch anders bezeichnet (vgl. Kacjan 2003, 2008).
Da die Bezeichnungen Spiel und didaktisches Spiel zu allgemein sind und das Sprachspiel
von Wittgenstein (1918/1989) sprachphilosophisch geprägt wurde, erscheint die Bezeich-
nung Sprachlernspiel am ehesten geeignet, als Sammelbezeichnung für alle diejenigen
didaktischen Spiele verwendet zu werden, mit deren Hilfe eine Sprache im institutionellen
Kontext erlernt wird (Kleppin 2003; Kacjan 2008).
132. Sprachlernspiele 1179

4. Spieltypologie und Spielarten


Die Erstellung einer umfassenden Spieltypologie für das Sprachenlernen ist ein schwieri-
ges Unterfangen, das sehr stark vom Blickwinkel des Betrachters abhängt. Aus diesem
Grunde kann man auf dem Markt zwar zahlreiche gute Spielesammlungen finden, die
aber nur äußerst selten theoretisch fundiert sind (vgl. Kacjan 2003: 64⫺70). Meist sind
das tatsächlich nur Sammlungen von erprobten Spielen, die zwar eine interessante und
brauchbare Datenbank ergeben, aber weder repräsentativ noch umfassend sind.
Um dieses Desiderat zu beheben, soll versucht werden, eine systematische Einteilung
der Sprachlernspiele vorzunehmen, da verschiedene von ihnen gewisse Ähnlichkeiten auf-
weisen, die in die Vielfalt der Sprachlernspiele zumindest ein gewisses System bringen
können. Die Sprachlernspiele können in vier große Kategorien eingeteilt werden, die
dann noch weiter in unterschiedlich viele Spielarten und Spielunterarten differenziert
werden können. Zur ersten Kategorie gehören die Bewegungsspiele, deren gemeinsames
Charakteristikum in der beteiligten Bewegung liegt, d. h. körperliche Bewegung in ir-
gendeiner Form ist ein konstitutiver Aspekt dieser Sprachlernspiele. Je höher das Bewe-
gungspotenzial der einzelnen Spielunterarten, desto geringer ist der Umfang des sprachli-
chen Materials, das in das Spiel integriert werden kann. Die zweite Kategorie bilden die
so genannten Sprachelementspiele, in denen mit der Sprache selbst, also den konstrukti-
ven und konstitutiven Elementen der Sprache gespielt wird und die vor allem in der
Festigungsphase einer Unterrichtseinheit eingesetzt werden können. Die kommunikativen
Spiele bilden die dritte Kategorie der Sprachlernspiele, wobei die Sprache in kommunika-
tiver Funktion verwendet wird. Die vierte Kategorie nennt sich das darstellende Spiel, da
bei diesen Spielen vor allem der Darbietungscharakter im Vordergrund steht und sie, wie
die kommunikativen Spiele, überwiegend in der Transferphase einer Unterrichtseinheit
eingesetzt werden können.

5. Spielziele und Lernziele


Jedes Sprachlernspiel besitzt ein leicht erkennbares inhärentes Spielziel, sei es die meisten
Punkte o. Ä. zu erreichen, als Erste(r) fertig zu werden oder gemeinsam etwas Neues
zu schaffen.
Bedeutend schwieriger und unumgänglich ist dagegen die Bestimmung des Lernziels.
In den zahlreichen Spielesammlungen sind die Lernzielbestimmungen zu den Sprachlern-
spielen meist relativ ungenau. Ein Sprachlernspiel soll beispielweise dem Wortschatzer-
werb dienen, aber es wird nicht genauer spezifiziert, welcher Teilaspekt des Wortschatzer-
werbs gefördert wird. Das Lernziel kann auch genauer bestimmt werden: Ein zweiseitiges
Dominospiel, bei dem Wörter und Bilder zugeordnet werden müssen (das Buch ⫺ (Bild
eines Buches)), kann sich aufgrund des einfachen Inhalts und Aufbaus lediglich auf den
graphemischen Aspekt des Wortschatzes beziehen. Das Lernziel wäre im Falle, dass das
Sprachlernspiel in der Erwerbsphase eingesetzt wird, die Festigung des neu erworbenen
Wortschatzes, bzw. genauer formuliert, die Festigung und korrekte Zuordnung der Gra-
pheme. Das Beispiel verdeutlicht, wie präzise die Festlegung der Lernziele sein muss, um
ausreichend aussagekräftig zu sein. Da diese präzise Formulierung der Lernziele von
zahlreichen Faktoren wie Thema, Zielgruppe, Unterrichtsphase usw. beeinflusst wird, ist
1180 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

es unumgänglich, dass die Lehrkräfte bei der Auswahl und Anpassung der einzelnen
Sprachlernspiele sehr aufmerksam die einzelnen Faktoren berücksichtigen.
Obwohl die Sprachlernspiele stark situationsgebunden sind, ermöglicht es ihre große
Variabilität, die sich u. a. in der außerordentlichen Variationsbreite der sprachlernspiel-
spezifischen Lernziele zeigt, dass sie sowohl im Fremdsprachenunterricht als auch im
Zweitsprachenunterricht und nicht zuletzt selbst im Muttersprachenunterricht effektiv
und sinnvoll eingesetzt werden können.

6. Altersgemäßer Einsatz
Unterschiedliche Sprachlernspiele sprechen unterschiedliche, zum Teil auch spezifische
Altersgruppen an (vgl. Kacjan 2008), gewisse Tendenzen der vier großen Spielkategorien
können aber dennoch festgehalten werden: Bewegungsspiele entsprechen vor allem dem
Bewegungsdrang und den Bedürfnissen der Kinder bis zu zwölf oder höchstens vierzehn
Jahren. Danach sind diese Spiele mit wenigen Ausnahmen kaum mehr einsetzbar.
Sprachelementspiele und kommunikative Spiele sind altersunabhängig einsetzbar, müssen
aber stets bezüglich des Themas und der Komplexität der jeweiligen Zielgruppe ange-
passt werden.
Das darstellende Spiel ist bis zur Sekundarstufe II gut, ab der Tertiärstufe jedoch
kaum mehr einsetzbar, da Erwachsene sprachökonomisch vorgehen und ihre Lernresul-
tate mit ihrem Energieeinsatz abgleichen und bestimmte Lernformen bei nicht auf den
ersten Blick evidenter Effizienz sofort aus ihrem Lernprozess ausschließen.

7. Funktionalität und Eizienz


Sprachlernspiele sind multifunktional und können bzw. müssen deshalb auch den unter-
schiedlichsten Bedingungen angepasst werden, was aber nicht bedeutet, dass sie immer
und überall einsetzbar sind. Jedes einzelne Sprachlernspiel kann nur ganz bestimmte
Funktionen erfüllen, auch die Variationsbreite ist sprachlernspielspezifisch und von ver-
schiedenen Faktoren wie dem Alter der Spieler, der Zielgruppe, dem Einsatzbereich
u. a. abhängig.
Die Effizienz der Sprachlernspiele hängt von ihrem bewussten und sinngemäßen Ein-
satz ab. Konkret bedeutet das, dass Sprachlernspiele für den DaF-/DaZ-Unterricht nur
dann einen Mehrwert bedeuten, wenn sie lernzielgenau sowie themen- und zielgruppena-
däquat eingesetzt werden.

8. Fazit
Sprachlernspiele sind vielseitige Lern- und Lehrmittel, deren Einsatz von der Lehrkraft
theoretische und praktische Grundkenntnisse, vor allem aber sehr viel Fingerspitzenge-
fühl verlangt. Bereits die Auswahl des passenden Sprachlernspiels ist eine große Heraus-
forderung, bei der die Interessen der Zielgruppe und die zu erreichenden Lernziele beach-
132. Sprachlernspiele 1181

tet werden müssen. Nicht minder wichtig sind die Anweisungen und die Leitung der
Sprachlernspiele, da ohne verständliche Spielanweisungen und gerechter Spielleitung
keine angenehme, lernfördernde und produktive Spielatmosphäre entstehen kann, in der
mithilfe der Sprachlernspiele konstruktiv, produktiv und aktiv die gesetzten Lernziele
erreicht werden können.

9. Literatur in Auswahl
Behme, Helma
1988 Miteinander reden lernen. Sprechspiele im Unterricht. München: iudicium.
Dauvillier, Christa und Dorothea Lévy-Hillerich
2004 Spiele im Deutschunterricht. Fernstudieneinheit 28. Berlin u. a.: Langenscheidt.
Europarat (Hg.)
2001 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin
u. a.: Langenscheidt.
Groos, Karl
1922 Das Spiel. Zwei Vorträge: 1. Der Lebenswert des Spiels. 2. Das Spiel als Katharsis. Jena:
Gustav Fischer.
Kacjan, Brigita
2003 Spiele im frühen DaF-Unterricht/Igre pri zgodnjem poučevanju nemščine. Unveröffentlichte
Magisterarbeit. Ljubljana: Filozofska fakulteta.
Kacjan, Brigita
2008 Sprachelementspiele und Wortschatzerwerb im fremdsprachlichen Deutschunterricht mit Ju-
gendlichen und jungen Erwachsenen. Maribor: ZORA.
Kleppin, Karin
2003 Sprach- und Sprachlernspiele. In: Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen
Krumm (Hg.), Handbuch Fremdsprachenunterricht, 263⫺266. 4. Auflage. Tübingen/Ba-
sel: Francke.
Lohfert, Walter
1983 Kommunikative Spiele für Deutsch als Fremdsprache. München: Hueber.
Meyer, Hilbert
1987 Unterrichtsmethoden II: Praxisband. Frankfurt am Main: Cornelsen.
Pfau, Anita und Ann Schmid
2001 22 Brettspiele. Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart: Klett.
Wittgenstein, Ludwig
1989 Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914⫺1916. Philosophische Untersuchungen.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp. [1. Aufl. 1918].

Brigita Kacjan, Maribor (Slowenien)


1182 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

133. Sozialormen
1. Relevanz und Einordnung von Sozialformen
2. Klassenunterricht
3. Gruppenarbeit
4. Partnerarbeit
5. Einzelarbeit
6. Simultaner Einsatz unterschiedlicher Sozialformen
7. Literatur in Auswahl

1. Relevanz und Einordnung von Sozialormen


Unter Sozialformen versteht man in der Regel die vier Formen des Klassenunterrichts,
der Gruppenarbeit, der Partnerarbeit und der Einzelarbeit; alternativ werden sie auch
als Kooperationsformen bezeichnet. Laut Meyer (1987a: 138) „regeln [sie] die Beziehungs-
struktur des Unterrichts“ und „haben eine äußere, räumlich-personal-differenzierende
und eine innere, die Kommunikations- und Interaktionsstruktur regelnde Seite“. Als we-
sentliche Elemente der Unterrichtsmethodik sind sie von Handlungsmustern, auch Akti-
onsformen genannt (wie beispielsweise Lehrervortrag, Rollenspiel oder Schreiben eines
Diktats), von Unterrichtsschritten (wie beispielsweise Einstieg, Erarbeitung oder Auswer-
tung) und von methodischen Großformen (wie beispielsweise Lektion, Exkursion oder
Projektwoche) abzugrenzen (Meyer 1987a: 115). Ihre Variation innerhalb einer Unter-
richtseinheit trägt entscheidend zu einem abwechslungsreichen Sprachunterricht bei.
Wichtig erscheint dabei, die verschiedenen Sozialformen nach den ihnen jeweils eigenen
sprachdidaktischen Potentialen gezielt für bestimmte Phasen auszuwählen und zu einer
kohärenten Gesamtgestaltung des Unterrichts zusammenzuführen. Im gelungenen Fall
stellen die Sozialformen wichtige Instrumente zur Binnendifferenzierung, zur Individuali-
sierung von Lernen und zur Förderung der Lernerautonomie dar.

2. Klassenunterricht
Dem Klassenunterricht liegt die instruktivistische Vorstellung zugrunde, dass die gesamte
Lerngruppe einen gemeinsamen mentalen Fokus ausbildet und dass Lernen sich auf der
Grundlage von Präsentationen und gemeinsamen Klassengesprächen vollzieht. Damit
wird eine gewisse Homogenität der Lerngruppe vorausgesetzt, die durch entsprechende
äußere Differenzierungsmaßnahmen herbeizuführen ist.
Im Frontalunterricht steht die Darbietung im Vordergrund, die typischerweise von der
Lehrperson, bei Referaten aber auch von Lernenden übernommen wird. Die charakteris-
tische Sitzanordnung ist dabei auf die Lehrbühne ausgerichtet. Als Beispiele aus dem
Sprachunterricht lassen sich Grammatikerklärungen, Strategiedemonstrationen, die Prä-
sentation von Audio- und Videomaterialien, die Aufführung von Rollenspielen sowie
auch das aktive und passive Konzert im Rahmen der suggestopädischen Methode anfüh-
ren. Übergänge zum Einbezug der Lernendengruppe stellen u. a. das Erzählen von Ge-
133. Sozialformen 1183

schichten zur Sprachförderung (Klein und Merkel 2008), das Total Physical Response
Storytelling (Davidheiser 2002) oder das audiolingual geprägte Chorsprechen dar.
Von diesem darbietenden Frontalunterricht ist das fragend-entwickelnde Unterrichts-
gespräch abzugrenzen, das auch als Plenumsarbeit bezeichnet wird. Eine charakteristische
Sitzordnung für diese Sozialform ist das Hufeisen; typische sprachliche Handlungsmuster
beim Unterrichtsgespräch sind u. a. das Aufgaben stellen/Aufgaben lösen, der Lehrervor-
trag mit verteilten Rollen (Ehlich und Rehbein 1986: 8⫺29, 59⫺87) und die mündliche
Fehlerkorrektur (Havranek 2002). Das Unterrichtsgespräch findet im DaF-/DaZ-Unter-
richt beispielsweise bei lehrergesteuerten Gesprächen über Lesetexte oder bei der Auswer-
tung von Ergebnissen aus Phasen der Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit statt. Auch
im Hinblick auf den Fachunterricht mit DaF-/DaZ-Lernenden ist die sprachliche Kom-
plexität des fragend-entwickelnden Unterrichtsgesprächs von besonderer Bedeutung
(Grießhaber 2005).
Beim Kreisgespräch fungiert die Lehrperson anders als im Unterrichtsgespräch nicht
als Gesprächsleitung, sondern ist als gleichberechtigtes Mitglied in den Sitzkreis integ-
riert. Diese Sozialform findet im DaF-/DaZ-Unterricht z. B. beim Meinungsaustausch
oder im Erzählkreis der Grundschule (Schramm 2007) Anwendung; darüber hinaus er-
fährt sie beim Community Language Learning die besondere Ausprägung, dass die Lehr-
person zu Zwecken der Übersetzung außerhalb des Stuhlkreises positioniert ist und den
Lernenden dort flüsternd den Rücken stärkt.
Der Klassenunterricht ist die am häufigsten eingesetzte Sozialform: Für den Bereich
Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung ermittelte Demmig (2007: 137)
einen Anteil von 65 Prozent der gesamten Unterrichtszeit. Die Beliebtheit des Klassenun-
terrichts bei Sprachlehrpersonen steht in deutlichem Widerspruch zu der kritischen Ein-
schätzung dieser Sozialform in der pädagogischen und fremdsprachendidaktischen Dis-
kussion, die insbesondere die Gefahr der Passivität und Unselbständigkeit der Lernen-
den, das Problem der hohen Redeanteile der Lehrperson und die Dominanz bestimmter
Handlungsmuster thematisiert (Storch 1999: 297). Dies hat dazu geführt, dass man sich
mit dem Ziel der Innovation stärker auf die Erforschung binnendifferenzierender Sozial-
formen konzentriert hat. Demmig (2007: 182) hält deshalb eine „detaillierte empirisch
fundierte Forschungsarbeit zum Thema Unterrichtsphasen in der Großgruppe im DaF/
DaZ (bzw. Fremdsprachenunterricht allgemein) [für] längst überfällig“. Weiterer For-
schungsbedarf zum Klassenunterricht ergibt sich zweifellos auch aus dem Einsatz digita-
ler Medien wie beispielsweise des Interactive Whiteboard oder der Videokonferenz (Schli-
ckau 2000) sowie aus der veränderten Rolle des Frontalunterrichts bei offenen Unter-
richtsformen (Gudjons 2007).

3. Gruppenarbeit

Der Einsatz von Gruppenarbeit wird lerntheoretisch unter Bezugnahme auf den Kon-
struktivismus damit begründet, dass die Lernenden in der sozialen Interaktion jeweils
individuelle Wissensstrukturen aufbauen, die aufgrund der Selbsttätigkeit und der damit
einhergehenden Motivation und emotionalen Beteiligung einen höheren Grad an Kom-
plexität und Verarbeitungstiefe aufweisen, als dies beim Klassenunterricht der Fall ist.
Neben sprachlichen und kognitiven Lernzielen wird mit Gruppenarbeit auch die Förde-
1184 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

rung von Methoden- und Sozialkompetenzen und somit von Lernerautonomie verfolgt.
Weitere wichtige Gründe für den Einsatz von Gruppenarbeit im Fremdsprachenunter-
richt sind, dass der einzelne Lernende sich häufiger äußern kann, dass Binnendifferenzie-
rung die Berücksichtigung individueller Unterschiede erlaubt und dass deshalb insbeson-
dere bei lernschwächeren Teilnehmenden bessere Lernfortschritte zu verzeichnen sind
(Schwerdtfeger 2001: 39⫺41). Angesichts der Tatsache, dass Gruppenarbeit im Vergleich
zu dieser hohen Wertschätzung seitens der Fremdsprachendidaktik in der Praxis ver-
gleichsweise selten eingesetzt wird ⫺ in Demmigs (2007: 137) bereits genannter Untersu-
chung nur in 15 % des gesamten DaZ-Unterrichts ⫺ wurden häufig die Befürchtungen
der Kursleitenden thematisiert (Karagiannidou 2007a: 75) und Hinweise zur Entkräftung
dieser Argumente bzw. zum Umgang mit Störungen gegeben (Meyer 1987b: 254⫺277;
Schwerdtfeger 2001: 51⫺67).
Laut Storch (1999: 308) ist Gruppenarbeit im DaF-/DaZ-Unterricht insbesondere
zum Aktivieren von Schülerwissen, für Gespräche, Diskussionen, gelenktes entdeckendes
Lernen, zum Erfinden von Inhalten, für die Projektarbeit sowie für Gruppenspiele geeig-
net. Schwerdtfeger (2001: 41⫺43) plädiert im Hinblick auf die Gruppenarbeit für Aufga-
ben mit Informationslücken und für Entscheidungsaufgaben. Als weitere Beispiele lassen
sich Schreibkonferenzen und Lesezirkel nennen; darüber hinaus schätzen viele Lernende
das Gruppenpuzzle (Jigsaw), bei dem sie sich in einer ersten Runde in Expertengruppen
über bestimmte Themenbereiche austauschen und ihr Expertenwissen in einer zweiten
Runde an andere Mitlernende weitergeben.
Gruppenarbeit lässt sich nach Ziebell (2002: 66) in vier Phasen unterteilen. Nach
der Vorbereitungsphase durch die Lehrperson vor dem Unterricht erfolgt im Unterricht
zunächst die Informationsphase, für die insbesondere verständliche, vorzugsweise schrift-
liche Arbeitsaufträge als essentiell erachtet werden. Bei der Gruppenbildung bietet sich
die innere Differenzierung nach Themen, Leistungsniveaus, Lernstrategien, Lernstilen,
Aufgabenstellung und Lernwegen an (Schwerdtfeger 2001: 105⫺118); es lassen sich ne-
ben Wahlgruppen aber auch Nachbarschaftsgruppen und Zufallsgruppen bilden
(Schwerdtfeger 2001: 100⫺104). Bei der Durchführung der Gruppenarbeit wird es in der
Regel als zielführend erachtet, wenn die Lehrperson sich weitestgehend zurückhält, durch
unaufdringliche, auf Zuhören orientierte Besuche an den Gruppentischen jedoch deutlich
ihre Beratungsbereitschaft signalisiert. In der vierten Phase der Präsentation und Auswer-
tung stehen die Ergebnissicherung und die Integration der Ergebnisse in den Unterrichts-
verlauf im Vordergrund (Schwerdtfeger 2001: 154⫺159).
Empirisch wird die Gruppenarbeit schwerpunktmäßig im Hinblick auf die Interaktion
der Gruppenmitglieder erforscht. So zeigt Chavez (2007) beispielsweise an amerikani-
schen, universitären DaF-Lernenden auf, dass sie ihre Gruppeninteraktion stark am Vor-
bild des jeweiligen Lehrenden im Klassenunterricht ausrichten. Schramm (2009) verdeut-
licht am Beispiel einer DaZ-Fördergruppe, dass die Kinder bei Produktionsdefiziten
nicht nur als Sprechende Kompensationsstrategien einsetzen, sondern dass sich auch die
Zuhörenden aktiv an einem produktionssichernden Handeln beteiligen. Peuschel (2009)
untersucht dagegen die Gruppenarbeit von DaF-Lernenden zur Vorbereitung eines pod-
casts anhand der schriftlichen Vorbereitungsstufen bzw. der daraus rekonstruierten Ent-
wicklung des Endprodukts des Radiobeitrags. Exemplarisch für die thematische Band-
breite der zahlreichen empirischen Forschungsarbeiten zur Gruppenarbeit im DaF-/DaZ-
Unterricht seien aber auch Studien zur Gruppenarbeit in der Lehrerausbildung (Karagi-
annidou 2007b), zur Projektarbeit (Hoffmann 2008) und zu Einsatzmöglichkeiten der
133. Sozialformen 1185

Gruppenarbeit im Zusammenhang mit digitalen Medien, beispielsweise bei Webquests,


Chats und Telekollaborationsprojekten, genannt (Abrams 2001; Belz und Müller-Hart-
mann 2002).

4. Partnerarbeit

Partnerarbeit wird ähnlich häufig wie Gruppenarbeit und damit deutlich seltener als
Klassenunterricht eingesetzt (Demmig 2007: 137), erfordert aber im Vergleich zur Grup-
penarbeit weniger Organisationsaufwand und Störungsbearbeitungen und wird deshalb
von Lehrkräften in der Regel gegenüber der Gruppenarbeit favorisiert. Als Formen der
Partnerarbeit lassen sich das kooperative Lernen, Helfer- bzw. Tutorensysteme und das
gegenseitige Lehren (reciprocal teaching) unterscheiden. Laut Storch (1999: 309⫺310)
eignet sich die Partnerarbeit im DaF-/DaZ-Unterricht insbesondere für „natürliche Zwei-
eraktivitäten“ wie die gemeinsame Vorbereitung oder Einübung eines Dialogs, dialogi-
sche sprechbezogene Übungen sowie auch für das gemeinsame Problemlösen beim Erar-
beiten grammatikalischer Regularitäten, bei Verstehensstrategien beim Leseverstehen, bei
Aufgaben zum Klassifizieren und Ordnen, bei der Fehlerbearbeitung und bei der koope-
rativen Produktion schriftlicher Texte.
Im Unterschied zur Gruppenarbeit gehört die Partnerarbeit im Fremdsprachenunter-
richt laut Demmig (2007: 36) zu den sehr wenig theoretisch bearbeiteten Themen; als
Forschungsdesiderat benennt sie den Wunsch der Lehrenden nach „eine[r] speziell auf
die Partnerarbeit und das Helferprinzip zugeschnittene[n] Methodik-Didaktik“ (Demmig
2007: 167). Von den wenigen empirischen Studien zur Partnerarbeit im DaF-/DaZ-Un-
terricht sei exemplarisch die Untersuchung von Hardy und Moore (2004) bei universitä-
ren DaF-Lernenden zum Einfluss von Kontext und Aufgabenstruktur bei der Bearbei-
tung von Videomaterialien auf konversationelle Bedeutungsaushandlungen in Zweier-
gruppen genannt. Ware und Kramschs (2005) Analyse von Missverständnissen bei der
telekollaborativen Partnerarbeit verdeutlicht dagegen das kulturbezogene Lernpotential
eines in den Sprachunterricht integrierten E-Mail-Austauschs, bei dem anschließend eine
Reflexion der Missverständnisse erfolgt.

5. Einzelarbeit

Die Einzelarbeit, die auch als Still- oder Alleinarbeit bezeichnet wird, erlaubt es den
einzelnen Lernenden, nach ihrem jeweiligen individuellen Lerntempo vorzugehen und
ggf. aus verschiedenen Lernangeboten zu wählen. Demmig (2007: 137) benennt den An-
teil am Gesamtunterricht mit 5 %. Einzelarbeit findet im DaF-/DaZ-Unterricht laut
Storch (1999: 310) beim stillen Lesen, bei persönlichen schriftlichen Äußerungen, bei der
Vorbereitung persönlicher Aussagen und bei der Bearbeitung von Hörverstehensaufga-
ben Anwendung. Weitere sinnvolle Einsatzmöglichkeiten bieten sich bei Übungen im
Sprach- oder Computerlabor sowie in einem lernerzentrierten Unterricht auch bei der
individuellen Zielbestimmung und bei der Selbstevaluation.
1186 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

6. Simultaner Einsatz unterschiedlicher Sozialormen

Traditionell werden zur Binnendifferenzierung einzelne Sozialformen wie die Partner-,


Gruppen- oder Einzelarbeit im gesamten Kurs eingesetzt. Im Zusammenhang mit offe-
nen Unterrichtsformen im Fremdsprachenunterricht werden dagegen zunehmend auch
gleichzeitig verschiedene Sozialformen genutzt, so dass sie zum eigenen Differenzierungs-
aspekt werden (Tönshoff 2004: 230). So können Lernende beispielsweise bei der Arbeit
mit Lernstationen (Derhartunian 2006; Salokannel 2007) oder mit Lernszenarien (Höl-
scher, Piepho und Roche 2006) die Arbeitsangebote u. a. auch nach der von ihnen präfe-
rierten Sozialform auswählen.

7. Literatur in Auswahl
Abrams, Zsuzsanna I.
2001 Computer-mediated communication and group journals: Expanding the repertoire of
participant roles. System 29(4): 489⫺503.
Belz, Julie A. und Andreas Müller-Hartmann
2002 Deutsch-amerikanische Telekollaboration im Fremdsprachenunterricht ⫺ Lernende im
Kreuzfeuer der institutionellen Zwänge. Die Unterrichtspraxis/Teaching German 36(1):
68⫺78.
Chavez, Monika M.
2007 The orientation of learner language use in peer work: Teacher role, learner role and
individual identity. Language Teaching Research 11(2): 161⫺188.
Davidheiser, James
2002 Classroom approaches to communication: Teaching German with TPRS (Total Physical
Response Storytelling). Die Unterrichtspraxis/Teaching German 35(1): 25⫺35.
Demmig, Silvia
2007 Das professionelle Handlungswissen von DaZ-Lehrenden in der Erwachsenenbildung am
Beispiel Binnendifferenzierung. Eine qualitative Studie. München: iudicium.
Derhartunian, Elzbieta
2006 Einkaufen: Wortschatzwiederholung mal anders! Stationen zur Binnendifferenzierung
beim Wortschatzlernen. Fremdsprache Deutsch 35: 44⫺46.
Ehlich, Konrad und Jochen Rehbein
1986 Muster und Institution. Untersuchungen zur schulischen Kommunikation. Tübingen: Narr.
Grießhaber, Wilhelm
2005 Sprache im zweitsprachlichen Mathematikunterricht. Verbale und nonverbale Verfahren
bei der Vermittlung mathematischen Wissens. In: Sabine Braun und Kurt Kohn (Hg.),
Sprache(n) in der Wissensgesellschaft, 65⫺77. Frankfurt a. M.: Lang.
Gudjons, Herbert
2007 Frontalunterricht neu entdeckt ⫺ Integration in offene Unterrichtsformen. 2. durchgesehene
Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Hardy, Ilonca und Joyce L. Moore
2004 Foreign language students’ conversational negotiations in different task environments.
Applied Linguistics 25(3): 340⫺370.
Havranek, Gertraud
2002 Die Rolle der Fehlerkorrektur beim Fremdsprachenlernen. Frankfurt a. M.: Lang.
Hoffmann, Sabine
2008 Fremdsprachenlernprozesse in der Projektarbeit. Tübingen: Narr.
133. Sozialformen 1187

Hölscher, Petra, Hans-Eberhard Piepho und Jörg Roche


2006 Handlungsorientierter Unterricht mit Lernszenarien. Kernfragen zum Spracherwerb. Ober-
ursel: Finken.
Karagiannidou, Evangelia
2007a In der Gruppe geht’s besser! Ein Plädoyer für mehr Gruppenarbeit im Fremdsprachenun-
terricht. Zielsprache Deutsch 34(1): 71⫺93.
Karagiannidou, Evangelia
2007b Gruppenarbeit in der universitären FS-Lehrer-Ausbildung. Eine Chance für ihren ver-
stärkten Einsatz in der Schule? Zielsprache Deutsch 34(2): 15⫺51.
Klein, Julia und Johannes Merkel
2008 Sprachförderung durch Geschichtenerzählen. Handlungsorientierte Materialien für die ge-
zielte Spracharbeit. Buxtehude: Persen.
Meyer, Hilbert
1987a UnterrichtsMethoden I: Theorieband. Frankfurt a. M.: scriptor.
Meyer, Hilbert
1987b UnterrichtsMethoden II: Praxisband. Frankfurt a. M.: scriptor.
Peuschel, Kristina
2009 Integrierte Textentwicklung in einem Radioprojekt mit fortgeschrittenen DaF-Lernenden.
In: Kristina Peuschel und Jan Paul Pietzuch (Hg.), Kaleidoskop der jungen DaF-/DaZ-
Forschung, 89⫺106. Göttingen: Universitätsverlag.
Salokannel, Claudia
2007 Good Bye, Langeweile. Fremdsprache Deutsch 36: 36⫺41.
Schlickau, Stephan
2000 Video und Videoconferencing zur Sprach- und Kulturvermittlung: Lernpotenziale und
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2009 Zum Konzept der Kompensationsstrategien aus soziokultureller Perspektive: Produkti-
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Karen Schramm, Leipzig (Deutschland)


1188 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

134. Tandem-Lernen
1. Die Grundkonstellation des Tandem-Lernens
2. Grundformen der didaktischen Nutzung
3. Ausgestaltung der Kommunikations- und Lernsituation
4. Tandem in der Forschung
5. Literatur in Auswahl

1. Die Grundkonstellation des Tandem-Lernens

Das Tandem-Lernen beruht auf einer einfachen Grundkonstellation, die jeweils an die
personalen und kontextuellen Bedingungen angepasst werden kann: Zwei Personen mit
jeweils anderen Erstsprachen kommunizieren miteinander. Sie tun dies in der Absicht,
partnerschaftlich und im Wechsel von- und miteinander zu lernen, indem sie die besonde-
ren Potenziale der Kommunikations- und Lernsituation Tandem gezielt für ihre Zwecke
nutzen. Diese Potenziale ergeben sich, weil die Interaktionspartner über Kompetenzen
verfügen, die der Partner bemüht ist, sich anzueignen, und weil zwischen ihnen durch die
Tandem-Situation zumindest implizit ein spezifischer Gesprächs- und Handlungsrahmen
geschaffen wird, der die Verbindung zwischen authentischer Kommunikation einerseits
und Lehr-Lern-Interaktion andererseits erst ermöglicht. Hierzu gehört insbesondere,
dass das Tandem auf Gegenseitigkeit beruht, d. h., dass beide Partner möglichst in glei-
chem Maße von der Kooperation im Tandem profitieren. Die große Nähe zu ,normalen‘
Kommunikationssituationen, die wechselseitige Lernabsicht und die sich daraus ergeben-
den Überlappungen von Interaktionszielen bedingen dabei die bisweilen schwierig zu
realisierende Notwendigkeit einer weitgehenden Balancierung zwischen den Lern- und
Kommunikationsabsichten sowie den jeweiligen Interessen der Tandempartner (Schmel-
ter 2004: 120⫺126).
Durch implizite Festlegung von Zweck und Ziel der Kommunikation zwischen den
Tandempartnern, durch konkrete Absprache oder durch Vorgaben durch den didakti-
schen Rahmen (s. u.) werden zugleich herkömmliche Konventionen der Kommunikation
außer Kraft gesetzt und lernförderliche ermöglicht (z. B. korrigierende Eingriffe, das Ein-
üben und Wiederholen von spezifischen Kommunikationssituationen). Da aus der Kom-
munikation im Tandem selten eine unmittelbare Bedrohung von Interessen der Lernen-
den erwächst und die Interaktion somit zumeist nicht unter besonderem Handlungsdruck
erfolgt, kann das Tandem hinsichtlich des sprachlichen und kulturellen Lernens als ein
„Schonraum“ bezeichnet werden, der ein vergleichsweise gefahrloses Erproben und Ein-
üben von sprachlichen und kulturellen Kompetenzen ermöglicht. Durch die zumeist indi-
viduelle Festlegung der Kommunikationsgegenstände ist zudem stärker als z. B. im
Fremdsprachenunterricht gesichert, dass die Lernenden an den nicht-sprachlichen Inhal-
ten der Kommunikation interessiert sind. Insofern stellt das Tandem-Lernen eine Verbin-
dungsstelle zwischen unterrichtlich gesteuerten Lehr-Lern-Kontexten und authentischen
Sprachhandlungssituationen in der Fremdsprache dar. An die Stelle von Sprachkursen
wird das Tandem-Lernen aber dennoch nur sehr bedingt treten können (Schmelter 2004:
103⫺134).
134. Tandem-Lernen 1189

2. Grundormen der didaktischen Nutzung


Die gezielte didaktische Nutzung des Tandem-Lernens geht vor allem auf die binationa-
len Sprachkurse des Deutsch-Französischen Jugendwerkes (DFJW) (1999) zurück
(Schmelter 2004: 136⫺141). Weitere frühe Versuche der Nutzung erfolgten beispielsweise
an einigen Goethe-Instituten sowie an Volkshochschulen und privaten Sprachschulen.
Allerdings scheiterte ein Teil dieser Angebote u. a. daran, dass sie nur für jeweils eine
Seite verbindlich waren und die sehr unterschiedlich ausgeprägten Notwendigkeiten und
daraus erwachsenden Motivationen, die Sprache des anderen zu lernen, nicht mitbedach-
ten. Für Deutsch als Zweitsprache scheinen insbesondere bei erwachsenen Lernern der
Bildungshintergrund, der soziale Status und evtl. das Prestige der Erstsprache des
Deutschlerners wichtige Persönlichkeitsfaktoren zu sein, die es zu berücksichtigen gilt
(Holstein und Oomen-Welke 2006: 39⫺49). Dies erklärt in Teilen, warum die Weiterent-
wicklung der Grundkonstellation des Tandems zu didaktischen Zwecken zunächst in
„didaktischen Rahmen“ erfolgte; d. h. in Kontexten, in denen die Organisatoren die In-
teraktion zwischen den Tandempartnern, die sich hinsichtlich ihres Alters, ihrer Interes-
sen, beruflichen Erfahrungen usw. in vergleichbaren Ausgangssituationen befinden, auf
bestimmte Lern- und Arbeitsziele hin zu steuern und zu kontrollieren versuchen. Typi-
sche Kontexte dieser Form der Nutzung, bei der das partnerschaftliche Lernen im Tan-
dem zumeist in mehr oder weniger umfangreiche Plenumsphasen eingebettet ist, sind
bis heute Austauschbegegnungen oder Tandemkurse. Für Deutsch als Zweitsprache sind
jedoch Angebote denkbar, die für den deutschsprachigen Partner andere Lerngegen-
stände als rein sprachliche unterstreichen. Aus den didaktischen Rahmen heraus haben
sich an unterschiedlichen Standorten, zum Teil in langjährigen Entwicklungsprozessen,
„didaktisch gestaltete Umfelder“ entwickelt. In ihnen sind die Tandemlerner nicht mehr
unbedingt in Kurse eingebettet. Durch die Vermittlung von Partnern, durch didaktisch
aufbereitete Informations-, Lern- und Evaluationsmaterialien sowie zum Teil durch ver-
schiedene Formen der persönlichen Beratung wird in diesen Umfeldern versucht, die
Lerner zu betreuen und zu unterstützen, nicht aber sie zu steuern oder gar zu kontrollie-
ren (Schmelter 2004: 141⫺149).
Anders als in Tandem-Kursen können kursunabhängige Einzeltandems ihre Vorge-
hensweisen sowie ihre Kommunikations- und Lerngegenstände ohne Vorgaben und un-
mittelbare Kontrolle von außen absprechen und festlegen. Daher wird das Tandem-Ler-
nen häufig in Verbindung mit Konzepten von Autonomie und selbstgesteuertem Lernen
diskutiert. Um ein gezieltes Lernen im Tandem außerhalb didaktischer Rahmen bzw.
über die von diesen Rahmen vorgegebenen Lehrziele hinaus zu gewährleisten, sollten die
Lernenden sich ihrer Lernziele bewusst sein, diese nach Möglichkeit für die Interaktion
mit den Tandempartnern in konkrete Vorgehensweisen herunterbrechen können und
über Mittel verfügen, die Lernfortschritte zu diagnostizieren, um neue Lernziele festlegen
zu können. Insofern werden die Tandemlerner in Einzeltandems, wenn sie ähnlich kom-
petenz- bzw. progressionsorientiert wie im Fremdsprachenunterricht lernen wollen, ihr
eigenes Lernen stärker planen und die Lernsituation Tandem entsprechend in Absprache
mit dem Tandempartner steuern (Lernaspekt der Tandemsituation), ohne damit den
durch vornehmlich außersprachliche Inhalte gesteuerten Kommunikationsaspekt des
Tandems zu vernachlässigen. Der Tandempartner selbst kann als Experte für angemesse-
nes sprachliches Verhalten Beispiele geben und korrigierend eingreifen. Nur in seltenen
Fällen wird er jedoch sprachliche Phänomene erklären können; dies gilt auch für die
1190 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

kulturell gebundenen Verhaltensweisen, die der Tandempartner in der Regel zwar als
Experte beherrscht, zumeist auch beschreiben kann, aber nur in Ausnahmefällen reflek-
tiert erklären kann.
Hier liegen die besonderen Potenziale von Tandem-Kursen (u. a. DFJW 1999, 2005;
Herfurth 1993) bzw. von Beratungsangeboten (siehe u. a. die Beiträge in Brammerts und
Kleppin 2001). In ihnen kann durch spezifische Aufgabenstellungen, die von den Kursor-
ganisatoren bzw. den Beratern vermittelt werden, das Lernen bestimmter Sprachbereiche
oder interkultureller Aspekte eher erreicht werden. Darüber hinaus kann hier (z. B. in
Plenumsphasen) eine Systematisierung sprachlicher Phänomene erfolgen. Da jeder Ler-
ner im Tandem immer auch nur ein Repräsentant einer Sprache und Kultur ist, eignen
sich Plenumsphasen in Tandemkursen dazu, Arbeitsergebnisse der Einzeltandems zu
sammeln, Einzelaussagen zu relativieren und daraus ein komplexeres Bild der jeweils
anderen Sprache(n) und Kultur(en) zu vermitteln. Die Vermittlung von erfahrungsgemäß
besonders geeigneten Vorgehensweisen in der Tandem-Kommunikation (z. B. hinsichtlich
der Formulierung von Lernzielen und deren Erarbeitung im Tandem, der Korrektur, der
Absprache von Regeln zur Sicherung des Prinzips der Gegenseitigkeit) lässt sich in Tan-
dem-Kursen eher sicherstellen als in didaktisch gestalteten Umfeldern mit nicht-obligato-
rischen Beratungsangeboten. Insofern ist die Einbettung von Einzeltandems in traditio-
nelle Sprachkurse oder in Tandemkurse insbesondere bei jüngeren bzw. unerfahrenen
Fremdsprachenlernern sinnvoll.
Neben dem Präsenztandem gewann das medial vermittelte Tandem-Lernen auf Dis-
tanz mit der Verbreitung der Kommunikationsmöglichkeiten über das Internet an Bedeu-
tung. Für den Bereich Deutsch als Fremdsprache haben sich hierdurch vielfältige neue
Möglichkeiten ergeben, auch über weite Entfernungen hinweg zu einem engeren und
authentischen Austausch mit deutschsprachigen Personen zu gelangen. Die diversen von
der Europäischen Union geförderten, internationalen Projekte zum Tandem-Lernen über
E-Mail bzw. Internet (Brammerts und Little 1996; Brammerts und Kleppin 2001) haben
erheblich zur Entwicklung von geeigneten Arbeitsformen und Begleitmöglichkeiten sowie
zur empiriegestützten Konzeptbildung beigetragen. In diesen Arbeiten werden auch die
eventuell anderen Vorgehensweisen in der Kooperation mit dem Tandempartner, die sich
aus dem veränderten Kommunikationsmedium ergeben, hervorgehoben (Kötter 2002):
So sind gemeinsame Absprachen über Vorgehensweisen (s. u.) durch die asynchrone
Kommunikation über E-Mail zeitaufwendiger und schwieriger als im direkten Aus-
tausch, wo visuelle Kommunikationsaspekte den Lernern das Erkennen von Missverste-
hen, Unbehagen etc. erleichtern können. Häufig wird daher das E-Mail-Tandem durch
den zeitweiligen Rückgriff auf synchrone Kommunikationsmedien (z. B. Telefon, Chat)
ergänzt.

3. Ausgestaltung der Kommunikations- und Lernsituation

Die erfolgreiche Nutzung der Potenziale des Tandem-Lernens setzt ebenso wie guter
Unterricht eine reflektierte Bestimmung von Lernzielen und die Wahl angemessener Vor-
gehensweisen voraus. Dabei müssen die Lerner sicherstellen, dass ihre jeweiligen Partner
ihnen aufgrund ihrer Kompetenzen tatsächlich beim Erreichen der Ziele helfen können.
Dies setzt im Idealfall regelmäßige Absprachen z. B. zur expliziten Festlegung von Hand-
134. Tandem-Lernen 1191

lungsmustern voraus. Diese betreffen u. a. die Sprachenwahl, die Aufteilung der gemein-
samen Zeit, die Wahl von Themen und Inhalten, Form und Umfang der Fehlerkorrektur,
das Geben von Beispielen usw. Hierzu liegen neben den häufig über Internet zugängli-
chen Hilfen von Tandem-Anbietern mittlerweile eine Reihe von Handbüchern vor, die
sowohl von Lernenden als auch von Tandem-Anbietern nutzbringend eingesetzt werden
können (Baguette et al. 2001; Brammerts und Kleppin 2001; Brammerts und Little 1996;
DFJW 1999, 2005; Holstein und Oomen-Welke 2006; Wolff 2001).

4. Tandem in der Forschung


Das Tandem-Lernen ist mittlerweile unter einer Reihe von Fragestellungen empirisch
untersucht worden. Am Anfang steht eine Auseinandersetzung mit den im Tandem auf-
tretenden Sprachlehr- und -lernprozessen (Scherfer 1982). In den 1990er Jahren haben
fünf Tandem-Kongresse zur Verbreitung von Untersuchungen aus linguistischen, lern-
psychologischen und pädagogisch-didaktischen Perspektiven geführt (siehe zuletzt Pelz
1995). Umfangreichere diskursanalytisch begründete Arbeiten legten Apfelbaum (1993)
und Rost-Roth (1995) vor. Herfurth (1993) setzt sich umfassend mit unterschiedlichen
Konzeptionen von Tandemkursen auseinander. Kötter (2002) beobachtet Lernerinterak-
tionen, die sich in virtuellen Lernumwelten des Internets beim Tandem-Lernen ergeben.
Bechtel (2003) befasst sich in seiner diskursanalytisch angelegten Arbeit mit Aspekten
des interkulturellen Lernens im Tandem. Schmelter (2004) geht der Frage nach, inwiefern
das selbstgesteuerte Lernen im Tandem gezielt durch Beratung in didaktischen Umfel-
dern gestützt werden kann. Zahlreiche weitere Untersuchungen sind im Rahmen von
Qualifikationsarbeiten zumeist an Standorten didaktisch gestützter Umfelder des Tan-
dem-Lernens entstanden (siehe hierzu die von Helmut Brammerts gepflegte Bibliogra-
phie: http://www.slf.rub.de/learning/tanbib.html).

5. Literatur in Auswahl
Apfelbaum, Birgit
1993 Erzählen im Tandem. Sprachlernaktivitäten und die Konstruktion eines Diskursmusters in
der Fremdsprache. (Zielsprachen: Französisch und Deutsch). Tübingen: Narr.
Baguette, Friedhelm, Helmut Brammerts, Herta Fidelak und Mechthild Schlag-Redmond (Hg.)
2001 Sprachenlernen im Tandem. Ein Leitfaden für die Schule. Bönen: Verlag für Schule und
Weiterbildung.
Bechtel, Mark
2003 Interkulturelles Lernen beim Sprachenlernen im Tandem. Eine diskursanalytische Untersu-
chung. Tübingen: Narr.
Brammerts, Helmut und Karin Kleppin (Hg.)
2001 Selbstgesteuertes Lernen im Tandem. Ein Handbuch. Tübingen: Stauffenburg.
Brammerts, Helmut und David G. Little (Hg.)
1996 Leitfaden für das Sprachenlernen im Tandem über das Internet. Bochum: Brockmeyer.
Deutsch-Französisches Jugendwerk (Hg.)
1999 Die Tandem-Methode. Theorie und Praxis in deutsch-französischen Sprachkursen. Stuttgart
u. a.: Klett.
1192 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

Deutsch-Französisches Jugendwerk (Hg.)


(2005) Tele-Tandem. Innovative Spracharbeit im deutsch-französischen Schulaustausch. Lernen im
Tandem über Internet und in der Begegnung. Berlin/Paris: Deutsch-Französisches Jugend-
werk.
Herfurth, Hans-Erich
1993 Möglichkeiten und Grenzen des Fremdsprachenerwerbs in Begegnungssituationen. Zu einer
Didaktik des Fremdsprachenlernens im Tandem. München: iudicium.
Holstein, Silke und Ingelore Oomen-Welke
2006 Sprachen-Tandem für Paare, Kurse, Schulklassen. Ein Leitfaden für Kursleiter, Lehrperso-
nen, Migrantenbetreuer und autonome Tandem-Paare. Freiburg: Fillibach.
Kötter, Markus
2002 Tandem learning on the Internet: Learner Interactions in Virtual Online Environments
(MOOs). Frankfurt a. M.: Lang.
Pelz, Manfred (Hg.)
1995 Tandem in der Lehrerbildung, Tandem und grenzüberschreitende Projekte. Dokumentation
der 5. Internationalen Tandem-Tage 1994 in Freiburg i. Br. Frankfurt a. M.: Verlag für
Interkulturelle Kommunikation.
Rost-Roth, Martina
1995 Sprachenlernen im direkten Kontakt. Autonomes Tandem in Südtirol. Eine Fallstudie. Me-
ran: Alpha & Beta.
Scherfer, Peter
1982 Zur Erforschung von Sprachlehr- und Sprachlernprozessen auf Gegenseitigkeit. Zeit-
schrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) 12(45): 72⫺99.
Schmelter, Lars
2004 Selbstgesteuertes oder potenziell expansives Fremdsprachenlernen im Tandem. Tübingen:
Narr.
Wolff, Jürgen (Hg.)
2001 Babylonia-Tandem. Praxishilfe zur rezeptiven Mehrsprachigkeit. San Sebastián; Bozen:
Tandem Fundazioa Donostia; Alpha & Beta.

Lars Schmelter, Wuppertal (Deutschland)

135. Distanz- und Präsenzlernen


1. Fern-/Distanz- und Präsenzlernen ⫺ eine einführende Begriffsklärung
2. Die Rolle der Medien beim Fernlernen
3. Interaktives und kooperatives Lernen
4. DaF/DaZ in der Fernlehre: Angebote und Studien
5. Kombiniertes Präsenz- und Distanzlernen
6. Literatur in Auswahl

1. Fern-/Distanz- und Präsenzlernen  eine einührende


Begrisklärung
Die Unterscheidung Distanz- versus Präsenzlernen verweist in erster Linie auf die räum-
liche Dimension des Lernens. Distanzlernangebote richten sich an Lernende, die aus
135. Distanz- und Präsenzlernen 1193

zeitlichen, ortsbedingten oder anderen Gründen das Angebot eines Unterrichts in Bil-
dungseinrichtungen, bei dem Lernende und Lehrende zeitgleich und in einem Raum an-
wesend sind, nicht annehmen können oder wollen bzw. die Lernangebote vor Ort durch
Distanzlernangebote ergänzt haben möchten. Beim konventionellen Fernunterricht, also
in Fernlernkursen, Fernlehrgängen und Fernstudiengängen können Lehrangebote wahr-
genommen, berufliche Aus-, Fort-, Weiterbildungen und Studiengänge durchgeführt so-
wie Bildungsabschlüsse und Zertifikate erworben werden. Es ist eine gesellschaftlich etab-
lierte Form des Bildungszugangs, die in Deutschland durch das Fernunterrichtsgesetz
(FernUSG) gesetzlich geregelt ist. Dem Wortlaut dieses Gesetzes nach ist Fernunterricht
„die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen
und Fähigkeiten, bei der 1. der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwie-
gend räumlich getrennt sind und 2. der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg
überwachen“ (FernUSG, §1, 1). Einsendeaufgaben, die die Institution distribuiert und
die Lernenden bearbeiten, stehen hierbei im Mittelpunkt des Prozesses (vgl. Kerres 1998:
299⫺305). Die Zahl der Anbieter von zugelassenen Fernlehrgängen in Deutschland sowie
die Teilnehmerzahlen steigen kontinuierlich: Im Jahre 2007 zählte man bereits 335 In-
stitute und mehr als 250.000 TeilnehmerInnen, beides Zahlen, die sich innerhalb von
10 Jahren verdoppelt hatten. Der Sprachenbereich umfasst dabei 9 % aller Fernlehr-
gangsangebote (Quelle: Forum DistancE-Learning ⫺ Fernunterrichtsstatistik 2007).
Der Begriff des Distanzlernens kann nicht mit dem Begriff des Fernlernens und somit
mit dem Konzept des Lernens im klassischen Fernunterricht gleichgesetzt werden, auch
wenn der englische Begriff distance learning für Fernlernen dies nahezulegen scheint. Mit
dem Einzug der digitalen Medien in unterschiedliche Lernkontexte erfährt der Begriff
des Distanzlernens eine Erweiterung. Er umfasst nun alle Angebote traditioneller Fern-
lerneinrichtungen, wie z. B. Fernuniversitäten, bezieht aber auch Bereiche des telemedia-
len bzw. telematisch unterstützten Lernens außerhalb dieser Fernlernkontexte ein. Der
Begriff Distanzlernen umfasst also alle Formen des Fern- und Tele-Lernens und spielt
somit ebenfalls an konventionellen Universitäten, die virtuelle Seminare anbieten, oder
bei Firmen, die ihren Mitarbeitern arbeitsplatznahe mediengestützte (computer- und/
oder webbasierte) Weiterbildungen anbieten, eine Rolle. Für den akademischen Bereich
bedeutet dies exemplarisch, es werden: „(…) alle Formen der wissenschaftlichen Aus-
und Weiterbildung gefasst, die orts- und zeitunabhängiges Studieren auf der Grundlage
neuer Technologien beinhalten“, also „nicht nur Angebote klassischer Fernstudienein-
richtungen, sondern auch telematisch unterstützte Lehre an Präsenzuniversitäten, da
diese ehemals getrennten Bereiche ohnehin immer stärker zusammenwachsen“ (Arnold
2001: 16).
Präsenzlernen oder Präsenzunterricht bezeichnet den Unterricht im Klassenzimmer,
bei dem sich der Lehrende und die Lernenden zur selben Zeit an einem Ort zusammenfin-
den. Der Begriff des Präsenzlernens dient darüber hinaus im Kontext des mediengestütz-
ten Lernens der Abgrenzung von allen Formen des räumlich getrennten Lernens und
wird meist in Zusammenhängen benutzt, in denen Formen des Präsenz- und Distanzler-
nens gemeinsame Lernszenarien bilden, wie beim so genannten Blended-Learning, auch
hybrides oder kombiniertes Lernen genannt (vgl. Abschnitt 5). Ist davon nicht die Rede,
verwendet man den Begriff Präsenzlernen in der Regel nicht, sondern benutzt den un-
markierten Begriff Unterricht (vgl. Rösler 2007: 17⫺18).
Neben oben erwähnter Begriffserweiterung verschmelzen aufgrund der neuen Mög-
lichkeiten auch die Grenzen der klassischen Funktionen unterschiedlicher Bildungsanbie-
1194 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

ter: Internationale Konsortien für wissenschaftliche Weiterbildungen für Unternehmen


öffnen ihr Angebot für Privatpersonen und kooperieren mit etablierten Fernstudienan-
bietern, so genannte Corporate Universities größerer Unternehmen öffnen sich auch für
den freien Markt (vgl. Arnold 2001: 30), Universitäten streben ins Netz und schließen
sich in virtuellen Hochschulverbünden zusammen (vgl. Pförtsch 2002: 128⫺129) etc. Vor
diesem Hintergrund kann eine abschließende Kategorisierung von Fern- oder Distanz-
lernkontexten in diesem dynamisch sich verändernden Gebiet (noch) nicht vorgenom-
men werden.
Der Versuch der Begriffsklärung soll deutlich machen, dass die Unterscheidung Fern-
lernen versus Unterricht in eine Diskussion um das Begriffspaar Distanz- und Präsenzler-
nen, das sich jeweils auf beide Lernszenarien bezieht, übergegangen ist.

2. Die Rolle der Medien beim Fernlernen


Die Geschichte des Fernunterrichts zeigt eine Entwicklung der Mediennutzung, die man-
che Parallele zur Mediennutzung im Präsenzunterricht beinhaltet. Medien spielen jedoch
beim traditionellen Fernunterricht eine noch bedeutendere Rolle als beim klassischen
Unterricht, haben sie doch neben der Aufgabe der kompletten Informationsvermittlung
die Verpflichtung, die Lehrenden sowie die Kommunikation vor Ort völlig zu ersetzen.
Taylor (2000) stellt fünf Modelle auf, die die fünf Generationen der Mediennutzung beim
Fernlernen nachzeichnen. Es beginnt mit dem Correspondance Model, deren Medienbasis
ausschließlich Print-Materialien umfasst und das zeitlich mit dem Beginn des Fernunter-
richts in den 1920er Jahren bis zu den späten 1960er Jahren einzuordnen ist, und endet
mit einem fünften Modell, das eine künftige Generation der Medien skizziert. Die vierte
und heutige Generation des Fernlernens, das Flexible Learning Model, setzt Mitte/Ende
der 1990er Jahre ein und zeichnet sich durch die Nutzung des Internet, des WWW und
interaktiver multimedialer Materialien, u. a. in Form von Computersimulationen, sowie
der computervermittelten Kommunikation aus.
Schon seit dem dritten Modell, dem Fernlernmodell (im Original Telelearning Model),
welches neben Printmaterialien, Audio- und Videokonferenzen, TV und Radio bereits
die computervermittelte Kommunikation in Form von E-Mail mit einbezieht und Anfang
der 1990er Jahre einsetzt, aber spätestens jedoch seit der vierten Mediengeneration wird
dem Fernunterricht die Möglichkeit eröffnet, einen mündlich-visuellen Austausch der
TeilnehmerInnen zu integrieren. Für den Sprachenbereich ist dies insofern bahnbre-
chend, als damit nun auch die interpersonale Interaktion zwischen den Lernenden und
damit der kommunikative Austausch gefördert werden kann.

3. Interaktives und kooperatives Lernen


Die raum-zeitliche Entkoppelung des didaktischen Dreiecks Lehrende ⫺ Lerngegen-
stand ⫺ Lernende (vgl. Arnold und Schüssler 1998: 95) beim Fernlernen ist verantwort-
lich dafür, dass das selbstständige Lernen und die Selbstorganisiertheit des Lernenden
im Vordergrund stehen; und dies stellt hohe Anforderungen an den einzelnen Lernenden.
Die Interaktion zwischen Lernenden fehlt in der ursprünglichen Fernlerndidaktik völlig,
135. Distanz- und Präsenzlernen 1195

was bedeutet, dass dort auch kommunikative und kooperative Elemente zwischen Ler-
nenden keine Rolle spielen und somit die Möglichkeit, Wissen im Dialog hervorzubrin-
gen, kaum entwickelt ist. Das ist auch der Grund dafür, warum Fernlehrgänge häufig
mit Formen des Präsenzlernens kombiniert werden (vgl. Lang 2002: 36) (siehe auch Ab-
schnitt 5).
Die in Abschnitt 2 erwähnte mediale Entwicklung des Fernlernens gibt bereits Hin-
weise darauf, wie sich diese Art des Lernens im Hinblick auf seine Sozialformen und
die Interaktivität zwischen Lernenden und Lehrenden sowie zwischen den Lernenden
untereinander verändert hat. Tenberg (2003), der Taylors Modell mit Fokus auf die Inter-
aktionsmöglichkeiten zwischen Lernenden, Tutor und Material erweitert, kommt zu dem
Ergebnis, dass sich die Interaktionsmöglichkeiten mit dem Aufkommen der digitalen
Medien flexibler gestalten und dass nun vor allem Interaktionen und Kooperationen
zwischen den Lernenden, die in den ersten Generationen der Mediennutzung überhaupt
nicht vorhanden waren, nun auch räumlich getrennt ⫺ synchron (z. B. Text- und Voice-
Chat, Audio- und Videokonferenz) und asynchron (z. B. E-Mail, Foren) ⫺ möglich und
in ihrer Gestaltung vielfältig sind. Das gemeinsame Lernen in kooperativen Lernszena-
rien wie Projekten und anderen gruppenbildenden Arbeitsformen spielt nun auch beim
Fernlernen durch die Verwendung digitaler Kommunikations- und Kooperationsmedien
sowie interaktiver Lernplattformen eine wichtige Rolle. Tenberg stellt fest, dass diese
Interaktionsformen kooperatives Lernen „im Rahmen einer reziprok multiperspektivi-
schen Dialogstruktur“ (Tenberg 2003: 216) ermöglichen und dass sie dadurch die Voraus-
setzungen für Lernen als autonomen Erkenntnis- und Interpretationsprozess schaffen.
Die zunehmende Verbreitung telematischer Lehr- und Lernformen im Fernunterricht
liegt also sicherlich auch darin begründet, dass die Vorteile von Fernstudien nun mit
kooperativen Lernformen kombiniert werden können (vgl. Arnold 2001: 24). Bereits
2001 beschreibt Arnold einen internetbasierten Kurs der Open University mit 10.000 Teil-
nehmenden „als richtungsweisendes Beispiel für ein kooperatives Lernszenario, da hier
trotz der großen Teilnehmerzahl das Kursgeschehen um Tutorengruppen als Kristallisati-
onspunkte organisiert ist und Kommunikation und Kooperation unter den Studierenden
an zentralen Stellen in das Gesamtkonzept eingebettet ist“ (Arnold 2001: 76). Auch die
FernUniversität Hagen baut seit 1996 eine virtuelle Universität aus, die sich unter ande-
rem dadurch auszeichnet, dass nun Gruppenarbeit über das Netz unterstützt werden
kann (vgl. Arnold 2001: 82). Für die Fremdsprachendidaktik ist diese Entwicklung im
Bereich der Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten von großer Bedeutung
und begründet die verstärkte Nutzung von Fernlernangeboten sowie anderen Distanz-
lernangeboten auch in diesem Fachgebiet.

4. DaF/DaZ in der Fernlehre: Angebote und Studien

Große Fernstudienanbieter in Deutschland, wie die Hamburger Akademie für Fernstu-


dien (ein Unternehmen der Klett Gruppe, s. http://www.akademie-fuer-fernstudien.de)
oder die Studiengemeinschaft Darmstadt (SGD, s. http://www.sgd.de) bieten Fernlern-
kurse im Bereich Deutsch als Fremd- und/oder Zweitsprache an. Hinzu kommen Fern-
studienanbieter in anderen Ländern, wie die bereits erwähnte Open University in London,
um nur eine sehr bedeutende zu nennen. Fernlernangebote im DaF-/DaZ-Bereich finden
1196 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

sich in Deutschland außerdem beim größten Mittlerinstitut der deutschen Sprache und
Kultur, dem Goethe-Institut. Der Bereich Multimedia und Fernlehre des Goethe-Insti-
tuts verzeichnet ca. 2.000 Neueinschreibungen (Fernkursteilnehmer) pro Jahr und seit
Jahren ist ein stetiges Wachstum zu beobachten (persönliche Mitteilung der Abteilung
„Multimedia und Fernlernen“ des Goethe-Instituts). Darüber hinaus bieten auch Univer-
sitäten DaF-Fernlernkurse an, wie z. B. die Ludwig-Maximilians-Universität München
mit ihrem interaktiven Deutschlernportal Deutsch-Uni-Online (DUO, s. http://www.
deutsch-uni.com).
Telemediale Fernlernkonzepte wie das unidirektionale Tele-Teaching, bei dem Vorle-
sungen per TV oder per Internet übertragen werden, spielen im Sprachlernbereich eine
eher untergeordnete Rolle. Wie oben beschrieben, zieht der Sprachenunterricht vor allem
aus den neueren Möglichkeiten der mündlich-visuellen Kommunikationsmedien seinen
Gewinn, aber auch die medial schriftliche Kommunikation per Chat und E-Mail ermögli-
chen bereits seit einigen Jahren vielversprechende kommunikative Lernszenarien. Einen
interessanten Einblick in die Möglichkeit der Nutzung digitaler Medien bei einem Fern-
lernkurs für den Anfangsunterricht DaF gibt Liebscher (2003), die beschreibt, wie ein
ursprünglich klassisch organisierter Fernlernkurs mit Printmaterialien in einen aufgaben-
orientierten Online-Fernlernkurs übertragen wurde. Bemerkenswert bezüglich der Kurs-
aktivitäten der TeilnehmerInnen ist die Dominanz der authentischen Kommunikation
zwischen den Lernenden, die sich synchron über Chat und asynchron über ein Message
Board vollzieht und damit „eine stärkere Hinwendung zum natürlichen Spracherwerb
im Rahmen bedeutungsvoller Interaktion“ stattfindet (Liebscher 2003: 140). Das selbst-
gesteuerte Lernen sowie das gemeinschaftliche Lernen spielen bei diesem Konzept eine
große Rolle. Erwähnte Kommunikationsmedien sowie neuere Medien, wie Wiki, Podcast
oder Blog, die sich durch die Verbreitung des Web 2.0, dem Internet der zweiten Genera-
tion, einen Namen gemacht haben und bei denen die Inhaltsnutzer zu Produzenten wer-
den, sind ebenfalls geeignet, das gemeinsame und projektorientierte Lernen zu fördern
(vgl. u. a. Schmidt 2009; Würffel 2008).
Der mündliche Austausch per Audio-Konferenz steht im Mittelpunkt der Betrachtung
von Hampel (2007). Sie beschreibt eine audiographische Lernplattform, die an der Open
University u. a. im DaF-Bereich zum Einsatz kommt und macht deutlich, dass die Nut-
zung multimedialer Lernplattformen und digitaler Lernumgebungen hohe Anforderun-
gen an Lehrende und Lernende stellt und dass die dafür benötigten Kompetenzen (new
literacies) erst erworben bzw. durch ein geeignetes didaktisches Design gefördert wer-
den müssen.

5. Kombiniertes Präsenz- und Distanzlernen


Präsenzkontakte sind, wenn auch in sehr eingeschränktem Maße, ein Merkmal klassi-
scher Fernlernkonzepte und dienen als sozialstiftendes Mittel. Trotz vermehrter kommu-
nikativer und kooperativer Lernmöglichkeiten durch neue Technologien darf auf sie
nicht verzichtet werden. Auch Hess (2003) verweist nachdrücklich auf die dienende
Funktion der Medien beim Distanzlernen, hier den teleunterstützten Präsenzunterricht
im Blick, und relativiert die anfänglich große Begeisterung der Verantwortlichen didakti-
scher Konzeptionen im Hinblick auf technologische Lösungen. Für ihn sind Face-to-
face-Kontakte unverzichtbar (vgl. Hess 2003: 22).
135. Distanz- und Präsenzlernen 1197

Ob nun konventionelle Fernlernangebote durch Präsenzphasen unterbrochen werden


oder ob klassische Präsenzkurse durch Online-Komponenten ergänzt werden, die Kom-
bination von Präsenz- und Distanzphasen (Blended-Learning) versucht, die Vorteile bei-
der Lernformen zu nutzen und ihre Nachteile auszugleichen. Distanzphasen können aus
Selbstlernphasen im Online- und Offline-Modus sowie aus Online-Gruppenlernphasen
bestehen, in allen Fällen ist eine gründliche Vor- und Nachbereitung von Nöten. Präsenz-
phasen nehmen bei diesem kombinierten Lernszenario eine besondere soziale und grup-
penbildende Funktion ein. Darüber hinaus müssen sie „mehr noch als bisher, Raum
zum interaktiven Sprechhandeln biete[n] und die kommunikative Handlungsfähigkeit der
Lerner förder[n]“ (Launer 2008: 222). Eine besondere Herausforderung für Distanzlern-
phasen liegt in der Lernberatung bzw. der Tutorierung. Auch diesbezüglich erfahrenere
Fernlerninstitute werden durch den Einsatz neuer Medien vor neue Aufgaben gestellt.
Die Tatsache, dass das Distanzlernen sehr große Anforderungen an den einzelnen Ler-
nenden in Bezug auf Selbstorganisiertheit und Selbststeuerung stellt, bedeutet auch, dass
der Lehrende diesbezüglich sehr gut ausgebildet sein muss, um seinen Lernenden als
Lernberater zur Seite stehen und ihnen notwendige Strategien an die Hand geben zu
können (vgl. Launer 2008: 217⫺221).

6. Literatur in Auswahl

Arnold, Patricia
2001 Didaktik und Methodik telematischen Lehrens und Lernens. Münster: Waxmann.
Arnold, Rolf und Ingeborg Schüssler
1998 Wandel der Lernkulturen. Ideen und Bausteine für ein lebendiges Leben. Darmstadt: Wis-
senschaftliche Buchgesellschaft.
Forum DistancE-Learning ⫺ Der Fachverband für Fernlernen und Lernmedien e.V.
Fernunterrichtsstatistik 2007. Online.
http://www.forum-distance-learning.de/fdl_3fa8cd6be43e.htm, Abrufdatum: 23. 10. 08.
Hampel, Regina
2007 New literacies and the affordance of the new media: Using audiographic computer con-
ferencing for language learning. In: Susanne Schneider und Nicola Würffel (Hg.), Koope-
ration & Steuerung. Fremdsprachenlernen und Lehrerbildung mit digitalen Medien, 33⫺54.
Tübingen: Narr.
Hess, Hans W.
2003 Lerner als Kunden. Informationstechnologie im Alltagseinsatz. Deutsch als Fremdsprache
40(1): 14⫺23.
Kerres, Michael
1998 Multimediale und telemediale Lernumgebungen. Konzeption und Entwicklung. München:
Oldenbourg.
Lang, Norbert
2002 Lernen in der Informationsgesellschaft. In: Ute Scheffer und Friedrich W. Hesse (Hg.),
E-Learning: Die Revolution des Lernens gewinnbringend einsetzen, 23⫺42. Stuttgart:
Klett-Cotta.
Launer, Rebecca
2008 Blended Learning im Fremdsprachenunterricht ⫺ Konzeption und Evaluation eines Modells.
Online: http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn⫽990295613&dok_var⫽d1&dok_ext⫽
pdf&filename⫽990295613.pdf, Abrufdatum: 23. 10. 2008.
1198 XII. Sprachen lehren: Einzelaspekte

Liebscher, Grit
2003 Ein Modell kooperativen Lernens für einen Fernlernkurs Deutsch als Fremdsprache.
Deutsch als Fremdsprache 40(3): 135⫺140.
Pförtsch, Waldemar A.
2002 Lernen in der New Economy. In: Ute Scheffer und Friedrich W. Hesse (Hg.), E-Learning:
Die Revolution des Lernens gewinnbringend einsetzen, 119⫺135. Stuttgart: Klett-Cotta.
Rösler, Dietmar
2007 E-Learning Fremdsprachen. Eine Einführung. 2. Aufl. Tübingen: Stauffenburg.
Schmidt, Torben
2009 Mündliche Lernertexte auf der Zweinull-Bühne ⫺ Mediale Inszenierungen im Englisch-
unterricht am Beispiel eines Schulpodcast-Projekts. Forum Sprache (Online) 1: 24⫺42.
Taylor, James C.
2000 New millenium distance education. In: Venugopal Reddy und Srivastava Manjulika
(Hg.), The World of Open and Distance Learning, 475⫺480. Viva Books, India. Online:
http://www.usq.edu.au/users/taylorj/publications_presentations/2000IGNOU.doc, Abruf-
datum: 23. 10. 2008.
Tenberg, Reinhard
2003 Interaktionsformen und Neue Medien aus der Sicht des Fernlernens. Deutsch als Fremd-
sprache 40(4): 210⫺219.
Würffel, Nicola
2008 Kooperatives Schreiben im Fremdsprachenunterricht: Potentiale des Einsatzes von So-
cial-Software-Anwendungen am Beispiel kooperativer Online-Editoren. Zeitschrift für In-
terkulturellen Fremdsprachenunterricht 13(1). (Online).

Eva Platten, Schaffhausen (Schweiz)


XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

136. Die Funktion von Medien im Deutsch als Fremd-


und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht
1. Begriff
2. Was gehört dazu?
3. Medien und Methoden
4. DaF und die digitalen Medien
5. Primat der Didaktik
6. Literatur in Auswahl

1. Begri
Den Begriff Medien trifft man in unterschiedlichen Disziplinen, und entsprechend unter-
schiedlich sind die Vorstellungen, die mit ihm einhergehen. Ein Linguist versteht unter
einem Medium zunächst die gesprochene oder geschriebene Substanz, die in der Sprache
vorkommt; durch das Medium wird also die physikalische Vermittlung der Botschaft
realisiert. In einem weitgefassten Medienbegriff kann eine Brille ein Medium sein, wenn
man Medien als kompensatorische Mittel für körperliche Beschränktheiten auffasst. In
den Kommunikationswissenschaften wird Medien zumeist auf die technischen Mittel be-
zogen, die dazu beitragen, Botschaften an ein potentiell unbegrenztes Publikum zu ver-
mitteln, der Fokus liegt hier traditionell auf der Beschäftigung mit Massenmedien.
Die unterschiedlichen Vorstellungen von Medien sind verbunden mit der Analyse un-
terschiedlicher Ausschnitte von Welt mit unterschiedlichen Methoden. Entsprechend
problematisch ist die direkte Übernahme eines geistes- oder sozialwissenschaftlichen Me-
dienbegriffs in die Didaktik. Nähme man z. B. die sprachwissenschaftliche Auffassung
von der physikalischen Vermittlung von Botschaften als Ausgangspunkt, dann wäre in
der Fremdsprachendidaktik alles unter Mediengesichtspunkten zu betrachten. Über-
nähme man hingegen die Fokussierung auf Massenmedien, dann spielten Medien in der
fremdsprachendidaktischen Diskussion nur in bestimmten Teilbereichen eine Rolle.
Die fremdsprachendidaktische Mediendiskussion hat sich aber nicht zu fragen, ob sie
eher in der Tradition von Shannon und Weaver (1949), McLuhan (1964) oder wem auch
immer steht. Sie kann nicht einfach aus einer linguistischen, medienwissenschaftlichen,
semiotischen oder kommunikationswissenschaftlichen Perspektive abgeleitet werden,
sondern muss selbst bestimmen, welcher Blick auf die Medien für ihren Gegenstandsbe-
reich Lehren und Lernen von fremden Sprachen von Relevanz ist. Ein fremdsprachendi-
daktisches Medienverständnis hat als Ausgangspunkt die Idee von Medien als Mittlern,
die dafür sorgen, dass Wissen und Fertigkeiten erworben werden. Für das Fremdspra-
chenlernen sind Medien sowohl Transporteure von Information als auch Vehikel der
Kommunikation. Behandelt werden müssen deshalb auf der einen Seite die Bereitstellung
und die Gestaltung von Medienarrangements, auf der anderen Seite die Integration von
Medien in Lehrprozesse und die Verwendung von Medien durch die lernenden Indivi-
1200 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

duen. Ein Blick auf all diese Aspekte ist notwendig, um zu vermeiden, dass Medien
einseitig z. B. nur als Vermittlungsinstrumente gesehen werden.
Für eine angemessene Einschätzung der Funktion von Medien für das Fremdspra-
chenlernen ebenfalls notwendig ist eine Unterscheidung im Hinblick auf deren Verwen-
dung innerhalb oder außerhalb des zielsprachigen Raums. Wer Deutsch als Fremdspra-
che außerhalb des deutschsprachigen Raums lernte, für den war eine gute Medienausstat-
tung traditionell wichtiger als für jemanden, der Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache
innerhalb des deutschsprachigen Raums lernte (vgl. zu den Implikationen dieser Unter-
scheidung Rösler 1994: 5⫺13), da ihm der lebensweltliche unmittelbare Zugang zur deut-
schen Sprache und zur deutschsprachigen Welt fehlte. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts
nimmt der Teil des Lebens, der medial bestimmt ist, zu, so dass auch für die Lernenden
außerhalb des deutschsprachigen Raums natürliche mediale Interaktionen in deutscher
Sprache verstärkt zum Alltag gehören (können), dennoch ist die Unterscheidung von
unmittelbarer Erfahrung des deutschsprachigen Raums vs. stärker durch Medien vermit-
telter Zugang zu diesem für eine zielgruppenangemessene Gestaltung des Deutschlernens
weiterhin von großer Bedeutung.

2. Was gehört dazu?

Auch mit einer Konzentration auf die fremdsprachendidaktische Perspektive auf die Me-
dien ist nicht eindeutig festzuhalten, was alles zu Medien dazugehört und wie man sie
kategoriell unterteilen kann. Das wird deutlich, wenn man zwei Überblicksartikel aus
fremdsprachendidaktischen Handbüchern gegenüberstellt.
In der ersten Auflage dieses Handbuchs wurde von Schwerdtfeger (2001) beschrieben,
wie der Begriff Unterrichtsmedien ab Anfang der 1960er Jahre in der deutschen fremd-
sprachendidaktischen Diskussion den Begriff Unterrichtsmittel zu ersetzen begann. Als
für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache relevante Medien angeführt wurden:

Lehrbuch;
Bilder, Photographien, Diapositive, Filmstreifen;
Tonband/-kassetten, Schallplatte, Radiosendungen, Sprachlabor;
Tonfilme, Fernsehfilme, Fernsehsendungen, Videofilme;
Computer und Multimedia (Schwerdtfeger 2001: 1018).

Diese Medien wurden dort in technische und nichttechnische sowie in visuelle, auditive
und audiovisuelle Medien unterteilt. Interessant ist an dieser Aufstellung, dass mit dem
Lehrbuch zwar ein didaktisches Printmedium angeführt wird, dass aber Massenmedien
in Printform wie Zeitungen und Zeitschriften nicht vorkommen, obwohl sie didaktisch
ebenso relevant sein können wie auditive oder audiovisuelle Massenmedien.
In Praktische Handreichungen für den Fremdsprachenlehrer stellt Jung derartigen Klas-
sifizierungen ein seiner Auffassung nach „vom Lerner her konzipiertes Medienkatego-
riensystem“ (Jung 2006a) entgegen:

Printmedien (Lehrbücher, Lektüren, Zeitung, Lexika),


Massenmedien (Briefmarke, Plakat),
136. Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1201

Produktmedien (Audioplayer […] DVD-Player)


Leer- und Transportmedien (Telefon, Internet […] Tafel),
Prozessmedien (Rundfunk, Fernsehen, […] Anrufbeantworter),
Speichermedien (Audiorecorder, Videorecorder),
Interaktionsmedien (Lehrmaschine, Computer).
(Jung 2006a: 233, Hervorhebung im Original ⫺ dr)

Es ist wenig sinnvoll, einen eingeführten Begriff wie Massenmedien, bei dem die Sprach-
gemeinschaft an Rundfunk, Fernsehen usw. denkt, lediglich für Briefmarken und Plakate
zu verwenden, aber diese überhaupt mit aufzuführen, ist sinnvoll, denn Personen und
Sachen, die auf einer Briefmarke abgebildet sind, haben für Jung eine gute Chance, „sich
im kollektiven Gedächtnis der Nation einzunisten oder zu verfestigen“ (Jung 2006b: 240),
und können von daher durchaus einen Beitrag zur Landeskundevermittlung leisten. Die
mit diesen beiden zitierten Aufstellungen angedeutete Unterschiedlichkeit der Vorstellun-
gen von dem, was unter fremdsprachendidaktischen Gesichtspunkten alles zu den Me-
dien gehört, macht es erforderlich, dass man bei der Rezeption von Texten zur Medien-
nutzung immer genau schauen muss, über welche Medien im jeweiligen Text konkret
geredet wird. Im weiteren Verlauf dieses Artikels werden die gedruckten Komponenten
eines Lehrwerks, also z. B. Lehrbuch, Arbeitsbuch, Lehrerhandbuch oder Glossar nicht
weiter behandelt, vgl. dazu den Art. 137.

3. Medien und Methoden

Seit der Erfindung des ersten Schallaufzeichnungsgerätes existiert die Möglichkeit,


Fremdsprachenlernenden gesprochene Sprache sprechzeitunabhängig zur Verfügung zu
stellen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die ersten Aufnahmen für den
Fremdsprachenunterricht produziert (vgl. Schwerdtfeger 2001: 1020). Mit der Bereitstel-
lung von sprachlichen Daten auf Tonträgern war es zum einen möglich, Lehrwerktexte
auch akustisch zu realisieren und den Lernenden ein Sprachvorbild zu liefern. Erstmalig
konnte so theoretisch auch die gesprochene Sprache anhand von gespeichertem Material
im Selbststudium erworben werden, außerdem war es möglich, muttersprachliche
Sprachvorbilder und unterschiedliche Dialekte oder Soziolekte ins Klassenzimmer zu
bringen, die eine einseitige Gewöhnung der Lernenden an das Sprachvorbild des Lehrers
verhindern konnten. Lernende konnten diese Vorbilder imitieren, gleichzeitig war es mit
Aufzeichnungsgeräten aber auch möglich, die Lernenden in ihren Versuchen, die Ziel-
sprache auszusprechen, aufzunehmen, so dass Vergleiche zwischen Vorbild und Lernerre-
alisierung möglich waren, ein Verfahren, das vor allem im Sprachlabor intensiv genutzt
wurde. Seit Aufkommen von Sprachlabor und audiolingualer Methode gehören Tonträ-
ger zum selbstverständlichen Bestandteil eines Lehrwerks. Geändert haben sich über die
Jahre die Verwendungsweisen dieser Tonträger. Zu Kassetten, die entweder im Sprachla-
bor für Drillübungen verwendet wurden, oder die Lehrwerktexte medial mündlich reali-
sierten, ist mit Beginn der Hörverstehensdidaktik (vgl. als Überblick Dahlhaus 1994)
eine weitere didaktische Einsatzmöglichkeit hinzugetreten: Akustisch realisierte Texte
werden mit Hilfe bestimmter Aufgaben als zu verstehende Texte behandelt, die nicht
Wort für Wort bearbeitet werden müssen.
1202 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

3.1. Das Sprachlabor und die audiolinguale Methode

In einem Sprachlabor traf ein Lerner zumeist auf einen auf Tonband bzw. Kassette aufge-
zeichneten Text, der Arbeitsanweisungen und zumeist auch Lösungsbeispiele enthielt.
Die Übungen enthielten Pausen, in die der Lerner eine mündliche Reaktion sprechen
konnte. Eine vierphasige Übung zum Beispiel besteht aus Aufgabe, versuchter Antwort
des Lerners, richtiger Antwort und Wiederholung der Antwort. Zu den Sprachlabor-
übungen gehören Hör- und Diskriminierungsübungen, Übungen zum Hörverstehen,
Nachsprechübungen und Übungen zur gelenkten Sprachproduktion vor allem in Form
von Strukturübungen (pattern drills), die nach Art der vom Lerner vorzunehmenden
Manipulation des Sprachmaterials klassifiziert werden konnten als Austauschübungen,
Veränderungsübungen, Analogieübungen, Ergänzungsübungen oder Übersetzungsübun-
gen (vgl. Nübold 2006: 301⫺302).
Das Sprachlabor kam Anfang der 1960er Jahre in die deutschen Schulen, bereits Mitte
der 1970er Jahre wurde die Frage, ob es sich um eine Fehlinvestition handele, diskutiert,
seit Anfang der 1990er Jahre ist das Sprachlabor in den öffentlichen Schulen kaum noch
vorhanden. Der Einzug des Sprachlabors in die Klassenzimmer war mit dem Glauben
an die Überlegenheit einer bestimmten allgemeinen Methode verbunden, das Auftauchen
der audiolingualen Methode wurde als Verbesserung des Fremdsprachenlernens gesehen.
Die zweifelsohne vorhandenen Vorteile wie die Individualisierung des Übens und die
große Sprechzeit pro Lerner innerhalb einer Unterrichtseinheit traten bald hinter eine
Kritik zurück, die auf die Überforderung der Lernenden im Hinblick auf die Selbstkor-
rektur, die Starrheit der Unterrichtsgestaltung (ganze Stunden im Sprachlabor, starrer
Ablauf, Vereinzelung der Lernenden), die Formfokussierung usw. verwies. Und so fest
war die Verbindung von Sprachlabor und audiolingualer Methode, dass trotz differen-
zierter Versuche, über das Drillen hinausgehende Verwendungsweisen des Sprachlabors
zu diskutieren (vgl. z. B. Krumm 1975), eine veränderte Einschätzung der Bedeutung der
audiolingualen Methode und der mit ihr verbundenen linguistischen und psychologi-
schen Ansätze Strukturalismus und Behaviorismus auch zur Abwertung der Sprachlabor-
arbeit generell führte: Die kommunikative Wende Mitte der 1970er Jahre führte zu einem
Statusverlust des Sprachlabors. Gefragt wurde nicht, ob die überdimensionierten Erwar-
tungen an das Sprachlabor auf die Einschätzung der Funktionalität bestimmter Übungen
für das Lernen reduziert werden müssten, stattdessen repräsentierte das Sprachlabor nun
einen falschen Ansatz, der zu überwinden war. Man kann inzwischen spekulieren, ob
mit der Wiederentdeckung der Chunks in der Fremdsprachendidaktik zu Beginn des 21.
Jahrhunderts auch eine Wiederentdeckung des repetitiven Übens im Sprachlabor einher-
gehen wird. Da das Sprachlabor inzwischen als Teilbereich eines Multimedialabors gese-
hen werden kann, das weitaus mehr kann, als nur Übungen zur Verfügung zu stellen,
kann es sein, dass die Grundidee des Sprachlabors ⫺ ohne methodische Überhöhungen,
sondern reduziert auf seine Funktionalität ⫺ wieder eine Rolle spielen könnte.

3.2. Der Einsatz visueller und audiovisueller Medien

Die Bedeutung der visuellen Medien hat Schwerdtfeger (2001) für das Fremdsprachenler-
nen wie folgt zusammengefasst:
136. Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1203

Visuelle Medien erregen und halten die Aufmerksamkeit der Lernenden. Sie spre-
chen die Emotionen der Lernenden an und vermögen so, die Lernenden zu sprach-
lichem Handeln zu motivieren.
Visuelle Medien schaffen einen Bezug zur gesprochenen und geschriebenen Ziel-
sprache und vermögen, unbekannte mündliche und schriftliche Texte verständlich
zu machen.
Visuelle Medien vermögen, die regionalen und sozialen Spezifika der geschriebe-
nen oder gesprochenen Sprache zu verdeutlichen.
Gestik, Mimik und Körpersprache werden durch visuelle Medien als unverbrüchli-
cher Teil der zu lernenden Fremdsprache verdeutlicht.
Visuelle Medien dienen als mnemotechnische Hilfe, d. h. sie fördern das Erinne-
rungsvermögen der Lernenden und unterstützen mündliche und schriftliche Äuße-
rungen der Lernenden in der Fremdsprache. Sie erleichtern das Hörverstehen der
zu lernenden Sprache.
Visuelle Medien fördern die Erweiterung des Wortschatzes und stützen Struktur-
übungen.
Visuelle Medien eigenen sich zum Einsatz auf jeder Stufe des fremdsprachlichen
Lernprozesses. (Schwerdtfeger 2001: 1023⫺1024)

Eine Verstärkung der Tendenz zur Visualisierung zeigt sich in DaF seit der kommunikati-
ven Wende, nicht zuletzt verbunden mit dem Namen Theo Scherling (vgl. Scherling und
Schuckall 1992), in der zunehmenden Visualisierung in Lehrwerken, durch Zeichnungen,
die funktional und nicht ornamental sind, und durch Grammatikdarstellungen, die ver-
suchen, Anschaulichkeit durch Visualisierung zu gewinnen. Mit dem Aufkommen der
digitalen Medien ist diese Visualisierung einen Schritt vorangetrieben worden dadurch,
dass zumindest in Ansätzen ersichtlich ist, welche Funktion animierte Grammatikdarstel-
lungen übernehmen können (vgl. Roche und Scheller 2004).
Am Beispiel des Einsatzes von Filmen zeigt Schwerdtfeger (2001), wie sich die didakti-
sche Einstellung zu sich bewegenden Bildern änderte. Ehnert (1984: 7) zitierend weist sie
darauf hin, dass traditionell Anforderungen an das Medium Film gestellt worden waren,
die sich auf den Lernprozess bezogen und das Medium nicht in erster Linie als eigenstän-
digen kulturellen Gegenstand betrachten wollten:

das Bildobjekt soll sich möglichst ruhig verhalten oder nur langsam bewegen; bei
schnellen Bewegungen muss die Einstellung entsprechend lang sein,
die Perspektive soll möglichst einheitlich (Augenhöhe, keine Kamerafahrt) sein; es
sollen nur wenige Einstellungen (Totale und Großaufnahme) erfolgen; der Zoom
soll nicht oder wenig eingesetzt werden, und es sollen wenige Überblendungen
stattfinden,
die Einstellungen sollen 16 bis 20 Sekunden dauern. (Schwerdtfeger 2001: 1025)

Demgegenüber beschreibt sie die Anforderungen an filmspezifische Übungen wie folgt:

In den Übungen wird berücksichtigt, dass der Film eine vom Filmemacher kon-
struierte Wirklichkeit ist und damit nie Abbild einer wie auch immer gearteten
Wirklichkeit.
1204 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

In den Übungen wird daher berücksichtigt, dass der Film eine Zeichenkomposi-
tion ist, in der in spezifischer Weise mit Zeit und Raum umgegangen wird. Filmspe-
zifische Zeichen sind z. B. Kameraeinstellungen, Schnitt, Kamerafahrt, Kamera-
perspektive, Töne, Musik, Farben, Licht etc.
In den Übungen steht die in den Filmen gesprochene Sprache also nicht isoliert
im Zentrum, sondern immer nur eingebunden in das Gewebe aller anderen filmi-
schen Zeichen.
In den Übungen werden die Zeichen der Filmsprache, d. h. die speziellen filmi-
schen Erzählungen mit den Deutungen, die die Betrachter ihnen geben, konfron-
tiert.
Die Deutungen der Lernenden sind eingebunden in ihre persönlichen emotionalen
und kognitiven Prozesse, diesen wird in den Übungen Rechnung getragen.
So entstehen filmspezifische Wahrnehmungsübungen, in denen für die Deutungen
von filmspezifischen Zeichen und nonverbalem Verhalten durch die Lernenden
immer auch der Ausdruck von Gefühlen für mündliche und schriftliche Aufgaben
im Mittelpunkt stehen (sic!). (Schwerdtfeger 2001: 1025)

Diese Gegenüberstellung zeigt, dass Film und Fernsehen in der Entwicklung der Didak-
tik der audiovisuellen Medien als eigenständige kulturelle Produkte Raum gewannen und
nicht mehr nur als Vehikel für zu lernende Sprache eingesetzt wurden. Zwei sich schein-
bar widersprechende Tendenzen sind seit Anfang der 1970er Jahre auszumachen: Obwohl
die Bilder nun schon seit mehr als hundert Jahren das Laufen gelernt haben, sind Filme,
die Sprachverwendung situiert in Kontexten zeigen und von daher sprachliches Material
hervorragend einführen könnten, im Unterricht oft ein Randphänomen; die meisten
Sprachkurse haben weiterhin das Lehrbuch und nicht den Film als ihr Ausgangsmedium.
Gleichzeitig hat es aber methodische Bewegungen gegeben, die mit einem erhöhten Ein-
satz von und vor allem mit der Kombination verschiedener Medien arbeiteten: die Arbeit
mit einem Medienverbund, den man heute vom Standpunkt der digitalen Medien aus
rückblickend den analogen Medienverbund nennt. In Frankreich entwickelte sich die
audio-visuelle, global-strukturelle Methode. Alles kam zum Einsatz: Kassetten, Dias,
Overhead-Projektor, Film, Fernsehen. Die Lernenden waren in Gefahr, medial überrollt
zu werden, und die Lehrenden konnten leicht auf eine Rolle als Medientechniker redu-
ziert werden, die Handlungsanweisungen aus Lehrerhandbüchern, die im Detail Vorge-
hensweisen vorschrieben, zu folgen hatten. Lernende, die über muttersprachliche Verglei-
che, kognitiv oder auch nur über die analytische Kraft des Notizenmachens lernten,
hatten in diesen durchorganisierten, multimedialen Sprachlernprogrammen ihre Schwie-
rigkeiten. Festzuhalten war jedoch zumindest anfänglich meist eine erhöhte Motivation
durch die zum damaligen Zeitpunkt noch sehr ungewohnte Medienüberflutung und die
entsprechend geschulten, von ihrem Medienlabor zunächst begeisterten Lehrer. Gleich-
zeitig lag in der durchgeplanten Konfrontation mit den unterschiedlichen medialen Re-
präsentationen von Zielsprache und -kultur auch der Kern des Scheiterns der analogen
Medienverbünde: Nicht nur wurden Lehrer vom Kabelsalat und den an sie herangetrage-
nen technischen Ansprüchen abgeschreckt, der minutiös geplante Ablauf des Unterrichts
widersprach auch den Vorstellungen eines annähernd selbstbestimmten Umgangs mit der
angebotenen Vielfalt.
136. Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1205

4. DaF und die digitalen Medien

Sprachlabor und analoge Medienverbünde sind Belege dafür, dass sich bereits im Verlauf
des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Medialisierung des Fremdsprachenlernens fest-
stellen lässt. Im 21. Jahrhundert zeigt sich die zunehmende Medialisierung der Lebens-
verhältnisse, die auch Konsequenzen für das Fremdsprachenlernen hat, im Kontext der
digitalen Medien unter anderem an den folgenden Tendenzen:
⫺ Die klassischen Massenmedien erleiden einen Bedeutungsverlust, neue Leitmedien
etablieren sich.
⫺ Das klassische Sender-Empfänger-Verhältnis ist spätestens seit Web 2.0 durch den
sogenannten user generated content austauschbar.
⫺ Die Medienbotschaften erreichen einen immer größeren Anteil an der Konstruktion
von Wirklichkeit, die Fiktionalitätsgrenze wird immer häufiger unkenntlich.
⫺ In der Bildungsdebatte hat das Konzept der multiliteracy (vgl. New London Group
1996) als Leitkonzept den traditionellen Schriftspracherwerb abgelöst.
Diese veränderte gesellschaftliche Mediennutzung führt für die Fremdsprachendidaktik
zu interessanten neuen Angeboten. Es kommt zunächst zu einem motivationalen Extra-
profit beim Einsatz eines neu auftretenden Mediums, der wie schon beim analogen Medi-
enverbund auch bei den digitalen Medien vorhanden ist, aber nur kurzfristig anhält:
„Der motivationale Anreiz durch die Medienverwendung im Unterricht hat sich zu allen
Zeiten in dem Maße relativiert, in dem das Medium ohnehin Teil des Alltags wurde und
damit nichts Außergewöhnliches mehr war“ (Funk 2000: 14).
Deshalb muss in der fremdsprachendidaktischen Diskussion die Befassung mit der
Funktionalität des Medieneinsatzes an erster Stelle stehen: Der Einsatz digitaler Medien
ist dann sinnvoll, wenn er sinnvoll ist. Weder eine Überhöhung des Einsatzes digitaler
Medien durch ein trivialisiertes Autonomiekonzept (vgl. Rösler 1998; Hess 2001 und
Schmenk 2008) noch ein an den Lernerinteressen (vgl. Hess 2003) vorbei konzipierter
Medieneinsatz helfen Lernenden beim Deutscherwerb. Man sollte also nicht aus dem
Vorhandensein der Medien didaktische Konzepte für deren Anwendung entwerfen, son-
dern fragen, welchen Beitrag die Medien zur Lösung von Fragen leisten, die sich der
Fremdsprachendidaktik generell stellen. Die Diskurshoheit liegt also bei der Didaktik,
nicht bei den Bastlern von Anwendungen. Neue Ideen für den Medieneinsatz können
das Lehren und Lernen von Fremdsprachen beflügeln, sie können aber auch didaktische
Rückschritte bedeuten, wenn die Begeisterung für den Medieneinsatz die didaktische
Reflexion und die Aufnahme der didaktischen Diskussion zum jeweiligen Gegenstand
ausblendet.

4.1. Digitales Lehrmaterial: Übungstypen und Feedback

Mit dem Aufkommen des Computers wurde versucht, diesen für das Üben von Form-
aspekten zu verwenden. In gewisser Weise erfolgte damit eine Wiederaufnahme der
Konzeption des Sprachlabors: Individualisiert konnten die Lerner sich besser einem
Lernproblem widmen als im Klassenverband. Aufgrund der programmiertechnischen
Gegebenheiten und der sich entwickelnden Autorensoftware war dieses Üben zunächst
1206 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

eine relativ eingeschränkte Angelegenheit: Lückenübungen, Umformungsübungen, Drag


and Drop-Zuordnungsübungen, also insgesamt geschlossene Übungen zur Sicherung des
Formbestandes, dominierten die erste Runde der computergestützten Sprachvermittlung,
für die sich die englische Abkürzung CALL (computer assisted language learning) durch-
setzte (vgl. als Überblick Chapelle 2001). Aus der Perspektive der Fremdsprachendidak-
tik bedeutete dies zunächst einen Rückschritt hinter die Vielfalt bereits vorhandener
Übungsformate, nach dem verbreitetsten Autorenprogramm konnte man von einer Hot-
Potatoisierung der digitalen Übungswelt sprechen.
Ein besonderes Problem dieser Übungen stellte die Rückmeldung an den Lerner dar.
Im Gegensatz zum klassischen Sprachlabor, das dem Lerner eine richtige Antwort lie-
ferte, die dieser selbst vergleichen und erneut nachsprechen konnte, besitzt der Computer
als seinen größten Vorteil die Interaktivität: Rückmeldungen auf die Eingabe der Lerner,
das sogenannte Feedback, sind möglich. Das Programm muss dabei auf die Eingaben
eines Lerners in einer vorprogrammierten Weise reagieren. Diese Rückmeldung wird in-
nerhalb des Programms durch den Abgleich von Mustern organisiert: Die Eingabe des
Lerners wird mit vorgegebenen Mustern verglichen, je nach erkanntem Muster wird eine
vorher festgelegte Antwort ausgegeben. Im einfachsten Fall generiert das Programm die
Meldung Die Antwort ist nicht richtig, wenn vom Lerner nicht genau die antizipierte
Eingabe eingegeben wurde. Ob dieser lediglich einen Tippfehler gemacht, Groß- und
Klein- oder Getrennt- und Zusammenschreibung verwechselt hat oder tatsächlich einen
schweren Verstoß gegen die Regeln der deutschen Morphologie begangen hat, würde in
diesem Fall nicht erfasst. Diese Art der Programmierung ⫺ die ihre schlimmste Variante
in der Fehlermeldung Einige der eingegebenen Antworten sind falsch hatte, wonach alle
Antworten der Lernenden verschwanden ⫺ ist offensichtlich didaktisch nicht befriedi-
gend.
Wie gut oder schlecht ein automatisch generiertes Feedback ist, hängt davon ab, wie
arbeitsintensiv und sorgfältig die Antizipationen der Programmersteller sind. CALL-
Übungen müssen durchaus nicht so schlecht sein, wie man sie häufig im Netz antreffen
kann: Zumindest bei geschlossenen Übungen sind die Eingaben der Lernenden bis zu
einem bestimmten Umfang antizipierbar, Flüchtigkeitsfehler können von Kompetenzfeh-
lern unterschieden und mit unterschiedlichen Rückmeldungen versehen werden. Die
Feedbacks können sich dadurch unterscheiden, dass sie zur Selbstkorrektur anregen oder
dass sie die Korrektur selbst durchführen, dass sie auf Quellen verweisen usw. Wichtig
für die Sicherung der Qualität des Feedbacks ist also die Frage, wie viel Zeit und Energie
in diesen auf der Oberfläche zunächst unsichtbaren Teil des Programms investiert werden
(vgl. Rösler 2007: 177⫺194). Bei offenen Aufgaben, bei denen die Lernenden einen eige-
nen Text eingeben, versagt die programmierte Analyse jedoch; hier können für automa-
tisch generierte Feedbacks nur Musterlösungen angegeben werden, oder die Texte werden
an einen menschlichen Korrektor, der online zur Verfügung steht, weitergeleitet. Einen
qualitativen Fortschritt kann das Feedback hier erst erreichen, wenn künstliche Intelli-
genz und Fremdsprachendidaktik in Kooperation treten, wenn die mächtigen Analyse-
werkzeuge der Sprachtechnologie dazu verwendet werden, Lernereingaben ernsthaft zu
analysieren und auf die Fehler in angemessener Weise zur reagieren (vgl. als Beispiel
Heift 2001 und als Überblick Gamper und Knapp 2002).
Im Gegensatz zu klassischem Lehrmaterial, das durchgehend sichtbar ist, ist für die
Einschätzung der Qualität von digitalem Lehrmaterial eine Analyse des Feedbacks, also
von etwas an der Oberfläche zunächst Unsichtbarem, von besonderer Wichtigkeit. Not-
136. Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1207

wendig ist deshalb eine systematische Lehrmaterialanalyse auch von digitalem Lehrmate-
rial (vgl. Roche 2003), die stärker rezeptionsanalytisch als die traditionell eher werkana-
lytische Lehrwerkanalyse der Printwerke sein muss (vgl. Rösler 2008: 376⫺377).

4.2. Digitales Lehrmaterial: lehrwerkbegleitend und lehrwerkunabhängig


Neben die alleinstehenden Übungen der Anfangsphase von CALL traten relativ schnell
digitale Komponenten von Lehrwerken; kaum ein DaF-Lehrwerk kommt heute ohne
digitale Begleitung aus, entweder dadurch, dass CDs mit Übungen und Aufgaben ange-
boten werden und/oder dadurch, dass Online-Aktivitäten zur Verfügung gestellt werden.
Über die formbezogenen geschlossenen Übungen hinaus kann das lehrwerkbeglei-
tende digitale Material Projektvorschläge, landeskundliche Materialien etc. liefern, die
sowohl im Hinblick auf den möglichen Umfang (ausführliche Bildersammlungen, Audio-
und Videodateien) als auch im Hinblick auf Aktualität dem klassischen Lehrwerk überle-
gen sind, allerdings nur, wenn sie nach den gleichen Qualitätsstandards gepflegt werden
wie klassische Print-Lehrwerke.
Über die Begleitung von printgeleiteten Lehrwerken durch digitales Material hinaus
entwickelt sich eine Diskussion darüber, ob und wie weitgehend in Zukunft der gesamte
Lehrwerkbereich digitalisiert wird. Dies kann zum einen bedeuten, dass mit einem Kon-
zept wie Lehrwerk on demand durch das Zusammenspiel von zentraler und peripherer
Materialproduktion eine größere Zielgruppen- und Lernzielgenauigkeit von Lehrwerken
erreicht wird (vgl. Rösler 2006a), zum anderen wird gefragt, ob Lehrwerke insgesamt
nur noch digitalisiert als Online-Lehrwerke zur Verfügung stehen werden. Das zum Zeit-
punkt der Niederschrift dieses Beitrags für DaF am weitesten fortgeschrittene Projekt in
diesem Bereich ist Deutsch-Uni Online (vgl. Roche 2008).
Auf der Ebene der Materialentwicklung ist aus der anfänglichen Diskussion um das
Design einzelner Übungen eine über die interaktiven Qualitäten von komplexen Materi-
alarrangements geworden, über das angemessene Feedback auf fehlerhafte Lernereinga-
ben und über die Frage, wie adaptiv digitales Lehrmaterial sein kann, d. h., wie und wie
weitgehend das Programm einen Lernenden so modellieren kann, dass es als Reaktion
auf sein Verhalten in Übungen, bei der Nutzung von Hilfsangeboten usw. sich ihm durch
individualisierte Hilfestellungen, Vorschläge für Übungen und Texte usw. anpassen und
ihn so gezielt unterstützen kann.

4.3. Chancen und Risiken der Arbeit mit authentischen Materialien


Das Üben von Formen und das Bereitstellen von Material ist aber nur ein Teilbereich der
Diskussion um das Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien. Das online verfügbare
didaktisierte Material stellt nur einen kleinen Teil der im Internet vorhandenen Materia-
lien dar, und man kann über dessen Relevanz durchaus unterschiedlicher Meinung sein:
zumindest bei vielen geschlossenen Übungen und besonders bei als PDF-Dateien zur
Verfügung gestellten Arbeitsblättern scheint sich der Vorteil der Digitalisierung auf die
schnelle Distribution zu beschränken.
Im Gegensatz dazu scheint die schier unendliche Menge von vorhandenen Texten,
Bildern, Filmausschnitten usw. im Netz für das Fremdsprachenlernen eine Art Schlaraf-
fenland darzustellen. Die Suche nach authentischen Texten, die seit der kommunikativen
1208 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

Wende ein hohes Gut für die Fremdsprachendidaktik sind, für das einst eigene didakti-
sche Zeitschriften wie Authentik gegründet wurden, ist einfacher geworden. Besonders
durch den digitalen Transport auditiver und audiovisueller Materialien haben auch weit
vom Zielsprachenland entfernte Klassenzimmer einen schnellen Zugriff auf Hör- und
Hörsehtexte, was sich u. a. in der wachsenden Beliebtheit von Podcasts zeigt. Die jeweils
aktuellen Nachrichtensendungen aus Radio und Fernsehen sind ebenso abrufbar wie
spezielle Internetdienste; YouTube u. ä. liefern von Individuen gedrehte Filme oder Aus-
züge aus professionellen Produktionen, immer mehr authentische Stimmen von Mutter-
sprachlern und Deutschlernenden stehen den Lehrenden und Lernenden zur Verfügung.
Diese Vielfalt produziert neue Herausforderungen für die Fremdsprachendidaktik.
Während die Eingeschränktheit von Material vor dem Aufkommen des Internet je nach
Sichtweise als Zensur oder qualitätssichernde Maßnahme von Verlagen beschrieben wer-
den konnte, erlaubt die Anarchie des Netzes die Verbreitung beliebiger und beliebig vieler
Texte. Dies bedeutet, dass die Qualitätssicherung auf die Rezipienten verschoben ist.
Waren für einen Fremdsprachenlerner außerhalb des deutschsprachigen Raums zuvor
der Lehrer und das Lehrwerk sowie, wenn er Glück hatte, eine gut ausgestattete Biblio-
thek und ein guter Kurzwellenempfänger seine von einer Redaktion oder einem Lektorat
kontrollierten Hauptinformationsquellen, so ist er bei Texten aus dem Internet darauf
angewiesen, die Quellen durch seine eigene Medienkompetenz angemessen einschätzen
zu können. Für die Didaktik gilt: Die Arbeit mit authentischen Materialien aus dem
Internet muss so durch auf die jeweiligen Stadien des Spracherwerbs zugeschnittene Auf-
gabenstellungen und Vermittlungen von Strategien begleitet werden, dass die Lernenden
erfolgreich mit diesen umgehen können. Dies kann z. B. bedeuten, dass bereits im sehr
frühen Anfangsunterricht stark gesteuerte Ausflüge ins Netz unternommen werden, bei
denen die Zahl der anzusteuernden Seiten begrenzt ist, die Aufgabenstellung nur selekti-
ves Lesen erfordert und die schriftliche oder mündliche Mitteilung der gefundenen Lö-
sung mit dem vorhandenen sprachlichen Können möglich sein muss (vgl. dazu ausführli-
cher Rösler 2007: 160⫺168). Ebenso wie im traditionellen Fremdsprachenunterricht in
Bezug auf die erste Arbeit mit Ganzschriften, auf die Arbeit mit Filmen usw. ist auch
bei der Arbeit mit Texten aus dem Internet also dafür zu sorgen, dass das über die
Lehrwerkprogression hinausgehende Arbeit mit authentischen Texten mit Aufgabenstel-
lungen verbunden ist, die dafür sorgen, dass Lernende so früh und so erfolgreich wie
möglich mit zielsprachlichem Material umgehen lernen.
Neben der Vielfalt des vorhandenen Materials ist dessen Aktualität ein weiterer
Grund für die Arbeit mit dem Internet, vor allem dann, wenn es um landeskundliche
Inhalte im weitesten Sinne geht. Entsprechend haben sich für diesen Bereich eine Reihe
von Aufgabentypen herausgebildet, z. B. WebQuests, bei denen Lernende eine bestimmte
Aufgabe durch das Aufsuchen von Seiten im Netz lösen müssen, oder kooperative Spiele
wie z. B. Odyssee (vgl. Grätz 1999), bei der Gruppen von Lernenden ihren eigenen Stand-
ort anderen Lernenden in verrätselter Form präsentieren und den anderer Gruppen erra-
ten müssen (vgl. zur Vielfalt von Aufgaben für den DaF-Unterricht unter Einbeziehung
des Internets Biechele et al. 2003).

4.4. Kooperatives Lernen


Die schnelle Überwindung von Zeit und Raum führt dazu, dass das fremdsprachendi-
daktisch bewährte Konzept der Klassenpartnerschaften quantitativ ausgeweitet werden
136. Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1209

kann. Für Kooperationsprojekte aller Art gilt auch weiterhin der Satz, dass es egal ist,
in welchem Medium man sich nichts zu sagen hat, wenn man sich nichts zu sagen hat.
Wie bei den klassischen Kooperationsprojekten sind also auch bei digitalen Kooperati-
onsprojekten die Fragen der Inhalte, der Rahmenbedingungen der beteiligten Institutio-
nen usw. zuerst zu klären, die Bereitstellung von Kommunikationskanälen allein hilft we-
nig.
Reinhard Donath, einer der deutschen Pioniere des kooperativen Lernens mit digita-
len Medien, hat dies in seinen zehn goldenen Regeln für die digitale Projektarbeit (http://
www.schule.de/englisch/tipps_neu.htm) festgehalten, die im folgenden in einer sprachlich
leicht überarbeiteten Fassung wiedergegeben werden:
1. Partnerlehrkraft langfristig vor Projektbeginn suchen.
2. Zeit ⫺ Thema ⫺ Erwartungen ⫺ Wünsche mit Partnerlehrkraft intensiv koordinie-
ren und dabei mit der Partnerlehrkraft „ins Gespräch“ kommen, sich kennen lernen.
3. Projekt und Zeitrahmen der Lerngruppe vorstellen: Ideen sammeln, Neugier wecken,
Thema/Themen festlegen, Interessen formulieren.
4. Absprachen mit Lerngruppe zur Organisation der Arbeit im Projekt: Gruppen bil-
den, Gruppenregeln, Ansprechpartner in der Gruppe; E-Mail-Adressen für die Grup-
pen und/oder individuelle Lerner im Netz einrichten; alle E-Mails werden als Kopie
(CC) an Lehrkraft geschickt.
5. Ständige Kommunikation mit Partnerlehrkraft, mindestens einmal pro Woche.
6. Lernertagebücher führen lassen (was wurde in den Gruppen gemacht, was wurde
gelernt, welche Methoden sind benutzt worden, neu gelernte Wörter, unbekannte
Wörter und Strukturen), Zwischenberichte über den Stand der Arbeit im Plenum.
7. Unterschiedliche Meinungen von allen ins Plenum einbringen lassen, austauschen,
nicht bewerten, sondern Gründe für das Andere, Neue, Unbekannte, Verstörende
finden. Wie gehe ich damit um, was bedeutet das für mich?
8. Ergebnisse zusammenfassen: Reader ⫺ Webseiten ⫺ Poster ⫺ Ausstellung im Klas-
senraum/Flur, andere Lerngruppen einladen und Ergebnisse vor Publikum präsentie-
ren.
9. Evaluation: Was habe ich gelernt, was war für mich neu/verstörend, wie habe ich
das mit meiner Partnerin/meinem Partner gelöst; wie habe ich methodisch gearbeitet,
wie möchte ich weitermachen?
10. Auswertung mit der Partnerlehrkraft: Verlauf des Projektes inhaltlich und metho-
disch reflektieren; Was haben wir voneinander, miteinander und bei diesem Projekt
gelernt? Wollen wir so ein Projekt noch einmal machen? Was machen wir dann ge-
nauso, was machen wir anders?
Kooperationsprojekte sind durch die technischen Möglichkeiten häufiger realisierbar ge-
worden, sowohl solche zwischen Deutschlernenden und Deutschlernenden, Deutschlern-
enden und Muttersprachlern als auch zwischen Deutschlernenden und zukünftigen
Deutschlehrern, die in Kooperationsprojekten als Tutoren fungieren (vgl. Tamme 2001).
Die Zunahme derartiger Projekte ging mit einer Zunahme der Beforschung einher (vgl.
z. B. die Beiträge in O’Dowd 2007 sowie Belz und Thorne 2006). Die Beschleunigung
der Interaktionsmöglichkeiten bringt dabei nicht nur Vorteile, sondern kann auch zu
einer stärkeren Oberflächlichkeit oder gar zu einem interkulturellen Aneinandervorbeire-
den und zu interkulturellen Missverständnissen führen, wenn die Kooperationen nicht
sorgfältig vorgeplant sind (vgl. dazu Müller-Hartmann 2000; Belz und Müller-Hartmann
2003 oder O’Dowd und Ritter 2006).
1210 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

Dass Kooperationen durch die digitalen Medien leichter initiierbar geworden sind,
zeigt sich neben den Klassenkorrespondenzen vor allen Dingen am Tandem-Konzept
(vgl. Brammerts und Little 1996), das inzwischen im Internet auf eine gut entwickelte
Kontaktbörse verweisen kann. Die Grundkonstellation des Tandem hat sich dabei nicht
verändert: Weiterhin kommunizieren Personen, die Experten für ihre eigene Sprache
sind, in gemeinsam ausgehandelter Weise miteinander, weiterhin gibt es kein klassisches
Lehr-Lernverhältnis. Geändert hat sich die Form des Austausches, die zunächst über E-
Mail, inzwischen per Skype oder vielleicht demnächst in virtuellen Welten stattfindet.

4.5. Von der alleinstehenden Übung zur multimedialen webbasierten


Lernumgebung

Zu beobachten ist beim Einsatz digitaler Medien für DaF die paradoxe Situation, dass
man sowohl eine Tendenz zur weitergehenden Individualisierung des Lernens als auch
zur weiteren Verbreitung kooperativen Lernens beobachten kann (vgl. Rösler 2006b).
Von den ersten alleinstehenden CALL-Übungen auf dem Computer zu webbasierten
multimedialen Lernumgebungen hat das Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien in
kurzer Zeit einen weiten Weg zurückgelegt. Begrifflich wird auf die neue Vielfalt zum
einen weiterhin mit CALL referiert, parallel dazu hat sich CMC (computer mediated
communication) als Terminus etabliert, der anzeigt, dass zwischen der Digitalisierung von
Lernmaterial und den Möglichkeiten, Sprachlernende und Lehrende auf verschiedenste
Weise miteinander interagieren zu lassen, zu trennen ist. Wie rasant die Entwicklung ist,
zeigt ein Blick auf die nur sechs Jahre auseinanderliegenden Publikationen Platten (2003)
und Biebighäuser und Marques-Schäfer (2009), die sich mit dem Potential von Chats für
DaF beschäftigten. Stand im Artikel von 2003 noch das Design eines didaktischen Chat-
Raums im Mittelpunkt und war der Chat dort eindeutig ein getipptes Gespräch, so wer-
den im Artikel von 2009 Daten aus diesem Text-Chatraum mit Daten aus einem Voice-
Chat in der virtuellen Welt Second Life kontrastiert. Die technologische Entwicklung hat
es in kürzester Zeit möglich gemacht, den Chat vom Text Chat, einer medial schriftli-
chen, konzeptionell eher mündlichen Textsorte (vgl. Rösler 2007: 58⫺61), in eine mediale
und konzeptionelle Mündlichkeit, den Voice-Chat, zu überführen, der für das Thema
Förderung mündlicher Sprachproduktion im Fremdsprachenunterricht eine ganz andere
Rolle spielen kann als die getippten Dialoge im Text-Chat.
Die multimedialen Lernumgebungen gestatten heute die Zusammenführung unter-
schiedlicher Medien in das eine Medium; unterschiedliche Wahrnehmungskanäle der Ler-
nenden können zugleich angesprochen, Inhalte gleichzeitig in geschriebener oder gespro-
chener Sprache, mit und ohne filmische und musikalische Realisierung präsentiert wer-
den. Durch Voice over IP können die Lernenden miteinander und mit Muttersprachlern
weltweit sprechen, Videokonferenzen führen oder sich in Gestalt von Avataren in virtuel-
len Welten treffen. Waren Kooperationsprojekte zunächst auf den Austausch per Mail
beschränkt, steht inzwischen Kooperationswilligen z. B. in Lernplattformen über Mail,
Text-Chat und Voice over IP hinaus ein reiches Repertoire an synchronen und asynchro-
nen Mitteln zur Kommunikation zur Verfügung: Whiteboards, Foren, Wikis, Blogs, Mind-
mapping-Programme usw. Im Gegensatz zur getippten Mündlichkeit in Chats sind Wikis,
Blogs und andere Online-Schreibaktivitäten tatsächlich technische Möglichkeiten, im
136. Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1211

DaF-Unterricht das Schreiben und sogar das kooperative Schreiben zu fördern (vgl. z. B.
Ballweg 2008 oder Würffel 2008).
Seit dem Aufkommen von Orten des kooperativen Schreibens ebenso wie von Pod-
casts, Social Software usw., also seit der mit dem Schlagwort Web 2.0 zusammengefassten
Entwicklung, gehört es immer mehr zur Lebenswelt eines Teils der Menschheit, sich im
Netz zu präsentieren und Beziehungen in Web 2.0-Anwendungen virtuell zu pflegen.
Dies kann auch in Sprachlernkontexten dazu führen, dass die Lernenden selbstbestimmt
Inhalte (multimedial) präsentieren und mit einem real existierenden Publikum kommuni-
zieren (vgl. als Beispiel Schmidt 2009). Die Geschichte der Fremdsprachendidaktik ist
voll von derartigen Versuchen, der Fremdbestimmung im Klassenzimmer durch inhaltli-
che Selbstbestimmung entgegenzuwirken, z. B. mit an Freire, Freinet und Rogers anklin-
genden emanzipatorischen oder gruppendynamischen Konzepten. Wie bei diesen ist auch
bei Versuchen im Kontext der digitalen Medien abzuwägen, wo die Gefahr einer Verabso-
lutierung der inhaltlichen Selbstbestimmung besteht, die den Spracherwerb behindern
könnte, und wo aufregende Publikationsmöglichkeiten im Netz problematisch sein kön-
nen. Ein Lerner, der in einem Blog in einem sprachlich wenig fortgeschrittenen Zustand
einen Text publiziert, kann sehr stolz darauf sein, dass er mit der Welt kommuniziert
und dass die Welt ihm Kommentare schickt. Dieser Eintrag im Blog kann aber aufgrund
seines Öffentlichkeitscharakters auch gegen ihn verwendet werden, wenn später evtl. ein
Personalchef sich um die Sprachkompetenz eines Bewerbers kümmert. Die gesellschaftli-
che Debatte um die Neujustierung des Verhältnisses von Privatheit und Öffentlichkeit,
die durch die digitalen Medien aufgekommen ist, ist auch für den Einsatz der digitalen
Medien im Fremdsprachenunterricht ein relevantes Thema: Es ist jeweils abzuwägen, ob
und wie weit die Motivation schaffende Möglichkeit, sich real der Welt mitzuteilen, von
der didaktischen Schutzfunktion eines Lehrenden, dafür zu sorgen, dass sich Schüler
nicht bloßstellen, gerahmt werden muss.

5. Primat der Didaktik

Die Verbesserung von Kommunikationsmöglichkeiten und das Vorhandensein multime-


dialen Lernmaterials bilden lediglich die Voraussetzung für eine Veränderung des Fremd-
sprachenlernens, sie selbst sind diese Veränderungen nicht. Das Deutschlernen durch
Kontakte in virtuellen Lernumgebungen oder mit Texten und Videos aus dem Netz ist
unter didaktischen Gesichtspunkten kein neuer Gegenstand, sondern die technologisch
neu gestaltete Verlängerung der existierenden Diskussionen um Begegnungslernen und
die Rolle von authentischen Texten im Unterricht. Die seit den 1970er Jahren geführte
Diskussion um authentisches vs. progressionsgeleitetes Material im Klassenzimmer im
Anfängerbereich z. B. hat sich durch das Internet nicht qualitativ verändert; verändert
haben sich die Menge des Angebotes und vor allem die leichte Erreichbarkeit von ziel-
sprachigen Texten und Sprechern.
Die Fremdsprachendidaktik tut deshalb gut daran, zurückliegende Phasen der Medi-
eneuphorie genau zu betrachten, um zu vermeiden, strukturell gleiche Fehler aufs Neue
zu begehen. Die anfängliche Euphorie für die neuen CALL-Übungen spiegelt schließlich
die ursprüngliche Euphorie für das Sprachlabor, die für die komplexen digitalen Multi-
media-Lernumgebungen die für die analogen Medienverbünde aus der Hochzeit der
1212 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

kommunikativen Didaktik. Solange der Blick der Didaktiker auf das Lehren und Lernen
des Deutschen fokussiert bleibt und vor allem solange das Lernen mit neuen Medien
durch empirische Forschung wie z. B. von Schmidt (2007, kooperatives Arbeiten mit
individualisierender Lernsoftware), Würffel (2008, Strategien bei der Arbeit mit digitalem
Selbstlernmaterial) und Scheller (2009, animierte Grammatikdarstellung) begleitet wird,
besteht die Chance, dass weder durch immer schöner blinkende Geräte noch durch fun-
kelnde allgemeine Konzepte, die die neuen Medien für die Durchsetzung eines schon
wieder neuen Paradigmas missbrauchen, dem Fremdsprachenlernen im Namen einer
technologischen Entwicklung Lehr- und Lernweisen aufgezwungen werden, die für die
jeweils konkreten Lernenden nicht angemessen sind.

6. Literatur in Auswahl

Ballweg, Sandra
2008 „Wann ist die nächste Sprechstunde?“ ⫺ Betreuung und Beratung im Online Writing
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Belz, Julie A. und Steven L. Thorne (Hrsg.)
2005 Internet-Mediated Intercultural Foreign Language Education. Boston: Heinle.
Belz, Julie A. und Andreas Müller-Hartmann
2003 Teachers as intercultural learners: negotiating German-American telecollaboration along
the institutional faultline. The Modern Language Journal 87(1): 71⫺89.
Biebighäuser, Katrin und Gabriela Marques-Schäfer
2009 Text Chat und Voice Chat. Eine Analyse der Chat-Angebote des Goethe-Instituts in
JETZT Deutsch lernen und in Second Life. Informationen Deutsch als Fremdsprache 5:
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Biechele, Markus, Dietmar Rösler, Stefan Ulrich und Nicola Würffel
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136. Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1213

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2007 E-Learning Fremdsprachen. Eine kritische Einführung. Tübingen: Stauffenburg.
Rösler, Dietmar
2008 Deutsch als Fremdsprache mit digitalen Medien ⫺ Versuch einer Zwischenbilanz im Jahr
2008. Informationen Deutsch als Fremdsprache 35(4): 373⫺389.
Scherling, Theo und Hans-Friedrich Schuckall
1992 Mit Bildern lernen. Handbuch für den Fremdsprachenunterricht. Berlin: Langenscheidt.
Scheller, Julia
2009 Animation in der Grammatikvermittlung: Multimedialer Spracherwerb am Beispiel von
Wechselpräpositionen. Berlin: LIT.
Schmenk, Barbara
2008 Lernerautonomie: Karriere und Sloganisierung des Autonomiebegriffs. Tübingen: Narr.
Schmidt, Torben
2007 Gemeinsames Lernen mit Selbstlernsoftware im Englischunterricht. Eine empirische Analyse
lernprogrammgestützter Partnerarbeitsphasen. Tübingen: Narr.
Schmidt, Torben
2009 Mündliche Lernertexte auf der 2.0.-Bühne ⫺ Mediale Inszenierungen im Englischunter-
richt am Beispiel eines Schulpodcast-Projekts. Forum Sprache 1: 24⫺42
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2001 Die Funktion der Medien in den Methoden des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts.
In: Gerhard Helbig, Lutz Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch
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und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺2). Berlin/New York: de Gruyter.
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1949 The Mathematical Theory of Communication. Urbana: University of Illinois Press.
Tamme, Claudia
2001 E-Mail-Tutorien: eine empirische Untersuchung E-Mail-vermittelter Kommunikationen von
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http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2003/1009/ (2. 1. 2010).
Würffel, Nicola
2006 Strategiegebrauch bei Aufgabenbearbeitungen in internetgestütztem Selbstlernmaterial. Tü-
bingen: Narr.
Würffel, Nicola
2008 Kooperatives Schreiben im Fremdsprachenunterricht: Potentiale des Einsatzes von So-
cial-Software-Anwendungen am Beispiel kooperativer Online-Editoren. Zeitschrift für In-
terkulturellen Fremdsprachenunterricht 13(1): 26 S.

Dietmar Rösler, Gießen (Deutschland)


137. Lehrwerke im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1215

137. Lehrwerke im Deutsch als Fremd- und Deutsch


als Zweitsprache-Unterricht
1. Zur Funktion von Lehrwerken im Unterricht
2. Lehrwerkentwicklung
3. Lehrwerkkritik und Lehrwerkanalyse
4. Lehrwerkforschung
5. Regionale Lehrwerke
6. Perspektiven
7. Literatur in Auswahl

1. Zur Funktion von Lehrwerken im Unterricht

Mit Begriffen wie Lehrbuch, Lehrwerk, Unterrichts- bzw. Lehrmedium, Lehr- und Lernma-
terialien u. a. wird all das bezeichnet, was dazu dient, Lernen anzuregen, zu stützen und
zu steuern. Dabei signalisiert Lehrwerk gegenüber Lehrbuch, dass außer dem schriftlichen
Material auch Medien, evtl. Internet-Plattformen o. ä. dazugehören und einen Medien-
verbund bilden.
Auch wenn die Lehrkraft die Entscheidungen über die Verwendung von Lehrmaterial
trifft, so nehmen Lehr-/Lernmaterialien schon dadurch, dass aus der Vielfalt authenti-
scher Materialien ausgewählt und das angebotene Sprachmaterial in eine Reihenfolge
gebracht wird, Einfluss auf den Ablauf des Lehr-Lernprozesses. Lehrmaterialien können
als Ergänzung zum Unterricht oder aber kurstragend konzipiert sein, d. h. dass sie dem
vorgesehenen Curriculum entsprechen bzw. sich der Unterricht an ihrer Progression ori-
entiert. Auch kurstragendes Lehrmaterial wird jedoch vielfach von Lehrenden als „Stein-
bruch“ benutzt (vgl. Rösler und Skiba 1987), um den eigenen Unterricht zu erweitern
oder an die Bedürfnisse einer Lerngruppe anzupassen.
Im Hinblick auf die Rolle von Lehrwerken im Deutschunterricht werden im Folgen-
den vier zentrale Relationen herausgehoben:

1.1. Lehrwerke und Lehr-/Lernziele: Lehrwerke orientieren sich in der Regel an vorhan-
denen Curricula oder Prüfungen, um damit ihre Verwendungschancen zu verbessern und
eventuell vorhandene Zulassungshürden zu passieren. Sie bilden die Lehr- und Lernziele
im Bereich der Texte und Themen, der Grammatik, der Vermittlung von Lernstrategien
oder im Bereich des interkulturellen Lernens ab und bringen den Lehrstoff in eine Rei-
henfolge, die eine systematische, zielgerichtete Progression erlaubt. Sind keine Lehrpläne
vorhanden, rücken Lehrwerke gelegentlich an ihre Stelle und stellen die curriculare Leitli-
nie für den Unterricht dar. Die Niveaustufenbeschreibungen des Gemeinsamen europä-
ischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) dienen insbesondere im Bereich der Erwach-
senenbildung als Orientierungsgröße für Prüfungen wie auch für Lehrwerke.

1.2. Lehrwerke und Lehrinhalte: Außerhalb des deutschsprachigen Raumes stellen die
in Lehrwerken enthaltenen Texte und Themen den zentralen Zugang zur fremden Spra-
che und Kultur dar und legen damit fest, in welchen Situationen, mit welchen Texten die
1216 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

deutsche Sprache im Unterricht erlernt und praktiziert werden kann. Mit der kommuni-
kativen Methode hat sich für Lehrwerke die Forderung nach authentischen Texten und
die Orientierung an Alltagssituationen durchgesetzt, so dass literarische Texte vielfach
ganz aus den Lehrwerken verschwunden waren. Seit den 1990er Jahren zeichnet sich
hier jedoch eine Schwerpunktverlagerung ab: Im Hinblick auf interkulturelle Lehr- und
Lernziele und Lehrinhalte haben literarische Texte wieder an wieder an Bedeutung ge-
wonnen (vgl. Mummert 2006).
Was die Landeskunde betrifft, so verträgt sich die Forderung nach Aktualität nicht
mit dem klassischen Lehrbuch, das schnell veraltet. Hier erscheint das Internet als Alter-
native: Die Vernetzung von Daten, die Verbindung von Text, Bild und Ton und die
Aktualität sind Bereiche, in denen ein klassisches Lehrwerk, auch wenn es den Medien-
verbund nutzt, nicht mehr konkurrenzfähig ist (vgl. Art. 138). Allerdings hapert es hier
wie bei der Orientierung am GeR an der zielgruppenspezifischen Auswahl und Adaption.
Aufbereitete Medien (Zeitungen wie z. B. Authentik oder der Österreich-Spiegel ) werden
als ein Mittelweg zwischen authentischem Material und einer didaktisch verantworteten
ziel(gruppen)orientierten Auswahl angeboten.

1.3. Lehrwerke und die Lernenden: Lehrwerke richten sich an die Lehrkräfte; Lernende
erleben Lehrwerke in der Regel als eine Vorgabe, die dazu führt, eigene Interessen im
Unterricht zugunsten einer Orientierung am Lehrwerk zurückzustellen (vgl. Quetz 1976).
Immer wieder sind daher Versuche gemacht worden, Unterricht unter Verzicht auf Lehr-
werke in stärkerem Maße an den Lernenden zu orientieren. Der französische Reformpä-
dagoge Célestin Freinet hat insbesondere die „Gleichschaltung“ und die „Indoktrina-
tion“ der Lernenden durch Lehrbücher kritisiert und den Unterricht ohne Lehrbuch,
durch Handeln und Kommunikation und ein produktives Umgehen mit Medien und
Materialien (z. B. durch schuleigene Druckereien, in denen schülereigene Texte „veröf-
fentlicht“ werden), zum Programm erhoben (vgl. Dietrich 1995: 26⫺29). Mit der Forde-
rung nach Lern(er)autonomie ist dieser Gedanke seit den 1990er Jahren wieder aufgegrif-
fen worden: Die Übertragung unterrichtsrelevanter Entscheidungen an die Lernenden
gerät in Konflikt mit der Steuerung des Unterrichts durch Lehrwerke.

1.4. Lehrwerke in Abhängigkeit von Lehrmethoden: Lehrwerke spiegeln in der Regel


den jeweiligen Stand der fremdsprachendidaktischen Diskussion und sind insoweit Mani-
festationen der im Erscheinungszeitraum herrschenden methodischen Vorstellungen von
Deutschunterricht. Götze (1994: 29⫺30) unterscheidet auf Grund der jeweiligen metho-
dischen Ausrichtung fünf Lehrwerkgenerationen:

a) Grammatikorientierte Lehrwerke in der Tradition der Grammatik-Übersetzungsme-


thode (z. B. Deutsche Sprachlehre für Ausländer von Heinz Griesbach und Dora
Schulz, 1955);
b) Audio-linguale bzw. audio-visuelle Lehrwerke im Gefolge der audiolingualen Me-
thode (z. B. Vorwärts International von E. J. Arnold et al. 1974);
c) Kommunikative Lehrwerke im Anschluss an die pragmatische Wende in der Fremd-
sprachendidaktik (z. B. Deutsch aktiv von Gerhard Neuner et al. 1987 ff.);
d) Interkulturell ausgerichtete Lehrwerke im Gefolge der Bemühungen, die Selbst- und
Fremdwahrnehmung im Unterricht zum Thema zu machen und Kulturbegegnung zu
137. Lehrwerke im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1217

ermöglichen (z. B. Sprachbrücke von Gudula Mebus et al. 1989⫺1990 und Sichtwech-
sel von Martin Hog et al. 1984 bzw. Sichtwechsel Neu von Saskia Bachmann et al.
1995 f.);
e) Als fünfte Generation bezeichnet Götze Lehrwerke, die er der ,mentalistischen
Wende‘ in der Methodik zurechnet, die also in stärkerem Maße kognitives Lernen ins
Zentrum rücken (z. B. Die Suche von Volker Eismann et al. 1993 f.). Die Abgrenzung
dieser fünften Lehrwerkgeneration ist allerdings strittig, da von einer kognitiven
Wende im Bereich der Methodik keineswegs durchgehend die Rede sein kann, eher
vielleicht von einem Ende starrer Methodenkonzeptionen, was auch dazu führt, dass
neuere Lehrwerke keinem einheitlichen methodischen Konzept mehr verpflichtet sind
(vgl. die Diskussion in Bausch et al. 1998) und sich vor allem an Prüfungsvorgaben
und dem GeR orientieren.

2. Lehrwerkentwicklung

In der DDR galten Lehrwerke als wichtige Instrumente zur „Umsetzung von Grundposi-
tionen der Erziehung und Bildung in die Praxis des Unterrichts.“ (Breitung et al. 1982:
19). Am Herder-Institut spielte die Entwicklung von Lehrmaterial daher eine wichtige
Rolle; seine Entwicklung war auch Gegenstand theoretischer Reflexion. In Westeuropa
dagegen war und ist die Entwicklung von Lehrwerken nur selten Gegenstand wissen-
schaftlicher Überlegungen. Das mag darin begründet sein, dass in die Entwicklung von
Lehrmaterial in hohem Maße kommerzielle Überlegungen einfließen, auch darin, „dass
sich der kreative Prozeß der Ausarbeitung eines Planungsschemas einer systematischen
Beschreibung entzieht“ (Neuner 1994: 230). Insgesamt ist wohl zu bedenken, dass das
Verhältnis der Fremdsprachendidaktik zur Unterrichtspraxis eher analytischer Natur ist,
während Präskription, sowohl was die Unterrichtsplanung, als auch was die Lehrwerk-
entwicklung betrifft, als unwissenschaftlich angesehen wird. Allerdings werden immer
wieder Forderungen nach stärker theoriegeleiteter Lehrwerkentwicklung erhoben (vgl.
Tulodziecki 1983). Auf der Grundlage von Untersuchungen zur Textverständlichkeit und
Textverarbeitung, insbesondere mit Hilfe des sog. Hamburger Verständlichkeitskonzepts
(vgl. Langer et al. 1981) ist versucht worden, Grundsätze für die Gestaltung von Lehrma-
terial zu entwickeln. Wißner-Kurzawa (1985) hat anhand der Konstruktion von gramma-
tikalischen Texten für den Französischunterricht nachweisen können, dass die Verständ-
lichkeit von Instruktionstexten unter Nutzung solcher Erkenntnisse optimiert werden
kann. Konzepte des autonomen Lernens haben zu Überlegungen geführt, wie denn Lehr-
werke gestaltet werden können, die den Lernenden zu mehr Selbstbestimmung beim
Fremdsprachenlernen verhelfen. Nodari entwickelt entsprechende grundlegende Prinzi-
pien der Lehrwerkgestaltung, die die Verknüpfung des Sprachenlernens mit allgemein-
erzieherischen Zielen, Grundlagen für kommunikatives und kooperatives Sprachhandeln
im Unterricht und die Förderung des autonomen Lernens betonen (Nodari 1995: 181⫺
182). Auch bei diesen Grundsätzen wird deutlich, dass sich die Lehrwerkgestaltung nicht
linear aus wissenschaftlichen Erkenntnissen (hier etwa der Kognitionswissenschaften) ab-
leiten lässt, sondern in solche Grundsätze stets die bildungspolitischen Leitvorstellungen
der jeweiligen Zeit einfließen (vgl. genauer Krumm und Duszenko 2001).
1218 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

3. Lehrwerkkritik und Lehrwerkanalyse

Eine kritische Auseinandersetzung mit Lehrwerken findet in vielfältiger Form statt, seit
es Lehrwerke gibt: Die Entscheidung eines Lehrenden oder einer Institution, ein be-
stimmtes Lehrwerk zu verwenden, beruht auf der Anwendung mehr oder weniger be-
wusster Beurteilungs- und Auswahlkriterien. Der Schulausschuss der deutschen Kultus-
ministerkonferenz ließ z. B. 1977 die Lehr- und Lernmittel für Deutsch als Fremdsprache
(gemeint waren die für den Deutsch als Zweitsprache-Unterricht in Deutschland geeigne-
ten Lehrmaterialien) überprüfen und gab dazu eine Empfehlung ab (vgl. Schulausschuß
1977). Jedes Lehrwerk, das in Österreich an öffentlichen Schulen verwendet werden soll,
unterliegt einem Prüfungsverfahren durch eine vom Unterrichtsministerium berufene
Kommission; die Zulassungskriterien (u. a. Übereinstimmung mit dem Lehrplan, Be-
rücksichtigung der Selbsttätigkeit des Schülers, Berücksichtigung österreichischer Ver-
hältnisse, Gleichbehandlung von Mann und Frau) sind durch eine im Bundesgesetzblatt
veröffentlichte Ordnung festgelegt (vgl. Müller 1976).
Mit der Gründung eines „Arbeitskreises Lehrwerkforschung ⫺ Lehrwerkkritik“ ha-
ben Heuer und Müller den Anstoß zur Entwicklung einer wissenschaftlichen Lehrwerk-
kritik gegeben (vgl. Heuer und Müller 1973, 1975; Neuner 1979). Das Mannheimer Gut-
achten hat diese Impulse für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache aufgegriffen. Entstan-
den ist es auf Grund einer Anregung der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes der
Bundesrepublik Deutschland: Eine interdisziplinär zusammengesetzte Kommission von
Wissenschaftlern unter dem Vorsitz von Ulrich Engel vom Institut für Deutsche Sprache
in Mannheim erarbeitete einen Kriterienkatalog zur Bewertung von Lehrwerken (vgl.
Krumm et al. 1975) und legte umfassende Analysen der seinerzeit gängigen, in der Bun-
desrepublik publizierten Lehrwerke für Deutsch als Fremdsprache vor (vgl. Engel et
al. 1977, 1979). Die Kriterien des Mannheimer Gutachtens bewerten die didaktischen
Konzeptionen, die linguistischen Grundlagen wie z. B. den Ausschnitt der vermittelten
Sprache, die Art der Grammatikvermittlung, Texte und Kontrastivität, und die Themen-
planung, wozu die Frage der Literatur und der Landeskunde gerechnet wird (zu den
Kriterien im einzelnen vgl. Engel et al. 1979: 9⫺29).
Lehrwerkkritik versucht, vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse, unterrichtliche
Erfahrungen und didaktische Zielvorstellungen in einer hermeneutischen Lehrwerkana-
lyse zu bündeln. Sowohl die Auswahl der zu Grunde gelegten Kriterien als auch deren
Anwendung auf konkrete Materialien stellen, selbst wenn die Lehrwerkkritik als interdis-
ziplinäre Teamarbeit angelegt ist, Formen einer subjektiven Interpretation dar, die ⫺
auch im Falle des Mannheimer Gutachtens ⫺ durchaus kontrovers diskutiert werden
können (vgl. die Diskussion in Zielsprache Deutsch 1978). Zugleich wurde mit dem
Mannheimer Gutachten für das Fach eine Tradition der Lehrwerkkritik und -analyse
begründet (vgl. z. B. Schmidt 1994). Gegenüber der Behauptung, nur Erfahrung erlaube
eine angemessene Beurteilung von Lehrwerken (vgl. die Kritik an einer „spekulativen
Lehrwerkkritik“ bei Heindrichs et al. 1980: 149⫺150) steht hinter den Lehrwerkgutach-
ten die Überlegung, dass Erfahrung auch blind machen könne für neue Ansätze und
Möglichkeiten, dass es also erforderlich sei, Lehrwerke auch unabhängig von ihrer prak-
tischen Erprobung auf die Übereinstimmung mit didaktischen und fachlichen Konzepten
zu überprüfen. Anhand von Lehrwerken für den Sachunterricht in der Schule haben
Rauch und Wurster (1997) deutlich machen können, dass eine Schreibtischevaluation von
137. Lehrwerke im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1219

Lehrwerken zu durchaus vergleichbaren Ergebnissen kommen kann wie eine aufwendige


Praxisevaluation.
Die Weiterentwicklung der Lehrwerkkritik ist insbesondere dadurch gekennzeichnet,
dass die Analysekriterien präziser auf unterschiedliche Lerngruppen abgestimmt wurden.
So entwickelte eine Arbeitsgruppe im Rahmen des Sprachverbandes Deutsch für auslän-
dische Arbeitnehmer 1979 Kriterien, die eine Überprüfung von Lehrwerken im Hinblick
auf ihre Eignung für den Unterricht mit Arbeitsmigranten zum Ziel haben und legte ein
entsprechendes Lehrwerkgutachten vor (vgl. Barkowski et al. 1980); der Sprachverband
hat entsprechend den veränderten Zielgruppen und Rahmenbedingungen in regelmäßi-
gen Abständen neue Kriterien und Lehrwerkanalysen vorgelegt. Stand 1980 noch die
Gruppe der Arbeitsmigranten in ihrer „Bahnhofssituation“ im Zentrum, so stellt sich
für neuere Lehrwerke die Frage, wie weit sie der mehrsprachigen Gesellschaft und der
bikulturellen Identität der Zielgruppe gerecht werden (vgl. Sprachverband 1997; Kuhs
2001).
Für fachsprachliche Lehrwerke haben Beier und Möhn 1982 sowie Buhlmann und
Fearns 1987 Kriterien für eine Lehrwerkbeurteilung wie auch Anforderungen an Lehr-
werke formuliert, allerdings keine entsprechenden Analysen vorgenommen.
Neben der durch Lehrwerkgutachten repräsentierten Lehrwerkkritik, die auf eine Be-
urteilung von Lehrwerken im Ganzen zielt, stehen Analysen einzelner Aspekte von Lehr-
werken, so z. B. die Landeskunde (vgl. Ammer 1988; Kramsch 1987; 1988; Warmbold
1993; Wegner 1999), die Grammatik (vgl. Müller-Küppers 1991; Götze 1994; Latour
1994), aber auch die Funktion von Bildern, die Rolle von Männern und Frauen u. ä.
(vgl. die Beiträge in Kast und Neuner 1994 sowie Krumm und Duszenko 2001).

4. Lehrwerkorschung
Im Unterschied zur Lehrwerkkritik und Lehrwerkanalyse, die das Lehrwerk als Produkt
untersuchen, zielt Lehrwerkforschung im Sinne einer Wirkungsforschung auf den Lern-
und Unterrichtsprozess. Dabei ist zwischen einer systematischen Erprobung von Lehr-
werken eventuell schon im Rahmen ihrer Entwicklung und einer Wirkungsforschung, die
die Nutzung der Lehrwerke durch Lehrende und Lernende und ihre Wirkung insgesamt
oder aber von einzelnen Elementen auf die Beteiligten untersucht, zu unterscheiden.
Schließlich ist auch die historische Forschung in Betracht zu ziehen, geben Lehrwerke
doch einen Einblick in das Verständnis des Sprachenlehrens und -lernens in der Vergan-
genheit.

4.1. Lehrwerkerprobung: Auch wenn Lehrwerkautoren oder -verlage immer wieder auf
eine der Publikation vorausgegangene Erprobung von Lehrwerken verweisen, hat sich
im Bereich des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache kein Standard etabliert, nach
dem solche Erprobungen systematisch durchgeführt und auch publiziert werden. Sie hät-
ten Auskunft zu geben über erreichte Wirkungen, über Fehleinschätzungen und auf
Grund der Erprobung durchgeführte Korrekturen (vgl. Krumm 1982). Solche Erprobun-
gen ließen sich als erste Stufe einer unterrichtsbezogenen Lehrwerkforschung betrachten
und würden vor allem die Lehrwerkentwicklung auf eine empirische Grundlage stellen.
Einen Schritt in diese Richtung leistete die Darstellung der Begleituntersuchung zu dem
Projekt Sprachbrücke, in dem es um die Entwicklung von Curricula und Lehrmaterialien
für den Deutschunterricht mit Familienangehörigen der amerikanischen Streitkräfte in
1220 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

Deutschland ging (Legutke 1997a). Die Erprobung des Materials schloss die Untersu-
chung des Gebrauchs, den Lehrende und Lernende von dem Materialangebot machen,
ein (De Leeuw und Legutke 1997; Legutke 1997b). Auch hier fehlen allerdings Auskünfte
darüber, welche Konsequenzen im Konkreten für die Überarbeitung des Lehrmaterials
gezogen wurden.

4.2. Lehrwerkwirkung: Die Untersuchung der Wirkungen von Lehrwerken auf den Un-
terrichtsprozess, ihrer Nutzung durch Lehrende und Lernende kann teilweise an Er-
kenntnisse in anderen Fächern (z. B. hinsichtlich der Stereotypenforschung) und anderer
Fremdsprachen anknüpfen und hieraus Konsequenzen auch für den Deutschunterricht
ableiten. So dürften die folgenden, in anderen Unterrichtsfächern gewonnenen Erkennt-
nisse durchaus auch für den Deutschunterricht zutreffen:
a) Bis weit in die 1980er Jahre wird der Unterricht bis zu 80 % vom Lehrmaterial domi-
niert; Lehrende tendieren dazu, das Ausbrechen der Lernenden aus den Vorgaben des
Lehrwerks immer wieder zu verhindern und den Unterricht am Lehrwerk zu orientie-
ren (vgl. Quetz 1976; Niskanen 1987). Dass Lehrende den Aktualisierungsspielraum
kaum nutzen, den ihnen Lehrwerke bieten, mag auch in einer fehlenden Ausbildung
begründet sein.
b) Die Verwendung von schriftlichem Lehrmaterial „scheint als Ergebnis das Verschwin-
den von schülerzentrierten und kooperativen Arbeitsformen (…) und eine deutliche
Einseitigkeit im Gebrauch von Aktivitätsformen hervorzubringen“ (Koskenniemi und
Koumulainen 1983: 17). Das könnte aber auch darin begründet sein, dass Lehrende
Materialien vermissen, die es erlauben, unterschiedlichem Lernverhalten gerecht zu
werden (vgl. Niskanen 1987: 13⫺14).
c) Untersuchungen zur Entwicklung der Lernersprache legen die Vermutung nahe, Ler-
nende würden die im Lehrwerk gelieferten Kommunikationsmodelle strukturell ver-
einfacht und unter Reduktion von semantischer Komplexität übernehmen (vgl. Hül-
len und Lörscher 1979), wenn Lehrende nicht gegensteuern.
d) Die wenigen vorliegenden Untersuchungen über die Reaktionen der Lernenden auf
Lehrwerke zeigen eher negative Einschätzungen des Faktors Lehrwerk. 1986 hatten
bei einer Umfrage des Goethe-Instituts 61,2 % der Befragten ihre Lehrbücher als ins-
gesamt nicht positiv beurteilt, auch in der Studie von Slivensky, bezogen auf den
Deutschunterricht in Japan, bleiben die Einstellungen zum Nutzen von Lehrwerken
eher negativ.

Tab. 137.1: Haben Sie mit Ihrem Lehrbuch viel gelernt? (Slivensky 1996: 210)
Kommunikatives Lehrbuch: Grammatisch orientiertes Lehrbuch:
n ⫽ 127 n ⫽ 423
in %
Ja, sehr viel 1,6 3,8
ziemlich viel 27,7 30
nicht so viel 58 61,7
Zu wenig 3,9 2,8

4.3. Historisch orientierte Lehrwerkforschung: Die historische Lehrwerkforschung be-


trachtet Lehrwerke als Indikatoren nicht nur des jeweiligen Standes der Sprachdidaktik,
sondern zugleich als Manifestationen gesellschaftlicher Entwicklungen wie z. B. der Ein-
stellung zur fremden Sprache und Kultur.
137. Lehrwerke im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1221

An seinen Lehrbüchern erkennt man ein Volk. Ihre soziologische Funktion ist eine
doppelte: sie spiegeln und sie prägen. Das Lesebuch gehört zu jenen institutionel-
len Einrichtungen, die, aus dem Nationalcharakter herausgewachsen, ihrerseits
diesem zu einer festen Form verhelfen. (Minder 1953: 1)

So betrachtet Karnein (1976) das Sprachbuch von Meister Jörg nicht nur als frühes
Lehrwerk unter dem Aspekt der vermittelten Sprache, sondern zugleich als Dokument,
das Auskunft über den Gebrauchswert der deutschen Sprache gibt. Bei Krauskopf (1985)
werden französische Deutsch- und deutsche Französischlehrwerke daraufhin untersucht,
wie das jeweilige Fremdbild ausgestaltet ist und ob die Aufbereitung der Themen zur
Vermeidung von Missverständnissen beitragen kann. Wegner (1997) bezieht in ihre um-
fangreiche Studie zur Geschichte des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts in Frank-
reich und England seit 1900 auch die dort erschienenen Deutschlehrwerke ein. Ihre Ana-
lyse macht deutlich, dass sich jenseits des universalen fremdsprachendidaktischen Kon-
senses über eine kommunikative Orientierung des Unterrichts und der Lehrwerke
nationale Traditionen und Tendenzen in den Richtlinien und Lehrwerken der beiden
Länder behaupten: Während der Deutschunterricht in Frankreich sich bis in die Gegen-
wart als eine éducation civique versteht, die auch auf einer „Abgrenzung vom Anderen
durch historisch-ethnische, kulturelle und literarische Konstrukte beruht“, zielen
Deutschunterricht und Lehrwerke in England auf „social competence“ und interkultu-
relle Verständigung (alle Zitate: Wegner 1999: 426⫺427).

Die Determinierung des Deutschunterrichts in Frankreich und England durch na-


tionale Diskurse erlaubt, was die vergangenen hundert Jahre betrifft, weder die
Rede von europäischen Traditionen und Modernitäten noch Spekulationen über
europäische Konvergenzen in der Gegenwart. (Wegner 1999: 333)

Zu einer auch andere Länder einbeziehenden historischen Lehrwerkforschung, die zu-


sätzlich das Verhältnis zwischen den in deutschsprachigen Ländern erschienenen Lehr-
werken und ihren regionalen Adaptionen einbezieht, liegen erst wenige Studien vor:
Röttger (2004) z. B. untersucht die Rezeption der in Deutschland erschienenen Lehr-
werke Sprachbrücke (Mebus et al. 1987 ff.) und Sichtwechsel (Bachmann et al. 1995 f.) in
Griechenland, Petneki und Szablyár (1998) entwickeln erste Strukturen einer ungari-
schen, Min (2001) die einer koreanischen Lehrwerkforschung (vgl. auch Abschnitt 5).
Für Deutsch als Zweitsprache gibt es, von einigen Diplom- und Magisterarbeiten zu
Einzelaspekten abgesehen, überhaupt noch keine entwickelte Lehrwerkforschung.

5. Regionale Lehrwerke

Wie problematisch es sein kann, methodische Konzepte bzw. Lehrwerke, die im deut-
schen Sprachraum entwickelt wurden, direkt in andere Bildungskontexte zu übertragen,
zeigen die Studie von Ngatcha (1991) zu Kamerun ebenso wie die Untersuchung von
Röttger (2004) zu Griechenland: Röttger weist nach, dass bereits innerhalb Europas
Selbst- und Fremdbilder, historische Konstellationen und Dominanzverhältnisse sich
auch in der Reaktion auf und Arbeit mit Lehrwerken spiegeln, so dass ein Methoden-
1222 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

und Materialtransfer einer interkulturellen Reflexion und Didaktik bedarf. Auch Grüne-
wald (2005), der in einer Longitudinalstudie prüft, wie sich die Deutschland- und Deut-
schenbilder bei japanischen Deutschlernenden verändern, arbeitet die methodischen und
inhaltlichen Nachteile europäischer Lehrwerke für den Deutschunterricht in Japan he-
raus (vgl. auch Terada und Holzer-Terada 2002). Auch im Fach Deutsch als Fremdspra-
che ist daher seit den 1980er Jahren eine Debatte über Methodentransfer und die Not-
wendigkeit regionaler Lehrwerke entstanden (vgl. Krumm 1987 sowie im einzelnen Brei-
tung und Lattaro 2001). Als Beitrag zu dieser Diskussion sind die Kriterien für die
Lehrwerkanalyse anzusehen, die auf spezifische Lehr- und Lernbedingungen in einzelnen
Ländern Bezug nehmen und in der Regel auch unter Einbeziehung von Experten und
Praktikern dieser Länder entwickelt wurden: Beispiele hierfür sind der Stockholmer Kri-
terienkatalog (vgl. Krumm et al. 1987 und 1994), dem die Situation in den nordischen
Ländern zu Grunde liegt, und der Brünner Kriterienkatalog, der in der tschechischen
Republik erarbeitet wurde (vgl. Jenkins 1997). Als beispielhaft kann auch das von der
Europäischen Union geförderte Projekt „Interkultureller Dialog durch regionalisierte
Lehrwerke (idial)“ angesehen werden, in dem regionalspezifische interkulturelle Lehrma-
terialien für den Deutschunterricht bulgarisch-, polnisch- und slowakischsprachiger Ler-
nender sowie umgekehrt Material für Bulgarisch, Polnisch, Russisch und Slowakisch für
deutschsprachige Lernende entwickelt wurde.
Die Erkenntnis, dass eine Anpassung von Methoden und Lehr-Lernmaterial an Ler-
nende mit anderen sprachlichen, kulturellen und Lernerfahrungen nicht nur in anderen
Kulturräumen, sondern ebenso für den Deutsch als Zweitsprache-Unterricht bei Lernen-
den mit Migrationshintergrund im deutschen Sprachraum erforderlich ist, setzt sich ge-
rade erst durch, wobei die Lehrwerkentwicklung für Deutsch als Zweitsprache den An-
sprüchen an eine interkulturelle, angepasste Methodik noch nicht immer gerecht wird
(vgl. Art. 6).

6. Perspektiven
Lehrwerkforschung und Lehrwerkanalyse verfolgen stets mehrere Zwecke: die Weiterent-
wicklung unserer Kenntnisse über Sprachlehr- und -lernprozesse ebenso wie eine kon-
krete Verbesserung des vorhandenen Lehrmaterials. Folgende Gesichtspunkte könnten
für die weitere Entwicklung leitend sein:
1. die Weiterentwicklung von Analysekriterien, um Lehrenden für die Lehrbuchauswahl
und Lehr-Lernmaterialautoren für die Entwicklung von Lehrwerken begründete und
dem jeweiligen Erkenntnisstand entsprechende Gesichtspunkte an die Hand zu geben;
2. die vorausgehende Erprobung und begleitende Evaluierung von Lehr-Lernmaterialien
im Sinne einer Praxisforschung, die die Lehrenden und, soweit möglich, auch die
Lernenden in den Erprobungs-Entwicklungs-Zyklus einbezieht (vgl. März 1996);
3. die weitere Erforschung der Wirkungen von Lehrwerken, wobei es zunächst einmal
darum geht zu untersuchen, wie Lehrende und Lernende überhaupt das Material nut-
zen, ob sie die Aktualisierungsspielräume ausschöpfen; auch die Klärung der Rolle
zahlreicher Einzelfaktoren steht weiterhin aus: so die Rolle von visuellen Darstellun-
gen, der graphischen Aufbereitung und technischen Konfektionierung ebenso wie ins-
besondere der Zusammenhang zwischen Lehrwerkgestaltung und Lernerwartungen;
137. Lehrwerke im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht 1223

schließlich wären längerfristige Fallstudien und Begleituntersuchungen zu wünschen,


da die Arbeit mit Lehr-Lernmaterial sich ja erst in einem langfristigen Lehr-Lernpro-
zess auswirkt;
4. besondere Defizite bestehen noch hinsichtlich der Eignung von Lehrwerken im Be-
reich Deutsch als Zweitsprache, d. h. mit multilingualen und multikulturellen Lern-
gruppen, wo Lehrwerke einen Beitrag sowohl zur Sprachförderung als auch zur Inte-
gration leisten müssen (vgl. Art. 10, Art. 120⫺122);
5. außerdem stellt sich die Aufgabe, die Lehrenden zu befähigen, die Lehrbuchdominanz
zurückzudrängen, was eine erhöhte Lehrerkompetenz voraussetzt. Das bedeutet, dass
Lehrwerkanalysen in Verbindung mit autonomiefördernden Übungsaktivitäten be-
reits in der Lehrerausbildung praktiziert werden sollten, damit Lehrende das Angebot
an schülerzentrierten und kooperativen Arbeitsformen, das neuere Lehrwerke bereit-
stellen, auch nutzen können.

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138. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Lernen in elektronischen Umgebungen 1227

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1978 Sonderteil: Kritische Beiträge zum Mannheimer Gutachten. Heft 2.

Hans-Jürgen Krumm, Wien (Österreich)

138. Deutsch als Fremd- und Deutsch als


Zweitsprache-Lernen in elektronischen
Umgebungen
1. Einleitung
2. Bestandteile elektronischer Umgebungen beim DaF-/DaZ-Lernen: ein systematischer Überblick
3. Offline-Anwendungen
4. Online-Anwendungen
5. Fazit
6. Literatur in Auswahl

1. Einleitung

In ihrem Buch „Fremdsprachenlernen in der Wissensgesellschaft“ formulierten Rüschoff


und Wolff die These (und ihre Hoffnung), dass die „Neuen Technologien“ dazu prädesti-
niert seien, Veränderungen im Fremdsprachenunterricht einzuleiten, Veränderungen in
dem Sinne, dass „etablierte Positionen der Fremdsprachendidaktik in Frage gestellt wer-
den“ oder dass der „Einsatz der Neuen Technologien vielleicht sogar zu einer völligen
Neubewertung herkömmlicher Positionen bzw. zu einer Abkehr von ihnen führen“ könn-
ten (Rüschoff und Wolff 1999: 51⫺52). Sie waren außerdem der Ansicht, dass die Neuen
Technologien durch ihre Multimedialität, Multimodalität und Hypertextualität lerneffi-
zienter sein können als herkömmliche Medien, dass sie ein hohes Potenzial als Lernres-
sourcen darstellen, zeitliche und örtliche Flexibilität unterstützen und Diversifizierung in
Hinblick auf individuelle Lernende (und z. B. ihre Lerngeschwindigkeit) ermöglichen
(vgl. Rüschoff und Wolff 1999: 52⫺54). Knapp zehn Jahre später muss man feststellen,
dass sich ein nachhaltiges Infragestellen etablierter Positionen, welches man noch dazu
in einen direkten Zusammenhang mit dem Einsatz elektronischer Medien bringen
könnte, nicht beobachten lässt. Die genannten Potenziale aber lassen sich durchaus nach-
weisen ⫺ bei einem didaktisch sinnvollen Einsatz. Dieser bemisst sich zum einen ⫺ wie
bei allen methodisch-didaktischen Entscheidungen ⫺ an der Kontext-, Lernziel-, Lern-
form- und Zielgruppenspezifik. Zum anderen wird ein didaktischer Mehrwert dann er-
reicht, wenn die Medien in Bezug auf das jeweils spezifische Medium wie auf den Medien-
verbund mediengerecht benutzt werden.
Im Folgenden wird ein Überblick darüber gegeben, welche Medien und Werkzeuge
in elektronischen Umgebungen für das DaF-/DaZ-Lernen eingesetzt werden können und
1228 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

worin der Mehrwert der jeweiligen Medien oder Werkzeuge bestehen kann bzw. nach
ersten Forschungsergebnissen besteht. Unter dem Begriff der elektronischen Umgebung
wird in einem sehr weiten Sinne jede Kontaktmöglichkeit des Lernenden mit der Sprache
verstanden, die über einen Computer hergestellt wird. Ein kurzes Fazit schließt den Arti-
kel ab.

2. Bestandteile elektronischer Umgebungen beim DaF-/DaZ-


Lernen: ein systematischer Überblick

Versuche einer systematischen Darstellung der in elektronischen Umgebungen für das


DaF-/DaZ-Lernen einsetzbaren Medien und Werkzeuge gibt es inzwischen mehrere (vgl.
u. a. Rüschoff und Wolff 1999; Rösler 2004; Roche 2008a). Dabei werden meist verschie-
dene Unterscheidungskriterien benutzt, z. B. technische Merkmale, methodische Ansätze,
einzuübende Fertigkeiten, Kompetenzen, Wissensgebiete, Lernformen (Alleinlernen mit
und ohne Unterstützung durch Online-Tutor, kooperatives Lernen mit und ohne Unter-
stützung durch Online-Tutor, vollvirtuelles Lernen, Blended Learning, Präsenzlernen).
Die hier gewählte Systematisierung folgt in weiten Teilen der Systematisierung von Mit-
schian (2004: 26) und versucht, didaktisch-methodische Aspekte mit technischen Unter-
scheidungsmerkmalen zu verbinden.
Sie differenziert erstens ⫺ auf der technischen Ebene ⫺ hinsichtlich der Frage, ob für
die Anwendung ein Internetzugang vorhanden sein muss oder nicht, ob die Anwendung
also offline oder online benutzt wird/werden muss (was vor allem für Praktiker in Institu-
tionen häufig eine spannende Frage sein kann). Zweitens wird danach systematisiert, ob
es sich um ein Medium (mit Inhalt) oder ein Werkzeug (ohne Inhalt) handelt (vgl. hierzu
Mitschian 2004: 14⫺15). Medium wird dabei als Informationsträger verstanden, der „aus
Verbindungen von Zeichen- und Symbolsystemen mit einer jeweils dazu passenden Prä-
sentationsform“ (Mitschian 2004: 13) besteht; erstelle ich z. B. eine Lückentextübung mit
einem Autorenprogramm (vgl. 3.2.2.) und biete sie Lernenden einmal ausgedruckt an
und ein anderes Mal auf dem Computer, lasse ich sie mit zwei unterschiedlichen Medien
arbeiten: Das Zeichensystem bleibt gleich (geschriebene Sprache), aber die Präsentations-
form ändert sich (gedruckt auf Papier vs. digital). Schließlich wird drittens unterschieden,
ob es sich um authentisches Material (ohne didaktische Ausgangsqualität) handelt, ob
das Medium bzw. das Werkzeug ein adaptiertes (für Lernzwecke hergestelltes) und/oder
ein methodisiertes (d. h. mit einem Lernverfahren verknüpftes) ist (vgl. Mitschian 2004:
20⫺28). Ein gefüllter Vokabeltrainer im Lernprogramm ist in diesem Sinne ein adaptier-
tes und methodisiertes Medium, ein leerer Vokabeltrainer, den ich als Lernende/r selbst
mit Inhalten fülle, ein adaptiertes und methodisiertes Werkzeug. Eine vierte denkbare
Unterscheidungsebene könnte sein, ob sich die benutzen Medien oder Werkzeuge auf
einem fest installierten Computer oder auf einem tragbaren Gerät (Laptop, Handy etc.)
befinden. Da dieser Aspekt in der Forschungsliteratur zum DaF-/DaZ-Lernen bisher
aber noch keine Rolle spielt, wird er in diesem Artikel nicht berücksichtigt.
Aus den Unterscheidungsebenen ergibt sich folgendes Raster, in das zur Illustration
Beispiele von digitalen Medien und Werkzeugen für den DaF-/DaZ-Unterricht eingetra-
gen worden sind.
138. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Lernen in elektronischen Umgebungen 1229

Tab. 188.1: Elektronische Anwendungen für den DaF-/DaZ-Unterricht


Offline Online
Authentische Lexika; Hörbücher; Spielfilme/ Weblog-Tagebücher; Wikipedia; On-
Medien Dokumentationen auf CD-ROM/ line-Lexika; Videoclips; Sprachkorpora
DVD
Adaptierte Elektronische Wörterbücher oder Online-Grammatiken; Online-Wörter-
Medien Kinderlexika auf CD-ROM/DVD bücher
Methodisierte Lernsoftware auf CD-ROM/DVD Lernprogramme; Lehrbucherweite-
Medien rungen
Authentische Textverarbeitungsprogramme; E-Mail; Foren; Chats; Instant
Werkzeuge Präsentationsprogramme; Messaging mit Sprach- oder Video-
Strukturierungsprogramme (zum messaging; Audio- oder Video-
Erstellen von Mindmaps) konferenzen; Kooperative Editoren
(u. a. Wikis); Weblogs; Podcasts
Adaptierte Lernplattformen
Werkzeuge
Methodisierte Autorenprogramme; Vokabeltrainer Autorenprogramme; Vokabeltrainer;
Werkzeuge E-Portfolio

3. Oline-Anwendungen

3.1. Oline-Medien

3.1.1. Authentische Oline-Medien

Elektronische Lexika
Ein Beispiel für authentische elektronische Medien sind die elektronischen Versionen
von Lexika, die inzwischen zu fast allen Papierversionen alternativ zur Verfügung stehen.
Der große Vorteil einer elektronischen Version im Vergleich mit der Papieralternative
besteht in ihrer Datenbankbasierung, die z. B. differenzierte Suchfunktionen erlaubt, wo-
durch Lernende große Mengen von Informationen gezielt nach den von ihnen gesuchten
durchforsten können. Mitschian weist (im Zusammenhang mit dem Gebrauch von elek-
tronischen Wörterbüchern, vgl. Mitschian 2004: 56) aber zu Recht darauf hin, dass der
vermeintliche Vorteil einer Suchfunktion sich gerade im Bereich des Lernens auch als
Nachteil erweisen kann: Im Fall der Lexika wird die Möglichkeit eines inzidentellen
Lernens möglicherweise reduziert, da Lernende sich nicht durch das Lexikon blättern
müssen (und dabei vielleicht zufällig andere spannende Einträge entdecken, in Bezug auf
das Lesen von Hypertexten auch als Mitnahme- bzw. serendipity-Effekt bezeichnet, vgl.
Eibl 2004: 135), sondern gezielt zur gesuchten Information kommen und auch nur diese
präsentiert bekommen. Gleichzeitig bietet die Hypertext- und Multimediastruktur vieler
digitaler Lexika jedoch auch Anreize zum Weiterlesen, die ein traditionelles Lexikon
nicht in gleicher Weise zur Verfügung stellen kann (z. B. komfortablere Nutzung von
Verweisen durch Hyperlinks; zusätzlich zu Bildmaterialien auch Videos oder Audioda-
teien etc.).
1230 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

Sprachkorpora
Einen weiteren, zunehmend wichtigeren Bereich bilden Sprach- (und spezifische Ler-
ner-) Korpora. Die größte Sammlung von Sprachkorpora zur deutschen Sprache bietet zur-
zeit das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (http://www.ids-mannheim.de/kl/
projekte/korpora/). Sprachkorpora (wie z. B. auch das WWW) können unter Verwen-
dung von korpuslinguistischen Analyseprogrammen von Lernenden für die selbstgesteu-
erte Auseinandersetzung mit Wortschatz oder bestimmten sprachlichen Strukturen einge-
setzt werden (vgl. zu Möglichkeiten der Nutzung der Ergebnisse der Korpuslinguistik
für den DaF-Unterricht die in der Zeitschrift Deutsch als Fremdsprache eröffnete Reihe
von Beiträgen, u. a. Fandrych und Tschirner 2007; ein kostenloses Analyseprogramm
bietet z. B. das IDS zum kostenlosen Download an: http://www.ids-mannheim.de/
cosmas2/web-app/).

Hörbücher/Audiovisuelles Material
Andere interessante Möglichkeiten bietet der Einsatz von Hörbüchern oder von audi-
ovisuellem Material auf CD-ROM oder DVD. Im Vergleich zu den entsprechenden tradi-
tionellen Medien auf Kassette oder Video liegen die Vorteile der digitalen Varianten
darin, dass Lernende innerhalb der Texte leichter navigieren können, dass sie im Rahmen
von Unterricht nicht auf eine zentrale Bedienung durch die Lehrperson angewiesen sind,
sondern die Audio- und Videodateien in ihrem Lernrhythmus abspielen können (größere
Lernerkontrolle), und dass sie bei Filmen häufig zwischen mehreren Sprachversionen
wählen können (zum Einsatz audiovisuellen Materials vgl. Art. 139).

3.1.2. Adaptierte Oline-Medien

Elektronische Wörterbücher
Zu den adaptierten Medien können elektronische Wörterbücher oder auch Lexika
gezählt werden, die in Form von Schülerwörterbüchern oder Kinderlexika für eine ganz
spezifische Lern- bzw. Zielgruppe konzipiert worden sind. Zum Teil finden sich elektroni-
sche Wörterbücher auch als ein Element von Lernsoftwareprogrammen auf CD-ROM
oder DVD (siehe 3.1.3.).

3.1.3. Methodisierte Oline-Medien

Lernsoftware
Symptomatisch für die Einschätzung von Lernprogrammen durch die Forschung er-
scheint die Äußerung Roches (2008b), der kritisiert:

Die äußere Steuerung des Lernerfolgs durch maschinelle Impulsgeber entpuppt


sich somit als mehr oder weniger verkappte behavioristische. So gibt es unzählige
Übungsprogramme, die außer bunten Farben und einer vordergründigen Klick-
barkeit dem Lerner nicht viel zu bieten haben. Zwar lassen sich selbst diese Mate-
rialien dann lernfördernd einsetzen, wenn sie richtig situiert, dosiert und kontex-
tualisiert sind, aber als Selbstläufer sind sie in der Regel nicht brauchbar oder gar
kontraproduktiv. Die spielerische Faszination für das Neue, die vor allem zu einer
unspezifischen Abwechslung im Unterricht führen soll, führt nicht zur Nachhaltig-
keit. (Roche 2008b: 357)
138. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Lernen in elektronischen Umgebungen 1231

Dieser Einschätzung Roches kann man nur zustimmen, auch wenn man einschränkend
sagen muss, dass solche Produkte natürlich auch bei Alleinlernenden ⫺ in sicherlich
spezifischen Bereichen wie z. B. dem Wortschatzerwerb, dem Erwerb grammatischer
Strukturen oder der Aneignung von Faktenwissen (vgl. Rüschoff und Wolff 1999: 79) ⫺
durchaus lernfördernd wirken können, vor allem dann, wenn die Lernenden eine ausrei-
chend hohe Motivation mitbringen. Dem Autor ist auch darin zuzustimmen, dass der
Umfang der wissenschaftlichen Forschung zu diesen Programmen in keiner Weise ihrer
hohen Verbreitung entspricht; der von ihm angemerkte mangelnde Nachweis nachhalti-
ger Lerneffekte (vgl. Roche 2008b: 357) kann also auch darauf zurückgeführt werden,
dass der Einsatz von Lernsoftware in verschiedenen Lernkontexten bisher viel zu selten
in quantitativen und qualitativen Langzeitstudien untersucht worden ist ⫺ weder in Hin-
blick auf Lernerfolge noch auf individuelle Bearbeitungen durch einzelne Lernende.
Schon kleinere qualitative Erhebungen machen deutlich, wie unterschiedlich Lernende
mit dem gleichen Material umgehen (vgl. Nandorff 2004) und welche Potenziale der
Einsatz von Lernsoftware z. B. im Unterricht bieten kann, wenn sie dort in Partnerarbeit
eingesetzt wird (vgl. Schmidt 2007). Geforscht wird außerdem mit Bezug auf einzelne
Aspekte von Lernsoftware, die als besonders medienspezifisch und als Quelle für einen
Mehrwert im Vergleich zur Bearbeitung ähnlicher Materialien auf Papier angesehen wer-
den: Dazu zählen die Bereiche der integrierten Wörterbücher und Glossare, der Gram-
matikanimation, der Fehleranalyse und des Feedbacks sowie der programminternen
Lernsteuerung, wobei sich die Forschung nicht nur auf den Bereich der geschlossenen
Multimediaprogramme auf CD-ROM oder DVD bezieht, sondern auch auf vergleich-
bare Programme, die im Internet angeboten werden.

Integrierte Wörterbücher und Glossare


Forschung zum Einsatz von elektronischen Wörterbüchern, Glossaren und dem Ge-
brauch der sogenannten Glossing-Funktion (beim Anklicken eines markierten oder zum
Teil auch unmarkierten Wortes in einem digitalen Text erscheint in einem Extrafenster
eine Worterklärung in Textform, als Bild oder Video, mit oder ohne Audiodatei zur
Aussprache und gegebenenfalls mit Kontextbeispielen) gibt es seit über zehn Jahren,
leider mit sehr uneinheitlichen Ergebnissen: Meist wird beim Einsatz von digitalen Wör-
terbüchern eine höhere Lesegeschwindigkeit nachgewiesen (aufgrund der komfortableren
Suchmöglichkeiten, siehe 3.1.1), nicht aber immer ein besseres Verständnis der gelesenen
Texte. Eine Glossing-Funktion wird von den Lernenden dem Gebrauch eines externen
Online-Glossars vorgezogen, aber auch sie hilft nicht immer beim Verstehen, wobei Wort-
erklärungen in den o.g. unterschiedlichen Modi eher zu einem tiefergehenden Verstehen
führen als reduzierte Worterklärungen (vgl. für einen ausführlicheren Überblick Würffel
2006: 119⫺121).

Grammatikanimation
Bisherige Forschungen zu den Möglichkeiten und Lerneffekten animierter Gramma-
tikanwendungen finden sich vor allem im Bereich der Wechselpräpositionen, des Prono-
mens es, der Wortbildung und der Satzklammer. Studien haben gezeigt, dass die Ani-
mationen bei individuell Lernenden zu einer besseren Verarbeitung der Inhalte führen
können; dabei muss aber gesichert sein, dass es tatsächlich zu einer Entnahme aufgaben-
relevanter Informationen kommen kann und nicht stattdessen der Lernprozess durch die
Visualisierung zusätzlich erschwert wird, weil die Animation die Lernenden kognitiv stär-
1232 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

ker belastet (vgl. Scheller 2009). Rösler plädiert zu Recht dafür, Grammatikanimationen
in Zukunft stärker zu Bereichen zu entwickeln, die kognitiv nicht so einfach zu vermitteln
sind (vgl. Rösler 2008: 378).

Fehleranalyse und Feedback


Sind in jeder Form von internetgestütztem Selbstlernen auch direktere und in der
Darstellungsart vielfältigere Formen der Tutorierung durch einen menschlichen Online-
Tutor (siehe 4.2.1.) möglich, so liefern Lernprogramme auf CD-ROM oder DVD nur
direktes computergestütztes Feedback (wobei viele Programme inzwischen die Möglich-
keit offerieren, einen menschlichen Online-Tutor dazu zu buchen, der dann z. B. für die
Korrektur von offenen Aufgaben zuständig ist). Diese Formen des direkten Feedbacks
reichen von verschiedenen Arten des programmierten Feedbacks bis hin zu ersten Versu-
chen, Ergebnisse aus der Forschung zur künstlichen Intelligenz (KI, siehe unten) für die
Fehleranalyse und das Feedback zu nutzen. Beim programmierten Feedback unterschei-
det man einfache Formen des Richtig/Falsch-Feedback von elaborierteren Formen, bei
denen Fehler nicht nur kommentiert, sondern bei denen zum Teil auch Hilfsangebote
gemacht oder Lerntipps gegeben werden (für verschiedene Formen von Feedback vgl.
Biechele et al. 2003: 18⫺25). Die Forschung zum Einfluss verschiedener Feedbackformen
auf unterschiedliche Lernende beschränkt sich noch immer auf eine überschaubare An-
zahl von Studien. Untersucht werden dabei die Zusammenhänge zwischen Qualität und
Umfang des Feedbacks und der Lernleistung, der Einfluss verschiedener Feedbackfor-
men (direktes vs. zusammenfassendes; programmiertes vs. menschliches Tutor-Feedback;
geschriebenes vs. gesprochenes; negatives vs. positives; selbstentdeckendes vs. pro-
grammgesteuertes; explizites vs. implizites, Richtig/Falsch vs. informatives) und das Ti-
ming auf den Lernerfolg sowie der Umgang der Lernenden mit verschiedenen Feedback-
formen (für einen Überblick vgl. Würffel 2006: 116⫺119 und Schmidt 2007: 72⫺78). Eine
breitere Forschung zum Einfluss der verschiedenen Feedbackformen in unterschiedlichen
Lernkontexten (bisher bezieht sich fast alle Forschung auf den Bereich des Grammatik-
erwerbs) erscheint dringend wünschenswert (vgl. auch Rösler 2008: 382).

Intelligente Lernersteuerung und -unterstützung


Der Aspekt von Lernsoftware, der sich durch die höchsten Erwartungen und die
niedrigste Wunscherfüllung auszeichnet, ist der der Lernersteuerung oder -unterstützung
durch die Nutzung von Ergebnissen aus dem Forschungsfeld der KI. Auf der Wunschliste
steht ein Programm, das sich optimal den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Lernprozessen
der Lernenden anpasst, indem es auf der Grundlage einer Analyse ein für sie adaptiertes
Lernpaket zusammenstellt und sie in spezifischer Weise, z. B. durch ein adaptiertes, ela-
boriertes Feedback, unterstützt: ein Programm also, dass alle Fähigkeiten und Handlun-
gen guter Lehrender abbildet und übernimmt. In der Realität sind alle verfügbaren Lern-
programme von dieser Wunschvorstellung weit entfernt; nichtsdestotrotz hat die For-
schung zur KI Einfluss auf die Gestaltung von Lernprogrammen genommen: So wurde
versucht, wenigstens einige Elemente zu integrieren wie z. B. Formen der automatisierten
Spracherkennung, der Generierung natürlicher Sprache (durch einen virtuellen Tutor;
vgl. für einen Überblick Schmidt 2007: 66⫺70), der intelligenten Fehleranalyse und des
intelligenten Feedbacks sowie der Modellierung der Lernenden (hinsichtlich ihrer Kom-
petenzen oder ihres Lernstils). Erste Erfolge zeigen sich bei der Fehleranalyse und dem
intelligenten Feedback auf der Ebene der Lexik und der Syntax durch den Einsatz von
Parsern (vgl. Heift und Schulze 2007; Puskás 2008). Die Langsamkeit, mit der Forschung
138. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Lernen in elektronischen Umgebungen 1233

und Entwicklung auf diesem Gebiet voranschreiten, hat dabei vor allem, aber nicht nur,
mit der Komplexität des Gegenstands (der natürlichen Sprache) zu tun. Das Gebiet
zeichnet sich auch durch die in der Fremdsprachenforschung eher ungewohnte Situation
aus, dass Fortschritte und Ergebnisse nicht offen kommuniziert werden, da die Entwick-
lung eines funktionierenden intelligenten Sprachanalysesystems hohe Renditen ver-
spricht. Einen Einblick in tatsächlich vorliegende Produkte (und vor allem in die dahin-
ter liegende Technik) zu erhalten, ist deshalb nicht ohne Weiteres möglich (ein Beispiel
für solch ein Programm ist der German Tutor, der maßgeblich durch Heift entwickelt
und von dieser in mehreren Studien beforscht worden ist, vgl. Heift und Schulze 2007).

3.2. Oline-Werkzeuge

3.2.1. Authentische Oline-Werkzeuge

Zu den sicherlich am häufigsten genutzten authentischen Offline-Werkzeugen gehören


Textverarbeitungsprogramme, Präsentationsprogramme oder Strukturierungswerkzeuge
zum Erstellen von Mindmaps. Von besonderem Interesse für DaF-/DaZ-Lernende sind
hierbei die in viele dieser Programme integrierte Korrekturfunktion und der Thesaurus
(vgl. u. a. Ritter 1995: 163).

3.2.2. Methodisierte Oline-Werkzeuge

Autorenprogramme
Durch bestimmte sogenannte Makros können Textverarbeitungsprogramme zu me-
thodisierten Werkzeugen werden: So bietet das kostenpflichtige Programm ZARB Leh-
renden die Möglichkeit, in Word unterschiedliche Übungstypen zu erstellen. Programme,
mit denen das Erstellen interaktiver Aufgaben und Übungen ermöglicht wird, die offline
oder online am Computer oder zum Teil ausgedruckt auf Papier bearbeitet werden kön-
nen, nennt man Autorenprogramme. Das zurzeit bekannteste Programm ist HotPota-
toes. Daneben existieren kommerzielle Programme, mit denen eine Vielzahl verschiedener
Aufgabenformate umgesetzt werden können, die aber aufgrund ihrer Komplexität häufig
eine hohe Einarbeitungszeit notwendig machen und für Laien deshalb eher ungeeignet
sind (vgl. Ulrich 2005: 9).

4. Online-Anwendungen
4.1. Online-Medien

4.1.1. Authentische Online-Medien

Im WorldWideWeb (WWW) gibt es eine inzwischen fast unübersehbare Menge an au-


thentischem Informationsmaterial, das von Lehrenden und von Lernenden für die Vor-
bereitung des Unterrichts und für den Einsatz im Unterricht bzw. für das Lernen einge-
setzt werden kann. Bei den verschiedenen Informationsmedien lassen sich unterschiedli-
che Textsorten unterscheiden. Zwei sollen im Folgenden beispielhaft vorgestellt werden.
1234 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

Hyperfiction
Merkmale der medienspezifischen Textsorte Hyperfiction sind ihre Hypertextstruktur,
ihre Offenheit und zum Teil auch ihre Multimedialität. Das Lesen von Hyperfiction stellt
die Lesenden vor besondere Herausforderungen, da die Rezeption dieser Texte anders
verläuft bzw. verlaufen muss als die Rezeption linearer Texte auf Papier: Den Lesenden
wird kein kohärenter Text präsentiert, sondern diese schaffen sich ihren Text durch das
Anklicken bestimmter Links selbst; sie sind also ständig zum Treffen von Entscheidungen
gezwungen und darüber hinaus mit den Schwierigkeiten der Kohärenzbildung konfron-
tiert (vgl. Gölitzer 2003: 127).

Lernertexte
Eine andere Textsorte, die zwar keineswegs medienspezifisch ist, die aber im Zuge des
Einsatzes digitaler Medien im DaF-/DaZ-Unterricht an Bedeutung gewonnen hat, ist die
der Lernertexte. Durch die digitalen Verbreitungsmöglichkeiten haben Lernende (privat
oder in institutionellen Kontexten) die Möglichkeit gewonnen, ihre neu erworbenen
Sprachenkenntnisse z. B. in eigenen Blogs oder Podcasts (vgl. 4.2.1.) auszuprobieren und
zu hoffen, dass die Welt auf sie reagiert und sie Zugang zu einer authentischen Kommu-
nikation erhalten, die ihnen das Klassenzimmer nie in gleicher Weise bieten kann (vgl.
Rösler 2008: 384). Gleichzeitig können solche Texte von anderen Lernenden wiederum
für das eigene DaF-/DaZ-Lernen genutzt werden ⫺ entweder, indem Lernende auf solche
von anderen Lernenden im Internet eingestellte Texte reagieren, oder auch, indem solche
Texte Teil der von ihnen benutzten digitalen Lehrwerke werden, wodurch diese wiederum
an „didaktischer Authentizität“ gewinnen könnten (Rösler 2004: 387).

Mit Social Software hergestellte Informationsmedien


Besondere Aufmerksamkeit wird in letzter Zeit Informationsmedien geschenkt, die
mit Hilfe von Social Software erstellt worden sind. Zu diesen gehören Videoclips in Video-
portalen wie YouTube, journalistische und tagebuchartige Blogs, enzyklopädische Wikis
wie Wikipedia, Pod- oder Videocasts, die man abonnieren kann, sodass man jeden Tag
die neuesten Folgen bekommt. Während es unter diesem Punkt um die mit diesen Werk-
zeugen erstellten Medien geht, wird unter 4.2.1. ausgeführt, was man sich unter den
einzelnen Werkzeugen vorzustellen hat und wie sie produktiv für den DaF-/DaZ-Unter-
richt genutzt werden können. Zum besseren Verständnis erfolgt aber schon hier eine
kurze Definition von Social Software-Anwendungen (häufig auch subsumiert unter dem
inzwischen überstrapazierten Schlagwort Web 2.0-Anwendungen): Unter Social Software
werden alle „Publikations- und Kommunikationsformen [verstanden], die nicht nur als
Instrumente für das individuelle und kollaborative Wissensmanagement eingesetzt wer-
den, sondern die neben der reinen Informationsverknüpfung auch dabei helfen, eine so-
ziale Beziehung zwischen ihren Nutzenden zu unterstützen“ (Büffel et al. 2007). Zur
Social Software gehören Kommunikations-Anwendungen wie E-Mail, Foren und Chats,
die es schon seit langem gibt, und neuere Entwicklungen wie Wikis, Blogs, Podcasts. Das
Spezifische der Anwendungen bzw. der Webseiten, in die die Anwendungen integriert
werden, ist, dass es bei allen Anwendungen bzw. Seiten nicht nur darum geht, anderen
Informationen zukommen zu lassen (bzw. solche zu lesen), sondern auch oder vor allem
darum, an einer Gemeinschaft, an (zum Teil weltweiten) Netzwerken teilzuhaben (vgl.
ausführlicher Würffel 2008: 3). Für den DaF-/DaZ-Unterricht bedeutet dies, dass bei der
Arbeit mit solchen Medien die Rezeption häufig direkt mit einer Produktion verbunden
138. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Lernen in elektronischen Umgebungen 1235

wird, die noch dazu nicht in einem anderen Medium, sondern in demselben erfolgt.
Lernende rezipieren also z. B. nicht nur die Einträge eines enzyklopädischen Wikis, son-
dern verfassen auch eigene Einträge, sie verfolgen nicht nur Blog-Tagebücher von Gleich-
altrigen aus dem Zielsprachenland, schauen sich deren Videoclips an oder hören deren
Schulpodcast, sondern sie nehmen über die Kommentarfunktion Kontakt auf, fragen
nach, verweisen vielleicht auf eigene oder andere für sie interessante Blogs, Videoclips,
Fotos, Podcasts etc.

4.1.2. Adaptierte Online-Medien

Wie schon unter 3.1.3. angesprochen, existieren viele der Offline-Medien im Bereich der
adaptierten Medien auch online ⫺ so gibt es zahlreiche kostenlose wie auch kommerzielle
Online-Wörterbücher oder auch Online-Lexika für bestimmte Zielgruppen. Zu den on-
line verfügbaren adaptierten Medien gehören zahlreiche (kleinere oder umfangreichere)
Online-Grammatiken. Daneben gibt es auch sogenannte Wörternetze, d. h. elektronische
Wortschatzressourcen, die auf dem Prinzip der semantischen Vernetzung aufbauen und
dem Lernenden beim Wortschatzerwerb helfen sollen, indem sie den Aufbau des menta-
len Lexikons simulieren. Informationen aus semantischen Datenbanken werden hier in
dynamisch visualisierten Wörternetzen zugänglich gemacht. Jeder Eintrag ist ein Hyper-
link, der zu einem neuen Teilnetz führt; außerdem können Zusatzinformationen zu jedem
Eintrag eingestellt werden (wie Bedeutungsumschreibungen, Kontexte, Audiofiles etc.).
„Auf diese Weise werden verschiedene lexikalische Informationsebenen ausgehend von
der semantischen Verknüpfung verfügbar, was in der linearen Darstellungsweise eines
Print-Wörterbuches so nicht geleistet werden kann“ (Plieger 2007: 192).
Ein weiteres Beispiel sind die Podcasts der Deutschen Welle, die tagesaktuelle Nach-
richten in kurzen Audiodateien liefern und in zwei Versionen, einer normal gesprochenen
und einer langsam gesprochenen, existieren. In den Bereich der adaptierten Medien gehö-
ren schließlich noch Sprachlernportale, die als Einstieg in den Internet-Dschungel dienen
können. Für den Bereich des schulischen Lernens sind z. B. die Internetseiten der Zent-
rale für Unterrichtmedien (ZUM; http://www.zum.de/) oder das facettenreiche Portal
von Lehrer-Online (http://www.lehrer-online.de/) zu nennen, auf denen Lehrende und
Lernende systematische Übersichten zu nichtdidaktisierten (wie auch didaktisierten)
Materialien finden; für den außerschulischen Bereich bieten sich die Seiten des Goethe-
Instituts (http://www.goethe.de) oder das DaF-Portal des IIK (http://www.iik.de/
indiik.html) als Ausgangspunkte an.

4.1.3. Methodisierte Online-Medien


Auch das Angebot an methodisierten Medien ist vielfältiger und unübersichtlicher gewor-
den. Es gibt einzelne Übungen und Aufgaben, Aufgaben- und Übungssammlungen und
kleinere bis größere Projekte (vgl. Biechele et al. 2003), die von den unterschiedlichsten
Anbietern kostenlos oder kommerziell, mit den unterschiedlichsten Schwerpunkten für
verschiedene Zielgruppen und Lernziele, mit und ohne Progression etc. angeboten wer-
den. Es gibt Umgebungen, in denen gezielt einzelne Fertigkeiten gefördert werden (vgl.
z. B. zu Kursen zum Erwerb einer Lesekompetenz u. a. Würffel 2006 oder zum Online
1236 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

Writing Lab an der TU Darmstadt u. a. Ballweg 2008), sowie Portale von Verlagen, in
denen diese in unterschiedlichem Umfang und unterschiedlicher Qualität lehrwerkbeglei-
tendes Online-Material anbieten (vgl. dazu die jeweiligen Verlagsseiten im Internet), zum
Teil kostenfrei, zum Teil aber auch kostenpflichtig.
Vieles von dem, was unter 3.1.3 zur Lernsoftware auf CD-ROM oder DVD gesagt
worden ist, gilt auch für Online-Lernprogramme oder Aufgaben- und Übungssammlun-
gen. Eine Integration innovativerer Medien oder Werkzeuge findet sich aber eher in inter-
netgestützten Angeboten, u. a. weil diese häufiger aktualisiert, überarbeitet, ergänzt, neu
gestaltet werden bzw. werden können und in dieser Form dann allen Anwendern ⫺ an-
ders als vergleichbare Angebote auf CD-ROM oder DVD ⫺ allen Nutzenden direkt
zur Verfügung stehen. Ebenso finden sich im WWW deutlich vielfältigere Formen von
didaktischen Materialzusammenstellungen, z. B. solche, die im Blended Learning-Modus
benutzt werden sollen (also Formen des Online-Lernens und des Präsenzlernens verbin-
den, vgl. das Themenheft von Fremdsprache Deutsch 42/2010), oder solche, die der Ler-
nende ⫺ angeleitet oder mit Unterstützung durch einen Online-Tutor (vgl. dazu 4.2.1.) ⫺
benutzen soll bzw. benutzt.
In einer Zwischenbilanz zum Einsatz digitaler Medien im Bereich DaF im Jahr 2008
versucht Rösler, die erfolgten bzw. die möglicherweise in naher Zukunft zu realisierenden
Veränderungen zu beschreiben. Die umfassendsten scheinen für ihn dabei die im Bereich
der Lehrmaterialerstellung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen im Bereich
der Lehrmaterialanalyse zu sein: So sieht er die Möglichkeit, dass es in der Lehrmaterial-
erstellung (begünstigt u. a. durch die Möglichkeiten digitaler Distributionsweisen) end-
lich zur „zielgruppengenaueren Produktion eines Lehrwerks on demand“ (Rösler 2008:
375) kommen könnte ⫺ und damit die in der fremdsprachendidaktischen Forschung
lange geforderte Regionalisierung von Lehrwerken in zufriedenstellender Weise realisiert
werden könnte. Gleichzeitig könnte und sollte die steigende Komplexität der Lehrmateri-
alverbünde sinnvollerweise dazu führen, dass die Lehrmaterialanalyse in naher Zukunft
in einer empirischen Unterrichtsforschung aufgeht (vgl. Rösler 2008: 377).

4.2. Online-Werkzeuge
Eine besonders bedeutsame Rolle kommt den Online-Werkzeugen im DaF-/DaZ-Lernen
für Kommunikations- und Kooperationszwecke zu, denn hier lässt sich am deutlichsten
und in größtem Umfang ein Mehrwert gegenüber einem DaF-/DaZ-Lernen ohne Inte-
gration des Internets erkennen (vor allem natürlich für den Bereich DaF): Die Möglich-
keiten für Lernende, mit Sprechern oder mit anderen Lernenden der Zielsprache (außer-
halb ihrer eigenen Lerngruppe) in einen (authentischen) Kontakt zu treten, waren noch
nie so zahlreich und einfach zu realisieren wie heutzutage ⫺ wobei die Entwicklung
des WWW zum Mitmachnetz diese Möglichkeiten (zumindest theoretisch) noch einmal
erweitert hat. Im Folgenden werden sowohl die Werkzeuge als auch mögliche Einsatzsze-
narien beschrieben.

4.2.1. Authentische Online-Werkzeuge


E-Mail
Das bekannteste asynchrone Online-Werkzeug ist wahrscheinlich die E-Mail. E-Mail-
Anwendungen können für das DaF-/DaZ-Lernen zu unterschiedlichsten Zwecken für die
138. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Lernen in elektronischen Umgebungen 1237

Kommunikation zwischen Lehrendem bzw. Tutor und Lernenden, zwischen Lernenden


oder zwischen Lernenden und Sprechern der Zielsprache eingesetzt werden. In der Leh-
rer/Tutor-Lerner-Beziehung dient der E-Mail-Einsatz zur Ausführung klassischer Lehrer-
Lerner-Interaktionen wie der Übermittlung von Aufgaben und Übungen in die eine und
zum Einsenden von Lösungen in die andere Richtung, zum Zurücksenden von Korrektu-
ren, zum Stellen von Fragen und für deren Beantwortungen etc.; möglich sind auch
Formen der Sprachlernberatung (vgl. zur Distanzlernberatung Saunders 2009). Je nach
Lernform kann die E-Mail-Kommunikation dabei eine die Kommunikation in den Prä-
senzphasen erweiternde Funktion haben oder ⫺ in vollvirtuellen Kontexten ⫺ die vor-
nehmliche Kommunikationsform darstellen (wobei die Kommunikation auch vermittelt
durch andere mediale oder konzeptionell mündliche Formen wie der Nutzung von In-
stant Messaging mit Sprachmessaging und/oder Chat, siehe unten, stattfindet).
In Bezug auf die Kommunikation zwischen Lernenden können E-Mail-Anwendungen
u. a. dazu dienen, Projekte mit zwei oder mehr Partnergruppen im In- und Ausland
durchzuführen oder den Lernenden die Durchführung individueller E-Mail-Tandems
(vgl. Brammerts und Kleppin 2001) oder E-Mail-Tutorien (in denen ein Deutsch-Lernen-
der durch einen angehenden DaF-Lehrenden betreut wird, vgl. Rösler und Würffel 2010)
zu ermöglichen.
Da gruppenübergreifende E-Mail-Projekte im Fremdsprachenunterricht schon seit
mehr als zehn Jahren in verschiedenen Lehr-/Lernkontexten durchgeführt sowie häufig
auch wissenschaftlich begleitet und ausgewertet worden sind, sind die Vorteile und
Schwierigkeiten der mit Hilfe von E-Mail durchgeführten Projekte gut erforscht. Die
Vorteile solcher E-Mail-Projekte (wie auch von internationalen Projekten, die außerdem
oder vollständig mit anderen Werkzeugen arbeiten) werden vor allem im Bereich des
interkulturellen und des sprachlichen Lernens (bisher vor allem im Bereich des Schriftli-
chen) gesehen (vgl. u. a. die vielen Veröffentlichungen von Donath, z. B. 1998). Eine
interessante Übersicht bezüglich der Schwierigkeiten bietet der Artikel von O’Dowd und
Ritter (2006), in dem die Autoren auf der Grundlage einer Auswertung der bisherigen
Forschungsliteratur zu E-Mail-Projekten ein Inventory of Reasons for Failed Communica-
tion in Telecollaborative Projects erstellen. Die Nennung der vielen Ebenen, auf denen
Schwierigkeiten auftreten können (um nur einige zu nennen: Interkulturelle Kompetenz,
Motivation und Erwartungen, Lehrer-Lehrer-Beziehung, Aufgabendesign, Gruppendy-
namik in den lokalen Gruppen und zwischen den Gruppen, Technik etc., vgl. O’Dowd
und Ritter 2006: 7), dient dabei keineswegs der Entmutigung aller engagierten Lehren-
den: Es den Autoren vielmehr darum, durch das Aufzeigen der Fallgruben die Lehrenden
zu sensibilisieren und dadurch mögliche Abstürze zu vermeiden oder zumindest abzufe-
dern (vgl. O’Dowd und Ritter 2006: 17).

Foren
Erstaunlich wenig Forschung gibt es im Bereich DaF/DaZ bisher zum spezifischen
Einsatz von asynchronen Diskussionsforen im Fremdsprachenunterricht, obwohl auch
dieses Werkzeug schon lange existiert, fester Bestandteil jeder Lernplattform ist und sei-
nen Platz im computergestützten Fremdsprachenunterricht gefunden hat ⫺ sei es zur
Fortführung von im Präsenzunterricht begonnenen Diskussionen, sei es für reine Online-
Meinungsaustausche etc. Forschungsergebnisse aus Nachbardisziplinen weisen u. a. auf
die Bedeutung der Betreuung durch Lehrende hin; so kann z. B. deren inhaltlich struktu-
rierende Moderierung von Foren helfen, die Kohärenzbildung und mentale Vernetzung
bei den Lernenden zu unterstützten (vgl. u. a. Berkemeyer 2008).
1238 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

Chat, Video- und Audiokonferenzen, 3-D-Welten


Auch schon seit längerer Zeit wird in der Fremdsprachendidaktik über den Einsatz
synchroner Werkzeuge wie Chats (vgl. den Überblick bei Rösler 2004: 58⫺65) diskutiert.
Bei den Chats hat sich vor allem ein adaptierter Gebrauch bewährt: Anders als authenti-
sche Chats im WWW, die natürlich von Lernenden für die Kontaktaufnahme mit Ziel-
sprachensprechern und zur Förderung ihrer Sprachenkompetenzen genutzt werden kön-
nen, bieten sogenannte didaktische Chats eine Schutzzone: Lernende bleiben hier unter
sich, häufig unter der Betreuung eines Tutors, der bei Bedarf moderierend oder, je nach
Kontext, auch stärker steuernd eingreift bzw. lenkt und/oder Fragen der Lernenden be-
antwortet (vgl. zur Rolle der Tutoren im Chat Platten 2003); die Kommunikation ist
langsamer als in authentischen Chats, und es wird auch seltener in parallel ablaufenden
und/oder sich überkreuzenden Kommunikationssträngen kommuniziert; außerdem wird
häufiger (auch orthografisch) korrektes Schreiben angestrebt etc. (vgl. u. a. Steinig et al.
1998 oder Engler 2003). Die Fachliteratur diskutiert im Zusammenhang mit dem Werk-
zeug Chat und der Frage, ob Lernende beim Chatten eher in ihren mündlichen oder ihren
schriftlichen Kompetenzen gefördert werden, vor allem den Aspekt der konzeptionellen
Mündlichkeit von Chatkommunikation (vgl. den Überblick bei Rösler 2004: 59⫺61).
Eine tatsächliche Förderung der mündlichen Kompetenzen kann mit dem Einsatz von
Werkzeugen des Instant Messaging mit Video- oder Sprachmessaging (wie z. B. Skype)
erfolgen. Diese werden vermehrt in elektronischen Tandems eingesetzt, die früher nur
über E-Mail oder das Telefon erfolgten, oder auch in Austauschprojekten, die den münd-
lichen Austausch für schnellere und unkompliziertere Aushandlungsprozesse nutzen.
Schließlich gibt es die Möglichkeit, Video- und Audiokonferenzen für das Sprachenler-
nen einzusetzen. Den Videokonferenzen wird dabei zwar durchaus ein hohes Potential
zugesprochen (vgl. u. a. Schlickau 2000), sie werden aber wegen der aufwendigeren tech-
nischen Voraussetzungen bisher für größere Gruppen eher selten realisiert. Einfacher
und technisch relativ unkompliziert sind Konferenzen mit einer geringen Anzahl von
Teilnehmern, bei denen die Videoübertragung über eine einfache Webcam erfolgt oder
die als reine Audiokonferenzen durchgeführt werden: Die Lernenden benötigen nur ein
Headset mit Mikrofon und Kopfhörer, eine Webcam und einen Zugang zum Internet.
Bei einem kommerziellen Anbieter kann man dann stundenweise einen virtuellen Lehr-
raum mieten (für bis zu drei Personen sogar kostenfrei), der den Vorteil hat, dass Ler-
nende und Lehrende (oder auch nur Lernende untereinander) miteinander reden, sich
dabei sehen und gleichzeitig gemeinsam auf Dokumente zugreifen sowie diese bearbeiten
können (application sharing).
Schon seit Jahren träumen einige Fremdsprachendidaktiker vom quasi-authentischen
Sprachenlernen in 3-D-Welten (wie z. B. Second Life), also von der „komplett fremdges-
teuerten, vom individuellen Lernenden subjektiv als komplett selbstgesteuerte wahrge-
nommene Lernwelt“ (Rösler 2004: 22) ⫺ ein Wunsch, der bisher noch immer nicht Reali-
tät geworden ist. Versuche gibt es inzwischen, 3-D-Welten wie Second Life für die Durch-
führung von Sprachunterricht zu nutzen (vgl. u. a. http://www.goethe.de/frm/sec/
deindex.htm).

Wikis, Blogs und Podcasts


Neuere asynchrone Social Software-Werkzeuge wie Wikis, Weblogs (bzw. Blogs) und
Podcasts gewinnen an Bedeutung. Sie sind leicht und (in bestimmten Versionen) kosten-
los zu erhalten, einfach zu bedienen und damit (zumindest technisch gesehen) relativ
138. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Lernen in elektronischen Umgebungen 1239

problemlos zum DaF-/Daz-Lernen einsetzbar. Wikis gehören zu den kooperativen Edito-


ren, also zu den Textverarbeitungsprogrammen, mit denen online asynchron (wie bei
Wikis) oder fast synchron (wie z. B. bei Google Text und Tabellen) Texte erstellt werden
können. Blogs sind regelmäßig aktualisierte Webseiten, auf denen die Einträge in umge-
kehrter chronologischer Reihenfolge erscheinen. Viele Blogger kategorisieren ihre Ein-
träge, sodass Nutzende die Möglichkeit haben, in dem bei jedem Blog vorhandenen Ar-
chiv Einträge sowohl nach ihrem zeitlichen Erscheinen als auch nach den zugeordneten
Kategorien zu suchen. Podcasts sind zumeist privat produzierte Beiträge in Audio- (Au-
diocast) oder Videoform (Videocast), häufig auch mit Transkripten. Podcasts können
auf einem Computer oder mit einem mobilen Abspielgerät synchronisiert und dann zeit-
versetzt sowie mehrmalig angehört bzw. angesehen werden. Wie viele Social Software-
Anwendungen verfügen auch die meisten Blogs und Podcasts über die Möglichkeit, sie
zu abonnieren, d. h. neue Einträge können über sogenannte Really Simple Syndication-
Feeds in standardisiertem Format automatisch bezogen werden ⫺ entweder mit speziel-
lem Programm (RSS-Reader oder Feed-Aggregatoren) oder aber mit in Browsern einge-
bauten Funktionen. Darüber hinaus gibt es meist die Möglichkeit, über eine Kommen-
tarfunktion z. B. mit den Verfassern des Blogs oder den Produzenten der Podcasts in
Kontakt zu treten.
Kooperative Editoren eignen sich zur Unterstützung kooperativen Schreibens oder
kooperativer Prozesse ⫺ z. B. können Lernende kooperative Editoren einsetzen, um ge-
meinsam Texte zu verfassen und eventuell zu veröffentlichen (zu den Vor- und Nachteilen
des Einsatzes kooperativer Editoren zur Unterstützung des kooperativen Schreibens
siehe ausführlich Würffel 2008) oder auch zur internen Organisation ihrer kooperativen
Arbeit. Blogs können ebenfalls kooperativ produziert werden (z. B. Führen eines Grup-
pen-Austauschtagebuchs in Form eines Blogs; vgl. zur Unterstützung des kooperativen
Lernens durch Social Software Würffel 2007: 26⫺27). Meist steht bei Blogs aber eher ein
individueller Gebrauch im Vordergrund, der häufig einen Schwerpunkt in der Förderung
metakognitiver Strategien hat (z. B. Führen eines Lesetagebuches, vgl. Raith 2008). Ge-
rade für einen solchen Gebrauch bietet sich die Nutzung eines geschützten Blogs an und
nicht die eines tatsächlich für alle zugänglichen (vgl. zur Frage, ob und wann man Social
Software-Anwendungen in offener oder in geschützter Form anwenden sollte, Würffel
2008: 17⫺18). Anders als bei kooperativen Editoren und Blogs, in denen es um das
Schreiben geht, bieten Podcasts die Möglichkeit, Sprechen (wobei es sich häufig um
geskriptete und damit auch nicht um originär mündliche Texte handelt) und Hören zu
trainieren (vgl. Schmidt 2009). Um eine Nachhaltigkeit bei der Herstellung und Veröf-
fentlichung von mit internetgestützten Werkzeugen erzeugten Lernerprodukten zu errei-
chen, erfolgt die Produktion und Präsentation im besten Fall im Rahmen eines Aus-
tauschprojektes mit Lernenden im In- oder Ausland. Eine andere Möglichkeit kann in
institutionellen Kontexten darin bestehen, die erstellten Produkte einer Lernergeneration
mit einer späteren weiter zu bearbeiten (z. B. in Form eines landeskundlichen Wikis, das
im Laufe der Zeit von mehreren Lernergenerationen immer weiter ausgebaut, spezifiziert
und/oder aktualisiert wird).

4.2.2. Adaptierte Online-Werkzeuge

Lernplattformen
Bei Lernplattformen handelt es sich um auf einem Server installierte Software, die
sowohl Zugriff auf unterschiedliche Formen von Daten ermöglicht als auch Organisati-
1240 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

ons-, Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten zur Verfügung stellt, um auf


diese Weise ein Lernen zu ermöglichen. Lernplattformen bieten also zum einen eine Da-
tenbank, in der die Informationen eingestellt und von der sie abgerufen werden können,
außerdem eine Reihe der oben beschriebenen Social Software-Werkzeuge und häufig
Autorenprogramme (vgl. 3.2.2.). Charakteristisch für Lernplattformen ist außerdem,
dass sie über Funktionen wie Benutzer- und Kursverwaltung, Vergabe differenzierter
Rechte für unterschiedliche Nutzende (Administratoren, Dozenten, Autoren etc.), Kalen-
der, internes Nachrichtensystem, Abstimmungswerkzeuge, Literatur-, Link-, Lesezei-
chenverwaltung und ein Awareness-Tool (wer ist gerade online?) verfügen. Lernplattfor-
men gibt es als kostenlose Open-Source-Produkte, die die nutzende Institution selbst
hosten, betreuen und weiterentwickeln muss, oder als kostenpflichtige Mietlösungen, bei
denen solche Dienste mit angeboten werden (vgl. Ulrich 2005). Bekannte Open Source-
Lernplattformsysteme sind Moodle, ILIAS, StudIP, ein bekanntes lizensiertes System ist
z. B. Blackboard.

4.2.3. Methodisierte Online-Werkzeuge

E-Portfolios
Ein Beispiel für methodisierte Werkzeuge sind die E-Portfolios, die die Vorteile digita-
ler Medien mit denen der Papierportfolio-Idee verbinden. E-Portfolio-Software wird
ähnlich wie eine Lernplattform von einer Institution auf einem eigenen Server installiert
und kann von den Lernenden per Browser erreicht werden; E-Portfolios bieten sowohl
die Möglichkeit zur Sammlung und Darstellung eigener Produkte als auch die der Selbst-
einschätzung (vgl. zum allgemeinen Einsatz von E-Portfolios und speziell zum Europä-
ischen Sprachenportfolio die Beiträge in Hornung-Prähauser et al. 2008).

5. Fazit
DaF-/DaZ-Lernen kann durch einen didaktisch sinnvollen Einsatz elektronischer Umge-
bungen bereichert, erleichtert, verändert werden. Eine der wichtigsten Funktionen be-
steht darin, durch die Integration des Internets die Künstlichkeit des Fremdsprachenun-
terrichts (zumindest in Teilen) hintergehbar zu machen (vgl. Rösler 2008: 374). Die letz-
ten Jahre des vermehrten Internetgebrauchs haben aber auch gezeigt, dass es für einen
gelingenden Einsatz des Engagements, des Mutes und der Kompetenz der Lehrenden
bedarf. Diese brauchen dafür vor allem eine angemessene mediendidaktische Aus- und
Fortbildung; über deren sinnvolle Konzeptionierung muss intensiver nachgedacht wer-
den.

6. Literatur in Auswahl
Ballweg, Sandra
2008 Wann ist die nächste Sprechstunde? Betreuung und Beratung im Online Writing Lab.
Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 13(1), 18. S. (Online).
138. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Lernen in elektronischen Umgebungen 1241

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Konzepte, Lehreinsatz, 7⫺20. Baltmannsweiler: Schneider.
139. Audiovisuelle Medien 1243

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2006 Strategiengebrauch bei Aufgabenbearbeitungen in internetgestütztem Selbstlernmaterial.
Tübingen: Narr.
Würffel, Nicola
2007 Kooperatives Lernen im Fremdsprachenunterricht. In: Susanne Schneider und Nicola
Würffel (Hg.), Kooperation & Steuerung. Fremdsprachenlernen und Lehrerbildung mit digi-
talen Medien, 1⫺32. Tübingen: Narr.
Würffel, Nicola
2008 Kooperatives Schreiben im Fremdsprachenunterricht: Potentiale des Einsatzes von Social
Software-Anwendungen am Beispiel kooperativer Editoren. Zeitschrift für Interkulturel-
len Fremdsprachenunterricht 13(1), 26 S. (Online).

Nicola Würffel, Heidelberg (Deutschland)

139. Audiovisuelle Medien


1. Einleitung
2. Perspektivenwechsel in Audiovisualität und Audiolingualität
3. Kognitive Aspekte der Visualisierung
4. Audiovisualität in Landeskunde, Ästhetik und Transkulturalität
5. Literatur in Auswahl

1. Einleitung

Sagt ein Bild wirklich mehr als 1.000 Worte? Oder kann etwa ein Laut mehr als 1.000
Bilder zeigen? Über die Rolle audiovisueller Medien im Fremdsprachenunterricht ist je-
denfalls viel spekuliert worden. Viele Lehrwerke orientieren sich an der Annahme, dass
Bilder per se eine universelle Sprache darstellen, die lautliche und graphemische Systeme
ersetzen kann, und ein paar alternative Methoden basieren umgekehrt auf der Annahme,
mit lautmalerischen Verfahren ließen sich semantische und funktionale Eigenschaften
von Sprachen vermitteln (direkte Methode, total physical response, vgl. Lado 1977). Em-
pirische Untersuchungen gibt es jedoch nur zu einzelnen Aspekten der Medialität, meis-
tens zur Ausspracheschulung (vgl. Richter 2002; Lewalter 1997) und erst seit relativ kur-
zer Zeit zum Einsatz von Computeranimationen im Spracherwerb (Scheller 2009, kritisch
zum Einsatz auditiver Verfahren in suggestiven Methoden Baur 1996). Während die bis-
herige Beschäftigung mit Medien im Spracherwerb verbreitet behavioristische, motivatio-
nale oder missionarische Züge trug, geht es in diesem Beitrag um die Darstellung von
Prinzipien, Potenzialen und Problemen des Einsatzes von Medien unter dem Aspekt der
Mehrwerterzielung. Hieraus lassen sich in der Folge Verfahren für Unterricht und Er-
werb ableiten.
1244 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

2. Perspektivenwechsel in Audiovisualität und Audiolingualität


Der Begriff audiovisuell (AV) ist im Umfeld des Sprachenlernens mit einer Methode
bekannt geworden, die im lerntheoretischen Rahmen des Behaviorismus in den 1940⫺
50er Jahren entwickelt wurde. Primär sollen mit den AV-Verfahren rezeptive Fertigkeiten
vermittelt werden. Produktive Fertigkeiten ergeben sich in der Regel aus der Imitation
auditiver und visueller Stimuli. Spracherwerb wird in diesen Verfahren vor allem als
Aufgabe der Automatisierung behandelt. Demnach geht es bei den AV-Methoden vorwie-
gend um das Automatisieren von kürzeren oder längeren Formeln (patterns) und Versatz-
stücken (chunks). Auch in neuen Lehrverfahren, Lehrmaterialien und digitalen Lernpro-
grammen finden sich gehäuft AV-Komponenten und behavioristische Verfahren, aller-
dings in unsystematischer und meist unreflektierter Form (Roche 2008b). Unter
audiovisuellen Medien dürfte man streng genommen nur die Medien versammeln, die
sowohl Ton als auch Bild transportieren, also Fernsehen, CD ROMs, DVDs, VideoDiscs
und ähnliches. Dabei wird oft übersehen, dass das wichtigste Lern- und Lehrmedium,
nämlich Lehrerinnen und Lehrer, auch in der voraudiovisuellen Epoche durchaus audio-
visuelle Eigenschaften besaß und das auch heute noch hat. Die Kombination verschiede-
ner Medien, die Anfang und Mitte des letzten Jahrhunderts noch als Novum erschien,
ist mittlerweile weitestgehend zum Standard geworden (vgl. den Modalitätsbegriff bei
Sauer 2004 und s. Scheller 2009). Daher ist der ehemals innovative, auf die Funktion der
Medien abhebende Begriff in seiner unterrichtsspezifischen Verwendung nur noch dort
angemessen, wo die örtlichen Gegebenheiten oder begründete didaktische Zielsetzungen
wie die (re-)konstruktive Arbeit mit Bildern die Einschränkungen erfordern. In der Kom-
munikationswissenschaft bezeichnet AV-Kommunikation eine theoretisch begründete,
wenn auch in der Reichweite nicht immer klar umrissene Bedeutung im Sinne kommuni-
kativen Alltagshandelns mit medial vermittelten Angeboten der Massenkommunikation
(Paus-Hasebrink et al. 2006).
Mit dem Perspektivenwechsel von den funktionalen zu den technischen Standards hat
sich inzwischen der Begriff digitale Medien durchgesetzt. Entscheidend bei den Medien
wäre aber die stärkere Betonung der Lerner- statt der Technikperspektive. In einem
handlungsorientierten Unterricht, wie ihn die moderne Sprachdidaktik begründet, geht
es darum, mit Sprache authentische kommunikative Ziele zu erreichen. Gerade jüngere
Generationen von Lernenden bedienen sich in diesem auf kommunikative Ziele ausge-
richteten Kontext ganz pragmatisch verschiedener elektronischer Medien. Die von Soft-
wareentwicklern und Didaktikern oft überbewertete technologische Neuigkeits- und Un-
terhaltungsperspektive von Medien verdeckt dagegen meist didaktische Rückständigkeit
und bewirkt nur kurzlebige Effekte. Sie kann schnell zu einer aktionistischen Beschäfti-
gungstherapie führen, die in Langeweile mündet und zu Ablenkung führt. Die Ausstat-
tung von Klassenzimmern mit elektronischen Medien bringt insofern nur bedingt Er-
folge, wenn damit sinnvolle, d. h. authentische Kommunikations- und Lernaufgaben ver-
bunden werden können. Was liegt daher näher, als Sprache und Kultur in der Vielfalt
ihrer natürlich vorkommenden Medien zu vermitteln? Wenn man diese authentisch-di-
daktische Ausgangsbasis akzeptiert, dann stellen sich die Fragen zu den AV-Medien ganz
anders, als sie verbreitet in Literatur und Lehrerausbildung gestellt werden. Es geht also
nur in besonderen Fällen um die Fragen, wie und wann man einen Overheadprojektor
oder ein handfestes oder virtuelles Aufnahmegerät einsetzen kann. Dafür gibt es mehr
oder weniger lesbare Bedienungsanleitungen vom Hersteller. Es geht um die Bestimmung
139. Audiovisuelle Medien 1245

des Mehrwertes verschiedener auditiver und visueller Medien im Fremdsprachenerwerb


und Fremdsprachenunterricht, und dafür sind zwei Funktionen relevant: die des authen-
tischen Kommunikationsmittels und die der Lernhilfe (zur Messbarkeit des Mehrwertes
elektronischer Medien mittels Rasterverfahren vgl. Roche 2008b; Bauer 2007 und Ham-
pel 2007 zur Architektur neuester e-Plattformen).

2.1. Medien als authentisches Kommunikationsmittel

Wenn es ⫺ wovon heute alle Welt ausgeht ⫺ Ziel des Unterrichts ist, kommunikative
Kompetenzen für Alltag und Beruf zu vermitteln, dann kann dies nur unter Berücksichti-
gung authentischer Rede- und Schreibanlässe, Situationen, Kontexte und Kommunikati-
onsziele geschehen. Da die verschiedenen Medien in der Kommunikation in Alltag und
Beruf pragmatisch verwendet werden und dabei unterschiedliche Gattungen hervorbrin-
gen (in direkter monologischer oder dialogischer Kommunikation, in elektronischer
Kommunikation über Telefon, Chat, E-Mail, Foren, Blogs, Wikis, Video-Konferenzen
etc.), lassen sich diese Medien ganz natürlich auch im Unterricht verwenden. Nur die
technische Ausstattung muss dafür vorhanden sein, entweder vorinstalliert oder ⫺ zu-
nehmend ⫺ von den Lernenden mitgebracht. Entscheidend für den Medieneinsatz sind
die angestrebten Kompetenzen, die Interessen der Lernenden und die Themen. Besonders
eignen sich die elektronischen Medien als Arbeitswerkzeuge, wie sie in elektronischen
Textverarbeitungsprogrammen, Ressourcen (Wörterbüchern, Thesauri, Rechtschreibprü-
fungen etc.), Fahrplänen, Fragebögen, Design- und Konstruktionsprogrammen, Bestell-
formularen, Auskunftsprogrammen (z. B. Wetterberichten) und interaktiven Spielpro-
grammen und vielem mehr zur Verfügung stehen. Diese Nutzungsmöglichkeiten sind
unter anderem im aufgabenbasierten und fallbasierten Lernen, in der Szenariendidaktik,
der interkulturellen Sprachdidaktik und dem konstruktionistischen Lernen bereits ange-
legt (vgl. Roche 2008a; Fischer et al. 2007; Hölscher, Piepho und Roche 2006; Piepho
2003; Hölscher 2005, 2004, 2003; Fischhaber 2002; Beers 2001; Mayer et al. 1999; Issing
1997; Goldman-Seagall 1998; Papert 1980). Auch die Nutzung der Medien selbst und die
kulturspezifischen Differenzierungen der Textgattungen können dabei zu einem Thema
der Beschäftigung in der Fremdsprache werden. Ansonsten bedarf es eigentlich keines
gesonderten Aufwandes.

2.2. Auditive und visuelle Medien als Lernwerkzeug

Zur Erzielung von Lerneffekten werden auditive und visuelle Medien bisher vorwiegend
in illustrativen, unterhaltenden und automatisierenden Funktionen eingesetzt. Mit Hilfe
von Bildern können beispielsweise außersprachliche Referenzen zu Gegenständen, Ereig-
nissen und Abläufen hergestellt werden. Das schließt so unterschiedliche Dinge wie die
Illustration von semantischen Merkmalen, landeskundlichen Gegebenheiten und Orten
der Lautproduktion mit ein. Diese Darstellungen können schließlich im Sinne behavio-
ristischer Lernverfahren als Referenz (Stimuli) für die Sprachproduktion dienen. In wel-
chem Medium die visuelle Information dargeboten wird, ist dabei meist zweitrangig.
Das Verfahren bleibt das gleiche. Inwieweit diese Verfahren aber tatsächliche Lerneffekte
erzielen, ist weitestgehend unbekannt. Zwischen didaktischer Intention und Lerneffekt
1246 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

klafft meist eine große Lücke (vgl. den folgenden Abschnitt). Neuere Trainingspro-
gramme für die Aussprache etwa stellen nicht nur den Ort der Lautproduktion im Mund-
Rachenraum dar, sondern vergleichen darüber hinaus die Lautproduktion des Lerners
mit der eines Mustersprechers und visualisieren die Abweichungen und Übereinstimmun-
gen mittels oszillographischer Aufzeichnungen. Diese sollen dem Lerner zur Fehlerana-
lyse und -korrektur dienen. Auch wenn diesen Darstellungen ein heuristischer Wert nicht
abgesprochen werden kann, so muss doch auf zwei gewichtige Beschränkungen hingewie-
sen werden: Erstens lässt sich das Lautsignal mit der heute verfügbaren Technologie
nicht so akkurat analysieren, wie es die Trainingsprogramme suggerieren (Harrington
2009 i.V.). Die Folge: Die Analyse ist oft ungenau. Zweitens ist es auch versierten Spre-
chern kaum möglich, die visuelle Darstellung steuernd auf die lautliche Produktion zu
übertragen. Die Lautproduktion ist höchst automatisiert und entzieht sich weitestgehend
der bewussten Kontrolle. Die Folge: Korrekturversuche basieren auf dem Zufallsprinzip.
Zur systematischen Schulung der Aussprache sind auditive Trainingsverfahren am ehes-
ten geeignet, wenn Ort und Zeit des Trainings sinnvoll in eine Handlungskette integriert
und die Trainingsgegenstände semantisiert sind, das Training also Bedeutung hat und
nicht als mechanische Drillübung verstanden wird (z. B. bei den Bedeutungsunterschie-
den des Pluralmorphems ü oder ä). Das schließt nicht aus, dass es in einem solchen
Handlungsumfeld auch kurze, fokussierte Auszeiten für grammatische und phonetische
Übungen geben kann. Aber auch hier ist eine Anbindung und Rückkoppelung an die
Bedeutung und den pragmatischen Kontext angeraten (vgl. hierzu etwa die lautliche
Darstellung/Visualisierung verschiedener Telefonzeichen in deutschen Telefonbüchern
oder die Möglichkeiten theatralischer, comichafter und literarischer Lautmalereien und
Texte in Konkreter Poesie).

3. Kognitive Aspekte der Visualisierung

Nach der kognitiven Theorie multimedialen Lernens (cognitive theory of multimedia


learning, vgl. Mayer 2005; Mayer und Sims 1994) und der dualen Kodierungstheorie
(dual coding theory, vgl. Paivio 1986; Sadoski und Paivio 2004) erfolgt die Verarbeitung
(laut-)sprachlicher und bildlicher Information in zwei unterschiedlichen Subsystemen des
semantischen Gedächtnisses. Bei der gleichzeitigen Verarbeitung von sprachlichem und
visuellem Material entstehen zwei unterschiedliche mentale Repräsentationen, die zu ei-
nem bestimmten Zeitpunkt wieder zusammengeführt werden müssen. Da die Genese der
Schrift meist auf bildlichen Darstellungen fußt, kann davon ausgegangen werden, dass
graphemische und bildliche Repräsentationen gleichermaßen über visuelle Prozesse ver-
arbeitet werden. Die gleichzeitige Verarbeitung von laut-sprachlicher und bildlicher In-
formation ist demnach mit erhöhtem Aufwand verbunden, beim Lernen mit multimedia-
len Materialien aber auch effizienter als die nachgeordnete Kombination gelesener Wör-
ter und Bilder. Je länger die Information getrennt verarbeitet und gespeichert werden
muss, desto größer ist die Inanspruchnahme der limitierten kognitiven Ressourcen. En-
gelkamp und Rummer (1999) und Engelkamp und Zimmer (2006) gehen daher davon
aus, dass die Koordination der separaten Verarbeitung ein kontinuierlicher Prozess ist,
der bei der Rezeption und Produktion von Äußerungen früh beginnt. Um Effekte der
Überbelastung zu vermeiden (die cognitive load theory, vgl. Sweller 2005) muss also eine
139. Audiovisuelle Medien 1247

zeitlich und semantisch gut abgestimmte Koordination der Verarbeitungsprozesse und


ggf. eine Einteilung in kleinere Aufgaben erfolgen (Kontiguitätseffekt, vgl. Seel 2000).
Eine verfrühte oder verspätete Illustration landeskundlicher Information, z. B. durch Ab-
bildungen, die am Anfang und Ende eines Lehrbuches oder Kapitels oder durch Filmaus-
schnitte ohne Bezug zur Lektion präsentiert werden, kann daher den beabsichtigten posi-
tiven Effekt verfehlen. Nur wenn sprachliche und visuelle Information in eine gemein-
same Repräsentation integriert werden können, kann sinnstiftendes und nachhaltiges
Lernen stattfinden (generative learning principle, vgl. Mayer 2005; Schnotz 2005).
Die spärlichen Wirkungsstudien im Bereich des Sprachenlernens zeigen, dass sich Ent-
wickler von Sprachlernprogrammen bisher kaum mit der Thematik befasst haben (vgl.
den Forschungsüberblick in Rösler 2004 und die Beiträge in Roche 2007). Eine rühmliche
Ausnahme sind die eingehenden Untersuchungen von Scheller 2009 zur Wirkung von
Grammatikanimationen, die auf der Basis eines konzeptuellen Modells von Grammatik
(vgl. Langacker 1999) entwickelt und nach den Parametern der Theorien des multimedia-
len Lernens gestaltet wurden. Hieraus lassen sich didaktische und pädagogische Kriterien
für den gezielten Einsatz von Animationen ableiten (Roche und Scheller 2008, 2004; vgl.
auch die Beiträge in der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 2004):
Animationen erlauben als zusätzliche Semantisierungshilfe Informationen zu veran-
schaulichen, die sonst nur mit größerem textlichen Aufwand geliefert werden könnten,
zum Beispiel die Veranschaulichung syntaktischer und morphologischer Prinzipien. Die
abgestimmte Kombination von bildlichen und sprachlichen Informationen führt darüber
hinaus zu einer tieferen Verarbeitung und Herausbildung mehrerer Abrufwege (Ball-
staedt 1997; Sutcliffe 1999). Die Visualisierung von Strukturen kann mit Hilfe von Ani-
mationen lernfreundlich und verständlich erfolgen: Die phasenweise Präsentation ist in
vielen Fällen besser nachzuvollziehen als eine statische, weil die Lerner nicht die fertigen
Äußerungen, sondern deren sukzessiven Aufbau vor sich sehen. Animationen können vor
allem da eingesetzt werden, wo grammatische Umstrukturierungsprozesse (Bewegungen)
verdeutlicht und dynamisch dargestellt werden können.
Auch bei der Aktivierung des mentalen Lexikons spielen lautliche, visuelle, graphemi-
sche und andere Faktoren eine Rolle. Hört ein Sprecher beispielsweise eine Silbe au, so
werden alle Wörter mit diesem Anlaut aktiviert, also Au, Auto, autonom, Aurora, Aurelia
und andere (vgl. das Kohortenmodell, Marslen-Wilson 1987; Aitchison 1997). Allerdings
ist die Stärke der Aktivierung je nach Kontext unterschiedlich. Das heißt, dass semanti-
sche und pragmatische Aspekte bei der Auswahl der aktivierten Lemmata und Lexeme
eine wesentliche Rolle spielen. Zentrale semantische Elemente (Knoten) werden dabei
stark aktiviert, entferntere werden mitaktiviert oder ko-aktiviert, aber durch den Kontext
gefiltert. Diese Vernetzungsprozesse erklärt das activation spreading model (Dell und
O’Seaghdha 1992; Roelofs 1992). Dabei spielen passende visuelle Elemente offenbar eine
wichtige Rolle, denn visuelle Information bewirkt bei der Aktivierung und Selektion
ähnliche Effekte wie sprachlicher Kontext. In kontrastiven Studien konnte zudem gezeigt
werden, dass selbst bei der Aktivierung von abstrakten Begriffen semantische Konkreti-
sierungen durch Metaphorisierungen eine große Rolle spielen (Roche und Roussy-Parent
2006). Diese Verbildlichungsprozesse bei Abstrakta lassen sich in verschiedenen Sprachen
gleichermaßen beobachten, sind aber kulturspezifisch jeweils anders ausgeprägt. Kultur-
spezifische Metaphorisierungsprozesse sind daher für die Vermittlung von abstraktem
Wortschatz ein geeignetes Mittel und können durch visuelles Material unterstützt wer-
den.
1248 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

4. Audiovisualität in Landeskunde, Ästhetik und Transkulturalität

Beim Einsatz in der Landeskundevermittlung spielen visuelle und auditive Medien oft
eine vorwiegend illustrierende und folkloristische Rolle, die auch aus plurizentrischen
Motiven begründet wird (vgl. die DACHL-Initiative www.dachl.net). Lerntheoretisch ist
dieser Einsatz weniger begründet. Hieraus entsteht jedoch oft ein Widerspruch zur Effi-
zienz des Unterrichts, da die Materialien meist bereits wichtige Grundlagenkenntnisse
zum Verstehen voraussetzen, die den Lernern aber erst mit dem Material vermittelt wer-
den sollen.
So wie sich die Bildhaftigkeit für die Vermittlung von Sprache als Vorteil erweisen
kann, so kann sie auch zu einem Hindernis in der Kommunikation werden. Zum einen
verfestigen sich Bilder in der Entwicklung einer Sprache in gewissem Maße, zum anderen
korrespondieren kulturspezifische Wahrnehmungsmuster verschiedener Kulturen nur
teilweise und unterliegen selbstverständlich der Variation. Mit dem Medium der visuellen
Übertragung zu Illustrationszwecken verbinden sich in der interkulturellen Kommunika-
tion daher oft unrealistische Vorstellungen über die Kommunikationserleichterung. An-
dererseits werden die rezeptionsästhetischen Potenziale des Mediums zu wenig für didak-
tische Zwecke genutzt (vgl. die instruktiven und praxistauglichen Beiträge in Hölscher
und Hunfeld 2001 der LIFE-Reihe, die exemplarischen Problematisierungen in Behal-
Thomsen, Lundquist-Mog und Mog 1993 sowie die Ausführungen zu interkulturellen
Aspekten der medial gestützten Lehre in Roche und Macfadyen 2004). Die zunehmende
Visualisierung der Kommunikation und die Synergiebildung von visuellen, graphemi-
schen und lautlichen sprachlichen Zeichen bieten für den Unterricht eine Fülle von
authentischen Kommunikations- und ästhetischen Gestaltungsmitteln, z. B. Graffiti,
Schriftzüge, visuelle/konkrete Poesie oder Musik, Klangexperimente und Lautspielereien,
Schriftfilme und Schriftanimationen in künstlerischen Filmen, Vor- und Abspannen,
Werbespots und Musikvideos (Packard 2006, besonders Kap. 2.3 und Kap. 7).
Die Wahrnehmung von Bild und Ton variiert von Betrachter zu Betrachter und bildet
kulturspezifische Gemeinsamkeiten aus. Als solche Konstrukte eröffnen sie ungeahnte
Einblicke in die Denkweisen anderer Menschen und Kulturen, sind also ein ausgespro-
chen gut geeignetes Mittel, um sich Bilder von Kulturen zu machen. Die Aufgaben der
Sprach- und Kulturvermittlung in Bezug auf die Nutzung semiotischer Verfahren werden
durch die Medien nicht notwendigerweise vereinfacht. Vielmehr verlangt die Medialität
verschiedener sprachlicher Systeme den Abschied von rudimentären kommunikativen,
didaktischen und medialen Konzepten und eine Hinwendung zu wissenschaftlich grun-
dierter Forschung sowie sorgsamer Planung, Koordination und didaktischer Kompetenz
für die Lehrpraxis.

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139. Audiovisuelle Medien 1249

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Jörg Matthias Roche, München (Deutschland)


1252 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

140. Materialien ür das Wortschatzlehren und


-lernen
1. Didaktik und Methodik der Wortschatzarbeit
2. Rezeptive Wortschatzarbeit
3. Reflexive Wortschatzarbeit
4. Produktive Wortschatzarbeit
5. Lehrmaterialien und Lernerorientierung
6. Literatur in Auswahl

1. Didaktik und Methodik der Wortschatzarbeit

Die Wortschatzdidaktik und -methodik ist im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweit-
sprache revisionsbedürftig. Die meisten Arbeiten sind sprachstrukturell motiviert (vgl.
z. B. Löschmann 1993), zudem ist es bislang nicht gelungen, die wenigen nützlichen Ar-
beiten (vgl. z. B. zur Kontextualisierung der Wortschatzarbeit Neuner 1990, zur Semanti-
sierung Köster 1994 oder zur interkulturellen Semantik Müller[-Jacquier] 1994) zu einem
konsensfähigen didaktischen Wortschatzkonzept zusammenzufügen. Auch im Bereich
des muttersprachlichen Deutschunterrichts gibt es wenige konzeptionelle Anregungen,
die Praxis der Wortschatzarbeit folgt den Vorgaben der traditionellen Lexikologie, wobei
die Aufgaben und Übungen isoliert und kontextfrei präsentiert werden (vgl. z. B. Ulrich
2007). Neue konzeptionelle Anregungen kommen vor allem aus den Fremdsprachenphi-
lologien und den kognitivistisch-konstruktivistisch orientierten Nachbardisziplinen (vgl.
z. B. Rohrer 1985; Kielhöfer 1994; Börner und Vogel 1993, 1994; Quetz 1998). Zusam-
menfassend muss konstatiert werden: Es fehlt in den Bereichen Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache eine kohärente, erwerbsorientierte und kompetenzbezogene wortschatzdi-
daktische Konzeption, die darauf abzielt, die Sprachhandlungskompetenzen der Schüler
aufzubauen und zu fördern (vgl. die Vorschläge bei Kühn 2000 und Steinhoff 2009). Es
ist daher auch nicht verwunderlich, wenn es an der methodischen Umsetzung mangelt
und eine stärkere Wortschatzförderung angemahnt wird (vgl. Willenberg 2008).
Die bisherigen Ansätze zur Wortschatzdidaktik sind zu statisch: Wörter und Wort-
schatz sind weniger Besitz, sondern eher Werkzeuge zum Aufbau von Textverstehens-
und Textproduktionskompetenzen. Aus diesem Grunde sollte man auch auf die Rede-
weise vom (aktiven und passiven) Wortschatz(besitz) oder von Wortschatzkenntnissen
verzichten; dies gilt auch für die Diskussion um den sogenannten Grundwortschatz, der
unzutreffender Weise als lexikalisches Lernquantum aufgefasst wird (vgl. zur Kritik
Kühns 2007a: 161⫺162). Solche Begriffe suggerieren eine nicht vorhandene Wortschat-
zautonomie und die Illusion, man könne den Wortschatz (aus)lernen. Der Wortschatz
ist jedoch nicht lernbar ⫺ so lautet die provozierende und plausible These Hausmanns
(1993: 479): „Die Sprache ist nur in den Texten Sprache. Der Rest ist Konstrukt. Der
Sprachschatz ist also kein Wortschatz, sondern ein Formulierungsschatz.“ Dies bedeutet:
Wortschatzarbeit darf somit nicht an isolierten Wörtern oder Sätzen erfolgen und rein
sprachsystematisch angelegt sein, sondern an authentischen Texten. Die Wortschatz-
arbeit steht damit in enger Verbindung mit dem Lesen und Hören sowie dem Sprechen
140. Materialien für das Wortschatzlehren und -lernen 1253

und Schreiben von Texten und ist entweder auf das Lese- und Hörverstehen oder auf
die Textproduktion bezogen. Es empfiehlt sich deshalb von rezeptiver und produktiver
Wortschatzarbeit zu sprechen. Wortschatzarbeit muss beim Sprachgebrauch der Lernen-
den ansetzen und auf den Ausbau und eine Verbesserung ihrer schriftlichen und münd-
lichen Sprachhandlungskompetenz hin funktionalisiert sein. Eine kompetenzorientierte
Wortschatzarbeit sollte also von Texten ausgehen und auch wieder zu Texten führen.
Eine solche erwerbsbezogene, textfundierte und kompetenzorientierte Wortschatzdidak-
tik und -methodik lässt sich als Dreischritt modellieren (vgl. Kühn 2000b): Wörter se-
mantisieren (rezeptive Wortschatzarbeit), vernetzen (reflexive Wortschatzarbeit) und ge-
brauchen (produktive Wortschatzarbeit).

2. Rezeptive Wortschatzarbeit
Die rezeptive Wortschatzarbeit bezieht sich auf das Verstehen und Erklären von Wörtern
und Formulierungen aus Texten. Dabei lassen sich unterschiedliche Semantisierungsver-
fahren und -prozesse denken: Lehrergesteuerte Semantisierungstechniken wie z. B.
(1) über lexikalische Mittel (Wortbildung, Wortfeldeinordnung (Nennung von Synony-
men, Antonymen, Hyponymen), Vergleich mit Internationalismen oder Fremdwör-
tern, Übersetzungsäquivalente, lexikalische Paraphrase oder Definition, Kollokati-
onsangaben),
(2) über visuelle, auditive oder gestische Mittel (Anschauungsobjekt, Zeichnung, Bild,
Foto, Video, Handlungen, Gestik, Mimik),
(3) über die Situationsspezifik (Bezug auf Teilnehmer, ihr Vorwissen, Situationsbeschrei-
bung, Bezug auf vorangegangen Unterricht) oder
(4) über Alltagserfahrungen (Final-, Kausal-, Temporalkonsequenz) (vgl. Müller[-Jac-
quier] 1994: 99⫺100).
Als besonders effektiv werden Semantisierungstechniken betrachtet, die die Lernenden
in die Lage versetzen, selbständig unbekannte Wortbedeutungen aus Texten zu entschlüs-
seln:
(1) Semantisierungsdiskurse zwischen Lehrendem und Lernenden, in denen die Lernen-
den aktiv ihre Semantisierungsbedürfnisse äußern und aus Mehrfacherklärungen die
passende auswählen können (vgl. Köster 1994: 44⫺76).
(2) In der Diskussion um die Semantisierungstechniken wird ⫺ besonders aus lernpsy-
chologischer Perspektive ⫺ das eigenständige Inferieren und Rekonstruieren aus dem
Kontext herausgestellt. Auf Grund der Textumgebung und des Sprachen- und Welt-
wissens besteht die Möglichkeit, das zu erschließende Wort semantisch genauer zu
bestimmen. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang das im Fremdspra-
chenunterricht bekannte incidental vocabulary learning, bei dem über das Texte-Lesen
neue Wörter semantisch erschlossen und gelernt werden.
(3) Semantisierungstechniken müssen die Fähigkeit einschließen, kulturspezifische Be-
deutungen zu entschlüsseln. Hier geht es insbesondere darum, am Beispiel sogenann-
ter Hotwords (z. B. Kopftuch, Gastarbeiter oder Heimat) aber auch im Alltagswort-
schatz (z. B. Brot vs. pain) kulturspezifisch bedingte Bedeutungsunterschiede aufzu-
decken und zu thematisieren (vgl. Müller[-Jacquier] 1994; Luchtenberg 2000; Kühn
2006), um die Lernenden für interkulturelle Fragestellungen zu sensibilisieren; hierzu
1254 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

ließen sich auch Wörterbücher heranziehen (vgl. Kühn 2002). Durch eine kultursensi-
tive Semantisierung lassen sich kulturspezifische Erfahrungen, Alltagsgewohnheiten,
Wertvorstellungen oder Stereotype der Wortverwendung thematisieren.
(4) Wenn im Kontext von Semantisierungen das autonome Lernen im Vordergrund ste-
hen soll, kommt der Benutzung von (Lerner-)Wörterbüchern eine herausragende Be-
deutung zu. Die Wörterbuchbenutzungsforschung hat allerdings gezeigt, dass Lerner
bei weitem nicht in der Lage sind, die Möglichkeiten, die (Lerner-)Wörterbücher
bieten, auszunutzen. Dies kann einerseits an der mangelhaften Nachschlagefertigkeit
liegen ⫺ insbesondere im Bereich Deutsch als Zweitsprache ⫺ oder andererseits
durch die Konzeption der auf dem Markt befindlichen Wörterbücher verursacht sein:
allgemeine einsprachige Wörterbücher des Deutschen sind für Semantisierungszwe-
cke in der Regel ungeeignet, Lernerwörterbücher weisen ebenfalls noch viele
Schwachstellen auf (z. B. komplizierte Wortdefinitionen, unverständliche Erklärun-
gen, mangelhaftes Definitionsvokabular, unbefriedigende Kultursensitivität.

3. Relexive Wortschatzarbeit
Seit Beginn der 1980er Jahre hat die Wortschatzarbeit und -vermittlung eine neue theore-
tische Fundierung erfahren und eine neue Qualität gewonnen: Die Linguistisierung der
Wortschatzdidaktik im Sinne einer systematischen Darstellung und Vermittlung lexikali-
scher Wortschatzstrukturen (klassische Wortfeldtheorie) hat das Augenmerk zu stark auf
das Was gelenkt. Dies führte zur Verdrängung der Frage, wie Lernende Wörter und
Formulierungen lernen, behalten, erinnern und abrufen können. Im Mittelpunkt dieser
Diskussion steht die Modellierung des mentalen Lexikons, in dem der Wortschatz netzar-
tig strukturiert ist. Die Netzwerkmodellierung ist vielseitig: Sachnetze, Kollokations-
netze, affektive Wortnetze, Wort-Frames und Skripts, Wortfelder, Wortfamilie, Klang-
netze usw. Je strukturierter und vielseitiger ein Wort vernetzt ist, desto sicherer ist es
abgespeichert und desto besser kann es abgerufen werden.
Zur Wortschatzarbeit gehört in einer reflexiven Phase also auch das Notieren, Sam-
meln und Ordnen der Wörter und Formulierungen. Methodisch ist dies denkbar in Form
netzwerkartiger Gruppierungen (Diagramme, Wortbilder, Wortigel, Mindmaps) in einer
lernerautonomen Wörterwerkstatt (vgl. Wolff 2000). Während die traditionellen Aufga-
ben und Übungen zum Wortschatz in einer logisierenden Rekonstruktion der lexikali-
schen Beziehungen bestehen, ergeben sich für eine lernerpsychologisch orientierte Wort-
schatzarbeit neue, kreative und konstruktive Aufgaben- und Übungstypen. Auch bei der
reflexiven Wortschatzarbeit können Lernerwörterbücher nützliche Hilfestellungen anbie-
ten ⫺ sofern sie nach dem Modell des mentalen Lexikons konzipiert sind (vgl. für
Deutsch als Zweitsprache z. B. Kühn 2007/2009).

4. Produktive Wortschatzarbeit
Bei der produktiven Wortschatzarbeit geht es um die Anwendung und den Gebrauch des
Wortschatzes in entsprechenden Texten und Situationen. So wie die Semantisierung mit
der Lesedidaktik korreliert, so muss die produktive Wortschatzdidaktik mit der Sprech-
140. Materialien für das Wortschatzlehren und -lernen 1255

und Schreibdidaktik in Beziehung gesetzt werden. Dabei geht es um die Reaktivierung


des aufbereiteten Wortschatzes durch seine adressaten-, intentions- und situationsspezifi-
sche Verwendung in Texten und Textsorten, insbesondere in Schreibprozessen. Als geeig-
neter Ort für die produktive Wortschatzarbeit kann die sogenannte Schreibwerkstatt
angesehen werden, in der Texte in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit geplant, formu-
liert und überarbeitet werden. Wortschatzarbeit in der Schreibwerkstatt verläuft dabei
lernschrittprogressiv: In der Planungsphase wird der Wortschatz aus Texten oder Wörter-
büchern gesammelt und geordnet, bei der Formulierung und Überarbeitung wird er an-
gewendet und in Texte umgesetzt. In allen Phasen lassen sich Wörterbücher einsetzen:
In der Planungsphase lassen sich z. B. mit Hilfe onomasiologischer Wörterbuchtypen
(z. B. Thesauri, Bildwörterbücher, bedeutungsgeschichtliche oder sprachkritische Wörter-
bücher) Wörter sammeln und zu Wörternetzen ordnen. In der Formulierungsphase hel-
fen Konstruktionswörterbücher (Kollokationswörterbücher, Stilwörterbücher), bei der
Überarbeitung distinktive Synonymiken, Antonymiken, Kollokationswörterbücher, Stil-
wörterbücher oder bei der orthographischen Kontrolle Rechtschreibwörterbücher.
Lernerwörterbücher können ebenfalls für die prozesshafte Textherstellung eingesetzt
werden, sofern sie die entsprechenden Informationsbausteine enthalten (vgl. Wolff 2000).

5. Lehrmaterialien und Lernerorientierung


Sichtet man auf der Basis der skizzierten kompetenzorientierten Wortschatzdidaktik die
Lehrmaterialien, so lässt sich kritisch Folgendes festhalten:
(1) Der stetigen Nachfrage von Lehrenden und Lernenden nach Lehrmaterialien steht
ein Defizit an geeigneten Übungsmaterialien gegenüber.
(2) In vielen Lehrwerken und speziellen Übungsbüchern zur Wortschatzarbeit dominie-
ren immer noch sprachsystematische Übungen, mit deren Hilfe isoliertes Wortschat-
zwissen abgeprüft wird. Die Übungen suggerieren, der Wortschatz sei ein geschlosse-
nes Inventar, und logisches System: Es geht vor allem um Beziehungen der Über-
und Unterordnung, um Identitäts- und Äquivalenzrelationen oder um Relationen
der Gegensätzlichkeit. Die kommunikative Verwendung des einzuübenden Wort-
schatzes spielt keine Rolle, die dargebotenen Kontexte sind minimal. Geübt wird
der Wortschatz an kontextlosen Einsetz-, Ergänzungs- oder Zuordnungsübungen
(vgl. z. B. Ferenbach und Schüßler 2007); diese Kritik gilt uneingeschränkt auch für
die Arbeit im muttersprachlichen Deutschunterricht (vgl. z. B. Ulrich 2007).
(3) Im Zuge der Erarbeitung digitaler Lehr- und Lernmittel sind auch für den Bereich
des Wortschatzes computerunterstützte Übungen (auf CD, DVD oder im Internet)
konzipiert worden. Auch die digital gestützte Wortschatzarbeit bringt keine qualita-
tive Verbesserung ⫺ im Gegenteil: Es handelt sich um traditionelle Ansätze mit den
bekannten kontextisolierten Einsetz-, Ergänzungs- oder Zuordnungsübungen. Die
Standardisierung digitaler Wortschatzaufgaben scheint geradezu eine Renaissance
der sprachsystembezogenen Wortschatzarbeit zu fördern.
(4) In neueren Lehrwerken zeigt sich ein Perspektivenwechsel: weg von der lexikalse-
mantischen Wortschatzvermittlung hin zu einer lern(er)psychologisch fundierten
Wortschatzarbeit. Diese Lehrwerke enthalten Aufgaben zur Semantisierung und
Übungen zum Sammeln und Ordnen von Wörtern. Die textbezogene, produktive
1256 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

Wortschatzarbeit wird in den Lehrwerken allerdings sträflich vernachlässigt (mus-


terhaft die Vorschläge bei Honnef-Becker 2000).
(5) Eine Wortschatzarbeit, in der die autonom arbeitenden Lernenden oder die kreative
Wortschatzarbeit die entscheidende Rolle spielen, gilt als Ausnahme (vgl. Bohn und
Schreiter 2000: 92, 95).
(6) Vollkommen unzureichend in der bisherigen Wortschatzarbeit ist die Berücksichti-
gung von Phraseologismen bzw. eine entsprechende Phraseodidaktik (vgl. Ettinger
2007; Kühn 2007b).
(7) Dem (Lerner-)Wörterbuch kann bei der Wortschatzarbeit insofern eine bedeutende
Rolle zugewiesen werden, als Wörterbücher sowohl bei der rezeptiven und reflexiven
als auch bei der produktiven Wortschatzarbeit gewinnbringend eingesetzt werden
könnten. Die bisherigen Vorschläge zur Wörterbucharbeit beschränken sich aller-
dings fast ausschließlich auf die Handhabung eines bestimmten Wörterbuchtyps
(vgl. z. B. Schneider 1993; Schaeder 2000). Praktische Hinweise zum funktionalen
Einsatz des Wörterbuchs bei Textrezeption und -produktion gibt es kaum (vgl. rich-
tungsweisend Honnef-Becker 1999, 2000, 2002).

6. Literatur in Auswahl
Bohn, Rainer und Ina Schreiter
2000 Wortschatzarbeit in den Sprachlehrwerken Deutsch als Fremdsprache: Bestandsauf-
nahme, Kritik, Perspektiven. In: Peter Kühn (Hg.), Wortschatzarbeit in der Diskussion,
57⫺98. Hildesheim: Olms.
Börner, Wolfgang und Klaus Vogel (Hg.)
1993 Wortschatz und Fremdsprachenerwerb. Bochum: AKS.
Börner, Wolfgang und Klaus Vogel (Hg.)
1994 Kognitive Linguistik und Fremdsprachenerwerb: Das mentale Lexikon. Tübingen: Narr.
Burger, Harald, Dmitrij Dobrovol’skij, Peter Kühn und Neal R. Norrick (Hg.)
2007 Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. Bd. 2. (Hand-
bücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 28.1⫺2). Berlin: de Gruyter.
Ettinger, Stefan
2007 Phraseme im Fremdsprachenunterricht. In: Harald Burger, Dmitrij Dobrovol’skij, Peter
Kühn und Neal R. Norrick (Hg.), Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitge-
nössischen Forschung, 893⫺908. Bd. 2. Berlin: de Gruyter.
Ferenbach, Magda und Ingrid Schüßler
2007 Wörter zur Wahl: Wortschatzübungen. Deutsch als Fremdsprache. 3. Aufl. Stuttgart: Klett.
Hausmann, Franz Josef
1993 Ist der deutsche Wortschatz lernbar? Oder: Wortschatz ist Chaos. Informationen Deutsch
als Fremdsprache 20: 471⫺485.
Honnef-Becker, Irmgard
1999 Der Duden als Malkasten? Zum Wörterbuchgebrauch beim kreativen Schreiben in
Deutsch als Fremdsprache. Lexicographica 14: 14⫺33.
Honnef-Becker, Irmgard
2000 Wortschatzarbeit in der Schreibwerkstatt: Plädoyer für eine textbezogene Wortschatzdi-
daktik. In: Peter Kühn (Hg.), Wortschatzarbeit in der Diskussion, 149⫺177. Hildesheim:
Olms.
Honnef-Becker, Irmgard
2002 Die Benutzung des „de Gruyter Wörterbuchs Deutsch als Fremdsprache“ in Situationen
der Textproduktion. In: Herbert Ernst Wiegand (Hg.), Perspektiven der pädagogischen
140. Materialien für das Wortschatzlehren und -lernen 1257

Lexikographie des Deutschen II. Untersuchungen anhand des „de Gruyter Wörterbuchs
Deutsch als Fremdsprache,“ 623⫺646. Tübingen: Niemeyer.
Kielhöfer, Bernd
1994 Wörter lernen, behalten und erinnern. Neusprachliche Mitteilungen 47: 211⫺220.
Köster, Lutz
1994 Semantisierungsprozesse im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Frankfurt a. M.: Lang.
Köster, Lutz
2001 Wortschatzvermittlung. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen
Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch, 887⫺893. Bd. 2.
(Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 10.1⫺2). Berlin: de Gruyter.
Kühn, Peter (Hg.)
2000 Wortschatzarbeit in der Diskussion. Hildesheim: Olms.
Kühn, Peter
2000 Kaleidoskop der Wortschatzdidaktik und -methodik. In: Peter Kühn (Hg.), Wortschatz-
arbeit in der Diskussion, 5⫺28. Hildesheim: Olms.
Kühn, Peter
2002 Kulturgebundene Lexik und kultursensitive Bedeutungserläuterungen im „de Gruyter
Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache“. In: Herbert Ernst Wiegand (Hg.), Perspektiven
der pädagogischen Lexikographie des Deutschen II. Untersuchungen anhand des „de Gruy-
ter Wörterbuchs Deutsch als Fremdsprache“, 161⫺200. Tübingen: Niemeyer.
Kühn, Peter
2006 Interkulturelle Semantik. Nordhausen: Bautz.
Kühn, Peter
2007a Rezeptive und produktive Wortschatzkompetenzen. In: Heiner Willenberg (Hg.), Kompe-
tenzhandbuch für den Deutschunterricht. Auf der empirischen Basis des DESI-Projekts,
160⫺167. Baltmannsweiler: Schneider.
Kühn, Peter
2007b Phraseme im Muttersprachenunterricht. In: Harald Burger, Dmitrij Dobrovol’skij, Peter
Kühn und Neal R. Norrick (Hg.), Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitge-
nössischen Forschung, 881⫺893. Bd. 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikations-
wissenschaft 19.1⫺2). Berlin: de Gruyter.
Kühn, Peter
2007/2009 Mein Schulwörterbuch. Troisdorf: Bildungsverlag Eins [digitalisiert 2009].
Löschmann, Martin
1993 Effiziente Wortschatzarbeit. Alte und neue Wege. Frankfurt a. M.: Lang.
Luchtenberg, Sigrid
2000 Interkulturelle Wortschatzarbeit. In: Peter Kühn (Hg.), Wortschatzarbeit in der Diskus-
sion, 209⫺222. Hildesheim: Olms.
Müller[-Jacquier], Bernd-Dietrich
1994 Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung. (Fernstudieneinheit 8). Berlin: Langen-
scheidt.
Neuner, Gerhard
1990 Mit dem Wortschatz arbeiten. Systematisches Wörterlernen im Deutschunterricht ⫺ neu
zu entdecken. Fremdsprache Deutsch 3: 4⫺11.
Quetz, Jürgen
1998 Der systematische Aufbau eines „mentalen Lexikons“. In: Johannes-Peter Timm (Hg.):
Englisch lernen und lehren ⫺ Didaktik des Englischunterrichts, 272⫺290. Berlin: Cornel-
sen.
Rohrer, Josef
1985 Lernpsychologische Aspekte der Wortschatzarbeit. Die Neueren Sprachen 84: 595⫺611.
Schaeder, Burkhard
2000 Wörterbucharbeit im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. In: Peter Kühn (Hg.), Wort-
schatzarbeit in der Diskussion, 249⫺280. Hildesheim: Olms.
1258 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

Schneider, Klaus Peter


1993 Wörterbucharbeit als Lernprozeß. In: Wolfgang Börner und Klaus Vogel (Hg.), Kognitive
Linguistik und Fremdsprachenerwerb: Das mentale Lexikon, 87⫺109. Tübingen: Narr.
Steinhoff, Torsten
2009 Wortschatz ⫺ eine Schaltstelle für den schulischen Spracherwerb? Siegener Papiere zur
Aneignung sprachlicher Strukturformen 17: 1⫺66.
Ulrich, Winfried
2007 Wörter, Wörter, Wörter. Wortschatzarbeit im muttersprachlichen Deutschunterricht. Anlei-
tung und praktische Übungen mit 204 Arbeitsblättern in Form von Kopiervorlagen. Balt-
mannsweiler: Schneider.
Wiegand, Herbert Ernst (Hg.)
2002 Perspektiven der pädagogischen Lexikographie des Deutschen II. Untersuchungen anhand
des „de Gruyter Wörterbuchs Deutsch als Fremdsprache“. Tübingen: Niemeyer.
Willenberg, Heiner
2008 Wortschatz Deutsch. In: DESI-Konsortium (Hg.), Unterricht und Kompetenzerwerb in
Deutsch und Englisch. Ergebnisse der DESI-Studie, 72⫺80. Weinheim: Beltz.
Wolff, Dieter
2000 Wortschatzarbeit im Fremdsprachenunterricht: Eine kognitivistisch-konstruktivistische
Perspektive. In: Peter Kühn (Hg.), Wortschatzarbeit in der Diskussion, 99⫺124. Hildes-
heim: Olms.

Peter Kühn, Trier (Deutschland)

141. Materialien ür das Grammatiklehren und -lernen


1. Linguistische Grammatiken
2. Didaktische Grammatiken
3. Pädagogische Grammatiken
4. Didaktisch orientierte Darstellungen zur Gesamtheit oder zu Einzelproblemen der deutschen
Sprache
5. Literatur in Auswahl

Die Materialien für die Vermittlung von Grammatik im fremdsprachlichen Deutschun-


terricht gliedern sich in vier Kategorien:

Linguistische Grammatiken (Grundlagendarstellung)


Didaktische Grammatiken (Anwendungsorientierte Grammatiken)
Pädagogische Grammatiken (Grammatiken in Lehrwerken/Übungsgrammatiken)
Didaktisch orientierte Darstellungen der Gesamtheit oder von Einzelproblemen
der Grammatik der deutschen Sprache

1. Linguistische Grammatiken
Linguistische Grammatiken sollen ihren Gegenstand umfassend, widerspruchsfrei und
auf der Grundlage einer einheitlichen Theorie beschreiben. Diesem Postulat genügen
141. Materialien für das Grammatiklehren und -lernen 1259

freilich nur selten Grammatiken. Zu den im Deutschen als Fremdsprache/Deutschen als


Zweitsprache benutzten einsprachigen und kontrastiven Grammatiken gehören:

Gerhard Helbig/Joachim Buscha: Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den


Ausländerunterricht.
Ulrich Engel: Deutsche Grammatik.
Lutz Götze/Ernest W. B. Hess-Lüttich: Grammatik der deutschen Sprache.
Harald Weinrich u. a.: Textgrammatik der deutschen Sprache.
Peter Eisenberg: Grundriß der deutschen Grammatik.
Gisela Zifonun u. a.: Grammatik der deutschen Sprache.
Ulrich Engel/Rosemaria Tertel: Kommunikative Grammatik Deutsch als Fremd-
sprache.
DUDEN. Grammatik der deutschen Sprache.
Elke Hentschel/Harald Weydt: Handbuch der deutschen Grammatik.

Alle diese Grammatiken bieten einsprachige oder zweisprachig-kontrastive Erklärungen


der häufigsten und wichtigsten grammatischen Phänomene des Deutschen. Sie beschrän-
ken sich im Regelfall auf den Kernbereich jeglicher Grammatik, also Morphologie und
Syntax. Lediglich Weinrich, Zifonun u. a. sowie Götze und Hess-Lüttich beziehen den
Text als nächsthöhere Kategorie mit ein.
Mit Abstand am häufigsten verwendet wird das Standardwerk, also die Grammatik
von Helbig und Buscha. Sie bietet, zusammen mit einer Schülergrammatik, eine umfang-
reiche und leicht benutzbare Darstellung der Regeln von Formen- und Satzlehre. Für
tiefer gehendes Studium von Einzelproblemen sind die Grammatiken Engel, Eisenberg,
Zifonun u. a., Götze und Hess-Lüttich und Hentschel und Weydt geeignet.
Als Beispiel einer Kontrastiven Grammatik gilt das Werk von Engel und Mrazovic
zum Vergleich des Deutschen und des Serbokroatischen. Hier werden, basierend auf der
Kontrastiv-Hypothese der Zweitspracherwerbsforschung, Gemeinsamkeiten, Ähnlichkei-
ten und Unterschiede der beiden Sprachen analysiert und wird im Einzelfall auf Inter-
ferenzmöglichkeiten hingewiesen.
Eine Weiterentwicklung der Kontrastiv-Hypothese ist der Sammelband von Götze
und Müller-Liu und Traoré: Kulturkontrastive Grammatik. Konzepte und Methoden. Hier
werden, auf der Grundlage der Sprachphilosophie Wilhelm von Humboldts, Sprachen
als Ausdruck unterschiedlicher Weltansichten begriffen, verglichen und auf Probleme
beim Erwerb der Grammatik der deutschen Sprache hingewiesen.
Zu den Defiziten aller vorliegenden Grammatiken gehört die allenfalls in Ansätzen
vorgenommene Beschreibung der gesprochenen deutschen Gegenwartssprache: Eine
Grammatik der gesprochenen Sprache liegt bislang nur von Henning (2006) vor. Die
Schwierigkeiten einer solchen Grammatik liegen bei der Erstellung einschlägiger und
aussagekräftiger Korpora als Grundlage der Grammatik, weiterhin bei der Entschei-
dung, welches Register (Standardsprache, regionale Varianten, Alltagssprache usw.) zu-
grunde gelegt werden sollte, sowie bei der Schnelllebigkeit zahlreicher Phänomene der
gesprochenen Sprache.
Eine interessante Alternative, weil aus der Sicht der Auslandsgermanistik geschrieben,
ist die Gruppengrammatik von François Schanen 1995 (Paris). Sie ist vor allem für Ger-
manisten und Studierende auf fortgeschrittenem Niveau geeignet. Ausführliche Analysen
linguistischer und didaktischer Grammatiken finden sich bei Hennig (2006).
1260 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

2. Didaktische Grammatiken
Didaktische Grammatiken wählen aus dem Gesamtbereich der Grammatik einer natürli-
chen Sprache die häufigsten, schwierigsten und fehlerträchtigsten Teile aus und stellen
diese dar. Dazu ziehen die Autoren häufig unterschiedliche Grammatiktheorien heran
und wenden diese auf ihren Gegenstand an. Gelegentlich gibt es zweisprachig-kontrastive
didaktische Darstellungen.
Didaktische Grammatiken werden oft adressatenorientiert geschrieben: So gibt es
Lehrergrammatiken (Häussermann und Kars, Latour, Buscha) und Schülergrammatiken
(Dreyer und Schmitt, Reimann, Götze), daneben Produktionsgrammatiken (Rug und To-
maszewski, Fandrych und Tallowitz) und Rezeptionsgrammatiken, zumal zur Entwick-
lung des Leseverstehens (Heringer). Kontrastive Darstellungen finden sich häufig: Als
Beispiel sei die Grammatik von Msia Gwenzadse (Tbilissi) genannt. Hier werden, in
Anlehnung an funktional-kommunikative Darstellungen bei Engel, Buscha und Götze,
Funktionen sprachlichen Handelns und deren sprachliche Ausdrucksmittel im Deutschen
und Georgischen verglichen und durch Übungen ergänzt.
Die früher gebrauchte Unterscheidung von Resultatsgrammatiken (Normative Gram-
matiken) und Prozessgrammatiken (Grammatiken der Beschreibung von Erwerbsprozes-
sen/Erwerbssequenzen) wird heute nicht mehr vorgenommen, da sich die Hoffnung, Er-
werbsprozesse (Artikelsystem, Endstellung des finiten Verbs in abhängigen Sätzen, Stel-
lung der Negationspartikel nicht, Bildung zusammengesetzter Tempusformen usw.)
ließen sich generalisieren und in Grammatiken beschreiben, nicht erfüllt hat: Die Hirn-
forschung hat nachgewiesen, dass alle Spracherwerbsprozesse individuell unterschiedlich
und allenfalls in Ansätzen verallgemeinerbar sind. Zu den häufig gebrauchten didakti-
schen Grammatiken gehören:

Gerhard Helbig/Joachim Buscha: Schülergrammatik.


Lutz Götze u. a.: SchülerWAHRIG: Deutsche Grammatik.
Joachim Buscha: Grammatik in Feldern.
Wolfgang Rug/Andreas Tomaszewski: Grammatik mit Sinn und Verstand.
Hans Barkowski u. a.: Kommunikative Grammatik und Deutsch lernen mit aus-
ländischen Arbeitern.

Diese didaktischen Grammatiken orientieren ihre Darstellungen am Interesse der Benut-


zer. Sie bieten daher überschaubare, auch für den Nichtmuttersprachler verständliche
und mit Beispielen und häufig Übungen versehene Texte. In jüngster Zeit ist dabei eine
Hinwendung zu funktional-kommunikativen Beschreibungen erkennbar. (Buscha,
Götze, Rug und Tomaszewski): Im Zentrum der Darstellung steht die Funktion sprachli-
cher Zeichen und nicht die Form, also die Frage, welche sprachlichen Funktionen mit
welchen Formen ausgedrückt werden. Als Beispiel diene das Passiv: Traditionell wird es
als Umkehrung des Aktivs (Aktiv-Passiv-Konverse) verstanden und gelehrt. Beim funkti-
onalen Ansatz hingegen wird nach Textsorten und Intentionen geforscht und entspre-
chend klassifiziert: Das Passiv als täterabgewandte oder den Urheber der Handlung nicht
benennende Struktur wird im Deutschen häufig gebraucht, wenn das Agens (der Han-
delnde) nicht wichtig bzw. allgemein bekannt ist, oder aber, wenn es aus taktischen oder
ideologischen Gründen nicht genannt werden soll oder darf: Im Kabinett wurden Steuer-
senkungsvorschläge diskutiert. Nicht genannt wird hier, welches Kabinettsmitglied welche
141. Materialien für das Grammatiklehren und -lernen 1261

Vorschläge oder Ablehnungen formuliert hat. Das Ziel ist, die Öffentlichkeit bewusst
oder unbewusst falsch zu informieren oder zu verschweigen, wer was gesagt hat, oder es
wird vorausgesetzt, dass die Mitglieder des Kabinetts bekannt sind.

3. Pädagogische Grammatiken
Pädagogische Grammatiken sind Teile oder Zusätze (Zusatzbände) von Lehrwerken,
also grammatische Erklärungen in Lehrwerken des Deutschen als Fremdsprache/Deut-
schen als Zweitsprache, versehen mit Übungsbeispielen. Alle Lehrwerke verfügen über
solche Pädagogischen Grammatiken, die in jüngster Zeit auch mit neuen Medien (Ton-
träger, CD-Rom, Videomaterialien) ausgestattet sind. Besonderer Beachtung erfreut sich
dabei das so genannte E-learning, also das individuelle Lernen von Sprache und Gram-
matik mit elektronischen Medien. Zu den pädagogischen Grammatiken gehören auch
die Übungsgrammatiken: Beispielhaft werden hier genannt:

Axel Hering/Magdalena Matussek/Michaela Perlmann-Balmem: Übungsgramma-


tik
Hilke Dreyer/Rainer, Schmitt: Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik
Renate Luscher: Übungsgrammatik für Anfänger
Christian Fandrych/Ulrike Tallowitz: Klipp und Klar.

Diese pädagogischen Grammatiken sind stufenorientiert (Anfänger/Fortgeschrittene),


bieten Übungen mit einem Lösungsschlüssel und sind damit für das autonome Lernen
oder Lernen in Gruppen geeignet. Ihr Schwerpunkt liegt auf den Grundregeln von Mor-
phologie und Syntax, weniger im kommunikativ-funktionalen Sprachlernen.

4. Didaktisch orientierte Darstellungen zur Gesamtheit oder zu


Einzelproblemen der deutschen Sprache
Eine Vielzahl von Publikationen zu Einzelphänomenen der Vermittlung und des Lernens
von Grammatik liegt vor. Dazu gehören die Beiträge in einschlägigen Zeitschriften wie
Deutsch als Fremdsprache, Fremdsprache Deutsch oder Deutschprima(r), regelmäßige
Publikationen wie die Materialien Deutsch als Fremdsprache, das Jahrbuch Deutsch als
Fremdsprache und InfoDaF, weiterhin die Fernstudieneinheiten „Grammatik lehren und
lernen“ (Funk und König) sowie das Aufgabenhandbuch von Häussermann und Piepho.
Die Fülle der Einzeldarstellungen zu Problemen von Morphologie, Syntax, Semantik,
Pragmatik und Textlinguistik im Deutschen als Fremdsprache ist heute unüberschaubar
und allenfalls über das Internet erschließbar.

5. Literatur in Auswahl
Barkowski, Hans
1986 Kommunikative Grammatik und Deutschlernen mit ausländischen Arbeitern. Königstein:
Athenäum.
1262 XIII. Medien und Lehr-Lernmaterialien

Bausch, Karl-Richard und Gabriele Kasper


1979 Der Zweitspracherwerb: Möglichkeiten und Grenzen der großen Hypothesen. Linguisti-
sche Berichte 64: 3⫺35.
Buscha, Joachim
1998 Grammatik in Feldern. Ein Lehr- und Übungsbuch für fortgeschrittene Deutschlerner. Isma-
ning: Hueber.
Dreyer, Hilke und Rainer Schmitt
1999 Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik. Ismaning: Verlag für Deutsch.
Duden
2007 Grammatik der deutschen Sprache. Mannheim: Dudenverlag.
Eisenberg, Peter
1999 Grundriß der deutschen Grammatik. Stuttgart: Metzler.
Engel, Ulrich und Pavica Mrazovic (Hg.)
1986 Kontrastive Grammatik Deutsch-Serbokroatisch. 2 Halbbände. NoviSad und München:
Sagners Slavistische Sammlung.
Engel, Ulrich und Rosamaria K. Tertel
1993 Kommunikative Grammatik Deutsch als Fremdsprache: Die Regeln der deutschen Ge-
brauchssprache in 30 gemeinverständlichen Kapiteln. München: iudicium.
Engel, Ulrich
1996 Deutsche Grammatik. Heidelberg: Groos.
Fandrych, Christian und Ulrike Tallowitz
2000 Klipp und Klar. Übungsgrammatik Deutsch. München: Klett.
Flämig, Walter
1991 Grammatik des Deutschen: Einführung Struktur und Wirkungszusammenhänge; erarbeitet
auf der theoretischen Grundlage der „Grundzüge der deutschen Grammatik“. Berlin:
Akademie-Verlag.
Funk, Hermann und Michael König
1995 Grammatik lehren und lernen. München: Langenscheidt.
Götze, Lutz
1993 Lebendiges Grammatiklernen. Anmerkungen zu einem modernen Grammatikunterricht.
Fremdsprache Deutsch 2: 4⫺9.
Götze, Lutz
1999 Eine funktionale Grammatik für Deutsch als Fremdsprache. In: Skibitzki, Bernd und
Barbara Wotjak (Hg.), Linguistik und Deutsch als Fremdsprache. Festschrift für Gerhard
Helbig zum 70. Geburtstag, 81⫺94. Tübingen: Narr.
Götze, Lutz und Ernest W. B. Hess-Lüttich
1999 Grammatik der deutschen Sprache. Sprachsystem und Sprachgebrauch. Gütersloh: Bertels-
mann.
Götze, Lutz, Gabriele Pommerin und Ulla Mayer
2009 Schüler WAHRIG. Deutsche Grammatik. Gütersloh: WissenMedia.
Götze, Lutz, Particia Mueller-Liu und Salifou Traure (Hg.)
2009 Kulturkontrastive Grammatik. Konzepte und Methoden. Frankfurt a. M.: Lang.
Gwenzadse, Msia
2000 Deutsche Grammatik. 1. Lerngrammatik für Deutsch als Fremdsprache. Tiblisi: Bakur Su-
lakauri.
Häussermann, Ulrich und Hans-Eberhard Piepho
1996 Aufgaben-Handbuch Deutsch als Fremdsprache. München: iudicium.
Häussermann, Ulrich und Jürgen Kars
1997 Grundgrammatik Deutsch. Frankfurt: Diesterweg.
Helbig Gerhard und Joachim Buscha
2001 Schülergrammatik. München: Langenscheidt.
141. Materialien für das Grammatiklehren und -lernen 1263

Helbig, Gerhard und Joachim Buscha


2004 Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. München: Langen-
scheidt.
Hennig, Mathilde
2001 Welche Grammatik braucht der Mensch? Grammatikenführer für Deutsch als Fremdsprache.
München: iudicium.
Hennig, Mathilde
2006 Grammatik der gesprochenen Sprache in Theorie und Praxis. Kassel: kassel university
press.
Hentschel, Elke und Harald Weydt
1994 Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin: de Gruyter.
Heriger, Hans-Jürgen
1987 Wege zum verstehenden Lesen. Lesegrammatik für Deutsch als Fremdsprache. München:
Hueber.
Latour, Bernd
1988 Mittelstufengrammatik für Deutsch als Fremdsprache. Ismaning: Hueber.
Luscher, Renate
1907 Übungsgrammatik für Anfänger. Lehr- und Übungsbuch Deutsch als Fremdsprache. Isma-
ning: Verlag für Deutsch.
Nieder, Lorenz
1987 Lernergrammatik für Deutsch als Fremdsprache. Ismaning: Hueber.
Reimann, Monika
1997 Grundstufen-Grammatik für Deutsch als Fremdsprache. Ismaning: Hueber.
Rug, Wolfgang und Andreas Tomaszewski
1993 Grammatik mit Sinn und Verstand. München: Klett.
Schanen, François
1995 Grammatik Deutsch als Fremdsprache. München: iudicium.
Weinrich, Harald
1993 Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim: Dudenverlag.
Zifonun, Gisela, Ludger Hoffmann und Bruno Strecker
1997 Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bände. Berlin: de Gruyter.

Lutz Götze, Saarbrücken (Deutschland)


XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

142. Kompetenzmodelle und Bildungsstandards ür


Deutsch als Fremd- und Deutsch als
Zweitsprache
1. Einleitung
2. Zu den Begriffen Kompetenz und kommunikative Kompetenz
3. Kompetenzmodelle
4. Bildungsstandards
5. Bilanz
6. Literatur in Auswahl

1. Einleitung

Bildungsstandards konkretisieren Bildungsziele, denen schulisches Lernen folgen soll, in


Form von Kompetenzanforderungen. Von der sog. Kompetenzorientierung erwartet man
eine Qualitätsverbesserung des schulischen Fremdsprachenunterrichts.
In diesem Beitrag wird zuerst kurz rekapituliert, was unter den Schlüsselbegriffen
Kompetenz und kommunikative Kompetenz verstanden wird (Abschnitt 2). Gegenstand
von Abschnitt 3 sind Modellierungen kommunikativer Kompetenz. Genauer diskutiert
wird das Kompetenzmodell des Europäischen Referenzrahmens, weil davon der grösste
Einfluss auf Bildungsstandards in den Fremdsprachen ausgeht. Abschnitt 4 stellt grund-
legende Konzepte von Bildungsstandards vor, informiert über die einschlägigen Projekte
in den deutschsprachigen Ländern und führt summarisch einige Risiken und Chancen
von Standards an.

2. Zu den Begrien Kompetenz und kommunikative Kompetenz

In der Diskussion um Bildungsstandards in den deutschsprachigen Ländern wurde der


sonst sehr verschieden gebrauchte Begriff Kompetenz besonders durch die Expertise von
Klieme et al. (2003) für das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) und die deutsche Kultusministerkonferenz (KMK) geschärft und geprägt. Im
Klieme-Gutachten wird Kompetenz (in Übereinstimmung mit Weinert 2001) definiert als
die bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten
und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen mo-
tivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Prob-
lemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen
zu können. (Klieme et al. 2003: 72)
142. Kompetenzmodelle und Bildungsstandards für Dt. als Fremd- und Zweitsprache 1265

Kompetenz wird hier als kognitive Problemlösungsfähigkeit aufgefasst, die v. a. durch


drei Merkmale näher bestimmt ist: Erstens werden Kompetenzen als etwas Erlerntes und
Erlernbares konzipiert: „Kompetenz hat wohl eine materielle Basis in den Genen, aber
sie entwickelt sich aufgrund von Lernprozessen (…) je verschieden“ (Oelkers und Reus-
ser 2008: 26). Zweitens werden Kompetenzen auf wissensbasierte Fähigkeiten in bestimm-
ten Handlungsbereichen (Domänen) und Kontexten bezogen (im Gegensatz zur klassi-
schen Vorstellung von Intelligenz als kontextfreier kognitiver Disposition) (vgl. Oelkers
und Reusser 2008: 24). Und drittens bedeutet Kompetenz eine Verbindung von Wissen
und Können, die mit Einstellungen, Werten und Motiven interagiert.
Dieser Kompetenzbegriff steht dem soziolinguistisch begründeten von Dell Hymes
(1972) viel näher als dem universalgrammatischen von Chomsky (1965). Chomskys
Kompetenz ist auf die Beherrschung eines abstrakten grammatischen Regelsystems be-
schränkt, und dieses System wird klar vom effektiven Sprachgebrauch (Performanz) als
etwas Zweitrangigem abgegrenzt. Hymes stellte diesem Kompetenzbegriff eine umfas-
send konzipierte kommunikative Kompetenz entgegen, die sowohl Wissen (tacit knowl-
edge) als auch die Fähigkeit zum Sprachgebrauch (ability to use) umfasst, wobei auch
diese Sprachgebrauchsfähigkeit auf der Ebene der Kompetenz verortet wird und also
nicht mit effektivem Gebrauch gleichzusetzen ist. Hymes’ ability to use umfasst zunächst,
wie bei Chomsky, grammatisches Urteilsvermögen, geht dann aber weit darüber hinaus:
Eingeschlossen wird die Fähigkeit, Sprache auch kontextspezifisch und sozial angemes-
sen zu produzieren und zu rezipieren.
Einen noch umfassenderen Kompetenzbegriff als Dell Hymes setzt der Gemeinsame
Europäische Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001, in der Folge abgekürzt GER)
an. Dieser Kompetenzbegriff wird hier zitiert und im nächsten Abschnitt genauer erläu-
tert.

Kompetenzen sind die Summe des (deklarativen) Wissens, der (prozeduralen) Fer-
tigkeiten und der persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen und allgemeinen kogni-
tiven Fähigkeiten, die es einem Menschen erlauben, Handlungen auszuführen.
(GER 2001: 21)

3. Kompetenzmodelle
Drei Modellierungen kommunikativer Kompetenz sind in der Fremdsprachendidaktik
und im Bereich des language testing besonders einflussreich geworden: das Modell von
Canale und Swain (1980; Canale 1983), dasjenige von Bachman und Palmer (1996; Bach-
man 1990) und das Modell des GER (2001). Das Modell von Canale und Swain und der
GER sind deskriptive Modelle. Bachmanns Modell ist hingegen als Funktionsmodell
intendiert, indem strategische Kompetenzen eine zentrale Stellung einnehmen. Aus Platz-
gründen wird hier nur der Ansatz des GER genauer besprochen. Zur vergleichenden
Diskussion der drei Modelle siehe u. a. Lenz (2006), Harsch (2006), Schneider und North
(2000) und die dort zitierte Literatur.
Mit dem GER (2001) liegt ein sehr umfassendes und differenziertes Kategoriensystem
zur Beschreibung von kommunikativen Kompetenzen vor, das verschiedene Tendenzen und
Entwicklungen aufnimmt, systematisiert und z. T. weiter ausdifferenziert. Sehr klar he-
rausgearbeitet wird im GER die Handlungsorientierung von Kompetenz. Das ist eine
1266 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

deutliche Parallele zu Klieme (vgl. oben, Abschnitt 2), wobei die Handlungsorientierung
im GER mit dem Konzept kommunikativer Aufgaben (tasks) und deren Bewältigung
verknüpft ist. Im GER werden Sprachenlernende in erster Linie als sozial Handelnde
betrachtet, die „unter bestimmten Umständen und in spezifischen Umgebungen und
Handlungsfeldern kommunikative Aufgaben bewältigen müssen“ (GER 2001: 21). Zur
Bewältigung dieser Aufgaben greifen Lernende auf eine Vielzahl von Kompetenzen (!)
zurück, darunter allgemeine Kompetenzen, die bei sprachlichen und nicht sprachlichen
Handlungen eingesetzt werden (savoir, savoir faire, savoir être und savoir apprendre; vgl.
GER 2001: 22⫺23 und Abschnitt 5.1.1⫺5.1.4) und kommunikative Sprachkompetenzen,
welche zum Handeln mit Hilfe von spezifischen sprachlichen Mitteln befähigen (linguisti-
sche, soziolinguistische und pragmatische Kompetenzen; GER 2001: 24⫺25 und Ab-
schnitt 5.2). Weiterhin gehören sprachliche Aktivitäten resp. kommunikative (Sprach-)
Aktivitäten (die Terminologie ist hier schwankend) zum Ansatz des GER, worunter „die
Ausübung der kommunikativen Sprachkompetenz eines Menschen in einem bestimmten
Lebensbereich“ verstanden wird und zu denen rezeptive, produktive, interaktive und
sprachmittelnde Aktivitäten sowie damit einhergehende Strategien gezählt werden (GER
2001: 21, 25 und Abschnitt 4.4).
Die Beschreibung der kommunikativen Sprachkompetenzen im GER ist Bachmans
Sprachwissen (language knowledge) recht ähnlich, doch es zeigen sich auch Unterschiede,
u. a. im Pragmatikverständnis der beiden Ansätze. Strategien des Sprachgebrauchs spie-
len im GER eine ebenso wichtige Rolle wie bei Bachman, doch werden sie im GER auch
konkret und in der gleichen Weise ausformuliert und sogar skaliert, wie die kommunika-
tiven Aktivitäten selbst. Beispielsweise werden im Anschluss an die Skalen zur mündli-
chen und schriftlichen Interaktion drei Skalen zu Interaktionsstrategien präsentiert:
„Sprecherwechsel“, „Kooperieren“ und „um Klärung bitten“ (GER 2001: 88⫺89).
Die grosse Wirkung des GER ging und geht allerdings nicht von diesem umfassenden
Beschreibungssystem für Kompetenzen aus, auch nicht von der durchgängigen Frage-
struktur, mit der die Kompetenzen für die verschiedenen Benutzer des GER (z. B. Curri-
culumsverantwortliche) präsentiert werden, sondern von den illustrativen Beispiel-Ska-
len, d. h. von denjenigen Kompetenzbeschreibungen oder „Deskriptoren“ („Kann …“),
die in einem Schweizer Forschungsprojekt empirisch validiert und skaliert, d. h. einem
von sechs Niveaus (A1 bis C2) zugeordnet werden konnten (vgl. Schneider und North
2000) und die aus diesem Projekt in den GER übernommen wurden. Skalierte Deskripto-
ren bietet der GER sowohl für „kommunikative Aktivitäten und Strategien“ als auch
für „kommunikative Sprachkompetenzen“ an. Erstere setzen konsequent die Handlungs-
orientierung um (was können Lernende auf einem Niveau typischerweise tun?) und sind
zu Einzelskalen wie z. B. „Gespräche zwischen Muttersprachlern verstehen“ zusammen-
gestellt, die ihrerseits den klassischen vier Fertigkeiten (hier dem Hörverstehen) zugeord-
net sind. Demgegenüber fokussieren die Deskriptoren zu den kommunikativen Sprach-
kompetenzen Merkmale der sprachlichen Qualität der Handlungen (wie gut kann jemand
auf einem Niveau sprachlich handeln?) und sind zu Einzelskalen wie z. B. „Grammati-
sche Korrektheit“ oder „soziolinguistische Angemessenheit“ zusammengestellt. ⫺ Zur
Kritik am GER, die indessen kaum das Kompetenzmodell, sondern u. a. Aspekte der
Skalen betrifft, vgl. Bausch et al. (2003) und dagegen Schneider (2003).
Festzuhalten ist, dass ein erheblicher Unterschied zwischen dem GER als umfassen-
dem Beschreibungssystem für Kompetenzen und dem GER als Sammlung illustrativer
Beispielskalen besteht und dass die starke Wirkung des GER zu einem grossen Teil auf
142. Kompetenzmodelle und Bildungsstandards für Dt. als Fremd- und Zweitsprache 1267

letzteren basiert ⫺ und/oder auf den (nie empirisch validierten) Konkretisierungen und
Ergänzungen dieser Skalen in Profile Deutsch (Glaboniat et al. 2005), mit denen die
GER-Skalen oft verwechselt oder in eins gesetzt werden.
Wie GER-Deskriptoren für spezielle Kontexte und Zielgruppen adaptiert und weiter
entwickelt werden können, zeigen beispielsweise die folgenden Veröffentlichungen: für
junge Lernende in der öffentlichen Schule ⫺ Lenz und Studer (2004); für das berufsorien-
tierte Fremdsprachenlernen ⫺ Vogt (2007); für den Bereich Deutsch als Zweitsprache ⫺
das Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache (Goethe-Institut
2008).
Das Rahmencurriculum illustriert sehr gut, wie das Konzept von Sprachenlernenden
als sozial Handelnden für die heterogene Gruppe „MigrantInnen in Deutschland“ umge-
setzt werden kann. Im Zuge einer umfassenderen Bedarfserhebung wurden Handlungs-
felder bestimmt, die entweder für die gesamte Zielgruppe oder aber nur für eine Gruppe
von MigrantInnen relevant sind (z. B. Umgang mit der Migrationssituation vs. Betreu-
ung und Ausbildung von Kindern). Als Lernziele werden Sprachhandlungen präsentiert,
die innerhalb dieser Handlungsfelder bedeutsam sind. Die Lernziele verstehen sich als
Maximalangebot, aus denen für drei verschiedene Migrationsgruppen ausgewählt werden
kann. Die Sprachhandlungen selbst, etwa „Auskunft geben“, werden a) durch Kann-
Beschreibungen konkretisiert (z. B. „Kann einfach und kurz von seinen/ihren Erfahrun-
gen berichten, z. B. über Unterstützung durch Familienangehörige in Deutschland.“), b)
der jeweils vorrangigen Aktivität zugewiesen (hier dem Sprechen) und schliesslich c) im-
mer auf demjenigen Niveau situiert, auf dem die Handlungen zuerst sinnvoll umgesetzt
werden können (hier A2; insgesamt werden die GER-Niveaus A1, A2 und B1 berück-
sichtigt). ⫺ Zu bedenken ist dabei, dass die Deskriptoren des Rahmencurriculums eine
Achievement-Perspektive spiegeln. Dies schränkt ihre direkte Verwendbarkeit für Tests,
die eine Aussenperspektive an das Gelernte herantragen (proficiency tests), ein.
Vor diesem Hintergrund soll nun ein Blick auf Bildungsstandards für Fremdsprachen
in den deutschsprachigen Ländern geworfen werden. Die Grundfrage von Bildungsstan-
dards lautet: Über welche Kompetenzen müssen die SchülerInnen zu einem bestimmten
Zeitpunkt in der Schullaufbahn verfügen, wenn wichtige Bildungsziele der Schule als
erreicht gelten sollen?

4. Bildungsstandards
In den angloamerikanischen und in wenigen europäischen Ländern (z. B. Grossbritan-
nien, Niederlande) sind Standards in unterschiedlicher Form seit Längerem feste Steue-
rungsgrössen im Bildungssystem. In den deutschsprachigen Ländern dagegen sind Bil-
dungsstandards ein Kernelement aktueller Reformentwicklungen, für die sich v. a. drei
Gründe bezeichnen lassen (vgl. u. a. Timm 2006): erstens die grossen internationalen
Leistungsvergleichsstudien wie TIMSS und PISA, zweitens die Diskussion um Qualitäts-
management, die zunehmend auch auf pädagogischem Gebiet geführt wird, und drittens
die bereits 1991 vom Europarat beschlossene Entwicklung eines Europäischen Referenz-
rahmens (zum GER siehe oben, Abschnitt 3).
Vor dem Hintergrund v. a. der angloamerikanischen Erfahrungen und bezogen auf
das Klieme-Gutachten (vgl. oben, Abschnitt 2) geht man in den deutschsprachigen Län-
dern davon aus, dass das Setzen von Zielen, welche die Schulen erreichen sollen, für das
1268 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

Erreichen dieser Ziele effektiver ist als die Steuerung (allein) auf der Basis von Lehrplä-
nen und Lehrmitteln. Formuliert werden daher Erwartungen an die Lernergebnisse der
SchülerInnen (performance standards) und man nimmt an, dass Regulierungen auf der
Seite der Ergebnisse (der SchülerInnen) bzw. des Outputs (der Schulen) einen wichtigen
Beitrag zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen leisten können. Komplementär dazu
soll den Schulen in verschiedenen Bereichen eine grössere Autonomie zugestanden wer-
den, zum Beispiel auf unterrichtsmethodischer Ebene. Allerdings ist die gebräuchliche
Formel „Regulierung des Outputs statt Inputsteuerung“ in doppelter Weise ungenau,
denn einerseits wird, parallel zur Entwicklung von Standards, an neuen Lehrplänen und
Lehrmitteln gearbeitet, also auf der Input-Seite (zum Verhältnis von Standards, Curri-
cula und Lehrmitteln vgl. Bausch et al. 2005), und andererseits entspricht die Einführung
von Bildungsstandards erst in Kombination mit externen Monitoringverfahren, im Zuge
derer systematisch erfasste Lernergebnisse an die Standards rückgebunden bzw. mit die-
sen verglichen werden, einem outputorientierten Steuerungskonzept (siehe u. a. Labudde
2007). Und schliesslich ist auch der Begriff Output selbst zu präzisieren: Gemeint ist eine
Ergebnisorientierung im Sinne einer Orientierung an vergleichbaren Zielvorgaben, die als
wesentlich erachtete Fachinhalte explizieren. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied zu
Schulnoten: Zwar ist auch das traditionelle Notenschema ergebnisorientiert, jedoch sind
Schulnoten auf Gruppennormen bezogen und ihnen fehlt der Bezug auf ein fachinhaltli-
ches Lernzielkriterium, das über den Rahmen eines zufällig zusammengesetzten Klassen-
zimmers hinaus gültig und akzeptiert ist. Insofern geben Noten kaum Aufschluss über
die in einem Fach oder einem Lerngebiet erreichten tatsächlichen Kompetenzen. Genau
das sollen Standards in Verbindung mit Monitoringverfahren leisten: Sie sollen aufzei-
gen, was die SchülerInnen am Ende einer Lernperiode tatsächlich wissen und können,
wobei dieses Wissen und Können auf Kernbereiche ausgewählter Fächer bezogen wird.
Insgesamt ergeben sich somit sehr hohe Ansprüche an die Entwicklung von Bildungs-
standards: Bildungsstandards sollen fachliche Kerninhalte als vergleichbare Lehrziele
vorgeben. Sie sollen auf Kompetenzmodellen basieren, die, Klieme et al. (2003: 74) fol-
gend, sowohl die verschiedenen Anforderungen beschreiben, deren Bewältigung von den
SchülerInnen erwartet wird (Kompetenzmodell als Komponentenmodell; primär eine di-
daktische Aufgabe), als auch Abstufungen dieser Anforderungen aufzeigen, auf denen
die Schülerleistungen situiert werden können (Kompetenzmodell als Stufenmodell; eine
komplexe empirisch-psychometrische Aufgabe, die über die Entwicklung von Testaufga-
ben zu den Kompetenzkomponenten läuft). Und schliesslich sollen Bildungsstandards
niveaubezogene Vorgaben machen, was gleichzeitig kontroverse pädagogische und bil-
dungspolitische Fragen aufwirft.
In Bezug auf diese hohen, wohl generell nur partiell erfüllbaren Ansprüche und bei
der konkreten Ausgestaltung der Bildungsstandards sind die deutschsprachigen Länder
bisher recht unterschiedliche Wege gegangen. Für Einzeldarstellungen vgl. Oelkers und
Reusser (2008); aktuelle Tendenzen besprechen u. a. Harsch (2007) (Deutschland) sowie
Lenz und Studer (2008) (Schweiz). Ein grosser Teil der Informationen über die Stan-
dards, einschliesslich der gesetzlichen Grundlagen und Beispielen für Testaufgaben, fin-
den sich jetzt auch auf den Websites der für die Entwicklung der Standards zuständigen
Institutionen, für Deutschland: http://www.iqb.hu-berlin.de/bista; für Österreich u. a.:
http://www.bifie.at/bildungsstandards; für die Schweiz: http://www.edk.ch/dyn/20692.
php.
Im Bereich der Fremdsprachen wurden bis jetzt Bildungsstandards für Englisch und
Französisch sowie ⫺ in der Schweiz ⫺ auch für Deutsch entwickelt. Die Standards fo-
142. Kompetenzmodelle und Bildungsstandards für Dt. als Fremd- und Zweitsprache 1269

kussieren die Abschlussphase der obligatorischen Schule und betreffen die erste (in der
Schweiz auch die zweite) schulische Fremdsprache. (Parallel dazu wurden auch Stan-
dards für die Schulsprache Deutsch entwickelt, die ⫺ und das wird noch zu wenig disku-
tiert ⫺ auch SchülerInnen betreffen, die Deutsch als zweite oder dritte Sprache lernen.)
Die derzeit vorliegenden Standards in Deutschland und in Österreich sind als Regel-
standards konzipiert. Mit diesen Standards, deren empirische Abstützung erst begonnen
hat, wird ein durchschnittliches Anforderungsniveau fokussiert (in Deutschland z. B. A2/
B1 für die klassischen vier Fertigkeiten; ohne Niveauangabe wurden von der KMK auch
Standards für sprachliche Mittel sowie für interkulturelle und methodische Kompetenzen
gesetzt). Im Gegensatz dazu hat man sich in der Schweiz für Basisstandards entschieden.
Basisstandards zielen auf ein Mindestniveau, das (fast) alle SchülerInnen erreichen kön-
nen sollten. Anders als in Deutschland und in Österreich wurden im Schweizer Projekt
bereits in der Erarbeitungsphase der Standards repräsentative und kleinere empirische
Untersuchungen durchgeführt, die zwei Ziele hatten: Sie dienten einerseits sowohl der
Validierung von Aspekten des gewählten Kompetenzmodells (das sich an den GER an-
lehnt; Lenz und Studer 2008) als auch der Testaufgaben, durch die das Modell operatio-
nalisiert wurde, und andererseits der Feststellung der in den Schülerpopulationen tat-
sächlich vorhandenen Kompetenzen. Aufbauend darauf wurde in Zusammenarbeit mit
Fachdidaktikern ein Expertenvorschlag für Standards ausgearbeitet, der in den Katego-
rien des Kompetenzmodells formuliert ist und der sich bezüglich der Anforderungsni-
veaus an den in den Untersuchungen festgestellten Leistungen orientiert. Beispielsweise
bewegt sich der Vorschlag für einen Basisstandard in DaF am Ende der obligatorischen
Schulzeit (7 Lernjahre in der Westschweiz) im Bereich des Niveaus A2, wobei beim Spre-
chen und bei den rezeptiven Fertigkeiten höhere Erwartungen angesetzt werden als beim
Schreiben. Im Schweizer Standard-Projekt erfolgte auch eine ausführliche Auseinander-
setzung mit interkulturellen und methodischen Kompetenzen, jedoch wurde bewusst da-
rauf verzichtet, für diese (überfachlichen!) Kompetenzbereiche Bildungsstandards vorzu-
schlagen, die im Sinne von separaten outcomes und in der Art der Fertigkeiten überprüf-
bar sind.
Kritisch diskutiert werden Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht im
Sammelband von Bausch et al. 2005 (vgl. auch Timm 2006). Zu den hauptsächlich ange-
mahnten Risiken der Standards gehören: die Reduktion von Lehrzielen und weiter des
Lehrens und Lernens auf das, was sich in Sprachprüfungen erfassen lässt (verbunden oft
mit dem Teaching-to-the-test-Argument), die Nivellierung von Leistungen (mit der Vari-
ante „Nivellierung nach unten“ bei Basisstandards), die Einzelfach-Orientierung, die Ver-
mischung von Testfunktionen.
Zu einigen dieser Punkte gibt es durchaus gute Gegenargumente (vgl. u. a. Schneider
2007). So können Tests zu Bildungsstandards, die handlungsorientierte Aufgaben u. a.
zum Hörverstehen und zum Sprechen umfassen, auch einen wünschbaren Reformeffekt
auf grammatik- und wortschatzlastige Schul(übertritts)prüfungen haben und einen auf-
gabenorientierten Unterricht stärken. Andere Punkte dagegen sind nicht einfach von der
Hand zu weisen, z. B. ist die ,Arbeitsteilung’ bisheriger Standard-Projekte mit Projekten
für die Schulsprache hier und die Fremdsprachen dort nicht geeignet, die Entwicklung
einer ,eigentlichen‘ (d. h. integrativen) Mehrsprachigkeit zu fördern.
Auf der anderen Seite sind Bildungsstandards zweifellos auch mit Chancen verbun-
den. Z. B. können Standards zu mehr curricularer Kohärenz in den Schulen führen, weil
der Bezug der Standards auf gestufte Kompetenzmodelle die schulstufenübergreifende
1270 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

Curriculumsarbeit erleichtern sollte. Kaum kontrovers ist auch, dass Bildungsstandards


durch die Fokussierung tatsächlicher Kompetenzen die Durchlässigkeit von sonst häufig
impliziten Erwartungen verbessern können, wohingegen die Hoffnung, dass kompetenz-
orientierte Standards zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen, verschieden eingeschätzt
wird.

5. Bilanz
Für eine genauere Einschätzung der Projekte zu den Bildungsstandards in den deutsch-
sprachigen Ländern ist es zweifellos noch zu früh. Feststellen lässt sich einstweilen die
Tendenz, Bildungsstandards zu überschätzen. Ob die Standards zur intendierten Quali-
tätsverbesserung des Fremdsprachenunterrichts beitragen, hängt nicht nur von den Stan-
dards ab, sondern insbesondere auch davon, was auf Seiten der Aus- und Weiterbildung
von Lehrpersonen, der Lerngelegenheiten und -bedingungen sowie der Lehrpläne und
Lehrmittel getan wird.

6. Literatur in Auswahl
Bachmann, Lyle F.
1990 Fundamental Considerations in Language Testing. Oxford: Oxford University Press.
Bachman, Lyle F. und Adrian S. Palmer
1996 Language Testing in Practice: Designing and Developing Useful Language Tests. Oxford:
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Bausch, Karl-Richard, Eva Burwitz-Melzer, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2005 Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Tübingen: Narr.
Bausch, Karl-Richard, Herbert Christ, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2003 Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen in der Diskussion. Tübingen: Narr.
Canale, Michael
1983 On some dimensions of language proficiency. In: John W. Oller (Hg.), Issues in Language
Testing Research, 333⫺342. Rowley, Mass.: Newbury House.
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1980 Theoretical bases of communicative approaches to second language teaching and testing.
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Chomsky, Noam
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Europarat
2001 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin:
Langenscheidt.
Glaboniat, Manuela, Martin Müller, Paul Rusch, Helen Schmitz und Lukas Wertenschlag
2005 Profile Deutsch. Berlin: Langenscheidt.
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2008 Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache. München: Fell. On-
line: http://www.integration-in-deutschland.de/ [Suche „Rahmencurriculum für Integrati-
onskurse“] (18. 06. 2009).
Harsch, Claudia
2006 Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen: Leistung und Grenzen. Die Bedeutung
des Referenzrahmens im Kontext der Beurteilung von Sprachvermögen am Beispiel des
142. Kompetenzmodelle und Bildungsstandards für Dt. als Fremd- und Zweitsprache 1271

semikreativen Schreibens im DESI-Projekt. Online-Publikation: http://opus.bibliothek.


uni-augsburg.de/volltexte/2006/368/ (18. 06. 2009)
Harsch, Claudia
2007 Was können die fremdsprachlichen Bildungsstandards der KMK leisten? Praxis Fremd-
spracheunterricht 6: 2⫺11.
Hymes, Dell H.
1972 On Communicative Competence. In: Janet B. Pride und Janet Holmes (Hg.), Sociolinguis-
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Klieme, Eckhard, Hermann Avenarius, Werner Blum, Peter Döbrich, Hans Gruber, Manfred Pren-
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2003 Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Bonn: BMBF.
Labudde, Peter (Hg.)
2007 Bildungsstandards am Gymnasium ⫺ Korsett oder Katalysator? Bern: h.e.p. verlag ag.
Lenz, Peter
2006 Überlegungen zur Sprachkompetenzbeschreibung und Testvalidierung im Projekt Har-
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Lenz, Peter und Thomas Studer
2004 Sprachkompetenzen von Jugendlichen einschätzbar machen. Babylonia 12: 21⫺25.
Lenz, Peter und Thomas Studer
2008 Zur Entwicklung der Basisstandards in den Fremdsprachenfächern. Beiträge zur Lehrer-
bildung 26: 361⫺371.
Oelkers, Jürgen und Kurt Reusser
2008 Expertise: Qualität entwickeln ⫺ Standards sichern ⫺ mit Differenz umgehen. Bonn:
BMBF.
Schneider, Günther
2003 Der Europäische Referenzrahmen und die Mehrsprachigkeit. In: Gerhard Neuner und
Ute Koithan (Hg.), Tagungsbeiträge und Arbeitsberichte zum Thema „Mehrsprachigkeit
im Bereich Deutsch als Fremdsprache“, 87⫺108. Kassel: Kassel University Press.
Schneider, Günther
2007 Der Referenzrahmen und Bildungsstandards für Fremdsprachen. Feindbild, Vorbild,
Wunschbild? Babylonia 15: 9⫺13.
Schneider, Günther und Brian North
2000 Fremdsprachen können ⫺ was heisst das? Skalen zur Beschreibung, Beurteilung und Selbst-
einschätzung der fremdsprachlichen Kommunikationsfähigkeit. Chur: Rüegger.
Timm, Johannes-Peter (Hg.)
2006 Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenforschung: Kompetenzen, Standards, Lernformen,
Evaluation. Tübingen: Narr.
Vogt, Karin
2007 Anpassung von Skalen und Deskriptoren des Gemeinsamen Europäischen Referenzrah-
mens. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 18: 43⫺66.
Weinert, Franz E.
2001 Vergleichende Leistungsmessung in Schulen ⫺ eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In:
Franz E. Weinert (Hg.), Leistungsmessungen in Schulen, 17⫺31. Weinheim: Beltz.

Thomas Studer, Freiburg (Schweiz)


1272 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

143. Testen und Prüen von Sprachkenntnissen


1. Einleitung
2. Testen und Prüfen im internationalen Vergleich
3. Bildungsstandards und internationale Leistungsstudien
4. Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen und die Qualität von
Sprachprüfungen
5. Funktionen des Prüfens und Testens
6. Computerbasierte Testverfahren
7. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
Eine Prüfung, gesehen von einem unbekannten Maler im 18. Jahrhundert: Ein junger
Mann steht in der Mitte eines Raumes ⫺ das Haupt demutsvoll gesenkt, die Hände
ungeschickt vom Körper gestreckt. Ihm gegenüber eine vielköpfige Jury aus perückenge-
schmückten Figuren. Mit einer Mischung aus Schadenfreude und Verachtung blicken die
Herren Prüfer auf den armen Prüfling im Kreuzverhör. Klar wird hier, dass Prüfen kein
wertfreier Vorgang ist, sondern mit Macht zu tun hat. Bevor die Geprüften einen würdi-
gen Platz in der Gesellschaft zugewiesen bekommen, haben sie sich diesem schmerzhaften
rite de passage zu unterziehen.
Nicht nur in der Vergangenheit hat das Thema Leistungsmessung negative Gefühle
aller Schattierungen in uns hervorgerufen. Da Tests und Prüfungen in vielen Schulen
zum Taktgeber des Unterrichts geworden sind, belasten sie auch heute das Klima des
Lehrens und Lernens. Das hat damit zu tun, dass hier zwei Funktionen des Prüfens
und Beurteilens im Widerstreit miteinander liegen: die Entwicklungsfunktion und die
Steuerungs- bzw. Auswahlfunktion.
Während die Entwicklungsfunktion die Evaluation der Lernentwicklung zum Ziel
hat, um daraus Informationen für weiteres Vorgehen zu gewinnen, somit also eine zu-
tiefst pädagogische Aufgabe beinhaltet, geht es bei der Steuerungsfunktion darum, gesell-
schaftlich relevante Entscheidungen wie Versetzungen, Übergänge im Schulsystem oder
den Eintritt in Berufswege und Studiengänge zu begründen. Wo begrenzte Kapazitäten
zur Verfügung stehen ⫺ Stichwort Numerus-clausus-Fächer an den Hochschulen ⫺ mün-
det diese Steuerung in eine Auslese. Der negative Beigeschmack, den die Begriffe Leis-
tungsmessung und -kontrolle heutzutage bei vielen fortschrittlichen Pädagogen haben,
rührt daher, dass im Schulalltag die Steuerungsfunktion die Entwicklungsfunktion häufig
überlagert. Sie erkennen allzu deutlich, dass Tests als unerwünschten Nebeneffekt eine
Einengung der Lernziele mit sich bringen. Gelernt wird häufig nur noch der Prüfungs-
stoff. Im Erwachsenenunterricht dagegen ändert sich das Bild allmählich. Hier tritt der
Aspekt der Freiwilligkeit stärker in den Vordergrund. Leistungskontrollen erfolgen im
Rahmen des Schulunterrichts meist auf unfreiwilliger Basis. Tests und Prüfungen in der
Erwachsenenbildung erfüllen dagegen zunehmend die Funktion einer Serviceleistung, für
die vom Kunden ein expliziter Bedarf angemeldet wurde. Hinzu kommt noch ein weiterer
wesentlicher Unterschied: Während Prüfungsinhalte und -verfahren im Schulsystem noch
weitestgehend von nationalen Traditionen geprägt sind, orientiert man sich im Erwachse-
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1273

nenbildungsbereich zunehmend an transnationalen Standards. Wenn in jüngster Zeit in


deutschen Gymnasien auch vereinzelt bereits die Prüfungen internationaler Anbieter von
Zertifikaten angeboten werden, dann zeigt sich, dass diese Entwicklung von der Erwach-
senenbildung in das Schulsystem hinübergleitet.

2. Testen und Prüen im internationalen Vergleich

Die ersten Fremdsprachentests im modernen Sinne entstanden in den Vereinigten Staaten


vor dem Ersten Weltkrieg (Spolsky 1995: 50⫺51). Ebenfalls in den USA begann die
Tradition von Sprachtests zum Zweck der Reglementierung der Einwanderströme, die
noch heute etwa in Australien lebendig ist.
Seit dem Beginn dieses Jahrtausends wurden in den Vereinigten Staaten immer wieder
neue Tests entwickelt, bei denen höchster Wert auf empirisch belegbare Ergebnisse, Effi-
zienz und kommerzielle Verwertbarkeit gelegt wurde. Das zur Universität von Princeton
gehörige Institut English Testing Service (ETS) ist der Herausgeber des in den 1960er
Jahren entwickelten und heutzutage teilnehmerstärksten Fremdsprachentests der Welt,
des TOEFL (Test of English as a Foreign Language). Ein weiterer Meilenstein in der
Entwicklung von Fremdsprachenprüfungen wurde in Großbritannien gelegt. Das Univer-
sity of Cambridge Examination Syndicate (UCLES) widmet sich seit dem Jahr 1913 der
Aufgabe, Prüfungen für Englisch als Fremdsprache zu entwickeln, um in den Schulen
der Commonwealthländer ein einheitliches Bildungsniveau zu gewährleisten. Bereits im
Jahre 1924 legte diese mit der Universität assoziierte Institution das zu jener Zeit mit
einem anderen Namen versehene Certificate of Proficiency in English (CPE ) vor, eine
Prüfung, der ein umfassendes Sprachverständnis jenseits von Vokabellisten und Überset-
zungen zugrunde liegt. Während in Europa der humanistisch-skeptizistische Ansatz mit
der Bevorzugung von offenen Aufgaben zum Teil bis heute anhält, schlug sich der Ein-
fluss der rationalistisch-empirischen Schule, wie sie in den USA zu Hause war, im Fach
Deutsch in der Entwicklung des Zertifikats Deutsch als Fremdsprache (ZDaF ) Ende der
1960er Jahre nieder. Nicht nur die ungleich größere Bedeutung des Englischen als Fremd-
sprache, sondern darüber hinaus die in England und den Vereinigten Staaten verankerte
Tradition von zentral gestellten Prüfungen hat dafür gesorgt, dass angelsächsischen Insti-
tutionen auch heute noch eine Vorreiterrolle in der Entwicklung von Fremdsprachen-
tests zukommt.
Das in den Vereinigten Staaten vorherrschende Misstrauen gegenüber intuitiv kor-
rigierten Aufsätzen sowie die Skepsis hinsichtlich der Objektivität von Lehrkräften bei
der Beurteilung der Leistungsfähigkeit ihrer eigenen Schüler teilen vor allem Lehrende
und auch zahlreiche Fachleute im deutschsprachigen Raum nicht. In Deutschland
herrschte bis vor kurzer Zeit vielfach sogar ein Vorbehalt gegenüber zentral verordneten
Prüfungen. Deutsche Autoren werfen den englischsprachig orientierten Testkonstrukteu-
ren gern eine Überbewertung der vom Behaviorismus geprägten Formen der Leistungs-
messung vor, und wenden dagegen ein, dass sie die ganzheitliche Lernerpersönlichkeit
außer Acht lasse (Macht 1995: 283). Doch diese Ablehnung weicht allmählich der Er-
kenntnis, dass gemeinsame, objektive Maßstäbe notwendig sind, will man Leistungen
vergleichen.
1274 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

3. Bildungsstandards und internationale Leistungsstudien

Fragt man in den Ländern der Europäischen Union nach, welches sprachliche Niveau
die Schulabgänger erreichen, fällt es Lehrkräften und Schulleitern häufig nicht leicht,
dies in wenige Worte zu fassen. Deutsche Schüler, die nach ihrem Leistungsniveau in
einer Fremdsprache gefragt werden, antworten zum Beispiel: „Ich habe eine Zwei im
Abitur, Leistungskurs“. Für die Welt jenseits des eigenen nationalen Bildungssystems
sind solche Angaben kaum aussagekräftig und damit inadäquat für die Mobilität in Eu-
ropa und der Welt. Mit dem Voranschreiten der Globalisierung und Mobilität von Ar-
beitskräften nimmt der Bedarf an Transparenz zu. Nicht nur ein internationaler Ver-
gleich, sondern schon der Vergleich der Bildungsabschlüsse verschiedener Bundesländer
ist nicht eins zu eins möglich. Aus diesem Grund erarbeiten die Bundesländer so ge-
nannte Bildungsstandards für die verschiedenen Schulfächer. Bezogen auf die modernen
Fremdsprachen beschreiben die Bildungsstandards den Grad des Sprachkönnens, den
die Lernenden in verschiedenen Schularten und Klassenstufen erreichen sollen. Die Ur-
heber dieser Idee internationaler Leistungsvergleiche bzw. eines einheitlichen Bezugsrah-
mens arbeiten für internationale Institutionen ⫺ die OECD und den Europarat. Die
OECD setzt auf die normative Kraft eines standardisierten Tests, dem sich die Schülerin-
nen und Schüler aller teilnehmenden Länder unterziehen. Der Europarat setzt auf die
normative Kraft eines gemeinsamen Bezugsrahmens.
Die OECD überträgt die Denkweise der Ökonomie auf den Bildungssektor. Schulleis-
tungen haben den Stellenwert einer Ressource. Sie sind Voraussetzung für die wirtschaft-
liche Leistungsfähigkeit eines Landes. Mittels standardisierter Tests werden Leistungen
von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern gemessen. Die Studie vergleicht so unter-
schiedliche Bildungssysteme wie die Japans, Finnlands, Mexikos und Deutschlands ver-
mittels ein und derselben Messlatte und stellt danach eine Rangordnung her.
Die beiden bisher durchgeführten PISA-Untersuchungen beschäftigten sich mit den
Fächern Naturwissenschaften, Mathematik und Lesefähigkeit. Um Fremdsprachen-
kenntnisse ging es dagegen bereits bei DESI (Deutsch Englisch Schülerleistungen Interna-
tional ). Allerdings beschränkte sich diese Studie entgegen dem Namen mit den Schüler-
leistungen der 9. Klasse in allen Schularten auf Deutschland. Die Erhebung Surveylang
im Auftrag der EU-Kommission soll dagegen im Jahr 2011 europaweit die Fremdspra-
chenkenntnisse von 15-Jährigen in Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Italie-
nisch untersuchen.

4. Der Gemeinsame europäische Reerenzrahmen ür Sprachen


und die Qualität von Sprachprüungen

Die Strategie des Europarats ist offener angelegt als die internationalen Vergleichsstu-
dien. Es geht um das Etablieren eines gemeinsamen Bezugssystems für alle europäischen
Sprachen. Dazu dient die Publikation Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für
Sprachen: lernen, lehren, beurteilen (GER), der zunächst auf Englisch (2000) und 2001 in
deutscher Sprache erschien. Der Referenzrahmen stellt eine Art Werkzeugkasten dar. Mit
Hilfe von Skalen definiert er,
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1275

⫺ was man unter Beherrschung einer Fremdsprache versteht,


⫺ wie gut diese Beherrschung ist, d. h. welche Stufen der Sprachbeherrschung es gibt.
In dem Grundlagenwerk Profile Deutsch haben Experten aus den deutschsprachigen
Ländern die für alle Sprachen zutreffenden Kann-Beschreibungen des Referenzrahmens
für die deutsche Sprache interpretiert (Glaboniat et al. 2005). Außerdem enthält Profile
Deutsch Auflistungen aller sprachlichen Mittel, die zur Erfüllung dieser Aktivitäten not-
wendig sind.
Dem Ziel der Transparenz hinsichtlich von Fremdsprachenkenntnissen will man
durch ein kohärentes Beschreibungssystem näher kommen. Sprachliches Können defi-
niert sich innerhalb eines sechsstufigen Systems ⫺ A1, A2, B1, B2, C1, C2. Die vier
deutschsprachigen Testinstitutionen ⫺ Goethe-Institut/Zentrale München, Österreichi-
sches Sprachdiplom/Wien, telc GmbH/Frankfurt und TestDaF-Institut/Hagen ⫺ haben
ihre international angebotenen Zertifikate sofort nach Einführung des Referenzrahmens
auf die Stufen A1 bis C2 hin orientiert. Gleichzeitig haben sie die Qualitätsansprüche,
die an Prüfungen angelegt werden, erhöht. Im sogenannten Manual (2003) gibt ein vom
Europarat eingesetztes Autorenteam dazu detaillierte Vorgaben für die methodischen
Schritte der Zuordnung einer Prüfung zu einer Niveaustufe. Dabei geht es darum, eine
Behauptung, z. B. „das ist eine Prüfung auf dem Sprachniveau B1“ durch qualitative
und empirische Daten zu untermauern.
Der Europarat veröffentlicht zu den produktiven Fertigkeiten Schreiben und Spre-
chen inzwischen auch illustrative Beispiele von Kandidatenbeispielen zu den verschiede-
nen Niveaustufen in den verschiedenen Sprachen. Mit diesen prüfungsunabhängigen und
damit neutralen Beispielen werden die Interpretationsspielräume eingegrenzt. Die erste
Publikation von mündlichen Beispielen auf Deutsch zeigt erwachsene Lernende (Bolton
u. a. 2008). Solche Beispiele ermöglichen ein Training von Lehrkräften. Außerdem lassen
sich im Verfahren des sog. Benchmarking lokale Prüfungsleistungen auf den Referenzrah-
men eichen.
Um Qualität in Bezug auf Validität und Reliabilität zu gewährleisten, wird zuneh-
mend mehr in die Garantie der statistisch ermittelten Zuverlässigkeit der Ergebnisse in-
vestiert. Das heißt: Die in Prüfungen verwendeten Aufgaben werden vor dem Einsatz
umfangreichen Erprobungen unterzogen, um ihre Qualität zu garantieren. Erst wenn
sich in den Erprobungen gezeigt hat, dass die Aufgaben vom Schwierigkeitsgrad ange-
messen, unmissverständlich und trennscharf sind, finden sie Aufnahme in die endgültige
Fassung der Prüfung.
Die Vorgaben des Referenzrahmens haben bei denjenigen Institutionen, die zum Teil
ja schon seit Jahrzehnten Sprachzertifikate ausgeben, zu einer Neufassung der Urkunden
geführt. Deren Aussagekraft hat sich zum einen durch Angaben zu den erzielten Ergeb-
nissen in den verschiedenen Fertigkeiten ⫺ Stichwort: Profil sprachlichen Könnens ⫺
vereinheitlicht und verbessert. Als zentrale Aussage weist das Zeugnis aus, welche Kom-
petenzstufe in den vom Referenzrahmen definierten Fertigkeiten der/die Geprüfte er-
reicht hat. Damit gelingt es, EU-weit zukünftig Prüfungsergebnisse zu vergleichen.
Die breite Rezeption des Referenzrahmens hat dazu geführt, dass bereits Anfänger
sich ihr erreichtes Niveau gern durch ein Zertifikat bestätigen lassen. Während traditio-
nell eine „offizielle“ bzw. „umfassende“ Sprachprüfung am Ende des Sprachlernprozesses
vorgesehen war, setzt sich damit das Konzept vom Erreichen der einzelnen Stufen durch.
Ähnlich wie bei den asiatischen Kampfsportarten arbeitet sich der Lernende im Verlauf
1276 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

des unter Umständen lebenslangen Lernens von Gürtel zu Gürtel hoch. Dabei ist jeder
Gürtel ein klar definiertes Ziel. Auf einmal zum schwarzen Gürtel zu gelangen, wäre ein
demotivierend langer Weg.

5. Funktionen des Prüens und Testens


Leistungsmessung in Form von Tests und Prüfungen ist zunächst neutral zu verstehen,
als Sammlung von Informationen über den Kenntnisstand der geprüften Personen. Diese
Informationssammlung wird mit einem bestimmten Ziel vor Augen vorgenommen. Ein
solches Ziel kann darin bestehen, Entscheidungen über das Lehr- bzw. Kursprogramm
zu begründen. Ein anderes Ziel wäre, eine Voraussage über die sprachliche Leistungsfä-
higkeit einer Person in der realen Welt zu treffen. Je nachdem, wer die Leistungsmessung
auswertet und verwendet, unterscheidet man Selbstevaluation und Evaluation durch an-
dere. Je nachdem, zu welchem Zweck im letzteren Fall die gesammelte Information ver-
wendet werden soll, unterscheidet man als wichtigste Funktionen Ein- und Weiterstu-
fung, Eignung und Zulassung, Lernerfolgskontrolle, Abschlussprüfung und Sprach-
standsmessung.
Diese unterschiedlichen Ziele der Leistungsmessung bedingen die jeweils gewählten
Formen, die in Prüfungen bzw. Tests eine Rolle spielen. Die abwechselnde Verwendung
der Begriffe Test und Prüfung bedeutet keine strukturelle Differenzierung. Vielmehr wer-
den beide Begriffe im Deutschen mittlerweile häufig synonym gebraucht. Format, Aus-
wahl der Fertigkeiten, Prüfungsdauer sowie Aufgabentypen lassen sich erst entscheiden,
wenn klar ist, zu welchem Zweck ein Test verwendet wird. Das bedeutet im Umkehr-
schluss, dass nicht jeder Aufgabentyp bzw. jeder Testaufbau für jede Funktion gleich gut
geeignet ist.
Im Folgenden sollen die oben genannten Prüfungsarten kurz charakterisiert und dis-
kutiert werden. Fünf Fragen helfen, die Prüfungsarten voneinander abzugrenzen:
1. Worauf bezieht sich der Inhalt der Prüfung (z. B. auf die Inhalte des vorausgegange-
nen Unterrichts)?
2. Für wen sind die Ergebnisse bestimmt (z. B. für die geprüfte Person, die Lehrkräfte
bzw. für außen stehende Entscheidungsträger)?
3. Welche Entscheidungen werden auf der Basis der Ergebnisse getroffen (z. B. Zulas-
sung zum Studium an einer Hochschule)?
4. Wie aufwendig ist das Verfahren im Hinblick auf die Faktoren Zeit, Arbeitsmittel etc.?
5. Wie aufwendig ist das Verfahren im Hinblick auf die vorgesehenen Korrekturverfah-
ren?

Die Fragen 1, 2 und 3 lassen sich unter das Kriterium der Validität von Tests bzw.
Prüfungen subsumieren. Prüfungen und Tests nennen wir valide, wenn sie angemessene,
sinnvolle und nützliche Schlussfolgerungen zu den vorher definierten Zielen und Inten-
tionen zulassen. Bei einer Prüfung, deren Ziel das Feststellen von sprachlichen Fähigkei-
ten auf einem bestimmten Sprachniveau ist, sollte dieses Niveau durch ein externes Be-
zugssystem wie den GER klar definiert sein. Darüber hinaus sollten andere Kenntnisse
und Fähigkeiten, wie z. B. Intelligenz, Weltwissen oder Konzentrationsfähigkeit, nicht
die ausschlaggebenden Faktoren sein. Ein Kursabschlusstest ist nur dann valide, wenn
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1277

er mit den Zielen, die im Lehrplan formuliert sind und dem Unterricht zugrunde liegen,
übereinstimmen.
Mit der Frage 1 ist ein weiteres Gütekriterium verbunden, das die Qualität von Tests
und Prüfungen bestimmt, nämlich die Forderung, dass die gewählten Testverfahren die
Formen und Inhalte des vorausgegangenen Unterrichts angemessen widerspiegeln und
u. U. sogar positive Rückwirkungen auf den Unterricht haben. In der englischsprachigen
Literatur ist dieser Aspekt mit dem Terminus back-wash- bzw. wash-back-Effekt einge-
führt (Wall und Alderson 1993). So ist es gelungen, den wenig kommunikativen Fremd-
sprachenunterricht durch die Einführung des Referenzrahmens und (mündlicher) Prü-
fungen zu modernisieren. Der Weg einer Lehrplanreform ist vergleichsweise langwieriger.
Freilich gibt es auch eine Kehrseite der Medaille. Die formulierten Ziele, eine bestimmte
Niveaustufe zu erreichen, sollen ⫺ ja müssen ⫺ in immer knapperer Zeit, mit weniger
Lehrenden und weniger Geld erreicht werden. Denn bei der fortwährenden Reform von
schulischen Lehrplänen treten neue Fächer, wie z. B. Computereinsatz in Konkurrenz zu
den traditionellen Fächern, wozu die zweiten Fremdsprachen zählen. Dort, wo Deutsch
als zweite Fremdsprache ⫺ wenn auch oft mit reduziertem Stundendeputat ⫺ erhalten
geblieben ist, stehen die Lehrkräfte unter dem Druck, ihren Unterricht zu optimieren.
Prüfungen erhöhen den Effizienzdruck auf Lehrkräfte und Schüler, Lern- und Prüfungs-
strategien stehen zunehmend im Mittelpunkt des Unterrichts. Prüfungsvorbereitung be-
deutet damit Einüben von Strategien. Die Fähigkeit zum Aktivieren von Vorwissen hilft
beim Entschlüsseln von Lese- oder Hörtexten oft mehr als die Kenntnis der einen oder
anderen Vokabel, der Einsatz von Ratetechniken bei geschlossenen Auswahlantworten
als letzte Rettung ist hinlänglich als test wiseness bekannt.
Die Fragen 4 und 5 berühren die Reliabilität und die Praktikabilität. Das Kriterium
der Reliabilität beinhaltet die Forderung nach der Zuverlässigkeit der Leistungsmessung.
Ein reliabler Test misst sprachliche Fähigkeit zuverlässig und genau. Der ⫺ in jedem
Test ⫺ enthaltene Messfehler hält sich in engen, akzeptablen Grenzen. Die Zuverlässig-
keit von Testergebnissen hängt in hohem Maße von der eingesetzten Bewertungsmethode
ab. Wird das Testergebnis durch das subjektive Urteil eines oder mehrerer Prüfer ermit-
telt, ist Zuverlässigkeit ein besonders wichtiges Thema. Wünschenswert ist eine möglichst
hohe Übereinstimmung zwischen verschiedenen Bewertern sowie eine möglichst hohe
Stabilität der Ergebnisse eines Bewerters zu verschiedenen Zeitpunkten.
Idealerweise sollte ein Test wie ein Metermaß funktionieren: So wie dieses auch bei
wiederholter Messung eines Gegenstandes immer die gleichen Maße anzeigt, so sollte ein
Test für eine bestimmte Leistung immer die gleiche Punktzahl oder Note ergeben. In der
Praxis der Testkonstruktion berührt das Kriterium der Reliabilität Fragen wie die Anzahl
von Aufgaben, d. h. wie viele einzelne Messungen muss man durchführen, um zuverläs-
sige Ergebnisse zu erhalten, oder die Frage der Korrektur- und Bewertungsverfahren,
d. h. bei welchen Verfahren können sich Messfehler einschleichen, die das Ergebnis ver-
fälschen, und dergleichen.
Das Kriterium der Praktikabilität bezieht sich auf den Bedarf an Zeit, Raum und
personellen Ressourcen, wobei sowohl an die Korrekturzeiten als auch an die Qualifizie-
rung der Korrigierenden bzw. Prüfenden zu denken ist. Leistungskontrolle sollte mög-
lichst zeitökonomisch sein. Erfahrungswerte aus der Praxis zeigen, dass 90 Minuten ohne
Pause für die geprüften Personen das Maximum an Belastung darstellen. Geht die ge-
samte Testzeit darüber hinaus, wie etwa bei breit angelegten Feststellungsprüfungen,
sollte die Dauer für einzelne Testteile dieses Maß nicht überschreiten. Nach jedem Testteil
gibt es dann Pausen.
1278 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

5.1. Ein- und Weiterstuung

Einstufungstests helfen bei der Einteilung von Lernenden in Gruppen unterschiedlichen


Niveaus und unterschiedlicher Vorkenntnisse. Mit Hilfe dieser sehr weit verbreiteten Prü-
fungsart werden die sprachlichen Vorkenntnisse der Einzustufenden ermittelt. Bei Weiter-
stufungstests, wie sie in Institutionen mit einem ausdifferenzierten Kursangebot üblich
sind, soll nach dem Besuch eines Kurses festgestellt werden, welchen weiteren Lernweg
im Kursangebot die Teilnehmenden nehmen sollen.
Die besondere Bedingung der Ein- und Weiterstufungstests liegt in der Forderung
nach strenger zeitlicher Begrenzung: Ein mehrstündiger Einstufungstest wäre u. U. eine
Überforderung für die Teilnehmenden und würde dadurch möglicherweise die Ergebnisse
sogar verfälschen, wäre also nicht zuverlässig. Denn nicht selten müssen sich die Einzu-
stufenden aus logistischen Gründen unmittelbar bei der Anreise an den Kursort und
damit in manchen Fällen unmittelbar nach langen Flugreisen dem Test unterziehen.
Mit Rücksicht auf die zeitliche Beschränkung sind Ein- und Weiterstufungstests in
der Praxis häufig als Stichprobenkontrollen angelegt. Testkonstrukteure orientieren sich
beim Erstellen eines Ein- bzw. Weiterstufungstests an Kurs- bzw. Lehrplänen für die
entsprechenden Stufen. Aufgaben zum Lesen, zu Wortschatz und Grammatik und kurze
Schreibaufgaben kommen am häufigsten zum Einsatz. Seltener enthalten Einstufungs-
tests Teile zum Hörverstehen, was vor allem technische Gründe hat. Die mündliche Kom-
munikationsfähigkeit ermittelt eine Lehr- bzw. Prüfungskraft in der Regel in einem au-
thentischen Gespräch zur Feststellung der Personalien, persönlicher Interessen und Lern-
ziele.

5.1.1. Testverahren zur Einstuung

Da die Testergebnisse innerhalb kurzer Zeit verfügbar sein müssen, wird bei der Wahl der
Aufgabentypen weitgehend auf korrekturfreundliche Verfahren zurückgegriffen. Deshalb
bestehen Einstufungstest meist aus geschlossenen Aufgaben. Im Gegensatz zu offenen
Aufgabentypen ist die sprachliche Reaktion bei geschlossenen Aufgaben nicht frei ausge-
führt. Vielmehr beschränkt sich die Aktivität der Geprüften bei geschlossenen Aufgaben
auf das Auffinden, Ankreuzen, Ordnen, Zuordnen oder Hervorheben der richtigen Lö-
sungen. Die Bewertung solcher Aufgaben ist zeitsparend und praktisch unabhängig vom
subjektiven Urteil des Korrektors. Geschlossene Aufgaben können mit Hilfe von Schab-
lonen oder Computerprogrammen schnell ausgewertet werden. Sie eignen sich zur Über-
prüfung der rezeptiven Fertigkeiten, denn sie überprüfen lediglich das Erkennen der rich-
tigen Lösung.
Eine klassische geschlossene Aufgabe ist die Multiple-Choice-Aufgabe. Sie besteht in
der Regel aus einem einleitenden Satz bzw. einer einleitenden Frage und mehreren (häu-
fig vier, gelegentlich aber auch nur drei, seltener mehr als vier) Auswahlmöglichkeiten.
Eine der Auswahlantworten ist die richtige Lösung, alle anderen dienen als sogenannte
Distraktoren und sind falsch. Um zu unterstreichen, dass die Anordnung von richtigen
und falschen Auswahlantworten dem Zufallsprinzip unterliegt, wird meist eine alphabeti-
sche Reihenfolge gewählt.
Von ihren Befürwortern sind Multiple-Choice-Aufgaben wegen der Möglichkeit ge-
schätzt, zu realistischen Voraussagen über den Schwierigkeitsgrad und die Trennschärfe
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1279

der einzelnen Aufgaben zu gelangen. Diesen Aufgabentyp setzen sowohl ETS und
UCLES als auch das niederländische Centraal Instituut voor Toetsontwikkeling (CITO)
in Fremdsprachentests regelmäßig ein. Auf der anderen Seite steht die Kritik an der
Validität der Multiple-Choice-Aufgabe. Zum einen wird beanstandet, dass die Aufgaben
in der Praxis häufig schlecht konstruiert, d. h. unnötig kompliziert sind und die Distrak-
toren bewusst auf die falsche Fährte lenken. Dadurch werden den Geprüften Fehler
geradezu untergeschoben. Verfechter von offenen Aufgabentypen kritisieren überdies,
dass mit Multiple-Choice nur das Erkennen der richtigen Lösung überprüft und somit
eine relativ geringe Leistung verlangt wird. Geübte nutzen zudem den Faktor Ratewahr-
scheinlichkeit aus, d. h. die Möglichkeit, auch durch zufälliges Ankreuzen noch einen
gewissen Prozentsatz an richtigen Lösungen zu erzielen. Bei einem Test, der genügend Auf-
gaben umfasst und eine Bestehensgrenze von über 50 Prozent setzt, ist die Erfolgswahr-
scheinlichkeit eines Teilnehmenden durch Raten statistisch gesehen jedoch sehr gering.
Bei Einstufungstests taucht neben der Multiple-Choice-Aufgabe eine Vielzahl von wei-
teren geschlossenen Aufgabentypen auf. Bei dem folgenden Beispiel handelt es sich um
textunabhängige Einzelaufgaben, in denen es um das Erkennen der richtigen Struktur
bzw. der geeigneten Ausdrucksweise geht: Herstellen der richtigen Wortfolge

der Fehler / er / gehabt / hätte / mehr / nicht / passiert / wäre / Zeit


Lösung: Hätte er mehr Zeit gehabt, wäre der Fehler nicht passiert.

Unbefriedigend an dieser Art von kontextunabhängigen Aufgaben ist, dass jeglicher


kommunikative Rahmen fehlt. Sie wirken genauso trocken und wirklichkeitsfern wie die
Lückentexte der strukturalistischen Ära. In der strukturalistischen Testtheorie ging man
davon aus, dass die Beherrschung der Fremdsprache sich nicht direkt, d. h. in realen
Verwendungssituationen überprüfen lässt, sondern nur auf dem Weg über die Messung
isolierter Elemente der Sprache. Die Summe dieser isolierten Elemente erlaube Rück-
schlüsse auf die Fähigkeit des Lernenden, Sprache auch in realen Situationen außerhalb
des Unterrichts verwenden zu können. Im Zuge der sogenannten „kommunikativen
Wende“ in der Fremdsprachdidaktik wurde deutlich, dass Wortschatz- und Strukturen-
tests nur einen Aspekt der Kommunikationsfähigkeit in der Fremdsprache erfassen (Ca-
nale und Swain 1980; Bachman und Palmer 1996). Solche Aufgaben überprüfen nur die
Wissenskomponente der Sprache, d. h. die Fähigkeit, Regeln der Grammatik und Voka-
beln richtig einzusetzen. Nicht überprüft werden dagegen die diskursive und die soziokul-
turelle Kompetenz. Um zum Beispiel verschieden strukturierte Lesetexte zu bearbeiten
oder um die Informationen eines gehörten Gesprächs zu notieren, benötigen die Geprüf-
ten auch Wissen darüber, wie Texte aufgebaut sind.
Ein Verfahren, das die lexikalische und grammatische Kompetenz mit Hilfe von kon-
textualisierten Aufgaben erfassen will und dazu kurze Lesetexte auf zeitökonomische
Weise einbezieht, ist der Cloze-Test. Das Verfahren wurde in den 1950er Jahren zunächst
als Instrument zur Bestimmung der Schwierigkeit von Texten entwickelt (Taylor 1953).
Daraus entstand in der Folge ein Verfahren zum Überprüfen des Leseverstehens. Es geht
von der Annahme aus, dass die lexikalische und grammatische Kompetenz ein Indikator
für die Sprachbeherrschung ist und über das Lesen zu erfassen ist. Ein klassischer Cloze-
Test besteht aus einem längeren Text, bei dem in festgelegten regelmäßigen Abständen
Wörter gelöscht sind (z. B. jedes fünfte Wort). Die Lücke ist zu ergänzen. Im Gegensatz
zum Lückentext herkömmlicher Art, in dem die Lücken nach didaktischen Gesichts-
1280 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

punkten gelöscht werden, um ganz gezielt bestimmte Themen der Grammatik bzw. be-
stimmte Wortschatzbereiche zu überprüfen, handelt es sich beim Cloze-Test um eine
streng mechanische Tilgung, wobei die Tilgungsfrequenz im ganzen Text beibehalten
wird. Im folgenden Beispiel wurde jedes achte Wort gelöscht (Abb. 143.1). Der erste
Satz, der den Kontext vorgibt, bleibt bei einem Cloze-Test immer intakt.

Abb. 143.1: Cloze-Test

In diesem Testverfahren wird die Tatsache genutzt, dass Informationen in einem Text
durch mehrere Signale realisiert werden, die sich wechselseitig ergänzen. Eine Kenntnis
von den Aufbaukriterien eines Textes ist zum Lösen dieser Aufgabe also unabdingbar.
Das mechanische Tilgungsprinzip sorgt beim klassischen Cloze-Verfahren dafür, dass ein
Querschnitt von sprachlichen Phänomenen getestet wird. Alle Wortarten sind in den
Lücken gelöscht und nicht nur solche, mit denen Lernende des Deutschen besondere
Schwierigkeiten haben.
Gleichzeitig treten die Grenzen seiner Verwendbarkeit im Rahmen eines Einstufungs-
tests deutlich hervor. Definiert man Klassen- bzw. Kursstufen nach der Beherrschung
bestimmter grammatischer Strukturen, muss ein lehrzielvalider Test genau diese Struktu-
ren testen. Das Zufallsprinzip des Cloze-Tests ist hier eher kontraproduktiv. Forschungs-
ergebnisse zeigen überdies, dass bei sogenannten „natural cloze“-Tests, bei denen weder
auf die Auswahl der Texte noch der Lücken Rücksicht genommen wird, Vorbehalte be-
züglich der Validität angebracht sind (Brown 1993). Deshalb wurde als Alternative zum
klassischen Cloze-Verfahren der modifizierte Cloze-Test entwickelt, bei denen die Lücken
mit Bedacht gewählt werden. Damit können lexikalische oder grammatische Aspekte
gezielt abgefragt werden. Flexibel ist das Cloze-Verfahren im Hinblick auf den Schwierig-
keitsgrad. Je nachdem, ob eine leichtere oder schwierigere Version gewünscht wird, kön-
nen Auswahlantworten als Schüttelkasten oder Multiple-Choice-Auswahl vorgegeben
bzw. keine Vorgaben für die Antworten gemacht werden.
Ein weiteres Testverfahren, das mit ganzen Texten und kontextualisierten Aufgaben
arbeitet, ist der sogenannte C-Test. Das Verfahren wurde in den 1980er Jahren entwi-
ckelt. Es zielt auf das Überprüfen der allen Fertigkeiten zugrundeliegenden sprachsyste-
matischen Kompetenz ab. Lesekompetenz steht als Mittlerfertigkeit im Mittelpunkt, eine
hohe Kompetenz im Verständnis von Textkohärenz spielt in einem C-Test eine wichtige
Rolle. Genauso wie das Cloze-Verfahren beruht es auf dem Konzept der reduzierten
Redundanz. Beim C-Test ist jeweils die Hälfte von jedem zweiten Wort ⫺ vom Wortende
ausgehend ⫺ gelöscht. Hier ein Beispiel von der Homepage des TestDaF-Instituts (2008).
„Fit für TestDaF“ soll eine erste grobe Einschätzung darüber liefern, ob Interessenten
schon über eine ausreichende Sprachkompetenz verfügen, um bei der Prüfung TestDaF
erfolgreich abzuschneiden (Abb. 143.2).
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1281

Abb. 143.2: C-Test

Die Vorteile des C-Testverfahrens liegen in der Testökonomie ⫺ mit geringem Aufwand
erhält man eine relativ große Menge an Daten. Zudem sind C-Tests vergleichsweise leicht
zu entwickeln und zu bewerten. Die wissenschaftliche Diskussion merkt allerdings kri-
tisch an, dass es dem C-Test an Augenscheinvalidität mangelt. Bei einer Versuchsreihe
mit Englischlernenden in Mexiko hat sich zum Beispiel gezeigt, dass mit dem Verfahren
nicht vertraute Prüfungsteilnehmende erhebliche Schwierigkeiten damit haben können
und nicht einsehen, dass ihre sprachlichen Fähigkeiten darin adäquat zum Ausdruck
kommen (Jafarpur 1995: 194; Grotjahn 1992).

5.2. Eignung und Zulassung

Von Einstufungstests zu trennen sind Eignungstests. Diese wurden entwickelt, um die


Erfolgsaussichten einer Person auf einem bestimmten Lerngebiet zu prognostizieren. In
den Vereinigten Staaten gibt es seit den 1930er Jahren Versuche, Tests zu entwickeln, um
damit Entscheidungen über Zulassung oder Ausschluss von Lernenden beim Fremdspra-
chenunterricht an High Schools zu rechtfertigen (Michel 1936: 275⫺287). Im deutsch-
sprachigen Raum ist der TestAS als neueres Beispiel für Eignungstests zu nennen. Dieser
zentrale, standardisierte Test prognostiziert die Studierfähigkeit ausländischer Studien-
platzbewerber für die Studienfächer, also z. B. geisteswissenschaftliche Fächer, Ingenieur-
wissenschaften, Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer. Der Test kann sowohl in
deutscher als auch in englischer Sprache abgelegt werden. Die deutschen bzw. englischen
Sprachkenntnisse werden in Form eines Screening mit einem C-Test geprüft, um festzu-
stellen, inwieweit fehlende Sprachkenntnisse die Leistung im Studierfähigkeitstest beein-
trächtigt haben. Die Testergebnisse sollen es Hochschulen ermöglichen, Bewerberinnen
und Bewerber mit verschiedenartigen Schulabschlüssen miteinander zu vergleichen, sie
in eine Rangreihenfolge zu bringen und die Studierenden zu ihren Studienangeboten
auszuwählen.
Nur um Zulassung geht es bei den Aufnahmeprüfungen, die ausländische Studien-
platzbewerber an deutschen Hochschulen absolvieren müssen. Denn nach dem Hoch-
schulrahmengesetz haben Studienbewerber mit nichtdeutscher Muttersprache den Nach-
weis hinreichender Sprachkenntnisse zu erbringen. Dabei sollen sie zeigen, dass sie genü-
gend Sprachkenntnisse mitbringen, um an dem Vorlesungs- und Seminarprogramm
teilnehmen zu können. Diese Aufnahmeprüfungen sind für die Geprüften mit einem ho-
1282 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

hen Risiko verbunden, da aufgrund des Prüfungsergebnisses die folgenreiche Entschei-


dung über ihre Zulassung getroffen wird.
Sprachliche Aufnahmeprüfungen für ausländische Studienplatzbewerber bieten das
TestDaF-Institut sowie eine Reihe von Studienkollegs an Hochschulen an. Der TestDaF
sowie die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang ausländischer Studienbewer-
ber (DSH ) sind eigens für diesen Zweck entwickelte Prüfungen, wobei erstere zentral
erstellt und ausgewertet wird. Die DSH ist eine dezentral erstellte und ausgewertete Prü-
fung. Unter Vorgabe einer gemeinsamen Rahmenordnung, in der die Prüfungsinhalte
umrissen werden, kann jede Hochschule eine eigene Aufnahmeprüfung erstellen. Um
eine gegenseitige Anerkennung zwischen den lokalen, in ihren Prüfungsaufgaben also
abweichenden DSH-Prüfungen unter den Hochschulen zu erreichen, registriert inzwi-
schen die HRK (Hochschulrektorenkonferenz) in Zusammenarbeit mit dem FaDaF
(Fachverband Deutsch als Fremdsprache) alle DSH-Prüfungen.

5.3. Selbstevaluation
Im Kontext des selbstgesteuerten Lernens haben in jüngster Zeit auch die Begriffe Leis-
tungsmessung und -bewertung eine neue Konnotation erhalten. Die Lernenden sollen in
die Lage versetzt werden, ihre Leistungen selber einzuschätzen. Damit verlagert sich der
Schwerpunkt von der Lehrkraft hin zu den Lernenden, die selber Informationen über
ihren Kenntnisstand und Lernfortschritt sammeln, um weitere Lernschritte gezielt zu
steuern. Die Beteiligung des Lernenden an den Verfahren der Leistungsmessung fördert
bei ihm die Einsicht in das Lernziel und die nötigen Fähigkeiten. Wichtigster erster
Schritt beim selbstgesteuerten Lernen ist die Selbstdiagnose, d. h. die Evaluation und
Analyse eigener Stärken und Schwächen. Daran schließt sich idealerweise ein gezielteres
d. h. strategisch richtiges Lernen an, bei dem systematisch Lücken gefüllt werden. Das
gezielte Training von Lerntechniken, z. B. zur Verbesserung der Schreibfertigkeit durch
bewusste Korrekturgänge (Rampillon 1996: 38⫺39) kann dabei zur Verbesserung der
Resultate eingesetzt werden.
Selbstevaluation als Analyseinstrument ist weniger eine Frage der Aufgabentypen als
vielmehr eine Frage der Organisation. Die Lernenden erhalten nicht nur die Aufgaben,
sondern die dazugehörigen Antworten bzw. Lösungen sowie Erläuterungen in Form einer
Lernnavigation.
Dem Gedanken der Selbsteinschätzung sowie dem europäischen Gedanken verpflich-
tet ist DIALANG, ein frei im Internet verfügbares computerbasiertes Evaluationsinstru-
ment, das es Fremdsprachenlernenden in 15 Sprachen ermöglicht, sich selbst einzuschät-
zen. DIALANG wurde im Auftrag der Europäischen Kommission entwickelt. Grundlage
dieses Systems ist eine Datenbank von kalibrierten Aufgaben. Die Testergebnisse sind
nach jedem Testmodul (Lesen, Hören, Schreiben, Strukturen, Wortschatz) in Form der
Stufen A1 bis C2 ausgedrückt. Zum Einsatz kommt DIALANG beispielsweise an Uni-
versitäten zur Einstufung von Studienplatzbewerbern.

5.4. Lernortschritt
Versteht man die Instrumente der Leistungsmessung als ein System, bei dem es von
einfachen zu immer komplexeren Prüfungstypen geht, dann lässt sich der Lernfort-
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1283

schrittstest am Anfang der Skala einordnen. Es handelt sich dabei um ein Kontrollinstru-
ment, das an geeigneter Stelle während eines Kurses eingesetzt wird, um der Lehrkraft
Informationen darüber zu liefern, wie effektiv ihr Unterricht war. Den Geprüften bietet
er Informationen darüber, wie effektiv der individuelle Lernprozess war. Der Inhalt der
Tests knüpft in der Regel unmittelbar an den in der vorangegangenen Unterrichtsphase
bearbeiteten Stoff an, ist somit abhängig vom Kurs- bzw. Lehrplan. Wenn das Lehrwerk
solche Tests nicht bereits liefert, erstellt die Lehrkraft diese passend zu den aktuellen
Unterrichtsinhalten. Hier stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen Lehrbuch-
aufgabe und Testaufgabe. Im Gegensatz zu Übungsaufgaben im Unterricht unterliegen
Testaufgaben höheren Ansprüchen bei den Gütekriterien Unabhängigkeit und Eindeutig-
keit. Bei einem Test sollten die Geprüften bei jedem Item eine neue Chance erhalten ⫺
zur Differenzierung zwischen einer Aufgabe und einem Einzelelement eines Tests hat sich
im Deutschen inzwischen die englische Bezeichnung Item durchgesetzt. Eine falsch ge-
löste Aufgabe darf also nicht automatisch einen weiteren Fehler nach sich ziehen. Lehr-
kräfte greifen häufig zu dem Instrument der offenen Aufgabe vom Typ Fragen zum (Le-
se- bzw. Hör-)Text, da diese zu jedwedem Inhalt einfach zu erstellen sind:

Die Lösungen zu einer solchen Frage variieren sowohl inhaltlich als auch formal. Bei
der Beurteilung bereiten Lösungen, die zu knapp sind oder zu viele grammatische bzw.
orthographische Fehler enthalten, Probleme. Das Prüfungsziel Rezeption eines Textes
(egal ob Lese- oder Hörtext) gerät in Konflikt mit dem impliziten Prüfungsziel Produk-
tion von frei formulierten schriftlichen Äußerungen. Zwar sollten orthographische und
grammatische Fehler bei Aufgaben zur Rezeption keine Rolle spielen, doch fällt es Kor-
rektoren meistens schwer, Lösungen mit der vollen Punktzahl zu bewerten, die zwar
inhaltlich adäquat aber formal fehlerhaft sind.
Halboffene Aufgabentypen haben gegenüber diesen völlig offenen Aufgaben den Vor-
teil, dass die verlangte produktive Leistung innerhalb eng gesteckter Grenzen bleibt. Ein
halboffenes Verfahren zum Überprüfen des Leseverstehens ist zum Beispiel die mit Lü-

Abb. 143.3: „summary cloze“-Aufgabe


1284 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

cken versehene Textzusammenfassung, die sogenannte „summary cloze“-Aufgabe. Dabei


muss die Textzusammenfassung nicht komplett erstellt werden, was eine Transferleistung
vom Lesen zum Schreiben wäre, sondern die Lehrkraft bzw. der Testautor verfasst die
mit Lücken versehene Textzusammenfassung, in der die Kerninformationen des Textes
abgefragt werden. Die vorgegebenen Lücken reißen den Kontext auf und schränken die
Bandbreite möglicher Lösungen inhaltlich ein.
Bei Aufgaben dieses Typs geht es um das Überprüfen der Rezeption. Die Lücken sind
daher so gesetzt, dass sie nicht bereits von grammatischen Strukturen determiniert sind
(z. B. ein Nomen im Dativ-Plural erforderlich machen). Bei der Korrektur müssen for-
male Fehler unberücksichtigt bleiben.

5.5. Kursabschluss

Am Ende eines Kurses besteht bei einer großen Zahl von erwachsenen Kursteilnehmen-
den das Bedürfnis nach einer Dokumentation des Fortschritts, den sie im Verlauf des
Kurses gemacht haben. Bei fremdfinanzierten Kursen hat der Geldgeber häufig ein Inte-
resse daran, den Erfolg der geförderten Maßnahme in Form eines Abschlusstests zu
überprüfen. Ein Beispiel dafür ist die Einführung der weitestgehend durch Steuergelder
finanzierten Integrationskurse für Zuwanderinnen und Zuwanderer in Deutschland im
Jahr 2005. Diese Sprachkurse sind differenziert nach Teilzielgruppen, z. B. schnelle Ler-
nende, Elternkurse, Jugendkurse, Kurse zur Alphabetisierung. Sie umfassen in der Regel
600 Unterrichtseinheiten mit der Möglichkeit einer Verlängerung. Alle Kurse wurden bis
2009 mit dem Zertifikat Deutsch abgeschlossen, seit 2009 kommt ein speziell für diesen
Zweck entwickelter Deutschtest für Zuwanderer (dtz) zum Einsatz.
Intendiert ist eine enge Verbindung mit dem Lernstoff des vorausgegangenen Kurses.
Das Bindeglied für die Anbindung der Sprachprüfung an den Kurs ist das Curriculum.
Das sog. Rahmencurriculum (Goethe-Institut 2007) beschreibt repräsentative Lernziele
für die Sprachkurse. Diese Lernziele sind zugleich Prüfungsziele. Geprüft wird ein Kern-
bereich, der in allen Kursarten Unterrichtsgegenstand und für alle Teilzielgruppen rele-
vant ist. Das sind zum Beispiel Themen wie die Ausbildung und Betreuung von Kindern.
Eine Prüfungszielbeschreibung legt eine Definition des sprachlichen Niveaus aufgefä-
chert nach sprachlichen Mitteln im Bereich Sprachhandlungen, Intentionen, Notionen,
grammatischen Strukturen und Wortschatz vor und entspricht damit den Anforderun-
gen, die auch an eine Feststellungsprüfung gestellt werden. Rahmencurriculum und Prü-
fungszielbeschreibung bilden die Grundlage für Unterrichtsmaterialien und Lehrwerke,
die in den Kursen eingesetzt werden. Die Kursabschlussprüfung dtz unterscheidet sich
von Feststellungsprüfungen wie dem weltweit seit dem Jahr 2000 für alle Zielgruppen
eingesetzten Zertifikat Deutsch durch den engen inhaltlichen Bezug zu den vorausgegan-
genen Kursen und zu den Bedürfnissen der Zielgruppe.

5.6. Sprachstandsmessung

Die Funktion einer Feststellungsprüfung ist es, die sprachlichen Fähigkeiten der Geprüf-
ten zu einem bestimmten Zeitpunkt zu bestimmen. In der Regel melden sich Interessen-
ten zu einer solchen Prüfung aus freien Stücken an und bezahlen für diese Dienstleistung
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1285

eine Gebühr. Als Gründe, warum sie sich einer Prüfung unterziehen, nennen Lernende
in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit:
a) aus persönlichem Interesse
b) als Nachweis beruflicher Qualifikation
c) als Nachweis im Rahmen der Studienplatzbewerbung
d) als Nachweis im Rahmen des Einreise- und Visarechtes

Was die Prüfungsinhalte angeht, so beschränkt sich die Feststellungsprüfung nicht auf
den Stoff eines bestimmten Kurses oder Lehrplans, sondern legt eine detaillierte Prü-
fungszielbeschreibung zugrunde. Bei einer allgemeinsprachlichen Prüfung orientiert sich
diese an der zukünftigen Sprachverwendung im privaten, beruflichen und öffentlichen
Leben. Im Falle einer fachsprachlich ausgerichteten Prüfung sind die Prüfungsinhalte
auf das jeweilige Fachgebiet, zum Beispiel berufsbezogene Verwendungssituationen, ein-
gegrenzt. Die Prüfungszielbeschreibung gibt Auskunft über Prüfungsziele und -inhalte,
sprachliche Funktionen, Intentionen bzw. Handlungsfelder, den zugrunde gelegten Wort-
schatz und die grammatischen Strukturen, das sprachliche Niveau etc. Seit Veröffentli-
chung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens und der Profile Deutsch beziehen
sich solche Prüfungsbeschreibungen für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in der
Regel auf die Niveaustufen A1 bis C2 (Grotjahn 2007).
Feststellungsprüfungen umfassen in der Regel Testaufgaben zu allen vier Fertigkeiten,
d. h. Leseverstehen, Hörverstehen, Schriftlicher Ausdruck und Mündlicher Ausdruck.
Prüfungsaufgaben zu der Fertigkeit der Mediation sowie spezielle Grammatik-Teile sind
dagegen selten. Da die Prüfungsergebnisse sich an Endabnehmer, also zum Beispiel Ar-
beitgeber oder Bildungseinrichtungen, außerhalb der prüfenden Institution richten, ent-
stehen besondere Ansprüche an die Augenschein-Validität. Beim Durchsehen der Prü-
fungsaufgaben sollte der gebildete Laie den Eindruck erhalten, dass Testaufgaben für
ihre Zwecke relevante Inhalte und Fertigkeiten überprüfen. Im Zuge der sogenannten
kommunikativen Wende spielt dabei die Verwendung (semi-)authentischer Texte und
handlungsorientierter Aufgabenformen eine entscheidende Rolle.
Bei der Formulierung von Testaufgaben zum Schreiben etwa sollte die kontextuelle
Einbettung realistisch sein. Vor allem muss der Adressat klar sein. Realitätsnahe Schreib-
aufgaben richten sich nicht an den Prüfenden/Korrigierenden, sondern zum Beispiel an
einen Brieffreund. Überdies muss in der Aufgabe definiert sein, welche Form der zu
schreibende Text annehmen soll, d. h. welche Textsorte produziert werden und wie lang
der Text sein soll. Aus Gründen der Fairness sollte den Geprüften bei einer produktiven
Aufgabe, die nach bestimmten Kriterien beurteilt wird, außerdem bekannt sein, worauf
bei der Korrektur Wert gelegt wird.
Bei der Feststellungsprüfung ist außer der Augenscheinvalidität die sogenannte „Kon-
tentvalidität“ von Bedeutung. Sie betrifft die Frage der Testziele. Während die Auffas-
sung, dass Feststellungsprüfungen alle vier Fertigkeiten überprüfen sollen, inzwischen
historisch gewachsen ist, gibt es keinen Konsens darüber, wie jede einzelne Fertigkeit
getestet wird. Dies hängt von den jeweiligen Feinzielen ab. So legt zum Beispiel das
Hörverstehen im TestDaF Wert auf das Verstehen von vorlesungsähnlich strukturierten
Texten. Eine Prüfung zur Fachsprache Wirtschaftsdeutsch wie das vom Deutschen Volks-
hochschul-Verband und vom Goethe-Institut gemeinsam entwickelte Zertifikat Deutsch
für den Beruf (ZDfB) (1995) räumt berufsspezifischen Sprechanlässen und Aspekten in-
ter- bzw. metakultureller Kommunikation eine große Bedeutung ein.
1286 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

In Feststellungsprüfungen spielen mündliche Prüfungsteile meist eine wesentliche


Rolle. Entscheidend für das Testformat ist die Zahl der gleichzeitig Geprüften. In jünge-
rer Zeit greifen Testentwickler dabei häufiger auf das Format der Paar- oder sogar Grup-
penprüfung zurück. Aufgaben zur Problemlösung und Diskussion lassen sich unter
gleichberechtigten Teilnehmenden besser bearbeiten als zwischen Teilnehmenden und
Prüfenden. Teilnehmende sollen miteinander eigene Gedanken entwickeln und artikulie-
ren. Doch das gleichzeitige Prüfen von mehreren Personen bringt besondere Probleme
mit sich. Intellektuell überlegene und reife Persönlichkeiten haben es bei solchen Testfor-
men leichter als Personen, die aus kulturspezifischen oder persönlichen Gründen nicht
daran gewöhnt sind, eigene Ideen im Gespräch zu entwickeln. Dieser Unterschied muss
sich in den dazugehörigen Bewertungskriterien niederschlagen. Aufgabe und Bewertung
gehören also zusammen. Je offener ein Test zur mündlichen Kommunikation angelegt
ist, umso größer ist der Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Prüfenden. In der
Praxis nutzen Prüfende diesen Spielraum allerdings nicht selten in einer Weise, dass von
den ursprünglichen Prüfungszielen wenig übrigbleibt. Dadurch werden die Prüfungser-
gebnisse unzuverlässig. Prüferverhalten sowie die Praktikabilität von Bewertungskrite-
rien sind die beiden zentralen Facetten des komplexen Prüfungsgeschehens bei mündli-
chen Prüfungen. Sie berühren sowohl die Frage der Validität wie der Reliabilität von
Tests. Je freier ein Prüfender die Aufgabenstellung interpretiert oder je unübersichtlicher
die Bewertungskriterien, die er heranziehen soll, umso größer die Fehlerquelle. Der Rele-
vanz von Prüferverhalten und der Bewertung von mündlichen Leistungen ist eine Viel-
zahl von Einzeluntersuchungen gewidmet (Lumley und McNamara 1995).
Auch hinsichtlich der Reliabilität werden an Feststellungsprüfungen die höchsten An-
forderungen gestellt. Zuverlässige Tests dieses Typs müssen zunächst eine Mindestzahl
an Items anbieten, wobei jedes Item als Einzelmessung zu betrachten ist, das unabhängig
von anderen wertvolle Daten liefert. Um gesicherte Aussagen über den Sprachstand ma-
chen zu können, sollte beim Lesen und Hören eine Mindestzahl von Aufgaben vorhanden
sein. Diese wird gegenwärtig zwischen 20 und 30 gesehen. Eine Konsequenz daraus ist
zum Beispiel, dass die von europäischen Prüfungsinstitutionen angebotenen Feststellungs-
prüfungen in der Regel mehrere Stunden dauern. Die Resultate dieser Sprachstandsmes-
sung sollen differenziert und fundiert genug sein, um den Endabnehmern eine begründete
Entscheidung zu ermöglichen, ob die nachgewiesenen Sprachkenntnisse für die anvisierte
Tätigkeit ausreichen.

6. Computerbasierte Testverahren
Die Vorgabe, in möglichst kurzer Zeit ein möglichst genaues Bild des sprachlichen
Kenntnisstandes der Teilnehmenden zu erhalten, hat in den 1990er Jahren zur Entwick-
lung von computergestützten Testverfahren geführt. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte
BUSINESS LANGUAGE TESTING SYSTEM (BULATS). Das Instrument wird in vier
Sprachen angeboten: Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch. Ein Prüfender ist bei
diesem Computertest nicht beteiligt. Die Ergebnisse werden unmittelbar nach dem etwa
15-minütigen Verfahren in Form eines Protokolls bekanntgegeben. Im Hintergrund die-
ses Testsystems steht eine Bank von kalibrierten, d. h. erprobten und damit im Schwierig-
keitsgrad definierten Aufgaben zu den rezeptiven Fertigkeiten, d. h. Lesen und Hören
sowie Strukturen und Wortschatz.
143. Testen und Prüfen von Sprachkenntnissen 1287

Im Gegensatz zum traditionellen Verfahren in Papierform wird beim computeradapti-


ven Testsystem nicht jedem Teilnehmenden die gleiche Testbatterie vorgelegt. Der Com-
puter errechnet vielmehr nach jedem gelösten Item, zu welchem Item die geprüfte Person
weitergeschickt wird. Hat er das vorhergehende richtig gelöst, wird der Schwierigkeits-
grad erhöht, hat er es falsch gelöst, bekommt er ein Angebot mit geringerem Schwierig-
keitsgrad. Vorteile eines computergesteuerten Systems sind neben dem geringen Zeitauf-
wand die Genauigkeit der Ergebnisse, der Abwechslungsreichtum der kontextualisierten
Aufgaben, die auch das Hörverstehen integrieren, sowie die weite Streuung der Aufgaben
vom Anfängerniveau bis zu weit fortgeschrittenem Kenntnisstand.

7. Literatur in Auswahl

Bachman, Lyle und Adrian Palmer


1996 Language Testing in Practice. Oxford: Oxford University Press.
Bolton, Sibylle, Manuela Glaboniat, Helga Lorenz, Michaela Perlmann-Balme und Stefanie Steiner
2008 Mündlich. Mündliche Produktion und Interaktion Deutsch. Illustration der Niveaustufen des
Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens. München: Langenscheidt.
Brown, James Dean
1993 What are the characteristics of natural cloze tests. Language Testing 10(2): 93⫺116.
Canale, Michael und Merril Swain
1980 Theoretical bases of communicative approaches to second language teaching and testing.
Applied Linguistics 1: 1⫺47.
Council of Europe
2003, Sept. Relating language examinations to the Common European Framework of Reference
for Languages: Learning, Teaching, Assessment. Strasbourg. www.coe.int/lang.
Deutscher Volkshochschul-Verband, Goethe-Institut
1995 Das Zertifikat Deutsch für den Beruf. Lernziele, Wortliste, Testmodell, Bewertungskrite-
rien. Frankfurt a. M.
Europarat; Council for Cultural Co-operation, Education Committee, Modern Languages Division;
Goethe-Institut Inter Nationes u. a. (Hg.)
2001 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin/
München: Langenscheidt.
Glaboniat, Manuela, Martin Müller, Paul Rusch, Helen Schmitz und Lukas Wertenschlag
2005 Profile Deutsch. Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen. Lernzielbestimmungen, Kann-
beschreibungen, Kommunikative Mittel, Niveau A1⫺A2, B1⫺B2, C1⫺C2. Berlin/Mün-
chen: Langenscheidt.
Goethe-Institut
2007 Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache. München. www.
goethe.de/integration.
Grotjahn, Rüdiger (Hg.)
1992 Der C-Test. Theoretische Grundlagen und praktische Anwendungen. Bochum: Brockmeyer.
Grotjahn, Rüdiger
2007 Testen und Prüfen: Aktuelle Tendenzen. Neue Beiträge zur Germanistik 6(2): 19⫺38.
Jafarpur, Abdoljavad
1995 Is C-Testing superior to cloze? Language Testing 12(2): 194⫺216.
Lumley, Tom und Timothy McNamara
1995 Rater characteristics and rater bias: implications for training. Language Testing 121:
54⫺71.
1288 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

Macht, Konrad
1995 Leistungsmessung und Curriculum. In: Karl-Richard Bausch, Herbert Christ und Hans-
Jürgen Krumm (Hg.), Handbuch Fremdsprachenunterricht, 282⫺285. 3. Aufl. Tübingen:
Narr.
Michel, Sister Virgil
1936 Prognosis in German. Modern Language Journal 20: 275⫺87.
Rampillon, Ute
1996 Schüler beurteilen sich selbst. Ein Zugang zum selbstgesteuerten Lernen. Friedrich Jahres-
heft 14: 38⫺39.
Spolsky, Bernard
1995 Measured Words. The Development of Objective Language Testing. Oxford: Oxford Uni-
versity Press.
Taylor, Wilson L.
1953 Cloze procedure: a new tool for measuring readability. Journalism Quaterley 30: 414⫺38.
Wall, Diane und J. Charles Alderson
1993 Examining wash-back: the Sri Lanka Impact Study. Language Testing 10(1): 41⫺69.

Michaela Perlmann-Balme, München (Deutschland)

144. Sprachprüungen ür Deutsch als Fremdsprache


1. Einleitung
2. Testarten
3. Merkmale standardisierter Zertifikatsprüfungen
4. Internationale DaF-Prüfungen
5. Zusammenfassung
6. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
In einer Zeit der Globalisierung und eines zusammenwachsenden Europas spielen nicht
nur Fremdsprachenkenntnisse eine immer größere Rolle, sondern zunehmend auch deren
Zertifizierung. Die internationale Mobilität in Berufs- und Bildungskontexten erfordert
objektive, aussagekräftige, transparente und vergleichbare Nachweise von Sprachkompe-
tenzen. Entsprechend der erhöhten Nachfrage ist in den letzten Jahren auch der internati-
onale Prüfungsmarkt in Bewegung geraten. Ein deutlicher Meilenstein in Richtung er-
höhter Vergleichbarkeit und Transparenz wurde dabei durch das Erscheinen des Gemein-
samen Europäischen Referenzrahmens (⫽ GER, Europarat 2001) gesetzt. Beinahe alle
größeren internationalen Zertifikatsanbieter und Testorganisationen haben ihre Sprach-
prüfungen gemäß den darin festgelegten Referenzniveaus analysiert, adaptiert bzw. in
Anlehnung daran neue entwickelt. Dies gilt ganz besonders auch für den deutschsprachi-
gen Prüfungsbereich und betrifft nicht nur allgemeinsprachliche Tests und Prüfungen,
sondern auch Prüfungen für besondere Zielgruppen, wie z. B. Prüfungen für Kinder und
144. Sprachprüfungen für Deutsch als Fremdsprache 1289

Jugendliche, studien- oder berufsbezogene Prüfungen oder spezifische Prüfungen für Mi-
grantInnen (vgl. Art. 145).
Im folgenden Beitrag soll nach einer kurzen Definition verschiedener Test- und Prü-
fungsverfahren geklärt werden, welche Art von Prüfungen und Zertifikaten im Zentrum
dieses Beitrags stehen und durch welche Merkmale sie sich charakterisieren lassen. An-
schließend stellt eine Übersicht die aktuelle DaF-Testlandschaft dar, gefolgt von einer
kurzen Beschreibung der diversen Prüfungen. In diesem Zusammenhang wird auch auf
die Rolle des GER für den Bereich der Sprachzertifizierung eingegangen.

2. Testarten
Das Überprüfen von Sprachkompetenzen kann je nach Testziel und Funktion in unter-
schiedlichster Art und Weise vorgenommen werden. In der Testtheorie unterscheidet man
prinzipiell zwischen diagnostischen Verfahren, wie z. B. den Einstufungstests (placement
tests), den auf einen Unterricht bzw. Kurs bezogenen Leistungs- bzw. Lernfortschrittsmes-
sungen (achievement tests) und den an vorgegebenen Kompetenz- bzw. Niveaubeschrei-
bungen orientierten Feststellungsprüfungen, die auch als Niveauprüfungen bzw. Qualifika-
tionstests (proficiency tests) bezeichnet werden. Letztgenannte Prüfungen erfassen den
Ausprägungsgrad von vorab definierten Anforderungen sprachlicher Handlungsfähigkeit
in Bezug auf abschätzbare bzw. mögliche zukünftige Verwendungssituationen. Sie sind
als solche, wie später noch ausgeführt wird, meist performanz- bzw. sprachhandlungsori-
entiert und überprüfen unabhängig von Kursen oder Lehrwerken den momentanen
Sprachstand eines Kandidaten, indem sie sich an vorher festgelegten Spezifikationen,
Niveau- und Kompetenzbeschreibungen orientieren. Standardisierte, internationale Zer-
tifikate sind den Definitionen zufolge in diese Kategorie der Niveauprüfungen einzuord-
nen, weshalb im Folgenden ausschließlich auf diese Prüfungen eingegangen wird.

3. Merkmale standardisierter Zertiikatsprüungen

3.1. Kommunikatives Testen

Die meisten in diesem Beitrag erwähnten Prüfungen lassen sich als kommunikativ orien-
tierte Sprachprüfungen bezeichnen. Kommunikative Prüfungen setzen (vereinfacht aus-
gedrückt) nicht sprachliches Wissen, sondern Können, also sprachliche Handlungsfähig-
keit in den Mittelpunkt und sind daher zum größten Teil auch als Performanztests anzu-
sehen. Im Gegensatz zu sog. Kompetenztests (die meist mit theoretischen Modellen
„tieferliegender Grundfähigkeiten“ arbeiten) spiegeln Performanztests realitätsnahes ziel-
sprachiges Verhalten in realitätsnahen, wahrscheinlichen und relevanten Situationen wi-
der (real life approach, vgl. dazu Bachman 1990; Weir 1993; Glaboniat 1998). Vom Ver-
halten und den Leistungen der Testteilnehmenden in diesen Situationen wird abgeleitet,
wie sich eine Person außerhalb des Testzusammenhangs verhalten könnte. Dazu werden
die TestkandidatInnen in möglichst realitätsnahe und kommunikative Akte involviert
und müssen innerhalb einer vorgegebenen Situation und sozialen Rolle unterschiedliche
1290 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

sprachliche Handlungsaufgaben erfüllen. Die kommunikative Orientierung findet sich


dabei aber nicht nur in der Kontextualisierung der Aufgabe, sondern auch in der Authen-
tizität der (Input-)Texte, in der Berücksichtigung der kommunikativen Lernerbedürf-
nisse, in der repräsentativen Auswahl der Aufgaben, in der Alters-, Sozialisations- und
Kulturadäquatheit der Themen sowie in der Berücksichtigung von Kommunikationsstra-
tegien.
Kommunikativ orientierte Sprachprüfungen ⫺ das gilt auch für alle hier angeführ-
ten ⫺ gehen von einem sehr breit gefassten, pragmatisch orientierten Konzept der
Sprachkompetenz aus (vgl. v. a. Modell von Bachmann 1990; Glaboniat 1998: 53⫺62;
GER: 21⫺29, 51⫺102) und differenzieren in der Regel nach den vier sprachlichen
Hauptaktivitäten bzw. Fertigkeiten Leseverstehen, Hörverstehen (⫽ mündliche und
schriftliche Rezeption), Schreiben und Sprechen (⫽ mündliche und schriftliche Produk-
tion bzw. Interaktion).
Linguistische Kompetenzen, wie Grammatik und Lexik, werden teilweise implizit mit-
erfasst (v. a. innerhalb des Schreibens, Sprechens), teilweise in entsprechenden Subtests
eigens getestet (vgl. z. B. „Sprachbausteine“ in der Prüfung B1 Zertifikat Deutsch).

3.2. Direktes Testen

Um eine möglichst hohe Validität zu erreichen, versuchen kommunikative Tests mög-


lichst direkt zu testen. Dies ist bei produktiven Aktivitäten wie Schreiben und Sprechen
relativ leicht zu realisieren und führt zu sehr offenen Aufgaben wie z. B. dem Verfassen
von Briefen oder E-Mails im schriftlichen Teil oder dem Führen eines alltäglichen Ge-
sprächs im mündlichen Teil einer Prüfung. Die testtheoretische Herausforderung bei die-
sen Testformaten liegt v. a. in der Gewährleistung der Auswertungsreliabilität und -objek-
tivität. Bei den rezeptiven Hör- und Leseverstehensaufgaben ist dies genau umgekehrt.
Zwar wird grundsätzlich versucht, möglichst direkt zu testen, d. h. sämtliche für Hör-
bzw. Lesekompetenz irrelevante Faktoren auszublenden. Dennoch wird letztlich immer
ein indirektes Antwortformat gebraucht, auf der die jeweilige ⫺ innerlich ablaufende und
daher an sich nicht direkt beobachtbare ⫺ Verstehensleistung nach außen nachgewiesen
wird. Diese Antwortformate können im Grad ihrer Direktheit sehr unterschiedlich sein.
Ein Beispiel für nicht-direktes, nicht-valides und nicht-zuverlässiges Testen wäre, dass
die TestkandidatInnen Gehörtes in Form einer schriftlichen Zusammenfassung in der
Zielsprache wiedergeben müssen. Hinzukommende, verfälschende Faktoren wären hier,
1) die geforderte Merkleistung, 2) die Wiedergabe in der Zielsprache und 3) das alles in
schriftlicher Form (sprachliche Korrektheit, Textsortenkompetenz „Wie schreibt man
eine Zusammenfassung?“). Im Bemühen um möglichst hohe Direktheit und Reliabilität
werden in standardisierten Tests daher meist geschlossene Formate wie Richtig-Falsch
oder Multiple Choice verwendet ⫺ auch wenn solche Auswahlmöglichkeiten in realen
Situationen natürlich nicht vorkommen. Selbstverständlich liegt hier als verfälschender
Faktor auch immer noch die Abhängigkeit vom (Lese-)Verstehen der Aufgaben (Items)
vor, aber im Vergleich zu den schriftlichen Anforderungen im o. a. Beispiel ist dieser
Kompromiss innerhalb des Spannungsfelds zwischen Validität und Reliabilität von Test-
aufgaben vertretbar.
144. Sprachprüfungen für Deutsch als Fremdsprache 1291

3.3. Qualitätsstandards und die Zuordnung zu den Europaratsstuen

Internationale Sprachprüfungen und Zertifikate werden auch als Qualifikations- oder


high stakes tests bezeichnet, da sie als Selektionsinstrumente oder im Zusammenhang
mit Entscheidungen eingesetzt werden, die weitergehende Konsequenzen für die Testkan-
didatInnen haben (z. B. Anstellung, Beförderung, Zulassung zur Universität, Staatsbür-
gerschaft, Visumsverlängerung). Es versteht sich daher von selbst, dass solche Prüfungen
höchsten Qualitätsstandards gerecht werden müssen. Das betrifft nicht nur die klassi-
schen Testgütekriterien Validität, Objektivität und Reliabilität, sondern auch andere
Qualitätsmerkmale wie Praktikabilität, Fairness, Nützlichkeit und Transparenz. Die
meisten der hier angeführten Prüfungsorganisationen stellen diesbezüglich an sich selbst
sehr hohe Ansprüche bzw. fühlen sich internationalen Standards verpflichtet, wie z. B.
dem Code of Practice der Association of Language Testers in Europe (ALTE).
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für standardisiertes Prüfen ist das kriterien-
oder sachorientierte Messen. Im Gegensatz zu norm- oder individualorientiertem Vorgehen
in nicht standardisierten Verfahren (z. B. in schulischer Leistungsmessung, vgl. dazu Gla-
boniat 2002), erfordert standardisiertes Testen, dass der Testgegenstand (das Testkonst-
rukt bzw. das Testkriterium) vorher festgelegt ist und als Bezugsgröße für jede Messung
gilt. Demnach wird die Leistung einer Person weder in Bezug auf Leistungen anderer
Personen (Norm), noch in Bezug auf eigene, vorangegangene Leistungen (Individuum)
bewertet, sondern lediglich in Bezug auf das vorgegebene Lernziel (Kriterium). Nur so
ist eine transparente und aussagekräftige Beurteilung der Sprachbeherrschung eines Ler-
nenden gewährleistet. Standardisierte Prüfungen und Tests müssen somit über klar defi-
nierte Beschreibungen der gewünschten Kompetenzen und Fähigkeitsgrade und, davon
abgeleitet, über transparente Prüfungsziele und Beurteilungskriterien verfügen. Der GER
und die anderen in seinem Umfeld stehenden Europaratsinstrumentarien, wie z. B. „Pro-
file deutsch“ (Glaboniat et al. 2005) für die deutsche Sprache, haben in diesem Zusam-
menhang nicht nur wesentliche Hilfsmittel für kriterienorientiertes Testen geschaffen,
sondern ⫺ zumindest auf den ersten Blick ⫺ auch den Weg zu mehr Transparenz und
schneller Vergleichbarkeit geebnet.
Mittlerweile gibt es keine internationale Sprachprüfung mehr, die sich nicht niveau-
mäßig innerhalb des Bezugsystems des Europarats einordnet und auch die Bezeichnun-
gen A1 bis C2 wählt.
Um die Qualität der Prüfungen und die Gültigkeit in Hinblick auf die Niveauzuord-
nung zu gewährleisten, unterziehen bzw. unterzogen sich seriöse Prüfungen einer intensi-
ven Auseinandersetzung mit dem GER, die in vielen Fällen zu Revisionen, Adaptionen
oder Neuentwicklungen führt/geführt hat. In diesem Zusammenhang erwähnenswert
sind v. a. zwei Publikationen des Europarats, die Testinstitutionen bei der Erstellung und
Zuordnung von Tests behilflich sein sollten. Während die Publikation „Common Euro-
pean Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment: Lan-
guage Examining and Test Development“ (vgl. Council of Europe 2002) eine allgemeine
Einführung in den Bereich des Sprachentestens darstellt, unterstützt das „Manual for
Relating Language Tests to the CEFR“ (vgl. Council of Europe/Relating Language Tests
to the CEFR, Manual 2009) v. a. den Zuordnungsprozess: Durch das Vergleichen, Analy-
sieren und Abgleichen von Prüfungszielen und -inhalten mit den detaillierten Niveaube-
schreibungen des GER (und deren sprachlicher Konkretisierung, wie sie z. B. für die
deutsche Sprache durch „Profile deutsch“ vorliegt), werden die einzelnen Prüfungen mit
1292 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

dem GER verlinkt, validiert und evaluiert. Bei aller Euphorie muss aber auch betont
werden, dass der GER in der Fachdiskussion durchaus nicht unumstritten ist, dass er
viele Schwachstellen aufweist und es eine Menge offene und ungeklärte Fragen gibt (vgl.
Bausch et al. 2003). Hinzu kommt, dass die Niveauzuordnung hie und da ⫺ sei es bei
Lehrwerken oder nicht-standardisierten Tests im Internet ⫺ nicht nachvollziehbar ist
und Etikettenschwindel angenommen werden muss. Internationale Sprachprüfungen
nehmen die Zuordnung in der Regel jedoch sehr ernst, womit für den Bereich des Spra-
chentestens durch den GER tatsächlich ein wichtiger Meilenstein gesetzt wurde. Es exis-
tieren nun zumindest Anhaltspunkte, die die Prinzipien wie Vergleichbarkeit, Transpa-
renz und Kohärenz erstmals wirklich ermöglichen.

4. Internationale DaF-Prüungen
4.1. Beispiel Zertiikat Deutsch als Fremdsprache

Bevor im Folgenden die gängigsten DaF-Prüfungen vorgestellt werden, soll die weltweit
am meisten frequentierte Deutschprüfung, das auf dem Niveau B1 angesiedelte Zertifikat
Deutsch (kurz: ZD), beispielhaft etwas detaillierter skizziert werden.
Gemäß den Beschreibungen des GER sollen Lernende auf diesem Niveau zur „selbst-
ständigen Sprachverwendung“ in Alltagssituationen fähig sein, d. h. sie können u. a.
sprachlich „die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet
begegnet“ und „sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persön-
liche Interessengebiete äußern“ (GER B1).
Konzipiert ist das ZD für Lernende ab 16 Jahren, für jüngere DeutschlernerInnen
zwischen 12 und 16 Jahren wird zusätzlich das Zertifikat Deutsch für Jugendliche (ZDj)
angeboten. Das ZDj unterscheidet sich vom ZD lediglich in der Auswahl der Themen
und Texte; Umfang und Format der Aufgaben sowie die Bewertung und letztlich auch
die ausgestellte Zertifikatsurkunde sind identisch.
Erstellt und herausgegeben werden beide Prüfungen (ZD und ZDj) in trinationaler
Zusammenarbeit vom Goethe-Institut (GI) und der telc GmbH/Deutschland, dem Öster-
reichischen Sprachdiplom Deutsch (ÖSD) und dem Lern- und Forschungszentrum der
Universität Freiburg/Schweiz. Der trinationalen Kooperation zu Grunde liegt die pluri-
zentrische Sprachauffassung des Deutschen, wonach die Standardvarietäten aus
Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz gleichberechtigt nebenei-
nander gestellt sind. In den Prüfungen finden sich daher v. a. in den rezeptiven Teilen
Hör- und Lesetexte aus den drei Ländern.
Die Aufgabenstellungen, d. h. die in der Prüfung zu bewältigenden Situationen mit
unterschiedlichen rezeptiven (Hör- und Lesetexte) und produktiven Anforderungen
(Sprech- und Schreibanlässen) orientieren sich an eigens für das ZD erstellten Spezifika-
tionen, die „Szenarien“, Strategien, Notionen und Themen sowie detaillierte Sprach-
handlungs-, Wortschatz- und Grammatikinventare (Zertifikat Deutsch Lernzielkatalog
1999: 26 und 61⫺371) umfassen. Dieser ZD-Lernzielkatalog geht in großen Teilen wiede-
rum auf die 1980 im Umfeld des Europarats erschienene „Kontaktschwelle“ von Baldeg-
ger et al. 1980 (bzw. dem 1975 erschienenen „Threshold Level“ von Van Ek) zurück.
Somit orientiert sich das ZD nicht wie andere, neuere Prüfungen direkt an den Bestim-
mungen des GER bzw. Profile deutsch, sondern geht noch auf deren Vorarbeiten zurück.
144. Sprachprüfungen für Deutsch als Fremdsprache 1293

Auf Grund dieser Zusammenhänge lässt sich zwar generell annehmen, dass sich die meis-
ten der ZD-Spezifikationen mit den Niveaubeschreibungen und Skalen des GER bzw.
den Konkretisierungen in Profile deutsch decken, eine detaillierte Prüfung bzw. Analyse
sowie daraus resultierende Überarbeitung wird in Fachkreisen als längst fällig angesehen.
Erste Schritte in diese Richtung wurden 2008 gesetzt, eine Revision dürfte in den nächs-
ten Jahren zu erwarten sein.
Tabelle 144.1 zeigt u. a. den Aufbau des ZD (auch ZDj) mit den einzelnen Prüfungstei-
len, deren Aufgabenformate und Gewichtung.

Tab. 144.1: Übersicht über das Zertifikat Deutsch


Übersicht über das Zertifikat Deutsch
Fertigkeiten/ Überprüfungsdomäne/ Aufgabentypen/ Zeit Punkte rel. Ge-
Kompetenzen Subtests Antwortformate wichtung
Schriftliche Prüfung 150ⴕ 225
Leseverstehen 90ⴕ 75 25 %
LV1: Globalverstehen Zuordnung (5)* 25
LV2: Detailverstehen Mehrfachauswahl (5) 25
LV3: Selektives Verstehen Zuordnung (10) 25
Sprachbausteine 30 10 %
SB1: Lexik; v. a. Morpho- Mehrfachauswahl (10)
15
syntax
SB2: Lexik; v. a. Semantik Mehrfachauswahl (10) 15
Hörverstehen ca. 30ⴕ 75 25 %
HV1: Globalverstehen Richtig-Falsch (5) 25
HV2: Detailverstehen Richtig-Falsch (10) 25
HV3: Selektives Verstehen Richtig-Falsch (5) 25
Schreiben 30ⴕ 45 15 %
Schriftliche Interaktion; 4 Leitpunkte
In-, halbformeller bearbeiten 45
Antwortbrief
Mündliche Prüfung ca. 15ⴕ 75 25 %
Sprechen v. a. mündliche Interak- Paar- oder
(Mündlicher tion, tlw. mündliche Einzelprüfung
Ausdruck) Produktion
MA 1: Kontaktaufnahme 15
MA 2: Gespräch über ein 30
Thema
MA 3: Gem. eine 30
Aufgabe lösen
ZERTIFIKAT DEUTSCH gesamt 300
* ⫽ Anzahl der Items pro Subtest

4.2. Überblick über internationale DaF-Zertiikate und kurze


Beschreibung
In der Tabelle 144.2 finden sich die gegenwärtig am internationalen Prüfungsmarkt ange-
botenen, standardisierten DaF-Zertifikate. DaZ-Prüfungen, die nur im deutschsprachi-
gen Inland angeboten werden, sind hier bewusst ausgespart (vgl. Art. 145).
1294 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

Studienspezifische Prüfungen wie TestDaF, DSH oder DSD wurden in die Tabelle 2
nicht aufgenommen, weil sie entweder über mehrere Niveaus gehen (vgl. TestDaF 3⫺5)
oder nicht in dem Ausmaß standardisiert sind wie die anderen.

Tab. 144.2: Standardisierte DaF-Zertifikate


Niv1. Prüfung Zielgruppe Träger2
A1
Start Deutsch 1 Erwachsene Gl; TELC
A1 Grundstufe Deutsch 1 (A1 GD 1) Erwachsene ÖSD
Fit in Deutsch 1 Kinder/Jugendliche GI
A1 Kompetenz in Deutsch 1 (A1 KID 1) Kinder/Jugendliche ÖSD
A2
Start Deutsch 2 Erwachsene Gl; TELC
A2 Grundstufe Deutsch 2 (A2 GD 2) Erwachsene ÖSD
Fit in Deutsch 2 Kinder/Jugendliche GI
A2 Kompetenz in Deutsch 2 (A2 KID 2) Kinder/Jugendliche ÖSD
B1
B1 Zertifikat Deutsch (B1 ZD) Erwachsene Gl; TELC; ÖSD;
EDK
B1 Zertifikat Deutsch für Jugendliche (ZDJ) Jugendliche (12⫺16 J.) Gl; TELC; ÖSD;
EDK
B2
Goethe Zertifikat B2 Erwachsene GI
B2 Mittelstufe Deutsch (B2 MD) Erwachsene ÖSD
telc Deutsch B2 (⫽ früher: Zertifikat Erwachsene TELC
Deutsch plus)
Zertifikat Deutsch für den Beruf (ZDfB) Erwachsene Gl; TELC
C1
Goethe Zertifikat C1 Erwachsene GI
C1 Oberstufe Deutsch (C1 OD) Erwachsene ÖSD
telc Deutsch C1 Erwachsene TELC
Prüfung Wirtschaftsdeutsch International Erwachsene GI und Partner3,
(PWD)
C2
Zentrale Oberstufenprüfung (ZOP) Erwachsene GI
Kleines Deutsches Sprachdiplom (KDS) Erwachsene GI
C2 Wirtschaftssprache Deutsch (C2 WD) Erwachsene ÖSD
Großes Deutsches Sprachdiplom (GDS) Erwachsene GI
1
Diese Niveauzuordnung erfolgt meist durch Selbsteinstufungen der Prüfungsanbieter, die auf di-
versen qualitativen und quantitativen Verfahren (Expertengutachten, Benchmarking-Verfahren,
psychometrische Linkingprozesse) basieren.
2
Trägerorganisationen: GI ⫽ Goethe-Institut; TELC ⫽ früher: Weiterbildungs-Testsysteme
GmbH; ÖSD ⫽ Österreichisches Sprachdiplom Deutsch; EDK ⫽ Schweizerische Konferenz der
kantonalen Erziehungsdirektoren.
3
GI in Kooperation mit dem Deutschen Industrie- und Handelstag und den Carl Duisberg Centren

4.3. Kurzcharakteristik: internationale DaF-Zertiikate (Prüungen des GI,


ÖSD und TELC)

Auf den Stufen A1 und A2 werden weltweit einerseits die Prüfungen Start Deutsch 1
und 2 des GI und TELC sowie andererseits die Prüfungen Grundstufe Deutsch 1 und 2
des ÖSD angeboten. Die einzelnen Prüfungen sind kommunikativ aufgebaut und doku-
144. Sprachprüfungen für Deutsch als Fremdsprache 1295

mentieren auf dem Niveau A1, dass die Teilnehmenden „vertraute, alltägliche Ausdrücke
und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden können“ bzw. auf A2-Niveau, dass
sie sich u. a. „in einfachen, routinemäßigen Situationen verständigen können“. (Es gibt
von Start 1 und 2 auch die Inlandsvarianten für Zuwanderer Start Deutsch 1(z) und
Start Deutsch 2(z), die in den vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
geförderten Integrationskursen durchgeführt werden. In Österreich ersetzt die ÖSD-Prü-
fung A1 Grundstufe 1 den früheren Sprachkenntnisnachweis, eine österreichische DaZ-
Prüfung, die bis 2006 als Nachweis zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung/Nieder-
lassungsbewilligung ausreichte. Seit 2006 ist dafür das Niveau A2 erforderlich.
Für beide A-Stufen liegen auch spezifische Prüfungen für Kinder und Jugendliche
vor. So können junge LernerInnen entweder die Prüfungen des Goethe-Instituts Fit für
Deutsch 1 und 2 (v. a. in Italien und Frankreich angeboten) oder die des ÖSD KID 1 und
2 absolvieren.
Während sich auf der Stufe B1 wie oben erwähnt nicht nur die größte, sondern auch
die am längsten existierende Prüfung, das Zertifikat Deutsch (vor 1999: Zertifikat
Deutsch als Fremdsprache) befindet, sind die Prüfungen der drei großen Testanbieter GI,
ÖSD und telc auf den Stufen B2 und C1 relativ neu.
Im Zuge der Zuordnungs- und Anpassungsprozesse der DaF-Prüfungen an den GER
wurde die Zentrale Mittelstufenprüfung (ZMP) des GI 2008 durch zwei neue Prüfungen
abgelöst: das Goethe Zertifikat B2 einerseits und das Goethe Zertifikat C1 andererseits.
Eine ähnliche Entwicklung erfuhr die frühere ÖSD-Prüfung Mittelstufe Deutsch. Sie
wurde Ende 2007 ebenfalls durch zwei neue Prüfungen ersetzt, die B2 Mittelstufe Deutsch
und die C1 Oberstufe Deutsch des ÖSD. Auch Telc bietet seit einiger Zeit Prüfungen auf
diesen Niveaus an, nämlich telc Deutsch B2 (früher: Zertifikat Deutsch plus) und telc
Deutsch C1.
Kenntnisse der Niveaustufe C2 können Lernende beispielsweise durch die Zentrale
Oberstufenprüfung (ZOP), das Kleine Deutsche Sprachdiplom (KDS) und das Große
Deutsche Sprachdiplom (GDS) unter Beweis stellen. Durch die ZOP wird sprachliches
Handeln innerhalb eines breiten Spektrums von Situationen und Themen überprüft. Von
den KandidatInnen werden differenzierte sprachliche Mittel, eine starke Nuancierung
beim Ausdruck und ein breites Repertoire an idiomatischer Ausdrucksweise erwartet.
Der Test für das etwa auf dem gleichen Niveau angesiedelte KDS wird vom GI in Zu-
sammenarbeit mit der Ludwig-Maximilian-Universität München (LMU) entwickelt; so
auch das GDS, welches als höchstqualifizierender Abschluss im Bereich DaF außerhalb
einer universitären oder einer Dolmetscher-/Übersetzer-Ausbildung gilt.
Im berufsbezogenen Kontext finden sich auf den höheren Stufen folgende Prüfungen:
Auf B2 ist das vom GI angebotene Zertifikat Deutsch für den Beruf angesiedelt. Dies
ist eine am Arbeitsalltag orientierte Sprachprüfung, die die Kommunikationsfähigkeit in
Situationen des täglichen Berufslebens überprüft.
Das GI bietet in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Industrie- und Handelstag
sowie den Carl Duisberg Centren die Prüfung Wirtschaftsdeutsch International (PWD)
an. Geprüft wird die Kommunikationsfähigkeit in Geschäftssituationen. Das Zeugnis
bescheinigt angemessene Kommunikationskompetenz auf der Niveaustufe C1 in typi-
schen Situationen des Geschäftslebens, also bei Präsentationen, in schriftlichen und
mündlichen Verhandlungen, u. Ä.
Eine Prüfung mit ähnlicher Ausrichtung, aber auf noch höherer Stufe ist die Prüfung
C2 Wirtschaftsprache Deutsch (WD) des ÖSD. Das Diplom dient als Nachweis von kom-
1296 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

petenter Sprachverwendung auf der höchsten Stufe des GER und erfordert überdies
fachsprachliche Kompetenz in Wirtschaftsberufen und wirtschaftsnahen Bereichen. Die
Prüfung wurde in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Österreich entwickelt.
Die genannten berufsbezogenen Prüfungen werden sowohl von Fach- und Führungs-
kräften als auch von Wirtschaftsstudenten gerne bei Bewerbungen eingesetzt.

4.4. Speziische Prüungen ür den Studienzugang

Speziell für studienspezifische Zwecke entwickelt wurde der TestDaF, eine vom TestDaF-
Institut entwickelte und herausgegebene Prüfung zur Eignungs- und Leistungsfeststel-
lung im Hochschulbereich. Der TestDaF wird weltweit angeboten und von allen Hoch-
schulen in Deutschland als Sprachtest für die Zulassung ausländischer Studierender aner-
kannt. Die TestDaF-Niveaustufe 3 entspricht der Stufe B2, die Stufe TestDaF 4 der Stufe
C1 des GER.
Zusätzlich werden an Deutschlands Auslandschulen die DSD-Prüfungen der deut-
schen Kultusministerkonferenz (KMK) angeboten. Von den beiden Prüfungsstufen DSD
1 und DSD 2 garantiert das DSD 2 den Hochschulzugang in Deutschland. Es setzt
ungefähr 1600 Stunden Schulunterricht (in der Regel 7 Jahre) voraus und lässt sich ⫺ in
der seit 2008 vorliegenden, ebenfalls nach dem GER revidierten Version ⫺ auf dem
Niveau C1 einordnen.
Ebenfalls für die Zulassung zum Hochschulzugang in Deutschland wurde die Deut-
sche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH ) entwickelt. Die DSH-Prüfungen
werden ausschließlich in Deutschland, jeweils vor Beginn eines Studiensemesters, ange-
boten. Der Unterschied zu den oben angeführten Prüfungen, die alle unter hohen Quali-
tätsanforderungen zentral erstellt und teilweise auch zentral ausgewertet werden, liegt
bei der DSH im geringeren Grad ihrer Standardisierung: Zwar gibt es eine für ganz
Deutschland geltende Rahmenordnung für die DSH, allerdings gestalten die einzelnen
Universitäten die Prüfungen, d. h. Inhalte und Aufgabenstellungen, selbstständig. Ein
vergleichbares Modell stellt das UNIcert“-Zertifikatssystem dar, das auf einer Rahmen-
vereinbarung deutscher Universitäten und Hochschulen beruht. Träger von UNIcert “
ist der Arbeitskreis für Sprachenzentren (AKS).
Ähnliches gilt auch für universitätsinterne/-eigene Prüfungen oder Tests in Österreich
und der deutschsprachigen Schweiz (z. B. Ergänzungsprüfung Deutsch in Österreich, der
Deutschtest der Universität Bern, die Deutschprüfung der Universität Zürich usw.) oder
für die (Abschluss-)Prüfungen der an den Universitäten angebotenen, studienvorberei-
tenden Deutschkurse (z. B. Vorstudienlehrgänge, Hochschulkurse, Studienkollegs u. Ä.):
Sie unterscheiden sich ⫺ trotz wachsender Bezugnahme auf den GER ⫺ in Schwierig-
keitsgrad, Inhalten, Aufbau und v. a. im Ausmaß ihrer Standardisierung und Qualitäts-
sicherung immer noch so sehr voneinander, dass sie nur sehr eingeschränkt vergleich-
bar sind.
Für den Hochschulzugang stehen somit verschiedene Prüfungen zur Verfügung. Ne-
ben den letztgenannten, studienspezifischen Prüfungen werden aber je nach Universität
und Hochschule bzw. Studienrichtung auch die anderen, oben erwähnten Prüfungen ak-
zeptiert. Entsprechende Informationen findet man für Deutschland im Internet unter
www.sprachnachweis.de. In Österreich werden die ÖSD-Prüfungen an allen Universitä-
ten anerkannt, es werden allerdings je nach Universität unterschiedliche Sprachniveaus
144. Sprachprüfungen für Deutsch als Fremdsprache 1297

gefordert und diesen Niveaus entsprechend auch die anderen oben angeführten standar-
disierten Prüfungen akzeptiert. Informationen zur Anerkennung des ÖSD an Österreichs
bzw. auch Schweizer und deutschen Universitäten sind unter www.osd.at abrufbar. Für
die Schweiz findet man die entsprechenden sprachlichen Aufnahmevoraussetzungen im
Internet unter „Studieren in der Schweiz“ (www.crus.ch) und in allen drei Ländern
selbstverständlich auch auf den entsprechenden Informationsseiten jeder einzelnen Uni-
versität.

5. Zusammenassung
Der Überblick über die verschiedenen DaF-Prüfungen spiegelt nicht nur das immer grö-
ßer werdende Angebot am (internationalen) Prüfungsmarkt wider, sondern zeigt die Prü-
fungen auch in ihrer jeweiligen Niveauzuordnung. Dies wäre noch bis vor einigen Jahren
kaum möglich gewesen, bestand doch seit jeher beim Ein- und Zuordnen von Sprach-
zeugnissen das fundamentale Problem der fehlenden Bezugsgröße. Da verschiedene Prü-
fungen naturgemäß verschiedene Inhalte überprüfen, unterschiedliche Schwerpunkte set-
zen und für unterschiedliche Zielgruppen konzipiert sind, war eine Vergleichbarkeit der
Beurteilungen immer sehr schwierig. Erst durch die Entwicklung eines gemeinsamen Re-
ferenzrahmens erfolgte eine grundsätzliche Neuorientierung. Es wurde ein gemeinsames
Bezugssystem geschaffen, an welchem sich kommunikativ orientierte Prüfungen beim
Analysieren, Festlegen oder Interpretieren der eigenen Lern- und Prüfungsziele orientie-
ren können. Wie die bisherige Erfahrung bereits zeigt, wurde durch den GER für den
Bereich des Prüfens und Zertifizierens ein durchaus hilfreiches und taugliches Instrument
geschaffen, das sowohl innerhalb der Sprachen als auch sprachenübergreifend deutlich
mehr Vergleichbarkeit, Transparenz und Kohärenz ermöglicht.

6. Literatur in Auswahl
Bachman, Lyle F.
1990 Fundamental Considerations in Language Testing. Oxford: Oxford University Press.
Baldegger, Markus, Martin Müller und Günther Schneider
1980 Kontaktschwelle Deutsch als Fremdsprache. Strassburg: Langenscheidt.
Bausch, Karl-Richard; Herbert Christ, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2003 Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspa-
piere der 22. Frühjahreskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübin-
gen: Narr.
Council of Europe
2002 Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assess-
ment: Language Examining and Test Development. Prepared under the direction of Michael
Milanovic /A.L.T.E), Strasbourg: Council of Europe, Language Policy Division. Verfüg-
bar unter http://www.coe.int/T/DG4/Portfolio/documents/Guide%20October%202002 %
20revised%20version1.doc (30. 11. 2009).
Council of Europe
2009 Relating Language Examinations to the Common European Framework of Reference for
Languages: Learning, Teaching, Assessment (CEF). Manual. Strasbourg: Council of
1298 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

Europe, Language Policy Division. Verfügbar unter http://www.coe.int/T/DG4/Portfolio/


documents/Manual%20Revision%20-%20proofread%20-%20FINAL.pdf (30. 11. 2009).
Europarat
2001 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren und beurteilen.
Hrsg. vom Goethe-Institut, der KMK, der EDK und dem BMBWK. Berlin etc.: Langen-
scheidt.
Glaboniat, Manuela
1998 Kommunikatives Testen im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Innsbruck etc.: Studienver-
lag.
Glaboniat, Manuela
2002 Schulnoten versus standardisierte Prüfungen ⫺ Gedanken zum Neben- und Gegeneinander
schulischer und standardisierter Leistungsmessung im DaF-Bereich. In: Hans Barkowski
und Renate Faistauer (Hg.): … in Sachen Deutsch als Fremdsprache, 217⫺230. Balt-
mannsweiler: Schneider.
Glaboniat, Manuela; Martin Müller, Paul Rusch, Helen Schmitz und Lukas Wertenschlag
2005 Profile deutsch A1⫺C2 (Version 2.0). Berlin etc.: Langenscheidt.
Van Ek, Jan
1975 The Threshold Level, with an appendix by L.G. Alexander. Strasbourg: Council of Eu-
rope.
Weir, Cyril
1993 Understanding and Developing Language Tests. New York: Prentice Hall.
Zertifikat Deutsch. Lernziele und Testformat (⫽ Lernzielkatalog)
1999 Hrsg. von Weiterbildungs- und Testsysteme GmbH, Goethe-Institut, Österreichisches
Sprachdiplom Deutsch, Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren.

Quellen für Prüfungen und Prüfungsanbieter (Zugriff am 30. 11. 2009)


Goethe-Institut:
www.goethe.de
ÖSD:
www.osd.at
telc:
www.telc.net
TestDaf:
www.testdaf.de
DSD:
www.dsd-kmk.de
DSH:
Informationen unter www.daad.de oder www.fadaf.de

Manuela Glaboniat, Klagenfurt (Österreich)


145. Sprachprüfungen für Deutsch als Zweitsprache 1299

145. Sprachprüungen ür Deutsch als Zweitsprache


1. Einleitung
2. Bundesrepublik Deutschland: Deutschtest für Zuwanderer (dtz )
3. Österreich: Test des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF-Test)
4. Fazit
5. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
Sprachprüfungen Deutsch als Fremdsprache haben eine lange Tradition. Es gibt ein
Spektrum an standardisierten DaF-Prüfungen für verschiedene Zielgruppen, zu unter-
schiedlichen Zwecken und auf allen Niveaus des Gemeinsamen europäischen Referenz-
rahmens (GER) (vgl. Art. 144). Im Gegensatz dazu ist das Angebot an standardisierten
Deutsch als Zweitsprache-Prüfungen sehr begrenzt.
Allgemeines Merkmal von Zweitsprachenprüfungen ist, dass sie Sprachkompetenzen
von Sprachminderheiten in einem Umfeld überprüfen, in dem die entsprechende Sprache
die der Bevölkerungsmehrheit ist, und dass die Prüfungsinhalte Bezug auf dieses Umfeld
nehmen. Für Zweitsprachenprüfungen sind ebenso viele Varianten denkbar wie für
Fremdsprachenprüfungen, jedoch ist weltweit der zunehmend häufigere Kontext für
Zweitsprachenprüfungen der Bereich der Regulierung von Zuwanderung und Einbürge-
rung. Viele Staaten verlangen von Zuwanderern den Nachweis von Kenntnissen in der
Nationalsprache. Begründet wird dies damit, dass hinreichende Sprachkenntnisse die
Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen und dass über die Sprache eine erfolgreiche
Integration in die Aufnahmegesellschaft möglich ist. Oft werden Zweitsprachenprüfun-
gen als Instrument der Zuwanderungsbeschränkung eingesetzt.
Auch in den drei deutschsprachigen Ländern gelten seit einigen Jahren Zuwande-
rungsgesetze. In Deutschland und in Österreich wurden in diesem Kontext in öffentli-
chem Auftrag Prüfungen entwickelt, in der Schweiz ist eine offizielle Prüfung zum Nach-
weis von (deutschen) Sprachkenntnissen nicht vorgesehen.

2. Bundesrepublik Deutschland: Deutschtest ür Zuwanderer (dtz )


In der Bundesrepublik Deutschland trat am 01.01.2005 das neue Zuwanderungsgesetz in
Kraft. Es schreibt vor, dass Zuwanderer zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis u. a.
Sprachkenntnisse nachweisen müssen (vgl. § 9 Zuwanderungsgesetz): „(2) Einem Auslän-
der ist Niederlassungserlaubnis zu erteilen, (…) wenn er über ausreichende Kenntnisse
der deutschen Sprache verfügt.“ Als ausreichend werden Kenntnisse auf dem Niveau B1
des GER angesehen. Erworben werden können diese in so genannten Integrationskursen,
die die Eingliederung von MigrantInnen in das gesellschaftliche, wirtschaftliche und kul-
turelle Leben der Bundesrepublik Deutschland fördern sollen (vgl. § 43 Zuwanderungs-
gesetz). Integrationskurse bestehen aus einem 45-stündigen Orientierungskurs und einem
600-stündigen Sprachkurs. Sie basieren auf einem eigens für die Zielgruppe der Migran-
1300 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

tInnen erarbeiteten Rahmencurriculum (Buhlmann et al. 2007). Der Orientierungskurs


wird mit einem Test abgeschlossen, der Sprachkurs mit dem „Deutschtest für Zuwande-
rer“ (dtz).
Der dtz wurde im Auftrag des Bundesinnenministeriums vom Goethe-Institut (Mün-
chen) und der Telc GmbH (Frankfurt), einer Tochtergesellschaft des Deutschen Volks-
hochschulverbandes, gemeinsam entwickelt. Der dtz ist eine standardisierte skalierte
Feststellungs- bzw. Kursabschlussprüfung, die zentral erstellt und dezentral an durch das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) autorisierten Institutionen durchge-
führt wird. Die schriftlichen Prüfungsteile werden zentral (durch die Telc GmbH) ausge-
wertet, die mündliche Prüfung von lizenzierten PrüferInnen vor Ort durchgeführt und
bewertet. Der dtz überprüft sprachliche Kompetenzen auf mehr als einem Niveau, näm-
lich auf den Stufen A2 und B1 des GER. Er wird in einer Variante für Erwachsene und
einer für Jugendliche angeboten.

2.1. Zielgruppe der Prüung

Zielgruppe des dtz sind Zuwanderer ab 16 Jahren, die die lateinische Schrift beherrschen.
Die KandidatInnen haben freiwillig oder obligatorisch einen Integrationskurs besucht
und schließen den Kurs mit dem dtz ab. Zugelassen sind auch MigrantInnen, die nicht
an einem Kurs teilgenommen haben.

2.2. Prüungsinhalte

Die Prüfungsinhalte basieren auf dem „Rahmencurriculum für Integrationskurse


Deutsch als Zweitsprache“ (vgl. o.), welches an der (bundesdeutschen) Lebenswirklich-
keit der Zuwanderer orientiert ist. Für das Rahmencurriculum wurden Bedarfsanalysen
zur Ermittlung sprachlicher Handlungsfelder, die für MigrantInnen relevant sind, durch-
geführt. Ermittelt wurden u. a. die Handlungsfelder Ämter und Behörden, Arbeit, Ein-
kauf, Wohnen. Außerdem wurden fünf Handlungsfelder für übergreifende Kommunika-
tionsbereiche definiert, z. B. Gestaltung sozialer Kontakte, Realisierung von Gefühlen,
Haltungen und Meinungen. Auf dieser Basis wurden Lernziele formuliert, von denen
ein Kernbereich für die Prüfungsinhalte relevant ist (vgl. Goethe-Institut 2009: 30 ff.),
beispielsweise „Kann einfache mündliche Anleitungen verstehen, z. B. zum Gebrauch
eines Gerätes“ oder „Kann schriftlichen Aufforderungen der Behörden relevante Infor-
mationen entnehmen, z. B. Fristen“.

2.3. Prüungsteile

Der dtz besteht aus vier Subtests, in denen die Fertigkeiten, Hören, Lesen, Schreiben
und Sprechen getrennt überprüft werden. Der Subtest Hören enthält vier Aufgaben in
geschlossenen Formaten mit insgesamt 20 Items. Ziel ist es zu überprüfen, inwieweit
die TestteilnehmerInnen in der Lage sind, unterschiedlichen kürzeren Hörtexten selektiv
Informationen zu entnehmen. In der ersten Aufgabe werden Telefonansagen oder öffent-
145. Sprachprüfungen für Deutsch als Zweitsprache 1301

liche Lautsprecherdurchsagen präsentiert, Aufgabe zwei enthält (Kurz-)Informationen


aus dem Radio, z. B. einen Wetterbericht. Grundlage der dritten Aufgabe sind vier Ge-
spräche, zu denen jeweils zwei Aufgaben zu lösen sind. In Aufgabe vier bilden verschie-
dene Meinungsäußerungen zu einem Thema die Textgrundlage, z. B. obligatorischer Kin-
dergartenbesuch. Der Subtest Hören dauert 25 Minuten.
Der Subtest Lesen umfasst fünf Aufgaben in geschlossenem Format mit insgesamt 25
Items. Ziel ist es zu überprüfen, inwieweit die TestteilnehmerInnen in der Lage sind,
(semi-)authentische Texte unterschiedlicher Länge global bzw. selektiv zu verstehen.
Textgrundlage der ersten Aufgabe sind Verzeichnisse, z. B. Kaufhaustafeln. Die Kandida-
tInnen sollen zeigen, dass sie sich im Text orientieren und ihm Informationen entnehmen
können. In der zweiten Aufgabe werden mehrere Kurztexte präsentiert, z. B. Kleinanzei-
gen, denen spezifische Informationen zu entnehmen sind. In Aufgabe drei sind die Kandi-
datInnen gefordert, Mitteilungen oder Briefe global oder detailliert zu verstehen. Die
vierte Aufgabe enthält einen längeren Text, etwa einen Beipackzettel zu einem Medika-
ment, dem selektiv Informationen oder Anweisungen entnommen werden sollen. Im
fünften Teil des Subtests Lesen müssen einzelne Wörter in einem Brief ergänzt werden.
In dieser Aufgabe sind Elemente von Schreibkompetenz enthalten, da die Wörter und
Wortformen adressatengerecht ausgewählt werden müssen. Für den Subtest Lesen sind
45 Minuten vorgesehen.
Im Subtest Schreiben werden den TeilnehmerInnen zwei Aufgaben zur Auswahl vor-
gelegt. Anhand von vier Leitpunkten ist eine kurze Mitteilung zu verfassen. Die Kandi-
datInnen sollen zeigen, dass sie in der Lage sind, relativ einfache Korrespondenz auf
Deutsch zu führen, etwa eine Entschuldigung für Fehlen im Sprachkurs. Der Prüfungsteil
Schreiben dauert 30 Minuten.
Der Subtest Sprechen findet in der Regel als Paarprüfung mit zwei PrüferInnen statt.
Die KandidatInnen sollen nachweisen, dass sie in Alltagssituationen sprachlich handeln
können. Dabei werden monologisches Sprechen und Interaktion gefordert. Die Kandida-
tInnen bearbeiten drei Aufgaben, in denen unterschiedliche Sprachhandlungen zu reali-
sieren sind. In der ersten Aufgabe sollen sie sich vorstellen und auf Fragen des Prüfers
reagieren können. Aufgabe zwei fordert von den KandidatInnen, dass sie ⫺ auf der Basis
von Text- oder Bildimpulsen ⫺ über Gegebenheiten im Heimatland berichten und diese
mit der Situation in Deutschland vergleichen, z. B. Mülltrennung. In der dritten Aufgabe
sollen die KandidatInnen gemeinsam etwas planen oder aushandeln, etwa ein Nachbar-
schaftsfest. Der Subtest Sprechen dauert ca. 10 Minuten pro KandidatIn.

2.4. Bestehensbedingungen

Der dtz ist durch komplexe Bestehensbedingungen gekennzeichnet. Die rezeptiven Sub-
tests Hören und Lesen werden in der Bewertung zusammengefasst. Bei einer maximalen
Punktzahl von 45 Punkten wird das Ergebnis des rezeptiven Prüfungsteils als A2-Niveau
gewertet, wenn 20 Punkte erreicht worden sind. Ab einer Punktzahl von 33 wird ein
Prüfungsergebnis auf der Niveaustufe B1 eingeordnet.
Die produktiven Prüfungsteile werden ⫺ kriteriumsorientiert ⫺ von zwei Prüfern
unabhängig voneinander bewertet. Zur Bewertung des Subtests Schreiben werden die
1302 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

Kriterien Vollständigkeit, kommunikative Gestaltung, Korrektheit und Wortschatz he-


rangezogen, beim Sprechen die Kriterien Aufgabenbewältigung, Intonation/Aussprache,
Flüssigkeit, Korrektheit und Wortschatz. Die Prüfer entscheiden bei jedem der qualitati-
ven Kriterien, ob eine Prüfungsleistung dem Deskriptor für A1, A2 oder B1 zuzuordnen
ist. Liegt die Mehrheit der gewählten Deskriptoren bei B1, so wird das Ergebnis des
Subtests Sprechen bzw. Schreiben dem Niveau B1 zugewiesen, sonst darunter.
Zum Prüfungsergebnis tragen die Subtests in unterschiedlichem Maße bei: Besonderes
Gewicht kommt dem Sprechen zu. Wenn im Subtest Sprechen und in mindestens einem
der schriftlichen Prüfungsteile die Stufe B1 erreicht wurde, wird die gesamte Prüfungs-
leistung mit B1 bewertet.

3. Österreich: Test des Österreichischen Integrationsonds (ÖIF-Test)

In Österreich regelt das Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in
Österreich (NAG), das am 01. 01. 2006 in Kraft trat, die Zuwanderung von Menschen,
die nicht aus dem EWR-Gebiet stammen (Drittstaatsangehörige). Wollen sich diese Mi-
grantInnen dauerhaft oder längerfristig in Österreich niederlassen, müssen sie deutsche
Sprachkenntnisse auf dem Niveau A2 des GER nachweisen, um „am gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich“ (NAG § 14) teilnehmen zu können.
Dieser Nachweis kann über den ÖIF-Test, der den Abschluss eines Integrationskurses
(Modul 2) bildet, erbracht werden. Die Prüfung soll dabei „die Besonderheiten des Spra-
chenlernens von Migranten sowie deren spezifische Lernvoraussetzungen“ (BGBI.II, Ab-
satz I.5) berücksichtigen.
Beim ÖIF-Test, entwickelt vom Österreichischen Integrationsfonds, Fonds zur Inte-
gration von Flüchtlingen und Migranten, handelt es sich um eine nach einheitlichen
Standards konzipierte Feststellungsprüfung. Die Testsätze werden zentral erstellt, die
Prüfungen werden dezentral, an zertifizierten Instituten von zertifizierten PrüferInnen
durchgeführt und ausgewertet.

3.1. Zielgruppe der Prüung

Zielgruppe des ÖIF-Tests sind erwachsene MigrantInnen, die einen dauerhaften Aufent-
halt in Österreich anstreben.

3.2. Prüungsinhalte

Die Inhalte der Prüfung basieren auf dem Rahmencurriculum für die Deutsch-Integrati-
onskurse und sind am Alltag der MigrantInnen („Lebensraum Österreich“) orientiert.
Es werden authentische Situationen aus dem sozialen und beruflichen Alltag abgebildet
(u. a. Wohnen, Arbeit, Beruf/Ausbildung, Einkauf). Die TeilnehmerInnen sind gefordert,
dem A2-Niveau entsprechend situationsadäquat zu agieren und reagieren, u. a. die eigene
Meinung und Bedürfnisse zu vertrauten Themen zu äußern, Auskünfte einzuholen oder
145. Sprachprüfungen für Deutsch als Zweitsprache 1303

zu geben. Sie sollen nachweisen, dass sie authentische Texte im Rahmen von Sprach-
kenntnissen auf A2-Niveau lesend verstehen und Hörtexten in deutlich artikulierter (ös-
terreichischer) Standardsprache folgen können.

3.3. Prüungsteile

Der ÖIF-Test setzt sich aus vier Subtests (Modulen) zusammen, in denen die Fertigkeiten
Lesen, Hören, Schreiben und Sprechen getrennt überprüft werden. Das Modul Lesen
umfasst drei geschlossene Aufgaben mit insgesamt 10 Items zu unterschiedlichen Kurz-
texten. Ziel ist zu überprüfen, inwieweit die TestteilnehmerInnen in der Lage sind, einen
Text global, selektiv bzw. detailliert zu verstehen. In den beiden ersten Aufgaben werden
jeweils mehrere semi-authentische Kleinanzeigen, z. B. Mietangebote oder Stellenanzei-
gen, präsentiert, denen Aussagen bzw. Personenprofile zugeordnet werden sollen. Die
dritte Aufgabe besteht aus einem kurzen (adaptierten) Zeitungstext zu einem Alltags-
thema, z. B. Gesundheit, zu dem Mehrfachwahlaufgaben gestellt werden. Das Modul
Lesen dauert 30 Minuten.
Das Modul Hören enthält drei Aufgaben in unterschiedlichen Formaten (halb-offen
und geschlossen). Ziel ist zu überprüfen, inwieweit die KandidatInnen in der Lage sind,
einen kurzen monologischen Hörtext selektiv zu verstehen. In der ersten Höraufgabe
sollen Informationen aus einer Mobilbox-Nachricht entnommen und auf einem Notiz-
blatt notiert werden, z. B. Tag und Uhrzeit eines Arzttermins. Basis der zweiten Aufgabe
ist eine mündliche Wegbeschreibung, anhand derer die Testteilnehmer den Weg in einem
Stadtplan einzeichnen müssen. In der dritten Aufgabe hören die KandidatInnen vier
unterschiedliche Kurzmeldungen aus dem Radio, zu denen jeweils eine Mehrfachwahl-
aufgabe zu lösen ist. Das Modul Hören dauert ca. 20 Minuten.
Der Subtest Schreiben besteht aus zwei Aufgaben. Ziel ist es zu überprüfen, inwieweit
die KandidatInnen in der Lage sind, ein einfaches Formular mit personenbezogenen
Daten auszufüllen. In der ersten Aufgabe sollen fünf Lücken in einem Formular mit den
persönlichen Daten des Testteilnehmers ergänzt werden. Die zweite Aufgabe fordert von
den KandidatInnen, fünf Ergänzungen für eine fiktive Person in einem Formular vorzu-
nehmen. Die zweite Schreibaufgabe ist anspruchsvoller als die erste, da sie auf zwei Tex-
ten basiert, z. B. einer Rechnung und dem dazu gehörenden Überweisungsvordruck, und
ein gewisses Maß an Lesekompetenz voraussetzt. Der Subtest Schreiben dauert 20 Minu-
ten.
Das Modul Sprechen ist eine Einzelprüfung mit zwei PrüferInnen und enthält drei
Aufgaben zum monologischen und dialogischen Sprechen. Ziel ist zu überprüfen, inwie-
weit die KandidatInnen in der Lage sind, über ihre eigene Person Auskunft zu geben
und einen einfachen Alltagsdialog zu führen. Für die erste Aufgabe werden dem Prüfling
Impulswörter vorgelegt (z. B. Namen, Ausbildung), anhand derer er über sich Auskunft
gibt. In der zweiten Aufgabe soll der Kandidat aus drei Bildkarten, die eine Alltagssitua-
tion darstellen (z. B. im Bus), eine auswählen, die dargestellte Situation benennen und
einen fiktiven Dialog führen. Die Rolle des Gesprächspartners wird dabei von einem
Prüfer übernommen. Im Anschluss daran soll der Kandidat, ausgehend vom Bildimpuls,
über die eigene Situation berichten. Das Modul Sprechen dauert ca. 10 Minuten.
1304 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

3.4. Bestehensbedingungen

Der ÖIF-Test gilt als bestanden, wenn in jedem Modul die vorgegebene Mindestpunkt-
zahl erreicht wurde. Dabei tragen die Module in unterschiedlichem Maße zum Bestehen
bei: Lesen und Schreiben wiegen weniger als Hören und Sprechen. Wird in einem Modul
die Mindestpunktzahl nicht erreicht, so muss der gesamte Test wiederholt werden. Der
Zielgruppe und dem A2-Niveau entsprechend wird der formalen Richtigkeit ein weit
geringerer Stellenwert zugewiesen als dem erfolgreichen kommunikativen Handeln.

4. Fazit

Beide Prüfungen sind vor dem Hintergrund ihrer sozialen und politischen Implikationen
zu sehen. Sie wurden unter bestimmten gesetzlichen Vorgaben erstellt, finden in einem
institutionellen Rahmen statt und tragen zur Regulierung von Zuwanderung bei. Damit
gehören der dtz und der ÖIF-Test in die Kategorie der high stakes tests: Die Testergeb-
nisse bilden die Basis für weitreichende Entscheidungen seitens der Ausländerbehörden.
Werden in Deutschland keine Sprachkenntnisse auf B1-Niveau nachgewiesen, wird die
Frist zur Erlangung der Niederlassungserlaubnis u. U. nicht verkürzt oder eine bean-
tragte Staatsbürgerschaft wird (vorerst) nicht erteilt. Prüfungen dieser Tragweite haben
hohe Anforderungen an die Testgütekriterien zu erfüllen: Sie sollen objektiv, reliabel,
valide, aber auch ökonomisch, fair und transparent sein.
Die an der Entwicklung des dtz beteiligten Institutionen, beide Mitglied der Associa-
tion of Language Testers in Europe (ALTE), bekennen sich explizit zum ALTE Code of
Practice, in dem Qualitätsstandards von Sprachtests und deren Entwicklung niedergelegt
sind, zu deren Einhaltung sich die ALTE-Mitglieder verpflichten.
Der Österreichische Integrationsfonds ist kein ALTE-Mitglied, jedoch ist auch hier
ein Bemühen zu erkennen, Qualitätsstandards zu erfüllen. Der ÖIF-Test ist aufgrund der
geschlossenen Aufgabenformate in den rezeptiven Teilen als ökonomisch und auswer-
tungsobjektiv zu bezeichnen. Die stark gesteuerten Aufgaben in den produktiven Teilen,
die ausführlichen Durchführungs- und Auswertungsanleitungen sowie die genauen Be-
wertungskriterien fördern die Auswertungsobjektivität in den produktiven Testteilen.
Für beide Prüfungen sind die Anforderungen klar definiert und dokumentiert. Mo-
dellsätze und die Rahmencurricula sind öffentlich zugänglich. Damit sind auch die An-
forderungen hinsichtlich der Transparenz erfüllt (zur kritischen Diskussion vgl. Art. 10,
Abschnitt 5).

5. Literatur in Auswahl
Buhlmann, Rosemarie, Karin Ende, Susan Kaufmann, Angela Kilimann und Helen Schmitz
2007 Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache. München: Goethe-In-
stitut.
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Goethe-Institut, Telc
2009 Deutschtest für Zuwanderer. Modellsatz Jugendintegrationskurs. München: Goethe-Institut.
146. Sprachstandsdiagnosen 1305

Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (NAG). Bundesgesetzblatt
für die Republik Österreich, BGBI.I Nr. 100/2005 geändert durch BGBI.I Nr. 157/2005,
BGBI.I Nr. 31/2006 und BGBI.I Nr. 99/2006.
Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich. Jahrgang 2005. Teil II. Ausgegeben am 27. Dezember
2005. Nr. 449. Integrationsvereinbarungs-Verordnung ⫺ IV⫺V.
Bundesrepublik Deutschland
Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufent-
halts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderergesetz) vom
30. Juli 2004. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2004. Teil I Nr. 41, herausgegeben zu Bonn am
5. August 2004.
Europarat
2001 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lehren, lernen, beurteilen. Ber-
lin/München: Langenscheidt.
Goethe-Institut/Telc GmbH
2009 Deutschtest für Zuwanderer A2⫺B1. Prüfungsziele, Testbeschreibung. München: Goethe-
Institut.
Österreichischer Integrationsfonds
2006 ÖIF Modelltest. Kommentierter Modelltest 001. Wien.
Österreichischer Integrationsfonds
2006 Testcurriculum. ÖIF-Test. Wien.
Schweizerische Eidgenossenschaft
2009 SR 142.20 Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005
(Stand 1. Januar 2009).

Link
Association of Language Testers in Europe (ALTE):
http://www.alte.org/cop/index.php (30. 11. 2009)

Gabriele Kniffka, Freiburg (Deutschland)

146. Sprachstandsdiagnosen
1. Sprachdiagnostik: Stellenwert in Wissenschaft und Praxis
2. Sprachdiagnostik im bildungspolitischen Kontext
3. Anforderungen an die Qualität von Sprachdiagnostik
4. Szenarien der Sprachdiagnostik und Anforderungen an die dabei eingesetzten Verfahren
5. Fazit
6. Literatur in Auswahl

1. Sprachdiagnostik: Stellenwert in Wissenschat und Praxis


Sprachdiagnostische Tätigkeiten ⫺ also das Beobachten, Interpretieren und Bewerten
von sprachlichen Fähigkeiten, Leistungen oder Entwicklungen ⫺ machen einen beträcht-
lichen Teil der Lehrarbeit aus. Sie werden begleitend zur alltäglichen Unterrichtsroutine
1306 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

ausgeführt, und sie finden im Rahmen von expliziten, oft ritualisierten Momenten des
Lehr-Lern-Prozesses statt: bei der Einteilung von Lernenden in Gruppen oder zum Ab-
schluss eines Lehrgangs. Dabei ist man auf das Ermitteln und Interpretieren von Indizien
(Indikatoren) angewiesen, um ein Urteil abzugeben: Sprachfähigkeit oder Leistung ist
nicht messbar wie Größe, Gewicht oder Geschwindigkeit, sondern es muss von beobach-
teten Phänomenen auf eine ihnen zugrundeliegende allgemeinere Kompetenz geschlos-
sen werden.
Die hohe Praxisbedeutung sprachdiagnostischer Tätigkeiten korrespondiert weder mit
einer entsprechend regen Forschung noch mit einer gründlichen Qualifizierung des päda-
gogischen Personals für die diagnostischen Tätigkeiten. Entwicklungen in den 1970er
und 1980er Jahren, hauptsächlich im Kontext der Einschätzung von Deutschkenntnissen
zugewanderter Kinder und Jugendlicher, kamen weitgehend zum Erliegen, bis nach der
Wende zum 21. Jahrhundert die Aufmerksamkeit für das Thema wieder wuchs ⫺ erneut
im Kontext von Migration. In der Ausbildung zum Lehramt wird der Bereich der
Sprachdiagnostik im Allgemeinen nach wie vor nur gestreift.
Wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen praktischer Relevanz und wissenschaft-
licher Aufmerksamkeit sowie angemessener Qualifikation für die praktischen Tätigkei-
ten? Zu den Gründen dafür gehört, dass der Bereich der Sprachdiagnostik, einschließlich
der Entwicklung der dafür geeigneten Instrumente, traditionell in der Sprachdidaktik
und Sprachlehrforschung eher randständig ist. Für den Bereich des fremdsprachlichen
Lernens wird die Notwendigkeit, wissenschaftlichen Standards standhaltende Instru-
mente zur routinemäßigen Überprüfung von Lernprozessen und -Ergebnissen einzuset-
zen, vielfach nicht gesehen: Die sogenannte Lernzielkontrolle wird gleichsam als dem,
was gelehrt wurde, immanent aufgefasst. So werden etwa die Kontroll-Tests zu Lehr-
buchlektionen vielfach in den Handreichungen für Lehrende mitgeliefert. Für die Über-
prüfung fremdsprachlicher Leistungen, die nicht zur Routine des Unterrichtsalltags ge-
hört, hat sich eine Tradition der (semi-)kommerziellen Entwicklung und Verbreitung von
Tests etabliert. Ein Beispiel dafür ist die Produktion von Sprachtests und Zertifikaten im
Anschluss an den „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen“, wie sie
u. a. von den Goethe-Instituten und ihren internationalen Pendants betrieben werden.
Die Expertinnen und Experten für die Entwicklung von Tests für Zertifizierungszwecke
haben sich zu einer spezialisierten Vereinigung ALTE ⫺ The Association of Language
Testers in Europe zusammengeschlossen, zu deren Zielen die Verbesserung und Sicherung
von Standards für die Sprachtestentwicklung gehört, die für die Zertifizierung von
Sprachkenntnissen verwendet werden (http://www.alte.org/).
Hierneben hat sich ein zweiter Bereich der spezialisierten Beschäftigung mit Sprachdi-
agnostik in der Spracherwerbsforschung etabliert. Hier werden in der Regel wissenschaft-
liche Ziele der Beobachtung von Sprachentwicklungsverläufen verfolgt. Die darauf bezo-
genen Instrumente werden üblicherweise nicht mit der Intention einer Praxisrelevanz
entwickelt. Eine Ausnahme hiervon bildet die Ermittlung von Störungen in der kindli-
chen Sprachentwicklung. Hierfür liegen wissenschaftlich geprüfte, standardisierte Tests
vor, die von dafür speziell qualifiziertem Personal in Praxiskontexten eingesetzt und aus-
gewertet werden können. Zu den bekanntesten Instrumenten für das Deutsche gehört der
„Heidelberger Sprachentwicklungstest ⫺ HSET“ (vgl. Grimm und Schöler 21991: 129).
Mit Instrumenten wie diesen ist es möglich, eine auf spezifische, eng umgrenzte As-
pekte konzentrierte Diagnostik durchzuführen ⫺ wie beispielsweise die Überprüfung des
Vorliegens einer Entwicklungsstörung. Sie eignen sich nicht für den Einsatz im üblichen
146. Sprachstandsdiagnosen 1307

Lehr-Lern-Kontext, in dem es nicht um das Überprüfen spezieller, klar eingegrenzter


sprachlicher Phänomene geht, sondern um eine Diagnostik, die die komplexen Lehr-
Lern-Prozesse von Sprache(n) unterstützt.

2. Sprachdiagnostik im bildungspolitischen Kontext

Die Entwicklung sprachdiagnostischer Verfahren, die für die Unterstützung im Lehr-


Lern-Prozess geeignet sind, ist stärker im Bereich Deutsch als Zweitsprache verankert
als im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Dies ist aufgrund der Kontextbedingungen,
in die die Bereiche eingebettet sind, auch leicht nachvollziehbar. Während für das fremd-
sprachliche Lernen vom Regelfall des kontrollierten sprachlichen Inputs durch Unter-
richt ausgegangen wird ⫺ auch wenn dies der Realität nur bedingt entspricht ⫺, war bei
der Konzeptionierung des zweitsprachlichen Lehrens und Lernens von vornherein die
Vorstellung leitend, dass unterrichtlich geleiteter und außerunterrichtlicher, ungezielter
sprachlicher Input zusammenkommen. Sprachstand und Sprachentwicklung am Lernen-
den selbst zu beobachten war naheliegend oder geboten, da es beim Unterrichten ⫺
mindestens den Konzeptionen nach ⫺ darum gehen musste, den ungesteuerten und den
durch Unterricht gesteuerten Spracherwerb miteinander in Einklang zu bringen.
Trotz dieser Notwendigkeit in der Sache war es eine Zeit lang relativ still um die
Entwicklung sprachdiagnostischer Verfahren im Kontext des Deutschen als Zweitspra-
che. Seit Anfang der 2000er Jahre aber ist ein wahrer Entwicklungseifer zu beobachten.
Ausschlaggebend dafür war, dass die Forderung nach verstärkten Maßnahmen der För-
derung des Deutschen als Zweitsprache im Anschluss an die Ergebnisse der PISA-Stu-
dien auf die Tagesordnung kam. Seit der Studie PISA 2000 wurden zwei sprachbildungs-
relevante Ergebnisse breit diskutiert: zum einen der hohe Stellenwert von Sprachfähigkei-
ten für das schulische Lernen generell; zum anderen der große Nachteil, den Schülerinnen
und Schüler mit Migrationsbiographie, die das Deutsche als Zweitsprache lernen, in allen
deutschsprachigen Staaten für ihre Bildungschancen besitzen. Zum Ausgleich dieses
Nachteils wurden in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz Maß-
nahmen zur Förderung der Deutschkenntnisse etabliert, und zwar im Schwerpunkt im
vorschulischen Bildungsraum. Hierhinter steht das ⫺ allerdings unzutreffende ⫺ Ver-
ständnis, dass die Frühförderung des Deutschen als Zweitsprache die sprachlichen Bil-
dungsvoraussetzungen so verbessere, dass eine weitere Förderung an der Bildungskarri-
ere entlang überflüssig werde (zur Kritik dieses Verständnisses, vgl. Gogolin 2007).
Die Entwicklung sprachdiagnostischer Verfahren war eine Folge dieser Ereignisse: Es
wurde bildungspolitisch die Notwendigkeit gesehen, Entscheidungshilfen dafür zu erhal-
ten, ob ein Kind einen Anspruch auf Aufnahme in eine (Früh-)Fördermaßnahme erhal-
ten sollte oder nicht. In einigen deutschen Bundesländern wurde der Anspruch in eine
Verpflichtung uminterpretiert: Hier sollte mit Hilfe von Sprachstandsmessungen ermittelt
werden, ob Kinder aufgrund unzureichender Deutschkenntnisse vor Schuleintritt ⫺ spä-
testens im fünften Lebensjahr ⫺ eine Maßnahme der Deutschförderung besuchen müs-
sen. Vor diesem Hintergrund kam es vor allem in Deutschland zu sprachdiagnostischen
Entwicklungen in bildungspolitischem Auftrag; ein sehr bekannt gewordenes Beispiel
hierfür ist das im Land Nordrhein-Westfalen eingesetzte Verfahren „Delfin 4“, mit dem
seit 2007 jährlich eine flächendeckende Untersuchung der Deutschkenntnisse der vierjäh-
1308 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

rigen Landeskinder durchgeführt wird, um „Förderbedürftige“ zu ermitteln und den För-


dermaßnahmen zuzuführen (vgl. Fried 2009).
Parallel zu diesen bildungspolitischen Auftragsarbeiten entfalteten sich verstärkt wis-
senschaftliche Aktivitäten, die darum bemüht sind, gesicherte Grundlagen für die Ent-
wicklung von sprachdiagnostischen Verfahren zu gewinnen und Standards für ihre Quali-
tät zu formulieren. Der Stand der Dinge mit Bezug auf das Deutsche wurde in einem
umfassenden Gutachten dokumentiert, in dem neben Übersichten über vorhandene Ver-
fahren und deren Einschätzung ein Referenzmodell für Phasen des Sprachausbaus vorge-
stellt wird, das der künftigen Entwicklung sprachdiagnostischer Verfahren zugrunde ge-
legt werden kann; allerdings steht eine empirische Absicherung dieses Modells noch aus
(Ehlich 2005). Kennzeichnend für diese grundlegende Arbeit ebenso wie für andere jün-
gere Entwicklungen ist, dass der Blick nicht nur auf die Lernenden des Deutschen als
Zweitsprache gerichtet wird, sondern auch auf jene, die einsprachig im Deutschen leben.
Dahinter steht die Vermutung, dass eine zunehmende Zahl einsprachig lebender Kinder
kein sprachanregungsreiches Milieu erlebt, so dass auch sie Schwierigkeiten haben, schu-
lischen Sprachanforderungen gerecht zu werden. Allerdings zeigt der Beitrag von Reich
(2005) im erwähnten Band klar auf, dass Verfahren unterschiedliche Anforderungen er-
füllen müssen ⫺ je nachdem, ob sie bei einsprachigen oder bei zwei- bzw. mehrsprachigen
Kindern eingesetzt werden.

3. Anorderungen an die Qualität von Sprachdiagnostik


Das Problem der Qualität von Verfahren der Sprachdiagnostik, das direkt mit ihrer
Aussagekraft verbunden ist, wird in der Bildungspraxis oft unterschätzt. Hier ist es üb-
lich, zwischen sogenannten formellen und informellen Verfahren der Diagnostik zu un-
terscheiden. Mit informell werden Vorgehensweisen bezeichnet, die meist mehr oder weni-
ger spontan entwickelt und eingesetzt werden. Bei diesen ist weder daran gedacht noch
praktisch möglich, eine Güteprüfung vorzunehmen. Ohne solche Prüfung aber ist die
Aussagekraft der erzielten Ergebnisse ungesichert. Man erhält zwar ein Resultat, aber es
gibt keine fundierten Anhaltspunkte für Antworten auf die Frage, was genau dieses Re-
sultat eigentlich bedeutet ⫺ anders gesagt: Man erzeugt die Illusion einer relevanten
Information über den Sprachstand einer lernenden Person.
Als formelle Verfahren werden solche aufgefasst, deren Güte in angemessener Weise
kontrolliert wurde und die sich zum wiederholten Einsatz eignen. Sie werden deshalb
auch als standardisierte Verfahren bezeichnet; damit ist angezeigt, dass sie in einer Form
vorliegen, die ihren wiederholten (standardmäßigen) Einsatz erlaubt. Üblich ist es im
pädagogischen Alltagsjargon, beide Typen von Verfahren auch als Tests zu etikettieren.
Dies ist nicht angemessen. Mit dem Begriff Test verbinden sich Ansprüche an eine Güte-
prüfung, die nicht hintergangen werden dürfen.
Die wissenschaftliche Güteprüfung eines sprachdiagnostischen Verfahrens nach den
Regeln der Kunst verbindet sich traditionell mit der Überprüfung von drei hierarchi-
schen Anforderungsbereichen: Objektivität; Reliabilität und Validität (vgl. Artikel 143).
Sprachdiagnostische Verfahren gehören zu der größeren Klasse der Verfahren zur Kom-
petenzfeststellung (vgl. Prenzel, Gogolin und Krüger 2008). Bei ihrer Konstruktion ist es
erforderlich, vorweg genau zu bestimmen, an welcher Bezugsnorm das Ergebnis gemes-
sen werden soll. Hier gibt es drei Möglichkeiten:
146. Sprachstandsdiagnosen 1309

⫺ eine soziale Norm; sie erlaubt den Vergleich des Resultats mit den Resultaten der
Angehörigen einer definierten Gruppe (also z. B. einer Schulklasse);
⫺ eine kriteriale Norm; hier wird der Vergleich mit einem allgemeingültigen Kriterium
ermöglicht (also z. B. einer empirisch geprüften Auskunft darüber, über welche
Sprachfähigkeiten Kinder einer bestimmten Altersgruppe normalerweise verfügen);
⫺ eine ipsative Norm; hier geht es um den Vergleich von Resultaten einer Person, die
entweder zu verschiedenen Zeitpunkten oder zu verschiedenen Kompetenzbereichen
überprüft wird. Es kann also entweder um die Frage gehen, welche Entwicklungen
bei dieser Person im gemessenen Leistungsbereich über eine Zeitspanne hinweg ver-
zeichnet werden können, oder darum, ob eine Person in den Leistungsbereichen X
und Y ähnlich oder unterschiedlich abschneidet. Sprachdiagnostisch relevante Fragen
sind z. B., ob eine Person im rezeptiven Bereich, also beim Verstehen, andere Fähig-
keiten zeigt als im Produktiven, also bei Sprechen oder Schreiben.
Nicht nur aus formalen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen sind sog. informelle
Verfahren in der Regel ungeeignet für fundierte Aussagen über Sprachstand oder Sprach-
entwicklung eines Menschen ⫺ mit Ausnahme der Situation, in der die Überprüfung
genau identisch ist mit dem sprachlichen Input, der vorab gegeben wurde (also z. B. beim
Abfragen von Vokabeln; dies würde aber auch bei großzügiger Auslegung üblicherweise
nicht zur Sprachdiagnostik gerechnet).
Zu den Gründen dafür gehört die Komplexität des Geschehens bei der Diagnose
sprachlicher Fähigkeiten. Wenn die Verfahren nicht nach den Regeln der Kunst entwi-
ckelt sind, besteht zum einen die Gefahr, dass etwas überprüft wird, das mit Blick auf
die intendierte Zielsetzung der Prüfung irrelevant ist. Ein Beispiel hierfür ist das in der
Praxis oft beobachtbare Vorgehen, dass das Auftauchen spezieller sprachlicher For-
men ⫺ etwa Artikel oder Pronomen ⫺ kontrolliert wird, weil diese der Beobachtung
leicht zugänglich sind. Dabei wird die Relevanz der Verwendung dieser Formen für Aus-
sagen über Sprachkompetenz oft unterstellt, aber weder sichergestellt, dass sie für die
Sprachentwicklung in einem bestimmten Erwerbsalter auch tatsächlich gegeben ist, noch
hinterfragt, ob sie in bestimmten situativen Kontexten als Äußerungen überhaupt erwar-
tet werden können. Zum anderen besteht bei sog. informellen Verfahren die Gefahr,
dass die Aufgabe, sprachliche Phänomene zu identifizieren und richtig einzuschätzen, zu
vielschichtig und daher nicht angemessen bewältigbar ist. Beispiele hierfür bieten die
zahlreichen Beobachtungsverfahren, die in der Literatur beschrieben oder die zum Kauf
angeboten werden. Hier ist das Risiko hoch, dass das komplexe Sprachgeschehen, das
beobachtet werden soll, verzerrt wahrgenommen wird, weil die Beobachtungsaufgabe
selbst die Kompetenz der Beobachtenden übersteigt. Schulz, Kersten und Kleissendorf
(2009) diskutieren solche Verzerrungen am Beispiel des Beobachtungsverfahrens SIS-
MIK (Ulich und Mayr 2003) ⫺ eines Verfahrens, das von Erzieherinnen in Kindertages-
stätten eingesetzt werden soll. Zur Illustration dient eine Beispielaufgabe aus dem Frage-
bogen zu SISMIK:

„Im Hauptsatz steht das Verb an der richtigen Stelle, z. B. ,der macht immer so‘,
,… ich habe Durst‘, ,… ich muss (auf die) Toilette‘
a) nie, b) selten, c) manchmal, d) häufig, e) das Kind bildet keine Sätze.“

Schulz, Kersten und Kleissendorf weisen darauf hin, dass es nicht nur eines gründlichen
Wissens über den linguistischen Hintergrund solcher Äußerungen bedarf ⫺ etwa: eines
1310 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

Bewusstseins für die Differenz der Verbstellung in Haupt- und Nebensätzen ⫺, sondern
auch einer gezielten Quantifizierung von Situationen, in denen ein beobachtetes Kind
entsprechende Äußerungen potentiell tun kann; ohne diese ist die Aufforderung zur Ein-
schätzung der Häufigkeit des Vorkommens unsinnig (vgl. Schulz, Kersten und Kleissen-
dorf 2009: 130). Hinzu kommt, dass die dieser Beobachtungsaufgabe implizite kriteriale
Norm fragwürdig ist. Die Beobachtung soll dem mündlichen Sprachverhalten von Kin-
dern gelten. Im Mündlichen ist es aber (nicht nur bei Kindern) durchaus üblich, pragma-
tisch angemessene satzförmige Äußerungen ohne Verb zu formulieren oder das Verb in
einer quasi infinitivischen Form zu verwenden. Schulz, Kersten und Kleissendorf (2009:
129) nennen als Beispiel die Verwendung des Imperativstils: Die Aufforderung „Rein-
kommen, Jacke ausziehen“ als Äußerung einer Lehrerin, die Kinder bewegen will, vom
Pausenhof in die Klasse zu kommen, ist dem Kontext angemessen und in diesem Sinne
korrekt. In sprachdiagnostischen Beobachtungen und unzulänglichen Verfahren aber
wird nicht selten eine pragmatisch unangemessene Form als die gesuchte angenommen.
Eine übliche Testfrage könnte etwa lauten: „Was macht das Kind?“ Als „korrekt“ vorge-
geben wird eine Antwort des Typs: „(Das Kind / Es) zieht die Jacke aus“. Pragmatisch
angemessen und im Mündlichen geläufig wäre aber auch hier die Antwort: „Jacke auszie-
hen“.
Es sind mithin zahlreiche Stolpersteine aufgestellt, was die Qualität von sprachdiag-
nostischen Verfahren und die Aussagekraft ihrer Ergebnisse anbelangt. In der Praxis
benötigen Fachkräfte, die sie einsetzen, nicht nur fundiertes linguistisches Wissen, son-
dern darüber hinaus zumindest Grundkenntnisse der Psychometrie ⫺ also des Wissen-
schaftsbereichs, dessen Methodenrepertoire für die Güteprüfung relevant ist ⫺, damit es
nicht zu unbrauchbaren oder gar unsinnigen Resultaten der Sprachdiagnostik kommt.

4. Szenarien der Sprachdiagnostik und Anorderungen an die dabei


eingesetzten Verahren
Der angemessene Einsatz von Verfahren der Sprachdiagnostik in der Praxis ist also von
der Güte der Verfahren ebenso wie von der Qualifikation der sie einsetzenden Fachkräfte
abhängig. Da das Thema in der Ausbildung bislang randständig ist, wird es vor allem
auf breit angelegte Weiterbildung ankommen, um den Bedarf der Praxis zu decken. Ent-
sprechende Aktivitäten sind vorerst vor allem im Bereich der Qualifizierung für den
Elementarbereich zu finden; hier folgen die Angebote den bildungspolitischen Prioritä-
tensetzungen (vgl. als Beispiele Jampert et al. 2009; Reich 2008). Eine Hilfestellung für
die Praxis sind Szenarien des Einsatzes von Verfahren, in denen die jeweilige Eignung
der sprachdiagnostischen Verfahren angezeigt wird.

Szenario 1: Screening

Unter Screening (Reihenuntersuchung) versteht man die Testung einer größeren Zahl
von Probanden mit dem Ziel, bestimmte Risiken abzuschätzen. Am bekanntesten sind
Screenings aus der Medizin: Hier werden sie eingesetzt, um Krankheiten frühzeitig zu
diagnostizieren oder Krankheitsrisiken zu ermitteln.
146. Sprachstandsdiagnosen 1311

Im Bereich der Sprachdiagnostik ist der Begriff Screening im Zusammenhang mit den
bildungspolitischen Aktivitäten populär geworden, die dazu führen sollen, dass Kinder ⫺
insbesondere mit Migrationsbiographie ⫺ möglichst frühzeitig in Sprachfördermaßnah-
men aufgenommen werden. In den meisten deutschen Bundesländern werden inzwischen
bei Vier- oder spätestens Fünfjährigen solche Verfahren durchgeführt, teilweise flächen-
deckend, teilweise nur bei ausgewählten sogenannten Risikogruppen. Ein öffentlich breit
und kontrovers diskutiertes Screening-Verfahren ist das erwähnte nordrhein-westfälische
„Delfin 4“.
Kennzeichnend für Screenings ist, dass sie zu einer ja- oder nein-Antwort führen müs-
sen: etwa zu der Aussage, ob Förderbedarf besteht oder nicht. Sie müssen ferner sehr
ökonomisch, d. h. ohne großen Zeitaufwand durchführbar und auswertbar sein, da es in
der Regel um den Einsatz bei größeren Gruppen geht. Voraussetzung für ihren Einsatz
ist, dass sie standardisiert und normiert sind ⫺ sie müssen also eine den Regeln der Kunst
gemäße Güteprüfung durchlaufen haben, und sie müssen die Norm, an der gemessen ein
Risiko oder eine Abweichung identifiziert wird, eindeutig erklären.
Der Vorzug von Verfahren für Screenings ⫺ vorausgesetzt, sie erfüllen die Qualitäts-
anforderungen ⫺ besteht darin, rasch zu einem begründeten Urteil zu kommen: Die
Werte eines Probanden liegen über oder unter einer festgelegten Grenze oder Norm.
Dieser Vorzug ist zugleich ihr Nachteil mit Blick auf den Einsatz im Kontext der Sprach-
förderung, sei es im Unterricht von Gruppen oder im Einzelfall. Die mit screening-geeig-
neten Verfahren verbundenen Ansprüche erlauben es nicht, differenziert über die Sprach-
fähigkeiten der Getesteten Auskunft zu geben; dem stehen die Wünsche nach zeitsparen-
dem Einsatz und Eindeutigkeit der Ergebnisformulierung entgegen. Eindeutigkeit wird
dadurch erreicht, dass ein zusammenfassendes Maß formuliert wird (z. B. 30 von 100
Punkten ⫽ Förderbedarf). Darin aber gehen die differenzierten Auskünfte über die vom
Getesteten aktualisierten sprachlichen Mittel verloren, an die bei der Förderung oder im
Unterricht angeknüpft werden kann.

Szenario 2: Diagnostik als Grundlage der Förder- oder Unterrichtsplanung ür


Deutsch als Zweitsprache

Bei der Sprachdiagnostik, die der Gestaltung von Förderung oder Unterricht zugrunde
gelegt werden kann, ist es das Ziel, möglichst genaue Kenntnisse über die sprachlichen
Voraussetzungen zu erlangen, die Lernende für das, was gelehrt werden soll, mitbringen.
Es soll sich ein Bild von den spezifischen Eigenschaften ergeben, die das sprachliche
Wissen und Können des Probanden in einem gegebenen Augenblick und im Hinblick
auf ein Ziel mitbringen. Sprachdiagnostik mit diesem Zweck wird auch als pädagogische
Diagnostik oder Förderdiagnostik bezeichnet. Im Kontext des Deutschen als Zweitspra-
che ist Bestandsaufnahme der sprachlichen Fähigkeiten am Anfang einer Maßnahme ein
verbreiteter Fall, also z. B. bei Aufnahme in einen Kindergarten oder eine Schulklasse.
Je allgemeiner das Förder- oder Unterrichtsziel gehalten ist, desto breiter muss die
Auskunft sein, die sich durch ein Verfahren gewinnen lässt. Sprachliches Wissen und
Können umfasst verschiedene sprachliche Teilbereiche; sprachwissenschaftlich unter-
schieden werden die Bereiche der Lautung (Phonologie), der Bedeutung (Semantik), der
Wortbildung (Morphologie) und der Bildung von Satzstrukturen (Syntax). Um eine Aus-
1312 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

kunft über die Sprachfähigkeiten eines Getesteten zu erlangen, müsste aus jedem dieser
Bereiche ein repräsentativer Ausschnitt abgeprüft werden.
Zudem ist nach dem situativen Charakter einer Sprachverwendung zu differenzieren.
So ist es unangemessen, eine Norm des Schriftdeutschen anzulegen, wenn die Fähigkeit
zur mündlichen Sprachproduktion überprüft werden soll. Außerdem ist zu berücksichti-
gen, dass die verschiedenen sprachlichen Teilbereiche nicht unbedingt füreinander reprä-
sentativ sind. So kann etwa von der Sprachverstehensleistung eines Getesteten nicht auf
seine Fähigkeit zur Sprachproduktion geschlossen werden und umgekehrt. Für schuli-
sche Erfolgschancen besonders relevant ist es, dass von der Beherrschung eines sprachli-
chen Registers nicht auf andere Register geschlossen werden kann. Das Verfügen über
alltägliche Verständigungsfähigkeit ist z. B. nicht aussagekräftig im Hinblick auf die
Frage, ob ein Lernender die spezifischen Redemittel der schulischen Lernbereiche oder
Fächer, also „bildungssprachliche“ Fähigkeiten, besitzt (Gogolin 2006).
Die Komplexität des Sprachgeschehens und die linguistische Expertise, die für seine
Einschätzung erforderlich sind, lassen es ratsam erscheinen, in ihrer Qualität geprüfte
Verfahren, deren Reichweite genau benannt ist, bei der Sprachdiagnostik im Kontext
von Förder- oder Unterrichtsplanung einzusetzen. Der Vorzug dieser Verfahren ist es,
dass eine wohlfundierte Interpretation der Ergebnisse und Einschätzung ihrer Aussage-
kraft möglich ist. Als Nachteil kann angesehen werden, dass ihre Durchführung mit
einigem Zeitaufwand verbunden ist. ⫺ Bedauerlicherweise ist die Auswahl an solchen
Verfahren nicht groß: Zwar existiert eine große Menge an Angeboten, aber nur ein klei-
ner Teil der Instrumente hat angemessene Güteprüfungen durchlaufen (vgl. Übersicht
über den Stand der Entwicklung bei Lengyel, Reich, Roth und Döll 2009). Bei der Aus-
wahl eines Verfahrens zum Deutschen als Zweitsprache ist es ein Qualitätskriterium, ob
bei der zugrunde gelegten Norm angemessen berücksichtigt ist, dass sich die Spracher-
werbskonstellationen einsprachiger und zweisprachiger Getesteter grundlegend unter-
scheiden. Schulz, Kersten und Kleissendorf (2009: 133⫺134) machen auf den wichtigen
Aspekt der Dauer des Sprachkontakts aufmerksam, der bei der Interpretation von Diag-
noseergebnissen zu beachten ist. Für Lerner des Deutschen als Zweitsprache ist es nicht
angemessen, eine an einsprachigen Lernenden entwickelte Altersnorm als Maßstab zu
verwenden; vielmehr muss die Dauer der Kontaktzeit mit der Zweitsprache berücksich-
tigt werden.

Szenario 3: Diagnostik zum Zwecke grundlegender Aussagen über die Sprach-


kompetenz Zweisprachiger

Ein weiterer Gesichtspunkt bei der Auswahl eines Verfahrens ist die Zweisprachigkeit
selbst: Wenn es das Ziel einer Diagnose ist, grundlegende Aussagen über die generelle
Sprachfähigkeit der Probranden zu treffen, ist es erforderlich, dass beide Sprachen in die
Prüfung einbezogen werden (vgl. hierzu Reich 2005). Spracherwerbstheoretische Er-
kenntnisse besagen, dass die Sprachfähigkeiten Zwei- oder Mehrsprachiger nicht als von-
einander getrennte Systeme aufzufassen sind. Vielmehr stehen sie miteinander in Kon-
takt, und es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie einander wechselseitig beeinflussen.
So muss ein zweisprachiger Mensch nur einmal das grundlegende Konzept der Zeit er-
werben ⫺ also beispielsweise das Wissen darüber, dass man etwas als in der Vergangen-
heit, der Gegenwart oder der Zukunft geschehend ausdrücken kann. Bei weiteren Spra-
146. Sprachstandsdiagnosen 1313

chen muss dann nicht mehr das Konzept als solches erworben werden, sondern es geht
lediglich noch um die einzelsprachlich unterschiedlichen Weisen, das Konzept zum Aus-
druck zu bringen (Tracy 2007). Um also Grundlegendes über die Sprachkompetenz
Zweisprachiger zu erfahren, ist es notwendig, ihre Fähigkeiten in beiden Sprachen ver-
gleichend zu beurteilen.
Auch hierbei sollten nach den Regeln der Kunst geprüfte Instrumente zum Einsatz
kommen, bei deren Entwicklung berücksichtigt wurde, dass in beiden Sprachen einander
funktionale Äquivalente überprüft werden. Bei der Güteprüfung der Verfahren ist zudem
das Problem der angemessenen Normierung zu berücksichtigen. Für beide Sprachen gilt:
Ein Verfahren, das an einer einsprachig in einsprachigem Kontext lebenden Stichprobe
normiert worden ist, ist für den Einsatz bei Kindern, die dieselbe Sprache als Zweispra-
chige in einer mehrsprachigen Umgebung erlernen, ungeeignet.
Diese Qualitätsansprüche erfüllen im deutschsprachigen Raum bis dato nur einzelne
Verfahren (vgl. Reich, Roth und Neumann 2007). Hier besteht eine besonders empfindli-
che Lücke in Forschung und Entwicklung.

5. Fazit
Sprachdiagnostische Tätigkeiten erfordern ein vertieftes Wissen über linguistische Zu-
sammenhänge ⫺ etwa über Gesetzmäßigkeiten des Spracherwerbs, über die Gestalt der
Sprache selbst, über die Vielfalt, die Funktionsweisen und die Bedeutung der unter-
schiedlichen Register für Sprachaneignung und Sprachgebrauch. Hierfür müssen Päda-
goginnen und Pädagogen gründlich qualifiziert werden. Dies gilt auch für den Fall, dass
in ihrer Qualität geprüfte Instrumente zur Verfügung stehen, die bei der sprachdiagnosti-
schen Tätigkeit Hilfestellung leisten. Die Einschätzung der Angemessenheit für einen
gegebenen Einsatzzweck, die adäquate Durchführung, Auswertung und Interpretation
der Ergebnisse sind nur möglich, wenn hierfür profunde Kenntnisse mitgebracht werden.
Die vielfach an sprachdiagnostische Verfahren geknüpfte Erwartung, dass sie ohne weite-
res von nur oberflächlich qualifizierten Personen sinnvoll eingesetzt werden können, ist
nicht erfüllbar ⫺ ebenso wenig wie die Erwartung, mittels ungeprüfter (informeller) Ver-
fahren, deren Einsatz wenig Zeit und Aufwand kostet, verlässliche sprachdiagnostische
Ergebnisse zu erzielen. Es sind also erhebliche Investitionen zu leisten, bis davon gespro-
chen werden kann, dass im sprachdiagnostischen Feld ein zufriedenstellender Stand er-
reicht ist.

6. Literatur in Auswahl
Ehlich, Konrad
2005 Anforderungen an Verfahren der regelmäßigen Sprachstandsfeststellung als Grundlage für
die frühe und individuelle Förderung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund.
Bonn: Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Fried, Lilian
2009 Sprachkompetenzmodell Delfin 4. Testmanual. Dortmund: Technische Universität; auch
unter http://www.delfin4.fb12.uni-dortmund.de/; Juli 2009.
1314 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

Gogolin, Ingrid
2006 Bilingualität und die Bildungssprache der Schule. In: Paul Mecheril und Thomas Quehl
(Hg.), Die Macht der Sprachen. Englische Perspektiven auf die mehrsprachige Schule, 79⫺
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147. Portfolios und informelle Leistungsdiagnosen 1315

147. Portolios und inormelle Leistungsdiagnosen


1. Einleitung: Lernen und Beurteilung mit Portfolios
2. Das Europäische Sprachenportfolio als Konzept
3. Das Europäische Sprachenportfolio und informelle Leistungsdiagnosen
4. Das Europäische Sprachenportfolio und eine neue Beurteilungskultur
5. Schluss: Zukunftsaussichten
6. Literatur in Auswahl

1. Einleitung: Lernen und Beurteilung mit Portolios


„Ein Portfolio bezeichnet eine sinnvolle Sammlung von Arbeiten, mit denen Engage-
ment, Leistungen, Erkenntnisse und Entwicklungen in einem oder mehreren Lernberei-
chen transparent gemacht werden“ (Müller 2005: 9⫺10). Wie diese Definition impliziert,
kann ein Portfolio in dieser allgemeinen pädagogischen Bedeutung dreierlei Funktionen
erfüllen. Erstens kann es dazu dienen, den Lernprozess zu strukturieren; so können Ler-
nende z. B. ein Portfolio verwenden, um die Materialien, welche sie für ein bestimmtes
Projekt zusammentragen, zu sammeln und zu gestalten. Zweitens kann es die Grundlage
für eine Beurteilung liefern, die das Lernen als Produkt ebenso wie als Prozess in den
Mittelpunkt stellt; diese Funktion setzt voraus, dass Schüler im Voraus über die Beurtei-
lungskriterien informiert sind. Drittens können Portfolios dazu verwendet werden, Lern-
erfolge zu präsentieren.
Die Konzepte des Portfolio-Lernens sowie der Portfolio-Beurteilung erlangten zum
ersten Mal in den Vereinigten Staaten Bedeutung, wo sie in Opposition zur Beurteilung
durch standardisierte Tests entwickelt wurden. Die Befürworter der Portfolios argumen-
tierten, dass standardisierte Tests wenig dazu beitrügen, den Lernvorgang zu unterstüt-
zen, sondern im Gegenteil die Annahme förderten, dass Lehren/Lernen und Testen
grundverschiedene Aktivitäten seien. Portfolios dagegen ermöglichen es, Lernen und Be-
urteilung in eine positive Interaktion zueinander zu setzen: Die Beurteilung des Lernens
kann auch eine Beurteilung für das Lernen sein. Sie verkörpern daher eine Philosophie,
die mit der Diskussion „formativer Bewertung“, die im Großbritannien der 1990er Jahre
(Black und Wiliam 1998) lanciert wurde, sowie mit dem in vielen europäischen Ländern
aktuellen Interesse am dialogischen Lernen (z. B. Winter 2004; Alexander 2006; Ruf,
Keller und Winter 2008) eng verwandt ist.
In der Sprachpädagogik wurde der Gebrauch von Portfolios, und insbesondere von
Lerntagebüchern, in enge Verbindung mit der Förderung von reflexivem Lernen und
Lernerautonomie gebracht (z. B. Dam 1995). Wie in anderen pädagogischen Bereichen
blieb diese Herangehensweise bisher das Interesse und die Leistung einer Minderheit. Im
Lauf der ersten zehn Jahre des 21. Jahrhunderts jedoch hat das Europäische Sprachen-
portfolio (ESP) des Europarates dem Portfolio-Lernen und der Portfolio-Beurteilung zu
einer weiteren Verbreitung verholfen, obwohl seine Wirkung auf den Unterrichtsraum
nach wie vor zu wünschen übrig lässt. Dieser Artikel beschäftigt sich aus drei Gründen
mit dem ESP: Es ist ausführlicher durchdacht als andere Portfolio-Konzepte und ist
auf einzigartige Weise auf den Spracherwerb zugeschnitten; als pädagogisches Werkzeug
unterstützt es Formen des reflexiven Lernens auf innovative Art; und es liefert als alter-
1316 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

natives Beurteilungsinstrument triftige Gründe für die Entwicklung einer neuen Beurtei-
lungskultur, zumindest im Sprachunterricht. Der Artikel ist dementsprechend in drei
Hauptabschnitte unterteilt: das ESP als Konzept, das ESP als pädagogisches Werkzeug,
und das ESP als Schlüsselkomponente für eine neue Sichtweise auf die Beurteilung von
Zweit-/Fremdsprachenkompetenz.

2. Das Europäische Sprachenportolio als Konzept

Das Europäische Sprachenportfolio hat drei obligatorische Komponenten: einen Spra-


chenpass, eine Sprachenbiographie und ein Dossier. Der Sprachenpass fasst die sprachli-
che Identität seines Inhabers oder seiner Inhaberin zu bestimmten Zeitpunkten zusam-
men, indem er erlernte Zweit-/Fremdsprachen, formale Sprachqualifikationen, für den
Zweit-/Fremdsprachengebrauch wichtige Erfahrungen und die Beurteilung des Inhabers/
der Inhaberin seines/ihres aktuellen Leistungsstandes in Zweit-/Fremdsprachen kurz do-
kumentiert. Die Sprachenbiographie dient dazu, Sprachlernziele zu setzen, Fortschritte
zu überwachen, Ergebnisse zu beurteilen und über verschiedene Dimensionen des
Spracherwerbs und Sprachgebrauchs zu reflektieren, darunter der Aspekt der Interkultu-
ralität und des Lernen-Lernens. Das Dossier kann entsprechend der Bedürfnisse und
Prioritäten spezieller Kontexte gestaltet werden; es enthält immer praktisches Beweisma-
terial, um die Selbstbeurteilung, welche in der Sprachenbiographie und im Sprachenpass
dokumentiert ist, zu stützen.
Das ESP ist dahingehend konzipiert, eine protokollierende und eine pädagogische
Funktion zu haben. In seiner protokollierenden Funktion ergänzt es die Zertifikate und
Diplome, die auf der Basis formaler Prüfungen verliehen werden, indem es zusätzliche
Informationen über die Sprachlernerfahrung des Inhabers/der Inhaberin sowie konkrete
Nachweise von Zweit-/Fremdsprachenkompetenz und -leistungen liefert. Darüber hinaus
erlaubt es dem Inhaber/der Inhaberin, Sprachlernerfahrungen sowohl außerhalb als auch
innerhalb des formalen Bildungssystems zu dokumentieren. In seiner pädagogischen
Funktion soll das ESP Mehrsprachigkeit fördern, kulturelles Bewusstsein anheben, den
Sprachlernprozess für den Inhaber/die Inhaberin transparenter machen und das Entste-
hen von Lernerautonomie anregen. Die protokollierende und pädagogische Funktion
stehen offensichtlich in engem Zusammenhang und gehen im kontinuierlichen Prozess
der Selbstbeurteilung, der für einen effektiven ESP-Gebrauch grundlegend ist, ineinan-
der über.
Der Anstoß zur Entwicklung des ESP ging vom Europaratssymposium in Rüschlikon
(„Transparency and coherence in language learning in Europe“, Council for Cultural
Cooperation 1992) im Jahr 1991 aus. Dort wurde die Empfehlung ausgesprochen, dass
der Rat für kulturelle Kooperation des Europarats die Entwicklung eines Gemeinsamen
europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) fördern und einen Arbeitskreis ins
Leben rufen sollte, um mögliche Formen und Funktionen eines Europäischen Sprachen-
portfolios zu erwägen. Selbstbeurteilung im Rahmen des ESP basiert auf dem GER,
welcher Zweit-/Fremdsprachenkompetenz in Bezug auf fünf kommunikative Aktivitäten
(hˆren, lesen, an gespr‰chen teilnehmen, zusammenh‰ngend sprechen, schreiben)
auf sechs Niveaus beschreibt (A1, A2, B1, B2, C1, C2). Checklisten bestehend aus „Ich
kann“-Deskriptoren, die nach Aktivität und Kompetenzniveau angeordnet sind, lenken
147. Portfolios und informelle Leistungsdiagnosen 1317

Zielsetzung, Überwachung und formative Selbstbeurteilung in der Sprachenbiographie,


während das sogenannte Raster zur Selbstbeurteilung des GER (Europarat 2001: 36) das
Maßsystem darstellt, gegen das der Lernende in periodischen Abständen eine summative
Selbstbeurteilung ausführt.
Das Projekt „Language learning for European citizenship“ brachte zwei Entwürfe für
den GER und eine Reihe von Vorschlägen bezüglich des ESP (Council for Cultural
Cooperation 1997a) hervor. Der Abschlussbericht des Projekts empfahl, dass der GER
in die Probephase gehen und das ESP weitergehend entwickelt werden sollte (Council
for Cultural Cooperation 1997b: 73). Zwischen 1998 und 2000 wurden ESP-Pilotprojekte
in 15 Europarats-Mitgliedstaaten und von drei internationalen Nichtregierungsorganisa-
tionen durchgeführt (Schärer 2000); die Prinzipien und Richtlinien, die das ESP und
seinen Zweck bestimmen, wurden weiter ausgearbeitet (Council of Europe 2006). Im
Jahr 2000 begründete der Europarat ein Validations-Komitee, dessen Rolle darin besteht,
ESPs in Empfang zu nehmen und zu entscheiden, ob diese den Prinzipien und Richtlinien
folgen; bis zum Sommer 2010 waren 104 ESPs für gültig erklärt worden.

3. Das Europäische Sprachenportolio und inormelle


Leistungsdiagnosen
Obwohl grundlegend für den effizienten Gebrauch des ESP, war Selbstbeurteilung wäh-
rend der Pilotphase dennoch Anlass zur Sorge und Kontroverse (Schärer 2000: 10). Ei-
nige LehrerInnen bezweifelten, dass ihre Schüler in der Lage wären, ihre eigene Kompe-
tenz akkurat einzuschätzen, andere vermuteten, dass Lernende versucht sein könnten,
ihre Errungenschaften überzubewerten. Es gibt drei Möglichkeiten, auf diese Befürch-
tungen einzugehen. Erstens, was die Fähigkeit der Lernenden zur Selbsteinschätzung
betrifft, so besteht die Grundlage für die Selbstbeurteilung im ESP in „Ich kann“-Aussa-
gen, die kommunikatives Verhalten beschreiben ⫺ z. B. Ich kann einfache Wendungen
und Sätze gebrauchen, um Leute, die ich kenne, zu beschreiben und um zu beschreiben, wo
ich wohne (A1 zusammenh‰ngend sprechen; Europarat 2001: 36). Im Großen und Gan-
zen ist es wahrscheinlich, dass Lernende wissen, ob sie in der Lage sind, die Aufgaben
zu bewältigen, die von solchen Deskriptoren spezifiziert werden. Zweitens sollte es, im
Hinblick auf die Ehrlichkeit der Lernenden, ein Leichtes sein, erhebliche Diskrepanzen
zwischen der Selbstbeurteilung einerseits und ihren (im Sprachenpass dokumentierten)
Prüfungsnoten oder dem in ihrem Dossier erbrachten Kompetenznachweis andererseits
festzustellen. Drittens neigten die Befürchtungen der LehrerInnen hinsichtlich Selbstbe-
urteilung dazu, sich auf deren summative Funktion zu konzentrieren, doch ist dies nur
ein Teil des Gesamtbildes. Es ist wahr, dass jedes Mal, wenn Lernende ihren Sprachen-
pass aktualisieren, ihre Selbstbeurteilung nahezu die gleiche Funktion erfüllt wie wenn
ein Lehrer zu Ende einer Lernphase eine Prüfung abhält. Doch die Selbstbeurteilung,
welche ins Spiel kommt, wenn ein ESP-Inhaber die Sprachenbiographie verwendet, um
Lernziele zu identifizieren oder Fortschritte zu überwachen, ist formativ, nicht summativ:
Sie unterstützt und leitet das Lernen, indem es stattfindet ⫺ sie bestätigt Leistungen,
identifiziert aber auch Schwächen sowie Gebiete, die verstärkter Arbeit oder größeren
Einsatzes bedürfen. Natürlich rekurriert Selbstbeurteilung, unabhängig davon, ob ihre
Funktion summativ oder formativ ist, immer auf denselben Komplex von Wissen, Selbst-
1318 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

erkenntnis und Fähigkeiten. Das bedeutet, dass die ESP-Inhaber umso geübter in sum-
mativer Selbstbeurteilung sein sollten, je mehr sie sich auf formative Selbstbeurteilung
einlassen. Dieses Argument impliziert, dass ein effizienter Gebrauch des ESP auf reflexi-
vem Lehren und Lernen beruhen muss, welches von Verfechtern von Portfolio-Lernen
und -Beurteilung (Müller 2005), formativer Bewertung (Black und Wiliam 1998) and
dialogischem Lernen (Winter 2004) befürwortet wird.
Die Bildungsprojekte des Europarats im Allgemeinen und seine Fremdsprachenpro-
jekte im Besonderen haben von jeher die Bedeutung der Lernerautonomie hervorgeho-
ben. Lernende können dann als autonom bezeichnet werden, wenn sie explizit Verant-
wortung für ihr eigenes Lernen auf sich nehmen und diese Verantwortung in dem konti-
nuierlichen Bestreben praktizieren, zu verstehen, was, warum, wie und mit welchem
Erfolg sie lernen (siehe z. B. Holec 1979; Little 1991). Wie diese Arbeitsdefinition nahe-
legt, hängt Lernerautonomie wesentlich von Reflexion und Selbstbeurteilung ab. Wir
machen Lernende nicht auf einen Schlag autonom, indem wir ihnen mitteilen, dass sie für
ihr Lernen verantwortlich sind; sie werden allmählich autonom, indem sie die reflexiven
Fähigkeiten zur Planung, Überwachung und Bewertung ihres Lernens entwickeln und
ausüben. Dies nämlich ist der Kern reflexiven Lehrens und Lernens.
Eine der besten Darstellungen reflexiven Sprachunterrichts/-lernens findet sich bei
Leni Dam (1995). Sie beschreibt, wie sie dänische Englischlernende der unteren Sekun-
darstufe in zunehmend anspruchsvolle Reflexion einband, indem sie wiederholt die fol-
genden fünf Fragen stellte: Was lernen wir? Warum lernen wir es? Wie lernen wir? Wie
erfolgreich ist unser Lernen? Was werden wir als nächstes lernen? Diese fünf Fragen
treiben einen Lernkreislauf an, in dem Planung von Durchführung gefolgt ist, nach wel-
cher Beurteilung zu weiterer Planung führt. Bemerkenswert ist, dass Reflexion in jeder
dieser Phasen eine Rolle spielt; ebenfalls bemerkenswert ist, dass formative Selbstbeurtei-
lung ein wesentlicher Bestandteil sowohl der Planungs- und Durchführungsphase als
auch der Beurteilungsphase ist. Denn um effizient zu sein, muss die Planung der Lernen-
den realistisch sein, was bedeutet, dass sie ihre Absichten ständig gegen entwickelte Kom-
petenzen messen müssen; erfolgreiche Durchführung wiederum ist abhängig von effizien-
ter Überwachung, welche als „on-line“ Selbstbeurteilung beschrieben werden könnte.
Der Schwerpunkt des ESP auf Selbstbeurteilung und den reflexiven Prozessen, die
sich daran anschließen, fordert die Frage heraus: Wird das Lernen, wie man Sprachen
lernt, dem (eigentlichen) Sprachlernen im Weg stehen? Schließlich ist die Zeit, die Ler-
nende damit verbringen, über ihre Fertigkeiten in ihren Zielsprache(n) zu reflektieren,
Zeit, die sie nicht darauf verwenden können, weitere Fertigkeiten zu erlernen. Doch
dieser Einwand ist nur dann gültig, wenn die Prozesse der Reflexion und Selbstbeurtei-
lung in der Muttersprache ausgeführt werden. Wenn sie andererseits in der Zielsprache
ausgeführt werden (wie bei Dam 1995), werden sie zu einem wesentlichen und äußerst
wichtigen Bestandteil des Sprachlernens; denn nur wenn Lernende allmählich die Fähig-
keit entwickeln, sich mit Reflexion und Bewertung in ihren Zweit-/Fremdsprachen zu
befassen, können wir von ihnen erwarten, dass sie zu einem der gehobenen Kompetenzni-
veaus fortschreiten, welche eine ebensolche Fähigkeit voraussetzen. Dieses Argument hat
eine klare Implikation für die Gestaltung des ESP: Um den Gebrauch der Zielsprache
für Reflexion und Selbstbeurteilung zu ermöglichen, sollten Selbstbeurteilungs-Checklis-
ten in jeder Sprache, die ein ESP-Inhaber lernt, verfügbar sein.
An diesem Punkt ist es angemessen, zwei Beispiele zu geben. Das erste betrifft die
Entwicklung der Fähigkeit zur Produktion gesprochener Sprache (zusammenh‰ngend
147. Portfolios und informelle Leistungsdiagnosen 1319

sprechen) auf dem ersten Niveau des GER. Ich habe den zusammenfassenden Deskrip-
tor im Raster zur Selbstbeurteilung bereits zitiert: Ich kann einfache Wendungen und Sätze
gebrauchen, um Leute, die ich kenne, zu beschreiben und um zu beschreiben, wo ich wohne.
Im irischen ESP für die Sekundarstufe I und Sekundarstufe II (Authentik 2001) weitet
die Checkliste für A1 zusammenh‰ngend sprechen diese Zusammenfassung auf drei
Deskriptoren aus:
⫺ Ich kann einfache Angaben zu meiner Person machen (z. B. Alter, Adresse, Familie,
Hobbies)
⫺ Ich kann in einfachen Worten und Sätzen beschreiben, wo ich wohne
⫺ Ich kann in einfachen Worten und Sätzen Personen beschreiben, die ich kenne
Jeder dieser Deskriptoren definiert eine einfache kommunikative Aufgabe, und jeder
kann verwendet werden, um eine Lernphase zu gestalten. So kann zum Beispiel die Auf-
gabe, persönliche Angaben zu machen, als Lernziel in der Sprachenbiographie identifi-
ziert werden; Lernende können in ihrem Dossier Vokabular und einfache Satzstrukturen
notieren, die sie benötigen, um diese Aufgabe auszuführen; sie können sich in der Auf-
gabe individuell und in Kleingruppen üben; und sie können ihre Fähigkeit, die Aufgabe
durchzuführen, in der Checkliste festhalten, sobald der Lehrer oder einer ihrer Klassen-
kameraden bestätigen, dass sie dazu in der Lage sind ⫺ nach dieser Herangehensweise
besteht Selbstbeurteilung darin, Behauptungen aufzustellen, deren Gültigkeit von ande-
ren bezeugt werden kann. In der Beurteilungsphase können Lernende darüber hinaus in
ihrer Sprachenbiographie alles das festhalten, was sie über das Sprachenlernen als solches
gelernt haben.
Das zweite Beispiel bezieht sich auf Niveau B2 und ist dementsprechend komplexer.
Auf diesem Niveau definiert das Raster zur Selbstbeurteilung die Schreibfähigkeit der
Lernenden wie folgt: Ich kann über eine Vielzahl von Themen, die mich interessieren, klare
und detaillierte Texte schreiben. Ich kann in einem Aufsatz oder Bericht Informationen
wiedergeben oder Argumente und Gegenargumente für oder gegen einen bestimmten Stand-
punkt darlegen. Ich kann Briefe schreiben und darin die persönliche Bedeutung von Ereig-
nissen und Erfahrungen deutlich machen (Europarat 2001: 36). Die korrespondierende
Checkliste im irischen ESP für Sekundarstufe I und Sekundarstufe II (Authentik 2001)
schließt die folgenden Deskriptoren mit ein:
⫺ Ich kann zu sehr vielen persönlichen, kulturellen, interkulturellen und sozialen Themen
klare, detaillierte Beschreibungen abgeben
⫺ Ich kann einen Standpunkt zu einem aktuellen Thema erläutern und die Vor- und Nach-
teile verschiedener Standpunkte erörtern
⫺ Ich kann eine Argumentationskette klar aufbauen, die Ideen logisch verknüpfen und die
verschiedenen Punkte mit entsprechenden Beispielen untermauern
Hier haben wir es nicht, wie im ersten Beispiel, mit einer Liste klar abgegrenzter Aufga-
ben zu tun, sondern mit allgemeineren Funktionen des geschriebenen Textes: detaillierte
Beschreibungen abgeben, Standpunkte erläutern und erörtern, Argumentationsketten
klar aufbauen, Ideen logisch verknüpfen, Punkte mit Beispielen untermauern. Und die
viel größere Komplexität der kommunikativen Fähigkeit der Lernenden auf diesem Ni-
veau impliziert eine weitaus größere Komplexität der Lernaktivität. Im Rahmen einer
Portfolio-Herangehensweise wird die Entwicklung dieser Fähigkeit mit großer Wahr-
scheinlichkeit durch eine Folge von projektbasierten Lernkreisläufen verfolgt. Der erste
1320 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

Schritt in jedem Keislauf besteht darin, mithilfe der Checkliste Schwerpunkt und Reich-
weite des Projekts zu identifizieren. Wird das Thema persönlich, kulturell, interkulturell
oder sozial sein? Welche Art von Texten wird verwendet werden, um thematischen und
linguistischen Input zu liefern? Werden sie deskriptiv oder argumentativ sein, oder bei-
des? Was werden die strukturellen Eigenschaften der Texte sein, die die Lernenden pro-
duzieren werden? Wie genau werden detaillierte Beschreibungen artikuliert werden? Wel-
che Hilfsmittel hinsichtlich Lexik und Syntax benötigt man, um die Vor- und Nachteile
verschiedener Standpunkte zu erörtern oder eine Argumentationskette klar aufzubauen?
Diese und viele andere Fragen, die die Deskriptoren implizieren, werden zu Beginn jeden
Projektkreislaufs gestellt und von Lehrer und Lernenden interaktiv ergründet, und zwar
in der Zielsprache. Als Teil dieses Prozesses können spezifische Kriterien etabliert wer-
den, um die Effizienz einer Beschreibung oder Argumentationskette zu beurteilen. Da-
raufhin werden die Projekte entwickelt, evtl. im Rahmen von (Klein-)Gruppenarbeit.
Reflexivität ⫺ Selbstbeurteilung, aber auch Peer-Beurteilung, welche beide als mentale
Gewohnheiten kultiviert werden ⫺ wird dadurch gewährleistet, dass die Lernenden zu
keinem Zeitpunkt die aus der Planungsphase hervorgegangenen Kriterien und die Not-
wendigkeit, mit der das Projekt diesen Kriterien entsprechen muss, aus den Augen verlie-
ren. Am Ende des Kreislaufs, wenn die Projekte dem Rest der Klasse präsentiert werden,
kann es eine Phase der Peer- und Selbstbeurteilung geben, die sich auf die kommunika-
tive Effizienz der produzierten Texte konzentriert, aber auch auf ihre formale Genauig-
keit. Angenommen, dass der Ausgangspunkt der Lernenden der B1 Kenntnisstand im
Schreiben war ⫺ Ich kann über Themen, die mir vertraut sind oder mich persönlich interes-
sieren, einfache, zusammenhängende Texte schreiben. Ich kann persönliche Briefe schreiben
und darin von Erfahrungen und Eindrücken berichten (Europarat 2001: 36) ⫺, so werden
sie eine Reihe von Projektzyklen durchlaufen müssen, ehe sie zuversichtlich und plausibel
von sich behaupten können, dass sie die allgemeinen Kriterien textueller Kompetenz, wie
sie die Checklisten-Deskriptoren definieren, erfüllen.

4. Das Europäische Sprachenportolio und eine neue


Beurteilungskultur
Portfolio-Beurteilung wurde ursprünglich als Gegenmaßnahme zu standardisierten Tests
entwickelt, deren Form und Inhalt Lehre und Lernen nur allzu leicht einschränken. Je-
doch gab es stets nicht nur pädagogische, sondern auch politische Einwände gegen stan-
dardisierte Tests. Die kritische Bewegung im Sprachtesten, insbesondere in der englisch-
sprachigen Welt (z. B. Shohamy 2001; McNamara und Roever 2006), fand ihre Inspira-
tion teilweise in Foucaults Auffassung (1976) von Prüfungen als Instrumenten der
Kontrolle und Bestrafung. Aus dieser Perspektive waren auch Schritte in Richtung kom-
munikativer Sprachtests nicht frei von Verdacht. Doch entgegen dieser negativen Ten-
denz bietet das ESP einen Weg, eine neue Komplementarität zwischen Lehren/Lernen
und Beurteilung zu entwickeln und die Entstehung einer neuen Beurteilungskultur anzu-
regen.
Zu Beginn des GER ist zu lesen: „Der Gemeinsame Referenzrahmen stellt eine gemein-
same Basis dar für die Entwicklung von zielsprachlichen Lehrplänen, curricularen Richt-
linien, Prüfungen, Lehrwerken usw. in ganz Europa“ (Europarat 2001: 14). Die Anord-
147. Portfolios und informelle Leistungsdiagnosen 1321

nung der Elemente im Untertitel ⫺ „lernen, lehren, beurteilen“ ⫺ ist kein Zufall und
lenkt die Aufmerksamkeit auf den vielleicht innovativsten Charakterzug des GER. Sein
handlungsorientierter Ansatz beschreibt Kommunikation im Hinblick darauf, was der
Lernende/Benutzer mit Sprache tun kann; jeder „Ich kann“-Deskriptor kann drei sich
gegenseitig beeinflussende Funktionen erfüllen. Er kann dazu verwendet werden, ein
Lernziel zu spezifizieren, einen Schwerpunkt für die Lernaktivität zu identifizieren und
Kriterien zur Beurteilung von Lernergebnissen zu generieren. Die Selbstbeurteilungs-
funktion des ESP ist abhängig von der Tatsache, dass Lernende in der Lage sind, akku-
rate Urteile über ihre Verhaltensfähigkeiten zu fällen, insbesondere wenn diese Urteile
von dem reflexivem Diskurs unterstützt werden, welcher das Portfolio-Lernen prägt.
Wenn Struktur und Inhalt von Tests und Prüfungen das gleiche handlungsorientierte
Verständnis des Sprachgebrauchs widerspiegeln, dann sollten sie das Portfolio-Lernen
unterstützen und die Selbst- and Peer-Beurteilung, die für den ESP-Gebrauch von so
zentraler Bedeutung ist, ergänzen.
Verwenden Lernende das ESP, um ihr Sprachlernen zu planen, zu überwachen und
zu überprüfen, so bringen sie ihre Subjektivität in explizite Interaktion mit objektiven
(empirisch gewonnenen) Beschreibungen von Sprachkompetenz. Lernende konstruieren
nach und nach ein Bild ihrer sich erweiternden sprachlichen und kulturellen Identität,
das Zeugnis ihrer Errungenschaften wie auch Ansporn zu weiterführender Reflexion ist.
Sie entwickeln ein gesteigertes Verständnis ihrer selbst, insbesondere was ihre Fähigkeiten
in Zweit- und Fremdsprachen betrifft, und werden zunehmend sensibler mit Blick auf die
sprachlichen und kommunikativen Komplexitäten, die scheinbar einfachen Deskriptoren
zugrunde liegen. Doch Lernende verstehen ebenfalls den Sinn von Sprachtests, die auf
der Grundlage des handlungsorientierten Ansatzes des GER erdacht und somit für ihre
eigenen Lernziele relevant sind.

5. Schluss: Zukuntsaussichten

Die Art der Beurteilungskultur, die ich soeben skizziert habe, in welcher Selbst- und
Peer-Beurteilung einerseits und formale Tests und Prüfungen andererseits einander er-
gänzen, liegt in der Zukunft. Die Wirkung des GER war bisher eher partiell als holis-
tisch. Seine Kompetenzniveaus wurden von Institutionen, die Sprachtests durchführen,
europaweit (und zum Teil darüber hinaus) eifrig übernommen, hauptsächlich, weil sie
den Vergleich zwischen Tests ermöglichen. Doch zu behaupten, dass ein Test einem be-
stimmten GER-Niveau entspricht, ist nicht das gleiche, wie zu behaupten, dass dieser
Test unter Berücksichtigung des deskriptiven Apparates des GER entworfen wurde. Die
Kompetenzniveaus sind außerdem in Curricula und Lehrbücher eingegangen, doch sagt
dies wenig darüber aus, in welchem Ausmaß die betrachteten Curricula kommunikativen
Inhalt vorgeben oder die Lehrbücher einen pädagogischen Ansatz verkörpern, für den
Sprachlernen eine Variante der Sprachverwendung ist (Europarat 2001: 21). Mir ist ledig-
lich ein Fall bekannt, in dem ein Zweitsprachen-Curriculum als kommunikatives Reper-
toire definiert ist, welches durch „Ich kann“-Deskriptoren zum Ausdruck gebracht,
durch eine Version des ESP vermittelt, und unter Verwendung von handlungsorientierten
und aufgabenbasierten Tests bewertet wird. Bei diesem Curriculum handelt es sich um
das zum Unterricht von Englisch als Zweitsprache an irischen Grundschulen (IILT 2003)
1322 XIV. Leistungsmessung und Leistungskontrolle

verwendete. Das ESP (IILT 2004) wurde teilweise als Verbreitungsinstrument für das
Curriculum konzipiert und wurde sehr weitreichend verwendet; und in Umfang und In-
halt spiegeln die Tests die „Ich kann“-Deskriptoren des Curriculums wider.
Unter den Herausforderungen, mit denen DaF/DaZ als Disziplin in den deutschspra-
chigen Ländern zu Beginn des 21. Jahrhunderts konfrontiert ist, stechen zwei besonders
hervor: die Notwendigkeit, sicherzustellen, dass eine große Anzahl von Kindern und
Jugendlichen mit Migrantionshintergrund die Deutschkenntnisse entwickeln, die ihnen
vollen Zugang zu Bildung ermöglichen; und die Übernahme von Bildungsstandards, die
eine Bewegung weg von schulbasierter Beurteilung und hin zu einer stärker zentralisier-
ten Kontrollinstanz mit sich bringen. Um diese Probleme erfolgreich anzusprechen, wird
es unter anderem nötig sein, gegen die großflächige Entfremdung der Lernenden vom
Bildungssystem und damit von der Hauptströmung der Gesellschaft anzugehen. In der
Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen haben Portfolios und andere Versio-
nen informeller Beurteilung eine wichtige Rolle zu spielen.

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Portfolios für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache


Für den Unterricht DaF/DaZ werden in vielen Ländern Portfolios genutzt, die die Pilot-
versionen des Europäischen Portfolios der Sprachen jeweils altersgemäß adaptieren und
in die Landessprache übertragen (vgl. die Liste der vom Europarat validierten Portfolios in
den einzelnen Ländern: Europarat, Validated Portfolios:
http://www.coe.int/T/DG4/Portfolio/?L⫽E&M⫽/main_pages/portfolios.html).
Zunehmend bieten Lehrbuchverlage begleitend bzw. integriert in das Lehrwerk eigene Versionen
an, vgl. z. B. die Portfolios in zu den Lehrwerken „Optimal“ (Langenscheidt Verlag):
http://www.langenscheidt-unterrichtsportal.de/sprachenportfolio_1457.html und „Team
Deutsch“ (Klett Verlag): http://www.klett.de/sixcms/media.php/71/352641/A08089_
67594001_PORTFOLIO_TD.pdf.
Die Universitäten Bremen und Stuttgart bieten inzwischen auch ein elektronisches Portfolio
(EPOS) an:
http://epos21.demo.fremdsprachenzentrum-bremen.de/portfolio/.
Eine spezifische, sprachliche und beruflichbezogene Dimensionen integrierende Form
stellt das „Sprachen- & Qualifikationsportfolio für MigrantInnen und Flüchtlinge“ (Plut-
zar und Haslinger 2005: http://www.integrationshaus.at/portfolio/) dar.

David Little, Dublin (Irland)


Übersetzung aus dem Englischen von Cordula Politts
XV. Lehrerinnen und Lehrer

148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht


des Deutschen als Zweit- und Fremdsprache
1. Einleitung
2. Der Einfluss kognitionspsychologischer und konstruktivistischer Ansätze auf die Rolle der
Lehrkraft
3. Subjektive Unterrichtstheorien
4. Rollenverhalten von Lehrkräften
5. DaF/DaZ-Ausbildung
6. Institutionelles Umfeld
7. Berufsanforderungen und Berufsbild
8. Ausblick
9. Literatur in Auswahl

1. Einleitung

Obwohl die unterrichtlichen Tätigkeiten von Lehren und Lernen in Terminus und For-
schungsfeld der Sprachlehr/lernforschung nominell gleichberechtigt verwendet werden,
ist in den letzten Jahrzehnten wesentlich mehr Fachliteratur über den Lern- als über den
Lehrprozess publiziert worden (vgl. Art. 119). Dies ist nicht zuletzt ein Resultat des seit
Beginn der 1980er Jahre dominanten lernerzentrierten Ansatzes, der ⫺ völlig zu Recht ⫺
alle unterrichtlichen Maßnahmen einschließlich des Lehrens am Lerner und seinen Be-
dürfnissen ausrichtet. Dennoch steht außer Zweifel, dass der Lehrkraft im institutionel-
len Lehr-Lernprozess eine zentrale Rolle zukommt, ist sie es doch, die die komplexe
alltägliche Unterrichtspraxis auf verschiedenen Ebenen maßgeblich gestaltet. Insbeson-
dere das Lehrerverhalten, die Unterrichtsstruktur, die Sprachkompetenz sowie die Stoff-
darstellung sind Unterrichtsvariablen, deren Einfluss auf das Lernverhalten der Schüler
empirisch gesichert gilt (Bromme 1997: 195). Im Fremd/Zweitsprachenunterricht ist die
Lehrkraft zudem die kulturkompetente Interpretin und einfühlsame Vermittlerin zwi-
schen den in den Unterrichtssprachen repräsentierten Kulturen sowie ⫺ insbesondere
aus Lernerperspektive ⫺ die Personifizierung der Institution.
Nachdem die behavioristisch orientierte Sprachlehrforschung hauptsächlich den Ein-
fluss beobachtbarer Variablen auf das Lehrverhalten und den Lehrprozess untersucht
hatte, gewannen mit dem Paradigmenwechsel vom Behaviorismus zum Kognitivismus in
den 1970er Jahren die subjektiven Auffassungen und Interpretationen des Unterrichtsge-
schehens seitens der Lehrkraft eine große Bedeutung für die Analyse ihres faktisches
Verhaltens im Lehr-Lernprozess (vgl. Art. 99). Diese Tendenz wurde durch den seit den
1990er Jahren zunehmenden Einfluss des Sozialen Konstruktivismus noch verstärkt, in-
dem die vielfältigen Einflüsse des soziokulturellen und institutionellen Umfeldes auf die
konkrete Tätigkeit von Lehrkräften aus subjektiver Perspektive untersucht werden (vgl.
Art. 89 und 90). Angesichts der Komplexität dieser Einflussfaktoren auf den Unterricht
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1325

konzentrieren sich wissenschaftliche Untersuchungen über DaF- und DaZ-Lehren bzw.


über schulische Lehr-Lernverfahren in der Regel auf bestimmte isolierbare Aspekte, ins-
besondere des Lehrerverhaltens, des Lehrerbewusstseins, der Lehrerrolle, der Aus- und
Fortbildung sowie der Qualifikation.

2. Der Einluss kognitionspsychologischer und konstruktivistischer


Ansätze au die Rolle der Lehrkrat

2.1. Kognitionspsychologische Ansätze

Die kognitive Wende der 1960er Jahre brach mit dem Diktum des Behaviorismus, dass
man das Verhalten des Menschen nur im Sinne kontrollierter Reiz-Reaktions-Ketten
beobachten und erklären könne, jedoch das Gehirn des Menschen als unerforschbare
Black Box verstehen müsse, da sich die darin ablaufenden Prozesse einem wissenschaftli-
chen Zugriff entzögen. Kognitionspsychologische Ansätze überwinden dieses mechanisti-
sche Menschenbild, indem sie den Menschen als erkennendes Subjekt verstehen, das sich
aktiv mit seiner Umwelt auseinandersetzt, nämlich durch Prozesse von Wahrnehmung,
Vorstellung, Denken, Urteilen, Schließen und sprachlichem Ausdrucks (Edelmann 2000:
114). Der kognitive Ansatz befasst sich also nicht mehr mit dem Erlernen von Verhaltens-
weisen, sondern mit dem Erwerb von Wissen, seiner Enkodierung und Speicherung sowie
seinem Abruf. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Mensch über informationsverar-
beitende kognitive Strukturen verfügt, um überhaupt lernen zu können (vgl. Art. 89).
Um diese komplexen kognitiven Abläufe erklären zu können, greift die kognitive
Psychologie auf die Metapher des Input-Output- Informationsverarbeitungsmodells eines
Computers zurück, wobei das Gehirn die Hardware und die Kognition die Software
darstellt; von besonderem Interesse sind die internen kognitiven Verarbeitungsprozesse,
die als regelgeleitet verstanden werden. Daher ist es das Hauptanliegen der kognitions-
psychologischen Forschung, diese Regeln, die auch das Fremdsprachenlernen determinie-
ren, experimentell aus dem komplexen Kognitionsapparat heraus zu destillieren, indem
Tests zum optimalen fremdsprachlichen Regellernen durchgeführt werden mit dem Ziel
der Erstellung eines optimalen Instruktionsinventars für die Lehrkraft(für eine umfas-
sende Darstellung dieser Forschungsrichtung vgl. Johnson 2004: 46⫺84); dabei werden
jedoch die Probanden ihrer subjektiven Stimme beraubt und als Objekte des jeweiligen
Lehr-Lernexperimentes instrumentalisiert. Das informationstheoretische Lehr-Lernmo-
dell versteht die Lehrkraft vorwiegend als Lieferantin bedeutungsvoller Informationen,
die hauptsächlich sprachlich vermittelt werden. Diese werden von dem informationsve-
rarbeitenden System des Schülers aufgenommen, in ihrer Bedeutung entschlüsselt, an das
vorhandene Vorwissen angekoppelt und aufgrund bestimmter kognitiver Regeln verar-
beitet, um dann als Wissen im Langzeitgedächtnis gespeichert zu werden, so dass es
jederzeit von dort abgerufen werden kann, z. B. in einer Prüfung.
Dabei wird die Rolle des Lernenden nicht mehr nur als die eines passiven Rezipienten
aufgefasst, sondern er wird auch als aktiver Gestalter des Lernprozesses verstanden, der
die Lerninhalte letztlich subjektiv im Prozess der Informationsverarbeitung strukturiert
und rekonstruiert. Die Lehrkraft fungiert im Lehr-Lernprozess als eine Art Lernberater,
indem sie zunächst einmal die der jeweiligen Lerngruppe angemessenen Lehrmethoden,
1326 XV. Lehrerinnen und Lehrer

Unterrichtsinhalte und didaktischen Verfahren auswählen muss, bevor sie von den Ler-
nenden in gezielten problemlösenden Übungen angewendet werden. Während der
Übungsphasen kommt der Lehrkraft die Funktion zu, die Lernenden bei ihrer Arbeit zu
beobachten, um ihnen ggf. Hilfestellungen zu geben, damit der angestrebte Lernerfolg
eintreten kann.
Aufgrund der Komplexität der fremden/zweiten Sprache und ihres soziokulturellen
Kontextes gilt für den kognitiv orientierten Fremd/Zweitsprachenunterricht, dass die
Lehrkraft bemüht sein muss, erfahrungsbezogene Lernsituationen zu schaffen, in denen
die Lernenden nicht nur die Regeln der anderen Sprache und ihrer kommunikativen
Verwendung, sondern auch die konzeptuelle und kategoriale Organisation des soziokul-
turellen Wissens der anderen Sprachgemeinschaft erlernen können, indem es zu mutter-
sprachlichen und eigenkulturellen Normen, Mustern und Kategorien in Beziehung ge-
setzt wird. In der kognitiven Lernpsychologie geht man davon aus, dass zu erlernende
Inhalte lediglich geeignet strukturiert und repräsentiert werden müssen, um von dem
Lerner adäquat aufgenommen zu werden. Sollte der Lernprozess nicht erfolgreich ver-
laufen, werden die Ursachen dafür der unpassenden Repräsentation (Didaktik, Metho-
dik), dem Medium (Lehrbuchdesign, Unterrichtsstil) oder dem Lernenden (Motivation,
Aufmerksamkeit) zugeschrieben.
Allerdings senden diese kognitiven Informationsverarbeitungsmodelle ein falsches
Signal für den Fremd- und Zweitsprachenunterricht. Es wird nämlich impliziert, dass ein
sukzessives Erlernen der relevanten Regeln automatisch zu einer angemessenen fremd/
zweitsprachlichen Performanz in lebensweltlichen Situationen der fremden Sprachge-
meinschaft führt. Jedoch liegen diesen Verarbeitungsmodellen idealisierende und homo-
genisierende Sichtweisen hinsichtlich menschlicher Kommunikation zugrunde, die die je-
weilige Ambiguität sowie die pragmatische und soziokulturelle Kontextabhängigkeit des
subjektiven Bedeutungsaushandlungsprozesses nicht erfassen können (Bruner 1996: 5).
Die individuelle Kognition ist eben nicht eine autonome, in sich selbst abgeschlossene
Einheit, sondern sie ist in fundamentaler Weise ein soziales Konstrukt. Daher können die
generalisierten kognitiven Regeln, auf denen die Lehrkraft ihre Unterrichtsbemühungen
aufbaut, nur bedingt relevant sein, wenn das erlernte fremdsprachliche Wissen tatsäch-
lich in der alltäglichen Lebenspraxis des fremden Landes angewendet werden soll (Do-
nato 2000). Wells (1999: 90) kommentiert:

[S]uch knowledge, however carefully sequenced and authoritatively presented, re-


mains at the level of information that has little or no impact on students’ under-
standing until they actively engage in collaborative knowledge building to test its
relevance in relation to their personal models of the world and, where possible, its
practical application in action.

2.2. Konstruktivistische Ansätze

Es wäre daher geboten, die Annahmen der Uniformität regelgeleiteter menschlicher kog-
nitiver Prozesse, des Strebens nach Generalisierbarkeit experimentell gewonnener For-
schungsergebnisse, der Existenz einer Wirklichkeit für alle Menschen sowie des idealen
Menschen, der sich in einer externen Realität vermittels eines enormen Informationspro-
zessors mit einer Stimme verhält, zu hinterfragen (Kukla 2000).
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1327

Ein Ansatz, der dies zu leisten versucht, ist der Soziale Konstruktivismus, der seit den
1990er Jahren in Europa und in den USA an Bedeutung für die Erforschung und Praxis
des Fremd/Zweitsprachenunterrichts gewinnt und u. a. auf den lerntheoretischen Theo-
rien Jean Piagets, Lev Vygotskijs und Jerome Bruners basiert. Im Gegensatz zum Kogni-
tivismus geht der Soziale Konstruktivismus von der Einzigartigkeit menschlichen Verste-
hens und Handelns aus, von der Existenz multipler Realitäten und dem menschlichen
Gehirn als autopoetischem System, das jedoch perturbierbar ist. Lernen findet nicht
aufgrund hypostasierter kognitiver Regularitäten statt, sondern Lernen wird als ein kon-
struktiver Prozess verstanden, der auf den subjektiven Erfahrungen und Interessen jedes
einzelnen Lerners aufbaut, der eigene Werte, Überzeugungen, Muster, Gefühle und Vor-
erfahrungen in den Lernprozess einbringt. Wissen existiert also nicht unabhängig vom
einzelnen Lerner; es wird vielmehr immer intersubjektiv-dynamisch generiert und subjek-
tiv konstruiert. Daher wird das instruktionistische Lehrparadigma zunehmend durch das
konstruktivistische Lernparadigma abgelöst.
Lernen entwickelt sich aus subjektiven, letztlich jedoch soziokulturell induzierten
Handlungsintentionen, und Handeln vollzieht sich in sozialen Situationen; es ist somit
immer situativ und kontextuell gebunden. Wenn Lernen als aktives Konstruieren von
Wissensstrukturen verstanden wird, bedingt dies eine Neudefinition sowohl der Rolle des
Lerners als auch des Lehrers in konstruktivistischen Lehr-Lernsituationen. Da Wissen
nicht direkt vermittelt werden kann, soll der Lerner dazu angeregt werden, sein Wissen
aktiv und konstruktiv zu erweitern, d. h. das Konstruktionspotenzial des Lernenden soll
im Unterricht durch reichhaltige, vielfältige, erfahrungsbezogene und bedeutungsvolle
Lern- bzw. Konstruktionsmöglichkeiten gefördert werden. Dabei muss auch die Affekt-
lage des Lernenden berücksichtigt werden, denn: „Affekte wirken wie Schleusen oder
Pforten, die den Zugang zu unterschiedlichen Gedächtnisspeichern öffnen oder schlie-
ßen“ (Ciompi 1997: 97).
Aufgrund der hohen Individualität von Konstruktionsprozessen kann die Lehrkraft
im Klassenzimmer nicht mehr nur von einem richtigen Weg der Wissensvermittlung aus-
gehen, sondern sie muss ein Spektrum verschiedener Lernmöglichkeiten und Lernwege
anbieten, aus dem die Lernenden individuell auswählen und kombinieren können. Der
Lehr-Lernprozess muss daher inhaltlich wie auch methodisch-didaktisch flexibel und
vielseitig gestaltet werden. Erfolgreiches Lernen setzt eine hohe Motivation des Lerners
voraus, die auch durch den Lehrprozess generiert und aufrechterhalten wird, indem Ler-
nende stets zum Hinterfragen angeregt werden, um so ihr Interesse am Lernstoff zu
fördern. Je besser die Lehrkraft den individuellen Lerner kennt, desto besser wird sie die
Lernangebote an seinen spezifischen Erfahrungen, Interessen und Bedürfnisse ausrichten
können. Es wird also kein Transfer fertigen Wissens betrieben, sondern die Auseinander-
setzung mit Erklärungsansätzen regt Lernende dazu an, eigenes Wissen zu konstruieren,
das wiederum auf andere Kontexte übertragen werden kann. Lehren und Lernen sind
somit eher prozess- als produkt- orientiert (vgl. Art. 90).
Lerninhalte stellen nur einen Anreiz zur explorierenden Auseinandersetzung mit ihnen
dar; sie sollten nicht zu sehr didaktisch reduziert werden, da dann der Aspekt der interes-
sierten und explorierenden Auseinandersetzung mit ihnen potenziell limitiert wird. Daher
gilt der Grundsatz, dass die Lerninhalte im Prinzip so komplex sein sollten wie sie in der
Wirklichkeit außerhalb des Klassenzimmers bzw. in der fremden Sprachgemeinschaft
existieren; sie können jedoch gerade im Anfängerunterricht entsprechend der Vorerfah-
rungen und des Vorwissens des Lernenden lernfördernd strukturiert werden.
1328 XV. Lehrerinnen und Lehrer

Eventuell auftretende Lernschwierigkeiten sollten nicht unterdrückt werden, denn sie


sind ein Indikator für die Lehrkraft, sich intensiver und für den Lernenden effizienter mit
dem jeweiligen Thema methodisch-didaktisch auseinanderzusetzen und konstruktiveres
Feedback zu geben. Eine Progression der Lehr-Lerninhalte im Sinne eines schrittweisen
Voranschreitens vom Einfachen zum Komplexen (Harden, Witte und Köhler 2006) gibt
es im Sozialen Konstruktivismus nur sehr bedingt in Form einer Grobstruktur im Sinne
einer „Zone der nächsten Entwicklung“ (Vygotskij 2002: 326), da der Lernende und sein
aktuelles Konstruktionsvermögen im Zentrum des explorierenden Lernens stehen ⫺ und
nicht der Unterrichtsstoff. Das Theorem der „Zone der nächsten Entwicklung“ besagt,
dass die Lerninhalte moderat über den aktuellen Konstruktionshorizont des Lernenden
hinausweisen sollten, so dass der Lerner das neue Wissen auf der Basis bekannten Wis-
sens zwar noch nicht selbständig erschließen kann, es jedoch unter einfühlsamer Anlei-
tung der Lehrkraft und in Zusammenarbeit mit den Mitlernenden für sich selbst entdeckt
und entsprechend (re)konstruiert. Insofern, so formuliert Vygotskij gegen Piagets kogni-
tives Entwicklungsmodell, „hat die Zone der nächsten Entwicklung unmittelbarere Be-
deutung für die Dynamik der intellektuellen Entwicklung und des Lernerfolgs als das
aktuelle Entwicklungsniveau“ (Vygotskij 2002: 327).
Die Informationen werden im Unterricht nicht von der Lehrkraft vorgegeben, son-
dern sie werden von den Lernenden kollektiv und individuell, zusammen mit der Lehr-
kraft, in verschiedenen Formen und Herangehensweisen aufgearbeitet, um ein möglichst
umfangreiches Repertoire von Lernwegen bereitzustellen. Dabei wird auf das Kollektiv
der Lerngruppe rekurriert, denn die Mitlernenden können gegebenenfalls kollektiv ein
alters- und problembezogen adäquateres Lerngerüst effektiver konstruieren und dann
individuell umsetzen, als es die Lehrkraft kann, da alle Lernenden mit verschiedenen
Perspektiven und unterschiedlichem Konstruktionspotenzial (Lernstrategien, Problemlö-
sungsstrategien, soziale Strategien usw.) das gleiche Problem diskursiv und argumentativ
in Prozessen der kooperativen Bedeutungsaushandlung zu lösen versuchen (Donato
1998); dabei können die Lernenden im problembezogenen Austausch ihren jeweiligen
Erfahrungsschatz einbringen. Durch die Wiedergabe von Einsichten und Erkenntnissen
in eigenen Worten sowie Kommentare und Korrekturen von Mitlernenden wird eine
Neustrukturierung der Erkenntnisse gefördert, die auch den leistungsfähigeren Lernen-
den hilft (Mercer 1995: 89).
Dieses Konzept der Ko-Konstruktion von Wissen, das von kognitiven Lernmodellen
ignoriert wird, ist besonders relevant für den Fremd/Zweitsprachenunterricht, da sprach-
liches Wissen nicht nur durch kognitive Anstrengung erworben wird, sondern auch durch
sozial-affektive Interaktionsprozesse. Das Klassenzimmer wird somit zu einem soziokul-
turellen Raum, in dem aktive Teilhabe an der Fremd/Zweitsprache und deren soziokultu-
rellen Kontext ermutigt, erprobt und kultiviert wird; daher muss das Klassenzimmer
so gut wie möglich die soziokulturellen Wirklichkeiten reflektieren. Ein so angelegter
kooperativer und explorativer Fremd- oder Zweitsprachenunterricht hat das Potenzial,
die linguistisch konzeptualisierten und kulturell präfigurierten narrativ-diskursiven Ty-
pen von monokulturellen Identitätskonstrukten grundlegend zu erschüttern und in inter-
kultureller Weise zu beeinflussen (Block 2007, Witte 2008). Daher ist seitens der Lehr-
kraft sicherzustellen, dass den fremdkulturellen Deutungsmustern und gesellschaftlichen
Handlungsnormen gebührender Raum und vor allem erfahrungsbezogene Lernmöglich-
keiten eingeräumt werden, damit den Lernenden die Handhabe zur bewussten Konstruk-
tion einer sinnvollen polyphonen Identität vermittelt wird ⫺ verstanden als permanenter
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1329

kognitiver, affektiver sowie sozialer und psychischer Prozess, nicht als statische Gegeben-
heit (Altmayer 2004; Witte 2009).
Die Verantwortung für das Lernen wird allmählich vom Lehrer auf den Lerner verla-
gert, der seinen konstruktiven Lernprozess zunehmend selbst steuert. Eine ideale Lehr-
kraft, die diese Art von Lernerautonomie ermöglicht, verfügt über die Fähigkeit, Aufga-
ben zielgruppengerecht auszuwählen und aufzubereiten, den Zeitpunkt von Interventio-
nen angemessen auszuwählen, mit den Lernenden auszuhandeln, wie (und was) sie lernen
möchten, ehrliches und unterstützendes Feedback zu leisten, auf einzelne Lerner einzuge-
hen, andere Ansichten gelten zu lassen sowie sprachbezogene (accuracy) und mitteilungs-
bezogene (fluency) Aufgaben ausgewogen zu verwenden.
Die hohe Individualität von Sprachlernprozessen lässt aus konstruktivistischer Sicht
kollektive Lernkontrollen wie Tests, Klassenarbeiten oder Prüfungen unsinnig erschei-
nen, sofern sie an alle Lernenden die gleiche Erwartungshaltung stellen. Eine Bewertung
subjektiver Leistungen nach objektiven Urteilskriterien ist bezüglich des tatsächlich er-
weiterten subjektiven Konstruktionspotenzials jedes einzelnen Lernenden wenig aussage-
kräftig; sie könnte höchstens Indikatoren für die Lehrkraft bieten, wo die Lehr-Lernsi-
tuationen noch optimierbar ist. Daher sind die Desiderate eines genuin konstruktivisti-
schen Lehr-Lernmodells nur schwer mit der gesellschaftlichen Selektionsfunktion der
Institution Schule vereinbar.

3. Subjektive Unterrichtstheorien

Obwohl also die Stellung und Funktion der Lehrkraft nun als weniger wichtig für den
Lernerfolg angesehen wird als noch im Kognitivismus, hat dennoch die Persönlichkeit
der Lehrkraft samt ihrer Einstellungen, Handlungen und Haltungen einen zentralen Ein-
fluss auf das Lehr-Lern-Arrangement, ist sie es doch, die die lerngünstigen Arrangements
vorbereitet und zur Verfügung stellt. Auch wenn sie dabei wissentlich schülerorientiert
vorgeht, wird sie in nicht unerheblicher Weise von bestimmten biografisch konstituierten
Motiven, Erwartungen und Werten sowie von ihrem fachlichen und psychologischen
Wissen geleitet (Krapp und Weidenmann 2001: 299⫺304).
Aspekte von individuellem Lehrerbewusstsein und -handeln rücken daher im kon-
struktivistischen Lehrparadigma ins Zentrum des Interesses, das den mentalen und affek-
tiven Konstruktionsprozessen der individuellen Lehrkraft einen entscheidenden Einfluss
auf ihr Lehrverhalten zubilligt. Forschungsarbeiten dieser Richtung haben ergeben, dass
für das faktische Unterrichtshandeln der Lehrkräfte ihre subjektiven Unterrichtstheorien
(auch psychologisches Alltagswissen, naive Verhaltenstheorie, träges Wissen, implizite
Theorie, intuitive Theorie, pragmatische Alltagstheorie, Berufstheorie, Lehrertheorie u. a.
genannt) von zentraler Bedeutung für ihr faktisches Lehrverhalten sind. Das Theorem
der subjektiven Unterrichtstheorie basiert auf der Prämisse, dass im Rahmen des zielge-
richteten Handelns die Lehrkraft ihren Handlungsraum aktiv-kognitiv konstruiert; das
heißt, dass sie die oft mehrdeutigen, rasch wandelbaren, teilweise unvorhersehbaren und
immer kontextabhängigen Situationen, mit denen sie im Unterrichtsprozess konfrontiert
wird, fortlaufend analysiert, interpretiert und in bestimmter Weise rekonstruiert, um
schließlich eine subjektive Handlungslinie zu entwickeln, die durch ihre Realisierung wie-
derum neue Unterrichtssituationen schafft.
1330 XV. Lehrerinnen und Lehrer

Bei diesem komplexen Handlungsprozess und unter akutem Handlungsdruck greifen


die Lehrkräfte spontan auf Wissensbestände zurück, die nur zu einem Teil in der forma-
len Lehrerausbildung, teilweise auch schon vorher durch Erfahrungen in der eigenen
Schulzeit und zum großen Teil erst durch die eigene Lehrpraxis erworben wurden (Dann
1989: 82). Diese subjektiven Konstrukte der unterrichtsbezogenen Selbst- und Weltsicht
der Lehrkräfte bilden ein komplexes Aggregat mit zumindest impliziter Argumentations-
struktur, das durch die alltägliche Unterrichtspraxis permanent modifiziert wird. Sie ha-
ben sich als erstaunlich resistent gegenüber der Vielzahl von theoretischen Ansätzen und
Impulsen in der Fremdsprachendidaktik erwiesen. Der Terminus „Theorie“ impliziert,
dass die subjektiven Konstrukte untereinander in Verbindung stehen und strukturell wie
funktional Schlussfolgerungen wie bei wissenschaftlichen Theorien zulassen (Groeben
1988: 18). Subjektive Unterrichtstheorien werden jedoch im Unterrichtshandeln ohne
bewusste Steuerung eingesetzt. Sie werden im Verlauf der beruflichen Karriere durch
Wiederholungen immer stärker komprimiert und stehen der Lehrkraft als Situations-
und Handlungsklassen (Wahl 1991) zum schnellen Abruf zur Verfügung.
Grotjahn (2005: 42) listet sieben Definitionsmerkmale des Konstrukts „Subjektive
Theorie“ auf, nämlich 1. ihre relativ stabilen kognitiven Strukturen der Selbst- und Welt-
sicht; 2. ihre nur teilweise bewusstseinsfähigen Kognitionen; 3. ihre wissenschaftlichen
Theorien analoge Struktureigenschaften (z. B. Argumentationsstruktur); 4. ihre analog
zu wissenschaftlichen Theorien zu erfüllenden Funktionen (a) der Realitätskonstituie-
rung in Form von Situationsdefinitionen, (b) der Erklärung (und auch Rechtfertigung)
von Sachverhalten; (c) Vorhersage von Sachverhalten; (d) Konstruktion von Handlung-
sentwürfen zur Herbeiführung von Sachverhalten; 5. ihre im Zusammenspiel mit anderen
Faktoren (z. B. Persönlichkeitsmerkmale, Emotionen) beobachtbare Beeinflussung von
Verhalten/Handeln (verhaltens- bzw. handlungsleitende Funktion); 6. ihre aktualisier-
und rekonstruierbare Qualität; 7. die Notwendigkeit der Prüfung der Akzeptabilität von
Subjektiven Theorien als ,objektive‘ Erkenntnis.
Da die subjektiven Unterrichtstheorien entsprechend der unterschiedlichen soziokul-
turellen, institutionellen und sozialisatorischen Bedingungen individuell verschieden de-
terminiert sind ⫺ eben subjektiv ⫺, kann man sie nur höchst problematisch erheben und
validieren. Dies trifft umso mehr zu, da jeder Augenblick des Unterrichts eine Vielzahl
von simultanen kognitiven, affektiven und motorischen Handlungen sowohl auf Schüler-
als auch auf Lehrerseite enthält, die nicht nur in sich außerordentlich komplex geartet,
sondern auch in einem vielschichtigen Beziehungsgeflecht miteinander verwoben sind.
Die wissenschaftlichen Zugriffsmethoden konzentrieren sich daher nur auf bestimmte
Aspekte der komplexen subjektiven Unterrichtstheorien in der Annahme, sich diesen so
weit annähern zu können, dass sie für den wissenschaftlichen Diskurs bis zu einem be-
stimmten Grad verwendbar und verallgemeinerbar zu machen seien; so wurden wissen-
schaftliche Arbeiten vorgelegt zu Themen wie „Förderung von Schülern“ (Treiber 1980),
„Aggression in der Schule“ (Dann et al. 1985), „Leistungs- und Störungsepisoden im
Unterricht“ (Wahl et al. 1983), „Bewusstseinskonflikte im Schulalltag“ (Wagner et al.
1984), „Aufgreifen von Schüleräußerungen“ (Koch-Priewe 1986) u. a.
Die Entwicklung subjektiver Unterrichtstheorien verläuft durchaus nicht immer grad-
linig und unproblematisch, sondern auch zirkulär und „verknotet“, wie Wagner (1984,
2003) in ihren Untersuchungen nachgewiesen hat. Gerade in schwierigen Situationen der
Unterrichtsführung versuchen Lehrkräfte, sich an selbst erstellte Imperative zu halten
(„Ich muss diese Stunde pünktlich beenden“ oder „Ich darf nicht unsicher wirken“), die
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1331

auf eine eingeschränkte subjektive Wahrnehmung und Analyse der aktuellen Gesamtsitu-
ation zurückzuführen sind, was wiederum zu verstärkter, oft selbst inszenierter Spannung
und Angst führt, die eine differenzierte Wahrnehmung und Lösung von Unterrichtsprob-
lemen erschwert.
Auch wenn die subjektiven Unterrichtstheorien einer Lehrkraft im Prinzip verände-
rungsresistent sind, können sie dennoch modifiziert werden (Dann 1994: 174⫺175).
Dazu ist eine gründliche Explizierung des subjektiv-theoretischen Wissens der Lehrkraft
ebenso eine Voraussetzung wie eine nachhaltige Konfrontation des Lehrenden mit neuen
Theoriebeständen zu der jeweiligen Thematik bzw. Problematik, ggf. auch in Form von
neuem Wissen anderer Lehrkräfte, so dass sie auch als subjektiv relevant von der betref-
fenden Lehrkraft rekonstruiert werden. Schließlich muss sich das neue Wissen als geeig-
neter für die Problemlösung als die bisherigen Subjektiven Unterrichtstheorien bewäh-
ren, indem sie in gezielt herbeigeführten Situationen angewendet werden. Dann (1994:
174) nennt in diesem Zusammenhang gedankliches Vorwegnehmen, Beobachtung von
Modellpersonen, spielerisches Handeln in hypothetischen Situationen und Probehandeln
unter erleichterten sowie realen Situationen, so dass nach entsprechender Einübung und
Bewährung es schließlich zu einer Routinisierung der nunmehr verbesserten Handlungs-
vollzüge kommen kann.

4. Rollenverhalten von Lehrkräten

Während Lehrkräfte durch routiniertes Verhalten ihre bewusste Aufmerksamkeit entlas-


ten können, um sich bewusst bestimmten Teilaspekten des Unterrichts widmen zu kön-
nen (Bromme 1992), ist für die Lernenden eine gewisse wahrnehmbare Stabilität und
Vorhersagbarkeit des Lehrerverhaltens gegeben, die einen Teil des beiderseitigen Rollen-
verhaltens begünstigt. Dabei hat die Lehrerrolle eine prägende Funktion für die Schüler-
rolle im Sinne einer Bezug nehmenden definitorischen Reaktion, während dies umge-
kehrt nur in einem eingeschränkten Maße gilt (Gößling 1978: 121).
Der soziologische Begriff der Rolle wurde aus der Schauspielkunst abgeleitet: Ein
guter Schauspieler bringt einen Teil seiner Persönlichkeit in die Darstellung einer Rolle
ein, ohne sich jedoch dabei als Person aufzugeben oder gar in der Rolle zu verlieren;
nach der Vorstellung ist er wieder „er selbst“. Das Manuskript schreibt vor, wie er in der
Rolle zu handeln hat und wie die anderen handeln werden; gegenseitige Erwartungen
werden nicht enttäuscht, denn das Handeln ist von vornherein geregelt. Wie vom Schau-
spieler wird vom Träger einer sozialen Rolle verlangt, dass er diese Rollenerwartungen
unbedingt erfüllt; tut er dies nicht, sinkt sein Prestige und er wird dazu angehalten, ein
rollenadäquates Verhalten auszuüben. Die Rolle existiert also unabhängig vom jeweiligen
Träger, ihr Inhalt wird von der Gesellschaft bestimmt und rollenabweichendes Verhalten
wird ggf. mit Sanktionen belegt.
Lehrer und Schüler definieren sich nicht nur durch ihre individuelle Begegnung im
aktuellen Lehr-Lernprozess, sondern auch und gerade als Inhaber sozial und institutio-
nell vermittelter Rollen. Viele verschiedene und komplexe Faktoren sowohl hinsichtlich
interpersonaler Aspekte (Status, Position, Haltungen und Werte) als auch aufgabenbezo-
gener Aspekte (Erwartungen bezüglich der Art von Lernaufgaben, Wege zur Bewältigung
der Lernaufgaben, Lernkontrolle und -bewertung) beeinflussen die Rollen, die Lehrer
1332 XV. Lehrerinnen und Lehrer

und Schüler im Klassenzimmer einnehmen (Wright 1987). Eine Würdigung dieser Fakto-
ren ist grundlegend für das Verständnis von Lehr- und Lernaktivitäten, denn Kommuni-
kation in Rollenverhältnissen geschieht oft in spezieller Weise, indem ihre Form standar-
disiert und ritualisiert ist (McCarthy 1991). Gerade Lehrkräfte, die langfristig in der
Praxis tätig sind, beklagen sich über die massiven Einschränkungen des Lehr-Lernpro-
zesses, denen sie ⫺ zumindest im öffentlichen Schulwesen Deutschlands ⫺ als vereidigte
Staatsbeamte unterworfen sind. Ihnen wird lediglich eine moderate pädagogische Frei-
heit im Rahmen staatlich genehmigter Lehrwerke und zu erfüllender Lehrpläne gewährt.
Schüler nehmen die Lehrkraft als mit Disziplinargewalt versehene Repräsentantin der
Institution Schule wahr, deren Interesse nicht der Person des individuellen Schülers gilt,
sondern der Erfüllung eines abzuarbeitenden vorgegebenen Lehrplanprogramms sowie
der Kontrolle und Bewertung von Schülerleistungen. Nach einem etwa zwanzigjährigen
Rollentraining als Schüler haben einige Lehrkräfte, insbesondere in der beruflichen An-
fangsphase, wiederum Probleme mit dieser reziproken Rollenzuweisung, die sich in Rol-
lenunsicherheit und Rollenkonflikten niederschlagen kann (Mönnighoff 1992).
Darüber hinaus werden Lehrkräfte permanent mit einer Vielzahl divergierender Rol-
lenerwartungen von ihren Interaktionspartnern (Schüler, Eltern, Kollegen, Vorgesetzte,
Schulaufsichtsbeamte u. a.) konfrontiert, was sich im Kontext mangelnder Möglichkeiten
der Überprüfung, inwieweit sie persönlich diesen Erwartungen entsprechen, konflikthaft
auf die eigene Rollenwahrnehmung und -ausübung auswirken kann. Die rollenbedingte
Auseinandersetzung der Lehrkraft mit diesen diversen Interaktionspartnern kann wider-
sprüchliche Rollenerwartungen hervorrufen, was wiederum den Rolleninhaber unter Rol-
lendruck setzen kann. Eine Lehrkraft, die z. B. das Kind eines engen Freundes oder des
Schuldirektors in der Klasse unterrichtet, muss sich diesem Schüler gegenüber genauso
verhalten wie gegenüber allen anderen Schülerinnen und Schülern, ohne sich von seinen
Abhängigkeiten korrumpieren zu lassen; dies kann Rollenkonflikte bis hin zum Rollen-
stress verursachen.
Rollenkonflikte können jedoch auch aus der Rolle selbst entstehen. Während sich die
Lehrerrolle in dem kognitivistischen Lehr-Lernmodell hauptsächlich auf Instruktion und
Beurteilen beschränkte (Gudjons 2001: 257), sind die Rollenerwartungen inzwischen we-
sentlich erweitert worden, da die Lehrkraft als Lern-Initiator nunmehr auch geplante
und organisierte Lerngelegenheiten schaffen muss. Gleichzeitig muss sie sensibel für das
Konstruktionspotenzial jedes einzelnen Lernenden sowie für seine außerschulischen
Probleme sein; zudem muss sie konsequent in der Notenvergabe, konstruktiv in ihrem
Feedback sowie jederzeit souverän und beherrscht in ihrem Verhalten sein. Dies kann zu
einer permanenten Rollenüberforderung führen, die sich häufig in einem Burn-Out Syn-
drom niederschlägt.
Lehrer und Schüler begegnen sich in der Institution Schule nicht auf freiwilliger Basis,
sondern in einem vorweg definierten Beziehungsverhältnis, das höchst asymmetrisch ist.
Auch wenn die Lehrkraft bereit wäre, ihre sozial-institutionelle Rolle als Lehrkraft zu-
gunsten ihrer didaktischen Lehrerrolle im Interesse eines emanzipatorischen Unterrichts
zurückzunehmen, so kann sie dennoch nicht mit ihren Schülerinnen und Schülern auf
wirklich gleicher Ebene interagieren, da die Lehrkraft immer zugleich als Bewertungs-
und Kontrollinstanz fungiert; zumindest aus Lernerperspektive nimmt sie die Äußerun-
gen der Lernenden stets auch unter dem Aspekt einer gewissen Notenrelevanz auf. An
diesem institutionell begründeten Rollendilemma können letztlich progressive Konzepte
eines kommunikativen DaF/DaZ-Unterrichts scheitern, die von einer symmetrischen
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1333

Kommunikationsbasis der Beteiligten ausgehen, denn der fremd/zweitsprachliche Dialog


im Klassenzimmer ist zumeist ein elliptischer Pseudodialog.
Eine stabile Rollenerwartung, die Lehrkräfte, Eltern, Vorgesetzte und Lernende glei-
chermaßen an die Fremd/Zweitsprachenlehrkraft stellen, ist jene als selbstbewusste und
interkulturell kompetente Fremd/Zweitsprachenbenutzerin. Die sichere Beherrschung
der Zielsprache samt ihres soziokulturellen Kontextes ist die allgemeinste und wichtigste
Grundlage jeglichen Bewusstseins von Fachkompetenz, die sich nicht nur in konstrukti-
vem Selbstrespekt der Lehrkraft, sondern auch in der Anerkennung der Lehrerpersön-
lichkeit von Lernern, Kollegen und im außerschulischen Bereich manifestiert sowie moti-
vationale Bedeutung für Lernende hat, sofern die Sprach- und Kulturkompetenz nicht
von der Lehrkraft als Mittel zur Demonstration eigener Überlegenheit missbraucht wird
(Wright 1991: 68⫺69). Sichere Sprachbeherrschung und ein hohes Maß an interkulturel-
ler Kompetenz machen die Lehrkraft zudem im Unterrichtsprozess frei für ein einfühlsa-
mes didaktisch-methodisches Eingehen auf die Lernergruppe bzw. auf einzelne Lernende
und deren Lernprobleme, während sich andererseits Sprachunsicherheit und mangelnde
interkulturelle Kompetenz verhängnisvoll auswirken kann: Sie kann auf Lehrerseite zu
Rollenunsicherheit und Angst führen, während sie auf Lernerseite in Gleichgültigkeit
gegenüber der anderen Sprache und ihrem kulturellen Kontext umschlagen und entspre-
chend demotivierend wirken kann. Insofern trägt die sichere Beherrschung der Zielspra-
che und ihres soziokulturellen Kontextes nicht nur zu einem stabilen Rollenverständnis
bei, sondern sie nimmt auch eine wichtige Funktion als Faktor zur Schaffung und Beibe-
haltung lernerseitiger Motivation im Lernprozess ein (Alfes 1982). Es ist daher erstaun-
lich, dass es bislang kaum Untersuchungen gibt, die sich mit den Auswirkungen ziel-
sprachlicher und zielkultureller (In-)Kompetenz der Lehrkraft auf den Unterricht und
den Lehr-Lernprozess befassen.

5. DaF/DaZ Ausbildung
Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als
Zweitsprache (DaZ) existieren an fast allen Universitäten im deutschsprachigen Raum
(vgl. Art. 149). Im Hinblick auf die skizzierten Rollenanforderungen wäre es wichtig,
dass folgende Bereiche durch das Studium abgedeckt werden: Spracherwerbstheorien,
Erstsprachenerwerb, Zweitsprachenerwerb (gesteuert und ungesteuert), Fremdsprachen-
erwerb/Fremdsprachenlernen (gesteuert), linguistisches sowie psychologisches und päda-
gogisches Grundlagenwissen, Didaktik des Deutschen als Fremdsprache (Grammatik,
Wortschatz, Aussprache, Lektüre), Unterrichtsplanung, Unterrichtsbeobachtung und ⫺
analyse, Lehr- und Lernmittelanalyse, Landeskunde der deutschsprachigen Länder, In-
terkulturalität, Literatur, Fachsprachendidaktik, Fehleranalyse und -korrektur, Testen
und Bewerten.
Spezifische Ausbildungsangebote für Deutsch als Zweitsprache existieren überwie-
gend in Form von Zusatzausbildungen, d. h. als Qualifikationsmöglichkeit für angehende
oder bereits praktizierende Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen. Ihre Einrichtung
ist motiviert durch die Tatsache, dass der Unterricht im Regelfall von Schülern und
Schülerinnen unterschiedlicher ethnischer Herkunft besucht wird (vgl. Art. 122 und
Art. 124). Die Absolventen dieser Studiengänge sollen in die Lage versetzt werden, Un-
terricht in multi-ethnischen Lernumgebungen zu erteilen. Eine derartige Lehr-Lernsitua-
1334 XV. Lehrerinnen und Lehrer

tion mit ihrer z. T. extremen sprachlichen und kulturellen Heterogenität stellt in zweifa-
cher Hinsicht eine Herausforderung für die Lehrkraft dar: Der Unterricht muss einerseits
garantieren, dass alle Lernenden in der multikulturellen Gesellschaft handlungsfähig
sind, und er muss andererseits den jeweils spezifischen Bedürfnissen eines jeden Schülers
Rechnung tragen. Daraus ergibt sich ein pädagogischer Maßnahmenkatalog, der neben
der Entwicklung des Deutschen als Zweitsprache und der Förderung muttersprachlichen
Lernens auch die Problematisierung von Ethnozentrismus, die Analyse unterschiedlicher
Wertekanons und Verhaltensnormen umfassen muss.
Die Erwartungen im Bereich der Pädagogik sind ähnlich anspruchsvoll. Die Konzepte
von Erziehung und Sozialisation müssen aus einer interkulturellen Perspektive analysiert
werden können und ihre Auswirkung auf die institutionellen Bedingungen und die päda-
gogischen Vorgaben sollen auf dieser Basis evaluiert werden können. Hinzu kommen
noch alltagspraktische Überlegungen hinsichtlich der aktuellen Gestaltung eines Unter-
richts in multilingualen und multikulturellen Lerngruppen (vgl. Art. 125). Um diesen
Anforderungen gerecht zu werden, muss die Lehrkraft Kenntnisse bezüglich der sozialen,
wirtschaftlichen, kulturellen, rechtlichen, religiösen und politischen Folgen von Migra-
tion erwerben. Eine Beschäftigung mit der Theorie und Geschichte der Migration, mit
Fragen der Nation und des Rassismus werden daher als Grundlagenwissen vorausgesetzt.
Während für die Schule erst in jüngster Zeit nicht nur Zusatzangebote, sondern auch
Pflichtmodule im Bereich Deutsch als Zweitsprache angeboten werden, ist die Erwachse-
nenbildung einen Schritt weiter: Für das Unterrichten in den sog. Integrationskursen
wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz zunehmend eine entsprechende Fach-
qualifikation vorausgesetzt (vgl. Art. 121 und 151).

6. Institutionelles Umeld
Das institutionelle Umfeld von DaF und DaZ ist sehr unterschiedlich. Während bei
Deutsch als Zweitsprache sämtliche Lebensstadien vom Kindergarten bis zur Erwachse-
nenbildung abgedeckt werden müssen (Billmann-Macheta und Kölbl 2007: 684⫺685),
beschränkt sich die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache weitestgehend auf den
Sekundarbereich und die sich daran anschließenden Felder der Fort- und Weiterbildung.
Diese Unterschiede sind jedoch von geringerer Relevanz als die jeweiligen Lernerpo-
pulationen. Der DaF-Unterricht wendet sich zumeist an homogene Gruppen von Schü-
lern in Regelschulen, die bereits über eine gewisse Grundausbildung verfügen (d. h. in
ihrer jeweiligen Muttersprache die entsprechenden Curricula durchlaufen haben) oder an
Lernende, die freiwillig an den entsprechenden Institutionen (z. B. Goethe-Institut)
Deutsch lernen. Da die deutsche Sprache nach wie vor den Ruf hat, schwierig zu
sein, hat man bei DaF-Lernenden im Ausland häufig bereits eine motivierte, ehrgeizige
und z. T. sehr leistungswillige Lernerpopulation mit oft auch einem überdurchschnittli-
chen Bildungshintergrund (Harden 1989). Neben fundierten Kenntnissen der deutschen
Grammatik erwarten Lernende dieses Typs dementsprechend umfassende Kenntnisse vor
allem der deutschen Geschichte, Kultur und Politik sowie der der Sprache unterliegenden
kulturellen Deutungsmuster (Altmayer 2004).
Die Lernergruppen bei Deutsch als Zweitsprache sind dagegen meist deutlich ver-
schieden von den oben beschriebenen, was sich häufig bereits innerhalb der Vorschul-
erziehung zeigt, die in vielen Bundesländern in der Form von Sprachförderprogrammen
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1335

integraler Bestandteil der Curricula ist (vgl. Art. 120). Nicht nur die teilweise extreme
linguistische Heterogenität hinsichtlich der Muttersprachen in den Lerngruppen stellt ein
Problem dar. Darüber hinaus gibt es Schwierigkeiten, die in den sozialen und ethnischen
Unterschieden ihre Wurzeln haben. Die DaZ-Lehrkraft muss daher auf jeden einzelnen
Schüler eingehen und seine Lernprobleme diagnostizieren, um ihn sodann von dort abzu-
holen, wo er sich im Lernkontext gerade befindet. Dies ist umso schwieriger, als Ler-
nende sich immer auch in einer ungesteuerten Spracherwerbssituation befinden, da sie
im Alltag vielerlei Kontakt mit der Zweitsprache haben. Daher kann der DaZ-Unterricht
keine systematisch lineare Progression verfolgen, sondern muss durch eine zyklische Pro-
gression sicherstellen, dass die Lehrkraft tatsächlich alle Lernenden erreicht.
Weitere wichtige, allerdings häufig unterschätzte Faktoren sind die geplante Verweil-
dauer, die Situationsdefinition der Beteiligten sowie die Freiwilligkeit des Aufenthaltes.
Das Verlassen der Heimat geschieht nicht selten unter Zwängen, über deren Natur zu
spekulieren hier nicht der Ort ist. Manchmal ist eine Rückkehr geplant, was die aktuelle
Situation als vorübergehendes Provisorium erscheinen lässt. Die Motivation, sich mehr
als gerade überlebensnotwendig auf die Zielsprache und -kultur einzulassen, ist dann
möglicher Weise relativ gering. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich bereits sprach-
lich-kulturelle „Sub-Kulturen“ gebildet haben, d. h. ein gewohntes soziales Umfeld in
der Herkunftssprache existiert (Kniffka und Siebert-Ott 2008). Werden in einer solchen
Situation von staatlicher Seite weitergehende Integrationsbemühungen verlangt, z. B.
durch die Bindung von Aufenthaltsbewilligungen an bestimmte sprachliche Mindestan-
forderungen, dann kann mit einer eher defensiven, dem Lernprozess wenig förderlichen
Haltung seitens der Lernenden gerechnet werden. Diese Ablehnung kann durch religiöse
und weltanschauliche Grundmuster verstärkt werden, vor deren Hintergrund die Zielkul-
tur (und damit auch die Sprache) nicht nur als äußerst fragwürdig erscheint, sondern
darüber hinaus möglicherweise sogar mit dem gewohnten Wertekanon derart kollidiert,
dass eine grundsätzliche Ablehnung zwangsläufig ist (vgl. dazu auch Bommes und
Radtke 1993; Harden 2000; vgl. Art. 121). Der Lehrer kann dann in eine Situation gera-
ten, von den Lernenden vor allem als Repräsentant der staatlichen Institutionen betrach-
tet zu werden, was negative Rückwirkungen auf die Offenheit der Lehr-Lernsituationen
haben kann.

7. Berusanorderungen und Berusbild


Die Anforderungen, die an Unterrichtende von Deutsch als Fremd- und Deutsch als
Zweitsprache gestellt werden, sind also bei weitem nicht so einheitlich, wie es der gemein-
same Nenner, nämlich das Vermitteln der deutschen Sprache, vielleicht vermuten lässt.

7.1. Deutsch als Fremdsprache

Im Bereich DaF stehen die konzeptionellen, theoretischen und methodischen Grundla-


gen von Interkulturalität, von Sprach- und Kulturbeschreibung sowie von Sprach- und
Kulturvermittlung in interkulturellen Kontexten im Vordergrund. Besondere Bedeutung
haben die Reflexion und Analyse der kontextspezifischen Adaption von Methoden und
1336 XV. Lehrerinnen und Lehrer

wissenschaftlichen Erkenntnissen in den Problemfeldern der interkulturellen Sprach- und


Kulturvermittlung. Die einschlägigen DaF-Studiengänge bereiten die Absolventen vor
allem auf Tätigkeiten innerhalb von privaten und öffentlichen Institutionen der Sprach-
und Kulturvermittlung vor (z. B. Goethe-Institut, Volkshochschule, Lektorate an Uni-
versitäten). Besonderes Gewicht wird in der Regel auf fundierte Kenntnisse hinsichtlich
der Fragestellungen zu Konzepten, Methoden und theoretischen Grundlagen von Inter-
kulturalität, Sprach- und Kulturbeschreibung und -vermittlung gelegt mit dem Ziel, auf
dieser Basis fachwissenschaftlicher Kenntnisse und Methodenkompetenz in der Entwick-
lung und Evaluation von Programmen und Projekten in der internationalen Zusammen-
arbeit mitzuwirken.
Da die Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache zumeist im Ausland stattfindet,
ist neben der oben erwähnten fachlichen Kompetenz für die erfolgreiche Ausübung der
Tätigkeit ein hohes Maß and Einfühlungsvermögen, Flexibilität und Belastbarkeit erfor-
derlich. Die DaF-Lehrkaft muss über gute Sprachkenntnisse hinaus auch über eine fun-
dierte soziokulturelle Doppelkompetenz in beiden beteiligten Sprachkulturen verfügen,
so dass sie im Sinne des konstruktivistischen Lehr-Lernparadigmas den Lernenden in
einfühlsamer Weise Möglichkeiten nicht nur einer zielsprachlichen, sondern auch einer
interkulturellen Progression eröffnen kann (Witte 2006, 2009).

7.2. Deutsch als Zweitsprache


Wie bereits oben ausgeführt, werden Lehrende des Deutschen als Zweitsprache mit deut-
lich anderen Problemfeldern konfrontiert. Lehrende in diesem Bereich müssen in der
Lage sein, sprachlich und kulturell z. T. extrem heterogene Gruppen zu unterrichten. Sie
müssen zudem über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, die es ihnen erlauben, die
sprachlichen Leistungen der Lernenden vor dem Hintergrund ihrer jeweils spezifischen
Situation zu beurteilen und angemessene Fördermaßnahmen zu initiieren. Darüber hi-
naus müssen sie in der Lage sein, die kulturellen Voraussetzungen des Lernerverhaltens
zu verstehen und in multilingualen und multikulturellen Gruppen gemeinsames Lernen
zu ermöglichen. Duxa (2001) hebt in ihrer Studie zum professionellen Selbstverständnis
von DaZ-Lehrenden in der Weiterbildung das spezifische Anforderungsprofil hervor und
weist auf den Widerspruch zwischen den zunehmenden Anforderungen und den fakti-
schen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten hin. Sie plädiert für eine „kollaborative
Lehrerforschung“ als entscheidenden Beitrag zur professionellen Entwicklung (Duxa
2001: 462⫺467; vgl. auch Art. 153).

8. Ausblick
Die Erforschung der Rolle des Lehrers und der Lehrerin im Unterricht insbesondere des
Deutschen als Fremdsprache ist immer noch sehr eurozentrisch ausgerichtet, was sich
u. a. in Publikationen niederschlägt, die Kompetenzen und Funktionen einer idealen
Lehrkraft in einem Kontext der Ersten Welt postulieren, der jedoch keine universale
Gültigkeit beanspruchen kann. Es wäre also notwendig, erstens auf die Realität der
Fremd/Zweitsprachenlehrkraft samt den restriktiven Umweltbedingungen vor Ort zu fo-
kussieren und zweitens empirische Untersuchungen zu kulturangemessenen Adaptionen
148. Die Rolle des Lehrers/der Lehrerin im Unterricht 1337

von Unterrichtsverfahren durchzuführen, die die alltägliche DaF/DaZ-Unterrichtspraxis


in ihrem soziokulturellen Bedingungsgefüge einschließlich der subjektiven Interpretatio-
nen des Unterrichts analysieren (vgl. Art. 105). Geschähe dies auf konsistenter Basis für
bestimmte Regionen der Welt, könnte man zu neuen Einsichten über Kategorien fakti-
schen fremdkulturellen Lehrerverhaltens kommen, die wiederum Rückwirkungen auf
eine weniger eurozentrisch geprägte Theoriebildung einerseits sowie auf die faktische
Lehreraus- und Fortbildung vor Ort andererseits haben.
In der Sprachlehrforschung müssen theoretische Erkenntnisse und aus ihnen abgelei-
tete Forderungen für eine konstruktive Lehrerrolle in der konkreten Unterrichtspraxis
auch in realistischer, d. h. unmittelbar umsetzbarer Weise ausgerichtet sein. Es wäre wich-
tig, dass Lehrkräfte durch Aus- und Fortbildungsmaßnahmen veranlasst werden, ihre
Professionalität nicht als internes individuelles Persönlichkeitsmerkmal zu betrachten,
sondern sie so weit wie möglich mit Kollegen und Forschern zu teilen, so dass ihre
Einsichten und Erfahrungen auf breiter Basis zugänglich gemacht werden können, was
wiederum dem wissenschaftlichen Diskurs zugute käme. Die Fremd- und Zweitsprachen-
lehr- und -lernforschung sollte also DaF/DaZ-Lehrkräfte sowie auch DaF/DaZ-Ler-
nende stärker in die Forschung einbeziehen und nicht nur als Versuchsobjekte betrach-
ten; damit könnte die Kluft zwischen Theorie und Praxis überwunden werden und die
Lehrenden und Lernenden als Forschungssubjekte befähigt werden, ihre eigene Rolle in
der Lehr-Lernpraxis konstruktiv zu verändern (Johnson 2004: 1⫺5).

9. Literatur in Auswahl
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Arnd Witte, Maymooth (Irland)


Theo Harden, Dublin (Irland)

149. Ausbildung von Lehrkräten ür Deutsch als


Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache
1. Vorbemerkung
2. Entwicklung der Fremdsprachenlehrerausbildung
3. Die Rolle der Deutschlehrerausbildung im Rahmen der Germanistik
4. Akademische DaF-/DaZ-Ausbildung an deutschen und österreichischen Universitäten
5. Kernelemente der Ausbildung von DaF-/DaZ-Lehrkräften
6. Perspektiven der Lehrerausbildung
7. Literatur in Auswahl

1. Vorbemerkung

Bei der Ausbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitspra-
che ist zwischen Ländern, in denen schulischer Deutschunterricht und die entsprechende
Lehrerausbildung durch staatliche Regelungen bestimmt sind, und solchen, wo dies nicht
der Fall ist und wo jede Schule eigene Anforderungen an die Lehrkräfte artikuliert, zu
unterscheiden. Aber selbst in den Ländern, die die Lehrerausbildung staatlich regeln,
herrschen höchst unterschiedliche lokale, regionale und nationale Strukturen. Schließlich
ist zu beachten, dass es je nach Land und Situation gemeinsame oder unterschiedliche
Strukturen für die Ausbildung zum Deutsch-, Englisch- oder Spanischlehrer etc. gibt,
abhängig davon, ob die jeweilige Sprache zum Pflichtangebot gehört, ob sie bereits in
der Primarstufe oder nur an bestimmten weiterführenden Schulen angeboten wird. Ein
grundsätzlicher Unterschied ist schließlich im Hinblick auf den Zweitsprachenunterricht
im deutschen Sprachraum und den Fremdsprachenunterricht in nichtdeutschsprachigen
Ländern zu machen. Der vorliegende Beitrag muss sich auf Grundsätzliches mit Schwer-
punkt auf Deutschland und Österreich konzentrieren. Für Spezifika der einzelnen Län-
der sei daher auf die Länderberichte im XIX. Kapitel verwiesen.

2. Entwicklung der Fremdsprachenlehrerausbildung

Die Vermittlung von Fremdsprachen war bis in das 18. Jh. hinein eine Aufgabe von
Gouvernanten und Sprachmeistern, also muttersprachlichen Autodidakten ⫺ eine Tradi-
149. Ausbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache und Zweitsprache 1341

tion, die bis heute in der Beliebtheit von native speakers als Sprachlehrkräften fortbe-
steht. Die Muttersprache ⫺ so der Gedanke ⫺ beherrsche jeder Mensch so gut, dass er
sie auch als Fremdsprache vermitteln könne. Erst mit dem Ende des 18. Jhs., im Zuge
einer stärkeren staatlichen Regulierung des Unterrichtswesens, entstehen Regelungen für
eine systematische, fachlich fundierte Lehrerausbildung (zur Geschichte der Lehreraus-
bildung allgemein vgl. Gerner 1975; zur Entwicklung der Fremdsprachenlehrerausbil-
dung vgl. von Bhück 1995). Die heute weitgehend übliche Ausbildung von Fremdspra-
chenlehrerInnen (für die Sekundarstufe) im Rahmen der Philologien entwickelte sich in
Parallelität zu den Studien in Griechisch und Latein, um für die lebenden Fremdsprachen
ein ähnliches Prestige zu etablieren. Die Neuphilologie an den Universitäten verdankt
der Lehrerausbildung weitgehend ihre Institutionalisierung, ohne allerdings die Studien-
inhalte auf die künftige Berufsrolle ihrer Absolventen abzustimmen. Universitäten sahen
und sehen sich teilweise noch heute nicht als Ausbildungsstätten, sondern orientieren
sich in ihrem Unterrichtsprogramm an der Fachsystematik: Wer sein Fach versteht, so
der Grundgedanke, könne es dann auch gut unterrichten. So berechtigt auch heute noch
in zahlreichen Ländern ein vorwiegend philologisch orientiertes Germanistikstudium, in
dessen Zentrum Mediävistik, Sprach- und Literaturwissenschaft stehen, zu einer Tätig-
keit als Deutschlehrer, auch wenn inzwischen zum Teil ergänzende pädagogische Studien
(pädagogisches Begleitstudium, Referendariat, Unterrichtspraktikum o. ä.) hinzugekom-
men sind und in den letzten Jahren v. a. im europäischen Raum im Rahmen des Bologna-
Prozesses Germanistikstudiengänge deutlicher berufsorientierend konturiert werden.
Während die Lehrerausbildung in Westeuropa seit den 1950er Jahren zunächst stag-
nierte ⫺ erst mit dem Bologna-Prozess und der Entwicklung von Bildungsstandards sind
neue Entwicklungen in Gang gekommen ⫺, sind mit dem durch die Öffnung des „Eiser-
nen Vorhangs“ entstandenen großen Bedarf an qualifizierten Fremdsprachenlehrern in
zahlreichen mittel- und osteuropäischen Ländern neue Wege der Lehrerausbildung be-
schritten worden. Mit dem Wegfall des Russischen als Pflichtfremdsprache und der Öff-
nung nach Westeuropa explodierte die Nachfrage nach Fremdsprachenunterricht vor
allem in Englisch und anfänglich auch in Deutsch; die mittel- und osteuropäischen Re-
formstaaten standen vor der Notwendigkeit, rasch möglichst viele Lehrkräfte zu qualifi-
zieren. Da die Universitäten mit ihrer philologischen Tradition als zu schwerfällig er-
schienen, wurde in manchen Ländern ein neuer Weg beschritten: In Polen und in der
Tschechischen Republik z. B. wurden unabhängig von den Universitäten Kurzstudien
an eigens gegründeten Lehrerkollegs bzw. Zentren eingeführt, die mit einer dreijährigen
Ausbildung (gegenüber dem traditionell fünfjährigen Universitätsstudium) Deutschlehrer
qualifizieren sollten. In Ungarn wurden solche Kurzstudiengänge an den Hochschulen
etabliert (vgl. zur Übersicht Kast und Krumm 1994; Krumm 1999; Krumm und Le-
gutke 2001).

3. Die Rolle der Deutschlehrerausbildung im Rahmen


der Germanistik
Dass ein germanistisches Studium allein nicht diejenigen Fähigkeiten und Fertigkeiten
vermittelt, die ein Lehrer braucht, um zu unterrichten, liegt auf der Hand. Insofern be-
stimmt die Frage, welche Inhalte unverzichtbar sind und wie die einzelnen Ausbildungs-
komponenten zu gewichten seien, ohne das Studium zu überfrachten, die Diskussion
1342 XV. Lehrerinnen und Lehrer

um die Fremdsprachenlehrerausbildung seit den 1970er Jahren. Eine Ausrichtung der


Lehrerausbildung auf das künftige Berufsfeld bedeutet vor allem, außer den sprach- und
literaturwissenschaftlichen auch sprachdidaktische und landeskundliche Studienelemente
einzubeziehen, was nicht ohne eine Überprüfung auch der germanistischen Ausbildungs-
inhalte erfolgen kann. Damit ist, auch wenn Kritiker dies gelegentlich unterstellen (so
etwa Glück 1997: 60 ff.), nicht gemeint, auf eine solide germanistische Ausbildung zu
verzichten; vielmehr geht es darum, diese durch eine ebenso fundierte, auf die Lehraufga-
ben zugeschnittene Ausbildung zu komplettieren. Die Dynamik des Lehr-Lern-Prozesses
bildet einen eigenständigen Studienbereich, in dem neben sprachbezogenen auch die Viel-
falt lerner- und interaktionsbezogener Aspekte zu berücksichtigen sind, d. h. dass ein
berufsorientiertes Lehrerstudium interdisziplinär anzulegen ist (vgl. auch Helbig 1997:
93).
Seit Ende der 1980er Jahre wird unter den Anforderungen an Fremdsprachenlehrende
verstärkt ihre besondere Rolle als Mittler zwischen den Kulturen betont. Die Außenper-
spektive ist das unterscheidende Merkmal zwischen einer Lehrerausbildung für den mut-
tersprachlichen und den fremdsprachlichen Deutschunterricht (vgl. Krumm 1993: 281⫺
282; Helbig 1997). Insgesamt hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Ausbildung
allein überfordert wäre, alle diese Qualifikationen in umfassender Weise zu vermitteln,
dass es vielmehr einer Kombination von Lehreraus- und Fortbildung bedarf, eines lebens-
langen Lernens, damit Lehrende den Anforderungen an ihre Tätigkeit gerecht werden
können (vgl. Art. 150 und 151).
Ein solches nicht bloß philologisches, sondern auch die Vermittlung von Lehrfähigkeit
einschließendes Verständnis der Lehrerausbildung hat in einigen Ländern zur Einrich-
tung fremdsprachendidaktischer Abteilungen im Rahmen der Germanistik bzw. zu integ-
rierten germanistisch-erziehungswissenschaftlichen Ausbildungskonzeptionen und zur
verstärkten Einbeziehung praktischer Phasen in die Lehrerausbildung geführt (vgl.
Krumm und Legutke 2001).

4. Akademische DaF-/DaZ-Ausbildung an deutschen und


österreichischen Universitäten

4.1. Überblick

Für die Ausbildung zur Lehrkraft für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im deutsch-
sprachigen Raum gelten besondere Bedingungen: Zum einen sind die Studierenden über-
wiegend solche, die es lernen wollen, ihre Muttersprache als Fremd- und Zweitsprache zu
unterrichten, zum andern ist Deutsch an deutschen und österreichischen Schulen keine
Fremdsprache, so dass die Studiengänge für Deutsch als Fremdsprache in beiden Län-
dern nicht als Lehramts-, sondern als Magister- bzw. Diplomstudien angelegt sind. Da-
von zu unterscheiden sind Qualifikationen, die Lehrende im Schulbereich für den Unter-
richt mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund benötigen, die in Studi-
enangeboten für Deutsch als Zweitsprache vermittelt werden (für die wiederum anders
gelagerte Situation in der Schweiz vgl. Art. 8).
Die Situation der DaF-/DaZ-Lehrerausbildung in Deutschland ist ein Spiegel der
Entwicklung des akademischen Fachs Deutsch als Fremdsprache (vgl. Art. 1 und 2). Galt
149. Ausbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache und Zweitsprache 1343

das Fach DaF in seiner Gründungsphase als „Kind der Praxis“, dann lag das daran,
dass die Notwendigkeit der fachdidaktischen und wissenschaftlich fundierten Qualifizie-
rung von Lehrkräften für den DaF-Unterricht ein wesentlicher Grund für die Einrich-
tung von akademischen Studiengängen an deutschen Universitäten war. Das Ergebnis
eines Entwicklungsprozesses bis Ende der 1990er Jahre waren akademische Studiengänge
im Rahmen von Magister-, Diplom-, Ergänzungs- und Zusatzstudiengängen bzw. die
Berücksichtigung von DaF-Studienelementen als Teil von anderen Studiengängen (insbe-
sondere Germanistik, aber auch Erziehungswissenschaften sowie Sprachlehrforschung),
die ein höchst heterogenes Gesamtbild und Qualifikationsprofile mit je nach Studienort
unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen und Studienvolumina ergaben (vgl.
Henrici und Koreik 1994; Baur und Kis 2002). Diese für Außenstehende und potentielle
ArbeitgeberInnen eher undurchschaubare Situation ist durch die Einführung von unter-
schiedlichen Bachelor- und Masterstudiengängen nicht unbedingt besser geworden (vgl.
die Bemühungen des Fachverbands Deutsch als Fremdsprache [FadaF], eine größere
Transparenz durch die Pflege von aktuellen Informationen zu den Studiengängen in den
und außerhalb der deutschsprachigen Länder durch DaF-Wikis herzustellen: http://
www.fadaf.de/wiki/). Versuche der Fachvertreter, sich auf überregionale Standards und
Kerncurricula zu einigen, sind bisher über Anfangsdiskussionen und schmale Einigungen
nicht hinausgekommen (vgl. das Grundsatzpapier zur curricularen Basis von Bachelor-
und Masterstudiengängen DaF des FaDaF o. J. sowie die Beiträge in Casper-Hehne,
Koreik und Middeke 2006). Die Gründe dafür reichen von berechtigten Schwerpunktset-
zungen und Fachegoismen auf der Basis unterschiedlicher Forschungsprofile bis zur
Problematik notwendiger Polyvalenz von akademischen Studiengängen, die die Viel-
schichtigkeit und Wandelbarkeit möglicher Berufsfelder in der Sprach- und Kulturver-
mittlung im In- wie Ausland erfordert.
An vielen Universitätsstandorten wird Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (zukünf-
tig) im Rahmen des Masterstudiums angeboten, meist auf der Basis eines germanisti-
schen Bachelorabschlusses (u. a. Berlin, Gießen, Göttingen, Marburg, Wien), nur an den
etwas größeren und besser ausgestatteten Standorten (Bielefeld, Jena, Leipzig) werden
konsekutive Bachelor- und Masterstudiengänge angeboten. Gerade im Rahmen von Ba-
chelorstudiengängen wird die Berufsorientierung als zentrales Ausbildungsziel beschrie-
ben. Hierfür bringen die DaF-/DaZ-Studiengänge in der Regel recht gute Voraussetzun-
gen mit; die Berufsfelder Tätigkeiten in der Sprach- und Kulturvermittlung sowie DaF-/
DaZ-LehrerIn ⫺ mit Schwerpunkt in der Erwachsenenbildung ⫺ waren in fast allen
bisherigen Studienordnungen beschrieben und deutlich ernster gemeint und umgesetzt
als in anderen geisteswissenschaftlichen Studiengängen.
Die akademische Ausbildung von Lehrkräften für den Unterricht Deutsch als Zweit-
sprache und weitere Aktivitäten in der sprachlichen Bildung für Migranten, Flüchtlinge
und Lernende der Folgegenerationen mit Zuwanderungsgeschichte fand in Deutschland
bislang im Rahmen der DaF-Studiengänge, mitunter ⫺ und je nach Engagement und
Möglichkeiten der Akteure an den unterschiedlichen Studienorten ⫺ in Form von Studi-
enelementen im Rahmen der Lehramtsstudiengänge und der Interkulturellen Pädagogik
statt. Die Situation der DaZ-Ausbildung ist mehr als unbefriedigend; erst in der letzten
Zeit werden hier unterschiedliche Anstrengungen unternommen. So finden im Rahmen
der bisherigen DaF-Studiengänge Module und Lehrveranstaltungen zu DaZ stärkere Be-
rücksichtigung. DaZ wird in einigen deutschen Bundesländern und an den Pädagogi-
schen Hochschulen in Österreich zukünftig ein (eher kleines) Pflicht- oder Wahlpflichtele-
1344 XV. Lehrerinnen und Lehrer

ment in den Studiengängen für ein Lehramt sein, z. B. müssen im Rahmen des ab 2011
gültigen Lehrerausbildungsgesetzes in Nordrhein-Westfalen sämtliche Studierende aller
Lehrämter (inkl. aller Schulformen, inkl. aller Sachfächer) mindestens sechs Leistungs-
punkte in „Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte“ erbrin-
gen. Eine ähnliche Festlegung existiert für Bremen und Berlin, für Studierende des Lehr-
amts Deutsch in Sachsen; andere Bundesländer werden auf der Basis des Nationalen
Integrationsplans für Deutschland (Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration 2007) nachziehen. In Bayern wird derzeit das neue Unter-
richtsfach Deutsch als Zweitsprache eingerichtet. In Österreich ist die Neuordnung der
Lehrerausbildung im Jahr 2009 noch nicht abgeschlossen, doch drängt das zuständige
Unterrichtsministerium darauf, Module zu Deutsch als Zweitsprache in alle Lehramts-
studiengänge, insbesondere aber in die für die Grundschule aufzunehmen (vgl. Bundes-
ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur und Bundesministerium für Wissenschaft
und Forschung 2008).
Noch ausgeprägter föderalistisch bedingte Heterogenität herrscht in der Ausbildung
von Lehrkräften für den Elementarbereich, der in immer mehr deutschen Bundesländern
als Kernaufgabe der Länder und Kommunen im Bereich der Sprachförderung wahrge-
nommen wird ⫺ hier liegt derzeit noch der Schwerpunkt auf der (leider zentral wenig
abgestimmten) Entwicklung von Instrumenten der frühen Sprachstandsdiagnose (vgl.
Art. 146) und weniger auf der dringlich zu erweiternden Aus- und Weiterbildung von
Erzieherinnen und weiterem Personal von Kindergärten und Kindertagesstätten. In
Österreich fällt die Ausbildung von Kindergarten- und SozialpädagogInnen in die Bun-
deskompetenz: Der Lehrplan Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik (BAKIP)
enthält seit 2007 einen Themenbereich Deutsch als Zweitsprache, der allerdings nur für
die Kollegs für Kindergartenpädaogik (2. Bildungsweg) mit einer Wochenstunde ver-
pflichtend sind (vgl. De Cillia und Krumm 2009).

4.2. Struktur und Reorm der DaF-/DaZ-Studiengänge

Bis zur Jahrtausendwende konnten akademische DaF-/DaZ-Angebote folgendermaßen


differenziert werden: (a) grundständige DaF-/DaZ-Studiengänge: DaF/DaZ als Haupt-
und/oder Nebenfach v. a. in Magister- und Diplomstudiengängen; (b) DaF/DaZ als
Schwerpunkt im Rahmen anderer grundständiger Studiengänge (z. B. Germanistik,
Sprachlehrforschung); und (c) DaF/DaZ als Ergänzungs-, Aufbau- und Zusatzstudien-
gang. Die Studienangebote unterschieden sich stark voneinander, von einer einheitlichen
DaF-/DaZ-Lehrerausbildung konnte nicht die Rede sein.
Die aktuelle Situation der Umstrukturierung der Studiengänge zu Bachelor- und Mas-
terstudiengängen ist in einer fortgeschrittenen Phase (vgl. den Bericht über den Zwi-
schenstand im Jahr 2005 in Riemer 2006). An den deutschen Universitäten sind die neuen
Studienangebote für DaF/DaZ folgendermaßen zu differenzieren: Es gibt (a) das Ange-
bot eines konsekutiven Bachelor-/Masterstudiengangs DaF/DaZ; (b) das Angebot eines
Bachelorstudiengangs DaF/DaZ (nur Bachelorstudiengang); (c) das Angebot eines Mas-
terstudiengangs DaF/DaZ (nur Masterstudiengang); und (d) DaF-/DaZ-Angebote (Mo-
dule, Schwerpunkte) im Rahmen anderer Studiengänge (häufig im Rahmen von Germa-
nistikstudiengängen). Im Rahmen der Hochschulautonomie muss sich jeder DaF-/DaZ-
Studiengang zunächst an der eigenen Hochschule behaupten und ein Akkreditierungsver-
149. Ausbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache und Zweitsprache 1345

fahren erfolgreich durchlaufen. Die Entscheidung für einen Studiengangstyp einschließ-


lich spezifischer Profilbildungen spiegelt daher neben Überlegungen zu Bedarfen der
DaF-/DaZ-Ausbildung auch die Bedingungen in verschiedenen Bundesländern und an
den einzelnen Hochschulen bis hin zur Balance zwischen Forschungs- und (Aus-)Bil-
dungsprofil wider. In Österreich besteht nur an der Universität Wien ein Masterstudium
DaF/DaZ; die Universität Graz bietet einen Universitätslehrgang Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache als kostenpflichtiges Aufbaustudium an, das entweder einen Bachelorab-
schluss oder aber eine mindestens dreijährige Berufserfahrung an öffentlichen oder priva-
ten Schulen voraussetzt. Germanistische Bachelorstudiengänge an den österreichischen
Universitäten enthalten in der Regel ein Modul aus Deutsch als Fremd- und/oder Zweit-
sprache, teilweise gibt es weiterhin entsprechende Zusatzstudien (vgl. Boeckmann 2009).
Die im Verlauf des Jahres 2009 insbesondere im Verlauf des Bildungsstreiks in Öster-
reich und Deutschland deutlich artikulierte Kritik an der Unterfinanzierung der Univer-
sitäten sowie Übersprunghandlungen im Verlauf der Studienstrukturreform (insbeson-
dere was Prüfungsvolumina, Überstrukturierung und Überfrachtung der Studienange-
bote betrifft), wird notwendige Nachjustierungen auch im Rahmen der DaF-/DaZ-
Studiengänge bewirken. Angesichts der vielfältigen zu berücksichtigen Kernelemente der
DaF-/DaZ-Lehrerausbildung (s. Abschnitt 5) ist dies eine Herausforderung, die die Stu-
diengangskonzeption noch lange beschäftigen und verschiedene Zwischenlösungen nötig
machen wird.

5. Kernelemente der Ausbildung von DaF-/DaZ-Lehrkräten

Die Diskussion um das Anforderungsprofil an Fremd- und ZweitsprachenlehrerInnen


hat sich in einer Reihe von Grundsätzen niedergeschlagen, die zumindest ansatzweise in
neueren Curricula aufgegriffen werden. Mit der Forderung nach einem stärkeren Berufs-
bezug der Deutschlehrerausbildung hat die Bedeutung der unterrichtsbezogenen Frage-
stellungen in lehrerausbildenden Studiengängen zugenommen, wobei sich die Situation
je nach Land höchst unterschiedlich darstellt: In den Studiengängen für Deutsch als
Fremd- und Zweitsprache in Deutschland und Österreich stehen Fremd- bzw. Zweitspra-
chendidaktik und Sprachlehrforschung vielfach im Zentrum, in der Auslandsgermanistik
hängt dies vom Stand der Studienreform bzw. der traditionellen Rolle von Glottodidaktik
bzw. Angewandter Linguistik im Rahmen des Germanistikstudiums ab. Drei Gesichts-
punkte spielen bei der Einbeziehung methodisch-didaktischer Aspekte in die Deutschleh-
rerausbildung eine besondere Rolle: (a) die Verknüpfung von Theorie und Praxis: Zu
den sprachdidaktischen Lehrveranstaltungen gehören daher in der Regel Unterrichts-
praktika, die es den angehenden Lehrern erlauben, die Umsetzung von Konzepten in
die Unterrichtspraxis zu beobachten bzw. selbst zu erproben; (b) die Verknüpfung des
fachwissenschaftlichen mit dem fremdsprachendidaktischen Studium, so dass die Stu-
dierenden aus der didaktischen Perspektive heraus Rückfragen an die Spracherwerbsfor-
schung, Sprachlehr- und -lernforschung sowie Sprach-, Literatur- und Kulturwissen-
schaft stellen können; (c) die Einbeziehung des forschenden Lernens: Die künftigen Leh-
rer sollen lernen, selbst ein Stück weit Klassenzimmerforschung zu betreiben, d. h. die
ablaufenden Lehr- und Lernprozesse zu analysieren, um den besonderen Lehr- und Lern-
problemen auf die Spur zu kommen (vgl. Art. 153).
1346 XV. Lehrerinnen und Lehrer

Trotz aller Unterschiede lassen sich folgende Bereiche als Kernelemente der Ausbil-
dung von DaF- und DaZ-Lehrkräften beschreiben (vgl. auch Krumm 1994; Neuner
1994; Krumm und Legutke 2001):
(1) Ausbildung von Kenntnissen in Bezug auf die deutsche Sprache (sprachwissen-
schaftliche Kompetenz), wobei Bewusstheit und Kenntnisse der (Ir-)Regularitäten in den
linguistischen Gegenstandsbereichen und die Kompetenz zu entwickeln sind, Formen
und Funktionen der deutschen Sprache im phonetisch-phonologischen, grammatischen
und lexikalischen sowie pragmatischen und textuellen Bereich mit fremden Augen sehen,
analysieren und beschreiben zu können.
(2) Wer Sprache(n) lehren will, muss wissen, wie Sprache(n) gelernt werden, welche
Prozesse und Lernschwierigkeiten dabei natürlich auftreten, welche individuellen Unter-
schiede sich bemerkbar machen werden. Dies impliziert die Notwendigkeit der Ausbil-
dung von Kenntnissen in Bezug auf Prozesse des Lernens von Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache sowie einer Kompetenz zur kritischen Rezeption und Reflexion aktueller
Forschungsergebnisse mit dem Ziel, diese Kenntnisse bei der Evaluation, Planung und
Durchführung von Unterricht anwenden zu können. Dass dies noch nicht ausreichend
in den DaF-Studiengängen verankert ist, haben Blex und Schlak (2001) in einer Analyse
der Studienangebote in Deutschland ermittelt.
(3) Ausbildung von Kenntnissen in Bezug auf die Kultur und Gesellschaft (Landes-
kunde) des deutschsprachigen Raums mit Berücksichtigung deutschsprachiger Literatur
einschließlich der damit verbundenen Textsorten und Medien (vgl. Art. 160).
(4) Die Ausbildung interkultureller Kompetenz ist als eine Schlüsselqualifikation zu
betrachten, wobei Prozesse des Fremdverstehens, kulturellen Lernens und der interkultu-
rellen Kommunikation reflektiert werden.
(5) Zentrales Ziel der DeutschlehrerInnenausbildung ist die Ausbildung von Kennt-
nissen und berufsorientierten Kompetenzen in Bezug auf Prozesse des Lehrens von
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache einschließlich weiterer Maßnahmen der sprachli-
chen und interkulturellen Bildung (fachdidaktische Kompetenz). Hierzu gehört das weite
Feld der Methodik/Didaktik (vgl. Kapitel X).
(6) Eng mit der Lehrtätigkeit verbunden ist die Durchführung von informellen und
formellen Tests und Prüfungen zur Sprachstands- und Sprachentwicklungsmessung bzw.
die Vorbereitung der Lernenden auf standardisierte Tests (vgl. Kap. XIV). Insbesondere
für den Bereich Deutsch als Zweitsprache ist die Notwendigkeit der Ausbildung sprach-
diagnostischer Kompetenzen erkannt worden, da ungesteuerte und gesteuerte Lernpro-
zesse zusammenkommen bzw. die Heterogenität der Lernenden erheblich ist.
(7) Noch zu wenig berücksichtigt, aber von zunehmender Relevanz sowohl für
Deutsch als Fremd- wie für Deutsch als Zweitsprache ist die Ausbildung von Kenntnissen
über grundlegende sprachenpolitische, bildungs- und sozialpolitische Entwicklungen
(z. B. europäische Sprachenpolitik und ihr Stellenwert für Deutsch als Fremd- und Zweit-
sprache, Zuwanderungsgesetze und ihre Konsequenzen für Deutsch als Zweitsprache)
und damit verbundene Akteure und Institutionen mit dem Ziel, diese Kenntnisse bei
der Planung, Durchführung und Evaluation von Unterricht und Fördermaßnahmen zu
reflektieren und einzubringen (vgl. Kap. III).
(8) Für deutschsprachige Studierende sind sprachpraktische Studienanteile in einer
weiteren Fremdsprache als Kontrastsprache (insbesondere Migrantensprachen, nicht in-
doeuropäische Sprachen) eine gut erprobte Möglichkeit, aktuelle Lernerfahrungen und
dabei erfahrene Lernschwierigkeiten mit fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen In-
149. Ausbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache und Zweitsprache 1347

halten abzugleichen und fachliche Studieninhalte erfahrbar zu machen. Vielfach wird


von den Studierenden dabei verlangt, ein Lerntagebuch als Grundlage für weitere fach-
wissenschaftliche und fachdidaktische Reflexionen zu führen.
(9) Dass für nichtmuttersprachliche DeutschlehrerInnen eine möglichst umfassende
Beherrschung der Zielsprache wünschenswert ist, steht außer Frage. Die Sprachvermitt-
lung dominiert daher zumindest die erste Studienphase in den meisten auslandsgermanis-
tischen Studiengängen (vgl. die Beiträge in Casper-Hehne und Middeke 2009). Dabei
ist zu unterscheiden zwischen Studiengängen, in denen Studierende ohne nennenswerte
sprachliche Vorkenntnisse ein Deutschlehrer-/Germanistikstudium aufnehmen ⫺ in der
Regel dort, wo Deutsch nicht an Schulen angeboten wird ⫺, und jenen, in denen eine
relativ gute Sprachbeherrschung Voraussetzung für die Aufnahme des Studiums ist und
daher von Anfang an das Studium stärker fachliche Akzente setzen kann (vgl. auch
Art. 3). Bei der Gestaltung der sprachpraktischen Ausbildung muss es darum gehen, die
Isolierung der Sprachkurse vom übrigen Lehrangebot zu überwinden, befindet sich der
Lehrerstudent doch in einer spezifischen Doppelrolle als Sprachlernender einerseits und
(angehender) Sprachlehrer andererseits. Lehrende unterrichten so, wie sie selbst eine
Sprache gelernt haben. Auch in den DaF-/DaZ-Studiengängen der deutschsprachigen
Länder ist studienbegleitende Förderung der sprachpraktischen Kompetenz in Deutsch
als fremder Sprache, insbesondere auch in Deutsch als fremder Wissenschaftssprache,
für Studierende mit Herkunft aus nichtdeutschsprachigen Ländern von großer Bedeu-
tung, da das geforderte Spracheingangsniveau (häufig TestDaF 4444) allein nicht aus-
reicht; entsprechend integrierte Angebote im Rahmen der Studiengänge sind leider nicht
der Regelfall.
(10) In Bezug auf die Entwicklung dieser Kompetenzen sind Erfahrungen der Stu-
dierenden in der Planung, Durchführung und Evaluation von Unterricht im Rahmen
von Hospitationen und Praktika von besonderer Bedeutung. In vielen europäischen Län-
dern, so auch in Deutschland und Österreich, ist die Ausbildung von LehrerInnen für
öffentliche Schulen zweiphasig angelegt: An das philologische (und eventuell auch fachdi-
daktische) Studium schließt sich eine Phase der Praxiseinführung und Praxiseinübung
an (Referendariat, unterrichtspraktisches Jahr o. ä.), die in der Regel nicht mehr in der
Verantwortung der ausbildenden Hochschule, sondern spezieller Institutionen (in
Deutschland z. B. der Studienseminare) durchgeführt wird. Die Überwindung dieser star-
ken Trennung in eine wissenschaftlich-theoretische und eine praktische Ausbildungs-
phase in einer einphasigen Lehrerausbildung ist seit langem als Notwendigkeit erkannt
(vgl. Krumm 1976) und wurde im Bereich der Deutschlehrerausbildung insbesondere in
den mittel- und osteuropäischen Reformprojekten realisiert (vgl. Kast und Krumm
1994). In Westeuropa ist es dagegen weitgehend bei einer zweiphasigen Ausbildung ge-
blieben, allerdings haben auch hier in unterschiedlicher Form Praxisphasen Eingang in
die Ausbildung gefunden. Insgesamt zeigt die Praxis der Lehrerausbildung eine Vielfalt
von Formen, den künftigen Lehrern Erfahrungen mit ihrem künftigen Berufsfeld bereits
im Rahmen der Erstausbildung zu ermöglichen:
(a) Unterrichtsbeobachtung und Hospitationen: Angehende Lehrerinnen und Lehrer
müssen es zunächst lernen, ihr künftiges Praxisfeld, das sie bislang nur aus der
Schülerperspektive kennen, aus der Lehrperspektive, d. h. auch unter fachlichen und
didaktischen Aspekten, wahrzunehmen (vgl. Art. 152).
(b) Microteaching und Unterrichtspraktikum: Beobachten allein befähigt nicht zu
Handlungskompetenz. Im Rahmen von Microteaching können Studierende erste
1348 XV. Lehrerinnen und Lehrer

Schritte des Unterrichtens unter Reduktion der Komplexität des Unterrichtsprozes-


ses und mit wenigen gutwilligen Lernenden (meist ihren Mitstudenten) ausprobieren
und gezielt einzelne Lehrfertigkeiten trainieren, ehe in einem Unterrichtspraktikum
reale Unterrichtserfahrungen gesammelt werden.
(c) Bei den Studiengängen für Deutsch als Fremdsprache im deutschsprachigen Raum
geben neben Inlands- auch Auslandspraktika den Studierenden Gelegenheit, Unter-
richtserfahrungen in einem anderen kulturellen Kontext zu sammeln (vgl. die Bei-
träge in Ehnert und Königs 2000).
(d) Eine Sonderform der praktischen Lehrerausbildung in Vorbereitung auf die mehr-
sprachige Realität der Schule bieten seit einigen Jahren etliche deutsche Universitä-
ten (Stand 2009: 35 Studienstandorte in 14 Bundesländern). Im Rahmen von „För-
derunterricht für Schülerinnen und Schüler nicht deutscher Herkunftssprache“ der
Sekundarstufen I und II können i. d. R. Lehramtsstudierende umfangreichere studi-
enbegleitende (betreute) außerschulische Unterrichtserfahrungen in Kleingruppen
mit SchülerInnen sammeln. Dieser Modellversuch wird von der Stiftung Mercator
unterstützt (http://www.stiftung-mercator.org/foerderunterricht/) und hat vielfach
Bewegung in die Lehreraus- und -weiterbildung mit Bezug auf diese Zielgruppe ge-
bracht.

6. Perspektiven der Lehrerausbildung


Seit Einsetzen des Bologna-Prozesses ist sehr viel Bewegung auch in die Reform der
akademischen DeutschlehrerInnenausbildung gekommen. Allerdings stellen sich zwei
Fragen: Die eine betrifft den Übergang vom Studium in den Lehrberuf ⫺ auf Grund der
schlechten Bezahlung der Lehrer und des großen Bedarfs an sprachkundigen Mitarbei-
tern in der Wirtschaft nehmen teilweise nur ca. 30 % der AbsolventInnen der auslands-
germanistischen Studiengänge eine Tätigkeit als DeutschlehrerIn auf (vgl. Art. 3). Eine
Verbesserung der Ausbildungsqualität allein reicht also nicht aus, die Lehrtätigkeit at-
traktiver zu machen. Die zweite Frage gilt der Überwindung der Zweigleisigkeit von
Deutschlehrer- und Germanistenausbildung: Wie weit können Studiengänge der Lehrer-
ausbildung (z. B. die Kollegausbildung) und die germanistischen Studiengänge in Zu-
kunft integriert werden? Das könnte die durchaus positive Folge haben, dass die germa-
nistischen Studiengänge sich verstärkt auch methodischen und schulpraktischen Frage-
stellungen öffnen müssten, während die Deutschlehrerausbildung den sprach- und
literaturwissenschaftlichen Studieninhalten mehr Gewicht einräumen müsste.
Die allgemeinere Frage, die sich auch den Studiengängen für Deutsch als Fremdspra-
che in den deutschsprachigen Ländern stellt, liegt in der Zukunft einer stark spezialisier-
ten Ausbildung insgesamt: Innerhalb der deutschsprachigen Länder existiert Deutsch als
Fremdsprache nicht als Schulfach, so dass hier nur eine Tätigkeit im außerschulischen
Sprachunterricht in Frage kommt ⫺ diese aber wird überwiegend in der Form stunden-
weiser und befristeter Arbeitsverträge angeboten, da Volkshochschulen und private Kurs-
anbieter kaum feste Lehrer anstellen. Solche Tätigkeiten können i. d. R. in keiner Weise
ein für HochschulabsolventInnen angemessenes und in Bezug auf die Ansprüche an eine
professionelle Lehrtätigkeit erwartbares Einkommen garantieren. Viele AbsolventInnen
in den deutschsprachigen Ländern verlassen nach einigen Jahren wechselnder ungesi-
cherter und unzureichend bezahlter Honorartätigkeiten das Berufsfeld. Ernüchternde Be-
149. Ausbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache und Zweitsprache 1349

funde ermittelt derzeit eine Absolventenverbleibstudie für die deutschen DaF-Studien-


gänge, die auch den Werdegang von BachelorabsolventInnen in den Blick nehmen wird
(für einen ersten Zwischenstand vgl. Hunstiger und Koreik 2006): Nur wenige Absolven-
tInnen ⫺ und dann v. a. die, denen auf Umwegen und mit Nachqualifikationen der Sei-
teneinstieg in das öffentliche Schulsystem gelingt ⫺ können langfristig ein zufriedenstel-
lendes Einkommen erreichen; im Rahmen von Auslandslektoraten ist dies zumindest für
einige Jahre möglich. Qualifikationen im Bereich Deutsch als Zweitsprache in Kombina-
tion mit einem Lehramtsstudium verbessern in einigen Regionen die Möglichkeiten für
eine Stelle im Schulsystem. Auch der Lehrer-Arbeitsmarkt in den mittel- und osteuropäi-
schen Ländern ist zunehmend gesättigt, so dass für die AbsolventInnen auch andere
Berufsfelder (Erwachsenenbildung, Kulturaustausch) eröffnet werden müssen. Bei allem
Interesse an einer professionellen Lehrerausbildung müssen die lehrerausbildenden Stu-
diengänge daher auch berufsunabhängige Qualifikationen vermitteln und dürfen sich
nicht ausschließlich als Lehrerausbildung verstehen (vgl. Roggausch 1997).

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1350 XV. Lehrerinnen und Lehrer

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150. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache 1351

Riemer, Claudia
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Roggausch, Werner
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Hans-Jürgen Krumm, Wien (Österreich)


Claudia Riemer, Bielefeld (Deutschland)

150. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräten ür


Deutsch als Fremdsprache
1. Einführung
2. Theoretische Grundlagen und Problemstellungen
3. Prinzipien und Praxisansätze
4. Brennpunkte der Lehrerfortbildung Deutsch als Fremdsprache
5. Literatur in Auswahl

1. Einührung

Lehrerfortbildung wird in Deutschland und Österreich auch als die dritte Phase der Leh-
rerbildung bezeichnet. Während die beiden vorangegangenen Phasen (Universitätsstu-
dium und Referendariat/Unterrichtspraktisches Jahr) durch Studiengänge und Examina
strukturiert und zeitlich begrenzt sind, erstreckt sich die dritte Phase über das gesamte
Berufsleben der Lehrenden, die für die Strukturierung dieser Phase in der Regel selbst
verantwortlich sind. Gewöhnlich werden unter Lehrerfortbildung alle jene Prozesse ge-
fasst, die die erworbenen Qualifikationen (Wissen und Können) erhalten, aktualisieren
und dem gesellschaftlichen Wandel anpassen helfen. Neben die persönliche Tätigkeit (wie
reflektierende Unterrichtsvor- und -nachbereitung, Studium von Fachliteratur, Gespräch
mit Kollegen) tritt die veranstaltete Fortbildung. Letztere versteht sich immer auch als
gesellschaftlich notwendiger Beitrag zur Innovation institutioneller Lehr- und Lernpro-
zesse (Edelhoff 1999). Der Begriff „Lehrerweiterbildung“ (wird häufig synonym zu Leh-
rerfortbildung verwendet, meint im strengeren Sinne aber, über die Aktualisierung des in
der Ausbildung erworbenen Wissens hinausgehend, den Erwerb zusätzlicher Qualifika-
tionen. In der Praxis spielt diese Unterscheidung in der Regel keine Rolle, so dass auch
der folgende Beitrag beide Aspekte zusammenfasst.
Die Veranstaltungsformen reichen ⫺ je nach regionalen Möglichkeiten und Angebo-
ten ⫺ von mehrwöchigen Intensivkursen an Akademien, Universitäten oder Goethe-
Instituten bis hin zu zweistündigen Seminaren an einer Schule (SCHILF: schulinterne
1352 XV. Lehrerinnen und Lehrer

Fortbildung), von der lokalen Arbeitsgruppe bis hin zur Deutschlehrertagung oder regio-
nalen Deutschlehrertagen, die vielfach das einzige anerkannte Fortbildungsangebot dar-
stellen (zu den Spezifika von Deutsch als Zweitsprache vgl. Art. 151).

2. Theoretische Grundlagen und Problemstellungen

Unter dem Einfluss neuerer Ansätze der Kognitions- und Professionstheorie sowie der
Erwachsensenbildung und gestützt durch empirische Studien auf diesen Feldern sowie in
den Fachdidaktiken haben die Diskussionen der letzten 15 Jahre zu einer markanten
Differenzierung des Handlungsfelds Lehrerfort- und -weiterbildung geführt, die sich
nicht zuletzt in Vorschlägen für eine veränderte Fortbildungspraxis niederschlägt (Burns
und Richards 2009; Mann 2005; Legutke 1999). Noch bis in die 90er Jahre waren Kon-
zepte veranstalteter Lehrerfort- und -weiterbildung an Denkweisen technischer Rationa-
lität orientiert (vgl. Schön 1987), die davon ausgehen, dass für Lehrende relevantes Wis-
sen vorwiegend jenseits von deren Handlungskontexten, etwa an den Universitäten, er-
zeugt werde. Lehrerfort- und -weiterbildung hat in diesem Modell dafür zu sorgen, dass
Lehrende die Erkenntnisse der Wissenschaften in richtige Praxis umsetzen. Nicht nur die
Wissensbestände von Lehrenden erscheinen bei solchen Grundannahmen als defizitär,
sondern auch ihre Praxis, da sich die von Forschern erarbeiteten Modelle kaum in der
erwarteten Weise in die Praxis umsetzen lassen. Lehrende sind folglich immer noch nicht
oder noch nicht ganz da, wo sie nach Vorstellungen der Wissenschaft sein sollten. (vgl.
Legutke 1999; Altrichter und Posch 2007). Der rationalistischen Vorstellung vom Wis-
senstransfer durch Fort- und Weiterbildung entsprach in der Regel eine dreischrittige
Vermittlungsform: (i) der Vortrag durch einen ausgewiesenen Experten, (ii) die anschlie-
ßende Diskussion und (iii) die erwartete praktische Umsetzung der neuen Erkenntnisse
durch die Lehrenden.
Ergebnisse der Lehrerwissensforschung (vgl. Schocker-von Ditfurth 2001: 17⫺30;
Woods 1996) zeigen, dass Lehrende in ihren Entscheidungen auf ein komplexes Bündel
von Wissensbeständen, Meinungen und durch die Berufbiographie geprägten Erfahrun-
gen zurückgreifen. Solche handlungsleitenden Konzepte, die entscheidend das berufliche
Selbstverständnis von Lehrkräften bestimmen (Duxa 2001), werden als „Alltagswissen“
(Bach 2009), „subjektive Theorien“ (Caspari 2003) oder „Erfahrungswissen“ (Appel
2000) gefasst und müssen in der Fort- und Weiterbildung ernst genommen werden. Sie
hat nicht die Aufgabe, Defizite zu beheben, sondern einen Dialog über Unterricht zu
ermöglichen, in dem Vertreter beider Bereiche, der Wissenschaft und der Unterrichtspra-
xis, sich um ein Verständnis und eine Verbesserung fremdsprachlicher Lehr- und Lern-
prozesse bemühen. Lernpartnerschaft kann nur gelingen, wenn die Interpretationen, die
die Lehrenden zu ihrer eigenen Praxis liefern, als eigenständige und gleichwertige Argu-
mente im Diskurs akzeptiert werden. Die entscheidende Frage ist, wie ein solcher Dialog
unter den je konkreten Bedingungen möglich ist.
Erkenntnisse der Handlungs- und Professionsforschung (Schön 1987; Tsui 2003) besa-
gen, dass Berufstätigkeit in komplexen Situationen nicht allein als „Anwendung generel-
len Wissens“ konzipiert werden kann. Um die „nicht-routinehaften“, komplexen, ambi-
valenten und durch Wert- und Interessenkonflikte geprägten Anforderungen ihrer Praxis
zu bewältigen, müssen hochqualifizierte Professionelle, zu denen auch Fremdsprachen-
150. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache 1353

lehrende gehören, in einer Art „Forschung im Kontext der Praxis“ lokales Wissen produ-
zieren, in der „Anwendung“ evaluieren und ständig weiterentwickeln. Daraus ergibt sich
zwingend, dass Fort- und Weiterbildung stärker als forschende Weiterentwicklung von
Praxis gesehen wird und die Fähigkeit der Lehrenden zu einem reflektierenden Umgang
mit Unterricht fördern muss (Krumm und Portmann-Tselikas 2003). Lehrerfortbildung
ist dann gleichzeitig auch praktische Entwicklung von Theorien (Altrichter und Posch
2007). Da lokales Wissen nicht zuletzt von kulturspezifischen Konzepten und Wertvor-
stellungen zu Bildungsprozessen und Lernformen geprägt wird, ist Lehrerfort- und -wei-
terbildung in besonderer Weise gefordert, dialogische Lernformen zu entwickeln, die die-
sen Bedingungen Rechnung tragen und damit verhindern, dass einem unreflektierten
Methodenexport Vorschub geleistet wird (Hann 2002; Krumm 1987; Meyermann 1995).
Entscheidende Impulse liefert ferner die Ausrichtung von Lehrerbildung an (Schlüs-
sel-)Kompetenzen, die die komplexe und für Bildungsprozesse notwendig integrierte För-
derung von fachlichen, fachdidaktischen, sprachlichen, sozialen sowie medialen Teilkom-
petenzen hervorhebt und deren Entwicklung im Handlungsfeld eines konkreten Klassen-
zimmers als individuelle und kooperative Lernprozesse situiert (Hallet 2006). Eine solche
Situierung von Lehrkompetenz in der Lernwelt des Klassenzimmers (Legutke 2009) weist
der Fähigkeit der Lehrenden zum analytisch reflektierenden Umgang mit eigenem und
fremdem Unterricht eine Schlüsselrolle zu. Denn nur wenn das Vertraute des eigenen
Unterrichts in neuem Licht wahrgenommen werden kann, besteht eine Chance, etablierte
Handlungsroutinen zu erweitern und langfristig zu verändern.

3. Prinzipien und Praxisansätze

Aus der Differenzierung des Handlungsfelds Lehrerfort- und -weiterbildung lässt sich
unschwer eine Reihe von Prinzipien ableiten, welche Planung und Durchführung konkre-
ter Maßnahmen und Initiativen leiten sollten. Diese Prinzipien liegen auch dem von
der Europäischen Union in Auftrag gegebenen „Europäischen Profil für die Aus- und
Weiterbildung von Sprachenlehrkräften“ (Kelly und Grenfell 2004) zugrunde. Gruppiert
nach den Feldern Struktur, Wissen und Verstehen, Strategien und Fertigkeiten sowie Werte
werden insgesamt 40 Teilelemente beschrieben, die in ihrer Gesamtheit ein differenziertes
und interdisziplinär ausgerichtetes Lehrerbildungsprogramm ausmachen können. Als be-
sonderes Merkmal sind die konsequente Integration unterrichtspraktischer Erfahrungen
und deren kontinuierliche Reflexion in allen Teilbereichen hervorzuheben. Für die Leh-
rerfort- und -weiterbildung ist entsprechend zu fordern: (1) Sie muss nicht nur in der
Wahl der Themen und Lernformen den lokalen Bedingungen Rechnung tragen, sondern
auch den Raum schaffen, damit das Alltagswissen der Teilnehmenden Gegenstand des
Fortbildungsdiskurses werden kann. (2) Sie muss erwachsenengemäße Lernerfahrungen
im Umgang mit relevanten Themen und Aufgaben ermöglichen, die in einem erkennba-
ren Bezug zur konkreten Unterrichtspraxis stehen und ermöglichen, dass letztere aus
einer neuen Perspektive wahrgenommen werden kann. (3) Sie muss begleitende Reflexio-
nen ermöglichen und unterstützen, die helfen, konkrete Erfahrungen zu verallgemeinern
und auf bestehende Wissens- und Erfahrungsbestände zu beziehen. (4) Sie muss dazu
beitragen, dass Lehrende auf der Basis der Erfahrungen und ihrer Reflexion neue Hand-
lungsmöglichkeiten für die eigene Praxis entwerfen und in der Lage sind, diese im eigenen
1354 XV. Lehrerinnen und Lehrer

Unterricht zu erproben. (5) Sie muss kontinuierlich sein und die Gelegenheit zur Über-
prüfung neuer Konzepte und Handlungsangebote über einen längeren Zeitraum möglich
machen. Sie muss folglich zyklisch angelegt sein. (6) Punktuelle und diskontinuierliche
Angebote sind wenig geeignet Kompetenzentwicklung zu befördern. (7) Sie muss sich
ferner darum bemühen, der notorischen Vereinzelung von Lehrenden entgegenzuwirken,
indem sie die Entwicklung der Kooperationsfähigkeit von Lehrern an ihrem Handlungs-
ort befördert, verbunden mit dem Aufbau von kollegialen Netzwerken mit Ideenbörsen,
Materialaustausch und partnerschaftlicher Supervision, aber auch mit gemeinsamer Ziel-
definition, Handlungsplanung und Evaluation geleisteter Arbeit.
Diese Prinzipien werden in den Seminar- und Arbeitsformen der Lehrerfort- und -wei-
terbildung in sehr unterschiedlicher Weise zum Tragen kommen. Der starke Erfahrungs-
und Handlungsbezug, den die Prinzipien fordern, schließt weder den Vortrag eines ange-
reisten Experten noch die klassische Fachtagung aus. Vielmehr stellt sich die Frage, wie
letztere so zur Lernwerkstatt werden kann, dass sie mit ihren Angeboten tatsächlich Teil
eines Gesamtangebots beruflichen Lernens bildet. So wie die Frage berechtigt ist, ob und
wenn ja, in welcher Weise der Vortrag des aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz
angereisten Experten wirklich verdient, als Baustein eines regionalen Fortbildungsange-
bots bezeichnet zu werden.
Vielversprechend für die kontinuierliche Professionalisierung von Lehrkräften sind
Fortbildungsinitiativen, die sich Formen der Aktions- und Lehrerforschung bedienen
(vgl. Art. 153). Die Forschungstätigkeiten sind so in die Gesprächskultur einer „professi-
onellen Gemeinschaft“ am Handlungsort Schule integriert; Beginn, Steuerung und Been-
digung der Prozesse liegen bei den forschenden Lehrern. Die Interpretation von Ergeb-
nissen wird im kollegialen Gespräch ausgehandelt. Die Beteiligten werden ermutigt, ihre
eigenen Erfahrungen zu veröffentlichen. Die Forschungstätigkeiten unterliegen einem
„ethischen Code“. Externe Kursleiter, Fortbilder, Wissenschaftler haben lediglich die
Rolle von Beratern, Moderatoren und kritischen Freunden, die ihre eigene Aktionsfor-
schung betreiben können (Burns 2009).
Die verschiedenen Praxisansätze von Lehrerfort- und -weiterbildung, die nach solchen
Prinzipien gestaltetet sind, rechnen mit höchst aktiven und kooperativen Teilnehmenden
und weisen den Experten eine neue, partizipatorische und dialogische Rolle zu, die hohe
Anforderungen an deren fortbildungsdidaktische Kompetenz stellt (vgl. Legutke 1995:
7⫺11).

4. Brennpunkte der Lehrerortbildung Deutsch als Fremdsprache


(1) In vielen Bildungskontexten arbeiten Lehrkräfte für DaF, die keine fachdidaktische
Ausbildung durchlaufen haben. Der Fortbildung fällt dort die Aufgabe der Nachqualifi-
kation von Lehrkräften zu. Welche Inhalte und Kernkompetenzen solche nachqualifizie-
rende Fort- und Weiterbildung berücksichtigen soll, ist nicht geklärt. (2) Kaum bearbeitet
ist die Frage nach den Fortbildungscurricula, die regional und kooperativ zu entwickeln
sind. Solche Curricula müssten nicht nur Antworten auf den erstgenannten Brennpunkt
anbieten, sondern Standards und Qualitätsmerkmale für die Fort- und Weiterbildung
formulieren. (3) Angesichts der Anforderungen einer regionalisierten Fremdsprachendi-
daktik (vgl. Art. 105) und im Hinblick auf die generelle Aufwertung der unterrichtlichen
Lehr- und Lernprozesse muss die Rolle der nationalen Mittlerorganisationen der
150. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Fremdsprache 1355

deutschsprachigen Länder und ihrer Fachexperten neu diskutiert und bestimmt werden,
um Gefahren eines didaktischen Imperialismus durch Methoden- und Materialexport zu
begegnen (vgl. Art. 12). (4) Die Institutionalisierung von Fortbildung, die Bündelung und
Vernetzung von Ressourcen, Kompetenzen und Ideen ist ein weiterer Brennpunkt, denn
eine staatlich finanzierte, organisierte und flächendeckende, veranstaltete Lehrerfort-
und -weiterbildung ist für Deutsch als Fremdsprache die Ausnahme. (5) Von vordring-
licher Bedeutung für viele Bildungskontexte ist die Zertifizierung von Fortbildung.
(6) Obwohl der Fortbildung der Fortbilder eine zentrale Bedeutung zukommt, wurden
folgende Fragen bisher kaum bearbeitet: Wer sind die Fortbilder? Wer bildet sie aus und
fort? Welche Curricula und Standards müssen für diese Gruppe entwickelt werden und
wie werden regionale Belange berücksichtigt ? (Legutke 1994). (7) Es besteht ferner wenig
Klarheit über den Zusammenhang von didaktisch-methodischen und sprachlichen As-
pekten von Fortbildung. Die Annahme, dass Fort- und Weiterbildung in der Zielsprache
sinnvoll sei, weil sie zugleich die Chance nutze, die sprachliche Kompetenz zu fördern,
muss zumindest so lang als problematisch gelten, wie die notwendigen Sprachhandlungs-
und Bezeichnungsmittel nicht systematisch erschlossen sind. (8) In den 1990er Jahren
startete das Goethe-Institut ein Fortbildungsprojekt (Legutke 1995), welches das Ziel
verfolgte, die Fortbilder dazu anregen, eigene Lernprozesse zu rekonstruieren, zu doku-
mentieren und zu analysieren. Durch systematische Spurensicherung, verbunden mit Ma-
terialangeboten, sollten besondere Kontextbedingungen transparent, übergreifende Fra-
gestellungen zugänglich gemacht und ein professioneller Diskurs über Lehrerfortbildung
gefördert werden. Dieses Projekt ist über einen erfolgreichen Start kaum hinausgekom-
men. Ob es angesichts der Möglichkeiten der digitalen Medien als Datenbanklösung mit
einer interaktiven Lernplattform wiederbelebt und weiterentwickelt werden kann, wäre
zumindest zu prüfen.
Mit diesen Brennpunkten sind Aufgabenfelder einer Fort- und Weiterbildungsdidakitk
für Deutsch als Fremdsprache benannt, die neben theoretischen Bemühungen einer empi-
risch ausgerichteten Fort- und Weiterbildungsforschung bedarf, die ⫺ von wenigen Aus-
nahmen abgesehen ⫺ bis heute kaum entwickelt ist (Ehlers und Legutke 1999).

5. Literatur in Auswahl
Altrichter, Herbert und Peter Posch
2007 Lehrer erforschen ihren Unterricht. 4. Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Appel, Joachim
2000 Erfahrungswissen und Fremdsprachendidaktik. München: Langenscheidt.
Burns, Anne
2009 Action Research in Second Language Teacher Education. In: Anne Burns und Jack Ri-
chards, 289⫺298.
Burns, Anne und Jack Richards (Hg.)
2009 Second Language Teacher Education. Cambridge: Cambridge University Press.
Bach, Gerhard
2009 Alltagswissen und Unterrichtspraxis: der Weg zum reflective practioner. In: Gerhard Bach
und Johannes-Peter Timm (Hg.), Englischunterricht. Grundlagen und Methoden einer
handlungsorientierten Unterrichtspraxis, 304⫺320. Tübingen: Francke UTB.
Caspari, Daniela
2003 Fremdsprachenlehrerinnen und Fremdsprachenlehrer: Studien zu ihrem beruflichen Selbst-
verständnis. Tübingen: Narr.
1356 XV. Lehrerinnen und Lehrer

Duxa, Susanne
2001 Fortbildungsveranstaltungen für DaF-/DaZ-Kursleiter aus der Weiterbildung und ihre Wir-
kungen auf das professionelle Selbst der Lehrenden. Regensburg: FaDaF.
Edelhoff, Christoph
1999 Lehrerfortbildung in Deutschland. Instrument zur Veränderung der Schule oder Service-
Einrichtung für Schule und Lehrer. Fremdsprache Deutsch. Sondernummer „Lehrerfortbil-
dung“, 34⫺37.
Ehlers, Swantje und Michael Legutke
1999 Forschungsmethodologische Ansätze in der Fortbildungsdidaktik. Zeitschrift für Fremd-
sprachenforschung, 9(1): 11⫺34.
Freeman, Donald und Karen Johnson
1989 Reconceptualizing the knowledge-base of language teacher education. TESOL Quarterly
32: 397⫺417.
Hann, Stephanie
2002 Konstruktion und Bearbeitung von Bildern zum deutschsprachigen Raum: eine Fallstudie in
der Lehrerfortbildung Deutsch als Fremdsprache zu Landeskunde und interkulturellem Ler-
nen am Beispiel Mexiko. Gießen [Elektronische Ressource], http://geb.uni-giessen.de/geb/
volltexte/2002/833/ (gepr. 02. 11. 09).
Hallet, Wolfgang
2006 Didaktische Kompetenzen ⫺ Lehr- und Lernprozesse erfolgreich gestalten. Stuttgart: Klett
Kelly, Michael and Michael Grenfell
2004 Europäisches Profil für die Aus- und Weiterbildung von Sprachenlehrkräften: ein Referenz-
rahmen. Southampton: University of Southampton: http://ec.europa.eu/education/
languages/pdf/doc477_de.pdf (07. 11. 2009)
Krumm, Hans-Jürgen
1987 Lehrerfortbildung. Hilfe zur Selbsthilfe oder Methodenexport? In: Dietrich Sturm (Hg.),
Deutsch als Fremdsprache ⫺ weltweit, 11⫺122. München: Hueber.
Krumm, Hans-Jürgen und Paul R. Portmann-Tselikas (Hg.)
2003 Lernen im Beruf (Theorie und Praxis. Österreichische Beiträge zu Deutsch als Fremdspra-
che, Bd. 7). Innsbruck: Studienverlag.
Legutke, Michael
1994 Teachers as researchers and learners. An inservice project for German in the Pacific
Northwest. Unterrichtspraxis. Teaching German 27: 56⫺76.
Legutke, Michael (Hg.)
1995 Handbuch für Spracharbeit. Teil 6: Fortbildung. München: Goethe-Institut.
Legutke, Michael
1999 Fort- und Weiterbildung. Einflussfaktoren und Brennpunkte. Fremdsprache Deutsch. Son-
dernummer „Lehrerfortbildung“, 5⫺11.
Legutke, Michael
2009 Lernwelt Klassenzimmer, Szenarien für einen handlungsorientierten Fremdsprachenun-
terricht. In: Gerhard Bach und Johannes-Peter Timm (Hg.), Englischunterricht. Grund-
lagen und Methoden einen handlungsorientierten Unterrichtspraxis, 91⫺121. Tübingen:
Francke UTB.
Mann, Steve
2005 The language teacher’s development. Language Teaching 38: 103⫺118.
Meyermann, Paul
1995 Die Fortbildung für Lehrende des Deutsch als Fremdsprache im Ausland. Fallstudie zu Costa
Rica, Zentralamerika. Saarbrücken: Verlag für Entwicklungspolitik.
Schocker-von Ditfurth, Marita
2001 Forschendes Lernen in der fremdsprachlichen Lehrerbildung: Grundlagen, Erfahrungen,
Perspektiven. Tübingen: Gunter Narr.
151. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache 1357

Schön, Donald
1987 Educating the Reflective Practitioner. San Francisco: Jossey-Bass.
Tsui, Amy
2003 Understanding Expertise in Teaching. Case Studies of ESL Teachers. Cambridge: Cam-
bridge University Press.
Woods, Devon
1996 Teacher Cognition in Language Teaching. Beliefs, Decision-Making and Classroom Prac-
tice. Cambridge: Cambridge University Press.

Michael Legutke, Gießen (Deutschland)

151. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräten ür


Deutsch als Zweitsprache
1. Einleitung
2. Fort- und Weiterbildung für den Bereich der Schule
3. Fort- und Weiterbildung im Bereich der Erwachsenenbildung
4. Inhalte der Qualifizierung für DaZ
5. Schlussbetrachtung
6. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
Bis heute ist eine genaue Differenzierung der Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote
von Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) allein von
der Benennung her nicht möglich, da DaF häufig als Oberbegriff von DaF und DaZ
benutzt wird (vgl. auch Art. 149). DaZ ist heute eine von DaF zu unterscheidende Lehr-
qualifikation, die für den Unterricht mit Arbeitsmigranten und ihren Kindern qualifizie-
ren soll. Dabei sind die Bereiche der vorschulischen Erziehung, der schulischen Erziehung
und der Erwachsenenbildung zu unterscheiden. Erst in den 1970er Jahren ist in das
öffentliche Bewusstsein gedrungen, dass es für DaZ eine spezifische Qualifikation geben
muss (vgl. Mahler 1974; Meyer-Ingwersen et al. 1977). Eine eigene grundständige Ausbil-
dung für das Tätigkeitsfeld DaZ hat es an deutschen Hochschulen bis zur Umstellung
auf die Bachelor-Master-Strukturen zu Beginn des 21. Jahrhunderts allerdings nicht ge-
geben (vgl. auch Baur 2001). Das lag vor allem daran, dass eine DaZ-Qualifikation
zunächst fast ausschließlich als Zusatzqualifikation für die Schule (Schwerpunkt Primar-
stufe) gesehen wurde. Erst allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass sich eine
DaZ-Ausbildung auch auf die vorschulische Erziehung und zweitens in der Schule auch
auf die Sekundarstufe I und II sowie zusätzlich auch auf die Sprachlichkeit des Fachun-
terrichts erstrecken muss und dass auch die Lehrkräfte in der Erwachsenenbildung eine
spezifische berufsorientierte Aus- oder zumindest Fort- und Weiterbildung erhalten müs-
sen.
1358 XV. Lehrerinnen und Lehrer

2. Fort- und Weiterbildung ür den Bereich der Schule


Auch nach fast 50 Jahren stetiger Immigration gilt, dass die Lehrenden in Deutschland
und Österreich weiterhin fast ausschließlich im Rahmen von Curricula ausgebildet wer-
den, die für eine (monolinguale) deutschsprachige Schule konzipiert sind und die Mehr-
sprachigkeit der Lernenden wenig oder gar nicht berücksichtigen (vgl. Gogolin 1994; vgl.
auch Art. 149). Bis in die Gegenwart war und ist DaZ vornehmlich eine Domäne der
Zusatzausbildungen und -qualifikationen. Zusatzausbildungen erreichen jedoch nur ei-
nen Bruchteil der Lehrerschaft, da sie nicht obligatorisch sind und an die Eigeninitiative
der Lehrenden und Studierenden gebunden sind.
Solche Zusatzausbildungen für Lehrerinnen und Lehrer aller Schulstufen, wie sie seit
Mitte der 1980er Jahre an zahlreichen deutschen Hochschulen angeboten werden, seien
am Beispiel von Nordrhein-Westfallen konkretisiert: Verlangt wird ein Studium von min-
destens 34 Semesterwochenstunden mit folgender Struktur: Das Studium gliedert sich
in vier Teilbereiche A (DaZ und Mehrsprachigkeit), B (Interkulturelle Pädagogik), C
(Migration und gesellschaftliche Partizipation) und D (Sprachen der Migrantinnen und
Migranten). Zusätzlich wird einer dieser Teilbereiche von den Studierenden als Vertie-
fungsgebiet gewählt. Dabei stehen folgende Lernziele im Mittelpunkt:
⫺ die Fähigkeit, die sprachlichen Leistungen der Schülerinnen und Schüler nicht deut-
scher Muttersprache auf dem Hintergrund ihrer spezifischen sprachlichen Sozialisa-
tion zu verstehen und angemessene Fördermaßnahmen durchzuführen;
⫺ die Fähigkeit, durch andere Kulturen geprägtes Verhalten zu verstehen und in mehr-
sprachigen und multikulturellen Lerngruppen gemeinsames Lernen zu fördern;
⫺ die Fähigkeit, aufgrund der Kenntnis von Ursachen und Folgen von Migration die
Lebenslage von Kindern nicht deutscher Muttersprache zu verstehen;
⫺ die Fähigkeit, die personale Entwicklung von Schülerinnen und Schülern unterschied-
licher Nationalitäten im Spannungsfeld von kulturellem Widerspruch und Integration
zu verstehen und zu fördern.
Die Aufmerksamkeit sei hier besonders auf den Bereich D „Erlernen einer Herkunfts-
sprache der Migranten“ gelenkt, der mit 8 SWS studiert werden muss und zusätzlich als
Vertiefungsgebiet gewählt werden kann. Es hat sich gezeigt, dass DaZ-Lehrende vom
Erlernen einer ihnen unbekannten Herkunftssprache nicht nur linguistisch, sprachkont-
rastiv und sprachmethodisch profitieren, sondern auch ihre Lehr- und Lernperspektive
nachhaltig beeinflusst wird.
Mit der Einführung von neuen Lehrerausbildungsstrukturen und der Umstellung auf
Bachelor- und Master-Studiengänge ändert sich die Ausbildungssituation inzwischen da-
hingehend, dass einige Grundelemente von DaZ in geringem Umfang in der grundständi-
gen Lehrerausbildung Aufnahme finden werden. Lehrerfort- und -weiterbildung können
unseres Erachtens aber die mangelnde grundständige Ausbildung für DaZ auch in Zu-
kunft nicht kompensieren (vgl. für Deutschland Baur und Kis 2002, für Österreich
Boeckmann 2009).
Auch in der Schweiz wurden inzwischen Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen: An
den Pädagogischen Hochschulen Bern und Zürich gibt es seit 2006 schweizweit die um-
fassendsten Zertifikatslehrgänge Deutsch als Zweitsprache, die auf die Didaktik des
Deutschen als Zweitsprache im Kontext von Zwei- und Mehrsprachigkeit fokussieren.
Diese Lehrgänge haben einen Umfang von 10 Modulen à 45 Stunden. In Zürich wird
151. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache 1359

der Lehrgang zur Zeit in sechs parallelen Durchgängen und insgesamt zum 9. Mal durch-
geführt. Das neue Volksschulgesetz des Kantons Zürich (2005 angenommen) sieht vor,
dass der Unterricht von Deutsch als Zweitsprache nur noch von Lehrpersonen erteilt
wird, welche sich im Rahmen einer Weiterbildung im Umfang eines Zertifikatslehrgangs
nachqualifizieren.

3. Fort- und Weiterbildung im Bereich der Erwachsenenbildung

Für die Erwachsenenbildung existieren in Deutschland und Österreich keine systemati-


schen Ausbildungsmöglichkeiten (Christ 1990), allerdings sind seit ca. 2000 zahlreiche
Bachelor- und Masterstudiengänge entwickelt worden, in denen auch spezifische Qualifi-
kationen für DaZ vermittelt werden (Baur und Kis 2002; vgl. auch Art. 149). Gerade
angesichts der kulturellen und sprachlichen Heterogenität der Lernenden müssen DaZ-
Lehrende über zentrale Grundqualifikationen verfügen: sprachsystematische Kenntnisse
des Deutschen und methodisch-didaktische Kompetenzen wie die Fähigkeit zur Binnen-
differenzierung/Individualisierung beim Unterricht in stark heterogenen Lernergruppen;
die Fähigkeit zur Durchführung von Sprachstandsanalysen und -diagnosen; die Fähig-
keit, den Lernenden Lernstrategien und Lerntechniken zu vermitteln; die Fähigkeit zur
Analyse und zum Herstellen von Unterrichtsmaterialien; die Kenntnis der Zweitspra-
chenerwerbsmodelle; die Fähigkeit, Übungs- und Sozialformen geeignet einzusetzen
(auch Projektarbeit) und die Fähigkeit, didaktisch orientierte Sprachvergleiche durchfüh-
ren zu können (Schweckendieck und Tietze 1994: 39).
Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das im Rahmen
des Zuwanderungsgesetzes von 2003 die Aufgabe übernommen hat, die Integrationskurse
bundesweit zu finanzieren und zu administrieren (vgl. Art. 121), hat mit Zustimmung
der Fachverbände Folgendes festgelegt:
⫺ Lehrkräfte, die im Integrationskurs Deutsch als Zweitsprache unterrichten, müssen
ein erfolgreich abgeschlossenes Studium Deutsch als Fremdsprache oder Deutsch als
Zweitsprache vorweisen (Integrationskursverordnung § 15 Absatz 1).
⫺ Soweit diese fachlichen Qualifikationen nicht vorliegen, ist eine Zulassung zur Lehrtä-
tigkeit nur möglich, wenn die Lehrkraft an einer vom Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge vorgegebenen Zusatzqualifizierung teilgenommen hat (IntV § 15 Absatz
2).
In Österreich werden ein abgeschlossenes DaF/DaZ-Studium, ersatzweise aber auch eine
Fremdsprachenlehrerausbildung oder eine 10jährige Unterrichtserfahrung als Qualifika-
tion für den Unterricht in Integrationskursen verlangt (vgl. Plutzar 2009).
Das bedeutet, dass erstmalig die Qualifikation der Kursleiter für Integrationskurse
einer zentralen Qualitätskontrolle unterworfen wird. Für die Thematik der Fort- und
Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache ist außerdem von Relevanz,
dass als Qualifikation der Kursleiter entweder ein grundständiges DaZ/DaF-Studium
oder ⫺ in Deutschland ⫺ eine Zusatzqualifizierung nachgewiesen werden muss. Aus
diesem Grunde etabliert sich seit 2006 ein großer Markt für den Bereich der Fort- und
Weiterbildung von DaZ in der Erwachsenenbildung.
1360 XV. Lehrerinnen und Lehrer

4. Inhalte der Qualiizierung ür DaZ

Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat festgelegt, welche
Inhalte von den Lehrenden im Rahmen einer 140 Stunden umfassenden Zusatzqualifizie-
rung für DaZ behandelt werden müssen. Die folgende Tabelle 151.1 ist dem vom BAMF
vorgegebenen Curriculum entnommen:

Tab. 151.1: Inhalte der unverkürzten Zusatzqualifizierung/Seminarbausteine


Thema Unterrichtseinheiten
Migration und Migranten 4 UE
Merkmale des DaZ-Unterrichts 4 UE
Selbsterfahrung der Seminarteilnehmer durch Fremdsprachen- 4 UE
anfängerunterricht
Unterrichtsbeobachtung und -beurteilung im Rahmen der 2 UE
angebotenen Hospitation
Analyse von DaZ-Unterricht 4 UE
Methodische Ansätze im DaF- und DaZ-Unterricht 2 UE
Unterrichtsmaterialanalyse und -beurteilung 4 UE
Wortschatzvermittlung 6 UE
Lesen 6 UE
Hören 6 UE
Phonetik 4 UE
Sprechen 6 UE
Schreiben 6 UE
Kombinierte Fertigkeiten *)
Grammatik 6 UE
Übungstypologien, Sozialformen und Arbeitsanweisungen 4 UE
Spielerische Übungen, Sprachlernspiele und Spiele 4 UE
Projektarbeit 4 UE
Visualisierung 2 UE
Fehler und Fehlerkorrektur 2 UE
Kommunikationsmittel 2 UE
Heterogenität und Binnendifferenzierung 6 UE
Interkulturelles Lernen 4 UE
Lernen lernen 2 UE
Testen und Prüfungen 6 UE
Planen, Vorbereiten und Erteilen von DaZ-Unterricht 16 UE
Evaluation 4 UE
Kursteilnehmerberatung 2 UE

Institutionen, die eine solche Zusatzqualifikation anbieten wollen, werden vom BAMF
geprüft und zertifiziert. So bietet z. B. das Goethe-Institut, das an der Entwicklung dieser
Zusatzqualifikation federführend mitgewirkt hat, je nach Voraussetzung der Teilnehmen-
den eine volle und eine auf 70 Unterrichtseinheiten verkürzte Form der Qualifizierung
an. Auch der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF), der in Österreich im Auftrag des
Innenministeriums für die Integrationskurse zuständig ist, zertifiziert und evaluiert die
anbietenden Institutionen, wobei auch die Qualifikation der dort tätigen Lehrkräfte ge-
prüft wird.
Mit der Studie von Duxa (2001) liegt eine erste Aufarbeitung der Situation und Prob-
lematik von Fort- und Weiterbildung im DaZ-Bereich vor. Duxa macht darauf aufmerk-
sam, dass die methodischen Fähigkeiten nur durch die Integration von unterrichtsprakti-
151. Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache 1361

schen Erfahrungen vermittelt und erworben werden können. Diese würden in der univer-
sitären Ausbildung häufig vernachlässigt. Hier liegt sicher die Stärke der vom BAMF
vorgeschriebenen Zusatzqualifikation. Positiv ist zu vermerken, dass das Erlernen einer
fremden Sprache zumindest in einer Kurzform hier enthalten ist und sich auch in den
universitären Studiengängen durchzusetzen scheint. Durch die Selbsterfahrung beim Ler-
nen einer fremden Sprache wird bei (künftigen) LehrerInnen sowohl die Lernerperspek-
tive (Wie lerne ich? Wie fühle ich mich als Lerner in der Lerngruppe? Welche Schwierig-
keiten habe ich?) als auch die Lehrperspektive (Wie würde ich unterrichten? Was finde
ich gelungen, was weniger gelungen?) angesprochen. Diese bewusste Sprachlernerfahrung
ist für DaZ-Lehrende auch deswegen so wichtig, weil sie in der Regel als Muttersprachler
des Deutschen eine Sprache unterrichten, für deren Besonderheiten und Schwierigkeiten
sie oft selbst nicht sensibilisiert sind (vgl. Baur 2000). Um die gewünschten Reflexions-
prozesse zu unterstützen, kann das Erlernen einer (neuen) fremden Sprache sinnvoll mit
dem Führen eines Lernertagebuchs verbunden werden.

5. Schlussbetrachtung

Die Tatsache, dass an den meisten Studienstandorten in Deutschland und Österreich


heute eine Ausbildung sowohl für DaF als auch für DaZ angeboten wird, kann als ein
Anzeichen für die Aufhebung der Trennung der Fächer gewertet werden. Andererseits
wird die Trennung aber auch aufrecht erhalten, indem die Lehrerausbildung für den
schulischen Bereich ein eigenes Profil verlangt. Soweit es sich nicht um integrierte Studi-
engänge handelt, kommt DaZ als eigenes Profil fast ausschließlich in Zusatzstudien vor.
Allerdings können an einigen Studienstandorten auch in der grundständigen Lehreraus-
bildung Studienanteile DaZ im Wahlpflichtbereich absolviert werden und Lehramtsstu-
dierende können dort auch einen Schwerpunkt setzen, indem sie linguistische, literatur-
wissenschaftliche oder fachdidaktische Veranstaltungen aus diesem Bereich wählen oder
ihre Examensarbeit im Bereich DaZ schreiben. Solche Möglichkeiten werden auch von
Lehrenden genutzt, die bereits über einen Studienabschluss verfügen. Auch Institutionen
der Lehrerfortbildung in verschiedenen Bundesländern bieten ⫺ oft in Verbindung mit
Hochschulen ⫺ entsprechende Lehrgänge an. Trotz einiger Spezialisierungen auch an
Hochschulen findet eine vertiefte Ausbildung in DaZ für den vorschulischen und schuli-
schen Bereich ausschließlich im Rahmen von Fort- und Weiterbildung statt. Das insge-
samt reichhaltige und beeindruckende Angebot verschiedener Träger soll dabei nicht
über die Tatsache hinwegtäuschen, dass im Hinblick auf eine professionelle Lehrerausbil-
dung die Standards sehr unterschiedlich definiert werden. Das gilt sowohl im Hinblick
auf die obligatorischen Studienanteile wie auch im Hinblick auf die Studienvolumina.
Durch Festlegung essentieller Ausbildungsbereiche und eines Mindestumfangs des Studi-
ums sollte versucht werden, Qualitätskriterien und Standards in der Lehreraus- und Leh-
rerfortbildung von DaZ zu definieren.
In den deutschsprachigen Ländern ist bis heute ein kaum erklärbares und unent-
schuldbares Versäumnis zu konstatieren: Mehr als 40 Jahre nach Beginn der kontinuier-
lichen Einwanderung ausländischer Arbeitnehmer gibt es weder ein obligatorisches Teil-
fach Deutsch als Zweitsprache im Rahmen einer grundständigen Lehrerausbildung, noch
1362 XV. Lehrerinnen und Lehrer

eine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit für angehende Lehrkräfte in der Erwachse-


nenbildung. In der Lehrerfort- und -weiterbildung sind zwar inzwischen entsprechende
Angebote entwickelt worden, sie erreichen aber nur einen Teil der Lehrenden.

6. Literatur in Auswahl
Baur, Rupprecht S.
2000 Deutsch als Fremdsprache ⫺ Deutsch als Zweitsprache ⫺ Deutsch als Muttersprache.
Felder der Begegnung. InfoDaF 5. 467⫺482.
Baur, Rupprecht S.
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Gogolin, Ingrid
1994 Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster: Waxmann.
Mahler, Gerhart
1974 Zweitsprache Deutsch ⫺ Die Schulbildung der Kinder ausländischer Arbeitnehmer. Donau-
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2009 Aus- und Weiterbildung für PädagogInnen im außerschulischen Bereich. In: Verena Plut-
zar und Nadja Kerschhofer-Puhalo (Hg.), Nachhaltige Sprachförderung. Zur veränderten
Aufgabe des Bildungswesens in einer Zuwanderungsgesellschaft, 115⫺135. Innsbruck: Stu-
dienverlag
Prenzel, Manfred, Cordula Artelt, Jürgen Baumert, Werner Blum, Marcus Hammann, Eckhard
Klieme und Reinhard Pekrun (Hg.)
(2007) PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten internationalen Vergleichsstudie. Münster: Wax-
mann.
152. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse 1363

Schweckendieck, Jürgen und Ulrike Tietze


1994 Die Seminare zur Kursleiterqualifizierung im Bereich DaF. Deutsch lernen 1: 33⫺42.

Rupprecht S. Baur, Andrea Schäfer, Essen (Deutschland)

152. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse


1. Zielsetzungen von Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse
2. Verfahren der Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse
3. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse in der Lehreraus- und Lehrerfortbildung
4. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse als Forschungsverfahren
5. Literatur in Auswahl

1. Zielsetzungen von Unterrichtsbeobachtung und


Unterrichtsanalyse

Unter Bezeichnungen wie Unterrichtsbeobachtung, Kommunikationsanalyse und Inter-


aktionsanalyse ist die Beobachtung und Analyse von Unterrichtsprozessen Gegenstand
verschiedener Disziplinen, so der Kommunikationstheorie und Diskursforschung, der
Wahrnehmungspsychologie, der interkulturellen Kommunikation und der Erziehungs-
wissenschaft und gehört auch zu den zentralen Ausbildungs- und Forschungsverfahren
für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache.
Im Zentrum stehen dabei Beobachtung, Analyse und Beurteilung des Verhaltens von
Lehrenden und Lernenden; die verschiedenen, sich in der Praxis durchaus überlagernden,
Erkenntnisinteressen lassen sich wie folgt systematisieren:

1.1. Die empirische Unterrichtsforschung hat die Unterrichtsbeobachtung als wichtiges


Forschungsinstrument (wieder)entdeckt, um mehr über Lehr-Lernprozesse zu erfahren
und um Schwachstellen im Lehr-Lernprozess aufzudecken (vgl. Abschnitt 3).

1.2. Im Zusammenhang mit der empirischen Wende der Unterrichtsforschung hat auch
die Lehreraus- und Lehrerfortbildung eine ,empirische Wende‘ vollzogen und nutzt Ver-
fahren der Unterrichtsbeobachtung (vgl. Abschnitt 4). Die reflexive Didaktik sieht den
Unterrichtsprozess als eine zyklische Abfolge von Planung ⫺ Durchführung ⫺ Evalua-
tion ⫺ Reflexion ⫺ Planung usf. Damit sich die hierfür nötige Reflexivität bei Lehrenden
entwickelt, müssen sie es lernen, eigenen Unterricht bewusst wahrzunehmen und zu ana-
lysieren (vgl. die Beiträge in Krumm und Portmann-Tselikas 2003 sowie Art. 101).

1.3. Versuche, die Qualität von Unterricht und Lehrkräften zu messen und zu beurteilen,
haben sich seit den 1970er Jahren unter Stichworten wie Professionalisierung, Lerner-/
1364 XV. Lehrerinnen und Lehrer

Teilnehmerorientierung, Supervision und Evaluation im Bereich von Unterricht und Wei-


terbildung etabliert und werden zunehmend auch im Bereich Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache praktiziert.

2. Verahren der Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse

Im Zentrum der Diskussion über Verfahren der Unterrichtsbeobachtung und -analyse


steht die Frage nach Beobachtungskategorien, die geeignet sind, einerseits Einsichten in
den Sprachlehr- und Sprachlernprozess zu gewinnen, und andererseits Lehrenden Ein-
sichten in die Konsequenzen des eigenen Lehrerhandelns zu vermitteln (vgl. Allwright
1988, Kap. 1 und 2), wobei die Verquickung beider Zielrichtungen bis heute dem Ziel
einer „Klassenzimmerforschung“ der Lehrenden selbst entgegenkommt, andererseits
aber auch die einseitige Fixierung der Beobachtungs- und Analyseverfahren auf das
Lehrverhalten mit verursacht (vgl. z. B. Flanders 1970; zur Rezeption von Flanders im
deutschen Sprachraum vgl. Zifreund 1976; zu den Weiterentwicklungen Allwright 1988:
125⫺195).
Abgesehen von den generellen Problemen, die die Beobachtung von Verhalten mit
sich bringt (vgl. hierzu Greve und Wentura 1997: 44⫺99), besteht im Zusammenhang
mit Ausbildung und Lehrerbeurteilung die Gefahr, dass Unterrichtsbeobachtung zu einer
verkürzten, eindimensionalen Vorstellung von Unterricht, zu einem linearen Ursache-
Wirkungs-Denken führt, nach dem das Lehrverhalten allein ursächlich für Lernverhalten
sei (vgl. Krumm 2003). Für den Fremdsprachenunterricht hat Moskowitz schon 1967
eine Adaption des Flanders’schen Verfahrens vorgelegt, in dem sie spezifische Elemente
des Fremdsprachenunterrichts wie z. B. den Gebrauch von Mutter- und Fremdsprache
berücksichtigt. Einen Schritt weiter in dieser Hinsicht gehen Jarvis (1968) und Krumm
(1973): Beide Kategoriensysteme gehen davon aus, dass auch die Lernenden einen stärke-
ren aktiven Anteil am Unterricht haben, der in der Analyse darzustellen ist. In der Studie
von Peck (1988) wie bei Malamah-Thomas (1987) finden sich zahlreiche Vorschläge,
Einzelaspekte von Fremdsprachenunterricht unter der Fragestellung zu analysieren, was
Lehrverhalten im Unterricht bewirken kann und welche Rolle das Lehrerhandeln in der
unterrichtlichen Interaktion spielt. Diese ,klassischen‘ Analysesysteme basieren darauf,
dass das Unterrichtsgeschehen durch Beobachter interpretiert oder aber vom Lehrenden
selbst unter vorgegebenen Kriterien reflektiert wird.
Die Unterrichtsforschung hat seit den 1980er Jahren deutlich gemacht, dass eine sol-
che Außensicht auf Lehr-Lernprozesse nicht ausreicht, um das unterrichtliche Wirkungs-
gefüge zu analysieren. Beobachtung muss durch introspektive Daten wie z. B. Lerntagebü-
cher, Lautes Denken u. ä. ergänzt werden (vgl. Huber und Mandl 1994; Grotjahn 1993).
Die Außensicht durch ,objektive‘ Kategorien und Beobachtungsraster muss zur Innen-
sicht der Betroffenen und Beteiligten in Beziehung gesetzt werden. Unterricht besteht ja
nicht aus in sich abgeschlossenen Stunden, sondern aus übergreifenden Einheiten, von
denen in der einzelnen Stunde jeweils nur ein Teil sichtbar wird.
Ferner muss bedacht werden, dass die Interaktion zwischen Lehrer und Schüler nicht
nur eine Interaktion zwischen zwei Personen, sondern zwischen dem Lehrer und der
Lerngruppe, also eine Interaktion in und mit Gruppen ist, was sich, z. B. in der Angst
vor Fehlern, direkt auf das Kommunikationsverhalten auswirken kann. Dieser Aspekt
152. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse 1365

wird in vielen unterrichtsanalytischen Systemen vernachlässigt; Studien zur Beobachtung


von Gruppenprozessen liegen nur vereinzelt vor (vgl. Art. 133).
Für die Analyse pädagogischer Interaktionen ergibt sich, sollen die verschiedenen
Sichtweisen und Wahrnehmungen einbezogen werden, die Notwendigkeit einer kommuni-
kativen Validierung, d. h. einer Aushandlung der Rekonstruktion von Unterricht durch
den Außenbeobachter/Interpreten mit den Agierenden (vgl. Thiemann 1979: 86 ff.), wie
dies Mummert (1984) bei der vergleichenden Untersuchung von Deutschunterricht in
Frankreich und Französischunterricht in Deutschland mit Hilfe eines spezifischen Instru-
mentariums der „kommunikativen Unterrichtsbeobachtung“ realisiert hat. Sie hat die
Unterrichtsbeobachtungen in ein Konzept der Handlungsforschung integriert: Lehrende
und Lernende reflektieren die Beobachtungsergebnisse gemeinsam mit dem Beobachter,
um sich über die je subjektiven Interpretationen des Beobachteten zu verständigen.
An die Stelle der Suche nach möglichst allgemeingültigen Beobachtungskategorien ist
heute der Versuch getreten, Unterricht aus einer Vielzahl von Perspektiven heraus als
mehrdimensionalen, dynamischen Prozess zum Gegenstand der Forschung und der Re-
flexion in Aus- und Fortbildung zu machen; das hat die Bedeutung von Beobachtungs-
rastern relativiert und dazu geführt, dass für spezifische Zwecke in Forschung und päda-
gogischer Praxis je unterschiedliche Beobachtungsverfahren zusammengestellt bzw. selbst
entwickelt werden (vgl. Krumm 1982). D. h. die Wahl der Analysekategorien ist abhängig
vom jeweiligen Forschungs- und Erkenntnisinteresse und den praktischen Zielsetzungen:
Die Diskursanalyse etwa rückt neuralgische Aspekte der verbalen Interaktion wie z. B.
Sprecherwechsel und Korrekturverfahren in den Mittelpunkt; die psychologisch fun-
dierte Interaktionsanalyse macht Fragen der (wechselseitigen) Wahrnehmung der betei-
ligten Personen zum Thema, die stärker soziologisch orientierte Rollenanalyse fragt (un-
ter anderem) nach dem Rollenverständnis von Lehrenden oder dem Funktionieren der
Zusammenarbeit in Lerngruppen; eine sprachdidaktisch motivierte Unterrichtsanalyse
schließlich untersucht die Abfolge methodischer Schritte und Unterrichtsphasen oder die
Wirkungen einzelner Lehr- und Lernverfahren. Verfahren der Methodentriangulierung
wie z. B. die Kombination von Fremdbeobachtung und Selbstaussagen (vgl. Grotjahn
1995) bieten sich hierfür an.

3. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse in der


Lehreraus- und Lehrerortbildung

Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse haben in der Aus- und Fortbildung von


Lehrkräften einen festen Stellenwert (vgl. Art. 149⫺151): In der Lehrerausbildung wird
die Beobachtung meist mit fachdidaktischen Seminaren gekoppelt und stellt die Vorstufe
zu eigenen Unterrichtsversuchen angehender Lehrer dar. Mit Hilfe von Videoaufzeich-
nungen kann im Rahmen der pädagogischen oder sprachdidaktischen Lehrerausbildung
eine systematische Hinführung zur komplexen Unterrichtssituation bewirkt und ein Be-
obachtungstraining etabliert werden (vgl. Boocz-Barna 1997). Im Verfahren des Micro-
teaching (vgl. Krumm 1973; Nehm 1976; Kast 1994) werden kleinschrittige Unterrichts-
versuche (mit wenigen Schülern und bezogen auf Teillernziele) mit einer genauen Analyse
und Wiederholung der Lehrversuche kombiniert.
1366 XV. Lehrerinnen und Lehrer

Für die Lehrerfortbildung stellen Unterrichtsbeobachtung und -analyse einerseits


Möglichkeiten einer gezielten Auseinandersetzung mit dem eigenen Unterricht bis hin
zur Aktionsforschung bereit und entwickeln die Reflexivität der Lehrenden (vgl. Krumm
und Portmann-Tselikas 2003), sie können jedoch auch im Rahmen der Qualitätssiche-
rung der jeweiligen Institution als objektivierende Verfahren eingesetzt werden. Hier liegt
ihre besondere Bedeutung darin, dass die Lehrsituationen professionelle Deformationen
produzieren, denen aktiv entgegengearbeitet werden muss. Die eigene Wahrnehmung der
Lehrkraft reicht schon in einer Gruppe mit 10 bis 15 Teilnehmern nicht aus zu erfassen,
ob alle Lernenden durch Aufrufen und Drankommen, Lob und Aktivierung die gleichen
Kommunikationschancen bekommen, und zusätzlich zu prüfen, ob dabei auch alle glei-
chermaßen relevante Sprechanlässe erhalten und nutzen. Lehrtätigkeit ist gekennzeichnet
durch ein weitgehendes Fehlen von Rückmeldungen über den Erfolg der Arbeit und
die tatsächliche Wirkung des eigenen Verhaltens. Feedback-Elemente und Verfahren der
Selbstevaluation sind nötig, um Lehrenden Rückmeldungen über ihre Lehrtätigkeit und
deren (oft unerwartete, manchmal auch unerwünschte) Nebenwirkungen zu verschaffen.
Als hilfreich haben sich in diesem Zusammenhang Portfolios erwiesen, die die Fähigkeit
zur Selbstbeurteilung entwickeln helfen und insofern als Vor- und Nachbereitung für
Unterrichtsbeobachtungen genutzt werden können (vgl. z. B. Europäisches Portfolio für
Sprachlehrende in Ausbildung, 13⫺61). In der Kombination von Lehrtagebüchern, Port-
folio und Unterrichtsbeobachtung, insbesondere in der Form der kollegialen Beobach-
tung (vgl. Hrubesch und Wurzenrainer 2007) können unterschiedliche Formen der
Unterrichtsgestaltung und die Auswirkung des (eigenen) Lehrverhaltens im Unterricht
präziser reflektiert und damit die Reflexivität und Flexibilität der Lehrenden erhöht wer-
den: Kritik ist bedrohend, wird abgewehrt und führt zur Verteidigung bzw. Legitimation
des eigenen Verhaltens ⫺ oder aber sie destabilisiert und verunsichert (Wagner 1976).
Lehrverhalten ändert sich, wenn wünschenswerte Modelle beobachtet und die Diskre-
panzen zum eigenen Verhalten bewusst gemacht werden (vgl. Ziebell 1998).
Während Unterrichtsbeobachtung zum Zwecke der Aus- und Fortbildung im Regel-
fall auf Kooperation zwischen Beobachter und Beobachtetem basiert und Beobachtungs-
fehler möglicherweise in einem Nachgespräch aufgelöst werden können, sind Fehler in
einem Beurteilungsverfahren (vgl. Thiemann 1979; Tilmann 1981) gravierender und auch
schwerer zu erkennen und auszuräumen. Insbesondere in folgenden Bereichen treten sys-
tematische Fehler auf:
1. Verwechslung von Unterrichts- und Lehrerbeurteilung;
2. Verwechslung von Lehrer- und Persönlichkeitsbeurteilung: Zwar gibt es Persönlich-
keitsmerkmale, die auch für die Beurteilung der Lehrqualifikation heranzuziehen
sind ⫺ etwa, dass es nützlich ist, sachlich zu sein, die Namen der Lernenden zu ken-
nen, Sinn für Humor zu haben usw., aber insgesamt ist darauf zu achten, dass es nicht
um eine Beurteilung der Lehrperson, sondern um deren professionelles Handeln im
Unterricht geht;
3. Verwechslung von Planung und Realisierung: Eine Unterrichtsskizze ist wichtiger Be-
standteil einer Beurteilung von Lehrqualifikation, sie darf aber nicht die Folie für die
Beurteilung der Unterrichtsdurchführung darstellen, sondern ist in ihrem Eigenwert
zu sehen, schließlich kann die Abweichung vom zugrunde liegenden Plan eine wichtige
Form der Adaptivität von Unterricht sein;
4. Die Selektivität der Beobachtung: Beobachtung ist notwendig selektiv ⫺ eine unbe-
wusste Selektion kann über das strikte Verfolgen der Vorgaben auf Beobachtungsbö-
152. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse 1367

gen ein Stück weit vermieden werden. Noch besser ist es, durch einen zweiten Beo-
bachter ein Korrekturelement einzubauen, wie dies z. B. bei amtlichen Lehrproben im
Schulwesen meist der Fall ist. Auch der Videomitschnitt gibt Gelegenheit, Wahrneh-
mungen durch wiederholte Beobachtung zu überprüfen.

4. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse als


Forschungsverahren

Unter den divergierenden Forschungsrichtungen, die sich der Unterrichtsbeobachtung


und -analyse bedienen, sind für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache insbesondere die
folgenden Akzentuierungen von Bedeutung:

4.1. Die Kommunikationsforschung, insbesondere die Diskursanalyse, untersucht die Un-


terrichtskommunikation als Beispiel von „Sprache in Institutionen“ (z. B. im Vergleich
mit der Arzt-Patienten-Kommunikation), um institutionentypische sprachliche Hand-
lungsmuster herauszuarbeiten (vgl. Ehlich und Rehbein 1983; Henrici 1995; Sinclair und
Coulthard 1977). Verbale Muster unterscheiden sich aber auch von Kultur zu Kultur,
sodass die Untersuchung interkultureller und kulturgeprägter Kommunikationsstruktu-
ren und Verhaltensweisen gerade im Bereich der Unterrichtskommunikation deutlich ge-
macht hat, wie z. B. native speakers durch unbewusste Übertragung von Rollenverhalten
und Sprachhandlungen im Fremdsprachenunterricht Missverständnisse produzieren (vgl.
u. a. Boeckmann 2006; House und Blum-Kulka 1986; Rehbein 1985). Im Gefolge des
Konstruktivismus relativiert die Diskursanalyse den institutionellen Kontext (ohne ihn
ganz zu negieren) und interpretiert den Unterrichtsprozess noch stärker als Produkt der
Interaktion der Beteiligten: Die Mikroanalyse der (verbalen) Interaktion von Lehrenden
und Lernenden soll Aufschluss darüber geben, mit welchen Strategien diese den Unter-
richtsprozess strukturieren und welche Handlungsmuster die unterrichtliche Interaktion
erfolgreich gestalten (vgl. z. B. Lauerbach 1997).

4.2. Die Unterrichtsforschung hatte sich zunächst zum Ziel gesetzt, Merkmale ,guten
Unterrichts‘ zu erarbeiten (vgl. Brophy und Good 1974/1976). Unterrichtsbeobachtung
spielte daher in den Vergleichsuntersuchungen zur Effektivität von Unterrichtsmethoden
eine wichtige Rolle (vgl. von Elek und Oskarsson 1973). Wichtige Fragestellungen waren
die Auswirkungen des Lehrverhaltens auf die Lernergebnisse und Lernprozesse, um Cha-
rakteristika eines ,guten Fremdsprachenlehrers‘ empirisch zu ermitteln (vgl. Allwright
1988; Peck 1988), ebenso wie die Suche nach den Bedingungen für gute Lernergebnisse
auf Seiten des ,guten Sprachenlerners‘ (vgl. Naiman u. a. 1978). Im Bereich der Lehrer-
ausbildung entwickelten Krumm (1973) und Nehm (1976) Verfahren der Evaluation von
Ausbildungskonzepten mit Hilfe von Microteaching und Unterrichtsbeobachtung.

4.3. Für die Aktions- oder Handlungsforschung (vgl. Art. 153) ist die Analyse von Unter-
richtsprozessen mit dem Ziel einer gezielten Unterrichtsentwicklung insbesondere im an-
gelsächsischen Raum, aber auch in Österreich, fester Bestandteil der Lehrerfortbildung
(Legutke und Thomas 1991: 304 ff.).
1368 XV. Lehrerinnen und Lehrer

4.4. Mit den 1980er Jahren ist an die Stelle einer mehr oder weniger ausschließlich auf
Beobachtungsdaten basierenden Forschung die Kombination der Fremdbeobachtung
mit introspektiven Daten getreten (vgl. Abschnitt 2) und auch die Sprachlehrforschung
hat ihr Methodenrepertoire entsprechend erweitert. Zimmermann (1984, 1990) kombi-
niert z. B. Unterrichtsbeobachtungen mit Lehrer- und Schülerinterviews, um dem Wider-
spruch zwischen methodischen Einsichten und konkretem Lehr- und Lernverhalten bei
der Grammatikvermittlung auf die Spur zu kommen. Im Bochumer Tertiärsprachenpro-
jekt (Kleppin und Königs 1991; Bahr u. a. 1996) wurden Unterrichtsbeobachtungen
und ⫺aufzeichnungen im Verbund mit introspektiven Daten genutzt, um Spezifika des
Lehrverhaltens und der Lernenden beim Umgang mit Fehlern und Korrekturen, bei der
Semantisierung, im Hinblick auf die Einsprachigkeit und die Kognitivierung herauszuar-
beiten. Unterrichtsbeobachtung hat sich im Bereich der Sprachlehrforschung als Be-
standteil eines forschungsmethodischen Gesamtkonzepts etabliert (vgl. Bahr u. a. 1996:
24 ff.; vgl. auch Krumm und Portmann-Tselikas 2003).

5. Literatur in Auswahl
Allwright, Dick
1988 Observation in the Language Classroom. London: Longman.
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zenberg.
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Grotjahn, Rüdiger
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152. Unterrichtsbeobachtung und Unterrichtsanalyse 1369

Henrici, Gert
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1985 Interkulturelle Kommunikation. Tübingen: Narr.
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1984 Erkundungen zur Praxis des Grammatikunterrichts. Frankfurt a. M.: Diesterweg.
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Hans-Jürgen Krumm, Wien (Österreich)

153. Aktionsorschung/Handlungsorschung
1. Definition
2. Quellen der Aktionsforschung
3. Aktionsforschung im Bereich des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen
4. Kontroversen
5. Literatur in Auswahl

1. Deinition
Aktionsforschung ⫺ auch als Handlungs- oder Praxisforschung bezeichnet ⫺ ist ein
Oberbegriff für eine heterogene Gruppe von Forschungsmodellen aus den empirischen
Sozialwissenschaften, denen die grundlegende Auffassung gemeinsam ist, dass Menschen
im Prozess der Bewältigung alltäglicher Lebenspraxis Erkenntnisse von wissenschaftli-
153. Aktionsforschung/Handlungsforschung 1371

cher Bedeutung hervorbringen. Die Generierung dieses Wissen erfolgt in einem Kreislauf
von Aktion und Reflexion, der die zielgerichtete Veränderung eines sozialen Geschehens
und deren systematische Analyse aneinander koppelt. Der Perspektivenvielfalt und der
Wertgebundenheit des Handelns in sozialen Gruppen gilt dabei eine besondere Aufmerk-
samkeit.
Von der Unterrichtsforschung lässt sich die Aktionsforschung vor allem dadurch ab-
grenzen, dass es sich nicht um Untersuchungen an Lehrenden oder über Lehrende han-
delt, sondern um eine Form von Forschung, die von Lehrerinnen und Lehrern selbst
betrieben wird (vgl. Altrichter und Posch 2007: 15). Die Lernenden sowie das weitere
soziale Umfeld wie etwa Eltern und das Verwaltungspersonal der betreffenden Bildungs-
einrichtung in die Forschung einzubeziehen, kann je nach Fragestellung sinnvoll oder
sogar unerlässlich sein. Darüber hinaus stellt die Zusammenarbeit mit Forschenden aus
dem akademischen Bereich eine Möglichkeit dar, begrenzte zeitliche Ressourcen auszu-
gleichen, auf methodisches Expertenwissen zurückzugreifen und über die Konfrontation
mit einer externen Sicht Distanz zu den eigenen Interpretationen zu gewinnen.
Für die Disziplin Deutsch als Fremd- und Zweitsprache kann die Aktionsforschung
somit als eine systematische Untersuchung alltäglicher Lehr- und Lernprozesse durch
die Lehrenden selbst beschrieben werden. Sie zielt auf das Verstehen einer konkreten
Unterrichtssituation und deren kontinuierliche Verbesserung und vollzieht sich in einem
zyklischen Wechsel von Forschungs- und Entwicklungsphasen.
Die Aktionsforschung stellt eine methodische Erweiterung alltäglicher Denkprozesse
dar. Im Unterschied zur intuitiven Interpretation des Unterrichtsgeschehens führt sie
zu einer selbstkritischen Reflexion auf der Grundlage von Informationen, die mit Hilfe
bestimmter Strategien gewonnen werden (Anderson und Herr 2005: 3). Vor allem quali-
tative Methoden der empirischen Sozialforschung wie Tagebücher, Interviews oder
Gruppendiskussionen finden dabei Verwendung, weil diese das Erfassen komplexer Si-
tuationen begünstigen, aber auch quantitative Instrumente und Verfahren wie etwa stan-
dardisierte Fragebögen oder Quasi-Experimente können sinnvoll eingesetzt werden. Für
eine angemessene Methodenwahl bieten zahlreiche Veröffentlichungen der letzten Jahre
umfassende Hilfestellungen (z. B. Burns 2009; Richards and Farrell 2005).

2. Quellen der Aktionsorschung


Die Aktionsforschung wurde erstmals in den 1940er Jahren von dem Sozialpsychologen
Kurt Lewin programmatisch gefasst. Lewins Anspruch war es, eine Sozialtechnologie zu
entwickeln, um soziale Konflikte besser verstehen und lösen zu können (Lewin 2007).
Seine Konzeption des zirkulären Forschungsprozesses, die kontextbedingt den professio-
nell Forschenden die dominierende Rolle zuweist, wurde zu einer Blaupause für die Akti-
onsforschung auf vielen anderen sozialwissenschaftlichen Gebieten. Für den Bereich
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ist sein Modell jedoch nur von beschränkter Rele-
vanz, denn im Zusammenhang mit institutionalisierten Lehr- und Lernprozessen ist die
Aktionsforschung sehr eng mit der Debatte um eine Professionalisierung des Lehrberufs
verknüpft, was den Einfluss professionell Forschender tendenziell zurückdrängt (vgl.
Art. 148).
Historisch betrachtet erscheinen daher die Ideen von John Dewey einflussreicher, des-
sen Arbeiten zum Verhältnis von akademischer Wissenschaft und unterrichtlicher Praxis
1372 XV. Lehrerinnen und Lehrer

bereits vor Kurt Lewin wichtige Argumente für den Einsatz von Aktionsforschung liefer-
ten (siehe Dewey 1984). So räumte Dewey den Erfahrungen der Lehrenden den zentralen
Stellenwert bei der Generierung von handlungsrelevanten Theoremen und Konzepten ein
und plädierte deshalb für ein reflexives Lehren, bei dem die Praktikerinnen und Praktiker
in einem forschenden Habitus die Motive, Folgen und Beschränkungen ihres alltäglichen
Handelns selbst ergründen.
Weitere bedeutsame gedankliche Grundlagen für die Aktionsforschung stammen von
Donald Schön (1983), der das Zusammenwirken von verschiedenen Wissenstypen beim
Handeln in mehreren Feldern professioneller Praxis anschaulich beschrieb und daraus
die Notwendigkeit ableitete, eine forschende Haltung als notwendiges Element professio-
nellen Lehrens zu betrachten. Schöns Kritik galt vor allem dem Versuch, soziales Gesche-
hen nach dem Vorbild technologischer Prozesse zu gestalten. Einerseits, so Schön, über-
schätze dieses „Modell technischer Rationalität“ die Möglichkeiten theoretischen Wis-
sens und instrumentellen Handelns bei der Bewältigung praktischer Probleme in
komplexen Kontexten, die eher von Ungewissheiten als von Kausalzusammenhängen
geprägt seien. Andererseits blende es das Potenzial und die Individualität der beteiligten
Personen aus. Dem setzte Schön seine Vorstellung von reflektierenden Praktikerinnen
und Praktikern entgegen, die angesichts der Instabilität und Einzigartigkeit sozialer
Konstellationen die Fähigkeit entwickeln, eigene Handlungsmuster und Situationsdefini-
tionen beständig zu hinterfragen.
Zu vergleichbaren Konsequenzen gelangte auch die englische Curriculumbewegung,
die sich Ende der 1960er Jahre herausbildete und mit Lawrence Stenhouse (1985) und
John Elliott (2007) zwei wichtige Mentoren der Aktionsforschung hervorbrachte. Sten-
house setzte mit seiner Argumentation an der Erfahrung an, dass Implementionsstrate-
gien für curriculare Innovationen häufig zum Scheitern verurteilt sind, weil sie die akade-
mische Forschung idealisieren und zugleich den Bildungsprozess trivialisieren. Das Cur-
riculum kann für ihn deshalb immer nur eine hypothetische Realisierung von Theorien
über die Natur von Wissen und das Wesen von Lehr- und Lernprozessen darstellen, die
einer praktischen Überprüfung durch forschend tätige Lehrende bedarf.
John Elliott schließlich erwarb sich das Verdienst, Lehrende in zahlreichen Kooperati-
onsprojekten bei dieser Form von Forschung unterstützt zu haben. Sein Plädoyer für
eine „evidenzbasierte Praxis“ nimmt bei der Wertgebundenheit aller pädagogischen Tä-
tigkeiten ihren Ausgang. Da normative Setzungen immer mehrere Varianten der prakti-
schen Umsetzung zuließen, so sein Ansatzpunkt, sollten Lehrende bestrebt sein, die Pas-
sung zwischen ihren Werten und Handlungen kontinuierlich und mit Hilfe wissenschaft-
licher Methoden zu untersuchen. Elliott lenkte damit den Blick auf den besonderen
Stellenwert, der den praktischen bzw. subjektiven Theorien von Lehrerinnen und Lehrern
bei der Gestaltung von Unterricht zukommt.

3. Aktionsorschung im Bereich des Lehrens und Lernens von


Fremdsprachen

Seit einigen Jahren lässt sich für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ⫺ ebenso wie in
der gesamten Fremdsprachenforschung (Burns 2007) ⫺ ein zunehmendes Interesse an
der Aktionsforschung ausmachen, welches in theoretischen Arbeiten zum Thema (z. B.
153. Aktionsforschung/Handlungsforschung 1373

Boeckmann 2002; Riemer 2002) ebenso seinen Ausdruck findet wie in empirischen Stu-
dien (z. B. Ngatcha 2004; Schart 2008; Rankin und Becker 2006; Warneke 2007).
Dass sich im Bereich des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen erst relativ spät
ein Bewusstsein für das Potenzial von Aktionsforschung herausbildete, lässt sich unter
anderem auf den Einfluss der bis in die 1990er Jahre dominierenden Forschungsperspek-
tive zurückführen, aus der das Lernen vor allem als ein individueller, kognitiver und
weniger als ein sozialer Prozess konzipiert wurde. Nicht zuletzt aus der Erfahrung he-
raus, dass sich viele der Implikationen, zu denen die Ergebnisse kognitiv orientierter
Studien führen, nicht mit den Anforderungen der alltäglichen Unterrichtspraxis in Ein-
klang bringen lassen, gewann in den 1990er Jahren der soziokulturelle Ansatz an Zu-
spruch. Dieser versucht ein Licht auf eben jene Aspekte zu werfen, die zuvor weitgehend
ausgeblendet blieben: die enge Bindung des Lernens an die lokalen Gegebenheiten und
die Bedeutung der subjektiven Situationsdeutungen der am Unterricht beteiligten Perso-
nen (Block 2003; van Lier 2004). Das Lernen wird aus soziokultureller Sicht als ein
dynamischer, durch wechselseitige Abhängigkeiten der Beteiligten geprägter und damit
tendenziell unkontrollierbarer Prozess betrachtet. Er lässt sich also nicht losgelöst von
den Lerngemeinschaften verstehen, in denen er sich vollzieht. Eine schlüssige Folge dieses
Perspektivenwechsels ist das verstärkte Interesse an der Rolle der Lehrenden im Gesamt-
gefüge Unterricht.
Parallel dazu überwand die Fremdsprachendidaktik ihre Fokussierung auf den me-
thodischen Aspekt des Unterrichts (Kumaravadivelu 2006). Die Aufmerksamkeit
verschob sich dadurch von der Effizienz des Lehrens nach einer universal anwendbaren
Methode auf die Qualität jedes einzelnen Lernumfeldes. Lehrende werden nun als Spezia-
listen für die Gestaltung anregender Unterrichtsumgebungen und reichhaltiger Lernmög-
lichkeiten gesehen und sollen mit Flexibilität, Offenheit und Sensitivität auf die örtlichen
Gegebenheiten reagieren (Allwright 2005; Breen 2007). Das wiederum verstärkt den Ruf
nach einem professionellen Handeln, bei dem sich Intuition und systematische Formen
der Erkenntnisgewinnung über das eigene Tätigkeitsfeld ergänzen.

4. Kontroversen

Der Aufschwung, den die Aktionsforschung in den zurückliegenden Jahren erlebte,


wurde von mehreren Kontroversen begleitet, die zum einen der Heterogenität des Ansat-
zes geschuldet sind, zum anderen von etablierteren Forschungsrichtungen an sie herange-
tragen werden.
Ein wichtiges Beispiel für eine intern ausgetragene Diskussion stellt die Frage dar, ob
sich die Aktionsforschung in ihrem Kern als ein problemlösender oder als ein problema-
tisierender Ansatz definieren sollte. Die Forschungspraxis selbst kann zwar nur selten
trennscharf einer dieser beiden Positionen zugeordnet werden, doch tendenziell ergeben
sich aus ihnen unterschiedliche Zielsetzungen und Vorgehensweisen. Steht das Lösen
praktischer Probleme im Vordergrund, wird die Aktionsforschung eher als ein individuel-
ler, zeitlich begrenzter Prozess verstanden, der mit Hilfe bestimmter Techniken durchge-
führt wird und auf die Verbesserung einzelner Aspekte von Unterricht zielt. Allwright
(2005) kritisiert dieses Verständnis von Aktionsforschung, weil es der Arbeit von Lehren-
den einen defizitären Charakter verleihe und zugleich überhöhte Ansprüche an das me-
1374 XV. Lehrerinnen und Lehrer

thodische Vorgehen stelle. Angesichts der beschränkten Ressourcen an Zeit und Energie,
über die Lehrende verfügen, plädiert er statt dessen mit seiner Konzeption einer Explora-
tory Practice für eine pragmatische Herangehensweise: Lehrende sollten die alltäglichen
Lehr- und Lernaktivitäten dazu nutzen, gemeinsam mit ihren Lernenden Ungewissheiten
und neue Möglichkeiten zu erkunden und die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Ge-
schehen zu thematisieren. So entstehe lokales Wissen, das zur Weiterentwicklung des
Unterrichts genutzt werden könne (Allwright und Hanks 2009).
Autoren wie Carr und Kemmins (1986) oder Greenwood und Levin (1998) vertreten
dagegen einen dezidiert problematisierenden Ansatz. Aus ihrer Perspektive vernachläs-
sigt die Konzentration auf individuelle Probleme oder auf Forschungstechniken die
Wahrnehmung der historisch und kulturell bedingten Rollen- und Kräfteverteilungen in
Institutionen. In ihrer Variante einer kritischen Aktionsforschung ist es entscheidend,
dass sich Lehrende zu Forschungsgruppen zusammenschließen und gemeinsam die Ver-
antwortung für eine systematische Verbesserung ihres Arbeitsumfeldes übernehmen. Die
Aktionsforschung wird deshalb als ein lebenslanger, emanzipatorischer Prozess beschrie-
ben, der nicht nur zu Einblicken in die eigenen Werte, pädagogischen Vorstellungen und
Rituale verhilft, sondern zugleich auch die Identität der gesamten Berufsgruppe stärkt.
Das professionelle Selbstbewusstsein der Lehrenden gilt als wichtige Voraussetzung, um
innerhalb von Bildungsinstitutionen demokratischere Strukturen zu erreichen und da-
rüber hinaus auch das traditionelle Hierarchie- und Prestigefälle zwischen Theorie und
Praxis zu überwinden.
Dieser Aspekt verweist auf eine weitere zentrale Kontroverse um die Aktionsfor-
schung, denn ihr adäquates Verhältnis zum akademischen Wissenschaftsbetrieb ist ein
seit langem intensiv diskutierter Gegenstand. Von Anfang an musste sich die Aktionsfor-
schung mit Zweifeln an ihrer Wissenschaftlichkeit auseinandersetzen (vgl. Blum 1955).
Dass sie nicht danach strebt, einen methodisch kontrollierten Abstand zwischen For-
schenden und Beforschten, Fakten und Werten oder Denken und Handeln zu halten,
macht zugleich ihre besondere Stärke und Schwäche aus. Einerseits lässt sich nur auf
diesem Weg Wissen generieren, das für den betreffenden Kontext von unmittelbarer Rele-
vanz ist. Andererseits setzt genau an diesem Punkt der häufig eingebrachte Vorwurf
unzureichender Generalisierbarkeit und mangelnder Objektivität an.
Es kann als ein Konsens innerhalb der Aktionsforschung gelten, dass bestimmte Stan-
dards erfüllt sein müssen, um überhaupt von Forschung sprechen zu können. Allerdings
treffen die traditionellen Gütekriterien empirischer Sozialforschung auf breite Ableh-
nung. Die Forderung nach Generalisierbarkeit beispielsweise verkennt das Wesen der
Aktionsforschung, der es gerade darum geht, Singuläres zu verstehen und kontextgebun-
denes Wissen zu generieren. Die Nachvollziehbarkeit und Glaubwürdigkeit der Darstel-
lung, die Vertrauenswürdigkeit der Erkenntnisse oder die umfassende Transparenz im
Hinblick auf den gesamten Forschungsprozess werden als jene alternativen Qualitäts-
merkmale gesehen, an denen es sich entscheidet, ob die Ergebnisse einer Untersuchung
für andere Kontexte Relevanz gewinnen können. Die Generalisierung wird demnach als
ein kommunikativer Prozess zwischen Produzenten und Rezipienten von Aktionsfor-
schung konzipiert (Duff 2008: 42; Greenwod und Levin 1998: 68).
Der Vorwurf mangelnder Objektivität wiederum bezieht sich auf die logistische
Schwierigkeit forschender Lehrender, sich als Handelnde und Beobachtende an zwei Or-
ten zugleich aufhalten zu müssen. Die Befangenheit gegenüber den eigenen Werten und
Urteilen, die für jede Form von Forschung eine Herausforderung darstellt und sich in
153. Aktionsforschung/Handlungsforschung 1375

keinem Fall vollends überwinden lässt, ist für die Aktionsforschung daher ein besonders
sensibler Bereich. Neben dem Einsatz von Forschungsmethoden, die die Perspektiven-
vielfalt berücksichtigen und damit Werte- und Interessenkonflikte zugänglich machen,
stellt die Kooperation mit externen Forschenden einen nahe liegenden Weg dar, um eine
kritische Distanz zu den eigenen Situationsdeutungen aufzubauen. Kontrovers diskutiert
wird jedoch der Anteil, den beruflich Forschende in diese Partnerschaft einbringen soll-
ten (z. B. Stewart 2006). Augenfällig ist, dass nach wie vor nicht nur die theoretischen
und methodischen Arbeiten zur Aktionsforschung häufig aus dem akademischen Bereich
kommen, sondern auch die Impulse für konkrete Untersuchungen. Die Diskussionen
über eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen internen und externen Forschenden werden
sich aber erst dann als fruchtbar erweisen, wenn weitaus mehr Studien vorliegen, an
denen sich die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Kooperationsformen nachvollzie-
hen lassen.
Auch eine Antwort auf die Frage, welchen Beitrag die Aktionsforschung zur Weiter-
entwicklung der wissenschaftlichen Disziplin Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ins-
gesamt zu leisten im Stande ist, scheitert derzeit noch daran, dass viel mehr über sie
geschrieben als mit ihr gearbeitet wird. Und so gilt es bereits als ein Topos in den Veröf-
fentlichungen zur Aktionsforschung, in einem Atemzug deren Potenzial zu betonen und
zugleich auf den Mangel an Beispielen zu verweisen (z. B. Dörneyei 2007: 191⫺196;
Greenwood 2002). Neue Modelle der Ausbildung, in denen Phasen systematisch reflek-
tierter Praxis eine zentrale Rolle spielen (z. B. Schocker-von Ditfurth 2001; Warneke
2007), werden möglicherweise dazu beitragen, dass künftige Lehrende die Aktionsfor-
schung als festen Bestandteil ihrer professionellen Identität betrachten.

5. Literatur in Auswahl
Allwright, Dick
2005 Developing Principles for Practitioner Research: The Case of Exploratory Practice. Mo-
dern Language Journal 89(3): 353⫺366.
Allwright, Dick und Judith Hanks
2009 The Developing Language Learner: An Introduction to Exploratory Practise. New York:
Palgrave Macmillan.
Altrichter, Herbert und Peter Posch
2007 Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht. 4., überarbeitete und erweiterte Auf-
lage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Anderson, Gary L. und Kathryn Herr
2005 The Action Research Dissertation: A Guide for Students and Faculty. Thousand Oaks:
Sage.
Block, David
2003 The Social Turn in Second Language Acquisition. Washington, D.C.: Georgetown Univer-
sity Press.
Blum, Fred H.
1955 Action Research ⫺ a Scientific Approach? Philosophy of Science 22: 1⫺7.
Boeckmann, Klaus-Börge
2002 Forschung in der Unterrichtspraxis. FremdsprachenlehrerInnen als ForscherInnen. In:
Hans Barkowski und Renate Faistauer (Hg.), … in Sachen Deutsch als Fremdsprache,
180⫺190. Baltmannsweiler: Schneider Verlag.
1376 XV. Lehrerinnen und Lehrer

Burns, Anne
2009 Doing action research in English language teaching: A guide for practioners. New York:
Routledge.
Burns, Anne
2007 Action Research: Contributions and Future Directions in ELT. In: Jim Cummins und
Chris Davison (Hg.), International Handbook of English language Teaching, 987⫺1002.
New York: Springer.
Carr, Wilfred und Stephen Kemmins
1986 Becoming Critical: Education, Knowledge and Action Research. London: Falmer Press.
Dewey, John
1984 The sources of a science in education. In: John Dewey, The later works 1925⫺1953, 1⫺
40. Carbondale: Southern Illinois University Press.
Dörneyei, Zoltán
2007 Research Methods in Applied Linguistics. Oxford: Oxford University Press.
Duff, Patricia A.
2008 Case Study Research in Applied Lingusitics. New York: Lawrence Erlbaum Associates.
Elliott, John
2006 Reflecting Where the Action Is: The Selected Works of John Elliott. (World Library of
Educationalists). Routledge: New York.
Greenwood, Davydd J.
2002 Action Research: Unfulfilled Promises and Unmet Challenges. Concepts and Transforma-
tion 7(2): 117⫺139.
Greenwood, Davydd J. and Morten Levin
1998 Introduction to Action Research. Social Research for Social Change. Thousand Oaks: Sage.
Kumaravadivelu, B.
2006 Understanding Language Teaching. From Method to Postmethod. Mahwah, NJ: Law-
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Lewin, Kurt
1997 Resolving Social Conflicts and, Field Theory in Social Science. Washington, D.C.: Ameri-
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Ngatcha, Alexis
2004 Was kann Aktionsforschung zur Praxis des Fremdsprachenunterrichts Deutsch beitragen?
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Rankin, Jamie and Florian Becker
2006 Does Reading the Research Make a Difference? A Case Study of Teacher Growth in FL
German. The Modern Language Journal 90: 353⫺369.
Richards, Jack C. and Thomas S. C. Farrell
2005 Professional Development for Language Teachers. Strategies for Reacher Learning. Cam-
bridge: Cambridge University Press.
Riemer Claudia
2002 Für und über die eigene Unterrichtspraxis forschen: Anregungen zur Lehrerhandlungsfor-
schung. In: Rüdiger Schreiber (Hg.), Deutsch als Fremdsprache am Studienkolleg. Unter-
richtspraxis, Tests, Evaluation, 129⫺143. (Materialien Deutsch als Fremdsprache 63). Re-
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Schart, Michael
2008 What Matters in TBLT⫺TBLT, Teacher or Team? An Action Research Perspective from
a Beginning German Language Classroom. In: Johannes Eckerth & Sabine Siekmann
(Hg.), Task-Based Language Learning and Teaching: Theoretical, Methodological, and
Pedagogical Perspectives, 41⫺60. Frankfurt: Peter Lang.
Schocker-von Ditfurth, Marita
2001 Forschendes Lernen in der fremdsprachlichen Lehrerbildung. Grundlagen, Erfahrungen, Per-
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153. Aktionsforschung/Handlungsforschung 1377

Schön, Donald A.
1983 The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action. New York: Basic Books
Stenhouse, Lawrence
1985 Research as a Basis for Teaching. Readings from the Work of Lawrence Stenhouse. London:
Heinemann Educational Books.
Stewart, Timothy
2006 Teacher-Researcher Collaboration or Teacher’s Research? TESOL Quarterly 40(2):
421⫺430.
van Lier, Leo
2004 The Ecology and Semiotics of Language Learning: A Sociocultural Perspective. Boston:
Cluver Academic.
Warneke, Dagmara
2007 Aktionsforschung und Praxisbezug in der DaF-Lehrerausbildung. Dissertation. Kassel:
Kassel University Press GmbH.

Michael Schart, Tokio (Japan)


XVI. Kulturwissenschatliche Aspekte des
Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

154. Geschichte und Konzepte einer


Kulturwissenschat im Fach Deutsch als
Fremdsprache
1. Von der Landeskunde zur Kulturwissenschaft
2. Kulturtheoretische Positionierung
3. Fragestellungen und Gegenstände
4. Methoden kulturwissenschaftlicher Forschung im Fach DaF
5. Ausblick
6. Literatur in Auswahl

1. Von der Landeskunde zur Kulturwissenschat


Die Herausbildung einer spezifisch kulturwissenschaftlichen Komponente des Faches
Deutsch als Fremdsprache ist eine vergleichsweise neue Entwicklung und soll hier im
Zentrum der Betrachtung stehen. Zwar fanden die kulturellen Aspekte des Deutsch als
Fremdsprache-Lernens insbesondere auf der Ebene des Unterrichts und in der Lehre
immer schon gebührende Berücksichtigung, diese wurden aber der Fachkomponente
Landeskunde überantwortet, die in aller Regel als bloßes Anwendungsfach verstanden
wurde und deren Status als Fach oder Disziplin und deren Verhältnis zu ihren traditio-
nellen Bezugsdisziplinen wie der Soziologie, der Geschichts- oder der Politikwissenschaft
oder auch der Kulturanthropologie letztlich immer ungeklärt und in einzelnen Studien
stecken geblieben sind. Auch Versuche der Anbindung an Teilgebiete der Erkenntnistheo-
rie wie der Semiotik (Köhring und Schwerdtfeger 1976; Casper-Hehne 2006) oder die
Orientierung an kulturellen Symbolen (Schwerdtfeger 1991) haben keine weit reichenden
Folgen gehabt. Insbesondere mangelte es der Landeskunde immer an einer eigenen wis-
senschaftlichen Dignität, die sie anderen Bereichen wie der Linguistik, der Zweitspra-
cherwerbsforschung oder der Literaturwissenschaft gleichstellen würde.
Die seit ca. Mitte der 1990er Jahre andauernde Diskussion über die Weiterentwick-
lung und Transformation der Landeskunde zur Kulturwissenschaft, die im Übrigen nicht
nur im Fach Deutsch als Fremdsprache, sondern in allen Fremdsprachenwissenschaften
stattfindet, kann dabei zwar auf ältere Fachtraditionen zurückgreifen, die teilweise
verschüttet, teilweise aber durch die politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts
auch dauerhaft desavouiert sind (vgl. Art. 160). Aber erst mit dem viel beschworenen
cultural turn in den Geistes- und Sozialwissenschaften seit etwa Mitte der 1980er Jahre,
der damit einhergehenden grundlegenden Infragestellung allgemeingültiger nomotheti-
scher Erklärungsmodelle menschlichen Verhaltens und der Hinwendung zu verstehenden,
die Rolle symbolischer Ordnungen und subjektiver Sinnzuschreibungen in den Vorder-
grund stellenden Ansätzen ergab sich eine neue wissenschaftliche Konstellation, die her-
154. Geschichte und Konzepte einer Kulturwissenschaft im Fach Dt. als Fremdsprache 1379

gebrachte disziplinäre Grenzziehungen und Zuordnungen nachhaltig erschütterte und in


Frage stellte und nicht zuletzt dadurch auch einer Weiterentwicklung und Transforma-
tion der traditionellen Landeskunde zu einem eigenständigen, aber gleichwohl vielfach
vernetzten Bereich spezifisch kulturwissenschaftlicher Forschung völlig neue Perspekti-
ven eröffnete. Dieser Transformationsprozess ist immer noch im Gang, derzeit ist ein
Abschluss, mit welchem Resultat auch immer, nicht absehbar. Verschiedene wissen-
schafts- und bildungspolitische Entwicklungen, etwa die Einrichtung entsprechender
Professuren an mehreren Universitätsstandorten seit 2005 oder auch die zunehmende
Rolle, die den Aspekten des kulturellen Lernens beim Fremdsprachenunterricht im Allge-
meinen und im Rahmen des Integrationsprozesses von Zuwanderern in den deutschspra-
chigen Ländern im Besonderen zuerkannt wird, sprechen dafür, dass wir es hier mit
einem unumkehrbaren Prozess zu tun haben.

2. Kulturtheoretische Positionierung

Kulturwissenschaftliche Theoriebildung gehört bislang nicht unbedingt zu den Stärken


des Faches Deutsch als Fremdsprache. An den vielfältigen disziplinenübergreifenden Dis-
kussionen um eine Konstituierung des neuen kulturwissenschaftlichen Paradigmas in den
Geistes- und Sozialwissenschaften, wofür hier exemplarisch das Handbuch der Kulturwis-
senschaften (Jaeger und Liebsch 2004) stehen mag, ist das Fach, wenn überhaupt, allen-
falls am Rande beteiligt und beschränkt sich ansonsten auf eine bloß passiv-rezeptive
Haltung dazu. Umgekehrt werden aber die ja seit vielen Jahren weltweit ausgetragenen
und zunehmend diversifizierten kulturtheoretischen Debatten im Fach Deutsch als
Fremdsprache nur höchst selektiv und eklektisch wahrgenommen und zu eigenen For-
schungs- und Theorieansätzen verarbeitet. Die schon vor einigen Jahren formulierte Di-
agnose, wonach in unserem Fach die falsche Erwartung vorherrscht, man könne als
Fremdsprachenforscher(in) „sozusagen ,nebenbei‘ schnell ein paar kulturwissenschaft-
liche Arbeiten (…) lesen, um die eigene Forschung damit ein wenig anzureichern“
(Schmenk 2006: 270), hat sicherlich wenig an Brisanz und Aktualität eingebüßt. Die
vielfach geforderte und in mancher Hinsicht ja auch ansatzweise schon realisierte Weiter-
entwicklung der herkömmlichen Landeskunde zu einer kulturwissenschaftlichen For-
schungsdisziplin wird nur nachhaltig erfolgreich sein, wenn das Fach auch in diesem
Bereich eine Reflexions- und Diskussionskultur auf Augenhöhe entwickelt, sich mit den
erwähnten kulturtheoretischen Positionen auf angemessenem Niveau und in nennenswer-
tem Umfang auseinandersetzt und sich dabei, ausgehend von den eigenen erkenntnislei-
tenden Interessen, innerhalb des kulturtheoretischen Diskurses auch positioniert.
Dabei wird in nächster Zeit die kritische Auseinandersetzung mit dem im Kontext
von Pädagogik und Fremdsprachendidaktiken nach wie vor sehr einflussreichen Para-
digma der Interkulturalität von besonderer Wichtigkeit sein. Dieses Paradigma, das von
der grundlegenden Dichotomie zwischen eigener und fremder Kultur ausgeht und Kultur
als hinter dem Rücken der Subjekte und insofern nicht unmittelbar reflexiv verfügbares,
wohl aber hochgradig handlungswirksames Orientierungssystem auf vorrangig ethno-
nationaler Ebene ansieht, hat ja einerseits eine reichhaltige Forschungsaktivität angeregt
und hervorgebracht, die von der empirischen kontrastiven Kulturforschung in Ethnolo-
gie und Sozialwissenschaften über kommunikations- und sprachwissenschaftlich orien-
1380 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

tierte Forschungen zur interkulturellen Kommunikation (zum Überblick vgl. Straub,


Weidemann und Weidemann 2007) bis hin zu ganzen Disziplinausgründungen wie der
Interkulturellen Germanistik reicht (vgl. Art. 157) ⫺ alles Forschungsbereiche, die aus
dem Kontext des Faches Deutsch als Fremdsprache nicht wegzudenken sind. Anderer-
seits ist das Interkulturalitätsparadigma mit seinen deutlich unterkomplexen und simpli-
fizierenden Vorstellungen vom Eigenen und Fremden und seinem homogenisierenden
und essentialistischen Kulturbegriff, belehrt nicht zuletzt durch Überlegungen zu den
kulturellen Auswirkungen der Globalisierung und die zunehmend auch in den Fremd-
sprachenwissenschaften heimisch werdende Begrifflichkeit der Postcolonial Studies
(Hybridität, Thirdspace u. a.), in letzter Zeit stark unter Druck geraten und teilweise
heftiger und grundsätzlicher Kritik ausgesetzt (zur Kritik am Interkulturalitätspara-
digma im Kontext von DaF vgl. Altmayer 2006a: 45⫺50). Dabei ist allerdings im Fach
Deutsch als Fremdsprache wie in anderen Fremdsprachenwissenschaften ein unklares bis
widersprüchliches Verhältnis zu den angesprochenen Positionen des Interkulturalitätspa-
radigmas zu konstatieren. Während nämlich auf theoretischer Ebene der Konstruktcha-
rakter von Nationalkulturen meist gesehen und die Notwendigkeit zu stärkerer Differen-
zierung eingeräumt wird, setzen eher anwendungsorientierte Positionen gleichwohl und
nicht selten wider besseres Wissen doch die vereinfachenden kulturkontrastiven Katego-
rien des Interkulturalitätsparadigmas als selbstverständliche Annahmen voraus; und an-
dererseits bieten kulturtheoretisch differenziertere Positionen bislang auch selten kon-
krete Ansatzpunkte für forschungs- oder unterrichtspraktische Umsetzung (vgl. Hu und
Byram 2009: XII). Hier ist zweifellos noch weitere Klärung notwendig; insbesondere
muss die kulturtheoretische Reflexion stärker als bisher mit forschungspraktischen Be-
langen verzahnt werden. Dabei könnte sich eine Anknüpfung an aktuelle kulturtheoreti-
sche Überlegungen etwa zur kulturellen Komplexität und zum cultural flow von Hannerz
(1992) bzw. Risager (2006), zur komplexen Verschachtelung kollektiver Zugehörigkeiten
von Hansen (2009) sowie insbesondere zu einem bedeutungs- und wissensorientierten
Kulturbegriff, wie er sich in aktuellen kulturtheoretischen Debatten auch in den Sozial-
wissenschaften durchzusetzen scheint (vgl. Reckwitz 2000: 84⫺86.; vgl. Art. 156), als be-
sonders fruchtbar erweisen.

3. Fragestellungen und Gegenstände

3.1. Landeskunde der deutschsprachigen Länder

Gegenstand einer Kulturwissenschaft im Kontext von Deutsch als Fremdsprache, die


sich als Weiterentwicklung der herkömmlichen Landeskunde sieht, ist zunächst einmal
das Land bzw. sind die Länder, in denen die betreffende Sprache, in unserem Fall
Deutsch, als offizielle oder gar einzige Sprache gesprochen wird. Anzustreben wäre hier
beispielsweise ein Gesamtüberblick über die den jeweiligen Sprachraum betreffenden
Teilaspekte von Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, wie sie für an-
dere Länder bzw. Sprachräume vorliegen (vgl. z. B. zu Frankreich Große und Lüger
2008; zu Großbritannien Kamm und Lenz 2004). Solche Kompendien, die das verfügbare
Wissen über Deutschland bzw. den deutschsprachigen Raum zusammentragen, liegen
vor allem außerhalb des deutschen Sprachraums vor und wenden sich dort an Lernende
154. Geschichte und Konzepte einer Kulturwissenschaft im Fach Dt. als Fremdsprache 1381

bzw. Studierende des Faches Deutsch in der betreffenden Region. Auch im Fach Deutsch
als Fremdsprache innerhalb des deutschen Sprachraums werden vergleichbare Anstren-
gungen gelegentlich unternommen (vgl. z. B. Mog und Althaus 1992 oder in jüngster Zeit
von Schilling 2006). Dabei zeigt sich gerade in diesen Darstellungen ein grundsätzliches
Problem: Sie beruhen nicht auf eigener gemeinsamer Forschung, sondern greifen mehr
oder weniger selektiv auf Forschungsarbeiten und -ergebnisse verschiedener Disziplinen
wie der Geschichtswissenschaft, der Soziologie oder der Geographie zurück und entwer-
fen auf dieser Basis ein Bild des Zielsprachenlandes, das nicht selten eher das subjek-
tive ⫺ auch durch die jeweilige Fachperspektive bestimmte ⫺ Bild der jeweiligen Autoren
ist, dessen tatsächlich wissenschaftliche Fundiertheit für die Landeskunde in Deutsch
als Fremdsprache jedenfalls häufig zweifelhaft bleibt. Vor allem aber bieten sich einer
Landeskunde, die sich lediglich als Anwendungsfach für wissenschaftliches Wissen be-
greift, das anderswo und auf der Basis anderer, von landeskundlichen Lehr- und Lern-
kontexten völlig unabhängiger Erkenntnisinteressen erarbeitet wird, keine Perspektiven
für die Entfaltung ihrer eigenen spezifischen Forschungsinteressen. Ähnlich unklar bleibt
das hier erwähnte Verhältnis zwischen erkenntnisleitendem Interesse und Gegenstands-
perspektivierung auch in neueren Ansätzen einer Aufwertung und Verwissenschaftli-
chung der herkömmlichen Landeskunde, etwa in Wierlachers Konzept essayistisch ver-
fahrender „Landesstudien“ (vgl. Wierlacher 2006) oder in Wormers Überlegungen zu
einer xenologisch-transkulturellen und transdisziplinär-vergleichenden Landeskundewis-
senschaft (vgl. Wormer 2004). So sinnvoll und richtig die von Wierlacher wie Wormer
geforderte und bislang sicherlich eher unterentwickelte Kooperation zwischen Vertretern
des Faches Deutsch als Fremdsprache und anderen Fachwissenschaften zweifellos ist
(vgl. Koreik 2009: 25⫺28), so wenig lässt sich doch daraus allein eine eigenständige
wissenschaftliche Perspektivierung des Gegenstandsbereichs der Landeskunde und damit
deren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit herleiten. Insgesamt wird man in Bezug auf das
wissenschaftliche und disziplinäre Selbstverständnis einer sich zur Kulturwissenschaft
weiter entwickelnden Landeskunde und auf die damit ja eng zusammenhängende Frage
der Gegenstandskonstituierung einer solchen Wissenschaft noch einigen Diskussions-
und Klärungsbedarf konstatieren dürfen.

3.2. Kulturelle Deutungsmuster

Im Gegensatz zu den erwähnten Ansätzen einer an den Gegenständen orientierten Lan-


deskundewissenschaft versteht sich das in den letzten Jahren entwickelte und vergleichs-
weise elaborierte Konzept einer spezifischen Kulturwissenschaft im Kontext von Deutsch
als Fremdsprache von Altmayer insofern als primär lernprozessorientiert, als hier das
erkenntnisleitende Interesse an der Initiierung und Optimierung kulturbezogener Lern-
prozesse bei Lernenden des Deutschen als Fremdsprache nicht als nachrangiger Anwen-
dungsaspekt gilt, sondern als gegenstandskonstitutive Forschungsperspektive im Zent-
rum steht (vgl. dazu und zum Folgenden Altmayer 2004: 33⫺35, 2006b: 183⫺184). Kul-
turwissenschaftliche Forschung beschäftigt sich demnach nicht mit der Kultur der
deutschsprachigen Länder schlechthin, sondern mit dieser Kultur im Hinblick auf kultur-
bezogene Lehr- und Lernprozesse im Kontext von Deutsch als Fremdsprache.
Um den so beschriebenen Gegenstandsbereich kulturwissenschaftlicher Forschung ge-
nauer zu fassen, legt Altmayer zunächst einen „bedeutungs- und wissensorientierten“
1382 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

(Reckwitz 2000: 84) Begriff von Kultur zugrunde, wonach diese nicht in einem Set mehr
oder weniger gleichförmiger Verhaltensweisen oder Mentalitäten besteht, sondern uns
mit einem Fundus an (kollektivem) Wissen versorgt, das uns in die Lage versetzt, der
Welt um uns herum, aber auch unserem eigenen Leben Sinn und unserem Handeln Ori-
entierung zu geben (vgl. dazu und zum Folgenden Altmayer 2004: 147⫺165, 2006a,
2006b, vgl. auch Art. 156). Unter Verwendung (und Umdeutung) eines Begriffs, der ur-
sprünglich aus der objektiven Hermeneutik stammt, aber auch in anderen soziologischen
und pädagogischen Kontexten heimisch geworden ist, werden die musterhaft verdichte-
ten und im kulturellen Gedächtnis gespeicherten Einzelelemente dieses Wissens als kultu-
relle Deutungsmuster bezeichnet. Der für den DaF-Kontext konstitutive Bezug zur Spra-
che und damit zum Fremdsprachenlernen besteht dabei insbesondere darin, dass wir im
Sprachgebrauch, d. h. in alltäglicher, aber auch in medialer und schriftlicher Kommuni-
kation, in hohem Maß auf solche kulturellen Deutungsmuster zurückgreifen, sie bei un-
seren Gesprächspartnern oder den Adressaten von Texten oder Medienangeboten aller
Art in der Regel implizit und selbstverständlich als allgemein bekannt und akzeptiert
voraussetzen. Die Aufgabe kulturwissenschaftlicher Forschung in Deutsch als Fremd-
sprache besteht nach diesem Konzept dann vor allem darin, die im alltäglichen Sprachge-
brauch in aller Regel implizit bleibenden kulturellen Deutungsmuster, die wir im Deut-
schen verwenden, zu rekonstruieren, d. h. sie auf die Ebene des Expliziten zu heben, sie
sichtbar und damit auch lernbar zu machen.

3.3. Kulturspeziische Lehr- und Lerntraditionen

Während die bisher diskutierten Forschungsansätze eher die Frage nach den Inhalten
eines kulturbezogenen Lernens fokussieren, beschäftigen sich die im Folgenden darge-
stellten Konzepte und Ansätze mit den vielfältigen Bezügen zwischen Kultur und fremd-
sprachlichen Lernprozessen. Dabei spielt Kultur in (mindestens) zweierlei Hinsicht eine
Rolle: Zum einen nämlich als Gegenstand des Lernens und zum anderen als kulturelle
Orientierung, die die Lernenden selbst mitbringen, die ihre Perspektiven auf den Gegen-
stand und ihre Lernprozesse selbst wesentlich mitkonstituieren und beeinflussen. Letzte-
res wird in einer nicht nur, aber auch im Fach Deutsch als Fremdsprache angesiedelten
Forschungsrichtung auf die Frage zugespitzt, inwieweit sich hier von kulturspezifischen
Lehr- und Lerntraditionen sprechen lässt und in welcher Weise diese Traditionen tatsäch-
lich fremdsprachliche Lernprozesse negativ oder positiv beeinflussen. Nicht zuletzt liegen
dieser Frage vielfältige Erfahrungen westlicher Lehrkräfte in nicht-westlichen, insbeson-
dere asiatischen und afrikanischen Bildungsinstitutionen und die offenbar immer wieder
auftauchenden Schwierigkeiten bei der Realisierung der als modern und westlich angese-
henen Unterrichtsmethoden (z. B. der kommunikativen Didaktik oder des autonomen
Lernens) zugrunde, die auch immer wieder zur Problematisierung des „Methodenex-
ports“ und zur Forderung nach angepassten Unterrichtsformen geführt haben (vgl. u. a.
Gerighausen und Seel 1986). Dabei setzte sich im Zusammenhang mit dem interkulturel-
len Paradigma in den Fremdsprachenwissenschaften zunächst die Tendenz durch, diese
Schwierigkeiten auf unterschiedliche, insbesondere kulturell bedingte und in diesem Sinn
kulturspezifische Lehr- und Lerntraditionen eines Landes oder gar einer ganzen Region
zurückzuführen. Allerdings haben die Versuche, diesen Zusammenhang durch entspre-
chende empirische Daten zu belegen, bisher nicht zu entsprechenden Ergebnissen ge-
154. Geschichte und Konzepte einer Kulturwissenschaft im Fach Dt. als Fremdsprache 1383

führt, vielmehr hat sich in letzter Zeit eher eine gewisse Ernüchterung in dieser Frage
ausgebreitet. So haben Barkowski und Eßer (2005) beispielsweise erneut auf die Schwie-
rigkeiten hingewiesen, den Faktor Kultur in diesem Kontext als eine Kategorie mit wis-
senschaftlicher Aussage- und Erklärungskraft operationalisieren zu können, und Guest
(2006) für den Kontext des Englischen und im Anschluss daran Boeckmann (z. B. 2007)
für Deutsch als Fremdsprache haben gezeigt, dass viele Arbeiten in diesem Bereich sich
unreflektiert auf teilweise fragwürdige Quellen berufen, deutlich unterkomplexe kultur-
theoretische Kategorien zugrunde legen und insgesamt Tendenzen der Dichotomisierung,
Stereotypisierung und Essentialisierung von Kulturen aufweisen. Hier sind zweifellos
noch erhebliche theoretische und empirische Anstrengungen erforderlich, um zu einiger-
maßen zuverlässigen und auch für didaktische Zwecke belastbaren Ergebnissen zu kom-
men.

3.4. Einstellungen, Bilder, Stereotype

Zu den eher traditionellen Fragen, mit denen sich die kulturwissenschaftliche Forschung
im Kontext Deutsch als Fremdsprache von jeher beschäftigt hat, gehört auch die nach
Einstellungen zum und stereotypischen Bildern und Vorstellungen vom Zielsprachen-
land. Dabei ist für den Kontext des Faches Deutsch als Fremdsprache allerdings die
literatur- oder medienwissenschaftlich orientierte imagologische Forschung, die nach
Deutschlandbildern in Literatur und/oder Medien anderer Länder fragt (vgl. dazu z. B.
Stierstorfer 2003), weniger relevant. Von weitaus größerer Bedeutung sind empirische
Ansätze, die nach dem Einfluss stereotypischer Bilder auf die fremdsprachlichen und
kulturbezogenen Lernprozesse (vgl. Art. 158) und nach Veränderungen solcher Bilder bei
Lernern des Deutschen als Fremdsprache, bedingt durch Aufenthalte im Zielsprachen-
land, durch mediale Einflüsse oder durch entsprechende Interventionen im Unterricht,
fragen.

3.5. Interkulturelle Kompetenz

Das Schlagwort interkulturell prägt seit den späten 1980er Jahren als Ausdruck eines
dominant gewordenen Lehr- und Forschungsparadigmas im kulturwissenschaftlich-lan-
deskundlichen Bereich nicht nur zahlreiche Auseinandersetzungen im Fach Deutsch als
Fremdsprache. Die Diskussionen reichen dabei einerseits von einem interkulturellen An-
satz in der Landeskundevermittlung über interkulturelle Kommunikation bis zur inter-
kulturellen Kompetenz und andererseits von der grundsätzlichen Frage, wie der Begriff
interkulturell präzise zu erfassen sei bis zur Auseinandersetzung über Sinn und Unsinn
von Begriffen wie interkulturelles Lernen. Gelegentlich wird sogar das Konzept interkul-
turelle Kompetenz als grundsätzlich überflüssig angesehen, da es durch das Konzept der
sozialen Kompetenz bereits ausreichend abgedeckt sei, und es angesichts der Tatsache,
dass Kulturen keine in sich abgeschlossenen Entitäten darstellen, keineswegs möglich sei,
hier eine größere Präzision zu erlangen.
Gerade jedoch die letztliche Vagheit des Begriffs interkulturell und die Tatsache, dass
je nach wissenschaftlicher Disziplin die Begrifflichkeit enger oder weiter gefasst wird,
1384 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

wird die globale Verbreitung des Begriffs in einer Zeit der Globalisierung, in der weltwei-
ter Handel und Austausch zu einer umfassenden Grunderfahrung geworden sind, be-
günstigt haben. Mag die Kritik am Interkulturalitätskonzept auch noch so begründet
sein, so wird man dennoch davon ausgehen müssen, dass die Auseinandersetzung damit
noch auf längere Sicht sehr facettenreich und Fächer übergreifend stattfinden wird. Ins-
besondere die aktuelle Tendenz zur empirischen „Messung“ interkultureller Kompetenz
anhand von Stufenmodellen (vgl. die entsprechenden Beiträge in Schulz und Tschirner
2008) wird angesichts eines Bedarfs aus der Wirtschaft einerseits und andererseits dem
allgemeinen Trend zu Kompetenzbeschreibungen, der Festlegung von Bildungsstandards
und deren Evaluationen eine zunehmend größere Rolle spielen, auch wenn bisher weder
die Kriterienraster und Stufenbeschreibungen allgemein zu überzeugen vermögen, noch
Messinstrumente entwickelt wurden, die eine „Messung“ interkultureller Kompetenz
operationalisierbar erscheinen lassen ⫺ und sowieso noch weitgehend ungeklärt ist, wie
sich die Erfassung interkultureller Kompetenz mit didaktischen Ansprüchen im Fremd-
sprachenunterricht in Einklang bringen lässt.
Interkulturell wird jedenfalls ein wichtiges Schlagwort und der damit zusammenhän-
gende Gesamtkontext ein Forschungsfeld für das Fach Deutsch als Fremdsprache blei-
ben, bei dem es viele Berührungspunkte mit kultur- und sozialwissenschaftlichen Fächern
geben wird und geben muss.
In der Literaturdidaktik hat sich beispielsweise vor dem Hintergrund eines prozess-
haften, hybriden und diskursiven Kulturbegriffes eine die Philologien übergreifende Dis-
kussion um neue interkulturelle Ansätze oder auch Transkulturalität als kulturelles Phä-
nomen und didaktisches Konzept entwickelt (z. B. Hallet 2002), wobei der Sprachunter-
richt als Handlungsraum gestaltet werden soll, in dem die Lerner an kulturellen
Veränderungsprozessen diskursiv beteiligt werden.

3.6. Landeskundliche Lernmaterialien

Landeskundliche bzw. kulturbezogene Inhalte sind aus den Lehrwerken bzw. Lernmate-
rialien für Deutsch als Fremdsprache heute nicht mehr wegzudenken. Auch eher allge-
meinsprachliche Lehrwerke für den Anfänger- oder Fortgeschrittenenunterricht orientie-
ren sich mehr oder weniger deutlich an interkulturellen Zielsetzungen und fordern die
Lernenden gerne zu Vergleichen zwischen der deutschen Wirklichkeit und ihren „eigen-
kulturellen“ Erfahrungen auf. In jüngster Zeit sind in der Lehrwerkentwicklung im Be-
reich der Landeskunde vor allem drei Tendenzen erkennbar: Lehrwerke, die dem landes-
kundlichen DACH-L-Konzept verpflichtet sind und neben der Landeskunde Deutsch-
lands auch Österreich und die Schweiz gleichberechtigt einbeziehen (vgl. Nitzschke 1998;
Clalüna et al. 1998; Fischer et al. 1998; Matecki 2006; vgl. auch Art. 167), Lehrwerke für
die neuen Orientierungskurse des BAMF (vgl. Kaufmann et al. 2006; Kilimann et al.
2008; Gaidosch und Müller 2009) sowie Lehrwerke, die neuere kulturwissenschaftliche
Diskussionen etwa zur kulturellen Bedeutung von Erinnerung und Erinnerungsorten auf-
greifen und in konkrete Lernmaterialien umsetzen (vgl. Schmidt und Schmidt 2007).
Vergleichsweise ruhig geworden ist dagegen die Diskussion über das landeskundliche
Potenzial des Internet bzw. digitaler Medien, das noch in den 1990er Jahren allgemein
als sehr hoch eingeschätzt wurde; hier hat sich eine durchaus heilsame Ernüchterung
breit gemacht.
154. Geschichte und Konzepte einer Kulturwissenschaft im Fach Dt. als Fremdsprache 1385

Die Erforschung spezifisch landeskundlicher bzw. kulturbezogener Lehrwerke und


Lernmaterialien gehört zweifellos zu den zentralen Forschungsaufgaben der Kulturwis-
senschaft im Fach Deutsch als Fremdsprache. Allerdings ist in diesem Bereich in den
letzten Jahren nicht sehr viel passiert. Die Arbeit von Ammer (1988) zum Deutschland-
bild in den Lehrwerken hat hier zwar modellbildend gewirkt, aber nur wenige Nachah-
mer gefunden. Insbesondere die Darstellung historischer Inhalte in Lehrwerken fand in
einigen Arbeiten wissenschaftliches Interesse (vgl. Koreik 1995; Thimme 1996; Maijala
2004). Andere Fragen, etwa die Umsetzung einzelner aktueller Themen in Lehrwerken,
die Angemessenheit der Lehrwerke für Orientierungskurse oder auch die Entwicklung
einer über die klassischen Kriterienraster hinausgehenden Forschungs- und Analyseme-
thode bleiben dagegen ein dringendes Desiderat.
Neues Interesse der Forschung findet in letzter Zeit die Frage nach dem Potenzial
einzelner Medien insbesondere für kulturbezogene Lernprozesse im Kontext von Deutsch
als Fremdsprache: Kunst, Bilder, Musik (vgl. Badstübner-Kizik 2007; vgl. auch Art. 178),
aber auch die Rolle literarischer Texte wird im Rahmen einer stärker kulturwissenschaft-
lich orientierten Landeskunde wieder neu diskutiert (vgl. Dobstadt 2009; vgl. auch
Art. 173); hier könnten sich in absehbarer Zukunft auch interessante neue Forschungs-
perspektiven herausbilden.

3.7. Empirische Erorschung kultureller Lernprozesse im Kontext DaF


und DaZ

Die Erforschung kultureller Lernprozesse ist im Grunde genommen das größte Desiderat
in diesem Bereich des Fachs. Erst langsam hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die
Darstellung einzelner in der Regel gelungenerer Unterrichtsprojekte zwar didaktische
Anregungen zu geben vermag, aber keine gesicherten Erkenntnisse über den Lernprozess
und seinen Ertrag liefert. Klar ist dabei, dass eine derartige empirische Forschung im
Wesentlichen nur im Rahmen von Longitudinalstudien erfolgen kann und damit auf
Qualifikationsarbeiten und drittmittelfinanzierte Forschungsprojekte ⫺ von denen es in
diesem Bereich des Fachs bisher kaum welche gab und gibt ⫺ begrenzt ist.

4. Methoden kulturwissenschatlicher Forschung im Fach DaF

4.1. Diskursanalytische Methoden

Kultur gilt im Kontext der Kulturwissenschaft des Faches Deutsch als Fremdsprache als
ein Vorrat an vorgängigem, in Tradition und Sprache gespeichertem und überliefertem
Wissen (Deutungsmustern), das innerhalb sozialer Gruppen zirkuliert und auf das die
Individuen zum Zweck der deutenden Herstellung einer gemeinsamen Welt und Wirk-
lichkeit und einer gemeinsamen Handlungsorientierung zurückgreifen können und müs-
sen. Sie ist ein sprachlich-diskursives Phänomen, das sich nicht mittels empirisch-quanti-
tativer, sondern nur mittels rekonstruktiv-qualitativer Forschungsmethoden erschließt.
Die inhaltliche Erforschung der Kultur der deutschsprachigen Länder sollte sich daher
auch nicht als eine Forschungsrichtung konstituieren, die es mit beobachtbaren und em-
1386 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

pirisch beschreib- und messbaren Verhaltensweisen zu tun hat, sondern als eine Wissen-
schaft, die es mit zeichenhaften Sinnzuschreibungsprozessen, also mit Kommunikation,
Sprache, Texten, kurz: mit Diskursen zu tun hat. Als eine auf Diskurse im Sinne der
geistes- und sozialwissenschaftlichen Diskursforschung bezogene Forschungsrichtung
aber kann sich die Kulturwissenschaft an hochgradig innovative und im besten Sinne
transdisziplinäre methodische Entwicklungen anschließen, wie sie derzeit zwischen Lin-
guistik, Literaturwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Sozialwissenschaften stattfin-
den und die auf die Erarbeitung verschiedener und jeweils disziplinspezifischer, aber auch
disziplinenübergreifender diskursanalytischer Forschungsmethoden hinauslaufen. Dabei
ist allen derzeit vorliegenden Konzepten und Forschungsansätzen dieser Richtung die
Grundannahme gemeinsam, dass sich die gesellschaftliche und geschichtliche Realität
nicht unmittelbar, sondern nur über die Analyse und Rekonstruktion von diskursiven
Deutungsprozessen erschließt (vgl. u. a. Keller 2005).
Die Aufgabe diskursanalytischer Forschung besteht vorrangig darin, thematisch defi-
nierte deutschsprachige Diskurse daraufhin zu untersuchen, von welchen kulturellen
Deutungsmustern sie Gebrauch machen, wie diese Muster im betreffenden Diskurs re-
präsentiert sind und wie sie verwendet werden. Die übergeordnete Zielsetzung besteht
dabei darin, durch diskursanalytische Forschung die ja in aller Regel in alltäglicher und
medialer Kommunikation implizit bleibenden, als allgemein und selbstverständlich be-
kannt vorausgesetzten kulturellen Deutungsmuster in einem rekonstruktiven Zugang
sichtbar und damit letztlich auch erlernbar zu machen. Dabei kann die kulturwissen-
schaftliche Forschung an die teilweise recht elaborierten methodischen Konzepte anderer
Disziplinen wie der Geschichtswissenschaft, der Linguistik oder der Soziologie anknüp-
fen und viele weiterführende Anregungen von daher beziehen, sie muss sich aber darüber
hinaus auch und vor allem als spezifisch kulturwissenschaftliche Diskursanalyse begrei-
fen, für die insbesondere die Frage nach der diskurskonstituierenden Rolle bzw. der Prä-
senz kultureller Deutungsmuster in Diskursen im Vordergrund steht. Methodische Mo-
delle liegen dafür bislang erst in Ansätzen vor (vgl. Altmayer 2007; Maringer 2009) und
bedürfen noch der genaueren Ausarbeitung und Verfeinerung.
Über den im engeren Sinne inhaltlichen Kontext der Kulturforschung im Fach
Deutsch als Fremdsprache hinaus sind diskursanalytische Methoden in der letzten Zeit
auch für die Analyse von Lehrwerken und Lernmaterialien bedeutsam geworden. Hinter-
grund ist dabei die in der Schulbuchforschung entstandene thematische Diskursanalyse,
die Lehrwerke und Lernmaterialien in einen größeren thematischen Diskurszusammen-
hang eingebettet sieht und nach den gesellschaftlichen Wissensordnungen fragt, die in
Lehrwerke eingehen und mit ihnen hervorgebracht und distribuiert werden (vgl. Höhne
2004; Ucharim 2009).

4.2. Quantitative empirische Methoden

Die bisher eindrucksvollste Langzeitstudie (Grünewald 2005), in der „eine analytisch-


nomologische, sprich quantitative Richtung gewählt“ (151) wurde, ist im Bereich der
Stereotypenforschung oder ⫺ wie es der Autor auch benennt ⫺ „Nation(alität)enbildfor-
schung“ (315) angesiedelt und beruht auf einer umfassenden und akribisch ausgewerteten
Fragebogenerhebung, bei der eine Kontrollgruppe, die Chinesisch und nicht Deutsch
lernte, zur Validierung der Ergebnisse beitragen sollte. Das Problem dieser Studie ist
154. Geschichte und Konzepte einer Kulturwissenschaft im Fach Dt. als Fremdsprache 1387

allerdings einerseits, dass wer nach Stereotypen fragt (und das trifft angesichts des Er-
kenntnisinteresses auf einen Großteil der Fragen zu), auch Stereotypen als Antwort er-
hält. Andererseits hat bereits Picht (1980: 122) darauf hingewiesen, dass eine derartige
Befragung die Form des Urteils bereits vorstrukturiere, indem sie die Verallgemeinerung
von Eigenschaften auf ganze Nationen bereits als möglich voraussetze.
Über den Prozess der Aneignung von Kenntnissen oder sogar der Veränderung von
Einstellungen lassen sich mit einem quantitativ angelegten Untersuchungsdesign kaum
wesentliche Erkenntnisse gewinnen; allenfalls indirekt, wenn wie in dieser Studie zusätzli-
che Parameter wie die Befragung der Lehrkräfte, Lehrwerkanalyse und eine Analyse der
Medienberichterstattung, also qualitative Untersuchungsmethoden, hinzugezogen wer-
den. Auch wenn wie in diesem Fall eine quantitativ ausgerichtete Studie durchaus zu
interessanten Ergebnissen kommt wie die wenn auch nur geringfügige Veränderung von
Werturteilen nach einem Jahr Deutschunterricht, so bleibt festzuhalten, dass ein aus-
schließlich quantitativ angelegter Untersuchungsansatz in diesem Zusammenhang kaum
geeignet scheint, der wichtigen Frage nach den kulturellen Lernprozessen Antworten zu
liefern, was allerdings auch nicht das Erkenntnisinteresse des Verfassers war. Der Einsatz
quantitativer Erhebungsverfahren ⫺ und hier gibt es in der Ausbildung in den DaF-/
DaZ-Studiengängen noch einen erheblichen Nachholbedarf an solider Schulung in statis-
tischen Verfahren ⫺ scheint in diesem Kontext eher sinnvoll zur Überprüfung bereits
anderweitig entwickelter begründeter Hypothesen, wofür sich qualitative Untersuchun-
gen anbieten.

4.3. Qualitative empirische Methoden

Ein qualitativer empirischer Methodeneinsatz findet sich im Kontext der kulturellen


Lernprozesse beispielweise in Ansätzen bei Röttger (2004), indem Leitfaden-Interviews
mit Lehrenden durchgeführt wurden, die im Kontext mit den gleichfalls analysierten
Unterrichtsmaterialien ausgewertet wurden, oder bei Ertelt-Vieth (2005), die im Rahmen
von deutsch-russischem Schüleraustausch Daten durch eine Fragebogenerhebung, durch
Interviews und teilnehmende Beobachtung gewonnen hat und in Einzelfallanalysen mit
der zentralen Fragestellung nach den Bildern, die russische Schüler entwickeln, systema-
tisch analysiert. „Anliegen dieser Studie ist der Nachvollzug individueller und kulturspe-
zifischer Bedeutungszuweisungen“ (Ertelt-Vieth 2005: 44). Angestrebt wird also nicht
eine Repräsentativität in der Gesamtaussage, sondern mit Hilfe von Daten- und Metho-
dentriangulation die möglichst genaue Nachvollziehbarkeit individueller Haltungen und
Einstellungen sowie darauf bezogene Einflüsse durch Kontaktsituationen.
Sinnvoll erscheinen hinsichtlich kultureller Lernprozesse und der differenzierten Er-
fassung von Einstellungen, die in Kombination zu gegebenen Wissensbeständen zu spezi-
ellen Deutungsmustern führen, qualitative Erhebungen nach den methodologischen Prin-
zipien der Grounded Theory (vgl. Art. 85). Hierzu gehören umfassende Erhebungen von
Daten, die entsprechend der wissenschaftstheoretischen Vorgehensweise systematisch
ausgewertet und analysiert werden müssen. Der Abgleich einzelner qualitativer Stu-
dien ⫺ aus möglichst vielen verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Kontexten ⫺
könnte eine fundierte Theoriebildung ermöglichen, die über die jeweiligen empirischen
Studien hinaus geht und damit gleichzeitig die Basis für gezielte und ertragreichere quan-
titative Untersuchungen ermöglichen würde.
1388 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

5. Ausblick
Wenn es, wie es sich andeutet, gelingt, verstärkt solide empirische Forschungsarbeiten ⫺
und da solche mit einem qualitativen Ansatz gefolgt von eher quantitativ ausgerichteten
Studien ⫺ vorzulegen, und es zudem dabei gelingt, am Diskurs in den Kulturwissenschaf-
ten zu partizipieren, dürfte die kulturwissenschaftliche Komponente des Fachs Deutsch
als Fremdsprache in Zukunft eine deutlich größere Rolle spielen als bisher.

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2007 Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz. Grundbegriffe ⫺ Theorien ⫺
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Thimme, Christian
1996 Geschichte in Lehrwerken Deutsch als Fremdsprache und Französisch als Fremdsprache für
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2009 Die traditionelle Lehrwerkanalyse und die Diskursanalyse. Zwei Methoden zur inhaltli-
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Wierlacher, Alois
2006 Landesstudien als kulturwissenschaftliche Essayistik. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache
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Wormer, Jörg
2004 Landeskunde ⫺ eine transkulturelle, vergleichende Wissenschaft. Zeitschrift für Interkul-
turellen Fremdsprachenunterricht 9(3). (Online).

Claus Altmayer, Leipzig (Deutschland)


Uwe Koreik, Bielefeld (Deutschland)

155. Fremdverstehen und kulturelles Lernen


1. Einleitung
2. „Didaktik des Fremdverstehens“: Ziele und zentrale Konzepte
3. Weiterführende Fragestellungen
4. Kulturelles Lernen ⫺ zur aktuellen Diskussion
5. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
Um den Begriff des Fremdverstehens im Kontext des Sprachenlehrens- und -lernens ist
es in den letzten Jahren ruhig geworden. Vielmehr haben sich seit Erscheinen des Ge-
meinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen und in Deutschland den Bil-
dungsstandards für die erste Fremdsprache durchaus auch im Bereich Deutsch als
Fremdsprache andere Themen in den Vordergrund geschoben: Kompetenz- und Output-
orientierung, Niveaustufen, Testbarkeit, Standards (vgl. für Deutsch als Fremdsprache
z. B. Glaboniat et al. 2005). Aktuell spricht man somit eher von interkulturellen Kompe-
tenzen als von Fremdverstehen. In diesem komplexen Bereich der interkulturellen Kom-
petenz spielt aber durchaus auch das Verstehen bzw. das Fremdverstehen eine Rolle ⫺
allerdings hat sich der Fokus der Betrachtung seit Anfang der 1990er Jahre verschoben:
Ging es damals in erster Linie um eine differenzierte, gerade auch theoretische Ausleuch-
1392 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

tung von kulturellen Verstehensprozessen im Kontext fremdsprachlichen Lernens und


Lehrens, so steht heute eher die Frage im Vordergrund, wie interkulturelle Lernprozesse
auf der Wissens-, der Einstellungs- und der Verhaltensebene empirisch rekonstruiert wer-
den und vor allem, ob bzw. wie interkulturelle Kompetenzen evaluiert oder sogar gemes-
sen werden können.
Ich werde in diesem Beitrag zunächst auf das Konzept des Fremdverstehens eingehen,
so wie es vor allem in den Arbeiten des Giessener Graduiertenkollegs „Didaktik des
Fremdverstehens“ zu Beginn der 1990er Jahre entwickelt wurde. In einem zweiten Teil
diskutiere ich einige weiterführende Fragestellungen und eng verwandte Konzepte: Kul-
tur und Interkulturalität ebenso wie die Problematik der Dichotomie von eigen und
fremd ⫺ insbesondere im Kontext didaktischer Zusammenhänge. Schließlich skizziere ich
Schwerpunktthemen des aktuellen Forschungsdiskurses um Interkulturelle Kompetenzen
bzw. kulturelles Lernen. Es wird deutlich werden, dass die Arbeiten zum Fremdverstehen
der 1990er Jahre auch für die heutige Diskussion eine wichtige Grundlage bilden.

2. Didaktik des Fremdverstehens: Ziele und zentrale Konzepte


Für das Thema Fremdverstehen im Kontext (fremd-)sprachlichen Lernens war die Arbeit
des Giessener Graduiertenkollegs „Didaktik des Fremdverstehens“ von zentraler Bedeu-
tung. Zwar wurde und wird Fremdverstehen auch in anderen Disziplinen reflektiert wie
z. B. in der Hermeneutik (Bubner 1983; Kögler 1992) oder der Ethnologie (Berg und
Fuchs 1993) ⫺ für den Bereich des sprachlichen Lernens und den damit verbundenen
kulturellen Verstehensprozessen spielte jedoch das Kolleg mit seinen zahlreichen Veröf-
fentlichungen und Forschungsarbeiten eine herausragende Rolle. In einer relativ frühen
Publikation beschreiben Lothar Bredella und Herbert Christ (1995: 17) die leitenden
Ideen einer Didaktik des Fremdverstehens als „regulative Idee des Lehrens und Lernens
fremder Sprachen“. Eine Hauptmotivation, „Fremdverstehen“ in den Mittelpunkt
sprachlichen Lernens zu rücken, das wird in diesem Text deutlich, besteht in dem Willen,
trivialen Vorstellungen von fremdsprachlichem Lernen entgegenzuarbeiten:

Dem kommunikativen Unterricht wird in letzter Zeit wiederholt vorgeworfen, dass


er den Begriff der Kommunikation trivialisiert habe. Der Vorwurf trifft insofern
zu, als die im Fremdsprachenunterricht angestrebte Kommunikation selten die
Lerner anregte, das, was der andere sagt, daraufhin zu befragen, was er mit seinen
Äußerungen intendiert und meint, und damit keinen Interpretationsprozess aus-
löste, bei dem der Lerner sein Weltwissen und seine Wertvorstellungen aktivieren
und aufs Spiel setzen musste. Erst wenn man das Moment der Interpretation in
den Mittelpunkt rückt, wird deutlich, dass das Verstehen ein nicht abschließbarer,
risikoreicher Vorgang ist, bei dem man sowohl etwas über den anderen als auch
über sich selbst erfahren kann. (Bredella und Christ 1995: 10)

Verstehen wird also hier nicht als ein lediglich „regelgeleitetes Dekodieren“ (Bredella und
Christ 1995: 10) aufgefasst, sondern als ein kreativer Akt, der zu Identitätsveränderungen
führen kann. In dieser Enttrivialisierung fremdsprachlichen Lernens liegt aus meiner
Sicht ⫺ neben den differenzierten Arbeiten zum Verstehensprozess selbst ⫺ der Haupt-
verdienst dieser Forschergruppe.
155. Fremdverstehen und kulturelles Lernen 1393

Im Folgenden gehe ich auf einige Konzepte ein, die für die Entwicklung des Fremd-
verstehenskonzept Anfang der 1990er Jahre von besonderer Bedeutung waren (zur Wei-
terentwicklung dieser Konzepte vgl. Abschnitt 4).

2.1. Fremdheit

Der Kategorie der Fremdheit wurde von Beginn an eine zentrale Bedeutung zugeschrie-
ben. Fremdheit, so Bredella und Christ, manifestiere sich in dreifacher Weise für die
Lernenden: Sie lernen eine fremde Sprache, die fremde Sprache ist Teil und Ausdruck
einer fremden Kultur, und sie begegnen Personen, die ihnen als Angehörige einer anderen
Kultur und einer anderen Sprachgemeinschaft fremd sind (Bredella und Christ 1995: 11).
Das Fremde wurde dabei nicht als ein objektiver Tatbestand, sondern als eine relationale
Kategorie des Bewusstseins aufgefasst. Auf jeden Fall erfährt die Fremdartigkeit im Hin-
blick auf Sprache, Kultur und Repräsentanten dieser Kultur eine herausragende Bedeu-
tung für die Begründung des Fremdverstehenskonzepts.

2.2. Verstehen

Bereits in der grundlegenden Publikation zur Didaktik des Fremdverstehens, auf die ich
mich hier beziehe (Bredella und Christ 1995), wird das Kernproblem benannt, das im
Laufe der Jahre immer wieder bearbeitet, diskutiert und verfeinert wurde (vgl. z. B. die
Ausführungen in Bredella, Christ und Legutke 1997: 11⫺33): Wie kann man Fremdes
verstehen, ohne dass man es auf das Eigene reduziere? Inwieweit ist Verstehen an das
Vorverständnis des Verstehenden gebunden und somit nicht in der Lage, voraussetzungs-
los den Anderen in seiner Andersheit zu verstehen? Inwieweit ist Verstehen gar lediglich
ein Akt der Projektion und verstärkt ethnozentrische Sichtweisen, anstatt sie zu überwin-
den? (vgl. Bredella 1994: 21⫺23; für eine sehr grundlegende Diskussion dieser Thematik
aus hermeneutisch-philosophischer Perspektive vgl. Kögler 1992). Während andere Ver-
stehen als zentrales didaktisches Konzept in Frage stellten (vgl. z. B. Hunfeld 1993),
wurde insbesondere von Bredella bis in die jüngste Zeit hinein ein Konzept von Verstehen
vertreten, das über eine solche Vereinnahmung hinausgeht und Fremdverstehen im Sinne
eines Wechselspiels zwischen Innen- und Außenperspektive als „dynamischen unab-
schließbaren Bildungsprozess mit Rückwirkung auf das eigene Selbst- und Weltverständ-
nis“ (Bredella 2007: 11) konzipiert.

2.3. Perspektivwechsel

Eine Grundannahme war, dass der Verstehensprozess zwischen zwei Perspektiven oszil-
liert, einer angenommenen „Innenperspektive“ und einer „Außenperspektive“. Mit In-
nenperspektive, so Bredella und Christ (1995: 16), war gemeint, dass eine fremde Kultur
von innen heraus verstanden werden soll, d. h., es wird versucht, die fremde Kultur mit
den Augen der Mitglieder dieser Kultur zu sehen. Dies bedeute, die eigenen Werte, Nor-
men und Verhaltensweisen temporär zu suspendieren und quasi in die fremde Kultur
1394 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

„einzutauchen“ (vgl. dazu auch Bechtel 2009: 142). Eine Außenperspektive einzunehmen
hingegen bedeutete, dass die fremde Kultur immer auch mit den eigenen Augen, basie-
rend auf dem jeweiligen unhintergehbaren Vorverständnis, verstanden wird. Dies impli-
ziere, dass man sich der anderen Kultur nicht vorbehaltlos anpasst, sondern die Phäno-
mene aus einer kritisch distanzierten Haltung zu deuten lernt. Das Wechselspiel und
Ineinandergreifen dieser Perspektiven machen nach Bredella und Christ ein produktives
Fremdverstehen aus, das gekennzeichnet ist von Empathie, aber eben auch von kriti-
scher Reflexion.
In seinem Beitrag von 2007 differenziert Bredella die Idee der Außenperspektive noch
weiter aus: Er unterscheidet hier zwischen Außenperspektive I und II: Außenperspektive
I bezieht sich auf das Begreifen fremdkultureller Phänomene auf der Basis des eigenen
Vorverständnisses. Die Außenperspektive II komme dann dadurch zustande, dass Au-
ßenperspektive I durch den Versuch der Einnahme der Innenperspektive modifiziert
wird:

Dabei (bei der Einnahme von Außenperspektive I, AH) erfahren wir jedoch, dass
wir lernen müssen, unsere Vorstellungen und Auffassungen einzuklammern und
eine Innenperspektive zu entwickeln, um das Fremde in seiner Verschiedenheit
vom Eigenen in den Blick zu bekommen. Auf diese Weise lernen wir, dass die
fremde Sprache und die fremde Kultur nicht nur verzerrte Formen unserer eigenen
Sprache und Kultur darstellen, sondern ihrer jeweiligen eigenen Logik folgen. Aber
damit sind unsere Vorstellungen und Auffassungen nicht verschwunden, sondern
kommen auf einer reflektierten Stufe wieder ins Spiel, die nun auch die Auffassun-
gen und Sichtweisen des Anderen umgreift, die ich als Außenperspektive II be-
zeichnen will. (Bredella 2007: 24)

Wird diese Außenperspektive II eingenommen, bedeutet dies, dass nicht nur eine Anglei-
chung an das eigene Vorverständnis geschehen ist, sondern ein Drittes entstehen kann,
das über Fremdes und Eigenes hinausgeht. Die Idee der Außenperspektive II bringt zum
Ausdruck, dass der Verstehensprozess immer von dem eigenen Bezugspunkt ausgeht,
auch bei der Einnahme der Innenperspektive, dass aber dadurch eine Horizonterweite-
rung bzw. ein Drittes entstehen kann.

2.4. Verstehen  Verständigung

In den verschiedenen Arbeiten zum Fremdverstehen spielte auch immer der Aspekt der
Verständigung eine zentrale Rolle. Einerseits ist Verständigung eng mit dem Verstehens-
konzept verbunden, andererseits stehen die beiden Konzepte in einem deutlichen Span-
nungsverhältnis zueinander (Bredella, Christ und Legutke 1997: 17): Verstehen schließt
keineswegs automatisch Verständigung mit ein, und Verstehensprozesse implizieren oft
auch explizit ein Nicht-Einverstandensein.
Verstehen und Verständigung stehen in direktem Zusammenhang mit der oben darge-
stellten Innenperspektive und den Außenperspektiven. Verstehen komme, so Bredella,
durch das Einnehmen der Innenperspektive zustande, während Verständigung die Ver-
mittlung zwischen Innen- und Außenperspektive darstelle.
155. Fremdverstehen und kulturelles Lernen 1395

Ich muss zunächst eine Innenperspektive einnehmen: Ich muss verstehen, was der
Andere meint, ohne gleich die Frage zu beantworten, ob das, was er meint, auch
wahr ist und ob ich es für mich übernehmen kann. Um Naturreligionen zu verste-
hen, muss ich sie von innen verstehen, ohne die Frage zu stellen, ob ich mich zu
ihnen bekenne. Das Verstehen des Fremden hat somit seine Berechtigung, wenn
man das Fremde in seiner Andersheit wahrnehmen will. (Bredella 2002: 148)

Was ist nun für das Lernen von Sprachen das wichtigere Ziel? In Bredella und Christ
(1995: 15) wird Verstehen als für den Fremdsprachenunterricht wichtigeres Ziel benannt;
allerdings ermögliche Fremdverstehen oft auch Verständigung, und stellt somit eine
Voraussetzung dafür dar. In Bredella (2002) wird jedoch nicht nur Verstehen im Sinne
des Einnehmens der Innenperspektive als wichtiges Ziel von Fremdverstehen im Unter-
richt dargestellt, sondern explizit auch das Einnehmen der Außenperspektive, und zwar
mit dem ausdrücklichen Anspruch auf Verständigung.

3. Weiterührende Fragestellungen
Neben der theoretischen Ausdifferenzierung des Konzepts Fremdverstehen und der Bear-
beitung der Einwände gegen dieses Konzept, insbesondere dem Vorwurf der Projektion
eigener Vorstellungen auf Andersartigkeit und der Durchsetzung eigener Interessen
durch den Verstehensprozess, kristallisierten sich auch schon während der 1990er Jahre
andere Themen heraus, die mit dem Fremdverstehenskonzept indirekt in Zusammenhang
stehen. Beispiele sind die Konzeptualisierung von Kultur bzw. Fremdkultur im Kontext
interkulturellen Verstehens sowie die Frage nach der Angemessenheit der Dichotomie
des Eigenen und Fremden für Sprachlernprozesse in kulturell und sprachlich heterogenen
Gesellschaften.

3.1. Interkulturelles Verstehen und das Konzept Kultur

Neben dem Konzept Fremdverstehen wurde und wird auch aktuell das Konzept des
Interkulturellen Verstehens verwendet, so z. B. von Bredella (2002). Damit steht nicht nur
die Kategorie der Fremdheit zur Debatte, sondern ebenfalls die Kategorie der Kultur
sowie der Interkulturalität. Vor allem Anfang der 1990er Jahre wurde im Kontext des
Giessener Kollegs Kultur in erster Linie als Fremdkultur verstanden und zunächst wenig
im Hinblick auf epistemologische Fragen problematisiert (im Mittelpunkt stand die Ar-
beit am Verstehenskonzept). Hingegen wurde in der Kulturtheorie und den Kulturwis-
senschaften das Konzept bereits damals intensiv bearbeitet und reflektiert. Ich kann hier
zu dieser komplexen Thematik nur einige kurze Anmerkungen machen (vgl. für ausführ-
lichere Darstellungen Hu 1995, 1999, 2003: 52⫺78). Seit den 1990er Jahren ist in den
Kulturwissenschaften sowie verwandten Disziplinen eine Dekonstruktion essentialisti-
scher Kulturkonzepte zu beobachten (vgl. auch Risager 2009). Es herrscht weitgehend
Konsens darüber, dass Kulturen nicht unabhängig von der Perspektive der Betrachter
existieren. Auch die lange Zeit herrschende Vorstellung von Kulturen als kohärenten und
voneinander abgrenzbaren Entitäten mit jeweils kulturspezifischen Charakteristika, die
1396 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

in Alltagstheorien auch durchaus immer noch lebendig ist, gilt weitgehend als obsolet.
Vertreten wird dagegen ein diskursiv-reflexives Konzept von Kultur, das als Vermögen
zur Bedeutungsstiftung angesehen wird: „Kultur erscheint als ein Prozess fortschreiten-
der reflexiver Semantisierung, durch welche ununterbrochen Sinnressourcen geschaffen
und distribuiert, aber auch subvertiert und zerstört werden“ (Böhme 2000). Kultur und
Sprache sind somit untrennbar. Bei Göller wird dies auch explizit auf das Phänomen der
interkulturellen Kommunikation bezogen:

Menschliche Sinnstiftung, intra- und interkulturelle Kommunikation und Interak-


tion wie auch menschliches Selbst-, Fremd- und Weltbezüglichkeit bzw. mensch-
lich-kulturale Sinnbestimmung überhaupt, ist in erster Linie an die Sprache gebun-
den bzw. sprachlich vermittelt. Das gilt für alle Formen intra- wie interkulturellen
Austauschs. (…) Sprache und Kultur sind aufs engste miteinander verbunden.
(Göller 2000: 330 ff.)

Gleichzeitig wird neben diesem epistemologischen Wechsel der Blickrichtung der Akzent
nicht mehr auf den kollektiven Konsens gelegt, sondern vielmehr stehen Differenzen,
Widerstreit, Synkretismus und Hybridität sowie idiosynkratische Deutungsmuster und
Verarbeitungen im Mittelpunkt. Kultur wird nicht mehr als „integrativer Kitt“ der Ge-
sellschaft (Hörning und Winter 1999: 8) gesehen, sondern im Gegenteil ist nun die Ent-
larvung von kultureller Homogenität als Inszenierung Ziel der reflexiv-kritischen Arbeit
(zur gewandelten Metaphorik in der Beschreibung kultureller Phänomene vgl. auch Hu
2005). Schließlich hat auch die Kategorie der Macht für kulturelle Zusammenhänge an
großer Bedeutung gewonnen. Bei Wägenbaur (1995: 23) z. B. werden insbesondere objek-
tivierende und essentialisierende Kulturkonzepte „als metaphorisch-metonymische Vehi-
kel zur Durchsetzung von Machtinteressen“ bezeichnet.
Dieser neue Blick auf das Kulturkonzept hat auch Konsequenzen für die Rede von
interkulturellem Verstehen und interkultureller Kommunikation bzw. stellt eine Heraus-
forderung für traditionelle Sichtweisen dar, die gerade in der Fremdsprachendidaktik
wenig hinterfragt weiterzuleben scheinen (vgl. Risager 1998). Die Kategorie der Herkunft
rückt nun in den Hintergrund zugunsten des in der Interaktion stattfindenden Diskurses:
Interkulturelle Kommunikation, in der interkulturelle Verstehensprozesse angebahnt
werden können, findet dann statt, wenn sich GesprächspartnerInnen über kulturelle Ent-
würfe, Abgrenzungen, Werte oder Normen austauschen, streiten oder wenn sie sich selbst
innerhalb dieser Entwürfe verorten. Interkulturelle Kommunikation in diesem Sinne
kann also durchaus auch zwischen SprecherInnen derselben Sprache oder desselben Lan-
des stattfinden. Die Möglichkeit, dass Menschen, die in verschiedenen und weit vonei-
nander entfernten Regionen der Welt leben und sich in unterschiedlichen Sprachen zu
Hause fühlen, eher und intensiver auf im oben genannten Sinne kulturelle Themen zu
sprechen kommen, ist dabei durchaus nachvollziehbar, keineswegs aber selbstverständ-
lich (vgl. Hu 1999: 297⫺298).
Für die Didaktik des Fremdverstehens bzw. interkulturellen Verstehens stellten diese
kulturtheoretischen Entwicklungen durchaus eine Herausforderung dar. Die Frage der
Interkulturalität wie auch das Konzept der Fremdkultur wurden dadurch ihrer Selbstver-
ständlichkeit enthoben und erfuhren im Laufe der Zeit zusehends mehr Aufmerksamkeit.
155. Fremdverstehen und kulturelles Lernen 1397

3.2. Zur Dichotomie des Eigenen und Fremden: die Geahr der
Überbetonung von Fremdheit

Obwohl ⫺ wie oben erwähnt ⫺ das Konzept des Fremdverstehens aus Gründen der
Vereinnahmung des Fremden immer wieder in Frage gestellt wurde, wurde die Kategorie
der Fremdheit auch von diesen Kritikern nicht in Frage gestellt. Fremdheit blieb eine
zentrale Kategorie, die sogar noch mehr an Gewicht hinzugewann, als nun das Fremde
als nicht verstehbar fremd belassen werden sollte und als ein Wert hervorgehoben wurde
(Hunfeld 1993). Von anderen wurde aber Fremdverstehen aus anderen Gründen kriti-
siert, nämlich im Hinblick auf eine Überbetonung des Fremden. Dies geschah insofern
indirekt, als sich die Kritik auf die Dichotomie „eigen“ vs. „fremd“ bezog, das Konzept
„Fremdverstehen“ aber genau diese Dichotomie mit beinhaltet bzw. voraussetzt. Die
Polarisierung zwischen Fremdem und Eigenem wurde als künstliche Dichotomie in Frage
gestellt; es wurde gefragt, ob andere Menschen nicht dadurch erst fremd gemacht, Ge-
meinsamkeiten ausgeblendet, Menschen mit ihren komplexen Persönlichkeiten durch Be-
tonung ihrer ethnischen Fremdheit um entscheidende Facetten verkürzt gesehen werden
(vgl. z. B. Hamburger 1990; Zimmermann 1989). Auch die Forschungen von Seiten der
Psychoanalyse, insbesondere Julia Kristevas Buch „Fremde sind wir uns selbst“ (Kristeva
1990) sowie die erkenntnistheoretischen Reflexionen in den Sozialwissenschaften und
der Philosophie stellten die Polarisierung zwischen „eigen“ und „fremd“ in Frage (z. B.
Waldenfels 1990, 1997). Gerade für die Fremdsprachendidaktik musste kritisch gefragt
werden, inwiefern es tatsächlich sinnvoll ist, das Konzept „Fremdverstehen“ zu einer
leitenden sprachendidaktischen Kategorie zu erheben. Angesichts meiner eigenen empiri-
schen Studien (Hu 1996, 2003), in denen kulturelle Heterogenität eine wichtige Rolle
spielte, habe auch ich die Frage gestellt, inwieweit durch eine starke Betonung der
Fremdheit bei Sprachlern- und -lehrprozessen die Gefahr besteht, im Hinblick auf kon-
krete, in der Lebenspraxis sich vollziehende Verstehensprozesse im Vorhinein die Katego-
rie des Fremden zu betonen, obwohl sie von den betroffenen Personen möglicherweise
nicht als zentrales Moment ihres Diskurses angesehen wird (vgl. Hu 1997: 37). Fremdver-
stehen sollte von daher keine normative didaktische Kategorie darstellen, die jegliche
Verstehensprozesse von Lernenden unter der Perspektive der Fremdheit betrachtet. Ob
die Lernenden in einer konkreten Situation jemand anderes als fremd empfinden, ist im
Allgemeinen nicht im Voraus zu bestimmen.

4. Kulturelles Lernen  zur aktuellen Diskussion


Das Konzept des Fremdverstehens, so wie es in dem Giessener Graduiertenkolleg entwi-
ckelt wurde, war für die Entwicklung der Fremdsprachendidaktik der 1990er Jahre und
auch die Jahre nach dem Jahrtausendwechsel in vieler Hinsicht einflussreich. Viele junge
FremdsprachendidaktikerInnen gingen aus dieser Schule hervor und haben, wenn auch
nicht unbedingt direkt das Konzept des Fremdverstehens, so dennoch verwandte Kon-
zepte wie z. B. das Interkulturelle Lernen in jeweils spezifischer Weise weiterbearbeitet
bzw. sich für diese Aspekte fremdsprachlichen Lernens eingesetzt (z. B. Bechtel 2003;
Caspari 2003; Schinschke 1995). Konzepte wie Perspektivwechsel wurden durchaus breit
rezipiert und flossen teilweise sogar in fremdsprachliche Curricula ein (KMK 2003: 12).
1398 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

Das Konzept des Fremdverstehens selbst hat sich allerdings weniger durchgesetzt ⫺ viel
häufiger ist dagegen die Rede von Interkulturellem Lernen oder aktuell von Interkultu-
reller Kompetenz im Fremdsprachenunterricht. Kennzeichnend ist der Titel des von Lo-
thar Bredella und Herbert Christ im Jahr 2007 herausgegebenen Sammelbandes „Fremd-
verstehen und Interkulturelle Kompetenz“ ⫺ denn das Konzept der Interkulturellen
Kompetenz ist es, das zurzeit eine zentrale Rolle in den Curricula, aber auch in der
theoretischen und empirischen Arbeit spielt. Fremdverstehen oder interkulturelles Verste-
hen ist dabei ein Teil dieses wesentlich weiteren und durchaus auch erklärungsbedürftigen
Konzepts der interkulturellen Kompetenz (vgl. Rathje 2006; Fleming 2009; Risager
2009). So taucht z. B. in dem Modell interkultureller kommunikativer Kompetenz von
Michael Byram (1997) savoir comprendre als ein Teilbereich interkultureller Kompetenz
auf, und in den Bildungsstandards für die erste Fremdsprache werden in dem Bereich
der Interkulturellen Kompetenzen u. a. folgende Ziele formuliert, die deutliche Bezüge
(wenngleich hier sehr plakativ und wenig problembewusst) zur Didaktik des Fremdver-
stehens aufweisen: Die SchülerInnen
⫺ können sich in Bezug auf die Befindlichkeiten und Denkweisen in den fremdkulturel-
len Partner hineinversetzen,
⫺ kennen gängige Sicht- und Wahrnehmungsweisen, Vorurteile und Stereotype des eige-
nen und des fremdkulturellen Landes und setzen sich mit ihnen auseinander,
⫺ können kulturelle Differenzen, Missverständnisse und Konfliktsituationen bewusst
wahrnehmen, sich darüber verständigen und gegebenenfalls gemeinsam handeln.
(KMK 2003: 18)
Die aktuelle Situation ist dabei durch folgende Besonderheit gekennzeichnet: Obwohl
Interkulturelle Kompetenz aktuell als Schlüsselqualifikation hervorgehoben wird, er-
scheint paradoxerweise die Entwicklung und Förderung gerade dieser Domäne sprach-
lich-kulturellen Lernens in einem standard- und kompetenzorientierten Unterricht inso-
fern bedroht, als sie zu den wenig operationalisierten und schwer ⫺ möglicherweise zum
Teil gar nicht ⫺ messbaren Bereichen gehört. Vorstellbar sind nun zwei Szenarien: Ent-
weder hofft man darauf, dass neben den leichter testbaren Kompetenzen wie z. B. dem
informationsentnehmenden Lese- oder Hörverstehen genügend Freiräume für interkultu-
relle, reflexive, ethische und ästhetische Aspekte sprachlichen Lernens bleiben, so dass
diese noch einen ihnen gebührenden Raum behaupten können ⫺ auch wenn sie sich
nicht der Philosophie der Niveaustufung und Outputorientierung unterwerfen. Die an-
dere Option besteht darin, auch die schwer messbaren Kompetenzen so weit zu operatio-
nalisieren, zu stufen und durch Aufgaben zu normieren, dass sie ⫺ zumindest in einem
gewissen Maße ⫺ evaluierbar werden. Wolfgang Zydatiß fordert dies eindringlich, da er
sonst diese Lernbereiche in großer Gefahr sieht, denn

es stellt sich der Fremdsprachendidaktik in ihrer Gesamtheit die Frage, ob sie sich
diesem ergebnisorientierten Denken (⫽ outcome matters) ⫺ zumindest in Teilbe-
reichen (z. B. in der Literaturdidaktik oder der Inhaltsdimension des interkulturel-
len Lernens) ⫺ grundsätzlich verweigert, oder ob sie sich im ureigenen Interesse
(z. B. um nicht gänzlich aus dem Curriculum hinauskatapultiert zu werden) in
diesen Prozess aktiv einbindet. (…) Wenn die Literaturdidaktik und die Didaktik
des interkulturellen Lernens ihre Ziele im Fremdsprachenunterricht verankern
wollen, dann müssen sie aktiv an der Konzeption und Validierung von Überprü-
155. Fremdverstehen und kulturelles Lernen 1399

fungsaufgaben mitwirken bzw. ihre diesbezüglichen Ansprüche gegenüber der Bil-


dungspolitik überhaupt erst einmal mit Nachdruck anmelden.
(Zydatiß 2006: 258⫺259)

Angesichts dieser Situation sind in der aktuellen Forschung andere Aspekte in den Mit-
telpunkt gerückt: Zum einen die Frage der empirischen Erforschung kultureller Lernpro-
zesse und zum anderen die Frage der Evaluation interkultureller Kompetenzen (vgl. Hu
2009). In einem interdisziplinär angelegten und länderübergreifenden Band (Hu und By-
ram 2009) ist der aktuelle Forschungsstand zu diesen Entwicklungen niedergelegt. Zent-
rale Gesichtspunkte der aktuellen Forschungen sind z. B. die kritische Sichtung von theo-
retischen Modellierungen von Interkultureller Kompetenz und ihrer Entwicklung, die
empirische Rekonstruktion von kulturellen Lernprozessen, die Verzahnung fremdspra-
chenerwerbstheoretischer und entwicklungspsychologischer Forschungen zu kulturellen
Lernprozessen bei Kindern und Jugendlichen sowie die Möglichkeiten der Evaluation
und psychometrischen Messung von Interkultureller Kompetenz.
Für die aktuelle Situation, die sich durch den Trend zur Kompetenzorientierung stär-
ker mit der empirischen Rekonstruktion kultureller Lernprozesse befasst und vor allem
auch mit deren Evaluation und Messbarkeit, stellt die Ausschärfung des Verstehenskon-
zepts, so wie sie in den 1990er Jahren vorangetrieben wurde, eine nach wie vor wertvolle
Basis dar. Verstanden als explizit unabschließbarer fragiler Bildungsprozess mahnt das
Konzept des Fremdverstehens gerade in der heutigen Diskussion an, nicht allzu simplifi-
zierend Festschreibungen interkultureller Kompetenzstufen vorzunehmen.

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2007 Die Bedeutung von Innen- und Außenperspektive für die Didaktik des Fremdverstehens.
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Adelheid Hu, Hamburg (Deutschland)

156. Konzepte von Kultur im Kontext von Deutsch als


Fremd- und Zweitsprache
1. Kultur: ein Kernbegriff des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
2. Kultur als Prozess: normative Konzepte
3. Kulturen als homogene Ganzheiten: klassisch-ethnologische Konzepte
4. Kultur als Bedeutung und geteiltes Wissen: hermeneutische und sozialkonstruktivistische
Konzepte
5. Ausblick
6. Literatur in Auswahl

1. Kultur: ein Kernbegri des Faches Deutsch als Fremd- und


Zweitsprache
Die Weiterentwicklung der kommunikativen Didaktik zu einem interkulturellen Ansatz,
insbesondere aber die zunehmende Relevanz kulturwissenschaftlicher Forschungsansätze
im Fach DaF/DaZ haben den Begriff Kultur in den letzten Jahren zu einem der Schlüssel-
begriffe des Faches werden lassen. Keine Beschreibung des wissenschaftlichen Selbstver-
ständnisses und der praktischen und wissenschaftlichen Aufgabenstellungen des Faches
kommt mehr ohne diesen Begriff aus, und sämtliche DaF/DaZ-Studiengänge sehen
selbstverständlich immer auch Module und Lehrveranstaltungen zu kulturbezogenen
Themen und Fragestellungen vor. Lernzielbestimmungen wie interkulturelles Lernen,
Kulturverstehen oder Kulturbewusstheit sind aus aktuellen Curricula für Deutsch als
Fremd- und Zweitsprache nicht mehr wegzudenken.
Dabei korrespondiert die Allgegenwart von Kultur in den Fachdiskursen in Deutsch
als Fremd- und Zweitsprache mit einer merkwürdigen Zurückhaltung und einer nur sehr
gering ausgeprägten Bereitschaft, sich auf die Komplexität und den semantischen Varian-
tenreichtum einzulassen, die mit diesem Begriff verbunden sind. Zwar fehlt in kaum einer
einschlägigen Veröffentlichung zum Thema der Hinweis auf die über 150 Begriffsdefini-
tionen, die die amerikanischen Kulturanthropologen Alfred L. Kroeber und Clyde Kluck-
156. Konzepte von Kultur im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 1403

hohn schon Mitte des 20. Jahrhunderts ausgemacht haben wollten (vgl. Kroeber und
Kluckhohn 1952); eine gründliche, der ganzen Komplexität des Begriffs und zugleich
dem Stand der begriffsgeschichtlichen Forschung und der kulturtheoretischen Diskus-
sion gerecht werdende Auseinandersetzung, die sich um eine Einengung und Nutzbarma-
chung des Begriffs für die spezifischen wissenschaftlichen und praktischen Belange des
Faches ernsthaft bemühen würde, ist aber immer noch die eher seltene Ausnahme (vgl.
z. B. Barkowski 2001; Altmayer 1997). Vielmehr herrscht immer noch ein naiver, d. h.
nicht weiter begründeter oder theoretisch hergeleiteter Gebrauch vor, der in aller Regel
Kultur im Sinne eines auf Nationen oder ethnisch definierte Gruppen bezogenes und als
nach innen homogen, nach außen different gedachtes Orientierungssystem versteht, das
das Verhalten der einer Gruppe zugehörigen Individuen weitgehend determiniert. Im
besten Fall stützt man sich bei der Verwendung dieses Begriffsverständnisses auf ein-
schlägige Definitionen, wie sie beispielsweise der Psychologe Alexander Thomas oder der
Kulturanthropologe Geert Hofstede vorgelegt haben (vgl. z. B. Thomas 1993: 380; Hof-
stede 2001: 9). Erst in jüngster Zeit deutet sich ein größeres Problembewusstsein in dieser
Frage an, das sich in dem Bemühen äußert, unterschiedliche begriffsgeschichtliche Tradi-
tionen und kulturtheoretische Ansätze in die eigenen Überlegungen einzubeziehen. Aller-
dings ist auch hier bislang die Tendenz vorherrschend, möglichst die ganze Breite der
Begriffsbedeutung trotz ihrer offenkundigen Inkomplementaritäten für die insbesondere
praktischen Belange des Faches nutzbar zu machen (vgl. Biechele und Padrós 2003: 21,
40; Skiba 2007; Eßer 2006: 3⫺7).
Im Folgenden soll daher versucht werden, die verschiedenen Bedeutungsvarianten
von Kultur, ausgehend von der etymologischen und begriffsgeschichtlichen Entwicklung
und auf der Basis vorhandener Typologien (vgl. Busche 2000; Reckwitz 2000: 64⫺90),
zunächst in aller Deutlichkeit als verschieden herauszuarbeiten und jeweils auf ihre Ver-
wendbarkeit für den Kontext des Faches DaF/DaZ zu prüfen. Dabei sind mit diesem
Kontext vor allem die wissenschaftlichen und erst in zweiter Linie die praktischen Inte-
ressen und Aufgabenstellungen unseres Faches angesprochen.

2. Kultur als Prozess: normative Konzepte

2.1. Kultivierung und Kultiviertsein

Etymologisch geht Kultur auf lat. colere (,pflegen‘, ,anbauen‘) zurück, ein Wort, das
ursprünglich aus dem landwirtschaftlichen Kontext kommt und sowohl den Prozess als
auch das Ergebnis der Pflege und der Bebauung der Felder meint. Von hier aus wurde
der Ausdruck bereits in der lateinischen Antike vom landwirtschaftlichen auf den
menschlichen Bereich übertragen und konnte dort dreierlei bedeuten: Erstens die Sorge
des Menschen um sich selbst, die Pflege seines äußeren Erscheinungsbildes, aber auch
seines Charakters; zweitens die Pflege von Tugenden, Wissenschaft und geistigen Anlagen
(cultura animi); drittens die Pflege des religiösen Brauchtums und die Verehrung der
Götter (vgl. Fisch 1992: 684⫺685). Alle drei Bedeutungsvarianten finden wir auch im
heutigen Sprachgebrauch noch wieder, etwa wenn wir davon sprechen, jemand sei kulti-
viert oder unkultiviert oder auch in Ausdrücken wie Kulturbeutel oder Kult.
1404 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

2.2. Kultur und Zivilisation als Ausdruck eines europäischen


Überlegenheitsanspruchs

Die eigentliche Karriere des spezifisch neuzeitlichen Begriffs Kultur (und seines inhaltlich
zunächst weitgehend bedeutungsgleichen Parallelbegriffs Zivilisation) ist aber eng mit
dem Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung in Europa und mit der Kolonisierung
der außereuropäischen Welt seit dem 17. Jahrhundert verbunden. Der während des Mit-
telalters weitgehend vergessene antike Begriff wird aufgegriffen und erlebt zunächst eine
beispiellose Ausweitung auf nahezu sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens. Ange-
legt ist dies bereits bei dem deutschen Naturrechtslehrer Samuel Pufendorf, bei dem
Kultur erstmals absolut, d. h. ohne ein Genitivattribut gebraucht wird, das angibt, was
Gegenstand der Pflege und Kultivierung ist. Kultur gilt hier ganz allgemein als Gegensatz
zum vorgesellschaftlichen Naturzustand des Kampfes aller gegen alle, aus dem sich der
Mensch durch eigene Anstrengung, nämlich durch Bearbeitung der ihn umgebenden wie
der eigenen Natur, herausarbeiten muss. Das bei Pufendorf angelegte Potenzial des Be-
griffs kommt aber erst dadurch zur Entfaltung, dass im Lauf des 18. Jahrhunderts der
dem Begriff ursprünglich inhärente Gedanke der Pflege und Bearbeitung natürlicher An-
lagen vom Individuum auf Gesellschaften, Nationen, ja die ganze Menschheit übertragen
wird. Im Kontext der aufklärerischen Geschichtsphilosophie gewinnt der Begriff nun
zusätzlich eine zeitliche Dimension, er bezeichnet den Prozess der fortschreitenden Ent-
wicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse des Menschen zum immer Besseren, und er
bezeichnet darüber hinaus auch die Resultate bzw. Zwischenetappen dieses Prozesses
selbst. In diesem sehr weiten Sinn brachte der Begriff Kultur (und vielleicht stärker noch
der Parallelbegriff Zivilisation) das Bewusstsein und den Anspruch der europäischen Ge-
sellschaften zum Ausdruck, dem als wild, kulturlos oder unzivilisiert geltenden Rest der
Welt überlegen zu sein, und wurde für lange Zeit zum wichtigen Legitimationsmuster für
die Kolonisierung, Ausbeutung und Versklavung eben dieser außereuropäischen Welt.

2.3. Kultur vs. Zivilisation

Die begriffsgeschichtlichen Belege aus den wichtigen europäischen Sprachen zeigen, dass
entgegen früheren Annahmen (vgl. z. B. Elias 1976, Bd. 1: 3⫺6) die Ausdrücke Kultur
und Zivilisation zwar auf sehr unterschiedliche wortgeschichtliche Ursprünge zurückge-
hen, aber in den Diskursen der europäischen Aufklärung weitgehend bedeutungsgleich
verwendet wurden (vgl. Fisch 1992: 681⫺682). Dies ändert sich erst zu Beginn des
19. Jahrhunderts zunächst insbesondere im deutschen Sprachraum, wo die eher äußeren,
auf das gesellschaftliche Leben bezogenen Aspekte des bisherigen gemeinsamen Bedeu-
tungsumfangs der Zivilisation, die inneren, auf die geistige Bildung und Entwicklung des
Individuums bezogenen Aspekte hingegen der Kultur zugesprochen werden. Zugleich
wird Zivilisation als äußerlich gegenüber der Kultur abgewertet und zur bloßen Vorstufe
der Kultur in der menschlichen Entwicklung herabgesetzt. Am Ende des 19. und zu Be-
ginn des 20. Jahrhunderts, insbesondere im Kontext des Ersten Weltkriegs, werden diese
unterschiedlichen Entwicklungsstufen gar zu einem scharfen Gegensatz umgedeutet und
mit nationaler Bedeutung aufgeladen, wonach Kultur für die vermeintlich deutsche Ori-
entierung an inneren Werten, Zivilisation hingegen für die westliche Bevorzugung des
156. Konzepte von Kultur im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 1405

Äußerlichen, der gesitteten Umgangsformen und des gesellschaftlichen Lebens, der Poli-
tik, der Ökonomie und der Technik stehen sollte (vgl. Pflaum 1967; Fisch 1992: 746⫺
752; Bollenbeck 1994: 268⫺277).

2.4. Der sektorale Kulturbegri in Landeskunde und auswärtiger


Kulturpolitik

Die scharfe Differenzierung zwischen Kultur und Zivilisation, zumal in ihrer extremen
nationalpolitischen Aufladung, darf heute zweifellos als überholt gelten. Relevant ist sie
allerdings insofern immer noch, als die damit einhergehende Einengung des Bedeutungs-
umfangs von Kultur auf hochwertige künstlerische und intellektuelle Betätigung und de-
ren Produkte in Kunst, Literatur, Musik und Philosophie, wie sie zunächst speziell im
deutschen Sprachraum vorgenommen wurde, bis heute im alltäglichen Sprachgebrauch
Bestand hat und sich in den meisten anderen Sprachen ebenfalls eingebürgert hat (Cul-
ture with a capital ,C‘, vgl. Eagleton 2001: 26⫺27). Darüber hinaus ist dieses Verständnis
von Kultur auch die Basis für den nunmehr wertneutral verstandenen sektoralen Begriff
von Kultur, der das neben Politik, Wirtschaft und Sozialstruktur stehende gesellschaft-
liche Teilsystem der institutionalisierten Produktion, Distribution und Diskussion von
Weltdeutungen bezeichnet (vgl. Reckwitz 2000: 79⫺84) und der in mindestens zweierlei
Hinsicht auch im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bzw. der Fremd-
sprachenwissenschaften nach wie vor Verwendung findet: Zum einen nämlich gilt Kultur
in diesem Sinn als ein Gegenstand der traditionellen Landeskunde neben Geschichte,
Politik, Geographie und Wirtschaft (vgl. u. a. Luscher 2008; Lüsebrink 2003: 157⫺184;
Nitzschke 1998); und zum anderen haben wir es auch im Rahmen der auswärtigen Kul-
turpolitik mit Kultur in dem hier angesprochenen sektoralen Sinn zu tun, auch dann,
wenn man, wie seit den 1970er Jahren weitgehend üblich, von einem erweiterten Kultur-
begriff ausgeht (vgl. Kretzenbacher 1992). Denn dieser erweitert zwar den Gegenstands-
bereich des Begriffs über die kanonisierte Hochkultur der Madrigalchöre, der klassischen
Literatur und der Malerei hinaus auf eher alltagskulturelle Phänomene wie Arbeiterlie-
der, Comics und Graffiti, verbleibt damit aber wie der engere Begriff der deutschen Tra-
dition auch im Bereich der Artefakte und stellt auch den grundsätzlich normativ-werten-
den Charakter des Begriffs nicht in Frage.

3. Kulturen als homogene Ganzheiten: klassisch-ethnologische


Konzepte
Die bisher diskutierten Konzepte von Kultur finden zwar teilweise, wie gesehen, auch im
Kontext von DaF/DaZ eine gewisse Anwendung, es handelt sich aber durchweg um
vorwissenschaftliche Konzepte, denen insbesondere aufgrund ihrer teilweise deutlich
wertenden Funktion nur geringes analytisches Potenzial innewohnt. Als ein wissenschaft-
licher Begriff, der sich für die Analyse und Erforschung fremdsprachlicher Lernprozesse
eignet, muss Kultur aber als deskriptive und prinzipiell pluralische Kategorie aufgefasst
werden, wonach es sich bei Kultur nicht um den Prozess und die Resultate einer eindi-
mensionalen und vorbestimmten Emanzipation des Menschen von seiner eigenen und der
1406 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

ihn umgebenden Natur handelt, auch nicht um den Inbegriff besonders herausgehobener
Ergebnisse („Werke“) menschlicher Geistestätigkeit, sondern um eine Vielzahl teilweise
recht unterschiedlicher Formen des Umgangs mit der Natur und der Gestaltung des
gesellschaftlichen Lebens. Diese Pluralisierung und Relativierung von Kultur zu Kulturen,
die bei Autoren wie Herder bereits am Ende des 18. Jahrhunderts angelegt war, kommt
vor allem in der englischsprachigen Ethnologie bzw. Kulturanthropologie des 19. und
20. Jahrhunderts zur vollen Entfaltung. Als maßgeblich gilt dabei bis heute die Begriffs-
definition des britischen Ethnologen Edward B. Tylor aus dem Jahr 1871: „Culture or
Civilization, taken in its wide ethnographic sense, is that complex whole which includes
knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits ac-
quired by man as a member of society“ (zit. nach Fisch 1992: 757).
Zwar können sich Tylor und seine Zeitgenossen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein
von einer normativen und prozesshaften Vorstellung von Kultur und von der Überzeu-
gung von der Überlegenheit westlich-europäischer Kultur bzw. Zivilisation gegenüber den
„Primitiven“ oder „Naturvölkern“ nicht nachhaltig lösen, gleichwohl ist die für die He-
rausbildung des wissenschaftlichen Kulturbegriffs notwendige Pluralisierung und Relati-
vierung in dieser Definition bereits deutlich angelegt, gilt Kultur (bzw. Zivilisation) hier
doch als Kennzeichen jeder Form menschlicher Vergesellschaftung und nicht mehr nur
einer besonderen und in bestimmter Weise ausgezeichneten oder höherwertigen. Ent-
scheidend für die Durchsetzung eines pluralischen und relativistischen Konzepts von
Kultur war jedoch weniger die britische als vielmehr die amerikanische Ethnologie bzw.
Kulturanthropologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die vor allem mit Namen
wie Franz Boas, Alfred Kroeber, Ruth Benedict und Margaret Mead verbunden ist. Kul-
tur wird in der dezidiert anti-evolutionistischen und anti-rassistischen Orientierung der
Boas-Schule zum Gegenbegriff zu der auch in den USA in den 20er und 30er Jahren
des 20. Jahrhunderts sehr populären Kategorie der Rasse aufgebaut und dient dazu,
Verhaltensunterschiede zwischen Angehörigen unterschiedlicher ethnischer Gruppen
nicht auf (pseudo-)biologische, sondern auf soziale Ursachen zurückführen zu können
(vgl. Hauck 2006: 63⫺66). Auf der Basis umfangreicher Feldforschungen insbesondere
bei verschiedenen Gruppen amerikanischer Ureinwohner gehen die Vertreter und Vertre-
terinnen der Boas-Schule davon aus, dass jede ethnische Gruppe ein spezifisches Orien-
tierungssystem entwickelt, das sich durch durchgängige und homogene, nur für diese
Gruppe charakteristische Muster auszeichnet. „A culture, like an individual“, so heißt
es beispielsweise in dem Klassiker Patterns of Culture (1934) von Ruth Benedict, „is a
more or less consistent pattern of thought and action“ (Benedict 1952: 33). Individuen
gelten nach dieser Auffassung als vollständig durch ihre Zugehörigkeit zu einer bestimm-
ten Gruppe und damit einer bestimmten Kultur determiniert:

The life-history of the individual is first and foremost an accomodation to the


patterns and standards traditionally handed down in his community. From the
moment of his birth the customs into which he is born shape his experience and
behavior. By the time he can talk, he is the little creature of his culture, and by
the time he is grown and able to take part in its activities, its habits are his habits,
its beliefs his beliefs, its impossibilities his impossibilities. Every child that is born
into his group will share them with him, and no child born into one on the oppo-
site side of the globe can ever achieve the thousandth part. (Benedict 1952: 2)
156. Konzepte von Kultur im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 1407

Die hier zum Ausdruck kommende Auffassung von Kultur als einem mehr oder weniger
geschlossenen und homogenen System von standardisierten Mustern, die den einer ethni-
schen Gruppe angehörigen Individuen gemeinsam sind und wodurch diese sich von den
Angehörigen anderer ethnischer Gruppen mehr oder weniger deutlich unterscheiden,
wurde zwar zunächst am empirischen Material aus kleinen und überschaubaren Gruppen
entwickelt, aber schon bald ⫺ angeregt durch die Bedürfnisse des amerikanischen Mili-
tärs während des II. Weltkriegs und in der Nachkriegszeit ⫺ im Rahmen der so genann-
ten „Nationalcharakterstudien“ auf ganze Nationalstaaten wie Japan (vgl. Benedict
1946) oder Russland (Gorer und Rickman 1949) übertragen. Dieses Konzept von Kultur
wurde später auch zur Grundlage der Erforschung interkultureller Kommunikation und
spielt, vermittelt über Autoren wie den amerikanischen Kulturanthropologen Edward
T. Hall, den niederländischen Sozialanthropologen Geert Hofstede oder den deutschen
Psychologen Alexander Thomas, auch in den verschiedenen Fremdsprachenwissenschaf-
ten und deren Überlegungen über den kulturellen Faktor beim Fremdsprachenlernen,
über interkulturelles Lernen, interkulturelle Kompetenz oder eine interkulturelle Landes-
kunde, bis heute eine herausragende Rolle.
In letzter Zeit wird allerdings auch die Kritik an diesem Verständnis von Kultur immer
lauter, das die Widersprüche und Heterogenitäten moderner Gesellschaften und die ge-
rade im Zeitalter der Globalisierung immer deutlicher werdenden Vermischungen und
Verwischungen kultureller Orientierungen unterschlägt, die Individuen auf völlig einsei-
tige und unangemessene Weise auf ihre nationale bzw. ethnische Identität festlegt und
zudem das Denken in pauschalisierenden und stereotypischen Kategorien eher fördert
als hinterfragt (vgl. z. B. Hu 1995: 21⫺22; Hansen 2000: 247⫺266; Altmayer 2003: 122⫺
126; Altmayer 2006a: 48⫺50; Küster 2005: 59⫺63). Bislang allerdings ist es im Kontext
von DaF/DaZ, aller Bemühungen um größere Differenzierung zum Trotz, nicht gelun-
gen, die Vorherrschaft dieses homogenisierenden und essentialistischen Kulturkonzepts
nachhaltig zu erschüttern. Dabei liegt mit dem bedeutungsorientierten Verständnis von
Kultur, das sich vor allem im Kontext aktueller kulturwissenschaftlicher Positionen in
Disziplinen wie der Soziologie, der Ethnologie oder den Geschichtswissenschaften weit-
gehend durchgesetzt hat, längst eine Alternative vor, die auch für die wissenschaftlichen
und praktischen Belange des Faches Deutsch als Fremdsprache interessante Perspekti-
ven bietet.

4. Kultur als Bedeutung und geteiltes Wissen: hermeneutische und


sozialkonstruktivistische Konzepte
Der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff ist keinesfalls als eine einfache
Weiterentwicklung und Differenzierung des bislang auf ganze Nationalstaaten bezogenen
und in diesem Sinn homogenisierenden Begriffs zu verstehen, von dem vorher die Rede
war. Es kann also nicht darum gehen, die Bezugsgrößen dieses Begriffs durch die Einbe-
ziehung regionaler, sozialer oder zeitlicher Differenzierungen und Dynamisierungen zu
variieren, wie dies z. B. bei Hansen mit der Einführung der Kategorie des Kollektivs auf
unterschiedlichen Ebenen der Vergesellschaftung und der Multikollektivität versucht
wird (vgl. Hansen 2000: 193⫺216). Vielmehr haben wir es mit einem grundlegenden
Paradigmenwechsel zu tun, der in der einschlägigen Fachliteratur schon seit längerem
1408 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

als cultural turn beschrieben wird (vgl. u. a. Bachmann-Medick 2006) und der die For-
schungsperspektive in den Sozial- und Kulturwissenschaften von allgemeingültigen no-
mothetischen Erklärungsmodellen menschlichen Verhaltens auf die Ebene der symboli-
schen Ordnungen und subjektiven Sinnzuschreibungen verschiebt. Unter Rückgriff auf
unterschiedliche Theorietraditionen, die von Phänomenologie, Hermeneutik und Verste-
hender Soziologie bis zu Symbolischem Interaktionismus, (Post-)Strukturalismus und
Sozialkonstruktivismus reichen, gehen die Vertreter und Vertreterinnen aktueller kultur-
wissenschaftlicher Forschungsansätze davon aus, dass die (soziale) Wirklichkeit nicht
unmittelbar gegeben, sondern in Akten diskursiver Deutung und Sinnzuschreibung von
den Akteuren selbst erst konstituiert wird, dass demnach die Aufgabe kultur- und sozial-
wissenschaftlicher Forschung vorrangig darin besteht, diese sinnkonstituierenden Akte
in einem nicht etwa kausal erklärenden, sondern verstehenden Zugriff zu rekonstruieren.
Im Hinblick auf die Neubestimmung des Begriffs Kultur kommt dabei der interpretativen
Ethnologie, die vor allem mit dem Namen Clifford Geertz verbunden ist, eine entschei-
dende Rolle zu. In Geertz’ bis heute höchst einflussreichem Buch Dichte Beschreibung
(1973; dt. 1983) findet sich die bekannte Definition von Kultur als „selbstgesponnenem
Bedeutungsgewebe“: „Der Kulturbegriff, den ich vertrete […], ist wesentlich ein semioti-
scher. Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene
Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. Ihre Unter-
suchung ist daher keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern
eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht“ (Geertz 1995: 9).
Allerdings erweist sich diese auch im Kontext von DaF/DaZ häufig (und meist unkri-
tisch) zitierte Auffassung von Kultur bei genauerem Hinsehen als problematisch, weil die
Metapher vom „Bedeutungsgewebe“ zwar prinzipiell die subjektive Sicht der Beteiligten
hervorhebt, allerdings viel zu allgemein und ungenau ist, als dass sie für konkrete Kultur-
analysen, insbesondere in Bezug auf komplexe Industriegesellschaften, wirklich taugen
würde. Hinzu kommt, dass Geertz aus methodischen Gründen dazu neigt, Kulturen aus
der Sicht des Kultur gleichsam als Text interpretierenden Ethnografen doch wieder zu
harmonisieren und zu homogenisieren, wenn auch nicht mehr auf der Ebene des be-
obachtbaren Verhaltens, so doch auf der Ebene der zu interpretierenden Bedeutungszu-
schreibungen. Deutlich wird dies vor allem an Geertz’ Analyse des balinesischen Hah-
nenkampfs, dem der Ethnograf wie einem Text eine bestimmte soziale Bedeutung zu-
schreibt, dabei eine vermeintliche Einheitlichkeit dieser Bedeutung unterstellt und damit
die sozialen Differenzen und Konflikte zwischen den eine Gesellschaft ausmachenden
Individuen und Gruppen, die sich immer auch in Konflikten um die „richtige“ Deutung
von Wirklichkeit niederschlagen, ausblendet (vgl. dazu Geertz 1995; Berg und Fuchs
1993; Lenk 1996; Altmayer 2004: 132⫺135). Insofern spricht vieles dafür, bei der Re-
formulierung eines für den Kontext von DaF/DaZ brauchbaren, hinreichend differen-
zierten und gleichwohl noch handhabbaren Begriffs von Kultur auf Theorieansätze und
Konzepte zurückzugreifen, die über Geertz hinausgehen. Hier bieten insbesondere die
Diskursforschung im Anschluss an Foucault und die neuere Kultur- und Wissenssoziolo-
gie interessante Anknüpfungspunkte.
Ein in den letzten Jahren innerhalb des Faches DaF/DaZ entwickeltes Konzept von
Kultur, das sich an den erwähnten Theorieansätzen orientiert, diese aber nicht einfach
für die Forschung und/oder Praxis anwendet oder übernimmt, sondern ⫺ ausgehend von
den spezifischen Interessen des Faches ⫺ auf ihre Eignung hin prüft, legt einen Begriff
von Kultur zugrunde, wonach diese nicht in einem Set mehr oder weniger gleichförmiger
156. Konzepte von Kultur im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 1409

Verhaltensweisen oder Mentalitäten besteht, sondern uns mit einem Fundus an (kollek-
tivem) Wissen versorgt, das uns in die Lage versetzt, der Welt um uns herum, aber auch
unserem eigenen Leben Sinn und unserem Handeln Orientierung zu geben (vgl. dazu
und zum Folgenden Altmayer 2004: 147⫺156, 2005: 156⫺157, 2006a, 2006b). Unter
Verwendung (und Umdeutung) eines Begriffs, der ursprünglich aus der objektiven Her-
meneutik stammt, mittlerweile aber auch in anderen kultur- und wissenssoziologischen,
aber auch pädagogischen Kontexten heimisch geworden ist, kann man die musterhaft
verdichteten und im kulturellen Gedächtnis gespeicherten Einzelelemente dieses Wissens
kulturelle Deutungsmuster nennen. Der für den DaF/DaZ-Kontext konstitutive Bezug
zur Sprache und damit zum Fremdsprachenlernen besteht dabei insbesondere darin, dass
wir im Sprachgebrauch, d. h. in alltäglicher, aber auch in medialer und schriftlicher Kom-
munikation, in hohem Maß auf solche kulturellen Deutungsmuster zurückgreifen, sie bei
unseren Gesprächspartnern oder den Adressaten von Texten oder Medienangeboten aller
Art in der Regel implizit und selbstverständlich als allgemein bekannt und akzeptiert
voraussetzen. Die Aufgabe kulturwissenschaftlicher Forschung in Deutsch als Fremd-
und Zweitsprache besteht nach diesem Konzept dann vor allem darin, die im alltäglichen
Sprachgebrauch in aller Regel implizit bleibenden kulturellen Deutungsmuster, die wir
im Deutschen verwenden, zu rekonstruieren, d. h. sie auf die Ebene des Expliziten zu
heben, sie sichtbar und damit auch lernbar zu machen.

5. Ausblick
Nach einem viel zitierten Bonmot des Soziologen Niklas Luhmann handelt es sich bei
Kultur um „den schlimmsten Begriff, der je gebildet wurde“ (Luhmann 1995: 398). Man
wird die spezifisch systemtheoretischen Gründe, die Luhmann zu diesem Verdikt veran-
lasst haben, nicht bemühen müssen, um ihm angesichts der Allgegenwart des Begriffs in
wissenschaftlichen und medialen Diskursen auf der einen und seiner semantischen Vag-
heit, Vieldeutigkeit und Unübersichtlichkeit auf der anderen Seite eine gewisse Berechti-
gung zubilligen zu können. Es war allerdings nicht zuletzt diese Vieldeutigkeit und Vag-
heit, die dem Begriff zu seiner geradezu beispiellosen medialen und wissenschaftlichen
Karriere verholfen und ihn zu einem der Leitbegriffe unserer Zeit gemacht haben. Darin
besteht sicherlich auch eine Chance insofern, als unter der weitgehend bedeutungsoffenen
Kategorie der Kulturwissenschaft(en) traditionelle Fächergrenzen gesprengt und völlig
neue transdisziplinäre Koalitionen und Vernetzungen gebildet werden können (vgl.
Art. 154). Hier liegt aber andererseits auch ein Problem insofern, als die Vagheit ihres
Kernbegriffs der begrifflichen Präzision kulturwissenschaftlicher Diskurse nicht unbe-
dingt förderlich ist. Insofern sind Zweifel, ob wir es bei Kultur überhaupt noch mit einem
wissenschaftlichen Begriff zu tun haben, mit einem Begriff also, dem eine erklärende oder
zumindest analytische Kraft für wissenschaftliche Problemstellungen zukommt, ange-
sichts der Allgegenwart dieses Begriffs, seiner Funktionalisierungen und Inanspruchnah-
men für die unterschiedlichsten Zwecke nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten.
Dies gilt auch und nicht zuletzt für den Kontext des Faches DaF/DaZ, das sich ⫺ wie
schon gesagt ⫺ in Sachen Begriffsreflexion und Theoriebildung gerade im Bereich der
Kulturstudien bzw. Landeskunde bisher nicht unbedingt besonders hervorgetan hat. Es
wird für die weitere Entwicklung des wissenschaftlichen Begriffs Kultur im Kontext von
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache vor allem auf dreierlei ankommen:
1410 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

1. Die in vielen einschlägigen Publikationen der letzten Zeit erkennbare Bereitschaft,


über die dichotomischen Kategorien von „eigener“ und „fremder Kultur“ und über die
homogenisierenden und essentialistischen Konzepte von Kultur hinaus zu denken und
die Heterogenitäten, Hybriditäten und Vernetzungen von Kultur stärker zu berücksichti-
gen, beschränkt sich bislang meist auf die Ebene der Theorie, wohingegen in eher anwen-
dungsorientierten Ansätzen nach wie vor die traditionellen kulturkontrastiven Positionen
vorherrschen. Hier wird es darauf ankommen, Konzepte zu entwickeln, die einerseits
den Anforderungen nach Differenzierung auf theoretischer Ebene entsprechen, die sich
aber andererseits auch für forschungs- und nicht zuletzt auch unterrichtspraktische Zwe-
cke operationalisieren lassen, ohne dass dies wieder mit den bekannten Simplifizierungen
einher geht.
2. Das Fach sollte sich im Bereich von Kulturstudien bzw. Landeskunde künftig nicht
mehr als bloßes Anwendungsfach begreifen, das seine theoretischen und begrifflichen
Grundlagen aus anderen Disziplinen und Forschungsrichtungen bekommt und das jeder
kultur- oder sozialwissenschaftlichen Mode (Poststrukturalismus, kulturelles Gedächtnis,
Postcolonial Studies usw.) hinterher läuft, es sollte vielmehr die eigenen fachlichen und
wissenschaftlichen Interessen an kulturwissenschaftlichen Fragen in den Vordergrund
stellen und daraus eigene Theorien und Methoden für kulturwissenschaftliche Fragen
entwickeln. Dies setzt zum einen eine verstärkte Reflexion und Diskussion über die eige-
nen kulturwissenschaftlichen Interessen des Faches voraus, zum anderen aber auch die
intensive Auseinandersetzung auf Augenhöhe mit aktuellen kulturwissenschaftlichen De-
batten, Positionen und Forschungsansätzen, die anderswo geführt und entwickelt wer-
den. Nur dann wird es gelingen, ein zugleich hinreichend differenziertes, im Hinblick auf
konkrete Forschungs- und Praxisinteressen operationalisierbares und an die internatio-
nale und interdisziplinäre Diskussion anschlussfähiges Konzept von Kultur im Kontext
von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache zu entwickeln.
3. Dieses Konzept muss nicht nur für konkrete Forschung operationalisierbar sein,
es muss sich in der Forschung auch allererst bewähren und sich über die Forschung auch
weiter entwickeln. Es wird daher in Zukunft vor allem darauf ankommen, die konkrete
und insbesondere empirische Forschung im Bereich Kulturstudien bzw. Landeskunde
voranzutreiben. Die wissenschaftliche Brauchbarkeit und analytische Kraft theoretischer
Konzepte wie Kultur lässt sich am Ende nicht rein theoretisch beurteilen, sie bemisst sich
vielmehr an den Forschungsergebnissen, die auf der Grundlage dieser Konzepte zustande
gekommen sind.

6. Literatur in Auswahl
Altmayer, Claus
1997 Zum Kulturbegriff des Faches Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift für interkulturellen
Fremdsprachenunterricht 2(2). (Online).
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157. Interkulturelle Germanistik 1413

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1993 Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns. In: Alexander Thomas (Hg.), Kultur-
vergleichende Psychologie. Eine Einführung, 377⫺424. Göttingen: Hogrefe.

Claus Altmayer, Leipzig (Deutschland)

157. Interkulturelle Germanistik


1. Entwicklungsetappen
2. Studienanlage: mögliche Fachkomponenten
3. Entwicklungslinien
4. Literatur in Auswahl

1. Entwicklungsetappen

1.1. Kontexte

Ausgehend von der Grundannahme, eine deutsche Germanistik decke als Mutterspra-
chen- bzw. Nationalphilologie grundsätzlich die Lerninteressen und Ausbildungsziele
ausländischer Studierender nicht hinreichend ab, entwickelten Wierlacher (zusammenfas-
send in 2003b: 2⫺3) und Thum (u. a. 1993) die Kontur des kulturwissenschaftlich ausge-
richteten Lehr- und Forschungsgebiets Interkulturelle Germanistik (IG) und gründeten
1984 mit einer Gruppe von Kollegen die gleichnamige Gesellschaft. Angesichts der man-
nigfaltigen Manifestationen von Interkulturalität fragten die BeiträgerInnen in den
Hauptpublikationsorganen für interkulturelle Germanistik, dem Jahrbuch Deutsch als
Fremdsprache (JbDaF) und in der Reihe Publikationen der GiG nach möglichen Mittler-
funktionen des Faches und seiner AbsolventInnen und wie kulturwissenschaftlich das
oftmals philologisch-sprachdidaktisch verstandene Fach ausgerichtet sein müsse. Ange-
stoßen durch kontinuierliche Selbstreflexionen und „weltoffene und selbstbewußte“
(Wierlacher 1987: 149) Positionierungen der IG sowie sicherlich dadurch provoziert, dass
sie „nicht die Linguistik, sondern die Textwissenschaft und ihre Einbettung in eine ver-
gleichende Fremdkulturwissenschaft zum zentralen Forschungs- und Lehrgebiet“ machte
(Wierlacher 1987: 145), eröffneten bundesrepublikanische Fachgebiete DaF einen ähnli-
chen, jedoch plurizentrischen Positionierungsdiskurs (vgl. die Beiträge zur sog. „Struk-
turdebatte“ in der Zeitschrift Deutsch als Fremdsprache 1994⫺1999; vgl. Art. 2). In den
teils 100 Jahre länger bestehenden germanistischen Instituten im Ausland wurden die
bundesrepublikanischen Selbstverständnisdiskurse und fremdheitswissenschaftlichen
Einforderungen nur vereinzelt und kaum als konstruktive Anstöße zu polylogischen Er-
kenntnisprozessen (Wimmer 2003) aufgenommen (vgl. u. a. Kreutzer 1996 und die Pole-
mik in Zimmermann 21991), insbesondere dann, wenn die Ziele der IG an übersteigerte
Anforderungen geknüpft wurden wie exzellente Fremdsprachen- und Literaturkenntnisse
1414 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

eines anderen Kulturraums (Lämmert 1996: 13⫺14), eigen- und fremdkulturelle Doppel-
kompetenzen (Ihekweazu 1985) oder fremdsprachenerwerbsspezifische Vorerfahrungen
der Lerner (Pleines 21991: 136). So sinnvoll solche Kompetenzen sind, ihre Einforderung
illustriert die Annahme, IG hätte die Aufgabe, Kulturvergleiche zu erstellen ⫺ was nöti-
genfalls germanistische Abteilungen im Ausland fachkundiger erfüllen ⫺ statt verschie-
dene Perspektiven auf Manifestationen deutschsprachiger Kulturen methodisch und ver-
gleichend zur anreichernden Beschreibung zu nutzen und somit eine Koordination von
Perspektiven, Interpretationen und Resümees zu fördern. Der angestoßenen Debatte
folgten Versuche, auf einer Meta-Ebene zu einer konstruktiven Streitkultur bezüglich
bildungspolitischer Ausrichtungen zu finden (Hu 1999), die auf kulturelles Mitteln ohne
heimliche Kolonialisierungstendenzen angelegt sind und interdisziplinäre Perspektiven
auf bislang philologisch gefasste Lehr- und Forschungsgegenstände miteinander verbin-
den.

1.2. Positionierungen und Terminologien


Zur Illustration der Fach- und Abgrenzungsgeschichte seien hier eine Auswahl von Fach-
bezeichnungen zusammengestellt: Als Distanzierung zur damaligen Nationalphilologie
wird Deutsche Germanistik als Überbegriff eingeführt. Diese gliedere sich zum einen in
Deutsche Muttersprachen-Germanistik (auch bezeichnet als: binnenkulturelle deutsche Ger-
manistik; deutsche Germanistik mit primärsprachenphilologischem Charakter; Mutterspra-
chenphilologie/Binnenwissenschaft; Muttersprachen-/Öko-Germanistik; Nationalphilologie
neuerer Art; Schulsprachenphilologie in Deutschland) und zum andern in Deutsch als
Fremdsprache. Dessen Variante IG erschien auch als Fremdsprachen- oder Xeno-Germa-
nistik, Fremdsprachenphilologie Deutsch oder kulturkontrastive Germanistik) und defi-
nierte sich wie folgt:

Der Ausdruck Interkulturelle Germanistik ist ein Dach- und Fachbegriff. Er be-
zeichnet eine interdisziplinäre germanistische Fremdkulturwissenschaft, die in For-
schung, Lehre, Organisation von der Kultur(en)gebundenheit germanistischer Ar-
beit ausgeht, kulturelle Vielfalt der Ausgangspositionen, Fragestellungen und An-
näherungsweisen nicht für ein Handicap, sondern für einen Vorteil hält, im Dialog
der Kulturen praktisch werden und zur internationalen Zusammenarbeit befähigen
will. Leitziel interkultureller Germanistik ist, der kulturellen Vielfalt des Interesses
am Deutschen und den deutschsprachigen Ländern sowie dem Bedarf an transkul-
tureller Verständigung besser gerecht zu werden als es bisherige Modelle von Ger-
manistik vermochten. Zu diesem Zweck erhöht interkulturelle Germanistik ihre
Komplexität, indem sie sozial- und geisteswissenschaftliche mit xenologischen Fra-
gestellungen im Sinne einer angewandten Kulturwissenschaft zusammenführt, der
es um wechselseitige Aufklärung von Theorie und Praxis geht. Als interdisziplinäre
Fremdkulturwissenschaft mit Eigenschaften einer vergleichenden Kulturanthropo-
logie stellt interkulturelle Germanistik ein Netz aus sachlichen und dialogischen
Bezügen dar. (Wierlacher 2003a: IX; Hervorh. im Original)

Solche, oftmals wörtlich repetierten und defensiv-polarisierenden Selbst- und Fremdkate-


gorisierungen, Ab- und Ausgrenzungen von Positionen, attribuierten Ansprüche und
157. Interkulturelle Germanistik 1415

Ziele dokumentieren eine Phase ausführlicher Selbstreflexionen. Verwirrung stifteten sie


u. a. dadurch, dass sich die IG bewusst zwischen Germanistik und Deutsch als Fremdspra-
che (DaF ), sich auch als Variante von DaF verstand und gleichzeitig außerhalb plat-
zierte, nämlich in eine Brückenstellung zwischen Inlands- und Auslandsgermanistik, die
separiert und als u. a. Fremdsprachengermanistik des Auslands, Internationale Germanis-
tik, (germanistische) Auslandsgermanistik(en) oder einfach ausländische Germanistik titu-
liert wurde. Zudem pflegen viele ausländische Institutionen sowohl zu der kritisch evalu-
ierten deutschen Muttersprachengermanistik als auch zu ausgewählten Fremdsprachen-
philologien wissenschaftliche Kontakte und waren teilweise bis Anfang der 1990er Jahre
auch politisch gespalten, wenn ein Teil der KollegInnen wissenschaftliche Beziehungen
vornehmlich zu germanistischen Abteilungen in der DDR (vgl. u. a. Sadji 1993; vgl.
Art. 4) und ein anderer zu westlichen Partnern pflegte. Die Auslandsgermanistiken hatten
also sehr heterogene wissenschaftliche Quellen und Interessen (u. a. Földes 2003).
Doch die IG-Positionen weisen auch Entwicklungsetappen auf. So konstatierte Thum
(1993) mit Verweis auf entstandene Kooperationen der GiG mit Vertretern anderer Ge-
sellschaften, Verbände und Disziplinen eine neue Entwicklungsphase. Wierlacher setzte
dem Bayreuther Beispiel 2002 ein Ende (2003b: 14) und öffnete damit konzeptuelle Frei-
räume, die von der angesprochenen Interpretationsgemeinschaft zu vielfältigen, auch em-
pirischen Studien genutzt wird, um eine plurizentrische interkulturelle Germanistik zu
verfolgen.

1.3. Schlüsselthemen
Die Notwendigkeit empirisch begründeter Zugänge zu Konstruktionen von Fremdheit
in interkultureller interpersonaler Kommunikation, zu literarischen Interpretationen
oder zur kulturwissenschaftlichen Landeskunde betrifft insbesondere die fachspezifi-
schen, fälschlicherweise an Goffman angelehnten Rahmenbegriffe, denen laut Wierlacher
(2003a: X⫺XI; Hervorheb. im Original) „nach strenger Prüfung eine tragende Funktion
in der Architektur interkultureller Germanistik zukommt: Anerkennung, Bildung, Blick-
winkel, Dialog, Distanz, Empathie, Fremdheit, Grenze, Höflichkeit, Interdisziplinarität,
Interkulturalität, Kritik, Kultur, Lernen, Lesen, Professionalität, Schweigen, Tabu, Tole-
ranz, Vergleichen, Vermittlung, Wissen. Zusätzlich gelten weiterführende Leitbegriffe wie
Internationalität der Wissenschaft, Aneignung oder Kommunikation (…)“.
Solche standardisierenden Aufzählungen bieten der IG allerdings keine konzeptuellen
Perspektiven. Erweitert man sie um bislang kaum wahrgenommene Themenkreise in
nicht-deutschsprachigen Ländern, ergibt sich eine weniger programmatisch als thema-
tisch agierende interkulturelle Germanistik (iG). Diese entwickelt sich inzwischen als
Gegenstandsbestimmung von unten, gespeist auch durch empirisch ausgerichtete Ansätze
(vgl. einzelne Beiträge in Kuruyazici et al. 1998; Wierlacher und Bogner 2003; Riemer
2008 oder Hess-Lüttich et al. 2009).

2. Studienanlage: mögliche Fachkomponenten


Die bis 2001 „klar umgrenzte Komponentenzahl und deren stringente Binnengliederung“
(Wierlacher 2003b: 15) der IG, und zwar in (a) Sprachforschung/Sprachlehrforschung,
(b) Literaturforschung/Literaturlehrforschung, (c) Landeskunde, (d) Fremdheitslehre
1416 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

und (e) Komparatistik, ergänzt um Medien- und Übersetzungswissenschaft, erwies sich


letztendlich, v. a. bei der Anlage von BA- und Masterstudiengängen, als unpraktikabel.
Denn sie verweist auf außerhalb der Germanistik etablierte Fachdisziplinen ohne fremd-
heitswissenschaftliche Profilierungen (vgl. Komponente a, c oder auch d), legt methodi-
sche Doppelungen an (Komponente c⫺e), verlagert die fachkonstitutiven Aufgaben der
Vermittlung der deutschen Sprache und Kultur in die Sprach- und Literaturwissenschaf-
ten und vernachlässigt die berufsbezogenen Anwendungsbereiche wie die Vermittlung
didaktischer und moderierender Fähigkeiten für die Bereiche DaF-Unterricht, interkul-
turelles Training oder Mediation. In neueren Curricula wird daher ein breites Spektrum
iG entworfen, das sich ohne Anspruch auf Vollständigkeit, jedoch Interkulturalität mit
Pluralität verbindend wie folgt gliedern lässt:
1. Fremdverstehen und kulturelles Mitteln (übergreifende xenologische Kompo-
nente): Xenologische Herangehensweisen bilden die spezifische Grundlage iG. Ihre me-
thodischen, komponentenübergreifenden Ziele dienen weniger der Erarbeitung eines
fachspezifischen Konzepts von Kultur/Fremdkultur (vgl. divergierende Definitionen in
Wierlacher und Bogner 2003), sondern der Erarbeitung von Grundbegriffen wie kultu-
relle Fremdheit, Interkulturalität oder Fremdverstehen (u. a. Wierlacher und Albrecht
1995; Matusche 1989; Cappai 2008), einschließlich methodischer, empirischer Zugänge
zur interaktiven Konstruktion von Fremdheit (u. a. Müller[-Jacquier] 2003; Kotthoff
2002), zum Kulturvergleich (Müller[-Jacquier] 1986; Matthes 1992) oder zur Rekonstruk-
tion von Fremderfahrungsdarstellungen deutschsprachiger Agenten. Gegenstand sind
auch fallübergreifende Prozesse interkulturellen Lernens sowie die Anlage einer interkul-
turellen Didaktik (Kramsch 1991). Hinzukommen müssten Analysen kulturell beeinfluss-
ter Zeichenproduktionen und -rezeptionen (zum Teilbereich Xenismen vgl. Müller-Jac-
quier 2007), also eine Semiotik mit Anwendungspotenzialen in allen Fachkomponenten.
2. Die deutsche als fremde Sprache und ihre Verwendung (linguistische Kompo-
nente): Ziel der linguistischen Komponente ist nicht die Beschreibung der deutschen
Sprache, sondern ihrer Verwendung unter Fremdheitsbedingungen. Bezüglich der ge-
sprochenen Sprache (Fiehler 2008) geht es also um Prozesse interaktiv gesteuerter Zei-
chenproduktion und -erschließung im sprachlichen Handeln (vgl. Knapp-Potthoff und
Liedke 1997), um interkulturelle Kommunikation mit Deutschsprachigen. Methodisch
werden Spezifika, Muster oder Maximen interpersonaler Kommunikation zwischen deut-
schen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern (Fallstudien) rekonstruiert, ergänzt
um Verfahren der Bedeutungsaushandlung, Formen interaktiver Konstruktion kommu-
nikativer Gattungen oder des Wissenstransfers (vgl. Günthner und Luckmanns Gat-
tungsanalysen 2002 oder allgemein Földes 2007; Kotthoff und Spencer-Oatey 2007) und
Formen der Mehrsprachigkeit (Lüdi 2005). Bezüglich der geschriebenen Sprache geht es
vor allem um Analysen kulturspezifischer Vertextungen und deren Rezeptionen, bei-
spielsweise in der deutschen Wissenschaftssprache (vgl. Clyne und Kreutz 2003). Kon-
trastive linguistische Vergleiche dienen hier eher der Bestimmung sprachlich-kultureller
Normalitätserwartungen und der Erstellung analytischer Kategorien für Beschreibungs-
inventarien.
3. Erwerb und Vermittlung der deutschen als fremden Sprache (angewandt-linguisti-
sches Modul: Als fachkonstitutives Praxisfeld iG dient das Modul der Erforschung päda-
gogischer Lehr-/Lernprozesse unter Fremdheitsbedingungen (vgl. Boeckmann 2006; vgl.
auch Art. 105). Ziele sind die Beschreibung sprachlicher und interaktionaler Lernpro-
zesse im Bereich Deutsch als Fremdsprache, einschließlich des außerinstitutionellen Ler-
157. Interkulturelle Germanistik 1417

nens (z. B. im Tandem, vgl. Art. 134). Aus ihr ergeben sich sowohl Hinweise für die
Darstellung grammatischer Regeln als auch für Verfahren einer interkulturellen Didaktik
(Müller[-Jacquier] 1992), die eine systematische Ausbildung interkultureller Verstehens-
und Handlungskompetenzen anstrebt.
4. Landeskunde, Kulturvergleich und internationaler Kulturaustausch (kulturwissen-
schaftliches Modul): Kulturwissenschaftlich geht es der iG weniger um möglichst objek-
tive landeskundlich-institutionenbezogene Beschreibungen von Manifestationen deut-
scher Kultur, als um Fallstudien zu ausgewählten fremdkulturellen Rezeptionen und um
die Erarbeitung entsprechender Perspektiven auf Deutsches. Auf der Grundlage von ge-
schichtlichem, institutionellem und soziologischem Wissen sowie von Kenntnissen im
Bereich der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik dient diese Komponente der Ent-
wicklung von Fähigkeiten, kulturell Fremdes und Eigenes in ihrer Wechselwirkung prak-
tisch zu erfahren, zu beschreiben und zu analysieren. Empirisch-methodisch werden dazu
auch Feldforschungen durchgeführt, in deren Rahmen ethnographische Methoden durch
praktische Fremderfahrungen erarbeitet und auf ausgewählte Diskurse zu spezifischen
Formen des Alltagslebens in Deutschland ⫺ einschließlich der Erinnerungskulturen ⫺
zurückgespiegelt werden (vgl. das Fortbildungsmodell Erlebte Landeskunde in Bach-
mann et al. 1995).
5. Deutschsprachige Literatur als fremde Literatur (literaturwissenschaftliches
Modul): Die Literaturwissenschaft iG beschäftigt sich mit fremdperspektivischen Inter-
pretationen deutschsprachiger Literatur. Das interkulturelle Potenzial der Literatur
(Mecklenburg 2003: 434; Krusche 2003: 467⫺468 unterscheidet genauer zwischen leser-
und textseitigen Reflexionen „kulturbedingter Lese-Differenz“) wird also nicht nur aus
literarischen Texten gewonnen. Vielmehr ergeben sich Analyse-Daten aus den Manifesta-
tionen von Wirkungen, auch aus ad hoc-Deutungen durch Nichtmuttersprachler (vgl.
das Verfahren „interkultureller Lesergespräche“, Krusche 21993). Ziel ist es, ein textbezo-
genes oder kulturthemenorientiertes Verständigungshandeln (Thum und Lawn-Thum
1982) zu erzeugen, das Ausgangspunkt, Forschungsgegenstand und auch Ziel literari-
scher Interpretation ist.
6. Interkulturelle Kompetenzen (berufsorientierendes Modul): In allen Komponenten
iG wird das erworbene Wissen mit berufsbefähigenden analytischen Strategien und
handlungsbezogenen Kompetenzen in interkulturellen Situationen verbunden. Ziel ist
es, komponentenspezifische Fertigkeiten auszuweisen und mit Blick auf interpersonale
Interaktionen hin zu operationalisieren. Als typische Praxisanforderungen gelten der
Sprachunterricht als multikulturelle Lernsituation, die Herausbildung spezifischer Ko-
operationsformen in internationalen Teams, der Wissenstransfer fremdkultureller Erfah-
rung (Hormuth 2009) oder Mediationsprozesse in kulturell bedingten Konfliktsituatio-
nen (Busch und Schröder 2005). Eine besondere Stellung nimmt die Vermittlung interkul-
tureller Kompetenzen in der Weiterbildung ein (interkulturelles Training). Diese gilt als
wichtiger, praxisbezogener Forschungsgegenstand (Nazarkiewicz 2002) und bietet Stu-
dierenden ⫺ auch an Hochschulen, vgl. die Aktivitäten von Hochschul-Netzwerken
(Bosse 2009) ⫺ die Möglichkeit, berufsrelevante Erfahrungen zu sammeln und an der
Internationalisierung der Hochschulen mitzuwirken.
7. Forschungspositionen und -methoden interkultureller Germanistik (forschungs-
orientierendes Modul): Die interdisziplinäre Anlage interkultureller Germanistik verlangt
nach klaren Positionierungen bezüglich gegenstandsspezifischer, methodischer empiri-
scher Verfahren. Bislang wird z. B. unter dem Stichwort Professionalität die Frage nach
1418 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

spezifischen Methoden metaphorisch mit Verweisen auf „wissenschaftliches ,Handwerk‘


und transsubjektiv und transkulturell gültige Maßstäbe“ thematisiert (Wierlacher 2003c:
296⫺297). Die ausstehende Methodendiskussion iG ist insofern von Bedeutung, weil
xenologisches Arbeiten nicht auf Anwendungen bestehender theoretischer Konstrukte
auf die interkulturelle Praxis vertrauen kann. Vielmehr muss sie über kontrastive Studien
hinausgehen und beispielsweise ethnomethodologisch (u. a. Aktionsforschung) die He-
rausbildung von Interkulturalität in der Praxis zu erfassen suchen. Verweist die IG auf
Arbeiten der Cultural Studies, so muss sie auch deren „Werkzeugkiste“ mit ihren For-
schungsanlagen, d. h. die am jeweiligen Objekt ausgerichteten pragmatisch, strategisch
und gesellschaftskritisch ausgerichteten Rekonstruktionen sozialer Praxis akzeptieren
(Göttlich, Mikos und Winter 2001).
8. Komplementäre Studien (vertiefendes Modul): IG bietet ⫺ je nach den örtlichen
disziplinären Kooperationen ⫺ thematische Optionen, durch die die Studierenden gemäß
den Studienzielen ihr Wissen vertiefen und komplementär erweitern können.

3. Entwicklungslinien

Bislang kommen empiriebasierte Theoriebildungen den bisherigen Auflistungen mögli-


cher Forschungsthemen und Verweisen auf Forschungsdesiderate nicht nach. Anderer-
seits werden einschlägige empirische Arbeiten nicht als interkulturell-germanistisch ge-
führt. Bis auf die linguistische und den leserbezogenen Anteil der literaturwissenschaftli-
chen Komponente, die Interkulturalität nicht voraussetzen, sondern Prozesse ihrer Co-
Konstruktion nachzeichnen (u. a. Krusche 2003; Hausendorf 2002), operiert die Mehr-
zahl der Beiträge mit Vergleichen und einem mit Nation verwobenen Kulturbegriff. Dies
ist dann unerheblich, wenn die Analysen nicht kontrastiv als Beschreibung eigener und
fremder Gegenstände, Verhältnisse oder Mentalitäten angelegt sind, sondern als Aufzei-
gen „kommunizierter Fremdheit“ (Hausendorf 2002), als Fallstudie zur Gewinnung von
Analysekategorien oder als Identifikation spezifischer Prozesse zur Herstellung co-kon-
struierter Interkulturen (Müller-Jacquier 2004). Dienen Vergleiche nur zu Gegenüberstel-
lungen von Fremdem und Eigenem und werden die xenologisch relevanten Wirkungen
aufgefasster kultureller Differenz ausgespart, verbleibt ihr Erkenntniswert im Rahmen
seit langem praktizierter kontrastiver Studien. So mehren sich selbst fachintern Forde-
rungen, die Reduzierung der Vielfalt kulturell tradierter wissenschaftlichen Verfahren
und Interessen auf eine „doppelte Optik“ (Wierlacher 2003c: 296), also das „europäische
Verfahren der Dichotomisierung von fremd-eigen, Selbst-Anderer, West-Ost (…)“ (Bach-
mann-Medick 2003: 445) zugunsten von Hybridität, Inter-Kultur und Mehrfachzugehö-
rigkeit zu relativieren und sich auf Manifestationen und Herausbildungsprozesse der letz-
teren und ihre Interpretationen in verschiedenen Rezeptionskontexten zu konzentrieren.
Bezogen auf Ziele interkulturell-germanistischer Ausbildung bedeutet dies, dass iG neben
der Kenntnis fachrelevanter wissenschaftstheoretischer Positionen die Fähigkeit vermit-
teln möchte, xenologischen Forschungsfragen empirisch-methodisch nachzugehen. Als
Minimalanforderungen sollten Studierende
⫺ eine diskurslinguistisch ausgerichtete Methodenkompetenz zur Analyse interkulturel-
ler interpersonaler Kommunikation,
157. Interkulturelle Germanistik 1419

⫺ eine hermeneutische Textkompetenz mit kulturthematischen und -vergleichenden


Schwerpunkten sowie
⫺ kulturwissenschaftlich-ethnographische Methoden zur Erschließung alltagsweltlicher
und historisch-politischer Phänomene, einschließlich ihrer Darstellungen in den Me-
dien oder durch kulturelle Mittler-Organisationen
erwerben, wissenschaftliche Kenntnisse und Fertigkeiten also, die sich durch vielerlei
Praxisbezüge auch als berufsbefähigend ausweisen lassen.
Weltweit entsprechen verschiedene Kombinationen der aufgeführten Lehr- und For-
schungsbereiche lokalen und nationalen Bedürfnissen, auch bezüglich der Theorie-Pra-
xis-Gewichtung. Konstitutiv ist jedoch ihr fremdheitswissenschaftlicher Fokus. Auf sei-
ner Grundlage setzen die Fachgebiete international unterschiedliche Schwerpunkte
bezüglich theoretischer Fragen, empirischer Erhebungen und/oder berufsrelevanter Fer-
tigkeiten und lassen angesichts begrenzter personeller Ressourcen vor Ort und einer Viel-
zahl an Fördermöglichkeiten zur internationalen Zusammenarbeit (Dozentenmobilität;
Doppelabschlüsse) thematische Forschungsnetze und integrierte, länderübergreifende
Studienanlagen entstehen.
Eine konzeptuell-begriffsgeschichtlich ausgerichtete Strömung (IG) und eine empi-
risch-pragmatisch motivierte (iG) bestehen zurzeit nebeneinander. Sie können sich dann
wechselseitig Anregungen geben, wenn Ergebnisse und validierte Forschungsmethoden
der Empirie systematisch Einzug in die bislang vortheoretisch beschriebenen Konzepte
finden. ⫺ Interkulturelle Germanistik stellt sich zwar schwierigen Forschungsgegenstän-
den, doch sind diese im Grunde auf die Bewältigung einer recht einfach beschreibbaren
Aufgabe gerichtet: die Beschreibung, Analyse und Bewältigung interkultureller Prozesse,
in denen zwei oder mehrere kulturell geprägte Konventionssysteme gleichzeitig gültig
sind. Theoretische Zugänge dazu, wie Sinn setzende Personen mit Mehrfach-Lesarten
selbst- oder fremdreferentieller Handlungen umgehen, finden sich in der xenologischen
Komponente. Ihre Praxisrelevanz erfahren diese Aufgaben in den komplementären Kom-
ponenten, einschließlich des Anspruchs, dass die Beschäftigung mit Interkulturalität im
Studium auch die Entwicklung persönlicher interkultureller Kompetenzen fördert.

4. Literatur in Auswahl

Bachmann, Saskia, Markus Biechele, Monika Bischof und Beatrix Borchard


1995 Erlebte Landeskunde. (Handbuch für Spracharbeit 5). München: Goethe-Institut.
Bachmann-Medick, Doris
2003 Kulturanthropologische Horizonte interkultureller Literaturwissenschaft. In: Alois Wier-
lacher und Andrea Bogner (Hg.), Handbuch interkulturelle Germanistik, 439⫺448. Stutt-
gart/Weimar: Metzler.
Boeckmann, Klaus-Börge
2006 Fremdsprachenunterricht und regionale Lehr- und Lernkultur. Eine empirische Untersu-
chung zum Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht in Japan. Innsbruck: Studienverlag.
Bosse, Elke
2009 Interkulturelle Qualifizierungsangebote für Studierende: mehrstufig, studienbegleitend
und nachhaltig. In: Oliver Eß (Hg.), Das Andere lehren ⫺ Handbuch zur Lehre interkultu-
reller Handlungskompetenz, 33⫺45. Münster: Waxmann.
1420 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

Busch, Dominic und Hartmut Schröder (Hg.)


2005 Perspektiven interkultureller Mediation. Grundlagentexte zur kommunikations-
wissenschaftlichen Analyse triadischer Verständigung. Frankfurt a. M. etc.: Lang.
Cappai, Gabriele (Hg.)
2008 Forschen unter Bedingungen kultureller Fremdheit. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissen-
schaften.
Clyne, Michael und Heinz Kreutz
2003 Kulturalität der Wissenschaftssprache. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.),
Handbuch interkulturelle Germanistik, 60⫺68. Stuttgart/Weimar: Metzler.
Fiehler, Reinhard
2008 Gesprochene Sprache ⫺ ein „sperriger“ Gegenstand. In: Christoph Chlosta, Gabriela
Leder und Barbara Krischer (Hg.), Auf neuen Wegen: Deutsch als Fremdsprache in For-
schung und Praxis, 261⫺274. Göttingen: Universitätsverlag.
Földes, Csaba
2003 Perspektiven einer „Anrainer-Germanistik“: Überlegungen zum Standort des Faches
deutsche Sprache und Literatur in Ungarn. Jahrbuch für Internationale Germanistik 35(2):
15⫺24.
Földes, Csaba
2007 Interkulturelle Kommunikation: Positionen zu Forschungsfragen, Methoden und Perspekti-
ven. (Studia germanica universitatis vesprimiensis, Bd. 7, Supplement). Wien: Praesens.
Göttlich, Udo, Lothar Mikos und Rainer Winter (Hg.)
2001 Die Werkzeugkiste der Cultural Studies. Bielefeld: Transcript.
Günthner, Susanne und Thomas Luckmann
2002 Wissensasymmetrien in der interkulturellen Kommunikation. Die Relevanz kultureller
Repertoires kommunikativer Gattungen. In: Helga Kotthoff (Hg.), Kultur(en) im Ge-
spräch, 213⫺244. Tübingen: Narr.
Hausendorf, Heiko
2002 Kommunizierte Fremdheit. Zur Konversationsanalyse von Zugehörigkeitsdarstellungen.
In: Helga Kotthoff (Hg.), Kultur(en) im Gespräch, 25⫺59. Tübingen: Narr.
Hess-Lüttich, Ernest W. B., Peter Colliander und Ewald Reuter (Hg.)
2009 Wie kann man vom ,Deutschen‘ leben? Zur Praxisrelevanz der interkulturellen Germanistik.
Frankfurt a. M. etc.: Lang.
Hormuth, Julia
2009 Erfahrungsweitergabe unter Auslandsentsandten. Eine gesprächsanalytische Studie am Bei-
spiel deutscher Manager in Spanien. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Hu, Adelheid
1999 Interkulturelles Lernen. Eine Auseinandersetzung mit der Kritik an einem umstrittenen
Konzept. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 10(2): 277⫺303.
Ihekweazu, Edith
1985 Erschwerte Verständigung. Deutscher Literaturunterricht in der Dritten Welt. Jahrbuch
Deutsch als Fremdsprache 10: 86⫺106.
Knapp-Potthoff, Annelie und Martina Liedke (Hg.)
1997 Aspekte interkultureller Kommunikationsfähigkeit. München: iudicium.
Kotthoff, Helga (Hg.)
2002 Kultur(en) im Gespräch. Tübingen: Narr.
Kotthoff, Helga und Helen Spencer-Oatey (Hg.)
2007 Handbook of Intercultural Communication. Berlin/New York: de Gruyter.
Kramsch, Claire
1991 Bausteine zu einer Kulturpädagogik des Fremdsprachenunterrichts. Jahrbuch Deutsch als
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Kreutzer, Leo (Hg.)
1996 Andere Blicke. (Habilitationsvorträge afrikanischer Germanisten an der Universität Han-
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157. Interkulturelle Germanistik 1421

Krusche, Dietrich
1993 Literatur und Fremde. Zur Hermeneutik kulturräumlicher Distanz. 2. Auflage. München:
iudicium.
Krusche, Dietrich
2003 Lese-Differenz. Der andere Leser im Text. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.),
Handbuch interkulturelle Germanistik, 467⫺474. Stuttgart/Weimar: Metzler.
Kuruyazici, Nilüfer, Sabine Jahn, Ulrich Müller, Priska Steger und Klaus Zelewitz (Hg.)
1998 Schnittpunkte der Kulturen. Stuttgart: Heinz.
Lämmert, Eberhard
1996 Germanistik interkulturell: Ein Gruß nach vorn aus Westafrika. Ein Geleitwort. In: Leo
Kreutzer (Hg.), Andere Blicke. Habilitationsvorträge afrikanischer Germanisten an der Uni-
versität Hannover, 7⫺15. Hannover: Revonnah.
Lüdi, Georges
2005 Wissenschaft zwischen Mehrsprachigkeit, Monolingualisierung oder Sprach(en)losigkeit.
In: Eva Neuland, Konrad Ehlich und Werner Roggausch (Hg.), Perspektiven der Germa-
nistik in Europa. Tagungsbeiträge, 310⫺324. München: iudicium.
Matthes, Joachim (Hg.)
1992 Zwischen den Kulturen? Die Sozialwissenschaften vor dem Problem des Kulturvergleichs.
Göttingen: Schwartz.
Matusche, Petra (Hg.)
1989 Wie verstehen wir Fremdes? Aspekte zur Klärung von Verstehensprozessen. München: Goe-
the-Institut.
Mecklenburg, Norbert
2003 Interkulturelle Literaturwissenschaft. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.),
Handbuch interkulturelle Germanistik, 433⫺439. Stuttgart/Weimar: Metzler.
Müller[-Jacquier], Bernd-Dietrich
1986 Interkulturelle Verstehensstrategien ⫺ Vergleich und Empathie. In: Gerhard Neuner
(Hg.), Kulturkontraste im DaF-Unterricht, 33⫺84. München: iudicium.
Müller[-Jacquier], Bernd-Dietrich
1992 Grundpositionen einer interkulturellen Didaktik des Deutschen als Fremdsprache. In:
Burkhard Krause, Ulrich Scheck und Patrick O’Neill (Hg.), Präludien. Kanadisch-deut-
sche Dialoge, 133⫺156. München: iudicium.
Müller, Klaus
2003 Konstruktivistische Perspektiven kultureller Wirklichkeit. In: Alois Wierlacher und And-
rea Bogner (Hg.), Handbuch interkulturelle Germanistik, 88⫺96. Stuttgart/Weimar: Metz-
ler.
Müller-Jacquier, Bernd
2004 „Cross-cultural“ versus interkulturelle Kommunikation. Methodische Probleme der Be-
schreibung von Inter-Aktion. In: Hans-Jürgen Lüsebrink (Hg.), Konzepte der Interkultu-
rellen Kommunikation. Theorieansätze und interdisziplinäre Bezüge, 69⫺113. St. Ingbert:
Röhrig.
Müller-Jacquier, Bernd
2007 Xenismen als Verfremdungen. In: Angelika Redder (Hg.), Diskurse und Texte. Festschrift
für Konrad Ehlich zum 65. Geburtstag, 585⫺597. Tübingen: Stauffenburg.
Nazarkiewicz, Kirsten
2002 Keine Angst vor Stereotypen! Hilfestellungen zum Umgang mit ethnischen Stereotypisie-
rungen in interkulturellen Trainings. Culture Scan 2(4). http://www.uni-hildesheim.de/
~haensch/culturescan/4Nazarkiewicz.pdf [Zugriff am 2. 2. 2009].
Pleines, Jochen
1991 Aufgaben der Sprachwissenschaft und „Interkulturelle Kommunikation“ für Deutsch als
Fremdsprache. In: Peter Zimmermann (Hg.), Interkulturelle Germanistik. Dialog der Kul-
turen auf Deutsch? 2. Auflage, 113⫺138. Frankfurt a. M.: Lang.
1422 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

Riemer, Claudia
2008 DaF/DaZ und empirische Forschung: Wechselnde Herausforderungen. In: Christoph
Chlosta, Gabriela Leder und Barbara Krischer (Hg.), Auf neuen Wegen: Deutsch als
Fremdsprache in Forschung und Praxis, 1⫺16. Göttingen: Universitätsverlag.
Sadji, Amadou Booker
1993 Demokratisierung in Schwarzafrika. Probleme und Möglichkeiten interkultureller Ver-
ständigung nach der deutschen Vereinigung. In: Bernd Thum und Gonthier-Louis Fink
(Hg.), Praxis interkultureller Germanistik. Forschung, Bildung, Politik, 235⫺240. Mün-
chen: iudicium.
Thum, Bernd
1993 ,Interkulturelle Germanistik‘ in der deutschen Muttersprachengermanistik. Ihre gegen-
wärtigen fachlichen Bedingungen und Leistungen. In: Bernd Thum und Gonthier-Louis
Fink (Hg.), Praxis interkultureller Germanistik. Forschung, Bildung, Politik, 117⫺162.
München: iudicium.
Thum, Bernd und Elisabeth Lawn-Thum
1982 „Kulturprogramme“ und „Kulturthemen“ im Umgang mit Fremdkulturen: Die Südsee
in der deutschen Literatur. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 8: 1⫺38.
Wierlacher, Alois
1987 Deutsch als Fremdsprache als interkulturelle Germanistik. In: Dietrich Sturm (Hg.),
Deutsch als Fremdsprache weltweit. Situationen und Tendenzen, 145⫺156. München: Hue-
ber.
Wierlacher, Alois
2003a Vorwort. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.), Handbuch interkulturelle Germa-
nistik, IX⫺XII. Stuttgart: Metzler.
Wielacher, Alois
2003b Interkulturelle Germanistik. Zu ihrer Geschichte und Theorie. Mit einer Forschungsbiblio-
graphie. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.), Handbuch interkulturelle Germa-
nistik, 1⫺45. Stuttgart: Metzler.
Wierlacher, Alois
2003c Professionalität. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.), Handbuch interkulturelle
Germanistik, 293⫺302. Stuttgart: Metzler.
Wierlacher, Alois und Corinna Albrecht (Hg.)
1995 Fremdgänge. Eine anthologische Fremdheitslehre. Bonn: Inter Nationes.
Wierlacher, Alois und Andrea Bogner (Hg.)
2003 Handbuch interkulturelle Germanistik. Stuttgart: Metzler.
Wimmer, Franz Martin
2003 Polylogische Forschung. In: Theo Hug (Hg.), Wie kommt Wissenschaft zu Wissen? (4 Bde,
2 CDs), 382⫺393. Baltmannsweiler: Schneider.
Zimmermann, Peter (Hg.)
1991 Interkulturelle Germanistik. Dialog der Kulturen auf Deutsch? 2. Auflage. Frankfurt
a. M.: Lang.

Bernd Müller-Jacquier, Bayreuth (Deutschland)


158. Fremdbilder und Fremdwahrnehmung 1423

158. Fremdbilder und Fremdwahrnehmung


1. Begriffsverständnis
2. Fremdbild-Konzept für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
3. Schlussfolgerungen für den Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
4. Literatur in Auswahl

1. Begrisverständnis
Mit der kommunikativen Wende in der Methodik des Fremdsprachenunterrichts und
seiner Ausrichtung auf das Lernziel interkulturelle Kommunikation rücken nicht nur die
Sachthemen der Landeskunde stärker in den Blick des Fachs Deutsch als Fremdsprache,
sondern auch das Verhältnis zwischen der Herkunftskultur der Lernenden und der Ziel-
sprachenkultur. Damit erhalten auch die Vorstellungen voneinander, die Erwartungen
an und die Bilder vom Anderen Bedeutung in Wissenschaft und Unterricht.
Teil des zugrundeliegenden Kulturverständnisses ist eine reflexive Betrachtung des
Selbst- und Fremdbildes, also die Reflexion des Eigenen und des Fremden. Bewusste und
unbewusste Bilder von den Fremden und dem Fremden, vom Eigenen und den Eigenen
bedürfen als Grundlage gelingender interkultureller Begegnung der Thematisierung.
Fremdbilder und ihre Reflexion werden damit zum Thema der Wissenschaft, zu einem
didaktischen Mittel und zum Gegenstand von Lehrwerken und Unterricht. In der vierten
der 1990 veröffentlichten ABCD-Thesen zur Landeskunde wird dies programmatisch
formuliert:

Primäre Aufgabe der Landeskunde ist nicht die Information, sondern Sensibilisie-
rung sowie die Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Um-
gang mit fremden Kulturen. Damit sollen fremdkulturelle Erscheinungen besser
eingeschätzt, relativiert und in Bezug zur eigenen Realität gestellt werden. So kön-
nen Vorurteile und Klischees sichtbar und abgebaut sowie eine kritische Toleranz
entwickelt werden. (ABCD-Thesen 1990: 16)

Stereotypen und Vorurteile werden in den folgenden Bereichen des Fachs thematisiert:
Landeskunde, das Deutschlandbild in Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien, literari-
sche Selbst- und Fremdbilder, (Selbst-)Erfahrungsberichte von Fremdsprachenvermitt-
lern, die Kulturkontraste jedoch mehr verarbeiten als analysieren sowie Einstellungen
von Deutschlernern zum Zielsprachenland (vgl. Grünewald 2005). Die Beschäftigung mit
den Begriffen Stereotyp, Vorurteil oder (Fremd-)Bild weist eine gewisse Unschärfe auf,
die aber auch die wissenschaftliche Diskussion insgesamt widerspiegelt. Ein Rückgriff
auf die umfangreiche sozialpsychologische Literatur über Vorurteile und Stereotype kann
diese Unschärfe nicht beseitigen, konkurrieren doch eine große Zahl von Ansätzen und
Methoden miteinander (vgl. Petersen und Six 2008). Kompliziert wird die Begriffsfrage
nicht zuletzt dadurch, dass sich Alltags- und wissenschaftlicher Sprachgebrauch unent-
wirrbar ineinander verwoben haben.
Ein knapper, verkürzender Überblick setzt dennoch eine genauere Bestimmung des-
sen voraus, was unter Stereotyp und Vorurteil bzw. unter Fremdbildern zu verstehen ist,
1424 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

wenngleich ein Überblick über die soziologische, sozialpsychologische, xenologische oder


psychoanalytische Forschung angesichts jeweils hoch spezialisierter Fachdiskussionen
hier nicht geleistet werden kann. Vielmehr soll die neuere Beschäftigung mit den Begrif-
fen Stereotyp, Vorurteil und (Fremd-)Bild im Umkreis des Fachs Deutsch als Fremdspra-
che skizziert werden.
Eine solche Definition ist unauflöslich mit der Frage verbunden, ob Landeskunde als
Kontextwissenschaft einer strikt linguistisch und behavioristisch ausgerichteten Fremd-
sprachenvermittlung definiert oder als multidisziplinärer, integraler Bestandteil (Picht
1980) des fremdsprachlichen Lernens im Sinne einer Auseinandersetzung mit fremder
Kultur zu verstehen ist. Inzwischen hat sich nicht nur ein auf einem weiten Kulturbegriff
basierendes Landeskunde-Konzept durchgesetzt, es wurde im Zuge dessen auch der Be-
griff des Stereotyps neu gefasst und bewertet.
Die häufig gebrauchte Formel vom Abbau von Stereotypen und Vorurteilen verweist
darauf, dass beide Begriffe ursprünglich negativ konnotiert waren. Einerseits wird Ste-
reotyp als ein falsches Verhältnis seines Trägers zur Wirklichkeit, als Fehlperzeption gese-
hen, andererseits als Defizit an richtigem Wissen. Abgebaut wird ein Stereotyp in diesem
Konzept durch Auffüllen der Wissensdefizite; affektive oder konative, also gefühlsbe-
dingte oder auf Handlungskompetenz gerichtete Faktoren bleiben unterbewertet oder
ausgegrenzt (vgl. Ropers 1990). Falsche Wirklichkeitskenntnis soll durch Vermittlung der
richtigen korrigiert werden. Die Definitionsmacht darüber bleibt bei Vermittlungsinstan-
zen wie Pädagogen, Politikern, Medien. In die Kritik geraten solche eindimensionalen
Modelle durch zwei theoretische Überlegungen: Erstens führt eine differenziertere Rezep-
tion der Arbeiten von Lippmann ([1922] 1964) und Allport ([1950] 1971) mit einem dif-
ferenzierten Stereotypen- bzw. Vorurteilsbegriffs zu einer Neubewertung. Stereotypen
gelten nunmehr auch als soziale und psychologische Phänomene, die der alltäglichen
Orientierung dienen. Ihnen werden positive Teilfunktionen zugeschrieben. Aus wissens-
soziologischer Perspektive wird zweitens der Wirklichkeitsbegriff in Frage gestellt. Wirk-
lichkeit als soziales Konstrukt erscheint nun als eine stärker subjektivierte Kategorie der
Weltwahrnehmung und -deutung, jedenfalls nicht mehr als a priori gegebene Objektivi-
tät.
Zu Beginn der Debatte um Definition und Wert von Stereotyp und Vorurteil schreibt
Picht (1980: 121):

Im landläufigen Verständnis sind Vorurteile etwas im doppelten Sinne Schlechtes:


schlecht für den Beurteilten, da der Begriff ,Vorurteil‘ fast synonym mit ,negatives
Urteil‘ gebraucht wird, schlecht aber auch für den Urteilenden, der sich bei man-
gelnder Objektivität ertappt fühlt, wenn man ihm Vorurteile vorwirft, diese Objek-
tivität aber auch beim bestem Willen nicht dauerhaft leisten kann.

Noch unklarer, so Picht, sei der Gebrauch des Begriffs Stereotyp. Er entwickelt dann
eine auf die Sozialpsychologie des Deutschlandbildes zugeschnittene Definition: Vorur-
teile sind demzufolge Einstellungen zu einem Gegenstand, die schon vor einer intensiven
Beschäftigung mit diesem (fremdkulturellen) Gegenstand vorhanden seien. Vorurteile,
damit folgt er cum grano salis den Überlegungen von Allport ([1950] 1971), dienen dem
Individuum bei der „Orientierung und Auswahl auf dem Weg durch die verwirrende und
bedrohliche Fülle der Erscheinungen“ (Picht 1980: 121). Entscheidend für die Abkehr
von älteren, rein kognitiven Modellen ist die These, dass ein Abbau von Vorurteilen
158. Fremdbilder und Fremdwahrnehmung 1425

„illusionär“ sei, zumal für Picht Fremd- und Selbstbild, das Urteil über die eigene wie
über fremde Gruppen untrennbar verbunden sind (Picht 1980: 121⫺122).
Seine Kritik richtet sich zugleich auch gegen eine Übernahme von Umfrageergebnis-
sen aus der Stereotypenforschung, gegen deren quantifizierende Auflistung und Abfrage
von Einstellungen anhand vorgegebener Eigenschaftslisten wie sie seit den 1930er Jahren
immer wieder variiert wurden: „Die Art der Befragung strukturiert die Form des Urteils,
das sie selbst zu ermitteln versucht, selbst vor. Sie setzt die Verallgemeinerung von Eigen-
schaften auf ganze Nationen als gegeben voraus, die dann als Vorurteil festgestellt wird“
(Picht 1980: 122). Um die „Subjekt-Objekt-Relation in der Beschäftigung mit anderen
Ländern (…) sozialwissenschaftlich lokalisierbar und didaktisch nutzbar“ zu machen,
fordert Picht, nicht ganze Länder oder grob bestimmte Sozialgruppen zu untersuchen,
sondern „das Verhältnis zum Ausland in den Zusammenhang der sozialen und kulturel-
len Abläufe zu stellen“ (Picht 1980: 126). Damit sind sowohl soziale als auch psychologi-
sche Differenzierungen in die Stereotypenüberlegungen des Fachs Deutsch als Fremd-
sprache eingezogen. Stereotypen bzw. Vorurteile werden in ihrem sozialisatorischen Kon-
text, in ihrer sozialen Gebundenheit, in ihren psychologischen Gehalten und Funktionen,
in ihrer Kommunizierbarkeit gesehen.
Erweitert wird dieses Modell von Bausinger (1988). In einer kulturwissenschaftlich
ausgerichteten Stereotypentheorie fragt er nach dem Wechselverhältnis von beobachteter
Wirklichkeit ⫺ hier verstanden als Alltagsphänomene oder anthropologische Gegeben-
heiten ⫺ und Stereotypie. Er sieht in diesem Verhältnis weniger Prozesse der Fehlwahr-
nehmung, spricht im Gegenteil dem Subjekt das Recht auf seine subjektive Wahrneh-
mung zu. Stereotypen werden von Bausinger als „unkritische Verallgemeinerungen ver-
standen, die gegen Überprüfung abgeschottet, gegen Veränderungen relativ resistent
sind. Stereotyp ist der wissenschaftliche Begriff für eine unwissenschaftliche Einstellung“
(Bausinger 1988: 160). Die Mängel dieser Form der nichtreflexiven Wahrnehmung und
Verarbeitung der Außenwelt werden auch hier als solche anerkannt: Übergeneralisierung,
Erstarrung, Immunisierung bleiben problematische sozialpsychologische Mechanismen
des Alltagsbewusstseins und der Wahrnehmung. Stereotype enthalten für Bausinger je-
doch durchaus auch positive Elemente:
(1) Stereotypen sei ein relativer Wahrheitsgehalt beizumessen,
(2) Stereotype könnten als Ordnungskategorien gesehen werden, die Komplexität redu-
zieren und somit eine wichtige Orientierungsfunktion für das Subjekt besitzen,
(3) sie böten Identifikationsmöglichkeiten an, Stereotype haben so auch eine „realitäts-
stiftende Wirkung“. (Bausinger 1988: 161)
Mit diesem Paradigmenwechsel, mit der Anerkennung der Komplexität einerseits und
der Enttabuisierung sowie Entmoralisierung andererseits, werden ⫺ wie dies auch von
Picht aufgezeigt wird ⫺ Stereotype, Fremdbilder selbst zu einem Unterrichtsgegenstand.
Das Ziel ist nun nicht mehr Vermeidung oder Eliminierung; Stereotype, so Bausinger,
„sind aufzuheben (…) im dreifachen Sinne: Sie sollen beseitigt werden, aber auch aufbe-
wahrt und auf eine höhere Stufe gehoben. Diese höhere Stufe ist dann erreicht, wenn
ihnen mehr Komplexität zugeführt, wenn sie relativiert und erklärt werden“ (Bausinger
1988: 168⫺169).
Diese Forderungen scheinen, wenigstens partiell, in der Unterrichtspraxis und in der
Lehrwerksentwicklung rasch aufgenommen worden zu sein. Die in dieser Zeit erschiene-
nen Lehrwerke wie „Sichtwechsel (neu)“ (Bachmann, Gerhold, Müller und Wessling
1426 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

1995/96) oder das kontrastiv ausgerichtete deutsch-amerikanische Landeskundelehrwerk


„Typisch deutsch?“ (Behal-Thomsen, Mog und Lundquist-Mog 1993) nutzen wie viele
nachfolgende Lehrwerke die Thematisierung gegenseitiger Wahrnehmung und zwischen-
kultureller Beziehungen als Einstieg in eine Auseinandersetzung mit der Zielsprachenkul-
tur und den eigenen Bildern von ihr.
Einmal relativiert oder fast schon enttabuisiert, können Stereotype auch unkritisch
zum Unterrichtsgegenstand ohne weitergehende Zielsetzung erhoben werden (vgl. Stein-
mann 1992: 222). Die Einebnung des Postulats nach einer möglichst vorurteilsfreien
Kommunikation (vgl. Götze 1993) als Voraussetzung zu dieser und dem Postulat der
Berücksichtigung von Stereotypen als Erkenntnismittel im Unterricht zeigt die Crux ei-
nes theoretisch wie empirisch wenig fundierten Problembereichs des Fachs. Eigenschafts-
listen, um ein gar nicht so seltenes Beispiel zu nennen, die der sozialpsychologischen
Empirie als längst nicht mehr unumstrittenes methodisches Werkzeug dienen, werden im
Unterricht zu einer bloßen Reproduktion von Stereotypie.

2. Fremdbild-Konzept ür das Fach Deutsch als Fremd-


und Zweitsprache
Kennzeichnend für die meisten theoretischen Ansätze zu Stereotypen und Vorurteilen im
Fach Deutsch als Fremdsprache ist eine Betonung sehr allgemeiner sozialpsychologischer
Phänomene und die Orientierung an klassischen sozialpsychologischen Studien bzw. an
Ergebnissen der publizistisch orientierten Demoskopie. Aufgrund der Wahl dieser Zu-
gänge bleibt ihr Aussagewert vergleichsweise gering. Um es pointiert zu fassen: Die Ame-
rikaner, die Polen, die Afrikaner etc. haben kein jeweils so homogenes Bild, dass sich
daraus sprach- und landeskundedidaktische Schlüsse ziehen ließen, ganz abgesehen da-
von, dass diese Stereotype eben abstrakte Forschungskonstrukte, Produkte spezifischer
sozialwissenschaftlicher Methodiken sind.
Aus diesem Grund wird hier eine um eine historisch-kulturelle und individualpsycho-
logische Dimension erweiterte Konzeption der Fremdbilder und Fremdwahrnehmung
vorgeschlagen, die sowohl subjektive als auch kollektive Dimensionen berücksichtigt und
Fremdbilder somit aus einer engen, nationalkulturellen Sicht herauszulösen vermag. Zu
fragen ist nach der Genese von Bildern, nach den sozialen und kulturellen Bedingungen
des Bilderwerbs, ihrer Tradierung, den kultur- und gruppenspezifischen Bedingungen
der Fremdwahrnehmung, nach ihrer sozialen und kulturellen Ausprägung sowie ihrer
individuellen wie kollektiven Funktion (vgl. Mog und Althaus 1992: 20⫺29).

2.1. Genese und Tradierung von Fremdbildern

Die „Bestimmung des Charakters einer Person nach ihrem Herkunftsland“ gewinnt im
Übergang zur Neuzeit eine immer größere Bedeutung (Stanzel 1997: 19). Traditionelle,
meist sozial geprägte Charakter- oder Verhaltenstypen werden ethnisiert, formen sich in
der Epoche des Nationbuilding zu Nationalcharakteren. Quellen dieser Auto- und Hetero-
sterotype sind unterschiedliche, oft weit zurückreichende Wahrnehmungsmuster, die auf
christliche Morallehre (Sieben Todsünden) ebenso rekurrieren wie auf die antike Vorstel-
158. Fremdbilder und Fremdwahrnehmung 1427

lung vom Barbar, auf vormoderne Wissenschaftskonzepte wie die Humoral- oder Klima-
zonenlehre (vgl. Stanzel 1997). Tradiert werden solche ethnisch-nationalen Charakterty-
pen über bildliche und schriftliche Medien (erstmals in nuce in den Eigenschaftslisten
der Völkertafeln des 18. Jahrhunderts), Reiseberichte und ethnographische Literatur
ebenso wie (Typen-)Komödien oder Malerei etc.
Fremdbilder „sind notwendigerweise immer um Grade stereotyper“ als Bilder von der
eigenen Gesellschaft, „d. h. das Ausmaß der ihnen zugrundeliegenden Verallgemeinerun-
gen ist größer als beim Selbstbild, bei dem ja immer die autoptische Erfahrung des Be-
obachters an seiner unmittelbaren heimatlichen Umgebung zumindest partiell und lokal
als Korrektiv gegen die Verallgemeinerung wirksam wird. Räumliche Distanz und Grad
der Fremdheit sind also als Parameter der Stereotypie zu berücksichtigen“ (Stanzel 1997:
33). Hinter dieser historisch-literarischen Dimension macht Stanzel auch eine psychologi-
sche aus: Stereotype, Fremdbilder lassen „zwei konträre Manifestationen eines psychi-
schen Grundmusters, nämlich der Unsicherheit über die eigene Identität, erkennen: Aver-
sion gegenüber und Furcht vor dem Fremden, Xenophobie, und Überzeugung von der
eigenen moralischen Überlegenheit, Ethnozentrik“ (Stanzel 1997: 33).
Dieser literaturwissenschaftlichen und geistesgeschichtlichen Analyse von Fremdbil-
dern entsprechen zwei weitere Ansätze, die über die Genese von Fremdbildern und deren
Tradierung Auskunft geben können. Die Überlegungen zum „kollektiven Gedächtnis“
von Maurice Halbwachs (1985) und darauf aufbauend die zum „kulturellen Gedächtnis“
der Forschergruppe um Jan und Aleida Assmann (1988, 1991) können die Frage der
Genese von Fremdbildern weiter klären. A. Assmann (1991, 2008), wie auch Weinrich
(1964) gehen davon aus, dass Gedächtnis sich in Form eines „Magazins“, eines (imaginä-
ren) Raums, manifestiere. Soziale Kommunikation oder künstlerische Objektivationen
speichern und tradieren Erinnerung, die mit dem Gedächtnis ein Begriffspaar bildet,
wonach unter Erinnerung der „akute Vorgang des Einprägens und Rückrufens spezifi-
scher Inhalte“ zu verstehen wäre, unter Gedächtnis eine „virtuelle Fähigkeit“, ein „orga-
nisches Substrat“ (A. Assmann 1991: 14). „Das ,kollektive Gedächtnis‘ ist ein Oberbe-
griff für all jene Vorgänge organischer, medialer und institutioneller Art, denen Bedeu-
tung bei der wechselseitigen Beeinflussung von Vergangenem und Gegenwärtigem in
soziokulturellen Kontexten zukommt“ (Erll 2005: 5⫺6). Entsprechend wird der Oberbe-
griff des kollektiven Gedächtnisses ausdifferenziert in kulturelle, kommunikative, histori-
sche, soziale, mediale Gedächtnisse (Erll 2005).
Wie in einem Magazin, einem „Archiv“ (J. Assmann 1988), sind im kommunikativen
Gedächtnis alltägliche, im kulturellen Gedächtnis alltagsferne Wissensbestände aufbe-
wahrt. Erinnerung wird durch Riten, Feste, Bilder, Texte wach gehalten und aktualisiert.
Neuere Definitionen von Stereotypie in der Sozialpsychologie weisen bei allen sonsti-
gen Unterschieden hier auch eine Konvergenz mit der kulturwissenschaftlichen Gedächt-
nisforschung auf, indem Stereotype als „kognitive Strukturen“ verstanden werden, „die
sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Angehörigen sozialer
Kategorien enthalten“ (Eckes 2008: 97).

2.2. Wahrnehmungsmuster
Fremde und Fremdes werden in tradierten, sozial und kulturell vermittelten Mustern
wahrgenommen. Dabei spielt die direkte wie die mediale Kommunikation in spezifischen
sozialen Feldern, Gruppen, Milieus eine ebenso große Rolle wie gruppen- oder indivi-
1428 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

dualpsychologische Mechanismen. Offenheit gegenüber dem oder Abwehr des Fremden


entscheidet sich entlang zweier Grundlinien: Xenophobie oder Faszination. Sie werden
sozial als Habitus (im Sinne Bourdieus) vermittelt, sind normativ bestimmt als grundle-
gende politische, soziale, ethische, religiöse Einstellung. Die Ethnopsychoanalyse, insbe-
sondere Erdheim (1988), sieht hierin die Wurzeln des Verhältnisses zum Fremden. Ausge-
hend von der Beobachtung, dass die erste Erfahrung des Fremden in der frühkindlichen
Phase angstauslösend ist, wobei alles fremd ist, was Nicht-Mutter, genauer: nicht Mutter-
repräsentanz, ist und die Vaterrepräsentanz als erste Kulturimago erscheint, ist anzuneh-
men, dass die „Repräsentanz des Fremden ebenso entwicklungsfähig oder stagnierend
sein kann wie diejenigen von Mutter und Vater; sie kann ⫺ kontaminiert von den elterli-
chen Repräsentanzen ⫺ die archaischen Züge behalten, die wir in vielen Feindbildern
erkennen können, oder sie reift mit der Ich-Entwicklung heran zu einem das Interesse
und die Neugier wachhaltenden Moment des Lebens“ (Erdheim 1988: 240).
Fremdes kann demnach in zwei prototypischen Formen wahrgenommen und erlebt
werden: als Bedrohung des eigenen Ichs oder als Faszination. Auf das individuelle Ver-
hältnis zum Fremden übertragen heißt das jedoch, dass eine Trennung zwischen richtigen,
d. h. positiven, und falschen, d. h. negativen Fremdbildern analytisch falsch ist. Auch bei
positiv gefärbten Fremdbildern kann es sich um Projektionen handeln, wie z. B. der To-
pos von den „edlen Wilden“ zeigt: Diese haben offensichtlich die Angstschwelle der euro-
päischen Seefahrer und v. a. der Leser ihrer Reiseberichte nicht überschritten; dienen
ihnen als Objekt kultureller, politischer, sozialer und auch männlich-sexueller Projektion.
Im Falle der Xenophobie wie der Xenophilie finden sich wesentliche Elemente des
Fremdbilds, die nicht dem Objekt (dem Fremden), sondern dem Subjekt (dem Indivi-
duum) eignen. Hierin liegt einer der entscheidenden Gründe für die Resistenz von Stereo-
typen und Vorurteilen gegen Aufklärung.

2.3. Kulturspeziik, Funktionen von Fremdbildern

Als Sozialisationsprodukt ist das Verhältnis von Individuen zum Fremden in kulturelle
und soziale Strukturen eingeflochten. Die unbewussten Reaktionsweisen in der Begeg-
nung mit dem Fremden, die affektiven Anteile, die psychischen Mechanismen wie Projek-
tionen, Gegenübertragungen, Angst, Abwehr, Faszination etc. stellen mithin nichts ande-
res dar als eine offene Matrix, die mit einer gesellschaftlich vorgeprägten Bildwelt gefüllt
wird. Man bedient sich vorgefundener, medial vermittelter Bilder. Gebunden an das so-
ziale Gedächtnis einzelner Gruppen, werden komplexe Vorstellungen von anderen Län-
dern, sozialen Gruppen, Gegenständen etc. übermittelt, perspektiviert und in das eigene
Sinnsystem integriert. Familienmythologien, mediale Informationsversatzstücke, auch
Wunschbilder, werden im Laufe der Sozialisation nur bedingt zusammenhängende Bild-
elemente angesammelt und formen komplexe Fremdbilder, die Teil des Habitus, also
inkorporiert sind.
Die zentrale Frage der sozialpsychologischen Stereotypenforschung lautet: Wie kon-
gruent oder inkongruent sind Äußerungen über Fremdes mit der Wirklichkeit? Indem
sich Wirklichkeit jedoch erst aus der Erfahrung der Subjekte und gesellschaftlichen
Gruppen, aus ihrer Kommunikation konstituiert und damit ein sich wandelndes Konst-
rukt ist, muss die Fragerichtung umgekehrt werden. Entscheidend ist nicht die Distanz
zu einer normativ festgelegten Wirklichkeit, entscheidend ist die psychologische, soziale,
158. Fremdbilder und Fremdwahrnehmung 1429

kulturelle Funktion der Bilder für das Individuum bzw. für die Gruppe, der das Indivi-
duum angehört. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um nationalkulturelle Stereo-
type handelt. Nicht der Wahrheitsgehalt selbst ist entscheidend, vielmehr sind es die
identitätsstiftenden oder -stabilisierenden Funktionen der Fremdbilder, sei es für die Na-
tion als Ganze, die sich in der Diskriminierung anderer selbst erhöht, sei es in der Faszi-
nation an der Exotik, die individuell unterdrückte Wünsche auf den anderen projiziert.

3. Schlussolgerungen ür den Unterricht Deutsch als Fremd- und


Zweitsprache
Diese hier nur grob skizzierten Erscheinungsformen und Funktionen von Fremdbildern
sind nicht unmittelbar auf die Unterrichtspraxis, die Konzeption von Lehrwerken oder
die Formulierung von Unterrichtszielen zu übertragen. Wenn der Einstein zugeschriebene
Satz zutrifft, dass Atome leichter zu spalten seien als Vorurteile, dann ist zu erahnen, wie
groß (sprach-)pädagogische Anstrengungen zur Korrektur sozial unerwünschter Fremd-
bilder sein müssten. Der Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache hat mit den
genannten, fest verankerten, teils über lange Zeiträume tradierten Vorstellungen vom
Fremden zu rechnen; das gilt für Lernende nicht weniger als für Lehrende.
Fremdbilder entstammen einem weit zurückreichenden „Archiv“, dem kulturellen,
kommunikativen und sozialen Gedächtnis. Daher unterliegen sie einer starken Abhän-
gigkeit von gesamtgesellschaftlichen Faktoren. Die individuelle Korrektur von Fremd-
oder gar Feindbildern kann ohne Berücksichtigung politischer Rahmenbedingungen
nicht gelingen. Gerade politische Umbrüche bewirken immer auch kollektive Umbrüche
von Bildern.
Fremdbilder sind sozial als Habitus verankert. Die Zugehörigkeit zu sozial definierten
Großgruppen (und in westlichen Industriegesellschaften im Zuge der Individualisierung
zunehmend zu Milieus oder Szenen) bedingt bestimmte Haltungen und Einstellungen,
die kognitiver Korrektur kaum zugänglich sind. Bildveränderungen sind hier untrennbar
mit weitergehenden Reflexionen über den eigenen Habitus verbunden, sie fordern eine
Reflexion der eigenen Kultur. Wo Sprache und Kultur integriert vermittelt werden, be-
steht die Chance, Fremdes und Eigenes im Vergleich zu relativieren.
Fremdbilder haben eine ambivalente Struktur. Faszination und Angst, Offenheit und
Abwehr sind die beiden Seiten einer Medaille. Fremd- und Zweitsprachenunterricht, in-
sofern er zur interkulturellen Kommunikation anleitet, hat somit auch die Chance,
Ängste abzubauen, Faszination zu nutzen, Handlungsfähigkeit in der Fremde und mit
den Fremden aufzubauen. Sprachkompetenz und Sachwissen für sich genommen reichen
dazu ebenso wenig aus wie Diskretion und Höflichkeit als Prinzipien des Umgangs in
der interkulturellen Kommunikation. Sie sind jedoch unverzichtbare Voraussetzungen.
Fremdbilder sind auch variabel und in der Interaktion labil, sind Veränderungen so-
mit prinzipiell zugänglich. Aufklärung, Wissen und Sprachkompetenz allein, Austausch
und autoptische Anschauung bleiben für sich genommen untaugliche Mittel. Akzeptiert
man jedoch die psychischen, sozialen und kulturellen Wurzeln und interpretiert sozial
unerwünschte Fremdbilder nicht als bloß falsche Wirklichkeitssicht, lassen sich gerade
in der sprachlich vermittelten Auseinandersetzung mit anderen Kulturen Toleranzkon-
zepte entwickeln.
1430 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

4. Literatur in Auswahl
ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht
1990 IDV-Rundbrief 45, Sept. 1990: 15⫺18.
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heim/Basel: Beltz.
Erdheim, Mario
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Erll, Astrid
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2008 Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen.
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159. Vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung 1431

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1997 Europäer: ein imagologischer Essay. Heidelberg: Winter.
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1964 Typen der Gedächtnismetaphorik. Archiv für Begriffsgeschichte 9: 23⫺26.

Hans-Joachim Althaus, Hagen (Deutschland)

159. Vergleichende Kultur- und Mentalitätsorschung


1. Kultur, Mentalität, Vergleich
2. Forschungsansätze einer vergleichenden Kultur- und Mentalitätsforschung
3. Kultur als Kultext
4. Perspektiven einer vergleichenden Kultur- und Mentalitätsforschung in Deutsch als Fremd-
und Zweitsprache
5. Literatur in Auswahl

1. Kultur, Mentalität, Vergleich


Mit der anhaltenden weltweiten Migration, bedingt durch die zunehmende Eskalation
ethnischer, religiöser, wirtschaftlicher, sozialer und politischer Spannungen und Kon-
flikte, ökologischer Probleme sowie einer globalen Vernetzung differenziert sich auch
unsere Gesellschaft in vielfältig multikulturell beeinflusste Orientierungssysteme (Tho-
mas 1993: 380) aus. In Kontakt mit Menschen anderer Kulturen, dem Austausch von
implizit kulturell belegten Informationen und Eindrücken wachsen die Anforderungen
an den Einzelnen und die Gesellschaft, das Fremde in seiner kulturellen Prägung wahrzu-
nehmen, im interkulturellen Dialog Differenzen abzubauen und das Gemeinsame zu för-
dern.
Die vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung beabsichtigt, die inneren Beziehun-
gen, den Zusammenhalt und die Veränderung von Gesellschaft bzw. eines typischen Ori-
entierungssystems herauszuarbeiten und vergleichend einem (oder mehreren) weiteren
Orientierungssystem(en) gegenüberzustellen. Sie bietet in Deutsch als Fremd- und Zweit-
sprache die Möglichkeit, Fremdkulturelles und Eigenkulturelles wahrzunehmen, zu er-
kennen und folgend in der Auseinandersetzung mit Angehörigen anderer Kulturen die
1432 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

individuelle Kompetenz ⫺ das (implizite) Wissen als Mitglied einer Kultur um die zentra-
len Bedeutungen und Regeln der eigenen und fremden Kultur, die nicht abfragbar oder
reflektiert, sondern im Handeln erkennbar sind (Vester 1996: 99⫺101) ⫺ auszubauen
und ein erweitertes Kulturverständnis aufzubauen.
Die Debatte, an welchem Ort die Erkenntnisse einer vergleichenden Kultur- und Men-
talitätsforschung im fremdsprachlichen Unterricht Einzug finden sollten, muss über die
Erörterung der nicht unproblematischen und in den letzten Jahren viel diskutierten Be-
griffe von Kultur und Mentalität erfolgen. Dies wird in der Vielfalt der Kulturdefinitio-
nen deutlich. Der Kulturpsychologe Thomas definiert in Weiterentwicklung des Kultur-
standardmodells von Hofstede (1980/1993) Kultur als ein Orientierungssystem, das aus
spezifischen Symbolen gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft tradiert wird. Sie struk-
turiert „ein für die sich in der Gesellschaft zugehörig fühlenden Individuen spezifisches
Handlungsfeld und schafft damit die Voraussetzung zur Entwicklung eigenständiger
Form der Umweltbewältigung“ (Thomas 1993: 380). Über die Beachtung zentraler Merk-
male des kulturspezifischen Orientierungssystems, den sog. „Kulturstandards“, d. h. allen
„Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns […], die von der Mehrzahl
der Mitglieder einer bestimmten Kultur als für sich persönlich und andere als normal,
selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden“ (Thomas 1993: 381; 1999:
109⫺110) können im interkulturellen Vergleich Unterschiede und Gemeinsamkeiten fest-
gestellt werden.
Altmayer wendet sich gegen dieses von Hofstede und Thomas entwickelte Konzept
einer Kulturstandardtheorie und kritisiert die Festlegung von Kulturstandards als zu
weit homogenisierend, (stereo-)typisierend und die Individuen determinierend. Zugleich
betont er weniger einen normativ gefassten Kulturbegriff etwa wie ihn Götze vertritt
(Götze 2005: 131⫺135), sondern sieht Kultur in einer Trägerfunktion, die „uns vor allem
mit einem Repertoire an gemeinsamen Wissen versieht, das dazu dient, uns selbst, unsere
Umwelt und unserem Handeln Sinn zu geben“ (Altmayer 2006: 184). Hier nähert sich
Altmayer Bausinger, der mit dem Begriff der kulturellen Komplexität auch abweichenden
Kulturwerten, Werten, die von alterierenden Verhaltensformen ganzer Gruppen in unse-
rer Gesellschaft ständig von Neuem definiert werden (intragesellschaftlicher Kulturbe-
griff) und die durch die Aktivitäten aller Mitglieder als Mitgestalter der kulturellen Ein-
maligkeit einer Gruppe geformt wird, ihr eigenes Recht zuerkennt und eben damit einem
mehr subjektorientierten, vom jeweiligen Angehörigen einer Kultur her zu denkenden,
Kulturverständnis den Weg bahnt (Bausinger 1999: 227⫺228). Hansen differenziert in
diesem Zusammenhang in Mono-, Multi-, Super- und Globalkollektive mit jeweils be-
stimmenden kulturellen Identifikationsangeboten und verweist so auf die Pluralität von
Kollektiven (2003: 194⫺206). Zugleich trägt dieser Ansatz der Entwicklung des Individu-
ums in einer postmodernen Gesellschaft Rechnung, da es sich je nach Kontext mit wech-
selnden Gruppen/Kollektiven identifiziert und somit eine Identität entwickelt, die eine
hybridhafte Kombination oder Konstellation von Identitätsbruchstücken darstellt. Indi-
viduen können als Mitglieder verschiedener Kollektive eine außerordentliche Heterogeni-
tät und Diversität aufweisen und sich dennoch mit ihrer Sprach- und Kulturgemeinschaft
identifizieren. „In unterschiedlichen Kommunikationssituationen kann das Individuum
jeweils neue Formen der Identität testen“ (Teske 2002: 173). Kultur wird damit zu einer
imaginären Konstruktion „aus einer Vielzahl von Praktiken, die potentiell vieldeutig sind
und erst in ihrer Realisierung (u. a. mit Blick auf Sprecher und Kontext) eine Bedeutungs-
einschränkung erfährt“ (Teske 2002: 24).
159. Vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung 1433

Wenn Altmayer Kultur also definiert als einen „Vorrat an vorgängigem, in Tradition
und Sprache gespeichertem und überliefertem Wissen (Deutungsmuster) (…), das inner-
halb sozialer Gruppen zirkuliert und auf das die Individuen zum Zweck der deutenden
Herstellung einer gemeinsamen Welt und Wirklichkeit und einer gemeinsamen Hand-
lungsorientierung zurückgreifen können und müssen“ (2006: 191), so betont er in erster
Linie die eigenverantwortlich intendierte Entscheidungsfreiheit des Subjektes in jeder
Phase seines Seins, in dem das Individuum auf einen Vorrat an kulturellem Wissen zu-
rückgreifen kann (2006: 186) und bewusste Entscheidungen über seine Handlungsweisen
trifft, die sinngebend sind.
Dieses eher vom Individuum her gedachte, subjektorientierte Verständnis von Kultur
birgt allerdings in strikter Abgrenzung zur objektivistischen Determinierung das Risiko,
eine mehr oder weniger starke Prägung der individuellen Mentalität bzw. Weltsicht durch
gemeinsame, spezifisch kulturelle Phänomene der Geschichte, Geographie, Religion, Sit-
ten, Bräuche, Politik usw. zu vernachlässigen. Die Konstruktion der individuellen Identi-
tät ist ein sozialer Prozess, vermittelt durch die kulturell vorgegebenen Sozialisierungsins-
tanzen bzw. -institutionen wie Familie, Schule, Peer Group, Berufsfeld, wobei wesentli-
che Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster als kollektivinterne Emotionen,
Wertvorstellungen und Normen in das individuelle Bewusstsein aufgenommen und inter-
nalisiert werden.
Kultur ist zusammenfassend zu verstehen als etwas Dynamisches, vielfach Differen-
ziertes, Prozesshaftes und Deskriptives, als ein bestimmtes Repertoire an Bedeutungs-
mustern und Zeichensystemen (Kulturstandards wie Werte, Normen, Bräuche und allge-
meine Wissensbestände wie Traditionen, Rituale, Glaubensvorstellungen, Mythen), über
das Gruppen, Kollektive, Organisationen oder Gesellschaften zu einem bestimmten, im-
mer wieder neu zu definierenden Zeitpunkt ihrer Entwicklung verfügen und damit Orien-
tierungsfunktion besitzen. In ihrer Orientierungsfunktion sind Bedeutungs- und Zeichen-
systeme bzw. Symbolsysteme fortwährend Veränderungen der Lebensverhältnisse unter-
worfen, wobei Elemente einer Kultur in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich
eingebracht werden („kulturelle Flexibilität“) und ein ständiger Austausch von kulturel-
len Informationen zwischen Kulturen stattfindet. Kulturelle Bedeutungsmuster lassen
Raum für Deutungen und Interpretationen. Der Einzelne wird durch die intrakulturellen
Bedeutungsmuster beeinflusst, aber nicht völlig dominiert, indem er seine Umwelt, seinen
sozialen Kontext beeinflusst und in ständigem Austausch mit diesen (historische) Bedeu-
tungsmuster mehr oder weniger verändert (Biechele und Leiprecht 1996: 33⫺35; Wolf
2001: 1182).
Mit dem Begriff der Kultur eng verbunden ist der der Mentalität. Kultur verbindet
mit Mentalität, dass sie „keine historische, gleichsam naturhafte Größe darstellt, sondern
selbst ein Produkt sozialer Prozesse und damit eine historische (…) veränderliche Größe
ist“ (Vester 1996: 14). Der Bestand dessen, womit eine jeweilige Gesellschaft und deren
soziale Gruppen sowie deren Individuen stillschweigend rechnen, wird zum Gegenstand
einer Mentalitätsforschung. Nicht mehr das Handeln der als fertig unterstellten Men-
schen, sondern der Prozess der Menschwerdung, der „subjektive Faktor“, wird zum In-
halt der Forschung, was u. a. dem lateinischen Wort mens als Wortwurzel von Mentalität
zu entlehnen ist, dem neben der Bedeutung von Geist und Verstand ebenfalls der Ge-
danke der Sinnesart, des Gemüts bzw. der Gemütsaffekte zu Grunde liegt. Diese kollek-
tiv geprägten individuellen Affekte und Sensibilitäten, der Bereich des Pathos, meinen
demnach nicht nur Vorstellungen, Einstellungen und evtl. Regeln, sondern auch gefühls-
1434 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

mäßig getönte Orientierungen, die, wie Ortega y Gasset schreibt, profunde Glaubensge-
wissheiten des Menschen sind, die er kaum bewusst denkt, die er aber lebt, die er ist
(Ortega y Gasset 1951: 20⫺24). Die Ideen eines Menschen sind austauschbar, während
das Mentale, das Unmittelbare, das in seinem Ursprung Freiliegende der Person betrifft,
und damit nicht nur sein Denken, sondern auch Empfindungen und Verhaltensweisen
offenbart. „,Mentalität‘ meint etwas langfristiger und in ,tieferen‘ Schichten des (Un)Be-
wußtseins Angelegtes, das vor allem auch Affekte und Emotionen einbezieht“ (Vester
1999: 437). Dies verweist rückwirkend aber auch auf die nur begrenzte Freiheit des Indi-
viduums, sich eine kollektive Identität und Mentalität auszusuchen (Vester 1999: 440).
Das Mentale manifestiert sich in Kommunikation und Verhalten (Gestik, Mimik, Proxe-
mik, Prosodie usw.), aber auch in kulturell immanenter, charakteristischer Artikulation
in Form von Artefakten und Mentefakten, deren individuelle Kulturträger das Indivi-
duum, und deren kollektiver Kulturträger die Gruppe ist.
Der Vergleich ist, wie bereits Pauldrach (1992: 12) feststellt, die beliebteste Methode
einer Gegenüberstellung von Kulturen. Im Vergleich von Mentalität und Weltsicht ver-
schiedener Kulturen erfolgt vor dem Hintergrund des Wissens um die zu vergleichenden
Phänomene und des Vergleichs unterschiedlicher individueller und kollektiver Sicht- und
Deutungsweisen einer sich ständig verändernden Lebenswirklichkeit eine Kontrastierung
explizit differenzierter kultureller Deutungsmuster sinngebenden Handelns.
Der Vergleich in der landeskundlich orientierten Kultur- und Mentalitätsforschung
ist als Mittel zur Erkenntnisgewinnung mit seiner Konnotation „Bewertung“ und der
Gefahr der Typisierung (Stereotypenbildung) nur bedingt heranziehbar, insofern als ver-
schiedene Orientierungssysteme, wie sie Kulturen darstellen, nie ein und derselben Ebene
entstammen können (Wolf 2001: 1180). Wenn Pauldrach also den „alltäglichen“ Ver-
gleich als Methode der Erkenntnisgewinnung kritisiert und aus diesem Grund das Wissen
um die zu vergleichenden Gegenstände voraussetzt, die im interkulturellen Vergleich kon-
trastiert werden, so muss der Erkenntnis Raum gegeben werden, dass viele Erscheinun-
gen in anderen Kulturen und Mentalitäten nicht vergleichbar sind, uns daher immer
fremd, aber auch anziehend bleiben werden. Als Ziel der Erkenntnisgewinnung findet
der Vergleich „seinen Platz am Ende des Verstehens- und Verständigungsprozesses zwi-
schen zwei Gesellschaften und Kulturen“ (Pauldrach 1992: 13).

2. Forschungsansätze einer vergleichenden Kultur- und


Mentalitätsorschung

Gegenstand und Grundlage eines Vergleichs verschiedener Kulturen, Orientierungssys-


teme und Mentalitäten sind elementare Bedürfnisse und Erfahrungsbereiche, die alle
Menschen betreffen und unabhängig vom Kulturkreis in jeder Kultur zu finden sind. In
einer richtungsweisenden Studie vergleicht Hofstede (nationale) Kulturen „hinsichtlich
ihrer grundlegenden Wertorientierungen“ miteinander, wobei er vier Strategien der Ope-
rationalisierung „mentaler Programme“ durchführt (Vester 1996: 60). So lasse sich eine
nationale Kultur bzw. die Mentalität eines nationalen Kollektivs in vier Dimensionen
beschreiben, die ein charakteristisches Profil dieser Kultur entwerfen: Individualismus/
Kollektivismus, Unsicherheitsvermeidung, Machtdistanz und Maskulinität/Feminität.
159. Vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung 1435

Die vier Dimensionen erweiterte er in weiteren empirischen Arbeiten um eine fünfte, das
Zeitbewusstsein (Hofstede 1993: 190, 2001: 79⫺372).
Diese Dimensionen, die Neuner als „Universalien“ bzw. universelle/elementare Da-
seinserfahrungen ausdifferenziert (Neuner 1989: 361⫺362) unterscheiden sich in ihren
Erscheinungsformen von Kultur zu Kultur z. T. erheblich. Sie gewinnen als Grundlage
für die vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung im Fach Deutsch als Fremd- und
Zweitsprache ihre Relevanz. Die konkreten Ausprägungen der typisierten anthropologi-
schen Grundkategorien beschreiben Lebensweise, Denken und Fühlen der Menschen in
der jeweiligen Zielkultur und geben damit als „tertia comparationi“ Inhalte vor, die mit
den konkreten Ausprägungen der Ausgangskultur vergleichbar werden, wobei allerdings
der eher eurozentrische Vergleich sehr unterschiedlicher Kulturen als nicht angemessen
erkenntnisfördernd in Frage gestellt wird (Wormer 2007: 11).
Ertelt-Vieth (2005) greift, diese Kritik beinhaltend und kulturtheoretisch aufbauend
auf Geertz‘ semiotisches Verständnis von Kultur als „selbstgesponnenem Bedeutungsge-
webe“ (Geertz 1999: 9) im Sinne einer vergleichenden Symbol- und Ritualforschung der
interpretativen Kulturanthropologie, das in der russischen Ethnopsycholinguistik entwi-
ckelte Modell der „Lakunen“ auf und versucht in ihren empirischen Arbeiten zum rus-
sisch-deutschen Schüleraustausch interkulturelle Wahrnehmungs- und Lernprozesse ver-
ständlicher zu machen. Lakunen sind „kulturspezifische Elemente (Realia, Prozesse, Zu-
stände) eines Textes (im weitesten Sinne), die den Erfahrungen der Träger einer anderen
Kultur nicht entsprechen. Sie können das Verstehen erschweren, aber auch motivieren“
(2005: 74), und werden in subjekt-kulturpsychologische Lakunen, in Lakunen der Kom-
munikationsfähigkeit und Lakunen des kulturellen Raums eingeteilt und dabei vielfach
differenziert (Ertelt-Vieth 2005: 75). Für die vergleichende Kultur- und Mentalitätsfor-
schung sind sie insofern interessant, als sie per definitionem interkulturell ausgerichtet
sind, weil sie nur in der Begegnung von Vertretern mindestens zweier Kulturen auftreten
und als Basis der kulturvergleichenden Analyse von Verhalten, Sprache und Bedeutungen
Anwendung finden (2005: 73⫺75), die Gefahr einer Subjektivierung aber nicht ganz aus-
schließen können.
Ähnlich verweist Müller-Jacquier, auf die Interaktions- und Kommunikationsdyna-
mik interkultureller Prozesse Bezug nehmend, auf den Begriff „Interkultur“, der eine
kommunikative „Zwischenkultur“ bezeichnet, „die durch Kulturkontakt konstruiert
wird“ (1999: 37). Demnach haben interkulturelle Kommunikationssituationen eine ei-
gene, interaktive Dynamik, „in der Kommunikations- und Verhaltensregeln ausgehan-
delt werden und deren Verlauf durch diese Kommunikations- und Kulturstandards der
Beteiligten nur in begrenztem Maße gesteuert wird und demzufolge vorhersehbar ist“
(Lüsebrink 2003: 314⫺315). Das von Müller-Jacquier entworfene, auch für kultur- und
mentalitätsvergleichende Forschung interessante Raster für die Analyse interkultureller
Kommunikationssituationen umfasst zehn Komponenten, die kultur- und mentalitätsbe-
dingte Verhaltens- und Handlungsweisen, Unterschiede, aber auch Fehlinterpretationen
und Missverständnisse, „Critical Incidents“, verständlich und damit über den Vergleich
erklärbar und behandelbar machen können (1999: 57⫺99): soziale Bedeutung/Lexikon,
Sprachhandlungen/Sprechhandlungssequenzen, Gesprächsorganisation, Themen, Di-
rektheit/Indirektheit, Register, paraverbale und nonverbale Faktoren, kulturspezifische
Werte/Einstellungen, kulturspezifische Handlungen (Lüsebrink 2003: 315⫺316).
Mit der aktuellen Debatte um die Etablierung der Landeskunde als Kulturwissen-
schaft gewinnen Konzepte wie das einer xenologisch-transkulturellen (-transnationalen),
1436 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

vergleichenden, wissenschaftlichen Landeskunde von Wormer für die vergleichende Kul-


tur- und Mentalitätsforschung an Interesse. In Abwendung der Gefahr der „Aporie der
Totalität“ (Picht) fordert Wormer Forschungen zu „Phänomenen partieller gesellschaftli-
cher Wirklichkeit, verstanden als konkret faßbare Gegenstände“ (2007: 9), die die Le-
benswirklichkeit individuellen und institutionellen Handelns aus pluriperspektivischer
Tätigkeit kulturenübergreifend und disziplinkooperativ beschreibt. Eine eher vom Lerner
her gedachtes Konzept verfolgt Altmayer, der die Landeskundeforschung „nicht primär
über ihre Forschungsgegenstände, sondern über ihre erkenntnisleitenden Interessen“
(Altmayer 2006: 184) definiert und damit die Perspektive der Lernenden und die Lern-
prozesse in den Vordergrund rückt. In Anlehnung an Teske (2002: 63⫺186) schlägt er
als Themenplanung einer diskursanalytischen Forschung im Rahmen der Kulturwissen-
schaft des Faches Deutsch als Fremdsprache ein Modell aus den vier übergeordneten
Kategorien „Raum“, „Zeit“, „Identität“ und „Wertorientierungen“ vor, erweitert und
mit jeweils wiederum spezifischen Themenzuordnungen versehen (z. B. bei der Kategorie
„Identität“ mit Themen wie „nationale“, „regionale“, „soziale“ oder „Geschlechteriden-
tität“). Dies stelle eine offene, klar strukturierte Liste dar, bei der die Einzelthemen
durchaus das klassische Repertoire der Landeskunde abdecken, aber auch darüber hi-
nausgehen und „kulturelle Deutungsmuster in einem rekonstruktiven Zugang sichtbar
und dann letztendlich auch erlernbar“ (2006: 193) und vergleichbar machen können.
Wenn Hofstedes Dimensionen, und damit auch implizit Daseinserfahrungen, Laku-
nen und andere interkulturelle Komponenten als strategisch günstige Ausgangspunkte
für einen Kulturvergleich begrüßenswert sind, so dürfen u. a. folgende Kritikpunkte an
Hofstedes Arbeit nicht außer Acht gelassen werden: Trotz eines gemeinsamen Fundus
aus kollektiven und individuellen mentalen Mustern kann nicht von einer gemeinsamen,
relativ homogenen nationalen Kultur ausgegangen werden. Transnationale Organisatio-
nen, wie sie Hofstede oder Thomas (Thomas 1999: 116⫺120) untersuchen, stehen nicht
repräsentativ für mentale Programme der Bevölkerung bzw. eines definierten Kollektivs
wie das der Nation. Die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte hat gezeigt, dass eine
Ausdifferenzierung der Gesellschaft erfolgte, die eine repräsentative empirische Erhebung
im Bereich der Kultur und Mentalität erschwert. Weiterhin mag die „Konzentration auf
Wertorientierungen (…) einen Ausgangspunkt für vielschichtigere Kulturvergleiche“
(Vester 1996: 78⫺79) darstellen, doch ob sie individuelle wie kollektive Mentalitäten in
ihrer Dynamik ausführlich erfassen, sei dahin gestellt. Das Interesse, kulturelle Unter-
schiede kontrastreich gegenüberzustellen, birgt in der Praxis die Gefahr, „daß Kulturen
auf dichotomisch konstruierte Leistungen gespannt werden (monochron vs. polychron,
low-context culture vs. high-context culture etc.) mit der Tendenz zur Stereotypisierung
oder Karikierung kultureller Vielschichtigkeit.“ (Vester 1999: 443)
Sicher dient eine wissenschaftliche Vorgehensweise den Inhalten eines Unterrichts in
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, doch muss eine Konkretisierung und Didaktisie-
rung der vorliegenden kultur- und mentalitätsvergleichenden Konzepte erfolgen, die
nicht nur im Singulären verhaftet bleiben, sondern übergreifend ein System von Verbin-
dungen schaffen, die die Lebenswirklichkeit der Lerner integrieren. Hier bieten beispiels-
weise die vergleichenden Modelle von Neuner, Müller-Jacquier und Altmayer auf Grund
ihrer differenzierenden Offenheit viele Möglichkeiten und Ansätze zum kontrastiven
Vergleich. Wichtig wird aber bleiben, ein Beschreibungsmodell zu entwickeln, das die
vielfältigen Aspekte anthropologischer Grundkategorien bzw. übergeordneter Katego-
159. Vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung 1437

rien netzwerkartig miteinander verbindet und damit die Verflechtung menschlicher Le-
benswirklichkeit aufzeigt. Dies muss unter besonderer Berücksichtigung unseres deutsch-
sprachigen Kulturraums in seiner Verschiedenheit erfolgen.

3. Kultur als Kultext

Der Integration und Akkulturation der in Deutschland lebenden Migranten stehen häu-
fig unüberwindbare Barrieren gegenüber, weil deren lebensweltliche Voraussetzungen
völlig andere Implikationen mit sich führen als die, die in deren soziokultureller Wirk-
lichkeit gegeben sind. Soziokulturelle Wirklichkeit wird als die Gesamtheit der auf ein
Individuum einwirkenden Prozesse verstanden, die sein Leben und Handeln prägend
beeinflussen, im Wechselspiel von elementaren Erfahrungs- und Sozialisierungsprozessen
sein Bewusstsein formen und als Mentalität konstruieren sowie sein kulturelles Wissen
in einer Gesellschaft entwickeln. Diese Inkongruenz, in der die Menschen leben, verstärkt
die Ausprägung jeweilig spezifischer Denk- und Handlungsmodelle, denen unterschiedli-
che Parallel-Welten bzw. Konzeptionen von Lebenswirklichkeit zu Grunde liegen.
Für einen interkulturellen Unterricht in Deutsch als Fremd- und besonders Zweit-
sprache stellt sich die Frage, wie die in einer vorgegebenen Lebenswirklichkeit zu vermit-
telnden Kenntnisse von Regeln, Normen, Werten einer Gesellschaft, einer Kultur und
die daraus resultierenden Verhaltens- und Handlungsmuster, die sich in den unterschied-
lichen Alltagssituationen manifestieren, zu didaktisieren sind. Dies setzt ein Beschrei-
bungsmodell voraus, das von einem kulturellen Fundament ausgeht, das einerseits die
Basis für die im Interkulturellen geforderte Empathie, Ambiguitätstoleranz und Sensibili-
sierung bietet, Gemeinsames betont und Unterschiede benennt, andererseits aber auch
auf kulturellem und mentalitätsorientiertem Feld Möglichkeiten für Vergleiche erschließt,
das jeweilige kulturelle Wissen systematisiert und dadurch eine Didaktisierung ermög-
licht. Ein solches Modell ist Kultur als Kultext. Kultext meint in diesem Zusammenhang
die Verflechtung von Bestandteilen des kulturellen Wissens und des Bewusstseins eines
Individuums und Kollektivs, ein Netzwerk aus Wissensbeständen aller Art, das nicht nur
die kognitive Komponente umfasst, sondern auch Erfahrungen, Erwartungen, Einstel-
lungen, Wahrnehmungs-, Denk- und Verhaltensweisen beinhaltet, die vom Mentalen
konstruiert werden und damit nicht unmittelbar offen liegen. Gleichsam synaptischen
Konnektoren beeinflussen und bedingen sie sich wechselseitig und bringen sich zugleich
gegenseitig hervor, erzeugen einander. Hinter dem Terminus Kultext verbirgt sich die
Erkenntnis, dass alle Aspekte der Lebenswirklichkeit auf enge Weise miteinander ver-
flochten sind und einen Gesamtkomplex an Wissens- und Bewusstseinsbeständen erge-
ben, dessen Beschreibung sehr schwer im Einzelnen greifbar und festzuhalten ist. Kultext
wird damit einerseits zum Synonym für die Verstrickung aller Aspekte von Lebenswirk-
lichkeit, will andererseits aber auch ein Beschreibungskonzept sein, eine Deskription von
Leben als „selbstgesponnenem Bedeutungsgewebe“ (Geertz). Das kulturelle Fundament
bestimmt als suprakulturelle Dimension die Grundpfeiler von Orientierungssystemen,
grundlegende Normen, Werte und Konzepte des Handelns, Lebensziele, die die in einem
definierten Kollektiv existierenden kulturspezifischen Ausprägungen von Kulturstan-
dards ummanteln. Es bestimmt die Einstellung zu Erziehung, Krankheit, Kleidung, Psy-
che usw. und wird in seiner Konkretisierung durch Faktoren wie Klima, geomorphologi-
1438 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

sche Gegebenheiten oder Naturkatastrophen beeinflusst. Jede Kultur entwickelt auf der
Grundlage dieses kulturellen Fundaments eine charakteristische Sicht der Welt, die das
kulturelle Bewusstsein des Einzelnen, aber auch das kollektive Wissen bestimmt. Zeit-
und Raumverständnis, Individualität und Kollektivität formen und prägen unter Einbe-
zug vielfältiger weiterer Prozesse und Faktoren auch hier die Herausbildung des kulturel-
len Wissens und Bewusstseins.
Mit dieser kulturspezifischen Weltsicht verknüpft sind Dimensionen menschlicher
Existenz (Mueller-Liu 2009: 121⫺122). Ziel des Beschreibungs- bzw. Erfassungsmodells
ist ein Konzept, das von der Gleichheit aller zu beschreibenden Varianten ausgeht und
das kultur- und mentalitätsvergleichende Kategorien wie sie z. B. Teske, Altmayer und
Neuner vorschlagen in ihren Bestandteilen und Strukturen zwar aufgreift, seinen Schwer-
punkt aber in einem übergreifenden kulturellen Fundament gründet und dadurch die
Möglichkeit der Übertragung auf andere Weltsichten bietet. Die Struktur des Modells
ist ausgelegt auf zahlreiche Querverbindungen und Schnittflächen zwischen den einzelnen
Bestandteilen, Ebenen und Schichten des fundamentalen Grundkonzeptes, den Grund-
einstellungen menschlicher Existenz, dem kulturellen Basiswissen und Bewusstsein, dem
kulturellen Wissen usw., die noch konkretisiert werden müssen (Wolf und Mueller-Liu
i.V.). Das Beschreibungsmodell beabsichtigt ebenso wie alle kulturellen Modelle sowohl
im Detail wie auch in der Struktur/im Aufbau einer leichteren, systematischeren und
zweckdienlicheren Erfassung und Didaktisierung der Landeskunde in Deutsch als
Fremd- und Zweitsprache und damit auch der vergleichenden Kultur- und Mentalitäts-
forschung zu dienen.

4. Perspektiven einer vergleichenden Kultur- und Mentalitäts-


orschung in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Durch die zunehmende Gewichtung der Landeskunde als Kulturwissenschaft gewinnt
auch die vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung in Deutsch als Fremdsprache
und insbesondere, angesichts überregionaler politischer Forderungen und Erfordernisse,
in Deutsch als Zweitsprache an Bedeutung. Voraussetzung für ihre Etablierung ist die
Erarbeitung einer empirischen Basis, die die vergleichende Kultur- und Mentalitätsfor-
schung von Ergebnissen fachfremder Forschungsfelder zunehmend unabhängiger macht,
ohne dass der interdisziplinäre Blick verloren geht. Die aus kulturwissenschaftlicher For-
schung gewonnenen Erkenntnisse bedürfen einer Systematisierung und Didaktisierung,
die die Lebenswirklichkeit des Lerners mit einbeziehen.
Mit der Akzentuierung eines lerner- und lernprozessorientierten Unterrichts von Lan-
deskunde wird die Erlangung von konkretem, spezifisch kulturellem Wissen notwendig,
welches die vom Individuum/vom Lerner her zu konkretisierenden, regional- und bedürf-
nisorientierten Alltagswissensbestände auf der Basis der sozio-kulturellen Wirklichkeit
mit den im Vergleich von Kultur und Mentalität zu eruierenden Welt- und Lebenswissen
in Bezug setzt und sie rekonstruiert, berücksichtigt und selektiv einbringt. Dabei müssen
individuelle wie generationsübergreifende Faktoren, aber auch kurzfristige, die Aktuali-
tät des Geschehens betreffende Momente und ungesteuertes Lernen aufgenommen wer-
den. Hierzu wird die vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung in Zukunft einen
wesentlichen Beitrag leisten können.
159. Vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung 1439

5. Literatur in Auswahl
Altmayer, Claus
2006 Landeskunde als Kulturwissenschaft. Ein Forschungsprogramm. Jahrbuch Deutsch als
Fremdsprache 32: 181⫺199.
Bausinger, Hermann
1999 Da capo: Germanistik als Kulturwissenschaft. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 25:
213⫺231.
Biechele, Markus und Rudolf Leiprecht
1996 Interkulturelles Lernen durch Erlebte Landeskunde. Ein Handbuch für Fortbildungsseminare
mit Deutschlehrern aus mehreren Ländern. München/Amsterdam/Budapest: Goethe-Insti-
tut.
Ertelt-Vieth, Astrid
2005 Interkulturelle Kommunikation und kultureller Wandel. Eine empirische Studie zum rus-
sisch-deutschen Schüleraustausch. Tübingen: Narr.
Geertz, Clifford
1999 Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: Clifford
Geertz: Dichte Beschreibung, Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, 7⫺43. 6. Aufl.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Götze, Lutz
2005 Zum Kulturbegriff. Mount Cameroun. Afrikanische Zeitschrift für interkulturelle Studien
im deutschsprachigen Raum 2: 125⫺141.
Hansen, Klaus P.
2003 Kultur und Kulturwissenschaft. Eine Einführung. 3. Aufl. Tübingen/Basel: Francke.
Hofstede, Geert
1993 Interkulturelle Zusammenarbeit. Kulturen Organisationen Management. Wiesbaden: Gab-
ler.
Hofstede, Geert
2001 Culture’s Consequences: Comparing Values, Behaviors, Institutions, and Organizations
across Nations. 2. Aufl. Thousand Oaks/London/New Delhi: Sage.
Lüsebrink, Hans-Jürgen
2003 Kulturraumstudien und Interkulturelle Kommunikation. In: Ansgar Nünning und Vera
Nünning (Hg.), Konzepte der Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen Ansätze Per-
spektiven, 307⫺328. Stuttgart/Weimar: Metzler.
Müller-Jacquier, Bernd
1999 Interkulturelle Kommunikation und Fremdsprachendidaktik. Studienbrief Kulturwissen-
schaft. Koblenz: Universität Koblenz-Landau.
Mueller-Liu, Patricia
2009 Kultur, Sprache und Wirklichkeit ⫺ Grundlagen der Kulturkontrastivität. In: Lutz
Götze, Patricia Mueller-Liu und Salifou Traoré (Hg.), Kulturkontrastive Grammatik ⫺
Konzepte und Methoden, 85⫺163. Frankfurt a. M.: Lang.
Neuner, Gerhard
1989 Zur Lehrplanentwicklung für den Deutschunterricht an Sekundarschulen in zielsprachen-
fernen Ländern. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 15: 348⫺373.
Ortega y Gasset, José
1951 Ideen und Glaubensgewissheiten. In: José Ortega y Gasset, Vom Menschen als utopisches
Wesen, 7⫺54. Stuttgart: Kilpper.
Pauldrach, Andreas
1992 Eine unendliche Geschichte. Anmerkungen zur Situation der Landeskunde in den 90er
Jahren. Fremdsprache Deutsch 6: 4⫺15.
Teske, Doris
2002 Cultural Studies: GB. Berlin: Cornelsen.
1440 XVI. Kulturwissenschaftliche Aspekte des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache

Thomas, Alexander
1993 Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns. In: Alexander Thomas (Hg.), Kultur-
vergleichende Psychologie: Eine Einführung, 377⫺424. Göttingen/Bern/Toronto/Seattle:
Hogrefe.
Thomas, Alexander
1999 Handlungswirksamkeit von Kulturstandards: Beispiele aus deutsch-amerikanischen und
deutsch-chinesischen Interaktionen. In: Heinz Hahn (Hg.), Kulturunterschiede. Interdiszi-
plinäre Konzepte zu kollektiven Identitäten und Mentalitäten, 109⫺120. Frankfurt a. M.:
IKO-Verlag für Interkulturelle Kommunikation.
Vester, Heinz-Günter
1996 Kollektive Identitäten und Mentalitäten. Von der Völkerpsychologie zur kulturvergleichen-
den Soziologie und interkulturellen Kommunikation. Frankfurt a. M.: IKO-Verlag für In-
terkulturelle Kommunikation.
Vester, Heinz-Günter
1999 Mentalitätsforschung in Deutschland ⫺ ein mentales Problem. In: Heinz Hahn (Hg.),
Kulturunterschiede. Interdisziplinäre Konzepte zu kollektiven Identitäten und Mentalitäten,
435⫺450. Frankfurt a. M.: IKO-Verlag für Interkulturelle Kommunikation.
Wolf, Gordian
2001 Vergleichende Kultur- und Mentalitätsforschung. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze, Gert
Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales
Handbuch. Bd. 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺2.),
1179⫺1193. Berlin/New York: Walter de Gruyter.
Wolf, Gordian und Patricia Mueller-Liu
i.V. Kultur als Kultext ⫺ soziokulturelle Wirklichkeit und landeskundliches Lernen.
Wormer, Jörg
2007 Transkulturelle Kompetenz und Landeskunde. Chancen der deutschen Sprache im 21.
Jahrhundert ⫺ aufgezeigt am Beispiel einer wissenschaftlichen Landeskunde. Zeitschrift
für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 12(2). (Online).

Gordian Wolf, Saarbrücken (Deutschland)


XVII. Landeskunde

160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze


und Vermittlungskonzepte
1. Prämissen der historisch-systematischen Ordnung
2. Landeskunde im Kontext
3. Herausforderungen
4. Literatur in Auswahl

1. Prämissen der historisch-systematischen Ordnung

Die Historisierung und Systematisierung landeskundlicher Ansätze und Konzepte stellt


einen konstruktiven Vorgang dar, dem Entscheidungen in der Interpretation, Auswahl
und Kombination einschlägiger Positionen sowie spezifische gegenstandstheoretische
Vorannahmen zugrunde liegen. Diese müssen unter den Gesichtspunkten des fachsyste-
matischen Bezugsrahmens sowie der strukturellen und historischen Dimension von Lan-
deskunde als Begriff und Gegenstand transparent gemacht werden.

1.1. Zum ach- und orschungssystematischen Bezugsrahmen

Von zentraler Bedeutung für das Verständnis von Landeskunde im Fach Deutsch als
Fremdsprache ist die Aufteilung des Fachs in eine linguistische, lehr-/lernwissenschaft-
liche, literaturwissenschaftliche und eben auch landeskundliche Ausrichtung (vgl. Henrici
und Koreik 1994: 16⫺19; vgl. Art. 2). Diese Aufteilung sei, so Altmayer (2004a: 14),
„mittlerweile weithin akzeptiert“, die Wirklichkeit aber sehe für die landeskundliche Aus-
richtung angesichts mangelnder institutioneller Anbindung, fehlender wissenschaftlich
fundierter Ausbildung von Lehrkräften und nicht ausreichend ausgeprägter wissenschaft-
licher Forschung anders aus. Inzwischen lassen entsprechend denominierte Lehrstühle,
ein Zuwachs an einschlägigen Ausbildungsangeboten (vgl. Althaus 2009: 131; Koreik
2009: 5) und eine intensivierte forschungsmethodologische Diskussion für die Zukunft
hoffen.
Das Problem der Aufteilung des Fachs in Ausrichtungen und das damit einhergehende
Verständnis von Landeskunde als wissenschaftlicher Teildisziplin ist mittlerweile jedoch
viel grundsätzlicher. Was für die Beschreibung der sich entwickelnden DaF- und auch
DaZ-Studiengänge und damit auch des Fachs einmal sinnvoll war, war seinerzeit schon
nicht ganz unproblematisch, da sich die Systematisierung weitgehend an den Denomina-
tionen der Lehrstühle sowie dem Lehrangebot an den einzelnen existierenden Studien-
gängen orientierte. Ein Blick in die landeskundliche Diskussions- und Forschungsland-
schaft, auf die sich weiter vertiefenden fächerübergreifenden Debatten und auf die damit
zunehmende theoretische und thematische Komplexion verdeutlicht jedoch, dass sich
1442 XVII. Landeskunde

eine solche strukturale Sicht auf DaF und Landeskunde als Fach und Teildisziplin als zu
schablonenhaft erweist.
Nicht nur stellt sich die Landeskunde bereits seit den 1980er Jahren mit entscheiden-
den Anregungen aus der Romanistik und Anglistik als eine die Philologien übergreifende
Diskussion dar, auch erscheint eine trennscharfe Abgrenzung der Landeskunde von Kon-
zepten wie z. B. interkulturelles Lernen bzw. interkulturelle Kompetenz kaum noch mög-
lich. Zudem sind spätestens seit den cultural turns deutliche Schnittmengen in For-
schungsfragen und -methodologien zwischen den Bereichen des Fachs einerseits und den
Philologien und den Sozial- und Kulturwissenschaften andererseits zu beobachten (vgl.
Art. 154).
Landeskunde lässt sich nicht länger als eine klar abgrenzbare wissenschaftliche Teil-
disziplin des Faches DaF/DaZ darstellen, vielmehr als ein theoretisch-begriffliches Kon-
zept, das im Rahmen fremdsprachendidaktischer Debatten als ein Interpretations- und
Argumentationsmuster zur Bezeichnung (und Konturierung) der soziokulturellen Di-
mensionen von Sprache, Spracherwerb und Sprachgebrauch dient. Der fach- und for-
schungssystematische Bezugsrahmen kann also weder Landeskunde als wissenschaftliche
Teildisziplin noch Landeskunde als Konzept, sondern nur jener fremdsprachenwissen-
schaftliche Diskurs sein, in dem der Nexus von Sprache und Kultur unter Erwerbs- und
Vermittlungsperspektive den zentralen Begründungszusammenhang für theoretische, di-
daktisch-methodische oder unterrichtspraktische Positionen darstellt. In diesem Diskurs
stellt Landeskunde als ebenso wirkmächtiges wie tradiertes Konzept schließlich nur eines
von sechs Kernkonzepten dar, die durch die Begriffe Realienkunde, Kulturkunde, Lan-
deskunde, interkulturelles Lernen, interkulturelle Kompetenz und kulturwissenschaftli-
che Ansätze gekennzeichnet werden können.

1.2. Begri und Gegenstand  strukturelle Dimension

Die Auseinandersetzung mit Landeskunde auf den Ebenen des internationalen, des
deutschsprachigen und des im engeren Sinne landeskundlichen Diskurses führt schnell
zu einer gewissen Ratlosigkeit, scheint die Vielzahl an Begriffen doch mit der Vielzahl
an Versuchen zu korrelieren, „typologische Klarheit in die ausufernde Landeskunde-
Debatte zu bringen“ (Veeck und Linsmayer 2001: 1161). So stehen sich im internationa-
len Diskurs Bezeichnungen wie civilisation, culture étrangere, cultural studies, area studies,
realia, kulturorientering, kulturkunnskap, kulturforståelse oder auch culture pedagogy (vgl.
Risager 2007) gegenüber, während sich im deutschsprachigen Diskurs scheinbare Syno-
nyme wie Landeswissenschaften, Deutschlandstudien, Leutekunde oder Kulturstudien fin-
den. Nicht zuletzt ist die engere Landeskunde-Diskussion geprägt durch ⫺ meist als
Ansätze propagierte ⫺ Attribuierungen wie pragmatisch oder sozialwissenschaftlich,
kognitiv, kommunikativ oder interkulturell, sprach- oder informationsbezogen, implizit
oder explizit usw., die es in ihrer Reinform nicht gibt (vgl. Art. 161⫺163).
Dabei wird schnell offensichtlich, dass sich das Problem der Begrifflichkeiten, gekenn-
zeichnet durch einen „nicht unwichtigen, aber ermüdenden Kampf um den richtigen bzw.
durchsetzbaren Begriff“ (Koreik 2009: 3), nicht in der Frage der diversen Benennungen
erschöpft, sondern sich hinter den Begriffen jeweils spezifische Konzeptualisierungen des
Gegenstandes verbergen. Indem Kramsch (1991: 219⫺26) die nicht unerheblichen Unter-
schiede zwischen US-amerikanischen, französischen und deutschen Diskussionen zur
160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte 1443

Vermittlung von Sprache und Kultur herausarbeitet, verdeutlicht sie, dass es sich bei
civilisation, cultural studies und Landeskunde nicht um äquivalente Begriffe, sondern um
Konzepte handelt, die in unterschiedlichen bildungspolitischen, theoretischen und didak-
tischen Begründungszusammenhängen stehen und nur bedingt übersetzbar sind. Zudem
liegen die terminologischen Schwierigkeiten in der häufig unklaren Bezugnahme auf die
verschiedenen Ebenen der Landeskunde begründet, die von Simon-Pelanda (2001: 42)
„als Gegenstandsbereich in der Forschung, als Inhalt in der Ausbildung der Lehrenden,
als thematische Progression im Unterricht und als Ergebnis staatlicher Fremdsprachen-
politik“ differenziert wurden.
In welchen Dimensionen der Differenz Begriffsdebatten als Sachdebatten über Ziele,
Wege und Mittel der Landeskunde als Konzept geführt werden, lässt sich an folgenden
vier Spannungsfeldern verdeutlichen: Erstens verweisen Begriffe wie Landeskunde, -wis-
senschaft oder -studien auf unterschiedliche Ansichten über den Grad an Wissenschaft-
lichkeit bzw. Praxisbezug und auf den jeweils vorrangig betonten Anwendungsbereich.
So ist zum einen die Forderung charakteristisch, zwischen Unterrichts- und Forschungs-
ebene ⫺ z. B. mittels der Begriffspaare Landeskunde/-wissenschaft (Höhne und Kolboom
1982) oder Kulturlehre/-wissenschaft (Casper-Hehne 2006) ⫺ auch terminologisch zu
unterscheiden. Zum anderen ist die weiterhin unklare fach- und wissenschaftssystemati-
sche Verortung der Landeskunde angesprochen, die Altmayer (2004a) in einem Verständ-
nis von Wissenschaft begründet sieht, das sich über Forschungsgegenstände der Bezugs-
wissenschaften (u. a. Politik- und Geschichtswissenschaften) und nicht über das eigene
erkenntnisleitende Interesse (Unterstützung landeskundlicher Lernprozesse) definiert.
Zweitens werden mit Konzepten wie Kultur-, Landes- oder Leutekunde jeweils unter-
schiedliche Lehr-, Lern- bzw. Forschungsgegenstände fokussiert, die u. a. aus der Totali-
tät der gesellschaftlichen Wirklichkeit eines Landes, aus den pragmatischen Erfordernis-
sen des Fremdsprachengebrauchs oder aus den semantischen Bezügen des zu lernenden
Sprachmaterials abgeleitet werden. Zugleich steht den divergierenden Gegenstands- und
Inhaltsbezügen eine vergleichbar divers interpretierte Lerner- und Lernprozessorientie-
rung gegenüber, mit der die Frage notwendigen soziokulturellen Hintergrundwissens hin-
ter die interessen- und bedarfsorientierte Entwicklung lernfördernder Curricula und Ver-
fahren tritt. Drittens impliziert die Rede von landeskundlichen Modellen, Ansätzen und
Konzepten die jeweils sehr unterschiedliche Berücksichtigung dreier Argumentations-
ebenen, die sich mit Richards und Rodgers (2007: 18⫺35) als Approach (u. a. sprach-,
kultur- und lerntheoretische Bezüge), Design (v. a. curriculare bzw. didaktisch-methodi-
sche Fragen) und Procedure (u. a. Lehr-/Lerntechniken, Übungsformen) bezeichnen las-
sen. Hier ist zu beobachten, dass sich ⫺ dem für DaF/DaZ konstitutiven Praxisbezug
entsprechend ⫺ ein großer Teil der Landeskunde-Diskussion auf Design- und Procedure-
Ebene bewegt und die Konzeptionsebene häufig nur fragmentarisch entwickelt bleibt.
Gleichzeitig wird in der aktuelleren Diskussion die traditionell unterbelichtete Approach-
Ebene zum Ausgangspunkt genommen, um teils grundsätzliche Kritik an den kulturtheo-
retischen Grundannahmen älterer Ansätze zu üben und theoretisch differenziertere Mo-
delle zu entwickeln, die als Grundlage intensivierter empirischer Forschung oder innova-
tiver didaktischer Konzeptionen dienen (sollen). Viertens ist der Diskurs Sprach- und
Kulturerwerb im Allgemeinen und Landeskunde im Speziellen seit jeher durch ein mehr
oder minder reibungsloses Ineinandergreifen (u. a. sprach-, lehr-/lern-)wissenschaftlicher
Diskurse und (u. a. bildungs-, sprach-, kultur-)politischer Diskurse geprägt. Während
ältere und aktuelle Bestrebungen, die Landeskunde sozial- oder kulturwissenschaftlich
1444 XVII. Landeskunde

bzw. forschungsmethodologisch zu fundieren, als Versuche gelesen werden können, sich


als ernstzunehmender Wissenschaftsbereich von politischen Diskursen zumindest partiell
zu emanzipieren, weist Althaus (2009: 136) mit Blick auf die „Konzeption 2000“ des
Auswärtigen Amtes auch auf die diesbezüglichen Implikationen und zugleich Aufgaben
des Faches hin.
Auch wenn man staatliche Fremdsprachenpolitik als zwar wichtigen Einflussfaktor
für landeskundliche Konzepte ansieht, als die wesentlichen Hauptebenen jedoch For-
schung, Ausbildung und Unterricht begreift (vgl. Koreik 2009: 12), bleibt das Problem
einer alle Ebenen abdeckenden zufriedenstellenden Begrifflichkeit, welche auch die so oft
geforderte wissenschaftliche Bedeutung signalisieren könnte. Es ist nicht auszuschließen,
dass sich der Begriff Kulturstudien durchsetzen könnte.

1.3. Begri und Gegenstand  historische Dimension

„Die ,Landeskunde-Diskussion‘ könnte man seit ihren Anfängen als Abfolge exklusiv
behaupteter Ansätze kennzeichnen, als ,Pendelschwungbewegungen‘ von realistischen zu
idealistischen Zielen, von anwendbarem Wissen zu individueller Bildung, von Fertigkei-
ten zu Fähigkeiten, von pädagogisch zu politisch legitimierten oder gesetzten Zielen ⫺
und vice versa“ (Simon-Pelanda 2001: 48). Diese zutreffende ⫺ und vermutlich auch für
die Zukunft gültige ⫺ Feststellung lässt eine Darstellung der Entwicklungslinien der
Landeskunde in linear aufeinanderfolgenden, klar abgrenzbaren Epochen und Phasen
von vorneherein als problematisch erscheinen, wenngleich auch nur der differenzierte
Blick auf die mäandernde Entwicklung Fortschritte, Defizite wie auch sich überschnei-
dende und wiederholende Diskurse offenbart.
Schaut man sich ältere Darstellungen landeskundlicher „Entwicklungslinien“ (u. a.
Christ 1979; Neuner 1994; Koreik 1995) an, scheint sich eine historisierende Perspektive
durchgesetzt zu haben, in der die Entwicklung der Landeskunde als fremdsprachenwis-
senschaftliche Teildisziplin zwar immer wieder von Kontroversen geprägt ist, letztlich
jedoch als linear-progressiver Fortschritt von klassischen zu aktuellen Ansätzen und
Konzepten zu beschreiben ist. Der jeweils stark konventionalisierte Erzählstrang folgt
folgendem Muster: Der ursprünglichen Realienkunde des späten 19. Jahrhunderts folgt
die stärker komparatistisch angelegte Kulturkunde der ersten Dekaden des 20. Jahrhun-
derts, die ⫺ zwischen 1933 und 1945 als Volkstumkunde instrumentalisiert ⫺ in der
Nachkriegszeit neben Re-Education (BRD) und der Erziehung zur sozialistischen Persön-
lichkeit (DDR) weiter besteht und erst in den späten 1960er Jahren durch die Landes-
kunde abgelöst wird. Während die 1960er bis 1980er Jahre von einem Spannungsfeld
zwischen sprachimmanenten (pragmatischen) und sozialwissenschaftlichen Landes-
kunde-Konzepten geprägt ist, wird aus Sicht der 1990er Jahre der traditionellen kogniti-
ven Landeskunde (1960er) eine kommunikative (ab den 1970ern) und schließlich eine
interkulturelle Landeskunde (ab den 1990ern) nachgeordnet, die zur Jahrtausendwende
den Status quo markiert.
Führte man diesen Erzählstrang bis zur Gegenwart fort, wäre im Folgenden ⫺ ebenso
vereinfacht ⫺ der Übergang von einer interkulturellen Landeskunde hin zu einer kultur-
wissenschaftlichen Landeskunde nachzuzeichnen, in dessen Verlauf sich die Landeskunde
seit den 1990er Jahren nicht nur verstärkt Diskussionen über interkulturelle Kommuni-
kation, interkulturelles Lernen und interkulturelle Kompetenz(en) anschließt, sondern in
160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte 1445

den letzten Jahren durch theoretische Paradigmenwechsel und forschungsmethodische


Entwicklungen in den Sozial-, Kultur- und Sprachwissenschaften grundlegende Moderni-
sierungsschübe erfährt.
Diese Modernisierungen zeigen sich auf der konstruktiven Ebene in Form neuer Fra-
gestellungen, Gegenstände und Forschungsmethoden, wie auch auf der rekonstruktiven
Ebene, auf der eine erhöhte Sensibilität hinsichtlich der kultur-, sprach- und lerntheoreti-
schen Vorannahmen interkultureller Argumentationen zu beobachten ist, auf der sich
aber auch maßgebliche Konsequenzen für einen historischen und systematischen Ord-
nungsversuch der Landeskunde ergeben. So legt insbesondere die neuere Wissenschafts-
forschung nahe, Landeskunde nicht länger als eine in der Fach- und Wissenschaftssyste-
matik mehr oder minder etablierte Teildisziplin, sondern als einen Diskursstrang (unter
anderen) zu verstehen, der in der Auseinandersetzung um Sprach- und Kulturerwerb
eine spezifische Version dieses Zusammenhangs sowie spezifische didaktisch-methodische
Implikationen entwirft und damit (un-)mittelbare materielle und (unterrichts-)praktische
Bezüge aufweist.

2. Landeskunde im Kontext

2.1 Realienkunde  Konzept und Prinzip

Wesentliches Grundmerkmal der Realienkunde der ca. letzten drei Jahrzehnte des 19.
Jahrhunderts war die Betonung utilitaristischen Wissens über Land und auch Leute im
Gegensatz zum bis dahin vorherrschenden Prinzip der Sprachvermittlung, bei dem in
Tradition des altphilologischen Sprachunterrichts nach der Grammatikvermittlung die
Übersetzung literarischer Klassiker als höchstes Ziel galt. Ein sich verstärkt internationa-
lisierender Handel und Verkehr (und weniger offen genannt militärische Aspekte) dienten
als Argumentationsfolie für die Forderung nach einer fortschrittlicheren realistischen
Sprachausbildung, in der alle wichtigen Fakten über Staat und Gesellschaft vermittelt
werden sollten. Kenntnisse über den Alltag im Zielsprachenland und insbesondere Wis-
sensbestände über Geographie, Geschichte, den Staatsaufbau und die Wirtschaftszusam-
menhänge sollten vermittelt werden. Diese Zielsetzung wurde als pragmatischer Fort-
schritt hin zu einem modernen Sprachunterricht gesehen und war dabei stark dem positi-
vistischen Denken des 19. Jahrhunderts und einer enzyklopädischen Betrachtungsweise
verpflichtet.
Der zu einem Konzept verdichtete Diskursstrang Realienkunde kann entweder zur
Abgrenzung einer Kulturkunde oder Landeskunde dienen ⫺ oder ist aber als realien-
kundliches Prinzip auch in aktuellen Diskussionen und Entwicklungen (Renaissance des
Faktischen in Lehrwerken, u. a. für Orientierungskurse; vgl. Art. 164) zu rekonstruieren.

2.2. Kulturkunde  Konzept und Prinzip

Das Grundprinzip der vor allem in den 1920er Jahren in zahlreichen Veröffentlichungen
und auf vielen Tagungen propagierten Kulturkunde war der angestrebte Vergleich der
Kulturen, der zum methodischen Bildungsprinzip erhoben wurde und alle Bereiche des
1446 XVII. Landeskunde

neusprachlichen Unterrichts durchdringen sollte. Ziel war es nun nicht mehr, enzyklopä-
dische Wissen, d. h. additiv zusammengefügte Realien, über das Zielsprachenland zu ver-
mitteln, sondern die fremde Kultur in ihrer Gesamtheit zu betrachten und damit das
Wesen des fremden Landes und Volkes im Kontrast zum eigenen zu verstehen, den Volks-
charakter zu erfassen. Eine gewisse, die Auseinandersetzung von Anfang an mit prä-
gende, stereotypisierende Stilisierung des deutschen Wesens im Kontrast zum sogenann-
ten Wesen anderer Völker führte in den 1930er Jahren zu einer nahtlosen Überführung
der Kulturkunde in eine der nationalsozialistischen Rassenideologie entsprechenden
deutschen Wesensschau.
Entsprechend erscheint auch der Diskursstrang Kulturkunde konzeptuell verdichtet
entweder als historische Kontrastfolie nunmehr landeskundlicher Ansätze ⫺ oder aber
als kulturkundliches Prinzip, das auch aktuelle Diskussionen über interkulturelles Ler-
nen oder Fremdverstehen (in der Auseinandersetzung mit dem Fremden das Eigene re-
flektieren) durchzieht.

2.3. Landeskunde  Konzept und Prinzip

Seit Ende der 1960er Jahre hat sich ⫺ nachdem nach dem Krieg zunächst an Ideen der
Kulturkunde der 1920er Jahre angeknüpft wurde sowie Fakten vermittelt wurden ⫺ der
Begriff Landeskunde durchgesetzt und trotz aller Kritik bisher hartnäckig gehalten. Dies
ist zum einen auf die konzeptionelle Vagheit des zunächst als Ersatz für den als belastet
erachteten Begriff Kulturkunde zurückzuführen, zum anderen auf die Vielfalt und Varia-
tionsbreite dessen, was unter diesem Begriff schrittweise subsumiert und entwickelt
wurde. Der Abschied von der traditionellen Kulturkunde war zugleich zunächst ver-
knüpft mit einem nicht nur auf Kommunikation ausgerichteten, sondern auch auf Eman-
zipation der Lerner zielenden Fremdsprachenunterrichts als ein Reflex auf eine kritische
Gesellschaftstheorie. Innerhalb des gut dreißigjährigen Diskurses über Landeskunde ha-
ben sich zahlreiche der Pendelschwünge erneut gezeigt, die seit dem 19. Jahrhundert die
Diskussion bestimmen. Dazu gehört das die Landeskunde in ihren Zielen und Inhalten
prägende Spannungsfeld zwischen Nützlichkeits- und Bildungsprinzip (vgl. Rössler
2007), das sich in den 1970er Jahren in einem pragmatischen und einem sozialwissen-
schaftlichen Ansatz der Landeskunde, wie auch in den 1990er Jahren in einem pragmati-
schen und einem pädagogischen Verständnis von interkulturellem Lernen widerspiegelt.
Bereits in den Stuttgarter Thesen (Robert Bosch Stiftung und Deutsch-Französisches
Institut 1982) wird Kritik an einer einseitig sprechfertigkeitsorientierten und faktenorien-
tierten Vermittlung landeskundlicher Inhalte als erster Schritt hin zu einer transnationa-
len Ausrichtung geübt und die Synthese des pragmatischen und sozialwissenschaftlichen
Ansatzes versucht. Ein kulturkontrastives Vorgehen und lernerzentrierter landeskundli-
cher Unterricht sollte von der Wahrnehmung als kulturell geprägtem Prozess ausgehen
und auf authentische Kommunikationssituationen sowie „auf das Verstehen und Erör-
tern dargestellter fremder und eigener Wirklichkeit in sprachlichen und nichtsprachlichen
Dokumenten“ vorbereiten (Robert Bosch Stiftung und Deutsch-Französisches Institut
1982: 11).
Jedoch bleibt auch in den 1990er Jahren die Frage nach einem landeskundlichen The-
menkatalog im Vagen, wobei Neuners Versuch, elementare Daseinserfahrungen als anth-
ropologische Grundkategorien als Themen festzulegen (Neuner 1994: 23) zumindest auf
160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte 1447

die Lehrwerkproduktion Auswirkungen gehabt hat. Landeskundevermittlung schließt


sich insgesamt (fremd-)sprachendidaktischen Strömungen an, richtet sich kommunikativ
und später interkulturell aus, und der Einbezug der Lerner durch erlebte Landeskunde
oder eigene Recherchearbeit kennzeichnet einen Fortschritt (vgl. Biechele und Padros
2003).
Innerhalb des bisherigen Diskursstrangs Landeskunde spiegeln sich ältere Auseinan-
dersetzungen, zugleich werden Themenkomplexe wie interkulturelles Lernen frühzeitig,
wenn auch häufig kritisch, aufgegriffen.

2.4. Interkulturelles Lernen  Konzept und Prinzip

Der Zusammenhang zwischen Landeskunde und interkulturellem Lernen wird je nach


argumentativem Standpunkt ganz unterschiedlich bestimmt. Während Krumm (1995:
157⫺58) die Landeskunde neben der fremdverstehensorientierten Literaturdidaktik und
der sogenannten Ausländerpädagogik als einen von drei Diskussionssträngen versteht,
aus denen sich die frühe fremdsprachendidaktische Diskussion über interkulturelles Ler-
nen speist, betrachten andere Autoren interkulturelles Lernen als historischen Nachfolger
der Landeskunde, welche nunmehr vollständig im neuen Diskussionsfeld aufgeht und
durch dieses ersetzt wird (z. B. Eckerth und Wendt 2003). Skeptische Beobachter konsta-
tieren, dass das „Chamäleon ,Landeskunde‘ mit der Entdeckung des ,interkulturellen
Lernens‘ wieder einmal seine Farbe gewechselt hat, aber ansonsten doch das gleiche Tier
geblieben ist“ (Solmecke 1994: 165).
In moderateren Positionen wird interkulturelles Lernen als übergeordnetes fremd-
sprachendidaktisches Konzept gesehen, das Landeskunde als einen Baustein integriert,
in dem ⫺ neben der Reflexion und Relativierung „eigenkultureller Wissensbestände“ ⫺
der „Wissenserwerb über die fremde Kultur“ im Vordergrund steht (Röttger 2004: 26).
Auf diese Weise etabliert sich die Differenzierung zwischen einer primären Produktorien-
tierung der Landeskunde und einer vorrangigen Prozessorientierung des interkulturellen
Lernens (Gnutzmann und Königs 2006). Zwar gibt Grünewald (2002: 160) zu bedenken,
dass die Landeskunde sich „schon seit geraumer Zeit nicht mehr auf die Vermittlung von
kulturspezifischen Sachfragen und Informationen beschränkt, sondern kulturkontrastive
und methodische Fragestellungen in ihre Konzeptionen einbezieht“, auch er sieht jedoch
die Tendenz, „der Landeskunde den inhaltlichen, deklarativen Teil und dem interkultu-
rellen Lernen den methodischen, prozeduralen Teil zuzusprechen“.
Während eine linguistische Sicht auf interkulturelles Lernen an pragmatisch-kommu-
nikative Prinzipien anknüpft und das interkulturelle Moment durch Einbezug der Her-
kunftssprache und -kultur, durch die kontrastive Erforschung und Vermittlung kultur-
spezifischer Kommunikationsstile und durch eine stärkere Lernerorientierung fokussiert,
deutet eine zweite Position die Innovation des Interkulturellen als revitalisiertes politi-
sches Engagement des Faches.

(Durch) interkulturelles Lernen gewinnt der Fremdsprachenunterricht eine soziale


und pädagogische Dimension zurück, die audiolingualen wie teilweise auch kom-
munikativen Ansätzen fehlte (…), nämlich die Entwicklung von Empathie, kriti-
scher Toleranz und die Fähigkeit zur Konfliktbewältigung; als Element politischer
Bildung steht eine antirassistische, auf Aufklärung über soziale, wirtschaftliche
1448 XVII. Landeskunde

und politische Ursachen von Ethnozentrismus und Kulturkonflikten gerichtete


Zielsetzung im Mittelpunkt. (Krumm 1995: 159)

Allerdings verdrängen dominante sozialpsychologische Bezüge und Verweise, eine starke


pragmalinguistische Ausrichtung und die literaturdidaktisch orientierte Diskussion der
Fremdverstehensproblematik anfänglich durchaus deutliche Verweise auf politische Di-
mensionen interkulturellen Lernens.
In der Gesamtschau zeigt sich folgende paradoxe Situation: Während die Landes-
kunde-Diskussion bereits in den 1980er und 1990er Jahren durch die konzeptuelle und
(unterrichts-)methodische Integration interkultureller Denkprämissen ihren Gegen-
standsbereich erweitert, erfährt das Konzept Landeskunde im fremdsprachendidakti-
schen Diskursstrang interkulturellen Lernens eine deutliche Begriffs- und Gegen-
standsverengung. Eine als realienkundliches Prinzip gedeutete Landeskunde, die sich auf
die Vermittlung historischen, geografischen und politischen Fakten- und Orientierungs-
wissens beschränkt, dient nicht zuletzt als Kontrastfolie zur Abgrenzung und Konturie-
rung des aktuell(er)en, gleichermaßen bildungspolitisch motivierten Diskursstrangs.

2.5. Interkulturelle Kompetenz  Konzept und Prinzip

Im Diskurs Sprach- und Kulturvermittlung/-erwerb, konkret im theoretischen und/oder


empirisch fokussierten Fragenkomplex nach Zielen, Verläufen, Medien, Inhalten und der
Evaluation (inter-)kultureller Lernprozesse im Kontext des institutionalisierten Fremd-
sprachenerwerbs, war bis zur Jahrtausendwende ein Verständnis von interkultureller
Kompetenz als ein Lernziel interkulturellen Lernens kennzeichnend. Hierbei kann By-
rams (1997) Modell einer interkulturellen kommunikativen Kompetenz als maßgeblich
gelten, da es nicht zuletzt die pragmatischen, pädagogischen und hermeneutischen sowie
auch kritisch-emanzipatorische Positionen integriert. Durch Standard- und Kompetenz-
orientierung auf bildungspolitischer Ebene entwickelt sich interkulturelle Kompetenz zu
einem relativ eigenständigen Diskursstrang, der die Debatten über interkulturelles Ler-
nen, insbesondere die dort zentrale Lerner- und Prozessorientierung stark überformt (vgl.
Hu et. al 2008). Auch wenn es zum Teil enthusiastische Befürworter einer testtheoreti-
schen Operationalisierung und Messung interkultureller Kompetenz gibt, ist zugleich of-
fensichtlich, dass es gegenwärtig noch keine ausreichend solide Konzeptualisierung von
interkultureller Kompetenz gibt und es zudem an geeigneten Messinstrumenten mangelt
(vgl. die Beiträge in Schulz und Tschirner 2008).
Erste Anzeichen einer substantiellen Verschiebung auf der Lernzielebene von kommu-
nikativer Kompetenz als angemessenem Handeln in Alltagssituationen hin zu interkultu-
rell orientierten Lernzielen finden sich bereits bei Bocks (1974) kritisch-emanzipatori-
schem und sozialwissenschaftlich fundiertem Konzept einer transnationalen Kommunika-
tionsfähigkeit. Dieses fließt bereits ⫺ wenn auch in abgeschwächter Form ⫺ in die
Stuttgarter Thesen (Robert- Bosch-Stiftung und Deutsch Französisches Institut 1982) ein
und wird mit weiteren Modifikationen zu einem Kernkonzept der ABCD-Thesen (1990).
Gleichzeitig legen schon Knapp und Knapp-Potthoff (1990) einen linguistisch und
kommunikationswissenschaftlich orientierten Forschungsüberblick zum Thema interkul-
turelle Kommunikation vor, deren Konzeption einer interkulturellen Kommunikations-
fähigkeit für die pragmatisch ausgerichtete Diskussion maßgeblich bleibt.
160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte 1449

Auch wenn gelegentlich nicht von interkultureller Kompetenz, sondern vom Lernziel
Kulturkompetenz (Buttjes 1996) die Rede ist, scheint sich interkulturelle Kompetenz als
zentrale Begrifflichkeit durchzusetzen und ersetzt frühe Diskussionen über interkulturelle
Kommunikation, welche Knapp und Knapp-Potthoff bereits (1990: 66) als „die inter-
personale Interaktion zwischen Angehörigen verschiedener Gruppen, die sich im Blick
auf die ihren Mitgliedern jeweils gemeinsamen Wissensbestände und sprachlichen For-
men symbolischen Handelns unterscheiden“, definiert haben. Hier knüpfen einige der
kulturwissenschaftlichen Ansätze (vgl. u. a. Altmayer 2004a) an, während die als Landes-
kunde bezeichnete Diskussion über spracherwerbsrelevantes soziokulturelles (Hinter-
grund-)Wissen unter erheblichen Handlungsdruck gerät, einer „Entkulturalisierung und
Preisgabe der Inhalte“ (Rössler 2007: 9) im Rahmen standard- und kompetenzorientier-
ter Curricula mit neuen Konzepten zur Auswahl und Sequenzierung von Inhalten zu be-
gegnen.

2.6. Kulturwissenschatliche Ansätze

Auch wenn die wissenschaftliche Fundierung der Landeskunde bereits ein zentrales Desi-
derat älterer Debatten darstellt (vgl. u. a. Wormer 2004) bildet sich im Zuge disziplin-
übergreifender Entwicklungen (vgl. Art. 154) unter dem Terminus kulturwissenschaftliche
Ansätze seit der Jahrtausendwende ein eigenständiger fremdsprachenwissenschaftlicher
Diskursstrang heraus, der sich einerseits nur noch partiell auf landeskundliche Fragestel-
lungen und Inhalte bezieht, der andererseits neben interkulturellem Lernen und interkul-
tureller Kompetenz das Konzept Landeskunde in seiner tradierten Bedeutung als Lehr-/
Lern- und Forschungsgegenstand grundsätzlich herausfordert, wenn nicht gar abzulösen
im Begriff ist.
Dabei stellen kulturwissenschaftliche Ansätze kein klar zu erfassendes, methodisch
oder inhaltlich definierbares Paradigma, sondern vielmehr ein komplexes Konglomerat
unterschiedlichster Forschungsschwerpunkte und -gegenstände dar, denen u. a. „der
Blick auf die Konstruktion kollektiver Sinnstiftung bzw. Orientierungsmuster (und) das
Aufbrechen der unglücklichen Verquickung von Kultur, Nation und Sprache“ gemein-
sam ist (vgl. Schmenk 2006: 267).
Kulturwissenschaftliche Ansätze in den Philologien sind auf zumindest drei Diskussi-
onsebenen zu verorten: Neben der v. a. in der Anglistik mittlerweile etablierten Diskus-
sion über eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Literatur- bzw. Textdidaktik stehen
die unter den Konzepten sociocultural paradigm und language socialization insbesondere
im angloamerikanischen Kontext betriebene, kulturwissenschaftlich fundierte Sprach-
erwerbsforschung sowie schließlich die Versuche einer kulturwissenschaftlichen Transfor-
mation der Landeskunde im deutschsprachigen Raum (vgl. Hu 2005). In der stark litera-
turwissenschaftlich orientierten, kulturwissenschaftlichen Textdidaktik werden die neu-
eren Literatur- und Kulturwissenschaften als Bezugswissenschaften der Literatur- und
Textdidaktik verstanden, um über theoretisch-konzeptionelle Bezüge auf cultural studies,
gender studies und postcolonial studies das Verhältnis von Literatur, Kultur und Fremd-
sprachendidaktik neu zu bestimmen. Vereinzelte Konzepte ⫺ z. B. Intertextualität, Nar-
rativität, Performativität ⫺ werden in ihrem Nutzen für die (Fremdsprachen-)Didaktik
als theoretische Disziplin und für die Unterrichtspraxis reflektiert (vgl. exemplarisch Hal-
let 2002), wobei die kulturtheoretische Aktualisierung des fremdsprachendidaktischen
1450 XVII. Landeskunde

Begriffs- und Kategorieninventars mehr oder minder direkt in didaktisch-methodische


Ansätze überführt wird, während die Reflexion kulturtheoretischer Impulse in ihrer
Rückwirkung auf methodologische Fragestellungen und empirisch fundierte Modellbil-
dung einen eher sekundären Stellenwert einnimmt.
Insbesondere im angloamerikanischen Diskurs kommt der sozial- und kulturtheoreti-
schen Rekonzeptualisierung des Zusammenhangs von individuellen Sprachlernprozessen,
sozial-kommunikativen Praktiken und kulturellen Kontexten mittlerweile ein zentraler
Stellenwert zu. Nicht mehr interkulturelles (Fremdsprachen-)Lernen, sondern sprachli-
ches Lernen als sozial-kommunikative Praxis in kulturell heterogenen Feldern (vgl.
Phipps und Gonzales 2004) steht im Zentrum der Diskussion. Mit der Etablierung des
soziokulturellen Paradigmas der Spracherwerbsforschung (vgl. exemplarisch Lantolf
2000; vgl. auch Art. 83 und 90) und in verwandten Forschungsansätzen wie den language
socialization studies (vgl. exemplarisch die Beiträge in Kramsch 2002), rücken soziale,
kontextuelle und kulturelle Faktoren des Spracherwerbs, v. a. der Zusammenhang von
Sprachlernprozessen, soziokultureller Partizipation und personaler Identitätskonstruk-
tion ins Zentrum des theoretischen und empirischen Interesses der neueren Fremdspra-
chenlehr-/-lernforschung (vgl. u. a. Levine 2008; Pietzuch 2009).
In weitaus stärkerem Maße, als dies im Bereich DaF/DaZ geschehen ist, findet in der
Anglistik bereits seit den 1980er Jahren eine kulturwissenschaftliche Transformation der
Landeskunde über die Adaption von Fragestellungen, Gegenständen und Methoden der
cultural studies statt. Auch wenn Altmayer (2004b) diese, in ihrem Birminghamer Ur-
sprung mit politischen Engagement auftretende Forschungsprogrammatik für DaF-spe-
zifische Erkenntnisinteressen und Praxisbedarfe nur als bedingt geeignet einschätzt,
könnte die macht- und ideologiekritische Fokussierung migrations- und integrationsbe-
zogener Fragestellungen vor allem der DaZ-Landeskunde neue Anregungen verleihen.
Schließlich beziehen aktuell VertreterInnen der Romanistik eine explizit kulturwissen-
schaftliche Position, hierbei steht die kulturwissenschaftliche Fundierung der romanisti-
schen Landeskunde im Fokus der Diskussion. Insbesondere die Arbeit von Schumann
(2000) zeigt in ihrer Abkehr von kognitivistischen, verhaltensorientierten oder essentialis-
tischen Referenzkonzepten und ihrer sozialkonstruktivistischen Akzentuierung der Ge-
nese und Funktion kollektiver Be-/Deutungssysteme innovative Wege zur Weiterentwick-
lung der Landeskunde und interkulturellem Lernens auf, wobei sie eher unterrichtsprak-
tische Fragestellungen verfolgt. Im Bereich DaF/DaZ nimmt der texttheoretisch und
hermeneutisch fundierte, empirisch ausgerichtete Ansatz von Altmayer (2004a) eine pro-
minente Stellung ein.

3. Herausorderungen

Es wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein, die unterschiedlichen Diskursstränge auch
über die Fächergrenzen hinaus zusammenzuführen, egal unter welchem begrifflichen Eti-
kett dies geschieht. Der Bereich, durch den die verschiedenen Ebenen der Landeskunde
dabei zusammengeführt werden müssen, ist die Forschung. Der Landeskunde ⫺ wie auch
den Diskurssträngen interkulturelles Lernen, interkulturelle Kompetenz und den diver-
sen kulturwissenschaftlichen Ansätzen ⫺ mangelt es vor allem an empirischer Grundla-
genforschung mit der beispielsweise anhand qualitativer Studien (möglichst Longitudi-
160. Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte 1451

nalstudien) Wirkungsweisen und Nachhaltigkeit der Vermittlung landeskundlicher The-


men im Sprachunterricht untersucht oder etwa dem komplexen Feld interkulturellen
Lernens und interkultureller Kompetenz verstärkt substantielle und weniger spekulative
Erkenntnisse abgerungen werden. Auch wenn die Forschung das zentrale Element dar-
stellen wird, muss dabei klar sein, dass es letztlich um theoretischen Erkenntnisgewinn,
vor allem aber auch um die Optimierung der Vermittlung geht.

4. Literatur in Auswahl
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Veeck, Reiner und Linsmayer, Ludwig


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Uwe Koreik, Bielefeld (Deutschland)


Jan Paul Pietzuch, Bielefeld (Deutschland)

161. Sprachbezogene Landeskunde


1. Begriffsverständnis
2. Begriffsgeschichtliche Aspekte
3. Inhaltliche Aspekte
4. Methodische Aspekte
5. Literatur in Auswahl

1. Begrisverständnis
Sprachbezogene Landeskunde kann als ein Oberbegriff verstanden werden, unter dem
integrative Unterrichtskonzepte für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache zusammenge-
fasst werden, welche die Berücksichtigung des Zusammenhangs von Sprachenlernen und
Kulturvermittlung/Kulturverstehen im Fremdsprachenunterricht (Interdependenz) zum
zentralen Anliegen haben. Eine solche Landeskunde ist kommunikativ und interkulturell
konzipiert und unterscheidet sich in dieser Akzentuierung von einer eher explizit angeleg-
ten, gegenstandsbezogenen oder auch problemorientierten Landeskunde. Sprachbe-
zogene Landeskunde im engeren Sinne wird auch als implizite, sprachinhärente oder
sprachimmanente Landeskunde bezeichnet (Lüger 1991: 14⫺15). In der auf Lernstufen
gerichteten Unterrichtspraxis wird sprachbezogene Landeskunde häufig nur mit der ers-
ten Lernstufe (frühes Deutsch) verbunden, die sich besonders mit dem Kulturwortschatz
im Sinne der kulturellen Dimension sprachlicher Zeichen befasst. In der weiteren Pro-
gression ist die ausgeprägte Verknüpfung von sprachbezogener Landeskunde mit funkti-
onal-expliziter Kontext-Landeskunde eine Voraussetzung für kulturelles Verstehen. Als
Ort der Begegnung mit Zielsprache und Zielkultur ist der Deutschunterricht zwar immer
auch implizit landeskundlich, aber erst durch methodische Implikationen kann Landes-
kunde im Sinne von Sprachenlernen als „Kulturlernen“ realisiert werden (Krumm 1999:
32). Ihre konsequente Ausprägung findet die sprachbezogene Landeskunde daher im
interkulturellen Ansatz der Landeskunde im Kontext der Erweiterung der kommunikati-
ven zur interkulturellen Didaktik (Pauldrach 1992: 7).
161. Sprachbezogene Landeskunde 1455

Sprachbezogene Landeskunde ist nicht nur für den Fremdsprachenunterricht, son-


dern auch für den Unterricht in Deutsch als Zweitsprache relevant. In den Integrations-
kursen findet das Prinzip z. B. Anwendung, um in Sprachkursen den Kursteilnehmern
mit der zweiten Sprache zugleich Wissen und Fertigkeiten hinsichtlich alltagskultureller
Kommunikation zu vermitteln. In darauf aufbauenden Orientierungskursen verschiebt
sich der Schwerpunkt hin zur Behandlung von Themen, welche eher der kognitiven Lan-
deskunde nahestehen wie Kultur, Geografie, Geschichte, Politik, Recht, Wirtschaft (Bun-
desamt 2009).
Didaktisches Ziel einer integrativ konzipierten sprachbezogenen Landeskunde ist es,
in jeder Lernstufe den Lernprozess zu optimieren und die Motivation der Lernenden zu
erhöhen, indem Interesse und Neugier an der Erschließung fremdkultureller Inhalte ge-
weckt werden. In Abgrenzung zu systematischen, primär auf komplexe Darstellung einer
objektiven Wirklichkeit der Länder der Zielsprache gerichteten Konzepte geht es bei der
sprachbezogenen Landeskunde sozusagen um den bewusst „in den Lernprozess inkorpo-
rierten landeskundlichen Stoff“ (Helbig 1986: 45). In methodischer Hinsicht steht der
Erwerb von Strategien und Techniken zur Erschließung der in Sprache gefassten landes-
kundlichen Elemente als Beitrag zur Entwicklung der interkulturellen Kompetenz durch
die Lernenden im Mittelpunkt.
Dieses Begriffsverständnis ist von einem seit den 1970er Jahren sich vollziehenden
Paradigmenwechsel geprägt, der sich durch die Hinwendung zur Alltagskultur als einer
alle Lebensbereiche, -gewohnheiten und -äußerungen zwischenmenschlicher Beziehungen
einschließenden Kulturauffassung auszeichnet und dadurch die sinnvolle Verknüpfung
des auf kommunikative Fertigkeiten zielenden Spracherwerbs mit kulturellen Zielen und
Inhalten erst möglich macht. Landeskunde ist demnach an den Sprachunterricht gebun-
den, geht entweder von Sprache in ihren verschiedenen Präsentationsformen aus oder
führt zu ihr hin, weil im Interesse der Entwicklung von kommunikativen Fertigkeiten
nicht nur die fremdsprachlichen Mittel und die Regeln des situativen Gebrauchs, sondern
auch die soziokulturellen Bezüge, Hintergründe und Kontexte von Bedeutung sind.
Sprachbezogene Landeskunde muss nicht unbedingt auf ein bestimmtes methodisches
Konzept festgelegt werden oder allein Gegenstand der Linguistik sein, sondern kann sich
auf die ganzheitliche Tradition des Fremdsprachenunterrichts in Deutschland berufen,
die bis an das Ende des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Im Hinblick auf einen modernen
Fremdsprachenunterricht sollte der Spracherwerb statt eines Neben- oder Nacheinanders
„als Prozess der gleichzeitigen Integration sprachlichen und soziokulturellen Wissens an-
gesehen werden“ (Buttjes 1989: 84). Sprachbezogene Landeskunde kann somit als ein
didaktisches Prinzip charakterisiert werden, das sich nicht nur durch die Kombination
von Sprachvermittlung und kultureller Information konkretisiert (…)“ (ABCD 1990:
60), sondern generell auf einen integrativen und ganzheitlichen Lernprozess abzielt, der
die erkenntnis- und handlungsorientierte Erschließung der fremden Welt in Bezug auf
die eigene Welt zum Ziel hat.
In der seit den 1980er Jahren einsetzenden interkulturellen Akzentuierung wurden
sprachliches und kulturelles Lernen als gleichberechtigte Lernziele behandelt. Die kon-
frontative Semantik war für diese Phase eine der wissenschaftlichen Grundlagen des or-
ganisierten sprachbezogenen interkulturellen Lernens. In das Zentrum der didaktischen
Überlegungen rückte „insbesondere der Zusammenhang zwischen kulturspezifischer
Wertorientierung, sprachlichem Handeln und Sozialisation“ (Müller-Jacquier 2001:
1230). Sprache muss in ihrer Kontaktfunktion, der Herstellung von Beziehungen zwi-
1456 XVII. Landeskunde

schen Kulturen unter Berücksichtigung der zeitlichen, räumlichen und sozialen Bedin-
gungen, vermittelt werden und ist auf die Entwicklung sprachlicher und sozialer Kompe-
tenz gerichtet. In einem ganzheitlich und integrativ verstandenen interkulturellen Kon-
zept von Landeskunde wird in der Aneignung landeskundlichen Wissens eine wesentliche
Bedingung für adäquate Sprachverwendung gesehen (Weimann und Hosch 1993: 516).
Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sind in der Fremdsprachendidaktik ver-
schiedene, nicht strikt voneinander zu trennende Grundpositionen auszumachen: a) eine
eher kulturwissenschaftlich begründete Position, die sich aufgrund der Vieldeutigkeit des
Kulturbegriffs in verschiedene Richtungen auffächert (Altmayer 2004: 51). Sie stellt sich
beispielsweise als Konzept kulturwissenschaftlicher Textanalyse dar, das u. a. beim Zu-
sammenhang zwischen Wortbedeutungen und soziokulturellem Rahmen ansetzt (Alt-
mayer 2004: 225); b) eine fremdsprachendidaktische, lerntheoretische Richtung, in der
z. B. wie im D-A-CH-Konzept (vgl. Art. 167) vom Lernprozess als Integration von lan-
deskundlichem Lehren und Lernen im Kontext interkulturellen Lernens ausgegangen
wird (Hackl, Langner und Simon-Pelanda 1998: 7⫺8). Auch die Interkulturelle Sprachdi-
daktik reklamiert die Integration der Landeskundevermittlung in den Spracherwerb als
nicht unerheblichen Beitrag für die Prägung des Begriffs „Interkulturelles Lernen“
(Gnutzmann und Königs 2006: 6). „Landeskunde“ gilt in interkulturellen fremdspra-
chendidaktischen Ansätzen auch als ein Element interkultureller Kompetenz, wobei tra-
ditionelle landeskundliche Inhalte als facts & figures mit fremdsprachlicher Kompetenz
verbunden werden (Volkmann 2002: 28); c) in primär kommunikationstheoretischen An-
sätzen tritt zum Beispiel an die Stelle von landeskundlichem das kulturspezifische Wis-
sen, welches als funktionales spezifisches Wissen über andere Kommunikationsgemein-
schaften angenommen wird und prinzipiell unvollständig ist. Die Beziehung zur Sprache
stellt sich hierbei als Wissen über Sprache und kulturadäquater Sprachverwendung dar
(Knapp-Potthoff 1997: 200⫺202).

2. Begrisgeschichtliche Aspekte

Die Frage nach der Verbindung von Sachlichem und Sprachlichem im Fremdsprachen-
unterricht geht bis zu dessen Anfängen zurück, z. B. in der natürlichen Grundorientie-
rung mit dem methodischen Aspekt der sinnlichen Anschauung als Ausgang des fremd-
sprachigen Lehrprozesses (Apelt 1991: 118).
Man kann die Wurzeln sprachbezogener Landeskunde mit Christ (1979: 80) bis Wil-
helm von Humboldt zurückverfolgen, „der von der Grundannahme ausgeht, dass alle
Sprachen historische und soziale Phänomene sind und dass sie folglich Kenntnisse und
individuelle und kollektive Erfahrungen aufbewahren und somit einen großen Teil der
Reichtümer einer Kultur“ darstellen. Ihre Vorläufer findet die sprachbezogene Landes-
kunde insbesondere bei den Verfechtern der natürlichen Lernmethode in der Zeit der
Reform des neusprachlichen Unterrichts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit
deren Forderung nach Verbindung von Sprach- und Sachunterricht in Studientexten für
den Fremdsprachenunterricht. Parallel zu den sprachintegrativen Ansätzen und teilweise
in Konkurrenz zu ihnen existierten solche Ansätze fort, in denen die Landeskunde als
eigenständiges Element behandelt wurde, aber zugleich auch als Anwendungsfeld für
erworbene Sprachfertigkeiten galt und sich in kulturellen Inhalten von Sprachlerntexten
161. Sprachbezogene Landeskunde 1457

manifestierte. In einer als „Wesenskunde“ verstandenen kulturkundlichen Landeskunde,


seit etwa dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, offenbarte sich deren Anfälligkeit für
ideologische Instrumentalisierung, was in der Zeit der Herrschaft des Nationalsozialis-
mus in Deutschland extrem in pseudowissenschaftlichen kulturvergleichenden Methoden
zur Beweisführung einer angeblich moralisch-kulturellen Überlegenheit des „deutschen
Wesens“, in biologistischen Typologisierungen von Rassen und Völkern zum Ausdruck
kam. Dadurch wurden aufklärerisch humanistische Ansätze zurückgedrängt, und in der
Konsequenz erschien die kulturkundliche Landeskunde noch lange Zeit nach dem Ende
des 2. Weltkrieges in einem anrüchigen, manipulatorischen Licht (Briesemeister 1976:
169), was zugleich die Annahme bestärkte, dass mit dem Sprachunterricht kulturelle
Aspekte automatisch realisiert würden.
Nach 1945 war in der Bundesrepublik Deutschland die Kulturkunde noch einige
Jahre vom Fremdsprachenunterricht getrennt. Man verzichtete angesichts der negativen
Erfahrungen aus der ethnozentrischen und chauvinistischen Kulturkunde zunächst völlig
auf curricular fixierte kulturelle Zielstellungen im Fremdsprachenunterricht. In der Deut-
schen Demokratischen Republik wurde der Fremdsprachenunterricht frühzeitig nach
dem Muster des Russischunterrichts auch zur Vermittlung marxistisch-leninistisch gedeu-
teten Sachwissens und sozialistischer Wertevermittlung benutzt. Der Landeskunde wurde
offiziell aus diesem Grund, aber auch aus fachlichen Erwägungen heraus ein hoher Stel-
lenwert zugemessen, was nicht nur für ihre gegenstandsbezogene, sondern auch für ihre
sprachbezogene Variante zutraf.
In der Bundesrepublik Deutschland wurde der Fremdsprachenunterricht in den
1950er Jahren durch die Übernahme von Wertvorstellungen des englisch-amerikanischen
Kulturkreises durch das Partnerschaftskonzept geprägt, wodurch kulturelle und pädago-
gische Lernziele wieder verstärkt ins Blickfeld rückten (Neuner 1994: 19). In den 1960er
Jahren entwickelte sich parallel mit neuen Sprachvermittlungsmethoden und in Verbin-
dung mit demokratischen und weltoffenen bildungsreformerischen Ansätzen das Kon-
zept einer in den Sprachunterricht integrierten situativen und dialogisierenden Landes-
kunde. Der u. a. durch Lado inspirierten audiolingualen Methode waren kulturelles Ko-
lorit (cultural notes) und explizite landeskundliche Themen (cultural matters) im Sinne
der Einheit von expressions und content immanent (Apelt 1991: 189). Dieser Ansatz einer
sprachbezogenen Landeskunde brachte zwar kein geschlossenes methodisches Konzept
hervor, leitete aber eine Trendwende ein, indem die individuellen sozialen Erfahrungen
der Lernenden über kulturelle Alltagsthemen ein zunehmend wichtiger Aspekt zur Ziel-
und Inhaltsbestimmung des Fremdsprachenunterrichts Deutsch wurden, in ihrer Wir-
kung allerdings eingeschränkt durch lebensferne Lehrbuchtexte und die durch pattern
drill schematisierten und stereotypisierten landeskundlichen Elemente.
Die entscheidende Zäsur auch für die sprachbezogene Landeskunde ist gegen Ende
der 1960er Jahre als pragmatische oder kommunikative Wende bekannt geworden, und
zwar im Zusammenhang mit einer Konstellation für „eine neue Konzeption des fremd-
sprachlichen Unterrichts“ (Neuner und Hunfeld 1993: 83), die zur Durchsetzung eines
funktional-pragmatischen kommunikativen Unterrichts auf der inhaltlichen Basis all-
tagskultureller Themen und authentischer Texte und Materialien führte. Zu den wissen-
schaftlichen Entwicklungen, welche diese Konstellation bewirkten, gehörten Erkennt-
nisse der pragmatischen Linguistik, die auf die Erschließung der soziokulturellen Bedeu-
tung sprachlicher Erscheinungen und auf wirklichkeitsadäquaten Sprachgebrauch
hinwiesen und die angewandte Linguistik zu einer wichtigen Bezugswissenschaft sprach-
1458 XVII. Landeskunde

bezogener Landeskunde werden ließ. Verschiedene Einflüsse und Impulse sozialwissen-


schaftlicher und kulturanthropologischer Richtungen aus der Romanistik und der Ang-
listik/Amerikanistik trugen dazu bei, eine einseitig sprachdidaktisch und sprachwissen-
schaftliche Sicht auf landeskundliches Lernen zu verhindern. Situativität, Kontextualität,
Aktualität und Authentizität wurden zu Schlagworten, in denen der stärkere Wirklich-
keitsbezug des Sprachunterrichts und die Einheit von Verstehen und Handeln als Ziel
des Fremdsprachenunterrichts zum Ausdruck kamen. Sprachbezogene Landeskunde
wurde als eine implizite Landeskunde verstanden, die „im Vokabular, in der Idiomatik
und in den Texten einer Sprache“ (Firges und Melenk 1982: 119) vorhanden ist.
Das in der sowjetischen Linguistik maßgeblich durch E.M. Verescagin und W.G.
Kostomarow Ende der 1960er Jahre entwickelte Konzept einer Linguolandeskunde, von
denselben auch als sprachbezogene Landeskunde bezeichnet, kann als ein Versuch ange-
sehen werden, eine Brücke zwischen expliziter und impliziter bzw. immanenter Landes-
kunde zu bauen. Der linguolandeskundliche Ansatz geht davon aus, dass die national-
kulturelle Semantik alle sprachlichen Ebenen durchdringt und damit auch erschließbar
sein müsste. Am deutlichsten käme diese national geprägte Kultursemantik in sprachli-
chen Einheiten zum Ausdruck, „die unmittelbar die außersprachlichen Realitäten wider-
spiegeln, indem sie die Gegenstände und Erscheinungen der Umwelt begrifflich prägen
und benennen. Zu diesen Einheiten gehören Wörter, stehende (oder feste) Wortfügungen
und sprachliche Aphorismen“ (Bogatyrewa 1994: 99⫺100). Anliegen des auch von der
Fremdsprachendidaktik in der DDR aufgegriffenen Konzepts war es, den Studierenden
„die Bekanntschaft mit dem Land der Zielsprache, mit seinen Menschen und ihrer Kultur
im Prozess der Sprachaneignung ⫺ ausgehend von der Wortbedeutung ⫺ zu vermitteln“
(Herrde und Marnette 1989: 24). Dieser Ansatz bedeutete jedoch keine linguistisch und
didaktisch begründete Integration, erwies sich zudem als ideologiebetont und setzte bei
der Umsetzung gesellschaftlich relevanter landeskundlicher Ziele auf vordergründig lan-
deskundliche Materialien (Helbig 1983: 95). In der aus fremdsprachendidaktischer Per-
spektive geführten Auseinandersetzung mit der Linguolandeskunde kristallisierte sich in
den 1980er Jahren in der DDR das „landeskundliche Prinzip“ des Fremdsprachenunter-
richts heraus, das sich nicht primär an einem wissensorientierten „Landesbild“ orien-
tierte, sondern von der kommunikativen Kompetenz der Lernenden als zentralem Lern-
ziel ausging und auf methodische Wege zur Integration von Landeskunde und Spracher-
werb hinwies (Uhlemann 1982: 157).
Sozialwissenschaftliche Ansätze beeinflussten den landeskundlichen Sprachunterricht
auf der Suche nach begründeten integrativen Konzepten, in dem sie den Fremdsprachen-
unterricht z. B. „als Verständigung über Bedeutungen und deren historischen, gesell-
schaftlichen, schichtenspezifischen, gruppenspezifischen und individuellen Sinn“ (Baum-
gratz 1982: 182⫺183) ansahen. Auch die Bedeutung eines von der Semiotik beeinflussten
landeskundlichen Ansatzes liegt weniger in einer methodisch praktikablen Überwindung
der Trennung von sprachlichen und landeskundlichen Zielen, sondern in der Argumenta-
tion für eine auf den Grundbegriffen Syntax, Semantik und Pragmatik beruhende Deko-
dierungsstrategie von verbalen und nonverbalen Zeichen, die für die sprachbezogene
Landeskunde nutzbar gemacht werden könnte. Dieser Ansatz galt vor allem als ein für
kognitive Lernertypen geeigneter Weg, um kulturelle Missverständnisse zu vermeiden,
indem kulturelle sets (Kleidung, Frisur, Benehmen etc.) in ihrem kulturspezifischen Zu-
sammenschluss zu pattern erkennbar werden und so eine sinnstiftende „Syntax der Kul-
tur“ aufgebaut werden könnte (Köhring und Schwerdtfeger 1976: 60).
161. Sprachbezogene Landeskunde 1459

Im Ergebnis der miteinander konkurrierenden und sich gegenseitig beeinflussenden


konzeptionellen Ansätze setzte sich für den Fremdsprachenunterricht Deutsch letztlich
eine integrative Richtung durch, die von Weimann und Hosch (1993) als kommunikati-
ver Ansatz bezeichnet wurde. Der Landeskunde wurde in einem informations- und hand-
lungsorientierten Fremdsprachenunterricht die Funktion zugewiesen, das „Gelingen
sprachlicher Handlungen im Alltag und das Verstehen alltagskultureller Phänomene“ zu
unterstützen (Weimann und Hosch 1993: 516).
In einer zweiten Phase der kommunikativen Periode, ihrer interkulturellen Akzentuie-
rung, wurde vor allem unter dem Einfluss von Kulturanthropologie, Linguistik und Psy-
chologie die auf alltagskulturellen Inhalten basierende „thematisierend informativ-inter-
aktive“ Landeskunde (Koreik 1995: 34) um die Sicht auf eigenkulturell geprägtes Wahr-
nehmen der fremden Welt und die Entwicklung entsprechender Lernstrategien ergänzt.
Damit wurde eine wichtige Voraussetzung zum vertieften Verständnis der sprachbezoge-
nen Landeskunde als ein fremdsprachendidaktisches Prinzip geschaffen.
Landeskundliches Lernen wurde nun selbst zum Thema und zwar als „Aneignung
fremder soziokultureller Bedeutungen unter den Bedingungen des gesteuerten Fremd-
sprachenerwerbs“ (Buttjes 1982: 146) und als Fremdverstehen über die Ausprägung von
Fähigkeiten zur Empathie, des Perspektivwechsels, der Einsicht in die Vielfalt der Kultu-
ren. Eine Folge der daraufhin immer intensiveren Verflechtung von Landeskunde und
Spracherwerb war eine Neubestimmung des Stellenwerts der Landeskunde als Bestand-
teil eines interkulturellen Lernprozesses, durch den die Kultur der Zielsprache in Aus-
einandersetzung mit den Normen der eigenen Kultur zum Thema gemacht wird (Krumm
1992: 16).

3. Inhaltliche Aspekte

Wenngleich sprachbezogene Landeskunde nicht die landeskundlichen Gegenstände als


Ausgangspunkt der Didaktik und Methodik setzt, kann sie nicht auf mehr oder weniger
zufällige landeskundliche Inhalte vertrauen, welche dem präsentierten Sprachlernstoff
innewohnen, da dieser Automatismus die Einheit der kulturellen und sprachlichen Lern-
ziele gefährden, wenn nicht gar verhindern würde. Dass die für den Gegenstand der
Landeskunde charakteristische inhaltliche Komplexität und Weite nicht auf den Sprach-
unterricht übertragen werden kann, ist ebenso allgemein anerkannt wie die daraus zu
schließende Erkenntnis, dass der landeskundliche Stoff ausgehend von den Sprachlern-
zielen ausgewählt werden muss. Die bewusst auszuwählenden Inhalte werden durch das
jeweilige dem Fremdsprachenunterricht zugrundeliegende Konzept und dem damit kor-
respondierenden landeskundlichen Ansatz bestimmt. Die Inhalte stellen sich zunächst als
landeskundliche Themen und Texte dar, die dazu beitragen sollen, „(…) dass nicht nur
die Bedeutungen und Regeln der Sprache erlernt werden, sondern die Lernenden auch
die fremde Realität kennen lernen“ (Simon-Pelanda 2001: 931). Diese Realität manifes-
tiert sich nicht nur in komplexen landeskundlichen Einheiten, sondern auch in kleineren
textlichen sowie in syntaktischen, morphologischen und lexikalischen Phänomenen.
Schon wegen der Vielfalt der didaktischen Rahmenbedingungen und Sprachlernkon-
zepte kann es keine universell gültigen landeskundlichen Themenkataloge geben. Konse-
quent auf die Lernenden bezogene Inhalte einer sprachbezogenen Landeskunde erfor-
1460 XVII. Landeskunde

dern neben der Berücksichtigung allgemeiner Determinanten zur Themenermittlung und


Stoffauswahl wie übergreifende repräsentative gesellschaftlich-politische und institutio-
nelle Faktoren, fachwissenschaftliche und wissenschaftsintegrative Vorleistungen und
fachdidaktische Konzepte den Blick auf allgemeine Sozialisation und individuelle Fakto-
ren der Lernenden. Die unter solchen Kriterien abgeleiteten alltagskulturell-kommunika-
tiven Themen werden auf der Basis elementarer Daseinserfahrungen wie z. B. personale
Identität, Familie, Partnerschaft, Wohnen, Umwelt, Arbeiten, Bildung, Erholung, Ver-
sorgung, Mobilität, Kommunikation, Gesundheit, Normen, Werte, Zeiterfahrung etc.
(Neuner 1994: 23⫺28) didaktisiert.
Für den interkulturell konzipierten Fremdsprachenunterricht dienen Themen und
Subthemen, die auf solchen anthropologischen Grundkategorien beruhen, als wichtige
Orientierungen für die thematische Gestaltung eines kommunikativen Fremdsprachen-
unterrichts (Europarat 2001: 58) und sollten auch als Kriterium für die Auswahl nicht
vordergründig landeskundlicher Texte und Materialien dienen.
Alltagskulturelle und kulturanthropologisch begründete Inhalte können im Unter-
schied zu den objektiven Themen der kognitiven Landeskunde auch nach altersspezifi-
schen Kriterien zugeschnitten werden. Für die Phase der Adoleszenz wären solche einge-
grenzten Themen beispielsweise: „Geschlechterrolle, Partnerschaft und Rivalität; Zusam-
menleben in Gruppen und Ablösung von Autoritäten; Zukunftsperspektiven als
individueller Lebensentwurf und als kollektive Lebensbedrohung“ (Buttjes 1989: 87).
Die institutionelle Vorgabe von Inhalten durch thematische Orientierungen bedarf eines
lernerspezifischen Transfers, welche die aktive Beteiligung der Lernenden einschließt. Zu
den wichtigen Inhalten der sprachbezogenen Landeskunde gehört schließlich auch die
Sprache selbst als Ausdruck der soziokulturellen Vielfalt des deutschsprachigen Raums.

4. Methodische Aspekte
Es gibt für die sprachbezogene Landeskunde keine spezifischen, von den allgemeinen
Methoden des Fremdsprachenunterrichts unabhängigen Methoden. Für den integrativen
Fremdsprachenunterricht kann generell geltend gemacht werden, dass modernes landes-
kundliches Lernen „auf die Kombination von (kognitivem) Wissenserwerb, dem Erfassen
von (affektiven) Steuerungsmechanismen und der Regeln (operativen) Handelns“ zielt
(Hackl, Langner und Simon-Pelanda 1998: 103). Letztlich vollzieht sich der integrative
Spracherwerb über Texte, die als Lerntexte mit landeskundlicher Thematik oder als expli-
zit landeskundliche Verstehenstexte Äußerungsanlass sind oder landeskundliches Wissen
vermitteln (Storch 1999: 157). Nach Penning (1995: 632) können explizit landeskundliche
Texte und Materialien in informationsbetonte und meinungsbetonte Texte unterschie-
den werden.
Hierbei handelt es sich um authentische Texte und Materialien, welche sich besonders
für die Realisierung der landeskundlichen Seite des Lernens eignen. Für diesen Typ von
Texten gibt es spezifische Erschließungsstrategien zur Informationsentnahme, wie sie
etwa von Delmas und Wendt entwickelt worden sind (Bettermann 2001: 1259) oder kom-
plexe integrative Verfahren wie z. B. das von Zeuner (2008: 75) dargestellte Modell zur
integrativen Didaktisierung landeskundlicher Texte. Auch für das Verstehen literarischer
Texte sind spezifische sprachlich-landeskundliche Strategien, z. B. auf der Sprach- und
Stilebene, erforderlich (Ehlers 1998: 433).
161. Sprachbezogene Landeskunde 1461

Bestimmte Strategien und Techniken eignen sich besonders für einen landeskundlich
orientierten Sprachunterricht, der es den Lernenden ermöglicht, die in das Sprachmate-
rial inkorporierten landeskundlichen Inhalte zu erkennen und zu verstehen. Dazu gehö-
ren u. a. Strategien und Techniken der konfrontativen Bedeutungsermittlung in der
Wortschatzarbeit. Hierbei wird die Semantisierung nicht isoliert sprachanalytisch durch-
geführt, sondern als integrativer Lernprozess organisiert, in dessen Ergebnis landeskund-
liche Komponenten von Einzelbedeutungen und Bedeutungsbeziehungen erschlossen
werden können (Müller[-Jacquier] 1994: 63). Im Hinblick auf den Umgang mit kultur-
spezifischen Texten im fortgeschrittenen Niveau bietet sich der kulturtheoretische Ansatz
„kulturelle Deutungsmuster“ an, der kulturelles Lernen an den Kategorien Raum, Zeit,
Identität und Wertorientierungen festmacht (Altmayer 2006: 50⫺56).
Die sprachbezogene Landeskunde wird in der Unterrichtspraxis auch mit expliziter
Landeskunde und kontextualen Verfahren verbunden, die zum Verstehen der zentralen
Lerngegenstände beitragen. Verstehen entsteht allerdings nicht allein über die Ebenen
Lexik, Wortbildung, Syntax und Textstruktur, sondern bedarf auch des Einbeziehens von
Kontextwissen in engerem und weiterem Sinne als landeskundliches Hintergrundwissen
(Lüger 1991: 32). Daher kommen auch solche Strategien, Techniken und Verfahren in
Betracht, die insbesondere der Sprachanwendung dienen, wie z. B. die Suchfragen-Strate-
gie (Müller[-Jacquier] 1994: 82⫺83).
Die Arbeit mit landeskundlicher Lexik fokussiert auf den Umgang mit kulturellen
Schlüsselwörtern und -wendungen, in denen kulturelle Inhalte amalgamiert sind. Die
Kenntnis solcher kulturell angereicherter Begriffe hilft den Lernenden, komplexe Zusam-
menhänge herzustellen und den kulturellen Dialog erfolgreicher zu gestalten. Ausgangs-
punkt für die Identifizierung von Schlüsselwörtern können kommunikative Kategorien
sein, die von thematischen Bereichen (z. B. Öffentlich) ausgehen, als Subthemen kategori-
siert und schließlich in Texten präsentiert werden (Europarat 2001: 54⫺58), welche kul-
turspezifischen Wortschatz enthalten (Glabionat u. a. 2005: 216⫺226). Schlüsselwörter
haben in der Regel längerfristigen Bestand, können aber durch aktuelle Verständigungs-
wörter konkretisiert oder variiert werden (z. B. Arbeitslosengeld ⫺ Hartz IV; Kinder-
geld ⫺ Kindergeldsünder; Finanzkrise ⫺ Rettungspaket).
Wie komplex landeskundliche Spracharbeit sein kann, zeigt sich am Beispiel der Ar-
beit mit idiomatischen Wendungen, Sprichwörtern, Redensarten, Parolen und Losungen,
die meist einer historischen und aktuellen Bedeutungs- und Gebrauchsperspektive bedür-
fen. Ihr Ziel ist jedoch nicht der Aufbau komplexen Wissens, sondern die Ermöglichung
von Einsichten in die Weite, Vielfalt und Einzigartigkeit der Welt.
Die Schlüsselphänomene können in Texten und Materialien identifiziert werden, wel-
che sich darauf beziehen, wie Leute wohnen, sich erholen, kontaktieren, am gesellschaft-
lichen Leben partizipieren, sich versorgen, arbeiten, sich bilden und vergnügen, wovon
Leute träumen, wovor sie Angst haben usw. (Weimann und Hosch 1993: 515). Die Spra-
che wird in dieser Sichtweise konsequent in ihrer Kontaktfunktion und in ihren Impulsen
zur Identitätsfindung gesehen. Handlungs- und Verhaltensweisen werden als Erweiterung
landeskundlicher Inhalte verstanden. Um sprachlich und nonverbal ausgedrückte Ver-
haltensweisen in interkulturellen Begegnungssituationen geht es auch im von Heringer
generalisierten Rich Point-Konzept Michael Agars, gekennzeichnet durch sogenannte
„heiße Stellen“ (Hotspots) wie z. B. „Ja und Nein sagen“ und kulturspezifisch angerei-
cherte „heiße Wörter“ (Hotwords) wie z. B. „Schmäh“ und „Heimat“ (Heringer 2004:
162⫺175). Derartige konzeptionelle Ansätze können als sprachlich-kulturelles Erklä-
1462 XVII. Landeskunde

rungs- und Verstehensmuster für den Lernprozess adaptiert und angewendet werden.
Ansätze für einen integrativen Fremdsprachenunterricht bietet auch die Kulturemtheorie
an, welche „das Zusammenwirken von informationstragenden Einheiten in der zwischen-
menschlichen Kommunikation“ in Kulturemen wie z. B. „Begrüßen“ verdeutlicht und
analysiert (Oksaar 2003: 38⫺39).
Eine wichtige Lernunterstützung ist der Einsatz landeskundlich relevanter Bilder (Fo-
tos von Kulturlandschaften und Personen, Kunstbilder, Landkarten, Schaubilder etc.).
Diese dienen nicht nur der Illustration von Texten oder der reinen landeskundlichen
Information. Sie können beispielsweise zu bestimmten landeskundlichen Themen als mo-
tivierender Sprech- und Schreibanlass eingesetzt werden (Macaire und Hosch 1996: 75⫺
98), aber ihre eigentliche Bedeutung für eine sprachbezogene Landeskunde liegt wohl in
der Sensibilisierung für subjektive und verschiedene, oft überraschende Sichtweisen auf
die eigene und fremde Kultur, aber auch in der bildhaften Unterstützung für die Erklä-
rung schwer erschließbarer sprachgebundener „bildhafter“ Sachverhalte oder Symbol-
wörter.
Eine besondere Rolle bei der Gestaltung eines Fremdsprachenunterrichts, in dem kul-
turelles Lernen und Sprachlernen sinnvoll miteinander verbunden werden und zwar nicht
nur als Wahrnehmungsschulung, sondern auch als Verbindungsmöglichkeit von sprachli-
chem und inhaltlichem Lernen über authentische Kommunikationsanlässe kommt dem
Einsatz von Musik- und Bildkunst zu (Badstübner-Kizik 2007: 28). In der Bildhaftigkeit
von Sprache und der Sprachlichkeit von Bildern sowie der Musikalität von Sprache und
der Sprache der Musik, überhaupt im Zusammenspiel der wichtigsten Formen menschli-
cher Kommunikation liegen noch zu erschließende Potenzen für einen ganzheitlichen
Prozess des Spracherwerbs.

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Rainer Bettermann, Jena (Deutschland)

162. Inormationsbezogene Landeskunde


1. Einleitung/Vorbemerkung
2. Historische Entwicklung
3. Landeskunde in der DDR
4. Landeskunde in der kommunikativen Wende
5. ABCD-Thesen
6. Lernort
7. Wissenschaftliche Fundierung und Kulturwissenschaft
8. Informationskompetenz als Medienkompetenz
9. Literatur in Auswahl

1. Einleitung/Vorbemerkung
Ein Blick in die Geschichte des DaF-/DaZ-Unterrichts bestätigt, dass der Landeskunde
im Kontext unterschiedlichster Leitvorstellungen zwar sehr verschiedenartige Aufgaben
zugeschrieben worden sind, die Notwendigkeit von Information und kognitivem Wissen
stand und steht jedoch durchwegs außer Zweifel. Selbst die Reduktion auf ein praktisch-
instrumentelles Verständnis des Sprachunterrichts kann auf die kulturelle Einbettung der
Sprache nicht ganz verzichten, erst recht muss bei der expliziten Verschränkung von
Sprach- und Kulturvermittlung oder in Hinblick auf allgemeine Bildungsziele reflektiert
werden, was aus der/den zu vermittelnde(n) Realität(en) unter welchen Gesichtspunkten
1466 XVII. Landeskunde

auszuwählen ist. Informationsbezogene Landeskunde bedeutet daher den Versuch, das


Wissen, die Analyse- und Verstehenskompetenz von der Fähigkeit zum Sprachhandeln
und von der Kommunikationskompetenz abzuheben.

2. Historische Entwicklung
Informationsbezogene Landeskunde, die sich von einer handlungsorientierten oder inter-
kulturellen Landeskunde abgrenzt, hat ihre historische Grundlage im Wesentlichen in
der Realienkunde. Damit opponierte die Reformbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts
gegen das altphilologische Erbe, gegen die Ausrichtung auf Sprachwissen und Gram-
matikdrill für das Sprachkönnen und entsprechendes Wissen. Die Realienkunde blieb
freilich dem positivistischen Ideal des 19. Jahrhunderts und ihren Wurzeln im enzyklopä-
dischen Denken und dem Kanon der Bezugswissenschaften verpflichtet.
Im Umfeld historischer und bildungspolitischer Entwicklungen wurde die Realien-
kunde in den 1920er Jahren zum Kontrastbegriff der sich entwickelnden Kulturkunde. In
der Gegenüberstellung von Realien und Kultur ist damit früh die Polarisierung zwischen
einem wissensorientierten und einem wertorientierten landeskundlichen Sprachunterricht
zu erkennen, der die Kulturkunde für politische und ideologische Vereinnahmung durch
den Nationalsozialismus anfällig machte.
Anfang der 1970er Jahre bekam der Fremdsprachenunterricht mehrfach neue Im-
pulse. Gefördert von den gesellschaftlichen Umbrüchen Ende der 1960er Jahre kam es
auch in der Bundesrepublik Deutschland zur breiten Etablierung der Sozialwissenschaf-
ten und in den landeskundlichen Referenzwissenschaften selbst zu entscheidenden me-
thodischen und inhaltlichen Neuorientierungen. Lehrstühle für Zeit- oder Wirtschaftsge-
schichte wurden gegründet, Alltagsgeschichte und oral history sollten den erstarrten Wis-
senschaftsbetrieb aufbrechen, die Angewandte Geographie und die Kulturgeographie
etablierten sich, in der Literaturwissenschaft herrschten rezeptionsästhetische und sozial-
geschichtliche Arbeiten vor. Schließlich begann sich der Studienbereich DaF/DaZ auch
in der Bundesrepublik als Wissenschaft zu etablieren.

3. Landeskunde in der DDR


In der DDR galt der landeskundlich orientierte Sprachunterricht als wichtiges Werkzeug,
um die DDR als eigenen Staat mit normalen völkerrechtlichen Beziehungen zu veran-
kern. Die DDR verfocht in der Landeskunde ihre staatliche Souveränität und verwehrte
sich gegen die abwertende Darstellung ihres Landes in der Deutschlandkunde nichtsozia-
listischer Länder. Die Landeskunde beschränkte sich deshalb nicht nur konsequent auf
die Selbstdarstellung, sondern erhielt dazu die Aufgabe, die Verzerrungen des Landesbil-
des zu korrigieren und bestehende Informationsdefizite abzubauen. Die ideologische
Funktionalisierung des Deutschunterrichts verhinderte eine differenzierte und problem-
orientierte Darstellung landeskundlicher Sachverhalte zugunsten der Politpropaganda,
freilich kam es Ende der 1980er Jahre im Kontext der internationalen Forschung auch
innerhalb der DDR zu einer kontroversiellen Landeskundediskussion. (Vgl. Zeuner
1994).
162. Informationsbezogene Landeskunde 1467

4. Landeskunde in der kommunikativen Wende


Die kulturkundlichen Positionen der 1950er Jahre gerieten in der Bundesrepublik
Deutschland in den 1960er Jahren zunehmend in eine Krise. Das didaktische Interesse
galt nicht mehr allgemeinen, neuhumanistischen Bildungsidealen, sondern die Nützlich-
keit der Fremdsprache, ihr Gegenwartsbezug trat wieder in den Vordergrund. In der
Didaktik wurde in der Diskussion wieder auf Elemente der Reformbewegung zurückge-
griffen, wobei die Sprechfertigkeit zur Kommunikationsfähigkeit erweitert wurde. Damit
galt auch das landeskundliche Interesse wieder verstärkt der gegenwartsbezogenen Sach-
information, die pragmatisch orientierte Landeskunde (Melde 1987: 22⫺23) begann sich
zu etablieren. Denn Kommunikation findet in konkreten Situationen statt, deren Ver-
ständnis Hintergrundinformation nötig macht. Sehr deutlich lässt sich das in der bis
dahin einzigen Landeskundemonographie von Erdmenger und Istel (1973) erkennen. Sie
definieren Kommunikationsfähigkeit als die „Beherrschung der sprachlichen Fertigkeiten
und die Kenntnis über den die fremde Sprache verwendenden Kulturbereich“, Landes-
kunde ist daher „Wissensvermittlung für die Bewältigung dieses Prozesses“. Sie bedient
sich dazu „geographischer, geschichtlicher, soziologischer Inhalte, soweit sie der Kom-
munikationsfähigkeit dienlich sind.“ (Erdmenger und Istel 1973: 21).
Im Sprachunterricht folgt daraus die Konzentration auf faktenorientiertes Hinter-
grundwissen und nicht zufällig wird wiederholt die „dienende Funktion“ (Erdmenger
1996: 61) der Landeskunde betont. Da im didaktischen Konzept die individuelle Kom-
munikation dominiert und im Unterrichtskonzept außerdem die Wortschatzvermittlung
eine zentrale Rolle einnimmt, reduziert sich die Landeskunde allerdings über weite Stre-
cken auf linguolandeskundliche Erklärungen. Landeskunde wird damit zu einem, wenn
auch als notwendig angesehenen, Anhängsel des Sprachunterrichts, womit eine Einschät-
zung der Landeskunde gefestigt wird, die sich als „Kontextwissen“ (S. J. Schmidt 1980:
290) bis in die Gegenwart herauf wiederfindet (vgl. Altmayer 2004).
Einen weiteren Anstoß für die Aufwertung der Landeskunde hat schließlich die Neu-
orientierung der Außenkulturpolitik in der Bundesrepublik gebracht, die in den 1970er
Jahren durch die Vermittlung der deutschen Sprache den Aufbau eines positiven
Deutschlandbildes zum Ziel hatte. Die Politik reagierte damit auf Veränderungen des
Kulturbegriffs in der wissenschaftlichen Diskussion. Denn in ihr kam es zu einer Erweite-
rung des Kulturbegriffs: quantitativ, indem die hohe Kultur um die „Literatur und Kunst
in ihrem ganzen Umfang“ und „ein weiteres Verständnis der Lebensverhältnisse“ (Dah-
rendorf, zit. nach Kretzenbacher 1992: 180) ergänzt wurde; qualitativ, wenn der erwei-
terte Kulturbegriff „gegenüber dem traditionellen Kulturbegriff als unlösbarer Bestand-
teil des individuellen Lebens wie der sozialen Beziehungen und der dynamischen gesell-
schaftlichen Entwicklung [erscheint]. Kultur steht dem Menschen nicht gegenüber,
sondern ist Teil seines Menschseins“ (Kretzenbacher 1992: 177).
Doch wie Melde nachweist, führen diese Anstöße vorerst nur zu einer kommunikati-
ven Orientierung instrumenteller Ansätze und außersprachlicher Globalziele und nicht
wirklich zu einer Integration von Landeskunde in den kommunikativen Fremdsprachen-
unterricht. Landeskundliche Kenntnisse werden auf die „Zulieferfunktion von ,instru-
mentellem Kontextwissen‘“ (Melde 1987: 57) reduziert.
Im Zuge der kommunikativen Wende hat man in der Diskussion landeskundlicher
Unterrichtsziele und der damit verbundenen Inhalte auch die explizite Abgrenzung einer
informationsbezogenen Landeskunde versucht. Verlief die Diskussion bis dahin zwischen
1468 XVII. Landeskunde

realkundlichen und kulturkundlichen Ansätzen, die beide die Notwendigkeit kognitiver


Inhalte als selbstverständlich voraussetzten, so führte der kommunikative Ansatz in sei-
ner Konzentration auf Alltagserfahrungen und Alltagssituationen und in Verbindung
mit seinem emanzipatorischen Ziel zur Hinwendung auf praktische Probleme und deren
sprachliche Bewältigung. Dieser handlungsorientierte Aspekt wurde in der Folge von der
informationsbezogenen Landeskunde abgehoben, deren Aufgabe „in der Entwicklung
von Verstehensfähigkeit der fremden Realität gegenüber [liegt]“ (Deutschmann 1982:
246). Die landeskundlichen Informationen werden sozusagen als kognitives Fundament
für erfolgreiches Handeln angesehen. Was der kommunikativen Handlung des Mutter-
sprachlers als implizites Wissen zugrunde liegt, soll durch explizite Information dem
Fremdsprachenlerner nachgeliefert werden, damit sich dieser ebenso erfolgreich im All-
tag des Zielsprachenlandes behaupten kann.
Nun war man zwar nicht mehr der externen Sachlogik eines kanonisierten Wissens
oder der hohen Kultur verpflichtet, es blieb dennoch bei der Weiterführung von nur
unwesentlich modifizierten Themenkatalogen. Vor allem aber geht auch dieses Konzept
noch immer von einer der Kommunikation vorgelagerten objektiven Wirklichkeit aus,
die es sich anzueignen gilt, will man in der fremden Sprache erfolgreich kommunizieren.
In der Folge werden die landeskundlichen Inhalte zunehmend in die Lehrwerke integ-
riert. Im Unterschied zur Einteilung in „Tatsachen über Deutschland“, dem Inbegriff
faktenorientierter Zusatzinformation, stellt nun das Alltagsleben eine wichtige Ergän-
zung dar. Die Ergebnisse von Ammers Lehrwerksanalyse (Ammer 1988) zeigen aller-
dings, wie hoch der Anteil an Informationen auch in kommunikativ orientierten Lehr-
werken ist.

5. ABCD-Thesen
Vor diesem Hintergrund verweisen die ABCD-Thesen (1980) auf den prozesshaften und
dynamischen Charakter der Landeskunde und verzichten bewusst auf „Vollständigkeit
der Informationen im Hinblick auf ein hypothetisches Landesbild“ (These 2). Die Thesen
bilden also den Versuch, die zukunftsweisenden Aspekte der Landeskundediskussion der
1980er Jahre zusammenzufassen und als Aufgabe zu formulieren. Daher plädieren sie
auch im Sinne neuer Orientierungen im Fremdsprachenunterricht für die Abkehr von
enzyklopädischen Ansätzen. Die Landeskunde mahnt damit die weitgehend vernachläs-
sigte Herausforderung der kommunikativen Wende ein, dass nämlich in einem hand-
lungs- und erfahrungsorientierten Fremdsprachenunterricht auch unbestritten notwen-
dige Kenntnisse konsequenterweise weder als Faktenwissen noch als authentischer Kon-
text im Rahmen des Sprachunterrichts nachgeliefert werden dürfen. Wenn Verstehen ein
dialogischer Prozess im Gefüge von Wissen, Verstehensmöglichkeiten und den Verste-
hensvoraussetzungen ist, dann genügt es nicht, semantische Einheiten zu entschlüsseln.
Vielmehr wird dieses Gefüge selbst Teil des Verstehensprozesses, umso mehr, wenn es
sich um kulturell differente Lebenswelten der Dialogpartner handelt. Für den Unterricht
bedeutet dies, dass die Lernenden mittels Projekten die Chance erhalten müssen, selbst
und autonom ein Bild der Zielsprachenkultur entwickeln zu können und sich dabei so-
wohl der eigenen kulturellen Prägung als auch der fremdkulturellen Perspektiven dieses
Bildes bewusst zu werden. Wird die Lernerzentrierung ernst genommen, müssen die
Lernprozesse und die Eigen- und Fremdperspektiven bewusst gemacht und reflektiert
162. Informationsbezogene Landeskunde 1469

werden, muss auf strategisches Wissen mindestens soviel Wert gelegt werden wie auf
Sachinformationen. (Vgl. Hackl, Langner und Simon-Pelanda 1997, 1998).
Krusche betont deshalb das „Prinzip des konkreten Ausgangspunkts“ (Krusche 1997:
77): Denn nicht spezialwissenschaftliche Abhandlungen, sondern der Einstieg über an-
schauliche Details führt zu einem facettenreicheren und komplexeren Bild. Dabei spielt
die Literatur eine zentrale Rolle, jedoch nicht mehr als Objekt und Ziel des Landeskun-
deunterrichts, sondern als ein Mittel, mit dem „die Unterschiede von eigener und fremder
Wirklichkeit und subjektiver Einstellungen bewußtgemacht [!] werden, zumal literarische
Texte gerade dadurch motivieren, daß sie ästhetisch und affektiv ansprechen“ (ABCD
1990: 28). Literatur wird also für den landeskundlich orientierten Sprachunterricht nicht
bloß wegen allfälliger Referenzen zur Wirklichkeit und der in ihr enthaltenen Realitäts-
partikel wichtig. Da wir trotz aller Bemühungen um Authentizität und umfassende Infor-
mation nicht die Wirklichkeit selbst vermitteln, sondern höchstens die Lernenden darauf
vorbereiten können, mit der Wirklichkeit zurechtzukommen, kommen wir im Umgang
mit Fakten und Informationen nicht ohne Interpretationsvorgang zurecht, brauchen wir
Orientierungsfähigkeiten, die sich gerade im Umgang mit Literatur erarbeiten und
üben lassen.

6. Lernort
Der Erwerb landeskundlicher Kompetenz als umfassender kommunikativer und inter-
kultureller Kompetenz ist notwendig auf den Ort des Lernens bezogen. Dies gilt nicht
nur für das spezielle landeskundliche Lernen als erlebter Landeskunde, des konfrontati-
ven Lernens in Nachbarländern oder in Lernsituationen, in denen das fremdsprachliche
Lernumfeld zu konstruieren ist (vgl. Hackl, Langner und Simon-Pelanda 1998: 5), son-
dern besonders für den Bereich Deutsch als Zweitsprache. Hier verlaufen ja nicht nur
die Sprachenlern- und -erwerbsprozesse nichtlinear und im Nebeneinander von ungesteu-
ertem und gesteuertem Erwerb, sondern auch die Aneignung von Orientierungen, Verhal-
tensweisen und notwendigem Wissen zur Teilhabe an den Rechten und gesellschaftlichen
Möglichkeiten. Dass zur Erreichung dieser Ziele vor allem in Integrationskursen die
überholten Themenkataloge erst recht nicht ausreichen, weil „Sprachlern- und -spracher-
werbsprozesse [!] nur dann erfolgreich [sind], wenn sie die nicht nur sprachliche, sondern
auch kulturelle, lebensgeschichtliche, familiale und soziale Heterogenität der Zielgruppe
zum Ausgangspunkt von Lernprogrammen machen“ (Krumm 2007: 176), hat Krumm
in seinem Plädoyer für ein modulares Curriculum überzeugend skizziert.

7. Wissenschatliche Fundierung und Kulturwissenschat


Eine neue Dimension erhält die Frage nach dem Stellenwert von Information und kogni-
tivem Wissen in neueren Bemühungen, das Fach Landeskunde als wissenschaftliche Dis-
ziplin innerhalb der Deutsch als Fremdsprache-Philologie zu fundieren und im fachwis-
senschaftlichen Kontext zu systematisieren. Altmayer bietet hier einen ambitionierten
Vorschlag, Landeskunde zu einer „Kulturwissenschaft als transdisziplinärer Forschungs-
praxis“ (Altmayer 2004: 28) zu entwickeln, wobei Kultur als gemeinsamer Wissensbe-
1470 XVII. Landeskunde

stand begriffen wird, der sich in „Texten“, also in kommunikativen Handlungen einer
Sprachgemeinschaft manifestiert. Diese weitgefassten „Texte“ werden dahingehend ana-
lysiert, inwiefern sie „von jenen als gemeinsam unterstellten lebensweltlichen Wissensbe-
ständen Gebrauch gemacht haben, die wir (…) als ,Kultur‘ ausgemacht haben. ,Kultur‘,
so zeigt sich, besteht nicht aus den ,Texten‘, sie gibt sich aber darin zu erkennen“ (Alt-
mayer 2004: 145). Wie Wormer, der „die Tatsache perspektivierter individueller Bedeu-
tungen und Wahrheiten (einschließlich vermeintlicher Fakten), die immer wieder neu aus-
gehandelt werden müssen, in den Vordergrund [rückt]“ (Wormer 2007: 11), geht es auch
bei Altmayer um eine ⫺ in diesem Fall ⫺ kulturwissenschaftliche Textanalyse, die er als
„Rekonstruktion präsupponierter Deutungsmuster“ (Altmayer 2004: 244⫺250) versteht.

8. Inormationskompetenz als Medienkompetenz


Für die daraus resultierende Interpretations- und Orientierungsleistung ist die Beachtung
der Neuen Medien und der Medienvielfalt selbstverständlich unabdingbar. Allerdings
besteht die Gefahr, dass die Faszination der problemlosen Verfügbarkeit von vielfältigen
Informationen zu einer neuen Diktatur der Fakten führt und uns die Fülle von authenti-
schen und aktuellen Texten den Blick darauf trübt, dass die Aufgabe des Fremdsprachen-
unterrichts nicht das Zur-Verfügung-stellen von Material ist, sondern die didaktische
Reflexion und die methodische Umsetzung der selbstgesteckten und/oder im Curriculum
vorgegebenen Lehr- und Lernziele. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass der Medien-
wandel auch Auswirkungen auf die Schulung der Informationsentnahme haben muss,
dass z. B. das informationsorientierte Lesen des 19. Jahrhunderts als Grundlage des Wis-
senserwerbs nicht mehr ausreicht. Wenn wir von einem erweiterten Textbegriff ausgehen,
müssen wir auch eine erweiterte Lesekompetenz im Sinne einer Medienkompetenz ins
Auge fassen, die neben der sprachorientierten Informationsentnahme das Erschließen
von Grafiken und Tabellen ebenso berücksichtigt, wie das Dechiffrieren visueller oder
habitueller Kodierungen, um auch das Erfassen der inhärenten Deutungsmuster mit ih-
ren kognitiven Wissensaspekten vermitteln zu können.

9. Literatur in Auswahl
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1990 ÖDaF-Mitteilungen 2: 26⫺29.
Altmayer, Claus
2004 Kultur als Hypertext. Zur Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als
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landeskundlichen Inhalts in den Lehrwerken der Bundesrepublik Deutschland von 1955 bis
1985 mit vergleichenden Betrachtungen zum Landesbild in den Lehrwerken der DDR. (Stu-
dien Deutsch 6.) München: iudicium.
Deutschmann, Andreas
1982 Überlegungen zur Landeskundeplanung im Fach „Deutsch als Fremdsprache“ (mit be-
sonderer Berücksichtigung der Studienvorbereitung). In: Rolf Ehnert (Hg.), Einführung
162. Informationsbezogene Landeskunde 1471

in das Studium des Faches Deutsch als Fremdsprache, 223⫺274. (Werkstattreihe Deutsch
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1996 Landeskunde im Fremdsprachenunterricht. Ismaning: Hueber.
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schule Kassel.

Wolfgang Hackl, Innsbruck (Österreich)


1472 XVII. Landeskunde

163. Interkulturelle Landeskunde


1. Einführung
2. Kulturbegriff und interkulturelles Lernen
3. Lehr- und Lernziele interkultureller Landeskunde
4. Inhalte interkultureller Landeskunde
5. Methodische Zugangsweisen
6. Literatur in Auswahl

1. Einührung
Das Konzept der interkulturellen Landeskunde entstand ⫺ obwohl auch kritisiert (vgl.
Thimme 1995) ⫺ in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Es wurde erkannt,
dass Verständigungsfähigkeit in einer Fremdsprache nicht auf die korrekte Verwendung
eines fremden sprachlichen Systems oder die situationsadäquate Verwendung von Spra-
che allein reduziert werden kann. Damit erhielt die Landeskunde eine Aufwertung, denn
Kulturverstehen und Fremdverstehen trat als gleichberechtigtes Lernziel neben das Ziel
fremdsprachlich-kommunikativer Kompetenz. So definierte Buttjes: „Landeskunde
meint alle Bezüge auf die Gesellschaften, deren Sprache im Fremdsprachenunterricht
gelernt wird.“ Dabei „geht es aber weniger um einen Raum oder eine Region (,Land‘)
als um eine sprachlich artikulierte kulturelle Praxis. Es geht auch weniger um einen
abgrenzbaren Wissensbestand (,Kunde‘), als vielmehr um eine sprachlich vermittelte in-
terkulturelle Kompetenz“ (Buttjes 1989: 113).
Der didaktischer Ort des interkulturellen Ansatzes von Landeskunde ist im Fremd-
sprachenunterricht, sein übergeordnetes Ziel besteht in der gleichberechtigten Entwick-
lung von kommunikativer und kultureller Kompetenz im Sinne von Fremd- und Kultur-
verstehen, Inhalte dieser Landeskunde können alle Repräsentationen der Zielkultur im
Unterricht sein, soweit sie für die Lernenden bedeutsam sind (Pauldrach 1992: 6).
Auch im interkulturellen Ansatz ist Wissen über die andere Kultur die Grundlage für
Verstehen, aber zum einen wird dieser Wissensstoff nicht aufgrund möglichst vollständi-
ger Landesbilder wie beim kognitiven Ansatz gewonnen, sondern interkulturelle Landes-
kunde nutzt andere Selektionskriterien für ihre Inhalte. Zum anderen bleibt interkulturell
ausgerichteter Fremdsprachenunterricht nicht bei der Wissensvermittlung stehen und er
will auch nicht in erster Linie Informationen vermitteln. Es geht ihm vor allem um die
Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Umgang mit fremden Kul-
turen und Gesellschaften. Das Wissen über die fremde Welt wird immer vor dem Spiegel
der eigenen sozio-kulturell geprägten Erfahrungen der Lernenden gewonnen. Bekannte
und eingeübte Lebenskontexte des Alltags (Kommunikationssituationen, Rollen, Verhal-
ten) werden konfrontiert mit den relevanten Alltagskontexten für das Handeln in der
fremden Sprache und Kultur (Neuner 1994). Dadurch sollen ethnozentrische Sichtweisen
relativiert, Vorurteile abgebaut und Fremdverstehen (Altmayer 2004: 70⫺71) entwickelt
werden.
163. Interkulturelle Landeskunde 1473

2. Kulturbegri und interkulturelles Lernen


Interkulturelle Landeskunde nutzt einen weiten Kulturbegriff, der über das Verständnis
von Kultur als Resultat menschlicher Tätigkeit hinausgeht und die Perspektive des Men-
schen auf die Welt, übereinstimmende und sich unterscheidende Verhaltens-, Denk-,
Empfindungs- und Wahrnehmungsweisen von Menschen und Menschengruppen termi-
nologisch zu fassen versucht (Altmayer 1997).
In der Literatur zur interkulturellen Landeskunde häufig verwendet wird der Kultur-
begriff von Alexander Thomas, der Kultur als ein für eine Gesellschaft, Organisation
und Gruppe typisches Orientierungssystem definiert, das das Wahrnehmen, Denken,
Werten und Handeln aller ihrer Mitglieder beeinflusst und deren Zugehörigkeit zur Ge-
sellschaft, Organisation oder Gruppe definiert (Thomas 1993: 380). Zentrale Merkmale
einer Kultur nennt Thomas Kulturstandards: „Unter Kulturstandards werden alle Arten
des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns verstanden, die von der Mehrzahl
der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und andere als normal, selbst-
verständlich, typisch und verbindlich angesehen werden. Eigenes und fremdes Verhalten
wird auf der Grundlage dieser Kulturstandards beurteilt und reguliert“ (Thomas 1993:
380⫺381).
Die Kritik an diesem Kulturbegriff fasst u. a. Altmayer (2002) zusammen, der mo-
niert, dass dieses Konzept „nicht in der Lage ist, zwischen einem vermeintlich wissen-
schaftlichen ,Kulturstandard‘ auf der einen Seite und einem verwerflichen, jedenfalls aber
nicht wissenschaftlichen ,Klischee‘ oder ,Stereotyp‘ zu unterscheiden und statt dessen
althergebrachte Stereotype unter dem Deckmantel des Kulturstandardbegriffs mit neuer
pseudowissenschaftlicher Dignität versieht“ (Altmayer 2002: 8). Er versteht Kultur dem-
gegenüber als „jenes ,selbstgesponnene Bedeutungsgewebe‘ […], in das Menschen als
Mitglieder sozialer Gruppen ,verstrickt‘ sind. […] Mit ,Kultur‘ wären demnach vor allem
diejenigen Bestände eines ,lebensweltlichen‘, d. h. von uns als ,normal‘, ,selbstverständ-
lich‘ und allgemein bekannt angenommenen Wissens gemeint, das wir in unseren alltägli-
chen Lebensvollzügen immer schon verwenden, auf das wir aber in aller Regel erst dann
reflektieren, wenn es ⫺ aus welchem Grund auch immer ⫺ in Frage gestellt ist. Kultur,
so könnte man mit der Forschungsrichtung der ,cognitive anthropology‘ auch sagen, ist
geteiltes Wissen (‘shared knowldege‘)“ (Altmayer 2002: 8).
Interkulturelles Lernen als ein zentraler Begriff der interkulturellen Landeskunde
steht für einen mehrstufigen Prozess, der ausgehend von einer kulturellen Begegnungssi-
tuation oder von einem Lehr-Lern-Arrangement zu interkultureller Kompetenz bzw.
Fremdverstehen führen soll, indem durch die Lernenden Fremderfahrungen gemacht
werden (Müller[-Jacquier] 1994a: 155). Voraussetzung ist nach Thomas (1993: 382) ein
Nachdenken über das eigenkulturelle Orientierungssystem, um Eigenes und Fremdes in
Beziehung setzen zu können.

3. Lehr- und Lernziele interkultureller Landeskunde


Das übergeordnete Lehr- und Lernziel interkultureller Landeskunde ist die Entwicklung
interkultureller Kompetenz, die über rein affektive Lernziele wie den Aufbau von Empa-
thie, Offenheit und Toleranz hinausgeht und nach Schinschke (1995: 36⫺38) folgende
1474 XVII. Landeskunde

eng miteinander verbundenen Fähigkeiten beinhaltet: die Fähigkeit, eigenkulturelle Kon-


zepte zu reaktivieren, die Fähigkeit zur Vermittlung zwischen eigener und fremder Kul-
tur, die Fähigkeit, bei Missverständnissen kommunikativ vermitteln zu können und die
Fähigkeit zur Perspektivenübernahme.
Neuner (1994: 29⫺32) und andere konkretisieren dieses übergreifende Lernziel, so
zum Beispiel im Lehrbuch „Sichtwechsel Neu“ (Bachmann, Gerhold, Müller[-Jacquier]
und Wessling 1995, 1996) unter anderem in die Teilziele
⫺ Einsicht in die Bedingungen der Wahrnehmung gewinnen,
⫺ Vergleichskompetenz erwerben,
⫺ Formen und Methoden des Umgangs mit dem Fremden kennenlernen,
⫺ Metakommunikationsfähigkeit erwerben.
In der Auseinandersetzung mit rein affektiven Lernzielen, die im Zusammenhang mit
interkultureller Landeskunde genannt werden (vgl. die Kritik daran in House 1996),
nennt Altmayer (2004) Fremdverstehen im Sinne eines verstehenden Umgangs mit kom-
munikativen Handlungen einer anderen Sprach- und Kulturgemeinschaft als übergreifen-
des Lernziel, das er als einen Prozess der kognitiven und auch kritischen Auseinanderset-
zung begreift, „der zwar von der Erwartung ausgeht, dass die kommunikative Handlung
eines ,Fremden‘ eine prinzipiell rationale und sinnvolle Handlung ist und mir möglicher
Weise (sic!) etwas Wichtiges zu sagen hat, in dessen Verlauf sich diese Erwartung aber
auch als unbegründet erweisen kann.“ (Altmayer 2004: 70⫺71).

4. Inhalte interkultureller Landeskunde


Landeskundliches Lernen wird als exemplarisches Lernen gesehen, das nicht auf die To-
talität seines Gegenstandes abhebt. Bei der Stoffauswahl für eine Lernergruppe geht eine
interkulturell verfahrende Landeskunde konsequent von der Erfahrungs- und Lebens-
welt der Lernenden aus. Themen entstehen idealerweise als generative Themen, die im
Lehr- und Lernprozess gefunden werden und sich im Verlauf des Unterrichts zu Themen-
netzen entfalten können (Badstübner-Kizik und Radziszewska 1998: 13⫺14). Mit Hilfe
anthropologischer Grundkategorien wie zum Beispiel „personale Identität“, „Familie“,
„Partnerbeziehungen“, „Wohnen“ und anderer, die elementare Daseinserfahrungen des
Menschen benennen (Neuner 1994: 23) lassen sich konkrete Themen für interkulturelles
Lernen finden: Die konkreten Ausprägungen dieser Grundkategorien in der Zielkultur
und die Auswirkungen dieser konkreten kulturspezifischen Ausprägungen auf das Leben,
Denken und Fühlen ganz konkreter Menschen ermöglichen Inhalte, die vergleichbar wer-
den mit den konkreten Ausprägungen der Grundkategorien in der Ausgangskultur der
Lernenden.
Als spezifische Lerninhalte für interkulturelles Lernen wären zusätzlich Fragen und
Probleme denkbar, die durch unterschiedliches Kommunikationsverhalten entstehen, wie
zum Beispiel:
⫺ Sprachliche Indikatoren für den Kulturvergleich: Hinterfragen von Begriffsinhalten,
Kommunikationsabläufe und kommunikative Stile, Register und Textsorten;
⫺ Nonverbales Kommunikationsverhalten;
⫺ Interaktionsrituale;
163. Interkulturelle Landeskunde 1475

⫺ Interpersonelle Wahrnehmung und deren Auswirkung auf Kommunikationsabläufe;


⫺ Sprachliche Mittel und Abläufe von Metakommunikation zur Bewältigung und Ana-
lyse kommunikativer Situationen.

5. Methodische Zugangsweisen

Ein grundlegendes Konzept interkultureller Landeskunde ist die Organisation von „Be-
gegnung als reale Face-to-Face-Situation oder über Simulationen, Texte, Lehrwerke“
(Krumm 1998: 528). Diese Begegnung mit der Kultur des Zielsprachenlandes wird über
die drei klassischen Zugänge zur Landeskunde ermöglicht, den Zugang über die Sprache,
den Zugang über die Menschen und ihr Handeln und den Zugang über exemplarische
Manifestationen (Krumm 1998: 537).
Zugang über die Sprache zur Kultur lässt sich finden durch die Vermittlung von
Wissen über sprachliche und kulturelle Kommunikationsnormen und -gewohnheiten
(z. B. in Rollenspielen) sowie Sprachaufmerksamkeitsübungen (House 1996), durch das
Hinterfragen der kulturellen Bedeutungsebene von Wörtern (Müller[-Jacquier] 1994b),
durch Entdecken kulturbedingter Unterschiede in Textstrukturen. Textverstehen selbst
kann auch als „Dekodierung von Kultur“ (Hennecke und Schröder o. J.: 10) verstanden
werden, Texte eröffnen über das unter ihrer Oberfläche liegende präsupponierte Wissen
Zugang zur Kultur, in der sie entstanden sind (Altmayer 2002, 2004).
Fremderfahrungen im interkulturellen Lernprozess (vgl. Müller[-Jacquier] 1994a: 155)
lassen sich im Unterricht besonders gut über handlungsorientiertes Arbeiten machen.
Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und lerneraktiver Unterricht, in
dem die zwischen dem Lehrer und den Lernern vereinbarten Handlungsprodukte die
Gestaltung des Lernprozesses leiten, so dass Kopf- und Handarbeit in ein ausgewogenes
Verhältnis zueinander gebracht werden (Jank und Meyer 1991). Er ermöglicht es beson-
ders gut, das Konzept der Begegnung mit der fremden Kultur (Krumm 1998: 528) zu
verwirklichen, denn Begegnung bedeutet auch immer ein aktives Zugehen auf das, dem
begegnet werden soll. Eine wichtige Methode handlungsorientierten Arbeitens ist die
Projektarbeit (vgl. dazu u. a. Krumm 1991: 5⫺6), die vielfältige Formen und Möglichkei-
ten der Begegnung mit dem Anderen, Fremden und damit Fremderfahrungen als Voraus-
setzung für interkulturelles Lernen ermöglichen.
Exemplarische Manifestationen beschreibt Krumm als diejenigen institutionellen, his-
torischen und kulturellen Gegebenheiten, die das Beziehungsgefüge für unsere Alltags-
kultur herstellen. Als Beispiel nennt er „die Mauer“ in Deutschland: Zweiter Weltkrieg
und Teilung, Ostpolitik und Wiedervereinigung, Fall der Mauer, Mauer im Kopf, Wohl-
standsgraben. Eine der zentralen Manifestationen für den Begegnungsansatz in der Lan-
deskunde stellen für Krumm „Grenzen“ und Grenzerfahrungen dar (Krumm 1998: 537).
Krumm hält Netzwerkbildung in diesem Zusammenhang für ein wichtiges Konzept der
Landeskunde. Ausgehend von der Alltagserfahrung der Lernenden können so systemati-
sche Verknüpfungen entstehen, die „die Gefahr eines <Realiensalates>“ verhindern
können (Krumm 1998: 539).
Ein weiteres wichtiges methodisches Feld für interkulturelle Landeskunde ist die Ar-
beit mit Stereotypen, d. h. mit dem Bild vom Zielsprachenland, das die Lernenden im
Kopf haben und in den Unterricht mitbringen. Dabei geht es wegen der verschiedenen
1476 XVII. Landeskunde

Funktionen von Stereotypen (vgl. u. a. Brunzel 2002: 85⫺89) nicht darum, diese zu be-
kämpfen, sondern die Lernenden „zu einer selbstreflektierenden und intersubjektiven
Herangehensweise [an Stereotype] anzuregen und ihnen somit zu ermöglichen, die Fakto-
ren, Mechanismen und Reaktionen besser zu verstehen, welche innerhalb der interkultu-
rellen Kommunikation zum Tragen kommen“ (Lipiansky o. J.).
Eine weitere wichtige Methode ist das Vergleichen, eine komplizierte sprachliche und
kognitive Tätigkeit, die ein Identifizieren (Gleichheit feststellen), Differenzieren (Unter-
schiede/Nichtgleichheit feststellen) und eine Komparation (Verschiedenheit in der Gleich-
heit messen) einschließt. Damit ist nicht der alltägliche Vergleich, wie ihn Menschen
ständig mehr oder weniger bewusst vollziehen, gemeint, sondern eine bewusste Ver-
gleichshandlung, die am Ende des Verstehensprozesses steht (Pauldrach 1992: 13).
Diese methodischen Zugangsweisen wurden in der einen oder anderen Form in unter-
schiedlichen Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache umgesetzt, die als interkulturelle
Lehrwerke zu einer in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts neuen Lehrwerkge-
neration gehörten. Dies sind zum Beispiel „Sprachbrücke“ (Mebus et al. 1987), „Sicht-
wechsel. Elf Kapitel zur Sprachsensibilisierung“ (Hog, Müller[-Jacquier] und Wessling
1984) und „Sichtwechsel Neu“ (Bachmann et al. 1995). Die Lehrbücher „Typisch
deutsch? Arbeitsbuch zu Aspekten deutscher Mentalität“ (Behal-Thomsen, Lundquist-
Mog und Mog 1993) und „Spielarten. Arbeitsbuch zur deutschen Landeskunde“ (Lund-
quist-Mog 1996) stehen dabei in engem Zusammenhang mit dem in der Reihe „Fremd-
sprachenunterricht in Theorie und Praxis“ erschienenen Band „Die Deutschen in ihrer
Welt ⫺ Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde“ (Mog und Althaus 1992).

6. Literatur in Auswahl

Altmayer, Claus
1997 Zum Kulturbegriff des Faches Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift für Interkulturellen
Fremdsprachenunterricht 2(2). (Online).
Altmayer, Claus
2002 Kulturelle Deutungsmuster in Texten. Prinzipien und Verfahren einer kulturwissenschaft-
lichen Textanalyse im Fach Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift für Interkulturellen
Fremdsprachenunterricht 6(3). (Online).
Altmayer, Claus
2004 Kultur als Hypertext. Zur Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als
Fremdsprache. München: iudicium.
Bachmann, Saskia, Sebastian Gerhold, Bernd-Dietrich Müller und Gerd Wessling
1995/1996 Sichtwechsel Neu Band 1⫺3. Mittelstufe Deutsch als Fremdsprache. München: Klett.
Badstübner-Kizik, Camilla und Krystina Radziszewska
1998 Österreichische, deutsche und polnische Identitäten. Zum neuen Landeskunde-Curricu-
lum an den Lehrerkollegs in Polen. Fremdsprache Deutsch 18: 13⫺17.
Behal-Thomsen, Heinke, Angelika Lundquist-Mog und Paul Mog
1993 Typisch deutsch? Arbeitsbuch zu Aspekten deutscher Mentalität. Berlin/München: Langen-
scheidt.
Brunzel, Peggy
2002 Kulturbezogenes Lernen und Interkulturalität: Zur Entwicklung kultureller Konnotationen
im Französischunterricht der Sekundarstufe I. (Giessener Beiträge zur Fremdsprachendi-
daktik.) Tübingen: Narr.
163. Interkulturelle Landeskunde 1477

Buttjes, Dieter
1989 Landeskunde-Didaktik und landeskundliches Curriculum. In: Karl-Richard Bausch, Her-
bert Christ, Werner Hüllen und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Handbuch Fremdsprachenun-
terricht, 112⫺119. Tübingen: Francke.
Hennecke, Angelika und Hartmut Schröder
o. J. Theoretische und methodologische Überlegungen zum Forschungsgebiet „Interkulturelle
Wirtschaftskommunikation“. Verfügbar unter: http://lipas.uwasa.fi/comm/publications/
interkult/extdoc/4henschro.pdf (09. 09. 2008)
Hog, Martin, Bernd-Dietrich Müller und Gerd Wessling
1984 Sichtwechsel. Elf Kapitel zur Sprachsensibilisierung. Ein Deutschkurs für Fortgeschrittene.
München: Klett Edition Deutsch.
House, Juliane
1996 Zum Erwerb Interkultureller Kompetenz im Unterricht des Deutschen als Fremdsprache.
Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 1(3). (Online).
Jank, Werner und Hilbert Meyer
1991 Didaktische Modelle. Frankfurt a. M.: Cornelsen Scriptor.
Krumm, Hans-Jürgen
1991 Unterrichtsprojekte ⫺ praktisches Lernen im Deutschunterricht. Fremdsprache Deutsch
4: 4⫺9.
Krumm, Hans-Jürgen
1998 Landeskunde Deutschland, D-A-CH oder Europa? Über den Umgang mit Verschieden-
heit im DaF-Unterricht. Info DaF 25: 523⫺544.
Lipiansky, E. Marc
o. J. Heißt interkulturelle Ausbildung Bekämpfung von Stereotypen und Vorurteilen? Verfüg-
bar unter: http://www.ofaj.org/paed/texte/stereot/stereot.html (10. 09. 2008).
Lundquist-Mog, Angelika
1996 Spielarten. Arbeitsbuch zur deutschen Landeskunde. Berlin/München: Langenscheidt und
Warszawa: Wydawnictwo „Rea“ s. j.
Mebus, Gudula, Andreas Pauldrach, Marlene Rall und Dietmar Rösler
1987 Sprachbrücke 1. Deutsch als Fremdsprache. München: Klett Edition Deutsch.
Mog, Paul und Hans-Joachim Althaus
1992 Die Deutschen in ihrer Welt. Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde. Berlin/Mün-
chen: Langenscheidt.
Müller[-Jacquier], Bernd-Dietrich
1994a Fremdsprachenunterricht als Ausgangspunkt für interkulturelles Lernen. In: Karl Ri-
chard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Interkulturelles Lernen im
Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 14. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des
Fremdsprachenunterrichts, 155⫺164. Tübingen: Narr.
Müller[-Jacquier], Bernd-Dietrich
1994b Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung. Fernstudieneinheit 8, Berlin/München: Lan-
genscheidt.
Neuner, Gerhard
1994 Fremde Welt und eigene Erfahrung ⫺ Zum Wandel der Konzepte von Landeskunde für
den fremdsprachlichen Deutschunterricht. In: Gerhard Neuner und Monika Asche (Hg.),
Fremde Welt und eigene Wahrnehmung. Konzepte von Landeskunde im fremdsprachlichen
Deutschunterricht. Eine Tagungsdokumentation, 14⫺39. Kasseler Werkstattberichte zur
Didaktik „Deutsch als Fremdsprache“ Heft 3, Universität Gesamthochschule Kassel.
Pauldrach, Andreas
1992 Eine unendliche Geschichte. Anmerkungen zur Situation der Landeskunde in den 90er
Jahren. Fremdsprache Deutsch. Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts 6: 4⫺15.
Schinschke, Andrea
1995 Perspektivenübernahme als grundlegende Fähigkeit im Umgang mit Fremden. In: Lothar
Bredella und Herbert Christ (Hg.), Didaktik des Fremdverstehens, 36⫺50. Tübingen: Narr.
1478 XVII. Landeskunde

Thimme, Christian
1995 Interkulturelle Landeskunde. Ein kritischer Beitrag zur aktuellen Landeskunde-Diskus-
sion. Deutsch als Fremdsprache 32: 131⫺137.
Thomas, Alexander
1993 Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns. In: Alexander Thomas (Hg.), Kultur-
vergleichende Psychologie ⫺ Eine Einführung, 377⫺424 . Göttingen: Hogrefe.

Ulrich Zeuner, Dresden (Deutschland)

164. Landeskundliche Gegenstände: Geschichte


1. Die Rolle der Geschichte in der Landeskunde
2. Geschichte in Lehrwerken für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
3. Stellung und Funktion der Geschichtswissenschaft innerhalb des Fachs Deutsch als Fremd-
und Zweitsprache
4. Vermittlung historischer Themen im Unterricht
5. Literatur in Auswahl

1. Die Rolle der Geschichte in der Landeskunde


Es ist in der Fachdiskussion unstrittig, dass zu den zu vermittelnden landeskundlichen
Inhalten im Sprachunterricht auch historische Themen gehören. So kann auch weiterhin
folgende These als maßgeblich gesehen werden:

Landeskunde ist in hohem Maße auch Geschichte im Gegenwärtigen. Daraus er-


gibt sich die Notwendigkeit, auch historische Themen und Texte im Deutschunter-
richt zu behandeln. Solche Themen sollten Aufschluß geben über den Zusammen-
hang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, über unterschiedliche Bewer-
tungen sowie über die Geschichtlichkeit der Bewertung selbst.
(ABCD-Thesen 1990: 307)

Zugleich ist damit ein äußerst hoher Anspruch formuliert, der sich je nach Lernergruppe
und sprachlichem Niveau nur begrenzt wird einlösen lassen. Gerade auch bei der Einbe-
ziehung historischer Themen in den Deutschunterricht spielen Lernort, Vorbildung, Zu-
sammensetzung der Lernergruppe (national homogen oder nicht?), das Alter der Lernen-
den, die Motivation für den Spracherwerb, zur Verfügung stehende Medien und die Qua-
lifikation der Lehrenden eine bedeutende Rolle.
Immer wieder wird betont, dass die Vermittlung historischer Themen im DaF- und
DaZ-Unterricht der Erklärung der Gegenwart zu dienen habe, also kein Geschichtswis-
sen um des Faktenwissens willen zu vermitteln sei. Dabei bieten sich eher Themen der
164. Landeskundliche Gegenstände: Geschichte 1479

jüngeren Geschichte an, also Themen wie Nachkriegszeit in den deutschsprachigen Län-
dern, Teilung der deutschen Staaten, Mauerfall und deutsche Vereinigung. Gleichzeitig
werden der Nationalsozialismus und seine verheerenden Folgen immer wieder auch
Thema in bestimmten Kontexten sein müssen, weil diese Jahrhundertkatastrophe nach
wie vor die Gegenwart prägt (dazu Ghobeyshi 2002).
Phänomene der Gegenwart lassen sich allerdings häufig nur erklären, wenn man wei-
ter in die Geschichte zurückblickt. So ist die weltweit einzigartige Theaterdichte im
deutschsprachigen Raum ohne die bis ins zweite Drittel des 19. Jahrhunderts reichende
Vielstaaterei und den durch das Bürgertum geschaffenen Zusammenhang von Stadt und
Theater und der Einrichtung von Stadttheatern als Symbol für die Emanzipation vom
Adel nicht zu erklären.
In den ABCD-Thesen wird nicht nur der Zusammenhang von Vergangenheit und
Gegenwart betont, sondern zudem die Zukunft und die Relativität der Bewertung ge-
schichtlicher Ereignisse und Prozesse angesprochen. Aus der Geschichte lässt sich zwar
vielleicht lernen ⫺ der Umgang mit der Weltwirtschaftskrise in der ausgehenden ersten
Dekade des 21. Jahrhunderts zeigt, dass aus den Erfahrungen von 1929 gelernt wurde ⫺
jedoch einen konkreten Zusammenhang zur Zukunft herzustellen, ist eine Forderung,
der sich Historiker in der Regel verweigern, und eine Umsetzung im Sprachunterricht
dürfte allenfalls Gesprächsanlässe bieten, welche lediglich zu Spekulationen einladen.
Die Relativität geschichtswissenschaftlicher Darstellungen hingegen hat nicht nur einen
hohen erkenntnistheoretischen Stellenwert, sondern ist zudem je nach Zusammensetzung
der Lernergruppe von einiger Brisanz, da Lerner nicht selten aus Lernkulturen kommen,
in denen Geschichtskenntnisse weitgehend unhinterfragt als positivistisch gesichertes
Wissen vermittelt werden. Dabei ist eindeutig, „(…) dass Geschichte immer wieder aus
einem bestimmten Blickwinkel wahrgenommen und überliefert wird“ (Sauer 2008: 17).
Die Auswertung neu zugänglicher Quellen, andere geschichtswissenschaftliche Ansätze
und auch jeweils vorherrschende gesellschaftspolitische Strömungen führen nicht selten
dazu, dass historische Ereignisse und Prozesse neu bewertet werden und sich eine andere
Lehrmeinung durchsetzt, wie beispielsweise die Nachwirkung der „Fischer-Kontroverse“
um das Ausmaß der deutschen Schuld am Ausbruch des 1. Weltkriegs deutlich gezeigt
hat. Eine derartige Meta-Ebene der Betrachtung lässt sich im Landeskundeunterricht
allenfalls in Ansätzen realisieren, allerdings kann „[m]ithilfe multiperspektivischer Zu-
gänge (bei der Auswahl der Themen, bei der Auswahl und Bearbeitung historischer Quel-
len, bei der Bewertung von Ereignissen, …) [versucht werden] historische und gegenwär-
tige Konflikte von verschiedenen Seiten zu betrachten und sich dabei der Relativität
der eigenen (nationalen, geschlechtsspezifischen, sozialen, …) Sichtweise bewusster zu
werden“ (Grabe 2004: 25).
Auch wenn die Geschichte der deutschsprachigen Länder im Gesamtspektrum landes-
kundlicher Themen im Deutschunterricht eine sehr wichtige Rolle spielt, da sich tatsäch-
lich Phänomene der Gegenwart häufig gut aus der Vergangenheit ableiten lassen und
damit Land und Leute in den Gesamtzusammenhängen verständlicher werden, und auch
wenn hervorragende mit vielen Zusatzmaterialien versehene Unterrichteinheiten in aller
Welt durchgeführt werden, die über Geschichtsthemen im Sprachunterricht kulturelle
Deutungsmuster (Altmayer 2004: 147⫺158) verdeutlichen helfen, so ist doch die am häu-
figsten praktizierte Realität die des Unterrichts mit Lehrwerken, in denen Geschichtsthe-
men meist nur kurz behandelt werden (können).
1480 XVII. Landeskunde

2. Geschichte in Lehrwerken ür Deutsch als Fremd- und


Zweitsprache
Eine umfassende Analyse für Lehrwerke in Deutsch als Fremdsprache zum Deutschland-
bild wie die von Ammer (1988) hat es seit dieser Publikation nicht mehr gegeben, was
auch damit zusammenhängen wird, dass der Lehrbuchmarkt im Bereich Deutsch als
Fremdsprache seit dieser Publikation eine außerordentliche Ausweitung erfahren hat und
in immer schnelleren Zyklen neue oder aktualisierte Lehrwerke sowie zahlreiche Spezial-
lehrwerke auf den Markt kommen, die zudem mit zum Teil umfangreichen Zusatzmate-
rialien (CD-Rom, DVD) ausgestattet sind. Ammer hatte seinerzeit festgestellt, dass eine
in den Lehrwerktexten vorkommende Figur mit einer eigenen historischen Dimension
erstmals in dem Lehrwerk „Deutsch ⫺ 3“ von 1974 auftauchte. Die Herangehensweise
an historische Themen ist seitdem facettenreicher und moderner geworden. Kapitel zur
Geschichte sind auffällig häufig bunt bebildert, es werden vielfach verschiedene Zugänge
gewählt: kurze Sachtexte, statistische Angaben, biographische Informationen (auch als
Hörtexte).
In den Darstellungen von Thimme (1994, 1996: 97⫺131) und Koreik (1995: 71⫺77)
wurde deutlich, welche teilweise eklatanten Fehler aus geschichtswissenschaftlicher und
geschichtsdidaktischer Sicht den Autoren und Autorinnen von Lehrbuchkapiteln zu his-
torischen Themen in älteren Lehrwerken anzulasten sind. Allerdings verdeutlichen Auf-
gaben und Sätze wie „Am 9. November 1989 wurde von der Regierung der DDR die
Mauer 첸 geschlossen 첸 geöffnet?“ in „Schritte international 6“ (Hilpert et al. 2008:
142) oder „9. November 1989: Die DDR-Regierung öffnet die Mauer. Ostberliner und
Westberliner liegen sich in den Armen (…)“ im „Orientierungskurs“ (Kilimann und
Plisch de Vega 2005: 40), dass es auch in neueren Lehrwerken möglicherweise der Zwang
zur sprachlichen Reduktion oder aber auch nicht ausreichende fachwissenschaftliche
Kompetenz ist, die weiterhin immer wieder zu nicht akzeptablen Darstellungen in DaF-
und DaZ-Lehrwerken führt. Ein besonders fragwürdiges Beispiel ist eine fiktive „private
Geschichte im November“ in „Berliner Platz 3“ (Köker et al. 2004: 45), in die auf der
Basis eines Hörtextes die korrekten Präteritumformen in einen Lückentext eingesetzt
werden sollen. Die Geschichte handelt vom Trennungsstreit eines Paares, das, als es
in den Nachrichten vom Mauerfall hört, dann auch eine private Wiedervereinigung in
Erwägung zieht.
Für die DaF-Lehrwerke aus Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien und Nor-
wegen liegt die umfangreiche Studie von Maijala (2004) vor, in der sie die „Rückkehr
der Geschichte in die europäischen Deutschlehrwerke“ konstatiert und zugleich feststellt,
„dass der kognitive Ansatz der Landeskunde in den Mittelpunkt des Fremdsprachenun-
terrichts gerückt ist“ (Maijala 2004: 345). Sie kann „national geprägte(n) Darstellungs-
weisen der geschichtlichen Informationen“ ausmachen, indem der „Blick auf die deutsch-
sprachigen Länder (…) durch die Muster, Normen und Werte des Heimatlandes“ (344)
beeinflussbar sei. Die Schweiz und Österreich kämen nur vereinzelt in diesen Lehrwerken
vor, und ihre Darstellung sei oft klischeehaft und konzentriere sich auf touristische At-
traktionen und Persönlichkeiten (Maijala 2007: 178).
Völlig neue Geschichtskapitel sind in Deutschland seit 2005 in speziellen Lehrwerken
für Deutsch als Zweitsprache entstanden. Mit der Einrichtung von Integrationskursen
durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die mit einer Prüfung
abgeschlossen werden (seit 1. 7. 2009 die neue skalierte Sprachprüfung „Deutsch-Test für
164. Landeskundliche Gegenstände: Geschichte 1481

Zuwanderer [A2⫺B1]“ ⫺ kurz DTZ genannt), entstand der Bedarf an gezielt einsetzba-
rem Unterrichtsmaterial. Während für den (im Jahr 2009) 600 Stunden umfassenden
Sprachkurs verschiedene der gängigen Lehrwerke aus den DaF-Verlagen zugelassen sind,
mussten für den anschließenden zunächst 30, dann 45 Stunden umfassenden „Orientie-
rungskurs“ neue Unterrichtsmaterialien entwickelt werden, die auf die inhaltlichen Vor-
gaben des BAMF ⫺ einer der vier Themenschwerpunkte lautet: „Überblick über die
jüngere deutsche Geschichte“ ⫺ zugeschnitten sind und auf den abschließenden Test
vorbereiten. Die fünfundzwanzig Fragen des Tests, von denen dreizehn richtig beantwor-
tet werden müssen, beinhalten Fragen wie: Welche Gruppe leistete Widerstand gegen
Hitler und die Nationalsozialisten? oder: Wie wurden die Bundesrepublik Deutschland
und die DDR zu einem Staat? Da immer vier Antwortvorgaben gemacht werden, hatte
und hat der Test einen Rückkoppelungseffekt auf das Unterrichtsmaterial, mit dem ge-
zielt Faktenwissen vermittelt werden muss. Welche Erträge der Orientierungskurs mit
dieser faktenorientierten Geschichtsvermittlung erbringt, ist bislang nicht untersucht
worden. Die mit dem Bereich der Landeskunde befassten Vertreterinnen und Vertreter
im Fach DaF/DaZ sind von dieser Entwicklung überrascht worden.
Eine völlig andere Neuerung stellt das von Schmidt und Schmidt (2007) herausgeg-
ebene Lehrwerk „Erinnerungsorte. Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht“ dar. Aus
der Erfahrung heraus, dass es für eine bestimmte Art der Landeskunde- und Geschichts-
vermittlung keine geeigneten Materialien gab, haben fünfzehn ehemalige Lektorinnen
und Lektoren in Anlehnung an das Konzept des französischen Historikers Pierre Nora
zu dreizehn deutschen Erinnerungsorten Unterrichtseinheiten erstellt. Diese „eröffnen
exemplarisch Wege in und durch die deutsche Geschichte und sind als Zusatzmaterialien
für den Sprach- und Landeskundeunterricht gedacht“ (Schmidt und Schmidt 2007: 6).
Zwei dem Buch beigefügte CD-Roms bieten eine Fülle an Zusatzmaterialien ⫺ auch
Hörtexte ⫺ und erlauben eine vielschichtige Herangehensweise in jeweils mehreren Un-
terrichtsstunden an deutsche Erinnerungsorte wie den Kölner Dom oder Weimar ⫺ Bu-
chenwald. Die Auswahl ist auf materielle Erinnerungsorte beschränkt und berücksichtigt
vor allem den Norden und Osten Deutschlands. Die Arbeit mit dem Unterrichtsmaterial
setzt zumindest Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1, meistens jedoch auf B2 oder C1
des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) voraus.

3. Stellung und Funktion der Geschichtswissenschat innerhalb des


Fachs Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
Insgesamt wurde die Geschichtswissenschaft innerhalb der Landeskundevermittlung
meist unreflektiert als ein weitgehend homogenes Gebäude aus einzelnen Bausteinen ge-
sehen, derer man sich für den Unterricht in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache funkti-
onal bedienen kann. Bereits der Geschichtsdidaktiker Bergmann (1988: 333) formulierte
diese Position: „Die Landeskunde bedient sich der Geschichte, wo historisches Wissen
als abrufbare Dienstleistung der Historie in der Form des Erklärungswissens für das
sonst unverständliche Andere benötigt wird“. Zugleich macht er jedoch darauf aufmerk-
sam, dass Ergebnisse der Geschichtswissenschaft „innerfachlich höchst kontrovers disku-
tiert“ (336) werden und auch eine an den gültigen und allgemein anerkannten methodi-
schen Standards des Fachs orientierte Analyse „zu unterschiedlichen ,Geschichten‘ führt,
1482 XVII. Landeskunde

die in sich legitim und gut begründbar sind“ (337). Es ist nachvollziehbar, dass weiterhin
im Sprachunterricht ein politikgeschichtlicher Ansatz dominiert, um wesentliche Grund-
informationen zu vermitteln und damit ein Bezugsraster herzustellen; für das Verständnis
der Gegenwart sind jedoch weiterhin verstärkt sozial- und alltagsgeschichtliche Frage-
stellungen zu berücksichtigen. Die Kategorien Erinnerung und kollektives Gedächtnis ha-
ben dabei in den letzten Jahren zu Recht auch im Fach DaF/DaZ einen gewissen Stellen-
wert bekommen, da Sprachunterricht kein Geschichtsunterricht ist und die Näherung an
die Menschen im Zielsprachenland das vorrangige Ziel sein muss ⫺ und diese sind ge-
prägt durch ihr Geschichtsbewusstsein. Hier werden allerdings die harten geschichtswis-
senschaftlichen Deutungen verlassen, und Erkenntnisse aus der oral history oder sozial-
wissenschaftliche Studien (z. B. Welzer, Moller und Tschuggnall: 2002) bilden die Basis
für fundierte Materialerstellung.
Insgesamt muss die Forderung bestehen bleiben, dass nicht nur die Lehrenden, son-
dern vor allem die Ersteller von Lehrmaterialien in ausreichendem Maße auf die Er-
kenntnisse aus der Geschichtswissenschaft zurückgreifen und ggf. die Unterstützung von
Historikern suchen.

4. Vermittlung historischer Themen im Unterricht


Welche Rolle welche historischen Themen im jeweiligen Unterricht spielen sollen und in
welcher Herangehensweise sie vermittelt werden können, wird nur adressatenspezifisch
vor dem jeweiligen Lernerhintergrund zu entscheiden sein, wobei der Sprachstand ange-
sichts vieler nur sehr differenziert zu behandelnder Themen von besonderer Bedeutung
ist. Die Basis bei der Vermittlung historischer Themen im Landeskundeunterricht werden
in den meisten Fällen die Texte, Bilder, Diagramme, Statistiken und gelegentlich auch
Karten in den Lehrbüchern bilden. Weitreichende Möglichkeiten bieten auch Simulatio-
nen fiktiver Personen (vgl. Groenewold 1988; Koreik 1993), durch welche die Einflüsse
geschichtlicher Ereignisse und Strukturen durch partielle Identifikation und vor allem
selbständige Recherchearbeit, die durch das Internet unerschöpfliche Möglichkeiten er-
halten hat, nachvollziehbar werden.
Hinzu kommen in zunehmendem Maße Dokumentarfilme und Filmsequenzen, die
zunehmend leichter als DVD zugänglich werden (man denke allein nur an die Dokumen-
tationen, die regelmäßig dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel beigefügt sind) und die
Geschichtsereignisse teilweise eindrucksvoll visualisieren. Gerade beim Einsatz von Bild-
materialien gilt es jedoch, aufgrund der Wirkmächtigkeit von Bildern den Unterricht mit
komplementär eingesetzten Texten, Statistiken u. a. zu effektivieren.

5. Literatur in Auswahl
ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Unterricht
1990 Deutsch als Fremdsprache 27(2): 306⫺308.
Altmayer, Claus
2004 Kultur als Hypertext. Zur Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als
Fremdsprache. München: iudicium.
164. Landeskundliche Gegenstände: Geschichte 1483

Ammer, Reinhard
1988 Das Deutschlandbild in den Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache: die Gestaltung des
landeskundlichen Inhalts in den Deutschlehrwerken der Bundesrepublik Deutschland von
1955⫺1985 mit vergleichenden Betrachtungen zum Landesbild in den Lehrwerken der DDR.
München: iudicium.
Bergmann, Klaus
1988 Landeskundliches Lernen und historisches Lernen. Bemerkungen eines Geschichtsdidak-
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Uwe Koreik, Bielefeld (Deutschland)


1484 XVII. Landeskunde

165. Landeskundliche Gegenstände: Politik und


Gesellschat
1. Einleitung
2. Begriffliches
3. Politik und Gesellschaft in der Fremdsprachendidaktik
4. Ziele, Themen, Methoden, Materialien, Lehrerausbildung
5. Deutsch im Zielsprachenland
6. Auswahl- und Vermittlungsprinzipien
7. Perspektiven
8. Literatur in Auswahl

1. Einleitung

Sprache beschreibt die historisch gewachsenen kulturellen, politischen und sozialen Ver-
hältnisse, zudem kommen Sprachlernende früher oder später direkt oder indirekt mit
diesen Bedingungen in Berührung ⫺ aus diesem Grund stellen Politik und Gesellschaft
zwei zentrale Themenfelder der Landekundevermittlung von Fremdsprachen und eo ipso
von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache dar. Eine Fremdsprachenwissenschaft, die
dies als Basis nimmt, kommt nicht umhin, auf die Fragen, welche politischen und gesell-
schaftlichen Aspekte welchen Lernenden wann und auf welche Art vermittelt werden
sollen bzw. von den Lernenden zu erarbeiten sind, zielgruppenspezifische Antworten zu
entwickeln und in konkrete Methoden und Materialien umzusetzen.

2. Begriliches

Die Frage nach der didaktisch-methodischen Handhabung im DaF- und DaZ-Unterricht


hat zuerst die Begriffe Politik und Gesellschaft zu klären. Einheitliche Definitionen sind
jedoch in den relevanten Disziplinen nicht zu finden, zu breit ist das Spektrum der theo-
retischen wie praktischen Interessenfelder. So reicht der Politikbegriff von Kernfragen
wie Macht, Herrschaft und Konflikt bis zur Frage rechtlicher Regelungsmechanismen
gesellschaftlicher Aspekte. Perspektivisch wäre evtl. eine im Englischen zu findende ideal-
typische Differenzierung in polity als formale Dimension politischer Institutionen, Par-
teien usw., politics als prozessuale Dimension in Form von Entscheidungsprozessen oder
Lobbyismus und policy im Sinne von Programmen, Ideologien und Wertemustern hilf-
reich (Fritzsche 2003). Unter Gesellschaft werden alle Bereiche des Soziallebens von Er-
ziehung, Bildung, Arbeit, sozialer Schichtung, Altersgruppen, Religionen, Siedlungsfor-
men, Wohnverhältnissen, Nationalität und Migration, Minderheiten, Lebensstil, Kon-
sum, Freizeit, Medien, Transport oder Umwelt verstanden. Es stellt sowohl den
Gesamtbegriff für Institutionen des übergemeinschaftlichen Zusammenlebens dar wie
auch die Summe der Beziehungen und der Verhältnisse unter den Individuen. Die Über-
165. Landeskundliche Gegenstände: Politik und Gesellschaft 1485

gänge des Gesellschaftlichen zum Politischen sind dabei ⫺ wie etwa im Bereich der Sozi-
alpolitik ⫺ ebenso fließend wie die zur Alltagskultur als Spielregeln und Verhaltensnor-
men, die eine Gruppe von Menschen verbinden.

3. Politik und Gesellschat in der Fremdsprachendidaktik

So selbstverständlich heute die postulierte Verknüpfung von Sprach- und Landeskunde-


bzw. Kulturvermittlung zu sein scheint, so wenig war sie dies in der Geschichte der
Fremdsprachendidaktik und -methodik. In den drei intensiven Perioden der Realien-
kunde Ende des 19. Jahrhunderts sowie der Kulturkunde in den 1920er und der Landes-
kunde seit den 1970er Jahren spielten politische und soziale Aspekte eine je unterschiedli-
che und hier nicht im Einzelnen nachzuzeichnende ideologisch-inhaltliche Rolle inner-
halb der Fremdsprachendidaktik (Simon-Pelanda 2001). In der letzten Phase, geprägt
durch ein neues politisches und soziales Selbstverständnis im Anschluss an Entkoloniali-
sierung und zunehmende Arbeitsmigration, spielten die Sozialwissenschaften eine zen-
trale Rolle, ohne dass sich jedoch eine Disziplin als Bezugswissenschaft etablieren konnte.
Für das entstehende Fach Deutsch als Fremdsprache waren dabei adaptierte Konzepte
aus der Anglistik und Romanistik und bei letzterer v. a. das romanistische Deutsch-Fran-
zösische Institut um Forscher wie Robert Picht oder Peter Doyé von besonderer Bedeu-
tung.
Ein deutlicher Wechsel sowie eine sukzessive Zurückdrängung politischer und sozialer
Themen ergab sich, ausgehend v. a. von der Soziologie und Sozialanthropologie, durch
die kulturalistische Wende seit etwa Mitte der 1980er Jahre mit einem Fokus auf kulturell
bedingte Handlungs- und Verhaltensmuster. Nicht mehr primär politische Konflikte so-
wie soziale Entwicklungen standen nun im Vordergrund, sondern interkulturelle Frage-
stellungen und Aspekte zwischenmenschlicher Kommunikation. Als Ursache konstatiert
Nolte (2004: 40) retrospektiv gerade bei progressiven Intellektuellen die Abkehr von
„harschen materiellen Realitäten“ und Flucht in die kulturelle „Welt der Symbole und
Imaginationen“. Dieser Prozess verstärkte sich noch durch die überraschende globalpoli-
tische Beendigung der West-Ost-Systemopposition. Trotz intensiver Diskussionen im
Verlauf der 1990er Jahre führte die Abwendung von der Darstellung politisch-sozialer
Realitäten hin zu fremdkultureller Sensibilisierung und strategischen Kompetenzen je-
doch eher zu einer Schwächung der fachimmanenten Position der Landeskunde.
Als dezidierter Vertreter einer kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Landeskunde
versucht Altmayer (2004) den Gordischen Knoten von zirkulären Debatten mit einer
Verlagerung von Lerngegenständen zu tiefer liegenden kulturellen Deutungsmustern zu
durchschlagen, kann dabei jedoch die Synthese zwischen prozeduralem und deklarativem
Wissen ebenfalls nur bedingt herstellen. Vergleichbares ist für die von Wierlacher (2003)
angeregte und im Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache (2006) fortgeführte Modifizierung
der Landeskunde zu essayistisch ausgerichteten Landesstudien zu sagen, die sich zwar
explizit die Suche nach Vermittlungsmöglichkeiten politischer und gesellschaftlicher As-
pekte zur Aufgabe gesetzt hat, konkrete Umsetzungsformen in die Unterrichtspraxis je-
doch nicht erkennen lässt. Während einerseits also eine gewisse Orientierungslosigkeit
angesichts der nach wie vor bestehenden Grundsatzdebatten festzustellen ist, gibt es an-
dererseits ein wachsendes Forschungsinteresse, das sich in mehreren größeren Untersu-
1486 XVII. Landeskunde

chungen mit unterschiedlicher Ausrichtung niederschlägt (z. B. Röttger 2004; Ertelt-Vieth


2005; Grünewald 2005).
Es bleibt aber der Arbeit von Pietzuch (2004) vorbehalten, eine Gesamtschau der
„politisch-sozialen Dimension der landeskundlichen Theorie und Praxis“ in interkultu-
reller Perspektive vorzulegen. Resümierend stellt er dabei eine „intensivierte kultur- bzw.
wirtschaftspolitische Instrumentalisierung und gleichzeitige Entpolitisierung, mentalis-
tisch-kulturalistische Subjektzentrierung sowie methodisch-strategische Technologisie-
rung der Landeskunde“ (Pietzuch 2004: 166) fest. Diese von ihm kritisierte Achsenver-
schiebung ⫺ auch gekennzeichnet durch die teils unverhohlen vorgetragene Forderung,
dem Ansehen Deutschlands als internationalem Technologie- und Wirtschaftsstandort
nicht durch selbstkritische Aspekte zu schaden (Duesberg 2006) ⫺ kann jedoch nicht im
Interesse eines Faches liegen, das neben der Sprachvermittlung auch das kritische Den-
ken und die Reflexion über nationalkulturelle Fremdbilder und Stereotypen fördern will.
Nach Löschmann (1998: 29) muss dieser „Umgang mit Stereotypen geübt werden“, da
sich „interkulturelles Lernen auf der kognitiven, affektiven und verhaltensmäßigen
Ebene“ vollzieht.

4. Ziele, Themen, Methoden, Materialien, Lehrerausbildung

Tatsächlich werden als Lernzielbereiche u. a. im Gemeinsamen Europäischen Referenz-


rahmen für Sprachen (GER) (Costa, North und Trim 2004) folgende Aspekte genannt:
1. Deklaratives Wissen (savoir) mit den Unterpunkten „Weltwissen“, „Soziokulturelles
Wissen“ und „Interkulturelles Bewusstsein“
2. Fertigkeiten und prozedurales Wissen (savoir-faire) mit den Bereichen „Praktische
Fertigkeiten“ und „Interkulturelle Fertigkeiten“
3. Persönlichkeitsbezogene Kompetenz (savoir-être) mit Faktoren wie Einstellungen,
Werten und Überzeugungen
Ergänzt werden sollten diese Ziele noch durch savoir s’engager als Fähigkeit der Entwick-
lung einer kritischen Beurteilung der Fremd- und Eigenkultur sowie des eigenen soziopo-
litischen Engagements.
Ein fester allgemein gültiger Themenkanon für die Landeskundevermittlung wird all-
gemein zu Recht abgelehnt. Zum einen verbietet dies die Spezifizierung hinsichtlich der
jeweiligen Lernsituation, zum anderen die Fülle relevanter Inhalte bei der Themenaus-
wahl. Dennoch hat es aus lernpragmatischen Gründen in der Vergangenheit Versuche
gegeben, Themenlisten zu erstellen. Am überzeugendsten gelang dies zuletzt Penning
(1995), der rekursiv aus zahlreichen Mittelstufenlehrwerken eine Aufstellung der Bereiche
Land und Leute, Alltag und gesellschaftliches Leben, Massenmedien und öffentliche
Meinung, Bildung und Wissenschaft, Wirtschaft und Technik, Staat und Politik, Histori-
sches sowie Kultur mit jeweils zahlreichen Unterpunkten destillierte. Die im Rahmen des
alltagskulturellen kommunikativen Ansatzes in die Landeskundediskussion eingebrach-
ten “universellen Daseinserfahrungen“ werden hier ergänzt durch die Aufnahme fakti-
scher und objektivierbarer Elemente und Informationen, die noch heute unberechtigter-
weise oft einer klassischen enzyklopädisch ausgerichteten, jedoch von niemandem mehr
vertretenen Realienkunde zugeordnet werden (Altmayer 2006). Zu Recht wird i. a. darauf
165. Landeskundliche Gegenstände: Politik und Gesellschaft 1487

hingewiesen, wie wichtig faktische Kenntnisse über objektiv bestehende politisch-soziale


Realitäten sind, auf deren Basis sich erst Erkenntnis einstellen kann (z. B. Koreik 1995:
30⫺32; Grünewald 1996: 39; Reinbothe 1997; Löschmann 1998; Althaus 1999). Ausge-
klammert werden dürfen dabei auch nicht Institutionen in materialisierter (z. B. Parla-
ment) oder nicht-materialisierter (z. B. Ehe) Form als geronnene gesellschaftliche Erfah-
rungen (Ramin 1989). Sie sollten in ihrer aktuellen Rolle und Bedeutung, aber exempla-
risch möglichst auch in ihrer Entstehung und Entwicklung behandelt werden, soweit sie
als für die spezifischen Lernenden und ihre Lernziele relevante Einrichtungen isoliert
wurden und hinreichend Lernzeit zur Verfügung steht. Allerdings ist die u. a. von Alt-
mayer (2004: 36) angemahnte Beachtung der diskursiven Konstruktion politischer und
gesellschaftlicher Realitäten zu beachten, ohne die wiederum ein tatsächliches „Fremd-
verstehen als Zielorientierung des landeskundlichen Lernens“ unmöglich ist.
Schließlich stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis politisch-soziale Themen der
deutschsprachigen Länder oder auch einzelner Regionen zueinander stehen sollen. Die
von Reinbothe (1997) vorgeschlagene und von Krumm (1999) kritisierte Exemplifizie-
rung an einem Land ließe sich dahingehend modifizieren, dass die drei Länder einen
ihnen jeweils angemessenen Darstellungsraum erhalten sollten. Eine besondere Beach-
tung spielt sicher das nach wie vor schwierige Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutsch-
land, da auch 20 Jahre nach dem Beitritt erhebliche wechselseitige Vorbehalte sowie
sozioökonomische und politische Strukturunterschiede bestehen. Bedenkt man zudem,
dass mehr als 60 % aller nationalen Gesetze in Mitgliedsländern der Europäischen Union
unmittelbar mit den Institutionen der EU verknüpft sind, sowie, dass Fragen wie Migra-
tion, Umweltschutz, Wirtschaft oder Militär und Krieg in einer globalisierten Welt nicht
auf einer nationalen Folie betrachtet werden können, so wird klar, dass die Anforderun-
gen an eine Lehrkraft hinsichtlich einer angemessenen soziographisch-thematischen Aus-
wahl immens sind (Steinig 2001).
Als weitere, bereits ins Methodische übergehende Auswahlaspekte lassen sich nennen:
1. „Generative Themen“ als an die Pädagogik Paulo Freires anknüpfende und auch von
der politischen Bildung aufgenommene Kernbegriffe, die das Potenzial besitzen, wei-
tere anknüpfende Themen und Assoziationen hervorzubringen. Beispiele aus dem po-
litisch-sozialen Sektor wären etwa „Partizipation“ oder „Grenzen“. Penning (1995)
führt dies exemplarisch mit einem Netzwerk zu ,Berlin Hauptstadt‘ vor.
2. Leitthema vs. Gegenthema (Ramin 1989) als oppositionelle Begriffe, anhand derer
Themenfelder wie z. B. „Föderalismus vs. Zentralismus“ oder „Familie vs. Single-Le-
ben“ entwickelt werden können.
Es stellt sich dabei insgesamt die sicher nur situativ zu beantwortende Frage, ob eher ein
breites Spektrum relevanter Themen angesprochen oder beispielhaft ein enger inhaltli-
cher Fächer in die Tiefe verfolgt werden soll mit dem Ziel, den Lernenden v. a. strategi-
sche Kompetenzen zur Eigenrecherche zu vermitteln. Die Unmöglichkeit, die Totalität
politischer und gesellschaftlicher Phänomene und Strukturen zu behandeln, führt zwin-
gend zur Begrenzung auf Exemplarität als zentralem Lernprinzip. Relevante methodische
Verfahren der Landeskunde stellen darüber hinaus dar: Integration des Vorwissens, An-
regung zum Perspektivenwechsel, Kontrastivität und Vergleich. In praktischer Hinsicht
sind Planspiele, Simulationen, Rollenspiele und v. a. die produktorientierte Projektarbeit
zu nennen. Eine Mischung verschiedener Vermittlungsmodi, Medien und Textsorten för-
dert ebenso wie unterschiedliche Quellen, widersprüchliche Blickwinkel und mehrper-
1488 XVII. Landeskunde

spektivische Sichtweisen die Entwicklung von Ambiguitätstoleranz, Empathiefähigkeit


und das Aufbrechen bestehender Stereotypen und Klischees. Pauldrach (1992) favorisiert
über einen längeren Zeitraum gültige Materialien und Darstellungsweisen, an denen ge-
sellschaftliche Entwicklungen und Verhältnisse exemplarisch verdeutlicht werden kön-
nen, allerdings sollten daneben aus motivationalen Gründen auch Materialien über aktu-
elle Geschehnisse verwendet werden.
Besondere Aufmerksamkeit wurde schon früh dem sozialwissenschaftlichen Länder-
vergleich gewidmet, der als Verfahren auch in der interkulturellen Pädagogik ein intensiv
diskutiertes Verfahren darstellt (Cappai 2007). Pauldrach (1992: 13) betont aber die Un-
tauglichkeit des Vergleichs „als Methode der Erkenntnisgewinnung“ und sieht ihn bei
Akzeptanz der Unvergleichbarkeit vieler gesellschaftlicher Phänomene erst „am Ende des
Verstehens- und Verständigungsprozesses zwischen zwei Gesellschaften und Kulturen“ ⫺
wahrnehmungspsychologisch jedoch eine schwierig zu verordnende Maßgabe. Nahelie-
gender und realistischer wäre es dagegen, Verfestigungen durch eine kontinuierliche Dia-
lektik des Aufbaus und der Brechung von Typischem und Typisiertem zu begegnen.
Schließlich bemerken Edmondson und House (1998: 180), dass im Unterricht wirksame
Verfahren, Themen und Fragestellungen ohnehin erst dann entwickelt werden können,
wenn „relevantes empirisch abgestütztes Wissen über sprachlich-kulturelle Normen und
interkulturelle Erwartungen bzw. Stereotypen/Vorurteile vorliegt“. Vergleichbares gilt für
die Frage der Integration von landeskundlichen Aspekten in Testformate, da grundsätz-
lich Unklarheit über das Verhältnis von allgemeinpädagogischen zu fremdsprachlichen
Lernzielen besteht. Kooperative Evaluationsformen sind hier ebenso interessant wie das
im Zusammenhang mit dem GER stehende INCA-Projekt (2004), welches den Niveau-
stufen des GER entsprechende interkulturelle Kompetenzstufen definiert.
Grundkenntnisse über Politik und Gesellschaft der deutschsprachigen Länder gehö-
ren zum unverzichtbaren Rüstzeug von DaF-/DaZ-Lehrkräften, können jedoch nicht
vorausgesetzt werden. Die von Koreik (1995) bei deutschen AbiturientInnen festgestell-
ten Defizite in Geschichte lassen sich auch für Politik und Gesellschaft annehmen. Fach-
spezifische Landeskundekompendien für die Ausbildung von Lehrkräften, wie Lüsebrink
(2003) sie für die Romanistik vorgelegt hat, wären sicher hilfreich, um ein landeskundli-
ches Basiswissen zu vermitteln. Durch exemplarische Studien über politisch-soziale Phä-
nomene im Sinne von Dossiers, Materialsammlungen oder Landeskundeprojekten, wie
sie an mehreren Universitäten existieren, könnte neben kognitiven und strategischen
Kompetenzen zumindest eine Sensibilisierung für die Bedeutung diesbezüglicher Kennt-
nisse erreicht werden.

5. Deutsch im Zielsprachenland
Für die Landeskunde DaZ hat es durch die migrationspolitischen Entscheidungen der
politischen Institutionen sowohl in Deutschland wie auch in Österreich seit Anfang des
neuen Jahrtausends erhebliche Veränderungen gegeben. Die Neuordnung der Zuwande-
rungs- und Einbürgerungsgesetzgebung beinhaltet dabei teils obligatorische, teils fakulta-
tive Sprachkurse mit landeskundlichen Komponenten und Tests. Das staatliche Vorge-
hen, u. a. die Auflösung des seit 1974 bestehenden Sprachverbandes als Organisator von
Deutschsprachkursen für ImmigrantInnen, wurden zwar im Vorfeld u. a. von Krumm
(2003) für Deutschland und Österreich kritisiert, letztlich hatten akademische Kreise je-
doch keinen angemessenen Einfluss auf die migrationsspezifischen Entwicklungen der
165. Landeskundliche Gegenstände: Politik und Gesellschaft 1489

letzten Jahre. Für Deutschland gilt, dass für die landeskundlichen Orientierungskurse,
die im Rahmen der im Zuge des Zuwanderungsgesetzes 2005 institutionalisierten sprach-
lich fokussierten Integrationskurse abgehalten werden, von Seiten des Bundesministeri-
ums für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein aus drei Modulen bestehendes Curricu-
lum im Umfang von 45 Unterrichtseinheiten (UE) festgelegt wurde. Als Leitziel ist die
„Vermittlung von Alltagswissen sowie von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur
und der Geschichte in Deutschland, insbesondere auch der Werte des demokratischen
Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlich-
keit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit“ (BAMF 2007: 6) vorgesehen.
Eine „positive Bewertung des deutschen Staates“ im Rahmen der als „maßgeblich“ be-
zeichneten affektiven Lernziele wird ideologisch unverhohlen angestrebt, wobei der
Gefahr einer explizit angesprochenen „falschen Ausrichtung der Unterrichtskonzeption
durch einzelne Lehrkräfte“ mittels einer engen didaktisch-methodischen Vermittlungs-
vorgabe begegnet werden soll (BAMF 2007: 7). Im Einzelnen umfassen die Module in-
haltlich die Themen „Politik in der Demokratie“ (19 UE, Modul I), „Geschichte und
Verantwortung“ (9 UE, Modul II) und „Mensch und Gesellschaft“ (13 UE, Modul III).
So positiv die durch diese Entwicklung induzierte, lange Zeit angemahnte Entwick-
lung von landeskundlichen Lehrmaterialien für Anfänger zu sehen ist, so bedenklich
erscheint es, dass die von den Verlagen herausgegebenen Lehrmaterialien deutlich gesell-
schaftskritische Töne vermeiden. Da diese Materialien teilweise auch im Ausland einge-
setzt bzw. punktuell von den Verlagen in nur leicht veränderter Form für den Auslands-
einsatz angeboten werden, sind Auswirkungen auf die auswärtige Landeskundever-
mittlung in Form einer affirmativen Darstellung der deutschsprachigen Länder zu
prognostizieren.

6. Auswahl- und Vermittlungsprinzipien


Aus der Erkenntnis, dass es keinen für alle Lernsituationen im In- und Ausland festzule-
genden theoretisch motivierten Kanon oder auch nur Korpus an Themen, Methoden
und Materialien geben kann, ergibt sich die Notwendigkeit, allgemeine Prinzipien zu
bestimmen, die eine flexible Handhabung ermöglichen. Genannt werden können die sie-
ben Leitprinzipien Realitätsnähe, Richtigkeit, Repräsentativität, Relevanz, Relationali-
tät, Regionalisierung und Reflexion. Letzteres stellt, sowohl antizipierend als auch beglei-
tend, das wichtigste und übergeordnete Prinzip dar, und zwar für die anthropogenen und
soziokulturellen Voraussetzungen der Lernenden, die Lernziele, die Lerntraditionen, die
institutionellen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Lernsitua-
tion sowie die Selbstreflexion der Lehrkraft bzgl. des eigenen Hintergrunds als Kulturträ-
ger und Lehrperson. Sie sollte zudem sowohl bei der Betrachtung der eigenen Lehrpraxis
verwendet als auch den Lernenden für die Begegnung mit fremdkulturellen Phänomenen
nahegelegt werden.
Sinnvoll wäre es darüber hinaus, in landeskundliche Planungen auch eine radiale
Komponente einzubeziehen, d. h. situationsadäquat einen zentralen, einen expandierten
und einen peripheren Themenkomplex zu definieren. Zum Kernbereich würden Themen
zählen, die für das Verständnis der Politik und Gesellschaft der deutschsprachigen Län-
der zentral erscheinen, der erweiterte Komplex könnte sich als Vertiefung aus diesen
generativen Themen ergeben oder andere Aspekte integrieren, während der Randbereich
Fragen behandelt, die bereits gute Landes- und Kulturkenntnisse voraussetzen und als
Expertenwissen zu klassifizieren sind.
1490 XVII. Landeskunde

7. Perspektiven
Konzeptionell-theoretisch bietet sich das primär für die Lehrkraftausbildung gedachte,
aber auch allgemeiner zu interpretierende Konzept des „adaptiven Oszillierens“ an (De-
morgon und Molz 1996). Gemeint ist damit die Vermittlung der Fähigkeit zur flexiblen
Austarierung kultureller Spannungsgegensätze von u. a. Kontinuität und Wandel, Verein-
heitlichung und Differenzierung, Öffnung und Abgrenzung. Des Weiteren könnte eine
Adaption und Weiterentwicklung der Theorie sozialer Repräsentationen (Moscovici
2000) als System von Ideen, Werten und Praktiken, das Individuen und Gruppen die
Konstruktion einer Sinnstruktur über Personen und Geschehnisse in ihrer sozialen Um-
gebung ermöglicht, fruchtbar sein.
Dringend erforderlich ist zudem eine umfassende Lehrwerkanalyse über landeskundli-
che und hierbei insbesondere soziale und politische Inhalte und Vermittlungsaspekte. Die
operationalen Probleme angesichts eines zunehmend unübersichtlichen und schnelllebi-
gen Lehrwerkmarktes könnten dabei durch ein mosaikartiges Analysepuzzle z. B. im
Rahmen von Qualifizierungsarbeiten gelöst werden.
Deutlich intensivere Anknüpfungspunkte, Verbindungen und Allianzen in eher unter-
richtspraktischer Hinsicht müssten schließlich zur politischen Bildung und Forschungen
über politische Kulturen deutschsprachiger Länder hergestellt werden. Diese sind von
beiden Seiten bislang nur wenig entwickelt, obwohl eine deutliche Überlappung hinsicht-
lich der zentralen Fragen von themenspezifischen Auswahlkriterien, exemplarischem und
interkulturellem Lernen, Vergleichsmethodik usw. besteht (Sander 2005). Auch die Wie-
deraufnahme und Aktualisierung bereits existierender, jedoch in Vergessenheit geratener
Konzepte kritisch-politischer Landeskunde erscheint sinnvoll.

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Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺2.) Berlin/
New York: Mouton de Gruyter.
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2003 Landeskunde als Landesstudien. In: Alois Wierlacher und Andrea Bogner (Hg.), Hand-
buch interkulturelle Germanistik, 504⫺513. Stuttgart: Metzler.

Matthias Grünewald, Bielefeld (Deutschland)

166. Landeskundliche Gegenstände: Alltagskultur,


Multikulturalität und Heterogenität
1. Alltagskultur
2. Multikulturalität
3. Heterogenität
4. Literatur in Auswahl

1. Alltagskultur
Der Alltag der deutschsprachigen Gesellschaften ist im 21. Jahrhundert in vielen gesell-
schaftlichen Subsystemen geprägt durch eine kulturelle Pluralität, die in DaF-Curricula
und landeskundlichen Lehrmaterialien ihren Niederschlag finden muss, insofern und in-
soweit diese ein realistisches Bild des Alltags vornehmlich der kontemporären urbanen
Regionen in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz zu zeichnen streben.
Im Zeichen weltweit rückläufiger Studierendenzahlen im Fache verschärft sich zuneh-
mend die Frage nach der Rechtfertigung für die Empfehlung, Deutsch zu lernen, um
möglicherweise davon leben zu können (Hess-Lüttich, Colliander und Reuter 2009). Man
166. Landeskundl. Gegenstände: Alltagskultur, Multikulturalität und Heterogenität 1493

darf vermuten, dass das nur dann der Fall ist, wenn Deutsch (als Fach, als Gegenstand,
als Fertigkeit usw.) in einer jeweiligen Region der Welt als relevant empfunden wird.
Deshalb richtet sich der Blick nicht nur nach innen (auf Kanon und Kernbestand) und
zurück (auf die Fachgeschichte), sondern auch auf Fragestellungen, die gleichsam von
außen (aus der Gesellschaft) an das Fach herangetragen werden (vgl. Art. 165). Sie er-
wachsen aus der Problematisierung von Gegenständen und Sachverhalten, die auch das
Lernumfeld des Lernenden in dessen Alltag wesentlich bestimmen. Dazu gehören zent-
rale Problemfelder wie Migrationsfolgen und die kulturellen Gewinne/Kosten globaler
Vernetzung in den deutschsprachigen Gesellschaften, die sich nicht zuletzt auch in (zu-
nächst oft unmerklichen oder kaum bewussten) Veränderungen von Zeichenpraxis und
Kommunikationsroutinen im Alltag ausweisen.
Auf allen Zeichenebenen werden solche Veränderungen kommunikativ relevant. Ak-
zente, Xenismen, sprachliche Schemata und dialogische Rituale, subkulturell geteilte Ge-
steninventare, gruppentypische oder regionspezifische Jargons etc. gewinnen den Status
als beziehungsdefinierende und interaktionsregelnde Sinn-Systeme des Alltags, die über
ihre Symptomfunktion hinaus ikonische Funktionen als Mitgliedschaftsausweis oder
Ausgrenzungsimpuls übernehmen können (vgl. Müller-Jacquier 2008: 21⫺22). Bei Be-
gegnungen von Kommunikatoren verschiedenkultureller Sozialisation neigen nicht we-
nige der Teilnehmer (zumal in bestimmten Subkulturen) zur Homogenisierung ihrer Zei-
cheninventare als Symbol ihrer Kollektividentitäten. Zu den Migrationsfolgen gehört
auch in den deutschsprachigen Gesellschaften die Zunahme solcher kulturellen Über-
schneidungssituationen im Alltag, in denen über die eigenkulturell internalisierten Zei-
chengebrauchs- und -deutungskompetenzen hinaus fremdkulturelle gefordert sind, die
als systematisch falliblere konfliktträchtiges Potential bergen.
Dies rechtfertigt nicht nur, sondern erzwingt den Erwerb (bzw. die Vermittlung) von
Handlungskompetenzen, die gerade in interkulturellen Situationen teildivergierende Zei-
chengebrauchsinventare zu ermitteln und ggfs. metakommunikativ zu explizieren erlau-
ben. Für die Außensicht auf die Kultur(en) des deutschsprachigen Raums in Mitteleuropa
hat das die Konsequenz, im Kanon der Gegenstände einer theoretisch fundierten und
empirisch aktualisierten Landeskunde dem Umstand der kommunikativ alltagsrelevan-
ten Binnendifferenzierung systematisch Rechnung zu tragen. Wo der Kommunikations-
alltag u. a. von Multikulturalität und Heterogenität geprägt ist, lernen die Interagieren-
den in ihrem Zeichengebrauch mit komplexeren Überlappungssituationen sensibler um-
zugehen oder sich auf mutuell geteilte Regeln erst zu verständigen.
Für den wissenschaftlichen Zugang bedeutet dies, sich auf einen Diskurs der Differenz
einzulassen, in dem divergierende Prämissensysteme der Interaktion zur Disposition ste-
hen. Im Rahmen eines in der Denktradition von Wilhelm v. Humboldt stehenden dialog-
basierten Kommunikationsmodells (vgl. Hess-Lüttich 1981) richtet sich das Interesse
also auf das Gemeinschaftshandeln von in verschiedenen Kulturen sozialisierten Kom-
munikatoren, das in potentiell heterogenen Semiosen Bedeutung generiert (vgl. Müller-
Jacquier und ten Thije 2005). Die mittlerweile sehr elaborierten Verfahren der kritischen
Diskursanalyse und der linguistischen Gesprächsanalyse können dazu eine Fülle von
empirischen Daten liefern, um den komplexen Prozess der Ko-Konstruktion alltäglichen
Verständigungshandelns besser zu verstehen (und ggfs. für die L2-Didaktik fruchtbar zu
machen). Interkulturelles Missverstehen wird damit ex negativo zum Impuls für die
schärfere Einsicht in die Bedingungen, Mechanismen und Wirkungen eines Zeichenaus-
tauschs, der sich aus divergierenden Code-Repertoires speist.
1494 XVII. Landeskunde

Die im (individuellen, gruppentypischen, kulturspezifischen) Alltagswissen (i. S. v. Al-


fred Schütz, vgl. Schütz 1974) sedimentierten Wissensbestände über allgemeine Regulari-
täten dialogförmiger Kommunikation ermöglichen erst die wechselseitigen Antizipatio-
nen, Präsuppositionen und Adaptionen der dialogisch Handelnden, aber umgekehrt sind
Kommunikationskonflikte erst aus der (partiellen) Divergenz solcher Wissensbestände
erklärbar. Unter „alltagsweltlich-dokumentarischem Paradigma“ (Richter und Schmitz
1980) zielt das Interesse einer empirisch basierten Landeskunde also eher auf die Erstel-
lung eines Corpus von Dokumenten zur Erschließung der sozialen Lebenswelt von Inter-
aktanten unterschiedlicher kultureller Herkunft als auf die Konstruktion universalisti-
scher Regelapparate zur Modellierung des Austauschs ihrer Symbolgesten. Die theoreti-
schen Grundlagen dazu sind u. a. in der Wissenssoziologie seit langem gelegt (vgl.
Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1973). Freilich darf die Analyse vornehmlich situa-
tiver Zeichengebrauchsbedingungen und alltagsweltlicher Wissensbestände nicht dazu
verleiten, die „quasi-objektiven“ sozio-strukturellen Bedingungen individuellen Zeichen-
handelns (vgl. Bourdieu 1987) aus dem Blick zu verlieren, wenn der Ansatz nicht in neue
Einseitigkeiten münden soll.
Kommunikative Konstellationen, in denen eine Pluralität von Zeicheninventaren
(z. B. Mehrsprachigkeit) und kulturellen Konventionssystemen (z. B. Kleidersemiotik, re-
ligiöse Symbole) Geltung heischt, sind also im Alltag vieler Teilkulturen nicht selten
durch eine doppelte strukturelle Asymmetrie der Kompetenz- und Machtverteilung ge-
prägt, die wiederum zur Quelle von Konflikten werden kann. Der multikulturelle Kom-
munikationsalltag erfordert daher von allen Beteiligten neue und zusätzliche Qualifika-
tionen, die in den Bildungsinstitutionen bewusst gemacht und vermittelt werden müssen.
Solche Zusatzqualifikationen werden häufig unter dem mittlerweile ubiquitären Eti-
kett interkulturelle Kompetenz gehandelt, deren Bedarf freilich nicht nur kommerziell
kalkulierenden Instituten neue Märkte eröffnet, sondern die als Objekt wissenschaftli-
chen Interesses bereits seit einem halben Jahrhundert auch ein Thema der internationalen
seriösen Forschung in mehreren Theorie- und Praxisfeldern ist (vgl. Luchtenberg 1999;
Volkmann, Stierstorfer und Gehring 2002; Straub, Weidemann und Weidemann 2007).
Ansätze der kulturkontrastiven Psychologie und Anthropologie, der sozial- und sprach-
wissenschaftlich instrumentierten Diskursanalyse beginnen allerdings erst in jüngerer
Zeit in transdisziplinären Forschungsverbünden zu kooperieren, von deren Erträgen wie-
derum die Praxis theoriefundierter Kulturvermittlung und Landeskunde profitieren
kann. Das für die interdisziplinäre Wissenschaftskommunikation bei solchen Bemühun-
gen nötige gemeinsame Theorie-Fundament und fachneutrale Beschreibungsinstrumenta-
rium könnte m. E. die Semiotik Peircescher Provenienz bieten, da sie Zeichenprozesse
gleich welcher Medialität und Materialität thematisiert (anschauliche Beispiele zur An-
wendung bietet für den hier thematisierten Zusammenhang der Alltagskultur u. a. Mül-
ler-Jacquier 2008: 29 ff.).

2. Multikulturalität
Die meisten westlichen Gesellschaften entwickeln sich im 21. Jahrhundert als Folge der
technologischen und ökonomischen Globalisierung und damit einhergehenden Migrati-
onsbewegungen zu multikulturellen Gemeinschaften. Der deutschsprachige Raum in
Mitteleuropa ist da keine Ausnahme. Den tatsächlichen Anteil der Fremden in den
166. Landeskundl. Gegenstände: Alltagskultur, Multikulturalität und Heterogenität 1495

DACHL-Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz, Liechtenstein) genau festzulegen


ist nicht ganz leicht, da die verfügbaren Statistiken je nach Definition, Kriterien, politi-
schen Interessen und Zählweise stark variieren und daher schwer vergleichbar sind. Zur
Ermittlung der jeweils aktuellen Daten dürften die statistischen Bundesämter dieser Län-
der noch die seriöseste Quelle sein (www.destatis.de; www.bfs.admin.ch; www.statistik.
at). Sie publizieren die Ergebnisse ihrer Erhebungen regelmäßig im Internet, weshalb hier
auf Momentaufnahmen verzichtet werden kann. Nur um die Relationen zu veranschauli-
chen, seien grob die jeweiligen Anteile nicht eingebürgerter Ausländer für das Jahr 2008
zitiert: Deutschland ca. 9 %, Österreich ca. 14.5 %, Schweiz ca. 22 %, Liechtenstein ca.
35 %. Solche Zahlen besagen aber wenig über das, was in diesen Ländern als Multikultu-
ralität Gegenstand anhaltenden öffentlichen Interesses ist.
Je höher der Ausländeranteil, desto gelassener die Debatte darüber, so scheint ein
Vergleich der einschlägigen Medienberichterstattung in diesen Ländern nahezulegen (vgl.
Hess-Lüttich 2002; Bonfadelli und Moser 2007). In Deutschland ist Multikulturalität seit
den 1960er Jahren Gegenstand kontroverser Diskussion in Wissenschaft und Wirtschaft,
in Politik und Bildung (in Schlagworten: Leitkultur vs. Multikulti). Jahrzehntelang wur-
den die mit ihr einhergehenden Probleme von den konservativen Mehrheiten in der Poli-
tik verdrängt, während andere die durch sie eröffneten Chancen beschworen. Die öffent-
lichen Debatten über Fragen der sozialen und kulturellen Herkunft der Migranten, der
Zuwanderungsgründe und -berechtigung (Asyldebatte), der Religion (Kopftuchdebatte,
Moscheedebatte), der Sprache (Spracherwerbspflicht, Schulsprache Deutsch vs. Hetero-
genität der Schulpopulationen), Rituale und Tabus (Schächten, Schleierzwang, Blutra-
che, Beschneidung von Mädchen) u. v. a. verlaufen in der Regel nicht wertneutral, son-
dern eher emotional, unabhängig von den darin vertretenen Standpunkten. Die soziale
Brisanz und anhaltende Aktualität des Themas wird dadurch nur bestätigt.
In der Begegnung zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen wird das Medium
ihrer Verständigung problematisch, insofern die Regeln seines Gebrauchs wechselseitig in
Frage stehen. Gegenseitiges Verstehen kann dadurch beeinträchtigt, aber auch bereichert
werden. Indem etwa das automatische Routinehandeln im alltäglichen Gespräch durch
die Konfrontation mit anderen, fremden Routinen desautomatisiert wird, werden seine
Strukturen und Prozesse, Muster und Schemata, Zeichen-Einheiten und Verknüpfungs-
regeln schärfer ins eigene Bewusstsein gehoben (vgl. Gumperz 1982). Desautomatisation
aber wird seit den im Umkreis der Prager Schule entstandenen Arbeiten zur linguisti-
schen Poetik auch als Merkmal ästhetischen Sprachgebrauchs beschrieben. Die Erfor-
schung interkultureller Kommunikation in ihren alltäglichen wie ästhetischen, histori-
schen, medialen und institutionellen Aspekten kann im Zeichen global zunehmender
transkultureller Kontakte, Kontexte, Konflikte auch in der Germanistik nur an Bedeu-
tung gewinnen (Hess-Lüttich, Siegrist und Würffel 1996). Dies gilt auch und erst recht
im Blick auf die multikulturellen Segmente der deutschsprachigen Gesellschaften.
Der Ausdruck Multikulturalität bezeichnet zunächst nur das Nebeneinander-Bestehen
unterschiedlicher Kulturen und Milieus innerhalb einer Gesellschaft (vgl. Supper 1999:
47); deshalb werden westliche Gesellschaften heute als multikulturelle bezeichnet, sofern
und soweit es in ihnen (neben der Mehrheitsbevölkerung) autochthone oder immigrierte
(ethnische) Minoritäten gibt, die sich definieren durch „Vorstellungen gemeinsamer Her-
kunft, ein Zusammengehörigkeitsbewußtsein, Gemeinsamkeiten von Kultur und Spra-
che, eine auf ,eigenen‘ und ,fremden‘ Zuschreibungen beruhende kollektive Identität“
(Schulte 1992: 94). Wie stark die Identifikation empfunden und zeichenhaft entäußert
1496 XVII. Landeskunde

wird, hängt u. a. ab von Faktoren wie Nationalität, Generation, Erziehung, Religion,


Gruppenbindung, Normen und Wertsystemen. Da diese konkurrieren mit denen der
Mehrheitskultur, kommt es nicht selten zu Konflikten zwischen subjektiven (Familie,
Geschlecht, Generation etc.) und kollektiven Identitäten (Religionsgemeinschaften, Be-
rufsvereinigungen, Parteien, Freizeitvereinen etc.). Das bikulturelle Individuum bewegt
sich also permanent in einer Pluralität potentiell konfligierender Wert- und Symbolsys-
teme, was Identifikationsprozesse instabil werden lässt.
Umso wichtiger ist die Erfahrung sozialer Anerkennung zur Entwicklung stabil positi-
ver Selbstbilder. Den rechtlichen Rahmen dafür bieten in Mitteleuropa die Grundrechte
und Antidiskriminierungsgesetze. In der Alltagspraxis multikultureller Gesellschaften
trifft freilich der Rechtsrahmen einer „Politik der universellen Würde“ auf eine die Eigen-
heit und Andersartigkeit der Minorität respektierende „Politik der Differenz“ ⫺ ein
strukturelles Dilemma und eine weitere Quelle potentieller Konflikte: „Die erste Konzep-
tion wirft der zweiten vor, sie verstoße gegen den Grundsatz der Nicht-Diskriminierung.
Die zweite wirft der ersten vor, sie negiere die Identität, indem sie den Menschen eine
homogene, ihnen nicht gemäße Form aufzwinge“ (Taylor 1993: 34). Dieses Struktur-
Dilemma kennzeichnet noch immer die heutige Debatte zwischen Universalisten und
Differentialisten: diese werfen jenen vor, sie betrieben die Assimilierung und Homogeni-
sierung der Minorität, das Etikett universeller Gleichheit maskiere nur ihren „diskrimi-
nierenden Partikularismus“ (Lützeler 1995: 99); jene werfen diesen vor, sie förderten in
Wahrheit Diskriminierung und Segregation, das Etikett des Rechts auf Andersartigkeit
verdecke die Praxis subkultureller Aus- und Abgrenzung (vgl. Pommerin-Götze 2001:
1199).
Die bildungspolitischen Konsequenzen dieses Dilemmas lassen sich in jeweils ehren-
wert begründeten, aber einander widersprechenden Schulkonzepten und Lehrplänen be-
sichtigen. Freilich werden auch weniger ehrenwert begründete Konsequenzen gezogen,
wenn die eine Position politisch zu Anti-Multikulturalismus und Xenophobie, die andere
zu utopischem Kultur-Relativismus mit der Preisgabe eines in der Gesellschaft geteilten
Rechts- und Wertekonsensus‘ missbraucht wird. Beide Wege führen in die Irre. In Äqui-
distanz zu solchen Positionen formuliert der Göttinger Politologe (syrischer Herkunft)
Bassam Tibi (1998) am Beispiel muslimischer Migranten seine Kritik an einem progre-
dienten Kommunitarismus, der Kohäsion und Zivilität des Gemeinwesens bedrohe: Pa-
rallelgesellschaften ließen es in „Kulturghettos der Kollektive“ zerfallen, die communities
folgten eigenen Gesetzen und Leitlinien, was ihrer Inklusion in die Majoritäts- oder Resi-
denzgesellschaft zuwiderlaufe. Aus dieser Kritik entwickelt er sein Konzept einer (in der
Tradition der europäischen Aufklärung wurzelnden) citizenship, das auch muslimische
Migranten als europäische Bürger integriert.
Integration in diesem Sinne beschreibt indes ⫺ in Abgrenzung zu andern Akkulturati-
onstypen wie Assimilation, Segregation oder Marginalisierung ⫺ einen Idealzustand mul-
tikultureller Gesellschaften, die ihren Bürgern unter dem gemeinsamen Dach der demo-
kratischen Verfassung dieselben Grundrechte, gleiche Chancen und plurale Optionen auf
Kultur(en) gewährt im Klima mutueller Akzeptanz. Dies setzt jedoch nach Auffassung
des britischen Soziologen (südafrikanischer Herkunft) John Rex eine klare Trennung
öffentlicher und privater Sphäre, zwischen Staat und Kirche, zwischen Kultur und Sub-
kultur voraus: „multiculturalism in the modern world involves on the one hand the
acceptance of a single culture and a single set of individual rights governing the public
domain and a variety of folk cultures in the private domestic and communal domains“
(Rex, zit. n. Hoffmann-Nowottny 1996 [2009]).
166. Landeskundl. Gegenstände: Alltagskultur, Multikulturalität und Heterogenität 1497

Anders als in laizistischen Ländern wie Frankreich führt die diffuse Verflochtenheit
von Staat und christlichen Kirchen (mit ihren starken politischen Lobbys) in Deutsch-
land immer wieder zu Abgrenzungsproblemen und juristischen Auseinandersetzungen
mit z. T. widersprüchlichen Urteilen etwa zu Fragen religiöser Manifestationen von Mi-
noritäten (besonders muslimischen) in öffentlichen und beruflichen Sphären (Kopftuch
vs. Nonnenhabit, Minarettstreit, Muezzinruf vs. Glockengeläut, Teildispens vom Schul-
unterricht usw.). Solange der politische Wille zur Durchsetzung einer solchen Trennung
fehlt, wird sich die Hoffnung auf allgemeine Akzeptanz eines übergreifenden Dachs, un-
ter dem sich wie im umbrella-Modell des australischen Soziologen (polnischer Herkunft)
Jerzy Smolicz die verschiedenen Subkulturen mit ihren divergierenden Perspektiven und
religiösen Prämissen versammeln und entfalten können, kaum erfüllen (vgl. Watts und
Smolicz 1997).
Umso dringlicher wäre ein verbindlicher Orientierungsrahmen an öffentlichen Institu-
tionen und Bildungseinrichtungen, der im Respekt vor kultureller Diversität der Tradi-
tion der europäischen Aufklärung verpflichtet bleibt und der Freiheit individueller
Selbstentfaltung erst das Fundament von Grundrechten und Bürgerpflichten, Recht und
Verfassung und gemeinsamer Sprache bietet. Für das Schul- und Bildungssystem mit der
zunehmenden kulturellen Heterogenität seiner Populationen ist das eine ernste Heraus-
forderung.

3. Heterogenität

Im letzten Quartal des 20. Jahrhunderts stieg die Zahl der Immigranten in den DACHL-
Ländern kontinuierlich an, bis Einschränkungen des Asylrechts und Einwanderungsbe-
grenzungsgesetze in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts diese Zahl stabilisiert hat.
Dies gilt auch für die Kinder der Einwanderer an den Schulen. In Deutschland etwa
registriert das Statistische Bundesamt für das Schuljahr 2007 an allgemeinbildenden
Schulen 9,6 % ausländische Schüler, allerdings in gegenüber deutschen Schülern deutlich
unterschiedener Verteilung auf die Schularten (19,2 % an Hauptschulen; 4,3 % an Gym-
nasien): Während mehr als ein Viertel der deutschen Schüler die Hochschulreife erreicht,
gelingt dies nur 3,6 % der ausländischen Schüler; während 8 % der deutschen Schüler die
Schule ohne Abschluss verlassen, sind es 20 % der ausländischen. Dem aus solchen Be-
funden abzuleitenden Handlungsbedarf sucht die interkulturelle Erziehung Rechnung zu
tragen (vgl. Pommerin-Götze 2001).
Dabei ist (in Deutschland) über Jahre hinweg mit jeweils guten Argumenten die Frage
kontrovers erörtert worden, ob dem Erwerb zuerst des Deutschen (als Öffentlichkeits-
sprache) oder der Erziehung zur Mehrsprachigkeit von vornherein der Vorzug zu geben
sei. Die Alternative ist m. E. falsch gestellt. Von der Pflicht, die deutsche Sprache zu
erwerben, kann kein Schüler entbunden werden, der in Deutschland zu leben und zu
arbeiten wünscht (sonst kann er sich nicht integrieren und wird keine Stelle finden).
Die Gesetzgebung trägt dem heute endlich Rechnung. Andererseits ist Mehrsprachigkeit
offizielle EU-Bildungspolitik, die mehreren Modellen Raum gibt (z. B. Muttersprache
L1 ⫹ Nachbarsprache L2 ⫹ Englisch L3 oder ⫺ in welcher Reihenfolge auch immer ⫺
romanische Sprache L1 ⫹ germanische Sprache L2 ⫹ slawische Sprache L3 oder Deutsch
L1 ⫹ Englisch als lingua franca L2 ⫹ Herkunftssprache L3 in den Dachl-Ländern oder
1498 XVII. Landeskunde

in der Schweiz 3 Landessprachen (wenn man vom Rumantsch Grischun in Graubünden


absieht) ⫹ Englisch L4 ⫹ ggfs. Herkunftssprache L5 usw.; vgl. Hess-Lüttich 2006).
Das Ziel der Dreisprachigkeit erscheint vielen Eltern als zu anspruchsvoll. Anderer-
seits ist sie die Norm in vielen Weltgegenden; es ist nicht anzunehmen, dass europäische
Kinder so viel dümmer sind als etwa afrikanische, dass ihnen eine angemessene frühe
Unterweisung in mehreren Sprachen nicht zuzumuten wäre. Dabei ist gleichzeitig zu
beachten, dass die muttersprachliche Identitätsbildung darüber nicht vernachlässigt und
die doppelte Halbsprachlichkeit vieler Migrantenkinder überwunden wird. Die Alltagser-
fahrung sprachlicher Heterogenität darf nicht als Hürde und Hindernis, sondern muss
als Spiel und Bereicherung empfunden werden. Zudem mildert sie die Asymmetrie
sprachlicher Kompetenzen in Klassenverbänden, die sich aus deutschen und ausländi-
schen Schülern zusammensetzen. Deutschen Schülern kann die Erfahrung kaum scha-
den, dass ausländische Mitschüler über (Sprach-)Kompetenzen verfügen, über die sie
nicht verfügen. Umgekehrt dispensiert das Ziel, Sprachenvielfalt zum Objekt der Refle-
xion zu machen, die Schüler nicht-deutscher Muttersprache keineswegs von der Pflicht,
das Hoch- oder Standarddeutsche (woran Schweizer Lehrer gelegentlich erinnert werden
müssen) als offizielle Schul- und öffentliche Verkehrssprache im deutschsprachigen Raum
zu lernen.
Die Lehrer sind im Berufsalltag mit der (ethnischen, sprachlichen) Heterogenität ihrer
Schüler konfrontiert, ohne in ihrer eigenen Fachausbildung hinlänglich darauf vorberei-
tet worden zu sein, was im übrigen seit Jahrzehnten bekannt ist (s. Hess-Lüttich 1983),
woraus aber erst jetzt die nötigen bildungspolitischen und curricularen Konsequenzen
gezogen zu werden beginnen. Sie lernen meist erst in der Praxis, Multikulturalität weder
als Bedrohung oder Hindernis zu empfinden noch paternalistisch-karitativ zu verbrä-
men, sondern kritisch-realistisch als kulturellen Mehrwert pädagogisch zu nutzen. Des-
halb wird inzwischen immer nachdrücklicher gefordert, angehende Lehrkräfte schon in
ihrer Ausbildung auf die Heterogenität ihrer Schüler vorzubereiten (z. B. Engin 2003:
170) ⫺ als Antwort auf die Realität einer multikulturellen Gesellschaft und Beitrag zur
Friedenserziehung durch Konfliktlösung (vgl. Lischke und Rögl 1993: 106⫺107), in der
es nach dem Plädoyer des amerikanischen Philosophen (ostjüdischer Herkunft) Michael
Walzer nicht nur um den Austausch von Argumenten geht, sondern auch um die gemein-
same Suche nach Lösungen und Kompromissen im Geiste „aktiver Toleranz“: „Toleranz
macht Differenz möglich, Differenz macht Toleranz notwendig“ (Walzer 1998: 8). Oft
scheint indes weniger die Differenz das Problem zu sein als vielmehr die Indifferenz, der
Mangel an Interesse am Anderen.

4. Literatur in Auswahl
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Frankfurt a. M.: Suhrkamp [1. Aufl. 1932, Wien: Springer].
Straub, Jürgen, Arne Weidemann und Doris Weidemann (Hg.)
2007 Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz. Stuttgart/Weimar: Metzler.
Supper, Sylvia
1999 Minderheiten und Identität in einer multikulturellen Gesellschaft. Wiesbaden: Deutscher
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1993 Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Frankfurt a. M.: S. Fischer.
Tibi, Bassam
1998 Europa ohne Identität? Die Krise der multikulturellen Gesellschaft. München: Bertelsmann.
Volkmann, Laurenz, Klaus Stierstorfer und Wolfgang Gehring (Hg.)
2002 Interkulturelle Kompetenz. Konzepte und Praxis des Unterrichts. Tübingen: Narr.
Walzer, Michael
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Watts, Richard J. und Jerzy J. Smolicz (Hg.)
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Ernest W. B. Hess-Lüttich, Bern (Schweiz)

167. DACH-Landeskunde
1. Einleitung
2. Geschichte und Prinzipien
3. Lehrerfortbildung
4. Lehrmaterialien
5. Unterrichtsmethoden
6. Bilanz und Ausblick
7. Literatur in Auswahl

1. Einleitung

Landeskunde in Deutsch-Lehrbüchern in und vor den 1980er Jahren war vor allem eine
Landeskunde der damals existierenden beiden deutschen Staaten, später wurde daraus
eine Landeskunde Deutschlands. Österreich, die Schweiz oder Liechtenstein wurden ⫺
wenn überhaupt ⫺ meist nur anekdotisch, nicht aber systematisch in die Lehrwerke und
den Unterricht integriert. Umgekehrt betrieben die Lernmaterialien, die in verschiedenen
167. DACH-Landeskunde 1501

schweizerischen und österreichischen Sprachschulen bzw. Universitätskursen zum Ein-


satz kamen, fast ausschließlich Landeskunde aus der Innenperspektive dieser Länder.
Deutschland und die jeweils anderen deutschsprachigen Regionen fanden hier auch
kaum Berücksichtigung. Als Themen landeskundlicher Auseinandersetzungen dienten
vor allem Sitten und Gebräuche, Institutionen, Topografisches oder auch bestimmte
sprachliche Besonderheiten.

2. Geschichte und Prinzipien


Die allgemeine Unzufriedenheit über diese Situation führte im Oktober 1988 zu einem
ersten Treffen von Expertinnen und Experten der Deutschlehrerverbände aus der Bun-
desrepublik Deutschland, aus der Deutschen Demokratischen Republik, aus Österreich
und der Schweiz mit dem Ziel, Möglichkeiten der Kooperation in der Lehrerfortbildung
zu suchen, länderübergreifendes Landeskundematerial zu konzipieren und schließlich
Unterrichtsprinzipien zu entwickeln, die ⫺ den Anfangsbuchstaben der Herkunftsländer
der beteiligten ExpertInnen nachempfunden ⫺ als „ABCD-Thesen zur Rolle der Landes-
kunde im Deutschunterricht“ 1990 schließlich publiziert wurden.
Durch die „Thesen“ wurde der Landeskunde im Sprachunterricht eine neue Orientie-
rung und Schwerpunktsetzung gegeben. Primäre Aufgabe der Landeskunde ist demnach
nicht die Vermittlung von Informationen über Tatsachen und Zahlen, sondern „Sensibili-
sierung sowie die Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Umgang
mit fremden Kulturen“ (These 4). Lernende sollen darüber hinaus in die Lage versetzt
werden, (fremd-)kulturelle Phänomene entsprechend einzuschätzen, die Koordinaten der
fremden Kultur zu erkennen, um auf dieser Basis selbständig Bezüge zur eigenen Realität
herzustellen. Schließlich wird auch das Ideal einer „objektiven“ Darstellung zugunsten
von vielfältigen, exemplarischen und auch kontroversiellen (Die Verfasser dieses Artikels
kommen aus den DACH-Ländern. Ihre jeweiligen lexikalischen und orthographischen
Standardvarietäten wurden im Text beibehalten.) Sichtweisen zurückgestellt und subjek-
tiven, emotionalen Zugängen entsprechender Raum gegeben. Nach den Thesen wider-
spricht es dem Sinn der Landeskundevermittlung, sich im Unterricht nur auf eine
deutschsprachige Region zu beschränken. Stattdessen wird das Prinzip „D-A-CH“ pro-
pagiert, bezeichnet nach den internationalen Autokennzeichen Deutschlands, Österreichs
und der Schweiz. In manchen Publikationen bzw. landeskundlichen Projekten wird
DACH auch durch „L“ zu DACHL erweitert, eine etwas präzisere Beschreibung des
deutschsprachigen Raumes durch die Hereinnahme des „L“ für Liechtenstein.
DACH(L)-Landeskunde versteht sich aber nicht als länderanteiliger Verteilungs-
schlüssel. Lernende sollen ihre sprachliche Kompetenz anhand von Materialien aus dem
gesamten deutschen Sprachraum erwerben. Es ist keine Quotenregelung nach Größe
oder etwa politisch-wirtschaftlicher Bedeutung der einzelnen deutschsprachigen Länder
vorgesehen, die eingesetzten Materialien folgen vielmehr den kommunikativen bzw. the-
matischen und methodischen Anforderungen des Unterrichts. Durch das DACH-Prinzip
wird die Palette der Möglichkeiten allerdings entscheidend erweitert, wodurch schließlich
die Vielfalt in den Materialien von den Lernenden als „selbstverständlich“ wahrgenom-
men werden sollte.
Das DACH-Prinzip steht auch für die Berücksichtigung einer plurizentrischen Phone-
tik, das heißt, die Lernenden sollten mit unterschiedlichen Aussprachemerkmalen ver-
1502 XVII. Landeskunde

traut gemacht werden bzw. lernen, dass in DACH auch unterschiedliche Aussprachestan-
dards existieren. DACH-Materialien schließen leichte regionale Färbungen bei Hörtexten
mit ein; im rezeptiven Bereich geht es um Sensibilisierung und die Entwicklung von
flexiblen Verstehensfertigkeiten. Im sprachproduktiven Bereich sieht der DACH-Ansatz
kein spezielles Phonetiktraining vor.
Schließlich ist DACH-Landeskunde auch im Kontext von Mehrsprachigkeit zu sehen,
das heißt, Deutsch als Fremdsprache wird nicht als Einzelphänomen verstanden, sondern
eingebettet in den Rahmen von Mehrsprachigkeit und einer multikulturellen Welt. Darin
ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, „sich sowohl den DACH-Kulturen zu nähern als
auch Anregungen aufzugreifen, die eigene(n) Kultur(en) etwas differenzierter zu sehen“
(Clalüna, Fischer und Hirschfeld 2007).
Neben Anregungen in Bezug auf die methodisch-didaktische und inhaltliche Ausrich-
tung des Landeskunde- bzw. Sprachunterrichts werden in den Thesen auch organisatori-
sche und sprachenpolitische Forderungen erhoben: DACH-Landeskunde bedingt enge
Kooperationen unter Fachleuten der deutschsprachigen Länder insbesondere bei der
Entwicklung landeskundlicher Materialien, bei der Ausbildung von Lehrenden, bei Lehr-
buchprojekten, bei der Förderung bi- und multilateraler Fortbildung.

3. Lehrerortbildung
Die ABCD-Thesen und das DACH-Konzept zeigten zuerst in der Lehrerfortbildung
konkrete Ergebnisse. Auf Initiative des Internationalen Deutschlehrerverbandes (IDV)
und der nationalen Deutschlehrerverbände wurde seit 1992 eine Reihe von DACH-Semi-
narien zur erlebten Landeskunde konzipiert und in den drei deutschsprachigen Ländern
durchgeführt. Ziel dieser Seminarien ist es, dass die Teilnehmenden die plurizentrische
Soziokultur konkret erleben und für den eigenen landeskundlichen Unterricht nutzbar
machen. Unter Soziokultur wird hier in Anlehnung an die Soziologie und Sozialpsycho-
logie die Gesamtheit der operativen, kognitiven und affektiven Kenntnisse und Fähigkei-
ten verstanden, die für das Handeln im Zielsprachengebiet nötig sind (Simon-Pelanda
2001: 932). In den trinationalen DACH-Seminarien erfahren die Teilnehmenden erlebte
Landeskunde in den drei deutschsprachigen Ländern und setzen sich mit gemeinsam
festgelegten Themen auseinander.
Der DACH-spezifische Ansatz der Lehrerfortbildung ist durch folgende Merkmale
gekennzeichnet (Goethe-Institut 2001: 2):
⫺ Zielsprachenkultur(en): Die Zielkultur der Landeskunde ist nicht allein Deutschland.
Im Seminar erwerben die Teilnehmenden ein differenziertes Bild des deutschsprachi-
gen Raumes auf nationaler und regionaler Ebene.
⫺ Binnendifferenzierung: Im Verlaufe des Seminars vergleichen die Teilnehmenden ne-
ben der Ausgangs- und Zielsprachenkultur auch verschiedene deutschsprachige Län-
der oder Regionen.
⫺ Perspektivierung von Wirklichkeit: Es gibt nicht nur eine Sicht auf die deutschspra-
chige Wirklichkeit. Im Seminar machen sich die Teilnehmenden Selbst- und Fremdbil-
der bewusst und reflektieren Stereotypen im Kontext.
⫺ Wissen und Erfahrung: Bei der erlebten Landeskunde geht es weniger um Faktenwis-
sen, als vielmehr um reflektierte Erfahrungen in der Zielsprachenkultur.
167. DACH-Landeskunde 1503

⫺ Handlungsorientierung: Die Teilnehmenden realisieren während des Seminars ein


Projekt, das eigene Recherchen und ethnographische Interviews umfasst.
⫺ Generative Themen: Den Seminarien liegt ein übergeordnetes Thema zugrunde, das
den Rahmen für die Recherchen bildet. Die Teilnehmenden legen jeweils in Gruppen
ausgewählte Aspekte fest, an denen sie während des Seminars arbeiten.
Die DACH-Seminarien tragen in der Regel einen starken Projektcharakter. Die folgende
Ablaufskizze (Tab. 167.1) zeigt prototypisch die einzelnen Projektphasen mit den entspre-
chenden Tätigkeiten (Goethe-Institut 2001: 4):

Tab. 167.1: Ablaufskizze DACH-Seminar


Projektphase Tätigkeiten
1. Start ⫺ Eigene Erwartungen formulieren
⫺ Ziel des Seminars diskutieren und festhalten
⫺ Landeskundliches Arbeiten diskutieren
⫺ Rahmenthema klären
2. Themenwahl ⫺ Teilaspekte des Themas identifizieren
⫺ Ideen sammeln
⫺ Erfahrungen austauschen
⫺ Interessen und Motive klären
⫺ Gruppen bilden
3. Planung ⫺ Thema präzisieren
⫺ Ziele der Gruppenarbeit diskutieren
⫺ Geplantes Produkt festlegen
⫺ Unterschiedliche DACH-Orte einplanen
⫺ Projektplan erstellen: wer, was, wo, wann
4. Durchführung ⫺ Recherchieren
⫺ Materialien sammeln
⫺ Interviews führen
⫺ Materialsammlung auswerten
⫺ Materialien didaktisch aufbereiten
⫺ Arbeit dokumentieren und reflektieren
5. Präsentation ⫺ Präsentation und Hilfsmittel planen
⫺ Ergebnisse präsentieren
6. Evaluation ⫺ Ergebnisse und Projektmethode reflektieren
⫺ Umsetzung im Landeskundeunterricht diskutieren
⫺ Feedback geben und nehmen
⫺ Seminar auswerten

Die Rollen der Teilnehmenden und die Rollen der Moderierenden werden im DACH-
Seminar ausdrücklich thematisiert und geklärt. Die DACH-Seminare zeichnen sich da-
durch aus, dass Orte und auch Moderierende wechseln. Die Teilnehmenden bilden mithin
die Konstante des Seminars, weshalb ihnen eine besondere Bedeutung zukommt. Ent-
sprechend ihrer Herkunft haben die Teilnehmenden unterschiedliche Blickwinkel auf das
Rahmenthema. Durch mitgebrachte Gegenstände und persönliche Erzählungen werden
kulturelle Unterschiede erkennbar. Die Vielfalt der Perspektiven auf das Thema ermun-
tert dazu, bestimmte Aspekte auch in den DACH-Ländern zu erforschen. Das persönli-
che Interesse der Teilnehmenden am Rahmenthema bildet die Grundlage für die Bildung
der Arbeitsgruppen. Die Projektarbeit verlangt von den Teilnehmenden die Bereitschaft,
1504 XVII. Landeskunde

in interkulturell zusammengesetzten Gruppen zu arbeiten, Offenheit für neue Erfahrun-


gen in den DACH-Ländern und Kontaktfreudigkeit im Umgang mit deren Bewohnern.
Die Gruppen arbeiten in grosser Eigenständigkeit. Sie müssen dabei Flexibilität, Einfüh-
lungsvermögen, aber auch Mut zeigen. Bei Bedarf können sie auf die Unterstützung eines
Moderators zurückgreifen. Während der Projektarbeit reflektieren die Teilnehmenden
zudem laufend die Ziele, die Arbeitsweise und die Ergebnisse.
In der Sensibilisierung für kulturelle Unterschiede im deutschsprachigen Raum und
der daraus resultierenden Erarbeitung konkreter Unterrichtsvorschläge bzw. Unter-
richtssequenzen besteht eine der Hauptleistungen dieser Seminare.

4. Lehrmaterialien
Im unmittelbaren Zusammenhang mit der Veröffentlichung der ABCD-Thesen steht das
„Lehrbuchautorensymposium“ 1994 in Linz, Österreich, auf dem die Prinzipien einer
„DACH-Landeskunde“ von einer breiteren Fachwelt diskutiert wurden. Etwas später
als geplant kommt es 1998 noch zur Veröffentlichung der schon in den Thesen angekün-
digten Buchreihe „Landeskunde ⫺ deutschsprachige Länder“, bei der viele der Beiträge
auch von den VerfasserInnen der Thesen stammen (Goethe-Institut 1998; Koch 1999).
Seit Anfang der 1980er Jahre bahnen sich allmählich plurizentrische Elemente ihren
Weg in verschiedene Deutschlehrwerke. Zunächst allerdings nur vereinzelt, als Zusatz-
informationen und weniger als (DACH-)Prinzip. Als eines der ersten weltweit verbreite-
ten Lehrwerke bot Deutsch aktiv in den 1980er Jahren ein „Österreichisches Beiheft“
zum Lehrbuch als Zusatzmaterial an, in dem die in unterschiedlichen Kapiteln erwähnten
deutschen Realien durch österreichische ergänzt bzw. ersetzt wurden (Baktir und Waitz-
bauer 1982). Andere Lehrwerke, wie etwa Stufen, starteten von Anfang an Versuche, den

Abb. 167.1: Häublein et al. (1995: 136)


167. DACH-Landeskunde 1505

Abb. 167.2: Österreichisches Sprachdiplom, B2 Mittelstufe Deutsch (http://www.osd.at; 10. 11.


2009)

gesamten deutschsprachigen Raum mehr einzubeziehen. Einen eigenen Weg ging das
Wortschatzlehrwerk Memo (Häublein et al. 1995), das in seinen „Regioboxen“ der bin-
nendeutschen Lexik jeweils österreichische und schweizerische Vokabel gegenüberstellte,
allerdings ohne auf semantisch-kulturelle „A“ und „CH“- Spezifiken näher einzugehen
(vgl. Abb. 167.1).
An den zuletzt erschienenen Mittelstufenlehrwerken Ziel (Dallapiazza et al. 2008 und
2009), Aspekte (Koithan et al. 2007) und Mittelpunkt (Daniels et al. 2007) lässt sich
ablesen, dass auch Alltagsthemen, die Darstellung von Persönlichkeiten aus Geschichte
und Wissenschaft, Kunst und Kultur aus allen deutschsprachigen Regionen fallweise
berücksichtigt werden.
Hör- und Printtexte aus DACH sind inzwischen regelmäßiger Bestandteil in den vom
Goethe-Institut und dem Österreichischen Sprachdiplom angeboten standardisierten
Sprachprüfungen (vgl. Abb. 167.2). Die Berücksichtigung von Standardvarietäten be-
trifft hier allerdings nur den rezeptiven Bereich und bewegt sich innerhalb der entspre-
chenden Lernzielkataloge und Referenzsysteme (Profile Deutsch, Lernziel-Katalog Ös-
terreichisches Sprachdiplom Deutsch, Lernziel-Katalog Zertifikat Deutsch).
Systematisch und am umfassendsten ist der DACH-Ansatz bisher im Lehrwerk „Di-
mensionen“ (Jenkins et al. 2002, 2003, 2006) verwirklicht worden. In diesem Lehrwerk
wechseln reine Informationsaktivitäten (auch in Bezug auf unterschiedlichen Sprachge-
brauch) mit Sensibilisierungsübungen zu Sprachaufmerksamkeit, findet sich Realien-
kunde mit Einblicken in historische Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede neben Hörver-
stehensaufgaben mit Sprecherinnen und Sprechern aus verschiedenen DACH-Regionen
(vgl. Abb. 167.3 und 167.4). Hin und wieder werden exemplarische Einblicke in dialekta-
len Sprachgebrauch vorgeführt, allerdings ohne Anspruch, als produktives Lernziel zu
dienen. Journalistische und literarische Texte, Fotos, Interviews und andere Hörtexte
gewähren in verschiedenen Abschnitten des Lehrwerks beispielhafte Einblicke in den
Alltag von Menschen aus DACH.
1506 XVII. Landeskunde

Abb. 167.3: Jenkins et al. (2006: 11)

Abb. 167.4: Jenkins et al. (2003: 42)


167. DACH-Landeskunde 1507

5. Unterrichtsmethoden
Die Ziele und Unterrichtsmethoden des Landeskundeunterrichts sind stark geprägt vom
jeweiligen Lernort. Grundsätzlich kann man drei Lernsituationen unterscheiden: Lernen
im Zielsprachenland, Lernen in Nachbarländern und Lernen in weit(er) entfernten Län-
dern (Hackl, Langner und Simon-Pelanda 1998: 5). Beim Lernen in einem deutschspra-
chigen Land wenden die Lernenden Strategien des Verstehens und des Wissenserwerbs im
Kontakt mit Muttersprachlern an. Sie lernen soziokulturelle Codes im Alltag als erlebte
Landeskunde und machen sich ungewohnte Perspektiven und fremde Bilder bewusst.
Beim Lernen in Nachbarländern findet das landeskundliche Lernen vor allem in interkul-
turellen Kontaktsituationen statt. Die kontrastierende Landeskunde arbeitet dann Ähn-
lichkeiten und Unterschiede der Soziokultur zweier Länder heraus und bietet den Ler-
nenden Orientierungswissen zu den Kulturen der deutschsprachigen Länder. In weiter
entfernten Ländern sind unmittelbare landeskundliche Begegnungen eher selten. Im Lan-
deskundeunterricht müssen die Lehrenden Kulturkontakte zuerst möglich machen. Die
erlebbare Landeskunde vermittelt Begegnungen mit Muttersprachlern oder macht die
Soziokulturen der deutschsprachigen Länder über Medien verfügbar. Oft finden Ler-
nende auch kulturelle Berührungspunkte mit deutschsprachigen Ländern im eigenen
Land.
Es gibt bis heute keine ausgearbeitete DACH-Übungstypologie. Trotzdem lassen sich
einige typische und erprobte Aktivitäten einer DACH-Landskunde beschreiben. Eine
erste Gruppe von Aktivitäten lässt sich unter dem Titel „interkulturelle Sensibilisierung“
zusammenfassen. Das Ziel dieser Aktivitäten ist es, die unterschiedlichen Lebenswelten
in den deutschsprachigen Ländern überhaupt erst wahrzunehmen. Je nach Auswahl des
Wirklichkeitsausschnittes treten nationale, regionale, aber auch soziale Unterschiede der
Lebenswelten zu Tage. Die Lernenden erkennen oder erfahren Unterschiede und entwi-
ckeln durch binationale oder trinationale Kulturkontraste ein differenzierteres Bild der
deutschsprachigen Länder. Aus fremdsprachendidaktischer Sicht sind besonders Sprich-
wörter, Redewendungen und traditionelle Geschichten ergiebige Quellen für Vergleiche
von Menschen- und Weltbildern.
Die interkulturelle Sensibilisierung betrifft nicht nur verschiedene Wirklichkeitsaus-
schnitte, sondern auch unterschiedliche Beobachterstandpunkte. Bei der Analyse von
Fremd- und Selbstbildern werden Vorurteile, Stereotypen und Klischees nicht etwa ver-
bannt, sondern dazu genutzt, den perspektivischen Blick auf kulturelle Phänomene deut-
lich zu machen. Interessante interkulturelle Erkenntnisse ergeben sich aus dem Vergleich
von Assoziationsnetzen zu zentralen Begriffen, z. B. zu abstrakten Begriffen wie „Frei-
heit“, „Bildung“, „Reichtum“, aber auch zu alltäglichen Begriffen wie „Strasse“, „Brot“,
„Spiel“. Gemeinsam ist diesen Aktivitäten, dass die Lernenden ethnozentrische Be-
schränkungen überwinden sollen und Offenheit für neue Interpretationen und Erfahrun-
gen gewinnen.
Sowohl in der Lehrerfortbildung zur Landeskunde wie auch im landeskundlich orien-
tierten Fremdsprachenunterricht selbst gehört die thematische Recherche zu den wichtig-
sten Aktivitäten. Die Recherche ist projektorientiert, da die Aufgabenstellung die Pla-
nung und Bearbeitung eines Themas umfasst und auf ein konkretes Produkt ausgerichtet
ist. Die Recherche ist zudem lernerorientiert, da sie den Lernenden die Möglichkeit bie-
tet, mitzuentscheiden und mitzugestalten. Durch die Recherche entwickeln die Lernen-
den Fertigkeiten im Umgang mit der fremden Kultur und sie erwerben ein Orientierungs-
1508 XVII. Landeskunde

wissen, das nicht nur Fakten, sondern auch Interpretationen und Wertungen beinhaltet.
In der DACH-Lehrerfortbildung hat sich bewährt, ein generatives Thema als Ausgangs-
punkt für die Recherche zu setzen. Ein Thema eignet sich dann als generatives Thema,
wenn es interessant, thematisch offen, sprachlich ergiebig und kulturell differenzierbar
ist. So wurden beispielsweise DACH-Seminarien zu Rahmenthemen „Grenzen“ oder
„Brücken“ durchgeführt. Das Thema liegt in unterschiedlichen Kodierungen vor, in der
Form von historischen Dokumenten, Filmen, Fotos, literarischen Texten, Liedern usw.
Durch Recherche und Interpretation erschliessen die Lernenden verschiedene Facetten
des gemeinsamen Rahmenthemas. Entscheidend für den Erfolg der Recherche ist einer-
seits die Kunst des (Nach-)Fragens und andrerseits die Kunst des Infragestellens (Fischer
2007: 20). Landeskundliche Recherche benötigt authentische Materialien und geeignete
Kulturkontakte. In entfernten Ländern bietet das Internet oft die einzige Quelle für sol-
che Informationen und Kontakte. Die virtuelle Landeskunde spielt deshalb in den letzten
Jahren eine zunehmend wichtige Rolle. Die verschiedenen nationalen Deutschlehrerver-
bände haben strukturierte und kommentierte Linklisten zur Landeskunde zusammenge-
stellt, die sich als Ausgangsbasis für selbständige Recherchen eignen.
Im projektorientierten Landeskundeunterricht stellt die Recherche den ersten Schritt
bei der Bearbeitung des Themas dar. Bei den weiteren Schritten geht es darum, die Infor-
mationen zu interpretieren, zu kategorisieren, zu vergleichen, zu kontrastieren und zu
generalisieren. Die Lernenden bereiten die Ergebnisse der Recherche zu einem Produkt
auf, das innerhalb oder ausserhalb der Schule präsentiert werden kann. Produktideen
für landeskundliche Projekte sind beispielsweise (Goethe-Institut 2001):
⫺ Text: Bericht, Dossier, Essay, Wandzeitung, Leseheft, Infoblätter, Webseiten …
⫺ Bild: Diashow, Fotogalerie, Bilderbogen, Collage …
⫺ Audio: Interview, Feature, Nachrichten, Radiosendung, Umfrage …
⫺ Video: Kurzfilm, Nachrichten, Fernsehsendung, Interview …
⫺ Spiel: Rollenspiel, Talkshow, (verstecktes) Theater, Kartenspiel, Brettspiel …
Eine häufig verwendete Form der Präsentation ist das Themendossier, zu dem auch
Checklisten für Lehrende und Lernende existieren. Beurteilungskriterien für Themendos-
siers sind die Qualität der Information, Leserfreundlichkeit, inhaltlicher Zusammenhang,
persönliche Auseinandersetzung, Gestaltung usw. (Koch 1999).
Vereinzelt werden auch komplexe Lernumgebungen im Landeskundeunterricht einge-
setzt, wie z. B. Planspiele oder Simulationen. Dabei übernehmen die Lernenden vorgege-
bene Rollen und versuchen sie angemessen zu interpretieren und zu spielen. Die komple-
xen Lernumgebungen sind zwar aufwendig in der Vorbereitung und in der Betreuung,
gestatten aber den Lernenden, mit Verhaltensweisen zu experimentieren und so die eigene
Phantasie bei der Lösung der Aufgaben einzusetzen.
Der landeskundlich orientierte Unterricht nach den DACH-Prinzipien ist immer auch
begleitet von Reflexion und Evaluation. Die Lernenden dokumentieren die Reflexion in
einem Arbeitsjournal oder abschliessend im Dossier. Die Evaluation umfasst sowohl
Selbst- wie auch Fremdevaluation. Die zentralen Evaluationsbereiche sind die Ziele, das
Vorgehen, das Verhalten der Gruppe und die Ergebnisse, wobei jeweils Erfolge und Prob-
leme thematisiert werden.
Abschliessend lässt sich der Entwicklungsstand einer DACH-Unterrichtsmethodik
folgendermassen zusammenfassen: Es gibt eine Reihe sinnvoller und erprobter Aktivitä-
ten, die, abgeleitet aus den allgemeinen Prinzipien landeskundlicher Arbeit, auch auf das
167. DACH-Landeskunde 1509

DACH-Konzept angewendet werden können. Recherchearbeit unter DACH-Perspektive


zeichnet sich besonders dadurch aus, dass sie Vergleiche zwischen den deutschsprachigen
Ländern ermöglicht. Dabei ist nicht eine Quotenregelung anzustreben, die absolute Pari-
tät und Gleichberechtigung der zu behandelnden Themen für die deutschsprachigen Län-
der vorschreibt. Ebenso strebt das DACH-Prinzip auch keine Vollständigkeit bei den
landeskundlichen Informationen an. Die Lebenswelt der deutschsprachigen Länder lässt
sich nur exemplarisch erfassen. Der Anspruch auf Vollständigkeit überfordert Lehrende
und Lernende. Dabei sollen und müssen die modernen Kommunikationsmittel (beson-
ders des Internets) genutzt werden. Sie dürfen jedoch nicht zu einer neuen Diktatur der
Fakten führen. Zudem müssen Kulturkontraste nicht immer trinational durchgeführt
werden, sondern können sich auch auf zwei Länder oder auf mehrere Regionen beziehen.
Bisher fehlen Standards und Testformen für landeskundliche Kompetenz weitgehend.
Diese Tatsache muss aber nicht als Mangel betrachtet werden, solange dafür Raum für
Recherche, Reflexion und Phantasie offen bleibt.

6. Bilanz und Ausblick

Blickt man auf die letzten Jahre DACH-landeskundliche Aktivitäten zurück, ist festzu-
stellen, dass sich die oben genannten Ansätze im landeskundlich orientierten Fremdspra-
chenunterricht etabliert haben. Eine eigene DACH-Methodik existiert allerdings nicht.
Allgemeine Prinzipien landeskundlichen Arbeitens und Unterrichtens (wie z. B. Projekt-
arbeit, Themenrecherchen, unterschiedliche Präsentationsformen der Ergebnisse) lassen
sich problemlos unter DACH-Perspektive erfolgreich anwenden. Dabei bleibt festzuhal-
ten, dass die Sensibilisierung für intrakulturelle Probleme des deutschsprachigen Raumes
und das Arbeiten mit kulturellen Varietäten Hauptprinzipien der DACH-Landeskunde
sind, denn „nationalkulturelle Fixierungen und Stereotypisierungen durch Kontrastie-
rung, Regionalisierung und Vergleich zu vermeiden“ (Biechele und Padrós 2003: 106),
gehört zum Kernbereich des DACH-Konzepts.
Der landeskundlich orientierte Fremdsprachenunterricht unter DACH-Perspektive
legt generell Wert auf Vergleiche zwischen den deutschsprachigen Ländern. Noch wenig
Beachtung finden bisher intra-intrakulturelle Differenzen, also Unterschiede innerhalb
zweier oder mehrer Regionen eines DACH-Landes. Besonders bezüglich der deutschen
Realität (nach 1990) ist bisher im Rahmen von DACH wenig Konkretes geleistet worden.
Zukünftige DACH-Seminare sollten in angemessenem Umfang auch deutsch-deutsche
Kulturunterschiede thematisieren, insbesondere die Ost-West-Problematik. Damit wird
auch an das angeknüpft, was bei den ABCD-Thesen zu Beginn der 1990er Jahre eine
wichtige Rolle spielte.
Aktuelle DaF-Lehrwerke verweisen auf lexikalische Unterschiede in der Schweiz, in
Österreich und Deutschland (Paradebeispiele: Matura ⫺ Abitur; Paradeiser ⫺ Tomate,
Jänner ⫺ Januar), zuweilen begegnet uns der Wiener Stephansdom anstelle des Kölner
Doms in DaF-Lehrwerken. Bei diesen plurizentrischen Elementarbeispielen bleibt es al-
lerdings in der Regel. Damit verbundene, wirklich kulturelle Unterschiede in den
deutschsprachigen Ländern werden selten thematisiert.
Klar sein muss in diesem Zusammenhang folgendes: „DACH ist einer unter vielen
Aspekten, den Deutsch-Lehrende und Lehrbuchautorinnen und -autoren zu berücksich-
1510 XVII. Landeskunde

tigen haben. Nicht in jeder Phase des Lernens und Lehrens ist Sensibilisierung für die
Vielfalt des deutschsprachigen Kulturraumes bzw. für die Varietäten der deutschen Spra-
che gleichermaßen relevant. DACH ist auch nicht ,Deutsch mal 3‘ oder gar als Schikane
zu verstehen, sondern kann auch eine tolle Bereicherungsmöglichkeit sein.“ (Clalüna et
al. 2007: 45). Mit einer bloßen numerischen Addition lexikalischer bzw. soziokultureller
Varietäten des deutschsprachigen Raums ist jedoch niemandem gedient, einer quantitati-
ven Abfrage derselben in diversen Tests schon gar nicht. Dies sei an dieser Stelle aus-
drücklich erwähnt, stellen uns doch die europäischen Reformprozesse im Hochschulkon-
text der letzten Jahre mehr und mehr unter Zertifizierungs- und Testzwang.
Wünschenswert für die Zukunft ist, dass sich „DACH“ als Begriff im landeskundli-
chen Kontext weiter etabliert wie Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre der Begriff
„ABCD“.
Dabei scheint notwendig, dass der DACH-Begriff, neben der Vermittlung von kultu-
reller Vielfalt im deutschsprachigen Raum im Rahmen von Lehrwerken bzw. Fortbil-
dungsseminaren, auch eine sprachpolitische Komponente für Österreich, die Schweiz und
Deutschland erfährt, indem sich die drei Länder die weltweite Förderung von Deutsch
als Fremdsprache in eine gemeinsame Agenda schreiben.

7. Literatur in Auswahl
ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht
1990 Fremdsprache Deutsch 3: 60⫺61.
Baktir, Elfi und Manfred Waitzbauer
1982 Deutsch aktiv. Österreichisches Beiheft 1; Materialien zur Landeskunde. Berlin/München:
Langenscheidt.
Biechele, Markus und Alicia Padrós
2003 Didaktik der Landeskunde. (Fernstudieneinheit 31). München: Langenscheidt.
Clalüna, Monika, Roland Fischer und Ursula Hirschfeld
2007 Alles unter einem D-A-CH-L? Fremdsprache Deutsch 37: 38⫺46.
Dallapiazza, Rosa-Maria, Sandra Evans, Roland Fischer, Angela Kilimann, Anja Schürmann und
Maresa Winkler
2008 Ziel B2/1. München: Hueber.
Dallapiazza, Rosa-Maria, Sandra Evans, Roland Fischer, Angela Kilimann, Anja Schürmann und
Maresa Winkler
2009 Ziel B2/2. München: Hueber.
Daniels, Albert, Stefanie Dengler, Renate Köhl-Kuhn, Monika Lanz, Ilse Sander, Wolfram Schlen-
ker und Ulrike Tallowitz
2007 Mittelpunkt. Stuttgart: Klett.
Fischer, Roland
2007 Landeskunde im DaF-Unterricht ⫺ wohin geht die Reise? Ausblicke 25: 19⫺23.
Goethe-Institut (Hg.)
1998 Landeskunde ⫺ deutschsprachige Länder. 4 Bände. Regensburg: Dürr und Kessler.
Goethe-Institut (Hg.)
2001 Erlebte Landeskunde. Handbuch für Spracharbeit. Teil 5. München: Goethe-Institut.
Hackl, Wolfgang, Michael Langner und Hans Simon-Pelanda
1998 Landeskundliches Lernen. Fremdsprache Deutsch 18: 5⫺12.
Häublein, Gernot, Martin Müller, Paul Rusch, Theo Scherling und Lukas Wertenschlag
1995 Memo. Wortschatz- und Fertigkeitstraining zum Zertifikat Deutsch als Fremdsprache. Lehr-
und Übungsbuch. Berlin/München: Langenscheidt.
168. Landeskunde in der Germanistik im nichtdeutschsprachigen Europa 1511

Jenkins, Eva-Maria, Roland Fischer, Ursula Hirschfeld, Maria Hirtenlehner und Monika Clalüna
2002 Dimensionen 1. Lernstationen 1⫺5. München: Hueber.
Jenkins, Eva-Maria, Roland Fischer, Ursula Hirschfeld, Maria Hirtenlehner und Monika Clalüna
2003 Dimensionen 2. Lernstationen 6⫺10. München: Hueber.
Jenkins, Eva-Maria, Monika Clalüna, Roland Fischer und Ursula Hirschfeld
2006 Dimensionen 3. Lernstationen 11⫺18. München: Hueber.
Koch, Leo
1999 Landeskunde ⫺ deutschsprachige Länder. Begleitband. Anregungen ⫺ Arbeitsformen ⫺
Merkblätter. Regensburg: Wolf.
Koithan, Ute, Helen Schmitz, Tanja Sieber, Ralf Sonntag und Nana Ochmann
2007 Aspekte Mittelstufe Deutsch. Berlin/München: Langenscheidt.
Simon-Pelanda, Hans
2001 Landeskundliches Lernen und Lehren. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze, Gert Henrici
und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache: Ein internationales Handbuch,
931⫺941. Band 1. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺2).
Berlin/New York: de Gruyter.

Roland Fischer, Fischlham (Österreich)


Bruno Frischherz, Luzern (Schweiz)
Knuth Noke, München (Deutschland)

168. Landeskunde in der Germanistik im


nichtdeutschsprachigen Europa
1. Deutsch als Fremdsprache im europäischen Kontext
2. Landeskundedidaktik in europäischen Ländern ⫺ Unterschiede und Gemeinsamkeiten
3. Neuausrichtungen in der Landeskunde ⫺ die kulturelle Dimension in Schulen und in der Ger-
manistik
4. Literatur in Auswahl

1. Deutsch als Fremdsprache im europäischen Kontext


Im europäischen Kontext befinden sich Deutsch als Fremdsprache und somit auch Stu-
dien zur Landeskunde und Literatur zur Zeit in einer recht widersprüchlichen Situation.
Einerseits hat die Sprachenvielfalt Europas Auswirkungen auf der allgemeinen politi-
schen Ebene, wo eine prinzipielle Sprachenpolitik geschaffen wurde mit dem Ziel, alle
EU-Bürger sollten eine Kompetenz in zwei Fremdsprachen neben ihrer Erstsprache ent-
wickeln (Europäische Kommission 2003). Es wurde ein EU-Kommissar mit besonderer
Verantwortung im Bereich Mehrsprachigkeit ernannt, und Projekte zur Erfassung von
Sprachkompetenzen in der EU wurden gestartet, z. B. der Europäische Indikator für
Sprachenkompetenz. Diese politischen Initiativen stellen eine Fortführung und Auswei-
tung der langjährigen Arbeit des Europarats zur Entwicklung gemeinsamer europäischer
1512 XVII. Landeskunde

Instrumente zur Beschreibung der Sprachkompetenzen dar, und dies hat unter anderem
zu dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Goethe-Institut Inter
Nationes 2001) sowie im Jahr 2000 zu der Entscheidung der Bildungsminister über die
Einführung des Europäischen Sprachenportfolios (vgl. Ballweg und Stork 2008) geführt.
Andererseits gibt es die aktuelle sprachensoziologische Entwicklung, in deren Kontext
diese politischen Ziele formuliert werden: Nämlich eine europäische Sprachenlandschaft,
in der Englisch als allgemeines Kommunikationsmittel und als erste Fremdsprache in
den Bildungssystemen immer mehr an Bedeutung gewinnt, und in der immer weniger
Menschen Deutsch als Fremdsprache lernen oder studieren wollen oder Deutsch in der
internationalen Kommunikation benutzen ⫺ und dies trotz der zentralen und wirtschaft-
lich sehr bedeutenden Position Deutschlands in Europa und trotz der Tatsache, dass
Deutsch diejenige Sprache ist, welche die meisten Europäer als Erstsprache sprechen.
Diese Entwicklung wird noch begünstigt durch die Sprachen- und Bildungspolitik in den
diversen Mitgliedsstaaten, die typischerweise Englisch in den Vordergrund stellt und es
daneben in vielen Fällen den Schülern/Eltern und Studierenden selbst überlässt zu ent-
scheiden, welche Sprache sie als ihre eventuelle zweite Fremdsprache erlernen möch-
ten.
Duesberg (2006) bietet einen Überblick über die Lage für Deutsch als Fremdsprache
in ausgewählten Ländern Europas und der übrigen Welt. Danach befindet sich Deutsch
überall quantitativ auf dem Rückzug, außer in China, wo der Technologietransfer aus
Deutschland immer noch als entscheidend angesehen wird. Was Europa angeht, so be-
handelt der Artikel Frankreich, Italien, Türkei, Ungarn, Russland, Schweden und Groß-
britannien. Der allgemeine Trend ist ein Rückgang für Deutsch als erste Fremdsprache,
und an den meisten Orten auch als zweite Fremdsprache. Duesberg betont, dass vieler-
orts in dem Bemühen, diesen Trend umzukehren, mit Revisionen des Faches Deutsch im
Hochschulangebot experimentiert wurde, damit es in geringerem Maße mit Literatur-
und Kulturgeschichte identifiziert wird und stattdessen öfter als Deutschstudien im Rah-
men von Studiengängen in Wirtschaft, Handel, Naturwissenschaften und Technologie
erscheint. Er sieht dies als eine notwendige Entwicklung, um das Prestige der Disziplin
zu steigern und mehr Studierende zu erreichen. Diese Entwicklung ist auch im Rahmen
des vorliegenden Beitrags interessant, denn sie bedeutet, dass Studierende, die sich tat-
sächlich entschließen Deutsch zu studieren, in vielen Fällen nicht die Gelegenheit erhal-
ten, eine tiefere, wissenschaftlich fundierte Einsicht in die Geschichte, Kultur, Literatur
und Sprache Deutschlands (und der übrigen deutschsprachigen Länder) zu gewinnen.
Kenntnisse von der Gesellschaft und interkulturelle Kompetenzen erhalten unter diesen
Umständen eventuell geringere Priorität.
Gleichzeitig kann man gerade in Europa relativ leicht Erfahrungen vom Leben in den
deutschsprachigen Ländern insgesamt sammeln. Für diejenigen, die es sich leisten kön-
nen (und EU-Bürger sind), gibt es viele Möglichkeiten für persönliche Kontakte und
erlebte Landeskunde durch touristische Reisen, Austauschprogramme und Studienauf-
enthalte in deutschsprachigen Ländern. Hinzu kommen noch die besonderen Möglich-
keiten des Unterrichts in Nachbarsprachen in den Grenzregionen.
Die widersprüchliche Situation für Deutsch als Fremdsprache in Europa bedeutet,
dass alle, die mit dem Fach zu tun haben, SchülerInnen, Lehrende, StudentInnen und
WissenschaftlerInnen, sich unter einem realen oder potentiellen Argumentationsdruck
befinden: Sie müssen ihre Wahl von Deutsch einer Öffentlichkeit gegenüber verteidigen,
die es nicht als selbstverständlich ansieht, dass jemand ein besonderes Interesse an der
168. Landeskunde in der Germanistik im nichtdeutschsprachigen Europa 1513

deutschen Sprache und an den literarischen, kulturellen und sozialen Bedingungen in


Deutschland und den deutschsprachigen Ländern hat. Außerdem werden sie in vielen
Ländern auch gezwungen, sich relativ zu einem negativen Stereotyp Deutschlands und
der Deutschen zu verhalten. (Die Bedeutung dieses traditionellen Stereotyps in Europa
geht nun vielleicht zurück und wird durch ein gleichermaßen fragwürdiges negatives
Stereotyp vom Islam und den Muslimen ersetzt.)

2. Landeskundedidaktik in europäischen Ländern  Unterschiede


und Gemeinsamkeiten

2.1. Begrisdiskussion

Landeskunde ist ein Begriff mit vielen verschiedenen Bedeutungen, was sich deutlich in
der Geschichte und der fortdauernden Diskussion des Terminus spiegelt. Landeskunde
(genauso wie Realienkunde, Kulturkunde, Wesenskunde usw.) hat eine spezifische Be-
deutungsgeschichte, die stark von vermeintlichen Äquivalenten in anderen Sprachen, wie
zum Beispiel civilisation im französischen Sprachunterricht oder cultural studies in briti-
schen Sprachunterricht, abweicht. Landeskunde ist ein Ausdruck, der nicht nur in Bezug
auf Deutsch als erste und zweite Fremdsprache verwendet wird, sondern bisweilen auch
im Rahmen des Unterrichts anderer Sprachen, und zwar als internationaler Fachtermi-
nus, der sich insbesondere auf elementare geographische und (zeitgenössische) historische
Kenntnisse sachlicher Natur über die zielsprachigen Länder bezieht, ein Wissen also, das
notwendige Voraussetzung für sinnvolle sprachliche Kommunikation und auch für ein
tieferes Verständnis von Kulturen und Gesellschaft ist. Von diesem sachlicheren Aus-
gangspunkt her erwarb der Begriff ein immer breiteres Bedeutungsfeld und erfährt
gleichzeitig Konkurrenz durch andere, wissenschaftlicher orientierte Termini.
In der Germanistik wird üblicherweise zwischen drei Ansätzen der Landeskunde un-
terschieden: dem kognitiven, dem kommunikativen und dem interkulturellen Ansatz
(Weimann und Hosch 1993). Wissenschaftstheoretisch kann man die drei Ansätze auch
als positivistisch, pragmatisch und hermeneutisch charakterisieren. Speziell im interkul-
turellen Ansatz sind aber mehrere Fachausdrücke im Spiel: Kulturverstehen, kulturelle
Bewusstheit, Fremdverstehen, Kulturwissenschaft, interkulturelles Lernen, interkultu-
relle Kompetenz, Wahrnehmung nationaler Stereotypen. Eine Einführung in diesen An-
satz der Landeskundedidaktik ist Biechele und Padrós (2003). Als relevante Publikatio-
nen auf dem Feld interkultureller Kompetenz sind auch zwei neuere Anthologien zu
nennen: Bredella und Christ (2007) sowie Hu und Byram (2009).
Ein spezielles Thema ist die Frage der geographischen Referenz von Landeskunde:
Genügt es auf Deutschland einzugehen, oder sollen alle deutschsprachigen Länder be-
handelt werden? Diese Thematik, die unter dem Begriff D-A-CH-L (Deutschland, Öster-
reich, die Schweiz, Liechtenstein) bekannt ist (vgl. Art. 167) und wo es auch um Fragen
der Identität geht, wurde beispielsweise von Krumm (1999) diskutiert, der unterstreicht,
dass der Unterricht die innere Diversität des deutschen Sprachraums als Ganzem sowie
die entsprechenden unterschiedlichen Beziehungen zu Europa und zur EU sichtbar ma-
chen sollte.
1514 XVII. Landeskunde

In der Landeskundedidaktik herrscht eine fortgesetzte Diskussion darüber, welche


Wissensgebiete oder Themen als besonders wichtig für bestimmte Lernergruppen hervor-
gehoben werden sollten. In diesem Fall haben wir es mit positiven Definitionen über die
Eingrenzung der Landeskunde zu tun (Mog und Althaus 1992; Li 2007). Andere ziehen
es vor, mit einer negativen, jedoch völlig offenen Definition zu arbeiten, so zum Beispiel
Maijala (2007: 175), die Landeskunde definiert als: „Bestandteil des Sprachunterrichts
(…), der über die Vermittlung von reinen Sprachkenntnissen hinausgeht“. Im Folgenden
wird ein solch inklusives und negativ definiertes Konzept von Landeskunde verwendet,
ein Konzept, das in der Praxis, ganz einfach ausgedrückt, das Lehren von Sprachkultur
(Kultur in der Sprache), Literatur, Alltagsleben, Gesellschaftsverhältnissen und Ge-
schichte umfasst. Es ist ein Landeskunde-Konzept, das dem teaching about culture and
society oder the cultural dimension entspricht (ohne allerdings dieselben Konnotationen
zu haben).

2.2. Nationale Politikansätze zu Deutsch als Fremdsprache

In den europäischen Ländern liegen ganz unterschiedliche nationale Traditionen hin-


sichtlich des Deutschunterrichts einschließlich seines landeskundlichen Anteils vor (Weg-
ner 1999; Byram und Risager 1999). Um nur die Situation in einem Land zu erwähnen:
Französische Behörden entschieden im Jahr 2005, den gesamten Fremdsprachenunter-
richt durch eine detaillierte Beschreibung der Sprachkompetenzen auf allen Ebenen, von
der Grundschule bis zum Gymnasium, mit Bezug auf den vorgenannten Gemeinsamen
europäischen Referenzrahmen für Sprachen zu reformieren. Dazu gehört, dass auch
Landeskunde nach einem pragmatisch-linguistischen Prinzip strukturiert wird, wobei al-
lerdings die Gefahr besteht, dass Landeskunde auf die praktischen und sachlichen Wis-
sensbestände reduziert wird, die man benötigt, um effizient bei der Erfüllung verschiede-
ner Aufgaben zu kommunizieren ⫺ das heißt, wir hätten es mit dem kommunikativen
Landeskunde-Ansatz zu tun. Gleichzeitig betonen andere Teile der amtlichen Texte das
kulturelle Verständnis und die interkulturelle Perspektive, unter anderem dadurch, dass
ein übergreifendes Thema vorgeschlagen wird: L’ici et l’ailleurs (Hier und anderswo)
(Ministère de l’Éducation Nationale 2007: 47).
Die Einführung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen
wurde in Frankreich breit diskutiert, und Teile dieser Diskussion sind nachzulesen in Les
Langues Modernes 2, 2008. In dieser Ausgabe findet sich auch ein Artikel (Delouis 2008),
der über die ziemlich heftige Kritik berichtet, auf die der Gemeinsame europäische Refe-
renzrahmen in Deutschland stieß (mit Verweis auf Bausch et al. 2003).

2.3. Deutschlandbilder bei SchülerInnen und in Lehrwerken

Zahlreiche Analysen des Deutschlandbilds in Lehrwerken liegen schon vor (vgl. Ammer
1988; Friz 1991; Byram 1993; Tenberg 1999; Wegner 1999). Im Folgenden soll auf einige
neuere Untersuchungen näher eingegangen werden (Sercu 2000; Fink 2003 und Maijala
2007, wobei Sercu 2000 auch eine Untersuchung der Einstellungen von SchülerInnen
und ihrer Vorstellungen von Deutschland einschließt).
168. Landeskunde in der Germanistik im nichtdeutschsprachigen Europa 1515

Die Untersuchung von Sercu (2000) basiert auf einem großen empirischen Forschungs-
projekt zum Deutschunterricht im flämischsprachigen Belgien. Die Untersuchung bezog
592 SchülerInnen in sechs Schulen ein und konzentrierte sich auf zwei Klassenstufen, die
eine mit SchülerInnen im Alter von 15 Jahren und die andere mit SchülerInnen von 18
Jahren. Die Schulen lagen in zwei verschiedenen Gegenden in Belgien: zum einen in
Luxemburg nahe der deutschen Grenze, zum anderen in Westflandern, das am weitesten
von Deutschland entfernt liegt. Die Untersuchung behandelte sowohl die Vorstellungen
der SchülerInnen von Deutschland als auch den kulturellen Inhalt sechs verschiedener
Lehrbücher, die in den betreffenden Klassen verwendet wurden. Sercu fokussierte die
Analyse nur auf Deutschland allein, nicht auf die deutschsprachigen Länder. Die Analyse
der interkulturellen kommunikativen Kompetenz der SchülerInnen wies Variationen
nach Geschlecht, Alter und geografischem Gebiet nach, doch das allgemeine Bild zeigte,
dass die SchülerInnen nicht sehr viel über Deutschland wussten und die deutsche Kultur
als nicht besonders interessant ansahen. Das Schema Deutschland ⫽ Krieg kam häufig
vor, besonders wenn sie anscheinend ihnen Mangel an speziellem Wissen kaschieren woll-
ten. Bei der Analyse der Lehrwerke gab es im Ergebnis eine analytische Unterscheidung
zwischen zwei Sichtweisen auf den Kulturunterricht in den Lehrbüchern: die Touristen-
perspektive von außen und die Familienperspektive von innen. Die erstere Sicht tendiert
zur Hervorhebung kultureller Unterschiede, sie enthält viele informative Details über
Gesellschaft und Kultur und weist eine relativ flache Beschreibung von Personen auf.
Die andere tendiert zur Betonung von Unterschieden und Ähnlichkeiten, es finden sich
weniger Informationen über Gesellschaft und Kultur, doch die Beschreibung von Perso-
nen ist runder. Sercu gelangt unter anderem zu dem Schluss, dass interkulturelle Kompe-
tenz am besten unterstützt wird, wenn Lehrbücher viele verschiedene Sichtweisen enthal-
ten, solche von innen und solche von außen, und wenn Themen klar auf das Wissen und
die Interessen von SchülerInnen ausgerichtet sind.
Fink (2003) berichtet über eine kleinere Untersuchung dreier Lehrbücher für Deutsch-
Anfänger (13 Jahre) in Dänemark. Er ging von gegebenen Kriterien zur Lehrbuchana-
lyse, wie den in Ammer (1988), aus und folgert, dass das Deutschlandbild in den betref-
fenden Lehrbüchern sehr allgemein und oberflächlich sei. Es ist von Tourismus und
Alltagsleben beherrscht und liefert kein differenziertes Bild des Landes. Anstatt neue
Bilder und Eindrücke vorzuschlagen, behalten die Lehrbücher die vorhandenen Sche-
mata und Stereotypen bei und entwickeln sie weiter oder verstärken sie noch.
Maijala (2007) behandelte Deutsch-Lehrbücher für 16⫺19-Jährige in Frankreich,
Finnland, Norwegen, Estland und Großbritannien. Maijala betrachtet historische The-
men in den Lehrbüchern und zeigt, wie historische Themen mit den verschiedenen inter-
nationalen Beziehungen dieser Länder zu Deutschland in Verbindung gebracht werden
können.

2.4. Sichtweisen der kulturellen Dimension unter DeutschlehrerInnen


und Germanistikstudierenden

Ein größeres Forschungsprojekt auf diesem Gebiet ist das von Byram und Risager
(1999), das dänische und britische FremdsprachenlehrerInnen als Kulturvermittler und
politische Akteure im europäischen Integrationsprozess behandelt. Im Folgenden wird
jedoch auf ein jüngeres Projekt eingegangen, nämlich das von Sercu et al. (2005). Ferner
1516 XVII. Landeskunde

sollen zwei kleinere Projekte zu Germanistikstudenten erwähnt werden: Basteck (2004)


und Trad (2001).
Sercu et al. (2005) betrachten die Auffassung von der kulturellen Dimension des
Sprachunterrichts bei Sprachenlehrern sowie deren Sicht des Wissens ihrer SchülerInnen
über und ihre Einstellung zu zielsprachigen Ländern. Die Untersuchung wurde in Zu-
sammenarbeit mit ForscherInnen in mehreren europäischen Ländern durchgeführt: Bel-
gien, Bulgarien, Polen, Griechenland, Spanien und Schweden, plus Mexico. Empirisch
erfasst sie 424 FremdsprachenlehrerInnen, die in diesen sieben Ländern tätig sind. Nicht
alle waren DeutschlehrerInnen, 79 % gaben an, sie unterrichteten überwiegend Englisch,
während 9 % dies für Deutsch angaben, 7 % für Französisch und 2 % für Spanisch. Die
Untersuchung baut auf Daten in Gestalt von Antworten auf einen elektronisch verteilten
Fragebogen auf (Datenerhebung im Jahr 2001). Die Zahl der Antworten aus den ver-
schiedenen Ländern ist zu gering, um etwas über nationale und disziplinäre Unterschiede
aussagen zu können, aber die Untersuchung liefert ein staatenübergreifendes Bild der
beruflichen Identität von SprachlehrerInnen, und sie bezeugt eine Reihe von Unterschie-
den zwischen den Lehrenden. Das Projekt identifiziert zwei eindeutig unterscheidbare
Typen von SprachlehrerInnen, was die kulturelle Dimension angeht: der wohlwollend
eingestellte Fremdsprachenlehrer, der meint, dass das Lernen einer Sprache und einer
Kultur nicht voneinander getrennt werden könne, und der ablehnend eingestellte Fremd-
sprachenlehrer, der meint, es sei unmöglich, den Sprachunterricht und den Kulturunter-
richt zu integrieren und der die Ansicht vertritt, in der Schule könne man keine interkul-
turellen Fähigkeiten entwickeln. Gleichzeitig liefert das Projekt eine Vorstellung davon,
wie das durchschnittliche Profil eines Sprachlehrers definiert werden könnte.
Basteck (2004) untersucht Germanistikstudendierende an spanischen Universitäten.
Es handelt sich um eine empirische Studie, die 2001/02 an 12 Universitäten durchgeführt
wurde. 282 Germanistikstudierende auf allen Ebenen des Studiums beantworteten einen
Fragebogen über ihre Wünsche, die sie mit dem Landeskundeteil ihres Studiums verban-
den. Die Wünsche gingen in die Richtung, dass die Studierenden gerne besser auf einen
möglichen ERASMUS-Aufenthalt in Deutschland oder in einem anderen deutschspra-
chigen Land vorbereitet seit wollten; sie wünschten sich besonders Kenntnisse der All-
tagskultur und Fähigkeiten der interkulturellen Kommunikation.
Trad (2001) greift eine weitere Frage auf, nämlich Tabuthemen in der interkulturellen
Kommunikation. Trad führte eine Fragenbogenstudie bei Germanistik-Studiengängen
an mehreren polnischen Universitäten durch, und 154 Studierende gaben an, welche
Themen ihrer Meinung nach in der interkulturellen Kommunikation mit Deutschen tabu
wären. Darunter wurden genannt: der Zweite Weltkrieg, Korruption der Politiker, Ge-
halt/Vermögen, Steuerhinterziehung, Schmuggel, Schwarzarbeit, Ausländerfeindlichkeit
und Sexualität. Trad zeigt in dem Buch außerdem, wie man durch Projektarbeit Strate-
gien der Kommunikation über Tabus entwickeln kann, z. B. durch Umformulierung
und Humor.

3. Neuausrichtungen in der Landeskunde  die kulturelle


Dimension in Schulen und in der Germanistik
Seit den 1990er Jahren, und besonders seit 2000, erschienen mehrere Forschungsarbeiten,
in denen versucht wird, ein neues wissenschaftliches Verständnis von Landeskunde in
168. Landeskunde in der Germanistik im nichtdeutschsprachigen Europa 1517

Theorie und Praxis aufzubauen. Im Folgenden werden einige dieser Arbeiten benannt,
mit einem Schwerpunkt auf denjenigen, die in anderen europäischen als den deutschspra-
chigen Ländern erschienen sind. Einige dieser Arbeiten behandeln speziell das Fach
Deutsch, andere behandeln allgemeiner das Sprachstudium und sind so potentielle Inspi-
rationsquellen für das Fach Deutsch. Drei Hauptpunkte in dieser Entwicklung könnten
genannt werden:
⫺ Wie kann man Landeskunde theoretisch erfassen und sie wissenschaftlicher gestalten?
⫺ Wie kann man Interdisziplinarität entwickeln und nutzen?
⫺ Wie kann man mit Multikulturalität und Globalität umgehen?
Die folgenden Wissenschaftler behandeln diese Punkte alle auf unterschiedliche Weise.
Zunächst sind einige der auf diesem Feld im deutschsprachigen Raum besonders aktive
Autoren zu erwähnen, nämlich Altmayer (Altmayer 2004), Bredella (Bredella und Christ
2007) und Wierlacher (Wierlacher 2006). Sie befassen sich sämtlich mit Fragen des inter-
kulturellen oder Fremdverstehens, und speziell Altmayer betont die globale Perspektive
und einen kulturwissenschaftlichen Ansatz, der Dynamik, Heterogenität und Polyvalenz
im Verstehen von Kulturen und Texten herausarbeitet.
Zu wichtigen Publikationen in Europa außerhalb des deutschsprachigen Bereichs sind
folgende Arbeiten zu rechnen: Hansen (2002, 2004), Kundrus (2008), Guilherme (2002),
Byram (2008) sowie Risager (2006, 2007).
Die Arbeiten von Hansen (2002, 2004) sind zwei Anthologien, die eine neue Definition
der Sprachstudien als „neue Philologien“ behandeln. Die Autoren argumentieren, dass
ein humanistischer Ansatz bei der Globalisierung sowohl Sprachkompetenz als auch eine
Kritik des Eurozentrismus verlange. Laut einem Vorschlag geht es bei Interdisziplinarität
nicht nur um Zusammenarbeit zwischen der spezifischen Sprachdisziplin und benachbar-
ten Disziplinen wie Geschichte und Politik, sondern auch um die Zusammenarbeit zwi-
schen Sprachfächern, zum Beispiel vermittels Übersetzungsprozessen nicht nur im
sprachlichen Sinn, sondern auch allgemeiner im kulturellen Sinn. Die Kritik am Euro-
zentrismus ist auch das Thema bei Kundrus (2008), einer Einführung zu einem Abschnitt
über deutschsprachige postkoloniale Literatur, der als Teil eines größeren Werks über
Kontinentaleuropa und seine Kolonien publiziert wurde.
Guilherme (2002) ist von kritischer Pädagogik und der deutschen kritischen Tradition
inspiriert, und sie argumentiert auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung in
Portugal, dass die Sprachfächer mehr als heute zur Entfaltung eines kritischen kulturel-
len Bewusstseins beitragen sollten, einschließlich eines Bewusstseins von den Menschen-
rechten und der Diskriminierung. Der Unterricht sollte SchülerInnen und Studierende
dazu erziehen, partizipierende BürgerInnen in einer multikulturellen und multiperspekti-
vischen Welt zu werden. Auch Byram (2008) betont, unter anderem auf Grund einer
ausgedehnten Tätigkeit im Europarat, eine interkulturelle Bürgerschaft als allgemeines
Ziel des Sprachunterrichts und von Sprachstudien; und vor diesem Hintergrund würde
er Deutschstudien nicht nur auf die deutschsprachigen Länder beziehen wollen, sondern
auch auf Europa und die EU.
Risager (2006) präsentiert ein neues Verständnis vom Verhältnis zwischen Sprache
und Kultur in globaler Perspektive. Es ist dies eine theoretische Arbeit, in der nicht nur
die Konzepte von Sprache und Kultur dekonstruiert werden, sondern auch ein Verständ-
nis der Schnittstelle zwischen Sprache und Kultur in Anerkennung von Dynamik und
Komplexität aufgebaut wird. Risager (2007) stellt eine Fortsetzung dar, in welcher der
1518 XVII. Landeskunde

Schwerpunkt auf der Geschichte der internationalen Kulturpädagogik mit besonderer


Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Sprache, Kultur und Nation liegt. In dieser
Arbeit wird Landeskunde in einen weiteren historischen und begrifflichen Kontext ge-
stellt und aufgezeigt, wie man Landeskunde als Teil eines möglichen transnationalen
Paradigmas verstehen kann.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Landeskunde in der Germanistik im nicht-
deutschsprachigen Europa ein weites Feld ist, auf dem eine ganze Reihe kulturwissen-
schaftlicher Ansätze im Deutschunterricht zum Tragen kommt. Dieser internationale Ar-
beitsbereich profitiert stark von der kulturellen und geschichtlichen Vielfalt der europä-
ischen Länder.

4. Literatur in Auswahl
Altmayer, Claus
2004 Kultur als Hypertext. Zu Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als
Fremdsprache. München: iudicium.
Ammer, Reinhard
1988 Das Deutschlandbild in den Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache. Die Gestaltung des
landeskundlichen Inhalts in den Deutschlehrwerken der Bundesrepublik Deutschland von
1955 bis 1985 mit vergleichenden Betrachtungen zum Landesbild in den Lehrwerken der
DDR. München: iudicium.
Ballweg, Sandra und Antje Stork
2008 DaF-Lehrende und das Europäische Sprachenportfolio. Info DaF 35(4): 390⫺400.
Basteck, Elisabeth F.
2004 Zwischen Geschichtsunterricht und Auslandsvorbereitung: Landeskunde-Unterricht an
spanischen Universitäten. Info DaF 31(1): 29⫺51.
Bausch, Karl-Richard, Herbert Christ, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.)
2003 Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Tübingen:
Narr.
Biechele, Markus und Alicia Padrós
2003 Didaktik der Landeskunde. Berlin etc.: Langenscheidt.
Bredella, Lothar und Herbert Christ (Hg.)
2007 Fremdverstehen und interkulturelle Kompetenz. Tübingen: Narr.
Byram, Michael (Hg.)
1993 Germany: Its Representation in Textbooks for Teaching German in Great Britain. Frankfurt
a. M.: Diesterweg.
Byram, Michael und Karen Risager
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Byram, Michael
2008 From Foreign Language Education to Education for Intercultural Citizenship. Essays and
Reflections. Clevedon: Multilingual Matters.
Delouis, Anne Friederike
2008 Le CECRL: compte rendu du débat critique dans l’espace germanophone. Les Langues
Modernes 2: 19⫺31.
Duesberg, Peter
2006 Aktuelle Tendenzen weltweit und Herausforderungen für die deutschsprachigen Länder.
Info DaF 33(5): 411⫺437.
Europäische Kommission
2003 Promoting Language Learning and Linguistic Diversity: an Action Plan 2004⫺2006. (Com-
munication 449). Brussels.
168. Landeskunde in der Germanistik im nichtdeutschsprachigen Europa 1519

Fink, Matthias C.
2003 Das Deutschlandbild in dänischen Lehrwerken für den Deutschunterricht in der Folke-
skole. Info DaF 30(5): 476⫺488.
Friz, Susanne
1991 Das Bild von England, Amerika und Deutschland bei Fremdsprachenlernern und in Fremd-
sprachenlehrwerken. Ein Beitrag zur komparativen Landeskunde. München: Tuduv-Ver-
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2001 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen. (Europarat). Berlin: Langen-
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2002 Changing Philologies: Contributions to the Redefinition of Foreign Language Studies in the
Age of Globalisation. Copenhagen: Museum Tusculanum Press.
Hansen, Hans Lauge (Hg.)
2004 Disciplines and Interdisciplinarity in Foreign Language Studies. Copenhagen: Museum Tus-
culanum Press.
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2009 Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen. Modelle, Empirie, Evaluation. In-
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gen: Narr.
Krumm, Hans-Jürgen
1999 Landeskunde Deutschland, D-A-CH oder Europa? Über den Umgang mit Verschieden-
heit im DaF-Unterricht. In: Hans Barkowski und Armin Wolff (Hg.), Alternative Vermitt-
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Kundrus, Birthe
2008 Germany and its Colonies: Introduction. In: Prem Poddar, Rajeev S. Patke und Lars
Jensen (Hg.), A Historical Companion to Postcolonial Literatures. Continental Europe and
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Li Yuan
2007 Integrative Landeskunde. Ein didaktisches Konzept für Deutsch als Fremdsprache in China
am Beispiel des Einsatzes von Werbung. München: iudicium.
Maijala, Minna
2007 Zur Analyse von landeskundlichen bzw. geschichtlichen Inhalten in Lehrwerken für
Deutsch als Fremdsprache. Deutsch als Fremdsprache 44(3): 174⫺180.
Ministère de l’Éducation Nationale
2007 Programmes de l’enseignement de langues vivantes étrangères au collège, allemand. (Le
Bulletin Officiel 7, 26 avril, hors série).
Mog, Paul und Hans-Joachim Althaus (Hg.)
1992 Die Deutschen in ihrer Welt. Tübinger Modell einer integrativen Landeskunde. Berlin etc.:
Langenscheidt.
Risager, Karen
2006 Language and Culture: Global Flows and Local Complexity. Clevedon: Multilingual Mat-
ters.
Risager, Karen
2007 Language and Culture Pedagogy: From a National to a Transnational Paradigm. Clevedon:
Multilingual Matters.
Sercu, Lies
2000 Acquiring Intercultural Communicative Competence from Textbooks. The case of Flemish
adolescent pupils learning German. Leuven: Leuven University Press.
1520 XVII. Landeskunde

Sercu, Lies mit Ewa Bandura, Paloma Castro, Leah Davcheva, Chryssa Laskaridou, Ulla Lund-
gren, Maria del Carmen Méndez Garcı́a und Phyllis Ryan
2005 Foreign Language Teachers and Intercultural Competence. An International Investigation.
Clevedon: Multilingual Matters.
Tenberg, Reinhard (Hg.)
1999 Intercultural Perspectives. Images of Germany in Education and the Media. München: iudi-
cium.
Trad, Ahmed Rafik
2001 Tabuthemen in der interkulturellen Kommunikation. Ein Beitrag zur Landeskundedidaktik
im DaF-Studium. Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Undervisningsministeriet
2004 Fælles mål. Faghæfte 17. Tysk. Copenhagen.
Wegner, Anke
1999 100 Jahre Deutsch als Fremdsprache in Frankreich und England. München: iudicium.
Weimann, Gunther und Wolfram Hosch
1993 Kulturverstehen im Deutschunterricht. Ein Projekt zur Lehrerfortbildung. Info DaF
20(5): 514⫺523.
Wierlacher, Alois
2006 Landesstudien als Kulturwissenschaftliche Essayistik. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache
32: 165⫺179.

Karen Risager, Roskilde (Dänemark)


Übersetzung aus dem Englischen von Radegundis Stolze

169. Landeskunde in der Germanistik


außereuropäischer Länder
1. Begriffsklärungen und Vorbemerkungen
2. Landeskunde in der außereuropäischen Germanistik
3. Fazit und Ausblick
4. Literatur in Auswahl

1. Begrisklärungen und Vorbemerkungen

1.1. Germanistik außereuropäischer Länder (außereuropäische


Auslandsgermanistik)

Der Ausdruck Germanistik außereuropäischer Länder ersetzt hier den Begriff außereuro-
päische Auslandsgermanistik, der in der vorigen Ausgabe dieses Handbuchs verwendet
wurde. (Vorliegender Beitrag ist eine um etwa die Hälfte gekürzte und aktualisierte Fas-
sung des ursprünglichen Artikels [Kussler 2001].) In der neueren Diskussion hält man
die Unterscheidung zwischen Inlandsgermanistik und Auslandsgermanistik von der Sache
169. Landeskunde in der Germanistik außereuropäischer Länder 1521

her zwar mehrheitlich für brauchbar, hinsichtlich der Begrifflichkeit aber für unzurei-
chend (vgl. u. a. Sitta 2004; Helbig 2005; Fabricius-Hansen 2006; Fandrych 2006; Petkov
2005; Grucza 2006). Unscharf ist das Begriffspaar deshalb, weil es in den deutschsprachi-
gen Ländern neben der Germanistik als Grundsprachenphilologie zahlreiche Institute bzw.
Studiengänge für Deutsch als Fremdsprachenphilologie gibt (vgl. Petkov 2005: 70⫺71),
die ⫺ ebenso wie die Germanistik in den nichtdeutschsprachigen Ländern ⫺ von vornhe-
rein „zweisprachig und interkulturell bzw. kulturkontrastiv ausgerichtet sind“ (Fandrych
2006: 77). Zu unterscheiden sind also drei Versionen des Fachs: die Germanistik in den
deutschsprachigen Ländern (Inlandsgermanistik) als Grundsprachenphilologie, die Germa-
nistik im deutschsprachigen Raum (Inlandsgermanistik) als Fremdsprachenphilologie und
die Germanistik in den nichtdeutschsprachigen Ländern (Auslandsgermanistik) als Fremd-
sprachenphilologie. Diese drei Varianten haben zwar denselben Gegenstand: die deutsche
Sprache, Literatur und Kultur; aber während für die Grundsprachengermanistik in erster
Linie dieser Gegenstandsbereich konstitutiv ist, sind es für die Fremdsprachengermanis-
tiken die Lehrenden und Lernenden, für die dieser Gegenstandsbereich ein fremder ist
oder die sich mit diesem als einem fremden beschäftigen. Die Grundsprachengermanistik
setzt die Kompetenz der Studierenden in ihrer eigenen Sprache und ihrer eigenen Kultur
voraus (vgl. Helbig 2005: 5; Wierlacher 2003: 504), in den Fremdsprachengermanistiken
müssen die Kompetenzen in der für die Studierenden fremden Sprache und der korres-
pondierenden fremden Kultur in der Regel erst entwickelt werden. Die Fremdsprachen-
germanistiken im In- und Ausland sind somit im Unterschied zu den Grundsprachenger-
manistiken grundsätzlich adressatenorientierte Fächer und als solche konzeptionell näher
verwandt. Sie unterscheiden sich dadurch, dass die Inlandsvariante innerhalb des Ziel-
sprachenraums und der Zielkultur operiert, so dass ihre Studierenden auf ihre unmittel-
bare Erfahrung der fremden Um- und Sprachwelt zurückgreifen können.

1.2. Kultur und Kulturvermittlung (landeskundlicher Unterricht)


Kultur meint in diesem Zusammenhang die Realität (auch wenn es sich um eine vorge-
stellte Realität, also Fiktion, handelt), in Gegenwart und Geschichte, der Menschen, die
sich vermittels dieser Sprache tagtäglich verständigen. Die Vermittlung dieser fremdkul-
turellen Realität ist das Ziel des landeskundlichen Unterrichts, der sehr verschieden konzi-
piert und durchgeführt werden kann: Die Landeskunde kann in den Sprach- und Litera-
turunterricht eingebunden werden und hauptsächlich die von den Lernenden benötigten
Informationen zu den jeweiligen Unterrichtsgegenständen bereitstellen, oder sie kann
als selbständige Komponente des Fachs neben Sprache und Literatur auftreten und in
besonderen Veranstaltungen vermittelt werden. Diese beiden grundsätzlichen Unter-
richtsmodi lassen sich natürlich auch kombinieren. Die Begegnung mit den Grundspra-
chenkulturen kann heutzutage durch Computerprogramme (vgl. Kussler 2003) und das
Internet wesentlich erleichtert werden.

1.3. Germanistik in den nichtdeutschsprachigen Ländern Europas vs.


außereuropäische Germanistik
Die Unterscheidung zwischen der Germanistik in den nichtdeutschsprachigen Ländern
Europas und der Germanistik außerhalb Europas ist nicht weniger problematisch als
1522 XVII. Landeskunde

diejenige zwischen Inlands- und Auslandsgermanistik. Sie beruht wohl auf der Annahme,
dass Lehrende und Studierende im Fach Germanistik in den europäischen Ländern bes-
ser über den deutschen Sprachraum im Zentrum Europas informiert sind als solche au-
ßerhalb Europas: „In den europäischen Ländern ist die Begegnung mit (…) der deut-
schen Sprache und Kultur schon seit langem soziale interkulturelle Realität, während
man in vielen nichteuropäischen Ländern auf diese Begegnung erst vorbereitet werden
muss“ (Petkov 2005: 72).
Die außereuropäische Germanistik ⫺ mit ihrer von Land zu Land nach Sprache,
Kultur, Wissenschaftsstil, sozialen, ökonomischen und institutionellen Bedingungen un-
terschiedlichen Prägung ⫺ ist ein außerordentlich komplexes, uneinheitliches Gebiet. Ge-
nerell zu beobachten ist allenfalls, dass sich die Germanistiken in den sog. „westlichen“
außereuropäischen Ländern (z. B. USA, Kanada, Australien) z. T. erheblich von denen
in anderen Teilen der Welt unterscheiden und dass man sich im Ausland nach wie vor
an der Germanistik im deutschsprachigen Raum orientiert, und zwar zunehmend an der
fremdphilologischen Variante. Dabei ist zu bedenken, dass sich die Germanistik in vielen
außereuropäischen Ländern ursprünglich in Anlehnung an Varianten der europäischen
Auslandsgermanistik etablierte. So entstand z. B. in Kanada (vgl. Batts 1993), Australien
(vgl. Stoljar 1993) und Indien (vgl. Ganeshan 1991) zunächst eine Germanistik englischer
Prägung, im frankophonen Afrika eine an Frankreich orientierte (vgl. Sturm 1987: 13).
Im Laufe der Entwicklung kam es dann wiederholt zu Um- und Neuorientierungen,
aus denen weitverzweigte und vielschichtige Wechselbeziehungen resultierten; und zwar
sowohl zwischen einzelnen Ländern und der europäischen In- und Auslandsgermanistik
als auch innerhalb einzelner Länder und Regionen. So ist die Germanistik heute interna-
tional durch ein engmaschiges Netz institutioneller und individueller Beziehungen ver-
knüpft.

2. Landeskunde in der außereuropäischen Germanistik


Wie die Landeskunde jeweils konzipiert und gelehrt wird, hängt von zahlreichen äußeren
Faktoren ab. Dazu gehören u. a. das sozio-ökonomische Umfeld, die Funktion und der
Stellenwert der Germanistik im lokalen Bildungssystem, die Entfernung vom deutsch-
sprachigen Raum, die Landessprache, Herkunft und Ausbildungsstand der Dozenten,
die Vorbildung der Lerner, Aufbau, Inhalt und Länge des Studiums sowie Art und Um-
fang der verfügbaren Unterrichtsmaterialien und -hilfsmittel. (Relevant ist in diesem Zu-
sammenhang u. a., ob und ggf. wie nah die Sprache mit dem Deutschen verwandt ist
und ob sie sich ⫺ wie die deutsche ⫺ der lateinischen Schrift bedient. Wenn es sich ⫺
wie etwa in Nord- und Südamerika und in Afrika ⫺ um eine europäische Sprache han-
delt, sind Orientierungen an den entsprechenden Grundsprachenländern wahrscheinlich.)
Was zur Funktion der Landeskunde von der einschlägigen Diskussion abgehoben werden
kann, sind Tendenzen, die sich allenfalls zu einem groben Umriss zusammenfügen.

2.1. Landeskunde im DaF-Unterricht

Eine grundlegende Gemeinsamkeit der deutschen Seminare außerhalb Europas besteht


darin, dass sie ihre Studierenden in der Regel vollends selbst ausbilden. Das Germanistik-
169. Landeskunde in der Germanistik außereuropäischer Länder 1523

studium beginnt im Allgemeinen mit dem Anfängerunterricht, wird aber zumeist erst im
Gradiertenprogramm als solches im engeren Sinne realisiert. Das Undergraduate-Pro-
gramm besteht überwiegend aus sprach- und textdidaktischen Veranstaltungen, in denen
es ⫺ wie etwa an der Chulalongkorn Universität in Thailand, einem typischen Beispiel
(vgl. die zahlreichen Länderberichte, die regelmäßig in der Zeitschrift InfoDaF erschei-
nen) ⫺ um Aussprache, Satzbau, Grammatik sowie Hör-, Lese-, Sprech- und Schreibfä-
higkeit geht (vgl. Saengaramruang 2007). Speziell zur Landeskunde gibt es dort im Un-
dergraduate-Programm nur zwei Kurse: „Introduction to German Civilization“ and
„Present Day Germany“ (vgl. http//www.arts.chula.ac.th/⬃west/German/BA_index.html
[10. 5. 2010]). In neueren Curricula findet die Landeskunde mehr Berücksichtigung; und
zwar als praktische Grundlage für künftige berufliche Aufgaben. Interkulturelle Perspek-
tiven werden stärker einbezogen, wenn auch noch nicht systematisch). Das M.A.-Pro-
gramm folgt dann der herkömmlichen Einteilung in Sprache, Literatur und Kultur, er-
gänzt durch zwei Veranstaltungen zur Einführung in die DaF-Didaktik. Dem Themenbe-
reich Kultur sind fünf (von insgesamt 24) Veranstaltungen gewidmet: „Politics, society
and culture in Germany“ I und II; „Seminar on special topics in German culture“; „Ger-
man art, music and literature“ sowie „Germany after unification“ (Vgl. http://www.
academic.chula.ac.th/search/showprograms.asp?ID_Program⫽322320 [Online 19. 12.
2008]).
Dieses Beispiel belegt eine Auffassung, über die ⫺ zumal außerhalb Europas ⫺ weit-
gehend Konsens besteht: dass die fremde Kultur im DaF-Unterricht nur exemplarisch
und tatsachenorientiert umrissen werden kann (s. oben 1.2). Aber selbst diese verkürzte
Landeskunde stellt hohe Anforderungen an die Lehrenden. Handelt es sich um Orts-
kräfte, die vielleicht selber noch nie in einem deutschsprachigen Land waren, besteht die
Gefahr einer Simplizifierung oder Stereotypisierung der fremden Kultur. Verlässt man
sich bezüglich der Landeskunde auf ein Lehrwerk oder Materialien aus dem deutschspra-
chigen Raum, bleibt die Ausgangslage der Lerner unberücksichtigt. Beschränkt man sich
auf reine Faktenvermittlung, wird „die Einführung (…) stärker an Mentalitäten ausge-
richteter Zugänge (…) erschwert“ (Krumm 1996: 564). Diesen Problemen kann z. T.
durch regionale Lehrwerke abgeholfen werden, wie sie in vielen Ländern entwickelt wur-
den. Auch das WWW mit seinen vielfältigen authentischen Informations- und Anschau-
ungsmöglichkeiten kann den Landeskunde-Unterricht wesentlich bereichern.

2.2. Landeskunde als Hauptsäule der Germanistik

Im Verlauf der Diskussion um die Ausrichtung der Germanistik im nichtdeutschsprachi-


gen Raum ist die Landeskunde immer mehr ins Zentrum fachkonzeptioneller Überlegun-
gen gerückt. Dabei wurde ihr Geltungsbereich neu bestimmt. Verstand man unter Lan-
deskunde zunächst „alle Bezüge auf die Gesellschaft(en), deren Sprache im Fremdspra-
chenunterricht gelernt wird“ (Buttjes 1995: 142), so umfasste sie nun auch alle
Gesellschaft(en), denen die jeweiligen Fremdsprachenlerner und -lehrer angehören. Eine
Auffassung, die mit Begriffen wie „Interkulturalität und (…) Alterität, (…) Interdiszipli-
narität, Lernerzentriertheit“ (Prokop 1996: 35) operiert und zusätzlich zu der fremden
Kultur die jeweils eigene mit berücksichtigt wissen will, setzte sich immer mehr durch.
Diese Besinnung auf die eigene Situation, die eigene Kultur, die eigene Identität im Ver-
gleich mit oder in ⫺ produktiver ⫺ Opposition zu den deutschsprachigen Ländern ist
1524 XVII. Landeskunde

ein auffallender gemeinsamer Nenner dieses Diskurses (vgl. z. B. Batts 1993: 178; Hallet
2001: 113; Hohendahl 1996: 530; Prokop 1996: 35; insbesondere Wierlacher und Bogner
(2003: 595⫺665, Kapitel 5). Daraus resultierte eine stark kulturvergleichende Tendenz,
die eine Verschiebung von der Philologie zu interdisziplinären (überwiegend soziologisch-
kulturwissenschaftlichen) Regionalstudien bewirkte. Was ehedem „Germanistik“ hieß,
wurde in „German Studies“, „Deutschlandstudien“, „Deutsche Studien“, „Area Stu-
dies“, „Cultural Studies“ oder „European Studies“ umbenannt.
Diese Entwicklung tendierte dazu, die Geltungsreichweite des Landeskundebegriffs
ins Grenzenlose auszudehnen, wenn er u. a. sowohl „die Sozialisationsstruktur“ der Ler-
ner als auch „typische Sozialisationsmuster“ und „die Kollektivgeschichte“ der Zielkul-
tur(en) wie auch der Ausgangskultur(en) umfasst, und wenn alle diese Bereiche darüber
hinaus „unbedingt der fächerübergreifenden, interdisziplinären und interfakultativen Er-
gänzung (…) nicht nur (…) durch Geschichte, Soziologie, Anthropologie etc., sondern
auch durch Natur- und Technikwissenschaften“ bedürfen (vgl. Ramin 1989: 233⫺235).
Man bezeichnete die Landeskunde deshalb als „(Un-)Fach“ (Schmidt 1977: 25), den
Terminus als „Monsterbegriff“ (Ramin 1989: 231) und empfahl der Fremdsprachenger-
manistik „pragmatische Teillösungen“ (Weinrich 1980: 44) durch eine Verknüpfung der
Landeskunde mit der Textlinguistik und der Literaturwissenschaft. Einen dieser beiden
Wege sind zahlreiche Germanisten bzw. Institute in der Tat (zunächst) gegangen. Wich-
tige Anstöße gaben in diesem Zusammenhang Köhring und Schwerdtfeger (1976) und
Schmidt (1977).

2.2.1. Interkulturell ausgerichtete Landeskunde-Konzepte

Die Realisierung des interkulturellen Ansatzes (vgl. Wierlacher und Bogner 2003) er-
folgte am ausgeprägtesten in sog. German-Studies- oder Cultural-Studies-Programmen,
die sich vielerorts etabliert haben, z. B. in Australien (vgl. Kretzenbacher 2004), Kanada
(vgl. Prokop 1996), Südkorea und Japan (vgl. Duesberg 2006) sowie in den USA (vgl.
Seeba 2003). Das früheste Modell dafür stammt interessanterweise aus einem nicht-
deutschsprachigen Land Europas. Es wurde in den 1960er Jahren von Pierre Bertaux an
der Sorbonne entwickelt; und zwar als „kritische Deutschlandkunde“, die nach dem
Prinzip der „integrierten Pluridisziplinarität“ funktioniert: d. h., es lehren „nicht nur Li-
teraturwissenschaftler als Germanisten, sondern auch jüngere deutschsprachige Histori-
ker, Politologen, Wirtschaftswissenschaftler, Kunsthistoriker usw.“ (Witte 1976: 160⫺
164). Diese „Pluridisziplinarität“ ist im außereuropäischen Ausland allerdings schwer zu
realisieren, weil Nichtgermanisten, die ein anschließbares Fach kompetent in deutscher
Sprache vertreten können, dort selten sind. Deshalb werden German-Studies-Programme
oft nicht in deutscher Sprache angeboten. Trotzdem hat Bertaux’ Modell international
nachhaltig gewirkt, vor allem in den USA, wo es seit 1970 entsprechende Programme
gibt (vgl. Lützeler 1987: 679), aber z. B. auch in Kanada (vgl. Prokop 1996) und Austra-
lien (vgl. Kretzenbacher 2004).
Nach Lützeler (1987: 679⫺680) sind die Deutschlandstudiengänge in den USA aus
„einer Krisensituation an den amerikanischen Universitäten (…)“ seit Ende der 1960er
Jahre hervorgegangen, „als das studentische Interesse an Fremdsprachen (…) merklich
nachließ“; u. a. weil die sog. language requirements abgeschafft wurden (vgl. Hohendahl
169. Landeskunde in der Germanistik außereuropäischer Länder 1525

1996: 528). Dies gilt ⫺ zeitversetzt ⫺ für viele entsprechende Entwicklungen in der Ger-
manistik außerhalb Europas.
Interkulturell ausgerichtete German-Studies-Programme resultierten freilich nicht nur
aus Krisensituationen. Auch ⫺ und vor allem ⫺ die interkulturelle Germanistik sowie
textwissenschaftliche Ansätze, die in den 1970er Jahren den Leser in den Mittelpunkt des
Interesses rückten (Rezeptionsästhetik und empirische Leserforschung), und die damit
korrespondierende Übernahme erziehungswissenschaftlicher Kategorien wie Lernerori-
entierung (nach Robinsohn 1972) haben in diesem Zusammenhang nachhaltig gewirkt
(vgl. auch Wierlacher 1980).
So ähnlich die Ausgangssituationen in den einzelnen Ländern auch gewesen sein mö-
gen, so unterschiedlich waren die Maßnahmen, mit denen man darauf reagierte. Von der
einfachen Zusammenlegung, z. T. ohne Programmänderungen, von Deutsch mit anderen
Fremdsprachen zu „(Modern) Foreign Languages“ über Gruppierungen unter neuem
Namen wie „Europe Studies“ und unter Hinzufügung entsprechender neuer Veranstal-
tungen zum bestehenden Programm bis zu völlig neu konzipierten German-Studies-Studi-
engängen mit interdisziplinärer Ausrichtung und eigenen akademischen Abschlüssen ist
eine Vielfalt von Möglichkeiten nachzuweisen. Auch im engeren Bereich der Literatur-
wissenschaft haben sich neue Formen der interfachlichen Kooperation herausgebildet
(vgl. Adolphs 1992). Entsprechend vielfältig sind die möglichen Abschlüsse (vgl. Prokop
1996: 34). Trotzdem gilt bis heute Lützelers kategorische Feststellung: „Eine Theorie von
German Studies gibt es nicht“ (Lützeler 1987: 685).

2.2.2. Zur Kritik interkulturell ausgerichteter Landeskunde-Konzeptionen

Einwände begleiteten den interkulturellen Ansatz und die auf ihm fußenden Studien-
gänge von Anfang an. Sie richteten sich einerseits gegen die Betonung der Unterschiede
zwischen den Kulturen, durch die das Gemeinsame und Verbindende verdeckt werde,
andererseits gegen die Art der Unterscheidung, die das Fremde dem Eigenen subsumiere
(vgl. Simo 1987: 696⫺697). Zumal die Ineinssetzung von „Kultur“ mit „Nation“ oder
„Sprache“ wird mit der Begründung abgelehnt, die meisten Menschen seien heute ⫺
infolge von „Migrationsprozessen sowie von weltweiten (…) Kommunikationssystemen
(…) und von ökonomischen Interdependenzen“ ⫺ transkulturell geprägt, ja „kulturelle
Mischlinge“. Deshalb könne man nicht mehr von der „Existenz klar unterschiedener, in
sich homogener Kulturen“ ausgehen, sondern müsse „auf ein vielmaschiges und inklusi-
ves, nicht auf ein separatistisches und exklusives Verständnis von Kultur“ abzielen
(Welsch 1995: 40⫺43). Schon 1980 hatte Bausinger (1980: 61) festgestellt, dass „wesentli-
che Muster (…) der Kultur längst übernational geworden“ seien; und Baumgratz und
Neumann (1980: 165⫺167) wollten entsprechend transnationale statt interkultureller
Kommunikationsfähigkeit zum Ziel des Fremdsprachenunterrichts erhoben wissen. Auch
Kelletat und Siegel (1990: 191) plädierten dafür, „den zu engen Begriff ,interkulturell ‘
durch ,transkulturell ‘ zu ersetzen“. Der Begriff „Transkulturalität“ kennzeichnet somit
die „Hybridisierung“ heutiger Kulturen, in der die herkömmliche Kategorisierung „Eige-
nes“ und „Fremdes“ nicht mehr trennscharf ist (vgl. Eckerth und Wendt 2003: 11⫺12) und
globale und kulturübergreifende Phänomene und Fragestellungen von großer Bedeutung
sind (vgl. Hallet 2001: 117⫺120). Eine „xenologisch-transkulturelle, vergleichende wis-
senschaftliche Landeskunde“ stellte ⫺ auf der Basis dieses Konzepts ⫺ Wormer (2004: 5)
vor, deren Untersuchungsgegenstände zivilisatorisch-kulturelle Handlungen, Phänomene
1526 XVII. Landeskunde

und Strukturen sind, die sich in Texten und Bildern aller Art manifestieren (vgl. Altmayer
2004a: 7). In diesem Rahmen wird dem Verfahren der (kulturwissenschaftlichen) Text-
analyse, die konzeptuell und methodisch auf Hermeneutik, Handlungstheorie und Se-
miotik Bezug nimmt (vgl. Wormer 2007: 10), große Bedeutung beigemessen. Altmayer
(2004b) hat die Konzepte und Methoden der kulturwissenschaftlichen Textanalyse in die
Forschungspraxis umgesetzt und die Ergebnisse ausführlich dokumentiert.
Der transkulturelle Ansatz hebt allerdings deutlich auf Situationen ab, wie sie beson-
ders in Europa und im nordamerikanischen Raum bestehen. Es kann daher nicht ver-
wundern, dass das Konzept der Transkulturalität bislang wenig Verbreitung gefunden
hat. Für die Länder der Dritten Welt kann es allenfalls eine zukunftsweisende Funktion
beanspruchen, auch bezüglich der Implementierung und evtl. Adaptierung des Ansatzes
an die Gegebenheiten im jeweiligen Kulturkreis. Außerdem scheint es „nach den neuesten
empirischen Untersuchungen (…) fraglich (…), ob Mobilität, direkter Kontakt und glo-
bale Mediendurchdringung zu einem besseren Verständnis anderer Menschen führt“
(Bolten 2006: 12⫺13). Der Ertrag des transkulturellen Ansatzes für die Fremdsprachen-
philologien besteht insbesondere in der Erkenntnis, dass es „unterschiedliche Grade von
Vertrautheit und Fremdheit zwischen den Kulturen und damit auch unterschiedliche
Grade von Verstehensmöglichkeiten“ gibt (Epp 1989: 109).

3. Fazit und Ausblick


Festgehalten werden kann, dass interkulturell geprägte German-Studies-Programme, in
denen die Landeskunde im Zentrum steht, in der außereuropäischen Germanistik weit-
hin etabliert sind und dass die Landeskunde als Kernbereich solcher Programme weiter-
hin an Bedeutung gewinnt. Die Probleme, die der Landeskunde seit eh und je anhaften,
sind damit freilich nicht gelöst worden: „Die Inhalte des (…) landeskundlichen Lernens
sind diffus (…); die Ziele (…) weitgehend unklar, an interkultureller Verständigung orien-
tierte Zielsetzungen stehen gleichberechtigt neben rein faktenorientierten Konzepten; von
einer praxisnahen und wissenschaftsbasierten Ausbildung der für die Landeskunde zu-
ständigen Lehrkräfte kann nicht die Rede sein, der in der Landeskunde-Diskussion im-
mer schon beklagte Dilettantismus ist nach wie vor die Regel“ (Altmayer 2004a: 1).
Umso mehr ist zu hoffen, dass Fandrych (2006: 77) Recht behalten wird, wenn er konsta-
tiert: „In den deutschsprachigen wie nichtdeutschsprachigen Ländern entwickelt sich die
Germanistik (…) zu einem (auch) kontrastiv, interdisziplinär und pluralistisch angelegten
Fach. Es ist zu hoffen, dass sich die Germanistik insgesamt deutlich stärker in diese
Richtung weiterentwickelt (…). Die Unterscheidung in eine „Inlands-“ und eine „Aus-
landsgermanistik“ wird umso obsoleter, je weiter diese Entwicklung fortschreitet.“

4. Literatur in Auswahl
Adolphs, Dieter W.
1992 Neue Wege des Deutschstudiums in den USA. Zur Beteiligung interkultureller Germanis-
tik an einem fächerübergreifenden Modell zum Studium fremdsprachlicher Literatur.
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169. Landeskunde in der Germanistik außereuropäischer Länder 1527

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Wormer, Jörg
2007 Transkulturelle Kompetenz und Landeskunde. Chancen der deutschen Sprache im 21.
Jahrhundert ⫺ aufgezeigt am Beispiel einer wissenschaftlichen Landeskunde. Zeitschrift
für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 12(2). (Online).

Rainer Kussler, Stellenbosch (Südafrika)


Noraseth Kaewwipat, Bangkok (Thailand)
XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch
als Fremd- und Zweitsprache

170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und


Zweitsprache-Unterricht: Gegenstände und
Ansätze
1. Literatur im Unterricht Deutsch als Fremdsprache
2. Spezifika einer fremdsprachlichen Literaturdidaktik
3. Hermeneutik des kulturell Fremden
4. Kulturwissenschaftliche Neuorientierung
5. Ansätze einer interkulturellen Literaturdidaktik
6. Kompetenzorientierung in der fremdsprachlichen Literaturdidaktik
7. Lesetheoretische Fundierung der Literaturdidaktik
8. Zur Methodik des fremdsprachlichen Unterrichts
9. Literatur in Auswahl

1. Literatur im Unterricht Deutsch als Fremdsprache


Seit Mitte der 1970er Jahre hat sich die Fremdsprachendidaktik verstärkt literarischen
Texten zugewandt. Dieses neue Interesse an Literatur resultiert zum einen aus der Unzu-
friedenheit mit dem bisherigen Fremdsprachenunterricht, seiner Schwerpunktsetzung
und seinem Lehrtextangebot, zum anderen aus einer Neugewichtung dessen, was literari-
sche Texte im Fremdsprachenunterricht leisten können.
Die Fremdsprachendidaktik war wesentlich beeinflusst von der Pragmatik und ihrer
Perspektive auf Sprache als ein soziales Handeln. Auf dieser Grundlage hat die Fremd-
sprachendidaktik die Fähigkeit der Lernenden, sich in verschiedenen Situationen des
Alltags im Zielsprachenland zurechtfinden und verständigen zu können, zu einem obers-
ten Lehr- und Lernziel erklärt. Zusammengefasst wurde der Komplex von zu erwerben-
den Fähigkeiten in dem Konzept der kommunikativen Kompetenz. Entsprechend dieser
Zielorientierung wurden mündliche Sprechfertigkeiten fokussiert; der Dialog und alltags-
praktische Texte waren die bevorzugten Textsorten. Literarische Texte waren weitgehend
verbannt, da sie als zu schwierig, zu lang und zu weit weg von den Anforderungen
alltäglicher Kommunikation galten, oder aber sie wurden für Sprachlernzwecke einge-
setzt, ohne ihrem literarisch-ästhetischen Charakter Rechnung zu tragen.
An diesem Konzept der Fremdsprachenvermittlung setzte die Kritik an. Sie galt zum
einen der Vorrangstellung des mündlichen Sprechens. Da in vielen Kontexten das Lernen
der Fremdsprache und der Kontakt mit der Zielsprachenkultur primär über Texte erfol-
gen, sollte ein breites Angebot von Textsorten gesichert sein und vor allen die Lesefähig-
keit entwickelt werden. Die Neugewichtung der Fertigkeiten zeigt sich in einschlägigen
Artikeln wie denen von Piepho (1974), Kast (1980) und Löschmann (1975). Zum anderen
wurde die Trennung von Sprachlernen und Literatur und die Abwertung von Literatur
kritisiert. Im Unterschied zu Lehrbuchtexten bieten literarische Texte mehr Anreiz für
170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1531

eine echte Kommunikation und tragen damit auch zur Realisierung des kommunikativen
Ansatzes im Klassenraum bei. Betont wurden ebenso die Lust am Lesen und damit der
Motivationsfaktor für das Lernen im Fremdsprachenunterricht. Literarische Texte die-
nen nicht nur der Informationsentnahme, sondern wollen unterhalten und ein Vergnügen
am Lesen bereiten und sind daher nicht einer pragmatisch-instrumentellen Funktionali-
sierung unterzuordnen.
Ein weiteres Argument zur Legitimierung des Einsatzes literarischer Texte war päda-
gogisch motiviert und stammte vor allem aus dem schulischen Kontext. In dieser Sicht
fördern literarische Texte die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Schü-
lerInnen, indem sie zur Identifikation anregen, zum Abarbeiten und Ausdifferenzieren
von Inhaltskonzepten (Figuren, Situationen, Geschehnisse) und zu Korrekturen dessen,
was ein Schüler an Weltsicht und Haltung mitbringt.
Auf der Suche nach Merkmalen, die den fremdsprachlichen Literaturunterricht vom
muttersprachlichen unterscheiden, werden als erstes die Fremdsprache, die damit einher-
gehende größere Distanz zwischen Text und Leser sowie Leseunterschiede zwischen mut-
ter- und fremdsprachigem Leser genannt. Einige Autoren sehen die Andersheit des
fremdsprachigen Lesens vor allem in der Lesegeschwindigkeit (Hunfeld 1980; Weinrich
1981). Der fremdsprachige Leser liest langsamer, weil die Fremdsprache nicht so geläufig
ist und weil die Gegenstände unvertraut, fremd und nicht ohne weiteres zugänglich sind.
Literarische Texte entschädigen den Leser jedoch für seinen Mehraufwand durch reichere
Inhalte und schaffen eine Brücke, um die Diskrepanz zwischen beschränktem Sprachver-
mögen einerseits und dem bereits entwickelten kognitiven Apparat der Lernenden und
ihren Inhaltsbedürfnissen andererseits überwinden zu helfen. Hunfeld (1980) und Wein-
rich (1981) heben die Korrespondenz zwischen dem fremdsprachenspezifischen Lesever-
halten und der Eigenschaft literarischer Texte, den Leser zu irritieren und seinen unge-
brochenen Lesefluss durch Techniken der Deautomatisierung und Verfremdung zu hin-
tertreiben, hervor und plädieren dafür, dieses Potential im Fremdsprachenunterricht
produktiv zu nutzen.
Die Neusituierung von literarischen Texten im Deutschunterricht führte dazu, den
Zusammenhang von Sprachenlernen, Literatur und Landeskunde neu zu bestimmen.
Während in der einen Richtung literarische Texte eher Spracherwerbszielen untergeord-
net wurden, betonte eine andere Richtung den Eigenwert literarischer Texte (Bredella
1985) und formulierte Lehr- und Lernziele, die sowohl dem ästhetischen Charakter litera-
rischer Texte als auch ihrer Erkenntnisfunktion, Wissen über die fremde Wirklichkeit zu
erlangen, gerecht zu werden versuchen. Da literarische Texte eine Fülle von Weltaspekten
und Perspektiven auf die Welt enthalten, bieten sie dem fremdsprachigen Lerner die
Möglichkeit, seinen eigenen Wahrnehmungs- und Erkenntnishorizont zu erweitern, den
eigenen Blickpunkt zu relativieren und mehr von der Zielsprachenkultur und ihren Ange-
hörigen verstehen zu lernen.

2. Speziika einer remdsprachlichen Literaturdidaktik


Mit der Anerkennung von Literatur im Fremdsprachenunterricht in den 1980er Jahren
setzte eine verstärkte Diskussion um die Frage ein, wie sich die Literaturdidaktik wissen-
schaftstheoretisch fundieren lässt (Bredella 1985) und worin das Spezifische einer fremd-
sprachlichen Literaturdidaktik besteht (Hunfeld 1980). Die Rezeptionsästhetik, insbe-
sondere in der Ausprägung von Iser (1976), war von entscheidendem Einfluss auf die
1532 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Neubegründung des fremdsprachlichen Literaturunterrichts, der sich abgrenzte von einer


traditionellen Literaturdidaktik, die Texte zum Exerzierfeld für Sprachübungen und Ver-
fahren der formalen und inhaltlichen Textanalyse machte. Die Rezeptionsästhetik rückte
den Leser als die Instanz, die Sinn bildet, und seine Tätigkeiten in den Mittelpunkt und
beschrieb die vielfältigen kooperativen Aktivitäten des Lesers, um das nur Angedeutete
zu realisieren und sog. Leerstellen zu füllen. Die Beziehung zwischen Text und Leser
wurde als ein dialogisches Verhältnis konzipiert.
Aus der Lern- und Verstehenstheorie ergeben sich mehrere didaktische Konsequenzen.
Sie zielen darauf ab, die Verantwortung für den eigenen Leseprozess dem Lerner in die
Hand zu geben und seine Fähigkeit, Sinnzusammenhänge zu konstituieren, zu schulen.
Entsprechend sollte das methodische Vorgehen auf den Offenheiten des Textes aufbauen
und eine vielfältige Interaktion des Lerners mit einem Text in Gang setzen. Der Lerner
soll befähigt werden, seine Fragen zu stellen und damit seinen Leseprozess zu strukturie-
ren. Des Weiteren soll sein Vorwissen aktiviert werden, damit Neues mit dem, was ein
Lerner bereits mitbringt, verknüpft werden kann.
Die verschiedenen Entwicklungslinien in der Fremdsprachendidaktik verbinden sich
in der bemühten Anstrengung um die Konturierung einer Literaturdidaktik als ein Fach
mit eigenen Fragestellungen und einem eigenen Gegenstandsbereich. Im Unterschied zur
Literaturwissenschaft thematisiert die Literaturdidaktik den literarischen Text im Lehr-
und Lernzusammenhang und stellt ihn damit in einen anderen Analyserahmen als die
Fachwissenschaften. In ihm wird der Text in seinem Bezug zum Lerner, zu den Lernkon-
texten und -traditionen, seinem Schwierigkeitsgrad, seinem Aufbau und seinen Inhalten
analysiert und im Hinblick auf Lehr- und Lernziele bewertet.
In der zentralen Fragestellung, worin sich eine fremdsprachenspezifische Literaturdi-
daktik von einer muttersprachlichen unterscheidet, werden in der Fachliteratur mehrere
Merkmale ins Spiel gebracht: Als erstes, wie bereits erwähnt, die Fremdsprache und ihre
Erschwernisse, die sie dem Lesen und Verstehen auferlegt, und zweitens der größere
kulturräumliche Abstand zwischen Text und fremdsprachigem Leser. Vom Mutterspra-
chenunterricht unterschieden ist auch die Unterrichtssituation, zumal wenn die Kommu-
nikation sich in der Fremdsprache vollzieht und dadurch die Möglichkeiten des Spre-
chens über Leseerfahrungen eingeschränkt sind. Die Fremdsprachlichkeit und der ver-
langsamte Lesefluss begrenzen den Umfang der Lektüre und die Menge der zu
bearbeitenden Texte. Für die Auswahl der Texte sind daher die Vertrautheit mit Themen,
sprachliche Schwierigkeiten, das vorausgesetzte kulturelle Vorwissen und die Länge der
Texte zu berücksichtigen. Angewandte Verständlichkeits- und Lesbarkeitskriterien variie-
ren ebenfalls zwischen Mutter- und Fremdsprachenunterricht. Da sich Verständlichkeit
und Lesbarkeit nicht nur an Textmerkmalen, wie syntaktische Komplexität, bemessen,
sondern in Abhängigkeit vom Leser und seinen Voraussetzungen bestimmt werden müs-
sen, kommen fremdsprachenspezifische Differenzfaktoren ins Spiel.
An dieser Stelle bedarf es einer Differenzierung einer fremdsprachlichen Literaturdi-
daktik des Faches Deutsch als Fremdsprache gegenüber einer Didaktik von Deutsch als
Zweitsprache (DaZ), die an andere curriculare Vorgaben gebunden ist und mit einer
sprachlich und kulturell heterogenen Lerngruppe konfrontiert ist. Der Lehr- und Lernzu-
sammenhang, in dem ein literarischer Text steht, ist nicht homogen, sondern durch kultu-
relle Diversifikation der RezipientInnen gekennzeichnet. Gegenüber DaF kommen bei
SchülerInnen mit Migrationshintergrund andere Variablen ins Spiel, die das Lesever-
ständnis beeinflussen, insbesondere der sozioökonomische Status und das Bildungsmilieu
170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1533

der Eltern, die Abkapselung in Wohngebieten, die Kommunikationssprache (Erstsprache


L1 vs. Zweitsprache L2), die Medienpraxis (L1 vs. L2) und die Sprachfertigkeiten der
Eltern in der L2. Wohngebiete mit hohen Anteilen an sprachlich homogenen Migranten-
gruppen schränken die Kontaktmöglichkeiten zu deutschsprachigen Kindern/Jugendli-
chen ein und damit die Lernmöglichkeiten für die Zweitsprache. Das hat u. a. zur Folge,
dass sich der Wortschatz zu wenig entwickeln kann und teilweise auch kulturelles Wissen
der Mehrheitskultur nicht angeeignet werden kann. Im Zusammenspiel mit sozialen Fak-
toren wirken sich die Spracherfahrung und literale Praxis im Elternhaus (Vorlesen, Ge-
schichten Erzählen, Zugang zu Gedrucktem) auf den zweitsprachlichen Leseerwerb aus
(Ehlers 2008). Aufgrund einer mangelnden literalen Erfahrung zu Hause entwickelt sich
nur wenig Verständnis für die Bedeutung schriftlicher Sprache und können sich Voraus-
setzungen für einen erfolgreichen Leseerwerb in der L2 nicht genügend entwickeln, was
wiederum nachteilige Folgen für die gesamten Schulleistungen hat. DaZ fordert insofern
eigene Interventionsmaßnahmen, wie z. B. vorschulische Sprachförderung und Ausglei-
chen einer fehlenden literalen Sozialisation im Elternhaus.
Mit den Kontexten ändert sich die didaktische Analyse ein und desselben literarischen
Textes, da ein Text je nach kulturellen Voraussetzungen und individueller Interessenlage
der Zielgruppe verschiedene Anknüpfungsmöglichkeiten an Erfahrungen und Alltagswis-
sen von Lernern bietet und andere Inhaltsaspekte eine Relevanz gewinnen, um Fremd-
heitserlebnisse auszulösen, zu vergleichen und, im Wechsel zwischen Eigenem und
Fremdem, Verstehensmöglichkeiten zu erweitern.
Die Neugewichtung von literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht und die
Entwicklung von Zielkomponenten, die auf Verstehen der fremden Kultur und ihrer
Angehörigen ausgerichtet sind, schlagen sich ebenfalls in Lehrwerken, die ab den 1980er
Jahren entstanden sind, nieder. „Sichtwechsel“ (Hog, Müller[-Jacquier] und Wessling
1984) arbeitet mit literarischen Texten und gibt vielfältige Anregungen, um perspektivi-
sches Sehen und Fremdwahrnehmung zu fördern. „Die Suche“ (Eismann, Enzensberger
und v. Eunen et al. 1994) arbeitet mit einer Detektivgeschichte, die sich durch die Lektio-
nen zieht, begleitet von vielen Aufgaben, die den Leser veranlassen, den Text fragend,
erwartend, suchend und entdeckend zu erarbeiten.
Die Jugendliteratur wurde vor allem für junge Lerner als leicht lesbare und inhaltlich
ansprechende Lektüre für den Fremdsprachenunterricht entdeckt (Kast 1985). Unter-
richtsvorschläge wurden hinsichtlich verschiedener Gattungen und Genres differenziert.
Texte der konkreten Poesie wurden als besonders geeignet empfohlen, da sie den spieleri-
schen Umgang mit Sprache fördern. Auch wurde gezeigt, wie sich größere Textmengen,
im Unterschied zu kleinen Prosaformen und Textauszügen, durch Entwicklung geeigne-
ter Lesestrategien bewältigen lassen. Die Kinder- und Jugendliteratur hat inzwischen
einen festen Platz im DaF-Unterricht erhalten mit Binnendifferenzierungen nach Genres,
wie z. B. Kinderlyrik, und einer Anreicherung der Methoden, wie grenzüberschreitende
Projekte (O’Sullivan und Rösler erscheint).

3. Hermeneutik des kulturell Fremden


Eine andere Richtung, die auf dem Gedankengut der Rezeptionsästhetik und unter-
schiedlichen Theorien zum Fremdverstehen, wie der philosophischen Hermeneutik und
der verstehenden Soziologie, aufbaut, ist die Interkulturelle Germanistik, die sich seit
1534 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

den 1970er Jahren zu einen eigenen Fach entwickelt hat (vgl. Art. 157). Sie hat es sich
zur Aufgabe gemacht, deutsche Literatur als eine fremdkulturelle zu thematisieren und
eine Hermeneutik kulturräumlicher Fremde zu entwickeln. Ihre Vertreter (Krusche 1985;
Wierlacher 1980a, 1980b, 1985) betonen, dass LeserInnen unterschiedlicher sprachlicher
und kultureller Herkunft gegenüber einem deutschsprachigen literarischen Text ihre eige-
nen Perspektiven einnehmen, die von ihrem kulturellen Hintergrund bestimmt sind. Die
kulturräumliche Distanz zwischen Text und Leser ist das besondere Merkmal, das fremd-
sprachiges Lesen charakterisiert, im Unterschied zum muttersprachigen Lesen, bei dem
vorrangig die zeitliche Distanz innerhalb eines Kulturraumes hermeneutisch reflektiert
wurde. Verstehen vollzieht sich in dieser Perspektive in einer Dialektik von Eigenem und
Fremdem. Kulturmündigkeit und das Gelten Lassen kultureller Andersheiten bilden die
obersten Leitziele (Wierlacher 1980b).
Zu den Aufgabenstellungen einer fremdkulturellen Literaturvermittlungslehre gehört
es, kulturspezifische Lektüren und Rezeptionsbedingungen zu erforschen und zu klären,
wie Distanzen zwischen Eigenem und Fremdem durch Vermittlungsarbeit überbrückt
werden können. Literarische Texte nehmen Bezug auf verschiedene außertextuelle Wirk-
lichkeitsbereiche und überlassen es dem Leser, Verbindungen zwischen ihnen herzustel-
len. Damit sind für den fremdkulturellen Leser erhöhte Anforderungen verbunden, da
einige Bezüge kulturgeschichtliche Kenntnisse und literarisches Bildungswissen voraus-
setzen und somit nicht auf der Basis universaler Konzepte erschlossen werden können.
Kulturelle Kompetenz, als ein anzustrebendes Lernziel, entwickelt sich durch solche zu
erbringenden Verknüpfungs- und Integrationsleistungen in Auseinandersetzung mit lite-
rarischen Texten (Krusche 1985).
Die Interkulturelle Germanistik hat durch ihre Thematisierung fremdkultureller Lese-
weisen, Perspektiven und Rezeptionsbedingungen den Blick auf deutschsprachige Litera-
tur gegenüber der Inlandsgermanistik erweitert und eine hermeneutische Reflexion des
Verstehens unter kulturräumlichen Bedingungen ausgelöst, die im Bereich von Deutsch
als Fremdsprache produktiv wirksam geworden ist. Die konkreten Fragestellungen der
literarischen Praxis hat sie jedoch weniger zu ihrem Thema gemacht. Auch steht der
Nachweis kulturspezifischer Lektüren bislang aus. Der Versuch, anhand der Keller-No-
velle „Pankraz“ kulturdifferente Deutungen zu erzeugen (Wierlacher und Eichheim
1992), zeigt die methodischen Schwierigkeiten eines solchen Bemühens. Kulturspezifische
Merkmale waren in den Lektüren kaum zu erkennen. Entweder fanden sich Textinterpre-
tationen bei allen Lesergruppen, oder es überwogen die individuellen und geschlechter-
differenten Merkmale gegenüber den gruppenunterscheidenden kulturellen Merkmalen
(İpşiroğlu und Mecklenburg 1992). Um in Textdeutungen fremdsprachiger Leser kultur-
spezifische Elemente identifizieren zu können, müsste geklärt werden, was ein Element
der jeweiligen Ausgangskultur ist und wie und nach welchen Kriterien es in Textdeutun-
gen identifiziert werden kann, im Unterschied zu persönlich geprägten oder intersubjekti-
ven Elementen. Ebenfalls müsste die Vergleichbarkeit von Lektüren in den verschiedenen
kulturellen Kontexten durch ein einheitliches methodisches Vorgehen gesichert sein.

4. Kulturwissenschatliche Neuorientierung
Gegenüber einem traditionellen Landeskundeverständnis, das sich auf die Vermittlung
von Fakten über die Zielsprachenkultur beschränkte, hat sich seit den 1990er Jahren ein
170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1535

neues Landeskundekonzept durchgesetzt, das auf Reflexion und Wahrnehmung setzt,


die Funktion von Wissen im Erkenntnisprozess herausstellt und auf ein Verstehen von
Angehörigen der Zielsprachenkultur, ihren Äußerungen, Lebensformen, sozialen Einbin-
dungen, Verhaltensweisen und kulturellen Erzeugnissen zielt. Einem atomistischen An-
satz steht ein auf systematische Zusammenhänge ausgerichteter Landeskundeansatz ge-
genüber, der Hintergründe aufspürt, auf Fragen nach dem Warum und Woher eingeht
und über die Aktualität von Geschehnissen hinaus eine Geschichtsdimension aufzeigt.
Hinzukommt als Lernzielbereich der Komplex von Haltungen, Vorurteilen, Bildern und
Stereotypen. In diesem Rahmen haben literarische Texte auch unter landeskundlichem
Aspekt zunehmend an Bedeutung gewonnen, da gerade literarische Texte Unterschiede
zwischen eigener und fremder Kultur verdeutlichen können und einen Zugang zum sub-
jektiven Erleben fremden Handelns und Denkens ermöglichen. Fähigkeiten wie Empa-
thie oder Perspektivenwechsel sind als Teile landeskundlicher Kompetenzen besonders
gut über literarische Texte zu verwirklichen.
In ihrer Bezugnahme auf Wirklichkeit sind literarische Texte Träger landeskundlicher
Inhalte (vgl. Art. 173). Sie sind Zeugnisse fremden Lebens, geben Einblick in Schicksals-
zusammenhänge, Glaubensvorstellungen, Wertsysteme und soziale Hierarchien. Doch
thematisch werden nicht nur materielle Lebensbedingungen und soziale Strukturen, son-
dern auch der Bereich des Mentalen mit seinen Wertvorstellungen, Glauben, Ideen, Mei-
nungen, die das Verhalten von Individuen bestimmen und in verschiedenen Texten sym-
bolisiert werden, wie z. B. Glücksvorstellungen in Utopien, Idyllen oder Märchen. Eine
zentrale Frage ist dabei, wie kulturelles Hintergrundwissen, das für das Textverständnis
notwendig ist, organisiert und vermittelbar ist. Ein Vorschlag von S. J. Schmidt (1980)
geht dahin, dieses Wissen als Kontextwissen zu konzeptualisieren, das jedoch in Bezug
auf den konkreten Text und in Abhängigkeit von der Zielgruppe und ihren Vorkenntnis-
sen zu spezifizieren ist.
Das Verständnis von Landeskunde, deren Verhältnis zur Literatur und das Konzept
von Hintergrundwissen haben in jüngerer Zeit neue Impulse durch die Kulturwissen-
schaften erfahren. Seit den 1990er Jahren steht die Wende und postulierte Orientierung
der Literaturwissenschaften zur Kulturwissenschaft (Bachmann-Medick 1996) im Mittel-
punkt der Diskussion in den philologischen Disziplinen. Infrage gestellt wurde der tra-
dierte Wissens- und Theoriekanon, um sich kulturellen Formen der Selbstauslegung, In-
szenierung, Medialität und transkulturellen Kommunikationsprozessen zuzuwenden. Die
Gegenstandsbestimmung der Kulturwissenschaft beruht wiederum auf unterschiedlichen
Kulturtheorien, wie der Kultursemiotik. Ihr Ziel ist es, kulturelle Sinnkonstruktionen,
Denkformen, Empfindungsweisen und Werte, wie sie sich in Symbolsystemen manifestie-
ren, zu untersuchen. Der cultural turn hat auch zu einem Fokuswechsel und einer kultur-
wissenschaftlichen Neufundierung der Landeskunde- und Literaturdidaktik im Bereich
DaF geführt. Einflussreich ist insbesondere der Aspekt der kulturellen Implikationen
literarischer Texte, der lebensweltlichen Bezüge in der Literatur und der kulturell gepräg-
ten Rezeptionen. In Weiterentwicklung der Metapher „Kultur als Text“ von Geertz
(1983) spricht Altmayer von „Kultur als Hypertext“ (2004) und grenzt sich damit von
S. J. Schmidts Konzept von Kontextwissen als einem objektiven Wissen, das sich auf
eine faktisch gegebene Wirklichkeit bezieht, ab. Nach Altmayer ist Wirklichkeit nur als
gedeutete und textvermittelte zugänglich. Formen kultureller Deutungsmuster gehen in
die Texte ein, die ihrerseits wiederum in Beziehung zu Texten stehen, in denen solche
Deutungsmuster thematisiert und reflektiert werden, so dass eine netzartige Struktur
1536 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

entsteht. Aufgabe einer kulturwissenschaftlichen Textanalyse besteht darin, diese Ver-


knüpfungen und Deutungsmuster herauszuarbeiten, um lebensweltliche Denk- und
Wahrnehmungsmuster, die unserem Zugang zur Wirklichkeit zugrunde liegen, aufzu-
schließen und sie für fremdkulturelle Verstehensprozesse nachvollziehbar zu machen

5. Ansätze einer interkulturellen Literaturdidaktik

Parallel zu diesen Entwicklungen in den fremdsprachenphilologischen Didaktiken hat


sich eine als „interkulturell“ zu apostrophierende Literaturdidaktik herausgebildet. Sie
subsumiert eine Reihe von Ansätzen, denen gemeinsam ist, dass sie das Aufeinandertref-
fen verschiedenen Kulturen in sprachlicher, biographischer und inhaltlicher Hinsicht mit
den vielen Kontakt- und Überschneidungssituation thematisieren (s. Honnef-Becker
2007). Das betrifft die Darstellung kulturell fremder Welten in den Texten, die Themati-
sierung von Kulturkontakten mit ihren vielfältigen Formen von Identifikation, Abwehr,
Konflikten und Toleranz, der Autorschaft (Autor als Angehöriger einer anderen Kultur
und zugleich Leben in kulturellen Räumen von Minderheiten) sowie des Rezipienten und
seiner textvermittelten Begegnung mit anderen Kulturen, insbesondere im Kontext von
gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit, wie sie aufgrund von Migrationsbewegungen ent-
standen ist.
Die interkulturelle Literaturdidaktik macht das Schreiben in einer fremden Sprache,
die Verwendung mehrerer Sprachen in den Texten, z. B. bei Özdamar, die migrationsbe-
dingte Fremdheitserfahrung, das Leben in kulturellen Zwischen- und Grenzräumen, die
verschiedenen kulturellen und sozialen Milieus innerhalb einer Gesellschaft zu ihrem
Gegenstand. In Abgrenzung von Theorien, die Kultur als homogene und in sich geschlos-
sene Räume konzipieren, werden hier Kontaktschwellen, Grenzüberschreitungen und die
Pluralisierung von Kulturen betont. Das Konzept der Hybridisierung von Identität durch
Teilhabe an mehreren Kulturen hat in diesem Diskurs eine Prominenz gewonnen.
Zur ausgewählten Literatur gehören zum einen die Migrationsliteratur als die Litera-
tur von Minderheiten, die spezifische Erfahrung von Migration thematisiert (vgl.
Art. 174), zum anderen postkoloniale Literatur, Exil- und Reiseliteratur und Kinder- und
Jugendliteratur (vgl. Art. 175), die die kulturelle Fremdheit aus der Perspektive des Kin-
des und Jugendlichen behandelt. Migrationsliteratur ist von der Autorschaft, den ver-
wendeten Sprachen und der Thematik von Fremderfahrung ein relevantes Thema einer
Didaktik des Deutschen als Zweitsprache (Rösch 1992), findet aber auch zunehmend
Beachtung im Kontext von DaF (Esselborn 1997, 2007; Schenk 2003; Wintersteiner
2003). Migrationsliteratur ist kein rein binnenliterarisches Thema, sondern immer auch
ein politisches, da sich in ihr Fremdheitserfahrungen, kulturelle Konflikte und sozialpoli-
tische Realitäten, wie Ausländer- und Sprachpolitik oder Dominanzverhältnisse von
Mehrheiten und Minderheiten, spiegeln und Prozesse der Selbstdefinition und kulturellen
Verortung von Autoren nicht losgelöst von gesellschaftspolitischen Zusammenhängen zu
sehen sind. Die Texte sind daher nicht unabhängig von dem öffentlichen Diskurs um den
Status der Literatur, die Autoren, ihre kulturelle Zugehörigkeit und die Zuschreibungen,
die von außen vorgenommen werden, um kulturelle Grenzverschiebungen und fraglich
gewordene Identitätsbestimmungen zu reflektieren, zu behandeln.
170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1537

6. Kompetenzorientierung in der remdsprachlichen


Literaturdidaktik
Im Brennpunkt der Literaturdidaktik in den fremd-/zweitsprachlichen Fächern in den
Schulen steht die derzeitige Bildungsdebatte um Kompetenz- und Outputorientierung.
Hintergrund dieser Debatte ist der seit geraumer Zeit konstatierte Rückgang in der Lese-
kompetenz von Risikoschülern, zu denen vor allem Schüler mit Migrationshintergrund
gehören, und den daraus resultierenden Folgen von Leistungs- und Bildungsheterogeni-
tät in der Gesellschaft (Lehmann et al. 1995; Deutsches PISA-Konsortium 2001). Diese
Befunde haben zu einer Umorientierung in der Bildungspolitik und der Forderung nach
Kompetenzorientierung in den Fächern geführt, die derzeit kontrovers geführt wird, wie
der Sammelband von Lothar Bredella und Wolfgang Hallet (2007) dokumentiert. Die hier
eingenommenen Positionen wenden sich gegen einen verengten und auf testbare, operatio-
nale Fertigkeiten reduzierten Literaturbegriff und -unterricht sowie die zunehmende Margi-
nalisierung von Literatur (auch im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen). Dem
wird einerseits der spezifische Bildungsinhalt literarischer Texte, der nicht zuletzt in ihrer
welterzeugenden und -erschließenden Kraft liegt (Bredella 2007: 65), entgegengehalten, an-
dererseits bemühen sich mehrere Beiträge um einen differenzierten Kompetenzbegriff, in-
dem z. B. die Besonderheit narrativer Verstehensfähigkeiten und deren Bedeutung für den
Fremdsprachenunterricht herausgearbeitet werden (Ehlers 2007; Nünning und Nünning
2007).
Erzählungen kommt insofern eine hohe Bedeutung zu, als im Erzählen persönliche
und soziale Erfahrungen, Erlebnisse, Interaktionen und Wissen über die Welt organisiert
und tradiert werden. Da erzählten Geschichten Handlungsstrukturen zugrunde liegen
und der Leser Motive und Absichten von Figuren, Konflikte und mögliche Erzählpläne
rekonstruieren muss, die ihrerseits wiederum Kenntnisse z. B. über eine geltende norma-
tive Ordnung oder soziale Verpflichtungen voraussetzen, kommt eine epistemische Kom-
ponente ins Spiel. Auf der Grundlage narrativer Strukturen und einer handlungstheoreti-
schen Fundierung von Erzählkategorien lässt sich eine narrative Verstehenskompetenz
beschreiben, die Lehr-/Lernziel für den fremdsprachlichen Literaturunterricht bildet. Er-
zählstrukturen bieten zudem die Möglichkeit, Fremdverstehen zu operationalisieren.
Eine theoretische Grundlage dafür bieten Handlungstheorien von Piaget (1936/1969) und
Geulen (1982), die das Verstehen als einen komplexen Wahrnehmungsvorgang der De-
zentrierung, Rekonstruktion der Perspektive des Anderen und der Koordination mit der
eigenen beschreiben. Bezogen auf Erzähltexte besteht ein erster Handlungsschritt darin,
die Perspektiven von Figuren zu ermitteln: ihre Weltorientierung, Motive, inneren Ge-
fühlslagen. Die Einzelperspektiven müssen im zweiten Schritt aufeinander bezogen wer-
den, um Figurenanordnung und Polaritäten zwischen Figuren herauszuarbeiten. Eine
weitere Perspektive betrifft die Ebene des erzählerischen Diskurses, insbesondere den
Erzähler und seine Wertungen und Haltungen sowie seine Motivation, eine Geschichte
zu erzählen, aber auch Reflektorfiguren innerhalb der erzählten Welt.

7. Lesetheoretische Fundierung der Literaturdidaktik


In einer anderen Richtung wird von einer lesetheoretischen Fundierung einer fremd-
sprachlichen Literaturdidaktik ausgegangen, um den zweit-/fremdsprachlichen Lesebe-
dingungen Rechnung zu tragen (u. a. Kast 1980, 1985). Im Unterricht müssen neben
1538 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

elementaren Lesekompetenzen und literarischen, interkulturellen Kenntnissen (Texte,


Autoren, Weltbezüge) auch höherstufige Fähigkeiten zum Textverstehen aufgebaut wer-
den. Die Strukturierung des Erwerbs und der Aneignung von Lese-/Deutungskompeten-
zen erfolgt in curricularer Abstufung vom beginnenden Lesen in der L2 bis zur Entwick-
lung elaborierter Verstehensfähigkeiten, die einen selbstständigen und reflektierten Um-
gang mit fremdsprachlicher Literatur ermöglichen.
Grundlage für eine Literaturdidaktik, die vom Lesen ausgeht, ist die kognitionspsy-
chologisch fundierte und empirisch arbeitende Leseforschung, die Lesen als eine kom-
plexe Fähigkeit, die in einzelne Teilfähigkeiten untergliedert werden kann, betrachtet
(Ehlers 1998). Kennzeichen moderner Lesetheorien ist die Hinwendung auf den Prozess
des Lesens gegenüber dem Produkt, seine Untergliederung in mehrere Ebenen, die paral-
lele Verarbeitung auf diesen Ebenen und die Interaktivität von Prozesskomponenten.
Der Prozess, der mit primären Wahrnehmungsvorgängen beginnt, über die Worterken-
nung, die syntaktische und semantische Verarbeitung bis zur Textverarbeitung läuft, zielt
auf das Verstehen eines Textes. Der Leser macht dabei zu verschiedenen Zeitpunkten
von verschiedenen Wissensquellen Gebrauch (mitgebrachtes Wissen, Textdaten). In einer
älteren Terminologie hat man die Verfügbarkeit und Nutzung verschiedener Wissensquel-
len als Richtungsverlauf des Verstehens von unten (bottom up) und von oben (top-down)
beschrieben (Rumelhart 1980), das der Beziehung von Teil ⫺ Ganzes in der Hermeneu-
tik entspricht.
Eine Schlüsselrolle beim Leseverstehen spielen selektive Mechanismen. Der Leser
muss Wichtiges von Unwichtigem trennen und fortlaufend den Fokus wechseln, um In-
formationen behalten und zugleich Neues aufnehmen und mit dem Alten verknüpfen zu
können. Leitbildend ist das Thema, aber auch kulturelle Regeln und Konventionen len-
ken die Aufmerksamkeit des Lesers. Gegenüber diesen objektiven Selektionskriterien
kommen subjektive ins Spiel, indem der Leser seine Perspektive und seine Interessen an
den Text heranträgt. Die Vertrautheit mit Textinhalten kann den Leser entlasten, ebenso
wie die Vertrautheit mit formalen Strukturen, da sie dem Leser signalisieren, wo rele-
vante Informationen in einem Text zu finden sind und wonach er suchen könnte. Kon-
ventionen entlasten den Leser und bilden zugleich den Grund, vor dem Unvertrautes
und Unerwartetes hervortritt und damit höhere Aufmerksamkeit beansprucht. Auch
Emotionen steuern die Aufmerksamkeit: Je nach Sympathie oder Antipathie, nach Iden-
tifikation und emotionaler Beteiligung mit Geschehnissen, wendet sich der Leser Gegen-
ständen zu oder von ihnen ab, nimmt er etwas auf, erinnert oder vergisst er. Ein zentraler
Faktor ist zudem die Motivation: Sie bestimmt den Grad der Aufmerksamkeit und den
kognitiven Aufwand, den ein Leser zu investieren bereit ist.
Lesen ist des Weiteren dadurch charakterisiert, dass der Leser fortlaufend über das
Gedruckte und wörtlich Gesagte hinausgeht und mehr liest, als in einem Text geschrieben
steht. Informationen, die der Leser beisteuert, um zu kohärenten Zusammenhängen und
damit zu einem Verstehen zu gelangen, nennt man Inferenzen. Um notwendige Informa-
tionen abzuleiten, stützt sich der Leser auf Weltwissen und auf explizite Informationen
in einem Text. Sie sind von unterschiedlichem Typ (Herstellen anaphorischer Beziehun-
gen oder Ableiten von Handlungsmotiven), treten zu unterschiedlichen Zeitpunkten und
mit unterschiedlicher Schnelligkeit auf. Inferenzen sind eine Quelle für kulturelle Miss-
verständnisse. Selektionen und das Ausmaß der Inferiertätigkeit, die zu einer armen oder
reichen Bedeutungsstruktur führt, sind einerseits von der Aufgabenstellung und den Text-
strukturen bestimmt, andererseits von dem Interesse und der Perspektive des Lesers. Es
170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1539

gehört zu den Eigenschaften der Texte, dass sie an der Textoberfläche vieles ungesagt
lassen und nicht explizieren, was zum Verständnis erforderlich ist. Das geschieht im Ver-
trauen darauf, dass Leser über die Voraussetzungen verfügen, um verborgene Zusam-
menhänge zu erfassen. Unterstellt wird ein geteiltes Wissen über die Welt, Sprache, Texte
und Gattungen; diese gemeinsame Verständigungsbasis steht unter den Bedingungen von
Fremdsprachlichkeit und zeitlicher, kultureller Distanz zwischen Text und Leser in Frage.
Sie herzustellen, fordert Interpretationsarbeit. Insofern ist das Lesen ein interaktiver und
konstruktiver Akt, als der Leser Informationen beisteuern muss, um zu einer kohärenten
Struktur und damit zu einem Verstehen zu gelangen.
Zu den Grundannahmen der Literaturwissenschaft und einer didaktisch geleiteten
Lesepraxis gehört, dass Gattungskonventionen und Textsortenspezifika das Verstehen
lenken, eine je eigene Lesehaltung fordern und die Interpretationsspielräume wiederum
begrenzen. Das Lesen und Verstehen erzählender Texte fordert eine spezifisch narrative
Kompetenz, die beim Lesen aber auch in anderen medialen Präsentationen des Narrati-
ven, wie Film, zur Anwendung kommt. Ein Bindeglied zwischen einem kognitionspsy-
chologisch fundierten Lesekonzept und dem Narrativem bieten selektive und inferentielle
Aktivitäten des Lesers, jene Schlüsselkompetenzen, ohne die ein Verstehen von Erzähl-
texten nicht möglich ist Sie bieten eine operationale Grundlage für die Beschreibung von
Leserhandlungen, die auf die Herstellung von Kohärenz zielen, wie z. B. Motive und
Beziehungen zwischen Figuren ableiten.
Eine Lese- und Literaturdidaktik des Faches Deutsch als Fremdsprache muss die
Besonderheiten des fremdsprachlichen Leseprozesses berücksichtigen, der durch eine ei-
gene Dynamik und ein eigenes Zusammenspiel verschiedener Variablen bestimmt ist,
wie das Verhältnis von Mutter- und Fremdsprache, die Fremdsprachenkenntnisse, die
Leseflüssigkeit und das kulturelle Wissen.

8. Zur Methodik des remdsprachlichen Unterrichts


Aufbauend auf den Prämissen der Rezeptionsästhetik und literaturdidaktischen Reflexio-
nen, wurde eine Reihe von konkreten Methodenvorschlägen für die Unterrichtspraxis
entwickelt, um den Leser zu sinnbildenden Prozessen anzuregen und dabei auch der
Diskrepanz zwischen fremdsprachlichem Text und Leser Rechnung zu tragen. Es ist nicht
nur die Sprache, die fremd ist, und die immer wieder Aufmerksamkeit beansprucht, son-
dern es sind vor allem die kulturspezifischen Inhalte, die somit in Vermittlungsschritten
erschlossen werden müssen. Unter methodischem Aspekt gilt es einmal, das Vorwissen
des Lesers zu einem Thema zu aktualisieren oder durch andere Quellen zugänglich zu
machen, vor allem geht es darum, an der Erfahrung des Lesers anzusetzen und das
Vorgehen im Unterricht so zu gestalten, dass der Lernende seine Erfahrungen ausdrü-
cken (Bredella 1985, 1986), spontan auf Texte reagieren und seine Meinungen und per-
sönlichen Eindrücke einbringen kann. Die schöpferischen Momente des Lesens literari-
scher Texte sollten durch Anschlusshandlungen, wie Schreiben, Umgestalten von Texten,
zu Ende führen einer Geschichte, Ausdenken, was wäre wenn oder was eine Figur denkt,
Rollenspiele und Unterrichtsprojekte gefördert werden (Mummert 1984; Kast 1994). Die
Handlungs- und Produktionsorientierung, die seit den 1980er Jahren zu einem Kernbe-
stand der Fachdidaktik Deutsch gehört (Haas 1984), hat auf die konkreten unterrichts-
praktischen Vorschläge zur Arbeit mit literarischen Texten im fremdsprachlichen
1540 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Deutschunterricht einen maßgeblichen Einfluss ausgeübt. Handlungsorientierung bedeu-


tet, dass der Leser gestalterisch in Texte eingreift, indem er sie fort- und umschreibt,
verändert, alternative Perspektiven durchspielt und Offenheit phantasievoll füllt.
Die Ausubel-Forschung (Ausubel 1968) war von großem Einfluss auf die Lese- und
Literaturpädagogik. Sie hat die Bedeutung des Vorwissens für das Textverstehen hervor-
gehoben. Die sogenannten prereading activities, die vor der Lektüre erforderliches Hin-
tergrundwissen bereitstellen oder wachrufen möchten, finden sich in vielen unterrichts-
praktischen Vorschlägen der Fremdsprachendidaktik. Jedoch ist Skepsis gegenüber dem
positiven Effekt solcher Maßnahmen im Unterricht geboten. Das Bereitstellen von Vor-
wissen für literarische Texte ist nicht unbedingt eine empfehlenswerte Lehrstrategie, da
der Deutungsprozess dadurch determiniert wird. Zudem besteht in der Unterrichtspsy-
chologie Uneinigkeit über die positiven Effekte dieser Maßnahme, weil unklar ist, ob
das Wissen, das der Lehrer bereitstellt, das ist, was für das Textverstehen gebraucht wird,
und ob es das ist, das der Lerner verwendet, um zu einem Verstehen zu gelangen (zur
kritischen Diskussion s. Ausubel 1978).
Die Förderung verschiedener Leseformen, die der abgestuften und auf die eigenen
Leseziele bezogenen Informationsentnahme aus Texten dienen, wie Texte überfliegen
oder genau lesen, wurde in Verbindung mit literarischen Texten als Übungsmöglichkeiten
und zur Phasierung des Unterrichts vorgeschlagen. Das Vergleichen wurde zu einem
bevorzugten Verfahren zur Förderung fremd- und eigenkultureller Verstehensfähigkeiten.
Es bezieht sich sowohl auf Texte, die das gleiche Thema/Motiv gestalten, um darin Per-
spektiven und ihre Veränderung innerhalb des deutschsprachigen Raumes herauszuarbei-
ten, als auch auf eigen- und fremdkulturelle Erfahrungen und Konzepte. Weitere metho-
dische Empfehlungen, wie das Hypothesenbilden und Testen, die Unterbrechung und
-untergliederung des Lesevorganges, das Motivieren von Schülern, Empfehlungen zur
Hauslektüre, ergänzende Texte, um Hintergrundwissen zur Verfügung zu stellen, Integra-
tion mit anderen Medien wie Film und Video und Verständniskontrollen wurden im
Zusammenhang mit theoretischen Reflexionen zur Arbeit mit literarischen Texten gege-
ben oder in konkreten Arbeitsvorschlägen und Didaktisierungen praktisch vorgeführt
(Kast 1980, 1985; Bredella 1986; Ehlers 1992).
In der fremdsprachlichen Literaturdidaktik (Ehlers 1998; Hunfeld 1980) ist wiederholt
auf die Funktion der Interaktion und des Gesprächs im Klassenraum hingewiesen wor-
den. Teilnehmer brauchen nicht nur eine Sprache, um sich und ihre Erfahrungen ausdrü-
cken zu können, sondern auch literarische Beschreibungskategorien (Reim, Vers, Erzäh-
ler etc.). Der Lehrer muss über ein Repertoire an methodischen Verfahren verfügen,
damit innere Vorgänge öffentlich und Verständigungshandlungen zwischen den Teilneh-
merInnen ermöglicht werden. Geeignet sind Leseprotokolle, Fragebögen zur Ermittlung
von verwendeten Lesestrategien, Strategien der Aufmerksamkeitslenkung und der Per-
spektivenverschiebung. Der Dialog im Klassenraum mit seinen wechselseitigen Bezug-
nahmen der TeilnehmerInnen aufeinander gewinnt eine Lernqualität, indem das Lesen
in einen kommunikativen Rahmen eingebettet wird und Prozesse der Verschiebung von
Perspektiven, des Infragestellens des eigenen Blickpunktes, des Wahrnehmens anderer
Aspekte als der, die im bisherigen Sehfeld lagen, das Offenhalten von Alternativen, des
imaginativen Durchspielens anderer Lebensformen, der Selbstüberprüfung und des Aus-
handelns von Bedeutungen in Gang gesetzt werden können.
Grundlage für die verschiedenen Lese- und Deutungsaktivitäten sind immer wieder
Auslassungen in den Texten, die aus den Zwängen der Schreibökonomie resultieren und
170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1541

im Vertrauen darauf, dass Leser über das vorausgesetzte Wissen verfügen, um fehlende
Verbindungsstücke, ausgesparte Selbstverständlichkeiten und unausgesprochene Absich-
ten zu erschließen. Diesen Vertrag, den die Lesenden stillschweigend eingehen, der auf
Ketten von Annahmen über ein gemeinsames kulturelles Wissen und wechselseitigen Er-
wartungen beruht, sollte nicht einseitig zugunsten des Lesers aufgelöst werden, damit
Textverstehen nicht in Beliebigkeit zerfällt, sondern immer auch den Konventionen und
Regeln der Erzeugung von Texten und ihren Welten folgen, um das Textverständnis zu
objektivieren und den Lerner mit den erforderlichen Kompetenzen für den Umgang mit
fremdliterarischen Texten auszustatten.
Eine Didaktik des Buches empfiehlt sich auch als ein Beitrag zur fremd- und ins-
besondere zweitsprachlichen Lesesozialisation und einer Buch- und Lesekultur. Dazu
gehören z. B. Besuche von Bibliotheken und Buchhandlungen mit Arbeitsaufträgen, Ko-
operationen mit Autoren, Lesekisten, freie Lesestunden, Erstellen einer Schülerzeitung,
Vorbereiten einer Buchausstellung, Nutzen des Internets für die Literaturarbeit, Roman-
verfilmungen, Anfertigen eines Literaturkalenders und eine Jugendbuchwoche.

9. Literatur in Auswahl

Altmayer, Claus
2004 Kultur als Hypertext. Zu Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch
als Fremdsprache. München: iudicium.
Ausubel, David P.
1968 Educational Psychology. A Cognitive View. New York/Chicago: Holt, Rinehart and Wins-
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Ausubel, David P.
1978 In defense of advance organizers: A reply to the critics. Review of Educational Research.
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Bachmann-Medick, Doris
1996 Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Hamburg: Rowohlt.
Bredella, Lothar
1985 Literarische Texte im Fremdsprachenunterricht. Gründe und Methoden. In: Manfred
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Werkstattgesprächs des Goethe House New York/München, 352⫺393. München: Goethe-
Institut.
Bredella, Lothar
1986 Das kreative Moment beim Verstehen literarischer Texte. In: Fragezeichen. Beiträge zu
Theorie und Praxis des Deutschunterrichts in Italien 4(5): 6⫺20.
Bredella, Lothar
2007 Die welterzeugende und die welterschließende Kraft literarischer Texte: Gegen einen ver-
engten Begriff von literarischer Kompetenz und Bildung. In: Lothar Bredella und Wolf-
gang Hallet (Hg.), Literaturunterricht, Kompetenzen und Bildung, 65⫺87. Trier: Wissen-
schaftlicher Verlag.
Bredella, Lothar und Wolfgang Hallet (Hg.)
2007 Literaturunterricht, Kompetenzen und Bildung. Trier: Wissenschaftlicher Verlag.
Deutsches PISA-Konsortium (Hg.)
2001 PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich.
Opladen: Leske und Budrich.
1542 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Ehlers, Swantje
1992 Lesen als Verstehen. Zum Verstehen fremdsprachlicher literarischer Texte und zu ihrer Di-
daktik. München: Langenscheidt.
Ehlers, Swantje
1998 Lesetheorie und fremdsprachliche Lesepraxis aus der Perspektive des Deutschen als Fremd-
sprache. Tübingen: Narr.
Ehlers, Swantje
2007 Lesetheorien, Lesekompetenz und Narrative. In: Lothar Bredella und Wolfgang Hallet
(Hg.), Literaturunterricht, Kompetenzen und Bildung, 107⫺127. Trier: Wissenschaftlicher
Verlag.
Ehlers, Swantje
2008 Lesekompetenz in der Zweitsprache. In: Bernt Ahrenholz und Ingelore Oomen-Welke
(Hg.), Deutsch als Zweitsprache, 215⫺228. Baltmannsweiler: Schneider.
Eismann, Volker, Hans-Magnus Enzensberger, Kees van Eunen, Brigitte Helmling, Bernd Kast,
Ingrid Mummert und Maria Thurmair
1994 Die Suche. Das andere Lehrwerk. München: Langenscheidt.
Esselborn, Karl
1997 Von der Gastarbeiterliteratur zur Literatur der Interkulturalität. Zum Wandel des Blicks
auf die Literatur kultureller Minderheiten in Deutschland. Jahrbuch Deutsch als Fremd-
sprache 23: 47⫺75.
Esselborn, Karl
2007 Interkulturelle Literatur ⫺ Entwicklungen und Tendenzen. In: Irmgard Honnef-Becker
(Hg.), Dialoge zwischen den Kulturen. Interkulturelle Literatur und ihre Didaktik, 9⫺29.
Baltmannsweiler: Schneider.
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1982 Perspektivenübernahme und soziales Handeln. Texte zur sozialkognitiven Entwicklung.
Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Geertz, Clifford
1983 Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. M.: Suhr-
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1984 Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht in der Sekundarstufe I. Hanno-
ver: Praxis Deutsch.
Hog, Martin, Bernd-Dietrich Müller[-Jacquier] und Gerd Wessling
1984 Sichtwechsel. Elf Kapitel zur Sprachsensibilisierung. Ein Deutschkurs für Fortgeschrittene.
Stuttgart: Klett
Honnef-Becker, Irmgard (Hg.)
2007 Dialoge zwischen den Kulturen. Interkulturelle Literatur und ihre Didaktik. Baltmannswei-
ler: Schneider.
Hunfeld, Hans
1980 Einige Grundsätze einer fremdsprachenspezifischen Literaturdidaktik. In: Alois Wierla-
cher (Hg.), Fremdsprache Deutsch, 507⫺519. Bd. 2. München: Francke.
İpşiroğlu, Zehra und Norbert Mecklenburg
1992 „Und wenn er nicht gestorben ist, dann schmollt er auch noch heute“. Türkisch-deutsche
Pankraz-Notate. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 18: 449⫺464.
Iser, Wolfgang
1976 Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. München: Francke.
Kast, Bernd
1980 Legetische Aufgaben und Möglichkeiten des fremdsprachlichen Deutschunterrichts. In:
Alois Wierlacher (Hg.), Fremdsprache Deutsch, 536⫺561. Bd. 2. München: Francke.
Kast, Bernd
1985 Jugendliteratur im kommunikativen Deutschunterricht. München: Langenscheidt.
170. Literarische Texte im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1543

Kast, Bernd (Hg.)


1994 Literatur im Anfängerunterricht. Themenheft 11 von Fremdsprache Deutsch. München.
Krusche, Dietrich
1985 Literatur und Fremde. Zur Hermeneutik kulturräumlicher Distanz. München: iudicium.
Lehmann, Rainer, Rainer Peck, Iris Pieper und Regine von Stritzky
1995 Leseverständnis und Lesegewohnheiten deutscher Schüler. Weinheim/Basel: Beltz.
Löschmann, Martin
1975 Übungsmöglichkeiten und Übungen zur Entwicklung des stillen Lesens (1) und (2).
Deutsch als Fremdsprache 1: 26⫺31 und 2: 96⫺101.
Mummert, Ingrid
1984 Schüler mögen Dichtung ⫺ auch in der Fremdsprache: Untersuchungen zum kommunikati-
ven Literaturunterricht mit fremdsprachigen Texten. Frankfurt a. M.: Lang.
Nünning, Vera und Ansgar Nünning
2007 Erzählungen verstehen ⫺ verständlich erzählen: Dimensionen und Funktionen narrativer
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tenzen und Bildung, 87⫺106. Trier: Wissenschaftlicher Verlag.
O’Sullivan, Emar und Dietmar Rösler
erscheint Kinder- und Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht. Paderborn: Schöningh UTB.
(erscheint voraussichtlich 2011).
Piaget, Jean
1969 Das Erwachen der Intelligenz beim Kinde. Stuttgart: Klett-Cotta. [1. Aufl. 1936].
Piepho, Hans-Eberhard
1974 Lesen als Lernziel im Fremdsprachenunterricht. In: Goethe-Institut (Hg.), Beiträge zu den
Fortbildungskursen des Goethe-Instituts für ausländische Hochschulen, 9⫺20. München:
Goethe-Institut.
Rösch, Heidi
1992 Migrationsliteratur im interkulturellen Kontext. Eine didaktische Studie zur Literatur von
Aras Ören, Aysel Özakin, Franco Biondi und Rafik Schami. Frankfurt a. M.: Verlag für
interkulturelle Kommunikation.
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1980 Schemata: the building blocks of cognition. In: Rand J. Spiro, Bertram C. Bruce und,
William F. Brewer (Hg.), Theoretical Issues in Reading Comprehension, 33⫺58. Hillsdale,
NJ.: Erlbaum.
Schenk, Klaus
2003 Fremdheit und displacement. Zur interkulturellen Literatur und ihrer didaktischen Ver-
mittlung. In: Armin Wolff und Ursula Renate Riedner (Hg.), Grammatikvermittlung ⫺
Literaturreflektion ⫺ Wissenschaftspropädeutik ⫺ Qualifizierung für eine transnationale
Kommunikation, 79⫺95 (Materialien Deutsch als Fremdsprache 70). Regensburg: Fach-
verband DaF.
Schmidt, Siegfried J.
1980 Was ist bei der Selektion landeskundlichen Wissens zu berücksichtigen? In: Alois Wierla-
cher (Hg.), Fremdsprache Deutsch, 289⫺299. Bd. 1. München: Francke.
Weinrich, Harald
1981 Literatur im Fremdsprachenunterricht ⫺ ja, aber mit Phantasie. Die Neueren Sprachen
82: 200⫺216.
Wierlacher, Alois (Hg.)
1980a Fremdsprache Deutsch. Bd. 1 und 2. München: Francke.
Wierlacher, Alois (Hg.)
1980b Literaturforschung des Faches Deutsch als Fremdsprache. In: Alois Wierlacher (Hg.),
Fremdsprache Deutsch, 315⫺339. Bd. 2. München: Francke.
Wierlacher, Alois (Hg.)
1985 Das Fremde und das Eigene. Prolegomena zu einer interkulturellen Germanistik. Mün-
chen: iudicium.
1544 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Wierlacher Alois und Hubert Eichheim (Hg.)


1992 Der Pluralismus kulturdifferenter Lektüren. Zur ersten Diskussionsrunde am Beispiel von
Kellers Pankraz der Schmoller. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 18: 375⫺540.
Wintersteiner, Werner
2003 Poetik der Verschiedenheit. Literarisch-kulturelle Bildung und Globalisierung. Umrisse
einer interkulturellen Literaturdidaktik. Masch. Habil.-Schrift, Universität Klagenfurt.

Swantje Ehlers, Gießen (Deutschland)

171. Literatur, Kultur, Leser und Fremde -


Theoriebildung und Literaturvermittlung im Fach
Deutsch als Fremd- und Zweitsprache
1. Einleitung
2. Hermeneutik kulturräumlicher Distanz und kulturspezifische Lektüren
3. Neuere Ansätze einer Didaktik deutschsprachiger Literatur als fremdkultureller Literatur
4. Literatur und kulturelles Lernen im Zeichen eines nicht-essentialistischen Kulturbegriffs
5. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
In der Debatte um die Konturierung einer eigenständigen literaturwissenschaftlichen Per-
spektive im Fach zu Beginn der 1980er Jahre hat man sich sehr früh auf zwei Paradigmen
festgelegt, in deren Denkzusammenhängen sich auch neuere Arbeiten zumeist bewegen.
So wurde zum einen ⫺ vor dem Hintergrund des im kommunikativen Fremdsprachenun-
terricht zentralen Prinzips der Lernerorientierung ⫺ das literarische Kommunikations-
modell der Rezeptionsästhetik zur Grundlage der wissenschaftlichen Reflexion von Lite-
ratur und Literaturvermittlung im Fach erklärt, in dem das Verhältnis von Text und
Leser als ein dialogisches konzipiert und dem Leser eine zentrale Rolle bei der Konstitu-
tion der Bedeutung literarischer Texte zugewiesen wird. „Bedeutungen literarischer Texte
werden überhaupt erst im Lesevorgang generiert; sie sind das Produkt der Interaktion
von Text und Leser und keine im Text versteckten Größen (…)“ (Iser [1970] 1975: 229) ⫺
so das von Iser formulierte Credo der Rezeptionsästhetik, das einer Literaturwissenschaft
und -didaktik, die sich allein auf die Autorität des Autors oder des Textes beruft, den
Boden entzog. In literaturwissenschaftlichen und -didaktischen Konzepten im Fach
Deutsch als Fremdsprache wurde der Lerner dementsprechend primär als Leser in den
Blick genommen, dessen Auseinandersetzung mit dem Text sich vor dem Hintergrund
individueller, aber auch kulturell geprägter Erfahrungen vollzieht. In der Engführung
von Lerner und Leser wurde dabei allerdings eine gesonderte Reflexion der Lernerper-
spektive vernachlässigt. Darüber hinaus wurden grundlegende Unklarheiten der Rezept-
ions- und Wirkungstheorie, die u. a. die Frage nach dem Stellenwert der Textvorgabe für
178. Literatur, Kultur, Leser und Fremde ⫺ Theoriebildung und Literaturvermittlung 1545

die Rezeption und Fragen des genauen Zusammenspiels von Textvorgabe und Leserakti-
vität betreffen, kaum diskutiert, sondern oftmals weitgehend unreflektiert in Konzepte
der Arbeit mit Literatur im Fach Deutsch als Fremdsprache transferiert.
Zum anderen postulieren die meisten Ansätze die Kategorie kulturelle Fremdheit als
Basiskategorie. Damit legen sie für die Auseinandersetzung mit Literatur im Fach ein
interkulturelles Paradigma zugrunde, das diese mit dem Ziel verbindet, Unterschiede von
eigener und fremder Wirklichkeitssicht bewusst zu machen. In der dichotomen Gegen-
überstellung von eigen- und fremdkultureller Literatur, einer eigen- und einer fremdkul-
turellen Perspektive auf literarische Texte und von jeweils quasi hinter den Texten liegen-
den und die Auseinandersetzung mit Texten bestimmenden fremden und eigenen Kultur-
räumen zeichnet sich ein essentialistischer Kulturbegriff ab. Dieser wird jedoch der
inneren Differenzierung und äußeren Verflechtung von Kulturen sowie der Komplexität
und Dynamik kultureller Prozesse nicht gerecht. Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher
und kultureller Globalisierung und dem Phänomen weltweiter Migration wurde deshalb
in den letzten 20 Jahren im Zusammenhang unterschiedlicher Disziplinen ein dynami-
scher Kulturbegriff ausgearbeitet, der die Denkkategorien interkultureller Ansätze radi-
kal in Frage stellt und deren Ablösung oder zumindest Neubestimmung erforderlich
macht. Während hieraus in der Fremdsprachendidaktik im Allgemeinen (vgl. z. B. Hu
2007) und in der Diskussion um neue Landeskundekonzepte im Fach Deutsch als
Fremdsprache im Besonderen (z. B. Altmayer 2006) bereits Konsequenzen gezogen wur-
den, steht die Entwicklung von Konzepten für die Arbeit mit Literatur, die dem Rech-
nung tragen, noch am Anfang.

2. Hermeneutik kulturräumlicher Distanz und kulturspeziische


Lektüren

Dass sich die Rezeption literarischer Texte aus der Perspektive der eigenen Kultur und
der Perspektive „kulturräumlicher Distanz“ (Krusche 1985) unterscheiden, dass mithin
fremdsprachige und in anderen kulturellen Kontexten sozialisierte Leser, die sich mit
deutschsprachiger Literatur auseinandersetzen, eine eigene Rezeptionsposition einneh-
men, die es zu berücksichtigen und produktiv zu machen gilt, stellt die grundlegende
These des Anfang der 1980er Jahren entwickelten literaturwissenschaftlichen Ansatzes
der interkulturellen Germanistik dar. Der Begriff der interkulturellen Germanistik stand
dabei für Bestrebungen, das damals neue universitäre Fach Deutsch als Fremdsprache
als ein germanistisches Fach zu konzipieren. Im Zusammenhang der 1984 gegründeten
Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik und deren zahlreichen Publikationen wurde
jedoch schon bald der Anspruch zur Entwicklung einer umfassenden Fremdkulturwissen-
schaft vertreten (vgl. Art. 157).
In ihrem literaturwissenschaftlichen und -didaktischen Ansatz knüpft die interkultu-
relle Germanistik an theoretische Grundlagen der philosophischen Hermeneutik Gada-
mers an. Durch die Postulierung einer „Hermeneutik kulturräumlicher Distanz“ (Kru-
sche 1985) setzt sie sich jedoch gleichzeitig von deren ausschließlicher Ausrichtung auf
das Verstehen von Texten ab, die in einer historischen Distanz zum Rezipienten liegen.
1546 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Während bei Gadamer die Möglichkeit des Verstehens an das Bestehen eines wirkungsge-
schichtlichen Kontinuums zwischen Rezipient und Text gebunden ist, wirft die interkul-
turelle Germanistik in der Polarisierung von Fremd- und Eigenkultur die Frage nach
dem Verstehen von Texten auf, die aufgrund ihrer Zuordnung zu einem fremden Kultur-
raum gerade nicht bruchlos an eigene Traditionszusammenhänge angeschlossen werden
können. Da Fremdverstehen, wie Wierlacher (1985) hervorhebt, immer nur auf der Basis
des eigenen Vorverständnisses erfolgen könne, Texte also auf der Grundlage eigener kul-
tureller Erfahrungszusammenhänge jeweils unterschiedlich konkretisiert werden, komme
es darauf an, kulturdifferente Lektüren nicht unter dem Verdikt eines falschen Verstehens
zu unterbinden. Fremdkulturelle Lektüren seien vielmehr für eine „Hermeneutik des
Komplements von kulturell differenten Außenansichten und kultureller Innendeutung“
(Wierlacher 1985: 11⫺12) produktiv zu machen. GermanistInnen verschiedener Her-
kunftsländer mit Interesse am kulturellen Austausch, aber auch Lehrenden und Lernen-
den im interkulturellen Literaturunterricht im Fach Deutsch als Fremdsprache biete die
Zusammenschau von kultureller Innen- und Außenperspektive die Einnahme verschiede-
ner kultureller Verstehensrollen. Dies ermögliche ein umfassendes Kulturverstehen, in
dem Fremdheit zum „Ferment“ der Kulturentwicklung werde (Wierlacher 1985). Ober-
stes Lernziel bilde der Aufbau von „Kulturmündigkeit“, die über die Auseinandersetzung
mit „fremdkulturellen“ Zusammenhängen auch die Erkenntnis der eigenen kulturellen
Voraussetzungen umfassen sollte (Wierlacher 1980: 157). Die zentrale Mittlerrolle zwi-
schen Kulturen, die literarischen Texten hier zugewiesen wird, leitet sich dabei aus einem
rezeptionsästhetisch begründeten Literaturverständnis ab, das von einer grundlegenden
Deutungsoffenheit literarischer Texte ausgeht, deren Bedeutungspotential es in der Inter-
pretation durch den Anschluss an mögliche, außerhalb des Textes liegende Referenzrah-
men zu konkretisieren gelte (Steinmetz 1992).
Literaturdidaktisch umgesetzt findet sich dieser Ansatz in Krusches Konzept des in-
terkulturellen Lesergesprächs (Krusche 1985), das darauf abzielt, Leser aus verschiede-
nen „Kulturkreisen“ mit dem literarischen Text ins „Gespräch“ zu bringen, ihnen subjek-
tive Lese-Erfahrung zu ermöglichen und in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit
dem Text kommunizierbar und untereinander vergleichbar zu machen. In der Akzentuie-
rung subjektiver Lese-Erfahrung knüpft Krusche an die Leseakt-Theorie Isers an, die
davon ausgeht, dass literarische Texte Wirklichkeit nicht abbilden, sondern dem Leser
Einstellungen und Perspektiven anbieten, „in denen eine durch Erfahrung gekannte Welt
anders erscheint“ (Iser 1975: 233). Aufgrund der für literarische Texte charakteristischen
strukturellen Unbestimmtheit ist der Leser ⫺ will er die ihm vom Text angebotenen
Einstellungen und Perspektiven konkretisieren ⫺ jedoch auf seine eigene Erfahrung ver-
wiesen. Im Akt des Lesens vollzieht sich also eine „Verflechtung von Fremd- und Selbst-
erfahrung“ (Krusche 1985: 141). Ziel der Arbeit mit Literatur im Fremdsprachenunter-
richt müsse es dementsprechend sein, dem Leser Texte so zu vermitteln, dass er ⫺ ohne
sein Lesen durch zu viele Zusatzinformationen zu hemmen ⫺ „diese Fremde für sich
entdecken, sie im Leseakt selbst realisieren kann“ (Krusche 1985: 186). Fremdverstehen
vollzieht sich also nach Krusches Konzept sowohl in der Auseinandersetzung des Lesers
mit dem fremden Text als auch in der Kommunikation über verschiedene fremdkultu-
relle Lektüren.
In der Ausrichtung auf die Formulierung von Unterschieden in der Reaktion auf
Texte, die in eine Reflexion von unterschiedlichen kulturellen Voraussetzungen der Lek-
türe einmündet, ist das interkulturelle Lesergespräch dabei unmittelbar auf Wierlachers
178. Literatur, Kultur, Leser und Fremde ⫺ Theoriebildung und Literaturvermittlung 1547

Konzept der interkulturellen Hermeneutik bezogen. Eine kausale Ableitbarkeit differen-


ter Lektüren aus kulturspezifischen hermeneutischen Voraussetzungen, die den Kern von
Wierlachers hermeneutischem Konzept bildet, wird bei Krusche jedoch in Zweifel gezo-
gen (Krusche 1985: 144 und 149).
Dass es sich bei der Festlegung kulturspezifischer Lektüren bzw. Textinterpretationen
um ein höchst problematisches Unterfangen handelt, hat sich nicht zuletzt an dem von
Wierlacher und Eichheim (1992) initiierten Versuch gezeigt, den „Pluralismus kulturdiffe-
renter Lektüren“ am Beispiel von Gottfried Kellers Novelle Pankraz der Schmoller zu
dokumentieren. Abgesehen von der fragwürdigen methodischen Basis des Versuchs ma-
chen viele der Beiträge vor allem die Willkürlichkeit und Zirkularität der Identifizierung
kulturspezifischer Lektüren deutlich, setzt diese ja bereits feste Vorannahmen über die
Spezifik der jeweiligen Ausgangskultur der Leser voraus. Der methodisch fundierte Ver-
gleich von Leseprotokollen türkischer und deutscher Studierender, den İpşiroğlu und
Mecklenburg (1992) vorlegen, zeigt darüber hinaus eine deutliche Dominanz individuel-
ler, alters- und geschlechtsspezifischer Lesarten gegenüber kulturbestimmten Lesarten.
Die größte Differenz in den Lektüren ist dabei offensichtlich auf die unterschiedliche
Ausbildung einer kritisch-ästhetischen Lesekompetenz zurückzuführen.
Neben dem fehlenden Nachweis der Kulturspezifik von Lektüren wurden in der be-
reits Mitte der 1980er Jahre einsetzenden kritischen Auseinandersetzung mit Positionen
der interkulturellen Germanistik eine Reihe von weiteren Problempunkten des Kon-
zepts deutlich:
1. Über der einseitigen Konzentration auf kulturspezifische Lektüren wurden (abgesehen
von den von Krusche entwickelten Beiträgen und Materialien) Fragen der konkreten
Praxis des Literaturunterrichts weitgehend vernachlässigt (z. B. Altmayer 1997: 201).
2. Speziell den von Wierlacher vertretenen Konzepten wurde eine einseitige Ausrichtung
auf inhaltlich-semantische Aspekte vorgeworfen, mit der Tendenz, die „Differenz zwi-
schen Text-Welt bzw. Kunstwelt und Lebenswelt“ (Ehlers 1988: 171) zu überspringen
und das ästhetische Potential literarischer Texte zu wenig zu beachten.
3. Zwar postuliert die interkulturelle Hermeneutik die Pluralität kultureller Lektüren,
setzt jedoch mit der rezeptionsästhetischen Akzentuierung subjektiven Lesens eine
Norm des Lesens absolut, die „das historische Produkt eines jahrhundertelangen
abendländischen Domestizierungsprozesses des Lesens“ ist (Schmidt: 1995: 343). Die
Kulturspezifik unterschiedlicher Konventionen des Lesens (Müller-Peisert 2006) bleibt
unreflektiert.
4. Insbesondere aus dem Arbeitszusammenhang der afrikanischen Germanistik wurde
Wierlachers Konzept Unhistorizität und eine Verschleierung real bestehender Macht-
verhältnisse vorgeworfen (Zimmermann 1989; Ndong 1993). Ein von deutschen Fach-
vertretern formuliertes Lernziel fremd- und eigenkultureller Kompetenz erscheint da-
bei insbesondere im Zusammenhang der Germanistik außerhalb der deutschsprachi-
gen Länder deplaziert.
5. In der polaren Gegenüberstellung von kulturell eigenen und kulturell fremden literari-
schen Texten und Deutungen, der Annahme von Kulturräumen mit klar modellierten
Grenzen und der Unterstellung einer konsistenten Innenperspektive auf Literatur ver-
tritt die interkulturelle Germanistik einen weitgehend unreflektierten, objektivisti-
schen, letztlich national definierten Kultur- und Literaturbegriff, auf dessen Überwin-
dung sie doch erklärtermaßen gerade abzielt (Altmayer 1997: 201).
1548 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

3. Neuere Ansätze einer Didaktik deutschsprachiger Literatur


als remdkultureller Literatur

Von der Idee der systematischen Erfassung und Festschreibung kulturspezifischer Lektü-
ren hat sich die Forschung inzwischen verabschiedet. Aufrechterhalten wird jedoch auch
in neueren Konzepten zumeist das Anknüpfen an leserorientierte Literaturtheorien und
an das interkulturelle Paradigma der Entgegensetzung von kulturell Fremdem und Eige-
nem ⫺ bei durchaus unterschiedlicher Schwerpunktsetzung in der Frage nach den herme-
neutischen Voraussetzungen und Konsequenzen kulturdifferenter Rezeption. So steht im
Mittelpunkt der im Folgenden exemplarisch dargestellten Ansätze wechselweise die
Fremdheit des Handelns der im Text dargestellten Figuren (Mummert 2006), die Fremd-
heit der ästhetischen Gestaltungsmittel (Ehlers 1992 und 1994) und die Fremdheit der
Konventionen des Umgangs mit literarischen Texten (Müller-Peisert 2006).
Mummert zielt mit ihrem didaktischen Konzept einerseits darauf ab, die Lerner zu
ermutigen, ihre eigene Erfahrung in die Lektüre einzubringen und über die Einführung
rezeptionsästhetischer Begrifflichkeit formulierbar und reflektierbar zu machen. Ande-
rerseits geht es ihr darum, die Empathiefähigkeit der Lerner in Bezug auf das Verhalten
und die Weltsicht der literarischen Figuren gezielt zu fördern, um sich in die fremde
Welt, die ihnen im Medium des Textes entgegentritt, hineinzuversetzen. Dabei ist das von
Mummert vertretende Interpretationskonzept stark inhaltsorientiert: Im Zentrum der
von ihr angeleiteten Lerner-Interpretationen steht die Beschreibung und Beurteilung von
Figurenverhalten sowie die sich daraus ableitende „Gesamt-Deutung“ der Texte (Mum-
mert 2006: 44). Angestrebt werden dabei „Erkenntnisse über die fremde fiktionale, die
fremde reale Welt“ sowie eine Erweiterung des eigenen Bewusstseins über den „Prozess
der Assimilation des bisher Fremden in den eigenen Erfahrungshorizont“ (Mummert
2006: 23⫺24). Kulturelles Lernen ist bei Mummert also nicht über den Umweg der Gene-
rierung und des Vergleichs kulturspezifischer Lektüren angestrebt, sondern über die un-
mittelbare Auseinandersetzung mit der fremden Kultur im Medium der Texte, die jedoch
auf einer literatur- und kulturtheoretisch problematischen Gleichsetzung des literarischen
Textes mit der „fremde(n), reale(n) Welt“ fußt.
Zwar geht auch Ehlers in ihrem für die Fortbildung von DaF-Lehrenden entwickelten
Ansatz zur Didaktisierung narrativer literarischer Texte (Ehlers 1992) von der Notwen-
digkeit aus, den Leser zu ermutigen, seine eigene, subjektive Vorerfahrung bei der Lek-
türe literarischer Texte zu aktivieren, dieses bildet jedoch nur den ersten Schritt in ihrem
Konzept der gezielten Schulung ästhetischer Wahrnehmungsfähigkeit, das den Hauptfo-
kus auf die Erschließung der Spezifik der ästhetischen Gestaltungsmittel der Texte legt.
Eine Didaktik, die allein auf die Füllung der Unbestimmtheitsstellen des Textes aus der
Vorerfahrung des Lesers ausgerichtet sei, verfehle, so Ehlers, die im Text angelegte
Fremdheitserfahrung, da der Leser mit ihr „nur die eigene Welt in den fremden Text
hinein[projiziert]. Das aber wäre kein Lernen, kein Sehen und kein Verstehen“ (Ehlers
1992: 13).
In ihrem Ansatz zur Schulung ästhetischer Lesekompetenz stützt sich Ehlers auf Isers
Konzept des impliziten Lesers (Iser 1972), das von einer weitgehenden Steuerung der
Sinnbildung durch textuelle Vorgaben ausgeht und damit das u. a. im Begriff der Unbe-
stimmtheit angelegte Missverständnis der beliebigen Konkretisierung des Textes aus der
Erfahrung des Lesers auszuräumen sucht, das auch Mummerts Ansatz sowie weite Teile
178. Literatur, Kultur, Leser und Fremde ⫺ Theoriebildung und Literaturvermittlung 1549

der rezeptionsästhetisch orientierten Literaturdidaktik prägt. Um den im Text angelegten


Prozess der Sinnbildung vollziehen zu können, muss der Leser, so Ehlers, also über eine
ästhetische Kompetenz bzw. über ein Wissen über literarische „Konventionen“ und
„handlungsleitende Normen“ des literarischen Systems verfügen, mit denen „unter
fremdsprachlichen Lernbedingungen“ nicht zu rechnen sei (Ehlers 1994: 60).
Kulturelle Fremdheit manifestiert sich in literarischen Texten dabei vor allem in den
ästhetischen Gestaltungsmitteln des Textes, sowie in den (kultur)spezifischen Konventio-
nen der Deutung, auf die hin der Text angelegt sei: „In der Art und Weise, wie der Leser
angesprochen und miteinbezogen wird, spiegeln sich Seh- und Erfahrungsmuster eines
bestimmten kulturellen Raums“ (Ehlers 1992: 13). Auch Ehlers Konzept setzt damit an
einer kultur- wie literaturtheoretisch problematischen Polarisierung von fremdem und
eigenem kulturellen Raum an, wobei kulturelle Fremde bei ihr primär in der literarisch-
ästhetischen Gestaltung selbst verortet wird. Die Frage der Universalität von Literatur
bzw. deren „Kulturen überschreitende(r) Wirkung“ (Mecklenburg 2008: 13) wird dabei
jedoch ebenso selbstverständlich ausgeblendet, wie ein Mangel an ästhetischer Kompe-
tenz fremdsprachiger Lerner unterstellt und mit ihrer Fremdkulturalität begründet wird.
Die spezifische Leistung von Ehlers Konzept liegt jedoch darin, das ästhetische Potential
literarischer Texte wieder in den Vordergrund der Diskussion um die fremdsprachliche
Literaturdidaktik gerückt zu haben.
Während bei Ehlers (1992) die ästhetische Struktur literarischer Texte im Mittelpunkt
der didaktischen Überlegungen steht, wird die Existenz einer solchen in Müller-Peiserts
Arbeit zum „Verstehen fremdkultureller Literatur“ (2006) negiert: Auf der Grundlage
der empirischen Rezeptionsforschung und ihres radikalkonstruktivistischen Erkenntnis-
modells werden literarische Texte bei ihr nicht als substantielle Größen, sondern aus-
schließlich als Funktionen des Lesens und Verstehens erfasst. Lesearten seien zwar zu-
nächst Ergebnis eines individuellen kognitiven Prozesses, jedoch im kommunikativen
Austausch über Literatur nicht beliebig, sondern an kulturell unterschiedlichen Konven-
tionen orientiert. Ziel des fremdkulturellen Literaturunterrichts müsse es deshalb sein,
dem Lerner durch vergleichende Beobachtung des Leseprozesses und der Leseresultate
ein „Differenzbewusstsein“ (Müller-Peisert 2006: 295) zu vermitteln und ihn auf dieser
Basis dazu anzuleiten, „Perzepte zu entwickeln, die helfen, die subjektiv und eigenkultu-
rell bestimmten Bedeutungszuordnungen in Richtung von Leseresultaten zu bewegen,
die von der Literaturwissenschaft anerkannt sind“ (Müller-Peisert 2006: 276).
So richtig Müller-Peiserts Anliegen ist, auf die wichtige Rolle von Konventionen des
Lesens und Verstehens literarischer Texte für den Rezeptionsprozess aufmerksam zu ma-
chen, so problematisch erscheint doch gleichzeitig deren Absolutsetzung im Rahmen ih-
res Konzeptes. In der Akzentuierung der Differenzqualität literarischer Konventionen
in Deutschland und China, deren eigener Konstruktionscharakter jedoch gerade nicht
reflektiert wird, wird die Problematik des Konzepts dabei ebenso deutlich, wie in dessen
einseitigen Ausrichtung auf die Einübung in literarische Konventionen der Zielkultur:
An die Stelle der „Autorität des Textes“ (Müller-Peisert 2006: 15), deren Postulierung
bei Ehlers von Müller-Peisert kritisiert wird, tritt letztlich die Autorität zielkultureller
literarischer Konventionen, die es zu erlernen gilt, wenn man aktiv am Literatursystem
der Zielkultur teilnehmen will.
1550 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

4. Literatur und kulturelles Lernen im Zeichen eines nicht-


essentialistischen Kulturbegris
Durch die einseitige Orientierung auf Prämissen der Rezeptionsästhetik wurde der Zu-
sammenhang von Literatur und Kultur in der Fachdiskussion bisher weitgehend auf
die (kulturell distante) Leserperspektive bzw. auf die Wirkungsstrukturen der Texte als
Bedingung kultureller Lesedifferenz eingeengt. Die Frage nach der Beziehung literari-
scher Texte zu den kulturellen Zusammenhängen, in die sie von ihrer Entstehung her
eingebunden sind, wurde entweder nicht gestellt oder zum Teil sogar im Sinne eines
einfachen Entsprechungsverhältnisses präsupponiert. Da, wo sie dennoch Beachtung
fand, wurde sie ausschließlich unter dem Aspekt diskutiert, inwieweit es sich dabei um
Elemente eines für gelingendes Verstehen notwendigen Hintergrundwissens handle. Da-
rüber hinaus wurde in der Fixierung auf die Frage der Fremdkulturalität die Frage nach
der transkulturellen Lesbarkeit und Wirkungsmacht literarischer Texte ebenso über-
sprungen, wie auch die Tatsache meist unreflektiert blieb, dass jeder literarische Text
gegenüber jedem Leser potentiell fremd ist.
Dass das Verhältnis von Literatur und kulturellem Kontext keineswegs so einfach
ist, wie einschlägige Veröffentlichungen zu Landeskunde und Literaturdidaktik glauben
machen wollen (vgl. u. a. die Fernstudieneinheit von Bischof, Kessling und Krechel 1999
sowie deren Kritik bei Altmayer 2001: 108), haben vielfältige Forschungsarbeiten der in
den letzten 20 Jahren auch in der Germanistik zunehmend kulturwissenschaftlich ausge-
richteten Literaturwissenschaft gezeigt (einen Überblick gibt Schößler 2006). In ihnen
wird das Verhältnis von Literatur und Kultur im Zusammenhang eines text- und deu-
tungsbasierten Kulturbegriffs untersucht, der in der Metapher der „Kultur als Text“ den
grundsätzlichen Deutungscharakter kulturellen Handelns ebenso betont, wie die Tatsa-
che, dass Kultur nur über Texte zugänglich ist. Literarische Texte werden dabei als Teil
von kulturellen Bedeutungsbildungsprozessen verstanden, die in Texten verhandelt wer-
den, die an öffentlicher und medial vermittelter Kommunikation teilhaben und als solche
untereinander in komplexen Verweiszusammenhängen stehen. Da die vermeintlichen kul-
turellen Kontexte selbst wiederum nur in zu interpretierenden Texten existieren, können
kulturelle Bedeutungen nicht vereindeutigt, sondern nur in einem offenen Spiel wechsel-
seitiger Bedeutungserhellung von Texten lesbar gemacht werden.
Von Interesse sind kulturwissenschaftliche Ansätze der Literaturwissenschaft insbe-
sondere für ein auf autonome, individuelle Lernprozesse hin ausgerichtetes Landeskun-
dekonzept für DaF und DaZ, das an die Stelle der Vermittlung eines „einheitlichen und
,richtigen‘ Landesbildes“ ein offenes Konzept der Arbeit mit kulturellen Deutungsmus-
tern setzt (Altmayer 2001: 108). Vorschläge zur didaktischen Nutzung eines kulturwissen-
schaftlichen Ansatzes intertextueller Verweiszusammenhänge finden sich bei Hallet
(2002) für den Bereich der anglistischen Schuldidaktik ausgearbeitet, die ihren Schwer-
punkt jedoch nicht primär auf die konkrete Arbeit mit Texten legen, sondern aus ver-
schiedenen Ansätzen der Kulturwissenschaft ein neues Modell für den Fremdsprachenun-
terricht insgesamt entwerfen.
Neben der Frage nach der kulturellen Repräsentanz stellt sich in jüngster Zeit zuneh-
mend auch die Frage nach der Bedeutung von Literatur im Zusammenhang neuer Lern-
zielbestimmungen, die die Vermittlung allgemeiner kultureller Kompetenzen akzentuie-
ren. Von besonderem Interesse ist dabei das Konzept der „symbolic competence“ bei
Kramsch, das die Komponenten „production of complexity“, „tolerance of ambiguity“
178. Literatur, Kultur, Leser und Fremde ⫺ Theoriebildung und Literaturvermittlung 1551

und „appreciation of form as meaning“ (Kramsch 2006: 251) umfasst und darauf abzielt,
dem Lerner Fähigkeiten und Strategien zum Umgang mit der grundlegenden Offenheit,
Veränderbarkeit und Ambivalenz kultureller Deutungsmuster zu vermitteln. Unter der
Bedingung der zunehmenden Komplexität kultureller Bedeutungsbildungsprozesse
müsse der Lerner nicht nur Bedeutungen verstehen und kommunizieren, sondern auch
die Praxis der Bedeutungsbildung selbst erfassen können. Dabei komme der Arbeit mit
Literatur ein zentraler Stellenwert zu: „Through literature, they [learners; R. R.] can
learn the full meaning making potential of language“ (Kramsch 2006: 251). Literatur
müsse wieder stärker in den (universitären) Fremdsprachenunterricht einbezogen wer-
den, jedoch nicht mit dem Fokus auf ihre geschichtliche Einbindung, sondern auf ihre
spezifisch literarische Qualität. In ähnlicher Weise plädiert Nünning dafür, in der Arbeit
mit Literatur die „spezifisch literarischen Formen fiktionaler Wirklichkeitsdarstellung“
(Nünning 2001: 8) und die „Perspektivenvielfalt“ von Literatur zu nutzen, um die Fähig-
keit zu fördern, mit konkurrierenden und möglicherweise auch konfligierenden Deu-
tungsmustern umzugehen.
Darauf, dass Literarizität für die Arbeit mit Literatur in DaF-Kontexten auch im
Zusammenhang ihrer Funktionalisierung für Prozesse des kulturellen Lernens eine Basis-
kategorie bilden muss, weist auch Dobstadt (2009) hin. Unter Literarizität versteht er
dabei im Rückgriff auf Jakobson (1972) die Einstellung des Rezipienten bzw. Produzen-
ten eines Textes auf die Nachricht als solche und die daraus resultierende Lockerung
der vermeintlich engen Verbindung von Signifikant und Signifikat, die Derrida in der
Formulierung der „suspended relation to meaning and reference“ (zitiert nach Dobstadt
2009: 24) gefasst hat. Daraus resultiert zum einen ein Netz interner Äquivalenzbeziehun-
gen und Verweisungen (der Aspekt der „form as meaning“ bei Kramsch 2006: 251), das
für die „besondere Lesbarkeit“ (Dobstadt 2009: 25) von Literatur verantwortlich sei.
Zum anderen bieten literarische Texte aufgrund der gelockerten, aber nicht gänzlich auf-
gehobenen Verbindung von „meaning und reference“ die Möglichkeit, potentiell unend-
liche referentielle Bezüge an sie anzuschließen, ohne dass diese jemals ganz vom Text
gedeckt wären. In ihrer prinzipiellen Un(aus)deutbarkeit und Ambiguität entziehen sie
sich letztlich jedoch einem völligen Verstehen. Gerade dieses Spiel der Bedeutungen gelte
es im Zusammenhang eines Landeskundekonzeptes zu nutzen, das sich der Tatsache
stellt, dass „,Fremdverstehen‘ von einem selbstverständlich gegebenen Ziel zu einem im-
mer wieder neu zu reflektierenden, nie zu Ende kommenden Prozess geworden ist“ (Dob-
stadt 2009: 23). In der Arbeit mit Literatur gelte es dementsprechend, den Lerner über
die Verfolgung möglicher Referenzbezüge gezielt in das im literarischen Text angelegte
Spiel der Konstituierung und Suspendierung von Bedeutung hineinzuführen.
Auch in dem theoretisch fundierten und didaktisch differenziert ausgearbeiteten Kon-
zept von Belke (u. a. 2007) bildet Literarizität bzw. Poetizität die Basis für die Sprachar-
beit in multilingualen Lerngruppen im Primarschulbereich. Dabei wird die Universalität
elementarer poetischer Strukturen, wie Reim, Rhythmus, Parallelismus und Reihenbil-
dung, und deren ästhetische Funktion, die die Aufmerksamkeit in spezifischer Weise auf
die Sprache selbst lenkt, gezielt zum impliziten Erwerb grammatischer Strukturen ge-
nutzt.
Ähnlich wie Dobstadt unterscheidet auch Krusche (u. a. 2001, 2003) in seinen neueren
Publikationen zwischen zwei in ihrer Wirkung interagierenden Textangeboten, zu deren
analytischen Erfassung er ⫺ im Gegensatz zu seinem früheren Ansatz ⫺ nicht auf Kate-
gorien der Wirkungsästhetik Isers zurückgreift, sondern auf die grundlegende Differen-
1552 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

zierung von Symbolfeld und Zeigfeld in Karl Bühlers Sprachtheorie. Dabei versteht Kru-
sche literarische Texte gleichermaßen als „prägnantes Sprachkonstrukt“, das als solches
in seiner Wirkung nicht zuletzt auch über linguistisch basierte Analysen erschlossen wer-
den könne (zur linguistischen Analyse literarischer Wirkungsbedingungen siehe u. a.
Riedner 1996), und als „Anlaß zu uneinheitlichen Reaktionen darauf“ (Krusche 2001:
12). Während mögliche Kontextbezüge literarischer Texte sich aus den im Text eingesetz-
ten nennenden sprachlichen Mitteln des Symbolfeldes ergäben, das durch die Lockerung
des Verhältnisses von Signifikant und Signifikat im literarischen Text für das potentiell
unendliche Spiel möglicher Bedeutungskonstitutionen verantwortlich sei, stelle sich die
innertextliche Kohärenz primär über deiktische Sprachmittel her, die der Orientierung
des Lesers in Bezug auf die „Sprecher-Hörer-Konstellation und die Nähe-Ferne-Relation
in Zeit und Raum“ dienen (Krusche 2003: 471). Während die intra- wie auch interkultu-
relle Differenz von Deutungen an die sprachlichen Mittel des Symbolfelds gebunden sei,
resultiere eine (relative) Konstanz von Lektüren aus den deiktisch realisierten anschauli-
chen Orientierungen im Text. In der Unterscheidung beider Wirkungsdimensionen litera-
rischer Texte zielt Krusche auf eine Didaktik, die es dem Leser erlaubt, im Lesergespräch
individuelle Leseerfahrungen zu formulieren, die dabei jedoch an die Matrix der anschau-
lichen Orientierungen im Text rückgebunden werden können und einer intersubjektiven
Verständigung zugänglich sind. Dabei geht es darum, die poetische Fremdheit des Textes
nicht auflösen, sondern aufrechtzuerhalten und einsehbar zu machen. An die Stelle der
Fokussierung kultureller Alterität tritt in Krusches Neukonzeption des Lesergesprächs
der Austausch über die poetische Alterität des literarischen Textes, der damit Teil der
„Fremdsprache Literatur“ im Sinne Hunfelds (2004) bleibt. Erste Ansätze zu einer Di-
daktik, die die Fremdheit des Textes in seiner literarischen Qualität für die Zwecke des
DaF-Unterrichts nutzt, entwickelt Schiedermair (2010) im Rückgriff auf Krusches Theo-
rie literarischer Wirkung. Auf der Phänomenologie des Fremden von Waldenfels basiert
das Modell zu Literatur und Fremdheit von Leskovec (2009), das Fremdheit (in Form
von alltäglicher, struktureller und radikaler Fremdheit) als grundlegendes Element von
Literatur versteht. Welche Funktionen diese Konzepte im Zusammenhang von kulturwis-
senschaftlich ausgerichteten Lernzielen des Fremdsprachenunterrichts im Einzelnen über-
nehmen können, bleibt jedoch noch zu reflektieren.

5. Literatur im Auswahl

Altmayer, Claus
1997 Gibt es eine Literaturwissenschaft des Faches Deutsch als Fremdsprache? Ein Beitrag zur
Strukturdebatte. Deutsch als Fremdsprache 34(4): 198⫺203.
Altmayer, Claus
2001 Landeskunde mit literarischen Texten. Zu einer neuen Fernstudieneinheit. Deutsch als
Fremdsprache 38(2): 104⫺109.
Altmayer, Claus
2006 Landeskunde als Kulturwissenschaft. Ein Forschungsprogramm. Jahrbuch Deutsch als
Fremdsprache 32: 181⫺199.
Belke, Gerlind
2007 Poesie und Grammatik. Kreativer Umgang mit Texten im Deutschunterricht mehrsprachiger
Lerngruppen. Baltmannsweiler: Schneider.
178. Literatur, Kultur, Leser und Fremde ⫺ Theoriebildung und Literaturvermittlung 1553

Bischof, Monika, Viola Kessling und Rüdiger Krechel


1999 Landeskunde und Literaturdidaktik. (Fernstudieneinheit 3.) Berlin etc.: Langenscheidt.
Dobstadt, Michael
2009 ,Literarizität‘ als Basiskategorie für die Arbeit mit Literatur in DaF-Kontexten. Zugleich
ein Vorschlag zur Neuprofilierung des Arbeitsbereichs Literatur im Fach Deutsch als
Fremdsprache. Deutsch als Fremdsprache 46(1): 21⫺30.
Ehlers, Swantje
1988 Sehen lernen. Zur ästhetischen Erfahrung im Kontext interkultureller Literaturvermitt-
lung. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 14: 171⫺197.
Ehlers, Swantje
1992 Lesen als Verstehen. Zum Verstehen fremdsprachlicher literarischer Texte und ihrer Didak-
tik. (Fernstudieneinheit 2.) Berlin etc.: Langenscheidt.
Ehlers, Swantje
1994 Gegenrede. Fremdsprache Deutsch 11: 60.
Hallet, Wolfgang
2002 Fremdsprachenunterricht als Spiel der Texte und Kulturen. Intertextualität als Paradigma
einer kulturwissenschaftlichen Didaktik. Trier: Wissenschaftlicher Verlag.
Hu, Adelheid
2007 Kulturwissenschaftliche Ansätze in der Fremdsprachendidaktik. In: Wolfgang Hallet und
Ansgar Nünning (Hg.), Neue Ansätze und Konzepte der Literatur- und Kulturdidaktik,
13⫺30. Trier: Wissenschaftlicher Verlag.
Hunfeld, Hans
2004 Fremdheit als Lernimpuls. Skeptische Hermeneutik ⫺ Normalität des Fremden ⫺ Fremd-
sprache Literatur ⫺ Hermeneutisches Lehren und Lernen. Meran/Klagenfurt: Alpha
Beta/Drava.
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1992 „Und wenn er nicht gestorben ist, dann schmollt er auch noch heute.“ Türkisch-deutsche
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Iser Wolfgang
1972 Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von Bunyan bis Beckett. Mün-
chen: Fink.
Iser, Wolfgang
1975 Die Appellstruktur der Texte. In: Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik, 228⫺252.
München: Fink [1970].
Jakobson, Roman
1972 Linguistik und Poetik. In: Jens Ihwe (Hg.), Literaturwissenschaft und Linguistik. Eine
Auswahl. Texte zur Theorie der Literaturwissenschaft, 99⫺135. Band 1. Frankfurt a. M.:
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Kramsch, Claire
2006 From communicative competence to symbolic competence. The Modern Language Jour-
nal 90: 249⫺252.
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1985 Literatur und Fremde: Zur Hermeneutik kulturräumlicher Distanz. München: iudicium.
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2001 Zeigen im Text. Anschauliche Orientierungen in literarischen Modellen von Welt. Würzburg:
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Leskovec, Andrea
2009 Fremdheit und Literatur. Berlin: LIT Verlag.
1554 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Mecklenburg, Norbert
2008 Das Mädchen aus der Fremde. Germanistik als interkulturelle Literaturwissenschaft. Mün-
chen: iudicium.
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2006 Begegnungen mit „Gertrud“ und „Elsa“. Mündliche und schriftliche Interpretation deutsch-
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2006 Zum Verstehen fremdkultureller Literatur. Ein Vergleich der Konventionen im Umgang mit
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1993 Entwicklung, Interkulturalität und Literatur. Überlegungen zu einer afrikanischen Germa-
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Riedner, Ursula Renate
1996 Sprachliche Felder und literarische Wirkung. Exemplarische Analysen an Brigitte Kronauers
Roman „Rita Münster“. München: iudicium.
Schiedermair, Simone
2010 „… wie wenn Nähe und Ferne übereinander herfallen und sich zerschneiden“. Literari-
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sprache 47(1): 31⫺38.
Schmidt, Hans-Walter
1995 Kulturspezifische Lektüren. Interkulturelle Hermeneutik oder Ethnographie des Lesens?
In: Miltos Pechlivanos, Stefan Rieger, Wolfgang Struck und Michael Weitz (Hg.), Einfüh-
rung in die Literaturwissenschaft, 340⫺346. Stuttgart: Metzler.
Schößler, Franziska
2006 Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. Eine Einführung. Tübingen/Basel: Francke.
Steinmetz, Horst
1992 Kulturspezifische Lektüren. Interpretation und fremdkulturelle Interpretation literari-
scher Werke. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 18: 384⫺401.
Wierlacher, Alois
1980 Deutsche Literatur als fremdkulturelle Literatur. Zu Gegenstand, Textauswahl und Fra-
gestellung einer Literaturwissenschaft des Faches Deutsch als Fremdsprache. In: Alois
Wierlacher (Hg.), Fremdsprache Deutsch. Grundlagen und Verfahren der Germanistik als
Fremdsprachenphilologie. Band 1, 146⫺165. München: Fink.
Wierlacher, Alois
1985 Mit fremden Augen oder: Fremdheit als Ferment. Überlegungen zur Begründung einer
interkulturellen Hermeneutik deutscher Literatur. In: Alois Wierlacher (Hg.), Das Fremde
und das Eigene. Prolegomena zu einer interkulturellen Germanistik, 3⫺27. München: iudi-
cium.
Wierlacher, Alois und Hubert Eichheim (Bearb.)
1992 Der Pluralismus kulturdifferenter Lektüren. Zur ersten Diskussionsrunde am Beispiel von
Kellers Pankraz der Schmoller. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 18: 373⫺540.
Zimmermann, Peter (Hg.)
1989 „Interkulturelle Germanistik“. Dialog der Kulturen auf Deutsch? Frankfurt a. M. etc.:
Lang.

Renate Riedner, Leipzig (Deutschland)


172. Literarischer Kanon und Fragen der Literaturvermittlung 1555

172. Literarischer Kanon und Fragen der


Literaturvermittlung
1. Begriffs- und Sachgeschichte
2. Formen und Funktionen des Kanons
3. Kanonbildung, Kanondebatten und -revision
4. Der literarische Kanon im Fach Deutsch als Fremdsprache / Interkulturelle Germanistik
5. Fragen der Literaturvermittlung ⫺ Aufgaben einer Interkulturellen Literaturwissenschaft im
Fach Deutsch als Fremdsprache
6. Literatur in Auswahl

1. Begris- und Sachgeschichte


Das aus dem Semitischen stammende Wort Kanon (griech.: Maßstab, Richtschnur, ur-
sprünglich Schilfrohr, Messrute) bezeichnete in der Antike Zusammenstellungen von Re-
geln für verschiedene Fachgebiete sowie bestimmte Ziel- und Idealvorstellungen (Weber
1986: 1⫺87; Moog-Grünewald 1997: vii). Gleichzeitig etablierte sich die Bedeutung
,maßgebliche Textsammlung‘ (Auerochs 2007: 372); sie verdeutlicht, dass das Phänomen
in seinem heute vorherrschenden Sinn bereits im Altertum bekannt war, wie sich auch
an den von hellenistischen und römischen Grammatikern und Rhetoriklehrern verfassten
Namenskatalogen nachahmenswerter Dichter, Redner, Philosophen und Historiker able-
sen lässt. Eine besonders einflussreiche Anwendung fand das Kanonkonzept dann im
theologischen Bereich, in der Übertragung auf ausgewählte Schriften des Alten und
Neuen Testaments, die im Unterschied zu den ,Apokryphen‘ als Grundlage des christli-
chen Glaubens galten (Rosenberg 2000: 224, 225), darüber hinaus für Rechtsvorschriften,
Formen der Heiligsprechung und Elemente der Messfeier.
1670 legte der Bischof von Avranches, Pierre-Daniel Huet (1630⫺1721), unter dem
Titel Traité de l’origine des romans den ersten modernen Kanon der Weltliteratur vor,
dessen deutsche Übersetzung allerdings ohne große Resonanz blieb. Nachhaltige Wir-
kung hatte dagegen die Einführung eines Schulkanons, einer verbindlichen Auswahl klas-
sischer Autoren, zunächst des griechisch-römischen Altertums, die auf den Göttinger
Philologen und Pädagogen David Ruhnken (1723⫺1798) zurückgeht (Rosenberg 2000:
224).
Ein Kanon der Literaturwissenschaft kristallisierte sich erst im 19. Jahrhundert mit
der nationalen Literaturgeschichtsschreibung heraus. Aus dem Kanon der Weltliteratur
ließ sie einen Kanon nationaler Literaturen werden. Die Voraussetzung dafür bildete das
Modell nationaler Literaturentwicklungen mit jeweils als nationale Klassik ausgewiese-
nen Höhepunkten, die frühere oder spätere Literaturepochen in eine Vor- oder Nachläu-
ferrolle drängten. In der deutschen Literaturgeschichte rückten Goethe und Schiller in
den Mittelpunkt, um den herum Lessing, Klopstock, Wieland und Herder gruppiert wur-
den. Ergänzend kamen später in zweiter Reihe namhafte Schriftsteller des späten 18. und
19. Jahrhunderts, darunter auch die Romantiker, hinzu, während Autoren von epochaler
Bedeutung wie Heine und Büchner, die sich heute in den meisten Kanones der deutschen
Literatur finden, bis weit ins 20. Jahrhundert ausgeschlossen blieben (vgl. Rosenberg
2000: 224⫺226).
1556 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

2. Formen und Funktionen des Kanons


Ein Kanon beruht im Allgemeinen auf der Übereinkunft einer Gruppe oder ganzen Kul-
tur, die ausgewählte Texte als herausragend und normsetzend klassifiziert und für wert
befunden hat, überliefert und vermittelt zu werden. Im Unterschied zum ,materialen
Kanon‘, der die kanonisierten Werke umfasst, versteht man unter einem ,Deutungska-
non‘ die in einer Institution zu einem bestimmten Zeitpunkt fixierten Interpretationen.
Da sich literarische Werke nicht aufgrund allgemeinverbindlicher, zeitloser Qualitäten
naturwüchsig durchsetzen, stellt ein Kanon keine starre, verbindliche Instanz dar (Winko
2008: 344). Er basiert auf der Gesamtheit literarischer Werke und ihrer Rezeption, wie
sie in den jeweiligen Bildungsinstitutionen, in der Wissenschaft und in den Medien statt-
findet, und unterliegt komplexen Auswahl- und Deutungsmechanismen, in denen inner-
und außerliterarische Faktoren, soziokulturelle und institutionelle Prozesse Geltung er-
langen. Die Selektions- und Deutungskriterien hängen von dem jeweiligen Trägerkollek-
tiv oder der betreffenden Gesellschaft ab und sind historisch und kulturell wandelbar
(Assmann und Assmann 1987; Heydebrand 1998). Neben der Literaturwissenschaft und
Literaturgeschichtsschreibung, Schulbehörden, Schulen, Universitäten und anderen Bil-
dungseinrichtungen fungieren Theater, Verlage, der Buchhandel und seine Organisatio-
nen, Bibliotheken, literaturvermittelnde Redaktionen in Presse, Funk und Fernsehen,
literarische Gesellschaften, kulturelle Vereine und Mittlerorganisationen als wichtige Ver-
mittlungsinstanzen (vgl. Heydebrand 2003: 15, 16). Alle diese Organe tragen in der einen
oder anderen Form, z. B. durch Veranstaltungen, Lehrpläne und Prüfungsordnungen,
Diskussionen, öffentliche Lesungen, Empfehlungen, Rezensionen, Bestenlisten, Kritik,
Marketingstrategien, kulturpolitische Entscheidungen, Literaturförderung etc., zu einer
gesamtgesellschaftlichen Kanonbildung und -diskussion bei.
Ein literarischer Kanon korrespondiert mit individueller Bildung und der historischen
Erfahrung einer Gruppe oder Gesellschaft. Er repräsentiert grundlegende Normen und
Werte, häufig auch programmatische Ideale, die tradiert und vermittelt werden sollen.
Diese Funktion ist nicht zu trennen von seiner Aufgabe als Organ der kollektiven Identi-
tätsstiftung und kulturellen Selbstdarstellung. Dadurch legitimiert er seine Trägergruppe
in Form von Rechtfertigung oder Abgrenzung nach außen hin. Schließlich bietet er äs-
thetische und moralische Handlungsorientierungen (Winko 2007: 258), indem er das Feld
literarischer Traditionen markiert, Maßstäbe und Lektüreanregungen bietet, Autoren,
Verleger, Literaturvermittler und Leser zu einer produktiven Auseinandersetzung über
den Umgang mit den durch Literatur repräsentierten Wissensbeständen animiert. Er-
kenntnis-, Orientierungs- und Kommunikationsfunktionen sind auch für den Bereich der
Wissenschaft zu veranschlagen, wobei Verständigung und Selbstverständigung unmittel-
bar ineinander greifen. So sind alle literaturwissenschaftlichen Ansätze und Theorien
implizit einem Kanonwissen verpflichtet.
Prinzipiell gilt, dass die Kanonisierung von literarischen Texten eine Form der Wert-
zuschreibung bedeutet (Grübel 1996: 601⫺619). Da die Aneignung eines Kanons zumeist
an anspruchsvolle Sozialisationsvoraussetzungen geknüpft ist, stellt er immer auch einen
Bildungskanon dar (Auerochs 2007: 372). Gerade hier aber setzte die Kritik an, denn bis
in die 1960er Jahre war der bildungsbürgerliche bzw. akademische Kanon allzu selbstver-
ständlich mit einem Allgemeinverbindlichkeitsanspruch verknüpft, der Assoziationen
von Hierarchie, Ausschließlichkeit und Nicht-Zugehörigkeit weckte (Schmidt 2007: 9).
Die Ablehnung reichte von dem Nachweis, dass ein Kanon als Machtinstrument diene
172. Literarischer Kanon und Fragen der Literaturvermittlung 1557

und bloß gesellschaftliche Partialinteressen verkörpere, wohingegen die Literatur die


Aufgabe habe, alle Teile der Gesellschaft demokratisch zu repräsentieren, über eine gene-
relle Kritik am Konzept der Repräsentativität (vgl. Heydebrand und Winko 1994: 148⫺
156) bis zu der Auffassung, dass der implizierte Ausschluss von Werken aus der literari-
schen Tradition einer Gesellschaft per se eine Form von Zensur darstelle. Zu bedenken
ist in diesem Zusammenhang, dass ein einheitlicher Kanon von der Verbindlichkeit, wie
er für das Bildungsbürgertum maßgeblich war, heute kaum mehr existiert. An seine Stelle
ist in modernen Gesellschaften mit relativ inhomogenen sozialen Schichten und hoher
Binnendifferenzierung eine Kanonpluralität getreten, d. h. ein Neben- und Gegeneinan-
der heterogener Kanones, in dem sich wandelnde Legitimationsbedürfnisse verschiedener
Gruppen und subkultureller Gruppierungen manifestieren (Winko 1996: 599). Dem ent-
sprechen offene, prozessuale Kanonkonzepte und -formen. Sie zeichnen sich dadurch
aus, dass sie sich ergänzen, korrigieren und revidieren lassen, wobei je nach Zielgruppe
konkurrierende oder alternative Kanones berücksichtigt oder einbezogen werden kön-
nen. So besteht die Möglichkeit, auf neue Problemlagen und sich verändernde Rezep-
tionssituationen zu reagieren. Damit geht eine Deutungsoffenheit einher, denn die kano-
nisierten Werke sind nicht als unhinterfragbares Bildungsgut legitimiert, sondern als
hochkomplexe Kunstwerke, die vielschichtige Leseerfahrungen und Auslegungen zulas-
sen. Nur unter diesen Bedingungen vermag ein Kanon seiner Aufgabe gerecht zu werden,
literarische Traditionen problemorientiert und lebendig zu vergegenwärtigen.
Solche Ansprüche laufen indessen weder auf eine unbegrenzte Aufnahmefähigkeit von
Texten noch auf Zugeständnisse an einen kurzlebigen Zeitgeschmack hinaus, da dadurch
jede Orientierungsfunktion verloren ginge. Zu unterscheiden und zu berücksichtigen sind
vielmehr vier Kategorien: 1) der Kernkanon (zentrale Werke der literarischen Tradition,
ohne die das Kanonkonzept keinen Bestand hätte), 2) der Subkanon (Maßstäbe für be-
stimmte Epochen, Gattungen, Stile etc.), 3) der Gegenkanon (in Opposition zur Mehr-
heitskultur von benachteiligten oder unterrepräsentierten Gruppen favorisierte Kanones,
z. B. Literatur von Frauen, der Arbeiterklasse, Migranten, ethnischen Minderheiten),
4) der Negativkanon (Autoren, Texte, literarische Gruppierungen und Entwicklungen,
die aus ideologischen Gründen explizit aus dem Kanon ausgeschlossen wurden, z. B.
Literarischer Jakobinismus, Vormärz, Expressionismus). Kriterien für die Aufnahme
bzw. den Verbleib eines Werks im literarischen Kanon können sein: Exzeptionalität (z. B.
herausragende ästhetische Qualitäten), Repräsentanz (z. B. der Stellenwert für eine Epo-
che, Gattung, literarische Strömung oder soziale Bewegung), die Aktualität eines Textes
in der jeweiligen Gegenwartskultur (z. B. Rezeption in Schulen und Universitäten, Thea-
teraufführungen, Adaptionen, intertextuelle Bezüge, neue Editionen, Jubiläen, Medien-
ereignisse) (Korte 2002: 34⫺37; Auerochs 2007: 372, 373). ,Innovation‘ und ,Originalität‘
im Verhältnis zur literarischen Tradition stellen weitere Beurteilungsmaßstäbe dar. Für
alle genannten Kriterien gilt, dass sie in ihrer inhaltlichen Relevanz und Tragweite histo-
risch veränderbar sind (Winko 1996: 594, 595).

3. Kanonbildung, Kanondebatten und -revision


Obwohl Kanonbildungen und -revisionen die Literaturwissenschaft und -geschichte von
Anfang an begleiten und mit unterschiedlichen Begründungen prägen, hat sich eine Ka-
non-Forschung im eigentlichen Sinne erst seit den 1960er Jahren mit dem Aufkommen
1558 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

von Sozialgeschichten der Literatur und später im Kontext einer Fachgeschichtsschrei-


bung der Germanistik herausgebildet (Rosenberg 2000: 226, 227). Noch immer mangelt
es aber an Untersuchungen zu den Bedingungen für die Aufnahme eines Werks in einen
literarischen Kanon wie zum Gesamtprozess der Kanonbildung. Eine Erklärung bietet
in dieser Hinsicht das von Winko (2002) herangezogene invisible-hand-Modell, das kau-
sale und kontextorientierte, finale Ansätze verbindet. Kanonbildung stellt sich demnach
als ein kontingent sich entwickelnder Prozess dar, an dem neben Instanzen, die dezidiert
Kanonbildung und -pflege betreiben, zahlreiche, nicht dieser Intention verpflichtete
Handlungen beteiligt sind, die aber gleichwohl auf der Makroebene einen Kanon generie-
ren.
Wenn Kanon-Debatten und literarische Kanones heute wieder Konjunktur haben, so
beruht das gerade auf der vorausgegangenen Infragestellung, partiellen Abschaffung und
dem massiven Verbindlichkeitsverlust, der in den bildungspolitischen Diskussionen der
späten 1960er und 1970er Jahre seinen Ausgang nahm. Den heftigsten Ausschlag fand
diese Entwicklung in der poststrukturalistischen Kritik am Konzept der Repräsentativi-
tät und der daraus resultierenden Forderung nach einem generellen Verzicht auf Kano-
nes. Daneben standen am Anfang der Debatten intensive Bemühungen um Korrekturen
und Erweiterungen des Literaturkanons. Ein früher Impuls ging etwa von den Forschun-
gen zu den verfemten und verdrängten demokratischen Traditionen der deutschen Litera-
tur aus. So zielten, ausgehend von der Erkenntnis, dass auch die Literaturgeschichte
Gegenstand einer Konstruktion ist, bestärkt durch den Appell des Bundespräsidenten
Gustav Heinemann, die Freiheitsregungen deutscher Geschichte zu ehren (13. 2. 1970,
Bremen), viele Untersuchungen auf die Wiederentdeckung und Kanonisierung „vergesse-
ner“ Autoren. Damit einher ging teilweise eine Relativierung des Vorbildcharakters der
Weimarer Klassik und im weiteren Sinne der klassischen Literatur, deren programmati-
scher Anspruch, Normen und Funktionen als Moment nationalkultureller Identitätsstif-
tung in Frage gestellt wurden. Für den Schulunterricht in der Bundesrepublik ergaben
sich daraus meist nur vorübergehende Konsequenzen, während sich die ebenfalls durch
die Debatten angestoßene Einbeziehung von Trivial- oder Unterhaltungsliteratur,
Zweck- und Gebrauchsformen sowie moderner Medien als relativ dauerhaft erwies.
Nachhaltige Auswirkungen hatte auch die Erweiterung des Kanons um bislang nicht als
kanonisch angesehene Genres wie Reiseberichte, Essays, Briefe, Tagebücher, Aphoris-
men, Kalendergeschichten, Feuilletonbeiträge etc.
Kanonkritik stand ebenfalls am Ausgangspunkt einer feministischen Literaturwissen-
schaft, die der männlichen Dominanz in der herkömmlichen Literaturgeschichtsschrei-
bung das Projekt einer Rekonstruktion weiblicher literarischer Traditionen entgegen-
setzte. Von Anfang an ging es dabei nicht bloß um eine Integration von Autorinnen in
den Kanon, sondern um eine Offenlegung einseitiger Kanonisierungsprozesse und eine
Neuformulierung literaturhistorischer Prinzipien. Während zunächst spezifische Frauen-
bilder in kanonischen Texten männlicher Autoren einen zentralen Untersuchungsgegen-
stand bildeten, entwickelte sich im Kontext der zuerst in den USA initiierten gender
studies ein zunehmendes Erkenntnisinteresse an den kultur- und diskursgeschichtlichen
Bedingungen einer mythischen Präsenz des Weiblichen in der Literatur. Von Bedeutung
für die Kanondiskussion waren darüber hinaus die in diesem Rahmen erörterten Affini-
täten zwischen bestimmten Schreibformen ⫺ als bevorzugte Genres weiblichen Schrei-
bens wurden Briefe, Gedichte und Autobiographien analysiert ⫺ und Männlichkeits-
bzw. Weiblichkeitskonstruktionen und -entwürfen (vgl. Heydebrand und Winko 1994).
172. Literarischer Kanon und Fragen der Literaturvermittlung 1559

Besondere Heftigkeit gewann der Kampf um den Kanon in den USA in einer Identi-
tätspolitik, die seit den 1980er Jahren um die Begriffe race, class und gender kreiste
(Assmann 2006). Vertreter sozialer und kultureller Minderheiten, die den gesellschaft-
lichen Ausschluss nicht-dominanter Kulturen und Gruppierungen monierten und ihr
Recht auf jeweils eigene Traditions- und Identitätswahrung und -erforschung reklamier-
ten, kritisierten den literarischen Kanon als Aushängeschild kultureller Hegemoniean-
sprüche einer europäisch geprägten, weißen Bürgerschicht. Unterstützung leistete eine
weit verbreitete Kritik an einer eurozentrischen Perspektive und an linearen Geschichts-
bildern. Die Ablehnung des herausragenden Stellenwerts der westlichen Kultur an den
Universitäten spitzte sich zu in der Parole von den „toten weißen europäischen Män-
nern“ (vgl. Grimm 2002: 41). Als Reaktion formierte sich vornehmlich auf dem nicht-
akademischen Buch- und Zeitschriftenmarkt eine neo-orthodoxe Opposition, die durch
das zunehmende Gewicht minoritärer Diskurse und das verbreitete „Canon Bashing“
(Bromwich 1988) die große Literatur auf den Lehrplänen bedroht sah und den Verlust
des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags befürchtete. Teilweise erweiterte sich
die Diskussion zu einer generellen Auseinandersetzung mit dem Werterelativismus und
der pluralistischen Ausrichtung der Universitäten. In der Verteidigung einer europäisch
geprägten Tradition klassischer Literatur, wie sie Harold Bloom vortrug (vgl. Grimm
2002: 43⫺47), konnte dabei noch einmal die Vorstellung eines Kanons als eines zeit-
losen, quasi naturwüchsigen Gebildes Gestalt annehmen. Auf eine andere Ebene geho-
ben wurde das Thema erst durch eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Kanon-
Debatten, indem gezeigt werden konnte, welche Rolle die Nation als imaginierte Gemein-
schaft (Anderson 1996), die institutionellen Rahmenbedingungen und die soziale Prä-
gung der Beteiligten im Prozess der Kanonbildung spielen (Gorak 1991: 221⫺260; Go-
rak 2001).
Die amerikanischen Kanon-Debatten hatten bildungspolitische Rückwirkungen auf
die Curricula und Leselisten an Schulen und Universitäten und trotz der Tendenz zur
Parzellierung auch auf die Herausbildung von erneuerten und erweiterten Kanones, die
inzwischen viel stärker als früher nicht-europäisch geprägte Literaturen und Kulturen
sowie Migrantenliteratur berücksichtigen. Unter adressaten- und rezeptionsspezifischen
Gesichtspunkten fanden auch die geforderte Kolonialismuskritik und polyethnische Be-
trachtungsweisen Eingang in führende Literaturgeschichten und Anthologien. Dass sich
daraus Auswirkungen auf das Selbstverständnis nationalstaatlicher Identität ergeben,
liegt nahe. Insgesamt lässt sich aber eine Neigung zum Ausgleich feststellen. Auf der
anderen Seite ist nämlich in letzter Zeit eine Tendenz zur Rückkehr zu klassischen Auto-
ren und zum Klassiker-Studium zu vermerken (vgl. Grimm 2002: 47⫺51). Überhaupt
scheinen auch im internationalen Maßstab ⫺ ungeachtet der Diskussionen, die weiterhin
über die Vor- und Nachteile von Kanones geführt werden ⫺ pragmatische Lösungen
heute am ehesten Akzeptanz zu finden (Winko 2007: 264). Generell ist die Notwendig-
keit, literarische Traditionen zu rekonstruieren und in Form von Kanones oder Leselisten
zu vermitteln, im akademischen Bereich weithin unumstritten. Zugleich haben Literatur-
wissenschaft und -kritik im Nebeneinander von Sub-, Gegen- und Alternativkanones, die
sich für die verschiedenen sozialen und ästhetischen Teilbereiche von Kultur herausgebil-
det haben, ein kreatives Potential erkannt, das vermittelt und erforscht wird.
1560 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

4. Der literarische Kanon im Fach Deutsch als Fremdsprache /


Interkulturelle Germanistik
Von Globalisierungs- und Migrationsprozessen gehen heute Herausforderungen aus, die
den Begriff Interkulturalität zu einem forschungsleitenden Paradigma innerhalb der neu-
eren Literaturwissenschaft haben werden lassen (Gutjahr 2006b: 105⫺114). So befasst
sich die Interkulturelle Literaturwissenschaft unter Bezug auf einen offenen, prozessualen
und dialogischen Kulturbegriff mit interkulturellen Aspekten der Literatur, mit litera-
rischen Themen, Texten, Textgattungen und Motiven, die kulturelle Unterschiede reflek-
tieren und über Kulturgrenzen hinausführen. Eine besondere Rolle nehmen dabei Dar-
stellungen und Verarbeitungen von Kulturkontakten und -konflikten, von Fremdheits-
erfahrungen, -darstellungen und kulturellen Selbstauslegungen, des Kulturtransfers,
-austauschs, der Mehrsprachigkeit und Übersetzung ein. Zu den zentralen Themen, Ver-
fahrensweisen und Arbeitsfeldern zählen neben Fragen der Lehr- und Vermittlungspraxis
die interkulturelle Hermeneutik, Theorien der kulturellen und poetischen Differenz und
Alterität, postkoloniale Kritik und Globalisierung, Transnationalität und -kulturalität,
Imagologie, Intertextualität und Hybridität. Unter ästhetischen, historisch-gesellschaftli-
chen und rezeptionsgeschichtlichen Gesichtspunkten werden die interkulturellen Potenti-
ale und Wirkungen literarischer Texte untersucht, wie sie kulturelle Differenzen bearbei-
ten, d. h. fixieren, umschreiben oder transformieren (vgl. Mecklenburg 2003: 435⫺438,
2008: 11⫺38; Hofmann 2006: 9⫺60).
Konstitutiv für solche Verfahrensweisen ist die Annahme einer zeit- und kulturspezifi-
schen Gebundenheit der jeweiligen Positionen. Das gilt auch für das gerade im Rahmen
des Fachs Deutsch als Fremdsprache zentrale Kanonproblem (Wierlacher 1987: 194). Da
sich je nach lokalem und historischem Betrachterstandpunkt unterschiedliche Perspekti-
ven auf die betreffenden Gegenstände ergeben, kann es keinen überzeitlichen, überregio-
nalen oder gar weltweit verbindlichen Literaturkanon geben. Ebenso unangemessen ist
eine Ausrichtung auf Literaturkanones der Muttersprachengermanistik, zumal diese teil-
weise noch immer Züge einer nationalkulturell und -philologisch geprägten Identitätsstif-
tung tragen. Andererseits sind Gesichtspunkte wie „Exzeptionalität“, „Innovation“ und
„Repräsentanz“ auch aus der Außensicht nicht außer Acht zu lassen. So stimmt man in
weiten Teilen der Auslandsgermanistik darin überein, dass ein Literaturkanon die für
Geschichte, Tradition und Selbstverständnis einer Gesellschaft maßgeblichen Werke um-
fassen soll (vgl. z. B. Huntemann 1997: 115⫺117), darüber hinaus solche, die relevante
zeitgenössische Debatten repräsentieren. Ein Kanon, der die deutschsprachige Literatur
aus der Fremdperspektive als Teil der Weltliteratur vermitteln soll, muss also auch diesen
Ansprüchen gerecht werden.
Die Herausbildung einer Interkulturellen Literaturwissenschaft hat eine ihrer Wurzeln
in der Migrationsliteratur bzw. inter- oder multikulturellen Literatur, d. h. literarischen
Arbeiten von Autorinnen und Autoren, die aus einer von zwei oder mehreren Kulturen
geprägten Sichtweise schreiben. In der Bundesrepublik trugen dazu schon früh die sog.
,Gastarbeiter‘ bei, die seit den 1960er Jahren nach Deutschland kamen (vgl. Ackermann
und Weinrich 1986; Chiellino 2000). Inzwischen bildet die Migrationsliteratur (vgl.
Art. 174), deren Erforschung ⫺ noch unter der vorläufigen Bezeichnung ,Ausländerlite-
ratur‘ ⫺ seit den späten 1970er Jahren vom Institut für Deutsch als Fremdsprache der
Ludwig-Maximilians-Universität München ausging, einen weithin respektierten Gegen-
stand der Literaturwissenschaft. Auch auf dem Buchmarkt findet sie zunehmende Aner-
172. Literarischer Kanon und Fragen der Literaturvermittlung 1561

kennung ⫺ zu nennen wären viel beachtete Autoren wie Rafik Schami, Terézia Mora,
Feridun Zaimoğlu, Zafer Senocak und Ilja Trojanow. Problematisch erscheint indessen,
dass in der Rezeption z. T. biographische und persönliche Aspekte dominieren und dem
Phänomen eine umfriedete Sonderstellung innerhalb der deutschsprachigen Literatur zu-
gewiesen wird. Dabei bleibt mitunter unberücksichtigt, dass die Texte mit Blick auf das
Ineinander von Fremdheitserfahrungen und kulturellen Selbstwahrnehmungen faszinie-
rende ästhetische Erfahrungen vermitteln, die weit über die konkrete Migrationsthematik
hinausführen.
Sinnbild der Präsenz von Migrationsliteratur in Deutschland ist der renommierte
Adelbert-von-Chamisso-Preis. Der Namensgeber dieser Ehrung verweist auf die Traditi-
onslinien interkultureller Literatur, auf Migrations- und Exilerfahrungen von Menschen,
die in Zeiten von Repression, Vertreibung und Verfolgung im Ausland oder in Deutsch-
land Aufnahme fanden ⫺ zu denken wäre an die deutschen Emigranten in Frankreich
vom Ende des Ancien Régime bis zur Restauration, an die französischen Revolutions-
flüchtlinge in Deutschland, an die großen Auswanderungsbewegungen im 19. Jahrhun-
dert, an den breiten Strom von Künstlern und Schriftstellern, die vor den Nationalsozia-
listen in viele Länder der Erde flüchteten. Im gleichen Zusammenhang anzuführen sind
Vertreter der deutschen Literatur mit nichtdeutscher Herkunft oder Nationalität wie Ni-
kolaus Lenau, Rainer Maria Rilke, Franz Kafka, Franz Werfel, Joseph Roth, Paul Celan,
Elias Canetti, Libuše Monı́ková, Emine Sevgi Özdamar, Herta Müller und viele andere,
des weiteren die deutschsprachigen Minderheitenliteraturen im Ausland, im Elsaß, im
Baltikum, in Belgien, Luxemburg, Rumänien, Ungarn, Russland, Israel, Kanada, Brasi-
lien, Argentinien, Südafrika und den USA, schließlich literarische Werke von Autoren
wie Horst Bienek, Günter Grass, Siegfried Lenz, Peter Härtling, Christa Wolf, die das
Thema Umsiedlung, Flucht und Vertreibung behandeln (Esselborn 2001: 342, 343).
Aus der Sicht einer Interkulturellen Literaturwissenschaft innerhalb und außerhalb
des Fachs Deutsch als Fremdsprache verdienen es alle diese Literaturen, stärker ins
Blickfeld gerückt zu werden. Das gleiche gilt für koloniale und postkoloniale Literaturen
(Madsen 1999), das ganze Gebiet der Reiseliteratur, Utopien, Abenteuerromane, Robin-
sonaden und andere Genres, die ein hohes kulturreflexives Potential aufweisen (Gutjahr
2002: 357). Gleichwohl kann die Aufgabe nicht bloß darin bestehen, nationalkulturell
geprägte Kanones um interkulturelle Literatur zu ergänzen; zur Diskussion steht viel-
mehr das interkulturelle und ästhetische Potential der gesamten älteren und neueren
deutschen Literatur. Eine solche Perspektivierung wäre verbunden mit einer Öffnung hin
zu Literaturen der europäischen Nachbarländer, zu kleinen Literaturen sowie zum weiten
Feld einer nicht mehr eurozentrisch konfigurierten Weltliteratur.
Mit Blick auf die Kanondebatten sind schließlich die Aufgaben einer solchen For-
schungsrichtung im Verhältnis zur Germanistik zu benennen, die sich nicht erst durch
den Bologna-Prozess und immer enger werdende weltweite Verflechtungen vor die Auf-
gabe gestellt sieht, das Konzept „Nationalphilologie“ zu überwinden (Gutjahr 2006a).
Die Interkulturelle Literaturwissenschaft kann mit den ihr eigenen Forschungsparadig-
men dazu beitragen. Für das Fach Deutsch als Fremdsprache liegt dabei eine Chance
in der Etablierung einer transnationalen Germanistik, wie Ehlich (2007: 430⫺459) sie
entworfen hat. Den Bezugs- und Orientierungsrahmen bietet die multikulturelle, -lin-
guale und perspektivische Vielfalt Europas, eines Kontinents, der die Voraussetzungen
hat, neue Formen gesellschaftlicher Interaktion und kulturellen Austauschs realisieren
zu können, ohne dass kulturelle Differenzen einer universalistischen Homogenisierung
preisgegeben werden.
1562 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

5. Fragen der Literaturvermittlung  Augaben einer


Interkulturellen Literaturwissenschat im Fach Deutsch als
Fremdsprache

Im Rahmen des breiten Spektrums an Modellen, Konzepten und Arbeitsfeldern, das die
interkulturelle Literatur- und Literaturlehrforschung inzwischen umfasst, dominieren im
Fach Deutsch als Fremdsprache anwendungsorientierte Verfahrensweisen mit didakti-
schem, rezeptionstheoretischem, kulturthematischem und empirischem Profil. Ein Prob-
lem besteht dabei, wie unter anderen Vorzeichen teilweise auch in der grundsprachlichen
Germanistik, in der Tendenz, die Literatur bloß als äußeres Vehikel zu behandeln und
ihren ästhetischen Charakter auszublenden. So werden literarische Texte häufig bloß
auf ihre Funktion als Medium der Kulturvermittlung reduziert. Demgegenüber ist mit
Mecklenburg (1987) darauf zu bestehen, dass poetischer Alterität auch im Kontext kultu-
reller Alterität eine konstitutive Rolle zukommt. Qua ihrer Differenz zur empirischen
Lebenswirklichkeit erfüllt sie eine tragende Rolle für das Verständnis von kultureller
Differenz und interkulturellen Konstellationen. Überhaupt scheint es auch im Rahmen
des Fachs Deutsch als Fremdsprache an der Zeit ⫺ wie gerade auch Vertreter der Aus-
landsgermanistik fordern ⫺, neben Vermittlungsaspekten die Literatur selbst wieder stär-
ker in den Blick zu nehmen, und zwar unter Wahrung ihres Kunstcharakters. Die Debat-
ten über literarische Kanones und die interkulturellen und ästhetischen Potentiale von
Literatur können dazu einen gewichtigen Beitrag leisten.
Zwei Aspekte verdienen in diesem Zusammenhang exemplarisch hervorgehoben zu
werden, nicht zuletzt um grundlegende Einsichten und ihren historischen Bezugsrahmen
noch stärker zu profilieren: Zum einen scheint es geboten, wie es Gutjahr (2002: 356,
357) für eine interkulturelle Literaturgeschichte vorschlägt, einen der Germanistik vo-
rausgehenden Traditionsstrang kulturwissenschaftlicher Schriften zu rekonstruieren, der
mit Johann Gottfried Herder, Georg Forster und Alexander von Humboldt beginnt und
sich kontinuierlich fortsetzt bis hin zu „den kulturkritischen Schriften von Sigmund
Freud, Georg Simmel und Max Weber, Ernst Cassirer, Walter Benjamin, Max Horkhei-
mer, Theodor W. Adorno und Norbert Elias“. Zum anderen zeigt sich sehr deutlich, dass
neuere interkulturelle Ansätze, wie auch ihre praktischen Applikationen, rückgebunden
sind an historische Problemkonstellationen und Konzepte. So zeichnet sich schon in
älteren Texten wie den oben genannten direkt oder indirekt die Erkenntnis ab, dass
Kulturen grundsätzlich auf Offenheit und einen grenzüberschreitenden Austausch im
Weltkontext angewiesen sind. Dazu gehört ein Bewusstsein für den relationalen Charak-
ter des Fremden und die Interdependenz der Standpunkte. In der Konsequenz bedeutet
das eine Aufhebung der Opposition von Fremdem und Eigenem. Anhand ausgewählter
Texte lässt sich veranschaulichen, wie tradierte Bewertungsmuster aufgebrochen werden
durch Annäherungen an ein Wissen um das Neben- und Ineinander von Fremderfahrun-
gen und kulturellen Selbstwahrnehmungen (Ewert 2006: 516⫺522). Dieses Terrain wäre
im Hinblick auf das Projekt einer interkulturell orientierten Literaturgeschichte noch
intensiver zu erschließen. Die dabei zutage tretenden Einsichten eröffnen nicht selten
einen Blick auf heutige Fragen und Probleme interkultureller Kommunikation. Im Ein-
zelnen könnten sich sogar Perspektiven ergeben, die eine frappierende Aktualität besit-
zen.
172. Literarischer Kanon und Fragen der Literaturvermittlung 1563

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173. Literatur im Landeskundeunterricht


1. Literarische Texte im Landeskundeunterricht: zur Theoriediskussion
2. Literarische Texte im Landeskundeunterricht: Themenbereiche und Unterrichtspraxis
3. Literatur in Auswahl

1. Literarische Texte im Landeskundeunterricht:


zur Theoriediskussion

Literarischen Texten wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten in der Fremdspra-


chendidaktik im allgemeinen und in der Landeskundedidaktik im besonderen von den
Theoretikern des Faches eine besondere Bedeutung zugesprochen (Groenewold 1997;
Koppensteiner 2001; Altmayer 2004). Hierbei wird seit den 1990er Jahren ein breiter
Literaturbegriff verwendet, der auch autobiographische Texte, Zeitzeugenberichte, Re-
portagen, reflexiv-essayistische Texte und Reisebeschreibungen umfassen kann. Die
Übergänge zu nicht-fiktiven Texten sind dabei fließend. Der Mehrwert der Literatur wird
1566 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

in ihrer das rein Kognitive übersteigenden, multiperspektivischen und das ganze Spek-
trum der Lebenswelt umfassenden Qualität gesehen. Die quantitativ und qualitativ stark
angewachsene Jugendliteratur eröffnet zudem verstärkt die Möglichkeit, mit lernerorien-
tierten Erlebnisperspektiven zu arbeiten. Sie entspricht damit als Medium in idealer
Weise den Forderungen der modernen Landeskundedidaktik.
Dennoch sind zwischen den einzelnen Landeskundekonzepten deutliche Unterschiede
hinsichtlich der Rolle der Literatur zu konstatieren: In einer mehr traditionellen kogni-
tiven Landeskunde, die sich monodisziplinär an der Geschichte als Leitwissenschaft
orientiert (Koreik 1995), sind literarische Texte ein didaktisches Mittel, in einer kultur-
wissenschaftlichen und interkulturellen Landeskunde dagegen sind sie Teil eines erkennt-
nistheoretischen Konzepts (Altmayer 2004).
Altmayer (2002) erläutert auf hohem theoretischen Niveau den Begriff der „kulturel-
len Deutungsmuster“. Dabei handelt es sich um „selbstverständlich bekannte Wissensele-
mente“ innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaft, die aber für Mitglieder einer an-
derssprachigen Gemeinschaft nicht ohne weiteres verständlich sind. Die von Altmayer
(2004) ausgearbeitete Hypertext-Methode ähnelt dem „Prinzip der kommunizierenden
Texte“, mit dem Groenewold zu vernetzten Textfeldern gelangt (Groenewold 1997, I:
239⫺244), die direkt als Ausgangsmaterial für einen auf Deutungsmuster abzielenden
interkulturellen Landeskundeunterricht verwendbar sind. Im Unterschied zu Altmayer
geht es bei Groenewold jedoch um den Kontrast und die vergleichende Analyse von
Deutungsmustern in der interkulturellen Begegnung zwischen Angehörigen zweier Natio-
nen (Groenewold 1997, I: 172⫺185), wozu auch ein Anhang mit Textbeispielen und einer
Unterrichtseinheit gegeben wird (Groenewold 1997, I: 327⫺376). Es werden also auch
fremdsprachige Texte einbezogen, die eine Außenperspektive auf die Zielkultur eröffnen.
Dahinter steht der Anspruch auf die Entwicklung einer binationalen Begegnungsge-
schichte der jeweiligen Selbst- und Fremdbilder über mehrere Generationen hinweg, die
sich in Texten repräsentieren. Für die Unterrichtspraxis wird hierzu mit kurzen, meist
literarischen Textfragmenten gearbeitet, die gezielt auf kulturelle Deutungsmuster hin
ausgewählt werden.
In den Praxisfeldern des Unterrichts Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als
Zweitsprache ist die postulierte Bedeutung der Literatur nur vereinzelt in Konzepte über-
setzt worden, die den theoretischen Ansprüchen gerecht werden. Bei den Bestrebungen,
die Landeskunde als interdisziplinäres wissenschaftliches Fach zu etablieren, kommt die
didaktische Umsetzung der Theorie in Unterrichtsmaterial oft zu kurz. Sobald Literatur
im Landeskundeunterricht einen Stellenwert erhalten soll, der über formale Qualitäten
wie die Abwechslung von Textsorten hinausgeht, sollte die Frage beantwortet sein, wel-
cher Konzeption der Landeskunde sich der Unterricht verpflichtet fühlt: Bei einem expli-
ziten und kognitiven Landeskundeverständnis mit thematischer Orientierung auf histori-
sche, gesellschaftliche und lebensweltliche Elemente der Zielgesellschaft kommen andere
Texte zum Zuge als bei einer sich kulturwissenschaftlich und interkulturell verstehenden
Landeskunde, die auf die verschiedenen Perspektiven und Wahrnehmungsweisen in einer
multikulturellen Gesellschaft abzielt. Die beiden Konzeptionen schließen sich jedoch
nicht aus. Sie können auch im Wechsel angeboten werden und sich im Idealfall sogar
sinnvoll ergänzen.
Auf der anderen Seite bieten die Autoren von Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien
ein vielfältiges Spektrum von Beispielen für den Einsatz von Literatur im Landeskunde-
unterricht. Sie sehen sich jedoch immer wieder mit dem Problem der Komplexität und
173. Literatur im Landeskundeunterricht 1567

des Umfangs literarischer Texte konfrontiert, die die Verwendung vieler interessanter
Texte unmöglich macht bzw. einen unrealistischen Zeitaufwand erfordern würde. Daher
finden sich im unterrichtspraktischen Material der Verlage viele theorieunabhängige
Sammlungen und Didaktisierungen bewährter Kurztexte, die in eher zufällige Zusam-
menhänge eingebettet sind.
Die Arbeit mit Jugendliteratur wird bei Didaktikern als zielgruppenadäquater Aus-
weg gesehen, stößt aber was Komplexität und Umfang betrifft, letztlich auf dieselben
Probleme. Auch dezidierte Befürworter der Literatur im DaF-Unterricht widmen dem
Pro und Contra ausführlich Raum (Koppensteiner 2001: 11⫺22) und entscheiden sich
auch bei landeskundlichen Themen oft für die kürzeste aller Gattungen, die Lyrik (Kop-
pensteiner 2001: 129⫺141).
Die gleichzeitige Bedienung aller Aspekte von Landeskunde und Literaturdidaktik
für verschiedenste DaF-/DaZ-Zwecke kann zum Verlust von Konzeptionsschärfe führen
und den Unterricht seiner Effektivität berauben. Bischof, Kessling und Krechel (1999)
bieten gut ausgearbeitete Unterrichtsbeispiele vom impliziten über den expliziten bis zum
interkulturellen Landeskundeunterricht an. Lehrer können diese Beispiele direkt anwen-
den, sie erhalten jedoch keine Handreichungen zur Entwicklung kohärenter Unterrichts-
konzeptionen, in denen Literatur nicht als mehr oder weniger zufällig zu bearbeitendes
Material dasteht.

2. Literarische Texte im Landeskundeunterricht: Themenbereiche


und Unterrichtspraxis
Die geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Themen, die in der expliziten Landes-
kunde vornehmlich angesprochen werden, konzentrieren sich auf die Zeitgeschichte seit
dem Zweiten Weltkrieg, literarisch betrachtet auf die Erlebnis- und Erinnerungsperspek-
tive der gegenwärtig lebenden Generationen. Schwerpunktthemen, die auch literarisch
vielfach repräsentiert sind, sind: Nationalsozialismus, Krieg und Stunde Null; das wech-
selvolle Schicksal Berlins (deutsche Teilung, Mauer); der Terrorismus der 1970er Jahre;
die Wende (deutsche Einheit, das Zusammenwachsen von Ost und West); Rechtsextre-
mismus/Rassismus; Migration und multikulturelle Gesellschaft; Erinnerung an den Ho-
locaust sowie an die deutschen Opfer von Bombenkrieg, Flucht, Vertreibung und Mas-
senvergewaltigungen.
Zu allen Themenbereichen finden sich auch in der seit den 1970er Jahren sprunghaft
angewachsenen sozialrealistischen Jugendliteratur viele Beispiele. Die deutsche Einheit
und die Wende werden ein neues Großthema in Literatur (Grub 2003) und Landeskunde.
Dagegen ist bis in die 1990er Jahre hinein eine gewisse Scheu in der Behandlung des
Holocaust zu konstatieren. Wahrscheinlich hängt dies mit dem Unbehagen zusammen,
das sich aus der Funktionalisierung dieses Themas im Fremdsprachenunterricht ergibt.
Eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung bringt hier Veränderung: Nach dem Ende des
Kalten Krieges wächst die Aufmerksamkeit für Opfer in unterschiedlichen gesellschaft-
lich-historischen Zusammenhängen. Die langjährige Tabuisierung der deutschen Opfer
des Krieges weicht den Versuchen zu einer politisch korrekten Thematisierung. Damit
einher geht ein ungeheures Wachstum in der Erhebung und Archivierung von Zeitzeu-
genberichten, die zunehmend auch in digitalen Archiven zugänglich sind bzw. in didakti-
1568 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

sierter Form öffentlich präsentiert werden (Museen, Ausstellungen, Fernsehdokumenta-


tionen). Über die „biographische Konkretion“ dieser authentischen Texte (Ghobeyshi
2002) kann der Holocaust aus unterschiedlichen Perspektiven (Täter, Opfer, Zuschauer
und Retter) vermittelt werden. Auf der Website der Hamburger Forschungs- und Arbeits-
stelle „Erziehung nach/über Auschwitz“ (www.fasena.de) finden sich zahlreiche Down-
loads von Artikeln und Unterrichtsmaterialien, z. B. eine Unterrichtseinheit zu Paul Ce-
lans Gedicht „Todesfuge“ (Koch 2006). In der Kinder- und Jugendliteratur der 1990er
Jahre gibt es zahllose Beispiele einer altersgerechten Darstellung des Holocaust (Dahren-
dorf 1999).
Auch in der Geschichtsdidaktik wird seit Jahrzehnten über den Nutzen der Literatur
diskutiert. In den Handbüchern der Geschichtsdidaktik ist allerdings über die verschiede-
nen Auflagen hinweg eine relative Zurückhaltung zu konstatieren (z. B. Sauer 2007: 280⫺
290). Wohl lässt sich eine Hinwendung zu kurzen, leicht funktionalisierbaren Textformen
wie Liedern (Sauer 2007: 231⫺237) und insbesondere Zeitzeugenaussagen (Sauer 2007:
238⫺245) feststellen. Lieder sind in den DaF-Lehrbüchern bereits prominent vertreten;
eine für den Geschichtsunterricht didaktisierte Auswahl historischer Lieder findet sich in
Sauer 2008 (mit CD). Autobiographische Texte sind Teil der Literatur und haben in der
Form relativ kurzer Zeitzeugenberichte augenblicklich auf vielen Websites Konjunktur.
Hier lassen sich zu Ereignissen und Themen der Zeitgeschichte schnell geeignete Texte
für landeskundliche Unterrichtssequenzen finden (z. B. http://einestages.spiegel.de;
www.kaleidos.de). Ein Vergleich mit der Didaktik der Kinder- und Jugendliteratur im
Geschichtsunterricht (z. B. Zimmermann 2004 und Rox-Helmer 2006) kann für den
DaF-Dozenten sehr nützlich sein.
Seit den 1960er Jahren entsteht auch eine deutsch- und fremdsprachige Literatur, in
der Migranten ihre Erfahrungen in den Gesellschaften der deutschsprachigen Länder
und Kulturen formulieren. Die Außenperspektiven dieser Texte transportieren viel
Fremdheit, negative Erfahrungen und Kontraste zur jeweiligen Eigenkultur. Seit den
1970er Jahren werden Anthologien mit kurzen Texten herausgegeben, die auch Eingang
in den sich zunehmend interkulturell definierenden DaF-/DaZ-Unterricht finden. Seit-
dem ist der Anteil von Migranten im Unterricht konstant gestiegen und in den 1990er
Jahren mit neuen Gruppen von Flüchtlingen (Jugoslawienkriege) und Aussiedlern (Russ-
land- und Rumäniendeutsche) erweitert worden. Zunehmend ist nicht mehr von einer
Außenperspektive die Rede, sondern von einer multiplen Innenperspektive deutschspra-
chiger und ausländischer Lerner der zweiten und dritten Generation mit Migrationshin-
tergrund. Dieser Perspektivenwechsel macht sich auch in der literarischen Produktion
bemerkbar (Arnold 2006). Eine ausführliche Bibliographie zur Thematik interkultureller
Lebensläufe gibt Chiellino (2000: 447⫺523). Zu ihrer Verwendung im DaF-Unterricht
finden sich Beispiele bei Lintfert (1998). Migration und Multikulturalität werden Thema
auch in der Kinder- und Jugendliteratur, deren Texte in den Literatur- und Landeskun-
deunterricht der wachsenden Gruppen, die Deutsch als Zweitsprache erlernen, aufge-
nommen werden (Rösch 2006). Rösch (2000) diskutiert auch die Thematik des (An-
ti-)Rassismus.
In vielen Praxissituationen scheitert die Einsetzbarkeit der Texte im institutionellen
Zeitrahmen und ihre Akzeptanz bei den Lernern an formalen und inhaltlichen Proble-
men: zu lang, zu kompliziert, zu ungewohnt. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet
die im deutschsprachigen Raum noch relativ neue Gattung der Graphic Novels. Bei
diesen handelt es sich im Prinzip um nichts anderes als lange Comics. Der neue Begriff
173. Literatur im Landeskundeunterricht 1569

rechtfertigt sich aber im Hinblick auf das höhere Niveau in Anspruch, Thematik und
Wirklichkeitsnähe der Erzählungen und der künstlerischen Qualität und realitätsge-
treuen Sorgfalt der Zeichnungen. In der angelsächsischen Fremdsprachendidaktik häufen
sich die Veröffentlichungen zur Arbeit mit Graphic Novels im Unterricht für Englisch
als Fremd- und Zweitsprache und im Geschichtsunterricht. Der Mehrwert des neuen
Genres besteht in der Vertrautheit jedes Lernenden mit dem Medium und in dem für den
Unterricht idealen Umstand, dass sich Text und Bild die Aufgabe des Erzählens teilen,
dass also trotz des fremdsprachlichen Textes immer schon ein miterlebendes und mitge-
staltendes Verständnis des Geschriebenen durch den betrachtenden Leser gewährleistet
ist. Cary (2004) zeigt die didaktischen Möglichkeiten, die sich daraus auch für multilin-
guale Lernergruppen ergeben; Morrison, Bryan und Chilcoat (2002) bieten eine ausge-
zeichnete Anleitung für die Selbstproduktion von Comics im landeskundlich-geschicht-
lichen Unterricht, Munier (2000) für den breiteren Einsatz von Comics im Geschichts-
unterricht.
Für den Landeskundeunterricht bieten sich mehrere Typen der Graphic Novel an: in
erster Linie zeichnerische Umsetzungen von deutschen Romanen, die starke landeskund-
liche Komponenten enthalten. So ist Uwe Timms in viele Leselisten aufgenommener
Roman „Die Entdeckung der Currywurst“ von der Zeichnerin Isabel Kreitz (2005) in
eine adäquate Bildergeschichte übersetzt worden. Auch für jüngere Lerner geeignet ist
ihre Adaption von Erich Kästners „Pünktchen und Anton“ (Kreitz 2009). Der 500-Sei-
ten-Roman „Der erste Frühling“ des Jugendbuchautors Klaus Kordon wurde vom
Zeichner Christoph Heuer und der Autorin Gerlinde Althoff in realistisch-harte Bildse-
quenzen vom Frühjahr 1945 in Berlin umgewandelt (Kordon, Althoff und Heuer 2007).
Auch einzelne Kapitel und Sequenzen lassen sich gut im Landeskundeunterricht verwen-
den.
Es gibt keinen didaktischen Grund, hier auf ursprünglich deutscher Literatur zu be-
harren, da auch qualitativ hervorragende übersetzte Graphic Novels mit landeskundli-
cher Thematik zur Verfügung stehen wie die in den Jahren zwischen 1928 und 1933
spielenden Berlinromane des Amerikaners Jason Lutes (2003⫺2008). Die Holocaust-
Thematik findet eine eindringliche und anspruchsvolle Behandlung in Art Spiegelmans
„Maus“ (2008) und Joe Kuberts „Yossel“ (2005). Kubert wählt die Form eines Skizzen-
buchs: Ein Fünfzehnjähriger zeichnet im Warschauer Ghetto das ihm widerfahrende
Elend und die Geschichten, die ein Rabbi ihm von den Vernichtungslagern erzählt. Die
Texte sind hier länger, informativer und weniger der im Comic vorherrschenden Dialog-
form verpflichtet.

3. Literatur in Auswahl

Altmayer, Claus
2002 Kulturelle Deutungsmuster in Texten. Prinzipien und Verfahren einer kulturwissenschaft-
lichen Textanalyse im Fach Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift für Interkulturellen
Fremdsprachenunterricht 6(3): 1⫺25.
Altmayer, Claus
2004 Kultur als Hypertext. Zu Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als
Fremdsprache. München: iudicium.
1570 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Arnold, Heinz Ludwig (Hg.)


2006 Literatur und Migration. München: edition text ⫹ kritik.
Bischof, Monika, Viola Kessling und Rüdiger Krechel
1999 Landeskunde und Literaturdidaktik. (Fernstudieneinheit 3). Berlin etc.: Langenscheidt.
Cary, Stephen
2004 Going Graphic. Comics at Work in the Multilingual Classroom. Portsmouth: Heinemann.
Chiellino, Carmine
2000 Interkulturelle Literatur in Deutschland. Ein Handbuch. Stuttgart/Weimar: Metzler.
Cromer, Michael und Penney Clarke
2007 Getting graphic with the past. Graphic novels and the teaching of history. Theory and
Research in Social Education 35: 574⫺591.
Dahrendorf, Malte (Hg.)
1999 Die Darstellung des Holocaust in der Kinder- und Jugendliteratur. Beiträge Jugendlitera-
tur und Medien, 10. (Beiheft). Weinheim: Juventa.
Ghobeyshi, Silke
2002 Nationalsozialismus und Schoah als landeskundliche Themen im DaF-Unterricht. (Werk-
stattreihe Deutsch als Fremdsprache 72). Frankfurt a. M.: Lang.
Groenewold, Peter
1997 ,Land in Sicht‘. Landeskunde als Dialog der Identitäten am Beispiel des deutsch-niederländi-
schen Begegnungsdiskurses. 2 Bde. Diss. Rijksuniversiteit Groningen.
Grub, Frank Thomas
2003 ,Wende‘ und ,Einheit‘ im Spiegel der deutschsprachigen Literatur. Ein Handbuch. Band 1:
Untersuchungen. Band 2: Bibliographie. Berlin/New York: de Gruyter.
Koch, Leo
2006 Unterrichtseinheit zu Paul Celans ,Todesfuge‘ für den DaF-Unterricht. Hamburg: For-
schungs- und Arbeitsstelle Erziehung nach/über Auschwitz (www.fasena.de).
Koppensteiner, Jürgen
2001 Literatur im DaF-Unterricht. Eine Einführung in produktiv-kreative Techniken. Wien: öbv
und hpt.
Kordon, Klaus, Gerlinde Althoff und Christoph Heuer
2007 Der erste Frühling. Hamburg: Carlsen.
Koreik, Uwe
1995 Deutschlandstudien und deutsche Geschichte. Die deutsche Geschichte im Rahmen des Lan-
deskundeunterrichts für Deutsch als Fremdsprache. Baltmannsweiler: Schneider.
Kreitz, Isabel
2005 Die Entdeckung der Currywurst. Nach einem Roman von Uwe Timm. Hamburg: Carlsen.
Kreitz, Isabel
2009 Pünktchen und Anton. Hamburg: Dressler.
Kubert, Joe
2005 Yossel, 19. April 1943. Eine Geschichte des Aufstands im Warschauer Getto. Köln: Ehapa
Comic Collection.
Lintfert, Marita
1998 Migrantenbiographien: Kultur und Migration als Inhalte in der Deutsch als Fremdsprache-
Ausbildung. Frankfurt a. M.: Lang.
Lutes, Jason
2003⫺2008 Berlin 01. Steinerne Welt und Berlin 02. Bleierne Welt. Hamburg: Carlsen.
Morrison, Timothy G., Gregory Bryan und George W. Chilcoat
2002 Using student-generated comic books in the classroom. Journal of Adolescent and Adult
Literacy 45: 758⫺767.
Munier, Gerald
2000 Geschichte im Comic. Aufklärung durch Fiktion? Über Möglichkeiten und Grenzen des his-
torisierenden Autoren-Comic der Gegenwart. Hannover: Unser.
174. Migrationsliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1571

Rösch, Heidi
2000 Jim Knopf ist nicht schwarz. Anti-/Rassismus in der Kinder- und Jugendliteratur. Balt-
mannsweiler: Schneider.
Rösch, Heidi
2006 Migration in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur. In: Heinz Ludwig Ar-
nold (Hg.), Literatur und Migration, 222⫺232. München: edition text ⫹ kritik.
Rox-Helmer, Monika
2006 Jugendbücher im Geschichtsunterricht. Schwalbach: Wochenschau-Verlag.
Sauer, Michael
2007 Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. Stuttgart: Klett-
Kallmeyer.
Sauer, Michael
2008 Historische Lieder. Stuttgart: Kallmeyer.
Spiegelman, Art
2008 Maus. Frankfurt a. M.: Fischer.
Zimmermann, Holger
2004 Geschichte(n) erzählen. Geschichtliche Kinder- und Jugendliteratur und ihre Didaktik.
Frankfurt a. M.: Lang.

Peter O. H. Groenewold, Groningen (Niederlande)

174. Migrationsliteratur im Deutsch als Fremd- und


Zweitsprache-Unterricht
1. Einleitung
2. Die PoLi-Kunst-Bewegung in den 1980er Jahren
3. Die jungen Wilden der Migrationsliteratur
4. Merkmale der Migrationsliteratur
5. Didaktik der Migrationsliteratur
6. Literatur in Auswahl

1. Einleitung

Migrationsliteratur ist ein gattungsübergreifender Begriff und kann auch als literaturhis-
torische Epoche verstanden werden, denn im Zentrum stehen Lyrik, Prosa und einige
wenige dramatische Werke aus der Zeit nach der Arbeits- und Systemmigration nach
Deutschland, also seit den 1970er Jahren. Den Auftakt bildet Aras Örens Berlin-Trilogie
Was will Niyazi in der Naunynstraße (1973), Der kurze Traum Kagithane (1974) und Die
Fremde ist auch ein Haus (1980), die er als Poem in türkischer Sprache verfasst und ins
Deutsche übersetzt publiziert, bevor sie Jahre später auch in türkischer Sprache er-
scheint. Daran wird ein wichtiges Merkmal deutlich: Die Schreib- und Publikationsspra-
che sind nicht immer identisch.
1572 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Im Unterschied dazu publiziert Franco Biondi bereits seinen ersten Gedichtband


„nicht nur gastarbeiterdeutsch“ (1979) in deutscher Sprache, um ein deutsches Lesepubli-
kum anzusprechen. Beide Autoren thematisieren Arbeitsmigration und das Zusammenle-
ben in einer multiethnischen Gesellschaft, was ihre Literatur gleichermaßen zu Migran-
ten- und Migrationsliteratur macht. Während der Begriff Migrantenliteratur die Auto-
renbiographie zum zentralen Zugehörigkeitskriterium erklärt, verweisen Begriffe wie
„Migrationsliteratur“ (Rösch 1992, 2008) oder „Literatur der Migration“ (Amirsedghi
und Bleicher 1997) auf das Thema, das heißt die Problematik, das Anliegen oder den
gedanklichen Hintergrund des Textes. Damit ist das Genre nicht mehr an die Autoren-
biografie gebunden, denn es gibt AutorInnen mit Migrationshintergrund, die sich diesem
Thema verweigern, und AutorInnen ohne Migrationshintergrund, die sich ihm zuwen-
den. Auch wenn die Migrationsliteratur von AutorInnen mit Migrationshintergrund nach
wie vor im Zentrum der Literaturwissenschaft und -didaktik steht, erfolgt durch die
Fokussierung auf das Thema eine Öffnung hinsichtlich des historisch-politischen Diskur-
ses um Migration und die Folgen für Individuen, Gesellschaft/en, Kultur/en und
Sprach/en.
Migrationsliteratur wird im Unterschied zum Begriff Exilliteratur in der Aufnahmege-
sellschaft verortet; sie ist Teil der deutschen Literatur und bleibt doch etwas Besonderes:
Während zunächst das Nicht-Deutsche betont wurde (vgl. Ackermann und Weinrich
1986), verweist „Literatur der Fremde“ (Biondi 1991) auf eine Verortung jenseits von
Nationalliteraturen. Sie wird als „kulturübergreifende und vielsprachige Literaturbewe-
gung“ zur „Interkulturellen Literatur“ (Chiellino 2000: 389) und zeigt als „Offene Rand-
literatur in der Fremde“ (Amodeo 1996) periphere und deterritorialisierte literarische
Erscheinungen von großer Heterogenität, Dynamik und unberechenbarer Entwicklung,
wodurch Migrationsliteratur zum Bestandteil der „Poetik der Verschiedenheit“ (Winter-
steiner 2006) wird.

2. Die PoLi-Kunst-Bewegung in den 1980er Jahren

In den 1980er Jahren erscheint eine Vielzahl von Anthologien und Einzelwerken (Die
Literaturangaben zu den genannten Primärtexten finden sich unter: „Bibliografie Migra-
tionsliteratur: Kurzporträts und Veröffentlichung von und zu AutorInnen der deutsch-
sprachigen Migrationsliteratur“. Im Internet verfügbar unter: http://www.ph-karlsruhe.
de/cms/index.php?id⫽roesch, Link zu Literaturlisten, Bibliografie Migrationsliteratur);
1985 wird der Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung für AutorInnen
etabliert, deren Muttersprache und kulturelle Herkunft nicht die deutsche ist und die
mit ihrem Werk einen wichtigen Beitrag zur deutschsprachigen Literatur leisten. Der
polynationale Literatur- und Kunstverein nimmt 1980 seine Arbeit auf und beendet sie
1987 wieder. Dennoch hat die PoLiKunst-Bewegung die Migrationsliteratur nachhaltig
beeinflusst: Die Gedichtbände von Gino Chiellino Mein fremder Alltag (1984), Sehnsucht
nach Sprache (1987) und Sich die Fremde nehmen (1992) zeigen die Entwicklung von einer
Außenperspektive über die Reflexion der migrationsspezifischen Sprachsozialisation zur
dominanzkritischen Innenperspektive. Letzteres zeigt sich auch in Franco Biondis Orien-
tierung an der Arbeiterliteratur naturalistischer Prägung, die Unterprivilegierten einen
Platz in der Kunst verschafft, indem er „Gastarbeiterdeutsch“ zur Literatursprache er-
174. Migrationsliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1573

hebt, Minderheitenangehörige als handelnde und reflektierende Subjekte gestaltet und


strukturellen Rassismus in der Einwanderungsgesellschaft entschlüsselt.
Gegenmodelle liefern die Märchen, Fabeln und phantastischen Geschichten (seit
1982) und Romane wie Erzähler der Nacht (1989) von Rafik Schami: Er greift arabische
Erzähltraditionen auf und lässt seine (deutschen) Leser in eine ihnen fremde Welt ⫺ die
seiner Kindheit und Jugend in Syrien ⫺ eintauchen. Auch Libuše Monı́ková erzählt
episodenhaft von einer Welt, die Westeuropäern eher fremd ist. Ihre Romanfiguren sind
meist Exilanten oder Reisende, die die Idee von Mitteleuropa und die Sehnsucht nach
Osteuropa mit sich tragen und in sich zusammenzubringen versuchen.
Die Migrationslyrik von in Deutschland aufgewachsenen AutorInnen wie Zehra Çi-
rak und José F. A. Oliver trägt expressionistische Züge, denn es geht ihr um den Auf-
bruch in eine neue Zeit, in der die Situation von Migranten nicht mehr nur politisch
korrekt nachgebildet wird, sondern sich eine Vorstellung von multiplen Identität/en,
Minderheitenmehrsprachigkeit und Multiethnizität (als Gegenmodell zur Dominanzkul-
tur) im Kontext von Migration herausbildet. Sie lebt von semantischen und syntakti-
schen Sprachreflexionen (aus fremdkultureller oder dominanzkritischer Perspektive), (in-
terlingualen) Wortneuschöpfungen, einer fremd-, trans- oder auch interkulturell gepräg-
ten Metaphorik und oftmals von einem äußerst verknappten Sprachstil. Auf diesem
basiert auch Yoko Tawadas Kurzprosa, die die deutsche Sprache, Deutschland und Eu-
ropa aus asiatischer Perspektive betrachtet.

3. Die jungen Wilden der Migrationsliteratur

Bereits Ende der 1980er Jahre gelingt Akif Pirinçci mit Felidae (1989), einem Katzen-
krimi, ein kommerzieller Bestseller, der auch als Zeichentrickfilm und Comic gestaltet
wurde. Dieser Roman trägt ähnlich wie die Werke Rafik Schamis phantastische Züge
und bewegt sich demzufolge scheinbar außerhalb der realistischen Migrationsliteratur.
Durch die fabelhafte Verfremdung ist der Text nicht sofort als Migrationsliteratur er-
kennbar. Doch der Autor inszeniert das Leben in einer Parallelgesellschaft und wird mit
diesem Werk zum jungen Wilden der Migrationsliteratur, der nicht nur der Einwande-
rungsgesellschaft, sondern auch den Minderheiten einen Spiegel vorhält. Er thematisiert
Rassismus und die Folgen von Rassismus, die sich als Fundamentalismus äußern (kön-
nen).
Im Unterschied zu den PoLi-Künstlern klagen die jungen Wilden nicht mehr an,
sondern rücken das Leben der Minderheiten ins Zentrum, ohne Rücksicht auf politische
Korrektheit, die sich aus einer bewussten Minderheitenperspektive ergeben kann. Dabei
spielt die Mehrheitsbevölkerung nur noch indirekt eine Rolle: So thematisiert Zoran
Drvenkar mit Niemand so stark wie wir (1998) mit großer sprachlicher Authentizität und
rasantem Erzähltempo das Lebensgefühl pubertierender Jugendlicher in einer multiethni-
schen Gesellschaft, in der Menschen ohne Migrationshintergrund höchstens Randfiguren
darstellen. Seine Protagonisten bewegen sich in einer Spirale von Gewalt, der sie kaum
entrinnen können.
Fatih Akin taucht in seinen Filmen Getürkt (1996), Im Juli (1999), Solino (2000) und
auch Gegen die Wand (2003) ebenfalls in das Leben von (türkischen) Migranten ein und
zeigt es schonungslos. Doch er bezieht anders als Zoran Drvenkar Position und lässt im
1574 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

deutlichen Unterschied zu den aufklärerischen Texten der PoLi-Künstler am Ende Hoff-


nung aufscheinen. Dass er sie an die Herkunftskultur bindet, lässt den Eindruck entste-
hen, er gehe in seiner Literatur den umgekehrten Weg von der Aufnahme- in die Her-
kunftsgesellschaft und lotet aus, was diese für das Leben in der Aufnahmegesellschaft zu
bieten hat.
Daneben verkörpert Terézia Mora aus Ungarn wie vor ihr Libuše Monı́ková aus
Tschechien oder Herta Müller aus Rumänien eine Literatur, die auf eine klar struktu-
rierte Handlung sowie erklärende oder kommentierende Passagen verzichtet und die
Lesenden in eine scheinbar wirre Welt holt, aus der die Ich-Erzählerin in ein anderes
Land, einen anderen Körper oder eine andere Zeit flieht und doch immer wieder zurück-
kommt, um aus der vorhandenen Materie im Spannungsfeld mit ihrem Gegenüber etwas
Neues zu schaffen, die seltsame Materie eben, die nicht zuletzt darauf abzielt, der deut-
schen Literatur durch die andere Sprache und Perspektive eine besondere Prägung zu
verleihen.

4. Merkmale der Migrationsliteratur

Der Ort der Handlung ist das Herkunfts- und/oder Aufnahmeland oder aber ein fiktiver
Ort. Zentral sind dabei die Übergänge zwischen Orten, oft auch das Dazwischen, das
immer seltener als Problem, sondern als Chance und Aufbruch in eine neue Dimension
beschrieben wird.
Die Figurenkonstellation ist häufig multiethnisch, wobei MigrantInnen oft zu Trägern
der Zukunftsideen werden. Neben flächenhaften, dichotomen Figurenzeichnungen etwa
bei Franco Biondi gibt es multiperspektivische Ansätze zur Vermeidung von Kulturalisie-
rungen etwa bei Rafik Schami. Die Figuren werden doppelt, das heißt aus der Eigen-
und einer Fremdperspektive, oder als transkulturelle GrenzgängerInnen gezeichnet, die
sich nicht mehr über das Eigene und das Fremde definieren lassen.
Die Zeit der Handlung konzentriert sich auf Migrations- und Globalisierungsprozesse
der Gegenwart, zum Teil auch auf die Zeit vor der Migration und beleuchtet diese in
ihrer gesellschaftlichen, politischen und historischen Bedeutung. Dabei werden etwa von
Gino Chiellino auch aktuelle politische Ereignisse (wie die deutsche Einheit) lyrisch kom-
mentiert.
Die Sprache der Migrationsliteratur ist im Plural zu denken. Vor allem in der Lyrik
erscheinen neben zweisprachigen Paralleltexten mehrsprachige Gedichte, die den Leser-
Innen keine Übersetzungen liefern. Interlinguale Texte bzw. Textstellen liefern türkische
AutorInnen wie Emine Sevgi Özdamar in ihrer Berlin-Istanbul-Trilogie Sonne auf halbem
Weg (2006). Die Autorin, die in deutscher Sprache schreibt, integriert die bildhaftere
türkische Ausdruckweise ins Deutsche und schafft damit eine Interlingualität, die von
den Märchen, Mythen, Sprichwörtern und Metaphern ihrer türkischen Herkunft geprägt
ist und punktuell bewusst gegen die Semantik und Grammatik des Deutschen verstößt.
Damit funktioniert ihre Sprachkraft auf einer ganz anderen Ebene als die, die Feridun
Zaimoğlu in dem Erzählband Kanak Sprak (1995) zutage fördert, indem er Minderhei-
tenangehörige in ihrer Sprache zu Wort kommen lässt und ihre Aussagen ⫺ im Unter-
schied zu Franco Biondi, der den Ethnolekt als Literatursprache nutzt ⫺ ohne literari-
sche Verdichtung einfach stehen lässt.
174. Migrationsliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1575

Eine weitere Besonderheit ist die ethnische Mehrfachadressiertheit: Migrationslitera-


tur bietet Minderheitenangehörigen Identifikationsangebote und provoziert, informiert
und fordert Einheimische auf, sich mit dem Leben von MigrantInnen zu befassen. Ein-
zelne Texte wie Bitte nix Polizei von Aras Ören sehen spezifische Leserrollen für minder-
heiten- und mehrheitsangehörige LeserInnen vor, Aysel Özakin bietet ihren Roman mavi
mask / Die blaue Maske nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich in zwei Fassungen,
für ihr türkisches und ihr deutsches Lesepublikum, an.
Die Botschaften der Migrationsliteratur reichen von politisch motivierter Dominanz-
kritik über psychologisch gestaltete Identitäts-, Sozialisations- und Enkulturalisationsan-
gebote vor allem für Minderheitenangehörige und eine pädagogisch motivierte multiper-
spektivische Wahrnehmung von Fragen des Zusammenlebens vor allem für Mehrheitsan-
gehörige bis hin zu einer inter- oder auch transkulturellen Gestaltung der Welt(-literatur).

5. Didaktik der Migrationsliteratur

Konzeptionell wird Migrationsliteraturdidaktik an Ansätze interkulturellen Lernens ge-


bunden. Dabei sind grob zwei Richtungen zu unterscheiden: eine literatur- und eine kul-
turwissenschaftlich determinierte Herangehensweise. Literarisches Lesen bedingt eine
Orientierung an den Merkmalen von Literatur, die auch Merkmale ihres Gebrauchs sind
(vgl. Abraham und Kepser 2006: 26) und sich daran orientieren, dass literarische Texte
fiktional bzw. imaginativ, selbstreferentiell und intertextuell (das heißt auf sich selbst
bzw. andere Medien bezogen), mehrdeutig und konnotativ (das heißt individuelle, emo-
tionale Nebenbedeutungen anstoßend) sowie sprachlich verfremdet und einen nicht-
pragmatischen (das heißt von einem unmittelbaren Zweck losgelösten) Diskurs führen.
LeserInnen literarischer Texte werden im Unterricht angeleitet zu imaginieren, zu deuten,
Verfremdungen aufzubrechen, den nicht-pragmatischen Diskurs aufzugreifen und inter-
textuelle und ⫺ so möchte ich für Migrationsliteratur ergänzen ⫺ interkulturelle und
interlinguale Bezüge im Text zu entdecken.
Während hier Figurengestaltung, Erzählweise und andere Formelemente, Sprache/n
und andere Stilmittel sowie Ort, Zeit und Verlauf der Handlung im Vordergrund stehen,
konzentriert sich kulturwissenschaftliches Lesen auf die Bearbeitung des Themas, die
Entschlüsselung (inter-)kultureller Phänomene (bei der Figurengestaltung, im Hand-
lungsverlauf etc.) und favorisiert ein problemorientiertes Vorgehen, das der Migrations-
literatur sehr entgegenkommt und Aspekte kultureller, sprachlicher und manchmal auch
literarischer Interdependenzen in den Blick nimmt.
Für die Arbeit mit Migrationsliteratur im Unterricht eignen sich sowohl text- als auch
leserorientierte Verfahren: Textnahes Lesen (vgl. Paefgen 1997) unterstützt die Dekon-
struktion von Dominanzverhältnissen im Text oder in seiner Rezeption, produktive Ver-
fahren (vgl. Spinner 2006) unterstützen die Auseinandersetzung mit dem Befremden, das
solche Texte auslösen (können), und das Besetzen der ethnischen Leserollen.
Im DaF- und im DaZ-Unterricht bieten migrationsliterarische Texte besondere Mög-
lichkeiten zur Sprach- und Grammatikreflexion, da die AutorInnen die deutsche Sprache
als fremde Sprache betrachten, das Dominanzverhältnis zwischen Erst- und Fremd-
sprachsprecherInnen thematisieren und interlinguale Bezüge herstellen. Hinzu kommen
landeskundliche Aspekte, die sich nicht auf das Leben von MigrantInnen in Deutschland
1576 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

beschränken sollten, sondern den in der Literatur geführten Diskurs über Migration,
Multiethnizität etc. nachvollziehen und damit auch den interkulturellen Gehalt des Tex-
tes in den Blick nehmen sollten. Damit ihre besondere Perspektive und Stellung inner-
halb der deutschen Literatur und Gesellschaft deutlich wird, ist es vor allem im Ausland
sinnvoll, einen Transfer auf das Land der Lernenden und deren Literatur anzuleiten und
das Thema Migration als weltweites Phänomen zu behandeln.
In der Inlandssituation des DaZ-Unterrichts bietet sich eine vierdimensionale Be-
trachtung an (vgl. Klettenhammer 1994): Auf außertextueller Ebene wird die Herkunfts-
kultur im Vergleich zur Aufnahmegesellschaft betrachtet. Die inhaltliche Ebene bezieht
sich auf Formen kultureller Repräsentation im Text, die zur Bewusstmachung eigener
und fremder kulturspezifischer Regeln und Umgangsformen herangezogen werden. Auf
thematischer Ebene werden Rollenklischees im Zusammenhang mit gesellschaftlichen
Veränderungen und Bedingungen hinterfragt und schließlich wird auf ästhetischer Ebene
die Form des Textes z. B. als Satire herausgearbeitet. Vor allem dieser letzte Punkt birgt
Ansätze einer Didaktik der Migrationsliteratur, die von der Spezifik ausgewählter Werke
ausgeht und diese für Unterrichtsprozesse nutzbar machen will ⫺ egal ob im DaF-, DaZ-
oder im gemeinsamen DaZ-DaM-Unterricht.
Grundlegend ist das Verständnis von Literatur und speziell von Migrationsliteratur
als Grenzgängerin der Kulturen, das Interkulturalität nicht nur auf der Ebene der Leser-
Text-Beziehung, der Rezeption, sondern als Dimension versteht, die bereits die Produk-
tion des Textes bestimmt. Ihr auf die Spur zu kommen ist Aufgabe der Literaturwissen-
schaft; sie für den Unterricht erfahrbar zu machen ist Aufgabe der Literaturdidaktik
(vgl. Wintersteiner 2010).

6. Literatur in Auswahl
Abraham, Ulf und Mathis Kepser
2006 Literaturdidaktik Deutsch: eine Einführung. Berlin: Schmidt.
Ackermann, Irmgard und Harald Weinrich
1986 Eine nicht nur deutsche Literatur. Zur Standortbestimmung der „Ausländerliteratur“. Mün-
chen: Piper.
Amirsedghi, Nasrin und Thomas Bleicher (Hg.)
1997 Literatur der Migration. Mainz: Kinzelbach.
Amodeo, Immacolata
1996 „Die Heimat heißt Babylon“. Zur Literatur ausländischer Autoren in der Bundesrepublik
Deutschland. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Biondi, Franco
1991 Arbeitsthesen zur Literatur der Fremde. Die Brücke 7(5): 14.
Chiellino, Carmine (Hg.)
2000 Interkulturelle Literatur in Deutschland. Stuttgart: Metzler.
Klettenhammer, Sieglinde
1994 Brücke zwischen den Kulturen. Migrantenliteratur als Beitrag zur Friedenserziehung. ide
18(1): 64⫺77.
Paefgen, Elisabeth
1997 Textnahes Lesen. 6 Thesen aus didaktischer Sicht. In: Jürgen Belgrad und Karlheinz
Fingerhut (Hg.), Textnahes Lesen. Annäherungen an Literatur im Unterricht, 14⫺23. Balt-
mannsweiler: Schneider.
175. Kinder- und Jugendliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1577

Rösch, Heidi
1992 Migrationsliteratur im interkulturellen Kontext. Frankfurt a. M.: Verlag für interkulturelle
Kommunikation.
Rösch, Heidi
2008 „deutsche Sprache gute sprache“ ⫺ Migrationsliteratur und ihre Didaktik. In: Sigrid
Thielking (Hg.), Lesevermögen ⫺ Lesen in allen Lebenslagen, 151⫺169. Frankfurt a. M.:
Lang.
Spinner, Kaspar H.
2006 Kreativer Deutschunterricht. Identität ⫺ Imagination ⫺ Kognition. 2. Aufl. Seelze: Kall-
meyer.
Wintersteiner, Werner
2006 Poetik der Verschiedenheit. Literatur, Bildung, Globalisierung. Klagenfurt/Celovec: Drava.
Wintersteiner, Werner
2010 Transkulturelle Literaturdidaktik. In: Heidi Rösch (Hg.), Literarische Bildung im kompe-
tenzorientierten Deutschunterricht, 33⫺48. Freiburg: Fillibach.

Heidi Rösch, Karlsruhe (Deutschland)

175. Kinder- und Jugendliteratur im Deutsch als


Fremd- und Zweitsprache-Unterricht
1. Einleitung
2. Kinder- und Jugendliteratur im aktuellen Fachdiskurs
3. Die spezifische Einfachheit kinderliterarischer Texte
4. Interkulturelle Kinder- und Jugendliteratur
5. Ausblick
6. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
Seit den 1960er Jahren setzte sich der Begriff Kinder- und Jugendliteratur als Bezeichnung
für ein Teilsystem der Literatur durch, das viele verschiedene Texte und Buchgenres (Bil-
derbücher, Kinderlyrik, Adoleszenzromane etc.) umfasst, wobei Texte für Kinder bis
zum Alter von 12 Jahren zumeist als Kinderliteratur bezeichnet werden, während der
Begriff Jugendliteratur ältere Lesende als Zielgruppe fokussiert (für eine genauere Be-
griffsbestimmung vgl. Eder 2007: 286; Ewers 2000: 2⫺14).

2. Kinder- und Jugendliteratur im aktuellen Fachdiskurs


Bereits in den 1980er Jahren interessierten sich einzelne Expertinnen und Experten für
die besonderen Möglichkeiten der Arbeit mit Kinder- und Jugendliteratur im DaF- und
1578 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

DaZ-Unterricht und legten entsprechende Untersuchungen vor (vgl. etwa für DaF: Kast
1985, für DaZ: Belke und Lypp 1985). Kast entwirft in Jugendliteratur im kommunikati-
ven Deutschunterricht eine Vielzahl von Unterrichtsmodellen zu unterschiedlichen Texten
der damals aktuellen Kinder- und Jugendliteratur (z. B. zu Jugendromanen, Hörspielen,
Liedern, Gedichten und Comics). Die damit initiierte Beschäftigung mit der Thematik
wurde in den letzten Jahrzehnten zwar nur fragmentarisch, aber doch kontinuierlich
weitergeführt. Diverse Fachzeitschriften veröffentlichten eigene Hefte zur Kinderliteratur
im Fremdsprachenunterricht (vgl. Fremdsprache Deutsch 1994; ÖDaF-Mitteilungen
2000) und seit 1997 ist dem Thema regelmäßig im Rahmen der Internationalen Deutsch-
lehrertagung (IDT) eine eigene Sektion gewidmet. Mit ihrem Aufsatz Fremdsprachenler-
nen und Kinder- und Jugendliteratur legten O’Sullivan und Rösler (2002) zudem eine
kritische Bestandsaufnahme der didaktischen Publikationen zum Einsatz von Kinder-
und Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht vor. Der deutliche Schwerpunkt der
Auseinandersetzung liegt bei der Erarbeitung und Darstellung konkreter Unterrichtsma-
terialien. So erschienen beispielsweise mehrere Didaktisierungen von kinder- und jugend-
literarischen Ganzschriften für den DaF- bzw. DaZ-Unterricht (für DaF etwa Ehlers
1993 und Jenkins et al. 1998, für DaF und DaZ: Villarmé 2001).
Im Rahmen des aktuellen theoretischen Fachdiskurses lenkt Rösch den Fokus auf
die spezifischen Möglichkeiten, die die Arbeit mit Kinder- und Jugendliteratur für das
interkulturelle Lernen im Unterrichtskontext bietet. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt
zwar im Bereich der allgemeinen Literaturdidaktik, sie berücksichtigt dabei aber immer
wieder auch die Lesesituation von Kindern, die Deutsch als Zweitsprache erlernen (vgl.
Rösch 1997, 2000). Auch O’Sullivan und Rösler wollen in Kinder- und Jugendliteratur im
Fremdsprachenunterricht (erscheint voraussichtlich 2011) zeigen, wie kinder- und jugend-
literarische Texte den Spracherwerb und die Herausbildung interkultureller Sensibilität
fördern können.
Eder bringt in ihren Arbeiten aktuelle Erkenntnisse zur Literaturvermittlung in der
Fremd- bzw. Zweitsprache mit ausgewählten Aspekten der allgemeinen wissenschaftli-
chen Auseinandersetzung mit Kinder- und Jugendliteratur in Verbindung. Während sie
in Die Komplexität der Einfachheit ⫺ Kinder- und Jugendliteratur im Unterricht Deutsch
als Fremdsprache (2007) deutlich macht, inwiefern die spezifische Einfachheit kinderlite-
rarischer Texte für den Fremdsprachenunterricht genützt werden kann, fokussiert sie in
Mehrsprachige Kinder- und Jugendliteratur für mehrsprachige Lernkontexte (2009) auf
den Unterricht des Deutschen als Zweitsprache. Sie zeigt, wie mehrsprachige Texte der
Kinder- und Jugendliteratur als Sprachlerntexte genützt werden können (vgl. Eder 2009:
37⫺63) und greift damit einen Themenbereich auf, der trotz der ansonsten äußerst diffe-
renzierten fachlichen Diskussion zum Thema Mehrsprachigkeit in der Fremd- und Zweit-
sprachenforschung bislang kaum wahrgenommen wurde.
Gleichzeitig mit der ersten theoretischen und literaturdidaktischen Auseinanderset-
zung mit Kinder- und Jugendliteratur im DaF-/DaZ-Unterricht begannen auch einzelne
Institute bereits in den 1980er Jahren, entsprechende Lehrschwerpunkte in die universi-
täre Ausbildung von Lehrenden zu integrieren. So initiierte etwa eine niederländische
Arbeitsgruppe, die sich aus Vertretern des Goethe-Instituts Amsterdam zusammensetzte,
die Integration eines Curriculum-Bausteins Jugendliteratur in den Studiengang Deutsch
als Fremdsprache (vgl. Kast 1985: 13). Heute gehören entsprechende Lehrveranstaltungen
bereits an einigen Universitäten (u. a. Dresden, Erlangen, Gießen, Hamburg, Jena, Trier,
Wien) zum Lehrangebot.
175. Kinder- und Jugendliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1579

3. Die speziische Einachheit kinderliterarischer Texte


In mehreren literaturwissenschaftlichen Untersuchungen prägte Lypp den Begriff der
Einfachheit als Kategorie der Kinder- und Jugendliteratur (vgl. Lypp 1984, 1994/1995).
Sie versteht Einfachheit als spezifische Form der Komplexitätsreduzierung: Durch eine
reflektierte Vereinfachung komplexer innerer und äußerer Realität, die auch mit entspre-
chend vereinfachten sprachlichen und literarischen Mitteln umgesetzt wird, entsteht
Lypp zufolge eine Spannung, die das besondere ästhetische Potential der Kinderliteratur
ausmacht (vgl. Lypp 1994/1995: 45).
Diese komplexe Einfachheit von Kinder- und Jugendliteratur kann beim Literaturun-
terricht in der Fremd- bzw. Zweitsprache genützt werden: Allzu oft geht Einfachheit in
Sprachlerntexten mit inhaltlicher Oberflächlichkeit und formaler Reizlosigkeit einher.
Aufgrund der spezifischen Komplexitätsreduzierung in vielen Texten der Kinder- und
Jugendliteratur haben Lernende bei der Arbeit mit diesen Texten die Möglichkeit, auch
in der Fremd- oder Zweitsprache die Vielfalt sprachlicher und literarischer Ausdrucks-
möglichkeiten zu erfahren und nachzuvollziehen. So ist etwa die Wiederholung von Text-
elementen in der Kinderliteratur ein beliebtes Darstellungsmittel, das der kindlichen
Freude an wiederkehrenden sprachlichen Strukturen gerecht wird. Eine entsprechende
Dominanz der Form gehört zu den Grundgegebenheiten der Kinderliteratur (vgl. Lypp
2000: 199). Diese formale Deutlichkeit vieler kinderliterarischer Werke kann auch DaF-
und DaZ-Lernende bei der Aneignung formaler Prinzipien und Regularitäten in der Ziel-
sprache unterstützen. Sprachliche Parallelismen bieten auf der Ebene der Lexik die Mög-
lichkeit, den im fremdsprachlichen Wörterbuch mental noch nicht ausreichend reprä-
sentierten Wortschatz auf lustbetonte Weise zu automatisieren. Bereits beim frühen Spra-
chenlernen kann die Dekodierung von einfachsten, sinntragenden Textstrukturen
(Worterkennung, syntaktische Analyse) zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit
dem Text führen. Aber auch fortgeschrittenen Lernenden hilft die paradigmatische
Struktur vieler Texte der Kinder- und Jugendliteratur bei der semantischen Verarbeitung
des Gelesenen: Textstellen, die sich als Parallelismus oder Opposition aufeinander bezie-
hen, lösen Wiedererkennungseffekte aus. Durch die somit verdichteten Textinformatio-
nen fällt es den Lesenden leichter, die jeweiligen Texte unter Zuhilfenahme ihres bereits
vorhandenen Vorwissens zu entschlüsseln.

4. Interkulturelle Kinder- und Jugendliteratur


Seit den 1970er Jahren werden in Kinder- und Jugendbüchern vermehrt gesellschaftspoli-
tische Themen literarisch aufgearbeitet (vgl. Eder 2007: 287). In diesem Zusammenhang
wurde in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich Interkulturelle Kinder- und Jugendlitera-
tur publiziert. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie Migration, Fremdheitserfahrung,
interkulturelle Begegnungssituationen und den Umgang mit Vielfalt und Differenz the-
matisiert (vgl. Luchtenberg 1999: 178⫺179). Ein sehr anschauliches Beispiel für die Dar-
stellung von Fremdheitserfahrung in der Kinderliteratur ist das Bilderbuch Das Land der
Ecken von Ulitzka und Gepp (vgl. Ulitzka und Gepp 1993). Gepps Illustrationen verset-
zen die Lesenden hier in eine Bilderwelt der Ecken und Kanten. Als eines Tages das
Fremde in Form eines runden Kinderballs in diese Welt kommt, begegnen die erwachse-
1580 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

nen Protagonisten ihm mit Ablehnung und Hass, die sich auch in ihrer kantigen Sprache
widerspiegeln und sie schließlich dazu bringen, den Ball „Rack-Zack-Ecktum“ zu ver-
nichten (Ulitzka und Gepp 1993: o. S.). Doch der kleine, eckige Junge, der den Ball
gefunden hat, ist nun neugierig geworden. Er folgt einem Luftballon und entdeckt ein
Kind, das ihm mit seinem runden Gesicht zulächelt. Gemeinsam fahren sie auf einem
Tretroller in eine Welt, die nicht nur aus Ecken besteht.
Luchtenberg (1999: 188⫺191) verweist auf die „doppelte Ebene interkultureller Kom-
munikation“, die sich ergibt, wenn im Rahmen interkultureller Lernkonzepte eine diffe-
renzierte interkulturelle Unterrichtskommunikation über die interkulturellen Kommuni-
kationssituationen in literarischen Texten in Gang kommt. Da aber auch die Interkultu-
relle Kinder- und Jugendliteratur selbst nicht selten diskriminierende Textelemente
enthält, ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Texten bei der Auswahl und im
Unterricht unumgänglich. In ihrem Buch Bilderbücher zum interkulturellen Lernen (1997)
entwickelt Rösch (1997: 25⫺26) hierfür eine Kriterienliste:

1. Wie werden Angehörige ethnischer Minderheiten oder diskriminierter Gruppen cha-


rakterisiert ⫺ als Opfer, als Täter, als handelnde Subjekte, als Individuum oder als
Repräsentant der Gruppe?
2. Werden ethnische Gruppen monolithisch oder multiperspektivisch dargestellt? Stehen
sie für eine bestimmte Werthaltung, die positiv oder negativ besetzt wird (Die Fragen
gelten gleichermaßen für Minderheiten und Angehörige der Mehrheit oder dominan-
ter Gruppen!)
3. Enthält die Geschichte interethnische Begegnungssituationen? Wie sind diese gestal-
tet ⫺ konfliktreich, zukunftsweisend, dynamisch? Welche Konfliktlösungsstrategien
werden aufgezeigt? Von wem gehen sie aus? Haben sie nur eine individuelle oder auch
eine gesellschaftliche Dimension?
4. Wie wird Verschiedenheit konstruiert? Spielen dabei Stereotypien, Vorurteile, Ethni-
sierung oder Kulturalisierung eine Rolle? Zeigt die Handlung Ansätze für eine Dekon-
struktion von Klischees oder den genannten Phänomenen?
5. Werden interkulturell relevante Aspekte bearbeitet? Sind diese problembeladen wie
Rassismus, Eurozentrismus, Diskriminierung usw. oder sind sie positiv besetzt wie
Mehrsprachigkeit, Multiethnizität, Migration als Aufbruch usw. Auf welcher Ebene
werden sie behandelt ⫺ auf der inhaltlichen, sprachlichen oder ästhetischen?
6. Unterstützt die Geschichte Fremdverstehen ⫺ einseitiges oder gegenseitiges? Gibt die
Geschichte über den Problemaufriss hinaus Anregungen, mit dem eigenen Befremden
konstruktiv umzugehen? Vermittelt die Geschichte Einblicke in interkulturelle Lern-
prozesse?
7. Leistet die Geschichte einen altersentsprechenden Beitrag zur kulturellen Selbstrefle-
xion? Für welche Gruppen ⫺ Mehrheitsangehörige oder Minderheiten? Lässt sie sich
in multiethnischen Gruppen einsetzen oder eignet sie sich für das Arbeiten mit eth-
nisch homogenen Gruppen? (Rösch 1997: 25⫺26).

Ein entsprechend differenzierter und kritischer Diskurs über Interkulturelle Kinder- und
Jugendliteratur fördert die interkulturelle Wahrnehmungsfähigkeit und das interkultu-
relle Verständnis nachhaltig.
175. Kinder- und Jugendliteratur im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1581

5. Ausblick

Aufgrund ihrer spezifischen Einfachheit eignen sich zahlreiche Texte der Kinder- und
Jugendliteratur hervorragend für den Einsatz im DaF- und DaZ-Unterricht. Wenn die
jeweiligen Texte sorgfältig und dem Lernkontext entsprechend ausgewählt werden, kann
Kinder- und Jugendliteratur sowohl beim Sprachenlernen mit Kindern als auch im Un-
terricht mit erwachsenen Lernenden sinnvoll eingesetzt werden (vgl. Eder 2007: 293⫺
295). So ist etwa die Didaktisierung zu Hackls Erzählung Abschied von Sidonie (Jenkins
et al. 1998) nicht nur im Hinblick auf fortgeschrittene jugendliche Lernende, sondern
durchaus auch für die Arbeit mit Erwachsenen konzipiert. Mit Hilfe konkreter Arbeits-
aufträge trainieren die Lernenden hier wichtige Techniken für das Lesen und Verstehen
fremdsprachiger Literatur, wie etwa das Bilden von Hypothesen über den weiteren Ver-
lauf der Handlung oder das Erschließen einzelner Wörter und Sinneinheiten aus dem
Kontext. Im Laufe der Lektüre erfahren sie viel über das Leben im Nationalsozialismus.
Zugleich werden die Lernenden anhand der Erzählung über das tragische Schicksal des
Roma-Mädchens Sidonie dazu motiviert, sich mit Vorurteilen gegenüber Minderheiten
und deren Folgen in Vergangenheit und Gegenwart sowie mit verschiedenen möglichen
Verhaltensweisen von Menschen in Extremsituationen auseinanderzusetzen. Leider gibt
es bislang kaum derartige Unterrichtsmaterialien, die Kinder- und Jugendliteratur für
erwachsene Lernende aufarbeiten.
Das Potenzial kinderliterarischer Texte für den Fremdsprachenunterricht spricht ei-
nerseits für die Etablierung des Themas im aktuellen Fachdiskurs und andererseits für
eine breite Einführung entsprechender literaturdidaktischer Lehrveranstaltungen in der
Ausbildung von DaF- und DaZ-Lehrkräften und KindergartenpädagogInnen, die diese
zu einer zielgruppenorientierten Auswahl und Verwendung von Kinder- und Jugendlite-
ratur befähigen und sie mit geeigneten Unterrichtsmaterialien vertraut machen.

6. Literatur in Auswahl

Belke, Gerlind und Maria Lypp


1985 Kinderliteratur im Unterricht ,Deutsch als Zweitsprache‘. Informationen Jugendliteratur
und Medien 5: 82⫺96.
Eder, Ulrike
2007 Die Komplexität der Einfachheit. Kinder- und Jugendliteratur im DaF-Unterricht. Jahr-
buch Deutsch als Fremdsprache 33: 285⫺306.
Eder, Ulrike
2009 Mehrsprachige Kinder- und Jugendliteratur für mehrsprachige Lernkontexte. Wien: prae-
sens.
Ehlers, Swantje
1993 Christine Nöstlinger: Die Ilse ist weg. Vorschläge zur Lektüre eines Jugendbuchs im Unter-
richt Deutsch als Fremdsprache. (Literatur im Unterricht.) München/Berlin: Langen-
scheidt.
Ewers, Hans-Heino
2000 Was ist Kinder- und Jugendliteratur? Ein Beitrag zu ihrer Definition und zur Terminolo-
gie ihrer wissenschaftlichen Beschreibung. In: Günter Lange (Hg.), Taschenbuch der Kin-
der- und Jugendliteratur, 2⫺16. (2., korr. Aufl.) Baltmannsweiler: Schneider.
1582 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Fremdsprache Deutsch
1994 Themenheft: Literatur im Anfängerunterricht. Fremdsprache Deutsch 11.
Jenkins, Eva-Maria, Margit Doubek, Susanna Gratzl-Ploteny, Silvia Rief und Stefanie Villarmé
1998 Erich Hackl: Abschied von Sidonie. Erzählung. Didaktische Bearbeitung für den Unterricht
Deutsch als Fremdsprache mit fortgeschrittenen Jugendlichen und Erwachsenen. Text und
Arbeitsaufträge für die Lernenden ⫹ Informationen für Lehrerinnen und Lehrer. Wien:
eviva.
Kast, Bernd
1985 Jugendliteratur im kommunikativen Deutschunterricht. (Fremdsprachenunterricht in Theo-
rie und Praxis.) Berlin et al.: Langenscheidt.
Luchtenberg, Sigrid
1999 Interkulturelle kommunikative Kompetenz. Kommunikationsfelder in Schule und Gesell-
schaft. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Lypp, Maria
1984 Einfachheit als Kategorie der Kinderliteratur. (Jugendliteratur und Medien 9.) Frankfurt
a. M.: Lang.
Lypp, Maria
1994/1995 Zum Begriff des Einfachen in der Kinderliteratur. Ein Diskussionsbeitrag. Kinder-
und Jugendliteraturforschung 1: 43⫺45.
Lypp, Maria
2000 Vom Kasper zum König. Studien zur Kinderliteratur. (Kinder- und Jugendkultur, -literatur
und -medien 8.) Frankfurt a. M.: Lang.
O’Sullivan, Emer und Dietmar Rösler
2002 Fremdsprachenlernen und Kinder- und Jugendliteratur. Eine kritische Bestandsauf-
nahme. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 13(1): 63⫺111.
ÖDaF
2000 Themenheft: Kinder- und Jugendliteratur. ÖDaF-Mitteilungen 2.
Rösch, Heidi
1997 Bilderbücher zum interkulturellen Lernen. Baltmannsweiler: Schneider.
Rösch, Heidi
2000 Entschlüsselungsversuche. Kinder- und Jugendliteratur und ihre Didaktik im globalen Dis-
kurs. Baltmannsweiler: Schneider.
Rösler, Dietmar und Emer O’Sullivan
erscheint Kinder- und Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht. (Standardwissen Lehramt
2993). Stuttgart: UTB. (erscheint voraussichtlich 2011).
Ulitzka, Irene und Gerhard Gepp (Ill.)
1993 Das Land der Ecken. Wien: Picus.
Villarmé, Stefanie
2001 Renate Welsh: Das Vamperl. Didaktische Bearbeitung für den Unterricht Deutsch als
Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache. Primarstufe. Sekundarstufe I. Arbeitsblätter und
Hinweise für den Unterricht. Wien: eviva.

Ulrike Eder, Wien (Österreich)


176. Kreatives Schreiben und Schreibwerkstatt 1583

176. Kreatives Schreiben und Schreibwerkstatt


1. Einleitung
2. Kreatives Schreiben
3. Schreibwerkstätten
4. Kommunikativ-funktionale Textproduktion
5. Zusammenfassung
6. Literatur in Auswahl

1. Einleitung

Schreiben ist im Bereich der Fremd- und Zweitsprachendidaktik (L2) lange Zeit stiefmüt-
terlich behandelt worden. Oft als eine Art verkappter Rechtschreib- und Grammatikun-
terricht mehr gehasst als geliebt, hat die sogenannte vierte Fertigkeit sich aber seit den
1990er Jahren zu einer anerkannten Disziplin gemausert (Krumm 1989, vgl. auch Artikel
110). Großen Anteil an dieser Entwicklung haben die kognitive, kommunikative und
kreative Prozessdidaktik und die Unterrichts- und Sozialform der Schreibwerkstatt, die
sich als mehr oder weniger feste Bestandteile des Muttersprachenunterrichts eingebürgert
haben. Sie sind spätestens seit der Rezeption der L2-Produktionsmodelle von Börner
(1992) und Krings (1994) und den didaktischen Initiativen von Mummert (1989) und
Pommerin, Kupfer-Schreiner und Lamprecht (1996) auch im DaF-Unterricht und seit
dem Projekt von Stippinger (1996) auch im DaZ-Bereich angekommen.
Texte als komplexe Zeichen haben gemäß Bühlers (1978 [1934]) semiotischem Orga-
nonmodell neben der Darstellungs- und Appellfunktion eine Ausdrucksfunktion, ver-
standen als Symptom für den Sprecher/Schreiber, der u. a. Gefühle oder Meinungen
kundtut. Eine Funktion, die Jakobson (1960) in seinem Kommunikationsmodell als emo-
tive Funktion neben die referentielle, poetische, konative und phatische Funktion stellt.
Diese Ausdrucks- oder emotive Funktion steht im Mittelpunkt jener Varianten der Pro-
zessdidaktik und Schreibwerkstatt, die das freie und literarische Schreiben propagieren,
während kommunikativ-funktionales Schreiben die Darstellungs- und Appellfunktion im
Rahmen einer stärker pragmatischen, Textsorten-orientierten und sozial-interaktiven
Schreibdidaktik hervorhebt.

2. Kreatives Schreiben

2.1. Kreativität und Schreiben

Pope (2005), einer der führenden Erforscher der Geschichte, Theorie und Praxis des
Konzeptes Kreativität, liefert eine respektable Arbeitsdefinition, die auch für den Bereich
des L2-Lernens äußerst relevant ist. Für ihn ist Kreativität „(…) die Fähigkeit, etwas
Frisches zu machen, zu tun oder zu werden; etwas, das wertvoll für andere oder für uns
selbst ist [wobei es mehr als nur ein ,Selbst‘ per Person gibt]“ (Pope 2005: XVI). Pope
1584 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

wählt bewusst den Ausdruck „etwas Frisches“, um klarzustellen, dass es um mehr als
nur „etwas Neues“ geht, und weist mit den Verben „machen“, „tun“, „werden“ darauf
hin, dass Kreativität mittels eines Objekts (gemacht), einer Handlung (getan) oder eines
andauernden Prozesses (geworden) realisiert werden kann.
Kreatives Schreiben umfasst das freie Schreiben als Mittel der Selbsterfahrung und
Selbstdarstellung und das personale Schreiben, mit dem SchreiberInnen Individuelles,
Emotionales und zutiefst Eigenes erforschen und preisgeben. Kreativität ist aber auch
generell mit im Spiel, wenn LernerInnen eigene Texte ohne Vorlagen (aber nicht notwen-
digerweise ohne Schreibanstöße und Formvorgaben) verfassen und damit etwas „Fri-
sches“ hervorbringen, das wertvoll für sie selbst und andere ist.
Kreatives, im Sinne von „natürlichem Schreiben“ soll laut Rico (1983) beide Hirnhälf-
ten, besonders die oft vernachlässigte rechte Hirnhälfte zum Einsatz bringen. Rico baut
auf Erkenntnissen der Hirnforschung auf, die bis zum Ende der 1990er Jahre vom Hemi-
sphärenmodell (vgl. Rico 1983: 67) geprägt waren. In dem Modell werden den Hirnhälf-
ten unterschiedliche Funktionen zugeordnet: Die rechte Hälfte steht für ganzheitliches,
emotionales „Designdenken“ (bildliches Denken und Analogien), die linke für rationales
„Zeichendenken“ (lineares, begriffliches und logisches Denken). Obwohl die neuere
Hirnforschung gezeigt hat, dass dieses Modell stark revidiert werden muss, hat es großen
Einfluss auf die kreative Schreibbewegung gehabt, die wiederum nicht ohne Einfluss auf
die L1- und später die L2-Schreibdidaktik blieb. Unter der Aufnahme reformpädagogi-
scher Ansätze werden auch im Bereich der L2-Deutschdidaktik vor allem subjektorien-
tierte Texte (durchaus auch mit literarischen Ansprüchen an „Nachwuchspoeten“, vgl.
Mummert 1989) mit dem Ziel der eigenen Identitätssuche und -findung propagiert ⫺ frei
nach dem Motto „Lass Deinen inneren Schreiber los!“ (Rico 1983: 15).
Beim kreativen Schreiben soll mit Mitteln der freien Assoziation und der Ideenver-
knüpfung (Mind Mapping und Clustering), der Phantasiereise, aber auch des Schreibens
nach literarischen Modellen (von 1,2,3,4,1-Gedichten über Haikus zu Kurzgeschichten
oder Theaterstücken) „lustbetontes Schreiben“ (Schreiter 2002: 15) ermöglicht werden,
so dass der Spaß am Erlernen einer L2 nicht bei der Fertigkeit Schreiben verloren geht.

2.2. Kritik

Die didaktischen Ansprüche an das kreative Schreiben, wie es vor allem im anglo-ameri-
kanischen Raum in Werkstätten im schulischen und universitären Lern-/Lehrkontext
praktiziert wird, sind nicht ohne Kritik geblieben. So kritisiert Wandor (2008) in scharfen
Worten die Werkstattpraxis dafür, dass sie als kreatives Schreiben von zwei widersprüch-
lichen, unvereinbaren ideologischen Konzepten geprägt sei. Dies führe zu einer wider-
sprüchlichen Mischung von Extrempositionen: dem Double-bind von romantischer Muse
und professionellem Schreiber auf der einen Seite und der Überbetonung des psychothe-
rapeutischen Prozesses als Selbstsuche und -darstellung auf der anderen. Die Double-
bind-Situation erwecke bei den LernerInnen darüber hinaus den Eindruck, dass der Kern
des kreativen Schreibens eigentlich nicht gelehrt werden kann, aber gleichzeitig, dass sie
mit dem Ziel trainiert werden, professionelle SchreiberInnen zu werden (vgl. Wandor
2008: 218⫺219). Wahres kreatives Schreiben, für Wandor eine Form imaginativen Den-
kens (Wandor 2008: 7), müsse die komplexen Beziehungen zwischen den unterschiedli-
chen Quellen und Mitteln des imaginativen Denkens einerseits und dem Streben nach
176. Kreatives Schreiben und Schreibwerkstatt 1585

Wissen und Quellen in der Welt „out there“ andererseits berücksichtigen ⫺ einschließlich
stilistischer und Textsortenkonventionen. Im L2-Unterricht, wo nicht professionelle
SchreiberInnen oder LiteratInnen das exklusive Ziel der Lehr-/Lernprozesse sind oder
nicht nur das Ich der SchreiberInnen im Vordergrund steht, sondern es vor allem um die
Produktion schriftlicher Texte in einer anderen Sprache geht, lassen sich die Ziele Wan-
dors wahren kreativen Schreibens durchaus erreichen ⫺ sowohl beim kreativen als auch
beim kommunikativen Schreiben.

3. Schreibwerkstätten

3.1. Ziele von Schreibwerkstätten

Schreibwerkstätten verfolgen unterschiedliche Ziele:


⫺ konkrete LeserInnen informieren und zu bestimmten Einsichten, Gedanken, Meinun-
gen und Handlungen animieren,
⫺ Meinungen und Gedanken ausdrücken, die schwer auszudrücken sind,
⫺ seine kulturellen Wurzeln erforschen,
⫺ sich mit dem Fremden auseinandersetzen,
⫺ sich der eigenen „kreolisierten“ (Hannerz 1996) Identität als MigrantIn, Angehöriger
einer sogenannten sprachlichen oder ethnischen Minderheit bewusst werden,
⫺ sich seiner eigenen Schreibprozesse bewusst werden und diese verbessern,
⫺ Textsortenkonventionen kennenlernen, oder
⫺ eine andere Sprache lernen, erwerben und benutzen.

Für das Gelingen von (L2-)Schreibwerkstätten müssen eine Reihe von Voraussetzungen
erfüllt sein (vgl. Swarbrik 1994):
⫺ eine Atmosphäre, die zum gemeinsamen Austausch von Ideen ebenso ermuntert wie
zu Unabhängigkeit und gegenseitigem Respekt für kreative Ideen,
⫺ die Fähigkeit, in Arbeitsteilung und in Zusammenarbeit zu schreiben,
⫺ LehrerInnen, die nicht so sehr als RichterInnen, sondern mehr als BeraterInnen gese-
hen werden,
⫺ Bedarf und Grund für das Schreiben.

Das Hauptziel ist es, den Lernenden eine Stimme zu verleihen. Dabei stehen Textsorten-
konventionen und ihre Erforschung sowie feste Vorgaben für die Form der Texte nicht
im Widerspruch zur Kreativität. Ganz im Gegenteil: Sie machen diese oft erst möglich.
Wie selbst bei einfachen formellen Vorgaben Kreativität zum Ausdruck kommen kann,
zeigt folgendes 1,2,3,4,1-Gedicht einer dänischen Deutschstudentin. Die Studentin folgt
hier zunächst dem vorgegebenen Muster (1. Zeile: 1 Wort, 2. Zeile: 2 Wörter etc.;. letzte
Zeile: das gleiche Wort wie in der 1. Zeile), um eine Stimmung poetisch auszudrücken.
Sie spielt aber auch kreativ mit dem Muster durch die Erweiterung der Anzahl der Zeilen
und mit Hilfe von Zeilensprüngen sowie (ironischen?) literaturgeschichtlichen Anspielun-
gen.
1586 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Herbst
und Regen
Schönheit und Wehmut
Freude und Nieseln, Freude
und Tod, Freude und Leid;
Und Königreiche entstehen und Königreiche fallen
Ein Schritt auf dem Weg des Lebens
Und du bist konkret und du bist Poesie
Herbst

3.2. Prozessdidaktik

Wichtiger Baustein der Methodik der Schreibwerkstätten ist die Prozessdidaktik. Auf-
bauend auf kognitiven Problemlösungsmodellen liegt das Hauptgewicht dieser Didaktik
nicht auf dem Endprodukt, sondern auf dem Prozess der Textproduktion mit den Haupt-
komponenten Ideengenerierung, Planung, Umsetzung und Bearbeitung. Obwohl diese
Komponenten in den Modellen der SchreibforscherInnen nicht linear angeordnet sind,
werden sie in der Praxis oft weniger als rekursive Prozesse als aufeinander folgende
Phasen (miss-)verstanden. Es finden sich aber auch Werkstattmodelle, die die Rekursivi-
tät der Prozesse ernst nehmen und darüber hinaus für unterschiedliche Schreibertypen
oder -profile offen sind. In ihnen üben die SchreiberInnen Teilprozesse und Teilfertigkei-
ten einzeln und/oder integrieren sie in einem komplexen Projektverlauf (Pogner 1994).
In komplexen Unterrichtsprojekten mit arbeitsteiliger oder gemeinsamer Textproduktion
erhalten die SchreiberInnen die Möglichkeit, in didaktischen Schleifen und Reflexions-
phasen eigenen Sprachgebrauch und eigene Schreibprozesse zu beobachten ⫺ und zu
verbessern (Pogner 1991).
Die meisten schreibdidaktischen Werkstattmodelle gehen von dem Grundgedanken
aus, dass Probleme von LernerInnen beim Produzieren von Texten in einer fremden oder
sogenannten zweiten Sprache in erster Linie Schreibprobleme sind. Doch auch Probleme
mit der Sprache (Wortschatz, Rechtschreibung und Grammatik) werden in den Werk-
stätten aufgegriffen, wenn beim Feedback und in Revisions- oder Umschreibprozessen
neben Adäquatheit der Sprache auch Korrektheit thematisiert und eingeübt wird. Vor
allem Krings (1994) und Börner (1992) betonen im Übrigen die fremdsprachlichen Kom-
ponenten des L2-Schreibprozesses. Krings (1994) moduliert die L2-Komponente als eine
kognitive Schleife, bestehend aus Identifikation des L2-Prozesses, Aktivierung von L2-
Strategien, Bewerten der Problemlösung und der Entscheidung über die Lösung in L2.
Börner (1992) beschreibt die Selbststeuerung der SchreiberInnen anhand einer Anzahl
von Schreibmaximen und Schreibstrategien. Zu ihnen zählen
⫺ Linearitätsmaximen (z. B. „Überprüfe den laufenden/letzten/vorletzten Satz“ oder
„Revidiere zum Schluss“),
⫺ Textplanungsmaximen (z. B. „Berücksichtige deine Leser“ oder „Sei kohärent“),
⫺ Ausdrucksmaximen (z. B. „Suche den bestpassenden Ausdruck für das, was du
meinst“) ,
⫺ sprachbezogene Maximen (z. B. „Misstraue ,falschen Freunden‘“; „Schreib gramma-
tisch korrekt“; „Vermeide Wiederholungen“),
176. Kreatives Schreiben und Schreibwerkstatt 1587

⫺ Strategien (z. B. „Durchsuche Alternativen in der L2“; „Bilde L1-Alternativen, wenn


du in der L2 nicht weiterkommst“; „Suche einen besonders schönen Ausdruck“).
Diese L2-Komponenten bzw. Maximen und Strategien sollten neben Reflexionen über
Sprachkonventionen, Textsortenkonventionen (Cope und Kalantzis 1993; Freedman und
Medway 1994) sowie Erwartungen der jeweiligen Diskursgemeinschaft (vgl. Pogner 2007)
in die didaktischen Schleifen und Feedback-Auszeiten in Werkstätten eingebaut wer-
den ⫺ selbstverständlich im Verhältnis zu (d. h. ein wenig über) der aktuellen L2-Kompe-
tenz und der jeweiligen kognitiven Entwicklung der Lernenden.

4. Kommunikativ-unktionale Textproduktion
Seit der sogenannten pragmatischen Wende werden Texte vor allem als eine komplexe
sprachliche Handlung gesehen, mit der SchreiberInnen versuchen, eine kommunikative
Beziehung zu ihren RezipientInnen (LeserInnen) aufzubauen (Brinker 1988: 6). Schrei-
berInnen wenden sich an (potentielle) LeserInnen, weil sie bestimmte Intentionen verfol-
gen; sie schreiben, um etwas zu erreichen. Gute Texte sind geprägt vom Ausbalancieren
der reziproken Bedürfnisse der SchreiberInnen, etwas mitzuteilen, und der LeserInnen,
das Geschriebene zu verstehen, um etwas zu erfahren. Dieser dialogistische und sozial-
interaktive Ansatz, zusammengefasst in dem Satz „Schreiben begleitet nicht nur Handeln
(…), sondern ist selbst eine Form des Handelns“ (Pogner 1999: XII), betont die kommu-
nikative Funktion von Texten und die Wichtigkeit der Anpassung an die LeserInnen. Im
Vordergrund stehen deshalb die Intentionen der SchreiberInnen und die Adäquatheit des
kommunikativen Angebots, das der Text den LeserInnen macht. Auch beim kommunika-
tiven Schreiben müssen SchreiberInnen kreativ sein, d. h. Frisches jenseits von Repro-
duktion und Routine hervorbringen, und von ihnen bisher nicht hervorgebrachte sprach-
liche Lösungen produzieren, um ihre Ziele zu erreichen.
Man bekommt keine sprachlich bewussten SchreiberInnen ohne echte LeserInnen,
und es gibt keine leserfreundlichen Texte ohne interessierte LeserInnen. Deshalb sollten
kommunikative L2-Werkstätten im Sinne des entdeckenden Lernens so eingerichtet sein,
dass die LernerInnen für reale LeserInnen (inner- und außerhalb des Unterrichtsraumes)
und in Respons zu realen Schreibanlässen schreiben. Die LeserInnen sollten darüber
hinaus Teile des Feedbacks für die oben genannten didaktischen Schleifen und Reflexi-
onsphasen in individuellen und/oder kollektiven Textproduktionsprozessen der Ler-
nerInnen liefern. Die sogenannten neuen Medien und elektronischen Schreibumgebun-
gen (E-Mail, Wikis, Social Software) ermöglichen virtuelle Schreibwerkstätten, bei denen
die TeilnehmerInnen nicht unbedingt am gleichen Ort (zur gleichen Zeit) sein müssen,
um an kooperativer oder kollaborativer Textproduktion teilzunehmen (vgl. Platten 2008;
Würffel 2008).

5. Zusammenassung
Schreibwerkstätten ⫺ egal ob sie mit expressiver oder kommunikativ-funktioneller Text-
produktion arbeiten ⫺ verlangen von den SchreiberInnen Kreativität, d. h. die Sprache
in einer weniger gelenkten Art zu benutzen als in einer Lückentext-, Drill- oder anderen
1588 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Lehrbuchübung. Sie motivieren dazu, „(…) mit der Sprache zu experimentieren, um eine
Idee auszudrücken oder die gleichen Ausdrücke in verschiedenen Kontexten zu verwen-
den“ (Swarbrik 1994: 143). Darüber hinaus stellen sie einen Lehrraum dar, in dem
sprachliches Bewusstsein, Können und Wissen mit der Reflexion über und Verbesserung
von Schreibprozessen kombiniert werden können. Sprachliches Können schließt dabei
auch das Kennen und Beherrschen von Textsortenkonventionen ein, das bei fortgeschrit-
ten LernerInnen und fortgeschrittenem Spracherwerb mit dem Bewusstsein von Konven-
tionen und Erwartungen von bestimmten Diskursgemeinschaften (Pogner 2007) ergänzt
werden kann.

6. Literatur in Auswahl
Börner, Wolfgang
1992 Selbststeuerung durch Schreibmaximen im fremdsprachlichen Schreiben. In: Karl-Heinz
Pogner (Hg.), At skrive, schreiben, writing, 67⫺82. (OWPLC 1.) Odense: Odense Univer-
sity.
Brinker, Klaus
1988 Bedingungen der Textualität. Der Deutschunterricht 3: 6⫺18.
Bühler, Karl
1978 Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. [1. Aufl. 1934]. Frankfurt a. M.
etc.: Ullstein.
Cope, Bill and Mary Kalantzis
1993 The Power of Literacy: A Genre Approach to Teaching Writing. Pittsburgh, PA: University
of Pittsburgh Press.
Freedman, Aviva and Peter Medway (Hg.)
1994 Learning and Teaching Genre. Portsmouth, NH: Boynton/Cook.
Hannerz, Ulf
1996 Transnational Connections, Culture, People, Places. London: Routledge.
Jakobsen, Roman
1960 Closing statement: Linguistics and poetics. In: Thomas A. Seboek (Hg.), Style in Lan-
guage, 350⫺377. Cambridge, MA: MIT Press.
Krings, Hans P.
1994 What do we know about writing in L2? In: Karl-Heinz Pogner (Hg.), More about Writing,
83⫺115. (OWPLC 6.) Odense: Odense University.
Krumm, Hans-Jürgen
1989 Thema: Schreiben. Fremdsprache Deutsch 1: 5⫺8.
Mummert, Ingrid
1989 Nachwuchspoeten. Jugendliche schreiben literarische Texte im Fremdsprachenunterricht
Deutsch. München: Klett.
Platten, Eva
2008 Gemeinsames Schreiben im Wiki-Web. Aktivitäten in einer untutorierten Schreibwerk-
statt für fortgeschrittene Deutschlerner. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenun-
terricht 13(1). (Online).
Pogner, Karl-Heinz
1991 Raus aus der Alltagskiste! Schreibwerkstatt in Dänemark. Fremdsprache Deutsch 4:
80⫺81.
Pogner, Karl-Heinz
1994 Text-ing: Toward a didactics of (second language) writing. In: Karl-Heinz Pogner (Hg.),
More about Writing, 115⫺139 (OWPLC 6.) Odense: Odense University.
177. Drama- und Theaterpädagogik im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1589

Pogner, Karl-Heinz
1999 Schreiben im Beruf als Handeln im Fach. Tübingen: Narr.
Pogner, Karl-Heinz
2007 Text- und Wissensproduktion am Arbeitsplatz. Zeitschrift Schreiben [http://www.
zeitschrift-schreiben.eu/cgi-bin/joolma/index.php?option⫽com_content&task⫽view&
id⫽35&Itemid⫽33; Zugriff am 12. 10. 2009].
Pommerin, Gabriele; Claudia Kupfer-Schreiner und Stephanie Lamprecht
1996 Kreatives Schreiben. Handbuch für den deutschen und interkulturellen Sprachunterricht in
den Klassen 1⫺10. Weinheim/Basel: Beltz.
Pope, Rob
2005 Creativity: Theory, History, Practice. Abingdon: Routledge.
Rico, Gabriele Lusser
1983 Writing the Natural Way: Using Right-Brain Techniques to Release your Expressive Po-
wers. Los Angeles, CA: Tarcher.
Schreiter, Ina
2002 Schreibversuche. Kreatives Schreiben bei Lernern des Deutschen als Fremdsprache. Mün-
chen: iudicium.
Stippinger, Christa (Hg.)
1996 JEDER IST anderswo EIN FREMDER. Anthologie. Wien: Amerlinghaus.
Swarbrik, Ann
1994 A la recherche du stylo perdu. In: Ann Swarbrik (Hg.), Teaching Modern Languages, 16⫺
150. London/New York, NY: Routledge.
Wandor, Michelene
2008 The Author is Not Dead, Merely Somewhere Else: Creative Writing Reconceived. Basings-
toke/New York, NY: Palgrave Macmillan.
Würffel, Nicola
2008 Kooperatives Schreiben im Fremdsprachenunterricht. Zeitschrift für Interkulturellen
Fremdsprachenunterricht 13(1). (Online).

Karl-Heinz Pogner, Kopenhagen (Dänemark)

177. Drama- und Theaterpädagogik im Deutsch als


Fremd- und Zweitsprache-Unterricht
1. Einleitung
2. Historische Perspektive und gegenwärtiger Entwicklungsstand
3. Extracurriculare Inszenierungsformen
4. Intracurriculare Inszenierungsformen
5. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
In englischsprachigen Ländern wird zunehmend der Fach- und Sammelbegriff Applied
Drama bzw. auch synonym dazu Applied Theatre (Taylor 2003; Nicholson 2005) verwen-
det, um ein eigenständiges Forschungs- und Praxisfeld zu bezeichnen. Er bezieht sich
1590 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

auf Bereiche, in denen die dramatische Kunst bzw. Theaterkunst nicht rein ästhetischer
Selbstzweck ist, sondern Bezugspunkt und Inspirationsquelle für performative Aktivitä-
ten, mit denen in diversen Anwendungsbereichen, z. B. in der politischen Bildung oder
in (sozial-)pädagogischen Feldern, ganz bestimmte Ziele erreicht werden sollen. Im kon-
kreten Anwendungsbereich des fremd- und zweitsprachlichen Unterrichts geht es dabei
um sprach-, literatur- und kulturbezogene Ziele.
Im Bildungssystem Großbritanniens ist die Dramapädagogik (Drama in Education)
als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin fest verankert (zu disziplintypischen For-
schungskonzepten vgl. Ackroyd 2006). Ebenso ist Drama als eigenständiges Schulfach
seit etlichen Jahrzehnten etabliert, und eine Fachdebatte um Drama als Unterrichtsme-
thode wird dort schon seit langem geführt (vgl. Bolton 1979, 1984). Von dieser Debatte
ist die deutsche Fremd- und Zweitsprachendidaktik seit den 1990er Jahren beeinflusst
worden.
Der Begriff dramapädagogisch, in der Fachdiskussion erstmalig in der Zeitschrift Info
DaF (1988/4) verwendet, ist nach wie vor üblich zur Kennzeichnung eines DaF-/DaZ-
Unterrichts, in dem Mittel des Theaters eingesetzt werden, um allgemeinpädagogische
und bestimmte fachbezogene Ziele zu erreichen (vgl. z. B. den thematischen Schwerpunkt
„Dramapädagogik und fremdsprachlicher Deutschunterricht“ in Ausgabe 2004/1 der In-
ternet-Zeitschrift German as a Foreign Language (www.gfl-journal.com)). Seitdem aller-
dings immer mehr Bundesländer die Einführung des Schulfaches Darstellendes Spiel vo-
ran treiben, an den Hochschulen entsprechende Lehreraus- und -fortbildungsprogramme
etabliert werden und eine in ihrer Fachidentität gestärkte deutsche Theaterpädagogik
sich zunehmend für diverse Anwendungsfelder, einschließlich Fremd- und Zweitspra-
chenunterricht, öffnet, wird gelegentlich auch der Begriff „theaterpädagogisch“ in eng
verwandtem Sinne verwendet (verwiesen sei hier auf das Fachorgan Zeitschrift für Thea-
terpädagogik ⫺ Korrespondenzen; http://www.theaterpaedagogik.org).

2. Historische Perspektive und gegenwärtiger Entwicklungsstand


Wie sich der Bereich Drama/Theater in der Fremd- und Zweitsprachenlehre von 1850
bis heute entwickelt hat, wurde von Schewe (2007) detaillierter dargestellt. In diesem
Überblick bezieht er sich auf historische Vorläufer einer unterrichtlichen Inszenierung
von Fremdsprache, beleuchtet reformpädagogische Impulse aus den 1920er Jahren und
besonders das verstärkte fremdsprachendidaktische Interesse am Bereich Drama/Theater
seit Ende der 1970er Jahre.
Seit Anfang der 1990er Jahre ist im deutschsprachigen Raum eine intensivere wissen-
schaftliche Auseinandersetzung mit der Wechselbeziehung zwischen dem Bereich Drama/
Theater und dem Bereich Fremd-/Zweitsprachenunterricht zu beobachten (z. B. Schewe
1993; Schewe und Shaw 1993; Dufeu 2003; Mayrose-Parovsky 1997; Tselikas 1999;
Schlemminger, Brysch und Schewe 2000; Bräuer 2002; Even 2003; Huber 2003, Feld-
hendler 2007; Kessler 2008).
Die einander ergänzenden theoretischen Fundierungen eines drama- bzw. theaterpä-
dagogischen DaF-/DaZ-Unterrichts umfassen dabei Erkenntnisse aus der britischen Dra-
ma- und deutschen Theaterpädagogik, den Sprach-, Literatur-, Landeskundewissen-
schaften und -didaktiken sowie Forschungsperspektiven aus weiteren Bezugsfeldern,
etwa Lernpsychologie, Neuropsychologie, Sozial- und Individualpsychologie, Psycholin-
177. Drama- und Theaterpädagogik im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1591

guistik, Soziologie, Sozialpsychologie, Anthropologie, Intelligenz- und Kreativitätsfor-


schung.
Dass die Drama-/Theaterpädagogik inzwischen zu einer festen Bezugsdisziplin für die
Fremd- und Zweitsprachendidaktik avanciert ist, spiegelt sich beispielsweise in den The-
men von Magisterarbeiten und Promotionen, in universitären Lehrangeboten, regelmäßi-
gen (Intensiv-)Fortbildungen für DaF-/DaZ-Lehrer (z. B. im Rahmen von Sommerkur-
sen am Goethe-Institut Berlin) und einem allgemein zunehmenden Interesse, drama-/
theaterpädagogische Ansätze stärker in der Lehrerausbildung und Hochschuldidaktik zu
verankern (Wildt, Hentschel und Wildt 2008). Seit Ende der 1990er Jahre ist auf größe-
ren Konferenzen oftmals ein drama-/theaterpädagogischer Themenschwerpunkt vertre-
ten, oder es werden spezielle Fachtagungen ausgerichtet (z. B. Internationale Deutschleh-
rertagung 2007 in Graz, Österreich; 23. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremd-
sprachenforschung (DGFF) 2009 in Leipzig, Deutschland; 2. Kongress der International
Association of Performing Language (IAPL) in Victoria, Kanada 2009). Im Jahre 2007
wurde an der germanistischen Abteilung der Universität Cork Scenario gegründet, eine
bilingual (deutsch⫺englisch) ausgerichtete Fachzeitschrift für Drama- und Theaterpäda-
gogik in der Fremd- und Zweitsprachenvermittlung. Auf der Scenario-Homepage (http://
scenario.ucc.ie) findet sich eine umfangreiche, regelmäßig aktualisierte Forschungsbiblio-
graphie. Die skizzierten Entwicklungen unterstreichen, dass sich innerhalb der Fremd-
und Zweitsprachendidaktik nunmehr ein eigenständiger drama-/theaterpädagogischer
Fachschwerpunkt gebildet hat.
Inzwischen werden drama-/theaterpädagogische Arbeitsformen in allen Teilbereichen
des DaF-/DaZ-Unterrichts (Sprache, Literatur, Kultur) praktiziert, auf Primar-, Sekun-
dar- und Hochschulebene wie auch in der Erwachsenenbildung. Um die Bandbreite an-
zudeuten, seien in diesem Kontext neuere Beispiele erwähnt: Wardetzky und Weigels
(2008) preisgekröntes Projekt zur Sprachförderung von Migrantenkindern im Rahmen
des Unterrichts an einer Berliner Grundschule, Bertinos (2008) Bericht über ein ebenfalls
mit einem Preis ausgezeichnetes Erzähltheaterprojekt mit italienischen Sekundarschülern
und Retzlaffs (2008) innovativ-dramapädagogische Annäherung an Thomas Brussigs
Roman Am kürzeren Ende der Sonnenallee im Rahmen der Germanistik-Ausbildung an
einer kanadischen Universität.
Die genannten Unterrichtsprojekte verbindet, dass sie einen Literaturbezug haben.
Im Folgenden soll weiter beleuchtet werden, wie die Drama-/Theaterpädagogik speziell
im Bereich der Literaturvermittlung eine wichtige Rolle spielen kann. Dabei gilt es, zwi-
schen extracurricularen und intracurricularen Formen zu differenzieren.

3. Extracurriculare Inszenierungsormen
An vielen Schulen und Hochschulen ist es gängige Praxis, dass SchülerInnen und Studie-
rende sich außerhalb des regulären Unterrichtsprogramms freiwillig an einem Projekt
beteiligen, das sie in autonomer Regie oder unter Anleitung von Lehrpersonen und/oder
professionellen Theatermachern durchführen mit dem Ziel, vor einem kleinen, internen
oder auch breiteren öffentlichen Publikum ein Theaterstück aufzuführen. Diese ⫺ an
auslandsgermanistischen Abteilungen oft von LektorInnen geleitete ⫺ produktorientierte
Arbeit ist in der Regel sehr zeitaufwändig, kann sich über mehrere Wochen und Monate
erstrecken und erfordert daher hohe Motivation und großen Arbeitseinsatz auf Seiten
1592 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

der Beteiligten. In der Regel wird ein kanonisches deutsches Drama inszeniert. Erste
Versuche, allgemeine Kriterien für die Auswahl geeigneter Stücke zu bestimmen, finden
sich in dem vom DAAD (o.J.) Anfang der 1980er Jahre herausgegebenen Theaterhand-
buch. Es wäre an der Zeit, auf dieser Grundlage eine neue Kriterienliste zu erstellen, die
der gegenwärtigen Vielfalt gerecht wird. Denn inzwischen dienen vielerorts lyrische und/
oder epische Texte deutschsprachiger Autoren, aber durchaus auch von den Projektbetei-
ligten selbst verfasste Texte als Inszenierungsgrundlage. In enger Orientierung an der
Praxis des professionellen Gegenwartstheaters wird mit frischen Inszenierungsformen ex-
perimentiert. So erarbeitet zum Beispiel Zimmermann (2007) mit kanadischen Germanis-
tik-Studierenden eine literatur-, kultur- und musikwissenschaftlich sorgfältig recher-
chierte szenische Collage, die eine besondere Energie durch die bewusste Nutzung der
produktiven Spannung zwischen den Kunstformen Theater und Oper bezieht. In einem
von Fischäss (2008) geleiteten Projekt bilden Texte, die von den Studierenden selbst ver-
fasst wurden, das Grundmaterial für die Erarbeitung von Szenen, die sich in eine vorge-
gebene Handlungsstruktur einfügen. Die Konzeption des Stückes verfolgt das Ziel, neben
der Erweiterung theoretischer Kenntnisse in der Fremdsprache auch Lernfortschritte der
Kursteilnehmer im Sprachhandeln und in der szenischen Interpretation literarischer
Texte zu erzielen.
Dass die Beteiligten im Laufe der Probenarbeit und Aufführungen nebst nachhaltig
wirksamen Lernerfahrungen in Bezug auf Sprache, Literatur und Kultur auch für die
persönliche Entwicklung bedeutsame Selbsterfahrungen machen, ist bereits oft doku-
mentiert worden (z. B. Bourke 1993). Matthias (2008), die für den Zeitraum 1992⫺2006
auswertet, welchen Stellenwert Formen aufführungsbezogener Theaterarbeit an den
deutschen Abteilungen in den USA und Kanada hatten, hält es für angemessen, solche
Projekte aufgrund ihres enormen Potentials aus dem extracurricularen Schatten heraus
zu holen und stärker in das Curriculum einzubinden.

4. Intracurriculare Inszenierungsormen
Literaturvermittlung ist in vielen DaF-/DaZ-Kontexten integraler Teil des regulären Un-
terrichts bzw. Studienprogramms. Je nach Kontext gibt es dafür entsprechende Begrün-
dungen, ebenso für die Wahl bestimmter Arbeitsformen (vgl. z. B. Tütgen 2006). Ähnlich
wie im muttersprachlichen Deutschunterricht (vgl. z. B. Scheller 2004) lässt sich beobach-
ten, dass handlungs- und produktionsorientierte Arbeitsformen auch im fremdsprachli-
chen Unterricht nunmehr weit verbreitet sind. Ausgehend von der These, dass heutige
Studierende, deren Sozialisation stark von den neuen (Internet-)Medien geprägt wurde,
anders wahrnehmen als frühere Generationen, plädiert z. B. Schewe (2003) für hand-
lungsorientierte Formen des Umgangs mit Literatur, die sich eng an Formen ästhetischer
Praxis orientieren (in diesem Kontext sei speziell auf das Konzept von Huber 2003 ver-
wiesen). Inspirationsquelle ist dabei insbesondere die Theaterkunst, durchaus aber im
Zusammenspiel mit anderen ästhetischen Feldern (Musik, Bildende Kunst, Tanz).
So wird zum Beispiel in Schewe und Wilms’ (1995) dramapädagogischer Bearbeitung
von Alfred Anderschs Roman Sansibar oder der letzte Grund Ernst Barlachs Skulptur
„Der Lesende Klosterschüler“, der als Bindeglied der spannenden Romanhandlung fun-
giert, zu einem Ausgangs- und Bezugspunkt im Unterricht, in dessen Verlauf Schüler
bzw. Studierende z. B. Romanfiguren in Farbe und Form übersetzen und zueinander
177. Drama- und Theaterpädagogik im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1593

positionieren, Schlüsselszenen in Standbilder verwandeln, Körperhaltungen von Roman-


figuren nachstellen und Masken basteln, um diese in einer szenischen Improvisation ein-
zusetzen. In direktem Bezug auf diese Bearbeitung stellen Brisson (2007) und Even (2008)
im Rahmen ihrer Erweiterungsvorschläge zusätzliche Arbeitsformen vor, wobei Brisson
auch filmische Mittel einbezieht und Even nochmals das Potential dramapädagogischer
Basistechniken wie Einfühlung, Doppeln, Standbild, Teacher in Role und Hot-Seating an
konkreten Beispielen demonstriert (in Bezug auf solch unterrichtliches Handwerk von
Dramapädagogen s. auch Neelands und Goode 2000).
Die genannten Bearbeitungen von Anderschs Roman muss man sich als längere Un-
terrichtseinheiten vorstellen, die den jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen an-
zupassen sind. Eine solch intensive Arbeit an deutschsprachiger Literatur bzw. die noch
zeitaufwändigere semesterlange literaturbezogene Projektarbeit (vgl. Schewe und Scott
2003) ist eher die Ausnahme als die Regel.
Allerdings ist der Einsatz von drama-/theaterbezogenen Arbeitsformen grundsätzlich
in allen Lehr-/Lern-Kontexten möglich in dem Sinne, dass einzelne Stunden bzw. kurze
Phasen einer DaF-/DaZ-Stunde dramapädagogisch gestaltet werden. Dies kann abschlie-
ßend lediglich angedeutet werden: Als Einstieg in ein Reim-Gedicht könnte beispielsweise
eine 10-minütige Bewegungsübung eingesetzt werden, um zunächst den Fokus auf rhyth-
misches Sprechen zu richten und dabei gleichzeitig die Aussprache zu üben (zur Arbeit
an Gedichten vgl. Tselikas 1999: 121⫺130), bei der Arbeit an einem dramatischen Text
könnten die Lerner etwa ⫺ zur Vorbereitung auf eine szenische Improvisation ⫺ Rollen-
biographien verfassen, um sich eine genauere Vorstellung von den Figuren zu machen
und dabei das Schreiben in der Fremdsprache zu üben.
Die Drama-/Theaterpädagogik hat inzwischen viele Anstöße dafür gegeben, wie ein
literaturorientierter DaF-/DaZ-Unterricht motivationsfördernd und zielgruppengerecht
gestaltet werden kann. In etlichen der genannten Publikationen finden sich entspre-
chende Konzeptualisierungen und konkrete Vorschläge, die allerdings in den kommen-
den Jahren weiterer Systematisierung bedürfen.

5. Literatur in Auswahl
Ackroyd, Judith
2006 Research Methodologies for Drama Education. Stoke on Trent: Trentham Books.
Bertino, Marina
2008 Niklas der Fisch. Bericht über ein Erzähltheaterprojekt mit italienischen Sekundarschü-
lern. Scenario 1(2). (Online; http://scenario.ucc.ie).
Bolton, Gavin
1979 Towards Drama as a Theory of Drama in Education. Harlow: Longman.
Bolton, Gavin
1984 Drama as Education. An Argument for Placing Drama at the Centre of the Curriculum.
Harlow: Longman.
Bourke, Eoin
1993 Work at the coalface: An empirical approach to foreign language theatre for students.
In: Manfred Schewe und Peter Shaw (Hg.), Towards Drama as a Method in the Foreign
Language Classroom, 227⫺248. Frankfurt a. M.: Lang.
Bräuer, Gerd (Hg.)
2002 Body and Language. Intercultural Learning Through Drama. Advances in Foreign and
Second Language Pedagogy Series, Volume 3. Westport, Conn.: Ablex Publishing.
1594 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Brisson, Ulrike
2007 Sansibar oder der wirkliche Grund: Drama in a College German Language Class. Scena-
rio 1(1). (Online; http://scenario.ucc.ie).
DAAD (Hg.)
(o. J.) Theaterhandbuch. Ein Leitfaden für Lektoren. Bonn: DAAD.
Dufeu, Bernard
2003 Wege zu einer Pädagogik des Seins. Mainz: Editions Psychodramaturgie.
Even, Susanne
2003 Drama Grammatik. Dramapädagogische Ansätze für den Grammatikunterricht Deutsch als
Fremdsprache. München: iudicium.
Even, Susanne
2008 Moving in(to) imaginary worlds: Drama pedagogy for foreign language teaching and
learning. Unterrichtspraxis 41(2): 161⫺170.
Feldhendler, Daniel
2007 Playback theatre: A method for intercultural dialogue. Scenario 1(2). (Online; http://
scenario.ucc.ie).
Fischäss, Frank
2008 O.S.K.A.R. ⫺ Fremdsprachentheater spielt Zeitumwandlung. Scenario 2(1). (Online;
http://scenario.ucc.ie).
Huber, Ruth
2003 Im Haus der Sprache wohnen. Wahrnehmung und Theater im Fremdsprachenunterricht.
Tübingen: Niemeyer.
Kessler, Benedikt
2008 Interkulturelle Dramapädagogik. Dramatische Arbeit als Vehikel des interkulturellen Ler-
nens im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a. M.: Lang.
Matthias, Bettina
2008 German theater at Northern American colleges and universities: A survey. Scenario 2(2).
(Online; http://scenario.ucc.ie).
Mayrose-Parovsky, Angelika
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Manfred Schewe, Cork (Irland)


1596 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

178. Kunst und Musik im Deutsch als Fremd- und


Zweitsprache-Unterricht
1. Begriffsbestimmung
2. Wahrnehmung, Verarbeitung, Funktionen
3. Präsenz und Nutzung in Lehrwerken
4. Kunst und Musik im Kontext inhaltsorientierten, intermedialen und interkulturellen Lernens
5. Literatur in Auswahl

1. Begrisbestimmung
Die Begriffe Kunst und Musik erweisen sich einerseits als sehr komplex, andererseits als
ungenau. Im allgemeinen wird Kunst als Sammelbegriff für bildende (Malerei, Graphik,
Collage, Photographie, Plastik, Objektkunst), bauende (Architektur) und angewandte
(Kunsthandwerk, Design) Künste gebraucht, weiter gefasste Definitionen schließen dar-
stellende Künste (Theater, Tanz, Film), Kombinationen aus den genannten Bereichen
(Aktionskunst) und Musik ein. Die Grenzen zur Literatur sind durchlässig. Im Kontext
des Fremdsprachenunterrichts wird Kunst aus Gründen der Reproduzier- und Handhab-
barkeit meist auf „Bildkunst“ und letztlich auf Bilder reduziert. Damit sind im Unter-
schied zu logischen und analogen Bildern in der Regel Abbildungen, konkret die Bildsor-
ten Photographie, Zeichnung, Gemälde und Collage, gemeint und zwar unabhängig vom
Bildträger (Original vs. Reproduktion: Kopie, website, Diapositiv, Folie, Prospekt, Ka-
lender, Ansichtskarte, Plakat, Briefmarke, Buch usw.), von Form, Entstehungszeit, Au-
tor, Inhalt oder künstlerischem Gehalt. Mit Musik werden gestaltete akustische Impulse
bezeichnet, der Begriff umfasst Instrumental- wie Vokalmusik unterschiedlicher Funk-
tion sowie Klänge und Rhythmen. Die Grenzen zu den darstellenden Künsten (Bühnen-
musik, Tanzmusik, Filmmusik) sowie zur Literatur (Vokalmusik) sind durchlässig. Im
Fremdsprachenunterricht werden unter Musik im Allgemeinen Lieder im weitesten Sinne
sowie kurze Instrumental- oder Rhythmussequenzen verstanden. Neben „Bild-, Musik-
und Geräuschmedien“ werden auch „Verbundmedien“ (Bilder bzw. Töne/Klänge mit
Textpassagen, illustrierte bzw. vertonte Texte) unterschieden, letztere enthalten einen
deutlichen Sprachzusatz (z. B. Textillustration, beschriftete Karikatur, Comic, Sprechge-
sang, Film usw.). Das Kunstkriterium wird bei beiden Medien großzügig gehandhabt,
nach allgemeinem Konsens gelten Authentizität, Gestaltetheit, Bedeutungstiefe (Bedeu-
tungsvielfalt) und Mehrdeutigkeit (subjektive Deutbarkeit, Offenheit, Problemhaftigkeit)
neben einer gewissen Repräsentativität als entscheidende Merkmale, ebenso ein Mehr-
wert gegenüber der Realität, der Fragen und Reflexion initiieren kann (Hellwig 2000).
In der Praxis werden die in fremdsprachendidaktischen Materialien enthaltenen (gestalte-
ten) Photographien, Karikaturen und Bildgeschichten mit unter Kunst subsumiert.

2. Wahrnehmung, Verarbeitung, Funktionen


Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie Teilgebiete der Kunst- und Musik-
wissenschaften bieten eine Fülle von Versuchen, die bei der Wahrnehmung und Verarbei-
178. Kunst und Musik im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1597

tung von Bildern und Tönen ablaufenden Prozesse zu systematisieren und daraus ein-
zelne Verwendungsfunktionen abzuleiten. Nach dem in der Fremdsprachendidaktik am
häufigsten zitierten Modell des Bildverstehens (Weidenmann 1994) werden in einer Vor-
phase kontextabhängige Konzepte und Schemata aktiviert, die durch Instruktionen und
Erwartungshaltungen moduliert werden können. Der dann einsetzende Wahrnehmungs-
prozess ist durch automatische Normalisierungsversuche der Bildbotschaft geprägt (Initi-
alphase, präattentative Phase). Ist der Normalisierungsbedarf gedeckt, nimmt die Auf-
merksamkeit rapide ab. Nur die Zufuhr neuer Informationen kann den Kontakt mit
einem Bild weiter rechtfertigen. Die Wahrnehmung erfolgt bis dahin weitgehend unbe-
wusst und sprachunabhängig, ihr Ziel ist „natürliches Bildverstehen“, eine Gesamtwahr-
nehmung, die sich auf verinnerlichte Wissensstrukturen stützt („ökologischer“ Verste-
hensmodus „erster Ordnung“). Auf einer höheren Stufe wird die Wahrnehmung durch
Interessen, Vorwissen, Sehaufgaben und hervorgehobene Details gesteuert, es kommt
zu einem fakultativen „indikatorischen“ Bildverstehen „zweiter Ordnung“ (attentative,
elaborative Phase). Die Wahrnehmung wird systematischer und entwickelt sich entlang
der Bedeutung des Dargestellten und seiner Anordnung, der mentale Verarbeitungsauf-
wand wächst, es wird zusätzliches Wissen aktiviert. Diese Verstehensstufe ist erlernbar.
Sie impliziert ein Hinausgehen über inhaltliche und eine Einbeziehung formaler Gestal-
tungsmerkmale (ikonischer Code). Verbalisierung gilt auf dieser Stufe als eine der wich-
tigsten Bildverarbeitungsstrategien. Sie kann unterschiedliche Formen annehmen und ist
aufgabenabhängig (z. B. Benennen, Beschreiben, Interpretieren). Ein sprachlicher Kon-
text (z. B. Titel, Aufgabenstellung, Begleittext) kann die Bildwahrnehmung entscheidend
steuern. Eine Ergänzung hierzu bildet das Modell interkulturellen Bildverstehens (Sturm
1990). Semantisches Verstehen läuft über eine rasche Normalisierung und oberflächliche
Interpretation der als bekannt wahrgenommenen Objekte und ihrer Merkmale ab. Die
Erkenntnis (und Reflexion) eines Widerspruches zwischen „Augenschein“ und verschlos-
senem Sinn kennzeichnet das hermetische Bildverstehen. Entsprechende Zusatzinforma-
tionen bzw. Instruktionen können in hermeneutisches Bildverstehen überleiten, das
durch weiterführende Such- und Frageaktivitäten gekennzeichnet ist. Als entscheidende
Funktionen und Leistungen von Bildern verdienen Visualisierung, Informationsüber-
mittlung, Hilfe zur Organisation und Intensivierung von Lernprozessen und enrichment
(Einstimmung, Motivation, Belohnung, Dekoration) im Kontext der Fremdsprachendi-
daktik als besonders relevant hervorgehoben zu werden. Für die Phase des sprachgebun-
denen (indikatorischen/attentativen/elaborativen) Bildverstehens kann in Aktivierungs-
funktion, Konstruktions- und Instruktionsfunktion sowie Anwendungs- und Kontroll-
funktion differenziert werden (z. B. Biechele 1998; Doelker 1998). Seit Beginn der 1990er
Jahre wird im Rahmen der (für die anglistische Fachdidaktik entwickelten) prozessorien-
tierten Mediendidaktik die Hauptleistung künstlerischer Medien in der Initiierung
sprachproduzierender Prozesse gesehen, gekoppelt an einen auf der Grundlage neuher-
meneutischer Erkenntnisse entwickelten Bildungsbegriff (z. B. Gienow und Hellwig 1993;
Blell und Hellwig 1996; Küster 2003). Die Rolle von Kunst (und Musik) wird dabei vor
allem als Auslöser von in einzelne Prozesse aufgefächerten, persönlich bedeutungsvollen
fremdsprachlichen Schreibvorgängen gesehen, die relevante Bildungsanlässe in den
Fremdsprachenunterricht hineintragen können, im Mittelpunkt stehen damit sprachevo-
zierende, orientierende sowie persönlichkeitsbildende Funktionen. Daneben spielte im-
mer schon die Entdeckung der deutschsprachigen Kultur(en) eine Rolle (z. B. Charpen-
tier, Cros, Dupont und Marcou 1995).
1598 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

Die Wahrnehmung von Musik ist vor allem durch die Temporärität des akustischen
Reizes determiniert. Grundlegende Merkmale des Wahrnehmungsverhaltens gelten auch
hier: In einer Phase der Präperzeption werden Erwartungen, Wissen und Erfahrungen
aktiviert, während des Perzeptionsvorgangs wird das Gehörte schrittweise, oft unbe-
wusst, kategorisiert und kann in einer Postperzeption über (nachträgliche) Assoziatio-
nen, musikbezogene Beobachtungen (z. B. zu Instrumenten, Gattung, Form) und Wer-
tungsversuche (Geschmacksurteil, ästhetisches Urteil, Sachurteil) vertieft und transferiert
werden. Fehlende Erwartungen und Erfahrungen können den Perzeptionsvorgang ex-
trem verkürzen bzw. abbrechen, es sei denn, es kommt zu dominanten außermusikali-
schen Assoziationen („Abdriften“). Höraufgaben können die Wahrnehmung ebenso wie
begleitende Aktivitäten (z. B. Malen, Bewegen) lenken und intensivieren, dosierter Infor-
mationsinput und mehrmaliger Kontakt wirken sich ebenso wie die strukturelle oder
thematische Gruppierung von Höreindrücken positiv auf die Wahrnehmungsleistung aus
(z. B. Kleinen 1994). Musik kann im Fremdsprachenunterricht eine simulative (akusti-
sche Präsentation fremder Kultur) und dekorative (illustrative) Funktion erfüllen. Beson-
ders häufig sind daneben persönlichkeitsbildende (Wecken von Vorstellungskraft und
Kreativität), sozialpsychologische (Aufbau und Intensivierung von Kontakt-, Erlebnis-
und Empathiefähigkeit) und lernpsychologische Funktion. Letztere kann in eine phy-
siologische („Ohrenöffner“), psychohygienische (Entspannung/Aktivierung), suggestiv-
kognitionsfördernde (Optimierung von Wissensaufnahme und -verankerung), emotiv-
motivatorische (Auslösen von lern- und erkenntnisfördernden Emotionen) und assozia-
tionsauslösende Funktion (Vorbereitung und Intensivierung sprachlicher Kreativität)
differenziert werden (z. B. Quast 2005).

3. Präsenz und Nutzung in Lehrwerken


Kunst und Musik scheinen in Lehrwerken und Lehrmaterialien für DaF/DaZ in der
Dichotomie Lernvehikel vs. Lerninhalt / methodisches vs. didaktisches Potenzial befan-
gen. In den 1970er und 1980er Jahren hielten authentische Bilder als themenbezogene
Sprechanlässe („situative Ikones“) in die Lehrwerke Einzug (Photographien, Werbean-
zeigen, Karikaturen). Kunstbilder spielen in der DaF-Didaktik seit Ende der 1980er
Jahre eine verstärkte Rolle, bis heute mit dem dominierenden Ziel, einerseits Phantasie
und Kreativität in mündliche und schriftliche Sprachproduktion zu bringen, andererseits
landeskundliche Informationen (mit dem Fokus auf Architektur und Malerei) zu vermit-
teln. Die visuellen Schwerpunkte liegen in Deutschland (Architektur) sowie in den ersten
Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts (Malerei des Jugendstil und Expressionismus). Auf
Architekturabbildungen bezogene Aufgabenstellungen bewegen sich meist im lexikali-
schen und kommunikativen Umfeld von „Reisen/Orientierung in der Stadt“, „Wohnen“,
häufig sind daneben Einzelgebäude in symbolischer Funktion (Brandenburger Tor, Ste-
phansdom). Malerei und Graphik treten vermehrt im Kontext „Lesen/Literatur/Mär-
chen“, „Gesundheit/Körper“, „Kleidung/Farben“ auf, die Aufgabenstellungen sind meist
lexikbezogen, auf ein komplexes Fertigkeitentraining oder auf die Erarbeitung landes-
kundlicher Informationen ausgerichtet („Berühmte Künstler und ihre Werke“). Musik
existiert in DaF-Lehrwerken überwiegend als „musikalisch verpackter Text“. Seit den
1970er Jahren ist eine Erweiterung des (Lied-)Repertoires um Rock und Pop deutlich,
klassische Musik bleibt nach wie vor selten und ist auf wenige Werke und Personen
178. Kunst und Musik im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1599

beschränkt (Dominanz Wiener Klassik). Bei Komponisten und Interpreten überwiegt


die landeskundliche Repräsentations- und Symbolfunktion, bei Liedern das inhaltliche
Potenzial (z. B. „Freizeit/Feste“, „Jugend/Beziehungen“). Die Aufgaben beziehen sich
meist auf rezeptive Fertigkeiten (Hörverstehen) oder (themenbezogene) Kommunikation,
präsent sind daneben Wortschatz- und Ausspracheübungen sowie (seltener) landeskund-
liche Information. Das eigentliche Hören von Musik wird, ebenso wie das Sehen von
Bildern, selten gefordert oder thematisiert (Badstübner-Kizik 2006). Auf Kunst und Mu-
sik bezogene handlungsorientierte Arbeitsformen (kreatives Arbeiten, Projekte) finden
am Rande des institutionalisierten Fremdsprachenunterrichts sowie im bilingualen Un-
terricht ihren festen Platz (z. B. Wicke 2000).
Seit Beginn der 1990er Jahre kann man insgesamt eine zunehmende Lehrwerkpräsenz
von Kunst und Musik beobachten, sei es in Form von Lernplateaus oder Zusatzkapiteln
(Galerieseiten, Länderseiten), Leitfiguren und -themen oder einer zunehmenden Anzahl
an einschlägigen Illustrationen. Auf künstlerische Medien wird immer dann zurückgegrif-
fen, wenn sie einen kreativen, lernerorientierten und ganzheitlich ausgerichteten Fremd-
sprachenunterricht versprechen (methodisches Potenzial). Diesbezüglich interessante und
originelle Unterrichtskonzepte, meist sprach- und kulturübergreifend gültig, sind in der
Fachliteratur zahlreich zu finden. Geht es um Kunst und Musik als kulturspezifischen
Lerninhalt (didaktisches Potenzial), so erscheint die tatsächliche Rezeption und Refle-
xion durch Fragen, Interpretationen und Hilfen in der Regel so stark gelenkt, dass ein
nachhaltiger individueller Zugang zum Kunstwerk und seinem historisch-kulturellen
Kontext nur selten wirklich möglich ist.
Gegenwärtig lassen sich vier Hauptrichtungen für die Nutzung von Kunst und Musik
im Kontext DaF/DaZ erkennen: (1) Kunst und Musik erscheinen als originelle Impulse
zu einer überschaubar bleibenden Sprachrezeption und -produktion, vor allem im Be-
reich Wortschatzarbeit, mündliche und schriftliche Textproduktion sowie Hör- (und Le-
se-)Verstehen. Beiden Medien wird die Fähigkeit zuerkannt, einzelne Wahrnehmungs-,
Er- und Verarbeitungs- sowie Interpretations- und Wertungsprozesse für Lernende be-
wusst, nachvollziehbar und damit transferierbar zu machen sowie Entwicklungs- und
Bildungsanstöße zu geben (prozessorientierte Mediendidaktik). Musik wird daneben re-
produktiv genutzt (Singen). (2) Kunst und Musik vermitteln über Namen, Begriffe, Da-
ten, Orte sowie konkrete Kunstwerke landeskundliche Informationen sowie den Anstoß
zur Entdeckung der eigenen und fremden Kultur („Fensterfunktion“). Darüber hinaus
können sie eine orientierende Funktion übernehmen, indem sie Themen, Phänomene und
Wahrnehmungsvorgänge als Gegenstände der Reflexion etablieren. (3) Kunst und Musik
können handlungsorientiertes Lernen induzieren sowie (4) den fremdsprachlichen Lern-
prozess insgesamt anregen und intensivieren. Mit Ausnahme von (2) müssen die konkre-
ten künstlerischen Impulse nicht unbedingt kulturspezifisch gewählt werden (z. B.
S. Dali, B. Smetana im DaF-Unterricht).

4. Kunst und Musik im Kontext inhaltsorientierten, intermedialen


und interkulturellen Lernens
Um Kunst und Musik im Fremdsprachenunterricht auch inhaltlich verbindlich zu etab-
lieren und sie von dem Etikett einer „Bonbon- oder Feiertagsdidaktik“ zu befreien, müs-
sen kulturspezifischer und interkultureller Gehalt stärker berücksichtigt werden. Als au-
1600 XVIII. Die Rolle der Literatur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

thentische, vielschichtige, (potenziell) subjektiv relevante, in einem nationalen, histori-


schen oder sozialen Kontext situierte Objekte, die Reflexion, Interpretation und
Stellungnahme fordern, können sie (neben literarischen Texten) interkulturelles Lernens
in idealer Weise konkretisieren und exemplarische Zugänge zur eigenen und fremden
Kultur bieten. Zukunftsträchtige Impulse in diesem Sinne liegen in der Fremdsprachendi-
daktik selbst (Interkulturalitätsdebatte, Didaktik des Fremdverstehens, hermeneutischer
Ansatz, Literaturdidaktik, Bilingualer Sachunterricht), in der Kunst- (ikonografisch-iko-
nologische Methoden der Kontextbildung) und Musikpädagogik (Lebensweltdebatte,
Rezeptionsästhetik, Hörkonzepte, Hörertypologie), Ästhetischen Bildung (Polyaisthesis-
Konzeption, intermedialer Ansatz), Muttersprachendidaktik (Schreib- und Lesedidak-
tik), Geschichtsdidaktik (Kontextbildung) und Museumspädagogik (Handlungs- und
Produktorientierung: z. B. Marx 2008). Durch die Fokussierung auf den Prozess einer
(verlangsamten) Wahrnehmung und Urteilsbildung sowie einer auf Reflexions- und Fra-
gehaltung beruhenden Kontextbildung können wichtige Strategien und Methoden inter-
kulturellen Lernens vermittelt werden (z. B. Badstübner-Kizik 2007). Werden sie an kul-
turspezifische Inhalte gekoppelt, so wird interkulturelles Lernen direkt erlebbar. Neben
Alter, Interessen und persönlichen Erfahrungshintergrund (individuelles Reizpotenzial)
sollte die Intensität des Kontaktes zwischen eigener und fremder Kultur, wie sie sich im
jeweiligen konkreten Kunstwerk oder Musikstück spiegelt (z. B. Person des Künstlers,
Thema, Rezeption), als entscheidendes Auswahlkriterium treten (kulturspezifisches Reiz-
potenzial). Das würde eine Differenzierung in DaF und DaZ notwendig machen (Krite-
rium der Präsenz und Verfügbarkeit) sowie einen global gültigen Kanon an Kunstwerken
für DaF/DaZ und den Fremdsprachenunterricht generell ausschließen (vgl. zum Konzept
der Kontaktdidaktik, Badstübner-Kizik 2006). Vielversprechend dürfte sich in den
nächsten Jahren die Einbeziehung von Plastik, Architektur, Gebrauchskunst, Film und
Tanz in die Fremdsprachendidaktik gestalten. DaF/DaZ muss hier engen Anschluss an
Bezugswissenschaften und Nachbardisziplinen halten.

5. Literatur in Auswahl
Badstübner-Kizik, Camilla
2006 Fremde Sprachen ⫺ fremde Künste? Bild- und Musikkunst im interkulturellen Fremdspra-
chenunterricht. Das Fallbeispiel Deutsch als Fremdsprache in Polen. Gdańsk: Wydaw-
nictwo Uniwersyteckie.
Badstübner-Kizik, Camilla
2007 Bild- und Musikkunst im Fremdsprachenunterricht. Zwischenbilanz und Handreichungen
für die Praxis. Frankfurt a. M.: Lang.
Biechele, Barbara
1998 Wahrnehmen, Verstehen, Lernen ⫺ Implikationen für einen Paradigmenwechsel beim
Arbeiten mit Bildmedien. ÖDaF Mitteilungen 1: 18⫺27.
Blell, Gabriele und Karlheinz Hellwig (Hg.)
1996 Bildende Kunst und Musik im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a. M.: Lang.
Doelker, Christian
1998 Bilder lesen. Bildpädagogik und Multimedia. Donauwörth: Auer.
Charpentier, Marc, Rotraud Cros, Ute Dupont und Carmen Marcou
1995 Ihr glücklichen Augen ⫺ Zum Einsatz von Kunstbildern im Fremdsprachenunterricht.
In: Friedrich W. Block und Hermann Funk (Hg.), Kunst Sprache Vermittlung. Zum Zu-
178. Kunst und Musik im Deutsch als Fremd- und Zweitsprache-Unterricht 1601

sammenhang von Kunst und Sprache in Vermittlungsprozessen, 247⫺263. (Standpunkte zur


Sprach- und Kulturvermittlung 3). München: Goethe-Institut.
Gienow, Wilfried und Karlheinz Hellwig (Hg.)
1993 Prozessorientierte Mediendidaktik im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a. M.: Lang.
Hellwig, Karlheinz
2000 Bildkunst ⫺ auch interkulturell? Fremdsprachenunterricht 5: 329⫺336.
Kleinen, Günter
1994 Die psychologische Wirkung der Musik. Wahrnehmung und Deutung im Alltag, Kassel:
Bosse.
Küster, Lutz
2003 Plurale Bildung im Fremdsprachenunterricht. Interkulturelle und ästhetisch-kulturelle As-
pekte von Bildung an Beispielen romanistischer Fachdidaktik. Frankfurt a. M.: Lang.
Marx, Carola
2008 Fremdsprachendidaktik und Museumspädagogik. Empirische Untersuchungen am Beispiel
von Kunstmuseen. Berlin: Dissertation.de Verlag im Internet.
Quast, Ulrike
2005 Leichter lernen mit Musik. Theoretische Prämissen und Anwendungsbeispiele für Lehrende
und Lernende. Bern: Huber.
Sturm, Dietrich
1990 Zur Visualisierung von Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache. Historische und kultur-
kontrastive Aspekte. Dissertation, Universität Kassel.
Weidenmann, Bernd
1994 Lernen mit Bildmedien: psychologische und didaktische Grundlagen, 2. neu ausgestattete
Aufl. Weinheim/Basel: Beltz.
Wicke, Rainer Ernst
2000 Grenzüberschreitungen. Der Einsatz von Musik, Fotos und Kunstbildern im Deutsch-als-
Fremdsprache-Unterricht in Schule und Fortbildung. München: iudicium.

Camilla Badstübner-Kizik, Poznań (Polen)


XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in
nichtdeutschsprachigen Ländern:
Bestandsaunahme und Tendenzen

179. Deutsch in Ägypten


1. Entwicklungslinien
2. Staatliche Schulen
3. Germanistik an den ägyptischen Universitäten
4. Aus- und Fortbildung der Deutschlehrer
5. Probleme
6. Perspektiven
7. Literatur in Auswahl

Die Verbreitung der deutschen Sprache nimmt in Ägypten, im Vergleich zu allen anderen
arabischen Nachbarländern in Afrika und Asien, eine herausragende Stellung ein. Dieses
starke Interesse ist aufgrund der traditionell engen Beziehungen zu Deutschland zu se-
hen.

1. Entwicklungslinien
Gegenwärtig steigt die Nachfrage nach Deutsch als Fremdsprache und der Bedarf an
qualifizierten AbsolventInnen. Auf der einen Seite nimmt die Zahl der deutschen Touris-
ten stetig zu, andererseits verstärken sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ägypten
und Deutschland. Die Kursteilnehmerzahl am Goethe-Institut in der Region Nordafrika
betrug 2006/2007 als höchste in der Welt 25.099, davon 5.244 in Marokko und 6.065 in
Ägypten. Damit beträgt die Zahl ägyptischer Lerner mehr als ein Viertel aller einge-
schriebenen Kursteilnehmer. (Nach Angaben des Goethe-Instituts wurden im oben ge-
nannten Zeitraum 363 Kurse abgehalten.) Daneben trägt in der Erwachsenenbildung eine
große Zahl privater Sprachzentren zur Verbreitung der deutschen Sprache im Land bei.

2. Staatliche Schulen
Im Schuljahr 2007/08 unterrichteten den Angaben des Ministeriums für Erziehung und
Unterricht zufolge 735 Lehrer an insgesamt 456 staatlichen Schulen rund 40.000 Schüler.
In vielen anderen Teilen des Landes wird traditionell Französisch als zweite Fremdspra-
che unterrichtet. Der Deutschunterricht findet in den zwei letzten Jahren der Oberstufe
statt.
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird Deutsch auch als erste Fremdspra-
che in den drei Deutschen Schulen, der DEO (Deutsche Evangelische Oberschule), der
179. Deutsch in Ägypten 1603

DSB (Deutsche Schule der Borromäerinnen) Alexandria und DSB Kairo unterrichtet.
Das besondere an diesen Schulen ist, dass die deutschen Abiturfächer hier Kernfächer
sind und auf Deutsch gelehrt werden. Arabisch und andere Fächer werden in der Mutter-
sprache unterrichtet.
Die DSB Kairo ist eine Mädchenschule. Sie führt nach jeweils einjährigem Kindergar-
ten- und Vorschulbesuch und anschließenden zwölf Schuljahren zum deutschen Abitur
sowie zum FOS-Abschluss (seit 2004), der zur Fachhochschulreife führt. Im Schuljahr
2007/08 betrug die Zahl der Schülerinnen insgesamt 798, die der Lehrkräfte 64: davon
15 deutsche Auslandsdienstkräfte, 21 deutsche und 28 ägyptische Ortskräfte.
An der DSB Alexandria, ebenfalls eine Mädchenschule, betrug die Zahl der Schülerin-
nen im selben Jahr insgesamt 786. 33 deutsche und 32 ägyptische Lehrer unterrichten
hier. Das Curriculum und der Unterrichtsaufbau sind mit dem der DSB Kairo identisch.
Die DEO ist eine gemischte Schule, die ähnlich wie die beiden oben genannten Schu-
len zum deutschen Abitur führt. Das Spezifische an diesem Schulsystem ist die Einfüh-
rung der so genannten „Neuen Sekundarstufe“ von der 4. bis zur 9. Klasse. Hier werden
ausgezeichnete SchülerInnen aus den ägyptischen staatlichen Schulen gewählt, die den
„DaF-Zweig“ besuchen, um von der zehnten bis zwölften Klasse mit den Muttersprach-
lern im „DaM-Zweig“ das deutsche Abitur zu absolvieren.
Die drei Deutschen Schulen veranstalten gemeinsam pro Jahr ca. zwölf Lehrerfortbil-
dungsseminare mit pädagogischer und fachspezifischer Ausrichtung.
In den vergangenen Jahren sind in Verbindung mit der ZfA neun weitere so genannte
„Neue Partnerschulen“, die ca. 1.600 SchülerInnen in Deutsch als erster Fremdsprache
unterrichten, in Kairo, Alexandria, auf dem Sinai und am Roten Meer entstanden.

3. Germanistik an den ägyptischen Universitäten

An sieben staatlichen ägyptischen Universitäten existieren neun Abteilungen für


Deutsch, die insgesamt elf germanistische Studiengänge mit ca. 5.000 Studierenden
(2007/08) anbieten. Jede dieser Abteilungen hat eine spezifische inhaltliche Ausrichtung
und rekrutiert ihre Studenten nach unterschiedlichen Maßgaben in Bezug auf die Beherr-
schung der deutschen Sprache.
Der erste Deutschunterricht in Ägypten wurde 1863 an der Sprachenschule „Madra-
sat-Al-Alsun“ in Kairo abgehalten. Deutsch wurde damals al-Lugha en-nimsaweya (öster-
reichische Sprache) genannt, da El-Nimsa (Österreich) zu diesem Zeitpunkt für Ägypten
allgemein den deutschsprachigen Raum bezeichnete.
1956/57 wurde die erste Deutschabteilung an der Sprachenfakultät der Alsun an der
Universität Ain-Schams gegründet. Die Studierenden sind Abiturienten von den ägypti-
schen Schulen mit Deutsch als zweiter Fremdsprache. Der Schwerpunkt des vierjährigen
Studiums liegt in den ersten zwei Jahren zunächst im DaF-Unterricht und anschließend
in Übersetzung, Sprachwissenschaft und Literatur. 2007/08 betrug die Studentenzahl
2.062. Gegenwärtig besteht der Lehrkörper aus vier Professoren, drei Assistenzprofesso-
ren und 13 promovierten Dozenten. 1975 wurde an der Pädagogischen Fakultät eine
zweite Deutschabteilung aufgebaut. Das Studium ist vornehmlich didaktisch-methodisch
ausgerichtet und qualifiziert für den Lehrerberuf. 2007/08 gab es 200 Studierende, fünf
Professoren, zwei Assistenzprofessoren und neun Dozenten.
1604 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

1965 folgte die Gründung der Abteilung für Germanistik der Universität Kairo, die
nur Absolventen der drei Deutschen Schulen, maximal 30 pro Jahr, aufnimmt. Das Cur-
riculum ist vorrangig literarisch orientiert und befasst sich mit Titeln und Inhalten vom
Mittelalter bis zur Neuzeit. Zudem werden auch sprachwissenschaftliche Fächer und
Übersetzung unterrichtet. 2007/08 arbeiteten hier sechs Professoren, fünf Assistenzpro-
fessoren und 13 Dozenten.
1969 wurde die Deutschabteilung für Männer an der Sprachen- und Übersetzerfakul-
tät der Azhar Universität gegründet, deren Studenten aus den Azhar-Oberschulen ohne
Vorkenntnisse in Deutsch kommen. Daher liegt der Fokus auf dem DaF-Unterricht,
der in den höheren Semestern durch Sprachwissenschaft und Literatur ergänzt wird. Es
studieren hier ca. 450 Männer, die von zehn Professoren, drei Assistenzprofessoren und
sechs Dozenten unterrichtet werden.
Seit 1993 gibt es eine Abteilung für Deutsch mit linguistischem Schwerpunkt an der
Helwan Universität, zunächst an der Pädagogischen Fakultät und seit 2003 auch an der
Philosophischen Fakultät.
Ebenfalls 1993 entstand an der Sprachen- und Übersetzungsfakultät der Azhar-Uni-
versität der Studiengang Islamwissenschaft auf Deutsch, der in die dortige Deutschabtei-
lung integriert ist. Zugelassen werden nur Absolventen der Azhar-Oberschulen, die über
Deutsch-Vorkenntnisse verfügen. Die Studentenzahl in diesem Fachbereich, in dem drei
Professoren lehren, beläuft sich auf 250. Schwerpunkte der Lehre sind DaF sowie islam-
wissenschaftliche Fächer.
Desweiteren gibt es einen Deutsch-Studiengang an der Sprachen- und Übersetzungs-
fakultät der Universität des 6. Oktober, eine Deutschabteilung für Frauen an der Spra-
chen- und Übersetzungsfakultät der Azhar-Universität, eine Deutschabteilung an der
Philosophischen Fakultät der Universität Menoufia sowie den Germanistikbereich an
der Alsun-Fakultät der Universität Minia.
Darüber hinaus verfügen eine Reihe von privaten Sprachlerninstituten über Deutsch-
abteilungen mit Literatur bzw. Linguistik als Schwerpunkten.
An der 2003 gegründeten GUC (Deutsche Universität Kairo) findet zwar der Unter-
richt in allen Fachbereichen auf Englisch statt, gleichwohl ist für die 6.000 Studierenden
das Erlernen der deutschen Sprache obligatorisch.
Die Absolventen dieser o.g. Studiengänge haben die Möglichkeit, nach dem B.A.-
Abschluss ein postgraduales Studium anzuschließen und einen Master- und Doktorgrad
zu erwerben. Forschungsschwerpunkte sind deutsch-arabische kontrastive Untersuchun-
gen in den Bereichen Sprach- und Literaturwissenschaft sowie interkulturelle Themen.
Man kann bei all diesen Studiengängen von einem klassischen Studientyp sprechen,
der bislang lediglich der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses diente. Diese
Studieninhalte sind der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation im Land allerdings
nicht mehr angemessen. Mit dem Wegfall der Arbeitsplatzgarantie im öffentlichen Dienst
1998 wurde es für Germanistikabsolventen schwieriger, einen Beruf zu finden. Dies erfor-
dert, dass neue Schwerpunkte gesetzt und Studiengänge entwickelt werden, die eine be-
rufsbezogene Ausbildung fördern und Praxisbezug aufweisen. Dies ist gerade angesichts
der steigenden Zahl der Germanistikstudierenden unabdingbar.
Wie kann die Germanistik hierzulande den schwierigen Herausforderungen gerecht
werden? Als Ziel der Reform sollte ein wettbewerbsfähiger, kommunikativer, offener,
vernetzter und berufsbezogener Fachbereich geschaffen werden. Bestehende inhaltliche
179. Deutsch in Ägypten 1605

Lücken und Desiderate sollten in den Curricula gefüllt werden. Ein weiteres zentrales
Anliegen sollte die Modifizierung der Lern- und Lehrstrategien sowie der Leistungsmes-
sungsmethoden sein.

4. Aus- und Fortbildung der Deutschlehrer


Das Goethe-Institut Ägypten bietet Weiterbildungsmaßnahmen für Deutschlehrkräfte
an, in deren Mittelpunkt der Ausbau der didaktischen Fähigkeiten steht. Die Fortbildung
dauert ein Jahr und schließt mit dem „Grünen Diplom“ ab. Zum praktischen Teil gehö-
ren u. a. Hospitationen mit Vor- und Nachbesprechungen sowie eigene Lehrversuche, die
theoretische Basis stellen die Fernstudieneinheiten.

5. Probleme
Die größte Herausforderung der Germanistik in Ägypten besteht im eklatanten Mangel
an qualifiziertem Lehrpersonal. Die meisten der jährlich ca. 1.000 AbsolventInnen der
Germanistik sind nicht praxisnah und berufsfeldbezogen ausgebildet und mit Nach-
wuchsförderung überfordert. Obwohl die Regierung seit 1990 mehrere Reformversuche
zur Verbesserung der Bildungsstrukturen unternommen hat, bleibt dieses Problem auch
angesichts des starken Bevölkerungswachstums bestehen. Hinzu kommt die geringe At-
traktivität des Lehrerberufs, nicht zuletzt aufgrund der geringen Gehälter. Es findet häu-
fig ein lehrerzentrierter Frontalunterricht statt mit Lehrmethoden basierend auf Auswen-
diglernen und einer Leistungsmessung in Form einer schriftlichen Prüfung am Ende des
Schuljahres. Die mangelnde Kreativität im Unterricht hat zur Folge, dass kommunika-
tive und soziale Kompetenzen sowie die individuelle Fähigkeit, Zusammenhänge zu er-
kennen, zu benennen, Problemlösungen zu erarbeiten und kritisches Denkvermögen un-
genügend ausgeprägt werden.

6. Perspektiven
Zu den bedeutenden Schritten zur Förderung der Qualität der ägyptischen Lehrer zählt
der Masterstudiengang „Deutsch als Fremdsprache im arabisch-deutschen Kontext“ (bi-
nationaler Studiengang) am Exzellenzzentrum für Deutsch und Arabisch als Fremdspra-
chen an der Pädagogischen Fakultät der Ain-Schams Universität Kairo, der in Koopera-
tion mit dem Herder-Institut der Universität Leipzig entstanden ist und den Lehrbetrieb
im Wintersemester 2008/09 aufgenommen hat. Der Studiengang besteht aus vier Modul-
bereichen: Linguistik, Methodik/Didaktik, Landeskunde, Literatur und einem obligato-
rischen Unterrichtspraktikum, das an einer Deutschen Schule in Ägypten zu absolvieren
ist. Das Konzept des Studiums legt großen Wert auf die deutsch-arabischen Beziehungen,
weshalb die Studierenden ein Semester an der jeweiligen Partneruniversität verbringen
sollen. Der Studiengang könnte beispielgebend sein für die Vernetzung und Modernisie-
rung weiterer Studiengänge.
1606 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

7. Literatur in Auswahl
Ägyptisches Ministerium für Erziehung und Unterricht (Hg.)
2000 Kairo⫺Frankfurt und zurück. Lehrbuch für die 11. und 12. Klasse. 2 Bde. Kairo.
Arras, Ulrike
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Ägypten. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internationa-
les Handbuch, 1602⫺1609. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswis-
senschaft 19.1⫺2.) Berlin/New York: de Gruyter.
El-Nady, Maha
2006 Deutschunterricht in Ägypten. Grundlegung eines didaktischen Konzepts zur Entwicklung
des Hörverstehens. Universität Kassel: Kassel University Press.
Goethe-Institut e.V. (Hg.)
2007 Jahrbuch 2006/2007. http://www.goethe.de/uun/pub (3. 6. 2010).
Kassem, Nabil
1988 Germanistikstudium, Deutschlehrerausbildung und Deutschunterricht in Ägypten von
der Perspektive der Entwicklung des Landes aus betrachtet. In: Norbert Oellers (Hg.),
Germanistik und Deutschunterricht im Zeitalter der Technologie. Selbstbestimmung und
Anpassung. Vorträge des Germanistentages Berlin 1987, 425⫺433. Tübingen: Niemeyer.
Khattab, Aleya
2004 Meine Jahre an der DSB [Deutschen Schule der Borromäerinnen]. Gelebter Dialog der
Kulturen. In: Deutsche Schule der Borromäerinnen (Hg.), 100 Jahre DSB Kairo 1904⫺
2004, 124⫺126. Kairo.
Khattab, Aleya
2007 Schule, Kosmopolitismus und Menschlichkeit. Deutsche Lehrer im Ausland 3: 251⫺257.
Maher, Moustafa
2008 Die ägyptische Germanistik zwischen historischem Momentum und Suche nach neuen
Perspektiven. Kairoer Germanistische Studien 17: 3⫺17.
Winkler, Stefan
2002 Germanistik in den arabischen Staaten und im Iran. In: Deutscher Akademischer Aus-
tauschdienst (DAAD) (Hg.), Germanistentreffen Deutschland ⫺ Arabische Länder, Iran,
2.⫺7. 10. 2002. Dokumentation der Tagungsbeiträge, 11⫺24. Bonn: DAAD.

Aleya Khattab, Kairo (Ägypten)


180. Deutsch in Argentinien 1607

180. Deutsch in Argentinien


1. Sprachlich-demographische und wirtschaftliche Aspekte
2. Deutschunterricht
3. Vereinsleben und Presse
4. Germanistik
5. Prognose
6. Literatur in Auswahl

1. Sprachlich-demographische und wirtschatliche Aspekte


Die deutschsprachige Immigration erfolgte in Argentinien in drei Phasen: Die erste, ca.
1840 bis 1930, war vor allem wirtschaftlich bestimmt; sie bestand aus Reichsdeutschen,
Österreichern und Deutsch-Schweizern, sowie aus Russlanddeutschen, Donauschwaben
und Sudetendeutschen. Die Verteilung Hochdeutsch/Dialekte entsprach ihren Ur-
sprungsländern. Die zweite Phase, zwischen 1933 und 1945, bestand aus 45.000 deut-
schen Juden und anderen politisch Verfolgten. Nach dem 2. Weltkrieg kamen nochmals
einige Tausende Einwanderer, darunter einige ehemalige nationalsozialistische Funktio-
näre. 1960 hat die Einwanderung praktisch geendet. Jetzt leben wohl an die 500.000
Deutschstämmige in Argentinien; die Schätzungen variieren allerdings stark (zwischen
300.000 und einer Million).
Die Bedeutung Deutschlands als Handelspartner Argentiniens ist in den letzten Jah-
ren zurückgegangen: Während es noch 1997 das 3. Zielland argentinischer Exporte war,
steht es jetzt an 9. Stelle, bei den Wareneinfuhren an 4. Stelle. Diese trotz des Rückgangs
wichtige Position sowie die Präsenz von Filialen wichtiger deutscher Firmen tragen je-
doch kaum zur Stärkung der deutschen Sprache bei, da die deutschen Unternehmen
zunehmend Englischkenntnisse von ihren Angestellten verlangen.

2. Deutschunterricht
2.1. Deutsch an öentlichen Schulen und Hochschulen
Im öffentlichen Bereich wird Deutsch als Wahlfach an Schulen gelehrt, die ein auf „le-
bende Sprachen“ orientiertes Abitur anbieten. Gegen Anfang der neunziger Jahre wurde
fakultativer Deutschunterricht an berufsbildenden Schulen eingeführt.
Einige Universitäten bieten ihren Studierenden fachorientierte Deutschlesekurse an.
Diese Universitäten und auch andere Hochschulen bieten auch deutsche Sprachkurse
als Service-Leistung für Erwachsene in Nachmittags- und Abendkursen an, meist nicht
über B1.

2.2. Privatschulen
Zwischen 1890 und 1930 entstanden zahlreiche deutsche Privatschulen; 1932 zählte man
176 deutsche Schulen mit insgesamt 13.200 Schülern. Ab 1933 erhielten fast all diese
1608 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Schulen außer u. a. der Cangallo-Schule und der 1934 von Gegnern des Nazi-Regimes
gegründeten Pestalozzi-Schule eine nationalsozialistische Prägung; 1945 wurden sie von
der argentinischen Regierung enteignet und geschlossen; an die fünfzehn wurden später,
oft mit Unterstützung der BRD, unter demokratischen Richtlinien wieder eröffnet.
Gegenwärtig haben die 27 Privatschulen (18 im Großraum Buenos Aires, 9 im Lan-
desinnern), die der Arbeitsgemeinschaft deutscher Schulen in Argentinien angehören, an
die 20.000 Schüler; 21 davon werden von der bundesdeutschen Zentrale für Auslands-
schulwesen (ZfA) personell, materiell und finanziell gefördert. Deutschland entsendet an
die vier „Schulbeihilfeschulen“, die außer der Sprache auch Fächer auf Deutsch lehren,
einen Gesamtschulleiter und mehrere Lehrer; die 17 „Sprachbeihilfeschulen“ werden von
der ZfA durch einen Fachberater und Bundesprogrammlehrkräfte gefördert. Durch die
bundesdeutsche Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“ (Pasch) wird jetzt Deutschun-
terricht an weiteren 15 Schulen gefördert. An zwei deutschen Schulen gibt es zweispra-
chig orientierte Berufsausbildungsgänge. Auch Österreich und die Schweiz unterstützen
Schulen. Die Schüler können die Sprachdiplomprüfungen der bundesdeutschen Kultus-
ministerkonferenz ablegen. Die Goethe-Schule bietet die allgemeine deutsche Reifeprü-
fung in einem Zusatzjahr an. Seit 1998 nehmen die Schulbeihilfeschulen sowie die deut-
schen Schulen in Montevideo (Uruguay) und Asunción (Paraguay) an der von der ZfA
koordinierten regionalen Fortbildung teil; auch die Sprachbeihilfeschulen können daran
teilnehmen. Die schulinterne Fortbildung (SCHILF) läuft in Eigenregie der Schulbeihil-
feschulen. In Coronel Suárez (im Süden der Provinz Buenos Aires) gibt es gegenwärtig
von der Deutschen Botschaft unterstützte Bestrebungen, sowohl Hochdeutsch als auch
Wolgadeutsch auf einer Schule zu lehren. (Das Projekt war 1994 von Arnd Schmidt
initiiert worden, s. Rosenberg 2001.)
Es finden jedes Jahr eine Deutschlehrertagung und alternierend dazu ein Deutschleh-
rerkongress statt, an denen die deutschen Institutionen sowie der argentinische Deutsch-
lehrerverband und das Lenguas Vivas (siehe 4.1.) zusammenarbeiten.

2.3. Außerschulischer Deutschunterricht


Die Hauptinstitution für außerschulischen Deutschunterricht ist das Goethe-Institut in
Buenos Aires, das Kurse bis zur Stufe C2 sowie Prüfungen bis zum großen Sprachdiplom
anbietet. Vor einigen Jahren wurden die Filialen in den Provinzhauptstädten Mendoza
und San Juan geschlossen; in der Filiale in Córdoba gesellt sich zur Kulturarbeit ab 2009
wieder der Sprachunterricht. Die Kulturarbeit des Goethe-Instituts nimmt auch einen
wichtigen Platz in der allgemeinen argentinischen Kulturszene ein; es zeichnete sich als
demokratisches Diskussionsforum nach der letzten argentinischen Diktatur aus.
In mehreren Städten gibt es Sprachinstitute und Kulturgesellschaften, die z. T. Prü-
fungslizenzen vom Goethe-Institut haben. Die auf 6.000 Schüler geschätzte Teilnehmer-
zahl an Erwachsenenkursen könnte aus beruflichem, wirtschaftlichem und wissenschaft-
lichem Interesse an Deutschland noch anwachsen.

3. Vereinsleben und Presse


Die Einwanderergeneration entwickelte ein reges deutschsprachiges Vereins- und Kultur-
leben; z. B. entstand neben Kulturgemeinschaften schon 1881 der Verein „Vorwärts“ als
180. Deutsch in Argentinien 1609

erste sozialistische Gruppe Argentiniens; es erschienen Zeitungen, Zeitschriften und Bü-


cher auf Deutsch (siehe 4.2.); Gegner des NS-Regimes gründeten die „Freie Deutsche
Bühne“, die 1940⫺1962 hunderte Theaterstücke auf Deutsch inszenierte.
Heute gliedern sich die an die 200 Vereine der Deutschstämmigen in Kulturgemein-
schaften (z. T. Schulträger), gemeinnützige Institutionen, Religionsgemeinden, Lands-
mannschaften, Sportklubs, Chöre, Exschülervereine usw. Mehrere veröffentlichen klei-
nere Zeitschriften mit einigen Artikeln auf Deutsch; auch gibt es Rundfunksendungen,
die dieses Gemeindeleben widerspiegeln, das auch in der jetzt einzigen deutschsprachigen
Zeitung neben Nachrichten zu Wirtschaft, Politik und Kultur zur Sprache kommt: Im
Argentinischen Tageblatt (seit Jahren eigentlich ein Wochenblatt).

4. Germanistik

4.1. Lehrer- und Übersetzerausbildung

Die Ausbildung von Sekundarschullehrern für Deutsch erfolgt an zwei öffentlichen Insti-
tutionen: Am Instituto Superior de Enseñanza en Lenguas Vivas „Juan Ramón Fernán-
dez“ (das „Lenguas Vivas“) in Buenos Aires und an der Sprachenfakultät der National-
universität Córdoba. Am Lenguas Vivas, das seit Schließung des von deutschen Privat-
schulen gegründeten Deutschen Pädagogischen Seminars (1958⫺1998) auch die DaF-
Primarlehrerausbildung übernommen hat, studieren zur Zeit ca. 50 Lehramtskandidaten.
Die Deutschabteilung wird gegenwärtig von einem Lektor und zwei Sprachassistenten
des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) und einem von der ZfA ent-
sandten Methodikspezialisten unterstützt. Die ZfA unterstützt bedürftige Studierende
finanziell; zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft fördert sie Studienreisen nach
Deutschland.
An der Sprachenfakultät der Universität Córdoba wählen nur einige der Studierenden
die fünfjährige Lehrerausbildung, da es in der Region wenige deutsche Schulen gibt.
Ausbildung und Abschluss sind denjenigen des Lenguas Vivas vergleichbar; die Abteilung
wird von einem DAAD-Lektor unterstützt.
Beide Institutionen und die Rechtsfakultät der Universität Buenos Aires bilden auch
deutsch-spanische Übersetzer aus; die Abgänger der Universitäten Córdoba und Buenos
Aires werden als vereidigte Übersetzer anerkannt. (Die deutsche Übersetzerausbildung
des Lenguas Vivas hatte bis Ende 2008 einen vom DAAD geförderten fünfjährigen Do-
zenten- und Studentenaustausch mit der Universität Hildesheim.) Die Übersetzerab-
schlüsse des Lenguas Vivas und der Universität Córdoba berechtigen auch zur Lehre in
Sekundarschulen.

4.2. Germanistik an Universitäten

Die Sprachenfakultät der Universität Córdoba bietet eine licenciatura (ungefähr: Magis-
ter) für Deutsch an. Obwohl man an den philologischen Fakultäten Argentiniens in The-
men der Germanistik promovieren kann, gibt es kein spezifisches Germanistikstudium,
sondern Seminare zu deutscher Literatur innerhalb der Literaturstudien an den National-
1610 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

universitäten Buenos Aires, Córdoba, Cuyo und La Plata sowie an den katholischen
Privatuniversitäten del Salvador und Católica. Es werden auch germanistische Postgra-
duiertenseminare, Forschungsprojekte und Vorträge veranstaltet, u. a. vom 2004 durch
ein Abkommen zwischen der Universität Buenos Aires und dem DAAD geschaffenen
Centro Germano-Argentino. Für Mitte 2010 ist an der Universität Buenos Aires eine ma-
estrı́a in ausländischen Literaturen geplant, worin die deutsche Literatur in Seminaren
sowohl gesondert als auch komparatistisch vertreten sein wird.
Die Asociación Argentina de Germanistas (AAG) veranstaltet alle zwei Jahre eine Ta-
gung; Schwerpunkte sind Literatur, Lehrerausbildung und Übersetzung; die Beiträge
werden in Buchform veröffentlicht. Die AAG publiziert auch seit 2005 das Jahrbuch
Anuario Argentino de Germanı́stica, dessen 4. Band 2008 erschienen ist. (Als Sonderaus-
gabe des AAG erschien 2006 die Dissertation von Lila Bujaldón de Esteves über die
Geschichte der argentinischen Germanistik.) Das Ibero-amerikanische Jahrbuch für Ger-
manistik wird von Miguel Vedda (Argentinien) und Isabel Hernández (Spanien) heraus-
gegeben.
Die zahlreichen in Argentinien auf Deutsch veröffentlichten Bücher ⫺ u. a. die Erst-
ausgabe von Stefan Zweigs Schachnovelle ⫺ vermitteln einen Einblick in die Geschichte
der deutschen Sprache und Kultur und in die verschiedenen ideologischen Lager. (Regula
Rohland erstellt gegenwärtig einen Katalog dieser Veröffentlichungen; er hat bis jetzt ca.
1.300 Einträge, davon 700 unter Autorennamen eingetragene Werke und der Rest meist
von mehreren Autoren oder anonym verfasste; es handelt sich um Romane, lyrische
Dichtung, Zeitungen, Zeitschriften, Statuten, Kinderbücher, Liederbücher usw.; die meis-
ten zwischen 1935 und 1950, Rohland 2004 und persönliche Kommunikation.) Es gibt
eine rege spanischsprachige Forschung zu verschiedensten Aspekten der deutschen Lite-
ratur.

5. Prognose
Quantitativ erleiden die Deutschkenntnisse in Argentinien seit einem halben Jahrhundert
einen ständigen Rückgang: Nach dem 2. Weltkrieg war Deutsch die Haussprache von
rund 300.000 Menschen, also ca. 1,8 % der damaligen 17 Mio. Argentinier; heute dürfte
diese Zahl auf unter 200.000 gesunken sein, d. h. auf ca. 0,5 % der jetzigen 39 Mio.
Argentinier. Deutsch ist auch an den deutschen Schulen fast ausschließlich zur Fremd-
sprache geworden. Die Mercosur-Integration hat zur sprachlichen Folge, dass nach Eng-
lisch Portugiesisch in den spanischsprachigen Ländern und Spanisch in Brasilien zuneh-
mend an Bedeutung gewinnen (Ende 2008 wurde in Argentinien ein Gesetz verabschiedet,
das alle öffentlichen Sekundarschulen verpflichtet, ab 2015 Portugiesisch anzubieten),
was die Lernerpräferenzen anderer Fremdsprachen (Französisch, Italienisch und auch
Deutsch) beeinflusst. Qualitativ dagegen kann das Deutsche in den nächsten Jahren vom
Interesse an deutscher Technologie, Wissenschaft und Forschung sowie an der Gestal-
tung der EU-Institutionen und an innovativen Ausbildungsgängen begünstigt werden.

6. Literatur in Auswahl
Arbeitsgemeinschaft deutscher Schulen in Argentinien:
http://www.agds.org.ar (9. 5. 2010).
181. Deutsch in Australien 1611

Born, Joachim und Sylvia Dickgießer


1989 Deutschsprachige Minderheiten. Mannheim: Institut für Deutsche Sprache.
Centro Germano-Argentino:
http://www.daad.org.ar/index_cga.htm (9. 5. 2010).
Deutschabteilung, Lenguas Vivas:
http://aleman.llvv.org (9. 5. 2010).
Galle, Helmut
2000 Deutsch in Argentinien: Schwierige Passage ins 21. Jahrhundert. Vortrag auf dem 2. Regi-
onalen Germanisten- und Deutschlehrerkongress, Humboldt-Lehrstuhl, Havanna, Kuba.
Hipperdinger, Yolanda
2005 Die Sprache(n) der Wolgadeutschen in Argentinien. (Beihefte zu Quo Vadis Romania? 20).
Wien: Edition Praesens.
Rohland de Langbehn, Regula
2004 El proyecto de un catálogo de libros en alemán editados en la Argentina. In: Georg
Kremnitz und Joachim Born (Hg.), Lenguas, literaturas y sociedad en la Argentina, 123⫺
132. Wien: Ed. Praesens.
Rosenberg, Peter
2001 Deutsche Minderheiten in Lateinamerika. Frankfurt/Oder: Europa Universität Viadrina.
Saint Sauveur-Henn, Anne
1995 Un siècle d’émigration allemande vers l’Argentine (1853⫺1945). Köln: Böhlau.
Universität Córdoba, Deutschabteilung:
www.lenguas.unc.edu.ar/ofertaacad/ carreradegradoaleman.html (9. 5. 2010).

Roberto Bein, Buenos Aires (Argentinien)

181. Deutsch in Australien


1. Situation des Deutschen in Australien
2. Deutschunterricht an Schulen und Universitäten
3. German Studies an australischen Universitäten
4. Zahlen und Tendenzen
5. Literatur in Auswahl

1. Situation des Deutschen in Australien


Australien ist ein multikulturelles Einwanderungsland, und Deutschsprachige gehörten
stets zu den europäischen Einwanderern. Bei der letzten Volkszählung 2006 gaben 4,1 %
der Bevölkerung an, deutsche (und 0,2 % österreichische) Vorfahren zu haben. Damit
steht Deutschland an sechster, Österreich an 33. Stelle der Herkunftsländer der Vorfah-
ren (DIAC 2008). Obwohl noch keine detaillierten Untersuchungen zur letzten Volkszäh-
lung von 2006 vorliegen, ist aus den in DIAT (2008) angegebenen Tabellen zu schließen,
dass sich die Stellung des Deutschen seit der Volkszählung von 2001 nicht wesentlich
geändert hat. Damals gaben 16 % der australischen Bevölkerung an, zuhause anstatt
1612 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

oder neben Englisch eine von ca. 240 anderen Sprachen zu sprechen (Clyne 2005: 11).
Durch die Änderungen der Einwanderungsströme in den letzten Jahrzehnten haben man-
che Sprachen, vor allem asiatische, deutliche Zuwächse erfahren, während andere stag-
nieren oder gar abnehmen. Deutsch gehört hier mit einer Abnahme der Sprecherzahl um
33 % von 1991 bis 2001 zu den Verlierern. Im Jahr 2001 befand es sich mit 76444 Spre-
chenden auf Rang 9 aller in Australien gesprochenen Sprachen außer Englisch (Clyne
2005: 12). Der Verlust der Muttersprache ist unter deutschsprachigen Einwanderern und
deren Nachkommen besonders hoch, und so weist Deutsch eine stark überalterte Spre-
chergruppe auf (Clyne 2005: 14⫺21). Wegen der gegenwärtig geringen Einwanderung
Deutschprachiger ist mit einer weiteren starken Abnahme muttersprachlicher Deutsch-
sprechender in Australien zu rechnen.

2. Deutschunterricht an Schulen und Universitäten


Muttersprachenunterricht des Deutschen findet in geringem Umfang in Samstagsschulen
privater und kirchlicher Trägerschaft statt, und es gibt neben Zusatzunterricht an einigen
Primarschulen in Sydney und Melbourne auch zwei offizielle deutsche Schulen.
Der Unterricht des Deutschen als Fremdsprache hat eine starke Tradition und hat
sich auch über die sowohl für Deutsch als Fremdsprache besonders in englischsprachigen
Ländern als auch für den Fremdsprachenunterricht in Australien insgesamt katastropha-
len Entwicklungen der letzten Jahrzehnte hinweg relativ gut gehalten. So war z. B. welt-
weit zwischen 2000 und 2005 ein Rückgang von Germanistikstudierenden um 27,4 % zu
beobachten, während der Rückgang in Australien nur 18 % betrug (StADaF 2006: 8 und
15; Jäger und Jasny 2007: 472). Die Zahl der Fremdsprachenlernenden des Deutschen
im Schulbereich ging weltweit im gleichen Zeitraum um 15,5 % zurück, während sie in
Australien gleichblieb (StADaF 2006: 8 und 15). Allerdings sind genaue Zahlen für Aus-
tralien nicht leicht zu eruieren und die publizierten Angaben widersprechen einander bis-
weilen.

2.1. Träger des Deutschunterrichts

Neben den Angeboten privater Sprachenschulen und der Goethe-Institute in Sydney und
Melbourne wird Deutsch als Fremdsprache in allen Staaten und Territorien Australiens
außer im Northern Territory an Schulen und Universitäten unterrichtet. Das Angebot
an Sprachen (Languages Other Than Englisch, LOTE) und die curriculare Situation ist
dabei recht unterschiedlich. Universitäten sind traditionell sehr unabhängig in ihrem
Lehrangebot; im Schulbereich liegt die Verantwortung für staatliche Schulen bei den
einzelnen Staaten und Territorien, außerdem gehen etwa ein Drittel der australischen
SchülerInnen auf Privatschulen, die nur in geringem Umfang an staatliche curriculare
Vorgaben gebunden sind. Obwohl Deutsch seit den 1990er Jahren zu den 14 australien-
weit als priority languages geförderten LOTEs und zu den sechs am häufigsten in Schulen
unterrichteten Sprachen gehört (MCEETYA 2005: 4), wird es an Schulen in sehr unter-
schiedlichem Umfang angeboten. So werden zwar in Victoria die Sprachangebote der
staatlichen Schulen jährlich dokumentiert (vgl. DEECD 2007), und das schulische Spra-
181. Deutsch in Australien 1613

chenangebot wird auch durch Kontakt- und Fernunterricht der Victorian School of Lan-
guages so ergänzt, dass 43 Sprachen bis zum Sekundarschulabschluss unterrichtet wer-
den, aber andere Staaten und Territorien bieten weder in der Dokumentation noch in
ihrem schulischen Sprachenangebot Vergleichbares (einen Überblick über Regelungen in
den einzelnen Staaten und Territorien geben Jäger und Jasny 2007: 477).

2.2. Lehrerausbildung und Germanistik


Auch die Lehrerausbildung ist einzelstaatlich unterschiedlich geregelt. Meist wird für den
Sprachunterricht an Schulen ein einjähriges Aufbaustudium nach einem einschlägigen
(z. B. germanistischen) Bachelor-Abschluss verlangt. In der Praxis herrscht besonders an
Primarschulen, aber auch an manchen Sekundarschulen ein solcher Mangel an qualifi-
zierten Sprachenlehrkräften, dass Lehrkräfte anderer Fachrichtungen den Unterricht in
einzelnen Sprachen oft mit übernehmen müssen. Das kommt selbst bei häufiger unter-
richteten Sprachen wie Deutsch vor.
An den germanistischen Instituten australischer Universitäten gibt es in der Regel
keine spezifischen Lehrgänge zur Sprachlehrausbildung, so dass fachdidaktische Kennt-
nisse durch LOTE-Didaktik-Seminare während des pädagogischen Aufbaustudiums und
durch Schulpraktika erworben werden.

3. German Studies an australischen Universitäten


Wie die anderen Philologien hat die Germanistik an australischen Universitäten in den
letzten Jahren zunehmend an organisatorischer Selbständigkeit verloren und findet sich
als Program in größeren Einheiten (Schools of Languages, Schools of European Studies
u. ä.) wieder. In der Forschung hat sich die australische Germanistik innerhalb der letzten
Generation vom Ideal einer dem traditionellen inlandsgermanistischen Spezialistentum
nacheifernden Auslandsgermanistik weitgehend verabschiedet und bringt seitdem in ih-
ren Spezialgebieten fest begründete, aber zugleich interdisziplinär und interkulturell ori-
entierte German Studies hervor (Kretzenbacher 2006: 26⫺28). Da die deutschen Sprach-
kenntnisse von Germanistikstudierenden auch bei denen, die ihre Sekundarschulab-
schlussprüfung im Fach Deutsch abgelegt haben, keineswegs für ein Germanistikstudium
in höheren Semestern ausreichen, und auch um die Zielgruppe der Germanistikstudieren-
den zu erweitern, bieten alle Universitäten mit germanistischem Programm (und auch
einige weitere) tertiäre Deutschkurse auch auf Anfängerniveau an (Nettelbeck u. a. 2008:
29⫺30). Der tertiäre Deutschunterricht ist ein auch ökonomisch bedeutender Teil der
germanistischen Lehre geworden. Dies führte zu einem gewissen Prestigegewinn des aka-
demischen Deutschunterrichts, der noch in den neunziger Jahren oft als untergeordnete
Aufgabe betrachtet wurde (Truckenbrodt und Kretzenbacher 2001: 1657; Kretzenbacher
2006: 25)

4. Zahlen und Tendenzen


Wie erwähnt, ist die Stellung des Deutschen als Fremdsprache in Australien relativ gut
im Vergleich zu einem starken weltweiten Rückgang des Deutschunterrichts, der in eng-
1614 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

lischsprachigen Ländern besonders ausgeprägt ist (StADaF 2006). Auch im Vergleich


mit einer insgesamt bedrückenden Entwicklung des LOTE-Unterrichts in Australien hat
sich das Deutsche als LOTE relativ gut gehalten: In den 1960ern, als eine Fremdsprache
Pflichtvoraussetzung für ein Hochschulstudium war, haben 40 % der Sekundarschüler im
letzten Schuljahr eine LOTE gelernt; aber in den letzten Jahren waren es weniger als
15 %, in manchen Staaten sogar weniger als 6 % (Group of Eight 2007: 2). Nur etwa die
Hälfte aller australischen Schüler lernen überhaupt eine Fremdsprache (MCEETYA
2005: 4), und in den letzten Jahren der Sekundarschule sinkt ihr Anteil drastisch. Wäh-
rend 1997 noch 66 verschiedene Sprachen an australischen Universitäten unterrichtet
wurden, waren es 2007 nur noch 29 (Group of Eight 2007: 4) und 2008 nur 24 (Nettel-
beck u. a. 2008: 8), von denen acht jeweils nur an einer Universität unterrichtet werden
(Nettelbeck u. a. 2008: 30).
In diesem Klima hat sich Deutsch als erstaunlich widerstandsfähig gezeigt. So hat
Deutsch an staatlichen Schulen in Victoria von 2002 bis 2007 zwar 20 % der Lernenden
verloren (DEECD 2009: 20), aber es steht immer noch an fünfter Stelle der meistunter-
richteten Sprachen.
Eine vergleichbare Überlebensfähigkeit zeigt Deutsch an Universitäten, wo nur zwi-
schen 5 und 10 % der Studierenden des ersten Studienjahres eine Sprache lernen (Nettel-
beck u. a. 2008: 11). Der Rückgang des universitären Deutschunterrichts seit den 1960er
Jahren hat sich zwar zwischen 2000 und 2005 fortgesetzt, aber die Zahl der Germanistik-
programme und Deutschkurse an universitären Sprachenzentren ist über ein Vierteljahr-
hundert hinweg relativ stabil geblieben (Jäger und Jasny 2007: 472⫺473). Zwischen 2005
und 2007 gab es sogar einen Zuwachs von 11,9 % bei universitären Anfängerkursen (Net-
telbeck u. a. 2008: 12). Die universitären Deutschkurse sind in Australien auch besonders
eng mit dem Germanistikstudium verbunden: Mehr als 50 % der Lernenden in akademi-
schen Deutschkursen strebten 2005 auch einen germanistischen Studienabschluss an, was
nicht nur einen beträchtlichen Anstieg seit dem Jahr 2000 darstellte, sondern dem welt-
weiten Trend seit 2000 und dem weltweit niedrigen Prozentsatz von 8 % aller Teilnehmer
an akademischen Deutschkursen gegenüber außerordentlich ist (vgl. Jäger und Jasny
2007: 474⫺475). Alles in allem ist Deutsch als Fremdsprache in Australien also ver-
gleichsweise robust.

5. Literatur in Auswahl

Clyne, Michael
2005 Sprachdemographie und Sprachpolitik in Australien: Das wechselhafte Schicksal von
Einwanderersprachen. IMIS-Beiträge 26: 11⫺28.
DEECD
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kationswissenschaft 19.1⫺2). Berlin: de Gruyter.

Heinz L. Kretzenbacher, Melbourne (Australien)

182. Deutsch in Belarus


1. Deutsch als Schulfach an belarussischen Schulen
2. Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung
3. Forschungsschwerpunkte in der Germanistik und im Bereich Deutsch als Fremdsprache
4. Zur Situation der deutschen Sprache im Hochschulbereich
5. Positionierung des Goethe-Instituts in der belarussischen DaF-Landschaft
6. Literatur in Auswahl

1. Deutsch als Schulach an belarussischen Schulen


Die deutsche Sprache erfreut sich in Belarus (Weißrussland) nach wie vor großer Beliebt-
heit. Genaue Angaben über die Zahl der Schüler, die Deutsch als erste Fremdsprache
lernen, liegen nicht vor. Landesweit folgt Deutsch dem Englischen auf Platz zwei. Dies
entspricht einem prozentualen Anteil von ca. 18⫺20 % aller Schüler. In den letzten Jah-
ren ist eine verstärkte Nachfrage seitens der Eltern nach Englisch als erster Fremdsprache
zu verzeichnen, die sich allerdings noch nicht merklich auf die prozentuale Verteilung
des Deutschunterrichts ausgewirkt hat, was mit den speziellen Strukturen des Deutsch-
1616 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

unterrichts in Belarus zu tun hat. Die im Jahre 2008 durchgeführte Bildungsreform, die
die Abschaffung einer obligatorischen zweiten Fremdsprache zur Folge hatte, beein-
flusste die Positionierung des Deutschen in der belarussischen Bildungslandschaft nega-
tiv. Inzwischen gibt es Orte, in denen nur Englisch als Schulfach angeboten wird.
Fremdsprachen wurden in Belarus bis 2008 mit unterschiedlicher wöchentlicher Stun-
denzahl auf drei Niveaustufen angeboten. Im Rahmen von Modellprojekten wurde die
Einführung der ersten Fremdsprache ab dem ersten Schuljahr erprobt. Infolge der Bil-
dungsreform wurde dann aber an allen Mittelschulen der erweiterte Fremdsprachenun-
terricht abgeschafft. Die Schulen, an denen verstärkt Fremdsprachenunterricht angebo-
ten wurde, verloren ihren Sonderstatus. Eine Fremdsprache wird seitdem erst ab der
dritten Klasse unterrichtet. Die Stundenzahl für den Fremdsprachenunterricht an den
Mittelschulen in den 3.⫺11. Schulklassen beträgt zwei Wochenstunden, an den Gymna-
sien in den 5.⫺9. Klassen vier Wochenstunden, in der gymnasialen Oberstufe (10. und
11. Klassen) drei bis vier Wochenstunden (je nach dem Typ des Gymnasiums). Laut
belarussischem Bildungsstandard erreichen die SchülerInnen der Mittelschulen in der
11. Klasse das A1-Niveau nach dem GER, die AbsolventInnen der belarussischen Gym-
nasien das B1-Niveau.
Einen kurzen Einblick in die Situation zur deutschen Sprache ermöglicht die Zahl der
AbiturientInnen, die die zentrale Deutschprüfung in den letzten fünf Jahren absolviert
haben: 2005 waren es 3.500 Personen, 2006⫺2009 im Durchschnitt 5.500 Personen. Das
Jahr 2007 bildete mit 6.700 Prüflingen einen Höhepunkt, was darauf zurückgeführt wer-
den kann, dass ein geburtenstarker Jahrgang die Schule absolvierte.
Die Lehrwerksituation im Fach Deutsch als Fremdsprache ist trotz Bemühungen des
Bildungsministeriums nicht zufriedenstellend. Für die oben beschriebenen Niveaustufen
gibt es keine geeigneten, geschweige denn durchgängige Lehrbücher. Es gibt lediglich
zwei „Autorenkollektive“, die maximal zwei Lehrbücher pro Jahr schreiben können.
Adaptionen deutscher DaF-Lehrwerke werden seitens des Bildungsministeriums nicht
gewünscht.

2. Lehrerausbildung und Lehrerortbildung

Die Linguistische Universität in Minsk, die seit 1948 FremdsprachenlehrerInnen (darun-


ter auch DeutschlehrerInnen) ausbildet, ist die führende Bildungsinstitution in Belarus,
die einen gewissen Qualitätsstandard gewährleistet. An drei Fakultäten ⫺ Fakultät für
Deutsch, Dolmetscherfakultät und Fakultät für interkulturelle Kommunikation ⫺ stu-
dieren knapp 2.400 Personen Deutsch, davon 1.260 als erste und über 1.000 als zweite
Fremdsprache (Stand: September 2009). Die Tendenz ist in den letzten fünf Jahren leicht
steigend. Außerdem wird Deutsch als dritte Fremdsprache angeboten.
Seit 1991 wurden an vielen regionalen Hochschulen neue Studiengänge „Deutsch als
Fremdsprache“ eingerichtet. Da die meisten Hochschulen und Universitäten den Status
einer klassischen Universität erlangen wollen, vollzieht sich die Umwandlung der DaF-
Studiengänge in philologisch orientierte Studiumsangebote, so wie Deutsche Philologie,
so dass die Methodik und Didaktik des DaF-Unterrichts zu kurz kommt. Angesehene
Bildungsinstitutionen, an denen die DaF- bzw. Germanistenausbildung stattfindet, sind
die Belarussische Staatliche Universität und Belarussische Pädagogische Maxim-Tank-
182. Deutsch in Belarus 1617

Universität in Minsk, die Alexander-Puschkin-Universität in Brest, die Janka-Kupala-


Universität in Grodno sowie weitere Universitäten in Mogiljow, Polozk und Mozyr.
Im Bereich der Lehrerfortbildung ist man allerdings von den stark zentralisierten
Strukturen abgegangen, man bildet zusätzlich zur Hauptstadt Minsk jetzt auch dezentral
in den Gebietshauptstädten Deutschlehrer aus. Die Lehrerfortbildung obliegt in erster
Linie dezentral den Lehrerfortbildungsinstituten in den Gebieten.
Die methodisch-didaktischen Kenntnisse vieler DeutschlehrerInnen sind nicht durch-
gängig auf dem aktuellen fremdsprachendidaktischen Stand. Legt man die Kriterien ei-
nes modernen, kommunikativ und handlungsorientiert ausgerichteten Deutschunter-
richts an, muss festgestellt werden, dass die Qualität den europäischen Standards nicht
entspricht. Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen ist zwar an den
Schulen und Hochschulen bekannt, findet bisher aber keine gewünschte Umsetzung in
den nationalen Lehrwerken, Lehrplänen und einheitlichen Abschlussprüfungen.

3. Forschungsschwerpunkte in der Germanistik und im Bereich


Deutsch als Fremdsprache
Forschungen auf den Gebieten germanistische Sprachwissenschaft, Literaturwissen-
schaft, Methodik/Didaktik konzentrieren sich hauptsächlich an der Minsker staatlichen
linguistischen Universität. In den letzten fünf Jahren wurde überwiegend im Bereich
Textlinguistik geforscht, es gibt einzelne Untersuchungen zur Semantik der deutschen
Sprache, langsam entwickelt sich der kognitive Forschungsansatz (vgl. exemplarisch Glu-
schak 2008; Gorlatov 2005; Furaschowa 2008). Das Land verfügt nur über zwei habili-
tierte Professoren für Germanistische Sprachwissenschaft. Die nicht optimalen Rahmen-
bedingungen erschweren für viele angehende DeutschdozentInnen den Zugang zum Pro-
motionsstudium in der Germanistik und DaF-Didaktik. Seitdem das Problem an den
Universitäten vor einigen Jahren erkannt wurde, wird mit allen möglichen Kräften ver-
sucht, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, was aber noch zu keinen bemer-
kenswerten Ergebnissen geführt hat.
Eine große Hilfe leistet in dieser Hinsicht der DAAD in Minsk, der seit 1991 insge-
samt ca. 4.000 Stipendiaten der Republik Belarus gefördert hat. Jährlich werden vom
DAAD ca. 100 individuelle und über 60 Gruppenstipendien vergeben. Es werden über
15 Programme für Studierende, Absolventen der Hochschulen, Doktoranden, Wissen-
schaftler und Hochschullehrer angeboten.

4. Zur Situation der deutschen Sprache im Hochschulbereich

Die meisten Hochschulen und Universitäten bieten Deutsch als studienbegleitendes Fach
(wie z. B. Deutsch als Berufssprache oder Deutsch als Fachsprache) an. Die deutsche
Sprache im Hochschulbereich ist nach dem Englischen sehr gefragt. Die meisten Hoch-
schulen und Universitäten im Land haben eigene Lehrstühle für Deutsch oder Lehrstühle
für Fremdsprachen, die Deutsch als erste oder zweite Fremdsprache anbieten. Die Situa-
tion wird dadurch erschwert, dass die meisten SchulabsolventInnen vorrangig über
1618 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Kenntnisse in der englischen Sprache verfügen, so dass die Bildung von Seminargruppen
mit Deutsch als studienbegleitendem Fach für Fortgeschrittene nicht immer möglich ist.
Die Stundenzahl bewegt sich zwischen 260 und 1200 UE. Verbindlich für alle Studieren-
den ist ein Fremdsprachenkurs mit dem Stundenvolumen in Höhe von 260⫺350 UE.
Zur Zeit spricht man über einen Stundenabbau bis auf 130⫺160 UE. Im Jahr 2006 wurde
eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines neuen Rahmencurriculums für den studienbe-
gleitenden Deutschunterricht an den belarussischen Hochschulen gegründet. Dieses Pro-
jekt wurde inhaltlich und logistisch vom Goethe-Institut Minsk und dem DAAD in Bela-
rus betreut. Das Rahmencurriculum wird seit 2009 als Pilotprojekt an ausgewählten bela-
russischen Universitäten implementiert.

5. Positionierung des Goethe-Instituts in der belarussischen


DaF-Landschat
Das Goethe-Institut Minsk hat seine Arbeit im Jahr 1993 aufgenommen und sich inzwi-
schen als ein wichtiger Akteur in der belarussischen DaF-Landschaft etabliert. Neben
zahlreichen privaten Sprachschulen bietet das Goethe-Institut Minsk eigene Deutsch-
kurse auf verschiedenen Niveaustufen (ca. 1.500 Sprachkursteilnehmer im Jahr) an. Das
Goethe-Institut Minsk ist eine der wenigen Institutionen in Belarus, deren Curricula in
Anlehnung an den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen entwickelt
wurden. Das Spektrum der anzubietenden Kurse ist differenziert und an verschiedene
Zielgruppen angepasst. Kennzeichnend für das Goethe-Institut Minsk ist die Umsetzung
innovativer didaktischer Ansätze im Deutschunterricht. Seit 2008 werden am Institut
neue internetgestützte Kurse entwickelt, die als Blended-Learning-Kurse auf der Moodle-
Lernplattform angeboten werden.
Das Goethe-Institut Minsk hat seit 2005 seine Bildungskooperation in Belarus we-
sentlich ausgebaut. Die Sprachabteilung pflegt aktive Kontakte zu allen regionalen Leh-
rerfortbildungsinstituten und zu den meisten Lehrstühlen, an denen Deutschdozenten
tätig sind. Unterstützend wirkt ein Multiplikatorennetz von 25 Deutschlehrenden, die im
Zeitraum 2003⫺2008 aus- und fortgebildet wurden. Seit 2004 veranstaltet das Goethe-
Institut Minsk in Kooperation mit dem Deutschlehrerverband der Stadt Minsk eine
Deutschlehrer- und Germanistentagung, die ab 2007 alle zwei Jahre stattfindet. „Studien-
tage Deutsch“ zu aktuellen Themen wie „Übersetzen im Fremdsprachenunterricht“, „In-
terkulturelles Lernen und DaF-Unterricht“, „Studienbegleitender Deutschunterricht“,
„Berufsorientierter Deutschunterricht“ usw. sind inzwischen zu einer begehrten Marke
geworden und werden vom Fachpublikum gerne und positiv wahrgenommen.
Aktiv ist das Goethe-Institut auch im schulischen Bereich tätig. Mit der 2007 ins
Leben gerufenen Initiative des Auswärtigen Amts „Schulen: Partner der Zukunft“ wer-
den vier belarussische Schulen auf verschiedene Weise unterstützt.

6. Literatur in Auswahl
Furaschowa, Natalia V.
2008 Lingvokulturnaja specifika vtorichnyh znachenij lexicheskih jedinic (na primere glagolov
fizicheskogo dejstvija v sovremennom nemeckom jazyke) [Sprachkulturelle Besonderhei-
183. Deutsch in Belgien 1619

ten der sekundären Bedeutungen von lexikalischen Einheiten (am Beispiel der Hand-
lungsverben in der deutschen Gegenwartssprache)]. Zameshnyja movy u Respublicy Bela-
rus 1: 3⫺8.
Gluschak, Tamara S.
2008 Intertextualnost’ kak konstitutivnyi factor textoobrazovanija [Intertextualität als konsti-
tutiver Faktor der Textgestaltung]. Minskij gos. lingvist. un-t. Vestnik MGLU Ser. 1, Filo-
logia 1(32): 23⫺28.
Gorlatov, Anatoli M.
2005 Aspekty vzaimodejstvija reklamnoj kommunikacii s meshkulturnoj kommunikaciej [As-
pekte der Wechselwirkung von Werbe- und zwischenkultureller Kommunikation], 6⫺9.
In: Nacionalno-kulturnyj komponent v texte i jazyke: Mater. dokl. Meshdunar. nauch. konf.,
7⫺9 aprela 2005 g. Ch. 1. Minsk: MGLU.

Natalia Furaschowa, Minsk (Belarus)


Dmitri Kletschko, Minsk (Belarus)

183. Deutsch in Belgien


1. Einleitung
2. Deutsch an belgischen Schulen
3. Deutsch an belgischen Universitäten
4. Lehramtsausbildung in Belgien
5. Fort- und Weiterbildung für Deutsch in Belgien
6. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
Als kleines Land ohne nennenswerte Bodenschätze lebt Belgien von seiner Lage zwischen
gesegneten Nachbarn. Da aber je verschiedene Sprachen Spiegel dieser Nationen sind
(Niederländisch, Französisch, Deutsch, Englisch), bilden solide Fremdsprachenkennt-
nisse seit eh und je die Voraussetzung gedeihlichen Zusammenlebens und blühender Han-
delsbeziehungen. Belgische Betriebe sind nicht nur auf die Beherrschung der jeweiligen
anderen Landessprache (Französisch bzw. Niederländisch), sondern auch auf Englisch-
und Deutschkenntnisse angewiesen. Der Fremdsprachenunterricht nimmt traditionell im
belgischen Schulwesen einen je nach Schultyp und Abteilung mehr oder weniger stattli-
chen Platz ein. Fast alle Sekundarschüler lernen zwei, viele auch drei Fremdsprachen.
Das Sprachenstudium hat die Rolle einer sog. Hilfswissenschaft abgelegt, die den ande-
ren, eigentlichen Fächern zu dienen habe, und hat innerhalb des Curriculums einen
grundlegenden Platz inne mit eigenen Bildungszielen und autonomer Lernzielbestim-
mung. Die verschiedenen Fremdsprachen sehen Belgier als grundsätzlich, nicht nur poli-
tisch, gleichwertig an. Die Arroganz einer sog. lingua franca schreckt ihn ⫺ nach ein-
schlägigen historischen Erfahrungen ⫺ ab.
Belgien ist ein flächenmäßig kleines, aber auf Grund seiner Mehrsprachigkeit reichlich
kompliziertes Land. Als Bundesland besteht es aus drei sog. Gemeinschaften: die flämi-
1620 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

sche (d. h. niederländischsprachige) umfasst etwa 56 %, die französische 40 %, die


deutschsprachige knapp 1 % der Gesamtbevölkerung (10 Millionen Einwohner). Da seit
1988 die Unterrichtshoheit bei diesen Gemeinschaften liegt, ist auch der belgische Fremd-
sprachenunterricht nicht mehr einheitlich strukturiert. Außerdem gibt es in jeder Ge-
meinschaft mindestens vier verschiedene Unterrichtsträger, und zwar sowohl öffentliche
(die Gemeinschaften, Provinzen und die Kommunen) als auch private (hauptsächlich die
katholische Kirche).

2. Deutsch an belgischen Schulen

Da Deutsch meistens erst als dritte Fremdsprache gelernt wird, nimmt es im belgischen
Schulwesen keineswegs die Stellung ein, die ihm zukäme. Viele bedauern dies: Beim Stu-
dium bleibt ein Teil der Fachliteratur verschlossen und bei Vorstellungsgesprächen in
Handel und Industrie fehlt oft der entscheidende Trumpf. Auf Grund mangelnder deut-
scher Sprachenkenntnisse ist es für manchen Exporteur schwierig, die Schwellenangst zu
überwinden. Dabei ist nicht zu übersehen, dass der jährliche Warenaustausch allein
schon mit Deutschland um 30 % größer ist (Tendenz abfallend) als mit den französischen
oder niederländischen Nachbarn.
Obwohl sich Deutsch in der Sekundarschule gegen Spanisch oder Italienisch zu be-
haupten wusste und obwohl Deutsch hier zu über 80 % als erste oder zweite Fremdspra-
che gewählt wird, sank der Anteil der französischsprachigen Deutschschüler auf gut 3 %.
In keinem Nachbarland Deutschlands ist er vergleichbar niedrig. Im Schuljahr 1976⫺
1977 hatte es noch einen Schüleranteil von 22,5 % gegeben. Dies hängt damit zusammen,
dass der Unterricht der dritten Fremdsprache in der französischen Gemeinschaft seit
1994 abgebaut wird, so dass die Entscheidung für Deutsch einer Entscheidung gegen
Niederländisch oder Englisch gleichkommt. Der Einbruch des Deutschunterrichts wird
von öffentlicher Seite bedauert.
Die große Mehrheit der DaF-Schüler ist in Flandern zu suchen. Trotzdem bleibt auch
hier der Deutschunterricht großem Druck ausgesetzt. Als ausschließlich dritte Fremd-
sprache blieb das Fach in der Sekundarschule Orchideenfach und Spielball der Refor-
men. Um 1970 war Deutsch im Rahmen einer solchen zum Wahlfach degradiert worden.
Gleichzeitig wurden die Alternativen Spanisch, Italienisch und Russisch eingeführt. 1980
wurde, oft auf Kosten von Deutsch, die Schulwoche auf 32 Stunden begrenzt. 1982
wurden sowohl für die Gründung als auch für den Fortbestand eines Wahlfaches mini-
male Klassengrößen festgelegt. 1985 erschien ein neues Fach auf dem (Stunden)Plan, das
mit Sprachen nicht einmal etwas zu tun hatte, Informatik, häufig zu Ungunsten der
Deutschstunden. Mit einer weiteren Unterrichtsreform, der sog. Einheitsschule (1989⫺
1994), ging ⫺ trotz flexiblerer Kombinationsmöglichkeiten der Grundwahlfächer und
einer besseren Ausgangsposition für Deutsch (wohlgemerkt ausschließlich als dritte
Fremdsprache) ⫺ ein Abbau der Wochenstundenzahl um ein bis drei Einheiten im katho-
lischen Unterrichtswesen einher. An den pädagogischen Hochschulen, an denen Mittel-
schullehrer ausgebildet werden, wurde Deutsch abgeschafft. Auf Grund einer ab 1997
(nur in Flandern) eingeführten Aufnahmeprüfung mit (allgemeinbelgischem) Numerus
Clausus für Medizin und Zahnmedizin war ein neuartiger Andrang der Sekundarschüler
in die naturwissenschaftlichen und mathematischen Abteilungen wahrnehmbar. 2003 trat
183. Deutsch in Belgien 1621

eine Reduktion der Grundwahlfächer in Kraft, was dazu führte, dass im katholischen
Unterricht Deutsch in den Klassen 4 aller Abteilungen des weiterführenden Unterrichts
erstmals seit Jahrzehnten mit einer Wochenstunde wieder als Pflichtfach eingeführt wird.
In allen höheren Klassen dagegen bleibt Deutsch nach wie vor Wahlfach und wird außer-
dem ab dem 1. 9. 2004 im Rahmen der Einführung eines sog. freien ⫺ bzw. leeren ⫺
Raumes, auf zwei Wochenstunden eingedämmt.
Die Entwicklung und Aufgliederung der Wochenstundenpläne haben mit dem Spra-
chenwahlverhalten der Schüler so gut wie nichts zu tun. Inzwischen liegen die Schüler-
zahlen seit dem Schuljahr 2002⫺2003 unter der 20 %-Marke (Schuljahr 2008⫺2009
19 %), was sich nur im oberflächlichen Vergleich mit dem wallonischen Landesteil gut
anhört. Im katholischen Unterricht, der auch die weitaus meisten Schüler beherbergt,
gab es im selben Schuljahr 22,8 % Deutschlernende (vor zehn Jahren noch 26,45 %, vor
25 Jahren 33,70 %), im staatlichen Gemeinschaftsunterricht allerdings nur 7,23 % (vor
zehn Jahren mit 12,08 % das Doppelte, vor 25 Jahren mit 23,24 % das Vierfache; vgl.
Statistische Jahrbücher des flämischen Unterrichts 2008).

3. Deutsch an belgischen Universitäten

Im belgischen Hochschulbereich sind die Studentenzahlen für Deutsch und Germanistik


in den letzten 15 Jahren und seit den durch die Einigung erweckten falschen Hoffnungen
rapide gesunken. Die wichtigsten deutschen Abteilungen besitzen die acht germanisti-
schen Lehrstühle der Universitäten Antwerpen, Brüssel (2), Gent, Löwen, Lüttich, Neu-
löwen (Louvain-la-Neuve) und Namür, die acht Dolmetscherhochschulen sowie einige
betriebswirtschaftliche Fakultäten und Handelshochschulen. Die Fachhochschulen mit
den Studiengängen Hotelfach, Tourismus, Sekretariat und Kommunikation bieten
Deutsch an. Ein Germanistikstudium absolvieren z. Z. knapp 500 (vorwiegend weibliche)
Studierende, womit der entsprechend gesunkene schulische Bedarf abgedeckt ist. Alle
kombinieren Deutsch mit einer weiteren Sprache. Diesen Germanistikstudierenden ste-
hen landesweit je 20 Professuren (bzw. Dozenturen) und Assistenzen zur Verfügung. Die
Absolventinnen und Absolventen sind zu 40 % im Sekundarunterricht (Stufe II) tätig, zu
20 % im Hochschul- oder Forschungsbereich, die anderen in Bibliotheks- und Verlagswe-
sen, Handel und Industrie, Informatik, Verwaltung, als Journalist, Übersetzer oder Dol-
metscher. Das Studium nimmt mindestens fünf Jahre in Anspruch und umfasst zu unge-
fähr gleichen Teilen Literatur, Sprachpraxis und Linguistik. Erst im Magisterium ist eine
Schwerpunktwahl möglich. Das Universitätsstudium bildet die Fortsetzung der belgi-
schen Schule, d. h. es ist leistungsbezogen und selektiv, im internationalen Vergleich
verschult.
Die Vorlesungen zur deutschen Literatur führen zunächst einmal in den (den Studen-
ten vorerst unbekannten und aus dem deutschsprachigen Ausland übernommenen) Ka-
non ein. Literatur aus Österreich und der Schweiz erscheint gleichberechtigt neben Tex-
ten aus dem gegenwärtigen Deutschland, wobei die belgische Germanistik alle diese Lite-
raturen gemeinhin als deutsch bezeichnet, wie es hierzulande bei den niederländischen
und französischen Literaturen ähnlich gehandhabt wird. Das linguistische Pensum be-
steht während des Grundstudiums weitgehend aus Spracherwerb und Grammatik, und
zwar muss auf Grund der erörterten Entwicklungen zunächst einmal Anfängerunterricht
1622 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

erteilt werden. Da kann auch an Dolmetscherhochschulen bzw. an Wirtschaftsfakultäten


von Fachsprachenunterricht kaum die Rede sein. Von dieser Einschränkung ist der Lite-
raturunterricht an flämischen Universitäten auszunehmen, da die Studierenden auf
Grund der verwandten Sprachen Deutsch und Niederländisch praktisch ab dem zweiten
Semester im Stande sind, (mit Wörterbuchunterstützung) den Zugang zu klassischen Tex-
ten der letzten Jahrhunderte zu finden. Frankophone Studierende brauchen da in der
Regel ein Jahr länger, haben aber ihrerseits den nicht geringen Vorteil, ihr sog. Lernpla-
teau nicht nach etwa zwei Jahren schon zu erreichen und die Motivierung damit vorzeitig
einzubüßen. Alle Vorlesungen und Seminare werden auf Deutsch abgehalten. Viele Uni-
versitäten bieten auch Kultur- oder Landeskunde an.

4. Lehramtsausbildung in Belgien

Die Lehramtausbildung für die Sekundarstufe II findet an den Universitäten statt (in
Flandern 60, in der französischen Gemeinschaft 30 ECTS-Punkte), was Vor-, aber auch
Nachteile hat. Zu den Nachteilen gehören die Tatsachen, dass sie sich nur am Rande der
Fachausbildung abspielt und außerdem oft von Hochschullehrenden bestritten wird, die
kaum über eigene pädagogische Erfahrung verfügen.
Was hat Deutsch in Belgien zunehmend unbeliebt gemacht? Es gibt erstens eine Reihe
von innerbelgischen Gründen. Schon die belgische Staatsstruktur legt die Wahl der gro-
ßen anderen Landessprache (Niederländisch bzw. Französisch, Letzteres in Flandern so-
gar obligatorisch) nahe, was diese, allerdings auch die dritte Landessprache Deutsch (im
Gegensatz zu Englisch und Spanisch), nicht unbedingt beliebt macht. Für diese Entwick-
lung zeichnen erstaunlicherweise die Medien mit verantwortlich, die eigentlich einen pä-
dagogischen Auftrag zu erfüllen hätten und die Jugend mit den anderen belgischen kultu-
rellen Hintergründen vertraut machen sollten. Trotzdem bestehen hierzulande den
Deutschsprachigen (und Frankophonen) gegenüber kaum Aversionen. Im Gegenteil,
Österreich und die Schweiz, auch Deutschland gehören mindestens in Flandern zu den
gern gesehenen Reisezielen. Für den Widerspruch zwischen dem ausgesprochen hohen
Prestige gerade der deutschsprachigen Länder und dem niedrigen Prestige ihrer Sprache
wird man eine Erklärung suchen müssen. Typisch belgisch ist außerdem immer noch eine
weit verbreitete veraltete, an Latein und Griechisch sowie vorrangig der Schriftsprache
geschulte Methodik. Dabei hatte das Unterrichtsministerium bereits 1895 die direkte
Methode empfohlen. Dies mag mit der Tatsache zusammenhängen, dass Deutsch in Bel-
gien, wie gesagt, meistens dritte Fremdsprache ist, was dazu führt, dass Zielsetzungen
und Lernstrategien der ersten oder zweiten Fremdsprache (etwa ein hoher Anteil gram-
matikalischen Wissens) allzu oft kritiklos auf die dritte übertragen werden.
Es gibt zweitens auch allgemeinere Gründe, die eine Sprache wie das Deutsche unpo-
pulär machen. Nun ist zumindest die deutsche Morphologie ⫺ im Gegensatz etwa zu
der Lexik für Niederländischsprachige ⫺ im europäischen Vergleich komplex, d. h.
schwierig (drei Genera sind komplexer als zwei; zwei komplexer als eins; neun Möglich-
keiten der Pluralbildung sind komplexer als zwei, geschweige eine oder gar keine usw.).
Diese schreckt so manche potentielle Deutschlernende ab. Außerdem ist an dieser Stelle
die Frage zu stellen, ob der Ausbau und die Fortentwicklung der internationalen Institu-
tionen im allgemeinen wie des Europarates und der EU insbesondere der Verbreitung
183. Deutsch in Belgien 1623

der deutschen Sprache ⫺ und übrigens aller Sprachen bis auf eine einzige ⫺ paradoxer-
weise nicht eher schadet als nützt. Tatsächlich war im Europa der 1950er und 1960er
Jahre das Klima fremdsprachenfreundlicher als heute.

5. Fort- und Weiterbildung ür Deutsch in Belgien


Der BGDV (Belgischer Germanisten- und Deutschlehrerverband) vertritt als politisch
neutraler Dachverband seit 1974 die Interessen des Faches und gibt die einzige belgische
Fachzeitschrift, die Germanistischen Mitteilungen, heraus. Als einzige noch existierende
gesamtbelgische Lehrervereinigung richtet sie für etwa 300 ⫺ es waren mal über 1000 ⫺
Mitglieder Fortbildungsveranstaltungen in In- und Ausland aus. Sie arbeitet regelmäßig
mit dem Goethe-Institut zusammen, bietet allerdings jährlich auch Seminare in Öster-
reich (früher ebenfalls in der DDR) an. Aus der Zusammenarbeit mit dem Goethe-Insti-
tut und der deutschen Botschaft ging 1981 bzw.1990 die Stiftung zur Förderung von
Deutsch als Fremdsprache in Belgien hervor. Diese wird durch ein aus angesehenen,
mehrheitlich belgischen Persönlichkeiten zusammengesetztes Kuratorium unterstützt, die
sich bereit erklärt haben, die Stiftungsziele zu fördern. Die Stiftung setzt sich dafür ein,
dass jedem Sekundarschüler wenigstens die Möglichkeit geboten wird, Deutsch zu ler-
nen. Auf Anregung des BGDV stellt die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen in
Köln (D) den belgischen Deuschlehrern seit 1987 einen Fachberater zur Verfügung.
Schließlich hat auch der „Dortmunder“ Verein Deutsche Sprache in Belgien 300 Mitglie-
der.

6. Literatur in Auswahl
Kern, Rudolf
2005 Es steht nicht gut um die deutsche Sprache: Eine kritische Rückschau. In: Eva C. Leewen
(Hg.), Sprachenlernen als Investition in die Zukunft. Wirkungskreise eines Sprachlernzent-
rums. Festschrift für Heinrich P. Kelz zum 65. Geburtstag, 219⫺254. Tübingen: Narr.
Nelde, Peter Hans
2001 Europäische Sprachpolitik und Neue Mehrsprachigkeit. Spieghel Historiael: 65⫺82.
Quell, Carsten
1995 Die Europäische Union 1995 ⫺ Mehr Länder, weniger Sprachen? Die Sprachen der euro-
päischen Institutionen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Germanistische Mitteilungen
41: 25⫺45. Statistische Jahrbücher des flämischen Unterrichts 2008. Brüssel.

Roland Duhamel, Antwerpen (Belgien)


1624 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

184. Deutsch in Brasilien


1. Zur Situation
2. Zur Geschichte der deutschen Sprache in Brasilien
3. Deutsch an Hochschulen
4. Perspektiven
5. Literatur in Auswahl

1. Zur Situation

An Spracheninstituten (insgesamt 129, die meisten im Erwachsenenbereich) lernten nach


Angaben des Goethe-Instituts São Paulo im Jahr 2008 in Brasilien 12.777 Schüler bei
531 Lehrern. 29 Universitäten boten Studiengänge im Bereich Deutsch (Letras Alemão)
bzw. Deutsch-Kurse an: Dozenten und Lehrkräfte an diesen Einrichtungen gab es insge-
samt 217, die Lernerzahl betrug 10.501 Personen (inkl. in allgemeinen Sprachkursen).
An den 311 Schulen (privat und öffentlich), an denen Deutsch angeboten wurde, unter-
richteten 684 Lehrer 59.017 Schüler. Fazit: 479 Institutionen, 1.432 Lehrer, 82.295 Ler-
ner. Brasilien hat 190 Mio. Einwohner.
Allein im Bundesstaat São Paulo (die folgenden Daten des GI São Paulo beziehen
sich ab jetzt auf das Jahr 2007) unterrichteten 607 Lehrer 28.309 Schüler. Der Großraum
der gleichnamigen Hauptstadt São Paulo konzentriert knapp 10 Prozent der brasiliani-
schen Bevölkerung (ca. 18,5 Mio. Einwohner) und ist außerdem die größte „deutsche“
Industriestadt weltweit mit über 1.000 Niederlassungen von deutschen Unternehmen.
Dort liegt auch die größte deutsche Schule der Welt mit 12.500 Schülern. Im Bundesstaat
Rio de Janeiro (die gleichnamige Hauptstadt hat ca. 6 Mio. Einwohner, hier konzentrier-
ten sich die meisten Schüler) wurden 11.091 Lerner von 151 Lehrern unterrichtet. In den
Bundesstaaten der Region Süd (Paraná, Santa Catarina, Rio Grande do Sul, mit insge-
samt 26,7 Mio. Einwohnern), wo sich die deutsche Immigration konzentrierte (ca.
350.000 Einwanderer von 1824⫺1952), waren es 43.304 Schüler und 644 Lehrer. In
Nordostbrasilien (insgesamt 51,5 Mio. Einwohner, wichtige Städte sind z. B. Salvador,
Recife und Fortaleza) waren insgesamt 59 Lehrer tätig, sie unterrichteten 3.501 Schüler.
In den restlichen Bundesstaaten waren es insgesamt 4.221 Schüler bei 69 Lehrern (davon
42 im Bundesstaat Minas Gerais). Die Daten im Jahr 2007 umfassten eine Gesamtzahl
von 90.426 DaF-Lernern.
São Paulo und Rio haben durch die wirtschaftliche Bedeutung der Städte eine Eigen-
dynamik, in den nördlicheren Regionen sind die Zahlen verhältnismäßig sehr gering.
Eine Sondersituation kennzeichnet jedoch den Süden des Landes. Die Schulen, an denen
Deutsch angeboten wird, sind in verschiedenen Städten gut verteilt, die Regierungen
auf Landes- und Gemeindeebene treffen hin und wieder administrative Maßnahmen zur
Förderung des Angebotes von Deutsch an Schulen, die allerdings nur selten über eine
Amtsperiode hinaus effektiv gehalten werden. Angestrebt wird ⫺ zumindest offiziell ⫺
Mehrsprachigkeit im schulischen Angebot angesichts der ethnischen Vielfalt in der Re-
gion, und das entspricht einer latenten Erwartung der Bevölkerung. Denn nach demos-
kopischen Schätzungen sind heute ca. 5 Mio. Brasilianer zumindest teilweise deutsch-
184. Deutsch in Brasilien 1625

stämmig. Die meisten leben in der Region Süd, wo sich zur Zeit der Einwanderung
die Siedlungsgebiete konzentrierten: In Rio Grande do Sul beträgt die deutschstämmige
Bevölkerung 12 % der gesamten Einwohnerzahl.

2. Zur Geschichte der deutschen Sprache in Brasilien

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die deutsche Sprache zu einem wichtigen Bestand-
teil des kulturellen Lebens in Südbrasilien. Bis 1937 gab es dort ein gut ausgebautes
Schulwesen (ca. 1.000 Schulen), auch eine deutschsprachige Presse. Deutsche Musik-,
Turn- und Theatervereine prägten das soziale und kulturelle Leben der Städte. Die deut-
sche Kultur genoss ein hohes Ansehen. Eine strenge, ab 1938 aus innenpolitischen Grün-
den vom Diktator Getulio Vargas durchgeführte Nationalisierungspolitik und die Nazi-
herrschaft in Übersee veränderten die Situation tiefgreifend. Die brasilianisch-nationali-
stische Unterdrückung der deutschen Sprache führte zur Diskriminierung von vielen
Menschen in den Siedlungsgebieten, was sich mit dem Kriegseintritt Brasiliens auf Seiten
der Alliierten nur verschärfte. Deutschstämmige Einwanderer wurden zu „Feinden“, der
Kollaboration mit Hitler verdächtig. Es wurde verboten, Deutsch zu sprechen, obwohl
viele der Einwanderer, vor allem im Hinterland, z. T. nur über sehr rudimentäre oder
keine Portugiesischkenntnisse verfügten (Altenhofen 1996).
Nach Kriegsende wurden die Unterdrückungsmaßnahmen nur allmählich aufgeho-
ben. Das Weiterbestehen einer deutschsprachigen Szene in den 50er und 60er Jahren
verdankte sich der Präsenz von exilierten Intellektuellen, die in Brasilien geblieben wa-
ren, und der Tatsache, dass trotz der Jahre der Nationalisierungspolitik ein großes Inte-
resse an Deutsch unter der allgemeinen Bevölkerung und besonders unter Deutschstäm-
migen weiterhin vorhanden war. Mitte der 60er Jahre suchte Brasilien erneut eine rechts-
konservative Militärdiktatur heim. An den Schulen wurde als Fremdsprache fast
ausschließlich Englisch angeboten, die meisten Deutschstämmigen verloren fast vollstän-
dig den muttersprachlichen Kontakt mit Deutsch. Trotzdem gibt es außerhalb Europas
nirgendwo so viele Sprecher des Deutschen wie im Süden Brasiliens (Kaufmann 2003:
29). Die Sprache lebte zumeist auf dem Lande weiter, sowie in einigen wenigen mittleren
Städten in dialektalen, vom Portugiesischen beeinflussten Varianten. Insbesondere durch
die Erinnerungskultur in den Familien blieb eine vage „deutsch-brasilianische“ Identität
im Gedächtnis vieler Menschen erhalten.
Insbesondere ab 1989 wuchs durch die mediale Präsenz vom vereinigten Deutschland
das Interesse für die Sprache wieder. Dies führte in Südbrasilien zu einem deutlichen
Anstieg der Lernerzahlen. Doch unter Nicht-Deutschstämmigen ließ sich das ebenfalls
spüren: Die seit Jahrzehnten bestehende wirtschaftliche Zusammenarbeit und der ständig
erweiterte, partnerschaftlich geförderte wissenschaftlich-technologische Austausch zwi-
schen den Ländern brachten nach der ökonomischen und politischen Stabilisierung Bra-
siliens seit Mitte der 1990er Jahre gute Folgen für die Präsenz des Deutschen hervor.
Heute stellt der Fremdsprachenunterricht eine große Herausforderung für die brasili-
anische Bildungspolitik dar (Spinassé 2005). Von wenigen guten Schulen abgesehen wei-
sen Lehrer nicht selten einen mangelhaften Ausbildungsstand auf, auch unzulängliche
Sprachkenntnisse. In den Schulen werden im Normalfall Fremdsprachen mit nur zwei
Stunden pro Woche unterrichtet. Der Lehrerberuf ist wenig attraktiv, weil schlecht be-
1626 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

zahlt. Die Diagnose von Kaufmann (2003: 33) gilt noch heute: Deutsch wird in Brasilien
„bis auf den Süden fast ausschliesslich in oft sehr teuren Privatschulen unterrichtet“; in
Südbrasilien bieten zwar auch konfessionelle Privatschulen Deutsch an, vorwiegend aber
öffentliche Schulen. Auch in Brasilien ist Englisch die am häufigsten erlernte Fremdspra-
che. Doch Deutsch kann im Süden den Rang als zweite Fremdsprache beanspruchen.

3. Deutsch an Hochschulen
In der Hochschulausbildung bieten sich folgende Möglichkeiten des Studiums im Bereich
Deutsch als Fremdsprache (Letras Alemão): Lehrerausbildung, Übersetzerausbildung,
Ausbildung als Bachelor in Literatur-, Sprach- oder Übersetzungswissenschaft. An vielen
Universitäten bieten Sprachenzentren Deutschkurse für allgemein Interessierte an. Dort
unterrichten zumeist fortgeschrittene Studierende, so besteht für viele die Möglichkeit,
ein Praktikum am Sprachenzentrum der jeweiligen Universität zu absolvieren und schon
während der Ausbildung regelmäßigen Unterricht zu erteilen.
Trotz der eher schlechten Stellung des Lehrerberufs erlebt Südbrasilien einen Anstieg
der Studentenzahlen und eine Erweiterung des Studiengangs Letras auf postgradualer
Ebene. Neben dem bereits traditionellen Master- und Doktoratsprogramm für Deutsch
und deutschsprachige Literatur an der Universität São Paulo (USP) bieten seit 2007 die
Bundesuniversität in Porto Alegre (UFRGS) einen Master in deutschsprachiger Litera-
tur, die Bundesuniversität in Curitiba (UFPR) seit 2009 einen bilateralen Master in DaF
(mit der Universität Leipzig) an. In Magister- und Promotionsprogrammen in Literatur-,
Sprach- und Übersetzungswissenschaft werden ansonsten an verschiedenen Einrichtun-
gen, wie der Bundesuniversität in Florianópolis (UFSC), Forschungsvorhaben im Kon-
text der deutschen Sprache und Literatur angenommen.

4. Perspektiven
Heute steht in Brasilien eine sprachpolitische Wende in Aussicht. Nachdem in den 90er
Jahren des 20. Jahrhunderts die ca. 180 Sprachen der Indios an Prestige gewonnen ha-
ben, und deren Anwendung, Verbreitung und Erforschung dezidiert durch den Staat
unterstützt wurde, behauptet sich zur Zeit eine sprach- und bildungspolitische Initiative
zum Schutz und zur Anerkennung der circa 30 alochtonen Sprachen, d. h. der Immigran-
tensprachen. Dadurch wird das Programm eines mehrsprachigen Fremdsprachenunter-
richts wiederbelebt. Gleichzeitig gewinnt brasilianisches Portugiesisch als internationale
Sprache an Bedeutung. Für die zumeist kleinen Deutschabteilungen an den Universitäten
geht es daher in der integrierten Zusammenarbeit mit den Portugiesischabteilungen um
den Gewinn von politischer Relevanz und Legitimität innerhalb der jeweiligen eigenen
Universität, um den Gewinn an Bedeutung und Visibilität in der Beziehung mit Ministe-
rien auf Landes- und Bundesebene, sowie um die Etablierung des Faches Deutsch als
Fremdsprache in der wissenschaftlichen Szene.
Dem brasilianischen Bildungssystem steht eine Erweiterung und qualitative Umge-
staltung bevor. Millionen Brasilianer in wirtschaftlich bedeutenden Regionen (vor allem
im Süden) weisen eine immer noch effektive Sympathie für die deutsche Sprache auf.
184. Deutsch in Brasilien 1627

Die Arbeit von gut ausgebildeten Lehrern und sprachpolitischen Entscheidungsträgern


im Bereich DaF kann in den nächsten Jahren die brasilianische Szene mitbestimmen.
Initiativen zur Förderung des Deutschen werden von der Bevölkerung in diesen Regio-
nen willkommen geheißen. Doch die Zeit drängt.
Anwendungsbezogen strukturierte Studiengänge mit verstärkten sprachlichen, bil-
dungspolitischen und methodologisch-didaktischen Anteilen sind gerade jetzt gefragt.
Denn die Strukturierung des Schulwesens im ganzen Bereich Fremdsprachen steht ei-
gentlich noch bevor. Entscheidungen für die Zukunft des Unterrichts werden in den
nächsten Jahren auf vielen Ebenen getroffen, sei es in der Regierung (in Kommunen und
Bundesstaaten), sei es auf der Ebene der Schulverwaltung, wo die Präsenz von engagier-
ten Lehrern bestimmen kann, in welcher Form mit welchem Qualitätsanspruch welche
Sprachen angeboten werden.

Danksagung

Der vorliegende Beitrag ist teilweise auf der Basis einer gemeinsamen Arbeit mit Markus
Weininger (UFSC) enstanden.

5. Literatur in Auswahl
Altenhofen, Cléo Vilson
1996 Hunsrückisch in Rio Grande do Sul. Ein Beitrag zur Beschreibung einer deutschbrasiliani-
schen Dialektvarietät im Kontakt mit dem Portugiesischen. Stuttgart: Franz Steiner.
Kaufmann, Göz
2003 Deutsch und Germanistik in Brasilien. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 35(1):
29⫺39.
Spinassé, Karen Pupp
2005 Deutsch als Fremdsprache in Brasilien. Eine Studie über kontextabhängige unterschiedliche
Lernersprachen und muttersprachliche Interferenzen. Frankfurt a. M.: Lang.

Paulo Soethe, Curitiba (Brasilien)


1628 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

185. Deutsch in Bulgarien


1. Einleitung
2. Deutsch an bulgarischen Schulen
3. Deutsch an bulgarischen Universitäten
4. Deutsch in der Fort- und Weiterbildung
5. Die politische Entwicklung nach 1989
6. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
Deutsch ist in Bulgarien traditionsgemäß eine der wichtigen Schulsprachen. Auch nach
1990 konnte der Deutschunterricht durch die Konkurrenz des Englischen nicht in den
Hintergrund gedrängt werden (Dimova 2001; Kamburova-Milanova 2005b). Die Bevor-
zugung des Deutschen als Fremdsprache in Schule und Hochschule ist durch die traditio-
nell guten wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen Bulgariens zu den deutschspra-
chigen Ländern bedingt. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen dabei Mittlerorgani-
sationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

2. Deutsch an bulgarischen Schulen


Das Erlernen von zwei Fremdsprachen ist in der bulgarischen Schule seit Anfang des
20. Jhs. Pflicht. 2003 wurde der Unterricht in der ersten Fremdsprache ab der 2. Klasse
der Grundschule obligatorisch eingeführt. Als erste Sprache wird gewöhnlich Englisch
gewählt. Laut Angaben des Nationalen Statistikinstituts steht Deutsch an dritter Stelle
nach Englisch und Russisch.
Von 2003 bis 2008 nimmt die Anzahl der deutschlernenden Schüler ab. Die Tendenz
ist aber bei allen Sprachen zu beobachten, da die Geburtenrate in Bulgarien 1994⫺2001
sehr niedrig war. Deutsch steht landesweit an dritter Stelle nach Englisch und Russisch,
da in kleineren Orten und vor allem in der Primarstufe nur Russisch angeboten wird,
um die vorhandenen Lehrkräfte einsetzen zu können. In der Sekundarstufe (an allen
Schultypen) steht Deutsch an zweiter Stelle nach Englisch. Im Schuljahr 2007/2008 sind
die Deutschlerner folgendermaßen verteilt: 1.⫺4. Klasse ⫺ 8928; 5.⫺8. Klasse ⫺ 32827;
9.⫺12. Klasse ⫺ 60065, an Berufsschulen ⫺ 48058.
Im Jahre 2008 unterrichten in Bulgarien 2010 Lehrer Deutsch als Fremdsprache, da-
von 140 in den Klassen 1.⫺4., 550 in den Klassen 5.⫺8., 840 in den Klassen 9.⫺12. und
480 in Berufsschulen (alle Angaben von Anna Arsenieva, Hauptexpertin für Deutsch am
Bildungsministerium).
Früher Deutschunterricht wird auch an vielen Privatschulen angeboten.

Im Sekundarbereich wird Deutsch als erste und und zweite Fremdsprache erlernt. Ein
bewährtes Modell für einen intensiven Deutschunterricht (19 Stunden obligatorisch und
3 bis 4 Wahlstunden wöchentlich) bieten die profilierten Gymnasien mit intensivem
185. Deutsch in Bulgarien 1629

Fremdsprachenunterricht (Fremdsprachengymnasien), wo die Aufnahme der Schülerin-


nen und Schüler nach der 7. Klasse erfolgt und im ersten Schuljahr vorwiegend das Fach
Deutsch vermittelt wird. In den Klassen 9. bis 11. werden je nach vorhandenen Lehrkräf-
ten ein, zwei oder mehrere Fächer in der Fremdsprache unterrichtet. Auf Grund einer
Umstrukturierung des Bildungssystems haben viele allgemeinbildende Sekundarschulen
ein fremdsprachiges Profil vorgezogen.

3. Deutsch an bulgarischen Universitäten


Nach wie vor ist Deutsch eine unter den anderen Fremdsprachen, die studienbegleitend
an den Universitäten für alle Studiengänge angeboten werden. Als Lermziel werden
grundlegende Fachsprachenkenntnisse im jeweiligen Fachbereich angestrebt. Abgesehen
von Studiengängen wie Internationale Beziehungen, Tourismus und Journalistik, wo
mehrere Fremdsprachen obligatorisch gelernt werden, tritt das Interesse für Deutsch als
Fremdsprache in den Natur- und Humanwissenschaften zugunsten von Englisch zurück.
Deutschlehrende werden im Rahmen des Bachelorstudiums (8 Semester) des Germa-
nistik- und des Lehramtstudiums (Kombinationen aus Deutsch und einem anderen Spra-
chenstudium oder Primarschulpädagogik) ausgebildet. Das Germanistikstudium mit in-
tegriertem DaF-Modul wird an den Universitäten Sofia, Veliko Tarnovo und Schumen
angeboten. Das Deutschlehramtsstudium in Kombination mit einer anderen Sprache
wird in Veliko Tarnovo, Plovdiv und Blagoevgrad angeboten. Primarschulpädagogik mit
einer Fremdsprache (darunter auch Deutsch) wird an allen Universitäten Bulgariens an-
geboten.
Sowohl im Germanistik- als auch im Deutsch als Fremdsprache-Studium werden fol-
gende Fächer angeboten, die zur Lehrberechtigung führen: Pädagogik, Psychologie,
Audio-visuelle und Informationstechnologien im Unterricht, Methodik des Fremdspra-
chenunterrichts, zwei Wahlfächer im Bereich Methodik/Didaktik (gewöhnlich zum inter-
kulturellen Lernen und zum frühen Fremdsprachenlernen), Hospitationspraktikum, Vor-
diplomspraktikum an der Schule. Insgesamt werden durch den Block pädagogisch-me-
thodischer Fächer 60 Kreditpunkte erworben, 10 davon bringt das Staatsexamen, das
aus einem theoretischen und einem praktischen Teil (dem Halten einer Unterrichts-
stunde) besteht.

4. Deutsch in der Fort- und Weiterbildung


Für die Lehrerfortbildung sind das Ministerium für Bildung und Wissenschaft, die ihm
untergeordneten pädagogischenn Zentren und spezielle Departements zuständig, die der
Struktur der Universitäten in Sofia, Schumen und Stara Zagora angegliedert sind. Seit
2003 wird die Qualifikation von vielen Primarlehrern durch ein Nationalprogramm fi-
nanziell unterstützt. Die Finanzierung der Fortbildung insgesamt bleibt jedoch proble-
matisch und wäre ohne die Unterstützung der D-A-CH-Mittlerorgansationen nicht zu
verwirklichen. Effektive Formen der Lehrerfortbildung sind in letzter Zeit europäische
(Comenius-)Projekte sowie Fortbildungsinitiativen der Gemeinden und öffentlicher Bil-
dungsträger (Kamburova-Milanova 2005b).
1630 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

5. Die politische Entwicklung nach 1989

Die politische Entwicklung nach 1989 hat die Situierung von Deutsch im Land grundle-
gend beeinflusst. Das Interesse an Deutsch ist in der Schule nach wie vor groß. Besonders
an den profilierten Gymnasien (52 Gymnasien im Land) und in den Berufsgymnasien
(43 im Land) mit intensivem Sprachenunterricht steht Deutsch an zweiter Stelle nach
Englisch. An 22 Sprachengymnasien kann das Deutsche Sprachdiplom Stufe II der Kul-
turministerkonferenz erworben werden. Das Niveau der Sprachenbeherrschung wird
nach den Abschlussergebnissen als sehr hoch eingeschätzt, weil die Motivation ausge-
prägt ist: der Zugang zu den Universitäten in den deutschsprachigen Ländern. Die Fol-
gen dieser Entwicklung sind aber für die bulgarischen Universitäten eher negativ, und
die Studiengänge Germanistik und Deutsch als Fremdsprache sind am stärksten von
dieser Tendenz betoffen (Dimova 2006).
Deutsch wird zwar nicht so häufig gewählt, es mangelt aber trotzdem an qualifizierten
Deutschlehrern in der Grundschule, da der Bedarf an Fremdsprachenlehrerinnen und
-lehrern in der Primarstufe durch die obligatorische Einführung des frühen Fremdspra-
chenunterrichts enorm gestiegen ist: Im Schuljahr 2007/2008 lernten 8928 Schüler in der
1. bis 4. Klasse Deutsch. Die neu etablierten Studiengänge Primarschulpädagogik mit
einer Fremdsprache erfreuen sich jedoch keines großen Interesses (besonders in Bezug
auf Deutsch), so dass momentan intensive Umschulungslehrgänge durchgeführt werden,
um berufstätige Primarlehrende zu befähigen, auch die (am häufigsten gewünschten)
Fremdsprachen Englisch oder Deutsch zu unterrichten.
Die Chancen des Deutschen liegen in der Tendenz, den Intensivunterricht an den
profilierten Gymnasien weiter zu fördern sowie die Möglichkeiten von Deutsch als zwei-
ter Fremdsprache effektiver zu nutzen. An den Universitäten ist eine Diskussion im
Gange, die germanistischen Studiengänge durch verschiedene Fächerkombinationen at-
traktiver zu gestalten.
Inhaltlich hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten sowohl die linguistische und die
literaturwissenschaftliche als auch die pädagogisch-didaktische Komponente im Germa-
nistik- und DaF-Studium in Richtung Anwendungsorientiertheit und Interkulturalität
entwickelt. Obligatorische Elemente des Curriculums sind an allen Universitäten Text-
und Pragmalinguistik sowie Landeskunde und Kulturgeschichte der deutschsprachigen
Länder. Als Wahlfächer (ca. 25 % der Lehrveranstaltungen im Curriculum) werden ange-
boten: Interkulturelle Kommunikation, Interkulturelles Lernen, Interkulturelle Literatur,
Frühes Fremdsprachenlernen, Mehrsprachigkeitskonzepte, Kontrastive Linguistik.

Schwerpunkte der Forschung stehen in Zusammenhang mit der Lehre und sind vor allem
gerichtet auf Lehrwerkanalyse (Stefanova 2007a), Lernen, Lehren und Bewerten (Stefa-
nova 2007b), Aspekte der Interkulturalität (Kamburova-Milanova 2005a), frühes Fremd-
sprachenlernen (Stojčeva 2005; Miteva 2002), einzelne Fertigkeiten und Lernstrategien
(Savova 2007; Stojčeva 2005; Miteva 2008), Handlungsorientierung des Sprachunter-
richts (Stojčeva 2004) sowie lexikographische Erfassung von Lernerschwieriugkeiten
(Drumeva 2006). Wichtige Publikationsorgane sind die Zeitschriften Čuždoezikovo obu-
čenie [Fremdsprachenunterricht] und Săpostavitelno ezikoznanie [Kontrastive Linguistik].
Für den wissenschaftlichen Nachwuchs im Bereich Deutsch als Fremdsprache werden
Masterstudiengänge vor allem an der Universität Sofia angeboten.
185. Deutsch in Bulgarien 1631

Tab. 185.1: Anzahl der Fremdsprachenlerner an bulgarischen Schulen


Sprache/ 2003/2004 2004/2005 2005/2006 2006/2007 2007/2008
Schuljahr
Englisch 464516 494126 529078 523261 518631
Deutsch 123396 128499 129155 116470 101820
Russisch 137077 147040 154273 143284 129893
Französisch 68137 65002 62174 54364 46373
Spanisch 16199 16305 17435 18003 17753
Italienisch 4038 4511 5520 4339 3460

6. Literatur in Auswahl
Dimova, Ana
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Bulgarien. In: Gerhard Helbig, Lutz
Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein inter-
nationales Handbuch, 1551⫺1555. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikati-
onswissenschaft 19.1⫺2). Berlin: de Gruyter.
Dimova, Ana
2006 Buridans Esel zwischen Europäisierung und Globalisierung oder: Warum lernt man in
Bulgarien Deutsch. In: The Language Policy of the EU and European University Educa-
tion, Volume 2, 285⫺291. Veliko Tărnovo: PIC.
Drumeva, Stanislava
2006 Zweisprachige Schulwörterbücher ⫺ Ja oder Nein. In: Zweisprachige Lexikographie und
Deutsch als Fremdsprache, 85⫺100. (Germanistische Linguistik 184⫺185). Hildesheim:
Georg Olms.
Hockickova, Beata und Ljubov Mavrodieva
2001 Arbeitsfeld: Deutschlehrerausbildung. In: 10 Jahre DaF in Bulgarien nach der Wende ⫺
Wo stehen wir, wohin gehen wir?, 62⫺85. Goethe-Institut Sofia/Plovdiv: Lettera.
Kamburova-Milanova, Ivanka
2005a Vermittlungsmodelle interkultureller Kompetenz im Fremdsprachenunterricht. In: Fremd-
sprache-Deutsch-Europäisch ⫺ 2. Internationale Konferenz des DaF-Netzwerks in Szigets-
zentmiklos/Budapest 08.⫺11. September 2005, 15⫺23. Athen/Pallini: Ellinogermaniki
Agogi.
Kamburova-Milanova, Ivanka
2005b Deutsch als Fremdsprache in Bulgarien. Bestandsaufnahme und Perspektiven. In: Sympo-
sium Deutsch als Fremdsprache in Südosteuropa 18⫺20. November 2005, 83⫺92. Tessalo-
niki: Kornelia Sfakianaki Editions.
Miteva, Neli
2002 Probleme und Schwierigkeiten bei der Alphabetisierung in Deutsch als Fremdsprache in
der Primarstufe. Čuždoezikovo obučenie [Fremdsprachenunterricht]: 2: 32⫺51.
Miteva, Neli
2008 Die Methode „Dynamisch-integratives Sprechen ⫺ Schreiben ⫺ Lesen“ von Heide
Buschmann. Čuždoezikovo obučenie [Fremdsprachenunterricht] 1: 33⫺35.
Savova, Elena
2003 „Literaturdidaktik“ im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Čuždoezikovo obučenie
[Fremdsprachenunterricht] 3: 3⫺4.
Savova, Elena
2007 Lesen als Prozess und als Fertigkeit. Aktivno učene i kritičesko mislene [Aktives Lernen
und kritisches Denken]. Sofia: Bulgarische Lesen-Assotiation, CD-ROM: 166⫺203.
1632 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Stefanova, Pavlina
2007a Čuždoezikovoto obučenie. Učene, prepodavane, ocenjavane [Fremdsprachenunterricht Ler-
nen, Lehren, Bewerten]. Sofia: Siela.
Stefanova, Pavlina
2007b Učebnijat kompleks v teorijata i praktikata na čuždoeyikovoto obučenie [Lehrwerktheorie
und -praxis des Fremdsprachenunterrichts]. Sofia: Anubis.
Stojčeva, Daniela
2004 Handlungsoientierter Fremdsprachenunterricht. Čuždoezikovo obučenie [Fremdsprachen-
unterricht] 6: 37⫺43.
Stojčeva, Daniela
2005 Schreiben lernen ⫺ spannend und motivierend. Čuždoezikovo obučenie [Fremdsprachen-
unterricht] 6: 24⫺33.

Ana Dimova, Schumen (Bulgarien)

186. Deutsch in Chile


1. Einleitung
2. Deutschunterricht
3. Sprachvermittler: Lehrer-, Übersetzer- und Dolmetscherausbildung
4. Überregionale Vernetzung und Kooperation
5. Andere Anbieter und Organisationen
6. Entwicklungslinien und Perspektiven
7. Literatur in Auswahl

1. Einleitung

Chile war und ist ein Einwanderungsland. Insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert gab
es unter anderen viele Einwanderer aus Europa. Deutschsprachige Migranten hinterlie-
ßen mit der deutschen Sprache im Süden des Landes ein bis heute einflussreiches kultu-
relles Erbe.
Die diversen Einwanderungsetappen, die jede für sich betrachtet verschiedene Erwar-
tungen und Herausforderungen an die Einwanderer stellte, führten zu soziopolitischen,
soziokulturellen und ökonomischen Situationen, welche einen intensiven finanziellen und
kulturellen Austausch zwischen Chile und Deutschland begünstigten. Aus diesem Grund
gewann das Deutsche in den Dörfern und Städten des Südens sowie in den großen Zent-
ren Mittelchiles an Bedeutung. Innerhalb der deutschen Kolonie wie auch in anderen
Einwanderergruppen bestand das Interesse, die Muttersprache im familiären Kontext zu
erhalten und die systematische Vermittlung in Schulen zu etablieren. Daraus folgend
entstanden die Kolonieschulen, unter ihnen die Deutschen Schulen.
186. Deutsch in Chile 1633

2. Deutschunterricht

2.1. Die Deutschen Schulen in Chile

Die Deutschen Schulen sind ein Aushängeschild der deutschen Auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik (Dohmen 2009, briefl. Mitteilung). Dies gilt insbesondere für Chile ange-
sichts der beeindruckenden Zahl von insgesamt 22 Deutschen Schulen. Über die soge-
nannten Begegnungsschulen möchte man junge Chilenen erreichen und ihnen ein aktuel-
les Deutschlandbild sowie natürlich die deutsche Sprache vermitteln. Qualität ist dabei
eine wichtige Voraussetzung. Gute (Schul)Bildung und Mehrsprachigkeit sind wesent-
liche Bedingung, um auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen zu haben. Über die Deutschen
Schulen haben junge Chilenen einen guten Einstieg, besonders nach der Verabschiedung
des Aktionsprogramm der Bundesregierung ⫺ Beitrag der Arbeitsmigration zur Sicherung
der Fachkräftebasis in Deutschland, durch das Absolventen Deutscher Auslandsschulen
bevorzugt zum deutschen Arbeitsmarkt zugelassen werden. Im Jahr 2008 hatten die
Deutschen Schulen eine Zahl von 15.120 Schülern in der Grund- und Sekundarstufe, die
zum DSD I und DSD II führen.

2.2. Kaumännisches Berusbildungszentrum (INSALCO)

Das Institut bietet nach deutschem Vorbild die Ausbildungsberufe Bürokommunikation,


Groß- und Außenhandel, Industrie-, Schifffahrts- sowie Speditionskaufmann an. Die
zweijährige praxisnahe Ausbildung wird von der Deutsch-Chilenischen Industrie- und
Handelskammer unterstützt. Somit werden dreisprachige (Spanisch-Deutsch-Englisch)
qualifizierte junge Absolventen für die mittlere kaufmännische Führungsebene ausgebil-
det. Insalco ist seit 2000 als Deutsche Berufliche Schule (Berufsschule) im Ausland aner-
kannt.

3. Sprachvermittler: Lehrer-, Übersetzer- und


Dolmetscherausbildung

3.1. Deutsches Lehrerbildungsinstitut Wilhelm von Humboldt (LBI)

Das 1988 gegründete Institut, dessen Auftrag und Ziel war und ist, ausreichenden Nach-
wuchs an qualifizierten Lehrkräften für den Deutschunterricht an den Deutschen Schu-
len Chiles auszubilden (Schraut 2009, briefl. Mitteilung), bietet zwei Studiengänge an:
das Erzieherinnenstudium für die Arbeit im Kindergarten ⫺ in Chile ist der Kindergarten
integraler Bestandteil der Schule ⫺ und das Studium für das Lehramt an Grundschulen
für die Jahrgangsstufen 1.⫺6. Die beiden bilingualen Studiengänge sind gezielt hand-
lungs- und praxisorientiert organisiert. In den 20 Jahren seines Bestehens absolvierten
am LBI 42 Erzieherinnen und 125 Grundschullehrerinnen ihr Studium.
1634 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

3.2. Deutschausbildung an Universitäten

3.2.1. Universidad de Ciencias de la Educación (UMCE)

Aufgrund verschiedener Faktoren (Cziesla 2001: 1457⫺1458) wurde ab 1980 die Deutsch-
lehrerausbildung an den Universitäten schrittweise eingestellt. Momentan bildet einzig
die UMCE Deutschlehrer für die Oberstufe (die Ausbildung von Oberstufenlehrern der
7.⫺12. Jahrgangsstufe obliegt in Chile allein den Universitäten) aus und verleiht den
akademischen Grad Licenciado en Educación. Der Studienplan umfasst zehn Semester,
und bietet Kurse in den Gebieten Sprache, Kultur und Literatur, sowie Linguistik, Di-
daktik und Methodik und beinhaltet ein obligatorisches Schulpraktikum.
Die Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Angewandten Linguistik, Kultur-
und Landeskundestudien und den Erziehungswissenschaften. Zu betonen ist die Ent-
wicklung des Arbeitsbuchs Pusteblume (Cox und Bascuñán 2008).

3.2.2. Universidad de Concepción (UdeC)

An der UdeC wurde die Lehrerausbildung im Jahr 2003 eingestellt. Alternativ bietet man
ein Aufbaustudium an, dessen Ziel die Erlangung des Lehrertitels sowie des akademi-
schen Grades Licenciado en Educación ist. Der Studienplan beinhaltet Sprach-, Literatur-
und Kulturkurse sowie Didaktik und Methodik des Deutschen als Fremdsprache. Das
letzte Semester ist dem Praktikum gewidmet.
Seit 2004 bietet die UdeC einen trilingualen Übersetzer- und Dolmetscherstudiengang
an, der einzige seiner Art in ganz Südamerika (Castro 2005), der den akademischen Grad
Licenciado en Traductologı́a oder Licenciado en Translatologı́a verleiht. Derzeit gibt es
etwa 350 Immatrikulierte, von denen 260 Deutsch als eine der beiden Arbeitssprachen
wählten. Die Schwerpunkte der Ausbildung sind neben dem Erwerb der beiden Fremd-
sprachen die Vertiefung der muttersprachlichen Kenntnisse, Literatur- und Kulturkurse,
(Psycho)linguistik und Translationswissenschaft und ein Praktikum.
Die Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Translationswissenschaften, der
Lexikologie, der Angewandten Linguistik und der Psycholinguistik.

3.2.3. Universidad de Playa Ancha (UPLA)

An der UPLA werden zwei Studiengänge angeboten: Tourismuskaufmann und Internati-


onaler Handelskaufmann. Die Grundlage beider Studiengänge bildet ein Übersetzerstu-
dium Deutsch-Spanisch, das mit dem akademischen Grad Licenciado en Lengua y Cul-
tura Alemana abgeschlossen wird. Die Schwerpunkte des Studiums bestehen aus dem
Erlenen der Fremdsprache, Linguistik-, Kultur- und Übersetzungskursen sowie der fach-
lichen Spezialisierung.

4. Überregionale Vernetzung und Kooperation


Hervorzuheben ist die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure für den schulischen,
den universitären und den außeruniversitären Bereich. Zum einen sind die Deutschen
186. Deutsch in Chile 1635

Schulen auf nationaler Ebene in einer Direktorenkonferenz organisiert, die unter einem
gemeinsam vereinbarten Rahmenleitbild die Qualität der Vermittlung der deutschen
Sprache sichert und durch das LBI permanent Lehrerfortbildungen für die Lehrkräfte
anbietet. Zum anderen arbeitet das Goethe Institut eng mit den Lehrerorganisationen
zusammen und trägt mit Fortbildungskursen ebenso zur Weiterbildung aller DaF-Lehr-
kräfte bei. Das GI Santiago mit den beiden Goethe Zentren in Concepción und Viña del
Mar bietet Kurse unterschiedlicher Niveaus und Internationale Prüfungen an. Es bildet
auf chilenischer Ebene ein Netzwerk, welches interessante Kulturangebote der Gesell-
schaft offeriert.

4.1. DAAD-Lektoren: Deutsch als Fremdsprache und Verbindungsarbeit

Vier Lektoren mit dem klassischen Format eines DaF-Lektors arbeiten derzeit an den
Universitäten von La Serena, Talca, Concepción und Pontificia Universidad Católica de
Valparaı́so. Der Aufgabenbereich der Lektoren richtet sich nach den Bedürfnissen der
Universitäten, die zum Teil sehr variieren (Babel 2009, briefl. Mitteilung). Darüber hi-
naus gibt es einen Fachlektor im Bereich Jura und den Leiter des IC-Büros in Santiago,
beide sind jedoch nicht im Bereich DaF tätig. Derzeit gibt es außerdem drei Sprachassis-
tentenstellen: Santiago, Concepción und Valdivia.
Vereinzelt gibt es Stipendienprogramme im Bereich DaF: für Studenten im grundstän-
digen Studium gibt es z. B. den Hochschulkundlichen Winterkurs, darüber hinaus fördert
der DAAD auch Sommerkurse an deutschen Universitäten, die DaF-Kurse anbieten.

5. Andere Anbieter und Organisationen


Neben den genannten gibt es noch weitere Institutionen, die Deutschkurse unterschiedli-
cher Niveaus anbieten, unter ihnen das Heidelberg Center Lateinamerika, das Instituto
Chileno Suizo de Idiomas y Cultura und die Berlitz-Sprachschulen. Viele Universitäten
bieten Deutschkurse für Hörer aller Fakultäten an, wobei hier die Universidad de Con-
cepción mit einem ab 2009 eingeführten speziellen Programm Deutsch für akademische
Zwecke (A1, A2, B1) hervorzuheben ist.

6. Entwicklungslinien und Perspektiven


Die aktuellen Daten zeigen eine Zahl von etwa 18.500 Deutschlernenden, größtenteils
an den Deutschen Schulen und den Universitäten. Die ständig steigende Zahl von Ler-
nenden beweist das noch immer bestehende große Interesse an der deutschen Sprache,
trotz der langjährigen bildungspolitisch geförderten ersten Fremdsprache Englisch.
Im Rahmen des Leitbilds der staatlichen und staatlich anerkannten chilenischen Uni-
versitäten (CRUCH, chilenische Hochschulrektorenkonferenz) wird derzeit die Internati-
onalisierung der Hochschulen sowie die Mobilität der Studierenden und der Akademiker
gefördert, wobei Deutschland dank seiner Exzellenzinitiative eines der beliebtesten Ziele
1636 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

ist. Gleichzeitig wählen immer mehr deutsche Studierende Chile als das Ziel ihres Aus-
landsemesters bzw. Praktikums. Dieser aktive Austausch fördert nicht nur Wissens- und
Technologietransfer, Forschung und Begegnung, sondern dient auch dem Erhalt der be-
stehenden sehr guten akademischen Beziehungen.
Auch auf politischer Ebene wurden durch staatliche Maßnahmen (Sistema Bicentena-
rio Becas Chile) und Abkommen, u. a. mit dem DAAD, Voraussetzungen geschaffen,
die gut qualifizierten Studierenden den Zugang zu dem Tertiärbereich in Deutschland
ermöglichen.
Wünschenswert wäre es, dass die deutsche Sprache wieder an allen öffentlichen Schu-
len als alternative zweite Fremdsprache gelehrt werden könnte. Mit dem vom Bildungs-
ministerium geförderten Programm Deutsch öffnet Türen (El alemán Abre Puertas http://
www.aleman.mineduc.cl/deutsch.html) als Teil des Programms Sprachen öffnen Türen
(Los Idiomas Abren Puertas) gibt es gute Perspektiven, Deutsch wieder in das chilenische
Schulsystem zu integrieren.

7. Literatur in Auswahl
Bascuñán, Ángel und Luz Cox
2008 Manual de estudio Pusteblume, Lehrbuch für Deutsch als Fremdsprache. Santiago: Fondo
Editorial UMCE.
Castro, Ginette
2005 Diseño de una malla curricular para la carrera de Traducción/Interpretación en Idiomas
Extranjeros. Una adecuación para Chile. In: Eliana Fischer, Eva Glenk und Selma Meire-
les (Hg.), Akten des XI. Lateinamerikanischen Germanistenkongresses, 413⫺418. Band 3.
Sao Paulo: Monferrer.
Cziesla, Wolfgang
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Chile. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internatio-
nales Handbuch, Band 2, 1457⫺1464. Berlin: de Gruyter.

Aufgesuchte Webseiten
Programm El Alemán Abre Puertas:
http://www.aleman.mineduc.cl/deutsch.html.

Ginette Castro, Concepción (Chile)


187. Deutsch in China 1637

187. Deutsch in China


1. Deutsch an Hochschulen
2. Deutsch an Schulen
3. Literatur in Auswahl

1. Deutsch an Hochschulen

1.1. Anänge und Entwicklung

Die Geschichte von Deutsch als Fremdsprache in China reicht bis in das Jahr 1871
zurück. Mit dem Ziel, Dolmetscher für den diplomatischen Dienst auszubilden, wurde
Deutsch in den Fächerkanon der im Jahre 1862 gegründeten kaiserlichen Pekinger
Fremdsprachenhochschule (Tongwenguan) integriert. Dort lehrte man die deutsche Spra-
che neben Englisch, Russisch, Französisch und später auch Japanisch eng verknüpft mit
anwendungsorientierten Fächern aus den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften,
Jura und Ökonomie.
Nachdem Deutschland 1897 die Jiaozhou (Kiautschou)-Bucht in der Provinz Shan-
dong besetzt hatte, entstanden Schulen und Hochschulen nach dem deutschen Bildungs-
system in Qingdao, Hankou und Shanghai. Ihre Absolventen sollten der deutschen In-
dustrie neue Absatzmärkte erschließen und langfristig sichern. Deutsch als Fremdsprache
erfüllte dafür eine Art Zubringerfunktion.
Einen Sonderfall, der von diesem Muster abwich, bildete die Germanistik vor 1949:
Sie war eng mit der Bewegung des Vierten Mai (Wu-si yundong) von 1919 verbunden:
Die Aufwertung der Umgangs- gegenüber der alten Literatursprache, eine neue um-
gangssprachliche Literatur, die Betonung des Individuums und die umfassende Verbrei-
tung westlicher Philosophie und Erziehungswissenschaft waren nur einige Eckpunkte auf
dem Weg in eine moderne, westlich orientierte Gesellschaft, die den Intellektuellen als
einzige Chance für die Zukunft erschien. Das Studium deutscher Literatur in einem ers-
ten Germanistik-Studiengang, der 1922 an der Universität Peking eingerichtet worden
war, verfolgte diesen anspruchsvollen Weg: Nach einem zweijährigen Sprachenpropädeu-
tikum bildeten deutsche Klassiker, zum Beispiel Goethe, Lessing aber auch Theodor
Storm sowie mediävistische Inhalte (Gotisch, Althochdeutsch) die Hauptinhalte des da-
maligen, vier weitere Studienjahre umfassenden Germanistikstudiums.
Doch ehe das Fach Deutsch und die Germanistik als Institutionen in China richtig
Fuß fassen konnten, verschwanden sie in den 1930er Jahren unter dem Regime der Guo-
mindang Tschiang Kai-Sheks (1887⫺1975) bereits wieder. Aus dieser Zeit blieb vor allem
Schriftliches: Literaturlexika und Literaturgeschichten wie Deguo wenxue (Das ABC der
deutschen Literatur) von Li Jinfa (1928) oder Deyizhi wenxue shi (Die Geschichte der
deutschen Literatur) von Xu Xiangsen, Übersetzungen und interpretatorische Auseinan-
dersetzungen mit Faust, Werther, Wallenstein, Immensee und den Heine-Gedichten. Pro-
bleme, die sich aus der täglichen Sorge um den Lebensunterhalt ergaben, zwangen die
damaligen Germanisten, Unterricht in der deutschen Sprache als zweite oder dritte
Fremdsprache zu geben. Ihr eigentliches, institutionsloses Fach, die Germanistik, konn-
1638 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

ten sie dabei allerdings nicht lehren. Unterricht in Deutsch als Fremdsprache wurde zum
Alltag. Das hat sich bis heute für die überwiegende Zahl chinesischer Germanisten
nicht geändert.
Mit der Gründung der Volksrepublik China 1949 verschmolzen Germanistik und
Deutsch als Fremdsprache zusehends. Der Aufbau des neuen sozialistischen Staates
stand in den frühen 1950er Jahren in fester ökonomischer wie politischer Abhängigkeit
von der UdSSR. Damit war der Weg geebnet für eine Zusammenarbeit auch mit den
sozialistischen Staaten Ost- und Mitteleuropas, u. a. auch mit der DDR, die sich an
der geografischen Grenze zur amerikanischen „Ideologie des Imperialismus“ (Machetzki
1982) befand.
An der Fremdsprachenhochschule Peking (1949), der heutigen Fremdsprachen-
Universität, der Universität Nanjing (1947 bzw. 1952), der Universität Peking (1952) und
der Fremdsprachenhochschule und jetzigen Fremdsprachen-Universität Shanghai (1956)
wurden die ersten Germanistik-Abteilungen eingerichtet. Konferenzen zur Überset-
zungsarbeit (1951) und zur literarischen Übersetzung förderten die Übersetzungstätigkeit
als Schwerpunkt der jungen volksrepublikanischen Germanistik. In Zusammenarbeit mit
der DDR wurde sozialistische deutsche Literatur wie zum Beispiel Werke von Anna
Seghers, Berthold Brecht, dem jungen Stefan Heym oder Friedrich Wolfs Dramen über-
setzt und ein umfassender Überblick über die deutsche Literatur vom Hochmittelalter
bis in die Gegenwart zu entwerfen.
Mit der ersten Phase der Kulturrevolution (1966⫺1976) zwischen 1966 und 1970 kam
der Hochschulbetrieb faktisch zum Erliegen. Germanisten und Deutschlehrer wurden
wie die meisten Intellektuellen zur körperlichen Arbeit auf das Land geschickt, wo sie
weiter übersetzten und sich mit der deutschen Sprache beschäftigten. Nach 1970, in der
zweiten Kulturrevolutionsphase, erteilte man an den sogenannten Arbeiter-Bauern-Sol-
daten (ABS)-Hochschulen wieder deutschen Sprachunterricht, um sprachkundige Mittler
für den Maoismus-Export in die deutschsprachigen Länder auszubilden. Damit erhielt
der Deutschunterricht wieder einen neuen praktischen Zweck.

1.2. Gegenwärtige Situation und Tendenzen

In den 1980er und 1990er Jahren hatte das Fach Deutsch wieder einen festen Platz an
den Hochschulen. In China besteht bis heute keine strikte Trennung zwischen DaF und
Germanistik, denn Germanisten sind in der Regel immer auch als Deutschlehrer aktiv
⫺ lehrend und forschend. DaF blieb jedoch ein „Orchideenfach“, das fast nur als Haupt-
fachstudiengang (Germanistik) mit konstant ca. 1200⫺1600 Studierenden (Hernig 2000:
137) eine fachwissenschaftliche Bedeutung hatte. Chinesischen Statistiken zufolge lernten
Mitte der 1990er Jahre rund 16500 Hochschulstudierende studienbegleitend Deutsch. Im
Rahmen germanistischer Forschung wurden erstmals Publikationen rund um Fragestel-
lungen der Methodik und Didaktik Deutsch als Fremdsprache verfasst. Insgesamt traten
drei Arbeitsschwerpunkte auf:
⫺ Rezeption und Anwendung westdeutscher Didaktik und Methodik in China
⫺ Versuche zur Nutzbarmachung kontrastiver Linguistik für Sprachlernprozesse
⫺ Curriculumforschung einschließlich Fehleranalyse mit der Lehrwerkentwicklung als
Abschluss.
187. Deutsch in China 1639

Im 21. Jahrhundert hat sich DaF als Hauptfach numerisch stark entwickelt. Gegenwärtig
studieren nach Schätzungen des Goethe-Instituts Peking knapp 6000 Chinesen als
Hauptfach-Deutschlernende an 46 Hochschulen und Universitäten (www.germancn.
com), weitere 20.000 Studierende lernen in Intensiv- und Extensivkursen Deutsch. Daten
über aktuelle Lernerzahlen sollen nach 2009 erhoben werden.
Hochschuldeutschunterricht in China verfolgt vor allem vier Ausbildungsziele:
⫺ Mittler in Sachen Sprache und Kultur für die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbezie-
hungen zu qualifizieren
⫺ Deutschlehrer auszubilden
⫺ Studierende und Graduierte auf ein Fachstudium in den deutschsprachigen Ländern
vorzubereiten
⫺ eine zusätzliche Sprachprüfung (Nebenfach) zu bestehen, nicht unbedingt mit dem
Ziel eines Auslandsstudiums verbunden.
Für die unterschiedlichen Formen von Deutschunterricht an Hochschulen: a) DaF
als Hauptfachstudium (Germanistik), b) DaF als anwendungsorientiertes Nebenfach,
c) DaF in Intensivkursen richtete das Pekinger Bildungsministerium (jiaoyu bu) eigene
Kommissionen ein, die neue Curricula entwickeln, landeseinheitliche Prüfungen ausar-
beiten oder neue Lehrwerke konzipieren. Wichtige Lehrwerke sind Studienweg Deutsch,
das neue landesweit eingesetzte Standardlehrwerk für Hauptfach-Deutschstudenten und
Klick auf Deutsch, das vor allem für Lerner, die studienbegleitend Deutsch lernen, in
enger Kooperation mit dem Goethe-Institut erstellt wurde.
Grundsätzlich sind es die Lehre der deutschen Sprache und die mit ihr verbundenen
kulturellen Besonderheiten der deutschsprachigen Länder, denen das Interesse chinesi-
scher Fachvertreter heute gilt. Junge Deutschlerner und Germanisten sollen verstärkt
sprachliche Handlungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit zwischen den Kulturen erwerben.
Hauptfachgermanisten wie Absolventen von Intensiv- wie Extensivkursen sollen ver-
stärkt befähigt werden, den kulturellen Gewohnheiten der deutschsprachigen Länder ge-
mäß sprachlich angemessener agieren zu können. Der Gemeinsame Europäische Refe-
renzrahmen für Sprachen (GER), der in chinesischer Übersetzung vorliegt, gilt als mitt-
lerweile weit verbreitete Richtlinie dafür, wie diese Handlungsfähigkeit in allen Formen
des Deutschunterrichts an Hochschulen, verbessert werden kann, ohne dass eine voll-
ständige Ausrichtung des Hochschuldeutschunterrichts nach dem GER erwünscht ist
(Qian, Wei, Wei und Kong 2008: 35⫺37 In Bildungsfragen liegt die Betonung sehr stark
auf eigenen Bedürfnissen, denen ausländisches Material oder auch Richtlinien anzupas-
sen sind.
Zweiter Schwerpunkt in China ist seit einigen Jahren die Diskussion um verstärkte
Einbeziehung eigenkultureller Besonderheiten in den interkulturellen Vergleich mit den
deutschsprachigen Ländern, etwa in Form einer wissens- und handlungsorientierten in-
terkulturellen Landeskunde, wie u. a. Li (2009) sie vertritt. Vor dem Hintergrund eines
starken kulturellen Eigengefühls in China, das sich nach Öffnung des Landes und den
anschließenden wirtschaftlichen Erfolgen der letzten Jahre verstärkt hat, wirkt diese Ten-
denz konsequent. Entsprechend neu ausgerichteter DaF-Unterricht soll Wissen und Be-
wusstsein für eigene und fremde Verhaltensweisen erzeugen, um selbständiger im Aus-
land oder im Direktkontakt mit Muttersprachlern zu handeln.
1640 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

2. Deutsch an Schulen

2.1. Anänge und Entwicklung

Der schulische Deutschunterricht in China war und ist eng verbunden mit den Bedürfnis-
sen des Hochschulwesens. Schulen, die Sprachenunterricht außer Englisch anbieten, er-
füllen bis heute häufig die Funktion einer Vorbereitungsanstalt (prepschool, yubei xue-
xiao) für einschlägige Fremdsprachen- oder Technikstudiengänge. Dieses Modell ist rund
100 Jahre alt und begann mit den ersten polytechnischen Mittelschulen, die mit deutscher
Initiative zwischen 1907 und 1910 in verschiedenen Städten entstanden (Hess 1992: 370).
Die erste wirtschaftliche Expansion Deutschlands in China mit Hochschulgründungen
im noch kolonialen Qingdao, in Hankou und in Shanghai benötigte sprachlich gut vorge-
bildete Kandidaten. Mit dem Niedergang der ausländischen Bildungsinstitutionen bzw.
der Eingliederung in das sozialistische Bildungswesen nach 1949, verlor der Deutschun-
terricht als Vorbereitungsfach zum Studium stark an Substanz. Autoren wie Kahn-
Ackermann (1991) zogen daher zu Beginn der 1990er Jahre noch die Bilanz, dass DaF
an Schulen „praktisch nicht mehr angeboten“ (Hess 1992: 374) werde. Das stimmte nicht
ganz, denn immerhin hatte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an jenen,
damals wenigen, Schulen, die den Fremdsprachenuniversitäten angeschlossen waren,
Deutsch als erste und zweite Fremdsprache erhalten bzw. nach 1949 etabliert. Das Sys-
tem dieser Schulen funktioniert nach dem System des Drachens (yi tiao long xitong).
Vom Schwanz des Drachens, also der Schule an, sollen fremdsprachenkundige Mittler
mit hohem Sprachniveau bis zur Graduiertenstufe an der Hochschule (Master), dem
Kopf des Drachens also, ausgebildet werden (vgl. Hess 1992: 374).

2.2. Gegenwärtige Situation und Tendenzen

Dieses System, das Deutsch als erste Fremdsprache in den Mittelpunkt stellt, wird bis
heute erfolgreich fortgeführt. Im Jahr 2005 durften erstmals Absolventen einer Fremd-
sprachenmittelschule in Shanghai nach bestandenem Deutschen Sprachdiplom Stufe 2
(DSD II) ohne die obligatorische Hochschulaufnahmeprüfung und ein Studienjahr in
China direkt an deutschen Hochschulen studieren. Bis 2009 wurde nach Informationen
der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) an 28 Fremdsprachenschwerpunkt-
schulen Deutsch als erste Fremdsprache für 2500 Deutschlerner erteilt. Ein weiterer Aus-
bau wird in den nächsten Jahren erfolgen und von der ZfA gefördert. Die Deutschen
Sprachdiplome Stufe I und II (DSD I und DSD II) der Kultusministerkonferenz werden
flächendeckend eingeführt und der Deutschunterricht mit neuen Materialien, Fachbera-
tern und Programmlehrkräften intensiviert.
Seit den ersten Jahren des 21. Jahrhundert setzen auch das Bildungsministerium in
Peking und einzelne regionale Bildungsbehörden auf Mehrsprachigkeit an allgemeinbil-
denden Mittelschulen von Klasse 7⫺12. Nur zwei Jahre nach dem europäischen Jahr der
Sprachen 2001 begann die Erziehungsbehörde Shanghai, als sogenannte kleine Sprachen
vor allem die europäischen Sprachen Deutsch, Französisch und Spanisch neben dem
Japanischen, Koreanischen und Arabischen verstärkt an den Schulen zu etablieren. Das
Konzept Deutsch nach Englisch ist daher seit einigen Jahren für eine zunehmende Zahl
187. Deutsch in China 1641

von Mittelschulen relevant, die mit wenig Raum im dichten Curriculum Deutsch als
zweite Fremdsprache eingeführt haben. Zwischen 2003 und 2005 begannen in Shanghai
allein 17 allgemeinbildende Schulen offiziell (Zhao Caixin auf dem Chinesisch-Deutschen
Bildungsforum vom 3.März 2005 in Hamburg) mit dem Deutschunterricht. Mit dem
weltweiten Projekt Schulen ⫺ Partner der Zukunft (www.pasch.de) der deutschen Bun-
desregierung wurde der Unterricht des Deutschen als erster und zweiter Fremdsprache an
allgemeinbildenden Mittelschulen seit 2008 in ganz China weiter gefördert und verstärkt.
Shanghai begann im Jahre 2004 als Provinz Chinas das Konzept der Mehrsprachigkeit
mit Wahlkursangeboten in den kleinen Sprachen (xiao yuzhong) außer Englisch flächen-
deckend durchzusetzen. Allein die Abteilung Kultur und Bildung des Deutschen General-
konsulats Shanghai, die die Aufgaben eines Goethe-Instituts wahrnimmt, betreute bis
Ende 2008 20 Mittelschulen allein in Shanghai, an denen 2550 Schülerinnen und Schüler
Deutsch in der Regel als zweite Fremdsprache nach Englisch lernten.
Bemerkenswert daran ist, dass diese Entwicklung an den allgemeinbildenden Schulen
Chinas eine Bildungsbewegung von unten war. Besorgt und entschlossen zugleich schau-
ten die ehrgeizigen Eltern vieler Einzelkinder auf die mehr als 1200 deutschen Unterneh-
men allein im Großraum Shanghai (rund 45 % aller deutschen Unternehmen in China)
und forderten die Einführung der deutschen Sprache an der Schule ihrer Kinder. Die
Schulleiter folgten dem Interesse der Erziehungsberechtigten und räumten ⫺ meist auf
Versuchsbasis ⫺ Platz für Deutsch in den oft rund 40 Unterrichtseinheiten pro Woche
umfassenden Stundeplänen frei. Die meisten der neuen Deutsch-Lernangebote sind an
den Oberschulen angesiedelt, die Unterricht für die Klassen 10⫺12 anbieten. Hier wur-
den für besonders begabte Englisch-Schülerinnen und -Schüler Möglichkeiten einge-
räumt, zwei bis max. sechs Wochenstunden Deutsch zu lernen. Weitere Angebote
Deutsch als zweite Fremdsprache findet man an den sogenannten Junior High Schools,
den Unterstufenschulen, die Unterricht der Klassen 7⫺10 anbieten und, sehr vereinzelt,
sogar in den letzen Klassen 4⫺6 von Grundschulen. Die beste Grundlage, extensiven und
daher vom Lernumfang halbwegs ausreichenden Deutschunterricht anzubieten, bieten
Mittelschulen, die sowohl über Unter- als auch Oberstufen verfügen. Sie bieten ihren
Schülern Angebote von 2⫺4 Stunden Deutsch pro Woche. Nur an solchen Schulen kann
mit max. 800 Stunden Deutsch über fünf Jahre ein Niveau erreicht werden, das Mittelstu-
fen-Deutsch-Prüfungen oder ersten Sprachdiplomen ausreichend Stoff gibt. Viele Schu-
len können wegen des Drucks der obligatorischen Hochschulaufnahmeprüfung (gaokao)
nach Klasse 12 gerade einmal 160 Stunden oder noch weniger Deutsch über 2 Jahre
anbieten. Außer muttersprachigen Lehrkräften unterschiedlicher Qualifikation haben
erste Germanistik-Absolventen Teile des schulischen Deutschunterrichts übernommen.
Allerdings fehlt es ihnen in der Regel an methodisch-didaktischer Ausbildung und einem
soliden Stellenprofil, das das Lehramt an Schulen attraktiv macht. Da es kaum Möglich-
keiten gibt, sich mit dem Fach Deutsch für die Hochschulaufnahmeprüfung zu qualifizie-
ren oder sich darin prüfen zu lassen, ist der Erfolg des neuen Faches zumindest in der
Oberstufe der Schulen ohnehin fraglich. In Shanghai machen sich immerhin erste Verein-
heitlichungstendenzen bemerkbar: Ein erstes Lehrwerk für Lernanfänger wurde von der
Erziehungskommission der Stadt verbindlich für alle Schulen mit Deutsch-nach-Eng-
lisch-Unterricht vorgeschrieben.
1642 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

3. Literatur in Auswahl
Hernig, Marcus
2000 China und die interkulturelle Germanistik ⫺ Kulturvergleich, Interkulturalität und Interdis-
ziplinarität im Rahmen der chinesischen „Wissenschaft vom Deutschen“. Einzelfallstudien
zur Situation und Entwicklung der chinesischen Germanistik. München: iudicium.
Hess, Hans Werner
1992 Die Kunst des Drachentötens. Zur Situation von Deutsch als Fremdsprache in der Volksre-
publik China. München: iudicium.
Kahn-Ackermann, Michael
1991 Der Stand der Deutschausbildung in China. Prisma 1: 33⫺35.
Li, Yuan
im Druck Interkulturelle Landeskunde ⫺ Eine kritische Analyse. Tagungsband „Deutsch als
Fremdsprache aus internationaler Perspektive“. München: iudicium.
Machetzki, Rüdiger
1982 Geschichte und Gegenwart der deutsch-chinesischen Kulturbeziehungen. In: Rüdiger Ma-
chetzki (Hg.), Deutsch⫺chinesische Beziehungen ⫺ Ein Handbuch, 207⫺249. Hamburg:
Institut für Asienkunde.
Qian, Minru, Maoping Wei, Yuqing Wei und Deming Kong
2008 Dangdai Zhongguo Deyu zhuanye gangling yu moshi [Richtlinien und Formen des
Deutschstudiums in China heute]. In: Minru Qian, Maoping Wei, Yuqing Wie und De-
ming Kong (Hg.), Dangdai Zhongguo Deyu zhuanye jiaoyu yanjiu baogao [Forschungs-
bericht zur Lage der Lehre im Rahmen des heutigen Deutschstudiums in China], 1⫺103.
Shanghai: Foreign Language Education Press.
Webseite chinesischer Germanisten und Deutschlerner rund um die deutsche Sprache in China
(30. 12. 2009). http://www.germancn.com/?Lang⫽de.

Marcus Hernig, Shanghai (China)

188. Deutsch in Dänemark


1. Regionalbezug und Rolle des Deutschen in Dänemark
2. Träger von Deutschunterricht, Deutschlehrerausbildung, Deutschlehrerfortbildung
3. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme
4. Schwerpunkte in der Lehrerausbildung und Germanistik-/DaF-Ausbildung
5. Wichtige Schwerpunkte der Forschung
6. Kurze Einschätzung von Zahlen und Tendenzen
7. Literatur in Auswahl

1. Regionalbezug und Rolle des Deutschen in Dänemark


Seine Bedeutung verdankt Deutsch in Dänemark einer Reihe von Umständen: Positiv
zu Buche schlagen die Nachbarschaft (Sprachkontakt im Grenzraum); der massive Un-
188. Deutsch in Dänemark 1643

terschied in der Sprecheranzahl (etwa 5,5 Mill. SprecherInnen im dänischen gegenüber


schätzungsweise 100 Mill. im deutschen Sprachraum), der dazu führt, dass ⫺ außer Eng-
lisch als lingua franca kommt zum Einsatz ⫺ die Kommunikation i. d. R. in der Sprache
des größeren Sprachraums erfolgt; die wirtschaftlichen Beziehungen (Deutschland ist
Dänemarks wichtigster Handelspartner); die ökonomische Stärke von Deutsch; und eine
enge Verwandtschaft der dänischen und der deutschen Sprache, die vor allem durch das
für Dänisch zu erheblichen Teilen aus unterschiedlichen Formen des Deutschen stam-
mende Wortgut zum Vorschein kommt und Ausdruck eines jahrhundertealten kulturel-
len, politischen und wirtschaftlichen Austausches ist. Allerdings halten kriegerische Aus-
einandersetzungen der Vergangenheit sowie eine Voreingenommenheit gegenüber der
perzipierten (mangelnden) Ästhetik und der schwierigen Erlernbarkeit ein überwiegend
negativ besetztes Image der deutschen Sprache am Leben (Bense 2003). Alles in allem
kann sich die Beliebtheit der deutschen Sprache in Dänemark daher nicht mit dem ihr
gebührendem Stellenwert (vgl. zum immer wieder nachgewiesenen Fremdsprachenbe-
darf, insbesondere für Deutsch, auch Verstraete-Hansen 2008: 10⫺16) messen.

2. Träger von Deutschunterricht, Deutschlehrerausbildung,


Deutschlehrerortbildung
Deutsch muss an allen Grundschulen (dänische Einheitsschule 1.⫺9./10. Klasse) Däne-
marks ab der 7. Klasse als Pflichtwahlfach (als erste Fremdsprache ist Englisch ab der
3./4. Klasse Pflichtfach) angeboten werden. Trotz Rückgangs und der Alternative Fran-
zösisch nehmen über 80 % der SchülerInnen dieses Angebot wahr, so dass prinzipiell die
weiterführenden Bildungswege (Gymnasium, Pädagogische Hochschule (dän.: semina-
rium), Universität) auf einer breiten Basis stehen. Allerdings leidet der Deutschunterricht
in der Grundschule aus den in Abschnitt 1 erwähnten Gründen sowie wegen der Tatsa-
che, dass viele LehrerInnen, die Deutsch unterrichten, aus der Pädagogischen Hoch-
schule ausschließlich pädagogische, aber keine deutschspezifischen Qualifikationen mit-
bringen, unter Qualitätsengpässen (Bense 2003). Im Gymnasium (10./11.⫺13./14. Klasse)
wird Deutsch entweder als Anfänger- oder als Fortgeschrittenenunterricht angeboten.
Da Deutsch trotz aller rückläufigen Tendenzen nach Englisch doch eine relativ solide
Position als zweite Fremdsprache hat, wird Deutsch von vielen gewählt. Deutschlehre-
rInnen werden an Pädagogischen Hochschulen in einer 4-jährigen Ausbildung qualifi-
ziert. Ein Hochschulstudium in Deutsch lässt sich an den Universitäten und Wirtschafts-
universitäten absolvieren und ist normalerweise eine Voraussetzung für die Lehrtätigkeit
an Gymnasien. Die Fortbildung von DeutschlehrerInnen erfolgt vornehmlich im Rah-
men der Pädagogischen Universität Dänemarks.

3. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme


Angesichts der Wichtigkeit von Deutsch in Dänemark lässt die Entwicklung der letzten
Jahre Besorgnis von Seiten unterschiedlicher Akteure zum Ausdruck kommen. Auf brei-
ter Front ist die Fremdsprachenausbildung im Gymnasialbereich empfindlich beschnitten
1644 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

worden, so dass beispielsweise der Anteil von Deutsch-Lernenden dramatisch gesunken


ist (Nielsen 2007) sowie auch das Volumen (Stundenanzahl) in Deutsch erheblich redu-
ziert worden ist. Obwohl der von der Politik in diesem Jahrzehnt konsequent vorange-
triebene Neoliberalismus u. a. die Umstellung der Hochschulforschung auf „gesellschaft-
lichen Nutzwert“ (vgl. Zint-Dyhr und Colliander 2006: 8⫺9) nach sich gezogen hat,
haben die Deutschausbildung und das Fach Deutsch, vor allem im Grundschul- und
Gymnasialbereich, deutlich unter den Reformen auf diesem Gebiet gelitten. Nicht nur
die Fach- und Verbandsmedien der Lehrerverbände (Meddelelser fra Tysklærerforeningen,
WissensWert, SPROGFORUM ) äußern vehement Kritik, sondern auch Behörden und
Ministerien selbst räumen nun teilweise ein, dass eine Anpassung bzw. Abfederung der
Reform notwendig ist. Verstärkt wird die reformbedingte Abwertung von Deutsch zu-
sätzlich sowohl durch die ständige quantitative Aufwertung von Englisch zu Lasten an-
derer Fremdsprachen als auch durch die rückläufige Berücksichtigung von grundlegen-
dem linguistischen Metawissen sowie Können zu Gunsten von pragmatisch-kommunika-
tiven Fertigkeiten. Hoffnung verspricht in diesem Zusammenhang u. U. eine sich zurzeit
vollziehende kleine didaktische Revolution, bei der unterschiedliche Wissenserwerbs-
formen (Lernstile, Dunn und Griggs 2003) als gleichwertig akzeptiert werden. Gerade
für den Deutschunterricht, der traditionell mit grammatisch-morphologischem Drill
konnotiert wird, könnte eine solche didaktische Neuorientierung eine Chance für die
Entrümpelung eines Faches mit konservativ-negativem Image bieten.

4. Schwerpunkte in der Lehrerausbildung und Germanistik-/DaF-


Ausbildung
In gewisser Weise hat sich die pragmatische Wende auch im Deutsch-Unterricht nieder-
geschlagen. Lehrpläne für das Gymnasium betonen ⫺ wenn auch DaF in der ministeriel-
len Bekanntmachung als gleichwertiges Fertigkeits-, Wissens- und Kulturfach ausgewie-
sen wird ⫺ zusehends die kommunikativen Fähigkeiten auf Kosten der eigentlichen
Sprachkorrektheit, vor allem der Morphologie (Bense 2003: 39⫺45, 49⫺56). Die oft
mangelhaften Grundkenntnisse (Fabricius-Hansen 2006: 68) ziehen sich durch das ge-
samte Bildungssystem hindurch (Bense 2003) und müssen an den Hochschulen mit ent-
sprechenden Auffangmaßnahmen nachgeholt werden. Bei der insgesamt rückläufigen
Stundenanzahl im gesamten Bildungssystem wird den deutlich beliebteren Teilelementen
wie Landeskunde oder interkultureller Kommunikation mehr Platz eingeräumt als den
deutlich notwendigeren sprachlichen Fähigkeiten.

5. Wichtige Schwerpunkte der Forschung

Obwohl DaF in Dänemark durchaus den Stellenwert einer eigenen Disziplin besitzt,
ist die Forschung in diesem Bereich dennoch schwierig einzugrenzen. Daher werden im
Folgenden DaF-relevante Forschungsbereiche exemplarisch aufgeführt. Grammatik ist
die klassische Forschungsdisziplin von DaF in Dänemark, vgl. z. B. Übersichtsdarstel-
lungen wie die Grammatik von Lauridsen und Poulsen (1995), rezeptionsgrammatische
188. Deutsch in Dänemark 1645

Arbeiten (Ditlevsen 2000) oder etwa für das Sprachenpaar Deutsch-Dänisch spezifische
syntaktische Problembereiche (z. B. Bruun Hansen 2001). Im Zuge der wirtschaftlichen
Nutzbarmachung von akademisch erworbenen Deutschkenntnissen spielt die Forschung
im Bereich Wirtschaftskommunikation eine immer größere Rolle (Überblick bei Nielsen
2003). Colliander und Hansen (2002) mit ihrem sprechakttheoretischen Herangehen an
Geschäftsbriefe seien hier exemplarisch genannt. Ein Vertreter der text(sorten)linguisti-
schen Forschung, die sich auch didaktisch umsetzen lässt, ist Nielsen (2006). Auch lexiko-
graphische Forschung ist für DaF ein wichtiges Gebiet (z. B. Barz, Bergenholtz und Kor-
honen 2005). Kultur (z. B. Bohnen und Schlosser 2004) und Literatur (z. B. Pinkert 2008)
gehören ebenfalls zum Inventar dänischer DaF-Forschung. DaZ ist vor allem im Grenz-
land, wo eine deutsche Minderheit von etwa 15.000 Deutsch eher als DaZ denn als DaF
erwirbt, von Bedeutung, vgl. dazu im Überblick Pedersen (2001).

6. Kurze Einschätzung von Zahlen und Tendenzen


Aufgrund der Geburtenzahlen dürfte zumindest mittelfristig der Zufluss von Deutsch-
lernenden in der Grundschule konstant bleiben oder gar ansteigen. In den Gymnasialstu-
fen ist dafür der Effekt der Reform in der Form von stark rückläufigen Deutschlerner-
zahlen sehr deutlich zu spüren. Im Hochschulwesen ist die Anzahl von Deutschstudenten
schwankend, aber auf einem akzeptablen Niveau, obwohl bereits einzelne Masterstudien-
gänge in Deutsch stillgelegt wurden. Hier lässt sich hier u. U. ein weiterer Rückgang
erwarten, weil sich die rückläufige Quote aus den Gymnasien erst mit einigen Jahren
Verspätung in der Anzahl der Studienanfänger niederschlägt.

7. Literatur in Auswahl
Barz, Irmhild, Henning Bergenholtz und Jarmo Korhonen
2005 Schreiben, Verstehen, Übersetzen, Lernen. Frankfurt a. M.: Lang.
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189. Deutsch in Elenbeinküste/Co


te d Ivoire
1. Deutschunterricht in der Sekundarstufe
2. Deutschlehrerausbildung und Germanistik an der Hochschule
3. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme des Deutschangebots
4. Literatur in Auswahl

1. Deutschunterricht in der Sekundarstue


In Côte d’Ivoire/Elfenbeinküste ist Französisch Unterrichtssprache auf allen Schulebe-
nen. Bisher ist keine einheimische Sprache in das Schulsystem aufgenommen worden,
obwohl die Machthaber den Willen haben, die wichtigsten lokalen Sprachen wie etwa
189. Deutsch in Elfenbeinküste/Côte d’Ivoire 1647

Baoulé, Bété und Dioula unterrichten zu lassen. Da die Schule in Côte d’Ivoire dem
französischen System folgt, stehen europäische Fremdsprachen auf dem Schulprogramm.
Seit 1957 wird Deutsch als zweite Fremdsprache nach Englisch in den ivorischen
Schulen unterrichtet. In den Anfangsjahren wurde es sogar in manchen Schulen als erste
Fremdsprache vor Englisch angeboten. Seit der Schulreform im Jahr 1977 ist Englisch
alleinige erste Fremdsprache ab der ersten Klasse der allgemeinen Sekundarschule
(6ème), Deutsch oder Spanisch werden als zweite Fremdsprache ab der dritten Klasse
(4ème) erlernt. In den staatlichen Schulen ist die Wahl der zweiten Fremdsprache zwi-
schen Deutsch und Spanisch nicht möglich; die Schüler werden von der Schulleitung
einer deutschen oder spanischen Klasse zugewiesen, damit kein Missverhältnis zwischen
Angebot und Nachfrage beider Fremdsprachen entstehen kann. In den Privatschulen,
wo die Lernenden jedoch die Wahl haben, lässt sich feststellen, dass Spanisch stärker
nachgefragt wird als Deutsch, denn diese ⫺ wie Französisch ⫺ romanische Sprache
erscheint den Eltern und damit auch den Schülern einfacher als Deutsch. Das Monopol
des Englischen als alleinige erste Fremdsprache wird seit dem Schuljahr 2008⫺2009 wie-
der langsam aufgebrochen. In einigen Schulen wurde Deutsch als erste Fremdsprache
unterrichtet und weitere Schulen werden in den nächsten Jahren folgen.
Wie lange und in welchem Zeitvolumen pro Woche Deutsch als zweite Fremdsprache
bisher nach dem BEPC (Brevet d’Etudes du Premier Cycle) angeboten wird, hängt von
dem Schulzug ab. In den Zügen A und B wird Deutsch drei Stunden pro Woche unter-
richtet und bleibt Pflichtfach bis zum Abitur. Hier ist Deutsch auch Abiturprüfungsfach.
In den Zügen C und D wird Deutsch dagegen nur ein bis zwei Stunden pro Woche
unterrichtet und bleibt nur bis zur Seconde (dritte Klasse der Sekundarschule) obligato-
risch, danach ist es nur noch fakultativ (Böhm 2003: 283).
Von seiner Einführung bis Ende der 1960er Jahre wurde der Deutschunterricht von
französischen Deutschlehrenden abgehalten. Im Rahmen des „Frankophonen Pro-
gramms“ der Bundesrepublik Deutschland traten deutsche Deutschlehrende die Nach-
folge der Franzosen an. Zur gleichen Zeit unterstützte Deutschland die Deutschlehrer-
ausbildung an der Pädagogischen Hochschule (Ecole Normale Supérieure). Dank dieser
Kooperation liegt der Deutschunterricht heute ausschließlich in den Händen ivorischer
Deutschlehrender. Von den ersten DeutschlehrerInnen sind manche inzwischen als Fach-
berater für Deutsch tätig. Ihre Arbeit besteht darin, die Deutschlehrenden landesweit bei
methodisch-didaktischen Schwierigkeiten bei der Durchführung des Deutschunterrichts
zu unterstützen. Im Rahmen der Lehrerfortbildung vor Ort arbeiten sie mit einem deut-
schen Fachberater und dem Goethe-Institut eng zusammen.
Am Anfang wurde Deutsch mit französischen Lehrwerken unterrichtet, Ende der
1970er Jahre wurden sie durch das in deutsch-afrikanischer Kooperation entstandene
regionale Lehrwerk „Yao lernt Deutsch“ abgelöst. Wegen dessen methodisch-didakti-
schen Mängeln und problematischen landeskundlichen und kulturellen Ansätzen wurde
1991⫺1995 in gleicher Kooperation das 4-bändige Lehrwerk „Ihr und Wir“ entwickelt.
Anders als in Ländern wie etwa Algerien oder Südafrika, wo es nationale Lehrwerke
gibt, wurden die angesprochenen Lehrbücher einheitlich für die Länder des frankopho-
nen Afrika südlich der Sahara erstellt und dann manchmal mit landesspezifischen Vari-
anten verwendet. „Yao lernt Deutsch“ hieß z. B. in Senegal „Abdou lernt Deutsch“.
Das Goethe-Institut ist zurzeit der einzige Anbieter von Deutschkursen im außerschu-
lischen Bereich. Die A1-Stufe ist aufgrund der deutschen Gesetze hinsichtlich der Famili-
enzusammenführung und der Eheschließung sehr gut besucht. Die Stufen A2 und B1
können dagegen wegen geringer Nachfrage nur unregelmäßig stattfinden.
1648 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

2. Deutschlehrerausbildung und Germanistik an der Hochschule


Zehn Jahre nach der Einführung von Deutsch im ivorischen Schulsystem wurde 1967
die Deutschabteilung an der Universität Cocody-Abidjan gegründet. Im Rahmen des
„Frankophonen Programms“ der Bundesrepublik Deutschland wurde diese Universität
zu einem Standort für Germanistikstudierende aus dem frankophonen Schwarzafrika.
Seit der Eröffnung einer eigenen Deutschabteilung sind ausschließlich ivorische Studie-
rende für Deutsch an der Universität Cocody-Abidjan eingeschrieben. Als Folge der
positiven Entwicklung des Germanistikstudiums in Côte d’Ivoire wurde im akademi-
schen Jahr 1994⫺1995 eine Deutschabteilung an der Universität Bouaké im Zentrum
des Landes eröffnet. Die Universität Cocody-Abidjan hat das gleiche Curriculum wie
die Universität Bouaké; letztere ist auf erstere angewiesen, denn sie hat nicht genügend
Lehrende.
Das Lehrangebot beider Deutschabteilungen deckt folgende Fachbereiche ab: Litera-
turwissenschaft, Sprachwissenschaft und deutsche Landeskunde. Um diese drei Fachbe-
reiche organisiert sich auch die Forschung.
Das Deutschstudium besteht aus drei Stufen: dem Grund-, Haupt- und Promotions-
studium. Grund- und Hauptstudium dauern jeweils zwei Jahre. Im letzten Jahr des
Hauptstudiums (Maı̂trise) haben die Studierenden die Wahl zwischen einem berufsbezo-
genen und einem forschungsorientierten Magisterstudium. Die Zulassung zum for-
schungsorientierten Magisterstudium, das mit dem Verfassen einer schriftlichen Ab-
schlussarbeit endet und zum Promotionsstudium berechtigt, ist an bestimmte Bedingun-
gen gebunden. Seit der Einführung des Promotionsstudiums 2003 sind im Februar 2009
die ersten beiden Dissertationen abgeschlossen worden (Diaby 2009; Souanga 2009).
Die Deutschlehrerausbildung erfolgt hauptsächlich an der Pädagogischen Hoch-
schule. Die Studierenden der Pädagogischen Hochschule müssen vorher an der Universi-
tät studiert haben. Das Lehramtstudium dauert zwei weitere Jahre und besteht aus litera-
tur- und sprachwissenschaftlichen Fächern, wobei der Schwerpunkt auf Didaktik, Me-
thodik und Pädagogischer Psychologie liegt. Nach einem theoretischen Jahr machen die
Studenten während des zweiten Jahres ein Praktikum in einer Sekundarschule.

3. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme des


Deutschangebots
Innerhalb des frankophonen Afrika nimmt Côte d’Ivoire eine besondere Stellung im
Deutschunterricht und in der Germanistik ein, obwohl es kein Kulturabkommen zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und diesem westafrikanischen Land gibt. Als
Schulfach konnte Deutsch seit der politischen Unabhängigkeit von Côte d’Ivoire (1960)
seine Stellung ständig ausbauen, nicht zuletzt seit den 1980er Jahren. Böhm (2003: 282)
zufolge stieg die Zahl der Deutschschüler von 40.983 Schülern im Jahre 1983 bis 1993
auf 72.000 Schüler und bis 1999 auf 113.552 Schüler. Im Jahre 2009 beträgt die Zahl der
Deutschschüler wohl über 200.000. Wegen der militärisch-politischen Krise seit 2002 ist
heute die Zahl der Deutschlernenden nicht ganz aktuell, da keine exakte Statistik für die
Zone der Rebellion vorliegt. Aus der Statistik einer Forschungsarbeit von Bedi (2006:
Anhang) geht deutlich hervor, dass Côte d’Ivoire im afrikanischen Vergleich die meisten
189. Deutsch in Elfenbeinküste/Côte d’Ivoire 1649

Deutschschüler hat. Mit der Wiedereinführung von Deutsch als erster Fremdsprache
in der Sekundarschule ist mit einer raschen Progression der Deutschschülerzahl in den
kommenden Jahren zu rechnen.
Wie die Zahl der SchülerInnen hat sich auch die Zahl ihrer BetreuerInnen verändert.
Allein in den staatlichen Schulen stieg die Zahl der Deutschlehrenden in den Jahren von
1995 bis 2001 von 533 auf 660 an. Unter Berücksichtigung der Lehrenden der Privatschu-
len, deren Zahl nicht genau bekannt ist, geht die Gesamtzahl der Deutschlehrenden in
Côte d’Ivoire nach Schätzungen über 1.000 hinaus.
Auch im Hochschulbereich hat Côte d’Ivoire die größte Anzahl von Deutschstudie-
renden im Afrika südlich der Sahara. 1999 studierten 1.250 Studenten Germanistik. Im
Jahre 2009 erreicht allein die Zahl der Deutschstudierenden an der Universität Cocody-
Abidjan 1.200. An der Universität Bouaké sind ungefähr 300 Deutschstudierende immat-
rikuliert. Die Pädagogische Hochschule hatte im akademischen Schuljahr 2008⫺2009
150 Studierende bzw. Praktikanten. In dieser Hochschule steigt die Zahl der Studieren-
den nicht konstant, sie geht manchmal sogar zurück, wenn der Lehrerbedarf nicht so
akut ist oder wenn die finanzielle Situation des Landes die Einstellung einer großen
Lehrerzahl nicht zulässt.
Weil nicht alle Studierenden den Lehrerberuf ergreifen wollen bzw. werden, bietet die
Deutschabteilung im Hauptstudium erste berufsbezogene Zusatzqualifikationen an. So
werden einerseits fachspezifische Sprachkenntnisse für die Bereiche Tourismus und Wirt-
schaftsgeschichte vermittelt. Andererseits können die Studierenden Kurse für Verwal-
tungsrecht oder Kommunikation belegen.
Ein Problem betrifft die Lehrwerke und die Unterrichtsmethoden, die nicht sehr kom-
munikativ orientiert sind, so dass die meisten Deutschlernenden trotz ihrer Deutsch-
kenntnisse in einer kommunikativen Alltagssituation nicht immer erfolgreich sind. Mit
dem regionalen Lehrwerk „Ihr und Wir Plus“, das zur Zeit bearbeitet wird, werden
zukünftig kommunikativere Akzente im Unterricht gesetzt werden können.
Trotz der angesprochenen Probleme hat Deutsch in Côte d’Ivoire Zukunft. Mit der
Globalisierung der Welt lässt sich erwarten, dass die Zahl der Deutschlernenden weiter
ansteigt. Nur eine fremdsprachenunfreundliche Schulreform, ein Rückgang der Geburten
oder schlechte Berufsaussichten könnten die Zunahme der Zahl der Deutschlernenden
und -studierenden in diesem Land bremsen.

4. Literatur in Auswahl

Bedi, Lasme Elvis


2006 Deutsch in Afrika: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Hamburg: Verlag Dr. Kovac.
Böhm, Michael Anton
2003 Deutsch in Afrika. Die Stellung der deutschen Sprache in Afrika vor dem Hintergrund der
bildungs- und sprachpolitischen Gegebenheiten sowie der deutschen Auswärtigen Politik.
Frankfurt a. M.: Lang.
Diaby, Brahima
2009 La vocation de l’homme dans les œuvres d’Amadou Hampaté Bâ et dans „Individu et cosmos
dans la philosophie de la renaissance“ d’Ernst Cassirer. Disseration, Département d’Alle-
mand, Université Cocody-Abidjan.
1650 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Souanga, Kouadio Denis


2009 La genèse des conflits et les conditions d’une paix sociale durable chez Rolf Hochhuth.
Disseration, Département d’Allemand, Université Cocody-Abidjan.

Bechie Paul N’Guessan, Abidjan (Côte d’Ivoire)

190. Deutsch in Estland


1. Rolle des Deutschen in Estland
2. Träger des Deutschunterrichts
3. Germanistik-/DaF-Studium
4. Lehrerausbildung
5. Forschung
6. Zahlen und Tendenzen
7. Literatur in Auswahl

1. Rolle des Deutschen in Estland


Estland gehört zu den Ländern, in denen die deutsche Sprache auf eine lange Tradition
zurückblicken kann: Seit dem 12. Jh. war das Deutsche hier die Sprache der Oberschicht.
Als seit dem 19. Jh. eine estnische Intelligenz aufkam, spielte für sie das Deutsche bei
der Vermittlung der Kenntnisse die entscheidende Rolle. Zu dem Zeitpunkt spielte in
dieser Funktion die ebenfalls sehr dominante russische Sprache eher eine bescheidenere
Rolle. Auch die Verselbstständigung der estnischen Sprache, ihre Entwicklung als Spra-
che der Wissenschaft, der Bürokratie etc. erfolgte vielfach in der Einflusssphäre des
Deutschen. Im 20. Jh. ist die Rolle des Deutschen in Estland kontinuierlich zurückgegan-
gen. Andere Sprachen, vor allem das Englische und das Russische, haben als Inspiratoren
vielfach die frühere Rolle des Deutschen übernommen.
Nach einer relativ stabilen Entwicklung des Deutschunterrichts nach dem Zweiten
Weltkrieg, wo Deutsch neben Englisch und Französisch einen festen Platz unter den
wählbaren Fremdsprachen einnahm ⫺ als erste Fremdsprache bzw. Staatssprache wurde
an allen estnischen Schulen Russisch unterrichtet ⫺ kann man Mitte der 1990er Jahre in
Estland einen kurzen Anstieg des Deutschunterrichts feststellen. Seit dem Ende der
1990er Jahre, Anfang des 21. Jhs. folgt dem Anstieg des Deutschen ein starker Rückgang,
zugleich eine Konzentration auf die englische Sprache. Die staatlichen Curricula für die
Hauptschule und das Gymnasium ermöglichen die Wahl der ersten Fremdsprache unter
den vier folgenden Sprachen: Englisch, Deutsch, Russisch und Französisch. Obligato-
risch ist für die Schüler auch die zweite Fremdsprache, fakultativ kann die Schule noch
weitere Fremdsprachen (meistens auf der Gymnasialstufe) anbieten. Die erste und zweite
Fremdsprache werden von den Schulen gewählt je nach ihren Möglichkeiten und den
Wünschen der Schüler bzw. ihrer Eltern. Heutzutage ist das Englische den internationa-
len Tendenzen entsprechend fast konkurrenzlos die erste Fremdsprache (71 % als erste
Fremdsprache, neben dem Estnischen als Zweitsprache in den russischsprachigen Schu-
190. Deutsch in Estland 1651

len mit 23 %), der Anteil des Deutschen beträgt zur Zeit lediglich 3 % als erste Fremd-
sprache. Da aus geopolitischen Gründen in Estland die russische Sprache verstärkt als
zweite Fremdsprache gewählt wird (59 %), kommt das Deutsche vor allem als dritte
Fremdsprache in Frage (56 %) (vgl. Sõstar 2008).

2. Träger des Deutschunterrichts


Es gibt in Estland einige allgemeinbildende Schulen mit erweitertem Deutschunterricht,
die diese Tradition schon jahrzehntelang verfolgen. In einer von ihnen ⫺ im Deutschen
Gymnasium Tallinn ⫺ ist eine sog. deutschsprachige Abteilung eingerichtet. Dieses Gym-
nasium ist die einzige Schule in den baltischen Ländern, an der es möglich ist, in der
deutschen Sprache nach deutschen Lehrplänen zu lernen. Geregelt ist dies in einem Ver-
trag zwischen der Republik Estland und der Bundesrepublik Deutschland über schuli-
sche Zusammenarbeit vom 3. Juni 2002 (vgl. Tallinna Saksa Gümnaasium, Website).
Als weitere Träger des Deutschunterrichts und der Fortbildung für die Deutschlehrer
sind das Deutsche Kulturinstitut/Goethe-Institut Tallinn (DKI/GI Tallinn) und das
Deutsche Kulturinstitut Tartu zu nennen, die Sprachkurse auf allen Niveaus und mit
verschiedenster Ausrichtung anbieten. Ebenso können am DKI/GI Tallinn die internatio-
nal anerkannten Prüfungen des Goethe-Instituts abgelegt werden. Für Lehrer werden
Workshops und Seminare im Bereich DaF und Methodik-Didaktik des DaF-Unterrichts
angeboten (vgl. Goethe-Institut Estland, Website).
Darüber hinaus existieren verschiedene Vereine, die sich für die deutsche Sprache und
Kultur einsetzen, z. B. der Estnische Deutschlehrerverband, die Gesellschaft für deutsche
Sprache/Zweig Tallinn, die Gesellschaft für Deutschbaltische Kultur. In der Nationalbib-
liothek gibt es Lesesäle aller deutschsprachigen Länder. Auch verschiedene Sprachschu-
len und Sprachenzentren der Hochschulen bieten Deutschkurse an. Einen Teil des
Deutschunterrichts führen Muttersprachler durch (z. B. Programmlehrer an den Schulen,
DAAD-Lektoren an den Universitäten).

3. Germanistik-/DaF-Studium
Seitdem Deutsch vor allem als dritte Fremdsprache gelernt wird, sind die Deutschkennt-
nisse der Germanistikstudenten im Vergleich zu den 1990er Jahren stark gesunken. Da
in Estland zugleich der Zugang zu den Universitäten in allen Bereichen erleichtert wor-
den ist, werden auch keine Aufnahmeprüfungen durchgeführt und alle, die das Staatsexa-
men im Fach Deutsch auf einem durchschnittlichen Niveau abgelegt haben und durch-
schnittliche Leistungen in anderen Bereichen vorweisen sowie ihr Studium selbst bezah-
len wollen bzw. können, können immatrikuliert werden. Da nach der Reform der
Curricula entsprechend dem Bologna-Abkommen der vormals sehr hohe Anteil des
praktischen Deutschunterrichts im Germanistikstudium zurückgegangen ist, ist die Be-
herrschung der deutschen Sprache gesunken. Auch wenn im Sinne der Verwissenschaftli-
chung der Lehre parallel dazu die Kenntnisse in der Linguistik und in der deutschen
Literatur gestiegen sind, bereitet die mangelhafte Sprachkompetenz im Studium sowie
im beruflichen Umfeld Probleme.
1652 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Germanistik als Hauptfach wird in Estland gegenwärtig an zwei Universitäten unter-


richtet (in Tartu und in Tallinn). An beiden Universitäten gibt es auch aufgrund unter-
schiedlicher Curricula staatlich finanzierte Studienplätze in der Germanistik. In den
1980er Jahren betrug die Aufnahmequote auf das Land bezogen 26, in den 1990er Jahren
wurde sie auf etwa 50 erhöht, seit Anfang des Jhs. beträgt sie stabil etwa 25. Diese
Reduktion betrifft nicht nur das Germanistikstudium an den Universitäten, sondern ent-
spricht den allgemeinen bildungspolitischen Entscheidungen, die in den letzten Jahren
in Estland den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern mehr Aufmerksamkeit
widmen. Trotz der geringeren Quote ist die allgemeine Anzahl der Germanistikstudenten
seit Mitte der 1990er Jahre weitgehend stabil geblieben. Es besteht in Estland die Mög-
lichkeit, das Studium selbst zu finanzieren; die zunehmende Anzahl der zahlenden Studi-
enanfänger gleicht den Rückgang der staatlichen Finanzierung der letzten Jahre aus (lan-
desweit 46 Studienanfänger in der Germanistik 2008).
Im Herbst 2002 wurden in Estland modularisierte Curricula eingeführt. Die neuen
Bachelorstudiengänge in der Germanistik sind auf dieser Ebene sowohl in Tartu als auch
in Tallinn nicht auf eine berufliche Profilierung konzentriert, vielmehr wird eine breite
philologische Ausbildung mit Schwerpunkt auf der deutschen Sprache und Literatur ver-
mittelt. In Tallinn ist Germanistik kombinationspflichtig, in Tartu kann sie auch ohne
ein Nebenfach studiert werden. An beiden Universitäten wird einerseits die Beherrschung
der deutschen Sprache ausgebaut, wobei sowohl die Grammatik, Phonetik als auch allge-
meine Textkompetenz berücksichtigt werden. Weitere Teile machen Landeskunde, ger-
manistische Linguistik und Literaturwissenschaft aus.
Alle Masterlehrgänge sind zweijährig. Im Vergleich zu den Bachelorlehrgängen sind
sie stärker berufsorientiert. Für die angehenden Germanisten bestehen mehrere Möglich-
keiten. Nach dem allgemeinen Lehramtsstudium, wie es bis Mitte der 1990er Jahre üblich
war, bestehen gegenwärtig weitere Qualifikationsmöglichkeiten. Die Universitäten
(Tartu, Tallinn) bieten folgende zum Teil berufsbezogene Curricula an: Dolmetschen,
Übersetzen, Lehramtsstudium, Germanistik. Damit hat sich das Fach Germanistik weit-
gehend den Anforderungen des Arbeitsmarktes angepasst, wo gute Deutschkenntnisse
und philologische Kompetenz nicht nur in der Schule erwartet werden, sondern auch in
anderen Lebensbereichen benötigt werden.

4. Lehrerausbildung

Die Lehrerausbildung in Estland weist ein dreigliedriges System auf:


1. Grundausbildung an der Universität (pädagogische und methodisch-didaktische Fä-
cher und pädagogisches Praktikum).
2. Praktisches Jahr an der Schule unter mentorieller Betreuung durch Schule und Uni-
versität.
3. Fortbildung (160 Stunden im Zeitraum von 5 Jahren).
Die Deutschlehrerausbildung an der Universität besteht aus Fachstudien (deutsche Spra-
che, Literatur, Landeskunde), allgemeindidaktischen und pädagogischen Fächern, fach-
didaktischen Fächern (Grundlagen des Deutschunterrichts, Methodik und Didaktik),
pädagogischen Praktika (Hospitationspraktikum und zwei Hauptpraktika). Die Ausbil-
190. Deutsch in Estland 1653

dung wird mit einer Masterarbeit zu einem allgemein- oder fachdidaktischen Untersu-
chungsthema abgeschlossen.
Der Übergang auf die neuen Curricula hat auch für die Deutschlehrerausbildung in
den letzten Jahren eine Neuorientierung bedeutet. Da der Lehrerberuf im Land allgemein
kein Prestigeberuf ist, entscheiden sich immer weniger (Germanistik-)Studenten für die
Lehrerausbildung. So mangelt es an Nachwuchs an Deutschlehrern und das wiederum
bringt eine Reduktion des Deutschunterrichts an allgemeinbildenden Schulen mit sich.

5. Forschung

Die estnische Hochschulgermanistik ist eine ausgesprochen kleine Disziplin. Es gibt ins-
gesamt knapp 20 einheimische MitarbeiterInnen (vgl. Tarvas 2005). Da dieser Personen-
kreis im Lehrangebot die ganze Breite des Faches abdecken soll, ist das Spektrum der
Forschungsinteressen und der Publikationen sehr bunt. Es gibt sowohl linguistische als
auch didaktische und literaturwissenschaftliche Arbeiten, aber auch Publikationen, die
eher im Kontext der Kulturwissenschaft oder Wissenschaftsgeschichte stehen. Wenn man
die traditionell stärkste Richtung, die Linguistik, betrachtet, so stehen hier Forschungen
im Bereich der Systemlinguistik und Angewandten Linguistik im Zentrum, indirekt sind
dazu auch lexikographische Projekte zu zählen. Am größten ist die thematische Vielfalt
aber im Bereich der Literaturwissenschaft, dort gibt es auch die meisten Promotionen.
Die Literaturwissenschaftlerinnen untersuchen vor allem kontrastiv die Literatur aller
deutschsprachigen Länder und berücksichtigen auch die Tradition der deutschbaltischen
Literatur. Im Bereich Literaturtheorie spielt die Autobiografieforschung eine wichtige
Rolle. Die didaktische Forschung konzentriert sich auf kreative und interaktive Metho-
den und die Problematik der personalen Faktoren im Fremdsprachenunterricht. Im neu
entstehenden Bereich Übersetzungswissenschaft werden unter anderem die translatori-
schen Entscheidungen untersucht.

6. Zahlen und Tendenzen

Im Schuljahr 2007/2008 lernten in den allgemeinbildenden Schulen Estlands insgesamt


155.071 Schüler, von denen 5.020 (3,2 %) Deutsch als erste Fremdsprache, 11.103 (7,1 %)
als zweite Fremdsprache und 9.942 (6,4 %) als dritte Fremdsprache (vgl. Eesti Hariduse
Infosüsteem, Website), was im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren einen drasti-
schen Rückgang bedeutet.
2007/2008 arbeiteten in den allgemeinbildenden Schulen Estlands 463 Deutschlehr-
kräfte (im Vergleich zu 1.851 Englischlehrkräften), von denen 90,5 % eine entsprechende
fachlich-pädagogische Hochschulausbildung absolviert haben (vgl. Keelehariduspoliitika
ülevaade 2008: 39).
Im Jahr 2008 haben 566 Schüler die zentrale Schulabschlussprüfung für das Fach
Deutsch abgelegt. 2005 betrug diese Zahl vergleichsweise 1.053, 1997 aber 2.028 (vgl.
Riiklik Eksami- ja Kvalifikatsioonikeskus, Website).
1654 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

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Keelehariduspoliitika ülevaade. Eesti. Raport. [Übersicht über die Sprachbildungspolitik. Estland.
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2008 Tartu: Haridus- ja Teadusministeerium.
Sõstar, Kersti
2008 Võõrkeelte õpe Eesti üldhariduskoolides ⫺ nüüd ja tulevikus. [Fremdsprachenunterricht
in estnischen allgemeinbildenden Schulen ⫺ heute und in Zukunft.]
http://www.koolielu.ee/pages.php/0710,20181 [Zugriff am 30. 11. 2008]
Riiklik Eksami- ja Kvalifikatsioonikeskus. [Staatliches Prüfungs- und Qualifikationszentrum].
http://www.ekk.edu.ee [Zugriff am 30. 11. 2008]
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http://www.saksa.tln.edu.ee/de/index.php?option⫽com_content&task⫽section&id⫽6&
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Tarvas, Mari
2005 Zu den Publikationen estnischer Germanisten. Eine Bestandsaufnahme. Triangulum. Ger-
manistisches Jahrbuch für Estland, Lettland und Litauen 10: 234⫺243.

Merle Jung, Tallinn (Estland)


Mari Tarvas, Tallinn (Estland)

191. Deutsch in Finnland


1. Einführung und Problemaufriss
2. Deutsch als Schulfremdsprache ⫺ bisherige Entwicklungen und der status quo
3. Aus- und Fortbildung der DaF-Lehrkräfte
4. Deutsch und Germanistik im Hochschulbereich
5. Ausblick
6. Literatur in Auswahl

1. Einührung und Problemauriss


Bemühungen um Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeitserziehung zählen zu den
Schwerpunkten der gegenwärtigen Sprachenbildungspolitik in Europa. Mit der Favori-
sierung einer eindimensionalen Verkehrssprachenpolitik ist jedoch gleichzeitig in vielen
Ländern ein Gegentrend zu verzeichnen. So auch in Finnland ⫺ und betroffen ist nicht
zuletzt Deutsch als Fremdsprache (DaF). Kontrovers und besorgniserregend ist, dass
diesen Verhältnissen gerade im Bereich der Bildung und Erziehung sowie auch dem der
Wirtschaft ein hoher Bedarf an Expertinnen und Experten gegenübersteht, die auch künf-
tig u. a. die in Europa meist gesprochene Erstsprache auf professionellem Niveau beherr-
schen müssen.
191. Deutsch in Finnland 1655

2. Deutsch als Schulremdsprache  bisherige Entwicklungen und


der status quo
Im 19. Jahrhundert, sowie noch bis zum Zweiten Weltkrieg hatte Deutsch den Status
der wichtigsten Schulfremdsprache in Finnland. Auch nach dem Krieg hielt es noch
seine dominante Stellung unter den in den damaligen (höheren) Mittel- und Oberschulen
unterrichteten Fremdsprachen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und einer allgemei-
nen Verbreitung des Lebensstils und der Sprache der neuen Weltmacht USA hat sich
diese Situation jedoch geändert: Der Bedarf an einer festen Allgemeinbildung der Bevöl-
kerung, sowie die hohe Geburtenrate haben in den 1950er Jahren vielerorts zur Grün-
dung neuer Schulen geführt. Im zeitgemäßen Trend ist an diesen Schulen als einzige
Fremdsprache Englisch eingeführt worden (vgl. u. a. Korhonen 2008).

Tab. 191.1: Deutsch und Englisch als erste Fremdsprache (1. FS) in % im finnischen Abitur von
1945 bis 1980 (nach Haataja, 2005).
Sprache 1945⫺47 1950 1960 1970 1980
Deutsch 94,4 56,9 47,2 40,1 2,8
Englisch 2,8 39,2 50,3 59,1 96,5

Inzwischen ist Finnland seit knapp 15 Jahren Mitglied der Europäischen Union. Der
1995 erfolgte Beitritt hat sich in der schulischen Fremdsprachenlandschaft deutlich sicht-
bar gemacht, und zwar nicht zuletzt mit Blick auf DaF. Zudem ist in Finnland bei der
Erneuerung der Rahmenlehrpläne für den grundlegenden Fremdsprachenunterricht
(FSU) im Jahr 1994 als ein fakultatives Fach die zweite Fremdsprache im Primarschulbe-
reich eingeführt worden. Als Begleitmaßnahme hat das finnische Zentralamt für Unter-
richtswesen im Jahr 1996 ein Projekt zur Vervielfältigung und Entwicklung des FSU
gestartet. Zu Beginn des Projekts haben ca. zwei Drittel aller finnischen Kommunen im
Primarbereich eine zweite Fremdsprache angeboten; Deutsch wurde zu dieser Zeit von
16,9 % der Lernenden gewählt. Gegen Ende der Projektlaufzeit (2000/2001) haben insge-
samt 12,8 % aller Schüler im Primarunterricht eine fakultative FS gelernt, darunter fast
40 % DaF. Die weiteren Tendenzen der letzten Jahre sind Tab. 191.2 zu entnehmen:

Tab. 191.2: Wahl v. Deutsch als 1. und 2. FS und Englisch als 1. FS in % von 1994 bis 2006 (nach
Haataja 2005).
Sprache 1994 2000 2004 2006
Deutsch 4,0 2,8 1,6 1,1
Deutsch 15,9 38,7 9,6 7,2
Englisch 86,9 87,6 90,7 91,7

Solche Entwicklungen lassen sich auch für weitere Fremdsprachen (z. B. Französisch,
Russisch) verzeichnen. Gründe hierfür sind u. a. die Entscheidung vieler Elternhäuser für
ausschließlich Englisch, sowie die beträchtlichen Sparmaßnahmen vieler Kommunen, die
sich ausgerechnet im Bereich der schulischen Sprachenerziehung in Form einer schwin-
denden Vielfalt der Sprachlernangebote niederschlagen: Heute kann in ganz Finnland
nur noch in zwei Kommunen die erste Fremdsprache aus fünf Alternativen ausgewählt
1656 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

werden. Eine erneute nationale Fördermaßnahme zur Beibehaltung und Stärkung der
Sprachenvielfalt scheint auch dringend notwendig; eine solche ist im finnischen Bildungs-
ministerium für die Jahre 2009 bis 2011 angekündigt worden.

3. Aus- und Fortbildung der DaF-Lehrkräte

Die grundlegende Ausbildung der DaF-Lehrkräfte liegt in Finnland bei den Universitä-
ten: Parallel zu bzw. im Anschluss an ein i. d. R. linguistisch orientiertes Fachstudium
der Germanistik bzw. der deutschen Sprache und Kultur wird am Institut für Lehreraus-
bildung eine gesonderte Ausbildung im Gesamtumfang von 60 ECTS absolviert. Diese
besteht aus pädagogischen, psychologischen und (fremdsprachen-)didaktisch-methodi-
schen Kursen, die teilweise für ReferendarInnen aller Fächer und weitestgehend für sol-
che verschiedener Fremdsprachen gemeinsam in finnischer Sprache organisiert werden.
Hinzu kommen unterrichtspraktische Studienabschnitte, die u. a. Unterrichtsversuche
und -hospitationen enthalten und an den Ausbildungsschulen der Universitäten stattfin-
den. Heute erwerben ca. 50 % der Germanistik-Absolvent/-innen in Finnland die schu-
lische Lehrqualifikation für DaF. I.d.R. wird diese zugleich auch für eine weitere
(Fremd-)Sprache erworben, die Kombination von einer Fremdsprache und einem Sach-
fach ist heute noch vergleichsweise selten. Im Zuge der gesamteuropäischen Diskussion
um eine curriculare Verankerung und Verbreitung des integrierten Sprachen- und Sach-
fachunterrichts (CLIL) finden die Fragestellungen u. a. um die doppelte Fakultas jedoch
immer mehr Berücksichtigung. Strukturell gesehen stellen wiederum Maßnahmen zur
Kontinuität zwischen Aus- und Fortbildung, sowie die Intensivierung von Zusammenar-
beit zwischen den fremdsprachlichen Fachdisziplinen und der Fachlehrerausbildung ak-
tuelle Entwicklungen dar.
Die Organisation der Lehrerfortbildung durchläuft in Finnland momentan einen Re-
formprozess. Neben den Kontinuitätsbemühungen zwischen den Aus- und Fortbil-
dungsstrukturen werden strukturelle und inhaltliche Vielfalt, Systematisierung und
Nachhaltigkeit, sowie Zugänglichkeit und Erreichbarkeit der Fortbildungsmaßnahmen
angestrebt. Veranstaltungen für DaF werden im Moment insb. vom Goethe Institut, der
Fachberatung für Deutsch der Zentralstelle für das Ausslandsschulwesen, sowie vom
Staatlichen Fortbildungsinstitut für Bildungswesen in Finnland getragen. Darüber hi-
naus bieten vereinzelt auch das Zentralamt für Unterrichtswesen, die Ausbildungsschulen
und Fortbildungszentren der Universitäten sowie die kommunalen und regionalen Ämter
für Schule und Bildung Fortbildungskurse an. Inhaltlich standen in den letzten Jahren
neben Adaptierung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen u. a.
Förderung und Bewertung von mündlichen Sprachfertigkeiten sowie diverse Themen der
fächerübergreifenden Sprachvermittlung im Mittelpunkt. Im Jahr 2007 wurde zudem
eine Seminarreihe zum Aufbau eines Multiplikatorennetzwerks für DaF in Finnland ini-
tiiert, u. a. mit dem Ziel, der o. g. Fortbildungsreform nachzukommen. Insgesamt geht
mit dem Reformprozess für die Zukunft die wichtige Herausforderung einher, eine Kon-
solidierung und synergetische Weiterentwicklung von Kooperationsstrukturen zu erwir-
ken. Unter dem Motto des lebenslangen Lernens wird im Bereich DaF auf eine kontiuier-
liche und regelmäßige Fortbildungsteilnahme und damit auf eine ganzheitliche Festigung
und Förderung der beruflichen Professionalität der Deutschlehrkräfte abgezielt.
191. Deutsch in Finnland 1657

4. Deutsch und Germanistik im Hochschulbereich


Für Studierende aller Fachrichtungen sind Lernangebote für Deutsch an den universitä-
ren Sprachenzentren bzw. den Spracheninstituten der Wirtschaftsuniversitäten vorhan-
den. Ferner werden tutoriell betreute Möglichkeiten zum Selbststudium angeboten. Der
Umfang der studienbegleitenden Pflichtkurse und -sprachen variiert je nach Studienfach
und Hochschule, beträgt aber in aller Regel ca. 10 % vom Gesamtumfang des Fachstudi-
ums. Deutsch wird vor allem an den technischen Universitäten gewählt, sowie an den
Wirtschaftshochschulen bzw. den wirtschaftlichen Fakultäten der Universitäten, wo für
den Abschluss im Verhältnis zu vielen anderen Fachbereichen umfangreichere Fremd-
sprachenkenntnisse nachzuweisen sind. Grundsätzlich werden studienbegleitende Sprach-
kurse für unterschiedliche Sprachniveaus angeboten. Im Zuge der rückläufigen DaF-
Tendenzen an Schulen sind jedoch in letzter Zeit vor allem Anfangskurse gefragt, wäh-
rend vertiefende, fachspezifischere Kurse immer seltener gewählt werden (können).
Durch eine weitere Vernetzung und Kooperation zwischen Hochschulen im In- und Aus-
land wäre hierzu Hilfestellung zu leisten; Lehrangebote verschiedener Einrichtungen
könnten von den Studierenden immer mehr z. B. über Internetplattformen orts- und teils
auch zeitunabhängig wahrgenommen werden.
Das universitäre Fachstudium der Germanistik kann in Finnland nach einer erfolgrei-
chen Aufnahmeprüfung z.Z. an insg. acht Universitäten aufgenommen werden. Zu den
curricularen Schwerpunkten zählen je nach Studienziel und -profil u. a. sprachpraktische
Kurse, theoretische und angewandte Linguistik, Literatur und Kultur, oder aber auch
Übersetzen und Dolmetschen. Die Grund- und Fachstudien umfassen 180 ECTS und
werden im Rahmen des Bachelor-Studiums absolviert, die vertiefenden Hauptstudien
(120 ECTS) wiederum im anschließenden Master-Studiengang. In beiden Studienab-
schnitten werden neben den Hauptfachstudien ein oder mehrere Nebenfächer studiert,
hinzu kommen weitere sprach- und kommunikationspraktische Kurse.
Die germanistische Forschung zeichnet sich in Finnland in letzter Zeit durch eine
thematische Vielfalt aus. Als Schwerpunkte der Linguistik sind neben den mehr traditio-
nellen Bereichen der Dependenz- und Valenztheorie, sowie der Lexikologie und Phraseo-
logie u. a. kontrastive Linguistik, interkulturelle Wirtschaftskommunikation und Fach-
sprachenforschung zu erwähnen. Im Bereich der Literaturwissenschaft können wiederum
z. B. historische Erzähl- und Märchenforschung, Literatur im interkulturellen Kontext,
sowie Reiseliteratur angeführt werden. Positiv ist anzumerken, dass in der linguistischen
Forschung vor allem mit Blick auf die Hochschulebene Bezüge zu DaF immer deutlicher
erkennbar sind (vgl. z. B. Korhonen 2008).

5. Ausblick
Gegenwärtige Tendenzen der finnischen Germanistik-Forschung lassen künftig auf eine
noch stärkere Berücksichtigung von DaF auch auf der Schulebene schließen. Diese Ent-
wicklung ist nicht nur für die Forschung per se ein Gewinn, sondern vielmehr für den
gesamten Fachbereich und dessen Förderung und Präsenz über Domänen- und Instituti-
onsgrenzen hinweg. Es lässt sich auch im Zeichen der plurilingualen Sprachenerziehung
insgesamt ein Plädoyer aussprechen für die Festigung von Kooperationen und Dialog-
1658 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

strukturen zwischen der (Sprachen-) Bildungspolitik, der Spracharbeit der Schulpraxis


und der Erforschung der schulischen Sprachenvermittlung ⫺ und dies (ziel-)sprachen-
übergreifend.

6. Literatur in Auswahl
Haataja, Kim
2005 Integriert, intensiviert, oder nach ,altbewährten‘ Rezepten? Über Auswirkungen der Lernum-
gebung und Unterrichtsmethodik auf den schulischen Fremdsprachenerwerb. Marburg: Tec-
tum.
Korhonen, Jarmo
2008 Deutsche Sprache und Germanistik in Finnland. Jahrbuch für internationale Germanistik
XXXIX Heft 2: 61⫺72. Frankfurt a. M.: Lang.

Kim Haataja, Tampere (Finnland)

192. Deutsch in Frankreich


1. Vorbemerkungen
2. Das deutsch-französische Tandem
3. Deutsch an Schulen
4. Deutsch an Hochschulen
5. Literatur in Auswahl

1. Vorbemerkungen
Die heutige Situation des Deutschunterrichts an französischen Schulen wie auch des
Germanistikstudiums an den Universitäten ist das Ergebnis verschiedener Faktoren, die
einerseits im Zuge der sogenannten Globalisierung europaweit sichtbar werden, anderer-
seits aber auch auf landesspezifische Gegebenheiten zurückzuführen sind, welche sich
wiederum zum Teil aus der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen ergeben.
Die Entwicklung in den letzten Jahren lässt sich durch eine Reihe von Feststellungen
beschreiben, die zwar als relativ paradox betrachtet werden können aber eben deshalb
sowohl die schwierige Lage der deutschen Sprache in Frankreich besser erklären als auch
gleichzeitig mögliche Auswege zeigen können.

2. Das deutsch-ranzösische Tandem


2.1. Wo ein politischer Wille ist

Die deutsch-französischen Beziehungen sind in den letzten Jahrzehnten durch zwei wich-
tige politische Ereignisse geprägt worden, die sich mit einem Abstand von 35 Jahren auf
192. Deutsch in Frankreich 1659

den Status der Partnersprache jeweils anders ausgewirkt haben. Gemeint ist zunächst der
Élysée-Vertrag, der 1963 den Weg für eine intensive bilaterale Kultur- und Sprachenpoli-
tik geöffnet hat und dadurch wesentlich zur Aussöhnung der beiden Völker nach fast
einem Jahrhundert feindlicher Beziehungen beigetragen hat. Der zweite politische Akt
ist ein Ereignis von internationaler Tragweite: Durch den Fall der Mauer und den Eini-
gungsprozess erhielt das vereinigte Deutschland ab 1990 ⫺ und in den nachfolgenden
Jahren durch die EU-Erweiterung ⫺ ein neues Bewusstsein und eine neue Position in
Europa, machtpolitisch, wirtschaftlich, aber auch kulturell. Dass das deutsch-französi-
sche Tandem dadurch aus dem gewohnten Rhythmus seiner Konsenskultur gebracht
wurde und erst wieder Tritt fassen musste, darf nicht wundern; dass im Schul- und Hoch-
schulwesen sowie im öffentlichen Leben die neu gewonnene Position der deutschen Spra-
che weitgehend verkannt blieb, gehört hingegen zu jenen paradoxen Wendungen der
Geschichte, die sich erst aus einer Analyse des politischen Umfelds erklären lassen.

2.2.
ist manchmal auch ein konkreter Weg
Die ersten offiziellen (kultur)politischen Erklärungen und Stellungnahmen in den 1960er
Jahren haben schnell zu konkreten Maßnahmen geführt, und die Besonderheit des
deutsch-französischen Verhältnisses hat sich mehrfach in einschneidenden Aktionen zur
Stärkung der Partnerschaft zwischen beiden Ländern niedergeschlagen. So wurde im
Zuge des Élysée-Vertrags 1963 das Deutsch-französische Jugendwerks (DFJW) / Office
franco-allemand pour la jeunesse (OFAJ) gegründet, das bis heute rund 8 Millionen junge
Menschen aus beiden Ländern gefördert hat, die an rund 300000 Begegnungen und Aus-
tauschprogrammen für Schule, Beruf, Wissenschaft, Kultur oder Sport teilgenommen
haben. Im Hochschulbereich unterstützt der Deutsche Akademische Austauschdienst
(DAAD) in Frankreich seit über 40 Jahren die deutsch-französische Kooperation in
Lehre und Forschung. Im Studienjahr 2009⫺2010 werden an französischen Universitä-
ten 52 LektorInnenstellen vom DAAD finanziell unterstützt. Hinzu kommen weitere 17
vom DAAD vermittelte LektorInnen. Eine weitere, für die deutsch-französische Annähe-
rung und Zusammenarbeit wichtige Institution ist die 1997 durch das Weimarer Abkom-
men ins Leben gerufene Deutsch-französische Hochschule / Université franco-allemande,
die das 10 Jahre zuvor eingerichtete Deutsch-französische Hochschulkolleg / Collège
franco-allemand pour l’enseignement supérieur abgelöst hat. Ihre Hauptziele sind die Stei-
gerung der Mobilität von Studierenden und Dozenten, die Durchführung integrierter
Studiengänge in allen Fächern mit doppeltem Abschluss und die Stärkung binationaler
Fachkompetenzen bei den Absolventen.
Auch von der Republik Österreich bekommt Frankreich Unterstützung im Bereich
Sprache: Als Fortsetzungsorgan zum 1993 gegründeten Verein Österreich Kooperation
hat seit Januar 2010 der Österreichische Austauschdienst GmbH sowohl das Lektoratspro-
gramm übernommen (im Studienjahr 2009⫺2010 sind 15 Lektoren aus Österreich an
französischen Universitäten tätig) als auch weitere Aufgaben wie DaF-Praktika und das
Sprachassistenzprogramm, das FremdsprachenassistentInnen an Schulen vermittelt.

2.3.
und nun? wohin?
Solche Wege in Form von Organisationen, Institutionen oder Anstalten haben zwar vieles
möglich gemacht und anfangs zweifellos zur Beibehaltung bzw. Etablierung des Deut-
1660 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

schen an französischen Schulen beigetragen, dennoch bleibt heute nach der Überwin-
dung der Zweiteilung Deutschlands und Europas die erwartete Auswirkung der langer-
sehnten politischen Versöhnung auf das Sprachverhalten aus. Deutsch hat in den letzten
zwanzig Jahren trotz Einigungsprozess und neu behaupteter Rolle der deutsch-französi-
schen Partnerschaft und bei allen großzügigen institutionellen Fördermaßnahmen weiter
an Ansehen verloren und hat an den Schulen seinen zweiten Platz nach Englisch längst
eingebüßt. Die Gründe für den Rückgang sind vielfältig und reichen von mentalitätsge-
schichtlichen und sprachenpolitischen zu (schul)systembedingten Faktoren. In den letz-
ten drei Jahren lässt sich allerdings ein Aufwärtstrend verzeichnen, der optimistisch inter-
pretiert werden könnte, wenn die materiellen Bedingungen für einen sinnvollen Sprach-
unterricht in den Schulen (Primar- und Sekundarstufe) gegeben wären.

3. Deutsch an Schulen
Deutsch gehört in Frankreich zu dem offiziellen Sprachenangebot und kann ⫺ zumindest
theoretisch ⫺ fast überall als erste, zweite oder dritte Fremdsprache gelernt werden. Die
konkrete Wirklichkeit ist aber alles andere als positiv, auch wenn seit Kurzem ernst zu
nehmende Indizien auf eine Verbesserung der Lage deuten. Im Jahr 2008 lernten knapp
8 % aller Schüler Deutsch als erste Fremdsprache und 14 % hatten es als zweite Fremd-
sprache gewählt. Insgesamt sind es 823389 Deutschlerner, d. h. 15,4 % der Schüler in der
Sekundarstufe (MEN 2009, 123). Der Prozentsatz hat sich im Vergleich zu den vorherge-
henden Jahren stabilisiert; die ersten Zahlen seit dem Herbst 2009 deuten sogar einen
unverkennbaren Aufwärtstrend an.

3.1. Primarstue

Die größte Sorge vor allem für die Zukunft bereitet die Primarstufe: Hier sind für
Deutsch bis heute überall nur rückwärtige Zahlen zu verzeichnen. Englisch hat seine
vorherrschende Stellung nun zum Quasimonopol ausgebaut, zumal an vielen Schulen die
entsprechende Lehrkraft für Deutsch fehlt oder versucht wird (und zwar mit Erfolg), die
Eltern umzustimmen, die sich für ihr Kind ursprünglich Deutsch gewünscht hatten. Dass
der frühe Fremdsprachenunterricht (eigentlich eher eine Sensibilisierung als ein richtiger
Unterricht) sich als ein Hindernis für das spätere Erlernen des Deutschen erweist, ist um
so bedauerlicher, als die Ergebnisse bei nur anderthalb Stunden pro Woche bis heute ⫺
auch für eine angeblich einfache Sprache wie Englisch ⫺ insgesamt ziemlich dürftig blei-
ben.

3.2. Sekundarstue

Nach den fünf Jahren in der Grundschule kommen alle Schüler ins Collège, nach dessen
Absolvierung die meisten das Lycée besuchen, entweder das Lycée professionnel (Berufs-
schule) oder das Lycée d’enseignement général et technologique (Gymnasium). Aus Presti-
gegründen entscheiden sich heute nur wenige nach dem Collège für eine Lehre. Dies
192. Deutsch in Frankreich 1661

bedeutet, dass viele Jugendliche sich auf das Abitur vorbereiten, was zwangsläufig zu
einer starken Differenzierung beim Abitur und bei den entsprechenden Zweigen an den
Gymnasien geführt hat. Sprachen haben dabei einen unterschiedlichen Stellenwert.

3.2.1. Collège

Als einheitliche Schulform nach der Grundschule ist das Collège in den letzten Jahren
mehrfach ins Feuer der Kritik geraten. Gleichzeitig ist man dort aber besonders um
Innovationen und Anpassungen bemüht, die dem Fremdsprachenunterricht zugute ge-
kommen sind. Um dem Trend entgegenzuwirken, der durch die Vorherrschaft des Engli-
schen an den Grundschulen entstanden ist und die Wahl von Deutsch als erste Fremd-
sprache bedroht hat, sind seit 2000 sogenannte classes bilangues eingerichtet worden, in
denen die Schüler ab der 6. Klasse zwei gleichgestellte Sprachen parallel lernen können
(mit jeweils 3 Wochenstunden). Diese Maßnahme hat sich vielerorts zunächst sehr positiv
auf die Zahl der Deutsch lernenden Schüler ausgewirkt. 2008 haben 8,3 % der Sextaner
eine solche Klasse mit Deutsch und Englisch gewählt; im Elsass (Académie de Stras-
bourg) waren es gar 49,4 %. Im Herbst 2009 haben die classes bilangues noch einmal
deutlich zum Anstieg der Zahl der Deutschlerner beigetragen und für Optimismus ge-
sorgt.
Zu den positiven Paradoxen, die trotz jahrelangem Abwärtstrend zu erwähnen sind,
gehört der eher rege Lehrbüchermarkt. Noch bevor die classes bilangues eingerichtet
wurden, wurde beim Didier Verlag ein neues Konzept in die Wege geleitet, aus dem das
Lehrwerk Aufwind entstand (6.⫺9. Klasse), das den Lernenden als Mitwirkenden in den
Lehrprozess einbezieht. Auch für Deutsch als zweite Fremdsprache war dieser Verlag
bahnbrechend. Die zwei Bände der Reihe Zusammen (8. und 9. Klasse) enthalten erste
Schritte in Richtung Sprachenvergleich (Deutsch⫺Englisch).

3.2.2. Lycée

Neben den zwei bzw. drei Haupttypen (lycée d’enseignement général et technologique und
lycée professionnel), die auf drei Abitur-Typen vorbereiten: allgemeinbildend, technolo-
gisch und berufsorientiert (2009 waren es jeweils 53 %, 26 % und 21 % der Kandidaten),
gibt es auch beim baccalauréat général drei Hauptausrichtungen: literarisch, naturwissen-
schaftlich und mathematisch, mit unterschiedlichem Ansehen (in der hier gewählten Rei-
henfolge steigend). Auch wenn Fremdsprachen ⫺ d. h. auch Deutsch ⫺ beim literarisch
orientierten Abitur und in den entsprechenden Klassen eine wesentlich größere Rolle
spielen, bestehen bis heute strukturell bedingte Probleme, die die Effizienz des Unter-
richts stark beeinträchtigen.
⫺ Zum einem ist die Zahl der Wochenstunden stark reduziert worden; zum anderen
herrscht in vielen Klassen ⫺ zumal bei Sprachen mit kleinen Schülerzahlen ⫺ oft eine
große Heterogenität.
⫺ Auf der oberen Stufe wird immer öfter ohne Lehrbuch gearbeitet, was ein systemati-
sches und systembezogenes Lernen stark einschränkt oder sogar unmöglich macht
⫺ Dass die Lehrbücher für Deutsch in den letzten Jahren ohne das Mitwirken von
Sprachspezialisten (aus den Bereichen Sprachwissenschaft, Spracherwerb, Sprachdi-
1662 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

daktik) entstanden sind, zeigt auch, wie wenig die Rolle von Sprachstrukturen und die
systematische Arbeit an der Sprache beim Lehren und Lernen berücksichtigt werden.
⫺ Seit 1992 sind an vielen Schulen der Sekundarstufe sog. sections européennes einge-
richtet worden, in denen eine Fremdsprache besonders gefördert wird. Auf dem col-
lège erhalten die Schüler einer solchen Europaklasse einen umfassenderen Sprach-
und Landeskundeunterricht; auf dem lycée werden bestimmte Fächer wie Geschichte,
Erdkunde oder Biologie in der Fremdsprache unterrichtet.
Ein wichtiger Meilenstein der deutsch-französischen Annäherung und Zusammen-
arbeit ist in diesem Zusammenhang das gemeinsame Geschichtsbuch, das von den
Verlagen Klett (Stuttgart/Leipzig) und Nathan (Paris) realisiert wurde. Im Mittel-
punkt steht die europäische Geschichte, die aus zwei Perspektiven betrachtet wird.
⫺ Als weiteres markantes Ergebnis der deutsch-französischen Kooperation im Schulwe-
sen muss hier noch das 1994 eingeführte Abibac, der gleichzeitige Erwerb des deut-
schen Abiturs und des französischen baccalauréat, erwähnt werden. Der Unterricht
in der Partnersprache beträgt mindestens 9 Wochenstunden und muss in der Regel
drei Jahre lang vor dem Erwerb des Abschlusses belegt werden.

4. Deutsch an Hochschulen
Die Lage der Germanistik an den französischen Universitäten ist seit einigen Jahren
ziemlich gespannt und für viele Institute besorgniserregend. Der zur Zeit zu verzeich-
nende Aufwärtstrend in der Sekundarstufe hat sich für die Germanistik an den Hoch-
schulen (noch) nicht positiv ausgewirkt, aber Studiengänge mit Deutsch als zweitem
Hauptfach und vor allem die Besucherzahlen von Deutschkursen für Hörer aller Fakul-
täten erlauben eher eine optimistische Sicht auf die nächsten Jahre.

4.1. Germanistik

Dass die Germanistik in den letzten Jahren den erhofften Sprung nach oben nicht ge-
schafft hat, hat unterschiedliche Gründe. Interessant sind hier vor allem die internen
Gründe, denn sie erlauben einen Blick in das Fach selbst, seinen Status und sein Erneue-
rungspotential.
Das traditionelle Germanistikstudium in Frankreich ist durch zwei wichtige Merk-
male charakterisiert: Es ist sehr stark literatur- bzw. kulturwissenschaftlich geprägt und
verläuft auf einem sehr hohen Niveau. Seit einigen Jahren wird die Kluft zwischen dem
Deutschunterricht an den Gymnasien und den Erwartungen an den Universitäten immer
größer, und die Studienanfänger haben es oft sehr schwer. Die Sprachwissenschaft fristet
an vielen Universitäten ein kümmerliches Dasein. Dass viele Germanistikstudierende kei-
nen systematischen Einblick in die Linguistik und ihre Fragestellungen bekommen und
somit auch keinen sprachwissenschaftlichen Zugang zur Sprache, ist überhaupt sehr
problematisch, nicht nur für angehende Lehrer, sondern auch bei anderen Berufsberei-
chen, in denen Sprache und Kommunikation im Mittelpunkt stehen. Auch die Didaktik
des Deutschen ist an den Universitäten kaum vertreten; durch die Anbindung der päda-
gogischen Institute (IUFM / Instituts universitaires pour la formation des maı̂tres) an
192. Deutsch in Frankreich 1663

die Universitäten könnte sich das Fach etablieren ⫺ allerdings müssten dann Stellen
geschaffen werden.
Der Bologna-Prozess hat jedoch viele Institute dazu ermuntert, ihr Angebot zu erneu-
ern bzw. zu erweitern. In den letzten Jahren sind Doppelstudiengänge mit Germanistik
als zweitem Hauptfach eingerichtet worden: so z. B. jeweils in Kombination mit Franzö-
sisch, Geschichte, Kunstgeschichte, oder auch mit Jura oder Wirtschaft. Wichtig ist im-
mer, dass die beiden Fächer mit möglichen Berufsbereichen in Verbindung gesetzt wer-
den. Germanistik-Institute, die diesen Weg gewählt haben, verzeichnen zurzeit steigende
Studentenzahlen.

4.2. Angewandte Fremdsprachen

Der Studiengang LEA (Langues étrangères appliquées), der Deutsch mit einer anderen
Sprache (meistens Englisch) und einem praxisorientierten Unterricht von sog. Sachfä-
chern (Jura und Wirtschaftswissenschaft bzw. BWL) kombiniert, hat sich seit seiner
Gründung Anfang der 1970er Jahre zahlenmäßig sehr gut etabliert.
Was Deutsch betrifft, so enthält der Studiengang außer den Sprachkursen, die sich
auf Gebrauchstexte stützen und die Lerner in mündlicher sowie schriftlicher Fachkom-
munikation trainieren sollen, auch landeskundliche Kurse sowie Kurse über die Ge-
schichte der deutschen Wirtschaft. Ab dem 5. Semester wird intensiver mit Fachtexten
gearbeitet. Die Masterstudiengänge bieten meistens eine Spezialisierung in den Bereichen
Außenhandel und Finanzen oder im Fachübersetzen. Anvisiert wird eine spätere Anstel-
lung in Industrie und Handel oder auch in anderen Dienstleistungsbereichen.
Der Studiengang LEA ist im Prinzip für Studierende gedacht, die von Anfang an in
mindestens zwei Sprachen sehr motiviert und sehr gut sind. Dies bedeutet auch, dass
Studierende mit exzellenten Voraussetzungen nach Abschluss eines solchen Studiums ent-
sprechend gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt haben. In Frankreich bleiben heute
noch in Industrie und Handel viele Stellen frei, weil die Bewerber die erwarteten nötigen
Deutschkenntnisse nicht mitbringen.

4.3. Deutsch ür Hörer aller Fakultäten

Der Deutschunterricht für Hörer aller Fakultäten, LANSAD genannt (langue pour spéci-
alistes d’autres disciplines) erfährt seit kurzer Zeit an vielen Universitäten einen Aufwärts-
trend. Dies ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass seit der Neuregelung der
Studiengänge jedes Diplom den Unterricht in mindestens einer Sprache enthalten soll.
Dass viele Studierende Deutsch weiterlernen oder ⫺ sehr oft ⫺ als Anfänger lernen
wollen, hängt damit zusammen, dass sie im Laufe der (Schul)jahre eingesehen haben,
wie wichtig die Kenntnis dieser Sprache für ihre weitere universitäre Ausbildung (etwa
in den Fächern Musikwissenschaft, Geschichte oder Archäologie) bzw. für ihren Ver-
kaufswert auf dem Arbeitsmarkt sein kann. Die germanistischen Institute haben inzwi-
schen begriffen, welch große Chance ihnen durch die neue Nachfrage gegeben wird. Es
werden oft Kurse angeboten, die auf das Herkunftsfach der Teilnehmer zugeschnitten
sind und nach deren Interessen und Bedürfnissen gestaltet werden.
1664 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

An diesem Punkt lässt sich nur eine zwiespältige Bilanz ziehen: In der globalisierten
Welt und in einem Europa, das immer noch nach seiner Identität sucht, werden Spra-
chen ⫺ in erster Linie Englisch ⫺ nach ihrer Nutzbarkeit eingeschätzt und bewertet.
Deshalb bleibt auch die Attraktivität des Deutschen an seiner möglichen Anwendung
haften. Durch die Einrichtung bilingualer Schulklassen, durch den persönlichen Einsatz
vieler Deutschlehrer, die immer wieder vor den Schülern und ihren Familien für die Wahl
des Deutschen als erste oder zweite Fremdsprache plädieren, haben sich die Zahlen in
der Sekundarstufe verbessert. Es muss zweifellos noch an den Inhalten und Unterrichts-
formen in der Oberstufe (lycées) gearbeitet werden, damit die Schüler bessere Fertigkei-
ten erreichen, die ihnen später das Studium (und das Leben) erleichtern. Dass die germa-
nistischen Institute sich auch erneuern müssen, ist eine wichtige Herausforderung und
Chance der kommenden Jahre, die nicht verpasst werden darf. Vor dem Hintergrund der
heutigen Fächerstruktur und -hierarchie an den Schulen muss die Nachfrage nach
Deutsch für Anfänger an den Hochschulen als deutliches Zeichen für das weiter beste-
hende Interesse an dieser Sprache gedeutet werden. Die Hoffnung, dass die deutsche
Einigung ihre Zeichen auch nach zwanzig Jahren noch setzen könnte, ist vielleicht gar
nicht so unrealistisch.

5. Literatur in Auswahl
Association pour le développement de la langue allemande en France (A.D.E.A.F.) (Hg.)
2009 Les classes bilangues. Bulletin n∞ 104/juin 2009.
Ministère de l’Education nationale (MEN) (Hg.)
2009 Repères et références statistiques. Chapitre 4: Les élèves du second degré.

Martine Dalmas, Paris (Frankreich)

193. Deutsch in Georgien


1. Zur Rolle der deutschen Sprache in Georgien
2. Zur Situation des Deutschstudiums und Deutschunterrichts in Georgien
3. Probleme und Perspektiven
4. Literatur in Auswahl

1. Zur Rolle der deutschen Sprache in Georgien


Deutschunterricht und germanistische Studien haben eine lange Tradition in Georgien.
Sie geht im Wesentlichen auf deutsche Auswanderer zurück, die am Anfang des 19. Jahr-
hunderts in vielen georgischen Dörfern und Städten ihr Zuhause gefunden haben. Die
Georgiendeutschen waren bis Anfang des 20. Jahrhunderts die wichtigsten Träger der
193. Deutsch in Georgien 1665

deutschen Sprache und Kultur. Sie trugen entscheidend dazu bei, dass sich die deutsche
Sprache lange Zeit als wichtigste Fremdsprache (nach dem Russischen, aber vor dem
Englischen) und vor allem als Bildungssprache etablieren konnte. Die Nachfrage nach
deutschen Gouvernanten war ziemlich groß, Deutsch spielte eine ähnliche Rolle wie
Französisch in vielen anderen Ländern. Sogar in der sowjetischen Zeit schickten viele
Tbilisser ihre Kinder zur Erziehung in deutschsprachige Kindergärten. Nach 1941 wur-
den viele Erzieherinnen, die man nach der württembergischen Tradition „Tanten“ nannte,
samt anderer Deutschstämmiger ins Wolga-Gebiet und nach Kasachstan deportiert.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts studierten und promovierten viele Jugendliche
aus wohlhabenden Familien in Deutschland, und auch später, in den kurzen Unabhän-
gigkeitsjahren Georgiens (1918⫺1921), hat die damalige georgische Regierung das Stu-
dium von über 100 jüngeren Leuten in Deutschland finanziert. Entsprechend haben viele
Gründer der ersten georgischen Universität 1918 ihre Ausbildung in Deutschland be-
kommen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass die Tbilisser Universität nach dem
Muster deutscher Hochschulen aufgebaut war.
Trotz der Deportation der Georgiendeutschen im Jahre 1941 wurde Deutsch als
zweite Fremdsprache in vielen Schulen weiterunterrichtet. 1947 wurde die erste germanis-
tische Fakultät gegründet, an der bis heute Germanisten im Bereich Germanistische
Sprach- und Literaturwissenschaft ausgebildet werden.

2. Zur Situation des Deutschstudiums und Deutschunterrichts


in Georgien

Momentan wird das Germanistikstudium mit unterschiedlichen Abschlüssen (BA, MA,


PhD) an mehreren Hochschulen angeboten, in denen insgesamt über 500 Germanistik-
studenten und über 50 Magistranten und Doktoranden betreut werden. An diesen Fakul-
täten werden auch künftige Deutschlehrerinnen und -lehrer ausgebildet. Allerdings gab
es bis 2007 keine spezielle Fachrichtung Deutsch als Fremdsprache in Georgien. Die
Einführung eines spezifischen DaF-Studiums wird als eine adäquate Antwort auf die
Verlagerung der primären Unterrichtsziele auf die Vermittlung von kommunikativen Fer-
tigkeiten betrachtet. Im Rahmen der Bildungsreform 2008/2009 wurden neue Anforde-
rungen an Deutschlehrende gestellt, deren Umsetzung entsprechendes methodisches Wis-
sen voraussetzt.
Im Jahr 2009 wird an 1.258 Schulen (51 % der georgischen Schulen) Deutsch unter-
richtet, allerdings muss betont werden, dass Deutsch meist in ländlichen Gebieten unter-
richtet wird, weshalb insgesamt nur knapp 18 % aller Schüler Deutsch lernen. Außerdem
ist zu sehen, dass der Deutschunterricht in vielen Schulen darunter leidet, dass viele
Lehrende selbst mangelnde Sprachkenntnisse haben, was die Qualität des Deutschunter-
richts stark beeinträchtigt.
An 48 Schulen gibt es einen erweiterten Deutschunterricht, der dagegen meist in hoch-
qualifizierter Form angeboten wird. Dank mehrerer Partnerinitiativen haben Schüler
gute Möglichkeiten, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. So haben z. B. viele Schüler
die Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen
ein deutsches Sprachdiplom zu erwerben; seit 2008 sind auf Anregung des deutschen
1666 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Auswärtigen Amtes sogenannte PASCH-Schulen gegründet worden, die gleichzeitig auch


als ein Begegnungsort für die Lehrerfortbildung gesehen werden (vgl. Art. 12).
Neben dem schulischen Deutschunterricht bieten viele nationale und internationale
Organisationen Sprachkurse an, darunter ist das Goethe-Institut Tbilissi ohne Zweifel
die wichtigste Institution, die jährlich fast 2000 Studierende unterrichtet. Das Goethe-
Institut bietet Sprachprüfungen auf unterschiedlichen Niveaus sowie regelmässige Leh-
rerfortbildungskurse an.

3. Probleme und Perspektiven


Ein großes Problem stellt die niedrige Attraktivität des Lehrerberufs dar. Das Durch-
schnittsalter von Lehrern wird immer höher, da die hohe Arbeitsbelastung bei niedrigen
Gehältern nur wenige junge Leute zur Wahl dieses Berufs motiviert. Der Staat hat zwar
zweimal Gehälter der Lehrer erhöht (2009 beträgt das Gehalt des Lehrers durchschnitt-
lich 200 Lari ⫺ ca. USD 130), das reicht aber für die Veränderung der Einstellung zu
diesem Beruf eindeutig nicht aus.
2005 wurden einheitliche Nationale Aufnahmeprüfungen in Georgien eingeführt. Um
einen Studienplatz zu erwerben, müssen alle Abiturienten eine von vier Fremdsprachen
(Englisch, Russisch, Deutsch oder Französisch) ablegen. 2009 haben fast 3.600 Abiturien-
ten Deutsch gewählt, 17.000 Englisch, 8.000 Russisch, 1.000 Französisch. Die Zahl der
Deutschstudierenden geht allerdings langsam zurück, 2005 hatten sich noch fast 5.000
Abiturienten für Deutsch entschieden.
Im georgischen Deutschlehrerverband, der 1993 gegründet wurde und der seit 1994
Mitglied des Internationalen Deutschlehrerverbandes (IDV) ist, sind fast 200 Deutsch-
lehrerinnen und Deutschlehrer vereinigt. Das Hauptziel des Verbandes besteht in der
Förderung des Deutschunterrichts in Georgien. Vielfältige Aktivitäten des Verbandes
zielen auf die regelmässige Lehrerfortbildung im Bereich DaF. In Zusammenarbeit mit
dem Goethe-Institut bringt der Verband eine Fachzeitschrift für Deutschlehrer heraus,
in der aktuelle Aspekte des Fremdsprachenunterrichts behandelt werden.
Der Wunsch, in Deutschland zu studieren, wird meistens als Hauptgrund für das
Erlernen dieser Sprache genannt. Deutsch als eine Bildungssprache steht in harter Kon-
kurrenz mit dem Russischem und dem Englischem. Der Hauptanziehungspunkt für das
Deutschlernen sind, neben dem guten Ruf der deutschen Hochschulen, die relativ niedri-
gen Studien- und Aufenthaltskosten in Deutschland. Viele Jugendliche versuchen daher,
ihr Studium in Deutschland fortzusetzen. Sogar die zahlreichen Au-Pairs fahren nicht
nur nach Deutschland, um neue Kontakte zu knüpfen, ein bisschen Geld zu verdienen
und mehr Selbständigkeit zu genießen, sondern vor allem, um besser Deutsch zu lernen
und später ihre Ausbildung in Deutschland abzuschließen. Dieser Prozess bildet eine
feste Basis für die weitere Entfaltung der traditionellen Bindung Georgiens an die deut-
sche Sprache und Kultur.

4. Literatur in Auswahl
Glück, Helmut, Fried H. Nielsen und Manana Paischadse (Hg.)
1995 Deutsch in Georgien. Bamberg: Collibri-Verlag.
194. Deutsch in Ghana 1667

Ministerium für Erziehung und Wissenschaft in Georgien (in englischer Sprache):


http://www.mes.gov.ge/?lang⫽eng (Zugriff am 10. 12. 2009)
National Examinations Center (in englischer Sprache):
http://www.naec.ge/index.php?lang⫽eng (Zugriff am 10. 12. 2009)
Teacher Professional Development Center (in englischer Sprache):
http://www.tpdc.ge/index.php?&hl⫽en (Zugriff am 10. 12. 2009)

Iwa Mindadse, Anna Bakuradze, Tbilissi (Georgien)

194. Deutsch in Ghana


1. Geschichtlicher Hintergrund und sprachliche Situation
2. Sprachenpolitik in der Gegenwart
3. Entwicklungstendenzen
4. Literatur in Auswahl

1. Geschichtlicher Hintergrund und sprachliche Situation


Die jetzigen geographischen Grenzen Ghanas wurden zum größten Teil während der
„Berliner Konferenz“ von 1884⫺1885 endgültig festgelegt, von den Briten kolonisiert
und als „Goldküste“ bezeichnet. Kurz vor ihrer Unabhängigkeit annektierte die Gold-
küste den britischen Teil der früheren deutschen Kolonie Togo. Mit der Unabhängigkeit
1957 erfolgte die Umbenennung in Ghana. In Ghana sind zahlreiche ethnische Gruppen
zu Hause, weshalb es bei einer Bevölkerung von ca. 22 Millionen Menschen mehr als 60
einheimische Sprachen gibt (vgl. Bemile 1994: 42; Bemile 2001: 1631). Elf dieser Sprachen
(einschließlich Dialekte), Akuapem, Dagaare (Dagara), Dagbani, Dangme, Ewe, Fante,
Ga, Gonja, Kasem, Nzima und Twi, werden seit 1989 vom Staat als die wichtigsten
Sprachen Ghanas betrachtet und gefördert. Diese Sprachen werden in den Schulen ge-
lehrt; Schulbücher werden in diesen Sprachen verfasst und verbreitet. Diese Sprachen
werden auch in einigen Lehrerausbildungsstätten gelehrt und gelernt. Außer den einhei-
mischen Sprachen gibt es viele nichtghanaische afrikanische Fremdsprachen, z. B. Hausa,
Fulfulde und Moore, europäische (u. a. Deutsch) und asiatische Sprachen. Ghana ist
dementsprechend ein multikulturelles und mehrsprachiges Land.
Während der Kolonialzeit wurde das britische Schulsystem in Ghana eingeführt, Eng-
lisch wurde und wird immer noch als Amts- und Unterrichtssprache gebraucht. Ghana
ist umgeben von ehemaligen französischen Kolonien, Togo, Burkina Faso und Côte
d’Ivoire, die Französisch als Amts- und Unterrichtssprache haben. Zwar betraten bereits
1882 deutschsprachige Händler, nämlich die Brandenburger, den Boden des heutigen
Ghana, doch konnte die deutsche Sprache in der britischen Kolonie nicht Fuß fassen.
Erst im 19. Jahrhundert wurden Elemente der deutschsprachigen Kultur und der deut-
schen Sprache durch deutschsprachige Missionare nach Ghana gebracht ⫺ doch erst
1961 wurde Deutschunterricht an einigen Schulen versuchsweise offiziell eingeführt.
1668 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

2. Sprachenpolitik in der Gegenwart


Die Militärregierung des Provisional National Defence Council führte 1987 eine Schulre-
form durch, die nicht nur das Schulsystem änderte, sondern auch Französisch als zweite
Fremdsprache im Schulunterricht festlegte, weil Ghana von französischsprachigen Län-
dern umgeben ist. Deutsch verschwand zu Gunsten der stärkeren Förderung der einhei-
mischen Sprachen aus dem Schulsystem. Dennoch besteht ein reges Interesse an der
deutschen Sprache und viele Institutionen haben aus den verschiedensten Gründen den
Fortbestand des Deutschunterrichts gewährleistet. Viele Privatschulen und staatliche
Institutionen lehren weiterhin Deutsch. Auf Grund des Einsatzes des Ghanaischen
Deutschlehrerverbandes und des Goethe-Instituts Accra teilte 1996 das Erziehungsminis-
terium mit, dass der Deutschunterricht als Pilotprojekt an den Schulen wieder eingeführt
werden könne, die über Deutschlehrer und Lehrmaterialien verfügten. Staatliche Schu-
len, die z. Z. Deutsch unterrichten, wenn auch teilweise nur in Form von Deutschclubs,
sind das St. Augustine’s College in Cape Coast, die Accra Academy in Accra, die Mawuli
Senior High School in Ho und die Opoku Ware Senior High School in Kumasi. Hinzu
kommen private Schulen.
Im Hochschulbereich wurde Deutsch zusammen mit anderen Fremdsprachen wie
Arabisch, Englisch, Französisch und Russisch durch die erste nachkoloniale Regierung
in dem im Jahre 1961 Jahr gegründeten Ghana Institute of Languages (z. Z. mit drei
Zweigstellen in Accra, Kumasi und Tamale) eingeführt. Seit den 1990er Jahren wird
Deutsch auch als Wahlfach der University of Ghana und der University of Cape Coast
angeboten. Während die übrigen staatlichen Hochschulen Deutsch nicht fördern, haben
private Hochschulen wie z. B. das Methodist University College und die Regent Univer-
sity Deutsch offiziell eingeführt.

3. Entwicklungstendenzen
Das Goethe-Institut in Accra, die Ghanaian-German Economic Association, der Ghana-
ische Deutschlehrerverband u. a. Einrichtungen versuchen, durch kulturelle Angebote die
Beziehungen zwischen Ghanaern und Deutschen aufrechtzuerhalten, was allerdings nicht
immer gelingt. Nach einer aktuellen Untersuchung des Verfassers haben Ghanaer und
Deutschsprachige, die insbesondere in deutschsprachigen Firmen zusammenarbeiten,
kaum die Gelegenheit, sich auf Deutsch zu unterhalten. Ghanaer haben auch wenig
Chancen, ein deutschsprachiges Land zu besuchen, wo sie sich Deutschkenntnisse aneig-
nen oder schon vorhandene Kenntnisse auffrischen könnten. Für manche Firmen sind
die Deutschkenntnisse von Ghanaern und Aufenthalte in einem deutschsprachigen Land
unwichtig, da alle oder die meisten geschäftlichen Verhandlungen auf Englisch abgewi-
ckelt werden.
Es ergibt sich ein zwiespältiges Bild: Der Mangel an Praxis bzw. Konversation mit
Muttersprachlern, der Mangel an Lern- und Lehrmitteln und der Mangel an Lesemate-
rialien zur weiteren Förderung der erworbenen Sprachkenntnisse führen dazu, dass die
Nachfrage nach Deutsch aktuell stagniert bzw. sinkt. Die deutsche Sprache gilt als sehr
oder zu schwer und nicht erlernbar. Auch das Bild der Deutschen ist vielfach negativ (zu
kriegerisch, kalt und unfreundlich).
194. Deutsch in Ghana 1669

Gleichzeitig kann der bestehende Bedarf an Deutschlehrern und Germanisten in den


Schulen und Hochschulen nicht gedeckt werden. Zwar bemüht sich das Goethe-Institut,
Deutschlehrer auszubilden, aber das reicht nicht aus. Das Ghana Institute of Languages
bildet Übersetzer für die deutsche Sprache, aber keine Deutschlehrer aus. Gleichwohl
unterrichten seine Absolventen eventuell Deutsch an demselben Institut oder in anderen
Institutionen. Das österreichische Bildungsministerium hat gelegentlich Deutschlehrer
aus Ghana für kurze Sprach- und Landeskundekurse nach Österreich eingeladen. Diese
Möglichkeit scheint derzeit nicht mehr zu existieren.
Besonders groß ist der Mangel an Germanisten, die an den Universitäten Deutsch als
Fremdsprachenphilologie oder Germanistik lehren könnten. Dadurch, dass Deutsch und
Germanistik offiziell nicht an den staatlichen Hochschulen angeboten werden, finden
viele junge Leute, die sonst an Deutsch interessiert sind, keine Möglichkeit, Deutsch zu
studieren. Ausländische Lehrkräfte, die in Ghana Deutsch unterrichten, kommen entwe-
der als Lektoren durch den DAAD oder als Praktikanten von Universitäten in Deutsch-
land und Österreich. Das reicht nicht aus, so dass auch auf Nichtmuttersprachler und
auf nicht entsprechend Ausgebildete zurückgegriffen werden muss. Die Einführung eines
germanistischen Studiengangs an den Universitäten bleibt daher auch aus diesem
Grunde Zukunftsmusik.
Trotz dieser eher trüben Lage gibt es viele Perspektiven zur Förderung der deutschen
Sprache in Ghana. Zum einen gibt es in Ghana auf Grund seiner Vielsprachigkeit eine
große Offenheit gegenüber dem Sprachenlernen (vgl. Bemile 2004). Zum andern ist auf-
grund der vielen engen wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Beziehun-
gen zwischen Ghana und Deutschland der Erwerb der deutschen Sprache wichtig, um
solche Beziehungen aufrechtzuerhalten. Mangels geeigneter Ausbildungsmöglichkeiten
für Lehrer in Ghana werden Möglichkeiten geprüft, ghanaische Deutschlernende in
Nachbarländer wie Togo, Burkina Faso, Nigeria und vor allem Kamerun zu schicken,
wo Germanistik und Deutsch als Fremdsprache studiert werden könnten. So bemüht
sich das Goethe-Institut Accra, um eine engere Beziehungen zwischen ghanaischen
Deutschlehrenden und Deutschlehrenden aus diesen Ländern zum Zwecke der Ausbil-
dung von Deutschlehrern herzustellen. Auch ist zu hoffen, dass kürzere Kurse, eventuell
auch komplette Studiengänge in deutschsprachigen Ländern (wieder) genutzt werden
können. Auch die Zusammenarbeit zwischen ghanaischen und deutschen bzw. österrei-
chischen Universitäten muss fortgesetzt werden. Solch eine Zusammenarbeit würde na-
turgemäß nicht nur der Förderung der deutschen Sprache in Ghana dienlich sein, son-
dern auch die Beziehungen zwischen Ghana und den betroffenen deutschsprachigen Län-
dern fördern. Als einen weiteren Ansporn für Deutschlehrer, Deutschlernende und die
Förderung der deutschen Sprache in Ghana ließen sich noch weitere Ansätze ins Spiel
bringen: Viele deutschsprachige Institutionen, Firmen, Organisationen, Verbände und
Stiftungen in Ghana bleiben für die meisten Deutschlernenden unbekannt. Mit Hilfe der
Ghanaian-German Economic Association könnten viele von ihnen erreicht werden. Der
Ghanaische Deutschlehrerverband hat in den vergangenen Jahren Exkursionen zu Stät-
ten der deutschen Vergangenheit durchgeführt. Es ist vonnöten, solche Exkursionen wie-
der aufzunehmen. Seit einiger Zeit veranstalten das Goethe-Institut, der Ghanaische
Deutschlehrerverband und der DAAD jedes Jahr Wettbewerbe für Lernende und Studie-
rende der deutschen Sprache in Ghana. Die regelmäßige Teilnahme der Deutschlehrer
an nationalen, regionalen und internationalen Deutschlehrerkonferenzen sowie mehr
1670 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Kontakte zu deutschsprachigen Muttersprachlern in Ghana wären wünschenswert und


würden auch dazu dienen, die ghanaischen und deutschen Gemeinschaften zusammenzu-
fügen, um ein besseres Verständnis untereinander herzustellen und zu pflegen.

4. Literatur in Auswahl
Bemile, Sebastian K.
1994 Multilingualism in Ghana. In: Thomas Bearth, Wilhelm J. G. Möhlig, Beat Sottas und
Edgar Suter (Hg.), Perspektiven afrikanistischer Forschung, 39⫺55. Köln: Köppe.
Bemile, Sebastian K.
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Ghana. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache, ein internationa-
les Handbuch, Bd. 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺
2). 1631⫺1634.
Bemile, Sebastian K.
2004 Sprachenvielfalt in Ghana ⫺ auch im Deutschunterricht. Fremdsprache Deutsch 31:
52⫺55.

Sebastian K. Bemile, Accra (Ghana)

195. Deutsch in Griechenland


1. Rahmenbedingungen
2. Gegenwärtiges Profil
3. Perspektiven
4. Literatur in Auswahl

1. Rahmenbedingungen
Fremdsprachen haben traditionell eine feste Position im griechischen Bildungswesen,
denn fremdsprachliche Kompetenzen stellen in Griechenland nach wie vor einen zusätzli-
chen Wert der beruflichen Qualifikation dar. Die griechische Politik zum Fremdspra-
chenlernen wird heutzutage durch die europäische Politik zur Mehrsprachigkeit bedingt;
daher werden innovative curriculare Maßnahmen getroffen, neue Lehrmaterialien entwi-
ckelt und weitere Sprachen in die Schule eingeführt.
Die deutsche Sprache wird zwar traditionell sehr hoch in der griechischen Gesellschaft
angesehen, steht aber nicht auf dem ersten Platz auf der Liste der gefragten Fremdspra-
chen. Deutsch wird als Verkehrs- und Wissenschaftssprache durch Englisch verdrängt
und weitere Sprachen, wie Italienisch, Spanisch u. a., beteiligen sich aktiv am Spiel (Ki-
liari 2004); demzufolge schwächt sich allmählich die ehemals starke Nachfrage nach
Deutschunterricht ab (StADaF 2006: 25).
195. Deutsch in Griechenland 1671

Das griechische Schulwesen unterscheidet 3 Stufen: a) Primarbereich: Grundschule


(Dimotiko), sechs Jahre; b) Sekundarstufe I: Gymnasium (Gymnasio), drei Jahre; c) Se-
kundarstufe II: Lyzeum (Lykion: Geniko oder Techniko), drei Jahre. Grundschule und
Sekundarstufe I ergeben insgesamt neun Jahre Schulpflicht. Der von der Europäischen
Kommission weit geförderten plurilingualen Kompetenz (Muttersprache plus zwei Fremd-
sprachen; vgl. Europäische Kommission 2004: 16 ff.) entgegenkommend erfolgt im staat-
lichen Bildungswesen ab der dritten Schulklasse das Erlernen des Englischen als erste
Fremdsprache, ab der fünften das Erlernen der zweiten obligatorischen Fremdsprache,
je nach Nachfrage seitens der Schüler alternativ des Deutschen oder des Französischen.
Vor kurzem (Schuljahr 2008/09) wurden in einigen Schulen der Sekundarstufe I in einer
Probephase Italienisch, Spanisch, Russisch und Türkisch als weitere Wahlpflichtfremd-
sprachen eingeführt. Im schulischen Bereich wird das obligatorische Fremdsprachenler-
nen Ende der Sekundarstufe I abgeschlossen, in der Sekundarstufe II wird Fremdspra-
chenunterricht in allen o. g. Fremdsprachen als Haupt- oder Wahlfach angeboten. Die
Teilnehmerzahl nimmt aber sehr stark ab (vgl. www.deutsch.gr). Im privaten Bildungswe-
sen sieht die Situation ähnlich aus. In der Erwachsenenbildung wird im privaten wie im
staatlichen Sektor eine breitere Palette von Sprachen angeboten.
Deutschlehrende für alle Stufen verfügen über ein Germanistik-/DaF-Diplom einer
griechischen oder ausländischen Universität. Weiterhin darf man im privaten Sektor als
Deutschlehrende tätig sein, wenn man über die Lehrgenehmigung (eparkia) verfügt, die
Zeugnisse für Sprachkenntnisse höheren Grades voraussetzt und nach Interessentenan-
trag vom Erziehungsministerium vergeben wird.

2. Gegenwärtiges Proil
2.1. Deutschunterricht

Deutsch wird im staatlichen wie im privaten Sektor landesweit unterrichtet. Im schuli-


schen Bereich wird nach den für diese Zwecke entwickelten Nationalcurricula vorgegan-
gen (vgl. www.pi-schools.gr). Die in den letzten Jahren revidierten Curricula gehen von
dem kommunikativen Ansatz unter Berücksichtigung der interkulturellen Dimension
aus, formulieren konkrete Lerninhalte und -ziele und bauen auf die regionalen Lehr-
und Lerntraditionen auf. Es wird großer Wert darauf gelegt, dass der Deutschunterricht
den Schülern tatsächlich Spaß bereitet und, wenn erwünscht, sie zum Erwerb eines stan-
dardisierten Sprachzeugnisses führt. Im Schuljahr 2006/07 wurde in allen öffentlichen
Schulen ein in Griechenland entwickeltes Lehrwerk eingeführt. Es wird dabei versucht,
durch Binnendifferenzierung, Projektarbeit und Berücksichtigung von Lernstrategien die
Lernenden zu motivieren und die vier Fertigkeiten einzuüben. Allerdings wird Hörverste-
hen nicht ausreichend trainiert, da keine CD bzw. kein Hörmaterial das Lehrbuch beglei-
tet.
Der zweistündige Fremdsprachenunterricht in den staatlichen Schulen wird mehr
oder weniger als ineffizient empfunden; deshalb streben die meisten Schüler an, an priva-
ten Sprachschulen die schulischen Fremdsprachen oder eine weitere Fremdsprache inten-
siver zu lernen, obwohl auch dort der Unterricht nicht immer hohen Qualitätsstandards
entspricht. Institutionelle und/oder individuelle Voraussetzungen der Lehrenden spielen
dabei eine wichtige Rolle.
1672 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

In der Erwachsenenbildung wird Deutschunterricht zunächst an allen staatlichen Uni-


versitäten und Fachhochschulen für die Studierenden aller Fakultäten als ein Wahlfach
angeboten, das den Erwerb weit führender Sprachkompetenzen und der jeweiligen Fach-
terminologie ermöglichen soll.
Im außerschulischen Bereich im privaten Sektor wird Deutsch auf allen Stufen ange-
boten. Die Inhalte und die didaktisch-methodische Konzeption stimmen sich auf das
jeweilige Lehrwerk ab; Lernziele richten sich meistens nach den jeweiligen Prüfungsan-
forderungen (ZD, ZMP, KDS und/oder GDS, GSZFS (⫽ Griechisches Staatszertifikat
für Fremdsprachen; vgl. http://www.kpg.ypepth.gr), welche auf verschiedenen Sprachbe-
herrschungsniveaus nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Spra-
chen verlaufen und zum Erwerb eines entsprechenden Zertifikats führen.
Weiterhin gibt es ein steigendes Interesse an Übersetzungskursen. Öfters werden aus
privaten oder öffentlichen Initiativen zeitbegrenzte Deutschkurse mit konkreten Lernzie-
len organisiert, um aktuellen Marktbedürfnissen nachzukommen. Es versteht sich, dass
solche Kurse sich an ausgewählte Zielgruppen wenden, von denen jedoch keine konkrete
Bestandsaufnahme gemacht werden kann.

2.2. Lehreraus- und -ortbildung

Deutschlehrende für alle Stufen werden an den Philosophischen Fakultäten der Universi-
tät Athen und Universität Thessaloniki in den Abteilungen für deutsche Sprache und
Literatur (vgl. http://www.gs.uoa.gr und http://web.auth.gr/del) ausgebildet. In beiden
Fällen handelt es sich um einen Diplomstudiengang, der acht Studiensemester umfasst
und sich in ein Grund- und ein Hauptstudium gliedert. In beiden Abteilungen werden
nach erfolgreichem Ablegen der Panhellenischen Hochschul-Aufnahmeprüfung, bei der
außer fachlichen Kenntnissen auch Deutsch-Kenntnisse auf dem B1-Niveau nachgewie-
sen werden müssen, jährlich je etwa 150 Studierende neu immatrikuliert. Studierende
weisen wegen des unterschiedlichen Erwerbs deutscher Sprachkenntnisse auch sehr un-
terschiedliche sprachliche Voraussetzungen auf. Da die meisten Lehrveranstaltungen in
der Sprach- und Literaturwissenschaft bereits ab dem ersten Semester in deutscher Spra-
che abgehalten werden, ist Sprachpraxis in den ersten vier Semestern von großer Wichtig-
keit und deren erfolgreicher Abschluss ist sowohl in Thessaloniki als auch in Athen
Voraussetzung für den Übergang zum Hauptstudium. Darüber hinaus bilden eine inter-
kulturelle Ausrichtung für die Kultur- und Literaturwissenschaft sowie ein komparativer
Ansatz zur Sprachwissenschaft wichtige Orientierungen für das Gesamtstudium.
Angesichts der Perspektive, dass die überwiegende Mehrheit der Absolventen DaF
unterrichtet, besitzt auch das Kursangebot zur Fremdsprachendidaktik einen besonderen
Stellenwert. Sowohl in Thessaloniki als auch in Athen wird der Bezug zur DaF-Lehrpra-
xis auch durch ein Hospitationspraktikum während des Hauptstudiums hergestellt.
Mittlerweile gibt es im Bereich des Postgraduierten-Aufbaustudiums mehrere zweijäh-
rige Studiengänge mit Schwerpunktsetzungen vor allem in der Sprach- und Literaturwis-
senschaft, die von beiden Abteilungen selbstständig oder in Zusammenarbeit mit anderen
Abteilungen der Philosophischen Fakultät durchgeführt werden. Außerdem wird an der
Griechischen Fernuniversität Patras ein ebenfalls zweijähriges Postgraduiertenstudium
angeboten, das speziell die „Didaktik des Deutschen als Fremdsprache“ betrifft (vgl.
http://www.eap.gr). Der erfolgreiche Abschluss eines Aufbaustudienganges ist Vorausset-
195. Deutsch in Griechenland 1673

zung für die Aufnahme eines Promotionsstudiums, mit einer Mindestdauer von drei Jah-
ren. Die Thematik der Dissertationen bewegt sich zumeist im literatur- oder sprachwis-
senschaftlichen Bereich.
Fortbildungsseminare vor allem mit methodisch-didaktischen Schwerpunkten werden
vom Goethe-Institut, von den Griechischen Deutschlehrerverbänden und zusätzlich für
die Lehrkräfte im staatlichen Bildungswesen von den staatlichen Fortbildungsinstitutio-
nen unter Mitwirkung zahlreicher Mitglieder des Lehrkörpers beider Germanistik-Abtei-
lungen und von den Schulräten für Deutsch angeboten.
Lehre und Forschung werden vorwiegend in Linguistik, Methodik und Didaktik des
Deutschen als Fremdsprache und Literaturwissenschaft verbunden, wenngleich auch die
Fachrichtungen Übersetzungswissenschaft sowie Kultur- und Geistesgeschichte und
Sprachpraxis vertreten sind.

3. Perspektiven
Die Zahl der Deutschlernenden und entsprechend die der Deutschstudierenden nimmt
weltweit ab (vgl. StADaF 2006: 25; Frankfurter Allgemeine, 20. 03. 2008: 8). Das betrifft
auch die Nachfrage nach dem Erlernen der deutschen Sprache in Griechenland. Immer-
hin könnte Deutsch als Sprache mit ökonomischer Stärke und kulturellem Prestige über
die Konkurrenz anderer Sprachen hinweg als zusätzliche Berufsqualifikation anerkannt
werden, wenn auch die deutsche Sprachpolitik viel konsequenter Maßnahmen und dyna-
mische Aktionen zur Förderung der deutschen Sprache im Ausland ergreifen würde, um
ihre Stellung als Amts-, Arbeits- und Verkehrssprache in Europa zu stärken. In einem
solchen Zusammenhang könnte das Deutsche in einem Land wie Griechenland, welches
aus langer Tradition wirtschaftliche, kulturelle und vor allem durch die griechischen Ar-
beitnehmer menschliche Kontakte zu Deutschland hat, eine zweite unentbehrliche Wahl
von vielen Lernern sowohl im schulischen wie im außerschulischen Bildungsbereich sein,
wenn motivierende Voraussetzungen für zukünftige praxisbezogene berufliche Perspekti-
ven hergestellt werden.
Im Hinblick darauf wäre m. E. eine Akzentuierung der Ausbildung in Athen und
Thessaloniki vor allem im Bereich DaF, und zwar Deutsch als Zweit- oder Tertiärspra-
che, oder vor allem als Sprache für den Beruf sinnvoll, um durch ein erweitertes, vielfälti-
ges Profil der Deutschlehrenden den zunehmenden Marktbedarf effizient zu decken. Wei-
terhin sollte man die Lehrenden auf die Anforderungen des Deutschunterrichts in grie-
chischen multikulturellen und multilingualen Klassen hinsichtlich einer plurikulturellen
Kompetenz sensibilisieren.
In Richtung Forschung sollte man den interkulturellen Blick auf beide Sprachen und
die deutschsprachigen Kulturen interdisziplinär intensivieren und berufsbezogene Kennt-
nisse in europäische Kontexte integrieren, um diesbezüglich eine vertiefte Kooperation
im europäischen Hochschulraum anzuregen.

4. Literatur in Auswahl
Europäische Kommission
2004 Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt: Aktionsplan 2004⫺2006. Brüssel.
1674 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Kiliari, Angeliki
2004 Die deutsche Sprache in Griechenland. In: Hans-Gert Roloff (Hg.), Jahrbuch für Interna-
tionale Germanistik. Jahrgang XXXVI, Heft 1: 13⫺22, Bern: Lang.
StADaF (Koord.)
2006 Deutsch als Fremdsprache. Datenerhebung 2005. Auswärtiges Amt, DAAD, Goethe-Insti-
tut, Zentralstelle für das Auslandwesen.

Angeliki Kiliari, Thessaloniki (Griechenland)

196. Deutsch in Großbritannien


1. Deutsch als Fremdsprache im Schulunterricht
2. Die Entwicklung an den Universitäten
3. Zusammenfassung und Ausblick
4. Literatur in Auswahl

1. Deutsch als Fremdsprache im Schulunterricht


Das Fach Deutsch kann im britischen Schulsystem nicht isoliert betrachtet werden, da
es im Rahmen von schulpolitischen Entscheidungen, Trends und Entwicklungen immer
in die Kategorie Modern Languages fällt. Die erste und zahlenmäßig stärkste moderne
Fremdsprache ist Französisch. Deutsch rangierte lange Zeit an Platz zwei, wird aber
gegenwärtig von Spanisch überholt. Mit der Einführung eines allgemein verbindlichen
Lehrplans (National Curriculum) wurde seit 1988 der Unterricht in wenigstens einer mo-
dernen Fremdsprache Pflicht für Schüler an staatlichen Sekundarschulen. Eine Studie
der Nuffield Foundation, die von der Frage ausging, ob die Ausbildung in modernen
Fremdsprachen den Bedürfnissen der britischen Wirtschaft und Gesellschaft der Gegen-
wart entspreche, kam 2002 zu dem Schluss, dass es Großbritannien auf allen Ebenen an
qualifizierten Sprechern moderner Fremdsprachen mangele, dass die Wirtschaft des Lan-
des deswegen schwere Einbußen erleide und dass es zu wenig qualifizierte Fremdspra-
chenlehrer gebe. Man plädierte für eine Erweiterung des Spektrums moderner Fremd-
sprachen, die gelehrt und gelernt würden („French is not enough“) und für eine Einbezie-
hung des schulischen Primarbereichs in den Fremdsprachenunterricht.
Kurz darauf wurde die National Language Strategy ,Languages for All: Languages for
Life‘ der Regierung vorgestellt. Zu den wichtigsten Punkten dieser Initiative gehören der
Ausbau des Fremdsprachenunterrichts im Primarbereich und die Etablierung von Schu-
len mit speziellen Ausrichtungen, darunter auch solche mit einem Schwerpunkt auf Spra-
chen. Vor allem aber wurde der Unterricht in modernen Fremdsprachen ab September
2004 an staatlichen Gesamtschulen zur Option. Für viele Schulen war dies eine willkom-
mene Möglichkeit zu sparen, und tatsächlich haben die staatlichen Gesamtschulen ihr
Lehrangebot in den Modernen Fremdsprachen drastisch reduziert, während es für die
Privatschulen und Grammar Schools des Landes nach wie vor zum obligatorischen Bil-
196. Deutsch in Großbritannien 1675

dungskanon gehört. Deutsch gilt mehr als andere Fremdsprachen als anspruchsvolles
Fach, für das man nur mit besonderem Arbeitseinsatz gute Ergebnisse erzielen kann.
Viele Schulen, die für die jährlichen League Tables und die regelmäßigen Schulinspektio-
nen gute Prüfungsergebnisse vorweisen müssen, ermutigen daher nur besonders leis-
tungsstarke Schüler dazu Deutsch zu wählen. Aus Kostengründen und weil qualifizierte
Fremdsprachenlehrer rar sind, bieten viele Gesamtschulen das Fach Deutsch erst gar
nicht an. Französisch ist traditionsgemäß die erste Fremdsprache und Spanisch erfreut
sich immer größerer Beliebtheit als Sprache, die man mit Urlaubserlebnissen oder dem
als exotisch empfundenen Lateinamerika verbindet. Deutsch dagegen wird in Großbri-
tannien schlimmstenfalls mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht, meistens
aber mit dem Bild von Deutschen als humorlosen, wenn auch effektiven Zeitgenossen,
die sich über die EU in die Belange Großbritanniens einmischen wollen. Derartige Stere-
otype und Vorurteile werden immer dann ausgeräumt, wenn es zu tatsächlichen Begeg-
nungen kommt, etwa durch Schulaustauschprogramme (Elspaß 1999).

1.1. Entwicklungen im Primarbereich

Im Primarbereich hat sich durch die Einführung der National Language Strategy am
meisten getan: 2009 boten 92 Prozent aller Grundschulen des Landes Unterricht in einer
oder in mehreren modernen Fremdsprachen an, 22 Prozent mehr als 2006. Dieser Unter-
richt konzentriert sich allerdings in überwältigendem Ausmaß auf Französisch; Spanisch
folgt mit 25, Deutsch mit lediglich zehn Prozent (Wade, Marshall und O’Donnell 2009).
Es ist aus den Statistiken nicht zu ersehen, wie viele qualifizierte Fremdsprachenlehrer
es für Grundschulen gibt. Zur Zeit wird ein Lehrplan für den Fremdsprachenunterricht
in der Grundschule entwickelt und in Pilotprojekten getestet. Die Evaluierung eines sol-
chen Projektes kam zu dem Ergebnis, dass der Fremdsprachenunterricht an Grundschu-
len in den meisten Fällen nicht von qualifizierten Lehrern erteilt wird, sondern von
Grundschullehrern, die gewisse Kenntnisse in einer Fremdsprache haben, von ausländi-
schen Sprachassistenten oder von Fachlehrern, die stundenweise von benachbarten Se-
kundarschulen ausgeliehen werden. Der Bericht bemängelt das Fehlen eines Konzeptes
von Progression und dass man sich bisher kaum Gedanken über den Übergang zum
Sekundarbereich gemacht habe (Wade, Marshall und O’Donnell 2009).

1.2. Entwicklungen im Sekundarbereich I

Im Sekundarbereich I hat das Fach Deutsch seit dem Ende der 1990er Jahre einen dra-
matischen Einbruch erlitten. Nach Statistiken, die vom britischen Department for Chil-
dren, Schools and Families (DCSF) erhoben und vom National Centre for Languages
(CILT) ausgewertet wurden, ergibt sich, dass der Anteil von englischen Schülern eines
Jahrgangs, der eine GCSE-Prüfung (den Sekundarstufe-I-Abschluss) in Fremdsprachen
ablegt, seit 2001 von 78 Prozent auf 44 Prozent gefallen ist. Ein deutlicher Einschnitt ist
zwischen 2004 und 2006 zu erkennen, also nach dem Inkrafttreten der National Lan-
guage Strategy (CILT secondary stats 1). Für das Fach Deutsch zeigt sich zwischen 1999
und 2007 ein Rückgang von 40 Prozent im gesamten Großbritannien (CILT secondary
stats 1).
1676 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Die Trends für die Fächer Französisch, Deutsch und Spanisch an staatlichen Schulen
in England zeigen, dass 1994 21 Prozent eines Schülerjahrgangs Deutsch lernten. Dieser
Anteil fiel bis 2009 auf 11 Prozent. Die Entwicklungen in Schottland entsprechen diesem
Trend (CILT secondary stats 1).

1.3. Entwicklungen im Sekundarbereich II

Für den Sekundarbereich II gelten ähnlich beunruhigende Tendenzen. Spanisch hat


Deutsch im Sekundarbereich II inzwischen als zweitstärkste Sprache abgelöst. 1992
wurde Deutsch als Abiturfach (A-Level) in England und Wales von 4,3 Prozent eines
Schülerjahrgangs gewählt, 2007 waren es noch 2,2 Prozent (British Academy 2008). Die
Zahlen für Schottland zeigen dieselben Trends (Canning 2008: 8).
Die Bildungspolitik scheint sich der Probleme allmählich bewusst zu werden und ver-
sucht vorsichtig, zu Gunsten des Fremdsprachenunterrichts auf Schulen einzuwirken
(Smith 2006). Es ist jedoch für die Schulen schwer, qualifizierte Sprachlehrer zu finden.
In den vergangenen Jahren konnten nie so viele Sprachlehrer ausgebildet werden, wie als
Bedarf zentral festgelegt worden war (CILT trainee teachers). Um Lehrer für moderne
Fremdsprachen zu werden, muss man nach dem Hochschulstudium einer Sprache einen
einjährigen Zusatzkurs an einer Universität belegen, der mindestens zur Hälfte aus Un-
terrichtspraktika besteht. Fachdidaktik für Deutsch als Fremdsprache existiert nur in
Ausnahmefällen und in sehr eingeschränkter Form. Es gibt gegenwärtig 6.600 Deutsch-
lehrer an Sekundarschulen in Großbritannien, etwa 300 weniger als vor fünf Jahren. Für
die berufliche Weiterbildung von Sprachlehrern gibt es die Angebote des National Centre
for Languages (CILT) und der Goethe-Institute in London und Glasgow sowie die vor
einigen Jahren ins Leben gerufene Netzwerkinitiative Links into Languages (Links).

2. Die Entwicklung an den Universitäten


Das Fach Germanistik erhielt an britischen Universitäten erst zu Beginn des 20. Jahrhun-
derts den Status einer autonomen wissenschaftlichen Disziplin (zur Geschichte der briti-
schen Germanistik im 20. Jahrhundert vgl. Ortmanns 1993 und Rösler 2001). Nach Ko-
linsky (1994) machte das Fach in den frühen 1980er Jahren eine Krise durch. Seit Mitte
der 1980er Jahre jedoch nahm die Anzahl der Studierenden stetig zu und in der daran
anschließenden Phase erfand sich die Germanistik vielerorts im Lande neu. Entspre-
chend wird das Fach Deutsch heutzutage an den Universitäten Großbritanniens in sehr
verschiedenen Formen verstanden und gelehrt. An den ältesten und traditionsreichsten
Instituten des Landes wird eine dem deutschen Vorbild nachempfundene Germanistik
betrieben, mit einem Schwerpunkt auf dem Studium der deutschen Literatur sowie Medi-
ävistik und in eingeschränktem Maße Sprachwissenschaften. In den letzten Jahren haben
auch an diesen Instituten Filmstudien an Bedeutung gewonnen. Unterrichtssprache ist
normalerweise Englisch, und auch die Prüfungen werden, von spezifischen Sprachprü-
fungen abgesehen, in englischer Sprache durchgeführt. Am anderen Ende der Skala steht
das Konzept der German Studies, vor allem von den moderneren Universitäten und den
seit 1992 in den Universitätsstand erhobenen Fachhochschulen (Polytechnics) ange-
wandt. Mit diesem Ansatz bemüht man sich, das Deutschstudium den Gegebenheiten
196. Deutsch in Großbritannien 1677

der modernen Gesellschaft anzupassen und legt großen Wert auf aktive Sprachkompe-
tenz, ein Auslandsjahr, in dem praktische Berufserfahrung gesammelt werden kann, und
Inhalte, die auf die Vermittlung von kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwick-
lungen in den deutschsprachigen Ländern zielen. Hier ist die Unterrichtssprache weitge-
hend Deutsch, und alle Prüfungen werden in deutscher Sprache abgehalten. Die 65 Uni-
versitäten, die Deutsch als vollwertiges Studienfach anbieten, gestalten ihre Lehrpläne
entweder nach einem dieser beiden Muster oder finden eine eigene Lösung dazwischen
(Jaworska 2009).
Wie in der Schule hat das Fach Germanistik / German Studies auch an den Universitä-
ten gegenwärtig einen schweren Stand: Im Jahre 2000 boten in Großbritannien 126 Uni-
versitäten Studiengänge in Germanistik / German Studies an, 2006 waren es noch 65,
was einen Rückgang von 48 % bedeutet (AHRC Review of Research in Modern Languages
2006). Tendenziell sind es eher die jüngeren Universitäten und vor allem die früheren
Fachhochschulen, die sich ihrer Studiengänge in modernen Fremdsprachen aus Kosten-
gründen entledigen. Für Universitäten am anderen Ende der Skala gehören diese Studi-
engänge dagegen zu einem akademischen Profil in den Geisteswissenschaften, das man
nicht verlieren will. Dies bewirkt, dass die Studiengänge, in denen traditionellere Germa-
nistik gelehrt wird, wieder an Dominanz gewinnen. Auch die Studentenbewegungen ge-
hen deutlich in diese Richtung. Nur noch wenige germanistische Institute im Land wer-
den als German Departments verwaltet. Das Fach Deutsch ist vorwiegend als Teil einer
School of Modern Languages repräsentiert. Nach der Higher Education Statistics Agency
(HESA) waren im akademischen Jahr 2003/04 286 forschungsaktive Wissenschaftler und
Dozenten im Bereich German Studies / Germanistik an britischen Hochschulen beschäf-
tigt. Noch im Vorjahr waren es 58 mehr, was auch hier auf einen deutlichen und rapiden
Rückgang schließen lässt. 37 Prozent der Universitätslehrer in den modernen Fremdspra-
chen sind keine Briten (AHRC Review of Research in Modern Languages 2006). Dies hat
seine Ursache ebenfalls in der Krise der modernen Fremdsprachen in Großbritannien,
denn über Jahrzehnte waren zu wenige britische Hochschulabsolventen an einer wissen-
schaftlichen Karriere in diesem Bereich interessiert. Die Lücke wird seither mit Bewer-
bern vor allem aus dem europäischen Ausland gefüllt. Hier entstehen oft Probleme, die
auf unterschiedliche akademische Traditionen zurückzuführen sind. Das deutsche Sys-
tem bildet Spezialisten aus, während der britische Hochschulalltag All Rounder mit Inte-
resse am interdisziplinären Arbeiten fordert. Der 2006 vom Arts and Humanities Research
Council (AHRC) publizierte Bericht Review of Research in Modern Languages hat erge-
ben, dass trotz der insgesamt schwierigen Lage für die modernen Fremdsprachen die
Forschungsleistungen beeindruckend sind. Der Bericht konstatiert jedoch ebenfalls, dass
es in den modernen Fremdsprachen in Großbritannien immer weniger Sprachwissen-
schaftler gibt.
Als akademische Interessenvertretung der britischen und irischen Germanistik fun-
giert die Association for German Studies in Great Britain and Ireland (ASG), die einmal
jährlich zu Konferenzen einlädt, auf denen aktuelle Forschung vorgestellt und allgemeine
Anliegen diskutiert werden. Die Österreich-Kooperation (ÖK) und der Deutsche Akade-
mische Austauschdienst (DAAD) unterstützen die britische Germanistik insbesondere
mit ihren Lektorenprogrammen: Zu Beginn des akademischen Jahres 2008/09 arbeiteten
20 Lektoren der ÖK und 50 DAAD-Lektoren an britischen Universitäten. Von den
DAAD-Lektoraten sind elf sogenannte Fachlektorate, d. h. Spezialisten für Jura, Politik
oder Wirtschaftswissenschaften. Die Zahl der DAAD-Lektoren ist damit seit 1994 um
27,5 Prozent zurückgegangen (Rösler 2001: 1470).
1678 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Die große Mehrheit der britischen Studierenden schreibt sich für einen Bachelor-Stu-
diengang ein. Im Fach Germanistik / German Studies dauert dieses Studium vier Jahre,
von denen das dritte Studienjahr normalerweise im deutschsprachigen Ausland verbracht
wird. Nur wenige Studierende entscheiden sich anschließend zu einem weiterführenden
einjährigen Masterstudium. Im akademischen Jahr 2006/07 studierte etwa ein Drittel
aller Sprachstudierenden eine Sprache (Single Honours), die Mehrheit kombinierte zwei
Sprachen oder eine Sprache mit einem anderen Fach. Die Mehrheit der Studierenden
waren gebürtige Briten (89 %) und weiblich (69 %) (CILT higher education stats 1).
Die Statistiken zeigen, dass es im akademischen Jahr 2006/07 in Großbritannien etwa
5.400 Studierende der Germanistik / German Studies gab, wenn man die Masterstudenten
mitzählt. Seit 1997 hat das Fach Deutsch damit 33 Prozent seiner Studentenzahlen verlo-
ren. Dieser Rückgang hat sich in den letzten Jahren etwas verlangsamt, verglichen mit
dem dramatischen Verlust von 17 Prozent zwischen 1998 und 2001 sanken die Studenten-
zahlen zwischen 2002 und 2007 nur um zehn Prozent. Spanisch hat auch an den Universi-
täten das Fach Deutsch als zweitstärkste Sprache abgelöst (CILT higher education stats
2; diese Statistik berücksichtigt allerdings nicht die 1.540 Sprachstudenten der Open Uni-
versity). Zusätzlich zu den schwindenden Studierendenzahlen gilt es im Universitätsalltag
auch noch andere Schwierigkeiten zu bewältigen: Universitätslehrer beklagen seit einiger
Zeit einen deutlichen Rückgang der Deutschkenntnisse, mit denen britische A-Level-
Absolventen ihr Studium an der Universität beginnen (Kolinsky 1994: 43). Ein auf
mündliche Kommunikationsfähigkeit ausgerichteter Schulunterricht führt dazu, dass
durchschnittliche Studienanfänger kaum Grammatikkenntnisse, große Wortschatzprob-
leme und wenig Allgemeinwissen über die deutschsprachigen Länder mitbringen. Viele
Universitäten haben daher ihre Lehrpläne umgestellt und konzentrieren sich im ersten
Studienjahr auf die Vermittlung von sprachlichen Grundlagen und fachspezifischem All-
gemeinwissen.

3. Zusammenassung und Ausblick


Das Fach Deutsch in Großbritannien befindet sich gegenwärtig in einer Krise: Die Zah-
len zeigen, dass Deutsch in Großbritannien seinen Status als zweitwichtigste moderne
Fremdsprache an Spanisch abtreten musste, dass die Zahl der Germanistikstudierenden
zwischen 1997 und 2007 um ein Drittel zurückgegangen ist und dass fast die Hälfte der
noch 2002 angebotenen Studiengänge inzwischen nicht mehr existieren. Die Entwicklung
an den Schulen des Landes geht in dieselbe Richtung.
Verschiedene Faktoren beeinflussen diese Trends: Deutsch gilt als schweres Fach, in
dem man nicht ohne Aufwand gute Ergebnisse erzielt. Es wird daher weder von Schülern
noch von Schulleitern favorisiert. Zum anderen ist das Image Deutschlands in Großbri-
tannien nicht besonders gut und stetigen Schwankungen unterworfen, manchmal aller-
dings auch zum Positiven, wie das Beispiel der Fußballweltmeisterschaft 2006 gezeigt
hat. Drittens gibt es Probleme und Engpässe bei der Deutschlehrerausbildung, und
schließlich war die britische Bildungspolitik der vergangenen fünfzehn Jahre im Hinblick
auf eine Konsolidierung der modernen Fremdsprachen an Schulen und Universitäten
eher kontraproduktiv.
Gleichzeitig ist aber relativ deutlich, was getan werden müsste, um diese Situation
nachhaltig zu verbessern: Austauschprogramme aller Art ⫺ Schüleraustausch, Erasmus-
196. Deutsch in Großbritannien 1679

Programme, die ÖK- und DAAD-Lektorenprogramme etc. ⫺ sollten unterstützt und


erweitert werden. Verschiedene Studien und auch die britischen Reaktionen auf die Fuß-
ballweltmeisterschaft 2006 haben gezeigt, dass Deutschland und die deutsche Sprache
durch direkten Kontakt zwischen Individuen sofort in einem besseren Licht erscheinen.
Dann sollte es eine gezieltere Informationspolitik an Schulen geben, die unter anderem
die beruflichen Chancen betont, die ein Abschluss in Deutsch als Fremdsprache bietet.
Schließlich müsste die Aus- und Weiterbildung der Deutschlehrer in Großbritannien ver-
bessert werden, zum Beispiel durch stärkere Integration von Fachdidaktik für Deutsch
als Fremdsprache.

4. Literatur in Auswahl
AHRC
2006 Review of research in modern languages. http://www.llas.ac.uk/projects/archive/2498
(29. 11. 2009).
The British Academy
2008 Language Matters 5. Background paper. http://www.britac.ac.uk/reports/language-matters/
position-paper.cfm (29. 11. 2009).
Canning, John
2008 Five years on. The language landscape in 2007. Subject Centre for Languages, Linguistics
and Area Studies. http://www.llas.ac.uk/resources/publications.html (29. 11. 2009).
CILT higher education stats 1.
http://www.cilt.org.uk/home/research_and_statistics/statistics/higher_education_statistics/
he_learning_trends_in_uk.aspx (29. 11. 2009).
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http://www.cilt.org.uk/home/research_and_statistics/statistics/higher_education/student_
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http://www.cilt.org.uk/home/research_and_statistics/statistics/secondary_statistics/gcse_
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http://www.cilt.org.uk/home/research_and_statistics/statistics/secondary_statistics/as_a2_
exam_entries.aspx (29. 11. 2009).
CILT trainee teachers.
http://www.cilt.org.uk/home/research_and_statistics/statistics/higher_education_statistics/
trainee_teacher_trends.aspx (29. 11. 2009).
Elspaß, Stephan
1999 Zum Selbstbild von Deutschlernern ⫺ Ergebnisse einer Befragung britischer und irischer
Studierender. Info DaF 26(5): 458⫺467.
Jaworska, Sylvia
2009 The German language in British Higher Education. Problems, challenges, teaching and
learning perspectives. Wiesbaden: Harrassowitz.
Kolinsky, Eva
1994 Studienfach Deutsch. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zu Stand und Entwick-
lung der Germanistik in Großbritannien. Info DaF 21(1): 25⫺44.
Links: Links into languages.
http://www.linksintolanguages.ac.uk (29. 11. 2009).
Ortmanns, Karl Peter
1993 Deutsch in Großbritannien. Die Entwicklung von Deutsch als Fremdsprache von den Anfän-
gen bis 1985. Stuttgart: Steiner.
1680 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Rösler, Dietmar
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Großbritannien. In: Gerhard Helbig, Lutz
Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein inter-
nationales Handbuch, 1464⫺1471. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikati-
onswissenschaft 19,1⫺2.) Berlin/New York: de Gruyter.
Smith, Jacqui
2006 Letter to secondary schools. www.teachernet.gov.uk/_doc/9522/Letter%20from%
20Jacqui%20Smith.pdf (29. 11. 2009).
Wade, Pauline, Helen Marshall und Sharon O’Donnell
2009 Primary Modern Foreign Languages. http://www.dcsf.gov.uk/research/data/uploadfiles/
DCSF-RR127.pdf (29. 11. 2009).
Worton, Michael
2009 Review of Modern Foreign Languages Provision in Higher Education. (HEFCE). http://
www.hefce.ac.uk/Pubs/HEFCE/2009/09_41/09_41.pdf (29. 11. 2009).

Gertrud Reershemius, Birmingham (Großbritannien)

197. Deutsch in Indien


1. Fremdsprachen in Indien
2. Deutschunterricht in Indien
3. Germanistikstudium in Indien
4. Überregionale Vernetzungen
5. Organisationsfragen
6. Perspektiven, Möglichkeiten, Probleme
7. Literatur in Auswahl

1. Fremdsprachen in Indien
In den letzten fünf Jahren ist der Bedarf an Fremdsprachenkenntnissen in Indien durch
die Globalisierung sprunghaft gestiegen. Die Auslagerung vieler Geschäftszweige von
ausländischen Firmen nach Indien hat dazu geführt, dass junge Inder mit Fremdspra-
chenkenntnissen mit relativer Leichtigkeit in den Arbeitsmarkt einsteigen. Diese Situa-
tion, die vor etwa fünf Jahren unvorstellbar war, betrifft auch die Rolle des Deutschen
in Indien. Die günstigen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt spiegeln sich in einer gestie-
genen Nachfrage nach Deutschunterricht und einer konkreteren Motivation seitens der
Deutschlerner und der Studierenden wider.
Nach einer Erhebung der Ständigen Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache
(StDaF) von 2005 wird in Indien Deutsch als Fremdsprache an 136 Schulen und an 85
Hochschulen angeboten. Die Zahl der DaF-Lerner im Schulbereich lag 2005 bei 14.900,
während die Zahl von Deutschstudierenden an den Hochschulen 4.500 betrug. 230 Stu-
dierende waren 2005 in den verschiedenen Germanistik-Abteilungen eingeschrieben, d. h.
die Zahl der Deutschlernenden insgesamt betrug 21.470.
197. Deutsch in Indien 1681

2. Deutschunterricht in Indien
Nach dem angelsächsischen Modell kann man in Indien an Colleges nur den Bachelor-
Grad erwerben, während der Magisterstudiengang an den Universitäten absolviert wird.
Ausnahmen liegen lediglich in den Fremdsprachenphilologien vor, in denen an einigen
Universitäten auch ein Bachelorgrad erworben werden kann. Die Trennung von
Deutschstudierenden an Hochschulen und Studenten der Germanistik ergibt sich aus der
Tatsache, dass an vielen Colleges und Universitäten Zusatzkurse, die auch Teilzeitkurse
sind, in Deutsch (und in anderen Fremdsprachen) für Studierende anderer Fächer ange-
boten werden. In der Regel sind es drei Kurse: Certificate of Proficiency, Diploma of
Proficiency und Advanced Diploma of Proficiency. Die Kurse gehen über je ein akademi-
sches Jahr und schließen jeweils mit einer schriftlichen und einer mündlichen Prüfung
ab. Durchschnittlich werden zwischen 4 und 6 Wochenstunden unterrichtet. Die beiden
erstgenannten Kurse bestehen aus reinem Sprachunterricht und nur im Advanced Di-
ploma werden kurze literarische Texte behandelt.
Neben den Colleges und den Universitäten bieten auch die fünf Zweigstellen des Goe-
the-Instituts in Indien, die hier nach dem berühmten Indologen Max Mueller Bhavans
heißen, verschiedene Sprachkurse an, die sich trotz relativ hoher Kursgebühren großer
Beliebtheit erfreuen. Seit einigen Jahren bieten die Max Mueller Bhavans auch Kurse an,
um vor allem auf spezielle Erfordernisse der Wirtschaft einzugehen. Neben „extensiven“,
„intensiven“ und „superintensiven“ Sprachkursen werden auch Spezialkurse wie z. B.
Deutsch für den Beruf, Wirtschaftsdeutsch, Techniken des Übersetzens, Fernlernkurse
und individuell gestaltete Firmenkurse angeboten. Diese breite Palette, die nicht nur
inhaltlich die Wünsche der potentiellen Teilnehmer berücksichtigt, sondern auch die Zeit-
vorstellungen in Betracht zieht, ist eine deutliche Reaktion auf die gewachsene und noch
wachsende Nachfrage nach Deutschunterricht.

3. Germanistikstudium in Indien

3.1. Das Lehrangebot

Während das Angebot an Teilzeitkursen in Fremdsprachen an den Hochschulen in den


letzten Jahren gestiegen ist, ist die Zahl der Universitäten, die einen Abschluss in Germa-
nistik anbieten, bei neun geblieben. Die Ausbildungsinhalte in diesen neun Zentren des
Germanistikstudiums in Indien sind allerdings sehr unterschiedlich und richten sich, den
jeweiligen institutionellen Bedingungen gemäß, entweder auf einen traditionellen Litera-
turunterricht mit einem Landeskundeanteil oder auf eine erweiterte Kulturwissenschaft
bzw. auf European Studies. Allen Universitätskursen auf der Anfängerstufe ist gemein-
sam, dass sie mit dem Sprachunterricht beginnen müssen. Obwohl die Zahl der Schulen,
die Deutsch als Fremdsprache anbieten, in den letzten Jahren gestiegen ist, ist deren
geografischer Raum auf einige wenige Städte in Indien wie Delhi, Mumbai oder Pune
beschränkt, während das Einzugsgebiet der Studierenden sich viel weiter erstreckt. Im
ersten von drei Jahren, die den Bachelorkurs ausmachen, werden durch intensiven
Sprachunterricht (18⫺20 Wochenstunden) die erforderlichen sprachlichen Fertigkeiten
vermittelt, die es den Studierenden ermöglichen, im zweiten Studienjahr kurze literari-
1682 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

sche und andere Texte zu lesen. Zum fortgeschrittenen Sprachunterricht kommen im


zweiten Jahr Literatur und Landeskunde hinzu, wobei an einigen Abteilungen unter
„Landeskunde“ eine Einführung in die Geschichte der deutschsprachigen Länder ver-
standen wird.
Das zweijährige Magister-Programm bildet den wichtigen Kern des Germanistikstudi-
ums in Indien. Auch hier weisen die Ausbildungsinhalte deutliche Unterschiede auf. Allen
gemeinsam ist jedoch die Beschäftigung mit Theoriemodellen als Grundlage für ein syste-
matisches Studium der Literatur. Neu ist eine stärkere Berücksichtigung der Kulturwis-
senschaften mit ihrem speziellen theoretischen Apparat, die an einigen Abteilungen neu
eingeführt worden ist. Während an einigen Universitäten Theorie und Praxis der Über-
setzung als eines unter anderen Modulen angeboten wird, bietet einzig die Jawaharlal
Nehru University (JNU) in Neu-Delhi einen vollen Studiengang in Übersetzung und
Dolmetschen mit einem entsprechenden Abschluss an.
Neben den üblichen Modulen eines Literaturstudiums ist das weiterführende Lehran-
gebot auch von den Forschungsinteressen der Lehrkräfte abhängig. Es entsteht daher
ein breites Spektrum, das von der neueren und neuesten deutschsprachigen Literatur
über Kunst-und Kulturgeschichte, Sprache der Medien, interkulturelle Beziehungen und
vergleichende Literaturwissenschaft bis hin zu Filmstudien reicht. In fast allen Abteilun-
gen wurden in den letzten Jahren mindestens einmal die Curricula grundlegend geändert
und erneuert, womit neueren Entwicklungen im Fach Germanistik Rechnung getragen
wurde, allerdings innerhalb des von den jeweiligen Institutionen gesetzten Rahmens.
Die Zahl der Studenten, die in der Germanistik forschen wollen, schwankt in den
letzten Jahren. Dies hängt einerseits mit den erwähnten neuen Möglichkeiten auf dem
Arbeitsmarkt zusammen, andererseits aber auch damit, dass die Zahl der Lehrerstellen
an Colleges und Universitäten nicht im gleichen Maße wie in der Wirtschaft gewachsen
ist. Da die Forschung für eine akademische Laufbahn unabdingbar ist, für den globali-
sierten Arbeitsmarkt jedoch nicht nötig ist, sind die Studentenzahlen auf dieser Ebene
eher gering. Eine Ausnahme bildet die Abteilung an der University of Pune, die auf der
M. Phil Stufe, einer Zwischenstufe zwischen dem Magister und der Promotion, eine Zahl
von 29 eingeschriebenen Studenten vorweist.

3.2. Forschungsschwerpunkte

Wichtige Forschungsschwerpunkte sind u. a. im Bereich der Komparatistik angesiedelt,


wobei es sich um einen literarischen, kulturwissenschaftlichen oder sprachlich-linguisti-
schen Vergleich handeln kann. Aspekte der deutsch-indischen Beziehungen bilden weiter-
hin einen Teil der Forschungslandschaft an vielen Abteilungen, wobei der Untersu-
chungszeitraum sowohl zeitlich als auch in textueller Hinsicht erweitert worden ist, um
einerseits die neueste deutschsprachige Literatur mit einem Indienbezug als auch Briefe
und Berichte deutscher Missionare aus Südindien vom frühen 18. Jahrhundert mit ein-
zuschließen. Neuere Forschungsschwerpunkte erweitern dieses Thema auch in theoreti-
scher Hinsicht, um Beziehungen zwischen Europa und der postkolonialen Welt zu be-
trachten.
Nach wie vor stellt auch die Methodologie des Fremdsprachenunterrichts einen wich-
tigen Forschungsschwerpunkt dar.
197. Deutsch in Indien 1683

3.3. Lehreraus und -ortbildung

Obwohl die Didaktik und Methodik des Deutschen als Fremdsprache auch in den Lehr-
plänen vertreten und mehrfach Forschungsgegenstand ist, ist sie vom Umfang des Lehr-
angebots her nicht geeignet, als Lehrerausbildung zu gelten. Zwar wurde in den 1970er
Jahren das Central Institute of English and Foreign Languages in Hyderabad (CIEFL,
heute UEFL ⫺ University of English and Foreign Languages) schwerpunktmäßig mit der
Aufgabe der Lehrerfortbildung beauftragt, aber einschlägige Fortbildungskurse werden
seit vielen Jahren wegen des angeblichen Fehlens einer „kritischen Masse“ nicht mehr an-
geboten.
Neben Fortbildungsmöglichkeiten für existierende Lehrer muss die Deutschlehreraus-
bildung insgesamt erweitert werden. Eine Ausbildung, die diesen Namen verdient, wurde
bislang nur von einigen Max Mueller Bhavans angeboten. Diese Kurse sind jedoch vor-
rangig auf die Bedürfnisse des Sprachunterrichts in den Goethe Instituten gerichtet und
sind daher für angehende Lehrer an Germanistik-Abteilungen nur vom begrenzten Nut-
zen. Da aber die Nachfrage für Fremdsprachen in Indien gewaltig gestiegen ist, müssen
auch Fremdsprachenlehrer gesondert ausgebildet werden, zumal das Goethe Institut in
Indien z. Zt. auch dabei ist, Schulen für den Deutschunterricht zu gewinnen.
In diesem Kontext hat sich die Department of Germanic and Romance Studies an der
University of Delhi bereit erklärt, einen Teilzeitkurs mit einer Dauer von einem Jahr
einzuführen, der 2008 begonnen hat (Diploma in Foreign Language Education). Konzi-
piert wurde dieser Kurs in einer einzigartigen Zusammenarbeit zwischen der Abteilung
und den Kulturinstituten Deutschlands, Österreichs, Frankreichs, Italiens, Portugals und
Spaniens. An der dreijährigen Planungsphase waren auch Experten aus den verschiede-
nen Ländern beteiligt. Diese Zusammenarbeit zwischen Institutionen und über die jewei-
ligen Sprachgrenzen hinaus bietet die Möglichkeit, vorhandene Ressourcen optimal zu
benutzen und sowohl methodologisch als auch in Sachen Lehrmaterialien voneinander
zu profitieren. Der Theorieanteil in diesem Kurs beträgt 116 Stunden, während für die
praktische Arbeit 120 Stunden vorgesehen sind. Dabei wird das wissenschaftliche Stu-
dium an der Universität, teils auch in sprachenübergreifenden Kursen, unterrichtet, wäh-
rend die Kulturinstitute die Praxisphasen betreuen.
Einen weiteren Versuch, die Ausbildung von Deutschlehrkräften auch quantitativ aus-
zuweiten, stellt ein Fernstudienprojekt zur Lehrerausbildung dar, das von der Indira
Gandhi National Open University, dem Goethe-Institut und der Universität Wien entwi-
ckelt wird und 2010 beginnen soll.

4. Überregionale Vernetzungen
Seit einigen Jahren wächst auch die überregionale Vernetzung der einzelnen Abteilungen.
Interessant ist jedoch, dass nicht die einzelnen Abteilungen innerhalb des Landes vernetzt
sind, sondern sie jeweils nur international durch Partnerschaftsabkommen mit Universi-
täten in den deutschsprachigen Ländern kooperieren. Während die Abteilung in Pune
mit den Universitäten in Tübingen und Göttingen Partnerschaftsabkommen hat, hat die
University of Delhi ein ähnliches Abkommen mit der Universität in Heidelberg. Erstma-
lig 2008 läuft eine Germanistische Institutspartnerschaft (GIP) zwischen dem Institut für
1684 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin, dem Department
of Germanic and Romance Studies der University of Delhi sowie dem Centre of German
Studies der Jawaharlal Nehru University, Neu-Delhi. Dieses Programm, das vom Deut-
schen Akademischen Austauschdienst (DAAD) finanziert wird, sorgt sowohl für den
personellen Austausch auf allen Ebenen wie auch für gemeinsame Seminare und work-
shops, die dem Ideenaustausch und gemeinsamen Projekten dienen.
Einen begrenzten, aber wichtigen Austausch innerhalb der indischen Germanistik gibt
es seit fünf Jahren auch in Form des jährlich vom DAAD unterstützten Symposiums für
Nachwuchswissenschaftler. Das Symposium wird von einem indischen Team (meistens
auch mit einem DAAD-Lektor) und einem hierzu eingeladenen deutschen Experten ge-
leitet. Das Symposium, zu dem M. Phil. und Ph. D.-Studenten aus ganz Indien aufgrund
eines eingereichten Forschungsplans eingeladen werden, besteht einerseits aus der Prä-
sentation und Diskussion der einzelnen Forschungsprojekte und andererseits aus Vorträ-
gen zu ausgewählten Themen. Auf diese Weise ist es möglich, einen Überblick über For-
schungsthemen an den einzelnen Abteilungen zu gewinnen. Einer gewissen inner-indi-
schen Vernetzung wird auch Vorschub geleistet, indem die Studierenden Lehrkräfte aus
anderen Universitäten kennenlernen und sich auch später an sie wenden können. Schließ-
lich sind indische Universitäten in die deutschen und österreichischen Praktikantenpro-
gramme für Deutsch als Fremdsprache eingebunden.

5. Organisationsragen
International ist die indische Germanistik auch in der Internationalen Vereinigung der
Germanistik (IVG) sowie in der Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik (GIG) ver-
treten. Gegenwärtig gibt es jeweils ein indisches Mitglied im Ausschuss der IVG und im
Vorstand der GIG. Zahlreiche indische Germanisten sind Mitglieder dieser internationa-
len Vereinigungen.
Innerhalb Indiens fungiert die Goethe Society of India (GSI) als Plattform für die
indische Germanistik, obwohl die Mitgliedschaft auch für Vertreter anderer Fachrichtun-
gen offen ist (www.geocities.com/goethe-india/). In regelmäßigen Abständen werden
durch die GSI internationale Konferenzen veranstaltet und die Papers solcher Konferen-
zen erscheinen anschließend in einem Jahrbuch. Sowohl die Konferenzen als auch das
Jahrbuch werden vom Deutschen Akademischen Austauschdienst mitfinanziert.
2006 erschien auch der Sammelband German Studies in India (iudicum) als Nachfol-
gepublikation einer Zeitschrift, die in Indien erschien, aber vor vielen Jahren ihre Publi-
kation eingestellt hatte. Der Wunsch indischer Germanisten nach einem eigenen Publika-
tionsorgan führte zu dem oben erwähnten Band, der aktuelle Beiträge aus der indischen
Germanistik enthält. Der zweite Band in dieser Reihe erschien 2008. Die Bände geben
einen Einblick in verschiedene Aspekte der germanistischen Forschung in Indien, wobei
der zweite Band auch Rezensionen zu interessanten Neuerscheinungen enthält. Die
Bände werden von einem Team indischer Germanisten mit einem DAAD-Lektor / einer
Lektorin zusammen herausgegeben und der DAAD zeichnet sich als Herausgeber die-
ser Bände.
2005 wurde die IndoGerman Teachers Association mit dem Ziel gegründet, die Zusam-
menarbeit zwischen Hochschulen und Praxisfeld zu verbessern (http://indaf.in/). Dieser
Verband ist über die Mitgliedschaft im Internationalen Deutschlehrerverband (IDV)
auch in die internationale Fachdiskussion zu Deutsch als Fremdsprache eingebunden.
197. Deutsch in Indien 1685

6. Perspektiven, Möglichkeiten, Probleme


Der eingangs erwähnte rasche Anstieg des Interesses an Fremdsprachen, darunter auch
an Deutsch, bedeutet insofern einen Gewinn, als die Zahl der Deutschlernenden stetig
steigt. Dies zeigt sich besonders bei den angebotenen Sprachkursen in den Max Mueller
Bhavans in Indien wie auch in den Teilzeitkursen in den Colleges. Da aber die Nachfrage
von den Bedingungen des Arbeitsmarktes abhängig ist, ist zu befürchten, dass Änderun-
gen in diesem Bereich auch seismografisch im anderen registriert werden. Interessanter-
weise hat das gestiegene Interesse an Deutsch nicht zu einem entsprechenden Zuwachs
im Germanistik-Studium geführt. Obwohl in Indien noch lange nicht, wie andernorts,
von einem möglichen „Tod der Germanistik“ gesprochen werden kann, wird das Fach
durch die neuen Bedingungen mit Problemen eigener Art konfrontiert. Das dreijährige
Bachelor-Studium erfüllt derzeit den Wunsch der Studenten nach einem Hochschulab-
schluss einerseits und Grundkenntnissen in der Fremdsprache andererseits. Unter diesen
Umständen verringert sich die Zahl der Magisterstudierenden. Diese praxisorientierte
Ausrichtung stellt eine Herausforderung für die Germanistik in Indien dar. Gleichzeitig
können aber die Abteilungen nicht nur Sprachunterricht anbieten wie an den Goethe-
Instituten, denn sie müssen auch die Anforderungen an ein Universitätsstudium erfüllen.
Um die Spanne zwischen diesen beiden Gegebenheiten zu überbrücken, sind kreativere
Methoden und größere Flexibilität der Lehrpläne erforderlich, damit das Interesse der
Studenten geweckt werden kann und die Motivation auf ein weiterführendes Studium
gelenkt werden kann.

7. Literatur in Auswahl
Bhatti, Anil
2007 Germanistik in Indien. Eine Miszelle vom Umgang mit dem Sprachrepertoire. In: Chris-
tian Bode und Dorothea Jecht (Hg.), 20 Jahre „Wandel durch Austausch“. Festschrift für
Prof. Dr. Theodor Berchem. 236⫺242. Bonn: DAAD.
Jecht, Dorothea (Hg.)
2006 German. studies in India. Aktuelle Beiträge aus der indischen Germanistik. Müchen: iudi-
cium.
Kamath Rajan, Rekha
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Indien. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici, Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales
Handbuch. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺
2). 1570⫺1575. Berlin/New York: De Gruyter.
Mohr- Sobkowiak, Saskia
2005 Deutsch als Fremdsprache und Germanistik in Indien. Diss., Universität Karlsruhe.

Rekha Kamath Rajan, New Delhi (Indien)


1686 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

198. Deutsch in Indonesien


1. Deutsch als Fremdsprache in Indonesien
2. Germanistikstudium in Indonesien
3. Herausforderungen für das Germanistikstudium in Indonesien
4. Literatur in Auswahl

1. Deutsch als Fremdsprache in Indonesien

Die deutsche Sprache als Fremdsprache wird wie die anderen europäischen Sprachen in
der letzten Zeit in Indonesien stark von asiatischen Sprachen wie Chinesisch, Koreanisch
und Japanisch verdrängt. Diese Tendenz kann man anhand der Studienbewerberzahl in
der kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universitas Indonesia Jakarta beobachten, an
der sowohl europäische als auch asiatische Sprachen als Studiengänge angeboten werden.
Im Studienjahr 2007/2008 wählten neben der englischen Sprache viele Studienbewerber
der fremdsprachlichen Studiengänge Japanisch, Chinesisch und Koreanisch. Trotzdem
hatte im Vergleich zu den anderen europäischen Studiengängen, ausgenommen des Engli-
schen, die Deutschabteilung die meisten Studienbewerber (634 Studienbewerber) (Direk-
torat Pendidikan UI 2007). Im Vergleich zu den 1990er Jahren (Darmojuwono 2001:
1598), zeigt sich, dass das Interesse für Deutsch als Folge der ständig wichtiger werden-
den Rolle der asiatischen Länder China, Korea und Japan in der indonesischen Wirt-
schaft etwas nachlässt, da Absolventen leichter eine Stelle finden, wenn sie Englisch und
eine asiatische Fremdsprache beherrschen.
Der Studiengang Germanistik in Indonesien kann von dem Deutschunterricht in der
Oberschule (Klassen 10, 11, 12) nicht getrennt betrachtet werden. Indonesien gehört zum
Netzwerk „Schulen: Partner der Zukunft“, in dem vorläufig zehn Schulen im ganzen
Land mit vielen Schulen aus der ganzen Welt vernetzt werden. Außerdem hat sich auch
durch Wettbewerbe in Deutsch als Fremdsprache für Schüler auf nationaler und interna-
tionaler Ebene (Olympiade für DaF) das Ansehen von Deutsch in Indonesien erhöht.
Deutsch wird als Schulfach genauso ernst genommen wie Physik, Mathematik usw. Ge-
genwärtig gibt es in Indonesien 435 Oberschulen und ca. 50 Fachoberschulen, die
Deutsch als Fremdsprache anbieten.
Außerhalb der formellen Bildungsinstitutionen ist das Goethe-Institut seit fast 50 Jah-
ren das wichtigste Zentrum für den Deutschunterricht. Laut Umfrage des Goethe-Insti-
tuts Jakarta im Jahr 2007 sind die Mehrheit der Kursteilnehmer Schüler und Studenten
(im Alter von 15 bis 23), die mit dem Ziel, ein Studium in Deutschland aufzunehmen,
Deutsch lernen.
Noch vor 15 Jahren waren die Verwendungsmöglichkeiten der deutschen Sprache im
Alltagsleben in Indonesien beschränkt, die Mehrheit der Deutschlerner konnte Deutsch
hauptsächlich nur im Unterricht anwenden. Mit der raschen Entwicklung der elektroni-
schen Kommunikationstechnologie gehört Deutsch aber inzwischen zu den Fremdspra-
chen, die im Alltag in verschiedenen Bereichen relevant sind, z. B zur Informationssuche
in elektronischen Zeitungen/Zeitschriften, im Fernsehen, Kommunikation per E-Mail,
Chatten usw.
198. Deutsch in Indonesien 1687

2. Germanistikstudium in Indonesien
Gegenwärtig gibt es 14 Hochschulen in Indonesien (12 staatliche Universitäten, 1 private
Universität und 1 Fachhochschule), die sich mit der deutschen Sprache, Literatur und
Kultur beschäftigen. Die Deutschstudiengänge in Indonesien haben kein einheitliches
Curriculum. Zwei Orientierungen sind aber zu unterscheiden, nämlich (a) an den Univer-
sitäten, die die Fächer deutsche Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft und Deutsch-
landkunde als Schwerpunkte vorsehen, und (b) die ehemaligen Pädagogischen Hoch-
schulen, die in Universitäten umgewandelt wurden und ursprünglich stärker pädago-
gische Komponenten im Curriculum vorsahen (Darmojuwono 2001: 1595). Das Fach
Germanistik in Indonesien (außer an den Pädagogischen Hochschulen) orientierte sich
bis in die 1980er Jahre am Curriculum des Germanistikstudiums in Deutschland und
war entsprechend philologisch ausgerichtet. Wie in vielen Ländern befand sich das Fach
Germanistik in Indonesien in einem Dilemma, nämlich Ansprüchen eines philologischen
und eines berufsorientierten fremdsprachlichen Studiengangs gerecht zu werden. Ange-
sichts der Berufschancen der AbsolventInnen haben die Universitäten in das Bachelor-
Programm berufsorientierte Ausbildungselemente aufgenommen, wie z. B. Deutsch für
den Tourismus, Wirtschaftsdeutsch, Übersetzung.
Da die Mehrheit der Germanistik-Studiengänge an den ehemaligen Pädagogischen
Hochschulen angesiedelt ist, arbeiten mehr als die Hälfte der Absolventen der Deutsch-
abteilungen nach dem Studium als Deutschlehrer. Dagegen liegen die Tätigkeitsfelder der
Absolventen der klassischen Universitäten in der Mitarbeit bei deutschen Institutionen
und Wirtschaftsunternehmen (Verwaltung, Dolmetschen, Übersetzern, Marketing, Ma-
nagement), bei internationalen und indonesischen Firmen, im Tourismus, im Medienbe-
reich, in der staatlichen Verwaltung und Diplomatie sowie im selbständigen Bereich (z. B.
als Übersetzer, Reiseleiter).
Da nicht alle Studierenden mit Deutschvorkenntnissen in das Studium eintreten, ist
der Sprachunterricht an den Deutschabteilungen für Studierende ohne Vorkenntnisse
konzipiert. Hier gibt es eine enge Zusammenarbeit der Deutschabteilungen der ehemali-
gen Pädagogischen Hochschulen mit dem Goethe-Institut; eine gemeinsame Prüfung
wurde entwickelt, die sich nach dem Zertifikat Deutsch richtet, um die Grundkenntnisse
der Studierenden festzustellen.
An der Universitas Indonesia liegen die Schwerpunkte des Curriculums in der Sprach-
und Literaturwissenschaft und seit ca. 5 Jahren können Studierende ihre Examensarbeit
wieder in Kulturwissenschaft wie in den 1970er und 1980er Jahren schreiben. Deswegen
liegt der Schwerpunkt des Sprachunterrichts am Anfang des Studiums stärker auf der
rezeptiven Komponente. Da seit 2006 die Universitas Indonesia ein lizenziertes TestDaF-
Zentrum in Indonesien geworden ist, besteht für die Studierenden die Möglichkeit, die
TestDaf-Prüfung abzulegen. Nach den Ergebnissen von TestDaF und TestDaF-Erpro-
bungen haben die Studierenden im dritten Studienjahr (6. Semester) im Durchschnitt das
Niveau B2 abgeschlossen. Im Leseverstehen und Hörverstehen wurden im Jahr 2007 die
TestDaF-Niveaustufen 3 und 4 und im schriftlichen und mündlichen Ausdruck wurde
durchschnittlich das TestDaF-Niveau 3 erreicht.
Die linguistischen Fächer an der Deutschabteilung der Universitas Indonesia bestehen
aus Phonetik/Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik und Pragmatik; außerdem
gibt es Wahlfächer in Fachsprache, Soziolinguistik, Textlinguistik, Methodik und Didak-
tik DaF sowie Interkultureller Kommunikation. Die Wahlfächer ermöglichen den Stu-
1688 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

dierenden eine Erweiterung ihrer linguistischen Kenntnisse sowie eine Vorbereitung auf
Probleme und Aufgaben im späteren Berufsleben.
Die Schwerpunkte in der Literaturwissenschaft sind literarische Werke nach 1945,
deren Themen für Indonesien aktuell sind, aber gleichzeitig ein Bild von Deutschland
repräsentieren können. Themen wie Hungersnot, Toleranz, das Fremde und das Eigene
etc. werden aus der interkulturellen Perspektive diskutiert. Die Auswahl der literarischen
Werke richtet sich nicht nach der Berühmtheit eines Autors, sondern eher nach dem
Interesse am Thema. Behandelt werden auch klassische Werke, deren Themen Anknüp-
fungspunkte zu Erfahrungen der Studierenden besitzen; zu deren besseren Verständnis
werden oft Filme als Unterrichtsmaterial eingesetzt.
Die Kulturwissenschaft beschäftigt sich mit Themen wie Multikulturalität, Pop-Kul-
tur und Medien, die mit interkulturellen Methoden analysiert werden.

3. Herausorderungen ür das Germanistikstudium in Indonesien

Im Jahr 1999 wurde auf dem südostasiatischen Germanistentreffen in Bangkok von Rog-
gausch (2000: 9) festgestellt, dass an einer großen Zahl von Hochschulen die philologi-
schen Studiengänge im Umbruch seien. Mit dieser Problematik ist auch das Germanistik-
studium in Indonesien konfrontiert. Auf der einen Seite soll das Germanistikstudium die
philologischen Komponenten, nämlich die deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft
im Curriculum behalten, da sie einen gründlichen Zugang zu den deutschen Lebenswel-
ten und Denkweisen ermöglichen. Auf der anderen Seite müssen die AbsolventInnen
berufsorientierte Fertigkeiten im Rahmen des Studiums entwickeln, so dass sie nicht
nur Kenntnisse über die deutsche Sprache und Literaturwissenschaft vorweisen können,
sondern diese Kenntnisse auch in die Praxis bei der Vermittlung zwischen zwei Kulturen
umsetzen können. In Zeiten von Internationalisierung und Globalisierung wird es immer
wichtiger, dass die Studierenden nicht nur fließend Deutsch sprechen lernen. Vielmehr
müssen sie die Fähigkeit entwickeln, interkulturell zu kommunizieren, was u. a. mit Hilfe
elektronischer Kommunikationsmedien angestrebt werden kann, z. B. durch direkte
Kommunikation mit Studierenden in deutschsprachigen Ländern zur Verbesserung der
Sprachkenntnisse und Anwendung von Kenntnissen über die deutsche Kultur in der
Kommunikation.
An allen Universitäten Indonesiens liegt der Schwerpunkt der Beschäftigung mit den
deutschsprachigen Ländern auf Deutschland, so dass literarische Werke und Kulturen
Österreichs und der Schweiz nur am Rande oder überhaupt nicht erörtert werden. Die
Erweiterung des Lehr- und Forschungsgegenstands um die anderen deutschsprachigen
Länder wäre eine Bereicherung für das Germanistikstudium in Indonesien, v. a. im Hin-
blick auf die Vielfalt der deutschen Sprache.
Der Fortbestand des Germanistikstudiums in Indonesien hängt von verschiedenen
Faktoren ab: von der Lehr- und Forschungsqualität der DozentInnen, die zur Zeit durch
DAAD-LektorInnen unterstützt werden; von attraktiven Curricula, die sowohl philolo-
gische als auch berufsorientierte Komponenten beinhalten; von Netzwerken und von
der Zusammenarbeit zwischen den DozentInnen in Lehre und Forschung innerhalb des
Indonesischen Germanistenverbands, der im Jahr 2007 gegründet wurde; von der Zu-
199. Deutsch in Irland 1689

sammenarbeit mit den Institutionen, Firmen und Industriebetrieben, die deutschspra-


chige Mitarbeiter einstellen; und zuletzt von den wirtschaftlichen, politischen und sozio-
kulturellen Beziehungen zwischen den deutschsprachigen Ländern und Indonesien.

Danksagung

Ich danke Herrn Gerhard Jaiser, TestDaF-Prüfungsbeauftragter an der Universitas In-


donesia; Frau Indrawidjaja und Frau Daskiwitsch vom Goethe-Institut, die mir Informa-
tionen und Daten über den Deutschunterricht in den Schulen gegeben haben, und meinen
Kolleginnen Frau Hilman und Frau Kurnia, Koordinatorinnen für Literaturwissenschaft
und Kulturwissenschaft in der Deutschabteilung der Universitas Indonesia (Jakarta, No-
vember 2008).

4. Literatur in Auswahl
Darmojuwono, Setiawati
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Indonesien. In: Gerhard Helbig, Lutz
Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein inter-
nationales Handbuch, Band 2, 1594⫺1604 (Handbücher zur Sprach- und Kommunika-
tionswissenschaft 19.1⫺2). Berlin/New York: de Gruyter.
Direktorat Pendidikan UI
2007 Statistik Mahasiswa Baru Program Sarjana Jalur PPKB dan UMPTN Depok.
Roggausch, Werner
2000 Vorwort zur Eröffnung des Germanistentreffens in Bangkok. In: DAAD (Hg.), Germanis-
tentreffen Tagungsbeiträge, Bangkok 1999, 9. Bonn: DAAD.

Setiawati Darmojuwono, Depok/Jakarta (Indonesien)

199. Deutsch in Irland


1. Überblick
2. Deutsch an der Schule
3. Deutsch an der Universität
4. Ausblick
5. Literatur in Auswahl

1. Überblick
Das Fach Deutsch hat in Irland stets im Schatten des Französischen gestanden (zur
Geschichte des Deutschen in Irland vgl. Fischer (2000, 461⫺508 und 2003)). Dies wurde
1690 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

in den 1980er Jahren zunehmend als Problem gesehen, weil es der wachsenden wirt-
schaftlichen Verflechtung mit Deutschland auffällig widersprach. Als Resultat spezieller
Förderungsprogramme stieg die Zahl der Deutschlernenden im Sekundar- und Tertiärbe-
reich zunächst stark an (1985: 3,5 % aller Schüler; 1995: 18.4 %). Seit den späten 1990er
Jahren ist jedoch ein nachlassendes Interesse an modernen Fremdspachen zu verzeich-
nen, im tertiären Bereich noch deutlicher als an den Schulen. Als Gründe für diese fach-
bedrohende Entwicklung wären u. a. zu nennen:
⫺ kein Zwang zur Arbeitsmigration mehr in den Jahren des ökonomischen Booms zwi-
schen Mitte der 1990er Jahre und Mitte 2008;
⫺ die zunehmende Bedeutung des Englischen als Weltsprache, auch in deutschen Firmen
und Institutionen;
⫺ eine stärkere wirtschaftspolitische Orientierung am Neoliberalismus US-amerikani-
scher Prägung und eine wachsende Indifferenz der Europäischen Union gegenüber.
In den letzten Jahren hat das Fach Spanisch an Attraktivität gewonnen und insbesondere
an den Universitäten Deutsch zahlenmäßig überflügelt. Die Entwicklung einer natio-
nalen Sprachenpolitik bleibt ein Desiderat, wenn auch in dieser Richtung deutliche
Fortschritte zu verzeichnen sind (vgl. den Bericht Language Education Policy Profile
IRELAND, gemeinsam herausgegeben vom Department of Education and Science und
der Language Policy Division Strasbourg: http://www.education.ie/servlet/blobservlet/
language_education_policy_profile.pdf).

2. Deutsch an der Schule

Im Primarschulcurriculum ist, neben der Unterrichtssprache Englisch, Irisch als zusätzli-


che Sprache und Pflichtfach fest verankert. Der Raum für weitere Sprachen ist dadurch
zusätzlich limitiert. Der frühe Erwerb von Deutsch und anderen Fremdsprachen ist aller-
dings seit 1998 an Primarschulen möglich. Das von der irischen Regierung damals zu-
nächst auf zwei Jahre konzipierte Pilotprojekt unter dem Titel Modern Languages in
Primary Schools Initiative (www.mlips.ie) verlief so erfolgreich, dass nunmehr steigende
Zahlen von Primarschulen von dieser Initiative profitieren.
Welches Fremdsprachenspektrum an Sekundarschulen angeboten wird, hängt von der
jeweiligen Schulleitung ab. Nach den aktuellsten Zahlen (2007/08) lernen hier ca. 19 %
aller Schüler Deutsch, 64 % Französisch und etwa 9 % Spanisch (1996/97: 3 %). In Zu-
kunft werden die Fremdsprachen verstärkt um ihren Platz im Sekundarschulcurriculum
kämpfen müssen, da seitens der vier Universitäten der National University of Ireland
(www.nui.ie) die Bestimmung, wonach die Beherrschung einer dritten Sprache für die
Zulassung obligatorisch ist, zusehends gelockert wird.
Die Sekundarlehrer-Ausbildung ist in der Regel zweiphasig angelegt. Zukünftige
Deutschlehrer erwerben zunächst nach einem drei- bzw. vierjährigen Studium einen Ho-
nours Bachelor of Arts-Abschluss, um im Anschluss daran ein einjähriges Zusatzstudium
zu absolvieren, das mit dem Higher Diploma in Education (HDip) abschließt. Ein solches
Aufbaustudium wird von den erziehungswissenschaftlichen Abteilungen der Universitä-
ten angeboten. Zur Struktur der Ausbildung, in deren Rahmen die Studierenden etwa
100 Unterrichtsstunden erteilen, sei beispielhaft auf die Webseite des Department of
199. Deutsch in Irland 1691

Education an der Universität Cork verwiesen: http://www.ucc.ie/en/education/Education


Studies/hdiped.
In Anbetracht des Fehlens einer klaren nationalen Sprachenpolitik darf es nicht ver-
wundern, dass eine systematische, national koordinierte Deutschlehrerfortbildung nicht
existiert. In diesem Bereich wirken sich die diversen Initiativen des Goethe-Instituts,
vereinzelter universitärer Fremdsprachen- und Pädagogikabteilungen und der Gesell-
schaft der Deutschlehrer Irlands (Webseite der GDI: http://www.germanteachers.ie) hilf-
reich aus.

3. Deutsch an der Universität

In Irland gibt es sieben Universitäten sowie 16 Institutes of Technology, die den deut-
schen Fachhochschulen vergleichbar sind; an all diesen staatlichen Institutionen wird
Deutsch ⫺ mit unterschiedlicher Akzentuierung im Curriculum ⫺ als Haupt- oder/und
Nebenfach angeboten. Eine erste Übersicht über das tertiäre Bildungssystem liefert der
DAAD Studienführer Großbritannien und Irland (Kypker 2004). In der Regel werden an
den irischen Fachhochschulen Deutschkurse innerhalb wirtschafts-, natur- und ingeni-
eurwissenschaftlicher Studiengänge angeboten. Insbesondere im Bereich der Institutes of
Technology ist es zu einem starken Einbruch der Studierendenzahlen für alle modernen
Fremdsprachen gekommen. Hier sind auf Druck der Fachwissenschaften hin die Fremd-
sprachen aus einer Vielzahl besagter Kurse eliminiert worden.
Die universitären Germanistik-Curricula sind nicht mehr so dominant literaturwis-
senschaftlich ausgerichtet, und immer öfter wird der Oberbegriff German Studies ver-
wendet, um die eindrucksvolle Bandbreite von germanistischen Aktivitäten zu charakte-
risieren. Allgemein ist der Bereich interkulturelle Studien gestärkt worden, der steigende
Einbezug visueller Medien (insbes. Film) ist auffällig, ebenso die Bildung von sprach-
pädagogischen bzw. kulturwissenschaftlichen/landeswissenschaftlichen Studienschwer-
punkten. Die gleiche Tendenz lässt sich auch bei den postgradualen M.A. bzw. M.Phil.-
Kursen erkennen, die derzeit an den germanistischen Abteilungen von vier irischen Uni-
versitäten (Cork, Dublin (UCD und Trinity College), Maynooth) angeboten werden.
Exemplarisch sei das M.A.-Programm in German Studies an der Universität Cork ge-
nannt, in dem die Studierenden Module aus den Studienrichtungen Literature-Art-Media-
Theatre-Film und Language, Drama and Intercultural Pedagogy kombinieren können.
Zwar erwartet die Higher Education Authority (www.hea.ie) von den Hochschulen ver-
stärkte Initiativen im Postgraduiertenbereich, doch können germanistische Abteilungen
solche Erwartungen in Anbetracht allgemein rückläufiger Zahlen zumindest kurzfristig
kaum erfüllen. An allen Universitäten werden germanistische Inhalte zusätzlich (meist
auf Englisch) innerhalb interdisziplinärer Studiengänge, etwa in den Bereichen Überset-
zungswissenschaft, Drama und Theater, Sprachlehr-/lernforschung oder Komparatistik,
vermittelt.
Nachdem irische Germanisten jahrzehntelang im Berufsverband der Conference of
University Teachers of German of Great Britain and Ireland organisiert waren, entwickelte
sich das Bedürfnis nach einer eigenständigen Organisation, die in den späten 1990er
Jahren zur Gründung der Association of Third Level Teachers of German in Ireland
(ATLTGI ) führte (s. www.germaninreland.ie). Dieser Verband entwickelt sich zur Fach-
1692 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

vertretung und zu einer Lobby im Bereich der modernen Fremdsprachen. Seit 2006 gibt
die Organisation das Jahrbuch Germanistik in Ireland heraus.
Die Zahl der Lehrenden ist wie die der Studierenden rückläufig. In den letzten Jahren
sind, vor allem auch aus Gründen der Mitteleinsparung, Universitäten umorganisiert
worden. Im derzeitigen Rezessions-Klima wird auf den Führungsetagen von Universitä-
ten durchaus laut über die Schließung universitärer Sprachenabteilungen nachgedacht.
Ein bleibendes Resultat sind größere Einheiten, in denen traditionelle Germanistikabtei-
lungen zum Teil ihre Budgetautorität und damit relative Unabhängigkeit an übergeord-
nete Schools abgeben mussten. Dies hat in vielen Fällen die Modernen Fremdsprachen
in eine multidisziplinäre Struktur eingeordnet, in der andererseits auch die Chance einer
verstärkten Kooperation zwischen den modernen Fremdsprachen und/oder mit der Mut-
tersprachenphilologie Englisch bzw. Irisch liegt.
DaF als Schwerpunkt existiert insbesondere an den Universitäten Cork, Maynooth
und Dublin (UCD). Beispielhaft seien die folgenden Publikationen genannt, um Schwer-
punktbildungen in der Forschung anzudeuten: An der Universität Cork wird SCENA-
RIO (http://scenario.ucc.ie) herausgegeben (Schewe und Even), eine bilinguale, referierte
Internet-Zeitschrift für Drama- und Theaterpädagogik in der Fremd- und Zweitspra-
chenvermittlung; im Peter Lang Verlag hat sich die Reihe Intercultural Studies and For-
eign Language Learning etabliert (Harden und Witte). Fasst man DaF weiter und ver-
steht die Disziplin als Fremdkultur-Wissenschaft, dann gehören auch kulturkontrastive
Arbeiten ganz direkt zu ihrem Forschungsbereich. Insbesondere am Centre for Irish-
German Studies an der Universität Limerick werden die kulturellen Verbindungen zwi-
schen beiden Ländern sowie die gegenseitigen Bilder, seien sie literarischer oder nicht-
literarischer Art, erforscht.
Zunehmend werden germanistische Inhalte auch auf Englisch unterrichtet bzw. basie-
rend auf Texten in englischer Übersetzung. Hier setzt die aktuelle Kontroverse an, ob
diese Entwicklung dem zentralen Aufgabenbereich der Germanistik, nämlich dem der
Vermittlung deutscher Sprache und fremdsprachlicher Kultur, dienlich ist oder ihn eher
unterminiert.

4. Ausblick

Die Rolle des Deutschen in Irland ist immer eng mit politischen und wirtschaftlichen
Entwicklungen verknüpft gewesen. Welche Folgen die gegenwärtige Finanzkrise für Ir-
land hat, ist kaum abzusehen. Es ist zu erwarten, dass das abrupte Ende des langjährigen
Wirtschaftsbooms im Jahre 2008 zu einer Neubewertung des Verhältnisses zwischen der
Republik Irland und der EU führen wird, nicht zuletzt als Folge einer voraussichtlich
wachsenden wirtschaftlichen und finanziellen Abhängigkeit von der EU. Schlimmsten-
falls wird man auch wieder mit erhöhter Auswanderung rechnen müssen. Aus einer mög-
lichen Rückbesinnung auf die traditionelle irische EU-Freundlichkeit könnte durchaus
auch wieder ein verstärktes Interesse an europäischen Fremdsprachen resultieren. Inwie-
fern davon der Deutschunterricht profitieren wird, hängt nicht zuletzt auch von wirt-
schaftlichen (und kulturellen) Entwicklungen in den deutschsprachigen Ländern ab.
200. Deutsch in Italien 1693

5. Literatur in Auswahl
Fischer, Joachim
2000 Das Deutschlandbild der Iren 1890⫺1939. Geschichte ⫺ Form ⫺ Funktion. Heidelberg:
Winter.
Fischer, Joachim
2003 The Eagle That Never Landed: Uses and Abuses of the German Language in Ireland.
In: Michael Cronin und Cormac Ó Cuilleanáin (Hg.), The Languages of Ireland, 93⫺111.
Dublin: Four Courts Press.
Kypker, Nicole
2004 Studienführer Großbritannien, Irland. 2. völlig überarb. Auflage. Bielefeld: Bertelsmann.
Schewe, Manfred und Susanne Even (Hg.)
SCENARIO ⫺ Zeitschrift für Drama- und Theaterpädagogik in der Fremd- und Zweitspra-
chenvermittlung. (http://scenario.ucc.ie).

Joachim Fischer, Manfred Schewe, Limerick/Cork (Irland)

200. Deutsch in Italien


1. Vorbemerkung
2. DaF im italienischen Bildungssystem
3. DaF-Lernende in Italien
4. Die italienische Germanistik
5. Nationale und internationale Vernetzungen
6. Literatur in Auswahl

1. Vorbemerkung
Der Italien-Beitrag der ersten Ausgabe dieses Werks (Ponti 2001) widerspiegelt eine Situ-
ation, die einem vergangenen Jahrhundert anzugehören scheint. In den letzten Jahren
haben sich enorme soziale Veränderungen ergeben, deren Ursachen u. a. in der kulturel-
len Globalisierung, im Internet, den Billigflügen, der weltweiten Finanzkrise zu suchen
sind. In Italien werden die Deutschen (von den Österreichern und Schweizern nicht immer
richtig auseinander gehalten) nicht mehr dem negativen Bild gemäß wahrgenommen,
das die geschichtlichen Ereignisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ins kollektive
Gedächtnis gespeichert hatten. Die deutschsprachigen Touristen, die regelmäßig die ita-
lienischen Kunststädte bevölkern, erscheinen heute als europäische Bürger, die effizient
handeln und kluge politische Leiter wählen. Eine gewisse Anziehungskraft üben zudem
deutsche Städte ⫺ vor allem Berlin und München ⫺ als Urlaubsziele für junge Italiener
aus: Im Zeitraum 1996⫺2005 soll sich die Anzahl der italienischen Touristen in Deutsch-
land um ein 139 % erhöht haben (Statistisches Bundesamt 2006: 34); auf historischer
Ebene lässt sich hiermit eine Gegentendenz verzeichnen: seit dem Mittelalter, als Kriegs-
1694 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

leute, Händler, Studenten und Abenteurer von einem Land ins andere zogen, wurde
überwiegend von Deutschland nach Italien gereist (Glück 2002: 245 u. 260). Die globale
Finanzkrise hat kulturpolitisch bewirkt, dass zunehmend weniger Geld in das italienische
Bildungssystem investiert wird. Parallel dazu erleiden Fachbereiche wie Fremdsprachen
und Philologien, die traditionell den Zugang zur Schulkarriere verschaffen, in den letzten
Jahren einen leichten, aber steten Zahlenrückgang.

2. DaF im italienischen Bildungssystem

Das Grundschema des italienischen Schulsystems ist seit 1963 folgendermaßen geglie-
dert:

Tab. 200.1: Schulsystem


Bezeichnung Dauer Alter der Schüler
Scuola primaria (Grundschule) 5 Jahre 6⫺11
Scuola secondaria di primo grado (Sekundärstufe I) 3 Jahre 11⫺14
Scuola secondaria di secondo grado (Sekundärstufe II) 5 Jahre 14⫺19

Das Diploma di Maturità (Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife) erlaubt seit 1968
freien Zugang zur Hochschulausbildung. Das Universitätssystem in Italien ist seit der
Hochschulreform 2001 auf die europaweit angeglichenen Studiengänge hin dreistufig ge-
staltet:

Tab. 200.2: Universitätssystem


Bezeichnung Dauer / Alternative Curricula
(Abschluss- Pflichtleistung
⫺ nach dem alten
qualifikation)
System ⫺
(I) Laurea 3 Jahre / Corso di Laurea a
180 ECTS ciclo unico
(II) Laurea Magistrale 2 Jahre / Master di I livello
120 ECTS
(III) Dottorato di Ricerca 3 Jahre Corso di Specializ- Master di II livello
zazione

Die Hochschulreform führte zur Etablierung des akademischen Fachs Lingua e Tradu-
zione Tedesca, d. h. der Deutschen Sprach- und Übersetzungswissenschaft. Diesem, nicht
dem literaturwissenschaftlichen Germanistikbereich, gehört seither der DaF-Bereich an.
Diese Entwicklung könnten die neuesten ministeriellen Richtlinien (vom 27. März 2009)
(Quelle: www.miur.it/0006Menu_C/0012Docume/0015Atti_M/7680Modali_cf2.htm.) auf
die Dauer wieder rückgängig machen.
Da das Promotionsstudium (Dottorato di ricerca) in Italien eine relativ neue Einrich-
tung darstellt (seit 1984), bilden die Promotionsstudiengänge der Germanistik bei 7,3 %
der Doktoranden im gesamten humanistischen Bereich bisher noch eine Art Nische in
200. Deutsch in Italien 1695

der Nische, die aber für die Bildungssituation des Fachs seit Jahren von zunehmender
Bedeutung werden wird (Matteocci 2008: 59).
Was die Lehrerausbildung angeht, wurde der erst 2000 eingeführte Lehramtsstudien-
gang (die Scuola di Specializzazione per l’Insegnamento Secondario) acht Jahre später
schon wieder abgeschafft. Ein derzeitiger Gesetzesentwurf (Proposta di legge Aprea
Nr. 953 vom 12. Mai 2008) (Quelle: http://new.camera.it/dati/leg16/lavori/stampati/
16pdl0001960.pdf.), der im Jahr 2011 verabschiedet werden soll, sieht einen spezifischen
Aufbaustudienkurs mit Magisterabschluss (Laurea Magistrale) vor.

3. DaF-Lernende in Italien
Nach Bekanntgabe des Auswärtigen Amts (Länderinformationen, Teiltext Italien) sind
nicht nur die politisch-wirtschaftlichen Verbindungen, sondern auch die kulturellen Be-
ziehungen zwischen Italien und Deutschland als gut fundiert anzusehen (Quelle:
www.auswaertiges-amt.de.). Letzteres zeigt sich auch durch die Präsenz der ⫺ traditions-
bedingt ⫺ weltweit höchsten Anzahl an von Deutschland geförderten kulturellen Institu-
tionen, darunter die derzeit sieben, in den fünfziger und frühen sechziger Jahren gegrün-
deten Goethe-Institute. In den Jahren 2007⫺2008 ist die Anzahl der Teilnehmenden an
ihren Deutschkursen stabil geblieben: ungefähr 5.500 (berechnet nach Angaben vom
Goethe-Institut 2009: 130). Nach aktuellen Angaben des Bildungsministeriums (Quelle:
http://pubblica.istruzione.it.) umfasst hingegen das schulische Bildungssystem ungefähr
400.000 Deutschlerner, was zeigt, dass die Deutschvermittlung in Italien vor allem hier
ihren Platz hat:

Tab. 200.3:
Grundschule Sekundärstufe I Sekundärstufe II total
2004 2008 2004 2008 2004 2008 2008
Deutsch 55.392 55.959 87.316 148.470 196.631 198.365 402.794
Englisch 2.660.299 2.901.541 1.599.428 1.723.615 2.399.043 2.584.617 7.209.773
Französisch 98.586 42.731 830.700 1.294.015 735.000 749.339 2.086.085
Spanisch 4.713 8.603 64.538 276.298 79.911 124.525 409.426

Die Verbreitung des schulischen Deutschunterrichts ist vorwiegend auf den Norden/
Nord-Osten konzentriert, mit Schwerpunktsetzung auf die Autonome Provinz Bozen-
Südtirol, in der Deutsch offizielle Amtssprache ist. Die derzeit insgesamt relative Stabili-
tät ist allerdings gewissen Gefahren ausgesetzt: Einerseits werden zunehmend neue
Fremdsprachen wie Arabisch und Chinesisch eingeführt und stellen sich neben das wei-
terhin beliebte Spanisch; andererseits erlaubt ein Ende 2007 verabschiedetes Gesetz, „po-
tenziertes“ Englisch als zweite schulische Fremdsprache anzurechnen.
Bei der Immatrikulation ist deshalb künftig mit einer größeren Zahl von Anfängern
der deutschen Sprache zu rechnen, während der tendenziell ansteigende Ausländeranteil
(der gegenwärtig 2,8 % der Studierenden ausmacht) (Matteocci 2008: 63) derzeit vor al-
lem fortgeschrittene Deutschlernende aus den osteuropäischen Ländern mit sich bringt.
Was allgemein die Geschlechterverteilung angeht, stellen im Sprachbereich die Studentin-
nen mit 82,4 % im Jahr 2006 die Mehrheit (Matteocci 2008: 42).
1696 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Obwohl die Deutschvermittlung ursprünglich eine vorwiegend berufsbezogene war


(Glück 2002: 259), hat sich die akademische Tradition seit Anfang des 20. Jahrhunderts
entschieden an den Humanistischen Fakultäten etabliert. Nach Angaben des Universi-
tätsnetzes Alma Mater (Quelle: http://statistiche. almalaurea.it.) wäre ungefähr die Hälfte
der AbsolventInnen des Germanistikstudiums gern im Ausbildungsbereich tätig, wobei
nur ein knappes Fünftel Aussicht auf eine Verwirklichung dieses Plans hat. Berufliche
Aussichten haben sie vor allem im Tourismusmanagement, im Industriebereich (Ge-
schäftskorrespondenz) und als Übersetzer und Konsulenten; nach dem jüngsten Bericht
des Istituto Nazionale di Statistica (2006: 18⫺19 u. 45⫺47) erhält derzeit insgesamt ca.
30 % der Studienabgänger innerhalb von drei Jahren eine Stelle.

4. Die italienische Germanistik


Die traditionsreiche literarische Germanistik, die mit dem DaF-Bereich einst eng verbun-
den war, sah ihre Hauptforschungsgebiete in der literarischen Übersetzung und philolo-
gischen Textarbeit, in Epochen- und Werkbeschreibungen, während gegenwärtig die Wie-
derherstellung des streng philologischen Ansatzes und die kulturwissenschaftliche Orien-
tierung als Haupttendenzen aufscheinen (Foschi Albert 2005: 169⫺172). Als 2001 an
den italienischen Universitäten systematisch Lehrstühle für Lingua e Traduzione Tedesca
geschaffen wurden, konnte die institutionell reglementierte wissenschaftliche Beschäfti-
gung mit der deutschen Sprache einen großen Aufschwung verzeichnen, der auch heute
noch anhält. Die Lehrstühle wurden anfänglich nicht nur von speziell ausgebildeten ger-
manistischen Linguisten, sondern oft auch von Vertretern der deutschen Literaturwissen-
schaft, der Deutsch-Italienischen Übersetzungswissenschaft, der älteren deutschen
Sprach- und Literaturwissenschaft wie der allgemeinen Linguistik eingenommen (Foschi
Albert 2005: 172⫺174). Die heutige italienische germanistische Linguistik passt zuneh-
mend ihre überlieferte Tätigkeit im DaF- und Übersetzungsbereich sowie ihre Beschäfti-
gung mit Grammatik und Texten den neuesten Erkenntnissen der sprachwissenschaftli-
chen Theorien an, fächert dabei ihre Forschungstätigkeit zunehmend auf und bezieht
auch nationalspezifische Fragestellungen mit ein. Neue Forschungsprojekte sind u. a. der
Korpuslinguistik und der kognitiven wie interkulturellen Linguistik gewidmet, wobei oft
eine deutsch-italienisch-kontrastive und/oder DaF-didaktisch zentrierte Perspektive ein-
gebracht wird (Hepp 2006: 349).

5. Nationale und internationale Vernetzungen


Auf das Jahr 1947 geht die Vertretung der Deutschlehrer Italiens im nationalen Verband
für Lehrer der modernen Fremdsprachen ANILS-Associazione Nazionale Insegnanti Lin-
gue Straniere zurück (www.anils.it). Seit 1996 ist die italienische Germanistik in einem
universitären Verband (AIG-Associazione Italiana di Germanistica) (www.humnet.uni-
pi.it/aig/) vertreten, der seit 2008 mit dem IDS (Institut für Deutsche Sprache) Mannheim
kooperiert. Die im italienischen DaF-Bereich Tätigen pflegen einen regen Austausch mit
Kollegen der deutschsprachigen Länder und mit weiteren Auslandsgermanistiken. Dies-
bezügliche feste Einrichtungen im Lande sind: a) der ERASMUS-Austausch auf Schü-
200. Deutsch in Italien 1697

ler-/Studenten- und auf Lehrer-/Dozentenebene; b) der Dozenten- und Lektorenaus-


tausch mit Unterstützung des DAAD und des italienischen Außenministeriums; c) inter-
nationale Fachtagungen, darunter die wissenschaftlichen Tagungen des AIG und die
sprachwissenschaftliche Tagung Deutsche Sprachwissenschaft in Italien in Rom (seit 2004)
(www.dswi.org) zu nennen. Zahlreiche weitere Tagungen werden an unterschiedlichen
Universitäten mit jeweils standortspezifischen Themenschwerpunkten veranstaltet.

6. Literatur in Auswahl
Foschi Albert, Marina
2005 „Andere Länder, andere Sitten“. Germanistik in Italien und ihr Verhältnis zur Inlandsger-
manistik. In: Deutsche Sprache 33: S. 169⫺181.
Glück, Helmut
2002 Deutsch als Fremdsprache in Europa vom Mittelalter bis zur Barockzeit. Berlin/New York:
Walter de Gruyter.
Goethe-Institut e.V. (Hg.)
2009 Jahrbuch 2008/2009. München.
Hepp, Marianne
2006 Vielfalt durch Austausch ⫺ Ein Ausblick. In: Marina Foschi Albert, Marianne Hepp und
Eva Neuland (Hg.), Texte in Sprachforschung und Sprachunterricht, S. 347⫺349. Mün-
chen: iudicium.
Istituto Nazionale di Statistica (Hg.)
2006 I laureati e il mercato di lavoro. Inserimento professionale dei laureati. Indagine 2004.
Roma. www.istat.it.
Matteocci, Giuliana (Hg.)
2008 L’Università in cifre 2007. Roma: Ministero della Pubblica Istruzione. http://www.pubblica.
istruzione.it.
Ponti, Donatella
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Italien. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.) Deutsch als Fremdsprache. Ein internationa-
les Handbuch, 1509⫺1515. Bd. 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissen-
schaft 19.1⫺2). Berlin/New York: Walter de Gruyter.
Statistisches Bundesamt (Hg.)
2006 Im Blickpunkt: Verkehr in Deutschland 2006. Wiesbaden. https://www-ec.destatis.de.

Marina Foschi Albert und Marianne Hepp, Pisa (Italien)


1698 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

201. Deutsch in Japan


1. Die deutsche Sprache und der Stand des Deutschunterrichts
2. Germanistikstudium und Deutschlehreraus- und -fortbildung
3. Neue Entwicklungen und Ausblick
4. Literatur in Auswahl

1. Die deutsche Sprache und der Stand des Deutschunterrichts


Deutschland spielte für Japan neben England, Frankreich und den USA nach der Öff-
nung des Landes 1868 für die Modernisierung eine führende Rolle. Als Beispiel kann das
japanische Justizwesen sowie die Ausbildung der Staatsbeamten genannt werden (vgl.
Miyanaga 1993; Kühn 2006). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Japan allein von den
USA besetzt, unter deren Einfluss der gesellschaftliche Aufbau erfolgte. Seitdem ist die
englische Sprache mit wenigen Ausnahmen fast die einzige Schulsprache.
Sprachen außer Englisch wurden und werden meistens an der Hochschule im Bereich
Allgemeinbildung als zweite Fremdsprache unterrichtet. Die meist angebotenen Sprachen
sind hier: Chinesisch, Deutsch, Französisch, Koreanisch, Spanisch und Russisch. Im
Zuge der Internationalisierung in den 1980er und 1990er Jahren werden zunehmend asi-
atische Sprachen gewählt, so dass heute Chinesisch die meist gewählte zweite Fremdspra-
che ist. Das neue Rahmengesetz für die Hochschulbildung schreibt seit 1991 die Ver-
pflichtung, eine Fremdsprache im Studium zu lernen, nicht mehr zwingend vor, und an
manchen Hochschulen ist die zweite Fremdsprache kein Pflichtfach mehr.
Mit fortschreitender Globalisierung wird allgemein Kritik an mangelnder Fremdspra-
chenbeherrschung und veralteter Methodik des Fremdsprachenunterrichts laut, was in
einer Förderung des Englischen und eine Konzentration auf den Englischunterricht mün-
det. Das Ministry of Education, Culture, Sports, Science and Technology (MEXT, ehe-
maliges Kultusministerium) fördert u. a. im tertiären Bereich eine Verstärkung des Fa-
ches Englisch sowie English for Specific Purposes. Mit der Reform der Lehrerbildung
sind neue Masterkurse für die Englischdidaktik an mehreren Hochschulen neu eingerich-
tet worden.
Die Zahl der Deutschlernenden sowie der Stundenumfang für Deutsch gingen an
vielen Hochschulen zurück. Diese Tendenz nimmt u. a. deshalb zu, weil die Aufnahme-
prüfung für den Masterkurs in vielen Fachbereichen nur eine Fremdsprache, oft Eng-
lisch, vorschreibt. Selbst im Jura-Studium setzt sie sich durch, auch deshalb, weil die seit
2004 eingeführte, berufsorientierte Law School, die mit dem Masterkurs vergleichbar ist
und auch Berufstätige besuchen können, fast nur Englisch als obligatorische Fremdspra-
che verlangt. In einzelnen Fachbereichen wie Chemie, Umwelt/Naturschutz, Stadtpla-
nung u. a. sowie bei Kunst und Musik oder Philosophie wird die deutsche Sprache weiter
neben Englisch gelernt (vgl. Hirataka 2007). In den Sozialwissenschaften und Internatio-
nalen Studien spielt Deutsch weiter eine wichtige Rolle, wie dies u. a. die Arbeiten des
2005 gegründeten Zentrums für Deutschland und Europastudien, Universität Tokyo, Ko-
maba (DESK) zeigen. Im Hinblick auf die Lage Ostasiens werden die Auseinanderset-
zung mit der Vergangenheit sowie die Annäherungspolitik Deutschlands und der Prozess
der europäischen Vereinigung in den Medien aufmerksam verfolgt.
201. Deutsch in Japan 1699

Im Sekundarbereich kann tendenziell ein wachsendes Interesse an der zweiten Fremd-


sprache, in der Regel als freies Wahlfach, beobachtet werden. Viele Oberschulen streben
mit dem Angebot der zweiten Fremdsprache die Internationalisierung des Curriculums
an. Manche unternehmen Schüleraustausch und/oder Klassenreisen ins Zielsprachen-
land, auch nach Deutschland.

2. Germanistikstudium und Deutschlehreraus- und -ortbildung

Da der Hauptort des Deutschunterrichts an der Hochschule war und ist, sind die Träger
des Deutschunterrichts ProfessorInnen, die sich meist als Literatur- oder Sprachwissen-
schaftlerInnen definieren. Die Studieninhalte der Germanistik im Master- und Doktor-
kurs sind entsprechend philologisch orientiert. Die Schwerpunkte liegen einerseits auf
traditionellen Dichterstudien und der Mediävistik. Anderseits werden kulturwissen-
schaftliche Themen wie Landschaftsdarstellungen, Reiseliteratur, Theater, Medien, Re-
zeption literarischer und ästhetischer Werke, Interkulturalität u. a. m. behandelt. In der
Linguistik werden neben sprachwissenschaftlichen Themen verschiedene Bereiche der So-
ziolinguistik, Korpuslinguistik, Kognitiven Linguistik u. a. zum Gegenstand gewählt. Im
Bereich der Interkulturellen Kommunikation sind linguistische Dialoganalysen relativ
verbreitet, während interdisziplinär angelegte, sozialpsychologische oder kommunikati-
onstheoretische Arbeiten im Vergleich zum englischen Bereich weniger vorkommen. Psy-
cholinguistik, Zweitspracherwerbsforschung und Bilingualismusforschung sind seltener
vertreten. Die Vielfalt des Arbeitsgebiets der heutigen Germanistik spiegelt das Organ
der Japanischen Gesellschaft für Germanistik (JGG) in jährlich mehrmals erscheinenden
Sammelbänden.
Der Begriff „DaF“ ist zwar etabliert, wird jedoch oft noch als ein Anwendungsbereich
von linguistischen Fachkenntnissen verstanden. Selten verfügen Lehrende über ein Lehr-
praktikum, nach dem bei der Einstellung kaum gefragt wird. Auf der anderen Seite gibt
es Versuche von an der Lehrqualifikation Interessierten, die Lehrerbildung zu verbessern.
Sie kooperieren sprachen- und/oder universitätsübergreifend. Beim sprachenübergreifen-
den Vorgehen erweist sich, wenn die traditionelle nationalsprachliche Einteilung instituti-
onell aufgehoben werden kann, die Zusammenarbeit mit der Englischdidaktik als hilf-
reich, wobei einige Fachbegriffe mit unterschiedlichen Definitionen, Schwerpunkten so-
wie der Stellenwert der „Kultur“ berücksichtigt werden müssen (Sugitani 2004). Seit
2003 bietet die JGG mit Unterstützung des Goethe-Instituts einen Fortbildungskurs auf
Semesterbasis an, der durch die Lernmöglichkeit per Internet in Ost- und Westjapan
unter jüngeren Germanisten Teilnehmende findet (vgl. http://www.dokkyo.net/~daf-
kurs/, 28. 11. 2008). Als Themen wurden 2008 u. a. Lehrmethodik, Lernstrategien, ko-
operatives Lernen/autonomes Lernen, Curriculum-Design gewählt. Der Gemeinsame Eu-
ropäische Referenzrahmen (vgl. Yoshijima et al. 2004) und der Plurilingualismus werden
einbezogen. Zunehmend wird der Einsatz von Neuen Medien (ICT) diskutiert und prak-
tiziert. Von einigen Mitgliedern der JGG werden Lernprogramme für japanische Studie-
rende entwickelt und im Internet frei zur Verfügung gestellt (vgl. Sakai 2004).
Für DaF/Sprachlehrforschung veranstaltet die JGG seit 1992 mit Unterstützung des
DAAD sowie des Goethe-Instituts jährlich ein Fachseminar mit ExpertInnen aus
Deutschland. Diskutierte Themen in den letzten Jahren waren z. B. Lernen mit alten und
1700 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

neuen Medien ⫺ Zur Entwicklung regionaler Lehrmaterialien und technologiegestützter


Konzepte (JGG 2005), Sprachprüfung und Sprachenpolitik (JGG 2007). Es gibt an einigen
wenigen Hochschulen, an denen DaF mit zunehmender Stundenzahl, ggf. als freies fakul-
tatives Fach, unterrichtet wird, Versuche, empirisch orientierte Forschungen zu entwi-
ckeln (vgl. Schart und Hoshii 2004).
Der Japanische Deutschlehrerverband (JDV), Suborganisation der JGG, gibt die Fach-
zeitschrift Der Deutschunterricht in Japan einmal pro Jahr heraus. Er spielt sowohl im
tertiären als auch im Sekundarbereich eine wichtige Rolle. Er gibt mit dem Verband der
Deutschlehrer an den Oberschulen in Japan, der 1988 gegründet und mit Unterstützung
des Goethe-Instituts eigene Fortbildungskurse veranstaltet, jährlich eine Stellungnahme
zu den Testaufgaben des National Center for University Entrance Examinations ab und
trägt damit trotz des Fehlens eines eigenen Lehrplans zur Optimierung des Standardtests
für die Aufnahmeprüfung bei.
In Bezug auf die Fortbildung der LehrerInnen an allgemeinen Schulen ist seit 2008
(Erlass des MEXT Nr. 51 vom 31. 3. 2008) ein Kursbesuch im Umfang von 30 Stunden
alle zehn Jahre vorgeschrieben; nach dem Regierungswechsel 2009 wird u. a. die Verlän-
gerung des Lehramtsstudiums um zwei Jahre diskutiert.

3. Neue Entwicklungen und Ausblick

Die problematische Lage der institutionalisierten Fremdsprachenbildung betrifft nicht


nur DaF, sondern auch andere Sprachen. Selbst für Englisch wird das Fehlen bildungs-
politischer Entscheidungen kritisiert, was z. B. kontroverse Diskussionen um den Früh-
beginn des Fremdsprachenunterrichts, landesweit fast nur Englisch, zeigen. Vor diesem
Hintergrund wurde die Japanese Association for Language Policy gegründet, in der zum
ersten Mal sprachenübergreifend, Japanisch als Zweit- und Fremdsprache einbegriffen,
gearbeitet wird. Durch die Kooperation mit anderen Sprachen entstehen neue Interessen
an Deutschland. Im Bereich der Sprachdidaktik interessiert bspw. die Konkretisierung
des GER in Profile deutsch (Glaboniat et al. 2005) die Bereiche Englisch und Japanisch.
Methodische Konzepte und textlinguistische Ansätze für den Aufbau der Sprachkompe-
tenz des Deutschen als Muttersprache finden Resonanz in der Curriculumdiskussion zum
Muttersprachenunterricht (vgl. MEXT: Shiryô, 12. 6. 2006; Sammori 1996). Darüber hi-
naus verfolgt man die Einwanderungspolitik sowie bildungspolitischen Verfahren in
Deutschland mit zunehmendem Interesse, weil es, anders als die USA u. a., ursprünglich
kein Einwanderungsland war und der Weg dorthin in der japanischen Gesellschaft heute
intensiv diskutiert wird.
Letztgenannte Beispiele sollen zeigen, dass mit dem gesellschaftlichen Wandel neue
Themen und Fachgebiete beim Deutschlernen Bedeutung gewinnen können. DaF als
Fach in der Allgemeinbildung nach Englisch kann in Zukunft mehr an der Oberschule
seinen Ort finden, während im Hochschulbereich seine Verankerung mit landeskundli-
chen Themen sowie dem Fachstudium gestärkt werden kann. Dafür sollte die Lehrerbil-
dung einerseits mit Englisch kooperativ, anderseits mit sachfachlichen Themen erweitert
und vertieft werden. Dies könnte eine neue Herausforderung sowie Chance für die Ger-
manistik in Japan darstellen.
201. Deutsch in Japan 1701

4. Literatur in Auswahl
Glaboniat, Manuela, Martin Müller, Paul Rusch, Helen Schmitz und Lukas Wertenschlag
2005 Profile deutsch. Berlin etc.: Langenscheidt.
Hirataka, Fumiya
2007 Plurilingualismus im Fremdsprachenunterricht und Chancen des Deutschunterrichts in
Japan. In: Japanische Gesellschaft für Germanistik (JGG) (Hg.), Neue Beiträge zur Ger-
manistik (Neue Beiträge). Bd. 6 (2): 103⫺114. Tokyo.
JGG (Hg.)
2005 Lernen mit alten und neuen Medien ⫺ Zur Entwicklung regionaler Lehrmaterialien und
technologiegestützter Konzepte. Neue Beiträge Bd. 4(4). Tokyo.
JGG (Hg.)
2007 Sprachprüfung und Sprachenpolitik. Neue Beiträge Bd. 6(2). Tokyo.
JGG (Hg.)
2007 Medien und Sprache. Neue Beiträge Bd. 6(4). Tokyo.
Kühn, Christine (Hg.)
2006 Deutsche Spuren in Japan. Ottrau: Schenk.
Miyanaga, Takashi
1993 Nichidoku-bunka-jinbutsu-kôryûshi [Geschichte des kultur- und Personenaustausches zwi-
schen Japan und Deutschland]. Tokyo: Sanshûsha.
Sakai, Kazumi
2004 Die Deutschlehrerausbildung in der informations- und kommunikationstechnologischen
Landschaft. In: JGG (Hg.), Neue Beiträge. Bd. 3(1): 111⫺122.
Sammori, Yurika
1996 Gengo gijutsu no taikei to shidônaiyô. [Language Arts ⫺ Ihre systematische Förderung].
Tokyo: Meiji-tosho.
Schart, Michael und Makiko Hoshii
2004 Die wissenschaftliche Disziplin Deutsch als Fremdsprache in Japan ⫺ Blick auf eine
Forschungslandschaft. In: Japanischer Deutschlehrerverband (Hg.), Deutschunterricht in
Japan 9: 4⫺20. Tokyo.
Sugitani, Masako
2004 Deutsch als eine zweite Fremdsprache nach Englisch ⫺ Zur Profilbildung in der Sprach-
lehrforschung in Japan. In: JGG (Hg.), Neue Beiträge Bd. 3(4): 57⫺72.
Yoshijima, Shigeru et al.
2004 Gaikokugono gakushû, kyôjû, hyôkano tameno yôroppa kyôtsûsanshôwaku (Überset-
zung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens). Tokyo: Goethe-Institut/Asahi
Verlag.

Masako Sugitani, Osaka (Japan)


1702 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

202. Deutsch in Kamerun


1. Die Entwicklung des Deutschunterrichts und der Germanistik seit der Kolonialzeit
2. Lehrwerke für den Deutschunterricht in Kamerun
3. Germanistik und Deutschlehrerausbildung an den Hochschulen
4. Perspektiven
5. Literatur in Auswahl

1. Die Entwicklung des Deutschunterrichts und der Germanistik


seit der Kolonialzeit
Die dreifache Kolonialisierung Kameruns durch die Deutschen, die Engländer und die
Franzosen hat in vielen Bereichen deutliche Spuren hinterlassen. Dies betrifft insbeson-
dere das Erziehungssystem und Bildungssystem, das sich weniger aufgrund von Bedürf-
nissen der kamerunischen Gesellschaft herausgebildet hat, sondern vielmehr die Perspek-
tivübernahme westeuropäischer Bildungsübernahme widerspiegelt. Dass Französisch
und Englisch als Amts- und Kommunikationssprachen gelten, hat ebenfalls mit der
Übernahme einer von kolonialen Interessen geleiteten Sprachenpolitik zu tun. Fonlon
(1976: 199) führt drei Merkmale an, die in Kamerun für eine Sprachenpolitik zugunsten
des Englischen und Französischen gesprochen haben: (a) Die Erfahrung nach dem Abzug
der Deutschen sollte nicht wiederholt werden, dass nämlich eine technisch und philoso-
phisch so entwickelte Sprache wie das Deutsche, ein Zugang zu Fortschritt und Kultur,
über Nacht wieder verschwindet. Die Eliminierung von Französisch und Englisch hätte
das Land etwa 40 Jahre zurückgeworfen; (b) die einheimischen Sprachen konnten die
Rolle der Kolonialsprachen im Hinblick auf die Modernisierung des Landes nicht über-
nehmen; (c) Englisch und Französisch hatten sich für ganz Afrika zu den Sprachen entwi-
ckelt, die für die weltweite Zusammenarbeit ebenso wie für die afrikanische Einheit un-
entbehrlich geworden waren.
Diese Position lässt nicht erkennen, dass irgendein Versuch unternommen wurde, ei-
nige der vielen Landessprachen (ca. 260) zu Kommunikationssprachen der rund 200
ethnischen Gruppen zu entwickeln. Anstelle einer besonderen Planung beschloss die erste
Regierung eine „Sprachenpolitik per Unterlassung“ (vgl. Pleines 1985) Vor dem Hinter-
grund des Vorausgegangenen kann zweifelsohne gesagt werden, dass die Aufnahme des
Fachs Deutsch als Fremdsprache in die Lehrpläne der Sekundarschulen und der Univer-
sitäten auch in der postkolonialen Ära ebenfalls in die Sprachenpolitik per Unterlassung
einzuordnen ist. Denn diese Aufnahme hängt mit der Übernahme des französischen
Schulsystems zusammen (vgl. Ngatcha 2002).
Für die Bundesrepublik Deutschland dagegen ordnet sich die Aufrechterhaltung und
Durchführung des Deutschunterrichts bzw. Germanistik an Schulen und Hochschulen
in Kamerun in den Kreis jener Bemühungen ein, die eigene kulturelle Präsenz zu sichern
und Sympathien für Deutschland zu gewinnen (vgl. Auswärtiges Amt 1985: 15). Aus
kulturellen und politischen Gründen werden also der Deutschunterricht und das Germa-
nistikstudium aufrechterhalten und sowohl von deutscher wie auch von kamerunischer
Seite getragen. Deutschland fördert den Deutschunterricht an Schulen finanziell und
personell durch die Entsendung von Fachberatern. Diese Experten für Unterricht ⫺ wie
202. Deutsch in Kamerun 1703

sie vom Goethe-Institut genannt werden ⫺ arbeiten Hand in Hand mit den einheimi-
schen Inspektoren, indem sie u. a. gemeinsam Fortbildungsseminare für DeutschlehrerIn-
nen veranstalten und an Schulen hospitieren. Seit 2007 werden Lehrmittelzentren in eini-
gen Großstädten eingerichtet, um dem Mangel an geeigneter aktueller Fachliteratur ent-
gegenzuwirken.
Aus kamerunischer Sicht liegt seit 1996 eine offizielle Stellungnahme zum Bereich der
Vermittlung und Aneignung der deutschen Sprache vor, die dem Erlass des Erziehungs-
ministeriums für das Curriculum für den Deutschunterricht an Sekundarschulen zu ent-
nehmen ist. Leitziel des Deutschunterrichts ist es, die Entfaltung der Persönlichkeit der
Lernenden zu fördern sowie kritisches Denken und Handeln zu unterstützen. Ferner
sollen auf der unterrichtlichen Ebene sprachliche, kognitive, affektive, (inter-)kulturelle
und psychomotorische Ziele angestrebt werden. Des Weiteren legt das Curriculum die zu
erwerbenden Kompetenzen in den jeweiligen Klassen, die Lerninhalte, die methodischen
Ansätze, die Testformate und die Bewertungskriterien in der Unter- und in der Ober-
stufe fest.
Derzeit lernen bei 1.200 LehrerInnen ca. 130.000 SchülerInnen ab der 9. Klasse
Deutsch. Auch am Goethe-Institut und an vielen Privatschulen sowie an den neulich
vom Goethe-Institut eingerichteten Sprachlernzentren in Douala und Bafoussam absol-
vieren ca. 2.500 TeilnehmerInnen Deutschkurse im Hinblick auf die Aufnahme bzw.
Fortsetzung des Studiums in Deutschland. Es ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach
mehr Deutschkursen steigt, da die Erteilung eines Visums zwecks der Familienzusam-
menführung u. a. mit dem Nachweis des Bestehens der Prüfung „Start Deutsch 1“ zu-
sammenhängt. Diese Zielgruppe stellt eine nicht zu vernachlässigende Klientel dar.

2. Lehrwerke ür den Deutschunterricht in Kamerun


Für die Vermittlung und Aneignung deutscher Sprache und Kultur wurden bis 1975
für Französisch sprechende Deutschschüler Lehrbücher (L’Allemand Facile, Collections
Deutschland etc.) an Kameruner Sekundarschulen eingesetzt, die Prinzipien der Gram-
matik-Übersetzungsmethode folgen. Für die 1980er Jahre wurde ein regionales Lehrwerk
(„Yao lernt Deutsch“) entwickelt, welches von der Konzeption her auf den Prinzipien
des audio-oralen Ansatzes fußte, bei dem Hören und Sprechen Vorrang vor den Fertig-
keiten Lesen und Schreiben haben. Doch aufgrund der geographischen Entfernung zum
Zielsprachenland und der Umwelt, in der die Schüler aufwachsen und die Sprache lernen,
stieß die vorgenommene Gewichtung der Fertigkeiten auf heftige Kritik (vgl. Ngatcha
1991). Dies mündete in den 1990er Jahren in die Entwicklung und Aufnahme des regio-
nalen Lehrwerkes „Ihr und Wir“, das Prinzipien des interkulturellen Ansatzes beachtet.
In sprachlicher Hinsicht strebt das Lehrwerk „Ihr und Wir“ die Entwicklung der Fertig-
keiten Leseverstehen, Schreiben, Sprechen und Übersetzen an. Ein größeres Gewicht
wird jedoch auf die Schulung von Schreiben und Leseverstehen gelegt, weil die Lernen-
den bei Prüfungen diese Kompetenzen an den Tag legen müssen. Unter der Schirmherr-
schaft des Goethe-Instituts wurde inzwischen eine Revision von „Ihr und Wir“ vorge-
nommen, das nun „Ihr und Wir Plus“ heißt und anstrebt, dass Themen und Fotos die
Schüler emotional mehr ansprechen. Der landeskundliche Teil wurde vollständig aktuali-
siert und erneuert. Das Lehrwerk will zum autonomen Arbeiten und zur Kreativität anre-
gen.
1704 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

3. Germanistik und Deutschlehrerausbildung an den Hochschulen


In den letzten zehn Jahren hat sich die Hochschullandschaft in Kamerun sehr verändert.
Denn zusätzlich zu der Universität zu Yaoundé I wurden fünf weitere Hochschulen in
Soa (bei Yaoundé), Douala, Dschang, Ngaoundéré und Maroua gegründet. Vier Hoch-
schulen bieten Germanistik an. Schätzungsweise beträgt die Zahl der Studierenden 1.153.
Was die Berufsfelder angeht, so streben 90 % der AbsolventInnen den Lehrberuf an,
können also an Sekundarschulen die deutsche Sprache und Kultur vermitteln. Die restli-
chen 10 % kommen bei Ämtern und Behörden unter, wo sie von den erworbenen
Deutschkenntnissen kaum Gebrauch machen. Zu den zentralen Schwerpunkten des Stu-
diums gehören Literaturwissenschaft (6 Professoren), Sprachwissenschaft (1 Professor),
Didaktik DaF (1 Professor) und Landeskunde (1 Professor); in denen auch die entspre-
chenden Forschungsschwerpunkte angesiedelt sind (vgl. exemplarisch Gomsu 2006;
Ngatcha 1991; Simo 2006; Sow 2003).
Als selbständige Sektion, in der Lehramtsstudierende für Deutsch ausgebildet werden,
existieren die Fremdsprachenabteilung an der Universität Yaounde I / Ecole Normale
Supérieure seit der Hochschulreform vom 1975 und eine andere an der Universität zu
Maroua / Ecole Normale Supérieure seit 2009. Davor oblag die Ausbildung von Deutsch-
lehrern der Englisch-Französisch-Abteilung der Ecole Normale Supérieure bzw. der Phi-
losophischen Fakultät der Universität. Was man unter „Ausbildung“ verstand, waren im
Grunde nur zwei bis vier Wochenstunden sprachliche Übungen im Nebenfach Deutsch
ohne großen Einfluss auf den Abschluss in den Hauptfächern. In den nun existierenden
Abteilungen werden DeutschlehrerInnen für die Unter- und Oberstufe der Sekundar-
schulen ausgebildet. Das neue Curriculum verfolgt konzeptionell das Ziel, den Lehramts-
aspiranten eine fachwissenschaftliche Ausbildung zu vermitteln und zugleich auf die Be-
rufspraxis vorzubereiten. Im Vergleich zu sprachwissenschaftlichen, literaturwissen-
schaftlichen und landeskundlichen Seminaren nimmt das Fach Didaktik/Methodik
Deutsch als Fremdsprache eine immer größere Stellung ein. Didaktik-/Methodiksemi-
nare werden durch Hospitationen an Schulen ergänzt, bei denen angehende Lehrer mit
der konkreten Unterrichtswirklichkeit konfrontiert werden.

4. Perspektiven
Neben dem Erwerb methodisch-didaktischen Wissens, dessen Reflexion sowie der Ent-
wicklung didaktischen Könnens muss sich der afrikanische Fremdsprachenlehrer seiner
aufklärerischen, gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein. Im Zuge der Demokrati-
sierung in den afrikanischen Ländern macht sich eine nie dagewesene, besorgniserre-
gende Intoleranz und Welle von Menschenrechtsverletzungen breit. Will der Lehrer die
Heranwachsenden dazu animieren, dem Zerfall der Gesellschaft nicht gleichgültig zuzu-
schauen, muss er selber eine ethnophobie- und diskriminierungsfreie Haltung seinen
Schülern gegenüber entwickeln. Demnach sollten stärker Interaktionsformen eingesetzt
werden, bei denen die Lernenden eine größere solidarische Kompetenz entwickeln. Denn
innerhalb von Gruppen kann man Probleme adäquater angehen und zu konsensfähige-
ren Lösungen kommen. Dies impliziert, dass der Lehrer den Mut haben muss, einen
Deutschunterricht zu erteilen, in dem schonungslos über gesellschaftliche Missstände ge-
sprochen wird, mit dem Ziel, nach Lösungsansätzen zu suchen.
203. Deutsch in Kanada 1705

5. Literatur in Auswahl
Auswärtiges Amt der Bundesregierung
1985 Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt. Bericht der Bundesregierung. Bonn.
Fonlon, Bernard
1976 The language problem in Cameroon: a historical perspective. In: David R. Smock and
Kwamena Bentsi-Enchill (Hg.), The Search for National Integration in Africa, 189⫺205.
London: MacMillan.
Goethe-Institut
2008 Ihr und Wir plus. München: Les Classiques Camerounais.
Gomsu, Joseph
2006 „Über lokale und allgemeine Bildung“: Georg Forster Projekt einer anderen Moderne.
Georg-Forster-Studien XI: 246⫺264.
Ngatcha, Alexis
1991 Inhalte und Methoden des Deutschunterrichts an Kameruner Sekundarschulen. Bestandsauf-
nahme und Möglichkeiten der interkulturellen Kommunikation. Hamburg: Verlag an der
Lottbeck.
Ngatcha, Alexis
2002 Der Deutschunterricht in Kamerun als Erbe des Kolonialismus und seine Funktion in der
postkolonialen Ära. Frankfurt a. M.: Lang.
Pleines, Jochen
1985 Sprachkonkurrenz und gesellschaftliche Planung. Das Erbe des Kolonialismus. (Osnabrü-
cker Beiträge zur Sprachtheorie 31). Osnabrück: Redaktion Obst.
Simo, David
2006 Suchen und Lernen als Wiedererinnern. Zur Problematik der Erfahrung des Fremden bei
Hubert Fichte. In: Leo Kreutzer und David Simo (Hg.), Weltengarten. Deutsch-Afrikani-
sches Jahrbuch für Interkulturelles Denken, 42⫺54. Hannover: Revonnah.
Sow, Alioune
2003 Entwicklungsoptionen der Goethe-Zeit. München: iudicium.

Alexis Ngatcha, Yaoundé (Kamerun)

203. Deutsch in Kanada


1. Rolle des Deutschen
2. Deutschunterricht und Deutschlehreraus- und -fortbildung
3. Germanistik und DaF
4. Tendenzen
5. Literatur in Auswahl

1. Rolle des Deutschen


In Kanada gibt es mit dem Englischen und Französischen zwei Amtssprachen. Aufgrund
der ungleich weiteren Verbreitung des Englischen wird die Fremdsprache Französisch in
besonderem Maße gefördert. Das Deutsche als Fremdsprache ist, wenn es angeboten
1706 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

wird, erst die zweite oder gar dritte Fremdsprache für kanadische Lernende. Es wird
jährlich von ca. 20.000 kanadischen Lernenden in Kindergärten, Primar- und Sekundar-
schulen sowie von ca. 17.000 Studierenden an Universitäten und Colleges gelernt und
steht damit nach Französisch und Spanisch auf Platz drei der meist gewählten Fremd-
sprachen.
Bislang ist Deutsch in Kanada auch als Heim- oder Alltagssprache noch eine der am
meisten verwendeten Sprachen; allerdings ist die Einwanderung aus deutschsprachigen
Ländern seit den 1960er Jahren rapide zurückgegangen. Der kanadische Census von
2006 hat ergeben, dass Deutsch nach den beiden Amtssprachen sowie Chinesisch und
Italienisch nur noch den fünften Platz unter den in Kanada verwendeten Sprachen ein-
nimmt. Zum Vergleich: Anfang der 1990er Jahre war es noch der dritte Platz. Tendenz
weiterhin fallend: Die deutschsprachigen Einwanderergruppen in Kanada verlieren kon-
tinuierlich Mitglieder; einfache demoskopische Hochrechnungen zeigen, dass dies weiter
anhalten wird. Deutsch als Erbsprache (heritage language) gehört damit zu den gefährde-
ten Sprachen, und zwar sowohl aufgrund der stark sinkenden Anzahl seiner Sprecher,
als auch aufgrund der Verteilung der deutschsprachigen Personen im Land: Es sind ins-
besondere die Religionsgemeinschaften der Hutterer und Mennoniten, die weiterhin die
deutsche Sprache pflegen, während in den Städten eine entgegen gesetzte Entwicklung
zu beobachten ist. Dort drohen mit dem Verschwinden deutschsprachiger Gruppierun-
gen eine reduzierte Sichtbarkeit und der Verlust der Lebendigkeit des Deutschen im mul-
tikulturellen Leben. Somit ist absehbar, dass die deutsche Sprache nicht mehr primär als
Erstsprache oder Erbsprache in Kanada angesehen werden kann; sie wird in Zukunft in
erster Linie eine Fremdsprache sein.

2. Deutschunterricht und Deutschlehreraus- und -ortbildung


Der schulische Unterricht des Deutschen erfolgt in Kanada mehrheitlich an Sekundar-
schulen. Die Sprachangebote an öffentlichen Schulen variieren von Provinz zu Provinz,
doch insgesamt lässt sich festhalten, dass der Deutschunterricht in erster Linie für Anfän-
ger (Niveaustufen A1 und A2) angeboten wird und als Wahlfach dann häufig in Konkur-
renz zu anderen Sprachen, Kunst und Musik steht. Daneben gibt es bilinguale Bildungs-
angebote an Schulen in den Provinzen Alberta und Manitoba. Neben den öffentlichen
Schulen bieten auch Privatschulen Deutschunterricht an; u. a. ca. 30 deutsche Sprach-
schulen (Saturdayschools). Vereinzelt wird Deutsch außerdem in playschools und Kinder-
gärten angeboten.
Die Lehrerausbildung für Deutsch umfasst in Kanada ein Bachelor-Studium sowie
eine (teils integrierte) pädagogische Ausbildung an einer Hochschule, die aus Praxis- und
Theorieeinheiten besteht und die je nach Provinz variiert. Mit der Einrichtung des Insti-
tute for Innovation in Second Language Education in der Provinz Alberta ist zudem jüngst
ein Schritt gemacht worden, der eine weitere Professionalisierung auch von DaF-Lehren-
den möglich machen könnte. Ein Graduiertenstudium der Germanistik ist für den Ein-
tritt in das Lehramt nicht erforderlich. Derzeit gibt es in Kanada insgesamt ca. 500
Deutschlehrende an privaten und öffentlichen Schulen, wobei diese sich hauptsächlich
auf die Provinzen Ontario, Alberta, British Columbia und Manitoba verteilen.
Die Lehrerfortbildung ist den einzelnen Lehrenden und ihrem Engagement überlas-
sen. Es existiert eine Reihe von Netzwerken, die zum Teil selbst mit geringen finanziellen
203. Deutsch in Kanada 1707

Mitteln sehr erfolgreich Seminare und Fortbildungen organisieren. Insbesondere durch


die pädagogische Verbindungsarbeit der Goethe-Institute und das Engagement der bei-
den Fachberater der ZfA ist es gelungen, kontinuierliche Fortbildungsarbeit und Mode-
ratorenaus- und -fortbildung zu leisten und zu unterstützen. Die seit 1997 existierende
Vereinigung kanadischer Deutschlehrender (CATG, Canadian Association of Teachers of
German) organisiert eine jährliche nationale Konferenz und gibt eine Zeitschrift für
Deutschlehrende heraus, die hauptsächlich vom Goethe-Institut finanziert wird (Forum
Deutsch). Daneben gibt es Deutschlehrerverbände in einzelnen Provinzen sowie den Ka-
nadischen Verband Deutscher Sprachschulen (KVDS), der jährliche Treffen zur Lehrer-
fortbildung im Osten und Westen Kanadas sowie regionale Fortbildungen organisiert.
Mit einer Mailingliste sowie Internetseiten und DaF-Materialsammlungen sind auch
neue Möglichkeiten zum kollegialen Austausch gegeben ⫺ im großflächigen Kanada ist
es z. T. erst so möglich geworden, Verbindungen zwischen Deutschlehrenden auch an
entlegenen und sehr weit voneinander entfernten Orten herzustellen.
Speziell für Lehrende an Colleges und Universitäten ist der kanadische Hochschulger-
manistenverband (CAUTG, Canadian Association of University Teachers of German) zu-
ständig. Er widmet sich hauptsächlich der Forschung und Vernetzung von GermanistIn-
nen, veranstaltet jedoch auch in Kooperation mit dem Goethe-Institut anlässlich seiner
jährlichen Tagungen regelmäßig Workshops zur Lehrerfortbildung.
Neben öffentlichen und privaten Schulen sind Colleges und Universitäten die größten
Anbieter des Deutschen als Fremdsprache. An den meisten Universitäten ist der Teilnah-
menachweis an Sprachenkursen für Studierende der Humanwissenschaften Pflicht, so
dass die Germanistik mehrheitlich Kurse für Studierende anbietet, die nicht Germanis-
tik studieren.

3. Germanistik und DaF


Der weitaus größte Teil der Einschreibungen in germanistischen Veranstaltungen entfällt
auf Sprachenkurse. Die Anzahl derjenigen, die Deutsch als Haupt- oder Nebenfach im
Bachelor-Studium studieren, ist dem gegenüber gering: 2007/08 waren das insgesamt
1050 Studierende an 31 Universitäten; 143 davon beendeten ihr Germanistikstudium mit
dem Grad des Bachelor im Jahr 2008.
Im Bereich des Graduiertenstudiums gab es 2007/08 insgesamt 136 eingeschriebene
Master- und PhD-Kandidatinnen und -Kandidaten an 11 kanadischen Universitäten.
Die tatsächlich vergebenen Abschlüsse entfielen seit 2002/03 auf jährlich zwischen 28 und
36 Master und 1⫺6 Doktorate.
Die Germanistik in Kanada ist damit insgesamt eine kleine akademische Disziplin,
die sich jedoch bislang erfolgreich auch in Krisensituationen hat behaupten können.
Dabei haben nicht alle Selbstbehauptungsversuche zu dauerhaften Änderungen geführt.
So hat sich etwa Wirtschaftsdeutsch als Hoffnungsträger zur Stabilisierung der Studie-
rendenzahlen im Fach Deutsch nicht behaupten können und ist heute deutlich weniger
verbreitet als noch vor der Jahrtausendwende. Kurse in Film und Literatur in englischer
Übersetzung hingegen haben sich im germanistischen Kursangebot in den letzten Jahren
an vielen Universitäten etabliert. Zum Kanon der Kursangebote im Bachelorstudium
gehört in Kanada ansonsten traditionell die Literatur (im Original); daneben gibt es
Kurse im Bereich (Angewandte) Linguistik.
1708 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Im Bereich der Graduiertenstudiengänge dominieren Veranstaltungen zur Literatur,


allerdings zunehmend ergänzt um Kurse in Film und Kulturwissenschaften sowie ange-
wandte Linguistik und DaF. Seit Ende der 1990er Jahre bietet man Lehrassistenten
(Graduate teaching assistants) an kanadischen Hochschulen auch vermehrt Kurse mit
den Schwerpunkten Fremdsprachenerwerb und Unterrichtsmethodik an. An den Univer-
sitäten von Alberta und Waterloo stehen auch weitere Kurse in DaF/Angewandter Lin-
guistk zur Auswahl. Dort ist ein Graduiertenstudium mit Schwerpunkt Literatur/Film
oder Linguistik/DaF möglich. Studierende können sowohl Masterarbeiten als auch Dis-
sertationen zu einem der beiden Bereiche verfassen.
Diese Tendenz zeichnet sich im Bereich der germanistischen Forschung noch deutli-
cher ab. Hier sind neben der traditionellen Literaturwissenschaft vermehrt Forschungs-
schwerpunkte in den Bereichen Kultur und Film sowie Angewandte Linguistik anzutref-
fen. Während in der von der CAUTG vier Mal jährlich herausgegebenen Zeitschrift
Seminar nahezu ausschließlich literatur- und filmwissenschaftliche, aber selten linguisti-
sche Beiträge veröffentlicht werden (die Zusendung didaktischer Beiträge ist explizit aus-
geschlossen), zeigt das Programm der CAUTG-Tagungen schon ein anderes Bild: 2008
etwa lagen 75 % der Präsentationen im Bereich Literatur/Kultur/Film, 25 % im Bereich
DaF/Angewandte Linguistik.

4. Tendenzen

Die größte Herausforderung ist weiterhin der Erhalt der Relevanz des Deutschen in
Kanada. Der derzeitige Übergang von Deutsch als Einwanderersprache zum Deutschen
als Fremdsprache birgt dabei Gefahren, eröffnet aber auch Chancen. Neben den traditio-
nellen privaten und öffentlichen Bildungsträgern engagieren sich weitere Einrichtungen
in der Verbreitung und Pflege von Kultur und Sprache deutschsprachiger Länder. Aktiv
an der Entwicklung eines möglichst regen inter- und transkulturellen Austauschs beteiligt
sind v. a. die Goethe-Institute Toronto, Montreal und Ottawa, das u. a. mit Hilfe des
DAAD geförderte Canadian Centre for German and European Studies an den Universitä-
ten York und Montréal, das Institute for European Studies an der Universität British
Columbia sowie das seit 2004 bestehende Waterloo Centre for German Studies. Von der
Kooperation und dem Engagement all dieser Beteiligten wird es abhängen, ob es gelingt,
das Interesse am Deutschen als einer lebendigen modernen Sprache sowohl zu erhalten
als auch zu wecken.

5. Literatur in Auswahl

Prokop, Manfred
2005 DaF an kanadischen Schulen und Hochschulen. Jahrbuch für Internationale Germanistik
37: 63⫺82.
Prokop, Manfred
2008 The dynamics of German language maintenance in Canada. Forum Deutsch 16, Ms., 78 S.
(http://www.forumdeutsch.ca/) (Zugriff am 30. 12. 2009).
204. Deutsch in Kolumbien 1709

Prokop, Manfred und Britta Hufeisen


2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Kanada. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici und Hans-Jürgern Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internatio-
nales Handbuch, 1431⫺1438. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikations-
wissenschaft 19.1⫺2). Berlin/New York: Gruyter.
Plews, John
2007 The core, the outside, and the borders: A critical curriculum history of postsecondary
German in Canada. In: Christoph Lorey, John Plews und Caroline L. Rieger (Hg.), Inter-
kulturelle Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht. Intercultural Literacies and German
in the Classroom. Festschrift für Manfred Prokop, 1⫺29. Tübingen: Narr.
Rollmann, Marcella
2008 CAUTG Enrolment Report 2007⫺8. (http://www.cautg.ca) (Zugriff am 30. 12. 2009).
Statistics Canada
2007 Census 2006. (http://www.statcan.ca/start.html) (Zugriff am 30. 12. 2009).

Barbara Schmenk, Waterloo (Kanada)

204. Deutsch in Kolumbien


1. Einleitung
2. Deutsch lernen und lehren in Kolumbien
3. Fortbildung und Bildungskooperation
4. Tendenzen und Aufgaben
5. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
„Englisch ist unangefochten erste Fremdsprache in Lateinamerika. Allerdings besteht
eine hohe Bereitschaft, kulturelle Angebote aus dem europäischen Raum anzunehmen.
[…] Dadurch erklärt sich eine vergleichsweise gute Position für die deutsche Sprache.“
Diese Feststellung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland (2010) be-
sitzt auch für Kolumbien volle Gültigkeit. Die positive Haltung gegenüber „dem Deut-
schen“ in Kolumbien geht jedoch im Gegensatz zu anderen Ländern Lateinamerikas
nicht auf einen nennenswerten Einfluss deutschsprachiger Einwanderer zurück. Nach
Harnisch und Sagawe (2003: 296) gilt Kolumbien „sowohl aus historischer, als auch
aktueller politischer, wirtschaftlicher und sozialer Perspektive nicht als Einwanderungs-
land“. Obwohl also der Einfluss von Migranten quantitativ nahezu unbedeutend war
und ist, gibt es eine lange Tradition kultureller, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher
Kontakte zwischen Kolumbien und den deutschsprachigen Ländern, die die Entwicklung
Kolumbiens in verschiedenen Bereichen entscheidend beeinflusst haben (Báez Osorio
2004; Biermann Stolle 2001; Hofer 2000; Tapias Ospina 1993).
1710 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

2. Deutsch lernen und lehren in Kolumbien

2.1. Deutschunterricht an Schulen

Die vier deutschen Auslandsschulen (Bogotá, Barranquilla, Cali, Medellı́n) und das Cole-
gio Helvetia, eine von weltweit 17 Schweizer Schulen im Ausland, stellen mit etwa 5000
Schüler/innen rund 85 % der Deutschlerner an Schulen in Kolumbien. Diese Schulen
gelten in Kolumbien als qualitativ sehr hochrangig und werden vorwiegend von Kindern
der wirtschaftlichen und intellektuellen Elite des Landes besucht. Neben der kolumbiani-
schen Hochschulreife verleihen sie auch international gültige Abschlüsse. Besonders für
Abgänger dieser deutschsprachigen Schulen steht außerdem eine Berufsausbildung nach
dem Dualen System an dem eng mit deutschen Firmen zusammen arbeitenden Kaufmän-
nischen Berufsbildungsinstitut ICAFT (Instituto Colombo-Alemán para la Formación Tec-
nológica) offen.
Außer den fünf Auslandsschulen bieten laut StADaF-Erhebung von 2005 weitere elf
Schulen im Land Deutschunterricht an, darunter noch andere mehrsprachige Eliteschu-
len. Erwähnenswert sind auch die staatlichen INEM-Schulen (Instituto Nacional de Edu-
cación Media) in verschiedenen Städten, die 1972 aufgrund der Zusammenarbeit mit
der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und dem Goethe-Institut Deutschunterricht
einführten und ihn teilweise trotz ungünstiger fremdsprachenpolitischer Regelungen und
schulinterner Schwierigkeiten aufrecht erhalten konnten. Ein wesentlicher Grund dafür,
dass sich der Deutschunterricht an kolumbianischen Schulen bisher nicht stärker durch-
setzen konnte, war und ist der Mangel an qualifizierten Deutschlehrern. Wichtig ⫺ nicht
nur für Deutsch ⫺ war in diesem Sinne in den 1980er und 1990er Jahren die Fortbil-
dungs- und Beratungstätigkeit des Pädagogischen Zentrums Bogotá. In den 1990er Jah-
ren war es das Fortbildungszentrum für 5 Länder der Region.

2.2. Deutsch als Studienach

Vor allem den Bestrebungen deutscher Institutionen und kolumbianischer Geisteswissen-


schaftler ist die Einrichtung eines deutschen Zweiges im neustrukturierten Studiengang
Philologie und Fremdsprachen an der Nationaluniversität Kolumbiens im Jahr 1989 zu
verdanken. Durch einen deutlichen Anstieg der Absolventenzahlen seit 2005 zählt dieser
Studiengang inzwischen etwa 150 Absolvent/innen, von denen ein Großteil als Deutsch-
lehrer/in tätig ist. Das Studium führt zu dem Abschluss Licenciado en Filologı́a e Idiomas,
was in Kolumbien einer Lehrbefähigung entspricht. Der geringe Anteil pädagogisch-
didaktischer Inhalte verrät allerdings, dass der Studiengang aus der philologischen Tradi-
tion der Universität entstanden ist: Rund 30 % der Pflichtkurse fallen in den Bereich
Spanisch und Sprachwissenschaft, den weitaus größten Anteil der germanistischen Fä-
cher stellt der Sprachunterricht (einschließlich Übersetzen). Dazu kommen Kurse zur
Linguistik der deutschen Sprache, Literatur/Landeskunde, Didaktik (einschließlich
Praktikum) und Forschungsmethodik (einschließlich Examensarbeit). Dieser Studien-
plan erfuhr 2009 wesentliche Veränderungen, deren Ziel die Stärkung der fremdsprachen-
didaktischen Komponente war. Ein deutscher Zweig besteht auch in einem Ergänzungs-
studiengang Übersetzen an derselben Universität. Es erfolgt allerdings keine regelmäßige
Immatrikulation neuer Studierender.
204. Deutsch in Kolumbien 1711

Neben dem Deutschstudiengang an der Nationaluniversität Kolumbiens wird an der


bedeutendsten Privatuniversität des Landes, der Universidad de los Andes, ebenfalls in
Bogotá im Rahmen des Studienganges Lenguajes y Estudios Socioculturales (Sprachen
und soziokulturelle Studien) das Schwerpunktfach Deutsch angeboten. Die Studierenden
können zwischen dem kulturwissenschaftlichen und dem fremdsprachendidaktischen
Profil wählen, wobei aber für das didaktische Profil keine speziellen Kurse auf Deutsch
angeboten werden. Der Studienabschluss Profesional en Lenguajes y Estudios Sociocultu-
rales ermöglicht ein breites Berufsprofil und entspricht einem geisteswissenschaftlichen
Grundlagenstudium.

2.3. Deutschunterricht im Erwachsenenbereich

Zu diesem Bereich zählen die etwa 40 Universitäten, an denen Deutsch im Rahmen von
Wahlpflicht- oder fakultativen Kursen für Hörer aller Fakultäten bzw. auch freie Kurse
für Interessenten von außerhalb der Hochschulen angeboten werden. Die StADaF-Erhe-
bung von 2005 zählte über 2100 Deutschlerner/innen in solchen Kursen. Die Tendenz ist
hier steigend, was auch in Kolumbien im Zusammenhang mit den „zunehmend häufige-
ren bilateralen Verträgen zwischen südamerikanischen und deutschen Universitäten“ zu
sehen ist (Dietrich 2007: 10). Zu den universitären Angeboten kommen Deutschkurse an
etwa 30 Sprachinstituten mit insgesamt ca. 1400 Kursteilnehmern (StADaF 2005⫺2006).
Die Zahl der Einschreibungen am Goethe-Institut Bogotá, das seit 1957 hier die führende
Rolle spielt, stieg von 2005 bis 2009 um mehr als 35 %. Eine besondere Stellung nehmen
auch die drei Kulturgesellschaften in Medellı́n, Cali und Cartagena ein, die vom bundes-
deutschen Auswärtigen Amt und vom Goethe-Institut finanziell und akademisch unter-
stützt werden.

3. Fortbildung und Bildungskooperation


Viele Deutschlerner brauchen die Sprache zum Studieren, für wissenschaftliche oder ge-
schäftliche Kontakte. Die Zahl der Kolumbianer/innen, die an einer deutschen Hoch-
schule eingeschrieben waren, stieg nach Informationen des DAAD in Kolumbien von
544 (2000/2001) auf 1261 Studierende im Wintersemester 2006/2007. Der somit erforder-
liche qualitativ hochwertige und effektive Deutschunterricht stellt an die Aus- und Fort-
bildung von Deutschlehrern hohe Anforderungen. Entscheidende Impulse werden hierbei
von der Stärkung der Forschung und der Entwicklung postgradualer Studienangebote
ausgehen.
Der DAAD und das Goethe-Institut sind neben den schon genannten Universitäten
und dem seit 2000 existierenden Kolumbianischen Deutschlehrerverband (APAC ⫺ Aso-
ciación de Profesores de Alemán en Colombia) die wichtigsten Akteure bei der Erfüllung
dieser Aufgaben. Der DAAD hat in den letzten Jahren seine Präsenz in Kolumbien kon-
tinuierlich ausgebaut. Das Lektorat in Bogotá, das von Anfang an eine wesentliche
Stütze des Studienganges Deutsch an der Nationaluniversität ist, wurde 2005 in ein
DAAD-Informationszentrum umgewandelt. Durch verschiedene neue Programme, teil-
weise in Kooperation mit kolumbianischen Institutionen, können wesentlich mehr Sti-
1712 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

pendien vergeben werden. Im August 2007 nahm ein Lektorat an der Universidad de
Antioquia in Medellı́n seine Arbeit auf, dessen Ziel die Einrichtung des binationalen Mas-
ter-Studienganges „Interkulturelle Sprachwissenschaft ⫺ Deutsch als Fremdsprache“ mit
der Pädagogischen Hochschule Freiburg ist. Im August 2008 kam noch ein drittes
DAAD-Lektorat an der Universidad del Valle in Cali hinzu. Dort ist ein interdisziplinärer
Masterstudiengang „Europastudien“ mit dem Schwerpunkt Deutschlandstudien geplant.

4. Tendenzen und Augaben


Neben den vielfältigen Initiativen der genannten Institutionen wären längerfristige, mit
allen Akteuren in Kolumbien abgestimmte Strukturentwicklungspläne für Deutsch als
Fremdsprache im Land erforderlich, um die folgenden Aufgaben zu erfüllen:
⫺ Verankerung des Deutschunterrichts an weiteren Institutionen und Qualitätssiche-
rung
⫺ landesweite Koordination bei der Planung grundständiger und postgradualer Studien-
angebote in curricularer, finanzieller und personeller Hinsicht
⫺ zielgerichtete Fortbildungen und Erhöhung ihrer Nachhaltigkeit
⫺ Aufbau solider Forschungslinien
⫺ Verstärkung des regionalen und internationalen Austausches
Die schon jetzt ständig wachsende Gruppe gut ausgebildeter und erfahrener DaF-Lehrer/
innen und die oben erwähnten Absprachen werden entscheidend zur weiteren Stärkung
der Position von Deutsch als Fremdsprache in Kolumbien beitragen.

5. Literatur in Auswahl
Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland
2010 Die Verbreitung und Förderung der deutschen Sprache in Lateinamerika (Stand 23. 2.
2010). http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/
Lateinamerika/DtSprache.html (18. 5. 2010).
Báez Osorio, Myriam
2004 Las Escuelas Normales de Varones del siglo XIX en Colombia. Revista Historia de la
Educación Latinoamericana, Vol. 6: 179⫺208.
Biermann Stolle, Enrique
2001 Distantes y distintos. Los emigrantes alemanes en Colombia 1939⫺194, 26⫺42. Bogotá:
Universidad Nacional de Colombia.
Dietrich, Eduard Georg
2007 Qualität versus Quantität? Ein Beitrag zur Sprachpolitik des Goethe-Instituts in Südame-
rika. DaF-Brücke. Zeitschrift der Deutschlehrer und Deutschlehrerinnen in Lateinamerika,
Nr. 9: 10⫺12.
Goethe-Institut
2005⫺2009 Jahrbücher. http://www.goethe.de/uun/pub/deindex.htm (18. 5. 2010).
Harnisch, Astrid und Thorsten Sagawe
2003 Kolumbien. In: Wolfgang Gieler (Hg.), Handbuch der Ausländer- und Zuwanderungspoli-
tik: Von Afghanistan bis Zypern, 295⫺299. Berlin u. a.: LIT-Verlag.
205. Deutsch in Korea 1713

Hofer, Andreas
2000 Karl Heinrich Brunner und die Rolle des Europäischen Städtebaus in Lateinamerika in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dissertation. Technische Universität Wien.
Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache (Hg.)
2006 Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2005. Berlin/Bonn/Köln/München:
Auswärtiges Amt, DAAD, Goethe-Institut, Zentralstelle für das Auslandsschulwesen.
Tapias Ospina, Claudia (Hg.)
1993 Presencia Alemana en Colombia. Bogotá: Mayr & Cabal.

Alfonso Mejı́a, Bogotá (Kolumbien)/Bielefeld (Deutschland)


Antje Rüger, Bogotá (Kolumbien)/Leipzig (Deutschland)

205. Deutsch in Korea


1. Die Rolle des Deutschen in Korea
2. Die Träger des Deutschunterrichts und der Deutschlehreraus- und -fortbildung
3. Wichtige Schwerpunkte der Forschung
4. Chancen und Probleme
5. Literatur in Auswahl

1. Die Rolle des Deutschen in Korea


Deutsch war noch in den 1980er Jahren die zweitwichtigste Fremdsprache nach Englisch,
bis Anfang der 1990er Jahre die Nachfrage nach den Sprachen der Nachbarländer Ko-
reas, d. h. Chinesisch und Japanisch, erheblich wuchs. Die 1995 vom Erziehungsministe-
rium durchgeführten Bildungsreformen beschleunigten die Schrumpfung der Zahl der
Deutschlernenden. Im Zuge der Globalisierung, die in Korea generell als Dominanz des
Englischen als Lingua Franca verstanden wird, verliert das Deutsche als zweite Fremd-
sprache immer mehr an Bedeutung. Für Schüler und Studierende scheint Deutsch, das
vor allem zu den schwer zu erlernenden Sprachen zählt, heutzutage keine Verwertbarkeit
zu haben. Die Schuld an der mangelnden Attraktivität der deutschen Sprache wird nicht
selten den deutschen Unternehmen in Korea zugewiesen, die beim Einstellungsverfahren
die Bewerber mit sehr guten Englischkenntnissen bevorzugen, wobei (sehr) gute Deutsch-
kenntnisse kaum eine Rolle spielen (vgl. Menke 2006: 36).

2. Die Träger des Deutschunterrichts und der Deutschlehreraus-


und -ortbildung
In Korea hat man verschiedene Möglichkeiten, die deutsche Sprache zu lernen. Es gibt
dafür öffentliche Institutionen wie Mittelschulen (middle schools), Oberschulen (high
schools) und Universitäten und private Lehreinrichtungen wie das Goethe-Institut und
1714 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

einige private Sprachenschulen. Neben diesen Institutionen wird auch ein Radio- und
Fernsehsprachprogramm von einem staatlichen Rundfunk (Educational Broadcasting
System EBS) veranstaltet.

2.1. Deutschunterricht an Schulen

Seit dem Jahre 2000 können die Mittelschüler eine zweite Fremdsprache als Wahlfach
auswählen. Aber an den tatsächlich ausgewählten Wahlfächern ist der fremdsprachliche
Anteil sehr gering (von ca. 2,8 bis 4,6 %), wobei der deutsche Anteil nicht nennenswert
ist.
An Oberschulen ist eine zweite Fremdsprache ein Pflichtfach. Allerdings entscheidet
der Schuldirektor, welche Sprachen an seiner Schule unterrichtet werden ⫺ in der Tat
werden häufig Chinesisch und Japanisch gewählt. Die Zahl der Deutschlernenden an
Oberschulen wird von Jahr zu Jahr immer weniger, so dass Deutsch von den vier am
häufigsten gelernten zweiten Fremdsprachen (Deutsch, Französisch, Chinesisch, Japa-
nisch) inzwischen am seltensten gelernt wird. 1999 waren die Zahlen der Deutschlernen-
den an Oberschulen 397.424, 2001 256.759, 2003 57.742 und 2008 21.004 (Center for
Education Statistics http://cesi.kedi.re.kr/index.jsp).
Dem Unterricht der zweiten Fremdsprachen werden durchschnittlich nur noch 2 Wo-
chenstunden für den Zeitraum von 2 bis 4 Schulhalbjahren zugeteilt. Langsam hat sich
im schulischen Deutschuntericht die kommunikative Methode durchgesetzt. Heute zielen
die Deutschlehrenden vor allem darauf, dass sich die Schüler aus eigenem Interesse mit
der deutschen Sprache und Kultur beschäftigen.
Die Fremdsprachenoberschulen, an denen Deutsch angeboten wird, verfügen über
MuttersprachlerInnen, die für Konversationskurse zuständig sind. Noch vor dem Schul-
abschuss erreichen viele Schüler mit Hauptfach Deutsch das Niveau B1 des europäischen
Referenzrahmens.

2.2. Deutsch an Universitäten in Korea

An koreanischen Universitäten wird nach dem amerikanischen Vorbild ein verschultes


vierjähriges Studium angeboten. Alle Studierenden müssen eine bestimmte Anzahl der
Credits jeweils im Fachstudium und in der Allgemeinbildung (Studium Generale) erwer-
ben. Deutschkurse gibt es sowohl im Rahmen des Fachstudiums Germanistik/Deutsch
als auch im Rahmen der Allgemeinbildung.
Die Ziele der allgemein bildenden Deutschkurse sind nicht einheitlich festgelegt und
von Universität zu Universität verschieden. Immer mehr Kursteilnehmer planen Aufent-
halte in einem deutschsprachigen Land, sei es als Rucksacktourist oder sei es für ein
Studium in absehbarer Zukunft. Die stärksten Interessentengruppen sind Studierende
aus den Fachbereichen Jura, Philosophie und Musik.
Seit den Bildungsreformen 1995 sinkt die Zahl der germanistischen Abteilungen und
dementsprechend die der Germanisten. Die sprachpraktische Ausbildung ist ein wichti-
ger Bestandteil des Fachstudiums, zumal die meisten Erstsemester faktisch über keine
Deutschkenntnisse verfügen. Integrativer Deutschunterricht scheint schwer zu verwirkli-
205. Deutsch in Korea 1715

chen zu sein. So gibt es z. B. Grammatikkurse, Konversationskurse und Lesekurse, aber


keine integrativen Deutschkurse.

Tab. 205.1: Zahl der germanistischen Abteilungen und Germanistikstudierenden


Germanistische Abteilungen Germanistikstudierende
1990 72 15.992
1996 72 13.750
2002 69 6.329
2008 65 8.046
(Quelle: Center for Education Statistics http://cesi.kedi.re.kr/index.jsp)

2.3. Aus- und Fortbildung von Deutschlehrenden

Es gibt in Korea 7 Abteilungen, in denen man Deutsch für das Lehramt studieren kann.
Die Lehramtsstudierenden mit Hauptfach Deutsch müssen eine bestimmte Anzahl von
Credits in den Bereichen Pädagogik und Fachdidaktik erwerben und im 7. Semester ein
fünfwöchiges Praktikum absolvieren. Bei der sinkenden Attraktivität von Deutsch als
zweiter Fremdsprache und einem rapiden Schülerrückgang werden seit über 10 Jahren
kaum noch ganze Stellen an öffentlichen Oberschulen ausgeschrieben.
Die Fortbildungen für Deutschlehrende werden vom Goethe-Institut und vom Erzie-
hungsministerium zusammen veranstaltet. Es geht in erster Linie um die Verbesserung
der Sprachfertigkeiten und den Erwerb landeskundlichen Wissens. Darüber hinaus gibt
es Seminare zu Methodik und Didaktik für den Deutschunterricht.

3. Wichtige Schwerpunkte der Forschung

Die Krise der koreanischen Germanistik führt zu einem Boom der Forschung. Die
Schwerpunkte lassen sich in den folgenden vier Kategorien zusammenfassen:
(1) Konzepte für die sprachpraktische Ausbildung: Es werden innovative Unterrichts-
methoden wie z. B. Einsatz von neuen Medien, Verbindung von Sprache und Kultur
im Deutschunterricht, Projektunterricht mithilfe eines E-Mail-Tandemkurses usw.
angewendet.
(2) Vermittlung der Landes- und Kulturkunde: Das Germanistikstudium, das traditio-
nell stark von der Literatur- und Sprachwissenschaft dominiert war, wird zuneh-
mend um die Bereiche Landeskunde bzw. German Studies erweitert.
(3) Interdiszipliäre bzw. fächerübergreifende Forschung: In der Literaturwissenschaft
ist man besonders auf die Bezugswissenschaften wie Medienwissenschaft, Mytholo-
gie und Gender Studies aufmerksam geworden. In der Sprachwissenschaft werden
Mediensprache, Werbesprache, Textanalyse, Gesprächsanalyse, Kontrastive Stu-
dien, Übersetzungsprobleme usw. thematisiert.
(4) Curriculare Entwicklung in Hinsicht auf die interkulturelle Kommunikation: Durch
einen stärkeren Zuzug von ausländischen Arbeitnehmern und deren Familienange-
1716 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

hörigen in Korea ist die Diskussion um das harmonische Zusammenleben aktuell


geworden. So sind die Themen interkulturelle Erziehung und interkulturelle Kom-
munikation bedeutsam geworden.

4. Chancen und Probleme


Die schrumpfende Zahl der Deutschlernenden und Germanistikstudierenden wird wie
schon erwähnt überall als Krise betrachtet. Dagegen werden Stimmen auch lauter, diese
Krise als Chance wahrzunehmen. Es gibt folgende Vorschläge:
⫺ über die Identität der koreanischen Germanistik als Auslandsgermanistik nachzuden-
ken,
⫺ regionenspezifische Konzepte für Deutsch als Fremdsprache zu entwickeln,
⫺ bei der Lehre und Forschung die Qualität über die Quantität zu setzen.

5. Literatur in Auswahl
Ammon, Ulrich und Si-Ho Chong (Hg.)
2003 Die deutsche Sprache in Korea. Geschichte und Gegenwart. München: iudicium.
Korean Educational Development Institute and Ministry of Education
2008 Statistical Yearbook of Education. Seoul.
Lie, Kwang-Sook
2003 Stellung der deutschen Sprache an koreanischen Universitäten. Koreanische Zeitschrift
für Germanistik 86: 103⫺120.
Menke, Michael
2006 Fragebogen zum Stellenwert der deutschen Sprache. DaF-Szene Korea 24: 29⫺37.
Shin, Hyung-Uk
2006 Deutschunterricht in Korea. Entwicklungstendenzen und Herausbildung von ,Deutsch
als Fremdsprache‘. Deutsch als Fremdsprache in Korea 19: 29⫺52.

Ok-Seon Kim, Young-Jin Choi, Seoul (Korea)


206. Deutsch in Kroatien 1717

206. Deutsch in Kroatien


1. Status und Rolle der deutschen Sprache
2. Deutsch im öffentlichen und privaten Bildungssektor
3. Deutschlehreraus- und -fortbildung
4. Forschungsschwerpunkte
5. Entwicklungslinien
6. Literatur in Auswahl

1. Status und Rolle der deutschen Sprache


Der jetzige Status und die Rolle der deutschen Sprache in Kroatien werden durch ein
komplexes Gefüge von historischen und gegenwärtigen politischen, wirtschaftlichen und
kulturellen Kontakten mit dem deutschsprachigen Raum bestimmt. Im wirtschaftlichen
Austausch Kroatiens mit dem EU-Ausland kommt Deutschland und Österreich nach
wie vor eine zentrale Rolle zu. Die meisten ausländischen Touristen kommen aus dem
deutschsprachigen Raum. Deutschland und Österreich sind wichtige Handelspartner
Kroatiens und gehören zu den wichtigsten Investoren. Gleichzeitig sind sie auch Haupt-
migrationsländer kroatischer Arbeitnehmer und werden von kroatischen Studierenden
prozentuell am häufigsten als Studienstandort nachgefragt. Diese Situation muss vor
dem Hintergrund der historischen Verflechtung Kroatiens mit dem deutschsprachigen
Raum gesehen werden (Žepić 2001a). Während der Zugehörigkeit Kroatiens zum Habs-
burger Reich fungierte Deutsch als überregionale Verkehrssprache mit einem bedeuten-
den Einfluss auf das Theater-, Presse- und Bildungswesen. Auf dem Gebiet der Militär-
grenze zum Osmanischen Reich war Deutsch sowohl Kommando- und Amtssprache als
auch seit der Mitte des 18. Jhs. von Schulbeginn an Unterrichtssprache (Häusler 1998).
Eine über mehrere Jahrhunderte dauernde deutschsprachige Buchproduktion (Gehr-
mann und Skender 2001) zeugt von der herausragenden Stellung des Deutschen. Seit dem
Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie wurde diese immer schwächer und kam
mit dem Ende des II. Weltkrieges und der Gründung des sozialistischen jugoslawischen
Staates zu einem vorübergehenden Tiefpunkt. Deutsch wurde in den nachfolgenden Jahr-
zehnten zwar „rehabilitiert“, aber in der Funktion der ersten Fremdsprache zunächst durch
das Russische und danach durch das Englische verdrängt. Dennoch haben sich zahlreiche
deutschsprachige Begriffe, Redewendungen und Lehnwörter in der kroatischen Umgangs-
sprache bis heute erhalten. Weitere für den Status von Deutsch wichtige Rahmenbedin-
gungen sind die geographische Nähe zum deutschsprachigen Raum sowie ein nach der
Unabhängigkeit 1991 sich durchsetzendes Selbstverständnis als ein mitteleuropäisches
und mediterranes Land im Raum Südosteuropa. Dank dieser Faktoren kann sich
Deutsch als zweitwichtigste Fremdsprache nach dem Englischen in Kroatien behaupten.

2. Deutsch im öentlichen und privaten Bildungssektor


Deutsch wird im öffentlichen und im privaten Bildungssektor in der gesamten Vertikale
des Bildungswesens einschließlich Erwachsenenbildung angeboten. Im öffentlichen
Schulwesen werden seit Schuljahr 2003/04 an der 8-jährigen kroatischen „Grundschule“,
1718 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

die als Pflichtschule die Primar- und die Sekundarstufe I umfasst, in der Regel zwei
Fremdsprachen unterrichtet: eine erste obligatorische Fremdsprache ab Klasse 1 und eine
zweite, fakultative Fremdsprache als Wahlpflichtfach ab Klasse 4. Im Vergleich mit ande-
ren in der Pflichtschule vertretenen Fremdsprachen nimmt Deutsch bezogen auf die
Lernerzahlen die zweite Stelle nach Englisch ein. Die Sprachenfolge im Primarbereich ist
nicht festgelegt; sie kann je nach Elternwunsch, Lehrerangebot und sprachenpolitischer
regionaler Schwerpunktsetzung variieren. Dies ermöglicht es, Deutsch in der Sprachen-
folge als erste Fremdsprache in den Regionen mit traditionell großer Nachfrage nach
Deutsch zu erhalten. In den berufsqualifizierenden Mittelschulen und in den Gymnasien
(Sekundarstufe II) wird Deutsch sowohl als weiterführende Fremdsprache als auch als
Anfängersprache angeboten. Besondere Entwicklungen im Schulbereich stellen bilin-
guale Zweige in Gymnasien dar, die in einigen Fächern Deutsch als Unterrichtssprache
anbieten, das an zahlreichen Gymnasien und Mittelschulen eingeführte Zusatzprogramm
zur Vorbereitung auf das Deutsche Sprachdiplom sowie die Gründung einer deutschen
internationalen Schule im Jahre 2003.

3. Deutschlehreraus- und -ortbildung


Die Deutschlehrerbildung erfolgt in Kroatien an den germanistischen Abteilungen der
Universitäten Zagreb, Osijek, Zadar und Rijeka sowie an der Fakultät für Lehrerbildung
der Universität Zagreb. Von zentraler Bedeutung für die germanistische Ausbildung und
Forschung ist die Germanistische Abteilung der Philosophischen Fakultät der Universi-
tät Zagreb. Nach dem Universitätsgesetz von 2003 sind alle Lehramtsstudiengänge als
5-jährige wissenschaftliche Masterstudiengänge ausgewiesen. Mit Einführung der gestuf-
ten BA- und MA-Studiengänge im Jahre 2005 wurden auch die Deutschlehrer bildenden
Studiengänge reformiert, in der Regel nach dem System 3⫹2. Nach diesem Modell wer-
den im Rahmen einer polyvalenten dreijährigen BA-Phase sprachpraktische und fachwis-
senschaftliche germanistische Grundlagen vermittelt, während die eigentliche Deutsch-
lehrer bildende Phase mit Lehrveranstaltungen in den Bereichen Methodik/Didaktik ein-
schließlich Schulpraktikum sowie Pädagogik und Psychologie in der zweijährigen
Masterphase stattfindet, hier mit der Befähigung für das Deutschlehramt für alle Schul-
formen und Altersgruppen. Weitere Masterstudiengänge betreffen die Ausbildung von
Fach-Germanisten und von Dolmetschern/Übersetzern. Eine Ausnahme in diesem Sys-
tem ist die 5-jährige Deutschlehrerbildung an der Fakultät für Lehrerbildung der Univer-
sität Zagreb. Dieser Studiengang bildet im Rahmen eines integrierten MA-Studiums
(ohne BA-Abstufung) DaF-Lehrer ausschließlich für die Pflichtschule in Kombination
mit Grundschulpädagogik und -didaktik aus; es ist der erste Versuch, im Sinne des Pro-
fessionalisierungsansatzes eine berufsfeldbezogene-wissenschaftliche und zielgruppen-
spezifische Deutschlehrerbildung für die Altersgruppe zwischen 7⫺14 Jahren mit dem
Schwerpunkt frühes Deutschlernen in Kroatien einzuführen. Kernelemente dieses Studien-
gangs sind im Bereich Deutsch: Fremdsprachendidaktik/Sprachlehrforschung einschließ-
lich Schulpraktika, interkulturelles Lernen/Sprachenpolitik, Kinder- und Jugendliteratur,
eine sozialwissenschaftlich orientierte Landeskunde sowie die Ausbildung von sprach-
lichen Fertigkeiten und Schlüsselqualifikationen. Zu den charakteristischen Merkmalen
der kroatischen Deutschlehrerbildung und Germanistik gehört, dass Deutsch Unterricht-
sprache in allen Lehrveranstaltungen ist.
206. Deutsch in Kroatien 1719

Die wichtigsten Akteure der Deutschlehrerfortbildung sind die staatliche Agentur für
Erziehung und Bildung (Schulamt), der 1992 gegründete Kroatische Deutschlehrerver-
band-KDV (www.kdv.hr) und das Goethe-Institut. Als weitere Anbieter treten private
Fremdsprachenschulen oder DaF-Lehrbuchverlage auf. Von zentraler Bedeutung für die
Fortbildung sind ferner die einmal jährlich stattfindenden, internationalen Tagungen des
KDV zu theoretischen und unterrichtspraktischen Fragestellungen des Deutschunter-
richts sowie deutschsprachige Fachzeitschriften: im Bereich der germanistischen For-
schung/Fremdsprachendidaktik die international ausgerichteten Zagreber Germanisti-
schen Beiträge, im Bereich der Unterrichtspraxis der KDV-Info des Kroatischen Deutsch-
lehrerverbandes.

4. Forschungsschwerpunkte
Traditionelle Forschungsschwerpunkte der kroatischen Germanistik liegen vor allem in
der Erforschung und Rezeption der deutschen Sprache (Glovacki-Bernardi 2005; Petro-
vić 2002; Piškorec 1997; Žepić 2001b) und Literatur (Bobinac 2008; Lacko Vidulić 2007)
in Kroatien sowie in einer europäisch orientierten Literaturgeschichtsschreibung (Žme-
gač 1978⫺1984, 1995). Weitere Schwerpunkte bilden Grammatiken, Deutsch-Lehrwerke
und Wörterbücher sowie auf dem Gebiet der Fremdsprachendidaktik Arbeiten zur Lehr-
werkforschung (Häusler 1998) und Curriculumentwicklung (Gehrmann 2007). Neuere
Forschungsschwerpunkte betreffen Deutsch und Kroatisch im Kontakt aus soziolinguis-
tischer, didaktischer und psycholinguistischer Perspektive (Glovacki-Bernardi 2006), in-
terkulturelle Aspekte des Fremdsprachenunterrichts (Petravić 2007) und des Übersetzens
(Gojmerac 2008) sowie den deutsch-kroatischen Kulturtransfer in der Literatur.

5. Entwicklungslinien
Betrachtet man die Entwicklungslinien, Chancen und Probleme von Deutsch in Kroa-
tien, ist festzustellen, dass trotz einer gegenwärtigen Gesamtzahl von ca. 900 Studieren-
den der deutschen Sprache die Anzahl der Germanistikstudenten und der Deutschlerner
an Schulen und Hochschulen kontinuierlich zurückgeht. Als Wissenschaftssprache au-
ßerhalb der Germanistik taucht Deutsch an den Hochschulen kaum auf. Um diesem
Trend nachhaltig entgegenzuwirken, müsste bereits im Kindergarten und in der Pflicht-
schule an das Konzept europäischer Mehrsprachigkeit angeknüpft werden; vor allem
müsste die zweite Fremdsprache in der Pflichtschule zu einem obligatorischen, nicht
mehr abwählbaren Fachangebot aufgewertet werden. Fremdsprachenlehrerbildung und
-fortbildung, Lehrwerkproduktion und der Unterricht in Fremdsprachen müssten ferner
verstärkt schulform- und altersgruppenspezifisch ausgerichtet und curricular so refor-
miert werden, dass das Erlernen verschiedener Fremdsprachen aufeinander bezogen und
mit den Sprachlernerfahrungen der Lerner verknüpft wird. In einem solchen Konzept,
in dem Mehrsprachigkeit bereits im Schulsystem fest verankert wäre, hätte Deutsch auch
wieder Chancen, Eingang zu finden in den für die Nachfrage nach Deutsch zentralen
Bereich der beruflichen und universitären Fort- und Weiterbildung. Hier vor allem gilt
es, für die beruflichen Perspektiven der Studierenden attraktive, mehrsprachige Angebote
1720 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

mit Deutsch zu schaffen. Mit dem 2007 von den Universitäten Münster und Zagreb
gemeinsam gegründeten, internationalen Lehr- und Forschungszentrum „Zentrum für
Europäische Bildung“ in Zagreb (www.lecee.eu) sind hierzu institutionell erste Schritte
getan.

6. Literatur in Auswahl
Bobinac, Marijan
2008 Zwischen Übernahme und Ablehnung. Aufsätze zur Rezeption deutschsprachiger Dramati-
ker im kroatischen Theater. Wrocław/Dresden: Neisse.
Gehrmann, Siegfried und Dubravka Skender (Bearb.)
2001 Kroatien. In: Bernhard Fabian (Hg.), Handbuch deutscher historischer Buchbestände in
Europa, 19⫺146. Bd 9. Kroatien, Slowenien, Italien. Hildesheim: Olms.
Gehrmann, Siegfried
2007 Mehrsprachigkeit, Sprachenpolitik und DaF-Lehrerbildung im Wandel. In: DAAD
(Hg.), Germanistentreffen Deutschland ⫺ Süd-Ost-Europa. Dokumentation der Tagungsbei-
träge, 181⫺202. Bonn: DAAD.
Glovacki-Bernardi, Zrinjka
2006 Forschungsprojekte zu deutsch/österreichisch-kroatischem Sprachkontakt ⫺ theoretische
Profilierung und ideologische Positionen. Zagreber Germanistische Beiträge, Beiheft 9:
3⫺10.
Glovacki-Bernardi, Zrinjka
2005 Österreichisch-kroatische Sprachbeziehungen als Spiegel der Kulturgeschichte. In: Jean-
Marie Valentin unter Mitarbeit von Konrad Harrer (Hg.), Akten des XI. Internationalen
Germanistenkongresses Paris 2005, 95⫺99. Bd. 5. Frankfurt a. M.: Lang.
Gojmerac, Mirko und Pavao Mikić
2008 Kroatische Touristenwerbung in deutscher Übersetzung. Jastrebarsko.
Häusler, Maja
1998 Zur Geschichte des Deutschunterrichts in Kroatien seit dem 18. Jahrhundert. Frankfurt
a. M.: Lang.
Lacko Vidulić, Svjetlan
2006 Imaginierte Gemeinschaft. Peter Handkes jugoslawische „Befriedungsschriften“ und ihre
Rezeption in Kroatien. In: DAAD (Hg.), Germanistentreffen Deutschland ⫺ Süd-Ost-
Europa, 127⫺151. Bonn: DAAD.
Petravić, Ana
2007 Interkulturelle Kompetenz im DaF-Unterricht in der kroatischen Pflichtschule, In:
DAAD (Hg.), Germanistentreffen Deutschland ⫺ Süd-Ost-Europa, 234⫺263. Bonn:
DAAD.
Petrović, Velimir
2002 Das Verb im Osijeker Deutsch. In: Zsuzsanna Gerner, Manfred Glauninger und Katha-
rina Wild (Hg.), Gesprochene und geschriebene deutsche Stadtsprachen in Suedosteuropa
und ihr Einfluss auf die regionalen deutschen Dialekte, 223⫺252. Wien: Praesens.
Piškorec, Velimir
1997 Deutsches Lehngut in der kajkavisch-kroatischen Mundart von ÍurIevic in Kroatien.
Frankfurt a. M.: Lang.
Žepić, Stanko
2001a Deutschunterricht und Germanistikstudium in Kroatien. In: Helbig, Gerhard, Lutz
Götze, Gert Henrici und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache: ein inter-
nationales Handbuch, 1677⫺1682. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikati-
onswissenschaft 19.1⫺2). Berlin: de Gruyter.
207. Deutsch in Kuba 1721

Žepić, Stanko
2001b Das Vokabular des Essekerischen. In: Velimir Petrović (Hg.), Essekerisch. Das Osijeker
Deutsch, 79⫺98. Wien: Praesens.
Žmegač, Viktor
1995 Der europäische Roman. Tübingen: Niemeyer
Žmegač, Viktor
1978⫺1984 Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. 3 Bde.
Königstein/Ts: Athenäum.

Siegfried Gehrmann, Zagreb (Kroatien)


Ana Petravić, Zagreb (Kroatien)

207. Deutsch in Kuba


1. Entwicklungslinien
2. Germanistik- und Deutschlehrerausbildung
3. Forschungsschwerpunkte
4. Ausblick
5. Literatur in Auswahl

1. Entwicklungslinien
Die Beschäftigung mit der deutschen Sprache hat in Kuba eine lange Tradition. Zeug-
nisse aus dem 17. und dem 18. Jahrhundert belegen Kontakte mit deutschem Handel
und Kultur. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts besuchten renommierte Persönlichkeiten
wie Alexander von Humboldt die Insel, der bis heute als der „2. Entdecker Kubas“ hoch
in Ehren gehalten wird. Die Beschäftigung mit der deutschen Sprache, mit deutschspra-
chiger Literatur und Kunst erfuhr im 19. Jahrhundert eine erste Blütezeit. Kuba pflegte
den kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit vielen Ländern, was dazu führte,
dass man sich immer intensiver auch mit Fragen der Übersetzung und Lehre von fremd-
sprachlichem Gut beschäftigte.
Eine universitäre Ausbildung im Fach Deutsch als Fremdsprache wurde allerdings
erst nach 1959 Wirklichkeit. An der Universität Havanna wurde erstmalig im Jahre 1971
das Studium der Germanistik als Vollstudium eingeführt. Mit der Gründung des Fremd-
spracheninstituts „Maxim Gorki“ explizit zur Ausbildung von FremdsprachenlehrerIn-
nen erfolgte ein weiterer Schritt in Richtung Institutionalisierung auch der deutschen
Sprache im universitären Fächerkanon. 1973 schließlich wurde das Dolmetscher- und
Übersetzungsinstitut „Pablo Lafargue“ eröffnet, wo ebenfalls Deutsch gelehrt wurde.
Außerhalb des Campus entstanden die dem Kultusministerium (MINED) untergeordne-
ten sogenannten Abendschulen, an denen bis heute auch Sprachen wie Deutsch und
Englisch unterrichtet werden.
Das deutschsprachige Land, mit dem Kuba engste Kontakte unterhielt, war die dama-
lige Deutsche Demokratische Republik (DDR). Im Jahre 1979 wurde das Deutschlekto-
1722 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

rat der Botschaft der DDR an der Universität Havanna eingerichtet. Spezialisten, haupt-
sächlich entsandt von der Universität Leipzig und dem Herder-Institut, leisteten in Lehre
und Fortbildung einen wesentlichen Beitrag. In der Folge erfuhr die kubanische Germa-
nistik eine stete Weiterentwicklung und Bereicherung. Als große Meilensteine seien hier
u. a. genannt: die Georg-Weerth-Tagung 1982, die Humboldt-Konferenz 1984, die erste
Nationalkonferenz kubanischer Germanisten und Deutschlehrer 1986, die erste Regio-
nalkonferenz von 1990 (vgl. Wotjak 1990) und die Folgekonferenz 2000, und nicht zu-
letzt die Nationalkonferenzen der Jahre 2001 und 2002. 2006 schließlich krönte der XII.
ALEG-Kongress (Kongress des lateinamerikanischen Germanistenverbandes) die erfolg-
reiche Arbeit der kubanischen Germanistik.
Die Umwälzungen der 1990er Jahre auf der ganzen Welt und in Deutschland insbe-
sondere hatten auch logische Konsequenzen für die kubanische Germanistik (vgl. Her-
nández Eduardo und Pipping de Serrano 2002). Nach einer Periode der Anpassung an
die neuen Verhältnisse begann sich die akademische Zusammenarbeit unter den neuen
Vorzeichen zu etablieren. Der DAAD trat die Nachfolge der Deutschlektorate an und
unterstützt die Germanistikabteilung der Fakultät für Fremdsprachen der Universität
Havanna (FLEX/UH) mit der Entsendung eines Lektors/einer Lektorin, sowie von
SprachassistentInnen und PraktikantInnen.
Auch wenn das Goethe-Institut vor Ort über kein eigenes Institut verfügt, leisten zwei
Repräsentanten praktische Unterstützung in Form von Weiterbildungsseminaren für
DeutschlehrerInnen. Außerdem bereichert das Goethe-Institut durch eine aktive Kultur-
arbeit, insbesondere die Organisation von Kultur- und Filmwochen das deutschsprachige
Spektrum vor allem in Havanna.
Besonders hervorzuheben ist die seit den1970er Jahren bestehende enge Zusammenar-
beit der Germanistikabteilung (FLEX/UH) mit den Universitäten Leipzig und Hum-
boldt-Universität Berlin. Mit diesen werden Kontakte unter anderem in Form von jähr-
lich stattfindenden Alumni-Treffen gepflegt. Besonders die Zusammenarbeit mit der
Universität Leipzig hat eine langjährige Tradition und großen Stellenwert: Ihre Fortbil-
dungsveranstaltungen vor Ort erfreuen sich großer Beliebtheit; im Gegenzug gehen ku-
banische DozentInnen zu Forschungs- und Fortbildungszwecken an die Universität
Leipzig. Weitere Alumni sowohl der Universität Leipzig als auch anderer deutscher
Hochschulen, die insbesondere als Multiplikatoren in verschiedenen Bereichen von
Hochschule, Politik, Wirtschaft usw. tätig sind, sowie Vertreter von Universitäten und
Ministerien ⫺ die häufig gleichzeitig zum Kreis der Alumni zählen ⫺, versammeln sich
einmal im Jahr zu einem Alumnitreffen und Seminar. Außerdem können jedes Jahr zwei
Studenten für ein Jahr Studium an die Humboldt-Universität Berlin geschickt werden.

2. Germanistik- und Deutschlehrerausbildung


Die landesweite Leitung der Ausbildung in Deutsch und Germanistik ist nach wie vor
an der Fremdsprachenfakultät der Universität Havanna angesiedelt. Hier hat das lei-
tende Organ für die Hochschulausbildung im Land, die „Comisión Nacional de Car-
rera“, seinen Sitz. Die Comisión, ein hochrangiges Gremium, das sich aus den erfahrens-
ten DozentInnen zusammensetzt, bestimmt verbindlich für alle Bildungseinrichtungen
z. B. die Entwicklungslinien für Deutschstudien, die Inhalte der Weiterqualifizierungsan-
gebote, aber auch die zu verwendenden Lehrwerke.
207. Deutsch in Kuba 1723

Die Leitung des kubanischen Deutschlehrer- und Germanistenverbandes ACEG


(„Asamblea Cubana de Estudios Germanı́sticos“), der alles, was mit Deutsch zu tun hat,
integriert, und im internationalen Deutschlehrerverband Kuba repräsentiert, befindet
sich ebenfalls an der Germanistikabteilung.
Die Germanistikabteilung der FLEX/UH setzt sich aktuell zusammen aus 18 fest
angestellten Hochschullehrern. Davon sind 5 Doktoren und 5 Master in Sciencia. Viele
der KollegInnen absolvieren das (teilweise gelenkte) Studium der Maestrı́a (2⫺3 Jahre)
oder arbeiten an ihrer Promotion. Der Nachwuchs rekrutiert sich aus den besten Studie-
renden, die bereits ab dem 4. Studienjahr den Wunsch äußern, als Lehrer zu arbeiten.
Ihnen wird ein Betreuer zugewiesen, der sie begleitet und auf ihre zukünftigen Aufgaben
als Dozenten und Forscher vorbereitet.
Das Studium zum Übersetzer und Dolmetscher dauert 6 Jahre, da den eigentlichen 5
Studienjahren der Licenciatura ein „Aufbaukurs“, vorgeschaltet wird, der fast ausschließ-
lich dem Erwerb der Fremdsprache dient, da nur Englisch an den Schulen als Fremdspra-
che angeboten wird. Die Ausbildung zum Licenciado umfasst 15 Disziplinen, u. a. eine
2. und 3. Fremdsprache sowie 8 Fächer, die der Spezialisierung dienen: Sprachpraxis
DaF (1 bis 6 Semester); linguistische Studien: deutsche Phonetik, deutsche Grammatik
(Morphologie und Syntax), Lexikologie und Textlinguistik; deutsche Literatur; deutsche
Geschichte; Übersetzung; Dolmetschen; Didaktik des Deutschen als Fremdsprache; Ein-
führung in die Arbeit mit dem Computer. Für Deutsch als 2. Fremdsprache: linguistische
Studien bei Deutsch als 2. Fremdsprache; Dolmetschen und Übersetzen bei Deutsch als
2. Fremdsprache; kulturelle Studien bei Deutsch als 2. Fremdsprache.
Das Studium endet mit einem Staatsexamen im Fach Dolmetschen und Übersetzen
bzw. mit einer Diplomarbeit. In Anschluss daran bietet die Fakultät die Möglichkeit des
Studiums einer Maestrı́a auf dem Gebiet der angewandten Sprachwissenschaft sowie
eines modularisierten Promotionsstudiums an.
Die oben erwähnte Hochschullehrergruppe ist zuständig für über 160 Studierende,
die DaF als erste Fremdsprache erlernen, und für über 100 Studierende, die DaF als
zweite Fremdsprache erwerben.
Der Fremdsprachenfakultät untergeordnet bietet die „Cátedra Humboldt“ Deutsch-
kurse für alle Interessierten an. Sie leistet damit einen wesentlichen Beitrag als Multipli-
kator der deutschen Sprache.

3. Forschungsschwerpunkte

Zu den wichtigsten Forschungslinien der Germanistikabteilung der FLEX/UH gehören


unter anderem: Audiodeskription, eine neue Übersetzungsart, im Rahmen des Projektes
TRACCE in Zusammenarbeit mit der Universität Granada; Untersuchungen zu theo-
retisch-praktischen Grundlagen des Fernsehens als audiovisuelles Mittel; Untersuchun-
gen zu den Möglichkeiten der Arbeit mit Paralleltexten im Unterricht Deutsch als
Fremdsprache; aber auch Fragen zur Interkulturalität und Textanalyse (vgl. exemplarisch
Pino Madroñal und Sanchez 2009; Valdés 2006; Toledo González 2006; Dı́az Garcı́a
2006).
1724 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

4. Ausblick
Mit Blick auf eine breite Öffentlichkeitswirkung zur Verbreitung der deutschen Sprache
spielt der von den HochschullehrerInnen der Germanistikabteilung konzipierte und ge-
staltete Fernsehsprachkurs Deutsch für Kubaner eine große Rolle. Hinzu kommen die
Präsenz deutscher Verlage und Autoren auf der großen, jährlich stattfindenden Buch-
messe oder die deutschsprachigen Beiträge bei den Theaterwochen und dem Filmfestival,
die Deutschland ins Bewusstsein rücken lassen.
Die kubanische Germanistik an der Universität Havanna und Deutsch als Fremd-
sprache im Allgemeinen stehen auf festem Boden. Die deutsche Sprache erfreut sich
immer größerer Beliebtheit in der Bevölkerung. Neben dem bereits erwähnten Fernseh-
sprachkurs, der im nächsten Jahr fortgesetzt werden soll, und einem anwachsenden deut-
schen Tourismus, der Kuba als beliebtes Reiseziel wahrnimmt, wird Deutsch weiterhin
als Wissenschaftssprache auf der Insel nachgefragt, z. B im Rahmen der International
Summer School in Economics and Management (ISSEM ) und für die Arbeit mit Fachlite-
ratur (u. a. zu Fragen der Mathematik, der Chemie).

5. Literatur in Auswahl
Dı́az Garcı́a, Neyda
2006 Textlinguistik als Universitätsdisziplin in der Ausbildung von Übersetzern und Dolmet-
schern. In: ALEG (Hg.), Akten des XII. ALEG-Kongresses Havanna und Leipzig. Deutsch
in Lateinamerika: Ausbildung, Forschung und Berufsbezug. CD-ROM-Ed.
Hernández Eduardo, Jorge und Monika Pipping de Serrano
2002 Die Kubanische Germanistik und die Deutsche Sprache auf Kuba. In: DAAD (Hg.),
Germanistentreffen. Tagungsbeiträge Deutschland ⫺ Argentinien ⫺ Brasilien ⫺ Chile ⫺
Kolumbien ⫺ Kuba ⫺ Mexiko ⫺ Venezuela in Sao Paulo 2001, 77⫺84. Bonn: DAAD.
Pino Madroñal, Lucı́a und Adam Concepción Sanchez
2009 Cruzando fronteras sensoriales: la audiodescripción. In: ALEG (Hg.), Akten des XIII.
ALEG-Kongresses in Córdoba, Argentinien. CD-ROM-Ed.
Toledo González, Clara Julia
2006 Acerca de la comunicación no verbal como expresión de interculturalidad entre represen-
tantes de las culturas cubana y alemana. In: ALEG (Hg.), Akten des XII. ALEG-Kongres-
ses Havanna und Leipzig. Deutsch in Lateinamerika: Ausbildung, Forschung und Berufsbe-
zug. CD-ROM-Ed.
Valdés, Verónica
2006 Fundamentos teóricos para un curso de televisión de Lengua alemana. In: ALEG (Hg.),
Akten des XII. ALEG-Kongresses Havanna und Leipzig. Deutsch in Lateinamerika: Ausbil-
dung, Forschung und Berufsbezug. CD-ROM-Ed.
Wotjak, Gerd (Hg.)
1990 Regionalkonferenz Zielsprache Deutsch im regionalen und internationalen Kontext. CD-
ROM-Ed., Universität Leipzig.

Orquidea Pino, Havanna (Kuba)


208. Deutsch in Lettland 1725

208. Deutsch in Lettland


1. Einleitung
2. Deutsch an Schulen und in der Erwachsenenbildung
3. Deutschlehrerausbildung und Germanistik an den Hochschulen
4. Literatur in Auswahl

1. Einleitung

Die Bedeutung der deutschen Sprache in Lettland ist im vergangenen Jahrhundert stark
gesunken. Vor einem Jahrhundert war ein gebildeter Rigenser ohne Deutschkenntnisse
nicht denkbar, heute sprechen vor allem ältere Menschen noch Deutsch. Bis zum Zweiten
Weltkrieg war Deutsch eine wichtige Minderheitssprache in Lettland. Entsprechend der
Volkszählung von 1993 leben noch 2.600 Deutsche in Lettland, während es vor dem
Zweiten Weltkrieg noch erheblich mehr waren (1935: 62.000). Mit Beginn des 13. Jahr-
hunderts hat Deutsch eine zunehmend wichtige Rolle im wirtschaftlichen wie im kulturel-
len und seit dem 18. Jahrhundert auch im wissenschaftlichen Leben Lettlands gespielt.
Historische Einflüsse hatte das Wirken von Ernst Glück, Garlieb Merkel, Wilhelm Ost-
wald, Friedrich Zander u. a. Der Aufenthalt von Herder in Riga ist bis in die heutige
Zeit von großer Bedeutung. An der 1919 gegründeten Universität Lettlands (LU) gab es
eine große Zahl deutschbaltischer Professoren, wie Leonid Arbuzov Jr. (Historiker), Karl
Blacher (Chemiker) oder Alwil Buchholtz (Geodät).
Die aktuelle Situation für Deutsch in Lettland ist widersprüchlich: Es gibt viele histo-
rische, kulturelle und persönliche Verflechtungen sowie jahrhundertealte Traditionen, die
beide Völker vereinen. Etwa 1.000 deutsche Firmen haben ihre Zweigstellen in Lettland
(Stand: 2008) und es gibt ca. 1.000 gemeinsame deutsch-lettische Unternehmen. Die
Deutsch-Baltische Handelskammer in Estland, Lettland, Litauen leistet seit Jahren er-
folgreiche Arbeit. Deutschland zählt zu den größten ausländischen Investoren in Lett-
land (8,3 % der Direktinvestitionen 2008) und gehört mit einem Volumen von 1.533 Mio.
LVL (Lat) im Jahr 2007 zu den wichtigsten Handelspartnern Lettlands. Die deutschen
Firmen nutzen im internationalen Geschäftsverkehr allerdings hauptsächlich Englisch,
und die Zahl der Deutschlernenden an Schulen und Hochschulen Lettlands sinkt von
Jahr zu Jahr deutlich. Deutsch als Fremdsprache ist nicht mehr so populär wie in den
1950⫺70er Jahren, wobei auch die demografische Situation in Lettland eine wichtige
Rolle spielt.
Verschiedene deutsche, österreichische und schweizerische Einrichtungen in Lettland
leisten wichtige Unterstützung für die Stärkung und Verbreitung der deutschen Sprache,
darunter das Baltisch-Deutsche Hochschulkontor, die Robert Bosch Stiftung, die Fern-
universität Hagen, die diplomatischen Vertretungen deutschsprachiger Länder, das Goe-
the-Institut Riga. Regelmäßig werden in Lettland in Partnerschaft mit den deutsch-
sprachigen Ländern wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Veranstaltungen or-
ganisiert. Es bestehen 25 Städtepartnerschaften und 5 Kreispartnerschaften zwischen
Lettland und Deutschland. Viele Universitäten und Hochschulen in Lettland haben Ko-
operationsverträge mit Universitäten und Fachhochschulen deutschsprachiger Länder.
1726 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

2. Deutsch an Schulen und in der Erwachsenenbildung


In Lettland sind vor allem staatliche Schulen, aber auch einige Privatschulen die Träger
des Deutschunterrichts. Deutsch als Fremdsprache wird an einigen Fach- und Berufs-
schulen und Hochschulen Lettlands unterrichtet, jedoch ist die Zahl der Deutschlernen-
den relativ niedrig. In Lettland existieren drei Schulen mit erweitertem Deutschunter-
richt: das Gymnasium Agenskalns (Riga), die Herderschule (Riga) und das 5. Gymna-
sium (Liepāja). An diesen Schulen werden zahlreiche Fächer in der Unterrichtssprache
Deutsch unterrichtet, darunter Geschichte, Geografie und Literatur. Im Jahr 2008 haben
99 Schüler das Deutsche Sprachdiplom (DSD) erhalten. Derzeit beteiligen sich 15 Schu-
len Lettlands am DSD-Programm.
Im Schuljahr 2007/08 lernten 212.675 Schülerinnen und Schüler an den Schulen Lett-
lands Fremdsprachen. Englisch als erste Fremdsprache lernten 207.000 Schüler (97 %),
Deutsch als erste Fremdsprache lernten 3.500 Schüler (1,7 %), Deutsch als zweite Fremd-
sprache 30.000 Schüler (25 %) und Deutsch als dritte Fremdsprache 2.900 Schüler (45 %).
(Die aktuellen Statistiken zum Fremdsprachenunterricht an Schulen wurden mit freund-
licher Genehmigung des Zentrums für Curricula und Prüfungen des Ministeriums für
Bildung und Wissenschaft der Republik Lettlands benutzt.) In den letzten drei Jahren
hat sich die Zahl der Schüler, die die zentralisierte Deutschprüfung abgelegt haben, dras-
tisch von 2.113 (2006) auf 801 (2008) verringert. Die Gründe dafür sind unterschiedlich,
so schrumpft die Zahl der Schüler an allgemeinbildenden Schulen in Lettland, und
Deutsch als Fremdsprache liegt jetzt auf Platz drei. Deutsch wird in den allgemeinbilden-
den Schulen in Lettland also v. a. als zweite oder dritte Fremdsprache unterrichtet; insbe-
sondere als dritte Fremdsprache hat die deutsche Sprache Entwicklungschancen. Eine
geeignete Ausgangssituation dafür bilden die gut ausgebildeten Deutschlehrerinnen und
Deutschlehrer und die langjährige Tradition des Deutschen und des Deutschunterrichts
in Lettland. Eine mögliche Lösung der derzeitigen Krise der deutschen Sprache in Lett-
land könnte ein früher Deutschunterricht an ausgewählten Schulen und Kindergärten
sein (wie in Riga, Kuldı̄ga u. a.). Die Entscheidung über die Wahl der Fremdsprache
unterliegt den Schulämtern der Kreise, Schuldirektoren und Eltern und wird vom Bil-
dungs- und Wissenschaftsministerium nicht beeinflusst.
Ein Rückgang des schulischen Angebots hat in Lettland zu einer verstärkten Nach-
frage in der Erwachsenenbildung geführt. Eine besondere Rolle spielt das Angebot des
Goethe-Instituts Riga. Im Laufe von 15 Jahren (zwischen 1993⫺2008) haben 10.000
Teilnehmer an den angebotenen Sprachkursen teilgenommen. Ein besonderes Interesse
an Deutsch kann auf das breite Angebot der Studienmöglichkeiten für Absolventen in
Deutschland und anderen deutschsprachigen Ländern zurückgeführt werden.
Der Deutschlehrerverband Lettlands vereint 205 Deutschlehrerinnen und Deutschleh-
rer (Stand: 2009), die an allgemeinbildenden Schulen Lettlands Deutsch unterrichten.
Der Verband organisiert jährlich eine Mitgliedervollversammlung des Deutschlehrerver-
bands, gibt die Zeitschrift Mein Fach Deutsch heraus und organisiert zahlreiche gut be-
suchte Weiterbildungsveranstaltungen. Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen werden
außerdem vom Goethe-Institut Riga, der Robert Bosch Stiftung, dem Ministerium für
Bildung und Wissenschaft und von den Universitäten angeboten.
208. Deutsch in Lettland 1727

3. Deutschlehrerausbildung und Germanistik an den Hochschulen


An der Universität Lettlands (40 Studierende im Studienjahr 2008/09) und an den Uni-
versitäten in Liepāja (10 Studierende) und Daugavpils (28 Magisterstudenten mit der
Kombination Deutsch/Englisch) werden Deutschlehrer ausgebildet. Germanistik als
Hauptfach wird an der Universität Lettlands (80 Studierende) und an der Universität
Daugavpils (20 Studierende) im Studienjahr 2008/09 angeboten. Mit Unterstützung des
DAAD wird das Studium eng mit der Forschungsarbeit verbunden. Den Studierenden
werden Studienkurse zur deutschen Literaturgeschiche, Sprachgeschichte, zu interkultu-
rellen Studien etc. angeboten. Das Diplomstudium Dolmetschen/Übersetzen mit der Ar-
beitssprache Deutsch wird an der Universität Lettlands, der Hochschule Ventspils und
der Universität Daugavpils angeboten (ca. 80 Studierende im Studienjahr 2008/2009).
Nach den 1990er Jahren hat sich ein Wechsel der didaktischen Perspektive im DaF-
Unterricht und der DaF-Lehrerausbildung in Lettland vom Lehrgegenstand und den
Lehrern hin zum aktiven selbstgeplanten und gesteuerten Lernprozess vollzogen. Ein
wesentliches Merkmal ist auch die zielgruppenspezifische Planung des Unterrichts unter
Einbeziehung der Voraussetzungen der Lernenden, der Entwicklung von Sprachbewusst-
sein und Sprachlernbewusstsein. Im Zentrum des Kurses Methodik des DaF-Unterrichts
stehen Theorien und Modelle des Lehrens und Lernens, orientiert an den unterschiedlich-
sten Bedürfnissen, Lernmöglichkeiten der Lernenden und persönlichkeitsbildenden
Kompetenzen. Besondere Aufmerksamkeit wird der Entwicklung von Schlüsselqualifika-
tionen der Studierenden (wie emotionale Intelligenz, Empathie, Ambiguitätstoleranz und
soziale Kompetenz) geschenkt. Dank der Finanzierung über die europäischen Förderpro-
gramme ERASMUS, SOCRATES oder Campus Europae studieren ca. 50 % der Lehr-
amtsstudenten ein bis zwei Semester in den deutschsprachigen Ländern und ca. 40 % der
Studierenden absolvieren ihr Schulpraktikum als Fremdsprachenassistenten im Ausland.
Viele Studierende im Fachbereich Deutsch als Fremdsprache haben die deutsche Spra-
che nicht als erste Fremdsprache in der Schule gelernt; diese Tendenz ist steigend, deshalb
müssen die Studienprogramme für die Deutschlehrerausbildung entsprechend modifiziert
werden, damit die künftigen Deutschlehrer über stabile und solide Kenntnisse des Deut-
schen verfügen, eine korrekte Aussprache erwerben und Deutsch adäquat verwenden
können.
Die aktuelle Forschung auf dem Gebiet Deutsch als Fremdsprache konzentriert sich
vor allem an den Hochschulen, die Deutschlehrer ausbilden. Die wichtigsten Forschungs-
gebiete sind Lehrbuchentwicklung und Lehrbuchanalyse, Untersuchungen zur Ausbil-
dung und Fortbildung von DaF-Lehrern, die Entwicklung von Konzepten und Verfahren
zum Einsatz von neuen Medien.
Im Germanistischen Jahrbuch für Estland, Lettland und Litauen Triangulum (1995⫺
2006) werden regelmäßig aktuelle Forschungsergebnisse veröffentlicht. Das Baltische
Germanistische Zentrum (BGZ) hat Konferenzen organisiert und Sammelbände zu fol-
genden Themen veröffentlicht: Deutsche Literatur und Kultur im Ostseeraum und Ge-
schichte der deutschen Sprache im Ostseeraum; vgl. exemplarisch Brandt und Balode
2005, 2007). Das BGZ verwirklicht mehrere Forschungsprojekte, z. B. Multilingualismus
in Lettland in der Zeit der ersten Republik (1918⫺1940), eine annotierte Bibliografie
zur deutschen Sprache im Baltikum u. a. Wichtige Forschungsschwerpunkte lettischer
Germanisten liegen im Bereich Lexikographie und Literaturwissenschaft (vgl. exempla-
risch Balode 2002; Paškevica 2006).
1728 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

4. Literatur in Auswahl
Balode, Ineta
2002 Deutsch-lettische Lexikographie. Eine Untersuchung zu ihrer Tradition und Regionalität im
18. Jahrhundert. (lexicographica series maior 111). Tübingen: Niemeyer.
Brandt, Gisela und Ineta Balode (Hg.)
2005 Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache im Baltikum IV. Stuttgart: Heinz Akademi-
scher Verlag.
Brandt, Gisela und Ineta Balode (Hg.)
2007 Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache im Baltikum V. Stuttgart: Heinz Akademi-
scher Verlag.
Paškevica, Beate
2006 In der Stadt der Parolen: Asja Lacis, Walter Benjamin und Bertolt Brecht. Essen: Klartext-
Verlagsgesellschaft.

Ilze Kangro, Rı̄ga (Lettland)

209. Deutsch in Litauen


1. Einleitung
2. Rolle des Deutschen im Land
3. Träger des Deutschunterrichts und der Deutschlehreraus- und -fortbildung
4. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme
5. Schwerpunkte in der Lehrerausbildung und Germanistik
6. Ausblick
7. Literatur in Auswahl

1. Einleitung
Das südlichste baltische Land Litauen durchlief in der Geschichte des letzten Jahrhun-
derts mehrere Phasen der politischen und ideologischen Neuorientierung, wodurch sich
auch die Dichte und die Ausrichtung sprachlicher Kontakte zum europäischen Ausland
und zu Deutschland änderten.
Heute zählt Litauen etwa 3,4 Millionen Einwohner, davon 84,3 % Litauer, 6,2 % Po-
len, 5 % Russen, 1,1 % Weißrussen, 3,4 % Vertreter anderer Ethnien. Die letzten zwei
Jahrzehnte waren von starker Emigration gekennzeichnet: Nicht nur gingen viele russi-
sche, ukrainische und weißrussische Einwohner nach der Wende zurück in ihre Her-
kunftsländer, sondern die Litauer suchten nach der Öffnung der Grenzen auch nach
Alternativen für eine ökonomisch schwache Arbeitsmarktsituation. Diese leichte Wand-
lung der ethnischen Zusammensetzung des Landes hatte Einfluss auf die Vielfalt und die
Verbreitung von Sprachen sowie auch auf ihre Nachfrage in der Gesellschaft und im
Bildungssystem.
209. Deutsch in Litauen 1729

2. Rolle des Deutschen im Land

Die Rolle des Deutschen hat sich im Laufe der Geschichte geändert. War die deutsche
Sprache nach der Wende mit der Westorientierung des Landes aufgelebt und hatte einen
festen Platz im schulischen Fremdsprachenangebot eingenommen, so kann man jetzt
zusammen mit der weitgehenden Festigung des Englischen als erster Fremdsprache auch
die Rückkehr des Russischen als zweiter Fremdsprache im schulischen Kontext beobach-
ten (vgl. Country Report Lithuania 2003/2004: 52⫺53). Trotzdem bleibt das Deutsche als
zentrale europäische Sprache insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen gefragt, 61 %
aller Deutschlernenden in Litauen wählen es als erste Fremdsprache (vgl. Country Report
Lithuania 2003/2004: 49). Insgesamt lernen 123 629 Personen Deutsch, was 3,64 % der
Landesbevölkerung ausmacht (vgl. StADaF 2005: 2). Diese Werte sind erfreulich und
trotzdem ernüchternd, wenn man den Rückgang der Deutschlernenden in den letzten 5
Jahren bedenkt (vgl. StADaF 2005: 11).
Die meisten Deutschlernenden befinden sich im Schulbereich, in dem sie in der 2.
(Frühbeginn des Fremdsprachenunterrichts) oder in der 4. Klasse (Pflichtfremdsprachen-
unterricht) mit dem Erlernen der ersten Fremdsprache (Englisch, Deutsch oder Franzö-
sisch) beginnen. Die 2. Fremdsprache setzt in der 6. Klasse obligatorisch ein und kann
frei aus dem schulischen Fremdsprachenangebot gewählt werden. In der Sekundarstufe
II sind das Weiterlernen der 2. und das Lernen einer 3. Fremdsprache freigestellt, mit
Ausnahme der verpflichtenden 2. Fremdsprache für SchülerInnen in geisteswissenschaft-
lichen Schulzweigen (vgl. Country Report Lithuania 2003/2004: 54). Im Schuljahr 2003/
04 lernten 14,1 % aller SchülerInnen Deutsch als erste Fremdsprache (83,2 % lernten
Englisch), 15,3 % als 2. Fremdsprache (8,2 % Englisch und 74 % Russisch); 19,6 % als 3.
Fremdsprache. Außer Englisch, Deutsch, Russisch und Französisch werden in Litauen
kaum andere Fremdsprachen in der Schule angeboten und gelernt.
Auch im Hochschulbereich haben Fremdsprachen einen festen Stellenwert, die Zahl
der Deutschlernenden beläuft sich auf 21 174. Die Zahl der Deutschlernenden im Er-
wachsenenbereich ist mit 600 Lernenden in 15 Erwachsenenbildungseinrichtungen relativ
gering (vgl. StADaF 2005: 11).
Das Erlernen der deutschen Sprache ist eine der Voraussetzungen für eine berufliche
Laufbahn in der Wirtschaft, im Tourismus und in den sprachenaffinen Berufen der
Fremdsprachenlehrenden und ÜbersetzerInnen/DolmetscherInnen. Ein weiterer wichti-
ger Grund, Deutsch zu lernen, ist ein Hochschulstudium oder ein anderer Bildungsweg
in deutschsprachigen Ländern.

3. Träger des Deutschunterrichts und der Deutschlehreraus- und


-ortbildung

Der Fremdsprachenunterricht wird hauptsächlich von den Einrichtungen des litauischen


Bildungssystems getragen. Die außerschulische Fremdsprachenvermittlung beschränkt
sich auf relativ wenige private oder öffentliche Einrichtungen, wie das Goethe-Institut in
Vilnius, das durch eine Kooperation mit der öffentlichen Einrichtung Valstybės instituciju˛
kalbu˛ centras ([Sprachenzentrum der öffentlichen Institutionen]) Deutsch-Sprachkurse
1730 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

unterstützt (http://www.vikc.lt) und bei der Fortbildung von Deutschlehrenden sowie bei
der Organisation verschiedener Lern- und Kulturprojekte aktiv ist.
Studiengänge in Germanistik und für die Deutschlehrerausbildung werden zurzeit
von sechs litauischen Universitäten durchgeführt. Ein kompletter Bildungsgang in Ger-
manistik (BA, MA, Promotion) kann jedoch nur an der Universität Vilnius und an der
Pädagogischen Universität Vilnius durchlaufen werden; andere Universitäten bieten aus-
schließlich BA-Studiengänge an (vgl. Račienė 2004: 311). Der Lehrerberuf erfordert eine
Lehrerqualifikation, die nach einem klassischen Germanistikstudiengang durch eine Zu-
satzausbildung erworben werden kann. Allerdings können FremdsprachenspezialistIn-
nen (AbsolventInnen von germanistischen BA-Studiengängen) zurzeit auch ohne formale
Lehrerqualifikation an der Schule arbeiten (vgl. Country Report Lithuania 2003/2004:
82). Einige Kollegien (vergleichbar mit Pädagogischen Hochschulen) bilden ebenfalls
Fremdsprachenlehrende aus, die jedoch ausschließlich an Grundschulen arbeiten können
(vgl. Country Report Lithuania 2003/2004: 83).
Lehrerfortbildungsangebote werden hauptsächlich von dem Pedagogu˛ profesinės
raidos centras ([Zentrum der Berufsentwicklung der LeherInnen], http://www.pprc.lt/
english.html) getragen. Darüber hinaus und konkret für die Fortbildung in der Didaktik
und Methodik des Deutschen als Fremdsprache sind insbesondere das Goethe-Institut
in Kooperation mit dem Valstybés instituciju˛ kalbu˛ centras in Vilnius und das Regionale
Fortbildungszentrum für Deutsche Sprache und Landeskunde Kaunas (http://www.
kpkc.lt/) tätig.
Für den fachlichen Austausch und die Kontaktpflege zu den deutschsprachigen Län-
dern wurde 1993 der Verband der Deutschlehrenden Litauens (VdDL) gegründet (http://
www.vdl.lt/), der auch die Verbandszeitschrift Miteinander zu Themen der Didaktik und
Methodik der deutschen Sprache herausgibt.

4. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme

Das litauische Bildungs- und Wissenschaftsministerium (www.smm.lt) verfolgt die ge-


meinsamen Ziele der europäischen Sprachenpolitik und ist um eine Förderung der Mehr-
sprachigkeit in den litauischen Schulen und Hochschuleinrichtungen bemüht, indem es
die Verbreitung und den Einsatz europäischer Instrumente und Konzepte fördert. Jedoch
ist in der Schulfremdsprachenwahl eine Konzentration auf Englisch und Russisch zu
beobachten. In dieser Frage ist noch Bewusstmachungsarbeit zu leisten, um für die
sprachliche Vielfalt zu sensibilisieren und eine Lernmotivation für weitere Fremdspra-
chen zu wecken.
Die Situation der litauischen FremdsprachenlehrerInnen ist verbesserungsbedürftig.
Wegen der geringen Bezahlung sind viele LehrerInnen gezwungen, weiteren Beschäfti-
gungen zum Bestreiten des Lebensunterhalts nachzugehen, AbsolventInnen der fremd-
sprachlichen oder pädagogischen Studiengänge wählen oft andere Berufswege als den
des Lehrers/der Lehrerin und setzen ihre Fremdsprachenkompetenzen in der freien Wirt-
schaft ein. Im Zusammenhang mit der finanziellen Situation hat der Lehrerberuf sein
Prestige verloren, der soziale Status der Lehrenden ist gefährdet (vgl. Račienė 2004: 312).
209. Deutsch in Litauen 1731

5. Schwerpunkte in der Lehrerausbildung und Germanistik


Die litauische Germanistik setzt an unterschiedlichen Universitäten unterschiedliche
Schwerpunkte, jedoch bleibt sie hauptsächlich den klassisch germanistischen Teilberei-
chen verbunden. Das Berufsfeld der GermanistikabsolventInnen ist nicht fest definiert.
Eine Ausnahme bildet die Pädagogische Universität Vilnius, wo Lehrende für Deutsch
ausgebildet werden. Die Ausbildung konzentriert sich ebenfalls auf traditionell germanis-
tische Inhalte, ergänzt durch die allgemeine Pädagogik und Psychologie. Viel Wert wird
auf die Sprachpraxis und die strukturelle Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache
gelegt. Darüber hinaus studiert man einige didaktische Fächer und muss ein Unterrichts-
praktikum absolvieren. Einen beträchtlichen Teil des Studiums machen auch allgemein-
bildende Fächer aus.
Der wissenschaftliche Diskurs innerhalb von Germanistik und Deutschlehrerausbil-
dung wird in einigen Fachzeitschriften (Kalbotyra, Žmogus ir žodis, Miteinander) und auf
Fachtagungen geführt.

6. Ausblick
Der Rückgang der Lernerzahlen und der Nachfrage in den germanistischen Studiengän-
gen zeigt eine negative Tendenz für die deutsche Sprache in Litauen. Notwendige Maß-
nahmen sind in der Finanzierung und der Modernisierung des Bildungsbereichs zu sehen.
Eine inhaltlich aktuelle Fremdsprachenlehrerausbildung müsste auch die neueren Er-
kenntnisse der Sprachlehr- und -lernforschung sowie der Fremdsprachendidaktik berück-
sichtigen, um die Bedürfnisse der LernerInnen zu befriedigen und ihre Motivation zu
fördern. Baužienė (2007) stellt in den Ergebnissen einer Umfrage fest, dass in den litaui-
schen Schulen noch wenig mit dem Konzept der Mehrsprachigkeit gearbeitet wird, und
versucht dies auf die fehlende Qualifikation der FremdsprachenlehrerInnen und das Aus-
bleiben von mehrere Fremdsprachen integrierenden Curricula, Lehrplänen sowie Lehr-
materialien zurückzuführen (vgl. Baužienė 2007: 73⫺74). Auch das integrierte Sachfach-
und Fremdsprachenlernen findet bisher keine Anwendung. Dafür sind in erster Linie die
Qualifikationen der Lehrenden nicht ausreichend (AbsolventInnen der Pädagogischen
Universität sind nur für ein Unterrichtsfach qualifiziert). Weitere Widerstände findet
dieser Ansatz auch in der Auffassung von LituanistInnen, durch das Unterrichten von
weiteren Sachfächern in einer Fremdsprache würde die litauische Sprache gefährdet, die
muttersprachliche Kompetenz würde zurückgehen (vgl. z. B. Country Report Lithuania
2003/2004: 8).
Zusammenfassend lässt sich ein großer Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen fest-
stellen: Entsprechend der Empfehlungen der europäischen Sprachenpolitik ist die Umset-
zung neuerer didaktischer, methodischer und struktureller Konzepte fällig und wird erst
gegenwärtig in Angriff genommen.

7. Literatur in Auswahl
Baužienė, Rūta
2007 Deutsch als Fremdsprache im Rahmen schulischer Mehrsprachigkeit in Litauen. Kalbu˛
studijos. Studies about languages 10: 68⫺74.
1732 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Country Report Lithuania


2003/2004 Language Education Policy Profile. The Ministry of Education and Science of the
Republic of Lithuania, Vilnius.
Račienė, Ernesta
2004 Deutschunterricht und Germanisten-/Deutschlehrerausbildung in Litauen. In: Dietmar
Goltschnigg und Anton Schwob (Hg.), Zukunftschancen der deutschen Sprache in Mittel-,
Südost- und Osteuropa, 309⫺313. Wien: Edition Praesens.
Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache (StADaF)
2005 Deutsch als Fremdsprache weltweit. Erhebung 2005.

Lina Pilypaitytė, Darmstadt (Deutschland)

210. Deutsch in Luxemburg


1. Deutsch in der Luxemburger Mehrsprachigkeit
2. Die Rolle des Deutschen an den Luxemburger Schulen
3. Bildungsstandards Sprachen
4. Literatur in Auswahl

1. Deutsch in der Luxemburger Mehrsprachigkeit


Luxemburg ist multilingual und multikulturell zugleich, denn das Besondere des Landes
ist gerade seine spezifische kultur- und sprachensoziologische Situation. Die Luxembur-
ger Mehrsprachigkeit ist historisch gewachsen (vgl. z. B. Kühn 2005a; Fehlen 2008) und
sprachenpolitisch geregelt: Luxemburgisch (Lëtzebuergesch), Französisch und Deutsch
gelten nach dem Sprachengesetz (loi sur le régime des langues) vom 24. Februar 1984 als
langues administratives et judiciaires. Luxemburgisch ist zudem Nationalsprache (langue
nationale). Die sprachensoziologische Verteilung und der kommunikative Gebrauch der
drei Landessprachen sind äußerst vielschichtig. Das Luxemburgische ist vor allem die
mündliche Sprache im täglichen Leben und gleichzeitig Symbol nationaler Identität.
Trotz seiner sprachgenealogischen Verwandtschaft darf das Luxemburgische aller-
dings nicht als bloße Variante des Deutschen angesehen werden. Es handelt sich vielmehr
um eine etablierte, standardisierte und kodifizierte Ausbausprache und ist heute ⫺ insbe-
sondere unter funktionaler Perspektive ⫺ als neue germanische Nationalsprache anzuse-
hen. Dem Deutschen begegnet man in Luxemburg in erster Linie als Schriftsprache:
Es wird vor allem gelesen (z. B. in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern) und ferngesehen.
Französisch ist zum einen Verwaltungs- und Gesetzessprache. Zum anderen trifft man
allerdings auch im Alltag auf das Französische, z. B. bei Straßennamen, im Geschäftsbe-
reich oder im Restaurant, so dass man im Alltagsleben in Luxemburg dem Eindruck
unterliegt, man sei in einem französischsprachigen Land. Auffällig an der augenblickli-
chen Sprachensituation ist die Progression des Luxemburgischen gegenüber der Regres-
sion des Deutschen und Französischen (vgl. z. B. besonders den Bereich der persönlichen
210. Deutsch in Luxemburg 1733

Kommunikation über neue Medien: E-Mail, SMS oder Blogs). Für Luxemburgischspre-
chende ist das Luxemburgische trotzdem selten Schriftsprache, diese Funktion nehmen
entweder das Französische oder das Deutsche ein.
Das Besondere an der Situation in Luxemburg ist nun, dass mehrere Sprachen am
gleichen Ort sowie im gleichen Gespräch gesprochen werden können ⫺ allerdings ist
das Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander von Luxemburgisch, Deutsch und
Französisch verflochten, komplex und dynamisch. Zum einen ist der jeweilige Sprachen-
gebrauch bzw. der Sprachenwechsel nicht willkürlich und zufällig, sondern durch ein
kompliziertes Zusammenspiel von kulturspezifischen, sozialen, psychologischen, adressa-
tenspezifischen und sprachfunktionalen Faktoren geregelt. Zum anderen kommt es in-
nerhalb der einzelnen kommunikativen Domänen und Funktionsverteilungen häufig zu
Sprachenwechseln oft sogar mitten in einem Satz (codeswitching bzw. code hopping). Die
verschiedenen Sprachen werden zudem oft komplementär benutzt: Es gibt Personen, die
Luxemburgisch sprechen/hören, auf Deutsch lesen und auf Französisch schreiben. Hinzu
kommt eine weitere Entwicklung: Seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
wächst der Anteil hauptsächlich romanischsprachiger Bürger, die zum überwiegenden
Teil nur wenig oder kein Luxemburgisch sprechen und für die Deutsch eine fremde Spra-
che darstellt.
Interessant ist in auch die Einstellung der Luxemburger zu den drei Landessprachen:
Das Deutsche wird von den Luxemburgern gegenüber dem Französischen, Luxemburgi-
schen und Englischen nicht nur als altmodisch, hässlich und grobschlächtig angesehen,
sondern auch noch als eine überflüssige Sprache ⫺ eine frappierende Bewertung ange-
sichts des doch hohen Stellenwertes des Deutschen in der Luxemburger Schriftlichkeit
oder der starken Rezeption deutscher Medien. Das Deutsche hat vor allem nach dem
Zweiten Weltkrieg an Ansehen verloren. Französisch wird als die schönste und kultivier-
teste Sprache, Englisch als die modernste bezeichnet. Das Luxemburgische gilt als die
vertrauteste Sprache (vgl. hierzu Fehlen 2007).
Die Sprachensituation verkompliziert sich nun zusätzlich durch die besonderen demo-
grafischen und sozialen Entwicklungen: In Luxemburg leben 476200 Personen, davon
sind 198 300 Ausländer. Auf Grund dieser Entwicklungen zielen alle sprach- und kultur-
politischen Konzepte auf die Wertschätzung und den Erhalt der Mehrsprachigkeit: Die
Mehrsprachigkeit gilt als „véritable langue maternelle des Luxembourgeois“ (Berg und
Weis 2007: 19). Im gleichen Zusammenhang erfährt das Luxemburgische als Integrati-
onssprache zunehmende Relevanz.
Aufschlussreich für die Sprachensituation in Luxemburg ist auch ein Blick auf die
Literaturen im Land. In mehreren Sprachen zu schreiben, ist für Luxemburger Autorin-
nen und Autoren eine Selbstverständlichkeit. Luxemburg ist somit ein Land mit einer
ausgesprochenen „Tri-Literalität“ mit historischen, sozialkritischen und interkulturellen
Schwerpunkten (vgl. Honnef-Becker und Kühn 2004).

2. Die Rolle des Deutschen an den Luxemburger Schulen

Die Mehrsprachigkeit prägt auch das Schulsystem: 1912 wird für Luxemburg ein Schul-
gesetz erlassen, nach dem neben Deutsch und Französisch auch Luxemburgisch offiziel-
les Schulfach ist. Im luxemburgischen Schulsystem spiegelt sich also die grundsätzliche
1734 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Mehrsprachigkeit des Landes, wobei ⫺ nicht allein in Bezug auf den zeitlichen Um-
fang ⫺ das Deutsche bevorzugt scheint. Die Alphabetisierung erfolgt konsequent auf
Deutsch. Deutsch ist in der Primarschule (Enseignement primaire) zudem auch Unter-
richtssprache in den Fächern Mathematik und Sachkunde. Im Sekundarunterricht (En-
seignement secondaire und secondaire technique) erfolgt der Sach- und Fachunterricht
mit Ausnahme der Mathematik auf den untersten Klassen ebenfalls auf Deutsch. Der
Französischunterricht beginnt im zweiten Halbjahr der zweiten Klasse der Primarschule.
Im Sekundarbereich erhöht sich die Stundenzahl des Französischunterrichts leicht gegen-
über dem Deutschunterricht. Das Luxemburgische spielt im Unterrichtssystem so gut
wie keine Rolle.
2009 wird vom Luxemburger Parlament ein neues Schulgesetz erlassen. Die Reform
wird kulturpolitisch als Jahrhundertreform bezeichnet. Wichtige Änderungspunkte
sind ⫺ neben schulorganisatorischen Neuerungen ⫺ die Einbindung der Früherziehung
(éducation précoce) und Vorschule (éducation préscolaire) in den unterrichtlichen Primar-
bereich, die Abschaffung der Noten in den Vor- und Grundschulen, die Einführung von
zweijährigen Zyklen statt Schuljahren sowie die grundsätzliche Kompetenzorientierung
aller Unterrichtsfächer. Ziel der Reform ist unter anderem die bessere Integration der
Zuwanderer. Am Prinzip der Mehrsprachigkeit wird ausdrücklich festgehalten.
Ausdruck der Mehrsprachigkeit sind auch die Schülerinnen und Schüler mit Migrati-
onshintergrund bzw. die unterschiedlichen Sprachen, die diese Lernenden als Mutterspra-
che sprechen. Im Rahmen der PISA-Studie 2006 betrug der Anteil an Schülerinnen und
Schülern mit Migrationshintergrund 33,5 %, nach der PIRLS-Studie 2006 wachsen etwa
sechs von zehn Schülerinnen und Schülern in Familien mit Migrationshintergrund auf.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Luxemburger Schülerinnen und
Schüler in der internationalen Leseuntersuchung PIRLS 2006 als bestes europäisches
Land auf Rang sechs von insgesamt 39 Teilnehmerstaaten rangierte, obwohl der Lesetest
nicht in der Muttersprache, sondern auf Deutsch durchgeführt wurde (vgl. Berg et al.
2007).
Die grob geschilderte vielschichtige Sprachensituation darf allerdings nicht als Spra-
chenidylle missverstanden werden, denn in allen Schulformen gibt es multilinguale Klas-
sen, in denen Kinder mit Migrationshintergrund zunehmend größere Schulschwierigkei-
ten haben. Daher gerät gerade die schulpolitische Umsetzung des Luxemburger Spra-
chenmodells zunehmend in die Kritik: Es sei vor allem das Deutsche, das als frühes
Selektionskriterium ⫺ vor allem für Migrantenkinder ⫺ eine Barriere beim Zugang zu
den weiterführenden Schulen bilde. Die PISA- und PIRLS-Studien, an denen Luxem-
burg teilgenommen hat, zeigen allerdings eindeutig, dass mangelnde schulische Erfolge
und unzulängliche Fähigkeiten im Deutschen nicht in erster Linie auf die Andersspra-
chigkeit der Schüler zurückzuführen sind. PIRLS 2006 hat beispielsweise bewiesen, dass
die Grenze zwischen leseschwachen und lesestarken Schülerinnen und Schülern nicht
zwischen Luxemburgern und Migranten oder zwischen den Landes- und Migrantenspra-
chen verläuft, es sind vielmehr interdependente sozioökonomische und migrationsspezifi-
sche Faktoren, die eine Leseschwäche oder Lesestärke nach sich ziehen (vgl. Freiberg,
Hornberg und Kühn 2007: 183⫺196). In der bildungspolitischen und curricularen Dis-
kussion über die Sprachen- und Schulsituation in Luxemburg wird daher konsequenter-
weise am Prinzip der Mehrsprachigkeit festgehalten ⫺ allerdings mit neuen Vorzeichen:
Mit dem Plan d’action von 2007 liegt ein Rahmen für die Neuorientierung des Unter-
richts vor (Berg und Weis 2007). Die Umsetzung dieses Rahmenplans orientiert sich an
210. Deutsch in Luxemburg 1735

der Konzeption des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen und ist
für die Unterrichtssprachen durch die Aufstellung von Bildungsstandards konkretisiert
worden (Kühn 2008).

3. Bildungsstandards Sprachen
Auf der Basis der skizzierten multikulturellen und multilingualen Situation sowie des
schulischen Bildungsauftrags werden in den Bildungsstandards Sprachen des Luxembur-
ger Erziehungsministeriums folgende Zielsetzungen verfolgt:
(1) Das Sprachenlernen steht im Kontext einer sprachpolitisch gewollten Mehrsprachig-
keit sowie im Kontext interkultureller Bezugsfelder. Die Kultur der Mehrsprachig-
keit gilt damit als Unterrichtsprinzip an Luxemburger Schulen.
(2) Dem Luxemburgischen fällt in dieser Sprachensituation als Integrationssprache eine
besondere Rolle zu. Daneben kann das Luxemburgische auch als Vehikularsprache
den Spracherwerb des Deutschen in Vor- und Grundschule fördern.
(3) Auf Grund der besonderen Sprachensituation in Luxemburg ist es müßig und ver-
gebliche Liebesmüh, die verschiedenen Sprachen mit linguistischen Begriffen wie
Muttersprache, Fremdsprache, Erstsprache, Zweitsprache, Herkunftssprache, Fami-
liensprache, Begegnungssprache, Partnersprache, Umgebungssprache usw. beschrei-
ben zu wollen. Dies gilt besonders auch für das Deutsche, das auf Grund der
Verwandtschaft zum Luxemburgischen keine tatsächliche Fremdsprache ist. Es ist
jedoch auch keine Zweitsprache, da das Deutsche in Luxemburg nicht als kommuni-
kative Verkehrssprache gebraucht wird. Allerdings wird das Deutsche via Medien
stark rezipiert.
(4) Seine besondere Bedeutung hat das Deutsche als Alphabetisierungssprache, als Sozi-
alisationssprache sowie als Kommunikationssprache in der Schule, besonders auch
in den Sachfächern. Im Deutschen werden zum einen sprachliche Handlungskompe-
tenzen vermittelt, zum anderen hat das Deutsche auch grundlegende Bedeutung für
die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung der Kinder. Auf Grund der ge-
nannten Besonderheiten ist der Deutschunterricht in Luxemburg daher nicht mit
dem Deutschunterricht in anderen Ländern vergleichbar.
Der Deutschunterricht erfolgt grundsätzlich handlungsbezogen und kompetenzorien-
tiert: Den Schülern sollen Kompetenzen vermittelt werden, die sie in die Lage versetzen,
Lese- oder Hörtexte zu verstehen, sich an Gesprächen aktiv zu beteiligen sowie Texte
zu schreiben; Grammatik- und Wortschatz sind in diese zentralen Kompetenzbereiche
integriert. Von einer kompetenzbezogenen Bewertung von Schülerleistungen erhofft man
sich ein differenziertes Bild von Stärken und Schwächen in verschiedenen Kompetenzbe-
reichen.

4. Literatur in Auswahl
Berg, Charles, Wilfried Bos, Sabine Hornberg, Peter Kühn, Pierre Reding und Renate Valtin (Hrsg.)
2007 Lesekompetenzen Luxemburger Schülerinnen und Schüler auf dem Prüfstand. PIRLS 2006.
Ergebnisse, Analysen und Perspektiven zu PIRLS 2006. Münster: Waxmann.
1736 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Berg, Charles und Christiane Weis


2007 Réajustement de l’enseignement des langues. Plan d’action 2007⫺2009. Luxemburg: Éditi-
ons du CESIJE.
Fehlen, Fernand
2007 Der geheime Lehrplan des Luxemburger Sprachenunterrichts. Forum 264 (3): 33⫺37.
Fehlen, Fernand
2008 Multilingualismus und Sprachenpolitik. In: Wolfgang H. Lorig und Mario Hirsch (Hg.),
Das politische System Luxemburgs. Eine Einführung, 45⫺61. Wiesbaden: VS Verlag für
Sozialwissenschaften.
Freiberg, Martin, Sabine Hornberg und Peter Kühn
2007 Mehrsprachigkeit, Migration und soziale Heterogenität im Spiegel der Lesekompetenzen.
In: Charles Berg, Wilfried Bos, Sabine Hornberg, Peter Kühn, Pierre Reding und Renate
Valtin (Hg.), Réajustement de l’enseignement des langues. Plan d’action 2007⫺2009, 169⫺
218. Luxemburg: Éditions du CESIJE.
Honnef-Becker, Irmgàrd und Peter Kühn (Hrsg.)
2004 Über Grenzen. Literaturen in Luxemburg. Esch/Alzette: éditions phi.
Kühn, Peter
2005 Die Stellung der deutschen Sprache in der luxemburgischen Mehrsprachigkeit. In: Minis-
tère de l’Éducation nationale de la Formation professionnelle (Hg.), Culture Luxembour-
geoise, 3⫺23. Luxemburg: MENFPS.
Kühn, Peter
2008 Bildungsstandards Sprache. Leitfaden für den kompetenzorientierten Sprachenunterricht an
Luxemburger Schulen. Luxembourg: Ministère de l’Éducation nationale.

Peter Kühn, Trier (Deutschland)

211. Deutsch in Marokko


1. Deutsch an öffentlichen Schulen
2. Deutsch an privaten Sprachschulen
3. Germanistik in Lehre und Forschung
4. Literatur in Auswahl

1. Deutsch an öentlichen Schulen


Aus historischen, politischen und kulturellen Gründen gilt Französisch immer noch als
erste Fremdsprache in Marokko. So wird es in den öffentlichen Schulen ab der 3. Klasse,
in Privatschulen sogar schon im Kindergarten parallel zum Standardarabischen gelehrt.
Ab der 9. Klasse ⫺ bis zum Jahr 2005 erst ab der 10. Klasse ⫺ muss man eine weitere
Fremdsprache als Wahlpflichtfach lernen: Englisch, Spanisch, Italienisch oder Deutsch.
Während Französisch und Englisch den ersten bzw. den zweiten Platz in den Schulen
bewahrt haben, versucht Deutsch, sich im Zuge der allgemeinen Diversifizierung vor
Spanisch und Italienisch als dritte Fremdsprache zu etablieren. Lernten im Schuljahr
211. Deutsch in Marokko 1737

1996/97 insgesamt 4.685 Schüler Deutsch, so stieg diese Zahl bis zum Jahr 2007/08 um
etwa 400 % auf genau 18.513. Im selben Zeitabstand stieg die Zahl der Deutschlehrer
von 100 auf genau 199 und hat sich somit verdoppelt. Seit 2005 erfahren die Deutsch-
kurse mit ihrer Einführung in die Unterstufe eine massive Verbreitung, sodass im Schul-
jahr 2007/2008 genau 10.111 Schüler verzeichnet wurden, die Deutsch an 56 Unter-
stufenklassen bei 43 Lehrern lernten. Diese Zahlen dürfen jedoch nicht darüber hinweg-
täuschen, dass Deutsch nach wie vor vielen Schülern an öffentlichen Schulen
aufgezwungen wird.
Hier spielen im Sprachenunterricht im Allgemeinen traditionelle Medien immer noch
eine entscheidende Rolle. Der Einsatz von audiovisuellen oder elektronischen Medien,
die sich für den Sprachunterricht eignen, also die Verwendung von Rundfunk- und TV-
Kursen, Computern und Internet, ist wegen fehlender angemessener Infrastruktur nur in
seltenen Ausnahmefällen möglich. Die Arbeit mit Hörtexten muss daher oft ausfallen.
Deshalb sieht der vor Kurzem vom Ministerium akkreditierte und als innovativ bezeich-
nete „Referenzrahmen für die Abiturprüfung im Fach Deutsch als 2. Fremdsprache“
bei der Leistungsmessung nur das Leseverstehen und den schriftlichen Ausdruck neben
Grammatik und Wortschatz als Prüfungsteile vor.

2. Deutsch an privaten Sprachschulen


Seit Anfang der 1990er Jahre verlangt das deutsche Konsulat von den marokkanischen
Antragstellern Sprachdiplome als Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse zur Bean-
tragung eines Studienvisums. Seitdem bieten Privatschulen mit Deutschunterricht haupt-
sächlich Intensivkurse an, in denen sie ihre Kursteilnehmer auf das Zertifikat Deutsch
und, seit September 2003, auf die Mittelstufe vorbereiten. Es handelt sich dabei vorwie-
gend um Abiturienten, die andere Sprachen auf dem Gymnasium gelernt haben und am
Studium in einem deutschsprachigen Land interessiert sind.
Diese Lernergruppe macht in der Regel schnellere Lernfortschritte als Gymnasial-
schüler, denn sie lernen Deutsch freiwillig und in unvergleichbar besseren Lernbedingun-
gen, da die Privatschulen oft technisch besser ausgestattet sind als öffentliche Schulen.
Ihre Kursteilnehmer lernen alle Fertigkeiten, und es ergibt sich für sie der Vorteil, dass
sie in Intensivkursen von insgesamt 400 Stunden die Schüler einholen, die ⫺ oft gezwun-
gen ⫺ bereits 3 Jahre Deutsch mit 5 Wochenstunden an den öffentlichen Gymnasien
gelernt haben.
Seitdem das neue Zuwanderungsrecht vom Juli 2007 in Kraft getreten ist, wird vom
deutschen Konsulat in Marokko im Visumverfahren im Rahmen des Ehegattennachzugs
der Nachweis über Sprachkenntnisse auf dem Niveau A1 verlangt. Infolgedessen bot
sich für private Sprachschulen eine neue Zielgruppe, die sich auf diese Sprachprüfung
vorbereiten lässt. Die Lerngruppen setzen sich jedoch meistens aus Kursteilnehmern mit
großen Alters- und Bildungsunterschieden, respektive mit unterschiedlichen rezeptiven
und produktiven Fähigkeiten, zusammen, sodass der Lernprozess manchmal erheblich
gestört wird.
Lehrerfortbildung kommt meistens erst in Frage, wenn sich ausländische Institutio-
nen dafür einsetzen und Seminare in dieser Hinsicht organisieren. Jährlich können einige
Lehrer mit Hilfe von deutschen und österreichischen Mittlerorganisationen an Fortbil-
dungsveranstaltungen in Deutschland bzw. in Österreich teilnehmen.
1738 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

3. Germanistik in Lehre und Forschung

Die Germanistik wurde 1976 zum ersten Mal als Studienfach an der Universität Rabat
eingeführt und wird seit 1983 auch in Fes ebenso wie in Casablanca seit 1986 als voller
Studiengang angeboten. Im Studienjahr 2008/09 sind insgesamt ca. 600 Studenten in der
Germanistik immatrikuliert, davon etwa 400 in Fes, 120 in Casablanca und 80 in Rabat.
Ihnen stehen insgesamt 23 Universitätslehrkräfte zur Verfügung.
Seit der Durchsetzung der Studienreform im Jahr 2003 dauert die Ausbildung in der
Regel sechs Semester. Die vier ersten Semester bilden das Grundstudium und werden
mit dem Vordiplom DEUG (Diplôme des Etudes Universitaires Générales) abgeschlos-
sen. Hier wird der Akzent auf die Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten durch die
Vermittlung von Grammatik und Wortschatz ebenso wie durch die Einübung im Lese-
und Hörverstehen gelegt. Durch diese intensive Sprachpraxis sollen die Studierenden
befähigt werden, eine Fachveranstaltung im Hauptstudium zu besuchen und wissen-
schaftliche Arbeiten zu verfassen. Nach dem Studienabschluss mit der Licence (⫽ Bache-
lor) haben die Absolventen die Möglichkeit, eine einjährige Referendarausbildung an der
Ecole Normale Supérieure (ENS) oder am Centre Pédagogique Régional (CPR) zu ma-
chen, um die Lehrbefähigung für Deutsch als Fremdsprache in der Sekundar- bzw. Un-
terstufe zu bekommen. Mit der Einführung des Studienganges Deutsch für Übersetzen
und Dolmetschen an der Übersetzer- und Dolmetscherhochschule in Tanger (École Su-
périeure Roi Fahd de Traduction) wurde gegen Ende der 1990er Jahre erstmals ein be-
rufsorientierter Studiengang für Deutsch eingeführt. Die Absolventen germanistischer
Abteilungen haben seit dem Wintersemester 2007/08 auch die Möglichkeit, ein postgra-
duiertes Studium im Masterstudiengang an der Universität Fes zu absolvieren und an-
schließend zu promovieren.
Die Hochschulreform hat den Vorteil gebracht, dass das Modulsystem adoptiert und
damit hinsichtlich der Studieninhalte auf Grund der erlaubten Flexibilität eine entschei-
dende Verbesserung gegenüber dem alten System gewährleistet wurde. Eigentlich strebte
Marokko durch frühere Projektentwürfe längst danach, die Hochschulen nach Markt-
prinzipien zu reformieren und die Universitätsausbildung den Arbeitsmarktanforderun-
gen anzupassen. Schließlich adoptierte es das Studienmodell LMD (Licence, Master und
Doctorat) dem Bologna-Modell entsprechend, das eine Internationalisierung der Hoch-
schulsysteme und eine Vereinheitlichung der Abschlüsse empfiehlt.
Die Entwicklungen der Germanistik sind auf Grund der Studienreform stärker in
einen interdisziplinären Diskurs über Inhalte und Ziele eingetreten, die den gesellschaftli-
chen Nutzen dieser Disziplin berücksichtigen und das Fach dementsprechend inhaltlich
neu konzipieren. Gefragt ist nun ein Studium mit innovativen Lehr- und Lernmethoden,
das die Berufsperspektiven der Absolventen berücksichtigt und diesen dementsprechend
eine adäquate Fachausbildung bietet. Es ist daher notwendig, verschiedene Schwer-
punkte anzubieten, dahingehend, dass nicht nur ein Fachstudium aus interkulturellen
und interdisziplinären Gesichtspunkten angeboten, sondern auch auf den Lehrberuf
ebenso wie auf Tätigkeiten in der Industrie, im Handel und im Tourismus vorbereitet
wird. Auf diese Weise könnte sich der Studierende den Schwerpunkt aussuchen, der ihn
motiviert und von dem er begründet meint, dass er ihm für sein späteres Berufsleben
nützt. In diesem Fall können gewiss Prioritäten festgelegt werden, die den Arbeitsmarkt-
anforderungen am besten entsprechen würden.
211. Deutsch in Marokko 1739

Die Tatsache, dass wir in der Auslandsgermanistik keine reine deutsche Philologie
mehr zu betreiben brauchen, war uns ebenso wie anderen Kollegen bei Curriculumsdis-
kussionen längst bewusst. Dies mag der Grund dafür sein, dass der Hauptschwerpunkt
in den Publikationen vieler marokkanischer Germanisten im Bereich der interkulturellen
Germanistik (vgl. exemplarisch Boubia 1987, 1993; Lamrani 1993, 2003; Lazaare 1998,
2005) und der vergleichenden Literatur- und Sprachwissenschaft (vgl. exemplarisch Jai-
Mansouri 2002, 2005) liegt.
Aus dieser knappen Darstellung der Stellung der deutschen Sprache in Marokko lässt
sich das Fazit ziehen, dass die gesetzlichen Regelungen und sprachenpolitischen Rahmen-
bedingungen einerseits die Entwicklung des Faches Deutsch als Fremdsprache entschei-
dend bestimmen. Andererseits ist es den Universitätslehrkräften teilweise gelungen, im
Rahmen der Hochschulreform die Studieninhalte neu zu definieren, das Germanistikstu-
dium den Arbeitsmarktanforderungen besser anzupassen und damit einen entscheiden-
den Beitrag zur weiteren Entwicklung des Faches zu leisten.

4. Literatur in Auswahl
Boubia, Fawzi
1987 Die Verfremdung der Verfremdung. Thesen zu einer interkulturellen Germanistik im ara-
bischen Raum. Info DaF 14(1): 28⫺33.
Boubia, Fawzi
1993 Legitimationsgrundlagen europäischer Studien im Maghreb. In: Bernd Thum und Gon-
thier-Louis Fink (Hg.), Praxis interkultureller Germanistik. Forschung, Bildung, Politik,
181⫺183. (Publikationen der Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik 4). München:
iudicium.
Jai-Mansouri, Rachid
2002 Das arabische Majnun-Thema bei André Miquel. In: Dirk Winkelmann und Alexander
Wittwer (Hg.), Von der ars intelligendi zur ars applicandi, 299⫺312. München: iudicium.
Jai-Mansouri, Rachid
2005 Deutsch und Arabisch ⫺ Eine kontrastive Sprachbetrachtung? Informationen zur
Deutschdidaktik 29(2): 44⫺54.
Lamrani, Rachid
1993 Europa und der deutschsprachige Raum als Denkhorizont? Ansichten und Ansätze zu
einer interkulturell und interdisziplinär orientierten Germanistik im Maghreb. In: Bernd
Thum und Gonthier-Louis Fink (Hg.), Praxis interkultureller Germanistik. Forschung,
Bildung, Politik, 323⫺326. (Publikationen der Gesellschaft für Interkulturelle Germanis-
tik 4). München: iudicium.
Lamrani, Rachid
2003 Translation und Kulturtransfer. Hermeneutische Modalitäten des Übersetzens als Um-
gang mit dem Anderen. In: DAAD (Hg.), Germanistiktreffen Deutschland ⫺ Arabische
Länder, Iran, 231⫺250. Siegburg: Daemisch Mohr.
Lazaare, Khalid
1998 Marokko in deutschen Reiseberichten des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Vorstudien
zur deutschen Wahrnehmung einer islamischen Region. (Studien zur neueren Literatur 7).
Frankfurt a. M. u. a.: Lang.
Lazaare, Khalid
2005 Das/Ein Bild Marokkos in deutschen Reiseberichten des 19. Jahrhunderts. In: Jean-Marie
Valentin (Hg.), Germanistik im Konflikt der Kulturen, 323⫺330. (Akten des XL Internatio-
nalen Germanistenkongresses 9). Bern u. a.: Lang.

Rachid Jai-Mansouri, Fes (Marokko)


1740 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

212. Deutsch in Mexiko


1. Einführung
2. Deutschsprachige Gruppen in Mexiko
3. Deutschunterricht
4. Deutschlehrerausbildung und Germanistikstudium
5. Fachverbände
6. Literatur in Auswahl

1. Einührung
Auch wenn in Mexiko über 60 indigene Sprachen gesprochen werden, wird der Bereich
der öffentlichen Kommunikation fast ausschließlich vom Spanischen dominiert. Unter
den Fremdsprachen hingegen genießt das Englische durch die vertieften Wirtschaftsbe-
ziehungen mit den Nachbarn im angelsächsischen Norden eine unbestrittene Vorrangstel-
lung. Daneben erfreut sich jedoch auch Deutsch einer beständigen und sogar anwachsen-
den Beliebtheit, was sicher nicht zuletzt auf die eindrückliche Präsenz deutscher Firmen
in Mexiko zurückzuführen ist, sowie auf die Tatsache, dass Deutschland der drittgrößte
Handelspartner Mexikos in der Welt und der größte innerhalb der Europäischen Union
ist. Zugleich bewirkt die Steigerung des akademischen und kulturellen Austausches zwi-
schen Mexiko und Deutschland, dass der Bereich Deutsch als Fremdsprache von einer
spürbaren Dynamik geprägt ist. Insgesamt wird die Zahl der Deutschlerner vom mexika-
nischen Deutschlehrerverband inzwischen auf 40.000 bis 45.000 geschätzt, die von ca.
1.300 Lehrern unterrichtet werden (Dettmer 2007: 26).

2. Deutschsprachige Gruppen in Mexiko


Hauptsächlich im Norden des Landes gibt es zahlreiche mennonitische Siedlungen, in
denen die allgemeine Umgangssprache das mennonitische Plautdietsch, eine Varietät des
Niederpreußischen, ist. Bei den meisten dieser deutschstämmigen Gruppen wird zwar
Hochdeutsch in den Schulen gelehrt und als offizielle Sprache für Amtsgeschäfte und in
der Kirche verwendet, jedoch ist das allgemeine Niveau in der Standardsprache auf ein
Mindestmaß gesunken. In jüngerer Zeit gibt es allerdings Bestrebungen einzelner fort-
schrittlicher Gemeinden, die Annäherung zur modernen hochdeutschen Sprache wieder
zu suchen und das Deutschniveau zu heben. Besonders die Álvaro-Obregón-Oberschule
in Blumenau nahe der Stadt Cuauhtémoc im Bundesstaat Chihuahua erfüllt hier eine
Vorreiterrolle durch Curriculumreformen sowie Fortbildungs- und Kooperationsmaß-
nahmen mit deutschen Einrichtungen (Steffen 2008: 69⫺72). Mittlerweile hat sich das
Hochdeutsche in der Gegend von Cuauhtémoc wieder als echte High-Varietät etabliert
und wird in einigen Familien sogar als Umgangssprache gesprochen.
212. Deutsch in Mexiko 1741

3. Deutschunterricht

3.1. Schulen

Bereits 1894 wurde das Colegio Alemán Alexander von Humboldt in Mexiko-Stadt ge-
gründet. Heute wird die Deutsche Auslandsschule (DAS) der Hauptstadt von ca. 3.400
Schülern besucht, die sich mittlerweile auf drei Standorte, den Campus Lomas Verdes
(1.129 Schüler), den Campus Xochimilco (1.397 Schüler) und den noch im Aufbau be-
findlichen Campus La Herradura (825 Schüler), verteilen (derzeit insg. 100 aus Deutsch-
land stammende Lehrkräfte, 220 mexikanische Lehrkräfte). Zudem gibt es eine DAS in
Puebla (1.436 Schüler) und eine weitere in Guadalajara (961 Schüler). Insgesamt beläuft
sich die Zahl der Auslandsdienstlehrkräfte auf 47, die der Bundesprogrammlehrkräfte
auf 17. Bis auf die deutsche Schule in Guadalajara besteht an allen DAS die Möglichkeit,
neben dem mexikanischen Abschluss (CCH) auch das Abitur zu machen. Am Colegio
Suizo mit insg. drei Zweigstellen (Mexiko-Stadt, Cuernavaca, Querétaro) besteht die
Möglichkeit, die Prüfung zum Sprachdiplom I und II der KMK abzulegen. Neben diesen
etablierten Auslandsschulen haben mittlerweile das Colegio Alemán Cuauhtémoc Hank in
Tijuana, Baja California Norte, sowie die oben erwähnte Mennonitenschule Escuela Ál-
varo Obregón in Blumenau, Chihuahua, den Status von DSD-Schulen erlangt. Darüber
hinaus hat besonders die vom Auswärtigen Amt ins Leben gerufene Initiative „Schulen:
Partner der Zukunft“ für Dynamik bei der Förderung von Deutsch an mexikanischen
Schulen gesorgt. Zu den im Rahmen der Initiative geförderten Partnerschulen gehören
bislang die Escuela Nacional Preparatoria (ENP) der UNAM in Mexiko-Stadt, zwei Pre-
paratorias der Universität Guadalajara (UdeG), das Instituto para Formación y Desa-
rrollo Volkswagen in Puebla und die Mennonitenschule La Esperanza im Bundesstaat
Chihuahua.

3.2. Goethe-Institute und andere Sprachlehrinstitute

Es gibt in Mexiko zwei Goethe-Institute, eines in der Hauptstadt und eines in Guadala-
jara. Das GI Mexiko-Stadt verfügt über fünf Stellen für Entsandte und 41 Ortslehrkräfte,
einschließlich der Sprachlehrer. Die Zahl der eingeschriebenen Deutschlerner hat in den
letzten fünf Jahren abgenommen. Dies liegt jedoch nicht an einem schwindenden Inte-
resse an Deutsch, sondern an der steigenden Zahl konkurrierender kommerzieller Anbie-
ter, zu denen in zunehmendem Maße auch die Universitäten gehören. Das GI Guadala-
jara bietet zur Zeit des Verfassens dieses Artikels keinen Sprachunterricht an, da für
diesen Zweck erst ein neues geeignetes, d. h. erdbebensicheres, Gebäude gefunden werden
muss. Die Kulturarbeit wird jedoch ununterbrochen fortgesetzt.
Neben den Goethe-Instituten gibt es noch zwei lokale Kulturgesellschaften in Monte-
rrey und San Luis Potosı́, die Deutschunterricht anbieten. Im zum Volkswagenwerk ge-
hörenden Centro de Idiomas Volkswagen wird Deutsch in mittlerweile fünf Zweignieder-
lassungen in Puebla unterrichtet (insg. knapp 2.000 Schüler, 45 Lehrkräfte, Zahlen nach
Dettmer 2008: 60).
1742 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

3.3. Deutsch an Universitäten

Bot eine Vielzahl der Universitäten in der Vergangenheit fast ausschließlich Englischun-
terricht an, so hat in den vergangenen Jahren auch an den privaten Hochschulen eine
Erweiterung des Sprachkursangebots auch um Deutschunterricht stattgefunden. Bezogen
auf Studierendenzahl, Frequenz der Kurse und Dauer der Sprachausbildung gibt es fol-
gende Schwerpunkte (Zahlen nach Dettmer 2008, wenn nicht anders erwähnt): Mexiko-
Stadt: Centro de Enseñanza de Lenguas Extranjeras (CELE), Universidad Nacional Autó-
noma de México (UNAM), Semester 2009/02: 732 eingeschriebene Deutschlerner; die
Nachfrage ist deutlich größer, ein DAAD-Lektorat und ein österreichisches Lektorat,
angestrebtes Sprachniveau ist C1; Campus FES Acatlán (zur UNAM gehörig): ca. 1.100
Deutschlerner pro Semester, ein DAAD-Lektorat, eine Sprachassistenz, bis Mittelstufe;
Centro de Lenguas Extranjeras (CENLEX) Zacatenco und CENLEX Santo Tomás des
Instituto Politécnico Nacional (IPN): je ca. 400 Schüler, bis Zertifikat Deutsch; Campus
Azcapotzalco der Universidad Autónoma Metropolitana (UAM): ca. 150 Schüler. Guada-
lajara: Departamento de Lenguas Modernas der Universidad de Guadalajara (UdeG), ca.
150 Deutschlerner, 10 Lehrer, ein DAAD-Lektorat, ein DAAD-Ortskraftlektorat, ein
österreichisches Lektorat, bis Mittelstufe (pers. Mitteilung Gräfe), Monterrey: Facultad
de Filosofı́a y Letras der Universidad Autónoma de Nuevo León (UANL), ca. 500 Lerner,
12 Lehrer, ein DAAD-Lektorat, eine Sprachassistenz; Benemérita Universidad Autónoma
de Puebla (BUAP), ca. 550 Schüler und 15 Lehrer an drei verschiedenen Einrichtungen;
Universidad Autónoma de Chiapas (UNACH), Tuxtla Gutiérrez, ca. 130 Schüler, 5 Leh-
rer; Centro de Idiomas der Universidad Veracruzana in Xalapa, ca. 200 Schüler. Daneben
gibt es noch an folgenden weiteren Universitäten größere Deutschabteilungen: Mexicali,
La Paz, Morelia, Querétaro, Villahermosa. Insgesamt schätzt das Goethe-Institut die
Zahl der Deutschlerner an Universitäten auf 12.000, die der Lehrkräfte auf 400 (Dettmer
2008: 58). Fandrych (2001: 1440) identifiziert in seinem Überblicksartikel zu DaF in
Mexiko folgende Probleme: „Allgemein leidet der Deutschunterricht an den meisten In-
stitutionen an den niedrigen Gehältern der Lehrenden, den fehlenden Planstellen (meist
wird auf Honorarbasis gearbeitet), an der daraus resultierenden Arbeitsüberlastung der
Lehrenden und den in den Großstädten schwierigen Arbeitsbedingungen, was zu großer
Fluktuation im Lehrpersonal führt.“ Zehn Jahre später hat sich an dieser Situation noch
wenig geändert, auch wenn mittlerweile gewisse Anstrengungen zur Professionalisierung
der Ausbildung unternommen werden (siehe 4.), die in der Zukunft zur Aufwertung des
Lehrberufs und zur Verbesserung der Arbeitssituation der Deutschlehrer in Mexiko füh-
ren könnten. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.

4. Deutschlehrerausbildung und Germanistikstudium


Das CELE der UNAM bietet eine Deutschlehrerausbildung (Curso de Formación de
Profesores, eröffnet 1978, Deutsch seit 1979) an. Der zweisemestrige Kurs behandelt so-
wohl theoretisch-linguistische Themen als auch praktische Aspekte des Fremdsprachen-
lehrens.
An der Facultad de Estudios Superiores (FES) Acatlán der UNAM gibt es seit 2004
die Möglichkeit, ein grundständiges Studium in der Licenciatura en Enseñanza de Len-
212. Deutsch in Mexiko 1743

guas mit der Spezialisierung für Deutsch zu belegen. Der Studiengang ist als Fernstudium
konzipiert, das in acht Semestern absolviert werden kann.
Mit dem Wintersemester 2008/09 hat ein gemeinsamer Masterstudiengang in Deutsch
als Fremdsprache der Universität Guadalajara mit dem Herder-Institut der Universität
Leipzig begonnen. Schwerpunkte der zweijährigen Ausbildung, die jeweils zur Hälfte an
beiden Hochschulen absolviert wird, sind kontrastive Fragestellungen sowie Aspekte des
sprachlich-kulturellen Kontakts zwischen der deutsch- und der spanischsprachigen Welt.
Die einzige Variante des Germanistikstudiums in Mexiko stellt das 1955 eingerichtete
achtsemestrige grundständige Studium „Letras Alemanas“ an der philosophischen Fa-
kultät der UNAM dar. Das Studium besteht aus einem Pflichtprogramm in deutscher
Literaturwissenschaft, welches durch Wahlpflichtkurse in Linguistik, europäischer Ge-
schichte und Kultur sowie mexikanischer Literatur- und Kulturgeschichte ergänzt wird
(Rall 2002: 92). Im Hauptstudium (Semester 5⫺8) ist eine Spezialisierung in Überset-
zung, Literaturwissenschaft oder Didaktik möglich.

5. Fachverbände

Die wichtigste Körperschaft der Deutschlehrer in Mexiko stellt der 1992 gegründete me-
xikanische Deutschlehrerverband (Asociación Mexicana de Profesores de Alemán, AM-
PAL) dar. Ihm gehören ca. 150 Mitglieder an. Zu den Zielen des Verbandes zählen die
Förderung von Lehre und Forschung im Bereich Deutsch als Fremdsprache in Mexiko
und die Vernetzung der Deutschlehrer in Mexiko untereinander sowie mit ähnlichen
Organisationen im Ausland. Dazu organisiert AMPAL im jährlichen Wechsel Fachta-
gungen (Jornadas AMPAL) und Deutschlehrertreffen (Encuentros AMPAL), die der
Fortbildung und dem kollegialen Austausch dienen sollen.

6. Literatur in Auswahl

Dettmer, Martin
2008 Deutsch lehren in Mexiko ⫺ ein aktueller Überblick. In: Memorias del VII Encuentro
AMPAL, Universidad de Guanajuato, Escuela de Idiomas, 3 al 6 de mayo de 2005, 57⫺63.
Mexiko-Stadt: AMPAL.
Dettmer, Martin
2007 El alemán en México analizado por la Asociación Mexicana de Profesores de Alemán.
In: El idioma alemán en México. Medio de enlace, oportunidades y prestigio, 25⫺28. Me-
xiko-Stadt: AMPAL.
Fandrych, Christian
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Mexiko. In: Gerhard Helbig, Lutz Götze,
Gert Henrici und Hans Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales
Handbuch, 1438⫺1445. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissen-
schaft 19.1⫺2.) Berlin: de Gruyter.
Rall, Dietrich
2002 Situation und Perspektiven der Germanistik in Mexiko. In: Deutscher Akademischer
Austauschdienst (DAAD) (Hg.), Germanistentreffen Deutschland ⫺ Argentinien, Brasilien,
1744 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Chile, Kolumbien, Kuba, Venezuela 8.⫺12. 10. 2001, Tagungsbeiträge, 85⫺96. Bonn:
DAAD.
Steffen, Joachim
2008 A vantagem de falar dialeto: aproveitar as variedades não-padrão para a construção de
comunidades multilı́ngües [Der Vorteil Dialekt zu sprechen: Nichtstandardvarietäten für
die Konstruktion von mehrsprachigen Gemeinschaften nutzen]. Revista Contingentia 3(2):
67⫺76.

Joachim Steffen, Mexiko-Stadt (Mexiko)

213. Deutsch in der Mongolei


1. Die bildungspolitische Situation in der Mongolei
2. Tradition und Geschichte von Deutsch als Fremdsprache in der Mongolei
3. Der heutige Stand der Deutschausbildung
4. Perspektiven für Deutsch in der Mongolei
5. Literatur in Auswahl

1. Die bildungspolitische Situation in der Mongolei


Mit dem Sieg der Mongolischen Volksrevolution 1921 wurde die Mongolische Volksre-
publik (MVR) als zweiter sozialistischer Staat der Welt gegründet. Bis Ende der 1980er
Jahre unterhielt die MVR vielseitige Beziehungen vorwiegend mit den Ländern des ehe-
maligen sozialistischen Blocks, darunter besonders mit der ehemaligen UdSSR. Daher
verfügte das Land über ein ähnliches Bildungssystem wie das in der Sowjetunion. In der
sozialistischen Zeit wurde Russisch als erste Fremdsprache sowohl in Schulen als auch
in der Erwachsenenbildung unterrichtet, d. h. Russisch war lange Jahre ein Pflichtfach
für alle SchülerInnen ab der 4. bis zur 10. Klasse und im Grundstudium an Hochschulen.
Gleich nach der politischen Wende 1990 stieg das Interesse an anderen europäischen
und asiatischen Fremdsprachen schlagartig an, es wurden zahlreiche private Sekundar-
schulen, Hochschulen und Sprachkurse gegründet, in denen man die Fremdsprachen ⫺
Englisch, Deutsch, Französisch, Japanisch, Chinesisch und Koreanisch ⫺ lernen und
studieren kann. Gleichzeitig wurden an diesen Hochschulen und Universitäten neue Stu-
diengänge für Fremdsprachenlehrer und Übersetzer/Dolmetscher eröffnet.
Anfang 2000 wurden Reformen im Bildungswesen vorgenommen. Im Rahmen dieser
Bildungsreformen arbeitete eine vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur
beauftragte Arbeitsgruppe von WissenschaftlerInnen Standards und Curricula für die
Fremdsprachenausbildung aus, anhand derer man neue nationale Schullehrbücher aller
Lernstufen für Englisch und Russisch entwickelte. Um das allgemeinbildende Schulsys-
tem an den weltweiten Bildungsstandard anzunähern, wurde 2009 das 12-jährige allge-
meinbildende Schulsystem eingeführt. Laut dem nationalen bildungspolitischen Konzept
von 2001 soll Englisch ab 2008 als erste obligatorische Fremdsprache in den Sekundar-
213. Deutsch in der Mongolei 1745

und Hochschulen angeboten werden. Im Bezug auf das gesellschaftliche Leben ist das
Erlernen von Deutsch als Fremdsprache mit seinen weitaus kleineren Dimensionen mit
Englisch kaum zu vergleichen.

2. Tradition und Geschichte von Deutsch als Fremdsprache


in der Mongolei

Die mongolische Nationaluniversität ist die erste staatliche Universität, an der man in
den 1960er Jahren Deutsch als Fach unterrichtete, allerdings nur mit wenigen Stunden.
1975 wurde an derselben Universität ein Studienvorbereitungskurs für Studierende eta-
bliert, die nach einem Jahr der Deutschausbildung im Land ihr zukünftiges Studium in
der damaligen DDR aufnehmen sollten. Mit der demokratischen Wende eröffnete man
auch in anderen Bildungsinstitutionen Deutschabteilungen. Die erste Abteilung bzw. der
erste Lehrstuhl für Deutsche Sprache wurde 1990 an der damaligen Hochschule für
Fremdsprachen (heute Universität für Geisteswissenschaften), die zweite DaF-Abteilung
1991 an der mongolischen Nationaluniversität gegründet.

3. Der heutige Stand der Deutschausbildung

Deutsch wird heute (2009) an 8 Hochschulen und Universitäten, sowie an 9 Sekundar-


schulen unterrichtet. Etwa 1800 Schüler und Schülerinnen und etwa 400 Studierende
lernen landesweit Deutsch.
In 2 Sekundarschulen, und zwar der staatlichen mongolisch-deutschen gemeinsamen
Sekundarschule Nr. 38 sowie an der privaten Goethe-Schule, beginnen SchülerInnen mit
6 Jahren Deutsch zu lernen, hingegen wird Deutsch in den übrigen 7 Schulen ab der
8.⫺9. Klasse gelehrt. Deutschunterricht im Hochschulbereich gibt es vor allem in zwei
Formen:
1. als vierjähriges Bachelorstudium für Germanistik- und Deutschlehrerstudierende so-
wie als Übersetzer-/Dolmetscherausbildung,
2. in Form von studienbegleitenden Deutschkursen.
Von den genannten 8 Hochschulen und Universitäten bieten die mongolische National-
universität ein Germanistikstudium, die Universität für Geisteswissenschaften und die
1990 gegründete private Universität Orkhon ein Übersetzer/Dolmetscherstudium an. Die
Orkhon-Universität ist die einzige private Universität, an der Deutsch kontinuierlich
unterrichtet wird. Die Lehrerausbildung gibt es an der Pädagogischen Universität.
Studienbegleitende Deutschkurse bzw. Deutschkurse für Studiengänge in Ingenieur-,
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften werden an der Universität für Wissenschaft und
Technologie, der Universität für Geisteswissenschaften, an der militärischen Akademie
und an den Filialen der mongolischen Nationaluniversität und der Pädagogischen Uni-
versität in Khovd und Erdenet angeboten.Im Rahmen des vierjährigen Bachelorstudiums
werden folgende Pflicht- und Wahlfächer in deutscher Sprache empfohlen:
1746 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

1. Sprachtheorie und Sprachpraxis


2. Literaturwissenschaft
3. Übersetzungstheorie und Übersetzungspraxis
4. Fachspezifische Übersetzungskurse (Übersetzen von Fachtexten)
5. Landeskunde
6. Interkulturelle Kommunikation
7. Methodik und Didaktik des Deutschen als Fremdsprache

Die wöchentliche Stundenverteilung des jeweiligen Faches hängt von der Spezifik der
Universität bzw. des angebotenen Studiengangs ab. In den studienbegleitenden Deutsch-
kursen wird auf der Basis der im Grundstudium erworbenen Sprachkenntnisse Deutsch
als Fachsprache vermittelt, und zwar als Nebenfach. In diesen Kursen werden Grund-
kenntnisse in etwa 400 Stunden und Fachsprachenkenntnisse in etwa 200 Stunden ver-
mittelt. Zur Verbreitung und der nachhaltigen Pflege der deutschen Sprache und der
deutschsprachigen Kultur tragen in der Mongolei deutsche und österreichische Institutio-
nen wie der DAAD, das Goethe-Institut, die Zentralstelle für Auslandsschulwesen, das
TestDaF-Institut, die Österreich-Kooperation, die Prüfungszentrale des Österreichischen
Sprachdiploms Deutsch (vgl. Art. 12) und mongolische Institutionen wie der Mongoli-
sche Deutschlehrerverband, die Mongolisch-Deutsche Brücke sowie die Gesellschaft der
Freunde der deutschen Sprache gewichtig bei. Der Mongolische Deutschlehrerverband
ist auch Mitglied des Internationalen Deutschlehrerverbandes (IDV).

4. Perspektiven ür Deutsch in der Mongolei

Wie in den Ländern der Europäischen Union wird auch in der Mongolei die Mehrspra-
chigkeit zum bildungspolitischen Schlagwort. Die Sprachen unserer Nachbarländer ⫺
Russisch und Chinesisch ⫺ werden genauso mit großem Interesse und intensiv gelernt
und gelehrt wie Englisch. Auch im Rahmen des bildungspolitischen Konzepts, das bis
zum Jahr 2015 realisiert werden muss, wird die deutsche Sprache ihre bedeutende Stel-
lung unter den europäischen Sprachen nicht verlieren. Die langjährigen traditionellen
Beziehungen zwischen der Mongolei und Deutschland werden weiter vertieft. Die in den
letzten Jahren zwischen den beiden Staaten und Regierungen abgeschlossenen Verträge
zeigen deutlich, dass ein größerer Akzent auf die Zusammenarbeit in Wirtschaftsberei-
chen wie Bergbau, Straßenbau und Bauwesen gelegt wird. Dadurch entsteht ein sehr
großer Bedarf an Fachkräften mit Deutschkenntnissen. Infolgedessen erhöht sich die Not-
wendigkeit, konkurrenzfähige junge Mongolen auszubilden. Die gegenwärtige Deutsch-
ausbildung an den mongolischen Hochschulen und Universitäten ist eher sprach- und
kulturorientiert. Die Tendenz der letzten Jahre zeigt, dass Deutsch als Fremdsprache mit
anderen Fächern kombiniert vermittelt werden sollte, und zwar mit Tourismus, Ökolo-
gie, Wirtschaft, Jura etc. Entsprechend den sich erneuernden gesellschaftlichen Verhält-
nissen und Bedürfnissen sollte die Deutschausbildung auf ein weiteres, höheres Niveau
gebracht werden. Im engeren Sinne bedeutet dies, die Studieninhalte und -programme
zu verändern und zu verbessern, und im weiteren Sinne, wissenschaftliche Lehre und
Forschung mehr zu fördern.
214. Deutsch in den Niederlanden 1747

5. Literatur in Auswahl
Bolormaa, Baljir und Bishbat Batsuren
2007 DaF-Ausbildung in der Mongolei. In: Deutsch in Zentral- und Ostasien: Erfahrungen,
Partnerschaften und neue Herausforderungen der Zeit, 15⫺23. Ulan-Ude: Druckerei der
burjatischen Staatsuniversität.
Naranchimeg, Khalzkhuu
2007 Die Fremdsprachenpolitik im Bildungsbereich. In: Wissenschaftliche Publikationen der
Universität für Geisteswissenschaften, 48⫺50. Ulaanbaatar: Universitätsdruckerei.
Naranchimeg, Khalzkhuu
2008 Zu Fragen der Fremdsprachenpolitik in der Mongolei. In: Wissenschaftliche Publikationen
der Universität für Geisteswissenschaften, 29⫺35. Ulaanbaatar: Universitätsdruckerei.

Khalzkhuu Naranchimeg, Ulaanbaatar (Mongolei)

214. Deutsch in den Niederlanden


1. Rolle des Deutschen
2. Träger des Deutschunterrichts und der Deutschlehreraus- und -fortbildung
3. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme
4. Schwerpunkte in der Lehrerausbildung und Germanistik/Deutsch-Ausbildung
5. Wichtige Schwerpunkte der Forschung
6. Einschätzung von Fakten und Tendenzen, Anzahl von Lernenden und Lehrenden
7. Literatur in Auswahl

1. Rolle des Deutschen


Im niederländischen Bildungswesen spielt der Unterricht in fremden Sprachen seit Jahr-
hunderten eine wichtige Rolle. Während die altsprachlichen Gymnasien neben Griechisch
und Latein moderne Fremdsprachen unterrichten, gehören an den allgemeinbildenden
weiterführenden Schulen Englisch, Deutsch und Französisch zum Grundbestand des
Stundenplans; allerdings steht seit Ende des vorigen Jahrhunderts die Verbindlichkeit
der Fächer Deutsch und Französisch zunehmend zur Diskussion. Im Gegenzug werden
die Fremdsprachen Spanisch, Italienisch, Türkisch, Arabisch und Russisch vermehrt an-
geboten.
In Kürze das niederländische Bildungssystem: An eine achtjährige Grundschule (4- bis
11-Jährige) schließt sich die Sekundarbildung an: der vierjährige VMBO (vorbereitende
mittlere Berufsausbildung; der VMBO ist wiederum in vier Niveaus unterteilt), der fünf-
jährige HAVO (höherer allgemeinbildender Ausbildungsgang; das HAVO-Zeugnis ist mit
der deutschen Fachhochschulreife zu vergleichen) und der sechsjährige VWO (vor-uni-
versitärer Bildungsgang). Traditionell besuchten 40 % eines Schülerjahrganges den VWO/
HAVO und 60 % den VMBO; in den letzten Jahren hat sich dieses Verhältnis umgekehrt.
1748 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Auf die Sekundarbildung bauen folgende Ausbildungsgänge auf: der ein- bis vierjährige
MBO, der vier- bis fünfjähriger HBO und die drei- bis fünfjährige Universiteit. Die Bil-
dungsgänge sind horizontal durchlässig: Man kann (mit einem Jahr Zurückstufung) von
dem VMBO in den HAVO, von dem HAVO in den VWO, von dem MBO in den HBO
und von dem HBO in die Universiteit wechseln.
Das Deutsche hat ⫺ neben dem Pflichtfach Englisch ⫺ im niederländischen Fremd-
sprachenunterricht eine prominente Rolle als typische zweite Fremdsprache. Seine Popu-
larität und die Zahl der Deutschstudierenden nehmen ⫺ nach einem historischen Tief-
punkt zum Ende des 20. Jahrhunderts ⫺ wieder zu, insbesondere wegen der entscheiden-
den ökonomischen Beziehungen zu Deutschland (Ministerie van OCW 2009).
Im Grenzbereich (u. a. in Nijmegen und Maastricht) gibt es Internationale Studien-
gänge auf Deutsch (nach einer Pressemitteilung von Edu-Con Strategic Education Con-
sulting GmbH am 20. 01. 09 studieren 20.000 Deutsche in den Niederlanden), wie z. B.
International Business Economics, Industrielles Produktdesign, Maschinenbau, Software
Engineering, Sozialpädagogik, Physiotherapie.
Deutsch ist in den Niederlanden auch wegen der Migration bedeutsam: Zu Anfang
des 21. Jahrhunderts kamen 14 % der Migranten der 1. und 2. Generation aus Deutsch-
land (NIDI 2003).

2. Träger des Deutschunterrichts und der Deutschlehreraus- und


-ortbildung
Neben den weiterführenden Schulen, die sich um die Entwicklung der allgemeinen
Sprachfertigkeiten des Deutschen kümmern, ist der MBO (Mittlere Berufsausbildung),
und zwar besonders in den Ausbildungsgängen der Wirtschaftssektoren, wichtiger Träger
des Deutschunterrichts. Dazu wird Deutsch auch, jedoch mit geringerer Lernerzahl, an
Hogescholen (HBO) und Universiteiten unterrichtet. An den Hogescholen wird Deutsch
vorwiegend entweder auf Lehramt studiert oder in den Wirtschafts- und Management-
studiengängen gelernt; die Universiteiten bieten germanistische Studiengänge an.
Für die Ausbildung der Deutschlehrenden sind neun Hogescholen und sechs Universi-
teiten zuständig. Verantwortlich für die Lehrerfortbildung sind: die ausbildenden Institu-
tionen, die drei Pädagogischen Zentren des Landes, das der Universität Leiden angeglie-
derte Expertisezentrum Fremdsprachen sowie das Landescurriculuminstitut in Enschede.
Die Hogescholen bieten eine vierjährige Deutschlehrerausbildung (in einem Schulfach)
an, deren Bachelor-Abschluss zum Unterrichten in der Sekundarstufe I aller Schultypen,
in der Sekundarstufe II des VMBO und in den MBO-Ausbildungsgängen berechtigt;
2008 begannen landesweit 230 Studenten dieses Lehramtstudium (vgl. www.hbo-raad.nl).
Immer mehr Hogescholen bieten Masterstudiengänge an, deren Abschlüsse zum Unter-
richten in der Sekundarstufe II der Schultypen HAVO und VWO berechtigt. Das Lehr-
amtstudium findet vorwiegend auf Deutsch statt und setzt Deutschkenntnisse auf dem
Niveau B1 voraus; am Ende des Studiums auf Bachelor-Niveau soll das Niveau C1 er-
reicht sein. Das Lehramtstudium besteht aus einem allgemeinpädagogisch-didaktischen
und einem fachspezifischen Teil; jedes Studienjahr soll ein Praktikum in einer weiterfüh-
renden Schule absolviert werden, und im sechsten Semester ist ein Auslandssemester an
einer deutschsprachigen Hochschule obligatorisch.
214. Deutsch in den Niederlanden 1749

Die Universiteiten bieten dreijährige Bachelor- und ein- bis zweijährige Masterstudien-
gänge Deutsche Sprache und Kultur an; 2008 begannen landesweit ca. 100 Studenten
dieses Studium (Commissie Cohen 2008). Das Fachstudium findet auf Deutsch statt,
setzt Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 voraus, nimmt zwei Drittel des dreijährigen
Bachelorprogramms ein und besteht zu 25 bis 30 % aus Seminaren zur Sprachfähigkeit
(Endniveau rezeptiv C1/2; produktiv B2/C1), während 70 bis 75 % dem wissenschaftli-
chen Studium der Landeskunde, der Literatur- und der Sprachwissenschaft gewidmet
sind; ein Auslandssemester an einer deutschsprachigen Hochschule ist obligatorisch. Das
ein- bis zweijährige Masterstudium in der Germanistik erlaubt Spezialisierungen in der
Sprach- und Literaturwissenschaft, der Mediävistik, der Übersetzungswissenschaft und
interkulturellen Germanistik, der Sprachlehrforschung und der Niederlande-/Deutsch-
landstudien; auch zweijährige Forschungsmaster in der allgemeinen Sprach- und Litera-
turwissenschaft stehen Deutschstudenten offen. Studenten mit einem einjährigen Master
in Deutsch können danach die einjährige universitäre Lehrerausbildung (ULO) absolvie-
ren; der Abschluss dieser Ausbildung berechtigt zum Unterricht des Schulfaches Deutsch
in der Sekundarstufe II. Die Universität Utrecht bietet Bachelorstudierenden außerdem
einen zweijährigen Master Sprachunterricht, der Sprachlehrforschung mit Lehrerausbil-
dung kombiniert; auch dieser Studiengang führt zur Lehrbefugnis Sekundarstufe II.

3. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme

Die Position des Deutschen in den Niederlanden lässt sich durch folgende Tendenzen
charakterisieren:
⫺ Deutsch entwickelt sich Schritt für Schritt von einem obligatorischen zu einem fakul-
tativen Schulfach.
⫺ Einer großen Zahl von bilingualen Schulen mit Englisch als Unterrichtssprache steht
bisher nur eine Schule mit Deutsch gegenüber.
⫺ An den Hochschulen nimmt die Zahl der Deutschstudierenden wieder zu. Durch den
geringen Lehrernachwuchs ist der Mangel an Deutschlehrern groß, und dies wird
vermutlich trotz der wachsenden Studentenzahlen so bleiben.
⫺ Angesichts der weiter zunehmenden beruflichen Beziehungen mit deutschsprachigen
Partnern steigt die Bedeutung der Beherrschung des Deutschen erheblich.
⫺ Die Hogescholen bieten vermehrt Studiengänge auf Deutsch für deutsche Mutter-
sprachler an.
Zurzeit wird die Lehreraus- und fortbildung in den Niederlanden grundlegend verändert.
Bis 2007 bildeten die Universiteiten nur Lehrende für die Sekundarstufe II und die Ho-
gescholen nur Lehrende für die Sekundarstufe I aus. Seitdem zerfließt diese deutliche
Aufgabentrennung, denn beide bieten zurzeit Ausbildungsgänge und Fortbildungen für
(zukünftige) Lehrende der Sekundarstufen I und II an. Zusätzlich hat das Ministerie van
OCW seit einigen Jahren mehrere Programme zur Steigerung der Qualität und Quantität
der Lehrenden ins Leben gerufen, wodurch z. B. die Forschung in den Hogescholen ak-
zentuiert und in ihre curricularen Vorgaben integriert wird, während die Universiteiten
vom Ministerium angespornt werden, ihre Bachelor-Abgänger in einem verkürzten Pro-
gramm für die Sekundarstufe I auszubilden (Ministerie van OCW 2008b). Dazu soll ab
1750 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

2009 landesweit jeder Berufsanfänger in der Sekundarstufe über die Kennisbasis (Wis-
sensgrundlage) für sein Unterrichtsfach verfügen. Diese umfasst alle erforderlichen
Kenntnisse, sowohl auf allgemeinpädagogischem und -didaktischem als auch auf schul-
fachspezifischem Gebiet. An der Entwicklung von gemeinsamen, landesweiten Ab-
schlusstests wird gearbeitet. Für alle universitäre Lehrerausbildungen (ULO’s) formuliert
die Interdisciplinaire Commissie Lerarenopleiding gültige Eingangsvoraussetzungen und
Qualifikationsniveaus (vgl. www.universitairelerarenopleidingen.nl). Nach dem Beispiel
der Registrierung anderer Berufsgruppen in Registern der zur Ausübung eines Berufs
Berechtigten (z. B. der Ärzte) wird auf der Grundlage des Gesetzes BIO (Beroepen In het
Onderwijs) eine Registrierung der Lehrberufe auf der Basis bestimmter professioneller
Standards vorbereitet (De Graaff 2009).
In dieser Situation profitiert der Beruf des Deutschlehrers von zwei allgemeinen Ent-
wicklungen, die in den Niederlanden von einem wachsenden Konsens getragen werden:
Die Wertschätzung des Lehrberufs muss ⫺ auch durch eine bessere Bezahlung ⫺ grund-
legend verbessert werden (Ministerie van OCW 2008b); die professionellen Qualitäten
und insbesondere die fachinhaltlichen und -didaktischen Kompetenzen jedes Fachlehrers
müssen über jeden Zweifel erhaben sein (Ministerie van OCW 2008a). Damit kommt der
Professionalisierung von Deutschlehrenden in Aus- und Fortbildung eine entscheidende
Rolle zu.
Trotz all dieser Bemühungen werden nach aller Wahrscheinlichkeit die Ausbildungen
an den Hochschulen den Bedarf an Deutschlehrern (und auch an anderen Experten des
Deutschen) nicht decken können. Damit hängt die Zukunft des Faches Deutsch an nie-
derländischen Schulen und Hochschulen stark von der Immigration von Studenten und
Fachleuten ab, die in deutschsprachigen Ländern studiert haben.

4. Schwerpunkte in der Lehrerausbildung und Germanistik/


Deutsch-Ausbildung

4.1. Lehrerausbildung

Alle Lehrerausbildungen an den Hochschulen arbeiten mit den im Gesetz BIO (Beroepen
In het Onderwijs) festgelegten sieben Fachkompetenzen, die auf den Lehrberuf SI und
SII zugeschnitten sind (vgl. www.lerarenweb.nl). Es handelt sich um folgende Kompeten-
zen: 1. interpersonelle, 2. pädagogische, 3. fachinhaltliche und fachdidaktische, 4. organi-
satorische, 5. kollegiale, 6. in Zusammenarbeit mit der Umgebung, 7. in Reflexion und
Entwicklung. Zur Sicherung des Niveaus beziehen sich die Abschlussprüfungen der Lehr-
amtstudierenden sowohl auf diese sieben Fachkompetenzen als auch auf die sogenannten
Dublin Descriptors für Bachelor- und Master-Abschlüsse (Inspectie van het Onderwijs
2008).
Die neun Hogescholen haben 2008 die Kennisbasis, die vom Verband der Deutschleh-
rerausbilder (VLoD) entwickelt wurde, in ihr Curriculum integriert. Der allgemeinpäda-
gogische und -didaktische Bereich der Kennisbasis besteht zusammengefasst aus Pädago-
gik und Psychologie für den Lehrberuf in der Sekundarstufe; der schulfachspezifische
Bereich Deutsch beinhaltet in groben Zügen Lerntheorien, Fachdidaktik, Sprachfertig-
keit, sprachwissenschaftliche Themen, Literatur, soziales und kulturelles Wissen. Ansons-
214. Deutsch in den Niederlanden 1751

ten hat jede Hogeschool im Curriculum Inhalte aufgenommen, die entweder charakteris-
tisch für die einzelnen Hogescholen oder abhängig von personellen Besetzungen sind.
Seit 2004 haben die Schulen eine bedeutendere Stelle in der Lehrerausbildung bekom-
men, denn sie tragen eine zunehmende Verantwortlichkeit in der Ausbildung der Lehr-
amtstudierenden; diejenigen Schulen, die den Stempel Opleidingsschool bekommen ha-
ben, sind in Zusammenarbeit mit den Hochschulen zuständig für die Lehrerausbildung
(vgl. www.deopleidingsschool.nl). Diese Verlagerung erfordert ein Überdenken des Cur-
riculums, der Ausbildungsqualitätssicherung und der geteilten Verantwortung der Leh-
rerausbildungen und Schulen. In dieser Praxis des Opleiden in de School (Ausbildens in
der Schule) sehen viele der Beteiligten, d. h. Lehrerausbildungen und Opleidingsscholen
einen Mehrwert, denn durch diese Professionalisierung des Personals sowohl in der
Schule als auch in den Lehrerausbildungen wird eine Brücke zwischen Theorie und Pra-
xis geschlagen; Innovationen können schneller in der Praxis umgesetzt werden.

4.2. Germanistik/DaF-Ausbildung

Alle sechs germanistischen Studiengänge weisen eine Bachelor-Master-Struktur auf. Die


Bachelor-Studiengänge spiegeln die entsprechenden Ausbildungen deutschsprachiger
Hochschulen, allerdings mit drei wichtigen Unterschieden: Niederländische Studiengänge
sind Ein-Fach-Studien; 25 bis 30 % des Faches sind der Sprachfähigkeit gewidmet; ange-
sichts der kleinen Studentenzahlen und des entsprechend sehr begrenzten wissenschaftli-
chen Personals bestehen kaum Wahlmöglichkeiten zwischen sprachwissenschaftlichen,
literaturwissenschaftlichen, mediävistischen und landeskundlichen Seminaren mit alter-
nativen Themen.
Masterprogramme werden an allen sechs germanistischen Studiengänge angeboten;
breitere Spezialisierungsmöglichkeiten sind vor allem dann gegeben, wenn man alle Pro-
gramme des Landes zusammennimmt: germanistische Sprach- und Literaturwissen-
schaft, Mediävistik, Interkulturelle Germanistik, Übersetzungswissenschaft, Sprachlehr-
forschung, Niederlande-/Deutschlandstudien. Die Germanistiken in Amsterdam, Leiden
und Utrecht verpflichten ihre Masterstudenten, ein Sechstel des Studiums an einer Part-
neruniversität zu absolvieren (vgl. http://cf.hum.uva.nl/vgnu).
Die Germanistiken in Nijmegen und Utrecht haben mit deutschen Universitäten Ver-
träge zum Doppelabschluss abgeschlossen, die ihren Studenten erlauben, zusätzlich zu
den eigenen Abschlüssen Bachelor- und Master-Diplome deutscher Universitäten zu er-
langen.

5. Wichtige Schwerpunkte der Forschung

Seit einigen Jahren hat Forschung einen höheren Stellenwert in den Hogescholen. Dies
zeigt sich in der verhältnismäßig großen Anzahl an sogenannten Lectoraten, die in den
letzten Jahren eingerichtet wurden. Ein Lectoraat besteht aus einem Lector (einer Art
Professor) und einem Kenniskring (d. h. einer zusammenhängenden Forschungsgruppe);
gemeinsam führen sie praxisorientierte Forschung (practitioner research) durch, die un-
1752 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

terrichtsnah ist und einen Beitrag zu Unterrichtsaktivitäten, curricularen Erneuerung


und zur Professionalisierung der Lehrenden leistet.
Die germanistische Forschung an den Universiteiten ist ⫺ wie die anderer Disziplinen
auch ⫺ in Forschungsinstituten unterschiedlicher Themen organisiert; die Forschungs-
schwerpunkte in der Germanistik sind stark von der personellen Besetzung der Institute
sowie der Lehrstühle abhängig. Besondere Akzente werden in der Literaturwissenschaft
auf die Literatur des Mittelalters, des 18. und 19. Jahrhunderts und der Moderne, auf
die Theorie der literarischen Übersetzung und auf die Medienforschung, in der Sprach-
wissenschaft auf Grammatik, Soziolinguistik, Pragmatik und Sprachlehrforschung sowie
auf Niederlande-/Deutschlandstudien gelegt.

6. Einschätzung von Fakten und Tendenzen, Anzahl von Lernenden


und Lehrenden
Deutsch ist in den Niederlanden die Sprache des großen Nachbarn mit entsprechender
kultureller, gesellschaftlicher und ökonomischer Bedeutung, traditionell aber auch mit
den Belastungen der nationalsozialistischen Besetzung im 2. Weltkrieg. In der Sekundar-
stufe ist Deutsch die klassische zweite Fremdsprache, die für HAVO- und VWO-Schüler
zwei Jahre lang obligatorisch ist und danach von ca. 80 % dieser Schüler gewählt wird;
durchschnittlich lernen ca. 30 % der VMBO-Schüler drei Jahre lang Deutsch.
In der Aus- und Fortbildung von Deutschlehrern spielen neun Hogescholen eine zent-
rale Rolle; hier arbeiten insgesamt ca. 65 KollegInnen (zum Teil in Teilzeit). In den letzten
Jahren steigt die Zahl der Lehramtstudenten Deutsch an, u. a. weil auch Deutsche sich
vermehrt für dieses Studium immatrikulieren; zurzeit absolvieren pro Jahr ca. 100 Lehr-
amtstudierenden (Voll- und Teilzeitstudium) (vgl. www.hbo-raad.nl) das Lehramtstu-
dium Deutsch (Tendenz steigend).
Sechs Universiteiten bieten Bachelor- und Masterstudiengänge der Germanistik an,
die durchschnittlich von insgesamt 60 Studierenden pro Jahr absolviert werden. An den
Master schließt die universitäre Lehrerausbildung an, die jährlich von ca. 25 Germanis-
ten absolviert wird. An den acht germanistischen Lehrstühlen des Landes sowie in der
universitären Lehrerausbildung arbeiten ca. 30 KollegInnen (zum Teil in Teilzeit).
Deutsch ist in den Niederlanden ein kleines Fach, das sich um die Ausbildung von
Experten auf hohem Niveau bemüht und dabei sprachlich wie wissenschaftlich der Nähe
zu den deutschsprachigen Ländern und ihren wissenschaftlichen Einrichtungen eine zent-
rale Rolle einräumt. Dass voraussichtlich der Bedarf an Deutsch-Experten die Zahl der
Absolventen weit übersteigt, bleibt eine Herausforderung für das Fach.

7. Literatur in Auswahl
Commissie Cohen
2008 Duurzame Geesteswetenschappen. Amsterdam: Amsterdam University Press.
De Graaff, Rick
2009 Professionele talendocenten in een meertalige Europese samenleving [Professionelle Spra-
chenlehrer in einer mehrsprachigen europäischen Gesellschaft]. In: Rick de Graaff und
215. Deutsch in Nigeria 1753

Dirk Tuin (Hg.), De Toekomst van het Talenonderwijs: Nodig? Anders? Beter? 295⫺296.
Enschede: NaB-MVT & Utrecht: Universiteit Utrecht ⫺ IVLOS.
Inspectie van het Onderwijs
2008a Monitor Beleidsagenda lerarenopleidingen 2005⫺2008 [Politische Agenda der Lehreraus-
bildungen 2005⫺2008]. Den Haag: Inspectie van het Onderwijs.
Ministerie van OCW
2008b Krachtig Meesterschap ⫺ Kwaliteitsagenda voor het opleiden van leraren 2008⫺2011 [Qua-
litätsagenda für das Ausbilden von Lehrenden 2008⫺2011]. 1. Aufl. Den Haag: Ministerie
van Onderwijs, Cultuur en Wetenschap.
Ministerie van OCW
2008 Nota Werken in het Onderwijs 2009 [Nota Arbeiten im Bildungswesen]. 2. Aufl. Den Haag:
Ministerie van Onderwijs, Cultuur en Wetenschap.
Ministerie van OCW
2009 Parlamentsdokument vom 04. 03. 09: [http://www.minocw.nl/documenten/106136a.pdf]
(Zugriff am 30. 12. 2009).
NIDI (Nederlands Interdisciplinair Demografisch Instituut)
2003 Bevolkingsatlas van Nederland. Demografische ontwikkelingen van 1850 tot heden, 148⫺
161. Rijswijk: Elmar.

Lisanne Klein Gunnewiek, Nimwegen (Niederlande)


Wolfgang Herrlitz, Nimwegen (Niederlande)

215. Deutsch in Nigeria


1. Entwicklungslinien des Faches German in Nigeria
2. Gegenwärtige Situation
3. Probleme und Ausblick
4. Literatur in Auswahl

1. Entwicklungslinien des Faches German in Nigeria


Die Fremdsprache Deutsch gibt es formal in den Lehrplänen nigerianischer Schulen seit
1859, als die erste Sekundarschule von britischen Missionaren im heutigen Nigeria ge-
gründet wurde (Omolewa 1984: 416). Da die frühen Missions- und Kolonialschulen eng-
lische Curricula direkt übernahmen, gelangten die modernen Sprachen Deutsch und
Französisch sowie die klassischen Sprachen Griechisch und Latein in den Fächerkanon
nigerianischer Sekundarschulen. Allerdings wurden weder die deutsche noch die französi-
sche Sprache von der britischen Kolonialregierung gefördert, so dass beide Sprachen
faktisch nicht unterrichtet wurden. Erst in der Nachkriegszeit erfuhr im Gefolge der
Gründung des University College Ibadan (1948) als eines der Colleges der University of
London die deutsche Sprache in Nigeria bildungspolitische Anerkennung, indem dort seit
Beginn der fünfziger Jahre ein deutscher Sprachkurs für Studierende der Naturwissen-
schaften angeboten wurde.
1754 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Die aufstrebende Bundesrepublik Deutschland hatte ein großes ökonomisches Inte-


resse an Nigeria als potentiell größtem Absatzmarkt Afrikas, während die junge Republik
Nigeria sich von dem übermächtigen britischen Einfluss auch auf sprachlicher Ebene
befreien wollte. Deshalb entsandte der Deutsche Akademische Austauschdienst DAAD
schon im nigerianischen Unabhängigkeitsjahr 1960 den ersten Lektor für deutsche Spra-
che und Literatur nach Nigeria, um einen Studiengang German an der Universität Iba-
dan aufzubauen und ein Interesse an deutscher Sprache, Literatur und Kultur zu stimu-
lieren. Diese Bemühungen waren insofern erfolgreich, als an der Universität Ibadan 1967
der erste vollwertige vierjährige Bachelor of Arts (B.A.)- Studiengang mit German etab-
liert wurde, der sowohl einen Single Honours (nur German) und einen Combined Honours
Studiengang beinhaltete (Feuser 1979: 27). 1968 wurde in Ibadan dem ersten Studenten
in Nigeria überhaupt ein akademischer Grad verliehen, der das Fach German (als eine
Komponente des Combined Honours) einschloss (Feuser 1992: 23).
Seit 1968 wurde auch an der benachbarten Universität Ile-Ife ein DaF-Studiengang
aufgebaut, der sich sehr eng am Ibadaner Curriculum orientierte. An der University of
Nigeria in Nsukka bestand auch schon in den sechziger Jahren das Fach German als
Wahlfach (Service Course), aber es wurde hier erst nach dem Ende des Biafra-Krieges
als B.A.-Kurs aufgebaut (Ihekweazu 1984: 267). Die drei Universitäten in Ibadan, Ile-
Ife und Nsukka bilden seither die Zentren des Faches German in Nigeria. In Nsukka
wurde 1985 der erste Master of Arts (M.A.)-Studiengang German in Nigeria etabliert,
der allerdings Anfang der 1990er Jahre eingestellt wurde; im Jahre 2007 wurde jedoch
sowohl in Ile-Ife als auch in Nsukka wieder ein M.A.-Studiengang eingerichtet.
Ein großes Problem stellte die Abschaffung des bis 1987 an den Universitäten Jena
und Saarbrücken regelmäßig durchgeführten Year Abroad wegen der massiven Abwer-
tung der nigerianischen Währung dar. Anfang der 1990er Jahre wurde als Ersatz ein
Equivalent Year Abroad Programme eingerichtet, das seither am Goethe-Institut Lagos
absolviert wird.
Angesichts des schwindenden deutschen Interesses an DaF-Fördermaßnahmen in Ni-
geria wurde 1987 die Nigerian Association of Teachers of German (NATOG) gegründet
mit der Zielsetzung, den Unterricht des Deutschen und entsprechende Forschungsaktivi-
täten in Nigeria zu koordinieren und auszubauen, insbesondere hinsichtlich einer verglei-
chenden Vorgehensweise zu einheimischen Sprachen und Kulturen, sowie Nachwuchsar-
beit zu fördern. Seit 1989 hat NATOG regelmäßig Kongresse auf nationaler Ebene zu
Themen und Problemen des universitären DaF-Unterrichts in Nigeria bzw. Afrika abhal-
ten können. Damit ist der Anstoß zu einer fachlichen Diskussion über Fragen der Ger-
manistik, seiner Methodik und Didaktik auf nationaler Ebene gegeben, die eine gewisse
Eigendynamik entfalten und sich so von der Dominanz eurozentrischer Vorstellungen
und Konzepte befreien oder zumindest lösen kann. Diese Tendenz konkretisierte sich
u. a. in der Erstellung des „kritischen Lesebuch[s] für den Literaturunterricht an afrikani-
schen Universitäten“ Die fremden Werte (Benninghoff-Lühl et al. 1990) sowie dem seit
1992 unregelmäßig erscheinenden NATOG Journal.
Trotz der langjährigen Präsenz des Faches German im tertiären Sektor ist es bislang
nicht gelungen, das Fach Deutsch an Sekundarschulen zu etablieren, auch wenn das West
African School Certificate, ein in den anglo- und frankophonen Ländern Westafrikas
anerkannter Sekundarschulabschluss mit landesweit zentralisierten und international
standardisierten Prüfungsfragen, Deutsch ausdrücklich als Prüfungsfach vorsieht.
Von deutscher Seite wurde zuletzt in den 1980er Jahren ein explizites Interesse an
einer Förderung der deutschen Sprache an nigerianischen Schulen bekundet. In der offi-
215. Deutsch in Nigeria 1755

ziellen auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland rangierte Nigeria so-


gar neben Kenia als Kernland deutschen kulturellen Engagements im anglophonen Af-
rika: „Wichtige Partner der Bundesrepublik Deutschland in Afrika sind Nigeria und Ke-
nia, in denen der Deutschunterricht verstärkt gefördert werden soll“ (Auswärtiges Amt
1985: 31). Diese programmatische Aussage wurde jedoch in Nigeria nicht in die Praxis
umgesetzt, denn die deutsche Seite pochte auf nigerianische Vorleistungen, während sich
die nigerianische Seite gänzlich desinteressiert zeigte (Witte 1996: 130⫺131). Zwar gab
und gibt es vereinzelt Privatschulen, die Deutsch als Wahlfach anbieten, jedoch bislang
ohne dauerhafte Basis.

2. Gegenwärtige Situation
Gegenwärtig studieren etwa 170 Studenten German im Hauptfach des B.A.-Studiengangs
an drei von insgesamt 37 nigerianischen Universitäten, nämlich in Ibadan, Ile-Ife und
Nsukka, unterrichtet von 18 Lehrkräften. Weitere neun Universitäten bieten DaF als
Wahlpflichtfach (Elective) an. An Sekundarschulen und Pädagogischen Hochschulen
wird kein Deutschunterricht erteilt, jedoch veranstaltet das Goethe-Institut in Lagos
Sprachkurse und betreut die Universitäten im Rahmen der Bildungskooperation. Der
DAAD unterhält zwei Lektorate im Süden des Landes, in Ibadan und Ile-Ife; außerdem
vergibt der DAAD seit 2007 jährlich drei Stipendien zum Besuch von Hochschulsommer-
kursen in Deutschland.
Da es keinen schulischen Deutschunterricht in Nigeria gibt, liegt der Schwerpunkt
der vierjährigen B.A.-Studiengänge German auf dem Sprachunterricht, während landes-
kundliche und literaturwissenschaftliche Kurse größtenteils auf Englisch unterrichtet
werden. Eine komparatistisch-literaturwissenschaftliche Komponente, die sich auf die
Modelle der Interkulturellen Germanistik sowie der Germanistik als Entwicklungswissen-
schaft stützt, ist allenfalls im letzten Studienjahr entfaltungsfähig.
In den M.A.-Studiengängen (im Jahre 2009 insgesamt 9 Studierende) wird hauptsäch-
lich komparatistisch vorgegangen, sei es linguistisch oder literaturwissenschaftlich-kultu-
rell; eine in Bielefeld eingereichte Dissertation behandelt die Fehleranalyse von nigeriani-
schen Deutschlernenden mit Igbo als Muttersprache (Uzuegbu 2003).

3. Probleme und Ausblick


Obwohl das Fach German in den fast fünfzig Jahren seines Bestehens in Nigeria eine
fruchtbare Eigendynamik entwickeln konnte, war gegen Ende des letzten Jahrhunderts
eine Überlebensgarantie keineswegs gegeben, da die miserablen ökonomischen Rahmen-
bedingungen, die sprachpolitischen Prioritäten Nigerias sowie die Reduktion deutscher
Fördermaßnahmen einen sehr negativen Einfluss auf das Fach und seine Akteure hatten.
Das größte Problem des Faches German in Nigeria bestand von Beginn an in der außer-
ordentlich hohen Fluktuation seiner Lehrkräfte bei gleichzeitiger extremer Abhängigkeit
des Lehrangebotes von der Verfügbarkeit qualifizierter Lehrkräfte vor Ort.
Seit der Jahrtausendwende ist jedoch zu beobachten, dass qualifizierte nigerianische
Germanistinnen und Germanisten nach Nigeria zurückkehren, um als Dozenten zu ar-
1756 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

beiten, was eine gewisse Stabilität des Faches für die Zukunft erwarten lässt. Insofern
scheint sich die Krisensituation aufzulösen. Hoffnung macht zudem das nach wie vor
starke studentische Interesse am Fach German. Wenn sich diese Stabilisierung, die das
Fach seit der Jahrtausendwende erfahren hat, fortsetzen ließe, sind die Zukunftsaussich-
ten des Faches German in Nigeria durchaus positiv zu bewerten.
Zudem kann sich durch die neu geschaffenen M.A.-Studiengänge eine eigene For-
schungstradition nigerianischer German Studies etablieren, die nicht nur sprach- und kul-
turvergleichend im Sinne eines bloßen Austausches von je kulturell Eigenem vorgeht,
sondern ein intermediäres Feld etablieren kann, das sich im Austausch der Kulturen als
Gebiet eines neuen Wissens herausbildet und erst danach wechselseitige Differenzidentifi-
kation ermöglicht. Es bleibt allerdings ein Desiderat, dass Germanisten in Afrika ⫺
einschließlich der nigerianischen ⫺ stärker kooperieren, um dieses intermediäre Feld im
Sinne einer genuin afrikanischen Germanistik ⫺ statt einer Germanistik in Afrika ⫺ zu
etablieren (Witte 2003).

Danksagung

Ich bin Ifeyinwa Ezeorah und Shaban Mayanja für ihre bereitwilligen und hilfreichen
Auskünfte zu Dank verpflichtet.

4. Literatur in Auswahl
Auswärtiges Amt (Hg.)
1985 Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt. Bericht der Bundesregierung. Bonn: Bon-
ner Universitäts-Buchdruckerei.
Benninghoff-Lühl, Sibylle, Edith Ihekweazu, Eva Kammler, Christoph Ludszuweit und Arnd Witte
1990 Die fremden Werte. Ein kritisches Lesebuch für den Literaturunterricht an afrikanischen
Universitäten. Band I: Lehrerhandbuch; Band II: Textbuch. Bonn: DAAD.
Feuser, Willfried F.
1979 The Role of German Studies in West Africa. In: Willfried F. Feuser (Hg.), Twenty Years
of German Study in Nigeria, 25⫺38. Port Harcourt: Uniport Press.
Feuser, Willfried F.
1992 30 Years of Modern Language Teaching in Nigeria. In: Iroko. Journal of the Nigerian
Association of Teachers of German 1: 14⫺26.
Ihekweazu, Edith
1984 Länderbericht Nigeria. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache, 10: 264⫺274.
Omolewa, Michael A.
1984 French and German Languages in the Nigerian Secondary School Curriculum: 1859 ⫺
1959. In: Pai Obanya (Hg.), Curriculum in Theory and Practice, 416⫺438. Ibadan: ERSC.
Uzuegbu, Ifeyinwa
2003 Ich kann nicht warten, eine ,graduate‘ zu werden. Eine fehleranalytische Untersuchung
schriftlicher Texte von Igbo Deutschlernenden mit Englisch als Zweitsprache. Frankfurt
a. M.: Peter Lang.
Witte, Arnd
1996 Fremdsprachenunterricht und Eigenkultur. Kulturgeprägte Bedingungen, kulturangemessene
Unterrichtsmethoden und subjektive Lehrtheorien von DaF-Lehrkräften in Nigeria. Mün-
chen: iudicium.
216. Deutsch in Norwegen 1757

Witte, Arnd
2003 Germanistik und DaF in Afrika (Subsahara) ⫺ Geschichte, Bestandsaufnahme, Aussich-
ten. Acta Germanica 30(31): 169⫺179.

Arnd Witte, Maynooth (Irland)

216. Deutsch in Norwegen


1. Deutschunterricht an norwegischen Schulen
2. Deutsch an norwegischen Universitäten und Hochschulen
3. Zur Forschung und Lehre an norwegischen Hochschulen und Universitäten
4. Literatur in Auswahl

1. Deutschunterricht an norwegischen Schulen


Deutsch ist im heutigen Norwegen eine der drei bedeutendsten 2. Fremdsprachen an den
Schulen. Während alle norwegischen Schülerinnen und Schüler schon ab der 1. Klasse
Englisch lernen, ist die 2. Fremdsprache ab der 8. Klasse allerdings weiterhin nur ein
Wahlfach, d. h. dass das Erlernen einer 2. Fremdsprache nicht obligatorisch ist. Entschei-
det sich der Schüler für eine 2. Fremdsprache, stehen an den meisten Schulen Kurse in
den Sprachen Spanisch, Französisch und Deutsch für die Schüler bereit. Im Schuljahr
2007/2008 wählten ca. 33 % der Achtklässler Spanisch, 25 % Deutsch und 15 % Franzö-
sisch. Die verbleibenden ca. 27 % des Jahrgangs entschieden sich gegen eine 2. Fremd-
sprache (www.fremmedspraksenteret.no). An kleineren Schulen auf dem Lande wird
noch immer fast ausschließlich Deutsch als einzige 2. Fremdsprache angeboten, aber
auch dort ändert sich mehr und mehr die Nachfrage. In den letzten Jahren hat sich die
Nachfrage nach Spanisch stark erhöht, während das Interesse für Deutsch eher abge-
nommen hat. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass spanischsprachige Reise-
ziele in Europa und Südamerika bei vielen Norwegern für kürzere und längere Aufent-
halte sehr beliebt geworden sind. Die deutsche Sprache und das deutschsprachige Aus-
land werden von norwegischen Jugendlichen dagegen oft als langweilig und wenig
ansprechend aufgefasst (Andersen 2005; Gstöttner 2008; Hellekjær 2007; Kristensen
2005; Lindemann 2006; 2007a und b, 2008b und c). Die Schüler erhalten dann ab der
8. Klasse drei Jahre lang Unterricht in der von ihnen gewählten Sprache (8.⫺10. Klasse).
Die Schülerinnen und Schüler, die daran anschließend einen Schultyp besuchen, der
mit einer gymnasialen Oberstufe vergleichbar ist, müssen während dieser dreijährigen
weiterführenden Ausbildung (11.⫺13. Klasse) eine weitere Fremdsprache neben Englisch
erlernen. Dies kann eine bisher nicht gelernte, aber auch die eventuell bereits ab der
8. Klasse gelernte Sprache sein. Auch hier ist Deutsch wieder eine der Sprachen, die an
den Schulen angeboten werden, jedoch ist auch auf dieser Altersstufe das Interesse an
Deutsch in den letzten Jahren immer geringer geworden, da vor allem das Spanische die
Schüler und Schülerinnen weit mehr zu interessieren scheint.
1758 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

In den letzten Jahren wurden mehrere vielversprechende Schulprojekte mit dem so


genannten „Frühen Start“ durchgeführt. Hierbei bekommen die Schülerinnen und Schü-
ler bereits ab der 3. bzw. 5. Klasse Deutschunterricht. Außerdem gibt es erste Versuche
mit CLILiG, d. h. deutschsprachigem Fachunterricht an norwegischen Berufsschulen
und Grundschulen (Lindemann 2006 und 2009). Diese Maßnahmen sind jedoch noch
nicht fest im Ausbildungssystem verankert.

2. Deutsch an norwegischen Universitäten und Hochschulen

Auch an den Hochschulen und Universitäten geht das Interesse für Deutsch stetig zu-
rück. Vor allem an den großen Universitäten in Oslo und Bergen mussten in den letzten
Jahren starke Rückgänge bezüglich der Studentenzahlen verzeichnet werden. Während
es noch in den 1990er Jahren Deutschstudiengänge auch an vielen kleineren Hochschulen
gab, wird nun Deutsch als Studienfach nur noch an den über das ganze Land verteilten
sechs Universitäten (Agder (Kristiansand), Bergen, Oslo, Stavanger, Tromsø und Trond-
heim), an der Norwegischen Wirtschaftsuniversität in Bergen und an den Hochschulen
in Østfold (Südostnorwegen) und Volda (Nordwestnorwegen) angeboten. Sowohl an den
Universitäten als auch an den Hochschulen sind die Studierendengruppen eher klein und
erreichen nur selten mehr als 30 Teilnehmende (Lindemann 2008a).
Es gibt Ausbildungsangebote auf Bachelor- und auf Masterniveau. Diese Angebote
sind, von Studienort zu Studienort in unterschiedlicher Weise, in Kurse eingeteilt, die
mit Leistungsnachweisen evaluiert und mit Studienpunkten belohnt werden. 60 Studien-
punkte (ECTS credits) entsprechen einem einjährigen Vollzeitstudium und gelten norma-
lerweise als Mindestqualifikation für eine spätere Lehrertätigkeit. In die meisten Bache-
lorstudiengänge können bis zu 90 Studienpunkte (ECTS credits) Deutsch eingebracht
werden. An den Universitäten besteht auch die Möglichkeit, ein Masterstudium in
Deutsch (entweder im Bereich der deutschen Sprach- oder Literaturwissenschaft) an ein
Bachelorstudium anzuschließen.
Die Ausbildungsangebote sind zumeist neutral gehalten und wenden sich an Studie-
rende mit den unterschiedlichsten Berufswünschen. Jedoch lässt sich weiterhin festhalten,
dass ein Großteil derjenigen, die ein mindestens einjähriges Deutschstudium auch mit
Prüfungen abschließen, nach einer später folgenden pädagogischen Zusatzausbildung
(pedagogisk seminar) im Schuldienst tätig wird. Darüber hinaus kombinieren die Studier-
enden ihr Deutschstudium mit anderen Studiengängen, beispielsweise einem Jurastudium
oder einem Studium im Bereich der Wirtschaftswissenschaften oder Gesellschaftswissen-
schaften. Dabei kommt es auch häufig vor, dass die Studierenden nur einzelne Kurse
besuchen und nicht das gesamte Kursprogramm des einjährigen Deutschstudiums (60
ECTS credits) absolvieren.
Allerdings werden auch regelmäßig maßgeschneiderte Deutschprogramme (ebenfalls
60 ECTS credits) für zukünftige Deutschlehrende angeboten. Diese Kurse wenden sich
meist an oft bereits unterrichtende Lehrkräfte, die eine Zusatzausbildung in Deutsch
anstreben, um danach auch in diesem Fach unterrichten zu können. Damit die Lehren-
den ein solches Studium neben der Lehrtätigkeit durchführen können, werden diese spe-
ziellen Studiengänge zumeist als zweijähriges Fernstudium angeboten. Diese Programme
sind oftmals internetunterstützt, oder das gesamte Unterrichtsangebot findet im Internet
216. Deutsch in Norwegen 1759

statt (e-Learning-Angebote). In den letzten Jahren wurden auch mehrere solcher Studien-
gänge als nationale Kooperationsprojekte entwickelt und durchgeführt.
An der Handelsuniversität Bergen kann ein eventuelles Deutschstudium in die dorti-
gen wirtschaftswissenschaftlichen Studienprogramme integriert werden und ist inhaltlich
auf diese Studien zugeschnitten.
Außerdem werden an allen Institutionen noch zusätzlich deutschsprachige Kurse zu
unterschiedlichsten Themen (10 oder 15 ECTS credits) angeboten, die in andere, nicht-
sprachliche Studienprogramme eingepasst werden können.

3. Zur Forschung und Lehre an norwegischen Hochschulen und


Universitäten

Die an den Universitäten und Hochschulen Lehrenden im Bereich Deutsch beschäftigen


sich in ihrer Forschung mit vielen verschiedenen Gebieten. Dabei kann man sowohl auf
Themengebiete der traditionellen Germanistik, d. h. der deutschen Sprach- und Litera-
turwissenschaft, stoßen als auch mehr und mehr auf Fragestellungen aus dem For-
schungsgebiet Deutsch als Fremdsprache. Außerdem gibt es Forschungsprojekte, die eher
im Bereich der allgemeinen Linguistik und der allgemeinen Literaturwissenschaft ange-
siedelt werden müssten.
Zurzeit findet an den norwegischen Universitäten ein Generationenwechsel statt, da
viele der langjährigen Professoren und Akademischen Räte das Rentenalter erreicht ha-
ben. Durch den Rückgang der Studierendenzahlen lässt sich die relativ häufig vorkom-
mende Einsparung der Stellen erklären, die im Zuge von Pensionierungen frei werden.
Dies traf und trifft noch immer vor allem die großen Universitäten Oslo, Bergen und
Trondheim. An den einzelnen Institutionen kann deshalb zurzeit nur von einer personel-
len Minimalausstattung ausgegangen werden.
Außerdem wurden an den Institutionen im letzten Jahrzehnt große strukturelle Verän-
derungen durchgeführt, die dazu geführt haben, dass die ursprünglichen Deutschen /
Germanistischen Institute (Tysk institutt / Germanistisk institutt) in größere Einheiten
integriert wurden und somit nicht mehr als eigenständige Bereiche bestehen. Oftmals
arbeiten die Beschäftigten der ehemaligen Deutschen Institute jetzt sogar an verschiede-
nen neuen Instituten, und es besteht nur eine Zusammenarbeit bezüglich des Unterrichts
für Deutschstudierende.

4. Literatur in Auswahl

Andersen, Karen Steinsvik


2005 „Det var ikke så artig med tysk som jeg trodde“. [Es machte nicht so viel Spaß mit Deutsch,
wie ich dachte.] Eine Studie zur Motivation bei norwegischen DaF-Anfängern. Masterauf-
gabe, Universität Tromsø.
Gstöttner, Anna
2008 „Jeg gidder ikke å lære tysk“. Interessen for tysk går ned i Norge ⫺ Årsaker, konsekvenser
og tiltak. [„Ich habe keine Lust, Deutsch zu lernen“. Das Interesse für Deutsch wird gerin-
1760 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

ger in Norwegen ⫺ Ursachen, Konsequenzen und Maßnahmen.] Magisterarbeit, Universität


Erlangen-Nürnberg.
Hellekjær, Glenn Ole
2007 Fremmedspråk i norsk næringsliv ⫺ engelsk er ikke nok! [Fremdsprachen in der norwegi-
schen Wirtschaft ⫺ Englisch ist nicht genug!] Fokus på språk 3/2007. Halden: Fremmed-
språksenteret (gesamte Publikation).
Kristensen, Inger
2005 Die Latinowelle. Warum wählen so viele Schüler Spanisch statt Deutsch? In: Beate Linde-
mann (Hg.), ISIS 4, Elevenes språk ⫺ elevenes tekster, 91⫺96. Universität Tromsø.
Lindemann, Beate
2006 CLILiG in Norwegen ⫺ Situationsbeschreibung per 1. 1. 2006. www.opeko.fi/clilig.
Lindemann, Beate
2007a Motiviert für Deutsch? Eine qualitative Studie zum Anfängerunterricht DaF in Norwe-
gen. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 12(1): 1⫺21.
Lindemann, Beate
2007b Er norske ungdomsskoleelever motiverte til å lære 2. fremmedspråk? [Sind norwegische
Schüler der ungdomsskole motivert, eine 2. Fremdsprache zu lernen?] Språk og språkun-
dervisning 2007 (1): 22⫺27.
Lindemann, Beate
2008a Zur Entwicklung des Faches Deutsch an norwegischen Universitäten und Hochschulen.
In: John Ole Askedal, Burkhard Issel und Otto Erlend Nordgreen (Hg.), Deutsch in Nor-
wegen, 105⫺118. Frankfurt a. M.: Lang.
Lindemann, Beate
2008b Læring av fremmdspråk og motivasjon for språklæring etter innføring av Kunnskapsløf-
tet. [Das Erlernen von Fremdsprachen und die Motivation für das Sprachenlernen nach
Einführung der Reform Kunnskapsløftet.] Fokus på språk 11/2008. Halden: Fremmed-
språksenteret (gesamte Publikation).
Lindemann, Beate
2008c Motivasjon i språklæringen ⫺ Noen tanker omkring språkvalg og god språkundervisning
sett fra elevenes og lærernes ståsted. [Motivation beim Sprachenlernen ⫺ Einige Gedan-
ken zur Sprachenwahl und zu gutem Sprachunterricht vonseiten der Schüler und Lehrer].
Språk og språkundervisning 2008 (1): 19⫺24.
Lindemann, Beate
2009 Möglichkeiten und Grenzen für deutschsprachigen Fachunterricht (CLILiG) in skandina-
vischen Ländern am Beispiel Norwegen. Fremdsprache Deutsch 2009 (40): 14⫺18.

Beate Lindemann, Tromsø (Norwegen)


217. Deutsch in Polen 1761

217. Deutsch in Polen


1. Zum Status des Deutschen in Polen
2. Überblick über den institutionellen Zustand der polnischen Germanistik
3. Zur Gliederung der Germanistik in Polen aus der Sicht ihrer Forschung
4. Spezifische Aspekte der polnischen Germanistik
5. Derzeitige Probleme ⫺ künftige Chancen des Faches
6. Literatur in Auswahl

1. Zum Status des Deutschen in Polen


Während des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jh. hat Deutsch in Polen den Status einer
hoch geschätzten Sprache errungen. Geschwächt wurde seine Position in diesem Land
zum ersten Mal gegen Ende des 18. Jh. infolge der Beteiligung Preußens und Österreichs
an der Teilung Polens und dann durch die repressive Sprachpolitik, die Preußen um die
Wende vom 19. zum 20. Jh. führte. Einen Zusammenbruch der traditionell positiven
Einstellung der Polen zu der deutschen Sprache bewirkte das Verhalten der Deutschen
gegenüber den Polen während des Zweiten Weltkrieges. Man glaubte damals, es würden
viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, vergehen müssen, bis die Abneigung der Po-
len gegenüber dem Deutschen wenigstens soweit abgebaut sei, dass man es wieder in
polnischen Schulen unterrichten könne. Es kam aber anders: Mancherorts konnte der
Deutschunterricht schon 1945 aktiviert werden, nach 1956 wurde er nach und nach nicht
nur zu einem geduldeten, sondern wieder zu einem gewünschten Unterrichtsfach.
Jedenfalls hatte Deutsch in Polen schon lange vor der Wende von 1989 einen überaus
bedeutenden Stellenwert ⫺ sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Bereich,
und nicht zuletzt auch in den Hochschulen ⫺ gewonnen. In den zwei letzten Jahrzehnten
hat sich Deutsch landesweit als die nach Englisch am meisten gewählte Fremdsprache
etabliert. Es wird gegenwärtig auf allen Ebenen des polnischen Schulsystems wie auch in
einer Vielzahl von außerschulischen Einrichtungen angeboten. Der letzte im Juli 2008
von der polnischen Zentralstelle für Lehrerweiterbildung (CODN) veröffentlichte Bericht
über den Fremdsprachenunterricht in Polen ergab, dass der Deutschunterricht in den
Jahren 1996⫺2000 stark anstieg. 2004 lernten etwas mehr als 2,7 Millionen Schüler
Deutsch. Die Jahre 2005⫺2008 brachten leider einen leichten Rückgang dieser Zahl.
Jetzt sind es ungefähr 2,5 Millionen, oder anders gefasst knapp 42 % aller polnischen
Schüler, die Deutsch im obligatorischen bzw. fakultativen Sprachunterricht lernen. Stark
differenziert ist jedoch die territoriale Verteilung der Deutschlernenden: Deutsch wird
naturgemäß am häufigsten in den westlichen Gebieten Polens, insbesondere an der pol-
nisch-deutschen Grenze, gewählt.
In den Sprachlehrerkollegs lernen nicht nur die Studenten, die DaF-Lehrer werden
wollen, Deutsch, sondern auch jene, die zu Englischlehrern ausgebildet werden. Mit ei-
nem ähnlichen Sachverhalt haben wir es in den philologischen Fakultäten polnischer
Hochschulen zu tun. Auch hier werden Deutschkurse nicht nur von Germanistik-, son-
dern auch von Anglistik-, Romanistik- und Russistik-Studenten sowie von Studierenden
anderer philologischer Fächer intensiv besucht. An den polnischen Sprachlehrerkollegs
studieren zur Zeit ungefähr 2500 Deutschlehrer- und etwa drei Mal so viel Englischleh-
rer-Kandidaten. Insgesamt lernen also an ihnen etwa 10.000 junge Polen Deutsch. An
1762 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

den Hochschulen lernen zur Zeit ebenfalls 10.000 Studenten der Germanistik und etwas
mehr als 132.000 Studierende anderer philologischer und nicht-philologischer Fächer
Deutsch. Insgesamt lernen demzufolge etwa 150.000 junge Polen in den Sprachlehrerkol-
legs und polnischen Hochschulen Deutsch.
Der außerschulische Deutschunterricht in Polen wurde bislang von niemandem zah-
lenmäßig erfasst. Fest steht nur, dass insbesondere nach der Wende 1989 das Interesse
an Deutsch auch in diesem Bereich stark zugenommen hat und dass infolgedessen die
Zahl der kommerziellen Sprachschulen rapide angestiegen ist. Die Zahl der Deutschler-
nenden lässt sich mit schätzungsweise 700.000 beziffern. Deutsch lernen also zur Zeit
insgesamt etwas mehr als 3,5 Millionen Polen, d. h. etwa 9,5 % aller Polen. Keine Frage,
das ist immer noch eine stolze Zahl, wenn auch zu bedenken ist, dass sie in knapp 10
Jahren um eine halbe Million gefallen ist.

2. Überblick über den institutionellen Zustand der polnischen


Germanistik
Gleich nach dem Kriegsende begann man in Polen auch die Germanistik wieder auf-, ja
sogar auszubauen. Schon 1945 wurde entschieden, nicht nur ihre alten Standorte in Kra-
ków (Krakau) und Poznań (Posen) wiederzubeleben, sonder zwei neue in Wrocław (Bres-
lau) und Toruń (Thorn) einzurichten. Kurz danach wurde auch an der Katholischen
Universität zu Lublin der germanistische Betrieb aufgenommen. Diese Gründerleistung
der Polen wirkt um so bemerkenswerter, als die Vorkriegskapazität sowie -ausstattung
der polnischen Germanistik während und infolge des Krieges weitgehend vernichtet
wurde bzw. verloren ging. Leider wurde dieser Aufbau wenige Jahre später weitgehend
rückgängig gemacht ⫺ und zwar infolge politisch-ideologischer Entscheidungen, die
durch den sog. kalten Krieg hervorgerufen wurden. Zwischen 1949 und 1952 wurden im
Zuge einer von oben angeordneten Reduzierung aller „West-Philologien“ die Standorte
der polnischen Germanistik in Thorn, Warschau, Lublin und Krakau aufgelöst bzw.
stillgelegt. Lediglich die Lehrstühle in Poznań (Posen) und Wrocław (Breslau) durften
ihre Aktivitäten fortsetzen, allerdings in einem stark limitierten Maße.
Nach 1956 hat sich die Situation der polnischen Germanistik positiv geändert. Seit-
dem entwickelt sie sich bis in die Gegenwart ungehemmt. Besonders fruchtbar waren
trotz personeller Engpässe die 1960er und 1970er Jahre. 1960 wurde die Germanistik in
Warschau wiederbelebt und 1964 neu in Łódź eingerichtet; 1965 wurde der Lehrstuhl in
Krakau und 1968 der in Toruń wieder aktiviert. Die 1970er Jahre bescherten der polni-
schen Germanistik eine Reihe von weiteren Neugründungen: 1974 in Katowice (Katto-
witz) und Lublin (staatliche Universität), 1975 in Rzeszów, 1979 in Zielona Góra (Grün-
berg), Gdańsk (Danzig) und Opole (Oppeln). Nach der Wende kamen einige weitere
Standorte hinzu: 1983 in Lublin (katholische Universität), 1991 in Bydgoszcz (Brom-
berg), 1992 in Szczecin (Stettin) und 1996 in Olsztyn (Allenstein). Außerdem wurden
1996 an den Pädagogischen Hochschulen (jetzt Akademien) in Słupsk (Stolp) und Cze˛s-
tochowa (Tschenstochau) und nach 1995 an mehreren privaten Hochschulen germanisti-
sche Aktivitäten, jedoch in der Regel nur angewandter Art, aufgenommen. Eine Art
angewandter Germanistik wird auch in den erwähnten Sprachlehrerkollegs betrieben.
Ihre Hauptaufgabe, die ihnen zu Beginn der 1990er Jahre in die Wiege gelegt wurde, ist
es, Lehrer für den Englisch- und Deutschunterricht auszubilden. Allein für Deutsch exis-
217. Deutsch in Polen 1763

tieren derzeit 62 Kollegs. Das Studium beträgt drei Jahre (BA-Diplom). Nach Ablauf
dieser Zeit besteht die Möglichkeit, an einer Hochschule den Magisterabschluss zu erwer-
ben.

3. Zur Gliederung der Germanistik in Polen aus der Sicht ihrer


Forschung
Die ersten Professoren, die Mitte des 19. Jh. auf die damals auf polnischem Gebiet ge-
gründeten germanistischen Lehrstühle berufen wurden, interessierten sich wissenschaft-
lich fast ausschließlich für die Geschichte der deutschen Literatur, obwohl sie in der
Lehre die gesamte thematische Bandbreite des Faches Germanistik abzudecken hatten.
Doch schon zu Beginn des 20. Jh. traten in Polen Germanisten in Erscheinung, die sich
vor allem der Sprachwissenschaft verschrieben hatten und Deutsch im Zusammenhang
mit Polnisch zu behandeln versuchten. Auch bei den vor allem an der Literatur interes-
sierten Germanisten nahm schon zu jener Zeit das Interesse zu, in ihrer Forschung und
Lehre vergleichende (kontrastive) Gesichtspunkte einzusetzen. Eine erste institutionelle
Etablierung der sprachwissenschaftlichen Germanistik und damit zugleich eine formale
Gliederung der Germanistik in eine Sprach- und eine Literaturwissenschaft wurde in
Polen 1952 vollzogen, als in Poznań neben einem Lehrstuhl für germanistische Literatur-
wissenschaft ein eigenständiger Lehrstuhl für germanistische Sprachwissenschaft ins
Leben gerufen wurde. Seit 1957 sind in Polen nur noch in Sprach- und Literaturwissen-
schaft getrennte ⫺ und damit keine gesamtphilologischen ⫺ Promotionen und Habilita-
tionen möglich. Zu einer Ausweitung des traditionellen Gegenstandsbereichs der polni-
schen Germanistik kam es infolge der nach 1956 unternommenen Bemühungen, die Stu-
dienprogramme gezielt den Bedürfnissen einer modernen Deutschlehrerausbildung
anzupassen. Das Novum der reformierten Programme bestand in ihrer Erweiterung um
sprachpraktische, pädagogisch-methodische und gegenwartsbezogene sprach- und litera-
turwissenschaftliche Komponenten und einer gleichzeitigen Reduzierung ihrer traditio-
nellen, historisch ausgerichteten Anteile.
Die intensive Auseinandersetzung polnischer Germanisten mit dem Bereich sprach-
praktischer Unterricht und der Komponente pädagogisch-methodische Ausbildung
führte letztendlich zur Begründung nicht nur einer germanistischen, sondern auch einer
allgemeinen Glottodidaktik. Schon Ende der 60er Jahren des vorigen Jh. wurde sie neben
der Sprach- und der Literaturwissenschaft zur dritten Säule aller neuphilologischen Fä-
cher. Etwas später hat sich auch die germanistische Landes- und Kulturkunde zu einem
relativ selbständigen Forschungs- und Lehrzweig entwickelt. Während der 1980er Jahre
ist sie zu einer vierten tragenden Säulen des Faches geworden. Inzwischen hat auch die
germanistische Translatorik (Übersetzungswissenschaft und -didaktik) diesen Status er-
reicht, und zwar infolge einer nach 1990 ständig wachsenden Nachfrage nach professio-
nell ausgebildeten Übersetzern und Dolmetschern (vgl. Grucza 2008).

4. Speziische Aspekte der polnischen Germanistik


Spätestens 1956 begann sich die polnische Germanistik intensiver mit der Frage ausei-
nanderzusetzen, was zu unternehmen sei, um (a) negative Einstellungen der Polen zum
Deutschen abzubauen, (b) bei jungen Polen Interesse am Deutschlernen sowie (c) am
1764 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Germanistik-Studium zu wecken bzw. es zu intensivieren. Recht schnell haben die dama-


ligen Vertreter der Germanistik in Polen eingesehen und Einigkeit darüber erzielt, dass
sich diese Ziele nur erreichen lassen, wenn man nicht nur die schon vor dem Krieg in
das Programm des Faches aufgenommene vergleichende Perspektive zu einem Grund-
stein des Faches ausbaut, sondern darüber hinaus versucht, bei der Gestaltung seiner
Lehr- und Forschungsaufgaben die Spezifik sowie die Bedürfnisse ihrer (polnischen) Um-
welt und damit auch die künftigen beruflichen Aufgaben der Studierenden systematisch
zu berücksichtigen. Infolge dieser Einsichten begann sich die polnische Germanistik zu-
nächst in ein Fach „mit einer doppelten Nabelschnur“ (vgl. Orłowski 1987) und dann in
eine wirkliche Auslandsgermanistik (vgl. Grucza 2006) zu verwandeln (vgl. auch Art. 3).
Infolge dieses Wandlungsprozesses wurden nach und nach sowohl die Lehr- als auch
Forschungstätigkeit der polnischen Germanistik neu definiert. Ihre derzeitige Lehr-Spezi-
fik besteht darin, dass sie (a) sich ausdrücklich als ein Fach präsentiert, das nicht Philolo-
gen, sondern in erster Linie DaF-Lehrer und/oder Übersetzer/Dolmetscher ausbildet; (b)
außer rein germanistischen auch solche Veranstaltungen bietet, in denen Faktoren des
Berufes ihrer Absolventen sowie Faktoren der Umwelt, in der sie diesen ausüben werden,
behandelt bzw. geübt werden.
Die Forschungsspezifik der polnischen Germanistik besteht darin, dass sie sich nicht
bloß mit sprach-, literatur- und kulturbezogenen, sondern auch mit Fragen auseinander-
setzt, die den jeweiligen Beruf und/oder die Umwelt betreffen. Infolge einer systemati-
schen Analyse germanistischer Berufe wurden zunächst die Glottodidaktik und dann
auch die Translatorik im Sinne eines forschenden Teilbereiches des Faches gegründet.
Die Forschungsspezifik der polnischen (Auslands-)Germanistik besteht aber auch in der
Thematisierung des sog. Deutsch-vor-Ort, das sich in vielen Fällen weder als eine „echte“
Mutter-, noch als eine Fremdsprache auffassen lässt, weshalb sie in toto schwerlich mit
einer „fremdsprachlichen“ Germanistik gleichgesetzt werden kann. Außerdem unter-
scheidet sie sich (wie jede echte Auslandsgermanistik) von der Binnengermanistik auch
dadurch, dass sie in ihrer Lehre und Forschung systematisch versucht, zum Abbau beste-
hender deutsch-polnischer sprachlich-kommunikativer Barrieren (etwa Vorurteile und
sonstige Stereotype) und zum Schlagen verbindender Brücken sowie Wissenstransfer in
beide Richtungen beizutragen. Und nicht zuletzt besteht ihre Spezifik auch darin, dass sie
es mit (vorsichtig ausgedrückt) „anderen“ Studenten zu tun und innerhalb eines anderen
sprachlich-kulturellen Kontextes zu wirken hat. Eine Lehr-Eigenart der polnischen Ger-
manistik bilden auch die sprachpraktischen Komponenten ihrer Studienpläne, die darin
bestehen, festgestellte sprachpraktische Defizite der Abiturienten zu kompensieren.

5. Derzeitige Probleme  küntige Chancen des Faches

Wie sich die polnische Germanistik in den kommenden Jahren entwickeln wird, hängt
sowohl von der Gesamtentwicklung des Landes als auch davon ab, ob bzw. inwiefern es
ihr gelingt, einen „sicheren“ Weg einzuschlagen. Zu den ihre Existenz von außen bedro-
henden Faktoren gehört zum einen die Tatsache, dass begabte junge Menschen in Polen
zurzeit wegen der schlechten Besoldung generell schwer für eine wissenschaftliche Lauf-
bahn zu begeistern sind. Zwar war die Entlohnung von Akademikern auch vor der
Wende sehr bescheiden, doch damals konnte man auch woanders nicht viel mehr verdie-
217. Deutsch in Polen 1765

nen. Jetzt können Absolventen der Germanistik außerhalb der Hochschulen besser besol-
dete Stellen finden. Zum anderen wird ihre Existenz durch den bereits angesprochenen
Rückgang des Interesses an der deutschen Sprache unter den jungen Polen gefährdet.
Die wichtigste interne Bedrohung für die Zukunft sehe ich darin, dass die Zahl der
Befürworter einer Re-Philologisierung und Rückwandlung des Faches in eine Art Bin-
nengermanistik immer noch „ausbaufähig“ ist: sollten sie die Oberhand gewinnen, dann
wird das Fach wieder Philologen oder bestenfalls Lehrer für den Unterricht des Deut-
schen als Muttersprache ausbilden, für die es in Polen aus selbstverständlichen Gründen
kaum Arbeitsstellen gibt. Lehrer für den Unterricht des Deutschen als Fremdsprache,
Übersetzer, geschweige denn Dolmetscher professionell auszubilden wird eine solche
Germanistik nicht in der Lage sein. Ihre an der Glottodidaktik bzw. Translatorik interes-
sierten Mitglieder werden aus den re-philologisierten germanistischen Instituten auswan-
dern (müssen). Stark schrumpfen werden dann auch die derzeitigen sprach- sowie litera-
turwissenschaftlichen Teilbereiche des Faches: verlassen werden sie ihre an soziologi-
schen, philosophischen oder psychologischen und weniger an rein philologischen Themen
interessierten Mitglieder.
Wie jede andere Auslandsgermanistik wird auch die polnische Germanistik ihre der-
zeitige Position halten und vielleicht sogar stärken können, wenn sie beim Aufbau ihrer
Lehr- und Forschungsprogramme die Tatsache beachtet, dass sie in einem Land zu wir-
ken hat, in dem sie vor allem von der Leistung des Deutschunterrichts an den Schulen
des Landes abhängig ist; dass sie deshalb, im Gegensatz zur Inlandsgermanistik, den
praktischen Deutschunterricht im Sinne einer „konstitutiven“ Aufgabe des Faches zu
behandeln und dafür zu sorgen hat, dass er brauchbare Ergebnisse zeitigt; dass sie den
Schulen Lehrer des Deutschen als Fremdsprache zur Verfügung stellt, die die deutsche
Sprache und Kultur genügend beherrschen und über eine entsprechende fachbezogene
kognitive und praktische (glottodidaktische) Kompetenz verfügen; dass sie die als Philo-
logen ausgebildeten Absolventen auch nicht unter dem Etikett „Übersetzer“ oder „Dol-
metscher“ anbieten darf, da die Übersetzer- und Dolmetscherausbildung heute ein
ebenso anspruchsvolles Unterfangen wie die Ausbildung von Deutschlehrern ist ⫺ dass
jede von diesen Ausbildungen anders zu gestalten ist und anderer Fachleute benötigt;
dass sie sich als ein akademisches Fach darum bemühen muss, die Gestaltung und Reali-
sierung all ihrer Ausbildungsprogramme wissenschaftlich zu fundieren und zu Gegen-
ständen einer systematischen Forschung zu machen hat und sich nicht von vorneherein
auf Sprach- und Literaturwissenschaft einschränken darf.
Längerfristig würde es der polnischen Germanistik auf jeden Fall mehr schaden als
Vorteile bescheren, wenn sich das Fach von solchen Aufgaben wie der Ausbildung von
DaF-Lehrern und/oder von Übersetzern bzw. Dolmetschern distanzierte. Vielmehr soll-
ten sich seine Vertreter darum bemühen, die sich mit diesen Aufgaben beschäftigenden
Teilbereiche des Faches zu stärken, die Fortbildung von Deutschlehrern sowie von Über-
setzern und Dolmetschern zu einer von ihren Hauptaufgaben zu machen und beide Berei-
che mit besseren Arbeitsmitteln als bisher auszustatten.

6. Literatur in Auswahl
Cieśla, Michał 1974 Dzieje nauki je˛zyków obcych w zarysie [Abriss der Geschichte des
Fremdsprachenunterrichts]. Warszawa: PWN.
1766 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Bericht der CODN vom Juli 2008:


http://bc.codn.edu.pl/dlibra/docmetadata?id⫽64 (Zugriff am 3. 10. 2009).
Grucza, Franciszek, Hans-Jürgen Krumm und Barbara Grucza
1993 Beiträge zur wissenschaftlichen Fundierung der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern. War-
szawa: Wydawnictwa Uniwersytetu Warszawskiego.
Grucza, Franciszek (Hg.)
1998 Deutsch und Auslandsgermanistik in Mitteleuropa: Geschichte ⫺ Stand ⫺ Ausblicke. War-
szawa: Graf-Punkt.
Grucza, Franciszek
2006 In- und Auslandsgermanistik: Zur Notwendigkeit ihrer
Unterscheidung. Deutsch als Fremdsprache 4: 195⫺207.
Grucza, Franciszek, (Hg.)
2008 Translatorik in Forschung und Lehre der Germanistik. Beiträge der Jahrestagung und
internationalen wissenschaftlichen Konferenz des Verbandes Polnischer Germanisten. War-
szawa: Euro-Edukacja.
König, Christoph (Hg.)
1995 Germanistik in Mittel- und Osteuropa 1945⫺1992. Berlin: De Gruyter.
Kuczyński, Krzysztof A. (Hg.)
1991 Z dziejów germanistyki historycznoliterackiej w Polsce. [Zur Geschichte der historisch-lite-
rarischen Germanistik in Polen]. Łódź: Wydawnictwo Uniwersytetu Łódzkiego.
Marciniak, Grażyna, u. a.,
2009 Szkoły wyższe i ich finanase w 2008 r. [Higher Education institutions and their finances
in 2008]. Warszawa: Główny Urza˛d Statystyczny.
Orłowski, Hubert
1987 Die doppelte Nabelschnur fremdsprachlicher Germanistik. In: Alois Wierlacher (Hg.),
Perspektiven und Verfahren interkultureller Germanistik, 113⫺124. München: iudicium.
Zawadzka, Elżbieta
2004 Nauczyciele je˛zyków obcych w dobie przemian. [Die Fremdsprahenlehrer in der Zeit der
Transformation]. Kraków: Oficyna Wydawnicza „Impuls”.
Żygulski, Zdzisław
1991 Sto lat filologii germańskiej w Polsce (1870⫺1970) [Hundert Jahre der germanischen Phi-
lologie in Polen (1870⫺1970)]. In: Krzysztof A. Kuczyński (Hg.), Z dziejów germanistyki
historycznoliterackiej w Polsce, [Zur Geschichte der historisch-literarischen Germanistik in
Polen], 7⫺26. Łódź: Wydawnictwo Uniwersytetu Łódzkiego.

Franciszek Grucza, Warschau (Polen)


218. Deutsch in Portugal 1767

218. Deutsch in Portugal


1. Einleitung
2. Situation in der Lehre
3. Bestandsaufnahme in der Forschung
4. Schlussbemerkung
5. Literatur in Auswahl

1. Einleitung

Deutsch als Fremdsprache ist in Portugal vom Studium der Germanistik nicht zu tren-
nen, das auf eine fast hundertjährige Geschichte zurückblicken kann ⫺ die ersten germa-
nistischen Lehrstühle wurden schon 1912 an der Universität Coimbra und 1913 an der
Universität Lissabon gegründet. Ab Anfang der 1970er Jahre, mit der Gründung neuer
Universitäten bzw. mit der Erweiterung des bestehenden Angebotes, ist die Zahl der
Universitäten mit germanistischen Studiengängen deutlich gestiegen. 1998 gab es an den
portugiesischen Universitäten zwölf germanistische Fachbereiche mit insgesamt 3.215
StudentInnen (Dreischer 2001: 1524).
In den letzten zehn Jahren haben an den Schulen und Hochschulen zum Teil recht
drastische Umwälzungen stattgefunden, so dass sich eine vollkommen veränderte Land-
schaft im Rahmen schwieriger gewordener institutioneller Bedingungen darstellt. Sie
wird einerseits durch einen merklichen Rückgang der Studentenzahlen, andererseits
durch neue Ausrichtungen in Forschung und Lehre charakterisiert.

2. Situation in der Lehre

Im portugiesischen Schulsystem ist die Lage des Deutschen als Fremdsprache zur Zeit
schwierig: neben der ersten Fremdsprache Englisch müssen die Schüler eine zweite
Fremdsprache lernen, diese ist aber nur von der 7. bis zur 9. Klasse obligatorisch. Die
Wahl einer weiteren, dritten Fremdsprache, die bis zur Schulreform vor 2 Jahren in der
Fachrichtung „Humanwissenschaften“ der Sekundarstufe noch Pflicht war, ist inzwi-
schen nur noch eine Optionsmöglichkeit unter anderen. Das Angebot von Deutsch an
den Schulen geht dementsprechend merklich zurück; dadurch (von dem prononcierten
demographischen Schwund noch verstärkt) wird die Rekrutierungsbasis der Hochschul-
germanistik immer schmaler. Als Folge davon sind sämtliche germanistische Fachberei-
che seit wenigen Jahren dazu übergegangen, auch Bewerber ohne vorherige Deutsch-
kenntnisse anzunehmen, was notwendigerweise schwerwiegende inhaltliche und methodi-
sche Konsequenzen mit sich bringt.
Traditionell erfolgte das germanistische Studium in Portugal im Rahmen von Studien-
gängen, die Deutsch mit einer anderen Sprache (in der Regel Portugiesisch, Französisch
oder, mehrheitlich, Englisch) als gleichwertiges Nebenfach kombinierten und die in erster
Linie auf die Ausbildung von Sprachlehrerinnen und -lehrern ausgerichtet waren. Da die
Nachfrage nach Lehrkräften an den Schulen zur Zeit praktisch nicht vorhanden ist, ist
1768 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

die Zahl der Lehramtsstudierenden in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Die
Hochschulgermanistik orientiert sich dementsprechend weg von der Lehrerausbildung,
da das bestehende Angebot (nach den Bologna-Reformen im Rahmen eigener Masterstu-
diengängen) nur noch wenig wahrgenommen wird (nach den neuesten Schätzungen im
Sommersemester 2009 gibt es derzeit nur ca. 20 Deutschreferendare in Portugal). Im
Zuge der Umstrukturierung im Zusammenhang des Bologna-Prozesses haben die germa-
nistischen Fachbereiche aktiv an einer Curriculums-Reform teilgenommen, welche, von
der Definierung von Schlüsselkompetenzen und einer in der Regel flexibleren Auffassung
der Gestaltung der Studienpläne ausgehend, darauf hinauslief, neue Möglichkeiten der
Mitwirkung des Faches an einem breiteren Spektrum von Studiengängen zu öffnen. Da-
durch konnte der Rückgang des herkömmlichen germanistischen Angebots einigermaßen
kompensiert werden, freilich meistens um den Preis einer merklichen Reduzierung von
sprach-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Inhalten.
Es gibt zur Zeit in Portugal germanistische Fachbereiche an 11 Universitäten. Im
Sommersemester 2009 beträgt die Gesamtzahl der Studierenden, die an einer Hochschule
einen Studiengang mit germanistischer Komponente (als Haupt- oder Nebenfach) belegt
haben, knapp unter 1.000. Weit weniger als die Hälfte davon hat jene Studienrichtungen
gewählt, die unter verschiedenen Benennungen („Moderne Sprachen“, „Sprachen, Lite-
raturen und Kulturen“, „Europäische Sprachen und Literaturen“) das ganze Spektrum
an sprach-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Inhalten anbieten. Beliebter sind Stu-
diengänge wie „Angewandte Fremdsprachen“, „Sprachen und Management“, „Verlags-
wesen“, die in den Augen der Studentierenden stärker praxisbezogen erscheinen und in
denen die Haupt-Orientierung eher auf die Sprache als auf wissenschaftlich-germanisti-
sche Inhalte erfolgt. Bei anderen Studiengängen wiederum („Internationale Beziehun-
gen“, „Presse und Informationswissenschaft“, „Kommunikationswissenschaft“, „Euro-
pastudien“, „Tourismus und Kulturerbe“) ist Deutsch bloß ein Wahlfach bzw. ein tenden-
ziell wenig gewichtiges Pflichtfach. Darüber hinaus wird eine elementare Ausbildung in
der deutschen Sprache an einigen rechtswissenschaftlichen Fakultäten inzwischen als cur-
riculares Fach vorgesehen.
Besonders hervorzuheben ist das Angebot an Übersetzungsstudiengängen, das an vie-
len Universitäten (als Lizentiatur- oder Masterstudium) weiterhin besteht und in dem
eine Ausbildung in Deutsch als eine der Wahlmöglichkeiten eine wichtige Komponente
darstellt. Zu bemerken ist auch, dass die meisten Universitäten im Rahmen des immer
wichtiger werdenden Bereichs der Fortbildung seit einigen Jahren über Sprachenzentren
mit der Aufgabe der Vermittlung von Fremdsprachen verfügen. Deutsch für Hörer aller
Fakultäten und für ein allgemeines Publikum wird regelmäßig angeboten. Die Gesamt-
zahl der Teilnehmer an diesen so genannten „freien Kursen“ im ganzen Land liegt im
Sommersemester 2009 bei geschätzten 700. Auch im Bereich des E-learning sind verschie-
dene erfolgreiche Versuche nachzuweisen, die sich in der nahen Zukunft voraussichtlich
weiter konsolidieren werden. Die germanistischen Fachbereiche an den Universitäten
haben auf diese Art und Weise als Teil ihrer Orientierung in Richtung neuer Tätigkeitsbe-
reiche die Rolle eines Anbieters von deutschen Sprachkursen, welche traditionell von
Privatschulen wahrgenommen wurde, übernommen, wobei in Lissabon und Porto das
Goethe-Institut der größte Anbieter auf diesem Gebiet überhaupt bleibt.
Auffallend ist das dürftige Angebot im Rahmen des so genannten Bologna- „zweiten
Zyklus“. Da es sich aber um eine verhältnismäßig neue Entwicklung handelt, ist es zu
erwarten, dass in den nächsten Jahren sich einiges in dieser Hinsicht ändern wird.
218. Deutsch in Portugal 1769

Zusammenfassend kann behauptet werden, dass die institutionelle Stellung der Ger-
manistik als Hochschulfach vor allem in den letzten fünf Jahren eindeutig an Relevanz
verloren hat. Andererseits bleibt ihr eigenständiger Beitrag im Rahmen der verstärkten
Zusammenarbeit mit anderen Fächern und Wissensbereichen in Lehre und Forschung
unverzichtbar und wird als solcher auch anerkannt, zumal die Nachfrage nach der deut-
schen Sprache unvermindert anhält. Somit birgt die gegenwärtige Krise durchaus auch
Chancen, die von den verschiedenen Universitäten nach Möglichkeit wahrgenommen
werden.

3. Bestandsaunahme in der Forschung

Der Aufschwung an den portugiesischen Hochschulen in den 1970er und 1980er Jahren
hat zu einschneidenden quantitativen und qualitativen Veränderungen auch in der ger-
manistischen Forschungslandschaft geführt, was sich in zahlreichen Dissertationen und
überhaupt im deutlichen Anwachsen der Publikationen, aber auch in einer Vielzahl von
Initiativen ausdrückte. Die Internationalisierung des Faches wurde konsequent angetrie-
ben und bleibt bis zum heutigen Tag ein wichtiges Merkmal.
1984 wurde die Zeitschrift Runa ⫺ Revista Portuguesa de Estudos Germanı́sticos auf
Grund der Zusammenarbeit der meisten germanistischen Fachbereiche als Organ der
portugiesischen Germanistik gegründet. Das halbjährliche Erscheinen der Zeitschrift
musste im Jahre 2002 eingestellt werden, nachdem insgesamt 29 zum Teil umfangreiche
Hefte erschienen waren, die einen guten, wenn auch bei weitem nicht allumfassenden
Einblick in den jeweiligen Stand der germanistischen Forschung im Land vermitteln; in
dieser Hinsicht hervorzuheben sind die Hefte 25 und 26, die den ersten Internationalen
Kongress des Portugiesischen Germanistenverbandes 1996 in Coimbra auf fast 1000 Sei-
ten dokumentieren. Das erste Heft einer Nachfolgepublikation, wiederum unter Beteili-
gung sämtlicher germanistischen Fachbereiche, wird voraussichtlich im September 2009
erscheinen.
Der Portugiesische Germanistenverband (Associação Portuguesa de Estudos Germa-
nı́sticos ⫺ APEG) hat im Jahre 1993 die Arbeit aufgenommen und bleibt bis zum heuti-
gen Tag ein wichtiger Ort des Dialogs und des Zusammenschlusses. Der Verband organi-
siert unter anderem regelmäßig wissenschaftliche Treffen, z. B. 2008 die Tagung „Kultur-
bau: Aufräumen, Ausräumen und Einräumen” in Lissabon.
Außer APEG sind andere Verbände in dem Bereich des Deutschen als Fremdsprache
auch aktiv. Erwähnt sei insbesondere der Portugiesische Deutschlehrerverband (Associa-
ção Portuguesa de Professores de Alemão ⫺ APPA), der vor allem die Deutschlehrer an
den Schulen organisiert. Auch in anderen Fremdsprachen-Verbänden ist Deutsch prä-
sent. Die Deutschlektoren an den Hochschulen betreiben seit 2003 die Arbeitsgruppe
GLAUP (Grupo dos Leitores de Alemão nas Universidades Portuguesas), die die Lage
des Deutschunterrichts regelmäßig verfolgt und aktiv Analysen und Materialien zur Re-
flexion beisteuert.
Die germanistische Forschung in Portugal ist recht breit gefächert und umfasst neben
der Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft auch die Fachdidaktik und die Überset-
zungswissenschaft. Die komparatistische Ausrichtung ist aus verständlichen Gründen ein
wichtiges, bei weitem aber nicht ausschließliches Merkmal. Institutionell ist die For-
1770 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

schung in vom Staat finanzierten Forschungszentren verankert. Bezeichnenderweise wird


die germanistische Forschung inzwischen an vielen Universitäten im Rahmen von For-
schungszentren betrieben, die eine umfassendere Ausrichtung haben: die Zentren für
Komparatistik an den Universitäten Porto und Lissabon, das Zentrum für Humanwis-
senschaften an der Universität Minho, das Zentrum für Kommunikations- und Kultur-
studien an der Katholischen Universität Lissabon, das Zentrum für Sozialforschung an
der Universität Coimbra. Bloß das 1994 in Coimbra gegründete Interdisziplinäre Zent-
rum für Germanistische Studien (CIEG) definiert sich weiterhin über die fachliche Aus-
richtung. Im Ganzen macht sich die Tendenz bemerkbar, germanistische Forschung stär-
ker integrativ zu betreiben; dabei wird die Identität des Faches nicht in Frage gestellt,
aber notwendigerweise neu definiert.

4. Schlussbemerkung
Wie schon erwähnt leidet Deutsch als Fremdsprache in Portugal seit Jahren unter einer
verfehlten Sprachenpolitik, welche, anstatt auf eine bewusste Förderung von Mehrspra-
chigkeit auf breiter Grundlage zu setzen, eher restriktiv verfährt. Die Zukunft wird von
einem neuen Kurs in dieser Hinsicht sehr stark abhängen, auf den die verantwortlichen
Lehrinstitutionen seit langem drängen. Auf der wissenschaftlichen Ebene bleibt eine so-
lide Grundlage bestehen, die aber von dem Fehlen an Nachwuchs im Zuge rückläufiger
Studentenzahlen in absehbarer Zeit ernsthaft bedroht werden kann.

5. Literatur in Auswahl
Delille, Karl Heinz et al. (Hg.)
2006 A lı́ngua alemã: situação e perspectivas. Coimbra: CIEG.
Delille, Maria Manuela Gouveia
1998 Germanistik in Portugal. Aktuelle Situation und Perspektiven. In: DAAD (Hg.), Germa-
nistentreffen Deutschland ⫺ Spanien ⫺ Portugal. Tagungsbeiträge, 17⫺32. Bonn: DAAD.
Dreischer, Anita
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Portugal. In: Gerhard Helbig et al. (Hg.),
Deutsch als Fremdsprache: ein internationales Handbuch, 1523⫺1528. Band 2. (Handbü-
cher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 19.1⫺2). Berlin/New York: Walter
de Gruyter.
Hanenberg, Peter
1997 Germanistik in Portugal. In: Dietrich Briesemeister und Axel Schönberger (Hg.), Portugal
heute. Politik. Wirtschaft. Kultur, 847⫺855. Frankfurt am Main: Vervuert Verlag.

António Ribeiro, Coimbra (Portugal)


219. Deutsch in Rumänien 1771

219. Deutsch in Rumänien


1. Rumäniendeutsch
2. Deutsch im Unterricht
3. Germanistik
4. Lehreraus-, -fort und -weiterbildung
5. Lehrwerkentwicklung und Forschung im DaF-Bereich
6. Literatur in Auswahl

1. Rumäniendeutsch
Rumäniendeutsch „steht in erster Linie für die relativ einheitliche, vor allem als Schrift-,
Unterrichts- und Kirchensprache gebrauchte Standardvarietät, die ⫺ trotz ihrer Ausrich-
tung an der in Deutschland gebrauchten Standardsprache ⫺ ihre Eigenheiten auf bei-
nahe allen Ebenen aufweist“; sie wird als „regionale Standardvarietät“ mit geschriebenen
und gesprochenen Varianten beschrieben (Bottesch 2008: 349). Dazu gehören heute
außer den von L1-Sprechern gebrauchten Varietäten auch das Deutsch zahlreicher Spre-
cher mit rumänischer und ungarischer Erstsprache, die an Schulen mit deutscher Unter-
richtssprache lernen sowie die in den Siedlungsgebieten der Rumäniendeutschen (Sieben-
bürgen, Banat, Sathmarer Gegend, Oberwischau, Bukowina) gebrauchten, gruppenin-
tern differenzierten Dialekte, die nach 1990 wegen der verstärkten Aussiedlung ihrer
Sprecher nach Deutschland stark zurückgehen. (Bottesch 2008: 349, 351⫺352). Bei der
Volkszählung 2002 haben knapp 60.000 Personen angegeben, der deutschen Minderheit
anzugehören, und davon etwa 45.000, Deutsch als Muttersprache zu haben. Heute wird
von einer „Sprachgemeinschaft in Auflösung“ gesprochen. Das jahrhundertelange Ne-
beneinander wird zu einem Miteinander der Sprachgruppen, demographische und soziale
Veränderungen wirken sich auf den Sprachgebrauch und das Bewusstsein der Sprecher
aus (Bottesch 2008: 366⫺367). Die Zukunft des Rumäniendeutschen hängt mit der Prä-
senz der deutschen Minderheit zusammen. Sprachfördernde und -pflegerische Bemühun-
gen sind vor allem wegen Mangel an muttersprachlichen Lehrern im Deutsch- und Fach-
unterricht zunehmend auf den familiären und kirchlichen Bereich reduziert (Bottesch
2008: 384).

2. Deutsch im Unterricht
In Rumänien ist allen Minderheiten der Unterricht in der Muttersprache verfassungs-
rechtlich gesichert. So gibt es Kindergärten und Schulen aller Stufen in deutscher Spra-
che. Die Kennzeichnung dieses Unterrichts als Deutsch-als-Muttersprache-Unterricht ist
nach 1990 eher unzutreffend, da 90 % der Schüler dieser Klassen Rumänisch als Mutter-
sprache haben (Bottesch 2008: 347). Die Abiturienten der deutschsprachigen Lyzeen er-
halten vom Ministerium für Bildung und Forschung das „Kompetenzzertifikat für die
deutsche Sprache” und von Deutschland das Deutsche Sprachdiplom I/II. Dem Mangel
an muttersprachlichen Lehrern wird vom deutschsprachigen Ausland über Lehrerentsen-
1772 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

deprogramme sowie über Programme zur Lehrerfortbildung entgegengewirkt, vom ru-


mänischen Bildungsministerium über das Zentrum für Fortbildung in deutscher Sprache
in Mediasch und über ein Umqualifizierungprogramm.
In den Kindergärten wird fakultativ eine Fremdsprache gelernt. In der 1. Klasse wird
die erste, in der 5. Klasse eine zweite Fremdsprache gewählt. Deutsch steht dabei nach
Englisch und Französisch, wird meist als zweite Fremdsprache gewählt, was sich auf die
Anzahl der DaF-Klassen und -Lehrer langfristig negativ auswirkt. Es gibt neben dem
gängigen DaF-Unterricht auch Klassen mit „Deutsch intensiv“, d. h. mit mehr Wochen-
stunden DaF, bzw. bilinguale Klassen, in denen auch einige Schulfächer deutsch unter-
richtet werden.
Deutsch wird an den staatlichen und privaten Hochschulen in der Germanistik als
Erst- oder Zweitfach in Kombination mit einer anderen Fremdsprache, mit Theologie
oder studienbegleitend an nichtphilologischen Fakultäten, in deutschsprachigen Studien-
gängen an geistes-, natur- sowie wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, in deutsch-
sprachigen Masteraten in der Germanistik oder interdisziplinär an zahlreichen anderen
Fakultäten gelernt bzw. studiert.
Neben Englisch als Sprache der ersten Wahl bleibt Deutsch sehr attraktiv, einerseits
wegen der erhofften besseren Berufschancen in der Marktwirtschaft, andererseits wegen
der tradierten, nicht zuletzt dank der Rumäniendeutschen bestehenden Verbundenheit
zur deutschen Kultur.

3. Germanistik

Das Studium verläuft nach Bolognavorgaben (Gesetz 288/2004). Die rumänische Germa-
nistik verharrt in einem philologischen Konzept und ist eher umfassend berufsvorberei-
tend als gezielt berufsbildend. Das Rahmencurriculum sieht obligatorische Vorlesungen
zur Sprachwissenschaft (Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, deutsche
Sprachgeschichte, vergleichende Sprachwissenschaft) und zur Literaturwissenschaft vor.
Die Literatur wird teils in ihrem geschichtlichen Werden, teils nach Gattungen darge-
stellt. Es gibt außerdem obligatorische Vorlesungen und Seminare zur deutschen Landes-
kunde und einige Wahlvorlesungen zu spezielleren linguistischen, literarischen und kultu-
rellen Themen. Parallel zu diesen theoretisierenden Veranstaltungen gibt es das Seminar-
bündel „Sprachpraxis“ zur Verbesserung der Sprachkompetenz in allen Fertigkeiten.
Im Allgemeinen sind die Deutschkenntnisse der Germanstikstudenten im Rückgang,
verglichen mit den Jahren vor 1990, als die meisten Studierenden hauptsächlich L1-Spre-
cher oder in deutschen Schulen gelernte L2-Sprecher waren und als der Unterricht aus-
schließlich in deutscher Sprache erfolgen konnte. Das Curriculum sieht für das Haupt-
fach Deutsch B1/B2 als Ausgangsniveau, C1 als Zielniveau vor. Im Nebenfach Deutsch
sind die Ansprüche auf A1/A2 bzw. B2 tiefer gestellt. Die Zulassung zum Studium und
die spätere Differenzierung in Arbeitsgruppen erfolgt meist aufgrund einer schriftlichen
Sprachprüfung.
Die Germanistik muss sich auf dem Arbeitsmarkt der Konkurrenz der an den Fremd-
sprachenfakultäten neu gegründeten berufsorientierten Abteilungen für Dolmetscher,
Übersetzer, Journalisten stellen. In diesem Wettlauf ist es allerdings die Germanistik
allein, die Deutschlehrer ausbilden darf (Stănescu 2006).
219. Deutsch in Rumänien 1773

4. Lehreraus-, -ort und -weiterbildung


Es gibt in Rumänien keinen Studiengang für die DaM- oder DaF- Lehrerausbildung.
Ein einziges mit Abitur endendes Kolleg in Sibiu/Hermannstadt bildet LehrerInnen für
DaM-Grundschulen und Kindergärten aus. Für die anderen DaM-/DaF-Schultypen
kommen die Sprach- und Literaturlehrer aus der Germanistik (Stănescu 2006).
Zum Lizenziat-Curriculum jeder Fremdsprachenausbildung (180 ECTS) wird ein fa-
kultatives Lehrerausbildungsmodul von 30 ECTS vorgesehen, das bei den Departments
für Erziehungswissenschaften der Universitäten Vorlesungen zu Pädagogik (z. B. in Bu-
karest: Curriculumtheorie 4 ECTS, Lerntheorie und Leistungsmessung 4 ECTS, Psycho-
logie 5 ECTS) und bei den Fremdsprachenlehrstühlen der zwei Studiensprachen Vorle-
sungen zur Fachmethodik (4 ECTS) und das Unterrichtspraktikum (8 ECTS) und einen
anwendungsorientierten IT-Kurs vorsieht.
Die Praktika bestehen aus einer Hospitationsphase und aus eigenen Unterrichtsversu-
chen. Tutoren sind die Lehrer in den Hospitationsklassen, Mentoren die Methodiker der
Fremdsprachenlehrstühle. Sie alle werden in Fortbildungskursen eigens dazu fortgebildet
und akkreditiert.
Nach Abschluss dieses Moduls wird von den Universitäten ein Zeugnis ausgestellt,
das die Ausübung des Sprachlehrerberufs bis zur 10. Klasse gestattet. Um im Lyzeum
(9.⫺12. Klasse mit Abiturabschluss) und an der Hochschule unterrichten zu dürfen, müs-
sen ein Masterat-Diplom und zusätzliche 30 methodisch-didaktische ECTS nachgewiesen
werden (Gesetz 288/2004; UG 2008). Die Philologieabteilungen der staatlichen Universi-
täten sind es auch, die als einzige die Prüfungen für das „Definitivat“ (endgültige Bestäti-
gung zum Lehrer) und die beiden höheren, optionalen Lehramtsgrade abnehmen und
die Diplome dazu vergeben dürfen.
Das Gesetz (UG 1995, 2008) fordert außerdem den periodischen, alle fünf Jahre fälli-
gen Nachweis von 90 ECTS für Fort- und Weiterbildungsaktivitäten. Diese können er-
bracht werden im Rahmen von Vorlesungen, Tagungen, Workshops, Seminaren, Som-
merkursen und sonstigen unterrichtspraktischen Aktivitäten im In- und Ausland, die
zum größten Anteil schulpolitische und erziehungswissenschafliche, aber auch metho-
disch-didaktische Themen behandeln. Träger solcher Aktivitäten sind die staatlichen
Universitäten, die Schulinspektorate, für Deutsch speziell das Zentrum für Fortbildung
in deutscher Sprache in Mediasch, das Goethe-Institut und andere deutsche, von rumäni-
scher Seite anerkannte unterrichtsfördernde Institutionen (UG 2008).

5. Lehrwerkentwicklung und Forschung im DaF-Bereich


Nach 1990 wurde ein neues Rahmencurriculum erstellt. Inhaltlich und methodisch neue
Lehrwerke waren notwendig. In einem deutsch-rumänischen Gemeinschaftsprojekt ent-
stand die kommunikativ orientierte Lehrwerkreihe „Deutsch mit Spaß“, doch wurden
auch alternative Lehrwerke des Binnen- und ausländischen Angebots zugelassen; ihr Ein-
satz muss allerdings über Ausschreibungen vom Bildungsministerium bewilligt werden.
Forschung erfolgt in Projekten im Zusammenhang mit Lizenziats- oder Masteratsab-
schlüssen, vor allem aber mit Diplomarbeiten zum I. Lehramtsgrad, seltener zum Dokto-
rat. Sie betreffen die Analyse methodisch-didaktischen Vorgehens im Sprachunterrichts,
1774 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

teils in geschichtlichem Rückblick, teils komparativ anhand von rumänischen und/oder


deutschen Lehrwerken und Curricula, aber auch theoretische und praktische Aspekte des
Spracherwerbs. Eine Beziehung der Methodik mit z. B. kontrastiver und/oder Kontakt-
linguistik ist selten, eher implizit (Koch 2008). Das liegt auch am Standort der Lehreraus-
bildung teils in der Germanistik, teils in den mit ihr konkurrierenden Departments für
Erziehungswissenschaften an den Universitäten.

6. Literatur in Auswahl
Bottesch, Johanna
2008 Rumänien. In: Ludwig M. Eichinger, Albrecht Plewia und Claudia Maria Riehl (Hg.),
Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Mittel- und Osteuropa, 329⫺392. Tübin-
gen: Narr.
Gesetz 288
2004 Organizarea ı̂nvăţământului superior [Organisierung der akademischen Studien]. In: Mo-
nitorul Oficial, Partea I nr. 614, 07. 07. 2004.
Koch, Marianne
2008 Grammatik im rumänischen DaF-Unterricht. Standort des Sprachvergleichs. In: Spe-
ranta Stănescu und Ulrich Engel (Hg.), Sprachvergleich ⫺ Kulturvergleich. Quo vadis
KGdr? 259⫺273. München: iudicium.
Stănescu Speranţa
2006 Die rumänische Germanistik und der Bologna-Prozess. In: Hochschulrektorenkonferenz
(Hg.), Germanistik im Europäischen Hochschulraum. Studienstruktur, Qualitätssicherung
und Internationalisierung, 32⫺52. Beiträge zur Hochschulpolitik 6/2006. HRK Service-
Stelle Bologna.
UG
1995 Legea ı̂nvăţământului [Unterrichtsgesetz] nr. 84/1995. In: Monitorul oficial, Partea I, VII/
167, 31. 07. 1995.
UG
2008 OMECT nr. 6319/19. 12. 2008. [Verordnung des Ministers für Bildung und Forschung
zur Änderung und Ergänzung des UG 1995 die Anerkennung von ECTS für Fort- und
Weiterbildungsaktivitäten betreffend].

Speranţa Stănescu, Bukarest (Rumänien)


220. Deutsch in Russland 1775

220. Deutsch in Russland


1. Die Rolle des Deutschen
2. DaF-Unterricht in Russland im Globalisierungszeitalter
3. Träger des DaF-Unterrichts und der Deutschlehreraus- und -fortbildung
4. Schwerpunkte in der DaF-Lehrerausbildung
5. Inhalte der germanistischen Ausbildung
6. Chancen von DaF und Germanistik in Russland
7. Literatur in Auswahl

1. Die Rolle des Deutschen


1.1. Russlanddeutsche
1.1.1. Geschichtliches

Das nachhaltige Interesse an DaF in Russland blickt auf eine alte Tradition zurück, die
schon im 15. Jh. mit den Handelsbeziehungen begann und sich im 18. Jh. verstärkte, als
Katharina II. deutsche Bauern (vor allem aus dem Süden Deutschlands) nach Russland
rief. Sie sollten das fruchtbare brachliegende Land nutzbar machen und damit die Agrar-
wirtschaft im Süden Russlands verbessern.
1924 entstand die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen mit
der Hauptstadt Engels, deren Einwohner aber nach Deutschlands Überfall auf die Sow-
jetunion 1941 nach Sibirien, Kasachstan und in den Ural deportiert wurden ⫺ unter
dem Vorwurf der Kollaboration mit dem Nazi-Deutschland.
Heute wird unter dem Begriff „Russlanddeutsche“ (RD) (russ. роики 
ц
rossijskije nemci) vor allem die ethnisch deutsche bzw. deutschstämmige Minderheit in
Russland verstanden, aber auch die deutschstämmigen Einwohner der anderen ehemali-
gen Sowjetrepubliken. Zur Zeit leben 842.300 Russlanddeutsche in Russland. 41,8 % von
ihnen nennen Deutsch ihre Mutersprache, 58 %. Russisch. Prozentual gesehen machen
Deutsche rund 0,41 % der Gesamtbevölkerung Russlands aus. In Sibirien leben proporti-
onal mehr Deutsche als in anderen Regionen.
Es gab zwei Ausreisewellen von Russlanddeutschen nach Deutschland: 1) Ende der
1960er Jahre nach dem Abkommen Willy Brands mit der Sowjetunion über die Heimbe-
rechtigung und Aussiedlerbestimmungen; 2) in den 1980er Jahren nach der Selbstauflö-
sung der Sowjetunion. Seit Ende der 1990er Jahre nimmt die Anzahl der Aussiedler von
Jahr zu Jahr ab (was auch die Statistiken des Deutsch-Russischen Hauses Moskau bestä-
tigen).

1.1.2. Die Situation heute

Die Begegnungsstätte russlanddeutscher, deutscher und russischer Kultur, Wissenschaft


und Wirtschaft ist heute das Deutsch-Russische Haus Moskau ⫺ die Institution, die eine
breitgefächerte Programmarbeit der BRD zugunsten der Russlanddeutschen bietet. Sie
unterstützt Russlanddeutsche darin, ihre ethnische und kulturelle Identität zu erhalten
1776 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

und weiterzuentwickeln sowie einen Beitrag dazu leisten, dass sie als eigenverantwortli-
che Bürger ihres Staates an dessen Aufbau mitwirken und gleichzeitig aktiv an den Bin-
dungen zu Deutschland teilhaben, d. h. eine Brückenfunktion zwischen Deutschland und
Russland erfüllen können. Bessere Lebens- und Zukunftsperspektiven sollen somit auch
eine Alternative zur Emigration bieten. Diese Arbeit ist ein Teil des „Programms für
nationale Minderheiten“ und wird von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
(GTZ) realisiert. Die Koordinationstätigkeit wird von der autonomen nichtkommerziel-
len Organisation „ANO Breitenarbeit“ sowie von weiteren Tochtergesellschaften der
GTZ in Halbstadt (Nationalkreis im Altai), Kaliningrad, Nowosibirsk und Saratow
übernommen.
1998 wurde im Rahmen des soziokulturellen Programms „Breitenarbeit“ das Projekt
„Hallo Nachbarn“ gestartet ⫺ ein Grundkurs Deutsch für Erwachsene, der zum Niveau
A1.2⫺A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) führt. Ein bedeuten-
der Teil der Kursteilnehmer sind Russlanddeutsche, denn obwohl 41,8 % von ihnen
Deutsch als ihre Muttersprache bezeichnen, ist das meistens eine stark dialektal gefärbte
Sprache in der veralteten Form, in der sie die ältere Generation spricht. Deshalb lernen
auch Russlanddeutsche Deutsch als eine Fremdsprache (DaF), v. a. mit dem Schwer-
punkt auf Kulturpragmatischem. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Inte-
gration der Aussiedler in ihrer neuen deutschen Heimat, wo sie dann DaZ lernen werden,
das zum täglichen Gebrauch notwendig ist. Deshalb bildet die Analyse von Wünschen,
Bedürfnissen und Lebenserfahrungen der ehemaligen Russlanddeutschen die Grundlage
für das Lehrwerk „Hallo Nachbarn Neu!“.

Tab. 220.1: Anzahl der Kursteilnehmer im Deutsch-Russischen Haus Moskau


Schuljahr Kursanfang Davon RD Abschlusstest Abschlusstest
Basiskurs bestanden Aufbaukurs
bestanden
2005⫺2006 486 170 187 193
2006⫺2007 80 76 58 30
2007⫺2008 93 78 33 43

Die Arbeit der Sprachbüros in den anderen Städten Russlands koordiniert das Sprach-
Didaktische Zentrum an der Petri-Kirche in St. Petersburg, das auch regelmäßig Lehrer-
seminare für Multiplikatoren des Projekts organisiert.

2. DaF-Unterricht in Russland im Globalisierungszeitalter


2.1. DaF vs. Englisch
Die heute in Russland am meisten gefragte und deshalb vor allem gelernte Fremdsprache
ist zweifellos Englisch, was durch die Einbindung des Landes in die Globalisierungspro-
zesse zu erklären ist. Nicht nur in den internationalen Konzernen wie Nokia, Sony Erics-
son, Samsung, Microsoft, die auf den russischen Markt gekommen sind, sondern auch
in den großen deutschen Firmen wie Audi, Siemens, Bosch, Lufthansa, Deutsche Post
erfolgt die Wirtschaftskommunikation meistens auf Englisch. Bei der Stellenausschrei-
bung werden vor allem gute Englischkenntnisse verlangt. Eine Ausnahme wird nur für
sehr gesuchte hoch qualifizierte Fachleute gemacht, die aber sofort nach der Anstellung
220. Deutsch in Russland 1777

in Business-Englisch-Kurse geschickt werden, was in der Regel in den firmeneigenen


Räumen durchgeführt und von der Firma auch bezahlt wird. Für eine weitere Beförde-
rung und erfolgreiche Karriere gelten aber Deutschkenntnisse als eine wichtige Voraus-
setzung.
Mittelständische deutsche Firmen aber, die in Russland ihre Niederlassungen oder
Vertretungen haben, verlangen Deutschkenntnisse bzw. sie schicken ihre Angestellten in
Geschäftsdeutsch-Kurse, weil die Geschäftskorrespondenz in solchen Firmen auf
Deutsch geführt wird und weil russische Angestellte dieser Firmen mit den deutschen
Fachleuten auf Deutsch kommunizieren müssen. Deutschkenntnisse werden auch von
den russischen Firmen geschätzt, weil solche Kenntnisse für die Kontakte zu ihren deut-
schen Geschäftspartnern vorteilhaft sind.

2.2. DaF-Unterricht im Kontext des GER

2001 wurde in Lind bei der offiziellen Eröffnung des Europäischen Jahres der Sprachen
die russische Version des GER vorgelegt, die an der Moskauer Staatlichen Linguistischen
Universität übersetzt wurde. Als Vorbereitung darauf wurde 1998⫺2001 das Projekt
„Sprachportfolio Russlands“ erfolgreich durchgeführt.
Der im GER gewählte handlungsorientierte Ansatz, der die Entwicklung kommuni-
kativer Kompetenz als Zusammenwirken von linguistischen, soziolinguistischen und
pragmatischen Kompetenzen voraussetzt, wird sowohl im schulischen als auch im uni-
versitären DaF-Unterricht realisiert, nach Niveaustufen differenziert, was in den Modu-
len zum Ausdruck kommt ⫺ in der Organisationsstruktur von Lernzielen, Lehrinhalten
und Kriterien. Die linguistische Komponente der kommunikativen Kompetenz ist auf
den funktionalen Sprachgebrauch orientiert und nicht auf die Rolle der sprachlichen
Einheit bzw. Erscheinung im Sprachsystem. Letzteres (wie auch die Sprachkompetenz in
verschiedenen kommunikativen Bereichen) wird von Germanistikstudenten verlangt,
nicht aber von Studierenden anderer Fachbereiche.
Insgesamt beläuft sich die Zahl der DaF-Lerner in Russland auf ungefähr 4,7 Mio.
DaF wird heute in allgemeinbildenden Schulen, Schulen mit erweitertem Deutschunter-
richt, Gymnasien, Lyzeen, an Universitäten und Hochschulen unterrichtet.

2.3. DaF-Unterricht im schulischen Bereich (allgemeinbildende Schulen,


Schulen mit erweitertem Deutschunterricht, Gymnasien, Lyzeen)

Für den DaF-Unterricht in diesem Bereich liegen beim Russischen Ministerium für Bil-
dung und Wissenschaft folgende Statistiken vor:

Tab. 220.2: Anzahl der DaF-Lerner im voruniversitären Bereich


Schuljahr allgemeinbildende Schulen mit Gymnasien Lyzeen
Schule (Schul- erweitertem (Abgänger) (Abgänger)
abgänger) DaF-Unterricht
(Schulabgänger)
2006⫺2007 382.133 4.993 4.058 1.069
2007⫺2008 309.280 5.461 3.493 711
1778 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Tabelle 2 ist durch folgende Informationen zu ergänzen: 1. Bezogen auf alle Fremdspra-
chenlerner in Russland lernen DaF 15,3 %, davon 54 % in den Städten und 46 % auf dem
Lande; 2. Deutsch als zweite Fremdsprache lernen 34,5 % aller Schüler (vgl. Franzö-
sisch ⫺ 26 %); 3. geographische Verteilung von DaF (Russland besteht aus 85 Föderati-
onssubjekten) am Beispiel von: Zentrum 16 %, Wolga-Gebiet 16,5 %, Sibirien 18,3 %.
Für Schulen mit erweitertem DaF-Unterricht, Gymnasien und Lyzeen gibt es Lehr-
werke für Fortgeschrittene (bestehend aus Lehrbüchern, Arbeitsheften, Lehrerhandbü-
chern, CDs und Videos). Speziell für geisteswissenschaftliche Gymnasien und Lyzeen ist
auch eine Einführung in die allgemeine Sprachwissenschaft (Drozdova 2001) herausgege-
ben worden, in der die Stellung der deutschen und anderer germanischer Sprachen in
einer für die Schüler zugänglichen Form erklärt ist.

2.4. DaF-Unterricht an den Universitäten und Hochschulen

In den philologischen Fakultäten sinkt die Zahl der Immatrikulierten, die eine Aufnah-
meprüfung in DaF bestanden haben, um weiter Germanistik zu studieren. Es werden
zusätzliche Anfängergruppen für die Studenten organisiert, die Prüfungen in anderen
Sprachen abgelegt haben. In nicht-philologischen Fakultäten lässt sich seit den 1990er
Jahren folgende Tendenz beobachten: Studenten bilden auf eigene Initiative Gruppen, in
denen sie Deutsch als Wahlsprache lernen (Pflichtsprache ist meistens Englisch). Diese
Wahl ist durch die Realitäten des Berufslebens bedingt.
Über genaue Statistiken für den DaF-Unterricht an den Universitäten und Hochschu-
len verfügt das Ministerium für Bildung und Wissenschaft aber nicht, weil diese Bildungs-
einrichtungen nicht nur dem genannten Ministerium unterstehen, sondern auch anderen
Ministerien für spezielle Bereiche (z. B. dem Ministerium für Justiz, für Gesundheits- und
Sozialwesen, dem Verteidigungsministerium etc.).

2.5. Alternative Möglichkeiten des DaF-Unterrichts

Obwohl die Zahl der Deutschlernenden und -studierenden abnimmt, sehen sich viele
Menschen später im persönlichen und beruflichen Leben mit Situationen (Ausreise, Stu-
dium in Deutschland, Karriere) konfrontiert, zu deren Bewältigung sie Deutschkennt-
nisse brauchen. Der DaF-Unterricht in der Erwachsenenbildung wird dann mithilfe al-
ternativer Möglichkeiten realisiert ⫺ in Deutschkursen und im privaten Einzelunterricht.
Den Informationen des Goethe-Instituts in Moskau zufolge bleibt die Zahl der Inte-
ressenten und Kursabsolventen stabil hoch, besonders für die Grundstufe, was aus den
Tabellen 3 und 4 ersichtlich ist:

Tab. 220.3: Deutschkursabsolventen im Goethe-Institut Moskau


A1 A2 B1 B2 C1 C2
2006 606 1003 837 621 486 126
2007 702 1026 756 756 234 180
2008 1350 468 792 756 360 96
220. Deutsch in Russland 1779

Tab. 220.4: Zertifikate und Diplome des Goethe-Instituts Moskau


Jahr A1 A2 ZD ZMP ZOP ZDfB KDS GDS Fit in Fit in GZB2 GZC1 PWD
Dt. 1 Dt. 2
2006 302 17 110 95 30 14 2 2 ⫺ ⫺ ⫺
2007 550 49 143 61 57 6 7 2 20 4 6 8 11
2008 735 38 85 ⫺ 45 9 ⫺ 3 ⫺ 14 27 25 9

3. Träger des DaF-Unterrichts und der Deutschlehreraus- und


-ortbildung

Die Träger des DaF-Unterrichts in den Schulen, Gymnasien, Lyzeen und Deutschkursen
sind überwiegend russische Germanisten, die Germanistik an den Universitäten und
Fremdsprachenhochschulen in Russland studiert haben und anschließend ein Aufbaustu-
dium oder Praktika in Deutschland absolvierten. Sie fahren auch regelmäßig als Teilneh-
mer von Austauschprogrammen in deutschsprachige Länder.
An den Universitäten und Fremdsprachenhochschulen unterrichten sowohl russische
Professoren, Dozenten und Lektoren als auch Gastdozenten, -lektoren und Sprachassis-
tenten. Zur Zeit (Stand November 2008) unterrichten in Russland 3 DAAD-Dozenten
(2 in Moskau, 1 in St.Petersburg), 29 DAAD-Lektoren (davon 7 in Moskau, 4 in St. Pe-
tersburg), 6 DAAD-Sprachassistenten (davon 1 in Moskau).

4. Schwerpunkte in der DaF-Lehrerausbildung

Die Schwerpunkte in der DaF-Lehrerausbildung sind von den Prinzipien des GER ge-
prägt. Das bedeutet: Kenntnisse der Lehrenden über soziokulturelle Hintergründe sollen
vertieft, ihre Fähigkeiten, diese zu vermitteln, entwickelt, ihre Fähigkeiten, individuali-
siertes Lernen, Partner- und Gruppenarbeit zu organisieren, entwickelt werden.
Diesen Prinzipien entsprechend gehören folgende, didaktisch wichtigste Inhalte zur
DaF-Lehrerausbildung: 1. Ansätze der interkulturellen Didaktik, durch deren Anwen-
dung die interkulturelle Kompetenz der Lernenden gefördert wird „einschließlich Relati-
vierung von ethnozentrischen Sichtweisen sowie Abbau von Vorurteilen“ (Donec 2002:
73); 2. kognitive Methodik, die darauf gerichtet ist, „bei den Lernenden kognitive Struk-
turen herauszubilden, die nicht nur sprachliche Kenntnisse umfassen, sondern auch
enzyklopädische, und bei diesen letzten vor allem Kenntnisse über die nationalen und
folglich mentalen Besonderheiten der Zielkultur“ (Trochina 2002: 65); 3. reflexiv-kom-
munikativer (bzw. lernerorientierter) Ansatz, der auf die Entwicklung persönlichkeitsbe-
zogener Kompetenz gerichtet ist als „Summe der individuellen Eigenschaften, der Per-
sönlichkeitsmerkmale und Einstellungen“ (GER; Kamenskaja 2008); 4. kommunikativer
Ansatz zur Entwicklung linguistischer Kompetenz, besonders aktuell sind Probleme der
Interferenzbeseitigung auf allen Sprachebenen, der Sensibilisierung von Lernern für die
funktionale und soziokulturelle Variativität der Sprachverwendung (Jakovleva 2008).
1780 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

5. Inhalte der germanistischen Ausbildung


Schwerpunkte in der DaF-Lehrerausbildung korrelieren mit einem großen Teil der in-
haltlichen Schwerpunkte in der Germanistenausbildung (obwohl es eine ganze Reihe
von Forschungsproblemen gibt, die die Lehrerausbildung nur indirekt beeinflussen). Zu
betonen ist hier, dass vor allem kulturwissenschaftliche Probleme intensiv in den DaF-
Unterricht einbezogen werden, was dem pragmatischen und dem kognitiven Forschungs-
paradigma durchaus entspricht. Somit gehören heute zu den wichtigsten Forschungsge-
bieten der russischen Germanistik (nur mit wenigen bibliographischen Titeln illustriert):
1. Linguokulturologie (Bykova 2005); 2. Soziolinguistik (Šovgenin 2007); 3. Pragmalin-
guistik (Reukova 2005); 4. Lexikologie/Lexikographie (Markina, Muravlova und Murav-
lova 2006; Dobrovol’skij 2008); 5. Grammatik (Kurakov, Valt und Volohova 2007);
6. Dialektologie ⫺ ein Projekt zur Erforschung der Dialekte, deren Träger heutige Russ-
landdeutsche sind; 7. Übersetzungswissenschaft (Alekseeva 2006).

6. Chancen von DaF und Germanistik in Russland


Für die Weiterenwicklung der Traditionen des DaF-Unterrichts und der Germanistik in
Russland bestehen gute Chancen, weil dieses Wissen gefragt ist. Dafür sorgt auch der
2002 gegründete Russische Germanistenverband (RGV) als eine unabhängige Selbstorga-
nisation russischer Hochschullehrer aus den Gebieten der deutschen Literatur-, Kultur-
und Sprachwissenschaft einschließlich der Übersetzungswissenschaft.

7. Literatur in Auswahl
Alekseeva, Irina S.
2006 Vvedenije v perevodovedenije. [Einführung in die Übersetzungswissenschaft]. Moskva:
Academia.
Bykova, Olga I.
2005 Etnokonnotacija kak vid kul’turnoj konnotacii. [Ethnische Konnotation als kultureller
Konnotationstyp]. Voronež: Voronež. gos.univ.
Dobrovol’skij, Dmitij (Hg.)
2008 Novyj bol’šoj nemecko-russkij slovar‘ v trjoh tomah. [Neuses deutsch⫺russisches Großwör-
terbuch in drei Bänden], Band 1. Moskva: AST-Astrel.
Donec, Pavel N.
2002 Grundzüge einer allgemeinen Theorie der interkulturellen Kommunikation. Aachen: Shaker.
Drozdova, Olga J.
2001 Uroki jazykoznanija dlja škol’nikov [Sprachwissenschaft für Schüler]. Moskva: Vlados.
Jakovleva, Emma B.
2008 Jayzk kak predmet opisanija i prepodavanija [Sprache als Gegenstand der Beschreibung
und Lehre]. In: Jazyk. Kul’tura. Obščenije. [Sprache. Kultur. Kommunikation], 362⫺372.
Moskva: Gnozis.
Kamenskaja, Natalja V.
2008 Problemy formirovanija samokontrolja i samoocenki pri obučenii inostrannym jazykam
v nejazykovom vuze. [Probleme der Bildung von Selbstkontrolle und Selbsteinschätzung
221. Deutsch in Schweden 1781

beim Fremdsprachenlernen in einer nicht-philologischen Hochschule]. In: Klavdia G.


Pavlova (Hg.), Kompetentnostnyj podhod kak osnova soveršenstvovanija metodiki obučenija
inostrannomu jazyku: problemy i perspektivy. [Kompetenzansatz als Grundlage zur Ver-
vollkommnung der Fremdsprachenlehre: Probleme und Perspektiven], 87⫺100.
Moskva: Rema.
Kurakov, Valentin I., Alina V. Valt und Vera V. Volohova
2007 Kognitivnyje aspekty nemeckoj grammatiki. [Kognitive Aspekte der deutschen Gramma-
tik]. Volgograd: Peremena.
Markina, Ludmila G., Eugenia N. Muravlova und Natalia V. Muravlova
2006 Kul’tura Germanii: Lingvostranovedčeskij slovar’ [Kultur Deutschlands: Realienwörter-
buch]. Moskava: AST, Astrel, Hranitel.
Reukova, Natalia V.
2005 Leksiko-grammatičeskije sredstva vyraženija vežlivosti v sovrremennom nemeckom jazyke.
[Lexisch-grammatische Höflichkeitsmittel im heutigen Deutsch]. Moskva: MGU.
Šovgenin, Aleksandr N.
2007 Sociolingvističeskoje prostranstvo russkojazyšnoj diaspory Germanii: Na materiale russkoja-
zyšnoj pressy FRG. [Soziolinguistischer Bereich der russischsprachigen Diaspora in
Deutschland: Analyse der russischen Presse in der BRD]. Promotionsschrift. Wolgogra-
der Staatliche Pädagogische Universität.
Trochina, Natalia
2002 Nationalkulturelle Spezifik der Framestruktur in der interkuturellen Komminikation als
Problem des DaF. In: Peter Wiesinger (Hg.), Akten des X. Internationalen Germanisten-
kongresses Wien 2000 „Zeitwende ⫺ Die Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21. Jahr-
hundert“. Band 4, „Lehr- und Lernprozesse des Deutschen als Fremdsprache in kognitiver
Perspektive“, 64⫺69. Bern/Berlin etc.: Lang.

Natalia Troshina, Moskau (Russland)

221. Deutsch in Schweden


1. Zur Rolle des Deutschen
2. Träger der DaF-Ausbildung
3. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme
4. Schwerpunkte in der Ausbildung
5. Inhalte in der Ausbildung
6. Schwerpunkte in der Forschung
7. Einschätzung von Zahlen
8. Literatur in Auswahl

1. Zur Rolle des Deutschen


Deutsch hat in Schweden eine lange Tradition als akademisches Fach (seit 1694) und
Unterrichtsfach. Bis 1946 besaß es sogar den Rang der ersten Fremdsprache und wird
heute nach Englisch an Grundschulen und Gymnasien alternativ zu Französisch und
1782 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Spanisch als zweite oder dritte Fremdsprache angeboten. Obwohl Englisch inzwischen
in der schwed. Gesellschaft als lingua franca anerkannt und praktiziert wird, kommt dem
Deutschen aufgrund der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder
große Bedeutung zu: Deutschland gilt als wichtigster Handelspartner Schwedens. Auch
nimmt die Zahl von Tochtergesellschaften und Neuetablierungen deutscher Unternehmen
in Schweden und umgekehrt kontinuierlich zu (vgl. Breckle 2005).

2. Träger der DaF-Ausbildung


Die übergreifende Verantwortung für den DaF-Unterricht an der neunjährigen schwed.
Grundschule (7.⫺9. Klasse) und am Gymnasien (10.⫺12. Klasse) trägt das Zentralamt
für Schule und Erwachsenenbildung (Skolverket), das landesweit nach den Vorgaben der
Regierung und des Reichstags Kursziele, -pläne und Richtlinien für die Bewertung vor-
gibt (vgl. Skolverket 2000) und das auch Aufsicht über die Qualität der Ausbildungen
im öffentlichen Bildungswesen führt. In seinem Verantwortungsbereich liegen außerdem
Schulentwicklung, Lehrerfort- und Rektorenausbildung. Träger dieser Schulen, die in
der Regie von Gemeinden und in wachsender Zahl auch von unabhängigen Anbietern
(Friskolor) betrieben werden, sind die einzelnen Kommunen.
Innerhalb des staatlichen schwed. Hochschulwesens wird Deutsch an Hochschulen
und Universitäten auf Grundniveau (führt zum Bachelorabschluss) und auf Fortgeschrit-
tenenniveau (führt zum Magister- bzw. Masterabschluss) unterrichtet (seit Herbst 2007
gilt diese an das Bolognaabkommen angepasste Gliederung). Die Kurse können jeweils
einzeln oder eingebunden in Programme wie z. B. die Lehrer- oder Übersetzerausbildung
studiert werden. Über Angebot, Inhalte und Ausführung der Ausbildungen, auch im
Rahmen der Lehreraus- und -fortbildung, entscheiden die einzelnen Hochschulen über
die zuständigen Fakultäten und Institutionen. Sie werden auf zentraler Ebene von der
schwed. Hochschulbehörde (Högskoleverket) beaufsichtigt. Die übergreifenden Regeln
und die Verteilung von Geldern verantwortet der Staat.
Im Rahmen der Erwachsenenbildung werden auch von mehreren unabhängigen Ak-
teuren Deutschkurse veranstaltet wie z. B. Fokluniversitetet, Medborgarskolan oder der
Deutsch-Schwedischen Handelskammer.

3. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme


Landesweit ist seit Jahren ein Abwärtstrend festzustellen, was das Interesse und die Be-
reitschaft von Jugendlichen betrifft, Deutsch zu lernen (vgl. Thorsson et al. 2003; Hög-
skoleverket 2005). Im Glauben, Englischkenntnisse reichten aus, lernen viele SchülerIn-
nen an der Grundschule erst gar keine zweite Fremdsprache, oder sie brechen ihren
Unterricht vorzeitig ab. Auf dem Gymnasium werden andere Kurse gewählt, um leichter
eine bessere Abiturnote zu bekommen. Für die Universitäten und Hochschulen
schwindet damit der Nachwuchs im Fach Deutsch. Allein zwischen 1998 und 2003 ist
die Zahl der StudentInnen von 1500 auf ca. 1100 zurückgegangen, was mit Kürzungen
im Budget und Sparmaßnahmen einhergeht, die zu Zusammenlegungen von Institutio-
nen oder zur Streichung des Faches geführt haben. Laut Bericht der Hochschulbehörde
221. Deutsch in Schweden 1783

(2005) betreiben 2004 nur noch 12 von 17 Hochschulen Deutschausbildung auf höherem
Niveau (C- oder D-Kurs). Mittlerweile haben mehrere Hochschulen, darunter die Uni-
versität Karlstad, ihre Ausbildungen völlig eingestellt. Besonders alarmierend ist jedoch
die sinkende sprachliche Kompetenz von AbiturientInnen, die von den Hochschulen nur
mit Sondereinsätzen oder Abstrichen in den Anforderungen an die StudentInnen kom-
pensiert werden kann. Dass gerade die Lehrerausbildung durch eine stärkere pädagogi-
sche und didaktische Gewichtung umfassende Kürzungen in der Sprachausbildung erfah-
ren hat, wird als besonders bedenklich gesehen (Högskoleverket 2005: 9; Enkvist 2005).
Universitäten und Hochschulen bieten inzwischen praxisbezogene Kurse und Anfän-
gerkurse an oder knüpfen Deutschkurse an andere Fachrichtungen (z. B. Jura) an, um
ein größeres Klientel zu erreichen. Auch durch die Erneuerung von Ausbildungsinhalten
und -methoden, mit Austauschprogrammen (ERASMUS) oder der Verlegung eines Teils
des Studiums ins deutschsprachige Ausland wird versucht, das Studium attraktiver zu
machen.
Mittlerweile hat der Staat die ersten Weichen gestellt, um die Stellung der modernen
Sprachen zu stärken. Ab 2007 werden im Abiturzeugnis für Kurse bis zum Niveau Steg
2 in der dritten und ab Steg 3 in der zweiten Fremdsprache Bonuspunkte vergeben, die
den Notenschnitt erhöhen. Für das Jahr 2011 ist außerdem eine umfassende Schulreform
geplant, die den modernen Sprachen innerhalb der theoretischen gymnasialen Pro-
gramme einen höheren Stellenwert einräumt.

4. Schwerpunkte in der Ausbildung

Im DaF-Unterricht an schwed. Grundschulen und Gymnasien liegt der Schwerpunkt auf


Fertigkeiten in Hör-, Leseverstehen, Sprechen und Schreiben, die nach dem Vorbild des
europäischen Referenzrahmens auf sieben Kompetenzstufen (Steg 1 bis Steg 7) festgelegt
sind. Tatsächlich erreichen AbiturientInnen aber häufig nur Kenntnisse entsprechend
Steg 3 (A2).
Im Grundstudium im Fach Deutsch und in der Lehrerausbildung werden in den ers-
ten beiden Semestern (A- und B-Kurs) kommunikative Fertigkeiten, Grammatik, Kultur-
und Literaturstudien betont. Die StudentInnen sollten am Ende eine Kompetenz entspre-
chend dem Niveau C1 entwickelt haben. In die Ausbildung von DeutschlehrerInnen (für
das Lehramt an der Grundschule A- und B-Kurs) sind Sprachdidaktik und kürzere Prak-
tika integriert. Erst im dritten Semester (C-Kurs) beginnt das eigentliche Germanistikstu-
dium mit Schwerpunkten auf Literaturwissenschaft und Linguistik. Einzelne Hochschu-
len bieten im Rahmen der Lehrerausbildung auch didaktisch orientierte Kurse an. Eine
erste Spezialisierung in eine der drei Fachrichtungen Sprach-, Literaturwissenschaft und
Didaktik (für Anwärter auf ein Lehramt am Gymnasium) erfolgt durch eine selbststän-
dige wissenschaftliche Examensarbeit.
Auf dem fortgeschrittenen Niveau (D-Kurs) werden diese Fachrichtungen weiter ver-
tieft und mit einer Examensarbeit auf Magister- oder Masterniveau abgeschlossen. An
sechs Universitäten, Göteborg, Lund, Umeå, Uppsala, Stockholm und Växjö, kann der-
zeit eine Forscherausbildung absolviert werden, die zu einem Lizenziat oder einem Dok-
torexamen in einer dieser Fachrichtungen führt.
1784 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

5. Inhalte in der Ausbildung

Die Ausbildungsinhalte der Universität Göteborg werden hier stellvertretend für andere
Institutionen angeführt: Auf dem Grundniveau (A, B) werden in der Sprachwissenschaft
aus einer kontrastiven Perspektive Wortschatz, Morphologie und Syntax sowohl in der
Theorie als auch in der Praxis fundiert. Darüber hinaus gibt das Studium Einblicke in
die Sprachgeschichte. Auf höherem Niveau (C, D) werden linguistische Theorien und
Modelle vorgestellt und in einzelnen Bereichen (Semantik, Pragmatik) vertieft. Im Litera-
turstudium liegt der Fokus auf moderner Literatur (nach 1945) und der Rezeption von
Werken aus verschiedenen literarischen Epochen. Auf höherem Niveau stehen Literatur-
theorie, Literaturästhetik und Literaturgeschichte im Vordergrund. Aus einer kontras-
tiven Perspektive werden außerdem Einblicke in Geschichte, Kultur und Gesellschaft der
deutschsprachigen Länder gegeben. Inhalte in der Sprachdidaktik sind Unterrichtstradi-
tionen, Spracherwerbsforschung und lehr- und lerntheoretische Fragestellungen (vgl.
Tornberg 2009).

6. Schwerpunkte in der Forschung

Traditionell dominiert in der schwedischen Germanistik der sprachwissenschaftliche Be-


reich mit Schwerpunkten auf Grammatik, Lexikologie, Phraseologie, Pragmatik, Stilistik
und Textlinguistik. Göteborg, Uppsala und Lund betreiben auch Spracherwerbsfor-
schung.
Forschungsbereiche in der Literaturwissenschaft sind Narratologie, Fiktionstheorie,
Rezeptionsstudien und das Werk einzelner Schriftsteller. Die kulturkontrastive For-
schung bildet eine relativ neue Disziplin wie auch die interdisziplinäre didaktisch orien-
tierte Forschung, die verschiedene Aspekte der Unterrichtssituation untersucht. Göte-
borg und Uppsala sind in allen Bereichen vertreten, während sich Lund sprachwissen-
schaftlich und Stockholm und Växjö literaturwissenschaftlich profiliert haben.
Erst in jüngster Zeit wird durch eine fächer- und institutionsübergreifende Zusam-
menarbeit und die Etablierung von Forscherschulen versucht, die an den verschiedenen
Institutionen betriebene Forschung besser zu koordinieren. Man erhofft sich einen größe-
ren wissenschaftlichen Austausch auf nationaler und internationaler Ebene.

7. Einschätzung von Zahlen

Laut Bericht der Hochschulbehörde (Högskolverket 2005) sind im Jahr 2004 an den
zwölf erfassten Institutionen ca. 80 Lehrende beschäftigt gewesen. Von ihnen hat etwa
die Hälfte promoviert und vertritt die Fachrichtungen Sprachwissenschaft (29) und Lite-
raturwissenschaft (17). Bei insgesamt dreizehn Professoren, 7 Dozenten, 21 Lektoren, 3
Forschungsassistenten, einer Postdoc-Stelle und 57 Doktoranden (32 in Sprachwissen-
schaft, 22 in Literaturwissenschaft und 3 in Didaktik) werden wissenschaftliche Kompe-
tenz und Ausbildungsqualität im Fach Germanistik als hoch bewertet.
222. Deutsch in Senegal 1785

Auf längere Sicht könnte sich dies jedoch ändern, denn im Jahr 2003 war die Mehr-
zahl der StudentInnen (636/1061) im A-Kurs registriert, was mit entsprechend niedrigen
Zahlen in Kursen auf höherem Niveau (B, C und D) korreliert und selbst bei den großen
Universitäten Uppsala (88/180), Stockholm (103/203), Göteborg (116/158) und Lund (74/
119) zu einer verhältnismäßig niedrigen Teilnahme in diesen Kursen geführt hat.

8. Literatur in Auswahl
Breckle, Margit
2005 Deutsch-schwedische Wirtschaftskommunikation. Werkstattreihe Deutsch als Fremdspra-
che. Frankfurt a. M.: Lang.
Enkvist, Inger
2005 Trängd mellan politik och pedagogik. Svensk språkutbildning efter 1990. Hedemora: Ged-
lunds förlag.
Högskoleverket
2005 Utvärdering av grund- och forskarutbildning i tyska vid svenska universitet och högskolor.
Stockholm: Högskoleverket.
Skolverket
2000 Språk: kursplaner, betygskriterier och kommentarer. 2000: 18. Stockholm: Fritzes.
Skolverket
2001 Språkboken, en antologi om språkundervisning och språkinlärning. Stockholm: Skolverket.
Thorsson, Staffan, Marianne Molander Beyer, Sigrid Dentler
2003 Språklig enfald eller mångfald …? En studie av gymnasieelevers och språklärares uppfatt-
ningar om elevers val av moderna språk. Göteborg: UFL-rapport Göteborgs universitet
2003: 06.
Utbildningsdepartementet
1998 Läroplan för det obligatoriska skolväsendet, förskoleklassen och fritidshemmet, Lpo 94.
Utbildningsdepartementet
2000 Läroplan för de frivilliga skolformerna, Lpf 94.
Tornberg, Ulrika
2009 Språkdidaktik. Malmö: Gleerups.

Christine Fredriksson, Trollhättan (Schweden)

222. Deutsch in Senegal


1. Die Rolle des Deutschen und Träger des DaF-Unterrichts in Senegal
2. Entwicklungslinien, Probleme und Chancen
3. Schwerpunkte der Lehrerausbildung, Germanistik und Forschung
4. Literatur in Auswahl

Die Vermittlung der deutschen Sprache in Senegal geht auf die Kolonialzeit ⫺ 1922 ⫺
zurück und wurde bis 1967 von Franzosen bestimmt. Nach dem Kulturabkommen von
1786 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

1969 zwischen der BRD und Senegal wurde Deutsch ab 1972 ⫺ neben Englisch ⫺ auch
als erste Fremdsprache angeboten. Seit 1992 wird das Fach, außer an der Kadetten-
schule, nur noch als zweite Fremdsprache angeboten. Dies hat jedoch keine Auswir-
kungen auf die Attraktivität des Faches, wie die wachsende Zahl der DeutschlernerInnen
und Germanistikstudierenden zeigt: zwischen 1998 und 2001/02 ein Anstieg von 9.100
auf 9.500 bzw. von 200 auf 285 zwischen 1998 und 2007/08 bei den Studierenden (Aus-
kunft Universität Dakar).

1. Die Rolle des Deutschen und Träger des DaF-Unterrichts


in Senegal
Mit der Gründung des Germanistikinstituts an der Universität Dakar 1973 haben sich
die Fächer Deutsch als Fremdsprache und Germanistik im senegalesischen Bildungssys-
tem etabliert. So rangiert Deutsch als zweite Fremdsprache bei den Schülern an dritter
Stelle ⫺ nach Spanisch und Arabisch. Auf Hochschulebene wird es als Nebenfach an
anderen fremdsprachenphilologischen Abteilungen und den ⫺ jüngeren ⫺ Instituten für
Angewandte Fremdsprachen in Dakar und Saint-Louis gewählt. Der letztgenannte Stu-
diengang, der auf den Wirtschaftssektor ⫺ Touristik ⫺ abzielt, stellt eine signifikante
Erweiterung des Faches dar. Die größte Rolle spielt die deutsche Sprache am Germanis-
tikinstitut in Dakar, an dem die wissenschaftliche Ausbildung der Lehrer und Germanis-
ten ⫺ einschließlich Habilitation ⫺ stattfindet.
Die pädagogische Ausbildung der DeutschlehrerInnen erfolgt an der Ecole Normale
Supérieure (ENS). Nach dem Erwerb der Licence (3. Studienjahr) bzw. Maı̂trise (Ma-
gister ⫺ 4. Studienjahr) am Germanistikinstitut wird ein zweijähriges Referendariat ab-
solviert: Neben den Seminaren sind Hospitationen und eigenverantwortlicher Unterricht
Bestandteile der Ausbildung. Der ENS kommt auch die Fortbildung der Lehrer zu. Diese
Aufgabe wird faktisch von der 1986 gegründeten Association des Professeurs d’Allemand
du Secondaire au Sénégal (APASS), dem Deutschlehrerverband, erfüllt.
Schließlich bietet das 1973 gegründete Goethe-Institut in Dakar Sprachkurse für
Schüler, Studenten und andere an. Die Kurse werden mit den einschlägigen Zertifikaten
abgeschlossen. Darüber hinaus ist das Goethe-Institut in der pädagogischen Koordina-
tion aktiv.

2. Entwicklungslinien, Probleme und Chancen

Die Entwicklung des schulischen Deutschunterrichts in Senegal ist von Bemühungen um


eine Anpassung der Lehrwerke an den afrikanischen Kontext gekennzeichnet. 1975
wurde das von deutschen Autoren für Westafrika konzipierte Lehrwerk Yao lernt
Deutsch (Schröder und Beissner 1975) eingeführt. In diesem Lehrwerk wurde die afrika-
nische Lebenswelt als Handlungsort einbezogen, eine Integration, die der Adressaten-
orientierung und dem kontrastiven Ansatz entsprach. Aufgrund der massiven Kritik (vgl.
Guèye 1982) an der oralen Methode und der unvorteilhaften Darstellung des Afrikaners
zugunsten seines deutschen Dialogpartners wurde 1993 das regionalspezifische und
222. Deutsch in Senegal 1787

hauptsächlich von Autoren aus neun so genannten frankophonen Ländern West- und
Zentralafrikas entwickelte Lehrwerk Ihr und Wir (Boly et al. 1992⫺95) eingeführt. Dieses
Lehrwerk zeichnet sich durch eine dezidierte Schülerorientierung und einen interkulturel-
len Ansatz aus.
Auf akademischer Ebene ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten: Während das
Lehrangebot in den ersten beiden Jahrzehnten so gut wie keinen Bezug zur Lebenswelt
der Studierenden aufwies, hat sich mittlerweile eine stärkere Berücksichtigung des afrika-
nischen Kontextes durchgesetzt. Diese Hinwendung zum Eigenen äußert sich im deutlich
größeren Interesse für interkulturelle Fragestellungen seit Mitte der 1990er Jahre.
Zu den Problemen der Fächer DaF und Germanistik in Senegal gehören die in ver-
gleichbaren Ländern üblichen Einschränkungen durch mangelnde Mittel für die Ausstat-
tung und Unterrichtsgestaltung. Ein weiteres Problem ist die sehr begrenzte Möglichkeit
zur Verbesserung der Sprechfertigkeit ⫺ auch für Lehrer, die selten deutschsprachige
Länder besuchen können. Hinzu kommt, dass die Aufnahme in der ENS keine Garantie
mehr für eine Einstellung im öffentlichen Dienst ist. Da der Lehrerberuf die Hauptper-
spektive ist, steigert die drohende Arbeitslosigkeit die Attraktivität des Faches nicht.
Gewichtiger als die strukturellen Probleme ist jedoch ein konzeptionelles Defizit, das
die positiven Entwicklungen untergräbt. Auf schulischer Ebene ist die Unterrichtsgestal-
tung durch das Lehrwerk bestimmt, das z. T. gravierende Unzulänglichkeiten aufweist:
Das betrifft nicht nur die idealisierende Darstellung der Zielgesellschaft, sondern vor
allem die verfälschende Darstellung der Tragödie in Rwanda (Boly et al. 1995, IV: 48)
und die rassistischen Klischees des „kriegslustigen“ Afrikaners (Boly et al. 1995, IV:
115⫺116), um nur diese Beispiele zu nennen.
Auch auf Hochschulebene fehlt ⫺ trotz der seit den 1980er Jahren geführten Diskus-
sion über die gesellschaftspolitische Legitimation des Faches (vgl. Sow 1986) ⫺ immer
noch eine Definition von didaktischen Prinzipien, die den akademischen Deutschunter-
richt zu einem Ort interkultureller Begegnung und nicht der Festigung der Nord-Süd-
Asymmetrie (vgl. Diallo 2006) machen könnten. Ein signifikantes Beispiel für dieses Ver-
säumnis ist das unzulängliche Verständnis von Interkulturalität, das sich in der Be-
schränkung der Fragestellungen auf Kurse im kulturwissenschaftlichen Bereich offen-
bart: Auf diese Weise verfehlen die neuen Akzente nicht nur den Hauptteil des Studien-
ganges, den Literaturunterricht, sondern auch die Linguistik- und Übersetzungskurse.
So wie die Literatur sich als Reflexionsmedium eignet und die entsprechende Behandlung
gesellschaftskritischer und interkulturell relevanter Werke zur erforderlichen Auseinan-
dersetzung mit Entwicklungsprozessen und (welt-)gesellschaftlichen Zusammenhängen
beitragen würde, so könnte der konkrete Bezug zu den lokalen Sprachen die notwendige
Aufwertung der dominierten Kulturen fördern und das interkulturelle Bewusstsein schär-
fen, das auf eine herrschaftsfreie Kommunikation abzielt.
Am deutlichsten wird dieses grundlegende Problem der unzureichenden Integration
des Eigenen in der Lehrerausbildung, die eine dezidierte Förderung der kulturellen
Selbstbehauptung verfolgen soll (vgl. Livret Guide o. J.: 13). Bezeichnend ist die Kritik
des Leiters der Deutschabteilung an der mangelnden Berücksichtigung der Bedürfnisse
in der Ausgangsgesellschaft (vgl. Diop 2000: 119). Vor diesem Hintergrund ist es nicht
verwunderlich, dass die Lehrenden in Bezug auf die Akzentuierung im Unterricht den
emanzipativen Erwartungen an eine interkulturell ausgerichtete Fremdsprachenvermitt-
lung in einer asymmetrischen Konstellation nicht gerecht werden, wie die Ansätze in
der Zeitschrift des Deutschlehrerverbandes verdeutlichen (APASS-Bericht 2000: 14⫺15,
33⫺38).
1788 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Gleichwohl stellt die APASS eine Chance zur Korrektur dar. Dafür spricht nicht nur
ihre Bemühung um regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen und um einen Austausch
mit afrikanischen und deutschen Partnern, sondern auch ihre Eigenschaft als Verband,
in dem nahezu alle Deutschlehrenden organisiert sind, so dass die Entwicklung eines
didaktischen Modells mit der nötigen Akzentuierung auf dieser Struktur aufbauen
könnte.
Eine weitere Chance für die Fächer bieten die Paradigmen der Interkulturalität und
Postkolonialität, die zur konsequenten Perspektivierung der Inhalte beitragen können.
Der anzustrebenden kritisch-emanzipatorischen Kulturvermittlung entspricht das grund-
sätzliche Potential der deutschen Sprache und Kultur in einem Land wie Senegal, dessen
Beziehungen zur Zielgesellschaft nicht kolonial belastet sind wie im Fall der Fran-
kophonie, der der tradierte Anspruch auf kulturelle Dominanz anhaftet. In dieser Hin-
sicht sind die Fächer DaF und Germanistik auch als Beitrag zur Diverzifizierung ange-
sichts der fortschreitenden Expansion des Englischen anzusehen, die den Gedanken der
kulturellen Vielfalt und der herrschaftsfreien Kommunikation widerspricht.

3. Schwerpunkte der Lehrerausbildung, Germanistik und Forschung


An der ENS stehen Pädagogik, Methodik und Didaktik im Mittelpunkt der Lehreraus-
bildung. Ein Teil der Seminare ist der internationalen Diskussion über das Fach DaF
und dem Konzept Interkulturelle Germanistik gewidmet.
Im senegalesischen Germanistikstudium umfasst das Curriculum vier Bereiche: Lite-
ratur, Sprachwissenschaft, Landeskunde und Sprach- bzw. Übersetzungsübungen. Der
Schwerpunkt liegt auf der Literaturvermittlung, an zweiter Stelle steht die Landeskunde:
In diesen Kursen werden vornehmlich klassische Werke der deutschen Literatur und die
wichtigsten Epochen der deutschen Kulturgeschichte behandelt. Ab dem dritten Studien-
jahr setzen sich die Studenten mit methodologischen, interkulturellen und kulturwissen-
schaftlichen Fragen auseinander.
In der Forschung dominiert die Literaturwissenschaft: Nach imagologischen Studien
sowie Untersuchungen zur Praxis des Unterrichts ist seit den 1990er Jahren eine
Schwerpunktverlagerung zugunsten interkultureller Textanalysen festzustellen. Um so
dringender ist die Ausrichtung der literaturwissenschaftlichen Kurse auf jene transkultu-
relle Relevanz deutscher Literatur, die der Dialektik von Selbst- und Fremdverstehen ent-
spricht.

4. Literatur in Auswahl
APASS-Bericht
2000 Dakar (Association des Professeurs d’Allemand du Secondaire au Sénégal).
Boly, Mamoudou et al.
1992⫺1995 Ihr und Wir. 4 Bde. Hamburg: Otto Heinevetter.
Diallo, M. Moustapha
2006 Interkulturalität in einer Nord-Süd-Konstellation. Thesen zu einer Reform in der Germa-
nistik im frankophonen West- und Zentralafrika. In: Leo Kreutzer und David Simo
223. Deutsch in Serbien 1789

(Hg.), Weltengarten. Deutsch-Afrikanisches Jahrbuch für Interkulturelles Lernen, 136⫺148.


Hannover: Revonnah.
Diop, El Hadj Ibrahima
2000 Das Selbstverständnis von Germanistikstudium und Deutschunterricht im frankophonen Af-
rika. Vom kolonialen Unterrichtsfach zu eigenständigen Deutschlandstudien und zum praxis-
bezogenen Lernen. Frankfurt a. M.: Lang.
Guèye, Moussa
1982 Ansätze einer Ideologiekritik des Deutschunterrichts in der Republik Senegal. Dissertation,
Universität Osnabrück.
Livret-Guide de l’Ecole Normale Supérieure
o. J. Dakar.
Schröder, Manfred und Rolf Beissner
1975. Yao lernt Deutsch. 3 Bde. Dakar/Abidjan/Lomé: Nouvelles Editions Africaines.
Sow, Alioune
1986 Germanistik als Entwicklungswissenschaft? Überlegungen zu einer Literaturwissenschaft des
Faches Deutsch als Fremdsprache in Afrika. Hildesheim: Olms.

M. Moustapha Diallo, Paderborn/Dakar (Senegal)

223. Deutsch in Serbien


1. Die Anfänge
2. Deutschunterricht in Serbien
3. Hochschulen und Hochschulgermanistik
4. Schritte und Vorschläge zur Verbesserung des Deutschunterrichts
5. Literatur in Auswahl

1. Die Anänge

In Sremski Karlovci in der nördlichen serbischen Provinz Vojvodina, dem Sitz des ser-
bisch-othodoxen Metropoliten, wurde Deutsch als Schulfach bei den Serben am 1. Okto-
ber 1753 am damaligen Priesterseminar und der allgemein bildenden lateinischen Schule
eingeführt. In Zentralserbien jedoch ließ der Deutschunterricht auf sich warten und
wurde erst mit dem Aufkommen einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung in den siebzi-
ger Jahren des 19. Jahrhunderts in der damaligen serbischen Hauptstadt Kragujevac
(1871) und in den im Süden des Landes gelegenen Städten Niš (1881) und Aleksinac
(1906) eingeführt und war zu Beginn die einzige Fremdsprache im Unterricht (Kostić
1985; Žiletić 1998).
Für Deutsch als Schulfach bestand schon 1830 Anlass, als die beiden österreichischen
Ingenieure Frantz Janke und Baron Frantz Cordon als „offizielle Ingenieure“ beamtet
für das Bauwesen im Fürstentum Serbien eingesetzt wurden. Was immer auch die Bezie-
hungen Serbiens zu Österreich bzw. Deutschland in den letzten zwei Jahrhunderten zu
trüben vermochte, der Anteil von Technik und Technologien aus den beiden deutschspra-
1790 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

chigen Ländern nahm ständig zu, so dass er seit mehr als dreißig Jahren bei etwa 70 %
liegt.
In enger Verbindung mit dem deutschsprachigen Raum, vor allem mit Wien, stehen
auch die Anfänge der serbischen neuzeitlichen Philologie und der Aufschwung der serbi-
schen Kultur. Deutsch hätte ohne den kulturpolitischen Einfluss der Donaumonarchie
im südslawischen Raum bei weitem nicht die heutige Bedeutung.

2. Deutschunterricht in Serbien
Für die folgende Darstellung musste auf Zahlen von 2002 zurückgegriffen werden (vgl.
Glišović 2004), weil das serbische Bildungsministerium aktuelle Zahlen nicht herausgab
bzw. begründete Zweifel an dem veröffentlichten Zahlenmaterial bestehen. 2002 veröf-
fentlichte das serbische Ministerium für Bildung und Sport eine Erhebung über den
Fremdsprachenunterricht in den Grund- und Mittelschulen Serbiens. Vorausgeschickt
sei, dass die Schulausbildung aus einer schulpflichtigen achtjährigen Grundschule mit
einer Fremdsprache ab der dritten Klasse besteht, die zweite Fremdsprache wird ab der
fünften Klasse Grundschule gelehrt. Am Gymnasium sind dann zwei Fremdsprachen
Pflichtfächer, an anderen Mittelschulen ist meist eine Fremdsprache Pflichtfach.
In der achten Klasse Grundschule ist Englisch mit 60,21 %, Russisch mit 22,0 %, Fran-
zösisch mit 9,66 % und am wenigsten Deutsch mit 8,13 % vertreten. Die genannten Werte
gelten für Serbien mit der Provinz Vojvodina, jedoch ohne die Provinz Kosovo und
Metohija. In der nördlichen Vojvodina, die geographisch nicht der Balkanhalbinsel ange-
hört und kulturell mitteleuropäische Kulturzüge trägt, schneidet Deutsch als Unterrichts-
fach günstiger ab: Dort gibt es Englisch in einer Größenordnung von 57,64 %, Russisch
21,0 %, Deutsch 18,33 % und Französisch nur 2,51 %.
Bei der zweiten Fremdsprache in den Grundschulen konnte das Deutsche punkten:
Englisch liegt bei 51, 28 %, Russisch bei 19,23 %, Deutsch knapp mit 14,74 % vor Franzö-
sisch mit 14,71 %. Diese Werte gelten für Serbien mit der Vojvodina. In der Vojvodina
selbst liegen die Werte für Deutsch mit 16,93 % und für Englisch mit 74,69 % höher,
jedoch für Russisch mit 6,73 % und für Französisch mit 1,58 % tiefer.
Wahrscheinlich wegen des Missverhältnisses der einzelnen Fremdsprachen zu den
wirklichen Anforderungen des Alltagslebens verlautbarte das serbische Bildungsministe-
rium Richtlinien für den künftigen Fremdsprachenunterricht. Demnach sollen unter an-
derem zwei Fremdsprachen obligatorisch in der anstehenden neunjährigen Grundausbil-
dung werden. Damit ist allerdings ein leidiges Thema des serbischen Schulsystems ange-
schnitten. Es ist ein teures System, weil es für ein Schulfach an der jeweiligen Schule
jeweils einen Lehrer benötigt. Lehrer für zwei oder mehrere Fächer sind in der Reform
des Schulwesens vorgesehen. Die relativ niedrigen Prozentsätze des Russischen, Französi-
schen und Deutschen sind daher auch sozial bedingt. Da für jedes einzelne Fach jeweils
ein Fachlehrer benötigt wird, reichen die Klassen einer Schule oft nicht aus, das volle
Stundenpensum für eine Fremdsprache abzudecken. Wenn dabei die Zweitschule, wo das
Pensum ergänzt werden kann, entlegen ist, verzichtet auch der arbeitslose Philologe auf
eine Anstellung, was dann ein falsches Bild von Angebot und Interesse für die jeweilige
Fremdsprache liefert. Das noch immer teure sozialistische Vollbeschäftigungsmodell (ein
Lehrer ⫺ ein Fach) wird selbst von den Lehrern aufrechterhalten, die bei kleinen Gehäl-
tern nicht gewillt sind, sich für weitere Schulfächer ausbilden zu lassen.
223. Deutsch in Serbien 1791

3. Hochschulen und Hochschulgermanistik


Die 1905 gegründete Belgrader Universität setzt sich aus 30 Fakultäten zusammen, wobei
die Kunstakademien eine eigene Universität bilden. Von diesen 30 Fakultäten, die Philo-
logische ausgenommen, bieten 19 Fremdsprachenunterricht in Englisch, Französisch,
Russisch und Deutsch an. Die anderen zehn vorwiegend naturwissenschaftlichen Fakul-
täten bieten nur Englisch, eine auch Französisch an.
Im Durchschnitt sind 300 Studenten am Lehrstuhl für Germanistik in Belgrad in allen
vier Studienjahren immatrikuliert. Hinzukommen noch etwa 200 Studenten, die Deutsch
als zweijähriges Wahlfach haben. Die Germanistik in Novi Sad weist gleiche Zahlen auf.
In Kragujevac wird Germanistik mit Unterstützung der Belgrader Kollegen angeboten.
In der serbischen Provinz Kosovo und Metohija gibt es in der Hauptstadt Priština seit
1999 eine albanische Universität und einen Germanistiklehrstuhl, wobei die ehemalige
serbische Prištiner Universität, die sich derzeit in dem von den Serben dominierten Nord-
teil von Kosovska Mitrovica befindet, weiterhin keine Germanistik hat. (Diese haupt-
sächlich von Albanern besiedelte Provinz proklamierte ihre Selbständigkeit 2008, diese
wird aber nur von 65 der 192 UN-Mitgliedstaaten anerkannt. Serbien betrachtet die
Provinz Kosovo und Metohija weiterhin als eigenes Territorium.) Die Zahl der Germa-
nistik-Studenten in Priština beträgt das Zweifache jener von Belgrad: nämlich 600 Stu-
denten bei nur 10 Lehrkräften, was um die Hälfte weniger ist als in Belgrad. Bei den
albanischen Studenten ist Deutsch ein beliebtes Fach, obwohl in der Zeit vor der UNO-
Verwaltung des Kosovo (1999) an insgesamt 144 Grundschulen kein Deutsch gelehrt
wurde. Russisch war dagegen an 84 Schulen reichlich vertreten.
Diplom-Germanisten gelten als begehrte Fachkräfte auf dem serbischen Arbeits-
markt. Sie sind seit mehr als 20 Jahren ein defizitärer Beruf. Das soll nicht heißen, dass
die Germanisten die Spitzenreiter unter den angestellten Philologen sind; dieser Posten
gebührt den Anglisten, von denen jedoch im Unterschied zu den Germanisten ein Über-
schuss herrscht, während der Arbeitsmarkt durchaus mehr Germanisten verkraften
könnte. Gegenüber den etwa 80 Germanistikstudenten, die zur Zeit jährlich immatriku-
liert werden, erreichen aber nur etwa 20 pro Jahr den Hochschulabschluss.

4. Schritte und Vorschläge zur Verbesserung des


Deutschunterrichts
Das serbische Staatsfernsehen RTS strahlte ab November 2002 den TV-Deutschkurs
„Redaktion D“ aus. Dieser Schritt zeugte von einer weiteren Öffnung der serbischen
Medien für die deutsche Sprache, denn deutschsprachige Filme ⫺ wie fremdsprachliche
Filme überhaupt ⫺ werden in Serbien grundsätzlich im Originalton mit Untertiteln ge-
zeigt, Theaterstücke selten und deutsche Unterhaltungsmusik fast nie gesendet.
Als Ansporn für einen besseren Kulturaustausch zwischen Deutschland und Serbien
sollten die drei Monate lang stattfindenden Deutschen Kulturwochen im ehemaligen Ju-
goslawien (September⫺November 2002) und eine Deutsche Kulturwoche Ende 2009 bei-
tragen.
Abgesehen von den Bemühungen der deutschen und österreichischen Institutionen,
einen Beitrag in Form von Geräte- und Buchspenden, Stipendien, Lektorenaustausch
1792 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

und diversen Anregungen zur Förderung des Deutschunterrichts zu leisten, ist und bleibt
der schulische Unterricht einer Fremdsprache beim zur gleichen Zeit vorhandenen wirt-
schaftlichen und kulturellen Bedarf, der in Serbien im Falle des Deutschen durchaus
gewährleistet ist, die wichtigste und sicherste Methode ihrer Verbreitung.
Heißt es in der „Länderkonzeption zur Förderung der deutschen Sprache und der
damit verbundenen Wissenschaftsdisziplinen für die Bundesrepublik Jugoslawien“
(Stand 1998), einer Studie, die von der Deutschen Botschaft, dem Goethe-Institut in
Belgrad und dem DAAD erarbeitet wurde, „Deutsch ist [in Serbien und Montenegro]
keine beliebte Fremdsprache, sie gilt als schwer und wird aus psychologischen und politi-
schen Gründen vom Staat kaum gefördert“, so ist dem Folgendes entgegenzuhalten:
Deutsch wird nicht als unbeliebt empfunden. Für mehr als 700.000 jugoslawische Staats-
bürger, die in Deutschland, und 400.000, die in Österreich als Gastarbeiter leben, wurde
Deutsch in der zweiten Generation zur zweiten Muttersprache.
Eine interne, vom serbischen Bildungsministerium 2001 durchgeführte Untersuchung
außerschulischer Fremdspracheninstitute in Serbien umfasste 236 Institute, von denen
nur 28 Deutschkurse anbieten. Genau 57 % dieser Institute verbuchten einen Zuwachs an
Deutschlernenden, 10,7 % halten das Interesse für die deutsche Sprache für rückgängig,
während ein Drittel die Lage als gleich bleibend bewertete.
Der wunde Punkt des serbischen Schulsystems und somit des Deutschen als Schulfach
ist das erwähnte „Ein-Fach-ein-Lehrer-Prinzip“. Erschwert wird eine angestrebte Lehrer-
tätigkeit auch durch die Verordnung, dass man ein Philologiestudium einer Fremdspra-
che, die in serbischen Grund- und Mittelschulen als Schulfach angeboten wird, nur dann
immatrikulieren kann, wenn man die jeweilige Fremdsprache bereits als Schulfach absol-
viert hatte. Damit kommt es zum Engpass für die deutschinteressierten Studienanwärter.
Der richtige und erfolgreiche Weg wäre, die serbischen Bildungsbehörden zu überzeugen,
Haupt- und Mittelschullehrer für mehrere Fächer und Philologen in zumindest zwei
Sprachen auszubilden, damit auch der Deutschunterricht zunimmt. Erst dann ließe sich
der Unterricht flexibler gestalten und die Schüler bekämen in der Tat eine Auswahl an
Fremdsprachen, die ihren Affinitäten und Bedürfnissen entsprechen. Dies jedoch setzt
voraus, dass an den Philologischen Fakultäten in Serbien alle vier „Weltsprachen“ (Eng-
lisch, Deutsch, Französisch und Russisch) als weiterführendes und auch als Beginnerfach
im Angebot stehen.

5. Literatur in Auswahl

Glišović, Dušan
2004 Zukunftschancen der deutschen Sprache in Serbien. In: Dietmar Goltschnigg und Anton
Schwob (Hg.), Zukunftschancen der deutschen Sprache in Mittel-, Südost- und Osteuropa,
351⫺356. Wien: Edition Praesens.
Kostić, Strahinja K.
1975 Wien und die serbische Schule und Literatur am Ende des 18. und zu Anfang des 19.
Jahrhunderts. In: Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissen-
schaften 112: 354⫺364.
Kostić, Strahinja K.
1985 Kulturorientierung und Volksschule der Serben in der Donaumonarchie zur Zeit Maria
Theresias. In: Richard Georg Plaschka (Hg.), Österreich im Europa der Aufklärung, Konti-
224. Deutsch in der Slowakei 1793

nuität und Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Josephs II., 847⫺866. Wien:
Verlag der Akademie der Wissenschaften.
Žiletić Zoran
1998 Deutschlernen und Deutschunterricht in Restjugoslawien. In: Franciszek Grucza (Hg.),
Deutsch und Auslandsgermanistik in Mitteleuropa: Geschichte ⫺ Stand ⫺ Ausblicke, 148⫺
157. Warszawa: Graf-Punkt.

Dušan Glišović, Belgrad (Serbien)

224. Deutsch in der Slowakei


1. Die Rolle des Deutschen in der Slowakei
2. Träger des Deutschunterrichts und der Deutschlehreraus- und -fortbildung
3. Lernende und Lehrende in Deutsch als Fremdsprache
4. Probleme und Entwicklungslinien
5. Literatur in Auswahl

1. Rolle des Deutschen in der Slowakei


Die geographische Lage und die historischen Gegebenheiten sowohl vor als auch nach
dem gesellschaftlichen Umbruch im Jahre 1989 beeinflussten die sprachliche Situation
und Entwicklung in der Slowakei maßgeblich. Die fast tausendjährige slowakisch-unga-
rische Geschichte, der massive Zuzug von Deutschen in das Gebiet Oberungarns, der
heutigen Slowakei, um das Jahr 1200 und die Blütezeit der deutschen Bergstätte auf dem
Gebiet der Slowakei Ende des 15. Jhs. und Anfang des 16. Jhs. und die 106 im Jahre
1927/1928 bestehenden deutschen Volksschulen, deutschen Bürgerschulen und deutschen
Gymnasien waren Ausdruck dafür, dass Mehrsprachigkeit auf dem Gebiet der Slowakei
seit Jahrhunderten eine Selbstverständlichkeit war. Heutzutage bekennen sich etwa 6.000
Bürger der Slowakei zur deutschen Nationalität (Trošok 1996: 102⫺103). Deutsch spielte
und spielt in der Slowakei zweifellos noch immer eine bedeutende Rolle.
Zwischen 1918 und 1939 boten zumindest die Gymnasien ein relativ breites Spektrum
von Fremdsprachen an, wie z. B. Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch und Rus-
sisch. In den Jahren 1939 bis 1945 wurde Deutsch in der Slowakei an Hand von nationa-
len Lehrwerken unterrichtet. Aufgrund der veränderten politischen Verhältnisse in der
damaligen Tschechoslowakei (1949⫺1989) kam es zu einem massiven Rückgang des
Fremdsprachenangebots, Russisch war fortan die erste Fremdsprache. Deutsch wurde
als eine der obligatorischen Fremdsprachen an den Gymnasien jedoch weitergeführt.
Bis 1976 bildeten die Lehrstühle für Fremdsprachen an den Pädagogischen Hochschu-
len der Slowakei Fremdsprachenlehrkräfte für die Sekundarstufe I aus. Nach 1976 wur-
den sie alle ⫺ mit Ausnahme der Lehrstühle für Russistik ⫺ aufgelöst, die Fremdspra-
chenlehrerausbildung für die Sekundarstufe I und II erfolgte nur mehr an den Philoso-
phischen Fakultäten von zwei slowakischen Universitäten ⫺ in Bratislava und Prešov.
1794 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

An den Grundschulen wurde außer Russisch keine Fremdsprache obligatorisch unter-


richtet, an den weiterführenden Schulen wurde neben Russisch noch eine weitere Fremd-
sprache (meistens ausgewogen Deutsch und Englisch) als Pflichtfach unterrichtet.
Die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen in Mittelosteu-
ropa nach dem Jahre 1989, die Um- oder Neustrukturierung des Schulwesens, der Beitritt
der Slowakei zur Europäischen Union im Jahre 2004, die Dokumente der Europäischen
Union und des Europarates sowie auch die slowakischen staatlichen Dokumente beein-
flussten das Schulwesen hinsichtlich des Fremdsprachen- bzw. Deutschunterrichts in der
Slowakei sehr stark.

2. Träger des Deutschunterrichts und der Deutschlehreraus- und


-ortbildung
Nach der Wende 1989 wurden Fremdsprachen in der Slowakei nach mehreren Modellen
unterrichtet. Abgesehen davon, dass Fremdsprachen (meistens Englisch und Deutsch)
schon in vielen Kindergärten unterrichtet werden, wird die 1. Fremdsprache meistens ab
der 5. Klasse unterrichtet. Ziemlich populär wurde das Modell für Grundschulen mit
erweitertem Fremdsprachenunterricht, wonach die 1. Fremdsprache ab der 3. Klasse un-
terrichtet wird. Seltener wird die 1. Fremdsprache ab der 1. Klasse unterrichtet. Die
2. Fremdsprache wird als Wahlpflichtfach in der 7. Klasse eingeführt. Die Lernenden
haben die Möglichkeit, sich für Englisch, Deutsch, Französisch, Russisch, Spanisch oder
Italienisch zu entscheiden. Die Wahl der Fremdsprache hängt mit vielen Faktoren zusam-
men wie den Interessen der Eltern und der Lerner, vorhandenem qualifizierten Fremd-
sprachenlehrerpotential, etc. An der 1. Stelle steht Englisch, gefolgt von Deutsch. An den
weiterführenden Schulen (Gymnasien, Fachmittelschulen, Berufsschulen usw.) sind zwei
Fremdsprachen obligatorisch. Außerdem unterrichtet man Fremdsprachen in vielen
Sprachschulen und Akademien.
Die neue, vom Ministerium für das Schulwesen der Slowakischen Republik geneh-
migte Schulreform, die mit dem Schuljahr 2008/09 eingeführt wurde und bis spätestens
2017⫺2019 das Zielmodell vollständig umsetzen soll, sieht einige wichtige Veränderun-
gen und Ziele vor: U. a. wird anstatt der großen Variabilität der Lehrpläne im Schulfach
Fremdsprache eine einheitliche Variante eingeführt, wonach mit der 1. Fremdsprache in
der 3. Klasse Grundschule (Primarbereich) und mit der 2. Fremdsprache in der 6. Klasse
Grundschule (Sekundarstufe I) begonnen wird. Die Einführung der neuen Konzeption
soll über einen Zeitraum von 5⫺8 Jahren erfolgen.
1998 wurde an allen slowakischen Hochschulen und Universitäten mit der Einfüh-
rung des Credit-Systems ECTS begonnen (Hockicková 2005: 136). Im Sinne des Bo-
logna-Prozesses sind alle universitären Studienprogramme auf das Modell 3 ⫹ 2 ⫹ 3
(Bakkalaureat- ⫹ Magister- ⫹ Doktorandenstufe) übergegangen (Hockicková und Ga-
dušová 2007: 65). Die Ausbildung von qualifizierten Deutschlehrerinnen und -lehrern
erfolgt gegenwärtig an neun Universitäten in der Slowakei. Neben den linguistischen,
literaturwissenschaftlichen, kulturwissenschaftlichen und methodisch-didaktischen Fä-
chern ist das pädagogische Praktikum fester Bestandteil des Lehramtsstudiums Deutsch.
Im Jahre 1991 wurde der Verband der Deutschlehrer und Germanisten der Slowakei
(SUNG), Mitglied des Internationalen Deutschlehrerverbandes, gegründet, der ein wich-
224. Deutsch in der Slowakei 1795

tiges Verbindungsglied zwischen Deutschlehrenden und Germanisten an allen Schulen


und Universitäten in der Slowakei und darüber hinaus ist. Seit 1992 findet alle 2 Jahre an
einer anderen slowakischen Universität (Lehrstuhl für Germanistik) eine internationale
Tagung mit unterschiedlichen aktuellen Schwerpunkten statt. Auch die Universitäten
selbst (Lehrstuhl für Germanistik) organisieren abwechselnd Fachtagungen.

3. Lernende und Lehrende in Deutsch als Fremdsprache


In der Slowakei werden in allen Schulstufen und ⫺typen Fremdsprachen unterrichtet,
das entspricht etwa 920 000 FremdsprachenlernerInnen. Im Primarbereich (1.⫺4. Klasse)
lernen etwa 23,5 % Deutsch im Vergleich zu 75,9 % Englisch. Der Anteil der anderen
Sprachen liegt unter 1 %. In der Sekundarstufe I (5.⫺9. Klassse) lernen 37 % Deutsch
und 57,9 % Englisch. Die anderen Fremdsprachen sind mit 1,5⫺1,5,3 % vertreten. In
den 8-jährigen Gymnasien (1.⫺4. Klasse) lernen 30,6 % Deutsch im Vergleich zu 60,7 %
Englisch (Französisch 6,5 %, Spanisch und Russisch je etwa 1 %). An den Gymnasien
(Sekundarstufe II) beträgt der Anteil von Deutsch 39,37 % und von Englisch 49,7 %,
der Anteil der anderen Sprachen liegt zwischen 1,7⫺7 %. An anderen weiterführenden
Schulen ⫺ Fachmittelschulen, Berufsschulen u. a. (10.⫺13.Klasse) lernen 45,5 % der Ler-
ner Deutsch, 46,7 % Englisch, 6,912 % Französisch, 3,179 % Russisch und 0,2 % Spanisch
(Koncepcia vyučovania cudzı́ch jazykov v základných a stredných školách 2007: 13⫺29).
Die Anzahl und die Qualifizierung der Fremdsprachenlehrenden in der Slowakei ist
im Allgemeinen nicht befriedigend. Von den insgesamt 19.026 Fremdsprachenlehrkräften
sind 5.358 DeutschlehrerInnen, davon 71,3 % mit Qualifikation (im Vergleich zu den
62,8 % qualifizierter EnglischlehrerInnen, 95,8 % FranzösischlehrerInnen usw.). Im Pri-
marschulbereich und in der Sekundarstufe I (insgesamt 1.726 Fremdsprachenlehrende,
davon 697 für Deutsch) unterrichten etwa 57 % qualifizierte Lehrkräfte. Englisch unter-
richten auf derselben Stufe etwa 48,5 % Lehrkräfte mit Qualifizierung. In den weiterfüh-
renden Schulen ist die Situation besser, dort liegt ihr Anteil z. B. an Gymnasien über
96 % und an Fachmittelschulen über 95 %. In anderen, weniger unterrichteten Sprachen
(Französich, Spanisch, Italienisch und Russisch) sind über 70 % der Lehrkräfte an allen
Schulstufen qualifizierte Lehrkräfte.
Die Anzahl der Lehramtsabsolventen in Fremdsprachenfächern beträgt jährlich etwa
490. Davon liegt der Anteil der qualifizierten Deutschlehrkräfte (im Vergleich zu 240 für
Englisch) bei etwa 120. Wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass für die erfolgreiche
Anwendung des neuen Schulgesetzes im Bezug auf den Fremdsprachenunterricht insge-
samt etwa 14.000 FremdsprachenlehrerInnen requalifiziert werden müssen, ist diese An-
zahl der Absolventen ungenügend, um die Qualifizierung der Lehrkräfte an den Grund-
und weiterführenden Schulen voranzutreiben. Deswegen ist es nötig, den Lehrkräften in
der Praxis genügend Raum für ihre Requalifizierung einzuräumen, eine zu große Fluk-
tuation zu verhindern und die Absolventen des Lehramtsstudiums zum Lehrerberuf zu
motivieren.

4. Probleme und Entwicklungslinien


Auf Grund der jahrelang fehlenden Forschung, einer geringen Effektivität des Fremd-
sprachenlernens an den Grund- und Mittelsschulen, einer fehlenden Kontinuität im
1796 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Übergang von der Grundschule auf die jeweilige weiterführende Schule und anderer
Mängel in der Schulpolitik erarbeitete das Staatliche Pädagogische Institut in Zusam-
menarbeit mit der Pädagogischen Fakultät der Comenius-Universität in Bratislava, der
Philosophischen Fakultät der Konstantin-Universität in Nitra und mit Fachleuten auf
dem Gebiet des Fremdsprachenlernens und -lehrens ein neues Fremdsprachenmodell für
den Fremdsprachenunterricht an Grund- und Mittelschulen. Allgemeines Ziel ist es, dass
alle Lernenden nach Abschluss der weiterführenden Schulen in der 1. Fremdsprache
das Niveau B1/B2 und in der 2. Fremdsprache das Niveau A2/B1 des GeR sowie die
Anerkennung ihrer Sprachbildung in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und
des Europarates erreichen. Die konkreten Schritte lassen sich folgendermaßen zusam-
menfassen: Reduktion der großen Variabilität des Lehrplans für das Schulfach Fremd-
sprache, Vorschläge für konkrete Lösungen zum Abbau von unqualifizierten Lehrkräften
im Fremdsprachenunterricht, Senkung der Fluktuationsrate von Fremdsprachenlehren-
den, langfristige Lösung von Fragen der Sprachpolitik nach dem ausgearbeiteten Kon-
zept, Definition des Kompetenzniveaus der Lerner im Fremdsprachenunterricht, Einfüh-
rung des Unterrichts in zwei Fremdsprachen in allen Schultypen im Einklang mit der
Bildungsreform in der Slowakischen Republik, Gestaltung wichtiger pädagogischer Do-
kumente für Grund- und Mittelschulen, so dass die Prinzipien der Kontinuität im Fremd-
sprachenunterricht berücksichtigt werden und die Herausarbeitung von Kriterien für die
Erstellung von nationalen Lehrwerken nach dem vorgeschlagenen Modell. Für die Uni-
versitäten mit Lehramtsstudium Germanistik ist es erforderlich, die Studienprogramme
in Bezug auf die neue Konzeption der Sprachausbildung zu ändern und die Motivation
für Deutsch sowohl bei den Lernenden als auch bei den Studierenden und den zukünfti-
gen Deutschlehrerkräften zu steigern.

5. Literatur in Auswahl
Butašová, Anna, Zdenka Gadušová, Ružena Žilová et al.
2007 Koncepcia vyučovania cudzı́ch jazykov v základných a stredných školách. [Konzeption des
Fremdsprachenunterrichts an den Grund- und Mittelschulen.] Bratislava: Štátny pedagogi-
cký ústav.
Hockicková, Beáta
2005 Inhalte, Ziele und Institutionalisierungsformen der Deutschlehrerausbildung im europä-
ischen Vergleich. Slowakei im Kontext der V-4 Länder und Bulgarien. In: Eva Neuland,
Konrad Ehlich und Werner Roggausch (Hg.), Perspektiven der Germanistik in Europa.
Tagungsbeiträge, 132⫺141. München: iudicium.
Hockicková, Beáta und Zdenka Gadušová
2007 Neue Konzeption der Studienprogramme im Studienfach Lehramtsstudium der akademi-
schen Fächer im Bereich des pädagogischen Praktikums. In: Veränderungen im Studium
der deutschen Sprache, 65⫺76. Olomouc: Univerzita Palackého v Olomouci, Pedagogi-
cká fakulta.
Trošok, Roman
1996 Zur Stellung des Deutschen als Fremdsprache in der Slowakischen Republik. In: Her-
mann Funk und Neuner Gerd (Hg.), Verstehen und Verständigung in Europa. Konzepte
von Sprachenpolitik und Sprachdidaktik unter besonderer Berücksichtigung des Deutschen
als Fremdsprache, 102⫺110. Berlin: Cornelsen.

Beáta Hockicková, Nitra (Slowakei)


225. Deutsch in Slowenien 1797

225. Deutsch in Slowenien


1. Zur Rolle des Deutschen in Slowenien
2. Deutschunterricht in Slowenien
3. Die slowenische Germanistik
4. Kulturvermittlung
5. Literatur in Auswahl

1. Zur Rolle des Deutschen in Slowenien


Die slowenische Germanistik wird an den beiden größten Universitäten des Landes, in
Ljubljana (UL) und Maribor (UM), gepflegt (UL um 62.000, UM um 25.000 Studie-
rende). Deutsch wird auch im Rahmen von Übersetzerstudien ebenso wie an zahlreichen
anderen Fakultäten als Fremd- und Fachsprache in nicht linguistischen Studiengängen
unterrichtet. Außerdem spielt Deutsch in allen Sektoren des Schul- und Bildungswesens,
auf dem Arbeitsmarkt, in der Wirtschaft und zu einem geringen Teil auch in der privaten
Kommunikation als Fremdsprache eine beträchtliche Rolle.
Slowenien ist seit 1991 selbständig und wurde 2004 EU-Mitglied. Es umfasst etwa
20.000 km2 und hat ca. 2 Millionen Einwohner. An den Grenzen zu Ungarn und Italien
leben eine ungarische und eine italienische Minderheit, slowenische Minderheiten gibt es
in Italien, Österreich und Ungarn. Slowenien ist ethnisch ziemlich homogen, trotzdem
gibt es Gruppen, die andere Sprachen sprechen, vor allem serbisch, kroatisch, bosnisch
und albanisch. 499 Staatsbürger haben sich bei der Volkszählung im Jahre 2002 als
deutschsprachig bezeichnet (vor allem in der deutschen Sprachinsel Gotschee, in Celje
und Maribor, wo es früher größere Zahlen an Deutschsprachigen gab). Die offizielle
Sprache, auch des tertiären Bildungssektors, ist Slowenisch, in den ethnisch gemischten
Regionen, wo es auch zweisprachige Kindergärten und Schulen gibt, wird überdies Un-
garisch bzw. Italienisch gesprochen.
Das heutige slowenische Staatsgebiet wurde 600 Jahre lang bis 1918 von den Habs-
burgern regiert, an die im 14. Jh. der Großteil des slowenischen Gebietes fiel. Das bedeu-
tet auch, dass Deutsch in öffentlichen Institutionen gesprochen wurde und Verwaltungs-
sprache war. Der Schriftverkehr, vielfach auch im Privatbereich und in der familialen
Kommunikation, verlief bis etwa Ende des 19. Jhs in hohem Maße auf Deutsch, aber
auch wissenschaftliche Texte, Lyrik und Prosa wurden auf Deutsch verfasst; die deutsch-
sprachige Literatur wurde meist im Original rezipiert. Doch muss auch darauf verwiesen
werden, dass sich das Verhältnis der Slowenen zu den deutschsprachigen Kulturen spä-
testens seit dem nationalen Frühling im 19. Jh. und verstärkt durch die Okkupation im
II. Weltkrieg alles andere als unproblematisch erwiesen hat. Obwohl das Englische
Deutsch schon sehr bald nach 1945 verdrängt hat, nimmt Deutsch als eine der Nachbar-
sprachen, wegen der langen und vielfältigen Kontaktgeschichte und der intensiven Ge-
schäftskontakte noch immer den zweiten Rang unter den gelernten Fremdsprachen ein.
Nach dem Stand von 2005 kommen etwa 26 % der Direktinvestoren aus Österreich, 16 %
aus der Schweiz und 9 % aus Deutschland.
1798 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

2. Deutschunterricht in Slowenien
Das Schulsystem in den slowenischen Ländern entwickelte sich bis zum Ende der Habs-
burger Monarchie nach deren Bildungsvorgaben und -richtlinien. Deutsch spielte darin
verständlicherweise eine zentrale Rolle als Unterrichtssprache ⫺ mit der Ausnahme
zweier kleiner, national freilich sehr bedeutender Einbrüche während der Reformation
und der Ära Napoleons, als Slowenisch als Amts- und Unterrichtssprache eingesetzt
wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurde in den deutsch besetzten Gebieten Deutsch als Un-
terrichtssprache aufgezwungen, in den italienisch okkupierten Zonen Italienisch, wäh-
rend das Partisanenschulsystem beim Slowenischen mit Russisch, Serbokroatisch und
Latein als angebotenen Fremdsprachen blieb. In der Föderativen Republik Jugoslawien
mussten alle Kinder ein Jahr lang Serbokroatisch lernen und vier Jahre Fremdsprache
als Pflichtfach bereits in der Grundschule. Russisch und Französisch verloren bereits in
den fünfziger Jahren rasch an Popularität, so dass meist nur Englisch und Deutsch unter-
richtet wurden. Auf der Sekundarstufe kamen dann noch die zweite und eventuell auch
eine dritte Fremdsprache hinzu: Englisch, Deutsch, Französisch und Russisch, heute
auch Italienisch, Spanisch, im klassischen Gymnasium auch Griechisch und Latein.
Heute beginnen Kinder Fremdsprachen zunehmend im Kindergarten zu lernen; das
Interesse am Fremdsprachenlernen hält bis ins hohen Lebensalter an. Die am weitesten
verbreitete Fremdsprache in Slowenien ist Englisch, Deutsch liegt an zweiter Stelle.
Heute besuchen alle Kinder eine 9-jährige Pflichtschule, wo sie als erste Fremdsprache
ab der 4. Klasse Englisch oder Deutsch wählen können. In der 7. Klasse können sie sich
als Wahlpflichtfach eine zweite Fremdsprache aussuchen; in den ethnisch gemischten
Gebieten wird jeweils die Zweitsprache unterschiedlich in das Angebot eingebaut. In
Gymnasien sind zwei Fremdsprachen verpflichtend, wobei als zweite Fremdsprache auch
hier Deutsch überwiegt. Allgemein ist die Tendenz, Deutsch als Fremdsprache zu wählen,
deutlich fallend. So gibt es immer weniger Schulen im Primar- und Sekundarbereich,
etwa im Grenzgebiet zu Österreich, in denen Deutsch als erste Sprache mit einem höhe-
ren Stundendeputat und folglich besserer Sprachkompetenz gelehrt wird. Um den relativ
hohen Ansprüchen eines kommunikativen und lernerinnenzentrierten DaF-Unterrichts
gerecht zu werden, gibt es intensive Lehrerfortbildungsmöglichkeiten auch der beiden
Germanistiken und des Schulamtes. Zahlenmäßig ergibt sich folgendes Bild: 2006/07 gibt
es in den Kindergärten 1.381 Vorschulkinder, die eine Fremdsprache lernen. Für die
Grundschulen gibt es folgende Zahlen: Pflichtfach ⫺ 7.042 (Englisch: 97. 653), Wahl-
fach ⫺ 18.134, zusätzliches Wahlfach 3.519 (Englisch: 9.243). Das Interesse am Fremd-
sprachenlernen im Primarbereich steigt, wobei auch für Deutsch ein Anstieg von 7,4 %
verbucht werden konnte, im Vergleich zum Englischen ist Deutsch jedoch deutlich zu-
rückgefallen, da es unter die 10 % Schwelle abgesunken ist. Auf der Sekundarstufe sieht
es folgendermaßen aus: Die Gesamtzahl der SchülerInnen mit Deutschunterricht im Jahr
2006/2007 betrug 48.956 (Englisch: 84.643), davon als erste Fremdsprache 10.361 (Eng-
lisch: 80.063), als 2. Fremdsprache insgesamt 38.146 und als 3. Fremdsprache 329, was
einen teils auch demographisch bedingten Rückgang von 25 Prozent allein in zwei Jah-
ren darstellt.
In der Erwachsenenbildung steht Deutsch für 2005/2006 mit 17.990 Lernenden nach
Englisch (39.137) deutlich an der Spitze. Diese Tatsache bestätigt die Beobachtung einer
widersprüchlichen Beziehung zur deutschen Sprache: obwohl sie als eine schwer zu erler-
nende Sprache mit einem geringen „Sympathiefaktor“ gilt, sichern die wirtschaftlichen,
225. Deutsch in Slowenien 1799

traditionell kulturellen und auch oft familiären Bande ein gleich bleibendes, relativ hohes
Interesse an der Sprache und ihren Kulturen. Vom Standpunkt öffentlicher Akzeptanz
ist die Tendenz zur „Privatisierung“ des Deutscherwerbs nicht erfreulich, denn es ist ein
Unterschied, ob eine Sprache im regulären schulischen Bereich gepflegt wird, oder ob
sie zum verzichtbaren Luxus gehört.

3. Die slowenische Germanistik

„Die slowenische Germanistik ist genauso alt wie die erste und lange Zeit einzige Univer-
sität des Landes, diejenige der Hauptstadt Ljubljana. Gegründet wurde sie 1919, ein Jahr
danach war bereits der erste Lehrer für germanische Philologie, Jakob Kelemina, er-
nannt, der den Grundstein zu einem Institut für Germanistik legte. Es hieß „Germanski
seminar“ (Janko 1995: 239) Davor sei kein angesehener Germanist nachzuweisen, mit
Ausnahme des „Proto-Germanisten“ (Janko 1995) J. S.V. Popovitsch (1705 bei Celje ⫺
1774 Perchtoldsdorf bei Wien). Dieser verbrachte seine prägenden Jahre in Leipzig, er
wurde dann als Professor für Deutsche Sprache und Beredsamkeit nach Wien berufen.
Er versuchte „die süddeutsche Sprachvariante als einen gleichberechtigten Bestandteil
der deutschen Schriftsprache zu etablieren.“ (Janko 1995) ⫺ Kelemina (1882⫺1957) hin-
gegen war in erster Linie Mediävist. Ebenso wie sein Schüler Janez Stanonik (geb. 1922)
verschrieb er sich bald seiner Vorliebe, der Anglistik, während Dušan Ludvik (geb.
1914⫺2001), der Lehrstuhlleiter für deutsche Sprache und Literatur, sich neben der Alt-
germanistik vor allem Untersuchungen deutsch-slowenischer kultureller Beziehungen,
etwa dem deutschen Theater in Ljubljana bis 1790, widmete.
Vom heutigen, auf den Erwerb von Kompetenzen zentrierten Standpunkt aus, er-
scheint die starke pragmatische Orientierung in den germanistischen Studienprogram-
men der 1960er und 1970er Jahre ⫺ die zu jener Zeit auch lediglich als Lehrerausbildung
in zwei Fächern studiert werden konnten ⫺ positiver, als sie zu jener Zeit erfahren wurde.
Ein deutliches Manko bildete damals die Vermittlung sowohl moderner linguistischer
wie auch literaturwissenschaftlicher theoretischer Zugänge und entsprechender For-
schung. Mit der dritten und vierten Germanistengeneration etablierte sich ein durchaus
international vergleichbares Niveau in Forschung und Lehre. Darauf konnte die nun
intensiv tätige fünfte Generation aufbauen; die slowenische Germanistik bietet ein brei-
tes, buntes Spektrum von Fächern und Forschungsschwerpunkten und stellt damit die
besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchführung der nach Bologna-Richtli-
nien erneuerten oder neuen Studiengänge dar.
Die traditionelle Aufteilung auf drei bzw. vier curriculare Bereiche (Linguistik, Litera-
turwissenschaft, Spracherwerb und Landeskunde sowie methodische und fachdidakti-
sche Fächer für das Lehramt) wurde vertieft und ausgebaut. Seit Mitte der 1970er Jahre,
als die Universität Maribor gegründet wurde und dort an der Pädagogischen Fakultät
Maribor auch Deutschlehrer ausgebildet wurden, bot die Philosophische Fakultät Lju-
bljana zusätzlich Germanistik (ohne Lehrerausbildung) an, später, in den 1980er Jahren,
mit einem intensiven Übersetzungsmodul. Als Einzelfach mit einem Lektorat in den drei
anderen germanischen Sprachen (Niederländisch, Schwedisch und Englisch) wird „Deut-
sche Sprache und Literatur“ seit Anfang 1990 angeboten. Die Fakultät in Maribor, die
zunächst stark pädagogisch ausgerichtet war, folgte etwas später dieser Entwicklung und
1800 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

nennt sich seit 2006 gleichfalls Philosophische Fakultät. Die Abteilung für Übersetzen
und Dolmetschen wurde in Ljubljana 1997 eröffnet, in Maribor hingegen 2005, lediglich
mit der Option für Deutsch. Obwohl die Anzeichen für einen Rückgang der Immatriku-
lationszahlen ziemlich deutlich sind, gibt es,im Vergleich zu westeuropäischen Staaten
noch keinen Grund zu tieferer Besorgnis, weil ja das Sinken auch auf die innergermanisti-
sche Konkurrenz und die demographisch sinkenden Studierendenzahlen zurückzuführen
ist. Im Studienjahr 2008/09 beträgt die Zahl der Germanistikstudierenden (mit Absolven-
ten) insgesamt 736 (479 UL, 257 UM) und 472 in den Übersetzerprogrammen (mit
Deutsch ⫺ 308 UL, 164 UM).
Die Neugestaltung der Programme im Sinne des Bologna-Prozesses hat zu einer inten-
siven Erneuerung und Modernisierung der Studieninhalte und Studienprozesse geführt.
Ljubljana bietet auf dem Masters-Niveau ein 60-Punkte-Modul Österreichische Kultur-
studien an und ermöglicht den Studierenden auch das Absolvieren des internationalen
Studienganges Deutsche Literatur des Mittelalters im europäischen Kontext, während sich
die Mariborer Germanistik stärker interkulturellen Themen widmen möchte.
Die Fächer und Forschungsschwerpunkte der slowenischen Germanisten können den
im Internet vorliegenden Vorlesungsverzeichnissen und der nationalen Bibliographie CO-
BIB entnommen werden. Es sei hier lediglich auf die Hauptschwerpunkte hingewiesen,
die Erforschung der Kultur des Kontaktraumes, kontrastive Studien sowie einen deutli-
chen Schwerpunkt auf theoretischer Modellierung und einen weiteren auf zeitgenössi-
scher Literatur, wobei genderspezifische, poststrukturalistische, interkulturelle u. a. An-
sätze ausgebaut werden. Auch in der Fachdidaktik gibt es mittlerweile relevante Untersu-
chungen .

4. Kulturvermittlung
Die Kulturvermittlung in beide Richtungen war immer schon eine der selbstverständli-
chen Aufgaben ausländischer Philologien, die oft auch in Zusammenarbeit mit dem ös-
terreichischen Kulturforum, der Österreich-Bibliothek, dem Deutschen Lesesaal und mit
dem Goethe-Institut sowie dem Österreich-Institut durchgeführt wird. In erster Linie
geschieht Literaturvermittlung durch literarisches Übersetzen.

5. Literatur in Auswahl
Janko, Anton
1995 Germanistik in Slowenien. In: Christoph König (Hg.), Germanistik in Mittel- und Osteu-
ropa 1945⫺1992, 239⫺247. Berlin/New York: de Gruyter.
Kondrič Horvat, Vesna und Neva Šlibar
2006 Zum Deutschunterricht in Slowenien. In: Paraschos Berberoglu, Angeliki Kiliari, Geor-
gios Perperidis und Jutta Wolfrum (Hg.), Symposium Deutsch als Fremdsprache in Südost-
europa, 143⫺148. Thessaloniki: Sfakianaki
Kosevski Puljić, Brigita
2008 Povezovanje teorije in prakse v začetnem in stalnem izobraževanju učiteljev nemščine.
[Verbindung von Theorie und in der Erst- und Fortbildung der DeutschlehrerInnen].
Diss., Ljubljana: Filozofska fakultet.
226. Deutsch in Spanien 1801

Thomas, Heidrun
1997 Das Germanistikstudium an der Universität Ljubljana (Slowenien). Systemwandel, Bil-
dungspolitik und Sprachplanung zwischen 1945 und heute. Diplomarbeit, Universität Wien.

Neva Šlibar, Lubljana (Slowenien)

226. Deutsch in Spanien


1. Angebot an Deutschunterricht
2. Hochschulbereich
3. Lehreraus- und -fortbildung
4. Literatur in Auswahl

1. Angebot an Deutschunterricht

Die Rolle des Deutschen in Spanien kann und muss aus unterschiedlichen Blickwinkeln
betrachtet werden. Im schulischen Bereich spielt die deutsche Sprache, abgesehen von
regional bedingten Ausnahmen, eine bescheidene Rolle. Auch wenn das neue seit 2005
bestehende Bildungsrahmengesetz die Einführung einer zweiten Fremdsprache in der
Schule vorsieht, wird dies regional und lokal unterschiedlich gehandhabt. Wenn das An-
gebot gemacht wird, steht Deutsch, was Schülerzahlen angeht, oftmals hinter Franzö-
sisch (vgl. Goethe-Institut 2007). Allerdings hat es in den letzten Jahren nach Angaben
des spanischen Erziehungsministeriums einen Zuwachs an Deutschlernern von 407 % ge-
geben, so dass im Jahr 2005/06 63.308 Deutschlerner verzeichnet wurden, die Deutsch an
über 20.000 staatlichen und privaten Schulen lernten. Vorgezogener Deutschunterricht ab
der 5. Klasse wurde im Jahr 2005/06 nur in drei autonomen Regionen (Comunidades
Autónomas) angeboten.
Das Angebot an Deutschunterricht ist auch von der Mehrsprachigkeitsdebatte, die
zurzeit sehr stark an Schulen durchgeführt wird, betroffen. Der rapide Zuwachs der
Migrantenzahlen in ganz Spanien in den letzten 10 Jahren, die Präsenz von zwei Erst-
sprachen im Baskenland und in Katalonien, die schlechten Ergebnisse der Pisa-Studie,
was die Kompetenzen in der ersten Fremdsprache Englisch angeht, lassen die Einführung
einer zweiten Fremdsprache in vielen Schulen in den Hintergrund treten. In dieser Hin-
sicht wird sich in der kommenden Zeit wohl nicht viel ändern.
Im Bereich der offiziellen Anbieter in der Erwachsenenbildung sind die Goethe-Insti-
tute, die staatlichen Sprachschulen und die Fremdsprachenzentren der Hochschulen wohl
die wichtigsten Träger.
Abgesehen von Sprachkursen bietet das Goethe-Institut in Spanien Lehrerfortbildung
an. Im kulturellen Bereich leistet das Goethe-Institut einen unverzichtbaren Beitrag zur
Verbreitung und Bekanntmachung der deutschen Kultur und Gesellschaft. Zu betonen
ist, dass seit einiger Zeit das Goethe-Institut in all seinen Aktivitäten großen Wert auf
1802 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Zusammenarbeit mit den lokalen Institutionen, Hochschulen und Kulturanbietern legt,


so dass oftmals in deren Veranstaltungen Fragestellungen aus deutscher und spanischer
Sicht betrachtet werden.
Die „Staatlichen Sprachschulen“ (Escuelas Oficiales de Idiomas) bieten als Ausnahme
in Europa Sprachkurse für Erwachsene und Jugendliche (ab 16 Jahren) zu einem subven-
tionierten Preis an und geben staatlich anerkannte Zertifikate aus. Sie richten sich bei
ihrem Sprachangebot nach staatlichen Rahmenverordnungen. In ganz Spanien gibt es
zurzeit ca. 170 solcher Schulen. Man kann davon ausgehen, dass mindestens ein Deutsch-
kurs an fast jeder Schule angeboten wird. Nach informellen Angaben der Schulen sind
meistens nur die Kurse der ersten Niveaus (A1 und A2) gut besucht, während eine bedeu-
tend geringere Nachfrage nach höheren Niveaus zu verzeichnen ist. Was Schülerzahlen
angeht, gibt es hier regionale Unterschiede. So wurde 2005/06 nur an den staatlichen
Sprachschulen (Escuelas Oficiales de Iidomas) der Balearen und Kanarischen Inseln eher
Deutsch als Französisch gelernt (Goethe Institut 2007).
Das Angebot der Deutschkurse an den Hochschulsprachenzentren richtet sich zwar
vornehmlich an Studierende (Kurse für Hörer aller Fakultäten) und Universitätsangehö-
rige, sie sind jedoch auch für das breite Publikum offen. Oftmals ist ein Sprachenselbst-
lernzentrum an diese Einrichtungen gekoppelt. Die Nachfrage nach Deutschkursen in
diesem Bereich richtet sich nach ähnlichen Kriterien wie bei den staatlichen Sprachschu-
len.

2. Hochschulbereich

Zurzeit kann Germanistik (Deutsche Philologie/Filologı́a Alemana) als Hauptfach an 8


staatlichen Universitäten in Spanien studiert werden (Orduña 2006). Darüber hinaus
kann man an vielen anderen Hochschulen Veranstaltungen im Bereich der deutschen
Sprache und Literatur besuchen, und zwar als Wahlpflichtveranstaltungen oder Wahlfä-
cher anderer philologischer Studiengänge, in der Regel der Anglistik. Andererseits kann
Deutsch als erste bzw. als zweite Fremdsprache im Rahmen des Studiengangs für Über-
setzung und Dolmetschen an insgesamt 22 staatlichen und privaten Hochschulen gewählt
werden, wobei Deutsch als erste Arbeitssprache nur an 6 Hochschulen angeboten wird.
Im Zuge des Bolognaprozesses erfahren die Studiengänge im Bereich der Germanis-
tik, der Philologie sowie auch Übersetzung und Dolmetschen eine deutliche Umstruktu-
rierung. Der Prozess wird erst im Studienjahr 2010⫺11 ganz abgeschlossen sein. Fest
steht, dass alle Bachelorstudiengänge mit 240 ECTS versehen sein werden. Eine mögliche
Folge dieser Umstrukturierung könnte sein, dass es abgesehen von Ausnahmen zur Ein-
gliederung der Germanistik als Nebenfach in einen Fremdsprachen- und Literaturstu-
diengang (Lenguas modernas y sus literaturas) kommen wird. Das wird sich noch heraus-
stellen. Es ist des Weiteren davon auszugehen, dass neben den traditionellen Modulen
zur Literatur, Linguistik und Landeskunde auch Module zur Didaktik, zur Übersetzung
und zu Fachsprachen (Wirtschaft, Recht, Technik) stärker vertreten sein werden als bis-
her mit dem Ziel, die Grundlagen für breitere Berufsprofile zu legen. Was Übersetzung
und Dolmetschen angeht, wird sich scheinbar wenig ändern im Vergleich zum heutigen
Modell, wobei sich mehrere Universitäten für eine Kombination von Übersetzung und
interkulturellen Studien entschieden haben. Auch hier werden die Studiengänge auf der
226. Deutsch in Spanien 1803

Grundlage von 240 ECTS aufgebaut sein. Es besteht eine große Besorgnis unter Hoch-
schuldozenten und Forschern wegen der zunehmenden Orientierung des Hochschulange-
botes an den Bedarf des Arbeitsmarktes. Was Germanistik angeht, hat das zwar den
Vorteil, dass die Absolventen auf ihre realen Chancen auf dem Arbeitsmarkt im Rahmen
des Studiums vorbereitet werden können (ExpertInnen in internationaler Kommunika-
tion, VerlagslektorInnen, DeutschlehrerInnen, ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen,
technische RedakteurInnen usw.). Aber ein Hochschulfach ohne eine breitgefächerte For-
schung ist nicht denkbar. Die große Frage also für die Zukunft ist, ob im Rahmen der
Masterstudiengänge und verschiedener Forschungsprojekte genug Raum für alle fachspe-
zifischen Linien geschaffen werden kann. Hierzu wird auf jeden Fall eine viel engere
Zusammenarbeit als bisher der betroffenen Personen und Institutionen vonnöten sein.
Trotz großer institutioneller Barrieren (geringe Anzahl der Germanistiklehrstühle
oder auch der Professuren, Schwierigkeiten an öffentliche Fördermittel heranzukommen
usw.) bieten sich den an germanistischen Studien interessierten ForscherInnen doch eine
Vielzahl an Forschungsgebieten. Zurzeit laufen Projekte besonders in folgenden Feldern:
⫺ Literaturwissenschaft, Komparatistik, Literatur- und Kulturstudien. Hier ist die For-
schungsaktivität der Goethegesellschaft Spaniens besonders hervorzuheben [http://
www.ub.es/filoal/Sge.htm], deren Wirkung über die goethespezifische Thematik hi-
nausgeht (vgl. auch Riutort und Jané 2005)
⫺ Sprachwissenschaft (Lexikographie, morphosyntaktische Studien, Phonemik, Prag-
matik), Fachsprachenforschung, kontrastive Linguistik, Phraseologie, Korpuslinguis-
tik (vgl. Riutort und Jané 2005; Gil und Gimber i. D.)
⫺ Übersetzungswissenschaft (Aspekte der literarischen, technischen und wissenschaftli-
chen Übersetzung sowie kontrastive Studien) (vgl. Santana, Roiss und Recio 2007)
⫺ Didaktik des Deutschen als Fremdsprache (Lernersprache, Lehrerdiskurs, Strategien-
gebrauch, Spracherwerb, Phonemik) (vgl. unten ausgewählte Internetseiten).
Die Gewichtung dieser Gebiete ist unterschiedlich, wobei die Didaktik DaF bzw. Sprach-
lehrforschung deutlich unterrepräsentiert ist; es gibt an den Hochschulen kaum For-
schungsprojekte in diesem Bereich. Seit dem Jahr 2000 sind an vier der acht staatlichen
Universitäten laut Angaben der entsprechenden Abteilungen insgesamt 46 Dissertationen
vorgelegt worden, davon die Mehrheit in den Bereichen Literatur- und Sprachwissen-
schaft.
Spezifisch an Germanisten und Deutschlehrkräfte gerichtete überregionale Tagungen
und Kongresse werden vom Dachverband spanischer Germanistenverbände (Federación
de Asociaciones de Germanistas en España, http://www.fage.es/), von der Goethegesell-
schaft sowie auch auf Initiative verschiedener Germanistikabteilungen in zwei- oder vier-
jährigem Abstand veranstaltet. In den regelmäßig erscheinenden Fachzeitschriften, die
sich gleichzeitig als Sprachorgan der Verbände bzw. der herausgebenden Germanistikab-
teilungen verstehen, lagen die inhaltlichen Schwerpunkte in den letzten Jahren entweder
bei Beiträgen zur Literatur- und Sprachwissenschaft, zur Übersetzungswissenschaft oder
Fachsprachenforschung oder bei der Vorstellung von Unterrichtsvorschlägen und -mate-
rialien

3. Lehreraus- und -ortbildung


Hier besteht ein enormer Nachholbedarf. Für den Primarstufenbereich ist kein Seminar
zur Fachdidaktik Deutsch als Fremdsprache in der Lehrerausbildung vorgesehen. Für
1804 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

den Sekundarstufenbereich besteht zurzeit und bis zum Jahr 2009⫺10 eine einjährige
Ausbildung (Curso de Adaptación Pedagógica), die zur Ausübung einer Lehrertätigkeit
an staatlichen Schulen befähigt. In diesem Rahmen kann ein Seminar in der Fachdidak-
tik Deutsch als Fremdsprache inklusive Praktikum gewählt werden. Außerdem kann
man an mehreren der Germanistik anbietenden Hochschulen eine oder zwei Veranstal-
tungen zur DaF-Didaktik im Laufe des Studiums besuchen. Diese Ausbildungsform, die
von allen Betroffenen als völlig unzureichend angesehen wird, soll ab dem kommenden
Studienjahr durch einen staatlich anerkannten Masterstudiengang ersetzt werden. Es ist
noch unklar, welche Rolle dort der Fachdidaktik DaF zukommen wird.
Aus diesem Grund erfreuen sich die Fortbildungsangebote im Bereich DaF großer
Beliebtheit. Meistens handelt es sich um Seminarangebote (Tages- oder Wochenendsemi-
nare), die vom Goethe-Institut, von Fachverbänden spanischer Germanisten bzw. von
Bildungseinrichtungen der regionalen Erziehungsbehörden angeboten werden. Dazu kom-
men vereinzelt längere Fortbildungen, die als Weiterentwicklung des Modells des Fern-
studienangebots DaF der Universität Kassel betrachtet werden können (vgl. dazu http://
www.ucm.es/info/aleman/24experto.php und http://antalya.uab.es/ice/form_ins/actualiza_
alemany/metodologia.htm).

4. Literatur in Auswahl
Gil, Marı́a Jesús und Arno Gimber
im Druck Los paı́ses germanohablantes en Europa: lengua, literatura y cultura. Madrid: Edicio-
nes Orto.
Goethe-Institut Madrid
2007 Deutschlernen in Spanien (Schuljahr 2005⫺06). Madrid (Manuskr.).
Orduña, Javier
2006 Aus der Peripherie des Netzwerkes. Inlands- und Auslandsgermanistik aus spanischer
Sicht. Deutsch als Fremdsprache 3: 131⫺137.
Riutort, Macià und Jordi Jané (Hg.)
2005 Deutsch-spanische Zwischenwelten ⫺ neue Horizonte für die spanische Germanistik zu Be-
ginn des 21. Jahrhunderts. (Forum 10). Associació de Germanistes de Catalunya: Tarra-
gona.
Santana, Belén, Roiss, Silvia und Ángeles Recio
2007 Puente entre dos mundos: últimas tendencias en la investigación traductológica alemán.
Salamanca: Universidad de Salamanca [CD-ROM].

Ausgewählte Webseiten (Zugriff am 30. 12. 2009)


Forschungsgruppe „Lingüı́stica Aplicada“ (LADA, Universidad de Barcelona)
http://www.ub.es/lada/
Forschungsgruppen der deutschen Abteilung in der Universidad Complutense de Madrid
http://www.ucm.es/info/aleman/_dmc/4investigacion.php
Forschungsgruppe „Filologı́a Alemana“ (Universidad de Sevilla)
http://grupo.us.es/gfilalem/

Lucrecia Keim, Vic (Spanien)


227. Deutsch in Südafrika 1805

227. Deutsch in Südarika


1. Rahmenbedingungen und Kontext
2. Hintergrund und Entwicklung des Faches
3. Deutsch an Schulen
4. Deutsch an Hochschulen
5. Ausblick
6. Literatur in Auswahl

1. Rahmenbedingungen und Kontext

Die Bedeutung der Fremdsprachen an Schulen und Hochschulen in Südafrika hat sich
nach 1994 und der Transformation von einem Apartheidsstaat in eine demokratische
Gesellschaftsordnung entscheidend verändert. Das gilt auch für die deutsche Sprache,
die neben elf offiziellen Sprachen zusammen mit zwölf anderen nicht-offiziellen Sprachen
in der südafrikanischen Verfassung von 1997 in Art. 6, Abs. 5 ausdrücklich als zu för-
dernde Sprache aufgeführt wird. Die Festschreibung von Mehrsprachigkeit in der neuen
Verfassung entsprang dem südafrikanischen Selbstverständnis als „Regenbogennation“.
Neue Bildungsstrukturen sollten helfen eine bessere und für alle Südafrikaner geltende,
deshalb auch multilinguale und multikulturelle Gesellschaftsordnung aufzubauen. Doch
weder die Bildungsreform noch die Umsetzung der Mehrsprachigkeit oder die Förderung
der Fremdsprachen ist reibungslos verlaufen oder kann als abgeschlossen gelten. Die
Einführung des National Curriculum 2005 war nicht nur für das Fach Deutsch eine Her-
ausforderung, denn Stellenstreichungen an Schulen und Hochschulen, Einsparungen und
mangelnder Nachwuchs verlangen eine kreative Auseinandersetzung mit dem gesell-
schaftlichen Umfeld von Lernern und Studierenden. Lehrinhalte und Lernziele mussten
im Zuge der Qualitätssicherung im Sinne einer outcomes based education neu bestimmt
werden. Neue Prüfungsbestimmungen, ein allgemein gehaltener Lehrplan für Deutsch
(nur auf der Webseite des Erziehungsministeriums, aber nicht in Druckfassung erhält-
lich), mangelnde oder unzureichende Kommunikation zwischen Erziehungsministerium,
Prüfungsbehörden und Schulen, Unklarheiten über Zuständigkeitsbereiche, kurzfristige
Planung führen bei Lehrern und Fachberatern zu Unsicherheit und sogar zu der pessi-
mistischen Einschätzung, dass „das Ende des Weges erreicht sei“ (Rode 2008: 27). An
Universitäten ist die Lage für das Hochschulfach Deutsch ähnlich komplex, erlaubt aber
einen vorsichtigen Optimismus.

2. Hintergrund und Entwicklung des Faches

Schon 1830 kann in Südafrika erster „institutionalisierter Deutschunterricht“ nachgewie-


sen werden (Kussler 2001: 1609). Nachhaltig geprägt und gestärkt wurde der Deutsch-
unterricht durch eine bis ins 20. Jh. anhaltende Einwanderung Deutschsprachiger, die
Etablierung eines öffentlichen Prüfungsausschusses (public examination board ), der an
1806 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Schulen „Deutsch 1858 als Prüfungsfach anerkannte und 1860 auch zum erstenmal exa-
minierte“ (Kussler 2001: 1610).
Die erste Professur für Moderne Sprachen (u. a. Deutsch) wurde 1880 am South Afri-
can College (gegründet 1828) eingerichtet. Aus diesem ging 1918 die University of Cape
Town hervor, wie auch im gleichen Jahr aus dem Victoria College die Universiteit van
Stellenbosch entstand, beide sogleich mit eigenen Lehrstühlen in Französisch und
Deutsch. Parallel dazu wurde das für alle provinzialen Erziehungsbehörden maßgebliche
Joint Matriculation Board aus der Taufe gehoben. Es legte Prüfungsvorschriften sowie
Bestimmungen für Universitätszulassung fest. Das damals entstandene Bildungssystem
hielt sich abgesehen von einigen Erneuerungen Anfang der 80er Jahre bis zur politischen
Wende 1994.

3. Deutsch an Schulen

Im Zuge der Apartheidspolitik wurde mit der Verabschiedung des Bantu Education Act
(No. 47) von 1953 die Ausbildung der südafrikanischen Bevölkerung nach Rassenzuge-
hörigkeit organisiert, nach der „Weiße“, „Schwarze“, „Coloureds“ und „Inder“ getrennt
ausgebildet wurden. Bis in die 70er Jahre bedeutete Deutschlernen (vornehmlich an „wei-
ßen“ Schulen und in der Kapprovinz an einigen Schulen für „Coloureds“) die Gramma-
tik zu lernen, sich mittels des Studiums kanonischer Werke der Literatur Wissen über
die Sprache zu erwerben, denn „der Nachdruck lag eher auf dem Lernprozess“ (Kussler
2001: 1612), nicht auf der Anwendung. 1985 trat eine Lehrplanreform in Kraft, die Kom-
munikationsfähigkeit, interkulturelles Lernen und Landeskunde ins Blickfeld rückte.
Durch den Blick auf die deutschsprachigen Länder und dem damit verbundenen Ver-
gleich mit der Situation vor Ort entfaltete sich DaF in Südafrika von einem „intrakultu-
rellen Bildungsfach zu einem interkulturellen Verständigungsfach“, fand dadurch den
„Anschluss an die internationale Entwicklung“ und gewann schließlich in der „ange-
spannten politischen Situation“ der späten 80er Jahre zugleich eine „emanzipatorische
Funktion“ (Kussler 2001: 1613). Diese Entwicklung spiegelte sich in Fördermaßnahmen
von außen wieder, die bis heute anhalten. Zu nennen wären Materialienspenden, Schüler-
austauschprogramme, vom Goethe-Institut durchgeführte Lehrerfortbildungen und
Multiplikatorentreffen sowie Vermittlung von Stipendien. Seit 1995 ist das Goethe-Insti-
tut (GI) mit einem Sitz in Johannesburg und 1999 einem Zentrum in Kapstadt vertreten.
In Südafrika gibt es drei Fachberater für Deutsch, davon sind zwei aus Deutschland
entsandt. Der am GI tätige Fachberater betreut als Experte für Unterricht DaF in ganz
Südafrika, während die vom BVA entsandte Fachberaterin, angebunden an die zentrale
Erziehungsbehörde in Pretoria, für den muttersprachlichen Unterricht an den vier deut-
schen Schulen (Hermannsburg, Johannesburg, Pretoria und Kapstadt) zuständig ist. Der
für das Westkap zuständige Fachberater, als einziger von einer Provinzbehörde ange-
stellt, ist für Fremdsprachen, darunter Deutsch, verantwortlich. Gab es 1982 noch 32 000
Deutschlerner und 511 Deutschlehrende, ist die Zahl der Lehrer inzwischen auf ca. 80
geschrumpft. 2008 belegen landesweit noch 8406 DaF als Schulfach, von denen etwa
10 % die Abschlussprüfung in der 12. Klasse antreten (Rode 2008: 26). Der stetige Rück-
gang von DaF-Lernern begann Ende der 70er Jahre mit der Abschaffung der sog. dritten
Sprache (nach Englisch u. Afrikaans) als Bedingung für eine Universitätszulassung. Ob-
227. Deutsch in Südafrika 1807

gleich im Curriculum 2005 Fremdsprachen wieder aufgenommen wurden, ist problema-


tisch, dass südafrikanische Lerner während der gesamten Schulzeit kaum 400 Unter-
richtsstunden DaF absolvieren und damit nur knapp ZD-Niveau erreichen, derzeit die
Prüfungsverantwortung für die „non-official languages“ über das Jahr 2010 hinaus unge-
klärt ist und das „Problem des mangelnden Lehrernachwuchses ungelöst“ (Rode 2008:
28) bleibt. Die jüngste vom Auswärtigen Amt koordinierte und weltweit angelegte Part-
nerschulinitiative, der inzwischen vier südafrikanische Schulen angehören, bietet durch
Lernplattformen, Kulturprojekte, Fortbildungen, Sprachkurse und Prüfungen sowie re-
gionale und internationale Vernetzung dringend benötigten Aufwind. Eine wichtige,
wenn auch schwierige Aufgabe der 1926 gegründeten Deutschen Pädagogischen Vereini-
gung (DPV), seit 1993 Mitglied des Internationalen Deutschlehrerverbandes mit derzeit
ca. 90 Mitgliedern, wird sein, in Zusammenarbeit mit dem Erziehungsministerium die
andauernde Präsenz von DaF an Schulen sowie eine nachhaltige Lehrerausbildung zu si-
chern.

4. Deutsch an Hochschulen

Auch an den Universitäten hat sich das Fach Deutsch inhaltlich und strukturell in den
letzten 20 Jahren erheblich verändert und ist durch eine sichtbare Präsenz des DAAD
(seit 1995 Informationsbüro mit Lektorat an der Witwatersrand Universität, Stipendien,
Austauschprogramme, Kurzzeitdozenturen, ein weiteres Lektorat soll am Kap eingerich-
tet werden) punktuell gestärkt worden. Bis in die 70er Jahre wurde an allen „weißen“
sowie an vier „nichtweißen“ Universitäten vor allem Literaturwissenschaft mit unter-
schiedlicher Schwerpunktsetzung im Rahmen eines dreijährigen B.A.-Studiengangs un-
terrichtet. Umstrukturierungen ab Mitte der 80er Jahre hingen z. T. mit Neubesetzung
von Lehrstühlen zusammen ⫺ in Stellenbosch z. B. wurden „alle Studiengänge nach
Maßgabe eines fremdphilologisch-interkulturellen Ansatzes“ neu konzipiert (Kussler
2001: 1615) ⫺ oder entstanden aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen. Im Laufe
der Jahre wurden alle eigenständigen Seminare meist mit anderen europäischen Sprachen
(z. B. Französisch o. Italienisch) zunächst in Departments, später in noch größere Einhei-
ten, meist „Schools“ zusammengelegt. Interessant ist jedoch, dass die Gesamtanzahl der
Deutschstudierenden im Bachelorstudiengang zwischen 1994 und 2003 mit ca. 1200 Stu-
dierenden landesweit gleich geblieben ist (Annas 2004: 190). Auch 2008 gibt es insgesamt
noch 1195 Studierende: im 1. Studienjahr 70,4 %, im 2. Studienjahr 22 % und im 3. Stu-
dienjahr nur 7,6 %. Nach 1994 haben nur vier Abteilungen (Stellenbosch, University of
the North, Rhodes und Free State) einen deutlichen Zuwachs an Studierenden zu ver-
zeichnen, während die Umstrukturierung an Hochschulen bei den meisten Abteilungen
sinkende Studierendenzahlen zur Folge hatte. Einige wurden deshalb geschlossen (Port
Elizabeth) oder stehen kurz davor (Pietermaritzburg), das Deutschstudium wurde abge-
baut und auf zweijährigen Spracherwerb reduziert (vorübergehend an der University of
the North, in Zukunft an UNISA und Kapstadt). Es überrascht deshalb nicht, dass
sinkende Studentenzahlen gerade bei den Fremdsprachen zu enormem Stellenabbau
führten. 1994 gab es an 15 der 21 Universitäten 56 Planstellen für Deutsch (davon acht
Lehrstühle), mit drei bis sechs Dozenten an jeder Deutschabteilung. 2008 besteht nur
mehr ein Lehrstuhl in Stellenbosch, die Planstellen schrumpften auf 24, so dass die
1808 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Deutschlehre meist von ein oder zwei Dozenten und ggf. Teilzeitkräften bestritten wird.
Eine wichtige Rolle spielt seit 1965 der südafrikanische Germanistenverband (SAGV).
Er veranstaltet für seine ca. 80 Mitglieder alle zwei Jahre internationale Tagungen, die
neben literaturwissenschaftlichen Fragen auch DaF berücksichtigen. Die zwei Zeitschrif-
ten des SAGV sind das wissenschaftliche Jahrbuch Acta Germanica und die seit 2006 auf
der Webseite des SAGV im Halbjahresturnus veröffentlichte elektronische Zeitschrift
eDUSA, die sich mit DaF befasst.

5. Ausblick
Die südafrikanische Germanistik kann sich zukünftigen Herausforderungen durch regio-
nale Zusammenarbeit der Abteilungen und landesweite Schwerpunktsetzungen im Studi-
enangebot, mit der Bereitstellung von fachsprachlichen Kenntnissen und Fertigkeiten
stellen, indem sie sich im „pragmatischen Verständnis auf ihr gesellschaftliches Umfeld
besinnt“ (Kussler 2001: 1617). So bietet die University of Johannesburg mit dem GI
und DAAD Anfängerkurse auf dem Campus in Soweto an. Mitarbeit an gemeinsamen
Modulen mit anderen Fächern zur Förderung hermeneutischer und kulturwissenschaftli-
cher Fertigkeiten können eine „Teilhabe des Faches Deutsch am intra-südafrikanischen
transkulturellen Kommunikationsprozess“ (Laurien 2006: 444) stützen, ebenso wie Part-
nerschaftsprogramme mit deutschsprachigen Universitäten und der mögliche Aufbau
von gemeinsamen postgraduierten Studiengängen. Wie Netzwerkbildungen und erste ge-
meinsame, vom GI oder DAAD gestützte Forschungsprojekte schon gezeigt haben, kann
DaF in Lehre und Forschung durch länderübergreifende Zusammenarbeit nicht nur im
Blickfeld auf Europa, sondern auch auf den afrikanischen Kontinent nur gestärkt wer-
den.

6. Literatur in Auswahl
Annas, Rolf
2004 Zur Situation des Faches Deutsch an südafrikanischen Universitäten. Acta Germanica
30(31): 181⫺191.
Rode, Rudolf
2008 Deutsch an südafrikanischen Schulen. Eine Bestandsaufnahme. eDUSA 3(2): 26⫺29.
Kussler, Rainer
2001 Deutschunterricht und Germanistikstudium in Südafrika. In: Gerhard Helbig, Lutz
Götze, Gert Henrici, Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Deutsch als Fremdsprache. Ein internati-
onales Handbuch, 1609⫺1619. Band 2. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikations-
wissenschaft 19.1⫺2). Berlin/New York: De Gruyter.
Laurien, Ingrid
2006 Das Fach Deutsch an Universitäten im „Neuen Südafrika“ ⫺ Eine „Laborsituation“ für
Europa? Info DaF 33(5): 438⫺445.

Carlotta von Maltzan, Stellenbosch (Südafrika)


228. Deutsch in der Tschechischen Republik 1809

228. Deutsch in der Tschechischen Republik


1. Die Rolle der deutschen Sprache in der Tschechischen Republik
2. Deutsch an Schulen und Hochschulen
3. Entwicklungstendenzen
4. Forschungsschwerpunkte
5. Literatur in Auswahl

1. Die Rolle der deutschen Sprache in der Tschechischen Republik


Die 2004 der EU beigetretene Tschechische Republik hat eine Fläche von 78.866 Quad-
ratkilometern, auf der 10.290.000 Einwohner leben. Laut Volkszählung aus dem Jahre
2001 sind davon 9.270.000 (90,1 %) Tschechen mit der Muttersprache Tschechisch, zur
deutschen Nationalität mit der Muttersprache Deutsch bekannten sich 38.300 Personen
(0,4 %). (Quelle: Tschechisches Statistisches Amt). Das Recht auf Bildung in der eigenen
Sprache erwarben die Deutschen in der ehemaligen ČSSR erst 1968, aber es wurden
keine Schulen für sie geschaffen, da sie laut der damaligen Staatsführung hochgradig
in die damalige tschechisch ⫺ slowakische Gesellschaft integriert gewesen seien. Laut
Neustupný und Nekvapil (2003: 280) besuchten zum Beispiel 1990 nur 585 deutsche
Schüler die Grundschulen.
Infolge der politisch ⫺ gesellschaftlich ⫺ wirtschaftlichen Wende nahmen zahlreiche
deutschsprachige Institutionen ihre Arbeit im Land auf, u. a. die Deutsch ⫺ Tschechische
Industrie- und Handelskammer mit Sitz in Prag (seit 1993), das Österreichische Ost- und
Südosteuropa-Institut, Außenstelle Brünn (seit 1991), die Tschechisch-Deutsche Gesell-
schaft Prag und die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia (seit 1992). Sehr bedeutende
Handelspartner Tschechiens sind Deutschland und Österreich. Daher finden wir im Land
eine bedeutende Anzahl deutscher und österreichischer Firmen, Banken und Investoren,
die zugleich Arbeitsplätze für Tschechen (unten anderem auch für einen hohen Prozent-
satz von Absolventen des Germanistikstudiums und leider auch der Absolventen der
Deutschlehrerausbildung) geschaffen haben. Allerdings muss darauf hingewiesen werden,
dass ein deutscher Arbeitgeber sich nicht als Garant für die Verwendung der deutschen
Sprache sieht. Die Tatsache, dass in den in Tschechien tätigen deutschen Firmen sehr oft
auf Englisch kommuniziert wird, trägt nicht gerade dazu bei, Deutsch beherrschen zu
wollen/müssen (in den Firmen RWE Transgas oder der österreichischen Erste Bank
Group zum Beispiel ist das Nichtbeherrschen der deutschen Sprache kein Hindernis (Vgl.
Böhm 2007: 4).
Zur Verbreitung der deutschen Sprache tragen weiter die 14 im Lande existierenden
Deutsch ⫺ Tschechischen Begegnungszentren bei. Der Tschechische Rundfunk-Radio
Prag ⫺ Deutsches Programm sendet täglich viermal eine halbe Stunde auf Kurzwelle und
zweimal täglich über Satellit. Die Zeitung Lidové noviny bringt wöchentlich eine deutsche
Seite („Deutsches Blatt“) mit aus der deutschen Presse übernommenen authentischen
Texten. Seit 1991 wird wöchentlich die „Prager Zeitung ⫺ Die deutschsprachige Zeitung
für Mitteleuropa“ herausgegeben, die durch ihre regelmäßig erscheinenden Beilagen Pra-
ger Wirtschaftszeitung, Prager Tagblatt mit Literatur-, Immobilien- und Regionalbeila-
gen sehr attraktiv ist. Für die deutsche Minderheit erscheint die Deutsche Volkszeitung.
1810 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Großes Verdienst um die Pflege und Verbreitung der deutschen Sprache in Tschechien
haben das Goethe ⫺ Institut und das Österreichische Kulturforum. Von den professionel-
len Verbänden ist der 1999 gegründete Germanistenverband der Tschechischen Republik,
der seit dem Jahre 2000 Mitglied der Internationalen Vereinigung der Germanisten ist und
in dem 90 Hochschullehrende organisiert sind, zu erwähnen. Die Deutschlehrer haben
ihren eigenen Verband, den Verein der Deutschlehrer und Germanisten, der sich 2006 auf
seiner Jahresversammlung mit der Gesellschaft Medeus zusammenschloss. Das Aufga-
benfeld besteht in der Absicherung der Fortbildung der Deutschlehrer in hoher Qualität
und Beratertätigkeit.
Auch die 1999 gegründete Goethe-Gesellschaft in der Tschechischen Republik hilft
durch ihre Vortragstätigkeit, Ausstellungen, Kolloquien und publizistischen Aktivitäten
bei der Popularisierung der deutschen Sprache.

2. Deutsch an Schulen und Hochschulen


2.1. Schulischer Deutschunterricht
Der Hauptanteil an der Vermittlung der Deutschkenntnisse kommt der institutionellen
Bildung zu. Der Fremdsprachenunterricht (also auch Deutsch als Fremdsprache) wird
vom Ministerium für Schulwesen, Jugend und Körpererziehung gelenkt und geleitet. Es
ist verantwortlich für die Rahmenpläne, die Stundentafeln und die Aus- und Fortbildung
der Lehrer (Akkredierung der Studienprogramme).
Das Ministerium leitet die staatlichen bilingualen Grundschulen und Gymnasien und
unterstützt und kontrolliert die privaten Schulen des gleichen Typs. In der Tschechischen
Republik gibt es staatliche bilinguale Grundschulen und Gymnasien (Liberec, Znojmo)
und private bilinguale Grundschulen und Gymnasien (Bernardo-Bolzano-Grundschule
Tábor, Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung und Thomas-Mann-Gym-
nasium Prag, Österreichische Schule Prag, Deutsche Schule Prag).
Aufgrund der Tatsache, dass Tschechien mit Deutschland eine gemeinsame Grenze
hat, gibt es noch zwei interessante Ausbildungsmöglichkeiten. Das ist zum einen die
Grenzenlose Schule in Hartau/Hradek nad Nisou: Deutsche und tschechische Kinder er-
lernen die Sprache des anderen als Voraussetzung für die selbstverständlicheVerständi-
gung und als Ausgangspunkt zwischenmenschlicher und kultureller Kontakte.
Die zweite binational ⫺ bilingual ausgerichtete Schule ist das Friedrich-Schiller-Gym-
nasium in Pirna/Sachsen, das Schülern aus der EUROREGIO Elbe/Labe ermöglicht, ein
in Deutschland und Tschechien gleichermaßen anerkanntes Abitur zu erwerben.
Ein zweiter Träger des Deutschunterrichts sind private Institutionen. Nach 1990
schossen private Sprachschulen unterschiedlichen Niveaus wie Pilze aus dem Boden. In-
zwischen haben sich die soliden herauskristallisiert und versorgen hauptsächlich die Er-
wachsenenbildung.
Die dritte Gruppe der Fremdsprachenunterricht / Deutsch als Fremdsprache gewäh-
renden Schulen sind ausländische private Träger. (z. B.: Berlitz, Caledonian School).

2.2. Deutsch im Hochschulbereich


An den Hochschulen der Tschechischen Republik wird Deutsch in Form des studienbe-
gleitenden Unterrichts gelehrt, da die Kenntnis zweier Fremdsprachen eine zentrale
228. Deutsch in der Tschechischen Republik 1811

Komponente in den akademischen Qualifikationsprofilen darstellt. Die Ausbildung er-


folgt auf der Grundlage eines gemeinsamen Rahmencurriculums.
In der Tschechischen Republik gibt es 15 öffentliche Universitäten, die ein Deutsch-
studium anbieten. In Prag, Brno, Olomouc und Plzeň existieren je zwei germanistische
Arbeitsstellen nebeneinander, jeweils die philosophische und die pädagogische Fakultät.
Je ein Institut ist in České Budějovice, Ústı́ nad Labem, Pardubice, Hradec Králové,
Liberec, Ostrava, Opava angesiedelt. Alle germanistischen Institute sind in den Prozess
der Umgestaltung des Studiums in BA-und MA-Studiengänge eingebunden. Ein rein
philologisches Germanistikstudium konnte/kann in Prag, Olomouc und Brno absolviert
werden. Die Folgen der Umstrukturierung sind in der Lehrerausbildung spürbar. Wäh-
rend bis vor kurzem die Grundschullehrer für Deutsch ein acht Semester dauerndes
Studium absolvierten und die Mittelschullehrer zehn Semester, wurde nach der Realisie-
rung der Bologna-Beschlüsse das Lehramtsstudium auf insgesamt 10 Semester verein-
heitlicht. Allerdings ist der Weg dahin unterschiedlich:
Version 1: Pädagogisch-psychologische Disziplinen werden neben der fachspezifischen
Ausbildung bereits im BA-Studium gelehrt. Da aber zehn Semester und der MA-Ab-
schluss Bedingung für die Arbeit als Deutschlehrer sind, muss das Studium im Master-
gang fortgesetzt werden.
Version 2: Das BA-Studium ist rein fachspezifisch ausgerichtet. Erst Im MA-Studien-
gang erfolgt die Spezialisierung auf Pädagogie, Psychologie, Allgemeine Didaktik und
Fachdidaktik.
Version 3: Die fachspezifische Ausbildung erfolgt im BA-, MA-Studiengang. Daran an-
schließend kann in einem dreijährigen Kurs im Rahmen des sog. Lebenslangen Lernens
die Lehrbefähigung für Deutsch erworben werden (allerdings gegen Entgelt).

Die Lehrerfortbildung wird vom Ministerium für Schulwesen, Jugend und Körperkultur
durch Vergabe von Stipendien in Deutschland, Österreich und der Schweiz gefördert.
Auf die gleiche Weise tragen dazu das Goethe-Institut und das Österreichische Kulturfo-
rum bei. Besonders das Goethe-Institut hat sich in Zusammenarbeit mit dem österreichi-
schen Bildungsministerium und der deutschen Zentralstelle für das Auslandsschulwesen
um die Ausbildung von Multiplikatoren verdient gemacht, die im Trainingszentrum
CDVU der Universität Brno und den Pädagogischen Zentren der einzelnen Regionen
ihr in den Kursen des Goethe-Instituts erworbenes Wissen und Können weitergeben. Die
Multiplikatorenausbildung (ca. 300 Stunden) ist vom tschechischen Schulministerium ak-
kreditiert.
Den BA-Studiengang versucht man attraktiv zu gestalten, indem man auf die Bedürf-
nisse der Praxis eingeht. So werden an den Universitäten folgende BA-Studiengänge an-
geboten:
Universität Hradec Králové: Deutsch für den Fremdenverkehr; Westböhmische Uni-
versität Plzeň: Deutsch in der Kommerzpraxis: Universität Pardubice: Deutsch für die
Wirtschaftspraxis; Universität J. E. Purkyně Ústi nad Labem: Interkulturelle Germanis-
tik; Schlesische Universität Opava: Deutsch im Bereich der Wirtschaft; Karlsuniversität
Prag: Deutsche Sprache und Literatur.
1812 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

3. Entwicklungstendenzen
Die Tschechische Republik grenzt an zwei deutschsprachige Länder: an die Bundesre-
publik Deutschland (gemeinsame Grenze 810 Kilometer) und die Republik Österreich
(gemeinsame Grenze 466 Kilometer). Man sollte also annehmen, dass der deutschen
Sprache als der nächst gelegenen Fremdsprache ein priviligierter Status zukommt.
Noch 2000 gab Houska (2000: 93) an, dass 1997/1998 Deutsch insgesamt gesehen mit
681.751 Lernern vor Englisch mit 665.225 Lernern einen geringen Vorsprung hat. In der
Gegenwart sieht es aber anders aus. Wie aus den statistischen Erhebungen hervorgeht,
wird Deutsch zur Tertiärsprache. Die Tabellen 228.1 bis 228.3 geben beredt Auskunft:

Tab. 228.1: Fremdsprachen an tschechischen Grundschulen ⫺ Auswahl


Sprache/Jahr 2000/ 2001/ 2002/ 2003/ 2004/ 2005/
2001 2002 2003 2004 2005 2006
Englisch 432 920 453 174 473 448 489 073 493 795 500 566
Französisch 7 890 8 229 7 189 7 032 8 997 7 201
Deutsch 298 285 272 285 244 599 216 028 185 556 165 743
Russisch 1 035 1 680 1 946 2 890 3 974 5 641
(Quelle: ÚIV ⫽ Institut für Information im Bildungswesen)

Tab. 228.2: Fremdsprachen an tschechischen Mittelschulen ⫺ Auswahl


Sprache/Jahr 2000/ 2001/ 2002/ 2003/ 2004/ 2005/
2001 2002 2003 2004 2005 2006
Englisch 334 672 346 752 360 043 376 294 388 747 399 351
Französisch 29 062 31 826 31 826 33 758 38 966 40 370
Deutsch 319 423 313 791 310 253 308 210 298 563 287 799
Russisch 7 556 7 813 8 918 10 820 12 472 14 325
(Quelle: ÚIV ⫽ Institut für Information im Bildungswesen)

Tab. 228.3: Fremdsprachen an tschechischen Fachschulen ⫺ Auswahl


Sprache/Jahr 2000/ 2001/ 2002/ 2003/ 2004/
2001 2002 2003 2004 2005
Englisch 17 063 16 409 17 006 19 447 19 195
Französisch 865 865 1 749 1 048 1 382
Deutsch 12 846 12 130 11 904 14 764 14 053
Russisch 511 469 472 631 838
(Quelle: ÚIV ⫽ Institut für Information im Bildungswesen)

Auf den Trend Deutsch nach Englisch gehen auch die Verlage ein. So erscheint zur
Zeit im Verlag Fraus Plzeň das Lehrbuch Prima, das auf diese Adressaten zugeschnit-
ten ist.
Ein in den letzten zehn Jahren heftig diskutiertes Problem ist das neue Abitur. Bis
1989 gab es das Zentralabitur. Es wurde nach der „samtenen“ Revolution abgeschafft.
Jede Schule konnte frei über die Form und den Inhalt der Abiturprüfung entscheiden.
Mitte 2007 wurde die Novelle des Schulgesetzes angenommen, demzufolge der Beginn
der Reform des Abiturs auf das Jahr 2010 verschoben wurde. Der Staat hat die Pflicht,
den Abiturienten im Pflichtteil der Prüfung zwei unterschiedliche Niveaus anzubieten.
228. Deutsch in der Tschechischen Republik 1813

Im Basisniveau ⫺ im Gemeinsamen europäischen Rerenzrahmen das Niveau B1 ⫺ wird


vom Abiturienten ein nicht zu unterschreitendes Minimum an Fertigkeiten verlangt, ohne
dabei auf den besuchten Schultyp Rücksicht zu nehmen. Das höhere Niveau entspricht
dem Niveau B2. Der Lernende kann frei entscheiden, ob er Niveau B1 oder B2 auswählt.

4. Forschungsschwerpunkte

Die einzelnen Universitäten sind in nationale und internationale Forschungsprojekte ein-


gebunden: Hier die wichtigsten: Masaryk-Universität Brno, Philosophische Fakultät:
Mährisch deutsche Dramen und Dramatiker; diachrone Sprachforschung (historische
Entwicklung des Deutschen); synchrone Sprachforschung (Wortschatz-Wortbildung);
Südböhmische Universität České Budějovice: Deutsche Literatur des Mittelalters in und
über Böhmen; Interkulturelles Lernen ⫺ Module zur Aus- und Weiterbildung von
Fremdsprachenlehrern; Palacký-Universität Olomouc, Philosophische Fakultät: Unter-
suchung der Geschichte der deutschmährischen Literatur, Kanzleisprache im 15. und
16. Jh., Universität Ostrava: Schlesische sudetendeutsche Literatur 1918⫺1938; Schwei-
zer Gegenwartsliteratur; Erforschung von Texten aus dem Frühneuhochdeutschen; kor-
pusbasierte Interferenzforschung; Karlsuniversität Prag, Philosophische Fakultät: Ein li-
terarischer Atlas (Kooperation Zürich⫺Prag⫺Göttingen, Deutschsprachige Literatur
aus Böhmen im 19. und 20. Jh.; Germanistik in den böhmischen Ländern im Kontext
der europäischen Wissensgeschichte; Wörterbuch der deutschen Schriftsteller (Koopera-
tion mit der Pädagogischen Fakultät); Wörterbuchprojekt: Das Große Deutsch⫺Tsche-
chische Akademische Wörterbuch; Projekt INTERCORP; Sprachnormen und Sprach-
normenwandel; soziolinguistisches Projekt LINEE. Universität J. E. Purkyně Ústı́ nad
Labem: Moderne österreichische Literatur, deutschsprachige Gegenwartsliteratur, deut-
sche Phraseologie. Die Lehr- und Forschungstätigkeit der nicht erwähnten Universitäten
ist durch intensive Kooperation mit deutschsprachigen Universitäten charakterisiert.
Die Forschungsergebnisse erscheinen regelmäßig in den Publikationen Germanistica
Pragensia (Prag), Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik, Facultas philosophica.
Philologica (Olomouc).

5. Literatur in Auswahl
Böhm, Jiřı́
2007 V německých firmách mluvı́ anglicky. [In deutschen Firmen spricht man Englisch]. In:
Lidové noviny 26. 9. 2007.
Houska, Leoš
2000 Die Situation des Deutschunterrichts in Tschechien. In: Materialien Deutsch als Fremd-
sprache, Sprache-Kultur-Politik. Heft 53: 93⫺97.
Nekvapil, Jiřı́
2003 On the Role of the Languages of Adjacent States and the Languages of Ethnic Minorities
in Multilingual Europe: the Case of the Czech Republic. In: Juliane Besters-Dilger u. a.
(Hg.), Mehrsprachigkeit in der erweiterten Europäischen Union, 76⫺94. Klagenfurt:
Drava.
1814 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Neustupný, Jiřı́V. und Jiřı́ Nekvapil


2003 Language Management in the Czech Republik. In: Current Issues in Language Planning
4(3) und 4(4): 181⫺366.

Eva Berglová, Prag (Tschechische Republik)

229. Deutsch in Tunesien


1. Situation des Deutschen in Tunesien
2. Träger des Deutschunterrichts und der Deutschlehreraus- und -fortbildung
3. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme
4. Inhalte der Ausbildung (Linguistik, Kulturwissenschaften, Didaktik/Methodik)
5. Schwerpunkte der Forschung
6. Kurze Einschätzung von Zahlen und Tendenzen, Umfang der Lernenden und Lehrenden
7. Literatur in Auswahl

1. Situation des Deutschen in Tunesien


Tunesien betont seine starken Bezüge nach Europa. Im Nord-Süd-Verhältnis nimmt es
eine Brückenfunktion ein. Historisch wie kulturell liegt es im Schnittpunkt zwischen
magrebinisch-andalusischen und östlichen Einflüssen aus Ägypten und den Golfstaaten.
Die Emigration (10 % der Bevölkerung) richtet sich vor allem nach Europa (v. a. Frank-
reich, Italien, Deutschland), nach Kanada (Quebec) und in geringerem Maße nach Li-
byen und auf die arabische Halbinsel. Einwanderung gibt es kaum, wohl aber Massen-
tourismus. Die Touristen kommen gleichermaßen aus Europa (v. a. Deutschland und
Frankreich) wie aus den beiden maghrebinischen Nachbarländern.
Französisch blieb auch nach der Unabhängigkeit Zweitsprache. Erst nach einer Arabi-
sierungskampagne wurde es für die jüngere Generation zur ersten Fremdsprache. Eng-
lisch steht an zweiter Stelle. Deutsch und Italienisch liegen an dritter und vierter Stelle.
Auch Spanisch gewinnt an Bedeutung.
Die Präsenz deutscher Touristen bietet eine Möglichkeit für ungesteuertes DaF-Ler-
nen. Deutsch ist in Tunesien nicht ausschließlich Fremdsprache: Die Rückkehr von Mi-
granten führt dazu, dass manche deutsch-tunesischen Kinder zur Einschulung nach Tu-
nesien gehen. Im Germanistikstudium machen diese deutsch-tunesischen Gastarbeiter-
Kinder bis zu 10 % der Studierenden aus. Sie verfügen über gute Reisemöglichkeiten nach
Deutschland, haben täglich deutschsprachiges Fernsehen und bewegen sich in bikulturel-
len Gruppen. Auch in allgemeiner Hinsicht gilt, dass DaF-Lernende in Tunesien oft
migrantische Familienkontakte nach Deutschland haben.
Die mündliche Erstsprache der DaF-Lerner ist die tunesische Umgangssprache, die
nicht kodifiziert ist. Die Derija unterscheidet sich stark von der arabischen Standard-
und Hochsprache. Sie weist entlehnte französische und italienische Ausdrücke auf, die
man je nach Register mehren oder mindern kann. Offizielle Kommunikation findet auf
229. Deutsch in Tunesien 1815

Standardarabisch (Verwaltung) oder auf Französisch (Wirtschaft) statt. Im Mündlichen


gibt es also eine ausgeprägte Mehrsprachigkeit, die dem DaF-Lernen zuträglich ist, aber
zugleich eine allgemeine Unschärfe im Ausdruck und Schwächen in der Rechtschreibung
befördern mag.

2. Träger des Deutschunterrichts und der Deutschlehreraus- und


-ortbildung
Der Deutschunterricht hat seit den 1970er Jahren mit dem Ausbau des Schulsystems und
seit den 1990er Jahren mit der rasanten universitären Bildungsausweitung (World Bank
1997) einen Aufstieg erfahren, der in der Region einmalig ist. In Verbreitung und Niveau
entspricht Deutsch in Tunesien heutzutage den südwesteuropäischen Verhältnissen. (Al-
lerdings nimmt das Land nicht an den OECD-Bildungsvergleichen teil, wissenschaftliche
Vergleichsdaten gibt es noch nicht.) Fast die Hälfte der jungen Generation macht Abitur,
und in den letzten zwei Jahren vor dem Abitur kann man Deutsch als Wahlpflichtfach
belegen. Die meisten Sekundarschulen bieten Deutsch an (MEF 2009). Die überwiegend
jungen Deutschlehrer stellen eine wichtige Basis für die Präsenz des Deutschen in Tune-
sien dar. Sie haben nach dem Germanistikstudium ein einjähriges Referendariat durch-
laufen.
Die Zulassung zum Referendariat, die landesweite Versetzung und die Fortbildung
der Lehrer organisiert das Ministerium für Schule und Ausbildung. Diese zentralisierten
Veranstaltungen des Ministeriums geben zugleich Einblick in die Qualität der Studienab-
schlüsse je nach Universität.
Die Germanistik hat sich seit 1977 an der Universität Tunis entwickelt. Universitäre
Neugründungen, Verlagerungen in die Vororte der Hauptstadt und eine landesweite De-
zentralisierung haben die Germanistik vor allem geographisch diversifiziert. Inzwischen
kann man an vier Hochschulen Deutsch bzw. Germanistik als Hauptfach studieren. Als
Nebenfach wird es an acht Hochschulen angeboten.
Das Goethe-Institut in Tunis ist mit Kursangebot, kulturellen Veranstaltungen und
Fortbildungen für Deutschlehrer fest im Lande verankert und bekannt. Darüber hinaus
gibt es eine Reihe privater Sprachschulen unterschiedlicher Qualität. Eine Deutsche
Schule ist in Tunis im Aufbau begriffen.

3. Entwicklungslinien, Chancen und Probleme


Der Zuwachs an Deutschlernern, -lehrern und Germanisten ist seit den 1990er Jahren
enorm, wenn man ihn in absoluten Zahlen misst. Im Vergleich zu anderen Sprachen und
vor allem zu den Natur- und Technikwissenschaften bleibt die Bedeutung aber beschei-
den, da es einen rasanten Wachstum des Schul- und Bildungssektors gegeben hat (MES
2005). Eine weitergehende quantitative Ausweitung ist nicht zu erwarten (MESRST
2009). Damit beginnt für das Fach Deutsch und für die Germanistik eine Phase der
Erneuerung auf gutem Niveau. Zukünftige Anstrengungen dürften in die Qualität gehen:
Mehr Fortbildung, Öffnung der Schulen und Universitäten zur Gesellschaft, Annahme
wissenschaftlicher Herausforderungen und Umbau der Lehre. Das tunesische Schul- und
1816 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Hochschulwesen wird allerdings staatlich eng gelenkt, es gibt durchaus repressive Züge.
Die intellektuelle Selbständigkeit wird nicht gepflegt. Das mag zu einem Problem für die
anstehende Neuausrichtung werden. Außerdem müssten neue Berufsfelder für Germanis-
ten erschlossen werden. Auch dazu taugt das traditionelle Korsett des Studiums wenig.
Die Bildungsreform scheint nicht sehr deutlich auf diese Desiderata ausgerichtet zu sein.
Sie dient derzeit vor allen als Instrument, um die qualifizierten Studienplätze (Master)
zu verknappen. Die Berufsperspektiven der Bachelor-(Licence-)Absolventen sind nicht
geklärt (MEIPJ; Banque mondiale 2008).

4. Inhalte der Ausbildung (Linguistik,Kulturwissenschaten,


Didaktik/Methodik)
Literaturwissenschaft, Grammatik und Landeskunde bilden den Lernkanon. Linguistik
und interdisziplinäre Einflüsse aus der Medienpädagogik, den Kommunikationswissen-
schaften und den cultural studies sind schwach ausgeprägt. Selbst wenn es vereinzelt
entsprechende Lehrveranstaltungen gibt, fehlt für einen entsprechenden Master- oder
Doktoratsabschluss die fachlich zugelassene Prüfungskommission.
Die Lehrveranstaltungen finden überwiegend auf Deutsch statt. Die Lernprogression
ist vergleichsweise hoch und stark auf das individuelle Erlernen der Sprache ausgerichtet.
Universitäre Sprachenlernzentren gibt es nicht. Bis in die 1990er Jahre mussten alle Ger-
manistikstudierenden ein Auslandssemester in Deutschland absolvieren. Die Einführung
der Schengen-Visapflicht und eine wachsende staatliche Orientierung auf die Bildungska-
pazitäten im eigenen Lande behindern inzwischen die studentische Mobilität.
Die Diskussion über ein stärker anwendungsorientiertes Deutsch hat begonnen. Be-
rufsbezogenes Deutsch gibt es beispielsweise an den Hotelfachschulen. Die allgemeine
Bildungsreform (LMD ⫺ Licence, Master, Doctorat) erfasst seit 2000 nach und nach
alle Studiengänge. Sie führt dazu, dass die Lernziele der Lehrveranstaltungen beschrie-
ben werden, und dient vor allem der Steuerung des künftigen Studienangebots. Für Prak-
tika während des Studiums fehlen nicht nur an der Universität integrierte Betreuungs-
strukturen. Auch die Wirtschaft und die Verwaltung öffnen sich nur langsam.

5. Schwerpunkte der Forschung


Neben den philologischen Themen der Literaturwissenschaften sind Reiseliteratur und
kontrastive Untersuchungen zu grammatikalischen Phänomenen zu nennen. Aus der jün-
geren Generation wird Interesse an interdisziplinären Forschungen geäußert, wie sie sich
im Rahmen von German Studies entwickeln könnten.

6. Kurze Einschätzung von Zahlen und Tendenzen, Umang der


Lernenden und Lehrenden
In Tunesien gibt es derzeit ungefähr 24.000 DaF-Lernende an den Oberschulen. Sie wer-
den von fast 400 Deutschlehrern unterrichtet (MEF 2009). Fünf Gymnasien entwickeln
230. Deutsch in der Türkei 1817

sich mit ihrem DaF-Zweig zu Schulen: Partner der Zukunft. 20 % der Abiturienten haben
eine Privatschule besucht.
Landesweit gibt es ungefähr 1.000 Germanistikstudierende (bei insgesamt 360.172
Studierenden), unterrichtet von schätzungsweise 40 Dozenten. Ungefähr 85 % der DaF-
Studierenden sind weiblich (59 Prozent aller tunesischen Studierenden) (MESRST 2009).
Seit den 1980er Jahren gibt es an der Deutsch-Sektion der Université Tunis I / La Ma-
nouba ein DAAD-Lektorat. Zu erwähnen ist der Tunesische Germanisten- und Deutsch-
lehrerverband, der einmal im Jahr Deutschtage veranstaltet.

7. Literatur in Auswahl
MEF Ministère de l’Education et de la Formation: Auskunft von der Inspektion für Deutsch.
2009 Oktober 2009.
MEIPJ Ministère de l’Emploi et de l’Insertion Professionnelle des Jeunes; Banque mondiale
2008 Dynamique de l’emploi et adequation de la formation parmi les diplômés universitaires.
Vol. I: Rapport sur l’insertion des diplômés de l’année 2004.
MES Ministère de l’Enseignement Superieur: Les indicateurs de l’enseignement superieur.
2005
MESRST Ministère de l’Enseignement Supérieur, de la Recherche Scientifique et de la Technologie
2009 L’enseignement supérieur et la recherche scientifique en chiffres. Année universitaire
2008/2009.
World Bank
1997 Republic of Tunisia Higher Education: Challenges and Opportunities (Report No. 16522-
TUN) May 8, 1997.

Helmut Dietrich, Oran (Algerien)

230. Deutsch in der Türkei


1. Einleitung: Fremdsprachenpolitische Tendenzen
2. Der Stellenwert der deutschen Sprache im türkischen Schulwesen
3. Deutsch an der Hochschule am Beispiel der Ausbildung türkischer DeutschlehrerInnen
4. Schlussbemerkung
5. Literatur in Auswahl

1. Einleitung: Fremdsprachenpolitische Tendenzen


Wenn wir die türkische Fremdsprachenpolitik im Hinblick auf die übergreifenden gesell-
schaftlich-politischen und historischen Faktoren betrachten, so lässt sich erkennen, dass
es in der Türkei seit Mitte des 19. Jahrhunderts Interesse und Bedarf am Erlernen der
westlichen Sprachen wie Deutsch, Französisch und Englisch gibt. Rückblickend ist je-
1818 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

doch zu bemerken, dass sich die Gewichtung dieser Sprachen in der türkischen Öffent-
lichkeit je nach den herrschenden politisch-gesellschaftlichen und ökonomischen Bedin-
gungen verschoben hat. Die Dominanz des Englischen als die Sprache der globalisierten
Welt ist gegenwärtig auf der fremdsprachlichen Landschaft der Türkei eindeutig zu er-
kennen. Sie ist im schulischen sowie auch im außerschulischen Bereich mit großem Ab-
stand die meistgelernte Fremdsprache. Die Spitzenstellung des Englischen hat ohne
Zweifel einen negativen Einfluss auf das Erlernen anderer Sprachen, und diese verlieren
zunehmend an Attraktivität. Auf der anderen Seite ist die Türkei interessiert an einem
Beitritt zur Europäischen Union, und sie ist voll in die akademischen Austausch- und
Förderprogramme des Europarats integriert. Dementsprechend sollte das Erlernen weite-
rer Fremdsprachen neben dem Englischen gefördert werden, damit die durch die europä-
ische Sprachenpolitik geforderte sprachliche und kulturelle Vielfalt in der Türkei reali-
siert werden kann.
Gerade in diesem Punkt soll der Stellenwert der deutschen Sprache hervorgehoben
werden. Denn Englisch ist zwar mit Abstand die meistgelernte Fremdsprache in der
Türkei, ihr folgt jedoch nicht mehr die französische Sprache, die lange Zeit in der türki-
schen Sprachenpolitik einen festen Platz hatte. In der türkischen Sprachenskala ist heute
die deutsche Sprache sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Bereich an die
zweite Stelle gerückt. Dafür gibt es einige nahe liegende Gründe: Historisch gesehen
haben die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf politischer, kultureller und
wirtschaftlicher Ebene eine lange und gut entwickelte Tradition. Auch heute existieren
vielfältige Verbindungen zwischen den deutschsprachigen Ländern und der Türkei weiter.
Die deutschsprachigen Länder sind wichtige Handelspartner der Türkei. Die Zahl der
deutschen Unternehmen in der Türkei und die Zahl der türkischen Unternehmen in
Deutschland erhöhen sich ständig. Die Zahl der deutschsprachigen Touristen ist in den
letzten Jahren stark gestiegen. Auch die Folgen der Migrationsbewegung sind in diesem
Zusammenhang nennenswerte Faktoren. Fast drei Millionen Menschen türkischer Ab-
stammung leben heute in Deutschland und über zwei Millionen sind nach einem Lebens-
abschnitt in Deutschland wieder in die Türkei zurückgekehrt. Durch diese beiden Grup-
pen werden die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland weitergepflegt. Diese
Voraussetzungen zeigen uns, warum sich heutzutage in der Türkei der Bedarf am Erler-
nen der deutschen Sprache im Vergleich zu anderen Sprachen, abgesehen vom Engli-
schen, im positiven Sinne entwickelt.

2. Der Stellenwert der deutschen Sprache im türkischen


Schulwesen
2.1. Die Situation des Fremdsprachenunterrichts an den türkischen
Schulen

Die oben kurz skizzierten gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen, die die Ge-


wichtung der Fremdsprachen in der türkischen Öffentlichkeit bestimmen, haben unmit-
telbare Auswirkungen auf die Strukturierung des Fremdsprachenunterrichts an den tür-
kischen Schulen. Mit dem neuen Schulreformgesetz von 1997 änderten sich grundlegende
Parameter des türkischen Schulwesens. Damit wurde die Schulpflichtzeit von fünf auf
230. Deutsch in der Türkei 1819

acht Jahre verlängert. Anstelle der fünfjährigen Grundschule wurde verbindlich für die
ganze Türkei die achtjährige allgemeinbildende Pflichtschule eingeführt, die die Primar-
stufe und die Sekundarstufe 1 umfasst. Daran schließt sich das vierjährige Gymnasium
an (Sekundarstufe 2), das in Bezug auf die berufliche Orientierung und auf ihr fremd-
sprachliches Angebot in unterschiedliche Schultypen ausdifferenziert ist.
Diese Neustrukturierung hat sich unter anderem auch auf die Planung des Fremd-
sprachenunterrichts ausgewirkt. Die erste Fremdsprache wird bereits auf der Primarstufe
in der 4. Klasse mit 4 Wochenstunden landesweit obligatorisch gelernt. Dabei stehen
Deutsch, Englisch oder Französisch zur Auswahl. Ab der 6. Klasse haben die SchülerIn-
nen die Möglichkeit, eine zweite Fremdsprache zu erlernen. Die Vorverlegung des Fremd-
sprachenunterrichts auf die früheren Jahrgangsstufen (4. Klasse) und die Einführung ei-
ner zweiten Fremdsprache (6. Klasse) ist für die Sprachenpolitik der Türkei insofern
wichtig, weil dadurch der Zugang zur Sprachenvielfalt in einer relativ frühen Lebens-
phase eröffnet werden kann. Der Fremdsprachenunterricht wird im Sekundarbereich 2
weitergeführt. Hier gibt es in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht unterschiedliche
Schultypen. In den staatlichen allgemeinbildenden Gymnasien wird die erste Fremdspra-
che nur in den 9. und 10. Klassen obligatorisch mit 3 Wochenstunden angeboten, wäh-
rend die zweite Fremdsprache fakultativ angeboten wird. Bei den staatlichen Anadolu-
gymnasien mit fremdsprachlichem Schwerpunkt wird der Fremdsprachenunterricht obli-
gatorisch mit hohen Stundenzahlen und unter besseren Bedingungen durchgeführt.
Demgemäß wird die erste Fremdsprache an den Anadolugymnasien in der 9. Klasse mit
10 Wochenstunden und in den Klassen 10, 11 und 12 mit je 4 Wochenstunden und die
zweite Fremdsprache, auch obligatorisch mit 2 Wochenstunden unterrichtet. Die Privat-
schulen sind im Vergleich zu den staatlichen Schulen in ihren Entscheidungen freier. Sie
können je nach ihren Bedingungen den Umfang des Fremdsprachenunterrichts erweitern
und selbst über Beginn, Dauer und die Wochenstundenzahlen entscheiden.
Wenn wir nun die Gewichtung der einzelnen Schulsprachen untersuchen, so ist festzu-
stellen, dass die eingangs erwähnten sprachenpolitischen Entwicklungen in der Türkei
auch in der Schulsprachenpolitik Niederschlag finden. Dieses Faktum ist auch an den
folgenden Daten zu erkennen: Im Schuljahr 2007/08 haben im Primarbereich 6 392 318
SchülerInnen Englisch, 33 060 Deutsch und 9 382 Französisch als erste Fremdsprache
gelernt. Dieselbe Tendenz zeigt sich auch im Sekundarbereich 2. Hier haben im selben
Schuljahr 2 530 286 SchülerInnen Englisch, 258 089 Deutsch und 22 580 Französisch als
erste Fremdsprache gelernt (vgl. National Education Statistics 2007). Schon dieser kurze
Überblick der Zahlenrelationen ist ein Beleg dafür, dass Englisch die meistgelernte erste
Fremdsprache sowohl im Primar- als auch im Sekundarbereich ist.

2.2. Die Situation des Deutschunterrichts an den türkischen Schule


2.2.1. Deutsch als erste Fremdsprache

Deutsch wird im türkischen Schulwesen als erste und als zweite Fremdsprache angebo-
ten. Als erste Fremdsprache hat Deutsch an den staatlichen Schulen im Primarbereich
einen eher geringen Stellenwert. An einigen wenigen Privatschulen des Primarbereichs in
den Metropolen wird Deutsch als erste Fremdsprache angeboten und hat ein hohes Ge-
wicht. Auch im Sekundarbereich sind ähnliche Entwicklungen zu erkennen. Während
1820 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Deutsch in den staatlichen Gymnasien und auch in den Berufsgymnasien als erste
Fremdsprache einen Rückgang erlebt, hat es als erste Fremdsprache in einigen wenigen
deutschsprachigen Anadolugymnasien und Privatgymnasien ein hohes Prestige. Diese
Gymnasien haben wegen ihrer guten Unterrichtsqualität ein hohes Ansehen in der Öf-
fentlichkeit und werden von vielen Eltern bevorzugt, selbst wenn hier nicht Englisch,
sondern Deutsch als erste Fremdsprache angeboten wird. So erfüllen diese Schulen be-
züglich der sprachenpolitischen Entwicklungen der Türkei eine bedeutende Funktion, da
mit ihnen eine andere Sprache als Englisch die Möglichkeit bekommen hat, sich in der
Schulwirklichkeit auszubreiten. Allerdings ist hier gleich zu unterstreichen, dass die Zahl
dieser Schulen landesweit relativ gering ist. Von den 823 Anadolugymnasien türkeiweit
bieten 30 Deutsch als erste Fremdsprache an und relativ wenige Schüler haben die Mög-
lichkeit, von diesem Schultyp zu profitieren, da der Zugang in diese Schulen durch eine
zentrale Aufnahmeprüfung erschwert wird.

2.2.2. Deutsch als zweite Fremdsprache

Deutsch hat im türkischen Schulwesen als zweite Fremdsprache beachtenswerte Chan-


cen. In den meisten Schulen des Primar- und Sekundarbereichs, wo Englisch als erste
Fremdsprache angeboten wird, wird gegenwärtig von den meisten SchülerInnen als die
zweite Fremdsprache Deutsch gewählt. Diese Position des Deutschen zeigt sich besonders
an den fremdsprachlich orientierten Gymnasien des Sekundarbereichs 2, an denen die
zweite Fremdsprache seit dem Schuljahr 2004/2005 als obligatorisches Fach eingeführt
wurde. Die sprachenpolitischen Entscheidungen der Europäischen Union, dass den
SchülerInnen mehr als eine Fremdsprache im Schulwesen angeboten werden sollte, hat
in der Türkei gerade für die deutsche Sprache eine große Bedeutung, weil der Fremdspra-
chenbedarf des Landes gegenwärtig die Konstellation Deutsch nach Englisch fordert.
Wenn wir von der These von Bausch (1990: 12) ausgehen, dass „die schulische Ausbil-
dung ,individueller Mehrsprachigkeiten‘ mit dem Erlernen der zweiten Fremdsprache
ihren Anfang nimmt“, so ist es zu sagen, dass in der Türkei dem Deutschen eine Schlüs-
selfunktion zukommt. Denn die Förderung der Konstellation Deutsch nach Englisch
könnte „als ein[en] Beitrag zur Förderung der Mehrsprachigkeit und als eine Vorausset-
zung für die angestrebte Sprachen- und Kulturenvielfalt betrachtet werden“ (Tapan
2004: 310).
Resümierend lässt sich sagen: Als erste Fremdsprache kann Deutsch im türkischen
Schulwesen mit dem Englischen nicht konkurrieren und hat einen vergleichsweise gerin-
gen Stellenwert. Als zweite Fremdsprache nach dem Englischen hat es jedoch beträchtli-
che Entwicklungschancen, und keine andere Sprache kann zurzeit noch im türkischen
Schulwesen mit dem Deutschen als zweite Fremdsprache konkurrieren. Für die gegen-
wärtigen schulsprachenpolitischen Diskussionen um die Realisierung neuerer Konzepte
wie schulische Mehrsprachigkeit und um die Umsetzung neuer didaktisch-methodischen
Richtlinien wie die Tertiärsprachendidaktik in die schulische Praxis ist es relevant, dass
Deutsch seine gegenwärtige Position bewahrt und sich weiterentwickelt.
Zu den Maßnahmen für einen effektiveren Deutschunterricht gehört unter anderem
auch die Verbesserung der Unterrichtsqualität. Die Diskussion um die Verbesserungs-
möglichkeiten des Deutschunterrichts muss die Ausbildung der DeutschlehrerInnen ein-
beziehen, weil die Effektivität im schulischen Bereich in erster Linie von gut qualifizierten
230. Deutsch in der Türkei 1821

LehrerInnen abhängt. Wie werden die türkischen Deutschlehramtstudierenden qualifi-


ziert? Diese Frage wird hier mit der Beschreibung des Ausbildungsprozesses der türki-
schen DeutschlehrerInnen beschrieben.

3. Deutsch an der Hochschule am Beispiel der Ausbildung


türkischer DeutschlehrerInnen

3.1. Curriculare Entwicklungen au institutioneller Ebene

Durch die Reformen im Jahre 1997 erfuhr das türkische Schulwesen eine Neustrukturie-
rung, deren Konsequenzen sich im universitären Bereich bei der Lehrerausbildung zeig-
ten. Im Studienjahr 1998/99 wurden vom Hochschulrat verbindlich für alle Pädagogi-
schen Fakultäten der Türkei, wo Lehrer ausgebildet werden, Curricula eingeführt, durch
die die Lehrerausbildungsprogramme (auch die Programme für Deutschlehrerausbil-
dung) grundlegend reformiert wurden.
Bis 1998 konnten in der Türkei sowohl die Absolventen der Germanistikabteilungen
an den Philosophischen Fakultäten als auch die Absolventen der Deutschlehrerausbil-
dung an den Pädagogischen Fakultäten nach dem vierjährigen Studium gleich mit dem
Lehrberuf anfangen.1998 löste sich die Deutschlehrerausbildung als eine unabhängige
Fachrichtung von der Germanistik. Zwischen den beiden Studiengängen gibt es jetzt eine
klare Trennung sowohl auf struktureller als auch auf inhaltlich-fachdidaktischer Ebene.
Alle Absolventen der Deutschlehrerausbildung haben das Recht, nach dem Studium
gleich mit dem Lehrberuf anzufangen und sowohl auf der Primar- als auch auf der
Sekundarstufe als DeutschlehrerInnen tätig zu werden. Dagegen müssen diejenigen Ger-
manistikabsolventen, die als DeutschlehrerInnen arbeiten wollen, nach dem traditionel-
len Germanistikstudium noch ein dreisemestriges Zusatzstudium im Rahmen der päda-
gogischen Fakultäten absolvieren, wo die Gewichtung auf pädagogischen Fächern und
der Fachdidaktik liegt. Das Zusatzstudium wird aber erst dann genehmigt, wenn sich im
Lande Bedarf an DeutschlehrerInnen zeigt. Außerdem können nicht alle Absolventen
der Germanistik an dem Zusatzstudium teilnehmen, weil das Kontingent begrenzt ist.
Diese Voraussetzungen stellen sicherlich einen Nachteil für die Germanistikabsolventen
dar. Deshalb haben die germanistischen Studiengänge seit dem Strukturwandel einen
Rückgang erlebt. Die Position des Studienganges für Deutschlehrerausbildung wendete
sich hingegen zum Positiven, weil hier die Absolventen eine Berufsperspektive als
DeutschlehrerInnen haben. Zurzeit gibt es an den 67 Pädagogischen Fakultäten der
Türkei 17 Abteilungen für den Studiengang Deutschlehrerausbildung, die jährlich jeweils
circa 50 Studierende aufnehmen. Das Vorhandensein derartiger Studiengänge zeigt, dass
in der Türkei ein beträchtlicher akademischer Bereich besteht, um Deutschlehrer auszu-
bilden. Hier stellt sich nun die Frage, ob diese Absolventen die Möglichkeit haben, nach
dem Studium als DeutschlehrerInnen tätig zu werden. Ausgehend von der gegenwärtigen
Sprachenpolitik der Türkei ist es schwierig, diese Frage mit Ja zu beantworten. Die Kon-
sequenzen wirken sich im Allgemeinen negativ auf die Berufsaussichten der Deutschleh-
rerInnen aus. Eine geringe Anzahl von Absolventen der Deutschlehrerausbildung hat die
Chance, in einer Schule mit Deutsch als erster Fremdsprache eine Stelle zu finden. Durch
die Einführung der zweiten Pflichtfremdsprache in den Gymnasien ändern sich jedoch,
1822 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

wenn auch langsam, die Bedingungen des Deutschunterrichts im positiven Sinne. Da-
durch ist die Zahl der Deutschlernenden an den Schulen erheblich gestiegen, womit sich
auch der Bedarf an DeutschlehrerInnen erhöht hat. Folglich können die Absolventen
der Studiengänge für Deutschlehrerausbildung jetzt mit besseren Berufsaussichten rech-
nen, wenn auch als LehrerInnen für Deutsch als zweite Fremdsprache.

3.2. Curriculare Entwicklungen au achlicher Ebene


Mit der Neustrukturierung 1998 wurden die Lehrprogramme für die Ausbildung der
DeutschlehrerInnen radikal erneuert. Der Ausgangspunkt für diese Revision war die
Überlegung, dass die Lehrprogramme vor 1998 in Bezug auf den Lehrberuf einige Män-
gel aufwiesen und die Lehramtsstudierende nicht zureichend auf ihren Beruf vorbereite-
ten, weil sie stark germanistisch ausgerichtet waren. Bei einer effektiven Deutschlehrer-
ausbildung darf aber das germanistische Fachwissen kein Selbstzweck sein, das Lehrpro-
gramm sollte bezüglich des Lehrberufs strukturiert werden. Neuner (2003: 25) weist in
diesem Zusammenhang auf ein integratives Modell hin und spricht von zwei Ausbil-
dungsfeldern: „das der Vermittlung fachsystematischen Wissens und das der Vermittlung
berufsorientierten Wissens und Könnens“. Bei dem revidierten Lehrprogramm für die
Ausbildung der türkischen DeutschlehrerInnen ist es durchaus möglich, von einem sol-
chen integrativen Modell zu sprechen. Der wichtigste Unterschied zwischen dem früheren
und dem revidierten Curriculum liegt darin, dass die Schwerpunktsetzung des neuen
Programms spezifisch die angehenden Deutschlehrer im Blick hat, und „der Aspekt der
Berufsorientiertheit jetzt als klares Leitbild im Vordergrund steht“ (Polat und Tapan
2002: 56). Folglich könnte hier behauptet werden, dass das neue Curriculum ein Potential
darstellt, das es ermöglicht, die angehenden türkischen DeutschlehrerInnen auf ihre zu-
künftige Berufstätigkeit effektiv vorzubereiten. Die Effektivität im Ausbildungsprozess
der LehrerInnen wirkt sich sicherlich auch auf die Effektivität im schulischen Deutschun-
terricht aus.

4. Schlussbemerkung
Ausgehend von der hier beschriebenen Situation der deutschen Sprache im Schul- und
Hochschulbereich ist zu sagen, dass der Bereich Deutsch als Fremdsprache in der Türkei
einen festen Platz hat. Von der gegenwärtigen Position des Deutschen sollte bei den
sprachenpolitischen Entwicklungen profitiert werden, wenn man die Sprachenpalette in
der Türkei ausweiten und zeitgemäße Ausbildungskonzepte in die Praxis umsetzen
möchte. Eine zeitgemäße Ausbildung der DeutschlehrerInnen würde dabei zur Weiterent-
wicklung des Deutschen in der Türkei und zur Realisierung solcher Konzepte beitragen.

5. Literatur in Auswahl
Bausch, Karl-Richard und Karin Kleppin
1990 Thesen und Empfehlungen zu den Besonderheiten des Lehrens und Lernens von Deutsch
als zweiter Fremdsprache. In: Karl-Richard Bausch und Manfred Heid (Hg.), Das Lehren
231. Deutsch in der Ukraine 1823

und Lernen von Deutsch als zweiter oder weiterer Fremdsprache: Spezifika, Probleme, Per-
spektiven, 11⫺18. Bochum: Brockmeyer.
National Education Statistics, Formal Education
2007 Ankara (http://oks2007.meb.gov.tr).
Neuner, Gerhard
2003 Curriculumentwicklung für die Ausbildung von DeutschlehrerInnen und Hochschuldo-
zentInnen im Bereich Deutsch als Fremdsprache. In: Gerhard Neuner (Hg.), Internationa-
les Qualitätsnetz Deutsch als Fremdsprache, Tagungsdokumentation 2002, 15⫺26. Kassel:
Druckerei der Universität Kassel.
Polat, Tülin und Nilüfer Tapan
2003 Neustrukturierungen im Prozess der Deutschlehrerausbildung in der Türkei. In: Gerhard
Neuner (Hg.), Internationales Qualitätsnetz Deutsch als Fremdsprache, Tagungsdokumen-
tation 2002, 53⫺66. Kassel: Druckerei der Universität Kassel.
Tapan, Nilüfer
2004 Überlegungen zur Realisierung eines mehrsprachigen Ausbildungskonzepts im türkischen
Schulwesen. In: Manfred Durzak und Nilüfer Kuruyazıcı (Hg.), Interkulturelle Begegnun-
gen, 303⫺316. Würzburg: Könighausen-Neumann.

Nilüfer Tapan, Istanbul (Türkei)

231. Deutsch in der Ukraine


1. Stellenwert und Rolle der deutschen Sprache in der Ukraine
2. Die Bildungsreform 2002
3. Deutsch an Schulen
4. Hochschulwesen, Bologna-Reformen und das DaF-Studium
5. Spezifische Probleme
6. Erwachsenenbildung
7. Literatur in Auswahl

1. Stellenwert und Rolle der deutschen Sprache in der Ukraine

Intensive wirtschaftliche, politische und wissenschaftlich-technische Beziehungen zwi-


schen Deutschland und der Ukraine erklären die große Bedeutung des Deutschen an den
ukrainischen Schulen und Universitäten. Die Deutschkenntnisse verbessern in der Ukra-
ine die Berufschancen; 2007 haben in der Ukraine ca. 1500 deutsche Firmen gearbeitet,
ins Land sind etwa 6,5 Md. Euro Investitionen aus Deutschland eingegangen. Der zweite
Grund, warum die deutsche Sprache immer attraktiver für die Ukrainer wird, ist die
Möglichkeit, in Deutschland zu studieren oder Forschung zu betreiben, besonders nach-
dem die Gebühren für das Studium in der Ukraine gestiegen sind.
1824 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

2. Die Bildungsreorm 2002


Das Bildungssystem der Ukraine hat sich seit Beginn der Unabhängigkeit verändert und
sich dabei zunehmend an Westeuropa orientiert. Den Rahmen für die Bildungsreform
bildet seit April 2002 die nationale Doktrin zur Entwicklung der Bildung. Zuständig ist
auf allen Ebenen von der Vorschulerziehung bis hin zu den Universitäten das Ministe-
rium für Bildung und Wissenschaft, das die Bildungsstandards und -programme entwi-
ckelt und vorgesetzte Behörde für die Institutionen und deren Schnittstelle zu staatlichen
und internationalen Organisationen ist.

3. Deutsch an Schulen
Die Anteile der Fremdsprachen im sowjetischen schulischen Betrieb wurden in Form von
Quoten festgelegt (50 % Englisch, 20 % Deutsch, 20 % Französisch, 10 % Spanisch). In
der unabhängigen Ukraine nimmt die deutsche Sprache unter den in den Schulen erlern-
baren Fremdsprachen weiter den zweiten Platz ein, allerdings mit großem Abstand hinter
Englisch, aber deutlich vor Französisch.

Tab. 231.1: Verteilung der Schüler nach der Anzahl der Fremdsprachen
Studienjahre 2000/01 2002/03 2004/05 2006/07
Zahl der Schüler, die 4.774.992 5.003.541 4.876.795 4.175.003
eine Fremdsprache
lernen
Schüler mit zwei und 216.539 275.818 318.888 460.134
mehr Fremdsprachen

Tab. 231.2: Verteilung nach Fremdsprachen


Fremdsprachen/Anzahl 2000/01 2002/03 2004/05 2006/07
der Schüler
Englisch 3.972.482 4.417.174 4.426.821 4.048.551
Deutsch 820.992 903.633 767.140 737.409
Französisch 364.484 347.824 284.499 257.241
Spanisch 12.953 13.469 12.640 14.391
andere Sprachen* 13.109 30.169 18.836 21.359
* zu den anderen Sprachen gehören Chinesisch, Japanisch, Indisch, Türkisch, Latein.

Deutsch wird heute an 7.641 Schulen (37 % aller Schulen) angeboten, an denen etwa
10.000 Deutschlehrer tätig sind. Insgesamt gibt es in der Ukraine 29 Schulen mit er-
weitertem Deutschunterricht, darunter 17 Schulen, die am Programm des Deutschen
Sprachdiploms (DSD) teilnehmen. An diesen Schulen arbeiten 16 Lehrkräfte aus
Deutschland. Im Moment erhalten jedes Jahr etwa 200 Schüler das DSD-Diplom, Ten-
denz steigend. Es werden auch Schulpartnerschaften aufgebaut, z. B. von Münchner und
Kiewer Schulen. Die Ursachen für die im Vergleich zur Größe und Bevölkerung relativ
niedrige Zahl von deutsch-ukrainischen Schulpartnerschaften liegen in der schwierigen
sozioökonomischen Situation der Durchschnittsbevölkerung der Ukraine, die einen Aus-
231. Deutsch in der Ukraine 1825

tausch auf der Basis der Gegenseitigkeit erschweren. Hinzu kommen das marginale Wis-
sen über das Land sowie das Problem der Sprache: Ukrainisch ist in den Schulen die
Staatssprache. Die deutschen Gymnasien, die Russisch-Unterricht anbieten, wählen als
Partner meistens die Russische Föderation, da die Ukraine und ihre kulturellen Potenti-
ale für eine Zusammenarbeit oft nicht bekannt sind.

4. Hochschulwesen, Bologna-Reormen und das DaF-Studium

Zur Zeit wird in der Ukraine die Studienlandschaft weiter umgekrempelt. Seit 2003 wer-
den an den 50 ukrainischen Hochschulen die Studiengänge auf das gestufte BA/MA-
System umgestellt und modularisiert. Es ist allerdings fraglich, ob externe Hindernisse
für eine weitgehende Mobilität von Studierenden durch die Umsetzung der Bologna-
Beschlüsse wirklich abgeschafft werden können: Für Austauschprogramme müssen die
Studierenden aus der Ukraine ein Einreisevisum für das betreffende Land beantragen,
das nicht immer bewilligt wird. Außerdem gelten die Sokrates- und Erasmusprogramme
für die Ukraine nicht, was zur Folge hat, dass viele Germanistikstudierende und
Deutschlehrende kaum Möglichkeiten zur Weiterbildung haben. Stipendien, die einen
Auslandsaufenthalt überhaupt ermöglichen, werden nur in begrenzter Anzahl angeboten.
Derzeit sind an 61 ukrainischen Hochschulen und Universitäten DaF-Studiengänge
eingerichtet (Stand 2004). Die häufigsten Profile und Abschlüsse sind: Germanist und/
oder Fremdsprachenlehrer für zwei Fremdsprachen (meistens ist die zweite Fremdspra-
che Englisch, aber auch Schwedisch, Holländisch, Griechisch); Theorie und Praxis des
Dolmetschens/Übersetzens; Deutsch in Kombination mit einem anderen Fach (Psycholo-
gie, Jura, Wirtschaft, Diplomatie etc.). An einigen Hochschulen werden Zusatzqualifika-
tionen angeboten, wie z. B. Weltliteratur; an manchen pädagogischen Universitäten ⫺
Fachlehrer für Ukrainisch, Kunst oder für andere Fächer. Diese Zusatzqualifikationen
werden in einem integrierten Studium erworben. Die Zahl der Fremdsprachenstudieren-
den ist beträchtlich. Das bestätigen auch die Zahlen der Bewerber um die fremdsprachli-
chen Studienplätze an den großen Universitäten (2008 bis elf Bewerber pro Studien-
platz).
Die Eingangskontrolle für das Bachelor-Studium Deutsch als Fremdsprache besteht
in Form der Aufnahmeprüfungen. Ab 2009 sollen statt der Prüfungen die Noten der
Unabhängigen Außenprüfung angerechnet werden. Diese Prüfung sollte ein ukrainisches
Pendant zum deutschen Prüfunssystem darstellen. Es besteht auch die Möglichkeit bei
erfolgreich bestandenen Aufnahmeprüfungen im Falle des Misserfolgs beim Studien-
platzwettbewerb kostenpflichtig zu studieren.
Als Zulassungsvoraussetzung für das Master-Studium Deutsch als Fremdsprache gilt
ein erfolgreicher BA-Abschluss (gute und ausgezeichnete Noten in Zwischenprüfungen
und in der BA-Abschlussprüfung). Die Dauer des Studiums beträgt für BA-DaF 8 Se-
mester, für MA-DaF 2 Semester. Die Magisterstudienplätze sind begrenzt; 50 % sind
gebührenpflichtig und 50 % werden vom Staat finanziert.
Zu den Studienschwerpunkten gehören: sprachpraktischer Unterricht in Deutsch
(1. FS) und die 2. FS; philologische Fächer: kontrastive Linguistik, allgemeine Sprach-
wissenschaft, Literaturwissenschaft, Gotisch, Geschichte der linguistischen Theorien,
germanistische Sprachwissenschaft, kontrastive Sprachwissenschaft, theoretische Phone-
1826 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

tik, Grammatik, Lexikologie, Stilistik, Geschichte der Weltliteratur, Literaturtheorie, La-


tein (Vorlesungen und Seminare); Lehr-/Lerntheoretische Fächer: Methodik/Didaktik,
Theorie und Praxis des Übersetzens/Dolmetschens, Pädagogik, Psychologie; allgemein-
bildende Fächer: ukrainische Literatur, Grundlagen der Rhetorik und Soziologie. Alle
oben genannten Fächer gehören zu den Pflichtmodulen. Es gibt keine Möglichkeit zu
einem selbstgesteuerten Studienverlauf. Zu den Wahlpflichtmodulen gehören nur die
3. FS und die Module, die dem Thema der Masterarbeit entsprechen. Für beide Studien-
gänge ist das Unterrichtspraktikum an Schulen und Hochschulen obligatorisch. Die Stu-
dienfächer in den ersten 6 Semestern sind modularisiert. In bestehenden Curricula wer-
den semesterbezogen alle Prüfungen und Testate vorgeschrieben. Das bedeutet, dass Stu-
dierende diese Prüfungen und Testate im entsprechenden Semester ablegen müssen, sonst
werden sie exmatrikuliert.
Die Forschungslandschaft ist mannigfaltig. Meistens sind es aktuelle Probleme der
Germanistik, der interkulturellen Kommunikation, sowie allgemeine Probleme der Opti-
mierung des fremdsprachlichen Deutschunterrichts an unterschiedlichen Bildungseinrich-
tungen.
Seit 1993 ist in der Ukraine der Ukrainische Deutschlehrer- und Germanistenverband
tätig. Seine Hauptziele bestehen in der Qualitätspflege des Deutschunterrichts in der
Ukraine, in fachspezifischer Entwicklung, Aus- und Fortbildung von Lehrkräften und
des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie der Förderung der interkulturellen Begegnun-
gen innerhalb und außerhalb der Ukraine sowie die Herausgabe der Fachzeitschrift
Deutsch als Fremdsprache in der Ukraine (DaFiU).

5. Speziische Probleme
Unter den spezifischen Problemen sind folgende zu nennen ⫺ administrative: ungenü-
gende staatliche Finanzierung der Bildungseinrichtungen und der Wissenschaft; die Ab-
wertung des sozialen Status der Forschung- und Lehrtätigkeit; soziale Folgen der Einfüh-
rung der gebührenpflichtigen Hochschulbildung; der Bachelor-Abschluss gilt laut der
geltenden Gesetzgebung nicht als berufsqualifizierendes Studium, dementsprechend ist
der rechtliche Status des Bachelors nicht geregelt ⫺ 2006 wurden nur 13,9 % der Bache-
lors angestellt; curriculare: starrer Aufbau der Curricula, ein winziger Spielraum für
wahlweise obligatorische Fächer, unausgewogenes Verhältnis zwischen fach-/berufsbezo-
genen und allgemeinbildenden Fächern; fehlende Bildungsstandards für fremdsprachli-
che Studiengänge und als Folge keine Gesamtkonzeption für die Philologen- und Fremd-
sprachenlehrerausbildung.

6. Erwachsenenbildung
Die begrenzten Möglichkeiten des Erlernens der deutschen Sprache in den Schulen haben
zu einer verstärkten Nachfrage in der Erwachsenbildung geführt. Als zusätzliche Mög-
lichkeiten des Deutschlernens gibt es zahlreiche private Sprachkurse. Dort werden so-
wohl die traditionellen als auch alternative Methoden des Fremdsprachenerlernens ange-
boten. Die Qualität der Vermittlung der Fremdsprachen in solchen Kursen bleibt frag-
232. Deutsch in Ungarn 1827

lich. Die größte Anziehungskraft übt das Angebot des Goethe-Instituts aus, das 1993 die
Arbeit in der Ukraine aufgenommen hat: Jährlich besuchen über 3000 Menschen diese
Kurse in Kiew. In 16 weiteren ukrainischen Städten arbeiten Sprachlernzentren, die auto-
nome Partner des Goethe-Instituts sind und Deutschkurse nach den Qualitätsstandards
des Goethe-Instituts anbieten.

7. Literatur in Auswahl
Borisko, Natalia
2006 Ukrainische DaF-Studiengänge im Bologna-Prozess. In: Hiltraud Casper-Hehne, Uwe
Koreik und Annegret Middeke (Hg.), Die Neustrukturierung von Studiengängen „Deutsch
als Fremdsprache“: Probleme und Perspektiven, 81⫺90. Göttingen: Universitätsverlag.
Kyjak, Taras
2007 Was ist „Germanistik in der Ukraine“? In: Germanistik in der Ukraine. Jahrheft 1: 6⫺10.
Oguy, Oleksandr
2003 Germanistik und Deutsch als Fremdsprache in der Ukraine. In: Info DaF 30: 447⫺466.

Oksana Pavlychko, Kiew (Ukraine)

232. Deutsch in Ungarn


1. Zum Wert der Fremdsprachen in Ungarn
2. Der Grundschul- und Mittelschulbereich
3. Der Hochschulbereich
4. Der Bereich der Forschung
5. Organisationen und Organe der überregionalen Zusammenarbeit
6. Die Ungarndeutschen
7. Literatur in Auswahl

1. Zum Wert der Fremdsprachen in Ungarn


Bis zum politischen Systemwechsel im Jahre 1989 fungierte in Ungarn das Russische in
allen Schulen und Schultypen als Pflichtfach. Mit der Abschaffung des Russischen als
Pflichtsprache fanden die westlichen Fremdsprachen Eingang in die Schule. Der von
einem Tag auf den anderen entstandenen großen Nachfrage stand am Anfang ein mage-
res Angebot gegenüber, denn bis 1989 wurden für die Grundschulen nur Russischlehrer
ausgebildet. Der gestiegenen Nachfrage versuchte man durch unterschiedliche Maßnah-
men gerecht zu werden, z. B. durch Umschulung der Russischlehrer; durch Erhöhung
der Zahl der Studierenden im Fach Deutsch, Englisch usw.; durch Gründung neuer
Fremdsprachenlehrstühle, d. h. durch institutionellen sowie personellen Umbau des
Hochschulwesens und durch die schnellere (6-semestrige) Ausbildung von Fremdspra-
1828 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

chenlehrern (vgl. Forgács 1999: 33). Mehr Russischlehrer haben in der Umschulung das
Deutsche anstelle des Englischen gewählt, was damit erklärt werden kann, dass sie be-
reits in der Mittelschule Deutsch gelernt hatten. In der sozialistischen Ära wurde nämlich
neben dem obligatorischen Russisch Deutsch bevorzugt gewählt, meist weil die ehemalige
DDR als Reiseziel für Touristen oder für Gastarbeiter erreichbar war. Dies hatte eine
deutliche Auswirkung auf die Russischlehrerumschulung, die die Fremdsprachenland-
schaft auf Grundschulebene anfangs wesentlich bestimmt hat: In vielen Schulen, beson-
ders in kleineren Orten, wurde deshalb Deutsch „gewählt“, weil keine andere Sprache
angeboten werden konnte. Bis heute hat sich jedoch die Fremdsprachenlandschaft we-
sentlich verändert: Auf allen Unterrichtsebenen ist Englisch die Fremdsprache Nummer
eins (vgl. Oktatásstatisztikai évkönyv 2007/2008: 23⫺24; Petneki 2006). Das Deutsche
kann zwar seinen zweiten Platz behaupten, aber der Abstand wird immer größer (vgl.
Forgács 2002).
Einerseits wegen der Maßnahmen, die man nach der politischen Wende für die Ver-
besserung der Fremdsprachensituation im Lande eingeführt hat, andererseits wegen der
negativen demographischen Tendenzen gibt es keinen Mangel mehr an Fremdsprachen-
lehrern.

2. Der Grundschul- und Mittelschulbereich


In den ungarischen Grundschulen ist Fremdsprachenunterricht erst ab der vierten Klasse
obligatorisch und in manchen Schulen wird nur eine Fremdsprache angeboten. Diese
Fremdsprache ist dann Englisch, denn die Schulen sind verpflichtet, ihren Schülern die
Möglichkeit zu geben, Englisch lernen zu können. Dies bedeutet, dass Englisch praktisch
als obligatorische Fremdsprache unterrichtet wird (vgl. Hessky 2008: 15). Deutsch wurde
bereits 1999 durch das Englische überholt (vgl. Csizér, Dörnyei und Németh 2001; vgl. auch
Petneki 2007: 10⫺13). Das Englische hat ein höheres Prestige, daneben gilt es als mor-
phologisch nicht so komplex wie das Deutsche, es gilt daher auch als leichter erlernbar.
Die Unterrichtsmethoden haben sich sowohl im Grundschul-, als auch im Mittel-
schulbereich wesentlich verändert: Die konventionelle Grammatik-Übersetzungsme-
thode mit dem expliziten Grammatiklernen im Mittelpunkt ist in den Hintergrund gera-
ten. Nun sind die kommunikative Methode und der interkulturelle Ansatz richtungswei-
send (kritisch dazu Hessky 2008: 14): Das Ziel sollte sein, brauchbare Sprachkenntnisse
zu vermitteln (vgl. können statt kennen). Die Stichwörter sind dabei u. a. Projektarbeit,
Dramenpädagogik und Lernerorientiertheit. Zwischen 2004 und 2007 sind eine Reihe
neuer Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien entstanden, welchen diese neue Fremdspa-
chenkonzeption zu Grunde liegt. Problematisch erscheint, dass man auf die altbewährten
Unterrichtsmethoden verzichtet, die Lehrtraditionen als überholt betrachtet und dass
zwischen dem schulischen Fremdsprachenunterricht und den Erwartungen auf dem Ar-
beitsmarkt weiterhin eine Kluft besteht (vgl. Petneki 2007: 33⫺37).

3. Der Hochschulbereich
Das Hochschulwesen hat in Bezug auf Deutsch sowohl mit quantitativen als auch mit
qualitativen Problemen zu kämpfen. Diese Probleme betreffen sowohl Deutsch als
Fremdsprache in den unterschiedlichsten Ausbildungen (Jura, Medizin, Wirtschaft usw.),
232. Deutsch in Ungarn 1829

als auch die germanistische Ausbildung. Die Zahl der Studienanfänger im Fach Germa-
nistik verringert sich von Jahr zu Jahr deutlich: Im Frühling 2008 haben landesweit nur
gut 250 Direktstudenten Germanistik im Hauptfach gewählt, ein gutes Drittel davon in
Budapest, der Rest an weiteren 6 Universitäten und Hochschulen in anderen Städten
(vgl. Kegelmann 2008: 21).
Der Rückgang zeichnete sich bereits im Studienjahr 2002/2003 deutlich ab, als die ⫺
im Jahre 1991 eingeführte ⫺ dreijährige Fremdsprachenlehrerausbildung landesweit ein-
gestellt wurde. Es handelte sich dabei um ein intensives Ein-Fach-Studium mit etwa 16
fachgebundenen Wochenstunden. Trotz der zahlreichen Vorteile und Beliebtheit dieser
Ausbildungsform bei den Studierenden wurde sie abgeschafft. Während dieses dreijährige
Studium ein einjähriges integriertes Schulpraktikum beinhaltete und Lehrbefähigung er-
teilte, enthält das jetzige dreijährige Grundstudium (Bachelor) in seinen 180 ECTS insge-
samt nur 10 ECTS, die auf Fachdidaktik bezogen und nicht obligatorisch sind. Der
Widerspruch ist deutlich: Die Fremdsprachenkenntnisse der ungarischen Bevölkerung
lassen vieles zu wünschen übrig. In den Studienabteilungen der Universitäten und Hoch-
schulen stapeln sich die Diplome, die deshalb nicht vergeben werden können, weil die
Absolventen die obligatorische(n) Sprachprüfung(en) noch immer nicht abgelegt haben.
Um diese Defizite auszugleichen, brauchte man berufsorientiert ausgebildete Sprachleh-
rer. Eine professionelle, auf den Lehrerberuf ausgerichtete Fremdsprachenlehrerausbil-
dung sollte schon von Anfang an eine fremdsprachendidaktische Komponente enthalten.
Dazu kommt noch ein anderes qualitatives Problem: Es gibt große Divergenzen bei den
Studienanfängern sowohl in den Sprachkenntnissen als auch in ihren kognitiven Fähig-
keiten und in der Leistungsbereitschaft.
Die Einführung des neuen Ausbildungssystems hatte auch für die germanistischen
Lehrstühle schwerwiegende Konsequenzen: Da sowohl das Bachelor- als auch besonders
das Master-Studium an den philosophischen Fakultäten der Universitäten etabliert wur-
den, wurden Lehrstühle mit wertvollen Traditionen an pädagogischen Hochschulen ein-
fach geschlossen oder der Lehrkörper drastisch reduziert (vgl. z. B. Hessky 2008: 16;
Szendi 2008: 25).
Das neue Ausbildungssystem im Sinne des Bologna-Vertrages wurde in Ungarn im
Studienjahr 2006/2007 eingeführt: Das Fach Germanistik musste an allen germanisti-
schen Lehrstühlen des Landes neu akkreditiert werden, neue Curricula mussten erarbei-
tet werden, vorerst nur für das Bachelor-Studium mit 6 Semestern Studienzeit und mit
180 ECTS (davon 120 fachgebundene ECTS im Hauptfach Germanistik). Gleichzeitig
mussten auch das Curriculum für Deutsch als Minorfach (50 ECTS) bzw. die Curricula
für die verschiedenen Spezialisierungen (jeweils 50 ECTS) ausgearbeitet werden. Die
Lehrerausbildung für den Primarbereich ist von der Umstellung nicht betroffen.
Die Umstellung und der Start nach dem neuen System war ⫺ und ist immer noch ⫺
mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden (vgl. z. B. Szendi 2008). Die Reformmüdig-
keit war und ist ebenfalls ein sehr wichtiger Faktor (vgl. Hessky 2008: 14).
Wie erläutert ist der Bedarf an Deutschlehrern im Lande gedeckt. Hinzu kommt, dass
viele Absolventen auch dann nicht unterrichten würden, wenn sie eine Stelle in einer
Schule bekämen: Der Lehrerberuf hat ⫺ wegen der schlechten Bezahlung und der fehlen-
den gesellschaftlichen Anerkennung ⫺ kein hohes Prestige (vgl. Feld-Knapp 2004: 441).
Deshalb müsste man in der neuen Ausbildungsform auch solche Angebote haben, die
den BA-Absolventen ermöglichen, auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu bekommen. In
Wirklichkeit sieht es jedoch so aus, dass die traditionellen philologischen Kurse des alten
1830 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Angebots vielfach in einen neuen Rahmen „hineingepresst“ wurden, von „Output-Orien-


tierung“ ist oftmals keine Spur (vgl. auch Kegelmann 2008: 22). Das wird weder den
sprachlichen Defiziten der Studienanfänger noch ihrer Berufsorientierung gerecht. Das
Grundstudium endet mit einem berufsqualifizierenden Abschluss „germanistischer Fach-
referent“ mit der jeweiligen Ausrichtung, wobei diese Bezeichnung vielfach kritisiert
wird, und es ist fraglich, was der Wert eines solchen Bachelor-Abschlusses sein wird. Im
Antrag für die Gründung des Bachelor-Studienganges Germanistik wird die Notwendig-
keit der Ausbildung sog. germanistischer Referenten damit begründet, dass auf dem Ar-
beitsmarkt vielfältig qualifizierte und mit sehr guten Deutschkenntnissen ausgerüstete
Fachleute benötigt werden, die z. B. in der Presse, im Fremdenverkehr oder in unter-
schiedlichen Bereichen der Wirtschaft eingesetzt werden können. Sie sollen sich im Stu-
dium nicht nur allgemeine philologische, germanistische Fachkenntnisse und Sprach-
kenntnisse auf hohem Niveau (Stufe C1 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenz-
rahmen) aneignen, sie sollen nicht nur über übergreifende Kenntnisse über die
Geschichte, Kultur und Literatur der deutschen Sprachgemeinschaft verfügen, sondern
auch mit anderen Kenntnissen und Kompetenzen ausgerüstet sein, z. B. im Bereich Über-
setzen, Dolmetschen oder Lexikographie. Diese letztgenannten praxisorientierten Kom-
petenzen kommen allerdings zu kurz.

4. Der Bereich der Forschung


Mit der Umstrukturierung des Hochschulwesens und somit auch der germanistischen
Ausbildung sind neben den traditionellen Forschungsthemen auch neue, vor allem inter-
disziplinäre Fragestellungen ins Zentrum der wissenschaftlichen Forschungen gerückt.
In Sprachgeschichte, Phonetik, Phonologie, Grammatik, Lexikologie, Phraseologie
und (formaler und kognitiver) Semantik wird nach wie vor Forschung betrieben, aller-
dings mit neuen Forschungsmethoden. Akzentuierte Bereiche sind die Varietätenlingu-
istik, im Bereich der Dialektologie vor allem die ungarndeutsche Dialektforschung. Im
Rahmen der interkulturellen Linguistik werden Zwei- und Mehrsprachigkeitsphänomene
untersucht, auf dem Gebiet der Kontaktlinguistik Deutsch als Minderheitensprache, z. B.
Sprachenmischungsphänomene. Interkulturalität und Kontrastivität haben sich als zwei
Schlüsselwörter herauskristallisiert. Die kontrastiven Untersuchungen erleben einen Auf-
schwung sowohl im Bereich der Grammatik (Morphologie und Syntax) als auch in dem
der Lexikologie und der Textlinguistik. In der kontrastiven Grammatik seien die Valenz-
forschungen besonders hervorgehoben. Im Sinne der pragmatischen Wende in der Lehre
zeigen sich auch in der Forschung neue Akzentsetzungen: Die Translatologie blüht, und
dementsprechend auch die ⫺ vor allem zweisprachige ⫺ Lexikographie. In den letzten
Jahren sind eine Reihe wertvoller Lernerwörterbücher und Fachlexika publiziert worden.
Die Forschungen im Bereich der Literaturwissenschaft erstrecken sich von der älteren
bis hin zur zeitgenössischen deutschsprachigen, vor allem österreichischen Literatur. Die
ungarndeutsche Literatur wird ebenfalls intensiv erforscht. Hervorzuheben sind die semi-
otischen, intertextuellen und narratologischen Analysen literarischer Texte sowie Kom-
paratistik bzw. auch die kulturwissenschaftlich akzentuierten literaturwissenschaftlichen
Forschungen.
Auch im Bereich der Fachdidaktik zeichnen sind neue Trends ab: Im Mittelpunkt der
Forschung stehen Themen wie z. B. Projektunterricht, Dramenpädagogik und vor allem
232. Deutsch in Ungarn 1831

interkulturelle Kommunikation, genauer: Vermittlung von interkultureller Kompetenz in


den DaF-Lehrwerken und im DaF-Unterricht, Landeskunde im Dienste der interkultu-
rellen Kommunikation usw.

5. Organisationen und Organe der überregionalen


Zusammenarbeit

Seit Beginn der 1990er Jahre existiert der Ungarische Deutschlehrerverband (UDV ) mit
dem Ziel, im schulischen Deutschunterricht eine landesweite Kooperation zu sichern (vgl.
Feld-Knapp 2004: 441⫺442). Der Verband organisiert Tagungen, Konferenzen, Lehrer-
fortbildungen und gibt die Zeitschrift Deutschunterricht für Ungarn (DUfU ) aus und ist
Mitglied des Internationalen Deutschlehrerverbandes (IDV). Die Organisation im wis-
senschaftlichen Bereich trägt den Namen Gesellschaft ungarischer Germanisten (GUG).
Diese organisiert ebenfalls wissenschaftliche Konferenzen, hält den Kontakt zu internati-
onalen Organisationen bzw. veröffentlicht in Zusammenarbeit mit dem DAAD das Jahr-
buch der ungarischen Germanistik. Dieses überaus renommierte Periodikum enthält nicht
nur wissenschaftliche Beiträge zu Sprach- und Literaturwissenschaft und Didaktik, son-
dern gibt auch umfassende Informationen über Aktivitäten aller germanistischen Lehr-
stühle in Ungarn: über veranstaltete Konferenzen, über Lehraufträge und Forschungs-
aufenthalte ungarischer Germanisten im Ausland, über die Aufenthalte ausländischer
Germanisten im Lande. Des Weiteren enthält das Jahrbuch die bibliographischen Anga-
ben aller Publikationen zu Germanistik/DaF im Lande vom vorhergehenden Jahr.

6. Die Ungarndeutschen

In Ungarn leben 12 nationale Minderheiten, unter denen die Deutschen nach der Volks-
zählung von 2001 die größte Gruppe bilden. Man könnte annehmen, dass dieser Um-
stand einen positiven Einfluss auf die Position des Deutschen als Fremdsprache ausüben
würde. Tatsächlich aber ist das Ungarndeutschtum durch ein abgeschwächtes Nationali-
tätenbewusstsein und fortgeschrittene Assimilation zu charakterisieren. Ihre diasporische
Lage, die Altersstruktur dieser Minderheitengruppe und das Zurückdrängen des Deut-
schen in die Privatsphäre beschleunigen die Assimilation der Ungarndeutschen in die
ungarische Mehrheitsbevölkerung. Oft bildet sich nicht einmal eine doppelte, sondern
nur eine singuläre Identität aus, nämlich eine ungarische. Für das Ungarndeutschtum
insgesamt ist eine Triglossie charakteristisch, es werden nämlich drei sprachliche Codes
verwendet: 1) das Ungarische; 2) die deutsche Hochsprache und 3) der ungarndeutsche
Dialekt, wobei die Priorität bei der Verwendung dieser Codes stark generationsabhängig
ist. Die ungarndeutsche Mundart wird durch die deutsche Standardsprache ersetzt, weil
sie nur in informellen Kommunikationssituationen verwendet werden kann und weil sie
nicht weiter tradiert und mit dem Absterben der alten Generation einfach zum Erinne-
rungsgut wird. Die ungarndeutsche Mundart ist von der Muttersprache zur „Großmut-
tersprache“ geworden (vgl. Forgács 2002: 20⫺23). Nun lernt die jüngste ungarndeutsche
Generation in der Schule Hochdeutsch. Wie weit das Standarddeutsche zur „Mutterspra-
1832 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

che“ und dadurch zum Identitätsfaktor der Ungarndeutschen werden kann, ist schwer
zu prognostizieren, wie es auch überaus fraglich ist, ob die Ungarndeutschen zur Verbes-
serung der Position des Deutschen als Fremdsprache beitragen können (vgl. Forgács
2004).
Hinter die optimistische Äußerung von Knipf-Komlósi würden wahrscheinlich viele
ein virtuelles Fragezeichen setzen. Sie ist nämlich davon überzeugt, „dass die deutsche
Sprache in Ungarn in der nahen wie auch in einer weiteren Zukunft ihre gegenwärtige
doppelte Rolle als Fremdsprache und als Minderheitensprache beibehalten kann und
diese zweifache, oft nicht leichte Aufgabe auch meistern wird“ (Knipf-Komlósi 2004:
446). Seit dieser hoffnungsvollen Äußerung sind allerdings 6 Jahre vergangen, und die
heutige Diagnose ist besorgniserregend. Es ist eine dringende, wirkungsvolle „Therapie“
erforderlich (vgl. Hessky 2008: 13, 15).

7. Literatur in Auswahl

Csizér, Kata, Zoltán Dörnyei und Nóra Németh


2001 Az idegen nyelvek tanulásával kapcsolatos attitűdök változása az általános iskolások
körében az 1990-es évek Magyarországán. [Die Veränderung der Attitüden in Bezug auf
den Fremdsprachenerwerb unter Grundschülern im Ungarn der 1990er Jahre]. In: Mo-
dern Nyelvoktatás 4: 19⫺30.
Erb, Mária und Erzsébet Knipf
1999 Új lehetőségek és kihı́vások ⫺ új kommunikációs stratégiák? A magyarországi németek
körében végzett nyelvismereti felmérés tanulságai. [Neue Möglichkeiten und Herausfor-
derungen ⫺ neue Kommunikationsstrategien? Aufschlüsse einer unter Ungarndeutschen
durchgeführten Studie über Sprachkenntnisse]. In: Kisebbségkutatás 2: 176⫺187.
Feld-Knapp, Ilona
2004 Zukunftschancen der deutschen Sprache in Ungarn. In: Goltschnigg, Dietmar und Anton
Schwob (Hg.), Zukunftschancen der deutschen Sprache in Mittel-, Südost- und Osteuropa.
Grazer Humboldt-Kolleg 20.⫺24. November 2002, 137⫺140. Wien: Edition Praesens.
Forgács, Erzsébet
1999 Deutsch und Deutschlehrerausbildung in Ungarn. In: Didaktik Deutsch 6: 76⫺84.
Forgács, Erzsébet
2002 Das Deutsche als Weltsprache, Fremdsprache und Minderheitensprache an der Jahrtau-
sendwende. In: Erzsébet Forgács (Hg.), Die deutsche Sprache im vielsprachigen Europa
des 21. Jahrhunderts. Vorträge der internationalen germanistischen Konferenz in Szeged,
3.⫺5. September 2001, 8⫺28. Szeged: Grimm Verlag.
Forgács, Erzsébet
2004 Zum Status des Deutschen als Nationalitätensprache und Fremdsprache in Ungarn. In:
Österreichische Osthefte 4: 463⫺483.
Gehl, Hans
2007 Zum Gebrauch der deutschen Sprache in Ostmitteleuropa. In: Studia Germanica Universi-
tatis Vesprimiensis 2: 97⫺112.
Hessky, Regina
2008 Wo liegt der Hund begraben? Ein Beitrag von der Grenzlinie. In: Jahrbuch der ungarischen
Germanistik 2007: 13⫺20.
Kegelmann, René
2008 Nicht ganz subjektive Bemerkungen zum Zustand der Germanistik in Ungarn nebst eini-
gen Vorschlägen. In: Jahrbuch der ungarischen Germanistik 2007: 21⫺24.
233. Deutsch in den USA 1833

Kertész, András
2008 Sind germanistische Forschungen noch zu retten? Bemerkungen zur Situation der Geistes-
wissenschaften im Ungarn der Jahrtausendwende. In: Jahrbuch der ungarischen Germanis-
tik 2007, 30⫺44.
Knipf-Komlósi, Erzsébet
2004 Zur Variabilität der deutschen Sprache im heutigen Ungarn. In: Dietmar Goltschnigg
und Anton Schwob (Hg.), Zukunftschancen der deutschen Sprache in Mittel-, Südost- und
Osteuropa. Grazer Humboldt-Kolleg 20.⫺24. November 2002, 443⫺456. Wien: Edition
Praesens.
Szendi, Zoltán
2008 Wohin steuert die ungarische Germanistik? In: Jahrbuch der ungarischen Germanistik
2007, 25⫺29.
Petneki, Katalin
2006 Mit ér a nyelvtudás, ha nem angol? [Was ist die Fremdsprache wert, wenn es nicht Eng-
lisch ist?]. In: Modern Nyelvoktatás 2: 50⫺56.
Petneki, Katalin
2007 Az idegen nyelvek oktatása Magyarországon az ezredfordulón. [Der Fremdsprachenunter-
richt in Ungarn an der Jahrtausendwende]. Szeged: JATE Press.

Erzsébet Drahota-Szabó, Szeged (Ungarn)

233. Deutsch in den USA


1. Rolle des Deutschen und Deutschunterricht
2. DaF-Lehrer, Lehrerausbildung und Fortbildung
3. Forschung und Publikation
4. Probleme und Perspektiven des Fachs
5. Literatur in Auswahl

1. Rolle des Deutschen und Deutschunterricht


In der letzten Volkszählung aus dem Jahre 2000 gaben 1.383 Millionen Einwohner der
Vereinigten Staaten von Amerika an, Deutsch als Primär- bzw. Familiensprache zu nut-
zen. Deutsch lag damit auf dem fünften Platz der in den USA am häufigsten gesproche-
nen Erstsprachen (nach Englisch, Spanisch, Chinesisch und Französisch). Der Stellen-
wert des Deutschen als Muttersprache von Einwanderern ist jedoch rückläufig. Anfang
des letzten Jahrhunderts war Deutsch noch neben Englisch die am häufigsten gespro-
chene Sprache amerikanischer Immigranten.
In einer im Jahre 2000 durchgeführten landesweiten Umfrage im Rahmen des General
Social Survey gaben 26 % von 1.398 Befragten an, eine weitere Sprache neben Englisch
zu sprechen. 9 % von diesen 26 % gaben an, Deutsch zu sprechen. Damit war Deutsch
die am dritthäufigsten genannte Sprache nach Spanisch und Französisch, die von jeweils
20 % bzw. 15 % der zweisprachigen Befragten angegeben wurden. Allerdings gaben nur
1834 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

weniger als die Hälfte der Deutschkundigen an, Deutsch gut bzw. sehr gut zu beherr-
schen (Robinson, Rivers und Brecht 2006).
Aufgrund des dezentralisierten Bildungssystems der USA ist es schwierig, verlässliche
Daten zur Anzahl fremdsprachenlernender Schüler an den regional verwalteten Schulen
zu bekommen. An den öffentlichen Schulen werden Fremdsprachen meist erst in der
Sekundarstufe angeboten, so dass amerikanische Kinder und Jugendliche, wenn über-
haupt, erst relativ spät mit dem Lernen einer Fremdsprache beginnen. Oft werden auch
nur eine oder zwei Fremdsprachen angeboten. An vielen Sekundarschulen gelten Fremd-
sprachen nicht als Pflichtfach und werden allenfalls als Wahlfach geführt. Als Gründe
für den vergleichsweise niedrigen Stellenwert von Fremdsprachen im amerikanischen Bil-
dungssystem werden meist andere Prioritäten in der schulischen Ausbildung (wie z. B.
naturwissenschaftliche Fächer), finanzielle Engpässe und Mangel an qualifizierten (zerti-
fizierten) Lehrern angegeben.
Eine auf das Jahr 2000 zurückgehende Untersuchung zum Fremdsprachenunterricht
an öffentlichen Schulen zeigt, dass 33,8 % der fast sieben Millionen Schüler der Klassen-
stufen 7⫺12 einen Fremdsprachenkurs belegten. Davon waren 68,7 % Spanisch-, 18,3 %
Französisch- und 4,8 % Deutschkurse (Draper und Hicks 2002). An den High Schools
(in den Klassenstufen 9⫺12) belegten 43,8 % der Schüler Fremdsprachenkurse. 2,1 %
aller High School Schüler lernten Deutsch, wiederum die am dritthäufigsten gelernte
Sprache. Deutsch war vor dem Eintritt der USA in den ersten Weltkrieg noch die an
den High Schools am häufigsten unterrichtete moderne Fremdsprache. Im Jahre 1915
belegten beachtliche 24,4 % aller High School Schüler Deutschkurse.
Eine Folge des (wenn überhaupt, dann) spät einsetzenden, wenig kontinuierlichen
und nicht immer optimal durchgeführten Fremdsprachenunterrichts an den Sekundar-
schulen ist, dass Studierende an den Hochschulen mit einem relativ niedrigen Niveau ihr
Fremdsprachenstudium fortsetzen bzw. ganz neu beginnen. Fast 80 % der im Jahre 2006
deutschlernenden Studierenden waren in Anfängerkursen (dem ersten bzw. zweiten Jahr
DaF-Unterricht) eingeschrieben. Nur 20,6 % der eingeschriebenen Studierenden belegten
Deutsch auf fortgeschrittenem Niveau, d. h. ab drittem Jahr aufwärts (Furman, Goldberg
und Lusin 2007).
Es kann davon ausgegangen werden, dass die DaF-Lernenden mit den fortgeschrit-
tensten Kenntnissen während ihrer High School- oder Hochschulausbildung einen länge-
ren Auslandsaufenthalt in einem deutschsprachigen Land absolviert haben. Leider gibt
es keine Angaben zur Anzahl amerikanischer High School-Schüler, die ein Schuljahr
in deutschsprachigen Ländern absolviert haben. Eine solche frühe Auslandserfahrung
scheint jedoch besonders prägend und effektiv für die sprachliche und kulturelle Ent-
wicklung der Lernenden zu sein. Im universitären Bereich steht Deutschland als Aus-
landsstudienland an 8. Stelle nach Großbritannien, Italien, Spanien, Frankreich, China,
Australien und Mexiko. Im Studienjahr 2007/2008 absolvierten 8.253 amerikanische Stu-
dierende ein kurz- oder längerfristiges Auslandsstudium in Deutschland. Das sind 3,1 %
von insgesamt 262.416 amerikanischen Studierenden, die in jenem Jahr einen Auslands-
aufenthalt absolvierten (Institute of International Education 2009).
Der Anteil der Einschreibzahlen für DaF-Kurse am Gesamtangebot für Fremdspra-
chen an amerikanischen Hochschulen ist seit Jahrzenten rückläufig, was der seit 1958
regelmäßig durchgeführten Untersuchung der Modern Language Association (MLA) zu
den Einschreibzahlen amerikanischer Universitätsstudenten in Fremdsprachenkursen
entnehmbar ist. Mit 6 % der eingeschriebenen Fremdsprachenstudierenden liegt Deutsch
233. Deutsch in den USA 1835

auf dem dritten Platz wiederum hinter Spanisch (52,2 %) und Französisch (13,1 %) und
dicht gefolgt von American Sign Language (der amerikanischen Gebärdensprache), Italie-
nisch (beide jeweils 5 %) und Japanisch (4,2 % der eingeschriebenen Studierenden). Ob-
gleich sich die Einschreibzahlen in DaF in den letzten 10 Jahren stabilisiert haben und
sich die Gesamtzahl der in Deutschkursen geführten Studenten sogar erhöht hat, ist zu
erwarten, dass der Anteil des DaF-Unterrichts an den Hochschulen weiter rückläufig
sein wird, einerseits wegen der wachsenden Dominanz des Spanischen als Fremdsprache
und andererseits wegen der aus sicherheitspolitischen Gründen initiierten Förderung von
Sprachprogrammen für Arabisch, Chinesisch, Russisch sowie seltener unterrichtete Spra-
chen Mittelasiens und Afrikas (Robinson, Rivers und Brecht 2006), welche sich negativ
auf etablierte Programme traditionell unterrichteter Sprachen auszuwirken beginnt.
Als Motive für das Deutschlernen geben High School- und Universitätsstudenten
meist affektive Faktoren an (Andress et al. 2002; Sinka und Zachau 2005). Instrumentelle
Motive (wie Relevanz des Deutschen für Arbeit oder Karriere) sind von sekundärer Be-
deutung. Im schulischen wie universitären DaF-Unterricht dominieren seit Mitte der
1980er Jahre kommunikative Ansätze die Unterrichtsmethodik. Es kann davon ausge-
gangen werden, dass die meisten amerikanischen DaF-Lehrerinnen und Lehrer eine Vari-
ante des kommunikativen Sprachunterrichts praktizieren, in dem sprachlicher Input, In-
teraktion und Kommunikation als wichtigste Aspekte des Unterrichts angesehen werden
und Grammatik unterstützend vermittelt wird (Schulz 2002: 12).

2. DaF-Lehrer, Lehrerausbildung und Fortbildung


Mit ihren etwa 5.000 Mitgliedern (Stand 2008) ist die American Association of Teachers
of German (AATG) eine der größten DaF-Lehrerorganisationen der Welt. 42 % der Mit-
glieder unterrichten an Sekundarschulen (Senior High Schools), 14 % in der Mittelstufe
(Middle School und Junior High), 4 % an Grundschulen, 32 % an Hochschulen, und 20 %
stehen in keinem Arbeitsverhältnis (AATG). Fast die Hälfte aller AATG-Mitglieder sind
im mittleren Westen und der zentralen Region des Landes tätig ⫺ die Regionen, die
traditionell auch den größten Anteil an deutschsprachigen Einwanderern aufweisen und
in denen auch am häufigsten Deutsch gelernt wird. Das Durchschnittsalter der Mitglie-
der ist relativ hoch, was zeigt, dass auch die Nachwuchszahlen der Deutschlehrenden
zurückgehen.
Etwa 400 Mitglieder nehmen im Durchschnitt an der Jahresversammlung der AATG
teil, die gemeinsam mit dem Kongress der Fremdsprachenlehrerorganisation ACTFL
(American Council on the Teaching of Foreign Languages) gehalten wird. Die AATG un-
terteilt sich in 61 regionale Sektionen (Local Chapters), deren Aufgabe es ist, Kontakte
zwischen DaF-Lehrern der verschiedenen Bildungseinrichtungen und -stufen herzustellen
bzw. aufrecht zu halten sowie die DaF-Lehrerweiterbildung zu koordinieren. Sieben
Goethe-Institute (in Atlanta, Boston, Chicago, Los Angeles, New York, San Francisco
und Washington DC) unterstützen die Arbeit dieser Sektionen v. a. durch in den letzten
Jahren geschaffene Trainer-Netzwerke, die verstärkt in der DaF-Lehrerweiterbildung ak-
tiv werden sollen.
Um als Deutschlehrer an einer öffentlichen Schule arbeiten zu können, absolvieren
Studierende meist universitäre Studiengänge in German Studies (vgl. Hohendahl 2003),
die mit einem Bachelor of Arts (BA) oder Master of Arts (MA) abgeschlossen werden.
1836 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Zusätzlich müssen die Studierenden bzw. Absolventen in der Regel ein Kursprogramm
in Pädagogik sowie ein Unterrichtspraktikum absolvieren, das zu einem Lehrzertifikat
führt, welches es ihnen ermöglicht, an öffentlichen Schulen im jeweiligen Bundesstaat zu
arbeiten. Die Studiengänge in German Studies beinhalten in erster Linie Sprach-, Litera-
tur- und Kulturkurse. Lehrveranstaltungen in angewandter Linguistik und Didaktik sind
seltener, obwohl sich deren Anzahl in den letzten Jahren erhöht hat.

3. Forschung und Publikation

Wer Fremdsprachenerwerbsforschung und/oder Didaktik zu DaF betreiben bzw. im


Hochschulsystem lehren möchte, absolviert entweder ein Doktorandenprogramm in Ap-
plied Linguistics, Second Language Acquisition, Foreign Language Education oder Ger-
man(ic) Linguistics und bewirbt sich dann an Deutschabteilungen für eine Stelle als
(angewandter) Linguist und/oder Direktor des deutschen Sprachprogramms, wo man oft
für die Betreuung und Ausbildung der Graduate Teaching Assistants (GTAs) verantwort-
lich ist. GTAs sind Master- und Ph.D.-Studierernde, die sich durch Unterrichtstätigkeit
ihr Studium finanzieren und den Großteil der Sprachkurse an den größeren amerikani-
schen Universitäten unterrichten.
Die Mehrheit der in den USA abgeschlossenen Promotionen zur deutschen Sprache
und Kultur beschäftigen sich mit literatur- bzw. kulturwissenschaftlichen Themen. In
mehreren Bestandsaufnahmen von „U.S. Doctoral Degrees Related to the Teaching of
German“ (Benseler 2007: 78), wurden 312 in den Jahren 2003 bis 2006 erschienene Dis-
sertationen aufgenommen (Benseler 2005, 2006, 2007). Von diesen Arbeiten befassten
sich meiner Ansicht nach 145 mit literarischen Themen, 60 mit kulturtheoretischen Prob-
lemen (z. B. Film, Geschichte, Philosophie) und 107 mit Fragen der theoretischen oder
angewandten Linguistik. Allerdings wurden in der letztgenannten Kategorie auch 77 Ar-
beiten zu anderen (Fremd)sprachen mit einberechnet. Nur etwa 30 Dissertationen unter-
suchten Aspekte der deutschen Sprache: 11 waren allgemeinsprachwissenschaftlicher Na-
tur, und 19 (nur 6,1 % der 312 erfassten Arbeiten) beschäftigten sich explizit mit Deutsch
als Fremdsprache.
Die AATG ist Sponsorin zweier Fachzeitschriften: Die seit 40 Jahren erscheinende
Unterrichtspraxis: Teaching German ist die Zeitschrift, die sich am intensivsten mit Pra-
xis, Theorie und Forschung des Fachs Deutsch als Fremdsprache in den Vereinigten
Staaten auseinandersetzt. Behandelte pädagogisch-didaktische Themen der letzten Jahre
waren u. a. die Analyse von Lehrbüchern und Materialien, curriculare Entwicklungen
und Vorschläge, innovative Lehrtechniken, Auslandsstudium, Lehrerausbildung, Inter-
net, Kultur, Musik und Literatur im Unterricht, die Entwicklung der vier Fertigkeiten
sowie das Verhältnis von Grammatikunterricht zu kommunikativem Unterricht. Studien
zur Zweitsprachenerwerbsforschung befassten sich z. B. mit dem Erwerb der Aussprache,
des Kasus, der Wortstellung in Nebensätzen, der Pluralformen, der Vergangenheitsbil-
dung, mit Lernfortschritten im Auslandsstudium, der Rolle metalinguistischer Bewusst-
heit, der Effektivität des Grammatikunterrichts, sowie mit natürlichen Erwerbssequenzen
für Morphologie und Syntax.
Das ebenfalls von der AATG geförderte und seit 1928 erscheinende German Quarterly
widmet sich interdisziplinären Studien der German Studies, wobei literaturwissenschaftli-
233. Deutsch in den USA 1837

che Beiträge dominieren. Weitere in den USA herausgegebene Zeitschriften zur Germa-
nistik/German Studies sind The German Studies Review, Monatshefte und Die Schatzkam-
mer. Artikel in den genannten Zeitschriften erscheinen überwiegend auf Englisch, obwohl
auch deutschsprachige Manuskripte eingereicht werden können. Beiträge zur Fremdspra-
chenerwerbsforschung und Methodik/Didaktik in DaF werden gelegentlich auch in eng-
lischsprachigen Zeitschriften wie z. B. der Modern Language Review, den Foreign Lan-
guage Annals und Studies in Second Language Acquisition sowie deutschsprachigen Zeit-
schriften wie der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht publiziert.

4. Probleme und Perspektiven des Fachs


Auf Probleme des DaF-Unterrichts in den USA wurde an unterschiedlichen Stellen hin-
gewiesen (Byrnes 1996; Davidheiser 2000; Schulz 2002). Die vier wichtigsten Probleme
können wie folgt zusammengefasst werden: Das erste und existenziellste Problem des
Fachs ist der sinkende Anteil von DaF-Studierenden im Verhältnis zu den Studierenden
anderer Fremdsprachen. Im Zusammenhang damit stehen Kürzungen im Budget der
Bildungseinrichtungen und ein relativ hohes Durchschnittsalter der DaF-LehrerInnen
des Landes. Finanzielle Engpässe, Förderung von neuen sicherheitspolitisch motivierten
Sprachprogrammen (z. T. auf Kosten etablierter Sprachprogramme) sowie Pensionierung
älterer Kollegen und folgender Nichtwiederbesetzung ihrer Stellen führen nicht selten
zur Schließung deutscher Sprachprogramme an Schulen und Universitäten.
Als zweites Problem kann die relativ niedrige erreichte Sprachkompetenz der DaF-
Lernenden angesehen werden. Diese hat ihre Ursachen in einem relativ spät einsetzen-
den, diskontinuierlich durchgeführten DaF-Unterricht an den öffentlichen Schulen und
Universitäten. Dem Sprachlernen im deutschsprachigen Ausland käme dementsprechend
eine besondere Bedeutung zu, um die Zahl von Deutschsprechern mit fortgeschrittenen
Kenntnissen zu erhöhen. Vor allem Schüler der High Schools und Studierende am An-
fang ihres universitären Studiums (Juniors) sollten verstärkt für Auslands- bzw. Aus-
tauschprogramme gewonnen werden.
Das dritte Problem betrifft die Lehrerausbildung. Sie dauert relativ lange, v. a. wenn
man den oft nicht im eigentlichen Studium integrierten Zertifizierungsprozess in Pädago-
gik und Unterrichtspraxis mit einberechnet. Die Fremdsprachenkompetenz der Lehrer
ist ebenfalls nicht immer befriedigend, was zum Teil auf den Mangel an sprachlichen
Anforderungen und Standards in den Studienprogrammen zurückzuführen ist.
Im Zusammenhang mit der Lehrerausbildung steht ein viertes Problem: Die relativ
traditionell ausgerichteten Germanistik- bzw. Deutschabteilungen der Universitäten, in
denen reine Sprachkurse die unteren Semester und Literaturkurse die höheren Semester
dominieren, sehen die Ausbildung von DaF-Lehrern nur selten als eine Priorität ihrer
Lehre an. Veranstaltungen zur angewandten Linguistik und Fremdsprachendidaktik wer-
den für auszubildende Lehrer zu wenig angeboten. Diese nicht nur für Germanistikpro-
gramme typische Struktur wurde kürzlich von einer Kommission der Modern Language
Association als veraltet und den gegenwärtigen Anforderungen nicht gerecht werdend
kritisiert (MLA Ad Hoc Committee on Foreign Languages 2007).
Entsprechend bestehen die wichtigsten Aufgaben für die Disziplin darin,
(1) DaF-Lernende zu gewinnen, zu motivieren und in den Sprachprogrammen zu hal-
ten,
1838 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

(2) früh einsetzende DaF-Programme zu schaffen, die auf der jeweils höheren Bildungs-
stufe ihre Fortsetzung finden sowie Schüleraustausch und Auslandsstudien vermehrt
anzubieten und mittels Stipendien zu fördern,
(3) die Lehreraus- und Weiterbildung zu verbessern und
(4) sie zu einer Priorität der universitären Germanistik/German Studies Abteilungen zu
machen.

5. Literatur in Auswahl
AATG Membership statistics for 2008. http://www.aatg.org/membership/217-statistics.
2009
Andress, Reinhard, Charles J. James, Barbara Jurasek et al.
2002 Maintaining the momentum from High School to College: Report and recommendations.
Die Unterrichtspraxis: Teaching German 35: 1⫺14.
Benseler, David P.
2007 Survey of U.S. Doctoral degrees related to the teaching of German ⫺ 2006. Die Unter-
richtspraxis: Teaching German 40: 78⫺81.
Benseler, David P.
2006 Survey of U.S. Doctoral degrees related to the teaching of German ⫺ 2003 and 2005.
Die Unterrichtspraxis: Teaching German 39: 100⫺106.
Benseler, David P.
2005 Survey of U.S. Doctoral degrees related to the teaching of German ⫺ 2004. Die Unter-
richtspraxis: Teaching German 38: 84⫺86.
Byrnes, Heidi
1996 The future of German in American education: A summary report. Die Unterrichtspraxis:
Teaching German 29: 253⫺261.
Davidheiser, James D.
2000 Deutschunterricht in den USA. Muttersprache 1: 12⫺24.
Draper, Jamie B. und June H. Hicks
2002 Foreign language enrollments in public secondary schools, fall 2000. Summary report. Yon-
kers, N.Y.: ACTFL.
Furman, Nelly, David Goldberg und Natalia Lusin
2007 Enrollments in languages other than English in United States institutions of higher educa-
tion, fall 2006. Web publication, 13 November 2007: The Modern Language Association
of America.
Hohendahl, Peter U. (Hg.)
2003 German Studies in the United States. New York: The Modern Languages Association.
Institute of International Education
2009 Open Doors report on international educational exchange (online): http://opendoors.
iienetwork.org/.
MLA Ad Hoc Committee on Foreign Languages
2007 Foreign languages and higher education: New structures for a changed world. New York:
The Modern Languages Association.
Robinson, John P., William P. Rivers und Richard D. Brecht
2006 Speaking foreign languages in the United States: Correlates, trends, and possible conse-
quences. The Modern Language Journal 90: 457⫺472.
Schulz, Renate A.
2002 German teaching in the United States: Past, present, and future. In: George F. Peters
(Hg.), Teaching German in America: Past Progress and Future Promise: A Handbook for
234. Deutsch in Vietnam 1839

Teaching and Research, 3⫺18. Cherry Hill, N.J.: American Association of Teachers of
German.
Sinka, Margit, M. und Reinhard Zachau
2005 An articulation study of post-secondary German students: Results, implications, and sug-
gestions. In: Catherine M. Barrette und Kate Paesani (Hg.), Language program articula-
tion: Developing a theoretical foundation, 94⫺108. Boston/M.A.: Heinle.

Peter Ecke, Tucson (USA)

234. Deutsch in Vietnam


1. Migrationsprozesse und Stellung des Deutschen
2. Institutionelle Förderung des Deutschen in Vietnam
3. Deutschunterricht und Germanistikstudium
4. Motive und Probleme vietnamesischer Deutschlerner
5. Literatur in Auswahl

1. Migrationsprozesse und Stellung des Deutschen

Die neuere Geschichte des Kulturaustauschs zwischen der Sozialistischen Republik Viet-
nam und Deutschland beginnt in den Jahren 1955/56 mit der Entsendung von ca. 300
vietnamesischen Schülern auf Einladung der damaligen DDR. Viele dieser Kinder, inzwi-
schen in Vietnam bekannt als die „Moritzburger“ nach dem Ort des Schulheims in der
Nähe von Dresden, haben im Anschluss an ihre Beschulung Studienabschlüsse in der
DDR erworben und sind in bedeutende Positionen innerhalb der vietnamesischen Poli-
tik, Wirtschaft und Wissenschaft vorgerückt. Sie bilden immer noch ein wichtiges Funda-
ment der deutsch-vietnamesischen Zusammenarbeit (vgl. Freytag 1998).
Die vietnamesische Zuwanderung in die DDR ist einerseits geprägt von der Entsen-
dung von ca. 5.000 vietnamesischen Studenten, andererseits vom 1980 einsetzenden Zu-
zug vietnamesischer Vertragsarbeiter (1990 befanden sich fast 60.000 Vietnamesen auf
dem Gebiet der ehemaligen DDR; vgl. Dennis, Kolinsky und Weiss 2005: 8). Der Zuzug
von Vietnamesen in die alten Bundesländer (Westdeutschland und Westberlin) basiert
hingegen auf Flüchtlingsströmen nach dem Anschluss der südlichen Republik Vietnams
an die nordvietnamesische Sozialistische Republik und vollzog sich ungelenkt. Bedingt
durch die Fluchtsituation war Deutschland für die Migranten in den seltensten Fällen
intendiertes Ziel, sondern ergab sich als Aufnahmeland eher zufällig, beispielsweise durch
den humanitären Einsatz des Schiffes Cap Anamour, welches gegen Ende der 1970er
Jahre um die 10.000 Flüchtlinge aus dem südchinesischen Meer rettete. Bis 1982 gelang-
ten „weit über 22.000“ (Beuchling 2003: 21) Vietnamesen als Bootsflüchtlinge in die alten
Bundesländer. Inklusive nachgezogener Familienangehöriger kann man von ca. 45.000
Personen ausgehen, die 1990 in Westdeutschland lebten.
1840 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Während die Bootsflüchtlinge zur Wendezeit bereits überwiegend erfolgreich in


Deutschland integriert waren, zogen zahlreiche Vertragsarbeiter nach der deutschen Wie-
dervereinigung aufgrund ihres zunächst ungeklärten Aufenthaltstatus und daraus resul-
tierenden politischen Drucks wieder nach Vietnam. Viele gelangten jedoch später über
Umwege wieder zurück nach Deutschland; wieder andere kamen aus angrenzenden ost-
europäischen Ländern hinzu, so dass sich Ende 2005 ca. 83.500 Vietnamesen auf dem
Bundesgebiet aufhielten. In dieser Zahl noch nicht erfasst sind ca. 45.000 vietnamesische
Staatsangehörige, die inzwischen in Deutschland eingebürgert wurden. Insgesamt ist zu
konstatieren, dass diese quantitativ bedeutsame Zuwanderung das Verhältnis von
Deutschland und Vietnam maßgeblich geprägt hat.
Nur vor diesem Hintergrund ist nachzuvollziehen, dass die deutsche Sprache in Viet-
nam nach Englisch als erster Fremdsprache inzwischen nahezu gleichauf liegt mit dem
aufgrund der Kolonialgeschichte weit verbreiteten Französisch als zweiter westlicher
Fremdsprache. Dabei ist das Französische wie auch das Japanische und das Russische
tendenziell rückläufig, während das Deutsche konstant nachgefragt wird. Mit Nastansky
sei jedoch einschränkend hinzugefügt, dass der von deutscher Seite häufig vernommene
Hinweis, „dass fast 100.000 Vietnamesen in Vietnam Deutsch sprechen (…) sehr wahr-
scheinlich übertrieben ist“ (Nastansky 2008: 138).

2. Institutionelle Förderung des Deutschen in Vietnam


Bereits ab Mitte der 1960er Jahre betrieben die DDR und Vietnam einen paritätischen
Austausch von Lektoren zur Unterstützung kooperierender Philologien (vgl. Praxentha-
ler 2002: 124), der freilich mit der Wende zum Erliegen kam. Die Sprachverbreitungspoli-
tik der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung begann 1992 mit der
Eröffnung eines DAAD-Lektorats in Ho-Chi-Minh-Stadt (HCMS). Dieses ursprüngliche
Sprachlektorat wurde inzwischen in ein IC-Lektorat umgewandelt und wird von einer
Sprachassistenz unterstützt.
In Hanoi wurde im Jahr 1999 ein Vietnamesisch-Deutsches Zentrum an der Techni-
schen Universität Hanoi eingerichtet, welches eine gut ausgestattete Deutschabteilung
mit ca. 400 Studierenden und, seit 2003, eine DAAD-Außenstelle beherbergt. Zudem
sind drei DAAD-Lektorate und eine Sprachassistenz in Hanoi angesiedelt.
Das Goethe-Institut Hanoi als größter und wichtigster Anbieter von Sprachkursen in
Vietnam eröffnete im Jahr 1997; eine gemeinsame Dependance vom DAAD und Goethe-
Institut in HCMS folgte 2003. Im Jahr 2008 wurden vom Goethe-Institut Vietnam ca.
4.500 Kursbuchungen verzeichnet. Auch die methodisch-didaktische Lehrerausbildung
liegt maßgeblich in der Verantwortung des Goethe-Instituts. Darüber hinaus existiert seit
2008 eine Vietnamesisch-Deutsche Hochschule in HCMS, deren Unterrichtssprache zwar
Englisch ist, allerdings sind dort ab 2009 auch fakultative Deutschkurse geplant. Neben
diesen institutionellen Anbietern agieren zahlreiche private Sprachschulen; so verzeichnet
im Jahr 2008 allein das „Deutschzentrum“ in HCMS 1.300 Kursbuchungen. Da diese
privaten Institute ihre Lehrkräfte gelegentlich unter den methodisch-didaktisch unerfah-
renen vietnamesischen Deutschland-Rückkehrern rekrutieren, kann wenig über die Qua-
lität der Ausbildung an diesen Schulen ausgesagt werden.
234. Deutsch in Vietnam 1841

3. Deutschunterricht und Germanistikstudium


3.1. Deutsch als Fremdsprache an vietnamesischen Schulen

Eine Tradition des Deutschunterrichts an Schulen existiert in Vietnam lediglich an der


Vietnamesisch-Deutschen Oberschule (Viêeø t-Íúc) und am Sprachbegabtengymnasium in
Hanoi, welches der Nationaluniversität angegliedert ist. Im Jahr 2008 konnte dort erst-
malig Deutsch als Abiturfach belegt werden. Inzwischen haben sechs weitere Schulen
ebenfalls Deutsch als zweite Fremdsprache eingeführt (Stand: August 2010). Sowohl das
Goethe-Institut als auch die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen streben an, im
Rahmen der Initiative „Schulen ⫺ Partner der Zukunft“ an jeweils fünf Schulen
Deutschunterricht einzuführen. Für diesen Zweck wurden bereits sowohl eine Fachbera-
terin als auch eine Bundesprogrammlehrkraft von der Zentralstelle für das deutsche Aus-
landsschulwesen entsandt. Darüber hinaus ist geplant, dass ab dem Schuljahr 2009/2010
eine „Deutsche Schule Vietnam“ den Unterrichtsbetrieb in HCMS aufnehmen wird, al-
lerdings vorerst ausschließlich für deutsche Staatsangehörige.

3.2. Deutsch als Fremdsprache und Germanistik an vietnamesischen


Universitäten

In HCMS gibt es lediglich eine Deutschabteilung, die an der Universität für Sozial-
und Geisteswissenschaften, einer zur Nationaluniversität HCMS gehörenden Institution,
angesiedelt ist. Insgesamt sind dort ca. 250 Studierende eingeschrieben. Für 880 weitere
Studierende werden zusätzlich vom Lehrpersonal Abendkurse angeboten.
In Hanoi wird ein grundständiges Deutschstudium an zwei öffentlichen Hochschulen
angeboten. Über 200 Studierende werden an der ambitionierten Deutschabteilung der
dortigen Nationaluniversität unterrichtet, welche mittelfristig den ersten Master im Fach
Deutsch mit einem Schwerpunkt auf Germanistischer Linguistik anbieten will. Hier liegt,
neben der Lehrbucherstellung, auch das wissenschaftliche Interesse des z. T. promovier-
ten Lehrpersonals. Die Studierenden erreichen nach dem zweiten Semester ein B1-Ni-
veau, nach drei Studienjahren wird ein C1-Niveau angestrebt. Dies ist insbesondere des-
halb bemerkenswert, da die Fachausbildung ⫺ wie in vielen grundständigen Studiengän-
gen an öffentlichen vietnamesischen Hochschulen ⫺ lediglich etwas mehr als die Hälfte
des Curriculums einnimmt. Hinzu treten zu jeweils knapp einem Viertel berufsbezogene
und fachfremde Lerninhalte (Methodik/Didaktik, Bildungsverwaltung; Ideologie Ho Chi
Minhs, Wehrerziehung usw.). Bei der anderen Hochschule mit einer Deutschabteilung
handelt es sich um die Universität Hanoi. Dort werden bei leicht zurückgehenden Ein-
schreibungen ca. 300 Studierende von 18 Lehrkräften unterrichtet, die größtenteils einen
Mastertitel führen. Schwerpunkt an dieser Hochschule ist Übersetzen/Dolmetschen.

4. Motive und Probleme vietnamesischer Deutschlerner


Jenseits der Auslandsgermanistik dominieren zwei Motive, in Vietnam Deutsch zu ler-
nen: Erstens benötigen seit Änderung der Vorschriften bei geplanter Eheschließung in
1842 XIX. Deutsch an Schulen und Hochschulen in nichtdeutschsprachigen Ländern

Deutschland („Nachzug zum zukünftigen Ehepartner“) zahlreiche Vietnamesen das zur


Visumserteilung notwendige Zertifikat „Start Deutsch 1“ des Goethe-Instituts (Niveau-
stufe A1). Zweitens ist nach wie vor für viele Vietnamesen ein Studium in Deutschland
attraktiv; somit wird von zahlreichen Lernern ein zum Studium (bzw. zum Studienkolleg)
in Deutschland qualifizierendes Niveau angestrebt.
Die größten Schwierigkeiten beim Erwerb des Deutschen treten einerseits beim Er-
werb der vergleichsweise komplexen Morphosyntax des Deutschen auf, andererseits bei
der Aussprache (vgl. Kelz 1982: 38). Dies mag wenig überraschen, da das Vietnamesische
als morphologisch isolierende Tonsprache mit sechs Tönen hinsichtlich Phonetik und
Syntax in großem Kontrast zum Deutschen steht.

5. Literatur in Auswahl
Beuchling, Olaf
2003 Vom Bootsflüchtling zum Bundesbürger. Migration, Integration und schulischer Erfolg in
einer vietnamesischen Exilgesellschaft. (Interkulturelle Bildungsforschung, Bd. 11). Müns-
ter u. a.: Waxmann.
Dennis, Mike, Eva Kolinsky und Karin Weiss
2005 Erfolg in der Nische? Die vietnamesischen Vertragsarbeiter in der DDR und in Ost-
deutschland. In: Karin Weiss und Mike Dennis (Hg.), Erfolg in der Nische? ⫺ Die vietna-
mesischen Vertragsarbeiter in der DDR und in Ostdeutschland, 7⫺13. (Studien zu Migra-
tion und Minderheiten, Bd. 13). Münster: Lit.
Freytag, Mirjam
1998 Die „Moritzburger“ in Vietnam: Lebenswege nach einem Schul- und Ausbildungsaufenthalt
in der DDR ⫺ Vermitteln in interkulturellen Beziehungen. Frankfurt a. M.: IKO.
Kelz, Heinrich P.
1982 Deutschunterricht für Südostasien. Analysen und Konzepte. Bonn: Dümmler.
Nastansky, Heinz-Ludwig
2008 Hanoi. In: Deutscher Akademischer Austauschdienst (Hg.), Berichte der Außenstellen
2007, 127⫺149. Bonn: DAAD.
Praxenthaler, Martin
2002 Die Sprachverbreitungspolitik der DDR. Die deutsche Sprache als Mittel sozialistischer
auswärtiger Kulturpolitik. (Duisburger Arbeiten zur Sprach- und Kulturwissenschaft 47).
Frankfurt a. M.: Lang.

Ingo Schöningh, Seoul (Republik Korea)


Indices

Sachregister

A Asociación Argentina de Germanistas (AAG)


1610
Anfängergrammatik 301 Asociación de Profesores de Alemán en
ABCD-Thesen 25, 52, 168, 1423, 1468, 1501, Colombia (APAC) 1711
1502 Asociación Mexicana de Profesores de Alemán
Ableitung (Wortbildung) 229, 232, 240, 369, (AMPAL) 1743
Aspekt 209, 256, 588, 596, 636, 656, 675,
469, 482, 483, 533, 534, 785, 948, 1055
690, 694, 695, 716, 721, 723, 727, 728, 785
affektive Faktoren 746, 1835
Assimilation (gesellschaftlich) 58, 887, 904,
agensabgewandt 470, 512, 513
1125, 1139, 1496, 1548, 1831
Agensneutralität 512
Assimilation (Phonetik) 196, 420, 421, 451,
agglutinierend(e Sprachen) 207, 562, 594,
570, 588, 675, 689, 695, 727, 1003
602, 719, 733
Associação Portuguesa de Estudos
Akkomodation 904
Germanı́sticos (APEG) 1769
Akkulturation 1437
Associação Portuguesa de Professores de
Akkulturationsmodell/-hypothese 746, 761,
Alemão (APPA) 1769
867, 887
Association for German Studies (AGS) 1677
Aktionsart 484, 588, 716, 727
Association of Language Testers in Europe
Aktionsforschung 765, 848, 1366, 1370,
(ALTE) 114, 118, 171, 916, 929, 1291,
1371, 1372, 1373, 1374, 1375, 1418
1304, 1306
Akzentuierung (Phonetik) 190, 196, 332, 364,
Attributionen 1153, 1155
409, 570
Audiolinguale Methode (ALM) 541, 796,
akzentzählend(e) Sprache 197, 588, 662, 674,
902, 941, 983, 1201, 1202, 1216, 1457
727
Audiovisuelle Medien 1200, 1207, 1243
Alexander von Humboldt-Stiftung 134
Aufgabenorientierung 943, 997, 1943, 1167,
Allgemeinwortschatz 237, 238, 239
1168, 1170
Alphabetisierungskurs 64, 158, 1075, 1096, Ausdrucksgrammatik 299
1100, 1101, 1117, 1119, 1123, 1124, 1126 Ausdrucksökonomie 460, 478, 484
Ambiguitätstoleranz 5, 746, 855, 1437, 1488, Auslandsgermanistik 3, 19, 20, 36, 37, 136,
1727 1259, 1345, 1415, 1520, 1521, 1522, 1560,
American Association of Teachers of German 1613, 1696, 1716, 1739, 1764, 1765, 1841
(AATG) 1835, 1836 Auslandsschulen 27, 47, 48, 58, 59, 89, 103,
American Council on the Teaching of Foreign 104, 141, 147, 1050, 1633, 1710, 1741
Languages (ACTFL) 1835 Aussprache 57, 190, 191, 193, 229, 231, 238,
Anglizismen 415, 435, 443, 506 241, 310, 349, 350, 353, 362, 364, 365, 369,
Anglophonisierung 493 377, 378, 390, 420, 422, 429, 443, 482, 524,
Angst 746, 795, 827, 876, 877, 879, 880, 881, 540, 551, 552, 563, 569, 570, 588, 603, 604,
934, 973, 986, 987, 988, 989, 1060, 1069, 616, 621, 635, 636, 649, 661, 669, 675, 682,
1080, 1108, 1127, 1163, 1331, 1333, 1364, 689, 706, 714, 727, 728, 734, 745, 831, 836,
1428, 1429 838, 839, 869, 871, 873, 902, 903, 964, 970,
Antizipation 324, 971, 974, 1206 974, 980, 983, 984, 999, 1000, 1001, 1002,
Arbeitskreis Deutsch als Fremdsprache / 1003, 1004, 1005, 1231, 1243, 1246, 1302,
Deutsch als Zweitsprache in der Schweiz 1501, 1502, 1523, 1593, 1599, 1727, 1836,
(AkDaF) 21, 161, 163, 164 1842
Artikelsprache 539, 1111 Austriazismen 360, 366, 367, 691
1844 Indices

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Binnendifferenzierung 510, 857, 1182, 1186,


(AKBP) 134, 135, 137, 146, 150 1360, 1439, 1502, 1533, 1557, 1671
Auswärtiges Amt (AA) 45, 1702, 1755 Blended Learning 7, 1048, 1051, 1193, 1197,
Automatisierung 525, 528, 797, 808, 809, 1228, 1236, 1618
817, 943, 944, 947, 949, 950, 973, 974, 976, Bologna-Prozess 104, 1341, 1348, 1561,
983, 986, 989, 1004, 1014, 1042, 1063, 1122, 1663, 1768, 1800
1244, 1531 Bund-Länder-Ausschuss für schulische Arbeit
Autonomes Lernen 163, 918, 981, 1160 im Ausland (BLASCHA) 137
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) 67, 110, 111, 115, 144, 147, 149,
151, 1076, 1079, 1096, 1097, 1100, 1102,
B 1119, 1295, 1300, 1359, 1360, 1361, 1384,
1480, 1481, 1489
Basic Interpersonal Communicative Skills
(BICS) 744, 745, 749
Bedarfsanalyse 1054, 1097, 1102, 1148, 1300
C
Belgischer Germanisten- und
Deutschlehrerverband (BGDV) 1623 C-Test 775, 1280, 1281
Berufsausbildung 162, 1055, 1079, 1119, Centro Germano-Argentino 1610
1604, 1608, 1710, 1747, 1748 Chat-Kommunikation 426, 436
Berufsfeld 13, 14, 15, 17, 28, 42, 1055, 1147, Cloze-Test 1279, 1280
1149, 1150, 1342, 1343, 1343, 1347, 1348, Code-shifting 374, 434
1349, 1433, 1704, 1718, 1731, 1816 Codeswitching/Code-switching 333, 374, 506,
Bewusstmachung (implizit, explizit) 175, 181, 1733
318, 520, 525, 526, 527, 528, 557, 846, 847, Cognitive Academic Language Proficiency
859, 860, 863, 950, 974, 1045, 1081, 1149, (CALP) 744, 745, 749
1576 Computer Assisted Language Learning
Bild(er) (Arbeit mit B.) 275, 287, 306, 311, (CALL) 1206, 1210, 1211
504, 511, 595, 506, 796, 821, 949, 961, 978, Computer Mediated Communication (CMC)
1027, 1179, 1200, 1203, 1204, 1207, 1216, 1210
1219, 1231, 1243, 1244, 1245, 1246, 1248, Computerunterstützes Feedback 1206
1253, 1254, 1385, 1388, 1462, 1482, 1508, Content and Language Integrated Learning
1526, 1569, 1596, 1597, 1598, 1599 (CLIL) 1040, 1050, 1053, 1656
Bildungskooperation 46, 135, 141, 1618, Content and Language Integrated Learning in
1681, 1711, 1755 German (CLILiG) 40, 1050, 1051, 1052,
Bildungssprache (Deutsch als) 35, 40, 65, 1758
179, 181, 496, 892, 1035, 1047, 1048, 1131, critical period hypothesis 867, 868
1665 Cultural Studies 1418, 1442, 1443, 1449,
Bildungssprache (Latein als) 468 1450, 1513, 1524, 1816
Bildungsstandards 3, 81, 762, 763, 910, 934, Curriculumentwicklung 2, 63, 64, 68, 147,
1034, 1035, 1264, 1267, 1268, 1269, 1270, 921, 923, 924, 925, 929, 930, 953, 1085,
1274, 1322, 1341, 1384, 1398, 1735, 1824, 1096, 1719
1826 Curriculumtheorie 921, 922, 923, 924, 927,
bilinguale Schulen 47, 148, 1664, 1749, 1810 1773
bilinguale Studiengänge 1633
bilingualer Unterricht / b. Angebote 15, 39,
40, 566, 586, 879, 898, 899, 1038, 1050, D
1139, 1141, 1599, 1600, 1706, 1772
Bilingualismus 67, 131, 610, 730, 805, 891 DACH(L) 76, 85, 86, 142, 170, 1248, 1495,
Bilingualismusforschung 67, 747, 764, 1699 1500, 1501, 1502, 1504, 1509
binationale Schule 1810 DaF-/DaZ-Ausbildung 13, 60, 75, 83, 145,
binationale Studiengänge 14, 17, 39, 1712 155, 1076, 1077, 1078, 1079, 1082, 1333,
Sachregister 1845

1340, 1342, 1343, 1344, 1345, 1357, 1361, Deutschsprachiger Fachunterricht (DFU) 40,
1387, 1581 147, 1050
Deixistheorie 256, 262 Deutschtest für Zuwanderer (DTZ) 150,
Deklination 206, 208, 209, 225, 229, 231, 1103, 1284, 1299, 1300, 1301, 1304, 1481
552, 554, 571, 596, 609, 617, 642, 669, 700, Dialekt 80, 84, 85, 161, 117, 178, 191, 237,
708 344, 345, 346, 347, 348, 349, 350, 351, 353,
Dependenzgrammatik / Valenzgrammatik 354, 360, 362, 363, 364, 373, 374, 375, 380,
295, 654, 667, 926 382, 385, 386, 387, 388, 389, 390, 392, 394,
Derivation 228, 239, 553, 572, 590, 676, 691, 395, 400, 401, 402, 403, 415, 420, 422, 428,
696, 716 439, 531, 533, 602, 628, 642, 668, 677, 692,
Destandardisierung 346, 350, 391 903, 1201, 1505, 1667, 1771, 1776, 1780,
Deutsch als dritte Fremdsprache 1616, 1726 1830, 1831
Deutsch als zweite oder weitere (dritte) Dialektbewertung 394
Fremdsprache 25, 826, 827, 1269 Dialekte, deutsche 346, 347, 388
Deutsch als Zweitsprache (Fach) 183, 307, Dialekte, deutschschweizer 373
744, 749, 805, 925, 928, 933, 987, 1042, digitale Medien 15, 1185, 1193, 1203, 1204,
1046, 1054, 1074, 1085, 1089, 1090, 1091, 1205, 1207, 1210, 1211, 1228, 1244, 1355
1092, 1096, 1097, 1100, 1106, 1188, 1155, Diglossie 83, 114, 161, 162, 346, 374, 377,
1183, 1189, 1199, 1221, 1222, 1223, 1254, 381, 532
1267, 1299, 1307, 1311, 1333, 1334, 1336, Digressivität 499
1346, 1349, 1357, 1348, 1455, 1469, 1480, Diskurs (Gesprächsführung als Lerngegenstand)
1568, 1578 265, 266, 267, 269, 270, 276, 287, 327, 328,
Deutsch als Zweitsprache in der Schweiz 80, 406, 412, 498, 505, 510, 512, 891, 928, 933,
83, 114, 163, 167, 1358, 1359 935, 984, 987, 1131, 1134, 1386
Deutsch als Zweitsprache in Deutschland 2, Diskursanalyse, funktional-pragmatische
3, 4, 9, 14, 19, 23, 54, 63, 55, 66, 67, 68, 258, 265, 267, 692, 777, 1365, 1367, 1386,
167, 1344, 1359, 1361 1436, 1493, 1494
Deutsch als Zweitsprache in Österreich 73, Diskursarten 182, 183, 509, 510, 512, 514,
74, 75, 76, 77, 78, 154, 155, 167, 1342, 536, 598, 599
Deutsche Pädagogische Vereinigung (DPV) Diskurskompetenz 1131
1807 Diskurslinguistik 177, 181, 275, 1418
Deutsche Sprachprüfung für den Hochschul- Distanzlernen 1193, 1196, 1197
zugang (DSH) 148, 490, 1282, 1292, 1296 Distanzsprachlichkeit 419
Deutsche Welle (DW) 134, 144 Dolmetscherausbildung, s. Übersetzer-
Deutscher Akademischer Austauschdienst ausbildung
(DAAD) 2, 10, 38, 45, 46, 47, 135, 136, Doppelterminologie 483
144, 147, 150, 151, 166, 1592, 1609, 1610, Drama / Dramapädagogik 1589, 1590, 1591,
1617, 1618, 1635, 1659, 1669, 1678, 1684, 1592, 1593, 1691, 1692, 1813
1688, 1691, 1697, 1708, 1711, 1712, 1722, Dualform 534
1727, 1742, 1746, 1754, 1755, 1779, 1807,
1808, 1817, 1831, 1840
Deutscher Volkshochschulverband (DVV)
925, 926 E
Deutschlandbild 134, 1383, 1423, 1424, 1467,
1514, 1515, 1633 E-Mail-Kommunikation 266, 285, 353, 414,
Deutschlehrerausbildung 13, 14, 54. 60, 77, 415, 419, 422, 426, 436, 461
693, 694, 697, 1076, 1077, 1345, 1346, 1347, Eidgenössische Kommission für Migrations-
1348, 1609, 1634, 1647, 1648, 1652, 1653, fragen (EKM) 113, 161, 165
1656, 1678, 1683, 1690, 1704, 1706, 1722, Einzelarbeit 1182, 1185, 1186
1727, 1730, 1742, 1745, 1746, 1748, 1749, Emigration 89, 1728, 1776, 1814
1763, 1765, 1773, 1779, 1786, 1794, 1809, Emotion 332, 574, 674, 729, 798, 827, 828,
1811, 1820, 1821, 1822 876, 877, 881, 898, 1010, 1035, 1037, 1183,
1846 Indices

1203, 1204, 1330, 1433, 1434, 1501, 1538, Fachverband Deutsch als Fremdsprache
1584, 1598, 1703, 1727 (FaDaF) 21, 47, 144, 145, 148, 150, 151,
Englisch (Einfluss auf Deutsch) 415, 441, 1282, 1343
442, 443, 444, 460, 469, 477, 481, 482 Fachverbände 46, 51, 145, 150, 166, 1359,
Entlehnung 197, 240, 362, 410, 411, 433, 1734
435, 441, 442, 443, 444, 565, 612, 657, 668, Fachwortschatz 237, 238, 239, 351, 468, 469,
684, 691, 1056 480, 482, 496, 670, 1080, 1149
ERFA-Wirtschaft-Sprache 146, 1145 Faktorenkomplexion 765, 907, 1060, 1073,
Erstsprache 4, 10, 39, 58, 64, 67, 80, 152, 1077
157, 519, 521, 522, 523, 524, 525, 526, 528, Falsche Freunde 637, 684, 691, 1045
667, 742, 747, 808, 837, 838, 986, 988, 993, Fehleranalyse 319, 523, 532, 777, 981, 1003,
997, 1010, 1011, 1012, 1086, 1087, 1132, 1060, 1231, 1232, 1333, 1638
1134, 1189, 1512, 1533, 1654, 1706 Fehlerannotation 319
Erstspracherwerb 528, 759, 789, 795, 827, Fehlerbewertung 1069
835, 901, 903, 965, 1060 Fehlererklärung 1064
Erstspracherwerbsforschung 738 Fehlerkorrektur 914, 1069, 1061, 1065, 1067,
Erwerbssequenzen 175, 180, 528, 642, 674, 1068, 1183, 1191
741, 777, 1011, 1260, 1836 Fehlerwörterbücher 309
Ethnographie der Kommunikation 331 Feldergrammatik 674
Ethnolekt 338, 352, 447, 448, 449, 450, 451, Feldunabhängigkeit 746, 854, 1001
452, 453, 454, 455, 890, 1574 Feministische Linguistik 557
EU-Erweiterung 151 Fernstudium 14, 1193, 1743, 1758
Eurolatein 444 Fernunterricht 1193, 1194, 1195, 1613
Europäisches Sprachenportfolio (ESP), s. auch Fertigkeiten, s. auch Hören, Lesen, Sprechen,
Portfolio 85, 130, 762, 763, 912, 913, Schreiben 7, 9, 114, 116, 155, 180, 252,
1315, 1316, 1317, 1318, 1319, 1320, 1321, 262, 270, 290, 478, 575, 651, 685, 710, 745,
1322, 1366, 1512 778, 787, 808, 809, 829, 830, 831, 880, 918,
Europarat 22, 76, 100, 124, 129, 130, 159, 927, 928, 944, 945, 961, 962, 963, 964, 965,
171, 261, 915, 927, 928, 930, 1158, 1267, 966, 967, 968, 977, 983, 992, 995, 1036,
1274, 1275, 1291, 1292, 1315, 1316, 1317, 1037, 1040, 1042, 1045, 1047, 1048, 1049,
1318, 1511, 1622, 1796, 1818 1118, 1123, 1126, 1156, 1169, 1172, 1228,
European Association for Quality Language 1235, 1244, 1264, 1265, 1266, 1269, 1275,
Services (EAQUALS) 171, 915 1276, 1278, 1280, 1285, 1290, 1300, 1318,
European Studies 37, 38, 1524, 1613, 1681, 1348, 1360, 1417, 1423, 1455, 1467, 1472,
1708 1486, 1502, 1530, 1537, 1598, 1599, 1644,
European Union of National Institutes of 1656, 1681, 1688, 1703, 1715, 1783
Culture (EUNIC) 135 Festigkeit (Wortschatz) 247, 248, 249
Feststellungsprüfung 148, 1277, 1284, 1285,
1286, 1289, 1302
flektierend(e Sprachen) 207, 208, 210, 212,
F 533, 562, 609, 616, 655, 668, 716, 727, 733,
762
Fachausbildung 1498, 1622, 1811, 1841 Flexionsklasse 207, 208, 209, 210, 213, 215
Fachkompetenz (Deutschlehrer) 1750 Flexionsmorpheme 564, 604, 605, 669, 682,
Fachlehrerausbildung 1656 690, 980
Fachsprache 17, 23, 28, 29, 239, 317, 351, focus on form, s. Formfokussierung
353, 355, 458, 467, 468, 469, 473, 478, 480, formelhafte Ausdrücke 7, 246, 253, 257, 514,
484, 487, 493, 494, 505, 510, 511, 513, 831, 1011, 1023
1053, 1054, 1055, 1056, 1139, 1146, 1149, Formfokussierung 943, 947, 1170, 1202
1285, 1333, 1617 Forschungsansätze 11, 352, 519, 748, 765,
Fachsprachenvermittlung 1053, 1054, 1055, 767, 768, 872, 943, 1382, 1386, 1402, 1408,
1056 1410, 1450
Sachregister 1847

Forschungsmethoden 748, 764, 767, 768, 1416, 1446, 1447, 1448, 1459, 1472, 1473,
793, 1375, 1385, 1386, 1419, 1445, 1830 1474, 1513, 1517, 1533, 1537, 1546, 1551,
Fortbildung 21, 45, 50, 68, 75, 76, 78, 100, 1580, 1600, 1788
110, 136, 140, 141, 147, 155, 156, 158, 164, Fremdwahrnehmung 1216, 1423, 1426, 1427,
170, 847, 926, 1015, 1051, 1082, 1142, 1351, 1533
1352, 1353, 1354, 1355, 1361, 1355, 1367, Frequenz (Grammatik) 497, 498, 695, 1010
1417, 1501, 1502, 1507, 1508, 1548, 1591, Frequenz (Wortschatz) 213, 238, 248, 249,
1605, 1608, 1617, 1618, 1623, 1629, 1635, 317, 319, 376, 436, 497, 676, 696, 716, 977,
1643, 1647, 1651, 1656, 1666, 1673, 1683, 1012, 1024, 1028
1691, 1699, 1700, 1703, 1705, 1710, 1715, Friesisch (Einfluss auf Deutsch) 442, 443
1719, 1722, 1730, 1737, 1748, 1765, 1768, Frontalunterricht 632, 1182, 1183, 1605
1772, 1773, 1786, 1798, 1801, 1804, 1810, Frühbeginn 29, 745, 870, 874, 1141, 1729
1811, 1815 Fugenelement 228, 229
Fossilisierung 401, 757, 804, 812, 890, 1023, Funktionsverbgefüge 247, 414, 460, 1133
1100 Funktor 208, 210, 211
Französisch (Einfluss auf Deutsch) 439, 440,
441, 442, 444
Fremdbild 1108, 1221, 1423, 1425, 1426, G
1427, 1428, 1429, 1486, 1507, 1566
Fremdheit 333, 334, 533, 972, 1141, 1393, Gebrauchsgrammatik 295, 296, 297
1395, 1397, 1415, 1416, 1418, 1419, 1427, Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen
1526, 1536, 1545, 1546, 1548, 1549, 1552, 3, 85, 107, 156, 179, 270, 638, 910, 928,
1560, 1561, 1568, 1579 929, 930, 941, 961, 962, 973, 985, 1033,
Fremdsprachenlehrerausbildung, s. auch 1043, 1064, 1080, 1097, 1099, 1100, 1101,
Deutschlehrerausbildung 2, 19, 1342, 1103, 1118, 1121, 1215, 1265, 1274, 1275,
1359, 1613, 1674, 1721, 1731, 1744, 1767, 1277, 1285, 1288, 1320, 1391, 1514, 1617,
1773, 1793, 1826, 1827, 1829, 1618, 1672, 1735
Fremdsprachenunterricht 2, 40, 49, 66, 76, Genderlekt 351, 353
82, 84, 150, 151, 155, 168, 174, 175, 242, Generative Grammatik 218, 636, 800, 801,
250, 251, 261, 270, 280, 290, 293, 297, 308, 837
354, 405, 520, 521, 526, 527, 541, 566, 599, Generative Linguistik 418, 681
616, 619, 651, 740, 745, 754, 757, 761, 762, German Studies 5, 34, 36, 179, 1524, 1525,
803, 821, 831, 845, 846, 847, 850, 855, 862, 1526, 1613, 1676, 1677, 1678, 1684, 1691,
869, 879, 881, 897, 901, 902, 908, 911, 913, 1692, 1708, 1715, 1756, 1816, 1835, 1836,
915, 917, 933, 936, 941, 942, 944, 946, 954, 1837, 1838,
955, 956, 957, 958, 961, 964, 966, 967, 972, Gerundium 589, 590
976, 995, 1024, 1025, 1027, 1034, 1035, Gesellschaft der Deutschlehrer Irlands (GDI)
1036, 1037, 1040, 1041, 1042, 1043, 1048, 1691
1062, 1146, 1157, 1167, 1168, 1173, 1174, Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
1175, 1186, 1201, 1208, 1211, 1227, 1237, (GTZ) 134, 1776
1243, 1245, 1264, 1269, 1270, 1340, 1341, Gesprächsanalyse 265, 575, 1493
1364, 1367, 1379, 1395, 1398, 1423, 1464, Gesprächstyp 266, 467
1447, 1454, 1455, 1457, 1458, 1459, 1460, Glottodidaktik 657, 658, 1345, 1763, 1764,
1462, 1466, 1468, 1472, 1507, 1509, 1525, 1765
1530, 1531, 1533, 1537, 1551, 1552, 1578, Goethe-Institut (GI) 2, 8, 14, 20, 21, 27, 39,
1581, 1596, 1597, 1599, 1612, 1616, 1653, 41, 45, 46, 48, 51, 52, 53, 54, 64, 65, 68, 91,
1655, 1660, 1671, 1674, 1675, 1698, 1700, 104, 130, 133, 134, 135, 141, 147, 150, 170,
1729, 1761, 1790, 1791, 1794, 1795, 1796, 914, 916, 924, 925, 953, 1076, 1103, 1189,
1810, 1818, 1819, 1828, 1834 1196, 1220, 1285, 1292, 1295, 1300, 1306,
Fremdverstehen 5, 332, 942, 1346, 1391, 1355, 1360, 1505, 1578, 1602, 1065, 1608,
1392, 1393, 1394, 1395, 1396, 1397, 1398, 1612, 1618, 1623, 1624, 1639, 1647, 1651,
1848 Indices

1666, 1668, 1669, 1673, 1676, 1683, 1686, H


1687, 1691, 1695, 1699, 1700, 1703, 1707,
1708, 1710, 1711, 1713, 1715, 1719, 1726, Habsburgermonarchie 55, 58, 73, 141, 402
1730, 1741, 1754, 1755, 1768, 1773, 1779, Handlungsforschung 8, 11, 63, 913, 915,
1786, 1800, 1801, 1806, 1811, 1815, 1827, 1365, 1367
1835, 1840, 1841 Handlungsmuster 259, 261, 262, 267, 435,
Grammatik 6, 7, 24, 49, 50, 114, 214, 216, 437, 462, 463, 471, 509, 512, 598, 942, 986,
218, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 299, 300, 1103, 1182, 1183, 1367, 1433, 1437
309, 349, 406, 420, 436, 519, 523, 524, 527, Handlungsorientierung 943, 949, 1034, 1100,
540, 545, 564, 582, 586, 605, 610, 612, 627, 1138, 1139, 1141, 1265, 1266, 1385, 1503,
645, 651, 667, 694, 709, 710, 716, 719, 789, 1540, 1556, 1630
797, 862, 921, 926, 927, 928, 941, 942, 947, Helvetismen 376
976, 993, 1005, 1024, 1070, 1081, 1150, Herder-Institut (HI) 6, 20, 21, 22, 48, 53,
1170, 1279, 1280, 1290, 1586, 1621, 1644, 104, 1217
1678, 1735, 1835 Herübersetzung 1041, 1042
⫺ deskriptive 296 Heterogenität (kulturelle, sprachliche) 3, 117,
⫺ diachrone 296 443, 435, 910, 937, 1097, 1098, 1099, 1112,
⫺ didaktische 296, 297, 300, 908, 911, 1258, 1124, 1138, 1334, 1335, 1346, 1359, 1360,
1260 1397, 1469, 1493, 1497, 1498, 1517, 1661
⫺ funktionale 218, 299, 675 Hin- und Herübersetzung 692, 1045
⫺ generative 218, 636, 800, 801, 837 Hinübersetzung 1041
⫺ kommunikative 657 Hochschullehrgang (Graz) 22, 75
⫺ konfrontative 654 Hochschullehrgang (Leoben) 159
⫺ kontrastive 297, 521, 532, 544, 580, 593, Hochschullehrgänge DaF/DaZ 22, 28, 75,
611, 613, 636, 641, 692, 732, 1259, 1830 77, 155, 159, 1345
⫺ kulturkonstrative 1259 Hören (Fertigkeit) 240, 242, 290, 425, 839,
⫺ normativ-präskriptive 296, 1062, 1260 945, 961, 962, 963, 965, 966, 967, 969, 971,
⫺ pädagogische 290, 298, 300, 301, 1258, 972, 974, 983, 1005, 1025, 1103, 1122, 1239,
1261 1252, 1282, 1286, 1300, 1301, 1303, 1304,
⫺ pragmatische 262, 299 1703
⫺ wissenschaftliche (linguistische) 295, 296, Hörverstehensübung 972, 973
301, 1258 Hybridbildung 332
Grammatikerwerb 1009, 1010, 1011, 1012, Hypertextualität 1227
1013, 1014, 1015, 1016, 1232, 1259
Grammatikkompetenz 1013, 1015, 1279
Grammatikterminologie 533 I
Grammatikübungen 1159, 1203, 1212
Grammatikvermittlung 183, 488, 526, 528, Identität, sprachliche 179, 333
633, 736, 863, 864, 914, 1009, 1013, 1014, Identitätshypothese 741, 756, 757, 761, 800,
1015, 1017, 1024, 1218, 1445 803, 807
Griechisch (Einfluss auf Deutsch) 440, 444, Idiom / Idiomatizität / Idiomatik 246, 247,
445 248, 249, 251, 469, 513, 540, 556, 1017,
Großes Deutsches Sprachdiplom (GDS) 1017, 1295, 1461
1294, 1295, 1672, 1779 Immersion 82, 85, 86, 821, 879, 891, 1000,
Groß- und Kleinschreibung 199, 201, 202, 1001, 1010, 1049, 1050
204, 205 Immigration 674, 1074, 1607, 1358, 1624,
Großmuttersprache 1831 1750
Grundwortschatz 210, 238, 239, 308, 606, Improvisation 1148, 1593
1026, 1028, 1121, 1252 Inferenz 338, 775, 971, 974, 978, 981, 1536,
Gruppenarbeit 881, 988, 1182, 1183, 1184, 1538
1185, 1195, 1255, 1320, 1503, 1779 Inhaltsgrammatik 299
Sachregister 1849

Inlandsgermanistik 3, 4, 36, 47, 1520, 1521, Interferenzfehler 644, 656, 696, 834, 1060
1534, 1765 Interkulturalität 3, 15, 541, 542, 709, 912,
Input 3, 177, 250, 252, 294, 316, 317, 354, 954, 1335, 1379, 1380, 1384, 1392, 1395,
527, 528, 741, 742, 743, 759, 801, 803, 808, 1396, 1413, 1415, 1416, 1418, 1419, 1523,
810, 811, 814, 815, 818, 819, 827, 836, 860, 1560, 1576, 1600, 1630, 1723, 1787, 1788,
863, 870, 873, 877, 887, 889, 890, 891, 905, 1830
909, 949, 1010, 1012, 1013, 1014, 1022, Interkulturelle / konfrontative Semantik
1024, 1027, 1101, 1268, 1307, 1325, 1835 1252, 1455
Input-Hypothese 743, 759, 760, 761, 800, Interkulturelle Germanistik 19, 25, 26, 1413,
818, 943, 1024 1414, 1415, 1419, 1515, 1533, 1534, 1545,
Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) 134 1547, 1560, 1684, 1751, 1788
Instituto colombo-alemán para la formación Interkulturelle Kommunikation 19, 37, 148,
tecnológica (ICAFT) 1710 269, 331, 333, 339, 541, 556, 557, 590, 618,
Inszenierung 336, 338, 339, 413, 414, 436, 637, 644, 651, 667, 670, 677, 681, 684, 686,
505, 989, 1167, 1369, 1590, 1591, 1592 709, 730, 735, 863, 1383, 1396, 1416, 1423,
Intake 743, 811, 818, 819, 834, 840, 877, 1435, 1616, 1630, 1715, 1746, 1831
1013, 1022 Interkulturelles Lernen 75, 76, 77, 78, 158,
Integration 38, 68, 83, 84, 85, 109, 111, 112, 436, 954, 1075, 1089, 1138, 1383, 1402,
114, 115, 148, 148, 151, 414, 889, 994, 1075, 1407, 1442, 1444, 1447, 1450, 1456, 1473,
1086, 1092, 1097, 1098, 1100, 1119, 1299, 1474, 1475, 1486, 1513, 1600, 1630, 1718,
1437, 1496, 1734 1806, 1813
Integrationskurse 4, 67, 68, 84, 110, 113, Interlanguage 319, 522, 524, 757, 777, 828,
144, 146, 149, 163, 930, 1075, 1076, 1096, 833, 890
1097, 1099, 1100, 1101, 1102, 1116, 1119, Interlanguage-Hypothese 319, 522, 523, 740,
1284, 1295, 1299, 1302, 1334, 1359, 1360, 742, 757, 802, 943, 1064
1469, 1480, 1489 Internationale Vereinigung für Germanistik
Integrationsvereinbarung (Österreich) 78, (IVG) 167, 168, 169, 1684
111, 112, 154, 157, 158, 994, 1098, 1100, Internationaler Deutschlehrerverband (IDV)
1101, 1295 44, 46, 49, 50, 51, 52, 53, 86, 142, 145, 150,
Integrationsvereinbarung (Schweiz) 113 156, 164, 167, 168, 170, 1502
Integriertes Sprach-/Sachlernen 1134 Internationalisierung 2, 14, 15, 17, 27, 76,
Interaktionismus 788, 1408 183, 443, 503, 1417, 1688, 1698, 1699, 1738,
Interaktion 183, 265, 266, 281, 324, 328, 332, 1769
338, 339, 406, 413, 426, 439, 449, 472, 522, Intertextualität 505, 1449, 1560
524, 591, 598, 740, 742, 743, 744, 757, 761, Intoleranz 1704
777, 794, 808, 810, 811, 812, 813, 817, 818, isolierend(e Sprachen) 207, 1842
819, 820, 821, 822, 824, 871, 873, 886, 888, Isotopie 280
889, 890, 903, 904, 905, 912, 913, 914, 915, Italienisch (Einfluss auf Deutsch) 441
947, 957, 962, 965, 970, 976, 978, 1036,
1080, 1109, 1145, 1173, 1182, 1183, 1184,
1188, 1194, 1195, 1196, 1200, 1201, 1209,
1237, 1266, 1315, 1321, 1364, 1365, 1429, J
1449, 1474, 1493, 1532, 1540, 1544, 1704
Interaktionsanalyse 1365 Japanische Gesellschaft für Germanistik
Interaktionsforschung 821, 822, 823, 824 (JGG) 1699
Interaktionshypothese 743, 760, 761, 818, Japanischer Deutschlehrerverband (JDV)
819 1700
Interdependence-Hypothese 891 Jiddisch 92, 443
Interessengemeinschaft Qualität Deutsch als Jugendliteratur 1533, 1536, 1566, 1567, 1568,
Fremdsprache (IQ Deutsch) 916 1577, 1578, 1579, 1580, 1581, 1718
Interferenz 196, 452, 462, 519, 520, 521, 522, Jugendsprache 352, 353, 413, 431, 432, 433,
523, 740, 829, 999, 1015, 1060, 1064, 1779 434, 435, 436, 437, 676
1850 Indices

K Kompetenz
⫺ alltagssprachliche 869
Kanon 13, 1034, 1142, 1334, 1335, 1405, ⫺ bildungssprachliche 7, 12, 37, 869
1468, 1486, 1489, 1493, 1535, 1555, 1556, ⫺ fremdsprachliche 86, 747, 762, 767, 860,
1557, 1558, 1559, 1560, 1561, 1562, 1592, 872, 874, 1670, 892, 1043, 1044, 1316, 1456,
1600, 1806 1670, 1730
Kasus (Unterdifferenziertheit) 406 ⫺ interkulturelle 5, 330, 912, 954, 1150,
Kategorial-Grammatik 218 1237, 1333, 1346, 1383, 1384, 1392, 1398,
Kietzdeutsch 449, 450 1399, 1407, 1417, 1419, 1422, 1442, 1444,
Kinderliteratur 1577, 1578, 1579 1448, 1449, 1450, 1451, 1455, 1456, 1458,
Kleines Deutsches Sprachdiplom (KDS) 1472, 1473, 1488, 1494, 1515, 1534, 1779,
1294, 1295, 1672, 1779 1831
Koartikulation 196, 1002 ⫺ kommunikative (pragmatische) 7, 257,
Kognition / Kognitionspsychologie 807, 812, 260, 270, 339, 355, 503, 536, 566, 770, 929,
851, 859, 876, 877, 878, 886, 888, 895, 896, 955, 964, 927, 928, 929, 955, 971, 984, 1090,
897, 947, 1022, 1023, 1325, 1326, 1330, 1034, 1138, 1146, 1245, 1264, 1265, 1266,
1352, 1538, 1539, 1598 1290, 1295, 1448, 1515, 1530, 1777
kognitiv 11, 58, 82, 175, 281, 294, 391, 420, ⫺ landeskundliche 1469, 1509, 1513, 1535
460, 520, 522, 525, 528, 741, 742, 743, 744, ⫺ lernstrategische 843, 845, 846, 847
745, 760, 788, 789, 793, 795, 798, 800, 803, ⫺ lexikalische 236, 242, 1023, 1026, 1279
804, 807, 808, 810, 812, 813, 817, 821, 828, ⫺ mehrsprachige 116
829, 844, 843, 845, 850, 851, 852, 854, 858, ⫺ produktive 180, 181, 436, 967
860, 861, 862, 863, 870, 873, 877, 879, 937, ⫺ schriftsprachliche 419
943, 949, 963, 976, 984, 988, 992, 1000, ⫺ schulsprachliche 179
1001, 1023, 1109, 1130, 1131, 1132, 1135, ⫺ translatorische 1043, 1045
1168, 1127, 1231, 1246, 1265, 1325, 1326, ⫺ wissenschaftssprachliche 37, 509
1328, 1329, 1330, 1373, 1424, 1427, 1429, Kompetenzmodelle 1265, 1268, 1269
1455, 1458, 1468, 1472, 1474, 1476, 1480, Kompetenzorientierung 1264, 1399, 1537,
1513, 1538, 1566, 1586, 1696, 1699, 1735, 1734
1765, 1797, 1780, 1829 Komposition (Wortbildung) 228, 229, 231,
Kognitiver Stil 851, 852, 853, 895, 897 233, 239, 366, 408, 460, 488, 489, 572, 597,
Kognitivierung 911, 946, 948, 1004, 1081, 604, 676, 716, 735, 1054
1368 Konjugation 206, 208, 209, 212, 214, 240,
Kohärenz 276, 277, 278, 279, 535, 709, 892, 241, 459, 534, 546, 570, 629, 636, 643, 650,
979, 1237, 1280, 1539, 1552 701, 708, 733, 785, 804, 1123
Kohäsion 276, 277, 278, 279, 535, 574, 709 Konjunktivistische Ansätze 815, 817, 818,
Kollokation 7, 177, 236, 242, 247, 248, 249, 820, 822, 824, 861, 886, 895, 1168, 1252,
251, 252, 309, 311, 469, 513, 677, 837, 1252, 1332, 1450, 1617
1255 Konkordanz 316, 317
Kommunikationsbereiche 286, 287, 419, Konnektionismus / konnektionistische Modelle
1103 215, 740, 742, 800, 807, 810, 811, 813, 814,
Kommunikationsforschung 1367 815, 943, 947, 948
Kommunikationssituation 277, 280, 286, Konsonantenhäufung 536, 616
287, 324, 331, 333, 419, 984, 1188, 1435, Konstruktionsgrammatik 176, 218, 249, 250,
1446, 1831 569
Kommunikative Didaktik 632, 961, 984, Konstruktivismus 742, 811, 812, 813, 943,
1168, 1212, 1382, 1402 958, 1034, 1158, 1324, 1327, 1328, 1367,
Kommunikative Spiele 1179, 1180 1408
Kommunikative Wende 1202, 1457 Kontrastive Analyse 319, 432, 518, 532, 535,
Kommunikativer Unterricht 26, 957, 1147, 538, 541, 605, 625, 627, 636, 638, 657, 694,
1392, 1457 735, 914, 1003
Sachregister 1851

Kontrastivhypothese 521, 522, 524, 528, 720, Landeskunde 5, 52, 60, 136, 140, 156, 158,
740, 756, 758, 1060 369, 405, 437, 1201, 1216, 1219, 1248, 1378,
Konversion (Wortbildung) 232, 239, 240, 1379, 1380, 1381, 1383, 1384, 1385, 1405,
460, 656, 670, 690, 716 1409, 1410, 1415, 1417, 1423, 1424, 1426,
Kookkurrenz 247, 251 1436, 1438, 1441, 1442, 1443, 1444, 1445,
Korpuslinguistik 177, 247, 249, 315, 316, 1446, 1447, 1448, 1449, 1450, 1456, 1457,
320, 1028, 1230, 1696 1459, 1460, 1465, 1467, 1469, 1478, 1480,
Kreativität 352, 506, 1080, 1124, 1583, 1584, 1481, 1485, 1486, 1487, 1488, 1494, 1507,
1585, 1587,1591, 1598, 1605, 1703 1508, 1513, 1516, 1517, 1518, 1534, 1535,
Kulturanthropologie 332, 1378, 1406, 1435, 1545
1459 ⫺ außereuropäische 1511, 1521, 1522, 1523,
Kulturbegriff 332, 464, 512, 1140, 1380, 1524, 1525, 1526
1384, 1406, 1407, 1408, 1418, 1424, 1432, ⫺ DACH(L) 76, 85, 86, 142, 170, 1248,
1456, 1467, 1473, 1545, 1550, 1560 1495, 1500, 1501, 1502, 1504, 1509
KulturKontakt 76, 140, 141, 154, 512 ⫺ erlebte 1417, 1469, 1502, 1507
Kulturkunde 1442, 1444, 1445, 1446, 1457, ⫺ informationsbezogene 1466, 1467, 1468
1466, 1485, 1513, 1715, 1763 ⫺ interkulturelle 5, 25, 290, 1444, 1456,
Kulturpolitik 45, 51, 138, 139, 142, 1052, 1472, 1473, 1474, 1475, 1476, 1524, 1525,
1405, 1467, 1755 1526, 1566, 1567
Kulturspezifik 464, 607, 623, 624, 957, 1024, ⫺ kontrastive 25, 1507
1547 ⫺ kulturwissenschaftliche 1435, 1436, 1438,
Kulturstudien 176, 1409, 1410, 1442, 1444, 1450
1803 ⫺ sprachbezogene 1454, 1455, 1458, 1459,
Kulturwissenschaft 5, 6, 26, 36, 37, 179, 495, 1460, 1461, 1462
581, 992, 1138, 1378, 1379, 1380, 1381, Landeskundedidaktik 1513, 1514, 1565, 1566
1382, 1383, 1384, 1385, 1386, 1388, 1395, Language Acquisition Device 800
1402, 1407, 1408, 1409, 1410, 1413, 1414, Language awareness 293, 557, 859, 860, 861,
1415, 1417, 1419, 1425, 1427, 1438, 1442, 862, 863, 864, 865, 1013
1449, 1450, 1456, 1469, 1470, 1485, 1513, Langvokale 192, 535, 552, 569, 649, 675
1517, 1524, 1526, 1535, 1536, 1550, 1562, Latein (Einfluss auf Deutsch) 440, 442, 444,
1556, 1575, 1653, 1662, 1681, 1687, 1688, 445
1689, 1696, 1708, 1768, 1780, 1787, 1808, Laut-Buchstaben-Zuordnung, s. Phonem-
1830 Graphem-Beziehungen
Kultusministerkonferenz, s. Ständige Konfe- Lautverschiebung 347, 348, 388, 644
renz der Kultusminister Lehnwortbildung 445
Kunst 134, 936, 1385, 1405, 1462, 1467, Lehr- und Lerntraditionen 8, 710, 916, 918,
1505, 1557, 1562, 1572, 1590, 1596, 1597, 988, 1044, 1382, 1489, 1671
1598, 1599, 1600, 1682, 1698, 1706, 1721, Lehr-Lernprozess 911, 1215, 1324, 1325,
1825 1327, 1331, 1333, 1363, 1364
Kunstbild 1462, 1598
Lehramtsausbildung 38, 39, 78, 1076, 1080,
Kurzvokale 192, 365, 534, 535, 569, 675
1306, 1622
Kurzwort 231, 460, 488, 572
Lehrerausbildung, s. auch Deutschlehrerausbil-
kyrillisch 688
dung 20, 27, 39, 48, 84, 86, 148, 149, 175,
178, 181, 693, 831, 847, 911, 913, 914, 1005,
L 1051, 1073, 1074, 1075, 1077, 1146, 1184,
1223, 1244, 1330, 1340, 1341, 1342, 1344,
L1-Grammatik 804 1347, 1348, 1349, 1358, 1361, 1365, 1367,
L2-Grammatik 804 1441, 1448, 1490, 1502, 1526, 1578, 1591,
L3 82, 522, 524, 732, 736, 747, 748, 827, 828, 1613, 1626, 1643, 1652, 1667, 1683, 1695,
829, 830, 831, 1497 1750, 1751, 1752, 1768, 1782, 1783, 1786,
Laienkommunikation 468, 471 1787, 1799, 1803, 1807, 1821, 1829, 1836,
Landesbild 1458, 1468, 1472, 1550 1837, 1840
1852 Indices

Lehrerbewusstsein 1325, 1329 Leistungsdiagnose 1317


Lehrerfortbildung 50, 75, 76, 141, 147, 1051, Leistungsmessung 910, 915, 1103, 1264,
1073, 1076, 1351, 1353, 1355, 1361, 1366, 1272, 1276, 1277, 1282, 1291, 1605, 1737
1367, 1501, 1502, 1507, 1508, 1617, 1629, Lern(er)grammatik 300, 301, 317, 521, 1014
1635, 1647, 1656, 1666, 1683, 1691, 1706, Lernen, datengesteuertes 316, 965
1707, 1719, 1730, 1737, 1748, 1772, 1798, Lernerautonomie 685, 710, 730, 759, 762,
1801, 1806, 1811 830, 845, 846, 847, 856, 917, 950, 1028,
Lehrergrammatik 294, 1260 1155, 1158, 1159, 1160, 1162, 1164, 1182,
Lehrerrolle 912, 1139, 1141, 1160, 1162, 1184, 1315, 1316, 1318, 1329
1331, 1332, 1337 Lernerkorpus 319
Lehrgänge DaF/DaZ (nicht universitär) 75, Lernerorientierung 287, 591, 913, 942, 945,
77, 155, 164, 1090, 1127, 1193, 1195, 1358, 957, 1014, 1015, 1927, 1100, 1124, 1255,
1359 1447, 1554
Lehrkompetenz 1353 Lernersprache 176, 448, 520, 522, 523, 527,
Lehrmaterialentwicklung 2, 14, 27, 46, 944, 741, 777, 833, 834, 835, 836, 837, 838, 839,
1219, 1236, 1244, 1255, 1482, 1489, 1492, 840, 887, 890, 1024, 1061, 1159, 1220
1700 Lernertyp 180, 739, 758, 850, 852, 855, 935,
Lehrmaterialien 3, 16, 16, 20, 25, 40, 56, 58, 986, 994, 1155, 1458
85, 142, 145, 156, 158, 317, 318, 478, 490, Lernerwörterbücher 305, 308, 309, 310, 311,
491, 826, 907, 909, 910, 914, 918, 924, 944, 312, 590, 1028, 1254, 1255, 1830
1005, 1044, 1081, 1102, 1112, 1155, 1160, Lernplattformen 1195, 1196, 1210, 1239,
1199, 1205, 1206, 1207, 1222, 1223, 1215, 1240, 1597, 1599, 1807
1217, 1218, 1220, 1222, 1236, 1504, 1598, Lernsoftware 1005, 1212, 1230, 1231, 1232,
1668, 1670, 1683 1236
Lehrstil 746, 850, 856, 934 Lernstil 251, 746, 775, 843, 850, 851, 852,
Lehrwerk / Lehrbuch, s. auch Regionale L. 853, 854, 855, 856, 863, 903, 1001, 1061,
8, 46, 50, 52, 56, 57, 65, 67, 68, 84, 85, 145, 1155, 1164, 1184, 1232, 1644
168, 175, 182, 218, 261, 270, 317, 355, 395, Lernstrategie 177, 523, 800, 801, 802, 803,
422, 429, 461, 490, 491, 524, 526, 542, 563, 828, 829, 830, 834, 835, 842, 843, 844, 845,
566, 591, 606, 610, 638, 662, 669, 700, 710, 846, 847, 850, 851, 852, 853, 856, 863, 903,
736, 738, 830, 831, 846, 908, 926, 930, 934, 929, 943, 1026, 1027, 1028, 1064, 1090,
941, 942, 946, 947, 995, 1002, 1004, 1005, 1118, 1120, 1124, 1125, 1126, 1147, 1159,
1016, 1026, 1034, 1044, 1081, 1109, 1112, 1164, 1184, 1215, 1328, 1359, 1459, 1622,
1113, 1121, 1125, 1126, 1160, 1200, 1201, 1671
1203, 1204, 1207, 1215, 1216, 1217, 1219, Lerntechnik 746, 825, 842, 844, 863, 917,
1220, 1222, 1223, 1234, 1243, 1247, 1255, 1036, 1160, 1282, 1359, 1443
1256, 1261, 1283, 1284, 1321, 1326, 1384, Lernziele 83, 174, 180, 181, 182, 243, 260,
1385, 1423, 1425, 1426, 1445, 1457, 1468, 261, 436, 525, 671, 845, 846, 878, 912, 925,
1474, 1476, 1479, 1480, 1481, 1482, 1500, 926, 927, 930, 933, 934, 935, 941, 957, 993,
1504, 1509, 1514, 1515, 1530, 1533, 1566, 994, 997, 1002, 1016, 1034, 1054, 1055,
1568, 1588, 1598, 1616, 1617, 1647, 1649, 1073, 1074, 1080, 1081, 1103, 1121, 1124,
1661, 1671, 1703, 1719, 1793, 1796, 1812, 1125, 1127, 1155, 1159, 1160, 1164, 1179,
1828 1180, 1189, 1190, 1216, 1267, 1272, 1284,
Lehrwerkanalyse, s. Lehrwerkkritik 1300, 1136, 1317, 1358, 1448, 1455, 1457,
Lehrwerkentwicklung 1217, 1219, 1220, 1473, 1474, 1489, 1531, 1552, 1672
1221, 1222, 1384, 1638, 1639, 1647, 1727, Lesekompetenz 9, 1034, 1035, 1075, 1116,
1744, 1773, 1841 1142, 1235, 1280, 1303, 1470, 1537, 1538,
Lehrwerkforschung 1219, 1222, 1385 1547, 1548
Lehrwerkgutachten 1219 Lesen (Fertigkeit) 290, 425, 470, 556, 945,
Lehrwerkkritik / Lehrwerkanalyse 1207, 961, 962, 963, 964, 965, 966, 967, 968, 969,
1215, 1218, 1219, 1222, 1223, 1387, 1490, 976, 977, 979, 980, 981, 983, 995, 1025,
1630, 1727, 1836 1035, 1037, 1103, 1121, 1122, 1123, 1131,
Sachregister 1853

1208, 1252, 1278, 1282, 1284, 1286, 1300, 1269, 1316, 1358, 1358, 1416, 1497, 1502,
1303, 1304, 1360, 1470, 1534, 1538, 1539, 1511, 1536, 1560, 1573, 1578, 1580, 1619,
1575, 1576, 1581, 1703 1624, 1633, 1640, 1641, 1670, 1719, 1731,
Leseprozess 642, 976, 977, 979, 1037, 1532, 1732, 1733, 1734, 1739, 1801, 1805, 1815,
1539, 1549 1820, 1830
Lesestrategie 980, 981, 1035, 1122, 1124, ⫺ individuelle 118, 831, 1087, 1100, 1820
1124, 1132, 1135, 1160, 1540 ⫺ innere 343, 382, 435
Lesetheorie 1538 Mehrsprachigkeitsdidaktik 8, 10, 40, 86, 175,
Leseverstehen 69, 632, 651, 843, 927, 928, 619, 748, 759, 762, 828, 936, 1034, 1037,
963, 964, 966, 967, 1033, 1185, 1260, 1279, 1038
1283, 1285, 1290, 1538, 1687, 1703, 1737, Mehrsprachigkeitserziehung 860, 1142, 1497,
1783 1654
Lexikalisierung 246, 248, 249 Mehrsprachigkeitsforschung 9, 67, 163, 176,
Lexikographie 50, 237, 249, 251, 305, 306, 522, 738, 747, 749, 775, 831
309, 310, 590, 610, 657, 702, 729, 1022, Mehrsprachigkeitskonzepte 826, 828, 831,
1727, 1780, 1830 1630
Lexikologie 6, 175, 227, 237, 572, 580, 657, Melodie (Phonetik) 190, 196, 198, 364, 570,
676, 1024, 1252, 1634, 1675 902, 903
Lieder 1568, 1578, 1596, 1599, 1610 Mentales Lexikon 1022
Lingua Franca 17, 90, 101, 124, 125, 131, Mentalität 330, 1382, 1409, 1418, 1431, 1432,
440, 448, 468, 609, 1120, 1497, 1619, 1713, 1433, 1434, 1435, 1436, 1437, 1438, 1476,
1782 1523, 1660
Linguolandeskunde 1458 Mentalitätsforschung 1431, 1433, 1434, 1435,
Literacy 315, 996, 1117, 1130, 1131, 1135, 1436, 1438
1205 metakognitiv / Metakognition 844, 845, 846,
Literalität 1117, 1118, 1120, 1126, 1131, 1733 847, 850, 853, 856, 859, 949, 1159, 1169,
Literarizität 1551 1239
Literatur (im DaF-Unterricht) 1530, 1567, Methodik 1, 7, 13, 49, 60, 155, 169, 176, 306,
1575, 1578, 1863 315, 541,671, 697, 765, 831, 853, 895, 912,
Literatur und Landeskunde 1531, 1535, 933, 934, 938, 953, 956, 957, 1053, 1055,
1550, 1565, 1566, 1567 1056, 1058, 1099, 1123, 1124, 1127, 1145,
Literaturdidaktik 52, 1384, 1398, 1447, 1531, 1146, 1177, 1182, 1185, 1217, 1222, 1252,
1532, 1535, 1536, 1537, 1538, 1539, 1540, 1253, 1346, 1423, 1426, 1459, 1490, 1508,
1549, 1550, 1567, 1575, 1576, 1578, 1600 1509, 1539, 1586, 1605, 1609, 1616, 1617,
1622, 1629, 1634, 1638, 1651, 1652, 1673,
1638, 1687, 1698, 1699, 1704, 1708, 1710,
M 1715, 1718, 1727, 1730, 1754, 1773, 1774,
1779, 1788, 1826, 1835, 1837, 1841
Mannheimer Gutachten 147, 1218 Microteaching 1347, 1367
Massenmedien 259, 502, 503, 504, 505, 1199, Migrantenliteratur / Migrationsliteratur 1536,
1200, 1201, 1205 1559, 1560, 1561, 1571, 1572, 1573, 1574,
Max Mueller Bhavan 1681, 1683 1575, 1576
Mediendidaktik 1211, 1212, 1597, 1599 Migration / Migrationshintergrund 4, 8, 9,
Medienkompetenz 1208, 1470 13, 14, 17, 19, 23, 54, 63, 67, 74, 81, 108,
Medienverbund 1204, 1205, 1211 110, 111, 113, 115, 118, 145, 150, 154, 155,
Mehrsprachigkeit 4, 9, 15, 16, 23, 29, 40, 54, 158, 161, 165, 171, 381, 385, 399, 400, 414,
73, 77, 81, 116, 118, 128, 130, 131, 135, 161, 415, 434, 435, 447, 454, 468, 745, 748, 749,
163, 168, 171, 343, 382, 386, 401, 435, 509, 879, 888, 889, 891, 892, 904, 933, 1045,
541, 542, 619, 638, 651, 678, 697, 730, 747, 1074, 1075, 1076, 1078, 1079, 1085, 1086,
748, 805, 828, 831, 898, 904, 912, 917, 930, 1087, 1088, 1090, 1092, 1102, 1108, 1124,
931, 944, 950, 1010, 1043, 1068, 1087, 1118, 1132, 1138, 1139, 1146, 1150, 1222, 1267,
1119, 1126, 1138, 1139, 1141, 1142, 1150, 1306, 1307, 1311, 1334, 1342, 1358, 1359,
1854 Indices

1360, 1431, 1450, 1484, 1485, 1488, 1493, Nationalsozialismus 16, 45, 59, 104, 402,
1525, 1532, 1536, 1537, 1545, 1560, 1561, 1466, 1479, 1567, 1589
1567, 1568, 1572, 1573, 1574, 1576, 1579, Negation 232, 571, 573, 596, 618, 689, 691,
1580, 1633, 1690, 1717, 1734, 1748, 1818, 692, 694, 696, 716, 721, 741, 757, 804, 1016,
1839 1260
Minderheit 4, 16, 29, 41, 42, 47, 46, 59, 89, Netzwerk Sprachenrechte 157, 171
92, 96, 179, 337, 399, 400, 402, 414, 442, Neue Medien 499, 1733
442, 568, 1140, 1299, 1484, 1536, 1557, Niederdeutsch (Einfluss auf Deutsch) 441,
1559, 1573, 1575, 1580, 1581, 1585, 1645, 642
1771, 1775, 1776, 1797, 1809, 1831 Nomenklatur 481, 496, 827
Minderheitenliteratur 1561 Nominalisierung 460, 478, 482, 484, 488, 489,
Minderheitensprache 116, 130, 343, 735, 862, 1133
865, 891, 1725, 1830, 1832 Nominalphrase 175, 211, 217, 221, 222, 223,
Mittelstufengrammatik 301 224, 408, 452, 552, 612, 618, 643, 648, 650,
Modalpartikel 175, 427, 484, 590, 606, 612, 657, 691, 692, 700, 722, 809, 980, 1012
702 Nominalstil 460, 470
Morphosyntax (Entwicklungen) 406, 427 Norm(en) 7, 23, 58, 117, 159, 181, 190, 199,
Motivation 35, 40, 117, 261, 525, 746, 786, 200, 317, 318, 344, 347, 353, 362, 369, 370,
789, 813, 829, 835, 845, 876, 877, 878, 879, 387, 391, 392, 491, 519, 562, 707, 777, 800,
880, 881, 887, 891, 901, 904, 905, 916, 945, 915, 1005, 1062, 1291, 1309, 1319, 1311,
949, 981, 985, 986, 996, 1001, 1008, 1077, 1312, 1489, 1547
1081, 1108, 1109, 1119, 1121, 1146, 1147,
1152, 1153, 1154, 1155, 1162, 1164, 1178,
1183, 1189, 1204, 1205, 1231, 1327, 1333, O
1335, 1455, 1531, 1538, 1591, 1593, 1630,
1680, 1685, 1730, 1796 Oberdeutsch 347, 361, 362, 365, 366, 367,
Motivationsforschung 1152, 1152, 1155 388
Motivierung 25, 994, 1108, 1152, 1154, 1155, Orientierungskurs 110, 1096, 1099, 1100,
1156 1102, 1103, 1299, 1300, 1384, 1385, 1445,
Multi-Ethnolekt 448, 449, 450, 454 1480, 1481, 1489
Multikulturalität 330, 638, 1139, 1140, 1492, Orthographie 194, 199, 200, 201, 202, 203,
1493, 1494, 1495, 1498, 1517, 1568, 1688 204, 205, 349, 482, 545, 570, 675, 965, 1122,
Multilingualität, s. Mehrsprachigkeit 1160
Multiple-Choice 110, 112, 114, 1278, 1279, Österreich Institut (ÖI) 2, 41, 76, 133, 139,
1280 154, 156, 166, 1800
Multiplikatorenausbildung 1911 Österreich-Bibliotheken 141
Multiplikatorennetz 1618, 1656 Österreich-Kooperation (ÖK) 38, 76, 139,
Mündlichkeit, s. auch Schriftlichkeit 266, 154, 1677, 1746
276, 380, 382, 419, 425, 505, 984, 1210, Österreichischer Austauschdienst (ÖAD) 73,
1238 74, 140, 158
Musik 95, 435, 437, 441, 581, 582, 936, 1204, Österreichischer Integrationsfonds (ÖIF)
1284, 1385, 1462, 1592, 1596, 1597, 1598, 111, 112, 158, 1076, 1096, 1302, 1303, 1304,
1599, 1600, 1625, 1663, 1698, 1706, 1714 1360
Österreichischer Verband für Deutsch als
Fremdsprache / Zweitsprache (ÖDaF) 75,
77, 153, 156
N Österreichisches Deutsch
⫺ Artikulation und Intonation 364
Nähesprache / Nähekommunikation 419, ⫺ Diminutiv 366
420, 421, 425 ⫺ Genitiv 366
Nationaler Integrationsplan (Deutschland) ⫺ Genus 365
1142 ⫺ Wortschatz 360
Sachregister 1855

Österreichisches Sprachdiplom Deutsch (ÖSD) 1605, 1613, 1626, 1629, 1634, 1636, 1648,
76, 140, 141, 155, 156, 1292, 1294, 1295, 1652, 1659, 1672, 1676, 1699, 1710, 1715,
1296, 1297 1718, 1727, 1731, 1748, 1773, 1794, 1804,
Output 210, 743, 759, 760, 819, 889, 930, 1826, 1829, 1836
949, 1014, 1024, 1268, 1320, 1325, 1391, Präsenz Schweiz (PRS) ⫺ Présence Suisse ⫺
1398, 1537, 1830 Presenza Svizzera ⫺ Preschientscha Svizra
Output-Hypothese 743, 759, 943, 1024 162
Prinzip
⫺ morphematisches 194, 201, 202, 203
P ⫺ phonologisches / phonematisches 194, 201,
202, 203, 204
Pädagogischer Austauschdienst (PAD) 137, ⫺ semantisches 194, 201
138 Pro Helvetia 162, 1809
Parameterfixierung 801, 802 Pro-Drop-Sprache 664, 733
Parenthese 498 Problemgrammatik 296
Partikel 175, 197, 220, 225, 229, 223, 234, Processability-Theorie 808, 809
240, 260, 261, 262, 308, 309, 339, 352, 379, Produktionsgrammatik / Mitteilungs-
411, 427, 429, 452, 483, 484, 512, 533, 534, grammatik 297, 299, 301, 1017, 1260
541, 555, 572, 573, 580, 581, 590, 595, 596, Professionalisierung 14, 15, 20, 46, 76, 78,
597, 604, 605, 606, 612, 613, 618, 623, 637, 1354, 1363, 1371, 1706, 1742, 1750, 1751,
644, 656, 676, 689, 680, 702, 721, 722, 735, 1752
985, 986, 987, 1260 Proficiency Test 1267, 1289
Partnerarbeit 822, 1182, 1185, 1231 Prosodie 175, 196, 260, 333, 427, 451, 570,
Partnerschulen 103, 1603, 1741 782, 782, 1434
PASCH (Schulen: Partner der Zukunft) 17, Prozessorientierung 995, 996, 1447, 1448
39, 40, 41, 105, 137, 1608, 1641, 1666
Phonem-Graphem-Beziehungen 190, 194,
195, 201, 202, 203, 204
Q
Phonemsystem 190
Phonotaktik 194, 536
Qualitätssicherung 915, 916, 917, 1102, 1208,
Phraseologismen 236, 246, 247, 248, 251,
1715, 1805
309, 541, 573, 597, 628, 664, 670, 681, 684,
702, 730, 1256
Pidginisierungshypothese 887
Pivotgrammatik 785 R
Plurizentrik / plurizentrisch 8, 140, 156, 168,
350, 353, 355, 361, 369, 381, 551, 1248, Rahmencurriculum (Österreich) 111, 1099
1413, 1415, 1501, 1502, 1504, 1509 Rahmencurriculum für Integrationskurse
Polysemie 239, 479, 480, 496, 735 Deutsch als Zweitsprache (Deutschland)
Portfolio (Arbeit mit) 762, 763, 996, 1069, 68, 150, 928, 994, 1267, 1102, 1103, 1267,
1110, 1111, 1126, 1165, 1240, 1315, 1318, 1284, 1300, 1302
1319, 1320, 1321, 1322, 1366, 1777 Realienkunde 1442, 1444, 1445, 1466, 1486,
Possessivartikel 227, 669 1513
Präfigierung 228, 229, 231, 232, 233, 612 Redekonstellation 266, 268
Pragmatik, funktionale 178, 255, 256, 257, Referat Kultur und Sprache 140, 156
258, 260, 262, 332, 349, 368, 431, 519, 781, Referenzgrammatik 218, 301
830, 870, 1266, 1530 Referenzrahmen, s. Gemeinsamer
Routinen, pragmatische / kommunikative / europäischer R.
sprachliche 7, 328, 510, 556, 1109, 1353, Reflexive Didaktik 912, 1363
1493, 1459 Reflexivpronomen 695
Praktikum / Praktika 13, 15, 28, 29, 76, 136, Regionale Lehrwerke 8, 953, 958, 1221,
139, 147, 1164, 1341, 1345, 1347, 1348, 1222, 1236, 1523, 1703, 1786
1856 Indices

Regionalisierung 700, 952, 953, 1236, 1489, Schulgrammatik / Schülergrammatik 538,


1509 667, 1016, 1260
Regionalität 387, 388, 392, 394, 421 Schweizerdeutsch / Schwyzerdütsch 373
Regionalsprache 178, 346, 347, 350, 388, Schweizerhochdeutsch
391, 392, 393, 394, 395, 396, 403, 421, 749 ⫺ Aussprache 376, 377, 378, 379
Resultatsgrammatik 296, 1260 ⫺ Sprachgebrauch 379, 380, 381, 382
Rezeption 282, 230, 240, 241, 242, 259, 275, Schweizerische Konferenz der kantonalen
280, 288, 305, 306, 309, 310, 339, 499, 502, Erziehungsdirektoren (EDK) 81, 161, 165,
522, 527, 528, 626, 645, 664, 665, 694, 800, 378, 1035
861, 862, 929, 962, 964, 967, 1033, 1037, Screening 1087, 1088, 1281, 1310, 1311
1201, 1234, 1246, 1256, 1283, 1284, 1290, segmental 189, 190, 191, 196, 364, 587, 1002,
1434, 1535, 1545, 1583, 1599 1003
Rezeptionsästhetik 1466, 1525, 1531, 1532, Selbstbild 453, 1108, 1154, 1425, 1427, 1496,
1533, 1539, 1544, 1547, 1549, 1550, 1600 1507, 1566
Rezeptionsgrammatik 1260, 1546, 1644 Selbstevaluation 856, 1150, 1155, 1185, 1276,
Rezeptionsgrammatik / Verstehensgrammatik 1282, 1366
297, 301, 1013, 1017, 1260 Selbstwahrnehmung 1561, 1562
Rhythmus (Phonetik) 197, 449, 451, 836, Semantik 218, 230, 233, 237, 242, 555, 562,
1003, 1551 782, 786, 788, 810, 830, 1022, 1458, 1617
Routineformel 248, 573, 574, 598, 948 Semantisierung 310, 1023, 1024, 1026, 1042,
Rückübersetzung 1043, 1044 1247, 1253, 1254, 1255, 1368, 1396, 1461
Sequenzen, formelhafte 246, 1023
silbenzählend(e) Sprache 451, 588, 570, 662,
720
S Skill-Acquisition-Theorie 808, 809
Sorbisch (Einfluss auf Deutsch) 442, 443
Satzgrammatik 262, 298 SOV-Sprache 555, 605
Schreiben (Fertigkeit) 26, 201, 255, 282, 310, Soziolekt 351, 455, 1201
313, 328, 374, 412, 415, 419, 425, 427, 473, Soziolinguistik 266, 345, 350, 557, 744, 964
478, 491, 492, 501, 511, 566, 797, 830, 930, Sprach(en)politik 2, 3, 10, 15, 16, 17, 26, 35,
945, 961, 962, 963, 964, 965, 966, 967, 969, 45, 51, 53, 54, 58, 77, 81, 92, 105, 107, 116,
983, 984, 992, 993, 994, 995, 996, 997, 1037, 124, 125, 127, 128, 129, 130, 133, 134, 138,
1040, 1103, 1118, 1121, 1122, 1123, 1131, 142, 144, 154, 155, 157, 158, 399, 557, 892,
1135, 1211, 1238, 1239, 1253, 1269, 1275, 1047, 1050, 1536, 1346, 1444, 1511, 1654,
1282, 1284, 1285, 1290, 1300, 1303. 1309, 1668, 1690, 1691, 17600, 1702, 1718, 1730,
1320, 1360, 1583, 1584, 1585, 1587, 1703, 1731, 1761, 1770, 1769, 1817, 12818, 1819,
1783 1821
Schreibkompetenz 992, 1078, 1116, 1122, Sprachaufmerksamkeit 175, 1013, 1109,
1142, 1301 1111, 1169, 1475, 1505
Schreiblernprozess / Schreiben lernen 511, Sprachcoaching 1149
996, 997, 1123 Sprachdiagnostik 8, 16, 65, 68, 1305, 1306,
Schreibprozess 966, 992, 993, 995, 996, 997, 1307, 1308, 1309, 1310, 1311, 1312
1255, 1585, 1586, 1588 Sprache, pluriareale 361, 369
Schreibübungen 995, 996, 1278 Spracherwerb, s. auch Erstspracherwerb /
Schreibwerkstatt 1142, 1255, 1583, 1585, Zweitspracherwerb 1, 4, 7, 11, 17, 25, 114,
1586, 1587 151, 162, 176, 177, 218, 293, 301, 330, 453,
Schriftlichkeit, s. auch Mündlichkeit 182, 519, 566, 676, 681, 739, 740, 741, 742, 743,
266, 276, 325, 380, 412, 415, 422, 425, 440, 744, 747, 749, 756, 758, 777, 781, 782, 784,
505, 511, 547, 773, 984, 1131 785, 786, 787, 788, 799, 800, 801, 803, 805,
Schriftspracherwerb 1120, 1120, 1121, 1122, 807, 808, 810, 811, 812, 813, 814, 819, 837,
1205, 1211 843, 847, 862, 867, 868, 869, 879, 888, 890,
Schuleingangsuntersuchung 1068, 1087 904, 905, 940, 941, 966, 979, 980, 981, 1000,
Sachregister 1857

1010, 1011, 1013, 1014, 1027, 1033, 1057, Sprachwandel 345, 346, 404, 420, 434, 455,
1089, 1117, 1196, 1244, 1260, 1397, 1312, 533
1313, 1335, 1450, 1455, 1460, 1462, 1578 Sprachwissenschaft 6, 11, 19, 56, 174, 176,
Spracherwerbsbiografie 1085 179, 182, 183, 265, 331, 332, 334, 339, 345,
Spracherwerbsforschung 7, 13, 66, 118, 177, 381, 405, 415, 467, 502, 506, 518, 580, 603,
315, 521, 528, 685, 723, 738, 778, 789, 812, 610, 675, 681, 687, 720, 726, 764, 775, 777,
842, 867, 941, 1008, 1022, 1023, 1259, 1306, 861, 864, 908, 909, 911, 1016, 1199, 1311,
1460, 1699, 1784 1379, 1445, 1603, 1604, 1617, 1648, 1661,
Spracherwerbstheorien, s. auch Spracherwerb 1662, 1672, 1676, 1687, 1696, 1697, 1699,
740, 741, 1009, 1013, 1333 1704, 1710, 1715, 1723, 1739, 1749, 1750,
Sprachförderung 8, 10, 14, 16, 27, 45, 54, 66, 1751, 1763, 1772, 1778, 1780, 1784, 1788,
104, 114, 116, 118, 133, 135, 146, 148, 149, 1803, 1825
152, 1052, 1078, 1083, 1086, 1087, 1088, Sprechakt / Sprechakttheorie 257, 260, 261,
1090, 1091, 1987, 1344, 1533, 1591 288, 582, 593, 926, 927, 1645
Sprachgebrauch (Veränderungen) 411, 412 Sprechangst 746, 986, 987, 989
Sprachhandlungskompetenz 2, 7, 9, 10, 739, Sprechen (Fertigkeit) 83, 169, 198, 240, 241,
745, 987, 1055, 1087, 1147, 1252, 1253 255, 331, 334, 414, 425, 427, 566, 594, 664,
Sprachinsel 89, 92, 399, 401, 439, 1797 797, 808, 830, 945, 961, 962, 963, 964, 965,
Sprachkompetenz(en) 36, 37, 38, 78, 117, 966, 967, 969, 971, 972, 975, 983, 984, 985,
118, 145, 179, 180, 183, 294, 297, 787, 812, 988, 989, 990, 991, 1046, 1103, 1123, 1135,
859, 872, 880, 888, 892, 937, 961, 1014, 1239, 1252, 1269, 1290. 1293, 1300, 1301,
1035, 1070, 1087, 1110, 1123, 1133, 1211, 1302, 1303, 1304, 1309, 1313, 1593, 1703,
1238, 1289, 1299, 1300, 1309, 1312, 1313, 1783
1321, 1355, 1429, 1498, 1511, 1522, 1514, Sprecherdeixis 512, 597
1517, 1651, 1722, 1798, 1837 Sprechhandlung 257, 260, 261, 262, 437, 510,
Sprachkontakt 269, 345, 414, 432, 439, 447, 556, 598, 929, 1435
569, 596, 610, 611, 674, 681, 694, 720, 727, Standardaussprache 189, 190, 191, 193, 1003
886, 874, 909, 1099, 1312, 1624 Standardsprache 85, 190, 200, 327, 343, 346,
Sprachlehr- und Sprachlernforschung 8, 25, 347, 349, 353, 360, 361, 363, 368, 373, 374,
46, 47, 1074, 1673 375, 376, 377, 380, 385, 387, 388, 391, 392,
Sprachlernberatung 15, 181, 1162, 1163, 393, 395, 401, 403, 421, 434, 439, 973, 1303
1164, 1165, 1237 Standardvarietät, s. auch Varietät 178, 190,
Sprachlerneignung 745, 831, 901, 902, 903, 295, 338, 349, 350, 353, 354, 355, 361, 368,
904, 905 376, 420, 421, 422, 428, 435, 1003, 1292,
sprachliche Veränderungen 196, 200, 204, 1501, 1505
284, 296, 346, 350, 381, 405, 406, 414, 415, Ständige Konferenz der Kultusminister der
432, 434, 449, 452, 455, 757, 812 Länder (KMK) 63, 130, 137, 145, 490,
Sprachmischung 332, 435 1264, 1269, 1401, 1640, 1741
Sprachmitteln 294, 323, 1040, 1041, 1044, Ständiger Ausschuss Deutsch als Fremd-
1945, 1046 sprache (StADaF) 104, 137, 147
Sprachprüfung(en) 2, 8, 16, 110, 112, 114, Stereotypen 334, 335, 338, 352, 395, 455,
117, 118, 159, 489, 511, 1119, 1120, 1147, 556, 1220, 1254, 1383, 1386, 1387, 1398,
1269, 1272, 1275, 1282, 1289, 1290, 1291, 1423, 1424, 1425, 1426, 1427, 1428, 1434,
1292, 1295, 1296, 1299, 1480, 1505, 1639, 1473, 1475, 1476, 1486, 1488, 1502, 1507,
1666, 1700, 1737, 1772, 1829 1513, 1515, 1535, 1764
Sprachstandsmessung 749, 1284, 1307 Stiftung „ch-Austausch“ 162
Sprachverband Deutsch für ausländische Stil 178, 289, 311, 325, 327, 328, 339, 343,
Arbeitnehmer e.V. 20, 109 345, 346, 351, 353, 354, 355, 379, 407, 411,
Sprachverbreitungspolitik 48, 56, 59, 60 413, 414, 420, 426, 428, 432, 433, 434, 435,
Sprachvergleich 174, 175, 178, 182, 207, 298, 436, 448, 453, 454, 455, 485, 498, 499, 502,
518, 524, 526, 864, 865, 964, 978, 1106, 506, 513, 787, 993, 1255, 1447, 1460, 1474,
1109, 1359 1522, 1573, 1575, 1585
1858 Indices

Stoßton 545 Tandemkurse 1189, 1190, 1191, 1715


Strategie, s. auch Lernstrategie 40, 230, 246, telc 141, 150, 170, 1275, 1292, 1294, 1295,
250, 251, 252, 261, 279, 280, 297, 327, 335, 1300
336, 411, 453, 463, 505, 522, 526, 527, 589, Terminologie
590, 674, 741, 742, 757, 758, 777, 802, 804, ⫺ Fach-/Wissenschaftssprachen 480, 496,
830, 831, 834, 840, 843, 845, 853, 864, 872, 497, 513, 519, 738, 851, 983, 1048, 1049,
888, 891, 897, 904, 905, 928, 929, 957, 058, 1051, 1066, 1266, 1414, 1538
962, 966, 974, 975, 076, 979, 980, 981, 986, ⫺ Grammatik 295, 533, 1016
987, 988, 992, 993, 996, 1024, 1027, 1035, ⫺ Phonetik 189
1056, 1064, 1121, 1122, 1149, 1152, 1154, Terminologisierung 479, 496, 719
1155, 1158, 1159, 1160, 1182, 1184, 1185, Tertiärsprache 525, 827, 828, 832, 1037, 1812
1197, 1208, 1239, 1266, 1277, 1292, 1428, Tertiärsprachendidaktik 619, 828, 829, 830,
1367, 1371, 1417, 1423, 1434, 1455, 1458, 831, 1037, 1043, 1368, 1820
1460, 1461, 1472, 1501, 1507, 1551, 1580, Tertiärsprachenforschung 522, 747, 827, 1368
1586, 1587, 1597, 1600 Test des Österreichischen Integrationsfonds
Struktur-Lege-Technik 896 (ÖIF-Test) 111, 112, 1299, 1302, 1303,
Studiengänge 3, 4, 6, 11, 13, 14, 15, 21, 22, 1304
24, 25, 26, 27, 28, 30, 36, 37, 38, 39, 68, 78, TestDaF (-Institut) 8, 147, 490, 1275, 1280,
96, 104, 136, 149, 175, 181, 183, 218, 464, 1282, 1285, 1294, 1296, 1347, 1687
778, 918, 1074, 1075, 1193, 1333, 1336, Testen (Testarten) 1289, 1290, 1291, 1298,
1341, 1342, 1343, 1344, 1345, 1346, 1347,
1333, 1360
1348, 1351, 1358, 1359, 1361, 1387, 1402,
Testen und Prüfen 8, 14, 117, 102, 1027,
1416, 1441, 1512, 1516, 1521, 1524, 1603,
1273, 1315
1604, 1605, 1616, 1621, 1624, 1627, 1629,
Text-Bild-Relation 504, 505
1630, 1633, 1634, 1640, 1652, 1659, 1662,
Textfunktion 276, 285, 286, 288, 289, 324,
1663, 1669, 1672, 1667, 1678, 1686, 1687,
325, 326, 997
1688, 1691, 1694, 1708, 1711, 1712, 1718,
Textgrammatik 173, 275, 278, 290
1730, 1738, 1745, 1748, 1749, 1751, 1752,
Textkompetenz 7, 9, 77, 179, 278, 831, 962,
1755, 1756, 1758, 1767, 1768, 1797, 1799,
1009, 1010, 1035, 1036, 1130, 1131, 1132,
1800, 1802, 1803, 1807, 1808, 1811, 1816,
1133, 1134, 1135, 1136, 1320, 1419, 1652
1821, 1822, 1825, 1826, 1830, 1835, 1836
Studienkolleg 27, 48, 74, 145, 148, 1282, Textlinguistik 170, 275, 401, 541, 550, 551,
1296, 1842 556, 566, 590, 613, 654, 657, 670, 681, 692,
Studiensprache Deutsch 509 694, 697, 730, 732, 735, 926, 927, 992, 1034,
subjektive Theorien 895, 897, 898, 942, 1352 1131, 1261, 1524, 1617, 1687, 1723, 1784,
subjektive Unterrichtstheorien 1329, 1330 1830
Substandardisierung 434 Textproduktion 275, 305, 308, 310, 462, 973,
Südafrikanischer Germanistenverband 1028, 1128, 1252, 1253, 1586, 1587, 1599
(SAGV) 1808 Textproduzent 280, 287, 325
Suffigierung 207, 228, 229, 230, 231, 232, Textrezipient 287, 325
240, 675, 720, 735 Textschwierigkeit 966, 980
suprasegmental 189, 190, 364, 1002, 1003 Textsorten 177, 238, 253, 275, 281, 284, 285,
SVO-Sprache 665, 684 286, 287, 288, 289, 290, 300, 332, 355, 408,
Synkretismen 211, 219, 570 419, 425, 426, 461, 462, 467, 470, 483, 484,
Synonymie 239, 496, 735 485, 496, 498, 511, 554, 574, 581, 632, 963,
995, 1016, 1034, 1122, 1142, 1233, 1260,
1530, 1583
T Textsortenkompetenz 281, 284, 290, 1290
Texttyp 285, 290, 408, 415, 461, 1035
Tandem 29, 41, 422, 1005, 1014, 1188, 1189, Textualität 275, 276
1190, 1191, 1210, 1237, 1238, 1417, 1658, Theater 989, 1142, 1174, 1479, 1508, 1556,
1659, 1715 1584, 1589, 1590, 1591, 1592, 1593, 1596,
Sachregister 1859

1609, 1625, 1691, 1699, 1717, 1724, 1791, V


1799
Theaterpädagogik 1589, 1590, 1591, 1593, Valenz 6, 50, 221, 222, 225, 233, 249, 250,
1692 295, 308, 310, 452, 533, 535, 539, 554, 555,
time-on-task-Prinzip 945 565, 573, 582, 586, 587, 595, 597, 637, 643,
Toleranz 136, 168, 862, 865, 1140, 1423, 654, 670, 675, 701, 729, 734, 978, 1016,
1429, 1447, 1473, 1489, 1498, 1536, 1688 1675, 1830
Tonhöhe 197, 332, 427, 594, 622, 629, 674, Valenzwörterbücher 308
688, 707, 713, 783 Validierung 85, 768, 896, 899, 1269, 1365,
Topic sentences 470 1368, 1398
Topik / Topikalisierung 220, 221, 225, 280, Varianten, sprachliche 344, 349, 353, 360,
571, 595, 596, 597, 605, 648, 650, 685, 714, 361, 364, 369, 376, 377, 413, 420, 428, 970,
721, 785 1259, 1295
Transkulturalität 1139, 1140, 1248, 1384, Variantenwörterbuch 361, 375, 381, 395
1525, 1526 Variationslinguistik 343, 345, 346, 419
Triangulation 768, 769, 1387 Varietät, sprachliche 7, 140, 178, 182, 190,
Türkendeutsch 449, 450 206, 237, 295, 296, 298, 299, 317, 325, 338,
339, 340, 343, 344, 345, 346, 347, 350, 351,
353, 354, 355, 360, 361, 362, 368, 373, 375,
U 376, 385, 386, 390, 398, 399, 400, 401, 402,
414, 420, 421, 433, 434, 435, 436, 439, 447,
Übergeneralisierung 541, 757, 774, 785, 786, 448, 449, 450, 452, 454, 505, 510, 522, 528,
834, 986, 1060, 1425 862, 890, 1045, 1053, 1509, 1510
Übersetzen 17, 151, 323, 324, 325, 326, 328, Verbalklammer 220, 573
329, 330, 693, 962, 950, 976, 1040, 1041, Verbalsatz 535
1042, 1043, 1045, 1618, 1652, 1675, 1663, Verein der Lehrenden für Deutsch
1681, 1703, 1710, 1723, 1738, 1746, 1800 als Fremdsprache an Hochschulen
Übersetzer-/Dolmetscherausbildung 36 , 37, in der Schweiz (Ledafids) 164
562, 566, 634, 1041, 1046, 1295, 1745, 1765, Verstehensabsicht 972, 974, 975
1782 Vielsprachigkeit 118, 1669
Übersetzungskompetenz, s. translatorische K. Vokalharmonie 720, 734
Übersetzungsübungen 329, 580, 1045, 1788 Vokallänge 192, 655, 661
Übungsgrammatik 301, 1258, 1261 Vokalspannung 191, 192, 193, 675
Umgangssprache 57, 85, 346, 353, 360, 363, Vokativ 609, 517, 656, 669, 689, 728
364, 367, 374, 381, 387, 390, 420, 421, 448, Vorfeld (im Satz) 220, 221, 225, 299, 421,
455, 473, 926 587, 701, 1013
Universalgrammatik 741, 800, 801, 807, 873, Vorstudienlehrgang 27, 74, 153, 158, 1296
756, 800, 801, 802, 807, 837, 873 Vorurteil 776, 940, 1141, 1398, 1423, 1424,
Unterrichtsanalyse 912, 1363, 1364, 1365, 1425, 1426, 1428, 1429, 1472, 1507, 1535,
1367 1580, 1581, 1675, 1764, 1779
Unterrichtsforschung 772, 822, 823, 915, Vorwissen 181, 324, 644, 681, 767, 776, 934,
950, 1067, 1108, 1236, 1363, 1364, 1367, 938, 966, 970, 973, 976, 977, 978, 979, 980,
1371 1022, 1057, 1111, 1253, 1277, 1325, 1327,
Unterrichtsmethoden 102, 881, 898, 913, 1487, 1532, 1539, 1540, 1579
956, 1022, 1367, 1382, 1507, 1649, 1828 VOS-Sprache 621
Unterrichtsplanung 911, 912, 923, 933, 934,
935, 936, 937, 938, 1074, 1173, 1217, 1311,
1312, 1333 W
Unterrichtssprache 68, 73, 78, 84, 100, 354,
413, 891, 918, 1120, 1134, 1324, 1646, 1667, Wahrnehmung 125, 189, 252, 268, 520, 743,
1676, 1677, 1690, 1717, 1718, 1726, 1735, 771, 782, 788, 811, 812, 818, 823, 837, 838,
1749, 1798, 1840 853, 855, 860, 861, 898, 949, 977, 981, 1013,
1860 Indices

1014, 1015, 1080, 1111, 1134, 1153, 1160, Z


1162, 1204, 1210, 1248, 1325, 1331, 1332,
1365, 1366, 1374, 1398, 1424, 1425, 1426,
Zentrale Oberstufenprüfung (ZOP) 1294,
1427, 1435, 1446, 1462, 1474, 1475, 1531,
1536, 1537, 1538, 1566, 1580, 1596, 1597, 1295, 1779
1598, 1599, 1600 Zentralstelle für das Auslandsschulwesen
Wahrnehmungsschulung 1462, 1548 (ZfA) 41, 47, 48, 102, 104, 136, 137, 138,
wash-back-Effekt / back-wash-Effekt 1277 144, 147, 171, 1623, 1640, 1656, 1603, 1608,
weil (Wortstellung) 408, 428 1609, 1640, 1665, 1707, 1811, 1841
Weltwissen 277, 623, 739, 993, 1035, 1276, Zertifikat Deutsch (ZD) 8, 85, 156, 355, 973,
1392, 1486, 1538 924, 927, 1100, 1284, 1290, 1292, 1293,
Wirtschaftsdeutsch 25, 27, 40, 57, 97, 239, 1294, 1295, 1505, 1687, 1737, 1742
458, 459, 461, 462, 463, 464, 556, 619, 685, Zertifikat Deutsch als Fremdsprache 925,
1154, 1146, 1147, 1285, 1295, 1645, 1657, 926, 927
1681, 1687, 1707
Zertifikat Deutsch für den Beruf 1285, 1294
Wissenschaftssprache 10, 17, 91, 92, 94, 95,
Zertifikat Deutsch für Jugendliche 1292,
96, 175, 177, 183, 237, 238, 239, 351, 477,
490, 491, 493, 494, 497, 498, 499, 509, 510, 1294
513, 554, 654, 1054, 1055, 1057, 1058, 1347, Zertifikat(e) 113, 914, 925, 926, 927, 1193,
1416, 1670, 1719, 1724 1273, 1275, 1289, 1294, 1295, 1296, 1306,
Wortakzent 196, 197, 228, 229, 364, 451, 1316, 1672, 1771, 1779, 1786, 1802, 1836,
524, 552, 570, 588, 594, 609, 616, 621, 649, 1843
664, 668, 674, 688, 694, 707, 713, 720, 727, Zertifikatslehrgänge 1090, 1358, 1359
734 Zertifikatsprüfung 928, 1291
Wortartenwörterbücher 308 Zuwanderung 8, 15, 54, 65, 67, 107, 108,
Wortbildung 175, 206, 210, 227, 228, 229, 109, 110, 114, 118, 149, 749, 1096, 1097,
231, 232, 233, 234, 238, 239, 240, 242, 279, 1299, 1302, 1304, 1359, 1489, 1495, 1737,
298, 309, 366, 378, 379, 409, 410, 427, 432,
1839, 1840
435, 435, 436
Zuwanderungsgesetz (Deutschland) 67, 109,
⫺ Entwicklungen 409, 410, 411, 440, 445,
460, 469, 479, 481, 488, 506, 519, 540, 541, 110, 117, 149, 414, 1096, 1097, 1299, 1346,
553, 572, 587, 589, 604, 635, 648, 654, 656, 1359, 1489
664, 670, 676, 677, 691, 694, 696, 715, 716, Zuwanderungsgesetz (Österreich) 112
720, 722, 729, 735, 926, 927, 1054, 1056, Zweisprachigkeit 66, 83, 373, 374, 382, 402,
1150, 1231, 1253, 1311, 1461, 1813 441, 1010, 1074, 1312
Wörterbuchbenutzungsforschung 304, 305, Zweitschrifterwerb 1117
306, 1028, 1254 Zweitsprachendidaktik 999, 1074, 1583,
Wörterbuchdidaktik 304, 307 1590, 1591
Wortklasse 315, 595, 597, 689, 690, 602 Zweitsprach(en)erwerb 66, 69, 115, 309, 520,
Wortmelodie 649 521, 522, 524, 738, 739, 754, 760, 755, 762,
Wortschatz (Entwicklungen) 408
805, 810, 840, 867, 868, 869, 870, 877, 878,
Wortschatzarbeit 252, 312, 566, 1022, 1025,
880, 887, 888, 890, 909, 941, 1011, 1057,
1026, 1028, 1044, 1150, 1252, 1253, 1254,
1255, 1256, 1461, 1599 1064, 1074, 1079, 1087, 1123, 1333
Wortstellung 209, 211, 219, 225, 279, 407, Zweitsprach(en)erwerbsforschung 25, 723,
408, 428, 483, 555, 587, 595, 602, 605, 629, 739, 745, 749, 754, 755, 761, 802, 807, 861,
630, 631, 635, 642, 648, 681, 690, 691, 701, 909, 1005, 1022, 1023, 1024, 1259, 1699,
707, 708, 717, 721, 722, 733, 784, 801, 804, 1836
839, 1012, 1017 Zweitsprachenprüfung 1299
Personenregister

A Althoff 1569
Altmann 232
Abdülhayoğlu 722 Altmayer 5, 36, 176, 1329, 1334, 1381, 1382,
Abel 308 1386, 1403, 1407, 1408, 1409, 1432, 1433,
Abraham 218, 641, 1575 1436, 1438, 1441, 1443, 1449, 1450, 1456,
Abrahamsson 839, 868, 869, 870, 871, 872, 1461, 1467, 1469, 1470, 1472, 1473, 1474,
873, 874 1475, 1479, 1485, 1485, 1486, 1517, 1526,
Abrams 1185 1535, 1545, 1547, 1550, 1565, 1566
Abuja 1050 Altmeyer 914
Abutalebi 872 Altrichter 915, 1352, 1353, 1371
Achtenhagen 908, 912 Ambrazas 616, 617, 618
Ackermann 1560, 1572 Amirsedghi 1572
Ackroyd 1590 Ammann 255
Acosta 702 Ammer 1219, 1385, 1468, 1480, 1514, 1515
Adachi-Bähr 593 Ammon 27, 35, 58, 59, 60, 90, 91, 92, 93, 94,
Adamcová 697 95, 96, 98, 102, 103, 105, 178, 346, 349, 350,
Adamson 522 355, 361, 367, 375, 376, 377, 379, 381, 395,
Adamzik 178, 182, 275, 276, 284, 285, 286, 412, 422, 551, 878
287, 288, 289, 290, 581, 1016, 1034 Amodeo 1572
Adelung 362 Anders 394, 1003
Adolphs 251, 1525 Andersen 1757
Adorno 1562 Anderson 808, 944, 949, 955, 1371, 1559
Agar 1461 Andress 1835
Ágel 250, 420, 425, 426, 427, 734 Andrews 864
Aguado 318, 768, 769, 771, 838, 1011, 1023, Andriamanantseheno 623
1027 Androutsopoulos 338, 352, 432, 433, 435,
Ahlgren 648 450, 451, 453
Ahmad 532 Annas 1807
Ahrenholz 66, 69, 744, 749, 1009, 1010 Anschütz 469, 471
Aitchison 241, 311, 1247 Anstatt 674
Akin 1573 Antoniadou 637
Al-Baharna 1154 Antos 66, 275, 460, 997
Albers 532, 775, 1055 Apelt 1155, 1456, 1457
Albrech 439 Apeltauer 28, 69, 749, 834, 839, 840
Albrecht 1416 Apfelbaum 1191
Alderson 1277 Appel, G. 820
Alekseeva 1780 Appel, J. 1352
Alexander, I. 399 Arbuzov 1725
Alexander, R. 1316 Århammar 443
Alexandreia, von 1177 Aristoteles 255, 256
Alfes 1333 Arnold, E.J. 1216
Allport 1424 Arnold, H. 1569
Allwright 1364, 1367, 1373, 1374 Arnold, M. 941, 947
Altenberg 318 Arnold, P. 1193, 1194, 1195
Altenhofen 1625 Arnold, R. 1194
Alter, P. 45 Arntz 480
Althaus 1381, 1426, 1441, 1444, 1476, 1487, Arold 565
1514 Artemčuk 726, 728
1862 Indices

Asher 1001 Bärenfänger 769, 770


Askedal 219, 648 Barkhuizen 319, 777
Assmann, A. 1427, 1556, 1559 Barkowski 63, 65, 66, 115, 189, 1097, 1219,
Assmann, J. 1427, 1556 1260, 1383, 1403
Aston 318 Barron 556
Ates 1140, 1141 Barth 326
Attaviriyanupap 706, 709 Bartnicka 654
Auer 265, 333, 337, 338, 344, 346, 352, 414, Bartnitzky 935
419, 425, 449, 450, 451, 452, 453, 454, 455, Barton 1118
511, 588, 720 Barz 228, 229, 230, 232, 233, 239, 240, 305,
Auernheimer 1138 308, 309, 411, 1645
Auerochs 1555, 1556, 1557 Basbøll 545
Augustin 582 Baschewa 539
Austin 255 256, 257 Bascuñán 1634
Ausubel 1540 Båsk 464
Basler 440, 445
Bassarak 721
B Baßler 179, 347, 354, 355, 422, 511
Bassola 734
Baca 879 Basteck 1516
Bach 1352 Bastian 581
Bachmair 1163 Bates 784, 814, 839, 978
Bachmann, L. 1265, 1278, 1290 Batts 1522, 1524
Bachmann, S. 1217, 1221, 1416, 1425, 1474, Bauböck 107, 115
1476 Bauer, A.W. 468
Bachmann, T. 375, 381 Bauer, U. 59
Bachmann-Medick 1408, 1418, 1535 Bauer, W. 1245
Badstübner-Kizik 1385, 1462, 1474, 1599, Baum 503
1600 Baumann, B. 748
Bærentsen 545 Baumann, K.-D. 286, 498
Baethge 468 Baumgratz 1458, 1525
Báez Osorio 1709 Baur 67, 85, 881, 1075, 1076, 1077, 1078,
Bagossy 472 1243, 1343, 1356, 1357, 1358, 1359, 1361
Baguette 1191 Baurmann 1160
Bahr 1368 Bausch 3, 13, 24, 41, 179, 765, 907, 909, 910,
Baktir 1504 912, 914, 929, 930, 941, 1009, 1034, 1043,
Balaišis 618 1061, 1167, 1170, 1217, 1266, 1268, 1269,
Balassi 635 1292, 1514, 1820
Balay 95 Bausinger 1425, 1432, 1525
Baldegger 261, 927, 1292 Baužienė 619, 1731
Baldwin 785 Baymak-Schuldt 1116
Balle 994 Béchet-Tsarnos 460
Ballstaedt 1247 Bechs 544
Ballweg 1211, 1236, 1512 Bechtel 1191, 1394, 1397
Bally 246 Becker, F. 1373
Balode 1727 Becker, M. 1148
Balzer 702 Becker, N. 1056
Bandura 794 Becker-Mrotzek 987
Bannert 545 Beckett 1175
Baran 1001 Beczner 735
Baranov 674 Beerbom 702
Barberis 588 Beer-Kern 64
Personenregister 1863

Beers 1245 Bickel 81, 374


Behal-Thomsen 1248, 1426, 1476 Bickes 637
Behme 1177 Biebighäuser 1210
Beier 1219 Biechele, B. 1597
Beissner 1786 Biechele, M. 1208, 1232, 1235, 1403, 1433,
Belke 1111, 1551, 1578 1447, 1509, 1513
Bell 770 Bienek 1561
Bellmann, G. 346, 386, 442 Biere 505
Belz, J. 1185, 1209 Biermann Stolle 1709
Bemile 1667, 1669 Biffl 75, 76
Bendel 463, 506 Bilal 533
Benedict 1406, 1407 Billmann-Macheta 1334
Benedikter 495 Bilut-Homplewicz 657
Beniulienė 618 Bimmel 843, 844, 847, 934, 937, 1159
Benjamin 1562 Biondi 1572, 1574
Benninghoff-Lühl 1754 Birdson 868, 869, 871, 872, 873
Bense 1643, 1644 Birkenmaier 676
Benseler 1836 Birkner 331, 333
Benzian 532 Birzniece 916
Berdychowska 657 Bischof 1550, 1567
Bereiter 992 Bismarck 97
Berend 350, 399, 414, 421, 427, 429, 889 Blacher 1725
Berg, E. 1392, 1408, Black 1315, 1318
Berg, C. 1733, 1734 Blankenhorn 400
Bergenholtz 545, 623, 625, 1645 Blasco Ferrer 586, 587
Berger, M. 829 Blau 482
Berger, P. 419 Blei 22, 44, 54
Berger, T. 675, 711, 715 Bleibtreu 454
Bergmann, A. 677 Bleicher 1572
Bergmann, J. 259 Blell 1597
Bergmann, K. 1481 Blex 1346
Bergner 414 Bley-Vroman 802, 803, 804
Berkemeier 635 Bleyl 1061
Berkemeyer 1237 Bliesener 472
Bernardini 317 Block 1328, 1373
Berndt 867, 896, 898 Blohm 534
Bernhard 367 Bloom, H. 1559
Bernhardt 976 Bloom, L. 785, 788, 789
Bertaux 1524 Bloomfield 795
Bertino 1591 Blühdorn 660
Bertoncini 783 Blum 1374
Besch 345, 386, 414 Blum-Kulka 327, 332, 522, 1367
Betten 426 Blumenthal 581, 586, 590
Bettermann 1460 Boas, F. 1406
Betz 420, 426 Boas, H. 400
Beuchling 1839 Bobinac 1719
Bextermöller 462 Bochmann 670
Beyrer 670 Bock-Schappelwein 75, 76
Bhola 1117 Bock, G. 306
Bhück, von 1341 Bock, H.M. 1448
Bianco 586 Boeckmann 77, 78, 117, 953, 954, 955, 957,
Biber 316, 325 1345, 1358, 1367, 1373, 1383, 1416
1864 Indices

Boers 252, 1022 Brandt, W. 1775


Boesch 375, 377 Braucek 701
Boeschoten 723 Bräuer 996, 1590
Bogaards 1023 Braun, F. 556
Bogatyrewa 1458 Braun, K. 46
Bogner 1415, 1416, 1524 Braunert 1056
Böhm 1647, 1648, 1809 Braunmüller 681, 682
Böhme 1396 Brdar 735
Bohn 967, 992, 993, 995, 1022, 1024, 1025, Brdar-Szabó 735
1026, 1027, 1256 Brecht, B. 1638
Bohnen 1645 Brecht, R. 1834, 1835
Bohušová 694 Breckle 464, 681, 684, 685, 1782
Bollenbeck 1405 Bredella 1392, 1393, 1394, 1395, 1398, 1513,
Bolte 990 1517, 1531, 1537, 1539, 1540
Bolten 458, 958, 1526 Breen 1148, 1373
Bolton 775, 985, 1275, 1590 Breindl 175, 183
Boly 1787 Breinig 1139
Bommes 110, 115, 118 Breitkopf 677
Bonfadelli 1495 Breitung 953, 954, 1217, 1222
Bongaerts 903 Briesemeister 1457
Bonin 795 Brinitzer 301
Boócz-Barna 736, 1365 Brinker 268, 275, 276, 277, 278, 280, 284,
Boosch 879 286, 287, 288, 289, 458, 1587
Bork 52 Brinkmann 1121
Born 89 Brisson 1593
Börner 877, 993, 1009, 1252, 1583, 1586 Brizić 9, 115, 747, 749, 891, 1132
Bornstein 785 Brockmeier 1130
Borsuková 694, 697 Brohy 82
Bortz 765, 766, 769, 770, 772, 774 Bromme 1324, 1331
Bos 892 Bromwich 1559
Bosco Coletsos 586, 588, 589, 590 Bronsert 670
Bose 270, 984, 987 Brophy 1367
Bosque 702 Brosius 774
Bosse 1417 Brown, D. H. 941
Böttcher 510, 511 Brown, J. D. 765, 768, 769, 770, 772, 776,
Bottesch 399, 1771 1280
Böttger 674, 675, 676 Brown, P. 269
Boubia 1739 Brüggelmann 1121
Bouchara 178, 533, 536 Bruha 126
Bourdages 1001 Bruner 798, 821, 1326,1327
Bourdieu 889, 890, 1428, 1494 Brünner 462, 987
Bourhis 879 Brunzel 1476
Bourke 1592 Bruun Hansen 1645
Bowker 317 Bryan 1569
Braga 92 Brysch 1590
Braine 785 Bublitz 555
Brammerts 1046, 1165, 1190, 1191, 1210, Bubner 1392
1237 Bucher 505
Brand, K. 498 Buchholtz 1725
Brandone 785 Buchholz 606
Brandt, G. 1727 Büchner 1555
Brandt, S. 785 Bücker 336
Personenregister 1865

Budin 581 Cantone 805


Büffel 1234 Capirci 785
Bühler 255, 256, 288, 324, 1552, 1583 Cappai 1416, 1488
Buhlmann 1053, 1056, 1100, 1102, 1103, Carigiet 82
1219, 1300 Carl 179
Bührig 267, 269, 514 Carletta 319
Bujaldón de Esteves 1610 Carlisle 999
Bukevičiūtė 616 Carlsson 681
Bunčić 555 Carnap 255, 256
Burden 1154 Carr 1374
Burger 246, 247, 248, 249, 251, 502, 505 Carrington 95
Burgschmidt 552, 553, 554, 555 Carroll 901, 902
Burns 1352, 1354, 1371, 1372 Carstensen 443
Burr 580 Cartagena 298, 698
Burri 375, 377 Carter 317
Busch, B. 73 Cary 1569
Busch, D. 1417 Casenhiser 838
Busch-Lauer 470, 556 Caspari 1352, 1397
Buscha 50, 174, 218, 261, 295, 296, 299, 301, Casper-Hehne 36, 491, 510, 1343, 1347,
667, 1026, 1259, 1260 1378, 1443
Busche 1403 Cassirer 1562
Busek 139 Castell 178, 700, 701, 702
Businger 375, 378, 381 Castro 1634
Buß 889 Català 702
Busse 443 Catalani 587, 590
Bußmann 557 Cebulla 458
Buttaroni 1123 Cedden 836
Buttjes 1449, 1454, 1459, 1460, 1472, 1523 Celan 1561
Butulussi 634, 637, 638 Celce-Murcia 1009
Butzkamm 526, 527, 961, 1026, 1042, 1043 Cenoz 520
Buytendijk 1177 Centeno Garcia 496, 511
Bybee 209, 837 Ceplı̄tis 612
Bykova 1780 Červenková 694, 696
Byon 860 Ceylan 454
Byram 1380, 1398, 1399, 1448, 1513, 1514, Chamot 842, 843, 844, 846, 847, 1158
1515, 1517 Champagne-Muzar 1002
Byrnes 1837 Chan 845
Bytel 711 Chapelle 854, 855, 1206
Bzde˛ga 656 Charpentier 1597
Chatziioannou 636
Chaudron 775, 1061
C Chavez 1184
Chen, S. 1053, 1056
Cajot 641 Chen, T. 1044
Calañas 702 Cheon 603
Calvert 1165 Cherubim 1062
Camilleri 253 Chiellino 1560, 1568, 1572, 1574
Canale 1265, 1279 Chien 860
Canbulat 721 Chilcoat 1569
Canetti 1561 Chiriţă 668, 669
Çankay 722 Chlosta 1078, 1079
Canning 1676 Cho, Ch. 603
1866 Indices

Cho, J.-S. 602, 603, 604 Cruse 555


Cho, K.-H. 607 Csató 720
Cho, Y. 606 Csizér 1155, 1828
Chomenko 729, 787, 788, 796, 798, 799, 800, Culley 1165
804, 1264 Cummins 744, 869, 891
Chong 90, 91, 603 Cunningham-Andersson 1003
Choueka 318 Curcio 586, 589, 591
Christ 28, 144, 765, 912, 1034, 1035, 1359, Czarnecki 656
1392, 1393, 1394, 1395, 1398, 1444, 1456, Czechowska-Błachiewicz 654, 656
1513, 1517 Cziesla 1634
Christen 374 Cziko 879
Churchill 326 Czochralski 654, 656
Cindark 433
Ciompi 1327
Cirko 178 D
Clahsen 66, 804, 839, 871, 888, 909
Clalüna 114, 1384, 1502, 1510 Dahlhaus 1201
Clark 784 Dahrendorf 1467, 1568
Clarke 434 Dali 1599
Clausen 544 Dallapiazza 1504
Claußen 1162 Dalmas 581, 582
Clément 879, 1152 Dam 1315, 1318
Clyne 130, 328, 350, 361, 400, 414, 450, 499, Damm 301, 994
510, 551, 556, 1416, 1612 Daneš 268, 280
Cobb 317 Daniels 1505
Cohen 842, 843, 845, 846, 873, 891 Dann 1330, 1331
Colliander 300, 464, 544, 545, 1492, 1644, Darmojuwono 1686, 1687
1645 Darwin 482
Colombo 986 Dauvillier 1177
Colucci 829 Davidheiser 1183, 1837
Comenius 911, 922 Davies 871, 874
Conrad 317 Davis 783
Cook 801, 871 Day 243
Cook-Gumperz 331 De Bot 872, 1002
Cope 1587 De Bruyne 700
Corbin 776 De Cillia 76, 78, 138, 367, 1087, 1088, 1091,
Corder 319, 833, 834, 1060, 1063 1133, 1344
Cordon 1789 De Cubber 641
Cornell 555 De Florio-Hansen 1025, 1026
Coseriu 1062 De Graaff 1750
Coşkun 720 De Leeuw 1220
Costa 586, 588, 590, 591, 1485 De Pontonx 581
Cote 785 De Smet 442
Cotterall 1159 Deacon 784
Coulmas 598 Debiasi 935
Coulthard 1366 Débyser 1060, 1064
Cowie 253 DeCarrico 250, 252
Cox 1634 Dechert 844
Crabbe 1159 Decker 1014, 1108, 1110
Croft 260, 789 Dehn 1112, 1122
Cros 1597 DeKeyser 808, 809, 811, 868, 869, 870, 871,
Crueger 479 872, 873, 874, 1014
Personenregister 1867

Delattres 551 Ditlevsen 1645


Dell 1247 Dittmar 66, 344, 345, 347, 351, 354, 775, 887
Delmas 21, 1460 Dittmer 544
Delouis 1514 Ditz 472
Demmig 1183, 1184, 1185 Dixon 784
Demonte 702 Döblin 429
Demorgon 1490 Dobrovol’skij 246, 556, 673, 674, 1780
Demuth 782 Dobstadt 1385, 1551
Dennis 1839 Doelker 1597
Dentschewa 541 Dolch 921
Denzin 769, 843 Dolezal 305
Deppermann 259, 260, 262, 265, 505 Döll 1312
Dereli 722 Domı́nguez 701, 702
Derhartunian 1186 Domisch 914
Derrida 1551 Domke 462
Derwing 1002 Donalies 233, 552
Desselmann 50, 961 Donath 1209, 1237
Detlaf 479 Donato 1325, 1327
Dettmer 1740, 1741, 1742 Donato 821, 822, 1328
Deutschmann 1468 Donec 1779
DeVoretz 117 Dore 783
Dewey 1172, 1371, 1372 Dorfmüller-Karpusa 637
Dornseiff 238
Di Luzio 331, 332, 333, 337
Dörnyei 748, 774, 843, 850, 851, 855, 856,
Di Meola 407, 586
878, 879, 902, 1154, 1155, 1828
Di Pietro 1170
Doughty 1170
Diaby 1648
Doyé 1485
Diallo 1787
Draper 1834
Diatlova 461
Draye 641
Dı́az Garcı́a 1723
Dreischer 1767
Dickgießer 89
Drenda 396
Diderichsen 544
Drescher 288, 581
Diehl 180, 225, 742, 839, 1012 Dressler 276, 353, 590
Diekmannshenke 505 Dreyer 301, 1260, 1261
Dieling 1004 Drozdova 1778
Diessel 785 Drumeva 539, 1630
Dietrich, E. G. 1711 Drvenkar 1573
Dietrich, I. 1216 Dubis 1119
Dietrich, R. 21 Duckstein 532, 534, 535
Dietz 1016 Duesberg 1486, 1512, 1524
Dijk, van 289 Dufeu 1590
Dikova 542 Duff 1374
Dillmann 593 Dunn 1644
Dilthey 494, 495 Dupont 1597
Dimitrova 541 Dupoux 902
Dimova 539, 540, 541, 1628, 1630 Ďurčo 694, 696
Dimroth 867, 869, 870, 873 Durrell 178, 179, 351, 422, 428, 551, 554
Dimter 284 Dürscheid 375, 378, 381, 414, 425, 426, 432,
Dini 609 433, 505
Diokles 255 Dustmann 888
Diop 1787 Duszenko 1217, 1219
Dirim 338, 352, 414, 449, 451, 452 Düwell 59, 1155
Dirks 776 Duxa 65, 1079, 1336, 1352, 1360
1868 Indices

E Elena 701
Elfert 1117
Eagleton 1405 Elgibali 532
Ebert 462 Elias 1404, 1562
Ebi 593, 594 Elliott 1001, 1372
Ebner 360, 361 Ellis, G. 957
Ecke 743, 1028 Ellis, N. C. 175, 181, 250, 810, 811, 812, 814,
Eckert 615, 616, 617, 618 837, 946, 948, 949, 1011, 1012, 1013, 1014,
Eckerth 742, 1021, 1170, 1447, 1525 1024
Eckes 1427 Ellis, R. 319, 519, 739, 758, 761, 777, 801,
Eckkrammer 284, 288, 556 804, 846, 856, 878, 880, 890, 891, 1013,
Eckman 999
1167, 1168, 1169
Edelhoff 1034, 1351
Elman 814
Edelmann 1325
Elnashar 533
Eder, H. 284, 556
Elspaß 361, 395, 420, 429, 1675
Eder, U. 56 58, 73, 1577, 1578, 1579, 1581
Elstermann 269
Edge 1063
Edmondson 739, 801, 861, 878, 881, 901, Emons 555
941, 1061, 1074, 1488 Endzelin/Endzelı̄ns 609, 610, 611, 612
Eeg-Olofsson 318 Engberg 545
Efthimiou 636 Engel 147, 178, 218, 295, 297, 298, 299, 301,
Eggers 20 654, 657, 667, 670, 671, 692, 926, 1218,
Eggs 280 1259, 1260
Eğit 722 Engelberg 306, 310
Ehler 983 Engelkamp 1246
Ehlers 26, 980, 1035, 1355, 1460, 1533, 1537, Engin 1085, 1086, 1498
1538, 1540, 1547, 1548, 1549, 1578 Engler 1238
Ehlich 7, 35, 125, 174, 178, 179, 183, 216, Enninger 332
258, 259, 261, 262, 266, 267, 269, 276, 278, Enzensberger 1533
287, 332, 406, 491, 497, 509, 510, 512, 513, Epp 1526
514, 596, 597, 984, 1053, 1057, 1058, 1080, Erdheim 1428
1102, 1130, 1183, 1308, 1367, 1561 Erdmenger 1467
Ehnert 21, 23, 28, 422, 1203, 1348 Erickson 268, 331, 333
Ehrman 850, 851, 855, 856 Ericsson 685
Eibl 1229 Erll 1427
Eichheim 1534, 1547 Ermert 285
Eichhoff 361, 395 Eroms 218, 280, 289
Eichhoff-Cyrus 413
Ertelt-Vieth 1387, 1435, 1486
Eichinger 175, 178, 179, 228, 232, 233, 354,
Eschbach-Szabo 594
399, 400, 405, 406, 409, 411, 429, 439, 441,
Eschenbach 648
444
Esselborn 1536, 1561
Eideneier 636
Eßer 288, 510, 511, 953, 954, 955, 958, 992,
Eins 444
Eisenberg 202, 212, 218, 296, 298, 408, 411, 993, 1383, 1403
1259 Esser, E. 774
Eisenreich 483, 490 Esser, H. 115, 888, 892
Eismann 1217, 1533 Essinger 1138
Eissenhauer 533 Ettinger 1256
Eitz 306 Even 301, 1590, 1593, 1692
El Akshar 533 Evert 247, 318
El Nady 533 Ewers 1577
El-Said Badawi 532 Ewert 1562
Personenregister 1869

F Fischer, W. 531, 534, 535


Fischhaber 1245
Fabricius-Hansen 225, 544, 582, 648, 651, Fishman 266
1521, 1644 Fiske 504, 506
Fairclough 860 Fix 275, 276, 287, 288, 289, 505, 506
Faistauer 967, 996, 1121, 1123, 1125 Flagner 671
Fandrych 3, 11, 28, 29, 36, 37, 175, 177, 178, Flanders 1364
179, 181, 228, 230, 232 , 240, 277, 284, 289, Flechsig 913
290, 299, 301, 316, 510, 511, 512, 513, 514, Fleck 470
556, 815, 962, 983, 1009, 1013, 1014, 1016, Flege 870, 871, 1000, 1001
1017, 1026, 1037, 1230, 1260, 1261, 1521, Fleischer 228, 233, 246, 247
1526, 1742 Fleming 1398
Fanselow 801 Flick 768
Färber 1109 Fluck 355, 479, 480, 490, 627, 1053
Farø 545 Flüe-Fleck 82
Farrell 1371 Flügel 82
Fathmann 890 Flynn 802
Faucher 580 Földes 735, 736, 1415, 1416
Fearns 1053, 1054, 1056, 1219 Fonlon 1702
Fehlen 1732, 1733 Forgács 735, 1828, 1831, 1832
Feilke 992, 996, 1133 Forsberg 251
Felbiger 58 Forssman 611, 612, 613
Feld-Knapp 1829, 1831 Forster 1562
Feldhendler 1590 Foschi 290, 581, 1696
Felix 597, 801, 802, 803, 804 Foster 817, 818, 819, 822, 823
Fellbaum 252 Fotos 1009, 1014
Felser 871 Foucault 1320, 1408
Ferenbach 1255 Fox 551
Feret 656 Fraas 239
Ferrer 702 Fra˛czek 657
Feuser 1754 Francis 252
Feuz 85, 422 Franke 285, 288
Fiehler 427, 987, 1416 Frankenberg-Garcia 317
Fienemann 269 Franklin 783
Figge 281 Fredriksson 683, 739, 742
Filipenko 674 Fredsted 545
Fink, G. 25 Freedman 1587
Fink, M. C. 1514, 1515 Frege 256
Finke 996 Frei 270
Firges 1458 Freiberg 1734
Firnhaber-Sensen 472, 1055 Freinet 1158, 1211, 1216
Firth 246, 247 Freire 1211, 1487
Fisch 1403, 1404, 1405, 1406 Freud 496, 793, 1177, 1562
Fischäss 1592 Frey 923, 1002, 1173
Fischer-Jørgensen 545 Freytag 1839
Fischer, D. 1138 Freywald 449, 452
Fischer, F. 1245 Fried 1087, 1308
Fischer, J. 1689 Friedrich, F. 843
Fischer, Kerstin 177 Freidrich, K. 1026
Fischer, Klaus 174, 555 Fries 635, 636
Fischer, R. 1384, 1502, 1508 Friese 776
Fischer, S. 986 Frisch 378
1870 Indices

Fritz 278, 279, 280, 912, 967 Gerdzen 1112


Fritzsche 1484 Gerhold 1425, 1474
Friz 1514 Gerighausen 1382
Fuchs 422, 1392, 1408 Gerlach 482
Füglein 352, 449, 453 Gerner 1341
Fuhrhop 229 Gernsbacher 788
Funk 936, 944, 949, 1054, 1079, 1146, 1150, Geulen 1537
1205, 1261 Ghobeyshi 1479, 1568
Furaschowa 1617 Gibbson 524
Furdı́k 696 Gick 1165
Furman 1834 Gienow 1597
Fürstenau 1138 Gierden 701
Gil 700, 1803
Gilbertson 784
G Gimber 1803
Ginsborg 787
Gabler 459 Giordani 586
Gabriel 74 Glaap 1037
Gächter 74, 75, 108 Glaboniat 3, 929, 930, 1103, 1267, 1275,
Gadamer 1545, 1546 1289, 1290, 1291, 1391, 1461, 1700
Gadušová 697, 1794 Gladrow 673, 674, 676, 678
Gage 915 Gläser 556
Gagelmann 472 Glaser 767
Gaidosch 1384 Glenk 664
Gallmann 407, 586 Glinz 298
Gamper 1206 Glišović 1790
Gansel 174, 275, 285, 289 Glovacki-Bernard 692, 1719
Garcı́a 1001 Glück, H. 20, 23, 24, 29, 55, 56, 57, 61, 90,
Garcı́a Lecumberri 869 908, 1033, 1342, 1694, 1696
Garcı́a Mayo 869 Glück, E. 1725
Gardner 746, 851, 877, 878, 879, 880, 1152, Glumpler 65
1154 Gluschak 1617
Garleff 615 Gnahs 915
Garrett 862 Gnutzmann 526, 859, 860, 941, 1046, 1065,
Garza 880 1068, 1447, 1456
Gaskell 317 Göbel 20
Gaskill 269 Goebl 73, 401
Gass 739, 772, 820, 890 Goethe 236, 1555, 1637
Gatbonton 949 Goffman 266, 1108, 1415
Gauger 298, 699 Gogolin 4, 152, 179, 1078, 1085, 1088, 1091,
Gautier 581 1131, 1138, 1307, 1308, 1312, 1358
Gawrisch 93 Göhlich 1140
Geert, van 788 Gojmerac 1719
Geertz 1408, 1435, 1437, 1535 Göksel 720
Gehring 1494 Goldberg 260, 838, 1834
Gehrmann 1717, 1719 Goldman-Seagall 1245
Geiger 375, 376, 377, 381 Goldschmidt 582
Geist 676 Goldschneider 811
Genesee 879 Golinkoff 782, 783, 788
George 582 Gölitzer 1234
Georges 921 Göller 1396
Gepp 1579, 1580 Gombert 787
Personenregister 1871

Gomolla 115 Griggs 1644


Gomsu 1704 Grimm, E. 1559
Gönner 461 Grimm, H. 1306,
Gonzales 1450 Groeben 895, 896, 897, 1330
Good 1367 Groenewold 1482, 1565, 1566
Goode 1593 Grommes 318
Goodman 784 , 839 Groos 1177
Goody 1130 Grosjean 871
Göpferich 470, 487, 488, 489 Groß 470
Gorak 1559 Gross 1123
Gordon 784 Große 285, 1380
Gorer 1407 Grotjahn 745, 765, 767, 768, 769, 770, 775,
Gorlatov 1617 852, 855, 862, 868, 869, 870, 871, 873, 878,
Gorožania 674 879, 895, 896, 897, 898, 1001, 1002, 1065,
Gößling 1331 1070, 1281, 1285, 1330, 1364, 1365
Göttlich 1418 Grozeva 541
Gottsched 362 Grub 1567
Götz 552, 553, 554, 555, 844, 1028 Grübel 1556
Götze 1, 19, 23, 25, 29, 30, 44, 53, 173, 174, Grucza 4, 19, 36, 90, 657, 658, 1521, 1763,
175, 295, 296, 301, 636, 914, 965, 1138, 1764
1140, 1216, 1217, 1219, 1259, 1260, 1426, Grün 496
1432 Grünewald 1222, 1386, 1423, 1447, 1486,
Gotzmann 488 1487
Grab-Kempf 700 Grütz 458, 511
Grabe 1479 Gstettner 472
Graefen 175, 177, 180, 497, 511, 512, 513, Gstöttner 1757
514, 984, 1016 Gu 1028
Gräfe 1742 Guckelsberger 511
Grafton 499 Gudjons 1183, 1332
Grandage 251 Guest 1383
Granger 252, 318, 319 Guèye 1786
Grass, G. 1561 Guilherme 1517
Grass, T. 581 Gülich 269, 280, 471
Grätz 1208 Gumperz 260, 331, 333, 335, 1495
Gréciano, G. 579, 581 Gündoğdu 722
Gréciano, Ph. 580, 581 Günther, H. 422
Green 1067, 1068 Günther, K. B. 1121, 1122
Greenwood 1374, 1375 Günther, R. 59, 60
Greidanus 243 Günthner 260, 262, 267, 269, 331, 332, 333,
Greimas 280 334, 335, 337, 338, 408, 421, 422, 1416
Gurney 970
Grein 593, 599
Gut 317
Gremmo 1158
Gutjahr 1560, 1561, 1562
Grenfell 843, 912, 1353
Guttropf 785
Greule 506
Guţu 671
Greve 1364
Gwenzadse 1260
Grewenig 505
Györffy 472
Grice 257, 260
Gries 247, 504
Griesbach 46, 925, 1216 H
Grießhaber 69, 175, 179, 514, 526, 721, 723,
777, 1009, 1010, 1011, 1057, 1081, 1183 Ha 957
Griffiths 854 Haas, A. 774
1872 Indices

Haas, G. 1539 Hansen, K.P. 1380, 1407, 1432


Haas, Walter 374, 376, 377, 378, 381 Harden 1328, 1334, 1335, 1692
Haas, Wolf 429 Hardy 1185
Haataja 1051, 1655 Harnisch, A. 1709
Habermas 257 Harnisch, U. 63, 207, 1097
Haberzettl 176, 180, 723, 839, 867, 869, Harrington 1246
1011, 1012 Harsch 1265, 1268
Habscheid 288, 461, 462, 503 Härtling 1561
Hacker 922, 923 Hartmann 551, 555
Häcki Buhofer 250, 251, 374 Hartung 269
Hackl, B. 1175 Hary 532
Hackl, E. 1581 Haslinger 1126
Hackl, W. 1456, 1460, 1469, 1507 Hasselberg 597
Haensch 1028 Hasselblatt 442
Haft 923 Hatch 776
Hagen 319 Häublein 1026, 1504, 1505
Hägi 178, 355, 380, 381, 422 Hauck 1406
Hahn 334, 335 Haug 69
Hahn, von 468 Haugen 344
Haider 78 Hausendorf 269, 275, 278, 279, 280, 286,
Hakkarainen 569 289, 1418
Halasz 473 Häusler 56, 60, 1717, 1719
Halbwachs 1427 Hausmann 247, 304, 1252
Hall, Ch. 178, 551, 569, 574 Häussermann 1036, 1260, 1261
Hall, E. T. 482, 556, 1407 Havel 716
Hall, K. 301 Havranek 1061, 1183
Hall, M. R. 556 Havrys’ 729
Halle 212 Hawkins, E. 525, 860
Hallet 1353, 1384, 1449, 1524, 1525, 1537, Hawkins, J. A. 174, 225, 552, 555
1550 Hazenberg 238
Halliday 324, 325, 328 Hecht 1067, 1068
Hamburger 1138, 1397 Hedge 969
Hamel 115 Hefti 378
Hameyer 923 Heidbreder 615
Hammam 533 Heidolph 218
Hammarberg 999 Heift 1206, 1232, 1233
Hammel 673 Heimann 908, 911
Hammer 581 Heindrichs 260, 1218
Hammerich 544 Heine, H. 1555, 1637
Hampel 1196, 1245 Heine, L. 773
Han, B.-C. 1140 Heinemann, G. 1558
Han, P. 108 Heinemann, M. 275, 285, 287, 419, 432
Handwerker 177, 218, 248, 250, 252, 1024 Heinemann, W. 275, 276, 280, 281, 284, 284,
Hann 1353 285, 286, 286, 287, 288, 657
Hanna 487, 490, 511 Heins 352
Hannerz 1380, 1585 Heisenberg 496
Hansen, B. 656, 721 Helbig 1, 19, 20, 21, 22, 23, 49, 50, 173, 174,
Hansen, D. 545, 1645 175, 218, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 299,
Hansen Edwards 999 300, 301, 667, 729, 1009, 1259, 1260, 1342,
Hansen, Gitte Baunebjerg 545 1455, 1458, 1521
Hansen, Gyde 545 Held 506
Hansen, H. L. 1517 Helin 571
Personenregister 1873

Hellekjær 1757 Hila 1102


Heller, D. 512, 514, 590 Hill 774
Heller, K. 203 Hilpert 1480
Hellinger 557 Hinderling 442
Hellmich 961 Hinds 595, 597
Hellwig 1596, 1597 Hinkel 1009
Hellwig-Fábián 674 Hinnenkamp 118, 338, 433
Helmling 1164 Hinskens 448, 452
Hendrickson 794, 1061, 1066 Hinte 117
Henini 533 Hirataka 1698
Henne 432 Hirschfeld 175, 178, 189, 192, 193, 570, 604,
Hennecke 1475 664, 999, 1001, 1002, 1003, 1004, 1005,
Hennig 295, 425, 426, 427, 1259 1502
Hennon 782, 783 Hirsh-Pasek 782, 783, 788
Henrici 1, 19, 20, 21, 23, 24, 26, 28, 29, 30, Hoberg, R. 505, 564, 667, 749
47, 777, 818, 819, 823, 1061, 1065, 1343, Hoberg, U. 564, 667
1367, 1441 Hockickova 542, 697, 1794
Henriksen 1023 Hödl 288
Hensel 354 Hofer 1709
Hentges 110, 117 Höfer 935
Hentschel 296, 298, 1259, 1591 Hoffmann, A. 1158
Hepp, A. 505 Hoffmann, H.- J. 503
Hepp, M. 290, 1696 Hoffmann, Lothar 351, 355, 458, 468, 487,
Herbart 911 493
Herberg 411 Hoffmann, Ludger 262, 267, 268, 276, 277,
Herder 1406, 1555, 1562, 1725 278, 279, 280, 296, 298, 299, 301, 582
Herfurth 881, 1190, 1191 Hoffmann, M. 506, 1560
Hering 1261 Hoffmann, S. 748, 1176, 1184
Heringer 218, 225, 230, 257, 297, 309, 1260, Hofmann, W. 776
1461 Hoffmann-Nowottny 1496
Herlemann 1061, 1066 Hofmeister 784
Herman 840 Hofstede 1403, 1407, 1432, 1434, 1435, 1436
Hernig 1638 Hog 1217, 1476, 1533
Herr 1371 Hogan-Brun 118
Herrde 1458 Hohendahl 1524, 1835
Hertrampf 422 Hohenstein 594, 598, 599
Herzberger 428 Höhne 1386, 1443
Hess, H.-W. 25, 953, 956, 1196, 1205, 1640 Holec 896, 1158, 1160, 1318
Hess, K. 701 Hollander 243
Hess-Lüttich 464, 1259, 1415, 1492, 1493, Holliday 953, 956, 957
1495, 1498 Hölscher 1186, 1245, 1248
Hessky 519, 521, 527, 736, 1828, 1829, 1832 Holst 611, 612
Hessmann 641 Holstein 1108, 1189, 1191
Heuer, Ch. 1569 Holzbrecher 1138
Heuer, H. 1218 Holzer-Terada 1222
Heursen 922 Honnef-Becker 310, 1256, 1536, 1733
Heyd 23 Horkheimer 1562
Heydebrand 1556, 1557, 1558 Hormuth 1417
Heyer 472 Hornberg 1734
Heym 1638 Hornberger 116
Heyse 459 Hörning 1396
Hicks 1834 Hornung 912
1874 Indices

Hornung-Prähauser 1240 Ihekweazu 1414, 1754


Horst 460 Ihm 605, 606
Horwitz 746, 880 Ikegamis 594
Horx 504 Ikonomu 129
Hosch 1456, 1459, 1461, 1462, 1513 İleri 723
Hoshii 1700 Ilgen 504
Hossein 1009 Imo 260, 262
Houis 1060, 1064 Inghult 684
House 324, 325, 326, 327, 328, 332, 556, 739, Ioup 802, 804
901, 941, 1074, 1367, 1474, 1475, 1488 İpşiroğlu 1534, 1547
Houska 1812 Iser 1531, 1544, 1546, 1548, 1551
Hove 377 Issing 1245
Høyem 648 Istel 1467
Hrauda 361 Itakura 599
Hrubesch 1366 Ito 178, 594
Hu 1141, 1380, 1395, 1396, 1397, 1399, 1407, Ivanova 541
1414, 1448, 1449, 1513, 1545 Iverson 999
Hubatsch 64 Iwasaki 595
Huber , G. L. 1590, 1592
Huber, R. 1363
Huet 1555 J
Hufeisen 10, 41, 278, 288, 511, 522, 524, 525,
682, 744, 747, 748, 762, 827, 931, 936, 992, Jabnoun 533
1183 Jacko 729
Hufschmidt 345 Jackson 836
Hügel 504 Jacobs 286
Hüllen 1033, 1034, 1220 Jacobson 288
Hulstijn 238, 243 Jaeger 1379
Humboldt, A.v. 1562, 1721 Jafarpur 1281
Humboldt, W.v. 255, 1259, 1456, 1493 Jagau 563
Hund 479 Jäger, A. 1612, 1613, 1614
Hundt 394, 460 Jäger, K.-H. 269
Huneke 23, 961, 962 Jai-Mansouri 1739
Hunfeld 796, 963, 1248, 1393, 1397, 1457, Jäkel 460
1531, 1540, 1552 Jakobs 470
Hunstiger 1349 Jakobsen, L. F. 544, 545
Hunston 252 Jakobson, R. 324, 1551, 1583
Huntemann 1560 Jakovleva 1779
Hüsler-Vogt 1112 Jakubovs’ka 729
Hütte 506 Jallerat-Jabs 582
Hutz 556 James 256, 520, 521, 522, 525, 526, 527, 528,
Hyland 1148 550, 862
Hyldgaard-Jensen 544 Jampert 68, 1310
Hyltenstam 839, 868, 869, 870, 871, 872, 873 Jané 1803
Hymes 269, 331, 1265 Janich 275, 505, 506
Hyvärinen 569, 570, 571, 572, 573, 574 Jank 1475
Janke 1789
Janko 1799
I Järventausta 571, 572, 573
Jarvis 519, 524, 1364
Ickler 23, 306, 307, 497 Jasny 510, 1612, 1613, 1614
Ide 269 Jastrow 531, 534, 535
Personenregister 1875

Jaworska 1677 Kamper 1117, 1122, 1125


Jaworski 479 Kampits 138, 139
Jefferson 267, 268, 269 Káňa 712, 716
Jenkins 85, 1222, 1505, 1506, 1578, 1581 Kaneko T. 593, 594, 596
Jensen 545 Kaneko, Y. 594
Jescheniak 240 Kann 563, 564
Jessner 747, 828 Kant 256, 257, 1177
Johansen 319 Kao 860
Johanson 720 , 721, 722 Kaplan 499
Johansson 557 Kappel 420
Johns 317 Karagiannidou 637, 638, 1184
Johnson 1325, 1337 Karcher 260
Jokinen 574 Karmiloff-Smith 1132
Jones Vogely 880 Karnein 19, 1221
Jones 238 Karpenko 729
Jordan 611 Kars 1260
Jordens 643 Karulis 613
Jørgensen 433, 544 Kasai 594
Joseph II. 58, 73, 90 Kášová 694, 696
Juczyk 782 Kasper 327, 332, 522, 556, 941
Juhász 519, 525, 735, 736 Kast 26, 27, 934, 995, 1082, 1219, 1341, 1347,
Junesch 671 1365, 1530, 1533, 1537, 1539, 1540, 1578
Jung, C.G. 855 Kästner 1569
Jung. U. O. H. 1200, 1201 Katharina II. / die Große 399, 1775
Jungfer 615 Kathe 45, 52
Junghanns 714 Kaufman 439
Jürgens 174, 275, 285, 289 Kaufmann, G. 400, 663, 1625, 1626
Kaufmann, S. 1384
Kaufmann, U. 623
K Kauschke 784
Kautz 1041, 1046
Kabak 720 Kawaguchi 810
Kacjan 1177, 1178, 1179, 1180 Keck 820
Kaewwipat 709, 710 Kegelmann 1829, 1830
Kafka 1561 Kehrein 390, 392
Kahle 53 Keil 249
Kahn-Ackermann 1640 Keim 69, 269, 338, 414, 433, 449, 450, 451,
Kahramantürk 720 452, 453, 454, 890
Kaiser, D. 178, 510, 511 Keinästö 572
Kaiser, S. 349, 375, 376 Kelemina 1799
Kalantzis 1587 Kelle 776
Kalinina 676 Keller, G. 1547
Kallenbach 896, 897, 898, 942 Keller, R. 1386
Kallmeyer 178, 269, 280, 316, 352, 414 Keller, S. 1315
Kaltenbacher 532 Kellermann 520
Kaltsas 637 Kelletat 1525
Kalverkämper 286, 458, 487 Kelly 912, 1353
Kamburova-Milanova 1628, 1629, 1630 Kelz 1842
Kamenskaja 1779 Kemme 636
Kameyama 178, 255, 259, 269, 270, 593, 598 Kemmerling 232
Kamm 1380 Kemmins 1374
Kammer 309 Kempe 814, 834, 837
1876 Indices

Kepser 1575 Kleppin 319, 847, 1046, 1061, 1065, 1066,


Kern, F. 331, 333, 449, 450, 451, 452 1067, 1068, 1070, 1164, 1165, 1178, 1190,
Kern, R. 1130, 1135 1191, 1237, 1368
Kerres 1193 Klettenhammer 1576
Kerschhofer-Puhalo 16 Klieme 1264, 1266, 1267, 1268
Kerslake 720 Klinger 69
Kersten 1309, 1310, 1312 Klingner 1089
Kerswill 448, 450 Kloepfer 503, 505
Keskin 722 Klopstock 1555
Kesselheim 275, 278, 279, 280, 286, 289 Kloster 308
Kessler 1590 Kluckhohn 1402, 1403
Kessling 1550, 1567 Knapp, J. 1206
Khan 401 Knapp, K. 127, 332, 744, 850, 1448, 1449
Kibbermann 563, 564 Knapp, W. 892, 1078
Kiefer 443 Knapp-Potthoff 332, 850, 859, 861, 862, 863,
Kielhöfer 519, 1023, 1060, 1252 1022, 1416, 1448, 1449, 1456
Kiffe 859, 860 Kniffka 69, 1108, 1335
Kileva-Stamenova 541 Knight 556
Kilgarriff 317 Knipf-Komlósi 399, 401, 429, 442, 735, 1832
Kilian 505 Knöbl 449, 450, 451, 453, 454
Kobler-Trill 231
Kiliari 636, 1670
Koch, I. 587
Kilimann 1384, 1480
Koch, L. 1504, 1508, 1568
Kilpatrick 1172
Koch, M. 671, 1774
Kim 607, 1000
Koch, P. 419, 425
Kimsuvan 709
Koch, R. 468
Kindt 987
Koch-Priewe 1330
King 317
Köchling 64
Kinsella 852, 856
Koenig 944, 949
Kirchner 468
Koesters Gensini 238
Kirkness 410, 444
Kögler 1392, 1393
Kirkwood 555 Kohonen 852
Kis 1076, 1077, 1343, 1358, 1359 Köhring 1378, 1458, 1524
Kishi 782 Kohvakka 573
Kiss 733 Koithan 1505
Kitajgorodskaja 730 Köker 1480
Kiyko 729 Kölbl 1334
Kjørup 495 Kolboom 1443
Klafki 923 Kolehmainen 572, 573
Klann-Delius 413 Kolinsky 1678, 1839
Klappenbach 239 Koller 324, 325
Klapper 36 Kong 1639
Kļaviņa 610 König, Ch. 19, 20
Klein Gunnewiek 642, 742, 761 König, E. 520, 555
Klein, Josef 288, 461 König, W. 350, 355, 386, 390, 395, 396, 422,
Klein, Julia 1183 428, 429
Klein, R. 1118 König, M. 1261
Klein, Wolf Peter 405, 406, 411 Königs 526, 632, 908, 910, 963, 1014, 1041,
Klein, Wolfgang 206, 225, 519, 520, 877 1042, 1045, 1046, 1061, 1065, 1066, 1067,
Kleinen 1598 1068, 1073, 1348, 1368, 1447, 1456
Kleissendorf 1309, 1310, 1312 Koo 607
Klemm 505 Koole 332, 333
Personenregister 1877

Kootte 641 Kreuzer 495


Kopečný 714 Krings 1583, 1586
Koppensteiner 1565, 1567 Kristensen 1757
Kordes 1061, 1065 Kristeva 1397
Kordon 1569 Kroeber 1402, 1403, 1406
Koreik 20, 21, 24, 25, 26, 28, 30, 1343, 1349, Krohn, D. 683
1381, 1385, 1441, 1442, 1444, 1459, 1480, Krohn, K. 683, 684
1482, 1487, 1488, 1566 Kromann 545
Korhonen 175, 572, 573, 1645, 1655, 1657 Krüger 1308
Korlén 682 Krüger-Potratz 66, 1138
Korte 21, 1557 Kruidenier 1153
Kortmann 520, 521 Krumm 1, 19, 21, 22, 23, 24, 26, 27, 28, 35,
Koschat 29 37, 46, 47, 76, 77, 112, 115, 116, 117, 138,
Koschel 774 189, 355, 369, 765, 772, 909, 910, 912, 913,
Koskenniemi 1220 914, 918, 953, 956, 967, 983, 1033, 1034,
Koskensalo 574 1037, 1066, 1067, 1087, 1088, 1091, 1097,
Kosta 714, 715, 716 1110, 1138, 1202, 1217, 1218, 1219, 1222,
Köster 1024, 1025, 1252, 1253 1341, 1342, 1344, 1346, 1347, 1353, 1363,
Kostera 572 1364, 1365, 1366, 1367, 1368, 1447, 1448,
Kostić 1789 1454, 1459, 1469, 1475, 1487, 1488, 1513,
Kostomarow 1458 1523, 1583
Kotschi 269 Krusche 25, 1417, 1418, 1469, 1534, 1545,
Kotsinas 448, 449, 450, 451, 452, 453, 455 1546, 1547, 1551, 1552
Kötter 1190, 1191 Kuberts 1569
Kotthoff 268, 269, 331, 332, 333, 1416 Kučera 714
Kotzia 636 Kudlinska-Stankulova 542
Koumulainen 1220 Kuenkamp 497
Koutiva 1061 Kufner 552, 555
Kowarowsky 472 Kuhberg 66, 723
Koyama-Siebert 594 Kuhn 1079, 1146, 1150
Kozmová 693, 694, 695, 697 Kühn, G. 64
Kramer 439, 441 Kühn, Ch. 1698
Kramsch 956, 1185, 1219, 1416, 1442, 1450, Kühn, P. 246, 299, 301, 304, 305, 306, 307,
1550, 1551 308, 310, 1022, 1112, 1252, 1253, 1254,
Krapp 852, 1329 1256, 1732, 1733, 1734, 1735
Krashen 741, 754, 757, 758, 759, 760, 802, Kühnhold 233
818, 877, 909 Kuhs 65, 66, 879, 1112, 1113, 1219
Krause, W. D. 178, 290, 1034 Kukla 1326
Krause, M. 581 Kulcsàr-Szemler 473
Krauskopf 1221 Kumaravadivelu 1173, 1373
Krebs 495 Kumm 63, 1097
Krech 189, 191, 377, 1003 Kummer 64
Krechel 1038, 1550, 1567 Kundrus 1517
Kreitz 1569 Kunze 396
Krekeler 1096 Künzli David 1081
Kremer, L. 644 Kupfer-Schreiner 1138, 1583
Kremer, M. 557 Kupper 506
Kress 1131 Kurakov 1780
Kretzenbacher 494, 496, 497, 498, 499, 509, Kursiša 829
1405, 1467, 1524, 1613 Kuruyazici 1415
Kreutz 499, 1416 Kusolrod 710
Kreutzer 1413 Kussler 1520, 1521
1878 Indices

Kußler 1805, 1806, 1807, 1808 Laurien 1808


Küster 1407, 1597 Lausberg 390, 396
Kuteva 528 Lauterbach 1015
Kvam 648, 651 Lavine 850, 856
Kwakernaak 180, 645, 1012 Lavric 580
Kwon 602, 604, 605, 606 Lawn-Thum 1417
Kypker 1691 Lazaare 1739
Kytö 316 Lazaraton 776
Łaziński 657
Le-Hong 488
L Leaper 786
Leaver 851, 855, 856
Łabno-Fale˛cka 657 Leech 317
Labov 343, 350 Lefstein 1130
Labudde 1268 Legutke 912, 1170, 1172, 1174, 1220, 1341,
Lacko-Vidulić 1719 1342, 1346, 1352, 1353, 1354, 1355, 1367,
Ladegaard 788 1393, 1394
Lado 1243, 1457 Lehfeldt 674
Laitko 22, 30 Lehker 631
Lakoff 351 Lehmann 1537
Lalouschek 471, 472 Lehrndorfer 237
Lambert 878, 879, 880 Leiprecht 1433
Lameli 392, 394, 396 Leisen 1050
Lämmert 1414 Leisi 555
Lamprecht 1583 Leitāne 611
Lamrani 1739 Lemke 984, 987
Landau 485 Lemnitzer 306, 310, 316
Landbeck 503, 505 Lenau 1561
Landua 69 Lengyel 68, 69, 1312
Lang 1195 Lenk, C. 1408
Langacker 1247 Lenk, H.E.H. 289, 556, 572, 573, 574
Lange 641 Lenz , A. 345, 390
Langer, N. 181, 405 Lenz, B. 1380
Langer, I. 1217 Lenz, P. 1265, 1267, 1268, 1269
Langner 83, 1165, 1456, 1460, 1469, 1507 Lenz 1561
Lantolf 744, 820, 821, 1450 Leonardi 591
Lapkin 820, 821, 822, 891 Leow 811
Larreta 702 Lepenies 495
Larsen-Freeman 765, 777, 877, 878, 879, 880 Lerchner 310, 421, 642
Larson-Hall 868, 869, 870, 871, 872, 873, 874 Leskovec Lescovec 1552
Lasch 394 Lessing 1555, 1637
László 734 Levelt 241
Latour 1219, 1260 Levin 785, 1374
Lattaro 953, 954, 1222 Levine 1449
Latzel 297, 636 Levinson 258, 269
Lau 74 Lévy 90
Laue 1148 Lévy-Hillerich 473, 1177
Lauerbach 1367 Lévy-Tödter 514
Lauf 390 Lewalter 1243
Laufer 1022, 1025, 1027 Lewandowski 65
Launer 1197 Lewi 362
Lauridsen 544, 545, 1644 Lewin 1371, 1372
Personenregister 1879

Lewis 252, 399, 400, 531, 1024 Lörscher 1220


Li, J. 1637 Loschky 818
Li, L. 1 637 Löschmann 1252, 1486, 1530
Li, Y. 1514, 1638 Lotze 407
Libben 524 Louden 399
Liebert 505 Lü 627, 1028
Liebsch 1379 Luchtenberg 859, 860, 864, 865, 987, 1013,
Liebscher 1196 1024, 1138, 1253, 1494, 1579, 1580
Liedke 637, 984, 1416 Luckmann 260, 266, 334, 419, 1416
Lienert 774 Lüdeling 177, 316, 319
Lier, van 860, 861, 1373 Ludewig 252
Lieven 785 Lüdi 373, 1416
Lightbown 739, 758 Ludvik 1799
Liimatainen 461, 572 Lüger 252, 556, 972, 1380, 1454, 1461
Limbach 135, 147 Luhmann 503, 1409
Lind 461 Lumley 1286
Lindemann, B. 1757, 1758 Lundquist-Mog 1248, 1426, 1476
Lindemann, P. 419 Luppescu 243
Lindstromberg 252, 1022 Luscher 645, 1261, 1405
Linke 277, 332, 1009 Lüsebrink 1405, 1435, 1488
Linsmayer 1442 Lusin 1834
Lintfert 1568 Lutes 1569
Lipczuk 657 Lütge 1024
Lipiansky 1476 Luther 223, 386
Lippert 468, 469, 472 Lutjeharms 10, 41, 641, 642, 644, 645, 921,
Lippert-Burmester 469, 472 931, 936, 977, 978, 980, 1023
Lippmann 1424 Luttermann 129
Lischke 1498 Lutzeier 555
List 879, 948 Lützeler 1496, 1524, 1525
Little 940, 1157, 1158, 1159, 1190, 1191, Lypp 1578, 1579
1210, 1318 Lysenko 729
Littlejohn 1148
Littlewood 1170
Liu 870, 871 M
Llorens 701
Loch 1112 Maas 115, 533, 534
Lochtman 641 Mac-Neilage 783
Lochtmann 1061, 1066 Macaire 1462
Lodder 641 Macaro 842, 843, 845, 846
Loetscher 373, 382 Macdonald 1002
Löffler 81, 379, 421 Machetzki 1638
Logan 809 Macht 1273
Lohde 233 Macfadyen 1248
Lohfert 1177 MacIntyre 879, 880
Lohse 126 MacKay 1001
Long 760, 765, 777, 818, 819, 825, 874, 868, Mackey, A. 772, 820, 823, 824
869, 870, 871, 873, 874, 877, 878, 879, 880 Mackey, W. 907
Löning 468, 470, 471 MacWhinney 788, 814, 834, 837, 978
López 702 Madlener 177, 252, 1024
López Barrios 307 Madsen 449, 452, 453, 1561
Lörcher 471 Mahler 1357
Lorenz-Bourjot 252 Mahony 785
1880 Indices

Maier-Knapp 710 Matyear 783


Maier-Lohmann 69 Mavrodieva 542
Maier, A. 429 May 702
Maier, W. 261 Mayer, A. 711
Maijala 1385, 1480, 1514, 1515 Mayer, F. 480
Mailfert 1002 Mayer, R. E. 1245, 1246, 1247
Mair 498 Maynard 595
Major 1000 Mayr 1309
Malamah-Thomas 1364 Mayring 772, 776
Malblanc 580 Mayrose-Parovsky 1590
Malmberg 682 McCarthy 317, 1332
Mandl 843, 1364 McClelland 814
Mangold 191 McCreary 305
Mann, S. 1352 McCrostie 1026
Mann, V. 785 McDonough, J. 765, 768, 769, 774
Männikkö 573 McDonough, S. 765, 768, 769, 774, 843
Mansour 533 McEnery 316
Maratsos 786 McLaughlin 758, 808, 1023
Marchman 784 McLuhan 1199
Marcou 1597 McNamara 115, 117, 118, 775, 1286, 1320
Marcus 785 Mead, G.H. 256
Marello 590 Mead, M. 1406
Maria Theresia 58, 73 Mebus 1217, 1221, 1476
Maringer 1386 Mecklenburg 1417, 1534, 1547, 1549, 1560,
Markiewicz 656 1562
Markina 1780 Meder 506
Markman 783, 784 Medway 1587
Markus 550 Meer 270, 496,
Marnette 1458 Mehlem 115, 533
Marques-Schäfer 1210 Mehler 902
Marschall, G. 581, 582 Mehlhorn 678 730, 847, 1005, 1068, 1163,
Marschall, M. 278 1164, 1165
Marshall 1675 Meibauer 258, 785
Marslen-Wilson 1247 Meiksinaitė 615
Martin 95 Meinhold 189, 353
Martinez 762, 845, 847 Meireles 665
Marui 598 Meisel 66, 839, 888, 890, 909
Marx, C. 1600 Meißner, F.-J. 762, 941
Marx, N. 678, 762, 828, 830 Meißner, I. 461
Marx, S. 590 Meister Jörg 1221
März 1222 Mekons 610
Marzell 481 Mel’čuk 248, 677
Masgoret 879 Melde 1467
Matecki 1384 Melenk 1458
Matta 533 Melerovič 677
Matteocci 1695 Meliss 702
Mattheier 346 Meng 69, 889
Matthes 1416 Menke 1713
Matthias 1592 Menz 472
Mattsson 575 Menzel 513
Matusche 1416 Mercer 1328
Matussek 1261 Merkel, G. 1725
Personenregister 1881

Merkel, J. 1183 Morgan 782


Merlini Barbaresi 590 Morgenroth 496
Mervis 783 Morhof 921
Métrich 580 Morkötter 898
Meunier 252 Morris 255, 256, 257
Meyer, Ch. 898, 899 Morrison 1560
Meyer, H. 911, 934, 935, 1177, 1182, 1184, Mortelmans 641
1475 Moscovici 1490
Meyer, K. 349, 375, 376, 378 Moser, Hans 360, 361
Meyer, M. 910 Moser, Heinz 1495
Meyer-Ingwersen 64, 1357 Moser, Henri 83
Meyermann 1353 Moskalskaja 673
Michalowski 115 Moskowitz 1364
Michel 1281 Motsch 230, 233
Michels 45 Moulton 551
Middeke 1343, 1347 Mourlhon-Dallies 1148
Miebs 574, 575 Moyer 1001
Mihaljević Djigunović 869, 870 Mrazovic 1259
Mihm 390, 392 Msellek 533
Mikos 1418 Mueller-Liu 1438
Milan 586, 589 Mühlhäusler 400
Miliste 566 Muhr 72, 73, 74, 75, 76, 191, 361, 364, 368
Miller 783 Mukherjee 315, 316, 318
Min 1221 Müller, A. P. 463, 1315, 1318
Minder 1221 Müller, Ch. 1384
Minnei 586 Müller, Herta 1561, 1574
Missaglia 587 Müller, Martin 84, 85, 261
Mißler 746, 830, 901 Müller, P. O. 409, 410
Mitchell 739, 820 Müller, Richard M. 1218
Miteva 1630 Müller, W. 506, 1218
Mitschian 796, 953, 1228, 1229 Müller-Bollhagen 229, 230
Miyanaga 1698 Müller-Hartmann 748, 762, 942, 949, 1167,
Mog 1248, 1381, 1426, 1476, 1514 1170, 1185, 1209
Mogensen 545 Müller-Jacquier 556, 1024, 1252, 1253, 1416,
Mohamed 533 1417, 1418, 1425, 1435, 1436, 1455, 1461,
Möhn 1219 1473, 1474, 1475, 1476, 1493, 1533
Mohr 78 Müller-Küppers 1219
Mokienko 676, 677 Müller-Liu 1259
Moll 514, 1058 Müller-Peisert 1547, 1548, 1549
Moller 1482 Multhaup 1010, 1011, 1013
Möller 361, 395, 396, 429, 644 Mummert 26, 1033, 1037, 1216, 1365, 1539,
Möller-Kiero 575 1548, 1583, 1584
Molnár 735, 869, 871, 1000 Münchow von 581
Mondria 1025 Munica 730
Monı́ková 1561, 1573, 1574 Munier 1569
Mönnighoff 1332 Muñoz 869
Montanari 1102 Munro 1001, 1002
Monteiro 487, 490 Munsberg 484
Moog-Grünewald 1555 Munske 444, 445
Moore 1110, 1185 Muranoi 949
Mora 1561, 1574 Muravlova, L. 1780
Morciniec 655 Muravlova, N. 1780
1882 Indices

Musolff 557 Neveling 1028


Muysken 448, 804 Newerkla 717
Myles 739, 820 Newson 801
Newton 945
Ngatcha 1221, 1373, 1702, 1703, 1704
N Nicholson 1589
Nickel 522, 523, 550, 1060, 1062, 1063
Nabrings 345, 353 Nicolae 667
Nagórko 657 Nida 328
Nagy 840 Nied Curcio 178, 586, 748
Naiman 1367 Nieder 46
Naka 91 Niederhauser 81
Naksakul 707 Nieke 1138
Nandorff 1231 Nielsen 886, 1644, 1645
Narita 594 Nikolov 869, 870
Narrog 596, 599 Nikula 681
Nastansky 1840 Nippold 787
Nation 239, 240, 242, 317, 945, 1022, 1023, Niskanen 1220
1027 Nitsche 270
Nattinger 250, 252 Nitzschke 1384, 1405
Naumann, E. 776 Nodari 83, 85, 1158, 1159, 1160, 1217
Naumann, H.P. 442 Noels 1153
Navarro 468 Nogami 594
Nazarkiewicz 1417 Nollmeyer 987
Nazzi 783 Nolte 1485
Ndong 25, 1547 Norman 812
Neelands 1593 Norrick 246
Neff-van Aertselaer 522 North 85, 1265, 1266, 1486
Nehm 1365, 1367 Norton (Pierce) 889, 890
Neises 472 Nothdurft 432
Nekula 716, 717 Nowacek 925
Nekvapil 717, 1809 Nübold 1202
Németh 1828 Nunan 765, 770, 941, 1167, 1169, 1173
Nemser 833, 834 Nünning, A. 1537, 1551
Nerius 200, 201, 203, 205 Nünning, V. 1537
Nettelbeck 1613, 1614 Nuolijärvi 575
Neugebauer 83, 85, 375, 381 Nürnberg, von 57
Neuland 36, 290, 432, 433, 434, 435, 581, Nussbaumer 277
859, 863
Neumann, I. 648
Neumann, R. 64, 723 O
Neumann, S. 462
Neumann, U. 4, 152, 1085, 1088, 1089, 1091, O’Donnell 1675
1313, O’Dowd 1209, 1237
Neumann, W. 1525 O’Keeffe 317
Neuner 297, 748, 796, 829, 934, 941, 963, O’Malley 842, 843, 844
1013, 1025, 1028, 1034, 1037, 1082, 1109, O’Seaghdha 1247
1216, 1217, 1218, 1219, 1252, 1346, 1435, O’Sullivan 1533, 1578
1436, 1438, 1444, 1446, 1457, 1460, 1472, Oya 594
1474, 1822 Oberacker 92
Neuner-Anfindsen 1028, 1159 Ochs 267
Neustupný 1809 Oebel 959
Personenregister 1883

Oelkers 1172, 1265, 1268 Padrós 1403, 1447, 1509, 1513


Oesterreicher 419, 425 Paefgen 1575
Ogawa 593, 594 Paegle 610, 612
Oguy 730 Paik 868, 869, 871, 872
Ohlhus 269 Paivio 1246
Ohlinger 619 Palková 714
Ohm 744, 1079, 1146, 1150 Pallier 872
Ohnacker 460 Palmer 1265, 1279
Ohnheiser 677 Palzer 20
Ohta 817, 818, 819, 821, 822, 823 Papadopoulou 638
Oksaar 1462 Papert 1245
Olbertz-Siitonen 986 Paqué 98
Öldorp 269 Paracelsus 468
Oliver 1140, 1573 Paračková 694
Oller 879 Paraschkewow 541
Olohan 317 Parianou 637
Olsen 544 Paribakht 243
Omolewa 1753 Partheymüller 46
Onaran 836 Pascal 1177
Ono 594 Paškevic 1727
Oomen-Welke 69, 1014, 1107, 1108, 1109, Paslawska 729
1110, 1111, 1112, 1113, 1189, 1191 Paszkowski 60
Orduña 1802 Pauldrach 1434, 1454, 1472, 1476, 1488
Ören 1571, 1575 Paus-Hasebrink 1244
Orletti 331, 332, 333 Pausch 57
Orłowski 1764 Pavlenko 519, 524
Ortega 519, 524 Pavlidous 637
Ortega y Gasset 330, 1434 Pawley 249
Ortmann 146, 551 Pawlow 794, 795
Ortmanns 56, 90, 1676 Pearson 317
Ortner, B. 881, 913 Peck 1365, 1368
Ortner, H. 230 Pedersen 1645
Ortner, L. 229, 230 Peirce, Ch. 256
Oskarsson 1367 Peirce, J. 256
Ostermann 1078 Peitz 472
Ostrower 92 Peleki 1021
Ostwald 1725 Penning 1460, 1486, 1487
Ott 1022 Perani 872
Otto 908, 911, 923, 933, 1154 Perdue 206, 877
Ouanès 533 Pérennec 580
Owens 533 Perissutti 715
Oxford 842, 844, 845, 850, 855, 856 Perlmann-Balme 1261
Özakin 1575 Péteri 735
Özdamar 1536, 1561, 1574 Peters, A. M. 838, 903
Özen 720, 723 Peters, E.N. 642
Peters, T. 471
Petersen 1423
P Petit 401
Petkov 539, 540, 541, 1521, 1522
Paar 697 Petneki 1221, 1828
Pache 463 Petravić 1719
Packard 1248 Petrounias 635
1884 Indices

Petrović 1719 Pörksen 440, 468, 478, 479, 481


Peuschel 1184 Porst 774
Pfaff 723 Portmann-Tselikas 76, 77 138, 179, 275, 293,
Pfister 441 528, 861, 864, 961, 967, 994, 995, 996, 997,
Pflaum 1405 1010, 1013, 1015, 1036, 1131, 1132, 1133,
Pförtsch 1194 1134, 1135, 1353, 1363, 1366, 1368
Phipps 1450 Posch 915, 1352, 1353, 1371
Piaget 803, 812, 813, 1327, 1328, 1537 Pöschl 111
Pica 819 Pospeschill 947, 948
Picht 480, 1387, 1424, 1425, 1436, 1485 Poulsen 544, 1644
Pienemann 66, 175, 741, 742, 760, 761, 809, Povejšil 712, 714, 717
810, 811, 839, 888, 909, 1011, 1012 Praxenthaler 104, 130, 1840
Piepho 46, 260, 927, 935, 936, 937, 938, 941, Pre˛dota 655
1033, 1034, 1036, 1186, 1245, 1261, 1530 Preibusch 66
Pietzuch 1450, 1486 Prenzel 1308
Piirainen 178 Primatarova-Miltscheva 641
Piitulainen 568, 573, 574 Probst 36
Pilarský 735 Prokop 1523, 1524, 1525
Pimsleur 901 Proročenko 729
Pine 785 Pufendorf 1405
Pinker 176, 789 Purcell 1001
Pinkert 1645 Purschke 392
Pino Madroñal 1723 Pusch 351
Pirinçci 1573 Püschel 286, 307, 505
Piske 1001 Puskás 1232
Piškorec 692, 1719 Pütz 522
Pistorius 1012 Putzer 586
Pitz 648, 650
Planken 903
Platten 1210, 1238, 1587 Q
Pleines 57, 1414, 1702
Plewnia 406, 439, 582 Qian 1639
Plieger 1235 Qin-Dynastie 628
Plisch de Vega 1480 Quast 1598
Plutzar 16, 112, 115, 117, 1126, 1359 Quetz 1216, 1220, 1252
Pöckl 288, 580 Quist 449, 450, 451, 452, 453
Poehner 820, 821
Poethe 275, 289
Pogner 1586, 1587, 1588 R
Pohl 361, 364, 367
Pokrotniece 612 Raabe 833, 834, 914, 1061, 1063, 1064, 1066,
Polat 1822 1068
Polenz, von 361, 434, 440, 444, 445, 468 Raasch 439
Pollak 361 Raatz 774
Pommerin-Götze 1138, 1139, 1140, 1142, Rabin 784
1496, 1497, 1583 Rabkin 1117
Pongó 693, 694, 695 Račienė 615, 618, 1730
Ponten 642 Radama I. 621
Ponti 1693 Raders 702
Pope 1583 Radeva 539, 540
Popovič/Popowitsch 73 Radtke 115, 590, 1335
Popovitsch 1799 Radziszewska 1474
Personenregister 1885

Raith 1239 Resende 555


Rajaona 622 Rettig 439
Rajaonarivo 623 Retzlaff 1591
Rajchartová 716 Reukova 1780
Rall, D. 36, 953, 1743 Reusser 1265, 1268
Rall, M. 1008, 1009, 1016 Reuter 464, 1492
Ramer 783 Reutter 1118
Ramin 1487, 1524 Rex 1496
Ramm 651 Rice 786
Rampillon 844, 847, 1159, 1160, 1282 Richards, J. C. 941, 950, 1060, 1352, 1371,
Ramseyer 375 1443
Rankin 1373 Richards, K. 748, 771
Rapaport 785 Richter, H. 1494
Rasch 776 Richter, J. 1000
Rasmussen 463 Richter, R. 1005, 1243
Rath 269 Rickmann 1407
Rathje 1398 Rickmeyer 596
Rathmayr 678 Rico 1584
Ratke 922 Ridali 565
Ratscheva 539 Riedinger 482
Rätsep 565 Riedner 1009, 1552
Rattunde 1063 Riehl 399, 439
Rauch 1218 Riemer 12, 23, 745, 746, 765, 768, 769, 778,
Raupach 241 852, 878, 879, 881, 889, 1153, 1154, 1344,
Rausch, I. 1004 1373, 1415
Rausch, R. 1004 Riesel 418
Ravid 785 Riiber 545
Read 1023, 1027 Riley 854, 1158
Rebotier 582 Riley-Köhn 462
Recio 1803 Rilke 1561
Reckwitz 1380, 1382, 1403, 1405 Ringbom 519
Redder 37, 332, 333, 471, 510, 512, 1056 Rioşanu 669
Reder 252 Risager 1380, 1395, 1396, 1398, 1442, 1514,
Rehbein 255, 258, 259, 265, 267, 269, 332, 1515, 1517
333, 597, 598, 720, 721, 722, 723, 985, 988, Ritter, Markus 1209, 1233, 1237
1066, 1130, 1183, 1367 Ritter, Monika 1118, 1122, 1123, 1125, 1127
Rehehusen 610 Riutort 1803
Reich 21, 64, 66, 68, 69, 892, 1097, 1133, Rivers 1834, 1835
1138, 1308, 1310, 1312, 1313 Robbeets 594
Reichmann 237, 663 Roberts 854, 855
Reiffenstein 361 Robinsohn 923, 924, 925, 926, 927, 1525
Reimann 301, 1260 Robinson, John P. 1834, 1835
Rein 552 Robinson, Peter 746, 811, 949
Reinbothe 25, 90, 91, 125, 1487 Robles 702
Reinelt 598 Roche 473, 984, 1186, 1203, 1207, 1228,
Reinfried 941 1230, 1231, 1244, 1245, 1247, 1248
Reinhardt 480, 483, 490 Rode 1805, 1806, 1807
Reinke 175, 178 Rodenbeck 458, 459, 464
Reitemeier 889 Rodgers 765, 768, 769, 772, 1442
Reiter 711, 717 Rodi 46, 472
Remme 60 Roe 555
Renn 396 Roelcke 351, 459, 493, 510
1886 Indices

Roelofs 1247 Rumelhart 814, 1538


Roever 117, 1320 Rummer 1246
Rogers 1163, 1211 Runkehl 505
Roggausch 1349, 1688 Rüschoff 860, 1227, 1228, 1231
Rögl 1498 Russ 555
Rohdenburg 555 Russell 256
Rohland 1610 Ryan 868, 869, 870, 871, 872, 873
Rohrbach 318 Rytel-Kuc 298
Rohrer 1252
Roiss 1803
Rojas 1060, 1064 S
Rolf 284, 285, 288
Rolffs 722 Saalmann 1078
Römer 316, 317, 318 Sacks 267, 268, 269, 337
Ronneberger-Sibold 207 Sadji 1415
Ropers 1424 Sadoski 1246
Rosbach 545 Saebo 650
Rösch 68, 1089, 1091, 1108, 1536, 1568, Saengaramruang 710, 1523
1572, 1578, 1580 Sagawe 1709
Rosén 685 Sager 268
Rosenberg 401, 1555, 1558, 1608 Saito 880
Rösler 23, 29, 37, 66, 1046, 1193, 1200, 1205, Sakai 1699
1206, 1207, 1208, 1210, 1215, 1228, 1232, Salokannel 1186
1234, 1236, 1237, 1238, 1240, 1247, 1533, Salverda 178
1578, 1676, 1677 Sammori 1700
Ross 821 Sanchez, A. C. 1723
Rossebastiano 57 Sánchez, R. 701
Rossipal 346 Sander 306, 1490
Rössler 1446, 1449 Sandfuchs 65
Rost-Roth 66, 881, 1191 Sandig 276, 289
Roth, Joachim 505, 1085, 1088, 1089, 1091, Sandu 671
1133, 1138, 1312, 1313 Sano 955
Roth, Joseph 1561 Santana 1803
Rothenhöfer 317 Sapiridou 638
Rothkegel 461 Sapon 901
Rothschuh 467 Sarangi 333
Röttger 638, 1221, 1387, 1447, 1486 Sarnow 588
Roussy-Parent 1247 Sasalatti 37
Rovere 586, 590 Satzger 489
Rowley 401 Sauer, Ch. 1244
Rox-Helmer 1568 Sauer, M. 1479, 1568
Rozenbergs 612 Sauerwein 581
Rubin 842, 845, 846 Saunders 1237
Rück 1037 Sauter 114
Ruckteschell 135, 147 Sava 670
Rudolf 97 Savaşçı 722
Ruegger 375 Savolainen 572
Rues 1003 Savova 1630
Ruf 1315 Saxer 75
Rug 301, 1260 Schabowski 425
Ruhloff 1138 Schachter 802
Ruhnken 1555 Schader 1113
Personenregister 1887

Schaeder 1028, 1256 Schmeller 345


Schäfer, A. 1079 Schmelter 1188, 1189, 1191
Schäfer, P. 581 Schmenk 762, 1205, 1379, 1449
Schaller 1177 Schmid 1177
Schami 1561, 1573, 1574 Schmidt, A. 21, 1608
Schanen 1259 Schmidt, C. 1022
Schank 269 Schmidt, G. 1055
Schärer 1317 Schmidt, H.-W. 1547
Scharloth 376, 380, 381 Schmidt, J. E. 346, 387, 390, 391, 392, 411
Schart 1173, 1175 , 1373, 1700 Schmidt, K. 1384, 1481
Schatte, Chistoph 656 Schmidt, Rainer 300, 811, 861, 890, 1065,
Schatte, Czesława 656 1067, 1218,
Schatz 983, 984, 989 Schmidt, Ricarda 1556
Scheele 895, 896, 897 Schmidt, S. J. 503, 813, 1467, 1524, 1535
Schegloff 267, 268, 269 Schmidt, Sabine 1384, 1481
Scheiner 301 Schmidt, T. 1196, 1211, 1212, 1231, 1232,
Scheller, Jilia 1203, 1212, 1232, 1243, 1244, 1239
1247 Schmidt-Regener 354
Scheller, Ingo 1592 Schmitt, Ch. 444, 580
Schemann 556 Schmitt, D. 1026
Schenk 1536 Schmitt, N. 238, 242, 243, 251, 1022, 1023,
Schenkein 270 1024, 1025, 1026, 1027
Schenkel 50, 729 Schmitt, P. A. 488, 556
Scherer 316, 785 Schmitt, R. 301, 1260, 1261
Scherfer 1191 Schmitz, M. 694, 695
Scherling 1203 Schmitz, U. 502
Scherner 275, 290 Schmitz, W. 36, 1494
Scheuringer 350, 361 Schmöe 46
Scheutz 692 Schmölzer-Eibinger 77, 179, 293, 997, 1009,
Schewe 1590, 1592, 1593, 1692 1014, 1131, 1132, 1133, 1134,1135
Schiedermair 1552 Schneider, G. 85, 116, 261, 1265, 1266, 1269
Schiller, Friedrich 1555 Schneider, K. P. 1256
Schilling, U. 599 Schneider, S. 934
Schilling, K., von 1381 Schneiderman 1002
Schils 903 Schnell 774
Schindelbeck 504 Schnitzer 1113
Schindler 241 Schnörch 1028
Schinke-Llano 891 Schnotz 1247
Schinschke 1397, 1473 Schocker-von Ditfurth 748, 762, 942, 949,
Schlak 301, 743, 746, 818, 852, 868, 869, 1167, 1170, 1352, 1375
871, 872, 878, 902, 1000, 1013, 1014, 1016, Schöfthaler 953
1346 Schöler 1306
Schläpfer 81, 374, 375, 381 Scholten 56, 59, 60, 92, 104
Schleicher 615 Scholz 433
Schleiermacher 1177 Schön 1352, 1372
Schlemminger 1590 Schöningh 986
Schlickau 1238 Schönpflug 787
Schlobinski 352, 353, 414, 432, 505 Schönwälder 115
Schlosser 1645 Schoormann 743, 818
Schloßmacher 100 Schößler 1550
Schmalt 1108 Schott 468
1888 Indices

Schramm 742,749, 843, 1014, 1021, 1183, Seel, P. C. 953, 956, 1382
1184 Seelbach 582
Schrauf 867 Seeler 126
Schreiber 581, 582 Segalowitz 944, 948, 949
Schreier 898 Segermann 1081
Schreiter 996, 1026, 1256, 1584 Seghers 1638
Schriefers 240 Sehwers 611
Schröder, H. 496, 571, 572, 573, 1417, 1475 Seliger 765, 766, 767, 770
Schröder, K. 57 Selinker 523, 528, 739, 741, 742, 757, 833,
Schröder, M. 305, 309, 1786 834, 1060
Schröder, U. 665 Selmy 533, 534
Schrodt 361 Selting 269, 449, 450, 451, 452
Schroeder 721, 723, 749, 1078 Senocak 1561
Schubert 56 Şenyıldız 839
Schuckall 1203 Sercu 1514, 1515, 1516
Schuldt 470 Serra Borneto 590, 1061
Schulte 1495 Sevgi Özdamar 1561, 1574
Schultz 331, 333 Shamin 955
Schulz, D. 46, 925, 1216 Shannon 1199
Schulz, H. 440, 445 Sharwood Smith 801, 860
Schulz, P. 1309, 1310, 1312 Shatz 784
Schulz, R. 1384, 1448, 1835, 1837
Shaw 1590
Schulz, W. 908, 911, 923
Sheen 854
Schulze, G. 414
Shekhtman , 851,855 856
Schulze, M. 1232, 1233
Shibatani 599
Schumann, A. 1450
Shohamy 115, 117, 118, 765, 766, 767, 770,
Schumann, J. H. 746, 877, 887
1320
Schürcks 714, 715
Shultz 268
Schüssler 1194
Siebenhaar 377
Schüßler 1255
Sieber 374, 375, 379, 380, 381
Schütte 419
Siebert, H. 1163
Schütz 266, 1494
Schwanzer 693, 696 Siebert-Ott , G. 69, 1108, 1335
Schwarz, Ch. 349 Siebold 702
Schwarz, M. 278 Siebs 364, 375, 377
Schwarze 270, 984, 987 Siegel 1525
Schweckendieck 1076, 1359 Siegfried 463
Schweizer 462 Siegrist 1495
Schwerdtfeger 877, 881, 961, 1184, 1200, Siepmann 499, 1024
1201, 1202, 1203, 1204, 1378, 1458, 1524 Siever 505
Schwippert 69 Silapasawat 710
Schwitalla 419, 420, 422, 426, 427, 432, 987 Siller-Rumggaldier 586
Scollon, R. 331, 333 Silverman 776
Scollon, S. 331, 333 Šimečková 712, 716
Scott 1593 Simeonova 540, 541
Scovel 879, 880 Simmel 1562
Scoville 784 Simo 1525, 1704
Searle 257, 288 Simon-Pelanda 1443, 1444, 1456, 1459, 1460,
Seddiki 532 1469, 1485, 1502, 1507
Sedlaczek 3, 11 Simonnæs 648
Seeba 1524 Sims 1246
Seel, N. M. 1247 Sinclair 250, 1367
Personenregister 1889

Singleton 868, 869, 870, 871, 872, 873 Spinassé 1625


Singson 785 Spinner 1575
Sinka 1835 Spitzmüller 433, 505
Sioupi 636 Spolsky 890, 1273
Sisák 693, 694, 696, 729 Spranz-Fogasy 471, 472
Sitta 374, 375, 379, 380, 381, 586, 1521 Sriuranpong 708, 709
Six 1423 Stadler 678
Skála 717 Stanat 1092
Skehan 843, 850, 880, 901, 902, 1167, 1168 Stănescu 36, 667, 670, 671, 1772, 1773
Skender 1717 Stanonik 1799
Skiba 318, 1215, 1403 Stanzel 1426, 1427
Skibicki 654 Stark 35, 90
Skinner 794, 796, 798, 799 Starke 307
Skudlik 94 Stechow 218, 729
Skuttnab Kangas 891 Stedje 682
Slama Cazacu 671 Steets 514
Slater 1175 Stefanova 541, 542, 1630
Slembek 636, 1004 Stefanowitsch 177, 247
Slimák 693, 694, 696 Steffen 1740
Slivensky 952, 955, 1220 Steger 419, 420
Slobin 808 Stein 1126
Smetana 1599
Steinegger 363
Smith, J. 1676
Steinhauer 231, 460
Smolicz 1497
Steinhoff 511, 512, 1252
Snagoveanu 669
Steinig 23, 349, 961, 962, 1238, 1487
Snell-Hornby 461, 555
Steinitz 239
Snow 495
Steinke 771
Soffritti 590
Steinmann 1426
Sohar-Yasuda 593
Steinmeier 129
Söhn 115
Steinmetz 1546
Sohn 471, 602
Stenhouse 1372
Sojko 729
Solfjeld 651 Stenzig 21
Solmecke 966, 1155, 1447 Stern 798, 908, 1177
Song, K.-A. 605, 607, Sternefeld 218
Song, S.-H. 605 Stevener 769, 770
Soonvald 564 Stevenson 179
Sorger 44, 46, 52 Stewart 1375
Soro 571 Steyer 246
Sorvali 574 Stezano-Cotelo 511, 1058
Sõstar 1651 Šticha 712, 715, 716, 717
Souanga 1648 Stickel 3, 36, 593, 596, 749
Šovgenin 1780 Stierstorfer 1383, 1494
Sow 1704, 1787 Stippinger 1583
Spada 739, 758 Stock 189, 192, 193, 674, 1003
Sparmann 239 Stöckl 505
Spencer-Oatey 1416 Stockmann 1126
Spiegel 178, 269, 270, 275 Stojtceva 1630
Spiegelman 1569 Stoljar 1522
Spiekermann 179, 346, 347, 349, 350, 354, Stoller 1173, 1174, 1175
355, 391, 411, 422, 428 Stolz 375
Spillner 581 Stolze 496, 497
1890 Indices

Storch, G. 23, 636, 1061, 1183, 1184, 1185, Tare 784


1460 Tarvainen 570, 571, 573
Storch, N. 821, 822 Tarvas 1653
Stork 1028, 1512 Tasa 565
Storm 1637 Tatje 485
Stötzel 306 Tawada 1573
Straub 1380, 1494 Taylor, B. P. 834
Strauss 767, 776 Taylor, Catherine L. 786
Streck 349 Taylor, Ch. 1141, 1496
Strecker 262, 296, 298, 301, 582 Taylor, I. 241, 1023
Streeck 268 Taylor, J. C. 1194, 1195
Street 1130 Taylor, Ph. 1589
Stromswold 786 Taylor, W. L. 1279
Struk 729 Tekinay 1140
Studer 354, 422, 1267, 1268, 1269 Telija 674
Sturm 1522, 1597 Telling 441
Stutterheim 723 Ten Cate 641, 643
Sucharowski 510 Ten Thije 267, 332, 333, 1493
Suchsland 23, 29, 30, 800 Tenberg 1195, 1514
Sugita 593, 598 Tenfjord 319
Sugitani 1699 Terada 1222
Šukevičiūtė 462, 619 Terrell 759, 909
Sullivan 957 Tertel 299, 301, 1259
Supper 1495 Tertilt 352
Sutcliffe 1247 Teske 1432, 1436, 1438
Suter 624, 625, 1001 Thiele 441
Sutrop 562, 563 Thielmann 178, 511, 512, 1053, 1057
Swain 760, 820, 821, 822, 891, 949, 1014, Thiemann 1365, 1366
1170, 1265, 1279 Thierfelder 92
Swarbrik 1585, 1588 Thim-Mabrey 289
Sweller 1246 Thimm 461
Syder 249 Thimme 1385, 1472, 1480
Szablewski-Çavuş 64, 1116 Thoma 838
Szablyár 1221 Thomas, A. 1403, 1407, 1431, 1432, 1436,
Szendi 1829 1473
Szulc 655 Thomas, H. 1367
Szulc-Brzozowska 656 Thomas, T. 505
Szurawitzki 574 Thomason 439
Thome 582
Thompson 267, 1001
T Thonhauser 179, 962, 983, 995, 1009, 1037
Thornbury 1022
Taatloha 710 Thorndike 793
Taborek 657 Thorne 820, 1209
Tabory 98 Thorsen 545
Takahashi 955 Thum 25, 1413, 1415, 1417
Takekuro 599 Thums-Senft 996
Tallowitz 301, 1026, 1260, 1261 Thüne 591
Tamme 1209 Thurmair 175, 177, 181, 228, 230, 234, 275,
Tannen 270 277, 278, 284, 285, 289, 290, 298, 299, 300,
Tapan 1820, 1822 301, 483, 1009, 1016, 1017
Tapias Ospina 1709 Tibi 1496
Personenregister 1891

Tietze 1076, 1359 Uhlemann 1458


Tiittula 463, 574, 575 Uhmann 269
Tilmann 1366 Ulich 1309
Timm, J.-P. 1267, 1269 Ulitzka 1579, 1580
Timm, U. 1569 Ullman 873
Timmermann 555 Ulrich 1233, 1240, 1252, 1255
Tmangraksat 709 Uzuegbu 1755
Tmangraksat-Watananguhn 709, 710
Toledo Gonzaléz 1723
Tomaselli 587 V
Tomasello 176, 785, 789, 837
Tomaszewski 301, 1260 Vahle 1109
Tomita 593 Vahsen 648
Tommola 572 Vajičková 694, 697
Tonfoni 461 Valdés 1723
Tono 316, 1028 Valdmanis 612
Tönshoff 844, 845, 860, 863, 909, 1015, 1066, Valt 1780
1186 Van Avermaet 115, 116, 117
Topal 93 Van de Velde 641
Tracy 838, 839, 1313 Van Ek 1292
Trad 1516 Van Eunen 1533
Trautmann 178, 511 Vandenheede 641
Treiber 1330 Vandergrift 973
Trim 1486 Vandermeeren 96
Trochina 1779 VanPatten 739, 1008
Trojanow 1140, 1561 Vapordžiev 541
Trojanus 479 Varela 702
Trömel-Plötz 351 Vargas 1625
Trompetter 243 Vassileva 539, 677
Trošok 1793 Vater 275, 276, 289
Trubetzkoy 999 Vedda 1610
Truckenbrodt 1613 Veeck 1442
Tschiang Kai-Shek 1637 Veličkova 674
Tschirner 177, 238, 239, 240, 242, 243, 316, Venohr 288, 290, 581
317, 742, 759, 815, 1013, 1014, 1021, 1022, Verescagin 1458
1028, 1230, 1384, 1448 Verstraete-Hansen 1643
Tschuggnall 1482 Vesalainen 574
Tselikas 1590, 1593 Vester 1432, 1433, 1434, 1436
Tsokoglou 636 Viehweger 281, 284, 286, 288
Tsui 1352 Vielau 796
Tsunoda 93
Viereck 443
Tubergen, van 888
Viëtor 1034, 1042
Tulodziecki 1217
Vigil 879
Tütgen 1592
Villarmé 1578
Tworek 655
Vinckel 582
Tylor, E.B. 1406
Virchow 468
Tyre 1121
Vogel, I. 720
Vogel, K. 837, 877, 1009, 1252
U Vogely 880
Vogt, E. 749
Uçar 1138 Vogt, K. 1267
Ucharim 1386 Voigt 178, 275
1892 Indices

Volf 107, 115 Wegener, M. 255


Volkmann 1456, 1494 Wegera 419, 420
Volland 441 Wegner, A. 56, 930, 1219, 1221, 1514
Vollmer 1131, 1134 Wegner, W. 491
Vollstedt 96 Wehberg 787
Volohova 1780 Wehmer 1163
Von Elek 1367 Wei, L. 860
Vretta-Panidou 638 Wei, M. 1639
Vygotskij/Vygotsky 820, 1327, 1328 Wei, Y. 1639
Weidacher 1009, 1131
Weidemann, A. 458, 1380, 1494
W Weidemann, D. 1380, 1494
Weidenmann 1329, 1597
Wade 1675 Weigel 1591
Wägenbaur 1396 Weigt 654, 656
Wagner, A. 1330, 1366 Weimann 1456, 1459, 1461, 1513
Wagner, G. 29 Weinert 1264
Wagner, J. 545 Weininger 1627
Wahl 1330 Weinrich 6, 21, 22, 23, 24, 47, 173, 175, 214,
Wahmhoff 270 233, 276, 277, 278, 279, 295, 296, 297, 298,
Waitzbauer 1504 300, 301, 491, 495, 497, 498, 509, 510, 512,
Waldenfels 335, 1397, 1552 513, 1259, 1427, 1524, 1531, 1560, 1572
Wall 1277 Weir 1289
Wallmannsberger 550 Weis 1733, 1734
Walter, Harry 539 Weise 479, 481, 485, 497
Walter, Hilmar 676 Weiss 1839
Walter, M. 318 Wekker 520, 521
Walters 1027 Weller 1034, 1043, 1065
Walzer 1498 Wellmann 233, 287, 296, 298, 1028
Wandor 1584 Wells 1326
Wang 986 Welsch 1140, 1525
Wardetzky 1591 Welzer 1482
Wardhaugh 756 Wenden 842, 845, 896
Ware 1185 Wendt, A. 1460
Warmbold 1219 Wendt, M. 1447, 1525
Warneke 1373, 1375 Weniger 923
Watanabe 821 Wenske 479
Waters 949 Wentura 1364
Watson 794, 795 Wenzel 270, 644
Watson-Gegeo 886 Werfel 1561
Watt 1130 Werlen 270, 373, 374, 379, 382
Watts 269, 1497 Werlich 285, 289
Wawra 462 Werner, Ch. 117
Wawrzyniak 658 Werner, O. 532
Weaver 1199 Wertenschlag 85
Webb 1025 Wesche 243
Weber, H. 1148 Weskamp 944, 1158, 1159
Weber, J. 1555 Wessling 1425, 1474, 1476, 1533
Weber, M. 414, 1408, 1562 West 351
Weber, T. 460 Westheide 641
Wegener, H. 180, 208, 210, 213, 215, 229, Westhoff 250, 843
408, 1012 Weydt 296, 298, 1259
Personenregister 1893

White, C. 843 Wokusch 270


White, L. 802, 803, 804, 805 Wolf, Ch. 1561
Wicke 934, 936, 1155, 1599 Wolf, F. 1638
Wiebe 1002 Wolf, G. 1433, 1434, 1438
Wiegand 237, 238, 304, 305, 306, 309, 310, Wolf, N. R. 361
458, 487 Wolf, T. 1058
Wieland 1555 Wolff, A. 1009
Wierlacher 20, 21, 25, 26, 47, 1381, 1413, Wolff, Ch. 256
1414, 1415, 1416, 1418, 1485, 1517, 1521, Wolff, D. 742, 812, 813, 845, 859, 860, 861,
1524, 1525, 1534, 1546, 1547, 1560 862, 863, 864, 877, 881, 941, 993, 1034,
Wiersma 1025 1227, 1228, 1231, 1254, 1255
Wierzbicka 656, 1057 Wolff, J. 1191
Wiese, H. 414, 433, 449, 450, 451, 452 Wollert 606, 1024
Wiese, I. 467, 469, 493, 494, 496, 497 Wong Fillmore 904
Wiesinger 73, 348, 354, 361, 361, 362, 363, Wood 821
364, 367, 369, 389, 390, 401 Woods 1352
Wiesmann 510, 511 Woodward 783
Wiktorowicz 657 Woolford 410
Wilberg 1148 Worbs 657
Wildenauer-Jósza 1109 Wordsworth 326
Wildmann 912 Wormer 1381, 1435, 1436, 1449, 1470, 1525,
Wildt 1591 1526
Wiliam 1315, 1318 Wotjak, B. 175, 580
Wille 658 Wotjak, G. 580, 702, 1722
Willet 888 Wray 177, 250, 838
Williams 1008, 1154, 1170 Wright 1332, 1333
Willis, D. 846, 949 Würffel , N. 853, 1196, 1211, 1212, 1231,
Willis, J. 846, 949, 1167, 1170 1232, 1234, 1235, 1237, 1239, 1587
Willkop 177, 275, 277, 278, 281, 301, 1016 Würffel, S. B. 1495
Wilmots 641 Wurzel 406
Wilms 25, 66, 1592 Wurzenrainer 1366
Wimmer 1413 Wynne 316
Windelband 495
Wingchen 472
Winge 544, 545
X
Winkelmann 439
Winkler 563, 565
Xiao 316
Winko 1556, 1557, 1558, 1559
Xu 627
Winter, C. 505
Xu Xiangsen 1637
Winter, F. 1315, 1318
Winter, R. 1396, 1418
Winters-Ohle 634
Wintersteiner 1536, 1572, 1576 Y
Wintschalek 729
Wippermann 504 Yagmur 1138
Wißner-Kurzawa 1217 Yanar 454
Witte, A. 953, 956, 957, 1328, 1329, 1336, Ylönen 470, 473, 511, 574, 575
1692, 1755, 1756 Yoneyama 955
Witte, B. 1524 Yos 275, 289
Wittgenstein 256, 257, 1178 Yoshijima 1699
Wodak 138, 269, 472 Young, D. J. 880
Wode 1060 Young, P. 1121
1894 Indices

Z Zifreund 1364
Žiletić 692, 1789
Zabrocki 654 Zimmer 491, 1246
Zimmerman 351, 1022
Zachau 1835
Zimmermann, A. 1592
Zaharia 670
Zimmermann, H. 1568
Zaimoğlu 1561, 1574
Zimmermann, G. 843, 911, 914, 1368
Zampini 999
Zimmermann, K. 269, 432
Zander 1725
Zimmermann, P. 25, 1397, 1413, 1547
Zehnder 260
Zinkevičius 615
Zemb 580 Zinsmeister 316
Žepić 1717 Zint-Dyhr 544, 545, 1644
Zeuner 1460, 1466 Žluktenko 726, 728, 729
Zhang 784, 786 Žmegač 1719
Zhao 631, 632 Zöfgen 304, 305
Zhu 90, 491, 627 Zolotova 674
Zickfeldt 648 Zuengler 904
Ziebell 936, 1184, 1366 Zurdo 699, 702
Ziegelmann 563, 565 Zweig 1610
Ziegler 275, 285, 290, 414 Zwicky 85
Zifonun 218, 219, 221, 262, 296, 298, 301, Zwitserlood 240
316, 551, 582, 1259 Zydatiß 554, 1131, 1398, 1399

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