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Biologie, Anatomie, Physiologie - Lehrbuch Und Atlas
Biologie, Anatomie, Physiologie - Lehrbuch Und Atlas
Biologie
Anatomie
Ph y siologie
Lehrbuch und Atlas
Der Autor hat alle Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass etwaige Auswahl und Dosierungsanga-
ben von Medikamenten im vorliegenden Text mit den aktuellen Vorschriften und der Praxis übereinstimmen.
Trotzdem muss der Leser im Hinblick auf den Stand der Forschung und mit Blick auf die Änderung staatlicher
Gesetzgebungen, mit dem ununterbrochenen Strom neuer Erkenntnisse bezüglich Medikamentenwirkung und
Nebenwirkungen unbedingt bei jedem Medikament den Packungsprospekt konsultieren, um mögliche Ände-
rungen im Hinblick auf Indikation und Dosis nicht zu übersehen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt
auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-
und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.
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Autor:
Dr. päd. Martin Trebsdorf
Illustrationsideen und Beratung:
Dipl.-Med. päd. Paul Gebhardt
Zeichnungen:
Sylvana Bardl, Halle
Mark Bitter, Hamburg
Andreas Busse, Suderburg
Steffen Faust, Berlin
Gerhard Schäfer, Bad Bevensen
Layout und Satz:
GS Werbeagentur, Bad Bevensen
Lektorat:
Karin Schanzenbach, Hamburg
Rüdiger Mackenthun, Suderburg
ISBN 3-928537-30-X
7. Auflage 2002
© 1993 by Lau-Verlag GmbH, Reinbek
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Germany
Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier
Vorwort 3
Das völlig neue „Gesicht“ der 4. Auflage hat sowohl bei Schülern als auch bei Lehrern großen
Anklang gefunden, nicht zuletzt weil das bewährte inhaltliche und didaktische Grundkonzept
beibehalten wurde. Das hat uns bewogen, auch die 5. Auflage weiter zu verbessern, was durch viele
neu gestaltete Zeichnungen sichtbar wird.
Bei der Arbeit mit dem Buch ist es deshalb von großer Bedeutung, stets den Text in engster
Verbindung mit den in unmittelbarer Nähe befindlichen Abbildungen und Tabellen zu studieren.
Gerade durch diese enge Nachbarschaft von Text und Bild – lesen und sogleich sehen – hebt sich die-
ses Lehrbuch unmissverständlich von allen anderen ab, zum Vorteil von Lernenden und Lehrenden.
Aufgrund dieser Tatsache war es auch möglich, einfache oder bereits bekannte Sachverhalte, wie
zum Beispiel makroskopische Strukturen, „nur“ aufzuzählen, um dadurch das umfangreiche anato-
mische und physiologische Wissen gerafft wiedergeben zu können.
Das Studieren wird durch den streng logischen Aufbau und eine übersichtliche Anordnung des Stoffes
erleichtert. In Merksätzen wird das Wichtigste immer wieder präzise zusammengefasst.
Wiederholungsfragen am Ende der Kapitel helfen, den Lerneffekt zu überprüfen. Hilfreich dabei ist
auch das umfangreiche Stichwortregister.
Darüber hinaus bietet die neugeschaffene, extra zu diesem Buch konzipierte CD-Rom die
Möglichkeit, mit Hilfe neuer Technik die Inhalte noch präziser anschaulich aufnehmen und erarbei-
ten zu können.
Die positiven Resonanzen haben uns bewogen, das Konzept unverändert zu lassen. Mit der vorlie-
genden 6. Auflage zählt das Werk im Bereich „Biologie, Anatomie, Physiologie“ bereits zu den
erfolgreichsten Titeln in der Ausbildung der pflegerischen und medizinischen Berufe, was auch auf
die vielen Anregungen von Dozentinnen und Dozenten sowie den Auszubildenden selber zurückzu-
führen ist. Hierfür möchten wir uns bedanken, weil ein gutes und erfolgreiches Buch nur dann Ihren
Ansprüchen gerecht wird, wenn immer wieder Hinweise und Tipps aus der täglichen Praxis berück-
sichtigt werden.
Die mitgelieferte CD gehört selbstverständlich weiterhin zur Ausstattung und wird Ihnen ein hilfrei-
cher Begleiter während Ihres beruflichen Werdeganges sein.
Maßeinheiten Merke
μs Mikrosekunde (0,000 001 s)
ms Millisekunde (0,001 s) Diese Merkesätze enthalten wichtige ergän-
μg Mikrogramm (0,000 001 g) zende oder zusammenfassende Informa-
mg Milligramm (0,001 g) tionen der vorangegangenen Inhalte.
μm Mikrometer (0,000 001 m)
nm Nanometer (0,000 000 001 m)
μl
nl
Mikroliter (0,000 001 l)
Nanoliter (0,000 000 001 l)
❑
P Die nachfolgenden Informationen stellen
Pa Pascal (0,0075 mmHg) einen Praxisbezug dar.
mmHg Millimeter Quecksilbersäule (133 Pa = 1,33 mbar)
mbar Millibar (100 Pa = 0,75 mmHg) Allgemeine Symbole
A Ampère (Stromstärke)
= Erhöhung, Anstieg
➞
V Volt (Potential)
= Reduzierung, Abfall
➞
Hz Hertz (= 1/s)
mol Mol ✑ = siehe
Inhaltsverzeichnis 5
Vorwort 3
Vv.
Venae Erläuterungen zu den Abkürzungen und Zeichen 4
3 Gewebe 59
3.1 Epithelgewebe (= Epithel) 60
3.2 Binde- und Stützgewebe 62
3.3 Muskelgewebe 68
3.4 Nervengewebe 69
3.4.1 Bau 69
3.4.2 Grundlagen der Erregungsphysiologie 71
Fragen zur Wiederholung 76
9 Kreislaufsystem 153
9.1 Aufgaben (Überblick) 153
9.2 Das Blut 153
9.2.1 Blutzellen (Blutkörperchen) 153
9.2.2 Blutplasma 156
9.3 Physiologie des Blutes 156
9.3.1 Transportfunktion 156
9.3.2 Blutstillung (Hämostase) 157
9.3.3 Fibrinolyse 158
9.3.4 Blut und Immunsystem 158
9.3.5 Unspezifische und spezifische humorale und zelluläre
Abwehrmechanismen 165
9.3.6 Verschiedene Immunreaktionen 168
9.3.7 Immunisierung 168
9.3.8 Blutgruppen des Menschen 168
9.4 Das Herz (Cor) 172
9.5 Gefäßsystem 176
9.5.1 Blutgefäßarten 176
9.5.2 Blutkreislauf 178
9.5.3 Lymphgefäßsystem 187
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 189
9.6.1 Erregung des Herzens 189
9.6.2 Mechanik der Herztätigkeit 191
8 Inhaltsverzeichnis
10 Wärmehaushalt 207
10.1 Körpertemperatur des Menschen 207
10.2 Wärmeproduktion und Wärmeabgabe 208
Fragen zur Wiederholung 212
11 Atmungssystem 213
11.1 Gliederung 213
11.2 Bau der Atmungsorgane 213
11.2.1 Nase (Nasus) 213
11.2.2 Rachen (Pharynx) 214
11.2.3 Kehlkopf (Larynx) 216
11.2.4 Luftröhre (Trachea) 219
11.2.5 Lungen (Pulmones) 220
11.2.6 Brustfell (Pleura) 223
11.3 Physiologie der Atmung 224
11.3.1 Atembewegungen 224
11.3.2 Gasaustausch 228
11.3.3 Atemgastransport 229
11.3.4 Regulation der Atmung 230
Fragen zur Wiederholung 232
12 Verdauungssystem 233
16 Sinnessystem 311
16.1 Oberflächen- und Tiefensensibilität 312
16.2 Chemische Sinne (Geschmack und Geruch) 313
16.3 Hör- und Gleichgewichtssinn 315
10 Inhaltsverzeichnis
17 Nervensystem 331
17.1 Gliederung 331
17.2 Rückenmark (Medulla spinalis) 332
17.2.1 Lage und Form 333
17.2.2 Innerer Bau 333
17.2.3 Rückenmarksegmente 335
17.3 Gehirn (Encephalon) 335
17.3.1 Masse, Lage, Form, Gliederung 335
17.3.2 Endhirn (Telencephalon) 335
17.3.3 Zwischenhirn (Diencephalon) 341
17.3.4 Mittelhirn (Mesencephalon) 342
17.3.5 Brücke (Pons) 343
17.3.6 Kleinhirn (Cerebellum) 343
17.3.7 Verlängertes Mark (Medulla oblongata) 344
17.3.8 Netzsubstanz (Formatio reticularis) und aufsteigendes
retikuläres aktivierendes System (ARAS) 344
17.4 Hirnkammern (Ventriculi encephali) 345
17.5 Schutzeinrichtungen des ZNS 345
17.6 Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) 346
17.7 Blutversorgung des Gehirns 348
17.8 Leitungsbahnen des ZNS 349
17.8.1 Sensible aufsteigende Leitungsbahnen 349
17.8.2 Motorische absteigende Leitungsbahnen 350
17.9 Peripheres Nervensystem (PNS) 352
17.9.1 Hirnnerven 353
17.9.2 Rückenmarksnerven (Nn. spinales) 357
17.10 Reflexe 361
17.11 Vegetatives Nervensystem (VNS) 364
17.12 Zusammenwirken der Koordinationssysteme VNS,
animales Nervensystem und Hormonsystem 371
17.13 Wachsein und Schlafen 372
Fragen zur Wiederholung 375
➥ Stichwortverzeichnis 377
11
1.1 Inhalt und Aufgaben der Anatomie und Physiologie ist keine Diagnose
Anatomie und Physiologie (Krankheitsbestimmung) und ohne Diagnose
keine Therapie (Heilverfahren) möglich.
Die genaue Kenntnis des gesunden menschli-
chen Körpers ist eine unabdingbare Vorausset- Anatomische und physiologische Kenntnisse
zung, um pathologische (krankhafte) Verände- sind die erste Voraussetzung für alle Pflege- und
rungen festzustellen. Ohne die Kenntnisse der Gesundheitsfachberufe.
Kopf
(Caput)
Hals
(Collum)
Rumpf
(Truncus)
obere Extremität
(Membrum superius)
Bauch
(Abdomen)
Becken
(Pelvis)
untere Extremität
(Membrum inferius)
1/4
1/4
... der
gesamten
Körpergröße
1/4
1/4
Längen- als auch im Breitenwachstum. So ist im 3. Embryologie (Lehre von der Embryonalent-
1. und 5. bis 7. Lebensjahr sowie während der wicklung): Dieses Teilgebiet befasst sich mit
Pubertät ein verstärktes Längenwachstum, der Entwicklung des Menschen von der be-
dazwischen und nach der Pubertät ein erhöhtes fruchteten Eizelle bis zur Geburt.
Breitenwachstum zu beobachten.
4. Systematische Anatomie: Sie bietet eine Ein-
Im 5. bis 7. Lebensjahr verändert sich der füllige teilung nach gleichen Funktionen. Auf diese
Kleinkindtyp durch stärkeres Wachstum der Weise wird eine Vereinfachung und bessere
Gliedmaßen, Vergrößerung des Kauapparates, Übersicht des menschlichen Körpers erreicht.
Abnahme des Unterhautfettgewebes und Abfla-
chung des Rumpfquerschnittes in den typischen Das Lehrbuch orientiert sich deshalb an der
Schulkindtyp. Diese Körperformveränderungen systematischen Anatomie und behandelt fol-
werden als 1. Gestaltenwandel bezeichnet. Der gende Organsysteme:
2. Gestaltenwandel vollzieht sich während der • Hautsystem (Häute und Drüsen),
Pubertät und führt zu den endgültigen Körper- • Stütz- und Bewegungssystem,
proportionen des Erwachsenen. In dieser Phase • Kreislaufsystem,
werden auch die Geschlechtsorgane funktions- • Atmungssystem,
tüchtig, und es kommt zur Ausprägung der • Verdauungssystem,
sekundären Geschlechtsmerkmale. • Harnsystem,
• Geschlechtssystem,
Die Regulation des Wachstums erfolgt durch das • Hormonsystem,
Erbgut, das Hormon- und das Nervensystem • Sinnessystem,
sowie durch Umweltfaktoren wie Ernährung u.a. • Nervensystem.
Merke
Frontalebenen
Es gibt unendlich viele Sagittal-,
Medianebene
Frontal- und Horizontalebenen,
Sagittalebenen aber nur eine Medianebene
(Körpermittelebene).
Die Medianebene ist ebenfalls
eine Sagittalebene.
lateral
medial ventral
dorsal
cranial Richtungsbezeichnungen
Horizontal- caudal Die Richtungsbezeichnungen die-
oder nen ebenfalls der besseren Orien-
Transversal- tierung am Körper. Die wichtigsten
ebene sind in der Tabelle „Lage- und
Richtungsbezeichnungen auf einen
Blick“ verdeutlicht.
Der Mensch ist ein Teil der belebten Natur. In der kleinsten lebensfähigen Struktureinheit,
Zwischen allen Lebewesen und der Umwelt be- der Zelle, vollziehen sich durch Wechselwirkung
stehen lebensnotwendige Wechselwirkungen. mit ihrer unmittelbaren Umgebung die für das
Besonders wichtig sind: Leben notwendigen Funktionsabläufe.
1. die ständige Aufnahme und Abgabe von Stof- Im Folgenden beschäftigen wir uns mit allge-
fen und Energie, sowie meinen Grundlagen der Lebensvorgänge.
2. die ständige Aufnahme und Abgabe von Infor-
mationen.
Für jedes Lebewesen sind die aus der Umwelt 2.1 Bau- und Funktionsstoffe des
aufgenommenen Stoffe körperfremd. In den
Zellen werden sie in der Regel in körpereigene menschlichen Körpers und
Stoffe umgewandelt (= Assimilation) oder un- ihre biologische Bedeutung
verändert ausgeschieden.
Alle Zellen bestehen aus organischen Stoffen
Autotrophe Assimilation (Eiweiße, Fette, Kohlenhydrate) und anorgani-
Die grünen Pflanzen sind als autotrophe Lebe- schen Stoffen (Salze, Wasser). Die physikochemi-
wesen in der Lage, im Prozess der Photosynthese mischen Eigenschaften dieser Substanzen bestim-
die anorganischen energiearmen Stoffe CO2 und men ihre biologischen Funktionen in der Zelle.
H2O mithilfe ihres Chlorophylls und unter Nut-
zung der Lichtenergie in den energiereichen orga-
nischen Stoff Glucose (Traubenzucker) umzu- 2.1.1 Wasser
wandeln (= autotrophe Assimilation).
Die Glucose wiederum dient der Pflanze zusam- Der erwachsene Mensch besteht zu 60 % aus
men mit einigen anorganischen Stoffen, z. B. Wasser. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Das
Stickstoff (N), Schwefel (S) und Phospor (P), als Wasser ist ein polarisiertes Molekül, das als
Ausgangsstoff für die Synthese der verschiedens- Dipol auf einer Seite positiv, auf der anderen
ten Pflanzeninhaltsstoffe (z. B. Eiweiße, Fette, Molekülseite negativ geladen ist. Diese Polari-
Vitamine, Farbstoffe, Duftstoffe). sierung ermöglicht es, dass sich Wasser an ande-
re elektrisch geladene Teilchen (Ionen) anlagern
Heterotrophe Assimilation kann.
Alle Lebewesen ohne Chlorophyll, also auch der Der Vorgang der Wasseranlagerung wird als
Mensch, nehmen organische energiereiche Stoffe Hydratation bezeichnet (✑ Abb. 2.1, Seite 18).
auf, die letztendlich immer von chlorophyllhalti- Die Hydratation spielt für Wasser- und Elektro-
gen Zellen stammen, und wandeln diese in kör- lytverschiebungen eine wichtige Rolle. Ins-
pereigene Stoffe um (Stoffwechsel). besondere gilt dies für Flüssigkeits- und Stoff-
bewegungen zwischen intrazellulärer Flüssigkeit
Merke (IZF = Flüssigkeit in den Zellen) und extrazel-
lulärer Flüssigkeit (EZF = Flüssigkeit außerhalb
Die Photosynthese ist der wichtigste Assimila- der Zellen in den Zellzwischenräumen). Dieser
tionsprozess auf der Erde, weil durch sie so- Dipolcharakter des Wassers ermöglicht es außer-
wohl die stoffliche als auch die energetische dem, dass Stoffe gelöst und mit der Flüssigkeit
Grundlage für alle heterotrophen Organismen im Organismus transportiert werden können.
geschaffen werden. Außerdem produziert sie den Wasser kommt in Molekülverbänden vor. Auf-
gesamten molekularen Sauerstoff auf der grund seiner inneren Struktur kann es viel
Erde. Wärme aufnehmen und transportieren. Diese
Eigenschaft ist eine wichtige Voraussetzung für
die Regulation der Körpertemperatur.
18 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe
Zink: Bestandteil des Insulins und von Enzy- Stoffwechselvorgängen beteiligt. Außerdem sind
men. sie Bausteine für viele biologisch wichtige
Mangan: Bindegewebs- und Skelettentwicklung, Verbindungen (✑ Tab. 2.2).
Bestandteil von Enzymen. Der eigentliche Energieträger ist die Glucose
Kobalt: Zentralatom des Vitamin B12, Bildung (Traubenzucker). Im Blut gelöst wird Glucose
von Blutzellen. als Blutzucker zu allen Zellen transportiert.
Iod: Bestandteil der Schilddrüsenhormone Durch regulierende Hormone (einerseits Insulin,
Trijodthyronin und Thyroxin. andererseits Glucagon u. a. ) wird der Glucose-
Fluor: Knochen- und Zahnaufbau. spiegel im Blut beim Gesunden zwischen 3,4
und 5,5 mmol/l einreguliert (= 0,6 bis 1 g pro
Merke Liter bzw. als Messwert oft angegeben 60 bis
In allen Körperflüssigkeiten liegen charakte- 100 mg pro 100 ml Serum).
ristische Elektrolytkonzentrationen vor. Die
dominierenden Ionen im IZR sind K+ und
❑
P Vor allem Erythrozyten und Nervenzellen
Eiweißionen, im EZR Na+ und Cl-. sind bei der Deckung ihres Eigenbedarfes auf
Die Mineralstoffe dienen dem Körper als Bau- Glucose angewiesen. Ein Glucoseabfall im
sowie Regelstoffe und sind Bestandteile von Blut unter 3,4 mmol/l führt deshalb zu Ausfall-
Enzymen. erscheinungen des zentralen Nervensystems
(ZNS). Besonders gefährlich ist der hypoglykä-
mische Schock.
❑
P Veränderungen der Mineralstoffkonzentra-
tionen führen zu schweren Funktionsstörungen. Glykogen ist die Speicherform der Kohlenhydrate
im tierischen Organismus. Gespeichert wird es in
der Muskulatur (= Muskelglykogen) und in der
Leber (= Leberglykogen). Der Muskelglykogen-
2.1.3 Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße vorrat ist relativ stabil und beträgt ca. 300 g. Die
Leberglykogenmenge wird mit ca. 100 g angege-
Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße sind energie- ben und ist sehr beweglich. Glykogen kann bei
Bedarf rasch in Glucose umgewandelt werden.
reiche organische Stoffe. Sie werden als Bau-,
Umgekehrt lässt sich Glucose sehr schnell in
Betriebs- und Funktionsstoffe benötigt. Für diese
Glykogen umwandeln.
Stoffe besteht ein Mindestbedarf.
Merke
Kohlenhydrate
Die Kohlenhydrate, die aus den Elementen Kohlenhydrate sind der Energielieferant
Kohlenstoff (C), Sauerstoff (O) und Wasserstoff Nummer eins. Die Möglichkeit der raschen
(H) bestehen, sind die einzigen von den Zellen Umwandlung von Glucose in Glykogen und
ständig benötigten und genutzten Energieliefe- umgekehrt garantiert einen konstanten Blut-
ranten. Sie sind an allen energieabhängigen zuckerspiegel.
Fette (Lipide)
Fette (bestehend aus den Atomen C, O, H) stel- G Fettsäure-Rest
len eine heterogene Stoffgruppe dar. Alle Fett- l R lipophiler
stoffe sind wasserunlöslich. Für unsere Betrach- y Anteil
c e Fettsäure-Rest
tung kommen infrage: e
– Triglyceride als einfache Lipide, r s
– Phosphatide als zusammengesetzte Lipide, die o t Phoshorsäure-Rest hydrophiler
l (organischer,
zusätzlich Phospor (P) und andere Atome ent- basischer Bestandteil) Anteil
halten,
– Cholesterol (= Cholesterin) als wichtigstes
Sterin des höheren tierischen Organismus und Phosphatide gleichen im Aufbau den Triglyce-
– Steroidhormone. riden, haben aber statt einem der drei Fettsäure-
reste einen Phophorsäurerest gebunden, der sich
Triglyceride sind Verbindungen (Ester) von an Wasser binden kann (hydrophiler Anteil). So
Glycerol mit drei gleichen oder verschiedenen können Stoffe, die sich nicht in Wasser lösen,
Fettsäuren (daher Triester). Dabei kann es sich durch Bindung an Phosphatide wasserlöslich,
um gesättigte Fettsäuren (FS) handeln, die vor und dadurch mit der Blutflüssigkeit transportiert
allem in tierischen Fetten vorkommen, oder um werden. Außerdem werden Phosphatide beim
ungesättigte Fettsäuren mit einer oder mehreren Aufbau von Zellwänden und anderen Bio-
Doppelbindungen, die überwiegend Bestandteil membranen benötigt.
pflanzlicher Fette sind. Ungesättigte Fettsäuren
Cholesterol (oft noch als Cholesterin bezeich-
sind ernährungsphysiologisch günstiger.
net) befindet sich, wie die Phosphatide, in allen
Fettbildung Zellen und wird ebenfalls für den Aufbau der
G + FS G Biomembranen benötigt. Außerdem ist es
Fettsäure-Rest + H2O
l l R Ausgangsstoff für die Steroidhormone und
y y Gallensäuren. Cholesterol kommt in freier
c c e (unveresterter Form) in den Zellen und in gebun-
e + FS e s
Fettsäure-Rest + H2O
dener (veresterter Form) im Blutplasma vor.
r r
o o t Steroidhormone
l + FS l Fettsäure-Rest + H2O
❑
P Ein erhöhter Cholesterolspiegel im Blut
Einige Fettsäuren kann der Körper selbst synthe- (Hypercholesterinämie) zählt neben Überge-
tisieren, andere müssen zugeführt werden. Die wicht zu den ernährungsbedingten Risiko-
wichtigste Fettsäure für den Menschen ist die faktoren für Arteriosklerose mit den möglichen
Linolsäure. Sie ist Ausgangsstoff für die Syn- Folgen eines Herzinfarktes oder Schlagan-
these weiterer Fettsäuren, die bei Mangel von falles.
Linolsäure ebenfalls essentiell werden. Mehrfach
ungesättigte Fettsäuren werden besonders für den
Aufbau von Biomembranen benötigt. (✑ Hormonsystem, Kap. 15.3.3, S. 304).
❑
P Ungesättigte Fettsäuren sind besonders in Merke
pflanzlichen Fetten enthalten. Deshalb sind diese Fette leisten vielfältige und nützliche Auf-
für die Ernährung wertvoller als tierische Fette. gaben, wie z. B.:
• Energiespeicherung
Triglyceride dienen im Organismus als
• Schutz vor Auskühlung Triglyceride
– langfristige Energiespeicher und Reservedepot
• mechanischen Schutz
(Glykogen dagegen ist ein Kurzzeitspeicher);
– Körperfett dem Schutz vor mechanischen Be- und dienen als
lastungen;
– Fettschicht unter der Haut der Isolation und • Bausteine der Biomembranen Phosphatide,
Cholesterol
der Temperaturregelung des Körpers.
2.1 Bau- und Funktionsstoffe 21
Zwitterion
Das H+ der Carboxylgruppe wandert zur Aminogruppe
R - CH - COO-
Protonenübergang
NH3+
Kation Anion
R - CH - COOH R - CH - COO-
NH3+ NH2
Bei H+-Überschuss in saurer Lösung nimmt die Bei OH--Überschuss in basischer Lösung verbindet
Carboxylgruppe ein H+ auf. Es entsteht ein Kation. sich das H+ der Aminogruppe mit dem OH- zu H2O.
Es entsteht ein Anion.
22 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe
Eiweiße
– Glykoproteine (Schleimstoffe)
Globuläre Gerüst- (Protein + Kohlenhydrat)
Eiweiße eiweiße – Lipoproteine
(Protein + Fett)
– Albumine – Kollagene – Nucleoproteine
– Globuline – Keratine (Protein + Nucleinsäure)
– Phosphoproteine
(Protein + Phosphorsäure)
Zellorganelle Zellen
(z. B. Mitochondrium) (z. B. glatte Muskelzellen,
Bindegewebszellen)
Ganzheit
Der Mensch
Gewebe
(z. B. Endothelgewebe
der Lungenbläschen)
Organ
(z. B. Lunge)
Organsystem
(z. B. Atmungssystem)
Organsysteme sind Funktionseinheiten, die aus Die Zelle ist die kleinste selbständige Bau- und
mehreren Organen bestehen und geordnet zu- Funktionseinheit mit den Kennzeichen des
sammenarbeiten. Das Verdauungssystem z. B. Lebens. Diese sind:
besteht aus den Organen Mund, Rachen, Speise- – Vermehrungsfähigkeit (Fortpflanzung),
röhre, Magen und Darm. – Formwechsel (Wachstum und Entwicklung),
– Informationsaustausch (Aufnahme, Weiter-
Merke leitung, Verarbeitung, Speicherung und Ab-
Der menschliche Organismus besteht aus Zel- gabe von Informationen),
len, Geweben, Organen und Organsystemen. – Stoff- und Energiewechsel.
Beachte: Die Zellteilung wird im Abschnitt 2.5.3
Seite 48 beschrieben.
Zellen sind im Prinzip identisch gebaut. Sie vari-
2.2.1 Bau und Funktion der Zelle
ieren allerdings aufgrund unterschiedlicher
Funktionen vor allem in ihrer Gestalt und ihren
Die Zellenlehre (Zytologie) beschreibt den grund-
funktionellen Bestandteilen.
sätzlichen Aufbau und die Leistungen der Zellen.
24 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe
Schweißdrüse
Blutgefäß
intravasaler Raum
extrazellulärer
Raum (EZR) interstitieller Raum
Zellmembran Kapillarmembran –
hohe Durchlässigkeit für hohe Durchlässigkeit
Wasser, geringe für Ionen für Wasser und Ionen
Ribosomen – d: 18 – 20 nm
Kleinste kugelförmige Partikel, die aus ca. 40 % RNA und 60 % Proteinen bestehen, liegen entweder ein-
zeln im Plasma oder am granulären endoplasmatischen Retikulum.
Aufgabe: Eiweißsynthese.
Zytoskelett
Die das Zytoskelett bildenden Strukturen sind für den Erhalt der Zellform und für die Stabilität der Zellen
zuständig. Man unterscheidet:
• Mikrofilamente, die aus den fadenförmigen Eiweißen Aktin und Myosin bestehen und sich meist in
Bündeln zusammenlagern, welche dann als Fibrillen bezeichnet werden (z. B. Myofibrillen in Muskel-
zellen, Neurofibrillen in Nervenzellen, Tonofibrillen in Epithelzellen).
• Mikrotubuli sind 25 nm dicke, röhrenförmige, vorwiegend aus dem Protein Tubulin bestehende
Strukturen. Sie befinden sich z. B. in Zilien, Geißeln und Mikrovilli und bilden den Spindelapparat
während der Zellteilung.
Aufgaben: Stabilisierung von Form und Festigkeit der Zellen, Transport von Zellbestandteilen (z. B.
Chromosomen bzw. Chromatiden, Vesikel) und Widerlager bei Bewegungsabläufen.
Ribosomen Golgi-Apparat
❑
P Größere Abweichungen des inneren Milieus dische Logarithmus gewählt, sodass ein fallender
können, insbesondere bei Säuglingen und älte- pH-Wert eine höhere Wasserstoffionenkonzen-
ren Menschen, lebensbedrohlich sein. tration bedeutet.
Gründe, die zu solchen Veränderungen führen,
sind z. B.: [H+] in mol/l pH-Wert
– Wasser- und Elektrolytverluste bei extremem
Schwitzen, Durchfällen oder Erbrechen,
1,0 = 100 0
– zu geringe Flüssigkeitszufuhr über längere
0,1 = 10-1 1
Zeit,
0,01 = 10-2 2
– Störungen des Elektrolythaushaltes bei Nieren-
= 10-3
sauer
0,001 3
erkrankungen,
0,0001 = 10-4 4
– Eiweißmangel bei Hunger oder Leberschäden,
0,00001 = 10-5 5
– Einnahme bestimmter Medikamente.
0,000001 = 10-6 6
Wichtig: Bei Verlust größerer Flüssigkeitsmen-
0,0000001 = 10-7 7 neutral
gen für ausreichende Flüssigkeits- und Elektro-
0,00000001 = 10-8 8
alkalisch (basisch)
lytzufuhr sorgen!
0,000000001 = 10-9 9
0,0000000001 = 10-10 10
0,00000000001 = 10-11 11
2.2.4 Säure-Basen-Haushalt 0,000000000001 = 10-12 12
0,0000000000001 = 10-13 13
Für eine normale Stoffwechselfunktion müssen 0,00000000000001 = 10-14 14
die Säure- und Basenkonzentrationen in den
Körperflüssigkeiten immer konstant gehalten
werden. Lösung pH-Wert
Entscheidend für das Säure-Basen-Gleichge- sauer < 7,0
wicht ist die Einstellung einer festen Wasser- neutral = 7,0
stoffionenkonzentration (Isohydrie) mit einem alkalisch bzw. basisch > 7,0
pH-Wert von 7,37 bis 7,43 in der extrazellulären
und 7,28 bis 7,29 in der intrazellulären Flüssig- Magensaft 1,5
keit. Die Isohydrie ist notwendig, weil die En- Urin 4,7 bis 8,0
zyme bestimmte, oft sehr eng begrenzte pH-Werte destilliertes Wasser 7,0
für ihre Wirksamkeit benötigen. Blut 7,37 bis 7,43
Schon eine geringfügige Änderung der Wasser- Bauchspeichel 8,0 bis 9,0
stoffionenkonzentration ist lebensbedrohlich. Darmsaft 8,0
Ammoniak 12,0
Die Isohydrie ist permanent Störungen ausge-
setzt, weil im Stoffwechselgeschehen ständig
u. a. H+, aber auch OH- anfallen. Hauptsäure- Merke
quelle ist der Energiestoffwechsel. Hier entsteht
Der pH-Wert der intra- und extrazellulären
die flüchtige Kohlensäure. Darüber hinaus fallen
Körperflüssigkeiten liegt im schwach alkali-
nichtflüchtige Säuren an, z. B. Milch- und
schen (basischen) Bereich.
Phosphorsäure.
H2CO3 H2CO3
HCO3-
CO2
Niere pH Wert Lunge
Puffersysteme
HCO3- oder H+
Kohlensäure-Bikarbonat-
Proteinpuffersystem Puffersystem Phosphat-Puffersystem
(Hämoglobin) (Bicarbonat) (Phosphat)
HHb H+ + Hb- H2CO3 H+ + HCO3- H2PO4- H+ + HPO42-
hyperton
isoton
hypoton
Beobachtung:
Das Flüssigkeitsvolumen im inneren Gefäß
Filtermembran
vergrößert sich allmählich.
Erklärung:
Die semipermeable Membran lässt nur die Was- Niere
serteilchen hindurch, die entsprechend ihrem
Konzentrationsgefälle von außen nach innen dif-
fundieren.
Merke
Wird die Bewegung bestimmter größerer Druck
Teilchen (hier Na+ und Cl-) durch eine halb- hoch niedrig
Vorkommen: Filtration
Da fast alle Zellen semipermeable Membranen Besteht zwischen beiden Seiten einer Biomem-
als Grenzschichten (Zellmembran, intrazelluläre bran ein Druckunterschied, werden alle Teilchen
Membransysteme) besitzen, spielt die Osmose einer Flüssigkeit, die durch die Poren passen,
bei der Wasseraufnahme der Zelle und beim vom Ort des höheren zum Ort des niederen
Wassertransport innerhalb der Zelle eine bedeu- Druckes gepresst.
tende Rolle.
Vorkommen:
Merke – Stoffaustausch im Gewebe,
– Filtration des Blutplasmas in der Niere.
Voraussetzung für den Ablauf der Körper-
funktionen ist, dass die Körperflüssigkeiten
annähernd isoton (isoton = gleicher osmoti-
2.3.2 Aktiver Transport
scher Druck) sind.
Diese Transportform ist notwendig, um Stoffe
gegen Konzentrationsgefälle und hydrophile
Stoffe, die ansonsten die Biomembran nicht pas-
1) Konzentration bezieht sich auf die Menge der im Lösungsmittel
sieren können, zu transportieren. Hier sollen
Wasser gelösten osmotisch aktiven Teilchen. einige Formen näher beschrieben werden:
34 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe
1. Bläschentransport
verschiedene feste Partikel EZR 1) a) Phagozytose (griech.: Fresstätigkeit
einer Zelle)
Zellmembran
Amoeboid3) bewegliche Zellen, z. B.
bestimmte weiße Blutzellen, umfließen
feste Partikel (z. B. Bakterien). An der
IZR 2)
Berührungsstelle der Zellmembran ent-
steht eine Vertiefung, die als Bläschen
Bläschen abgeschnürt wird.
b) Pinozytose (griech.: Trinken einer
Abb. 2.10 Phagozytose. Zelle)
Die Pinozytose läuft prinzipiell ähnlich
der Phagozytose ab. Es wird Flüssigkeit
mit darin gelösten Stoffen aufgenom-
Flüssigkeitströpfchen EZR 1) men. Zur Pinozytose sind im Gegensatz
zur Phagozytose fast alle Zellen fähig.
Zellmembran c) Exozytose (griech.: Ausscheidung
von Stoffen durch eine Zelle)
Verschiedene in der Zelle anfallende
IZR 2) Stoffe, z. B. Sekrete, können ebenfalls
in Bläschen, die meist vom Golgi-
Bläschen Apparat abgeschnürt werden, einge-
schlossen werden. Diese Bläschen ver-
Abb. 2.11 Pinozytose. schmelzen vom Plasma her mit der
Zellmembran und entleeren ihren
Inhalt nach außen.
EZR 1) verschiedene, in der Zelle anfallende Stoffe
2. Trägerstoffe
Die zu transportierenden Teilchen, vor
Zellmembran allem Nähr- und Mineralstoffe, werden
an spezifische Trägermoleküle –
Transporteiweiße (Carrier) – gebunden
IZR 2) (= Trägertransport) und transportiert.
Bläschen Vorkommen:
– Aufnahme der Glucose, Amino-
Abb. 2.12 Exozytose. säuren, Vitamine und Mineralstoffe
in die Darmzellen, von dort in das
Blut und danach in die Körperzellen.
Blutkapillare 3. Konvektion
Unter Konvektion wird Stofftransport
Interstitium
durch Mitführung verstanden.
Die treibenden Kräfte sind Temperatur-
oder Druckdifferenzen.
Beispiele:
– Sauerstoff- und Kohlendioxidtrans-
port bei der Belüftung der Lunge;
Trägermolekül – Stofftransport durch das Blutplasma
Zellmembran Substrat
(Carrier) und durch den Harn.
Abb. 2.13 Trägertransport. 1) Extrazellulärer Raum
2) Intrazellulärer Raum
3) Kriechbewegungen von Zellen ohne feste Zellwand
2.4 Physiologie des Stoff- und Energiewechsels 35
Herz-Kreislauf-System
Atmungssystem Verdauungssystem
O2
Nahrung
CO2
O2
CO2
Nährstoffe
Ausscheidung
Ausscheidung
Harnsystem Haut
Zelle
Blutkapillaren
interstitielle Flüssigkeit
Die Stoffe werden einerseits zum Aufbau und zur Energiereiche Phosphatverbindungen fungieren
Erhaltung der Körperstrukturen und andererseits als Überträger Energie verbrauchender und
als Energielieferant zur Aufrechterhaltung der Energie liefernder Prozesse.
Lebensvorgänge benötigt. Jeder Stoffwechsel Die größte Bedeutung hat das Adenosintriphos-
stellt also gleichzeitig einen Energiewechsel dar. phat (ATP). Es besteht aus der organischen Base
Dieser gliedert sich in zwei sich gegenseitig Adenin, dem Zucker Ribose (Adenin + Ribose
bedingende Bereiche: = Adenosin) und drei Phosphatgruppen P (✑
– anabole (aufbauende) Stoffwechselwege Tab. 2.7).
(= Baustoffwechsel) – Synthese körpereigener
Wird Energie freigesetzt, läuft in der Zelle fol-
Tab. 2.7 Energiereiche Phosphatverbindungen. gender Vorgang ab:
ADP +
P + Energie ATP
Adenin – Ribose –
P –
P ~
P
Wird Energie benötigt, kehrt sich der Vorgang um:
Adenosin energie-
reiche ATP ADP +
P + Energie
Bindung
AMP = Adenosinmonophosphat
Merke
+ +
Enzym Substrat Enzym-Substrat- Enzym Reaktions-
Komplex produkte
38 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe
Energie
Aktivierungsenergie
ohne Enzym
mit Enzym
für die Enzym-
Substratverbindung
2 H2O2
metastabiler Ausgangsstoff
2 H2O + O2
energiearme stabile Endstoffe
Wirkungsweise der Carboanhydrase bei der Bildung von Kohlensäure bzw. Wasser,
Wasserstoff- und Bicarbonat-Ionen
H+ HCO3-
H2O CO2
Carbo-
anhydrase
OH-
CA
H2O + CO2 H2CO3 H+ + HCO3- oder
CA
H2O H+ + OH-; OH- + CO2 HCO3-
Lipase
G
l
Fettsäure-Rest + Wasser G + Fettsäure
R l
y y
c e c
e Fettsäure-Rest + Wasser
e + Fettsäure
r s
r
o t o
l Fettsäure-Rest + Wasser l + Fettsäure
Lipase
Coenzyme Merke
Für viele Enzymkatalysen sind unbedingt
Coenzyme (= Cosubstrate) notwendig. Dies sind Jedes Enzym wirkt nur in einem bestimmten
niedermolekulare Stoffe (also keine Eiweiße), pH-Bereich.
die im Gegensatz zum Enzym bei der Reaktion Enzyme haben meist eine geringe Temperatur-
verändert und wieder regeneriert werden müs- und pH-Wert-Toleranz. Manche Enzyme müs-
sen. Es handelt sich also nicht um Enzyme. Als sen durch bestimmte Ionen (z. B. Ca2+, Mg 2+,
Bausteine oder Vorstufen für Coenzyme dienen K+) aktiviert werden bzw. benötigen die
verschiedene Vitamine. ATP ist das „Coenzym Anwesenheit eines Coenzyms.
des Energiestoffwechsels“.
Bestimmte Chemikalien (z. B. Kupfer- u. Silber-
Beeinflussende Faktoren der Enzymtätigkeit ionen, Säuren) hemmen bzw. blockieren die
Aus der Eiweißstruktur der Enzyme ergibt sich, Enzymtätigkeit.
dass ihre Aktivität insbesondere von der Tempe-
ratur und vom pH-Wert abhängt. Dies verdeut-
lichen zwei Experimente (vgl. Tabelle 2.9).
1. Experiment: Reagenzglas 1 2 3
Drei Reagenzgläser wer- Stärkelösung 2 ml 2 ml 2 ml
den nach folgendem
Amylaselösung 4 ml 4 ml 4 ml
Schema gefüllt:
Iod-Kaliumjodid-Lösung 1 Tropfen 1 Tropfen 1 Tropfen
Ergebnis:
Das Temperaturoptimum für die meisten Enzyme liegt zwischen 30 ° und 40 °C, also bei Körper-
temperatur. Temperaturerhöhung über 60 °C zerstört die Enzyme.
2. Experiment: Reagenzglas 1 2 3
Drei Reagenzgläser
werden wie folgt ge- Wasser 0,5 ml 0,5 ml 0,5 ml
füllt: Pufferlösung (pH = 4,8) 1 ml
Pufferlösung (pH = 7,0) 1 ml
Pufferlösung (pH = 8,0) 1 ml
Stärkelösung 0,5 ml 0,5 ml 0,5 ml
Jetzt wird in jedes Reagenzglas 1 ml Amylaselösung (spaltet Stärkemoleküle) gegeben und kurz
geschüttelt. Danach werden aus jedem Glas einige Tropfen in je eine Vertiefung einer Tüpfelplatte
gegeben und mit 1 Tropfen Iod-Kaliumjodid-Lösung (verfärbt sich bei Vorhandensein von Stärke
kräftig blau) auf Stärke geprüft.
Ergebnis: Unterschiedliche Färbungen lassen erkennen, dass sich im Ansatz 2 (pH 7) kaum noch
Stärke befindet, d. h., bei einem pH-Wert 7 ist der Substratumsatz optimal.
40 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe
Merke
Decarboxylierung. Tab. 2.14
Auch aus Kohlenhydraten können Fettdepots
gebildet werden. Decarboxylase
❑
P Fettsucht (Adipositas) und das damit ver- Aminosäure CO2 + biogenes Amin
bundene Übergewicht sind eine der häufigsten
Ursachen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen 2. Decarboxylierung
und Erkrankungen des Bewegungsapparates. Spezifische Enzyme (Decarboxylasen) spalten
von Aminosäuren CO2 ab.
Tab. 2.13 Synthese von Fettsäuren und Fetten. Dadurch entstehen die
biogenen Amine, welche
CO2 im Organismus vielfältige
Aufgaben erfüllen, z. B.
Glucose Pyruvat C2-Körper Fettsäuresynthese durch
als Bausteine von Coen-
zymen oder Vorstufen von
Verketten der C2-Körper
Hormonen (✑ Tab. 2.14).
3. Oxidative Desaminie-
im Mitochondrium im Zellplasma rung
Mit Glycerol können Fettsäuren Triglyceride oder Durch Aminosäure-Oxida-
Phosphatide bilden sen wird in der Leber von
Aminosäuren die NH2-
Triglycerid Phosphatid Gruppe abgespalten. Dabei
entsteht Ammoniak, der
FS FS
unter Energieverbrauch in
Glycerol FS Glycerol FS Harnstoff umgewandelt
FS Phosphat + Alkohol wird.
42 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe
Der Harnstoff besitzt folgende Eigenschaften, die Bei der Energiefreisetzung sind folgende bioche-
seine Ausscheidung mit dem Urin problemlos er- mische Vorgänge zu erkennen (✑ Tab. 2.15):
möglichen. Er ist ungeladen, nicht toxisch und – Pyruvat und C2-Körper sind zentrale Stoffe im
kann gut durch die Biomembranen diffundieren. Energiestoffwechsel, wobei, wie bereits gesagt,
99 % aus der Glykolyse stammen.
Merke – Alle C2-Körper werden in den Zitratzyklus
eingeschleust und weiter abgebaut, wobei
Die wenigen nicht als Baustoff oder Funk-
Wasserstoff (wird an Coenzyme gebunden)
tionsstoff benötigten Aminosäuren werden vor
und CO2 (wird abgegeben) entstehen.
allem in der Leber zur Energiefreisetzung
abgebaut.
Die Endprodukte des Aminosäureabbaus sind:
❑
P Die zentrale Stellung des Zitratzyklus im
Intermediärstoffwechsel kommt darüber hinaus
• Wasser • Kohlendioxid • Ammoniak. beim Fettsäure-, Aminosäure-, Glucosestoff-
wechsel und bei der Synthese körpereigener
❑
P Fast jede Erkrankung verursacht mehr oder Stoffe (z. B. Häm) zum Ausdruck.
weniger deutliche Veränderungen des Eiweiß-
stoffwechsels. Bei Schwerkranken und Schock- Biologische Oxidation des Wasserstoffs
patienten ist immer darauf zu achten, dass aus- Unter biologischen Bedingungen werden Was-
reichend Harnstoff ausgeschieden wird. serstoff und Sauerstoff stufenweise in ihrer
Reduktions-Oxidationsenergie angenähert, so-
Stoffwechselwege zur Energiefreisetzung dass es nicht zur Knallgasreaktion kommt. Die
(Überblick) bei der biologischen Oxidation hintereinander
Der Mensch benötigt zur Aufrechterhaltung sei- geschalteten Redoxreaktionen bezeichnet man
ner Lebensvorgänge (wie z. B. Informationsaus- als Atmungskette. Zuerst wird der Wasserstoff
tausch, Stoffsynthesen, Bewegung, gleichmäßige (enthält die Energie) ionisiert. Die dabei entste-
Körpertemperatur) ständig Energie, die durch henden energiereichen Elektronen werden so-
Abbau energiereicher Stoffe in den Zellen be- gleich über die Atmungskette, die aus Oxido-
reitgestellt werden muss. reduktasen besteht, „bergab“ transportiert. Das
Als energiereiche Stoffe kommen infrage heißt, es kommt zu einer schrittweisen Energie-
– Kohlenhydrate: 99 %. abgabe. Die freigesetzte Elektronenenergie wird
– Fette: Geringe Beteiligung, aber die sofort durch ATP-Bildung in chemische Bin-
langkettigen Fettsäuren lie- dungsenergie umgewandelt (✑ S. 36). Zum
fern bei hohem O2-Verbrauch Schluss werden die energiearmen Elektronen auf
viel Energie. molekularen Sauerstoff übertragen. Der so ioni-
– Eiweiße: Spielen normalerweise keine sierte Sauerstoff verbindet sich mit den entstan-
Rolle. denen Wasserstoffionen (H+) zu Wasser.
1. Zerlegung der Makromoleküle in ihre Grundbausteine (✑ Kap. 12.8, S. 252): Die beschrie-
Amylasen benen Abbau-
• Kohlenhydrate Lipasen
Monosaccharide, wege zur Ener-
• Fette Glycerol + Fettsäuren, giefreisetzung
Proteasen und Peptidasen
• Eiweiße Aminosäuren. sind in allen
2. Zerlegung der Grundbausteine in C2-Körper. Zellen gleich.
3. Oxidation der C2-Körper zu CO2 + H2O, wobei die Hauptmenge der Energie
schrittweise freigesetzt wird.
2.5 Genetik 43
Pyruvat
C2-Körper
Zitrat-
zyklus
CO2
Energie
H2
Oxydo- 38 ADP + 38
P 38 ATP
reduk- oxidative Phosphorylierung
tasen
2e-
O2-
1
2H+ + 2 O2
H2O
Bei der Fortpflanzung einer Organismenart ent- Die nur während der Zellteilungsphase sicht-
stehen immer wieder Nachkommen, die in ihren baren Chromosomen gehen aus dem Chromatin
wesentlichen Merkmalen den Eltern gleichen. hervor und nach Abschluss der Zellteilung wie-
Diese relative Konstanz der Arten wird durch die der in dieses über.
Konstanz spezifischer Eiweiße gewährleistet. Die
„Anweisungen“ für die Bildung der Eiweiße sind Merke
in der DNA gespeichert, welche sich in den
Die Chromosomen stellen die „Transportform“
Chromosomen befindet. Bei der geschlechtlichen
der Erbinformation während der Zellteilung
Fortpflanzung werden sie von den Eltern auf die
dar. Das Chromatin ist die „Funktionsform“,
Nachkommen übertragen und bei der Zellteilung
die im Stoffwechsel der Zelle wirksam wird
an die Tochterzellen weitergegeben. Man sagt,
und sich verdoppelt. Struktur und Anzahl der
sie werden vererbt, und bezeichnet sie als Erb-
Chromosomen sind artspezifisch.
information oder genetische Information.
Alle Merkmale eines Lebewesens sind von sei-
ner Erbinformation abhängig. In der DNA sind ❑
P Veränderungen der Chromosomenstruktur
die Informationen für die einzelnen Eiweiße hin- und Chromosomenzahl haben meist Krank-
tereinander angeordnet. heiten (Erbkrankheiten) zur Folge.
44 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe
G
Bei je0der Zellteilung wird gewährleistet, dass
C die Tochterzellen die vollständige Erbinforma-
A tion der Mutterzelle erhalten (✑ S. 48). Die
Matrix T Nukleinsäuren sind hierfür die stoffliche Grund-
C lage. Sie besitzen die für diese Funktion notwen-
G
digen drei Eigenschaften:
T – relativ stabil zu sein,
A
– zahlreiche Informationen speichern zu können,
– sich identisch zu verdoppeln.
Abb. 2.17 Bau des Chromosoms.
Aufbau der Nukleinsäuren
Für das Vererbungsgeschehen kommen zwei
unterschiedliche Nukleinsäuren in Frage:
Menschliche Keimzellen (sowohl Eizellen als – Desoxyribonukleinsäure (DNS) oder (englisch)
auch Samenzellen) enthalten 23 Chromosomen; Desoxyribonucleinacid (DNA),
die bei der Befruchtung entstehende befruchtete – Ribonukleinsäure (RNS) oder (englisch)
Eizelle (Zygote) und alle aus ihr hervorgehenden Ribonucleinacid (RNA).
Körperzellen besitzen 46 Chromosomen (✑
S. 49). Jede dieser Nukleinsäuren besteht aus vielen
miteinander verbundenen Nukleotiden als Bau-
stein. Deshalb werden sie auch als Polynukleotid
1) Bildliche Darstellung der Chromosomen eines Organismus
bezeichnet.
2.5 Genetik 45
P Adenin
Stickstoffbase
Desoxyribose
P Thymin
Phosphorsäure
P Guanin
Wasserstoff-
brückenbindung
P Cytosin
Desoxyribose
Ribose
Kernmembran
Information
Kernpore
RNA
DNA
Proteinsynthese
Ribosom
Uracil
m-RNA und t-RNA und Verknüpfung der • Das Chromatin formt sich zu den Chromo-
Aminosäuren, somen um (✑ Abb. 2.17, S. 44), und die
– Lösen des neu gebildeten Eiweißes (Gen- Chromatiden werden sichtbar (Längsspalt).
produktes) von der t-RNA. • Das Zentriol teilt sich.
❑
P Sowohl durch äußere Einflüsse (z. B. radio-
Zentriol
aktive Strahlen, Röntgenstrahlen, Zellgifte,
Viren) als auch durch innere Einflüsse (z. B.
Erbeinflüsse) kann die DNA verändert werden.
Auf diese Weise können Zellen entarten und
beispielsweise Krebszellen entstehen, die
außerhalb der Regulations- und Steuervor-
gänge des Organismus liegen.
Hieraus lässt sich das weitgehend ungehemm-
te Wachstum von bösartigen Tumoren er-
klären.
Chromatin Chromosomen
1. Reifeteilung (Reduktionsteilung)
2. Reifeteilung (Mitose)
haploide Tochterzellen haploide Geschlechtszellen
Samenzelle
(Spermium)
– haploid –
Jedes Gen hat eine spezifische Erbinforma- – zwei ungleiche Buchstaben für mischerbig,
tion gespeichert. Die Gesamtheit der Gene zum Beispiel aB, AB, bA.
eines Lebewesens werden als seine Erban-
lagen bezeichnet. An der Ausbildung eines Bei der Durchführung von Kreuzungen werden
Merkmals (z. B. Augenfarbe) sind in der für die Kreuzungspartner die folgenden Bezeich-
Regel Genpaare beteiligt, d. h. je ein Gen vom nungen benutzt:
Vater und von der Mutter. P = Elterngeneration (Parentalgeneration),
Genotyp: Gesamtheit der in den Genen verschlüs- V = Vater,
selten Erbinformation. M = Mutter,
Phänotyp: Äußeres Erscheinungsbild eines Fl = 1. Tochtergeneration (l. Filialgeneration),
Individiums, welches sich aus allen Merk- F2 = 2. Tochtergeneration (2. Filialgeneration)
malen zusammensetzt. usw.
Reinerbig (homozygot): Für die Ausbildung
eines Merkmals sind zwei gleiche Gene oder 1. Mendel’sche Erbregel (Uniformitätsregel)
Gengruppen vorhanden. Kreuzt man reinerbige Individuen, die sich in
Mischerbig (heterozygot): Für die Ausbildung einem oder mehreren Merkmalen unterschei-
eines Merkmals (z. B. Augenfarbe) sind zwei den, sind alle Fl-Bastarde gleich (= uniform).
verschiedene Gene oder Gengruppen vorhan-
den. Diese Individuen mit 2 verschiedenen Beispiel: Vererbung der Blutgruppen
Anlagen für ein Erbmerkmal werden als
Hybride oder Bastarde bezeichnet. a) Dominant-rezessiver Erbgang
Solche gleichen oder auch unterschiedlichen AA = Blutgruppe A (Vater)
Zustandsformen von Genen, die in homologen oo = Blutgruppe 0 (Mutter)
Chromosomen den gleichen Platz einnehmen,
werden als allele Gene oder Allele bezeichnet.
Monohybrider Erbgang: Kreuzung, bei der sich V
P: AA x oo A A
die Eltern in einem Allelpaar unterscheiden. M
Dihybrider Erbgang: Kreuzung, bei der sich die o Ao Ao
Eltern in zwei Allelpaaren unterscheiden. (F1)
Dominant: Ein Gen oder eine Gengruppe herrscht Keimzellen: A o o Ao Ao
in der Merkmalsausprägung vor.
Rezessiv: Ein Gen oder eine Gengruppe tritt in
der Merkmalsausprägung zurück. Ergebnis: Alle Nachkommen haben die Blutgruppe
Intermediär oder kodominant: Zwei Gene oder A und sind mischerbig.
Gengruppen sind in der Merkmalsausprägung
gleich stark. b) Intermediärer Erbgang
Autosomaler Erbgang: Ein an die Autosomen AA = Blutgruppe A (Vater)
(normale Chromosomen, nicht Geschlechts- BB = Blutgruppe B (Mutter)
chromosomen) gebundener Erbgang.
Geschlechtsgebundener Erbgang: Ein an die Ge-
schlechtschromosomen (Heterochromosomen) V A A
gebundener Erbgang. P: AA x BB M
B AB AB
Bei der Darstellung von Erbgängen werden zur (F1)
Vereinfachung Buchstaben verwendet: Keimzellen: A B B AB AB
– ein großer Buchstabe für dominant, zum Bei-
spiel B;
– ein kleiner Buchstabe für rezessiv, zum Bei- Ergebnis: Alle Nachkommen haben die Blutgruppe
spiel b; AB und sind mischerbig.
– zwei gleiche Buchstaben für reinerbig, zum
Beispiel BB, bb;
2.5 Genetik 53
a) Dominant-rezessiver Erbgang
Ao = Blutgruppe A (Vater) M V AD Ad oD od
Ao = Blutgruppe A (Mutter)
AD AADD AADd AoDD AoDd
V
A o Ad AADd AAdd AoDd Aodd
P: Ao x Ao M (F2)
A AA Ao oD AoDD AoDd ooDD ooDd
(F1)
Keimzellen: A,o A,o o Ao oo od AoDd Aodd ooDd oodd
Genommutationen sind Änderungen der Chro- Ergebnis: aa (25 %) homozygot, klinisch krank;
mosomenzahl. AA (25 %) homozygot, klinisch gesund;
Beispiele: – Trisomie 21 oder Langdon-Down- Aa (50 %) heterozygote Merkmalsträger; klinisch
Syndrom (Chromosom Nr. 21 ist gesund.
3x vorhanden),
– Klinefelter-Syndrom: 44 + XXY,
– Turner-Syndrom: 44 + X. Beispiel 2:
V
Ursachen:– energiereiche Strahlen, z. B. Rönt- a a
M
genstrahlen,
– Chemikalien, z. B. LSD, Nikotin, P: aa x AA A Aa Aa
Salpetersäure, bestimmte Industrie- (F1)
abgase, A Aa Aa
– Temperatur, z. B. Kälte- und Wärme- Keimzellen: a A
schocks,
Ergebnis: Aa (100 %): heterozygot, klinisch gesun-
– Viren.
de Merkmalsträger.
Merke
Beispiel 3:
Mutationen in den Keimzellen können zu Erb- V
krankheiten führen. A a
M
Mutationen in den Körperzellen hingegen
führen zu veränderten Zellverbänden und P: Aa x aa a Aa aa
damit zu Fehlbildungen des Individuums (z. B. (F1)
Krebs), werden aber nicht direkt vererbt. a Aa aa
Keimzellen: A,a a
Ergebnis: Aa (50 %): heterozygot, klinisch gesunde
Merkmalsträger; aa (50 %): homozygot, klinisch
krank.
2.5 Genetik 55
Beispiel 1: Beispiel 1:
V V
a a X Y
M M
P: aa x Aa A Aa Aa P: XY x XXK X XX XY
(F1) (F1)
a aa aa Keim- XK XXK XKY
Keimzellen: a a zelle: X,Y X,XK
Ergebnis: aa (50 %): homozygot, klinisch gesund; Ergebnis: XX (25 %): homozygot, klinisch gesund;
Aa (50 %): heterozygot, klinisch krank. XXK (25 %): klinisch gesund, heterozygote Kon-
duktorin;
XY (25 %): klinisch gesund;
Beispiel 2: XKY (25 %): klinisch krank.
V A a
M
Beispiel 2:
P: Aa x Aa A AA Aa
(F1) V
XK Y
M
a Aa aa
Keimzellen: A,a A,a P: XKY x XX X XXK XY
(F1)
Ergebnis: AA (25 %): homozygot, klinisch krank; Keim- X XXK XY
Aa (50 %): heterozygot, klinisch krank; zelle: XK,Y X
aa (25 %): homozygot, klinisch gesund.
Ergebnis: XY (50 %): klinisch gesund;
XXK (50 %): klinisch gesund, heterozygote Kon-
Beispiel 3: duktorin.
V
A A
M
P: AA x aa a Aa Aa Beispiel 3:
(F1) V X
a Aa Aa K Y
M
Keimzellen: A a
P: XKY x XXK X XXK XY
Ergebnis: Aa (100 %): heterozygot, klinisch krank. (F1)
Keim- XK XKXK XKY
zelle: XK,Y X,XK
Geschlechtsgebundener Erbgang
Das defekte Gen liegt auf dem X-Chromosom Ergebnis: XXK (25 %): klinisch gesund, heterozy-
und wird bei Vorhandensein eines Normalgens gote Konduktorin;
(heterozygote Frauen) von diesem unterdrückt. XKXK (25 %): klinisch krank;
Das Y-Chromosom des Mannes besitzt dieses XY (25 %): klinisch gesund;
XKY (25 %): klinisch krank.
Gen nicht, sodass es sich bei der Konstellation
X-Chromosom mit defektem Gen plus Y-Chro-
mosom um klinisch kranke Männer handelt.
Heterozygote Frauen werden als Kondukto-
rinnen bezeichnet.
56 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe
❑
P Beim Menschen können auch soziale Fakto-
ren verändernd auf die Ausprägung körperli-
cher und psychischer Merkmale wirken.
❑
P Jeder Mensch besitzt andere Reaktions-
normen. Um das Gleiche im Leben zu errei-
chen, muss derjenige mit der ungünstigeren
Reaktionsnorm mehr tun.
l. Beschreiben Sie die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Wassers und seine
Bedeutung für den menschlichen Organismus.
2. Nennen Sie die intra- und extrazellulären Elektrolytkonzentrationen, und geben Sie
wesentliche Funktionen der jeweiligen Elektrolyte an.
3. Erläutern Sie die Hauptfunktionen der Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße im menschlichen
Organismus.
4. Erklären Sie folgende Begriffe:
a) Zelle,
b) Gewebe,
c) Organ,
d) Organsystem.
5. Skizzieren Sie aus dem Gedächtnis eine menschliche Zelle und ordnen Sie den einzelnen
Bestandteilen die entsprechenden Funktionen zu.
6. Beschreiben Sie den Aufbau der Zellmembran. Welche Eigenschaften und Aufgaben hat
sie?
7. Nennen Sie Vorkommen und Funktion der Kompartimente.
8. Erstellen Sie eine Übersicht über Menge und Verteilung der Körperflüssigkeiten.
9. Was versteht man unter der Homöostase des inneren Milieus?
10. Was versteht man unter dem pH-Wert? – Nennen Sie den Normbereich des Blutes.
l l. Begründen Sie, warum schon geringfügige Abweichungen vom normalen pH-Wert lebens-
bedrohlich sind.
12. Wie erfolgt die Regulation des Säure-Basen-Haushalts? Erläutern Sie exakt die Pufferung.
13. Erläutern Sie die Notwendigkeit des Stofftransportes im menschlichen Körper.
14. Erklären Sie folgende Begriffe:
a) passiver Transport,
b) Konzentrationsgefälle,
c) Diffusion,
d) Osmose,
e) osmotischer Druck,
f) kolloidosmotischer Druck,
g) aktiver Transport,
h) Phagozytose,
i) Pinozytose,
j) Trägertransport,
k) Konvektion!
15. Überlegen Sie, was passiert, wenn rote Blutzellen
a) in eine hypotone,
b) in eine hypertone Lösung gebracht werden.
16. Erläutern Sie den Begriff Stoff- und Energiewechsel und die wichtigsten Teilprozesse.
17. Was ist ATP und welche Bedeutung hat es?
18. Unterscheiden Sie Enzyme und Coenzyme.
19. Beschreiben Sie den Ablauf einer Enzymreaktion.
Welche Bedeutung haben Enzyme im Stoffwechsel?
20. Erklären Sie die Begriffe Glykolyse und Glukoneogenese.
21. Nennen und erläutern Sie die drei grundlegenden Schritte der Energiefreisetzung.
22. Worin liegt die besondere Bedeutung der biologischen Wasserstoffoxidation?
58 2 Grundlagen, Bau- und Funktionsstoffe
3 Gewebe
Gewebe sind Verbände von Zellen mit annä- b. geformte Interzellularsubstanzen (= Fasern)
hernd gleichem Bau und gleicher Funktion ein- Die Fasern ermöglichen als wichtiger Bestandteil
schließlich der von ihnen abgegebenen Inter- des Körpers den Zusammenhalt und die Festig-
zellularsubstanz. keit der Organe.
Kollagenfasern
(Sehne)
Retikulozyten 1)
retikuläre Fasern Knorpelzellen
weiße Blutzellen elastische Fasern
1) netzförmig angeordnete Zellen in den lymphatischen Organen
Epithelgewebe
einschichtig mehrschichtig
Basalmembran
Plattenepithel
(mehrschichtig,
unverhornt)
Plattenepithel (einschichtig)
Hornschicht
kubisches Epithel (einschichtig)
Becherzellen
Plattenepithel
(mehrschichtig, verhornt)
Zylinderepithel Flimmerepithel
(einschichtig) (mehrreihig)
Tastkörperchen Hörsinnes-
zellen
Licht-
sinneszellen
Sinnesepithelien
alveolär
3.2 Binde- und Stützgewebe
Das Binde- und Stützgewebe gibt dem Körper
Festigkeit und Halt und verbindet seine Teile
untereinander.
Merke
Das Bindegewebe zeigt in seiner Ausbildung
eine große Mannigfaltigkeit und übt im Orga-
nismus vielfältige Funktionen aus. Grund-
substanz
Knorpelgewebe, Knorpel
Das Knorpelgewebe geht aus dem Mesenchym
hervor. Es bildet auch beim Menschen zunächst
das Knorpelskelett, welches sich durch den Pro- Grund-
zess der Knochenbildung in das Knochenskelett substanz
umwandelt. Der Knorpel besteht aus den Knorpel-
zellen (Chondrozyten), die von einer gallertartigen elastische Fasern
Grundsubstanz mit eingekitteten Kollagenfasern
umgeben werden. Die Knorpelzellen liegen in Ein-
oder Mehrzahl in den Knorpelhöhlen (= Ausspa- Faserknorpel Knorpelzelle
rungen der Interzellularsubstanz). Die Wand der
Knorpelhöhlen heißt Knorpelkapsel. Mit Aus-
nahme der Gelenkknorpel werden alle übrigen von
einer Knorpelhaut (Perichondrium) überzogen,
von der aus die Versorgung des Knorpels erfolgt.
Eigenschaften
• hohe Druckelastizität, • geringe Zugfestigkeit. Grund-
Beim Menschen tritt der Knorpel in 3 Formen auf: substanz
1. Hyaliner Knorpel
kollagene Fasern
Die Interzellularsubstanz wird etwa zur Hälfte
von amorpher Grundsubstanz und kollagenen
Knorpelarten. Abb. 3.5
Fibrillen (kleinste Fäserchen) gebildet. Der
3.2 Binde- und Stützgewebe 65
Knochenzellen Interzellularsubstanz
Der anorganische Bestandteil beträgt 50 % und der organische 25 %. Der Rest ist Wasser. Die
Knochenzellen liegen in Knochenhöhlen. Untereinander sind sie durch Plasmaausläufer
innerhalb feiner Knochenkanälchen verbunden.
66 3 Gewebe
Knochenzellen
(Osteozyten)
Interzellularsubstanz
Kollagenfasern
Havers-System
(Osteon)
Knochenbälkchen
(Substantia spongiosa)
Blutgefäße
Havers’scher Knochenhaut
(Periost)
Kanal mit
Bindegewebe,
Blutgefäßen, äußere Lamellen
Nerven und
freien Zellen
Volkmann-Kanal
mit Blutgefäßen
Gelenkknorpel
endochondraler
Knochenkern Epiphyse
Hyaliner
Knorpel
Markhöhle
Diaphyse
Knochen-
manschette
einwachsende
Gefäße
Epiphyse
Metaphyse oder
Epiphysenfuge
Inneren entsteht ein sog. Knochenkern, der durch Mesenchym Knorpel Geflechtknochen
allmählichen Abbau des Knorpelgewebes größer Lamellenknochen
wird. Am Ende ist das Knorpelgewebe bis auf
den Gelenkknorpel und die Epiphysenfugen voll- 2. Desmale Ossifikation
ständig in Knochengewebe umgebaut. Unter desmaler Ossifikation versteht man die
Die Ossifikation der einzelnen Knochen ge- Bildung von Knochengewebe direkt aus dem
schieht zeitlich verschoben. So sind zum Zeit- Mesenchym.
punkt der Geburt lediglich Rippen, Schädel- Beispiele: Schädeldach, Schlüsselbein.
knochen, Wirbelkörper, Hüftbeine und Diaphy- Mesenchym Knochen
sen der Röhrenknochen verknöchert. In den
übrigen Knochen sind entweder Knochenkerne Aufbau des Lamellenknochens (✑ Abb. 3.7)
(z. B. Epiphysen der Röhrenknochen, Fersen- Diese Knochenart ist durch ein lamelläres Ord-
bein) vorhanden oder sie bilden sich zu einem nungsprinzip der Interzellularsubstanz charakte-
späteren Zeitpunkt in einer ganz bestimmten risiert. Die 5 – 10 μm dicken plattenförmigen
Reihenfolge. Knochenlamellen werden aus parallel zueinan-
der verlaufenden kollagenen Fibrillen und Kitt-
Merke substanz gebildet. Zwischen den Lamellen lie-
Mit dem Längenwachstum der Knochen gen die pflaumenkernförmigen Knochenzell-
(✑ S. 90) bildet sich der Geflechtknochen in höhlen, welche die Knochenzellen (Osteozyten)
den Lamellenknochen um. enthalten.
68 3 Gewebe
Die Knochenzellhöhlen sind durch enge Kno- Bruchspalt eine „Knochenmanschette“ legen
chenkanälchen untereinander verbunden, in (= knöcherner Kallus).
denen sich die Ausläufer der Osteozyten befin- – Jetzt, nach Fixierung der Bruchstücke, ver-
den. knöchert das Bindegewebe im Spalt.
– Zum Schluss des Heilungsprozesses wird die
Osteone (= Havers-System) Knochenmanschette abgebaut.
Durch die konzentrische Anordnung der Kno-
chenlamellen entstehen dünne mehrere Zenti-
meter lange Zylinder, die Osteone.
Wie in Abb. 3.7 zu erkennen, verlaufen die
Lamellen um eine Aussparung, die als Haver’- 3.3 Muskelgewebe
scher-Kanal bezeichnet wird. Er enthält die ver-
sorgenden Blutgefäße und Nerven. Senkrecht zu Das Muskelgewebe besitzt im besonderen Maße
den Haver’schen Kanälen verlaufen die Volk- die Fähigkeit zur Kontraktion, wodurch die Be-
mann-Kanäle, in denen die Arterien, Venen und wegung der Körperteile ermöglicht wird. Verant-
Nerven von der Knochenhaut (✑ S. 89) kom- wortlich für die Kontraktilität sind die Myofibril-
mend in das Zentrum der Osteone gelangen. len. Das sind feinste Fäserchen, bestehend aus
den kontraktilen Eiweißen Aktin und Myosin.
❑
P Bei der Frakturheilung legt der Organismus Zwischen den Myofibrillen befindet sich ein
um den Bruchspalt einen stützenden Verband Netz feinster Kanälchen (= Tubuli).
in folgender Art und Weise an: Nach morphologischen und funktionellen Ge-
– Zunächst wächst vor allem vom Periost ge- sichtspunkten gliedert man das Muskelgewebe
fäßreiches Bindegewebe in und um den in drei Muskelgewebearten:
Bruchspalt (= bindegewebiger Kallus). 1. glattes Muskelgewebe,
– Im Bindegewebe entstehen knochenbildende 2. quer gestreiftes Muskelgewebe,
Zellen (= Osteoblasten), welche um den 3. Herzmuskelgewebe.
balkenförmige
Herzmuskelzelle
mit zentral
liegendem
Zellkern
lockeres
Bindegewebe
Glanzstreifen
Merke
Nissl-Schollen Dendriten
Neurone leiten Erregungen schnell
über weite Strecken weiter.
Neurolemm
Neuron
Das Neuron setzt sich zusammen aus
Synapse
dem Zellkörper (Perikaryon), dem
Stoffwechselzentrum, und den von ihm
ausgehenden Fortsätzen (Dendriten,
Neuriten). Die meisten Neurone des
Zellkern Menschen sind multipolar, d. h., sie
besitzen mehrere Dendriten (baumartig
verzweigt) und einen längeren Neurit
(= Axon). Das Axon zweigt sich am
Ende zum Endbäumchen (Telodendron)
Axoplasma mit Zellkörper auf. Die Enden verdicken sich keulen-
Neurofibrillen (Perikaryon, Soma) förmig (= Endknopf).
Neurone sind funktionell bipolar, d. h.,
Nervenfaser Ursprungskegel
(Axon, Neurit) man unterscheidet einen Rezeptorpol zur
Informationsaufnahme und -weiterleitung
in das Perikaryon und einen Effektorpol
zur Informationsabgabe über das Axon.
Ranvier’scher Neurone besitzen ein stark ausgeprägtes
Schnürring granuläres endoplasmatisches Retiku-
lum, welches als Nissl-Schollen oder
Tigroidsubstanz bezeichnet wird, und
Axolemm
zahlreiche Mitochondrien und Lysoso-
men im Perikaryon. Außerdem enthält
das Perikaryon eine größere Anzahl von
Neurofibrillen, die sich in das Axon
fortsetzen. Sie dienen dem Transport von
Vesikeln und Mitochondrien in die synap-
tischen Endknöpfe.
Merke
Nach der Menge des Myelins (= Mark) unter-
scheidet man markhaltige (myelinreiche) und
marklose (myelinarme) Nervenfasern. Endo-
neurium
Epineurium (lockeres Binde-
Einteilung der Nervenfasern nach ihren funk- (lockeres gewebe um die
tionellen Eigenschaften: Bindegewebe, das Perineurium Nervenfasern,
den Nerven umhüllt (straffes Binde- mit Blut- und
• Afferente (= sensible, aufsteigende) Nerven- und seine Verbin- gewebe um die Lymph-
fasern leiten die Information von der Periphe- dung zur Um- Nervenfaserbündel) kapillaren)
gebung herstellt)
rie zum ZNS.
• Efferente (= motorische, absteigende) Nerven- Peripherer Nerv (Querschnitt). Abb. 3.11
fasern leiten die Informationen vom ZNS zur
Peripherie.
Merke
Faszikel und periphere Nerven
Die Nervenfasern sind zu Nervenfaserbündeln Die wesentlichen Aufgaben der Neuroglia
zusammengefasst. Im Gehirn und Rückenmark sind:
werden diese als Faszikel bezeichnet, außerhalb – Stützfunktion,
bilden sie den Hauptanteil der peripheren – Isolationsfunktion,
Nerven (✑ Abb. 3.11). Die peripheren Nerven – Beeinflussung des Nervenzellstoffwechsels.
sind überwiegend gemischte Nerven, weil sie
afferente und efferente Fasern enthalten.
❑
P Gliazellen füllen Defekte in der Hirnsubstanz
Neuroglia (Glia) aus. Es entstehen die sog. Glianarben.
Außer den Neuronen befinden sich sowohl im
ZNS als auch im PNS noch die Gliazellen, die in
ihrer Gesamtheit als Neuroglia bezeichnet wer- 3.4.2 Grundlagen der
den. Je nach Funktion unterscheidet man ver- Erregungsphysiologie
schiedene Gliazelltypen.
Zentrale Glia: Das Nervengewebe sichert den Informationsaus-
– Astrozyten. Dies sind verzweigte Zellen, die tausch, der in fünf Schritten dargestellt werden
die Neurone mit den Blutgefäßen verbinden kann:
und den Stoffaustausch ermöglichen. Sie bil- 1. Informationsaufnahme durch Sinneszellen
den den Hauptanteil der Neuroglia. (= Rezeptoren),
– Oligodendrozyten. Diese sind weniger ver- 2. Informationsleitung durch afferente Nerven-
zweigt und bilden die Markscheiden im ZNS. fasern zum Zentralnervensystem,
– Ependymzellen. Sie kleiden Hirnventrikel und 3. Informationsverarbeitung und -speicherung
Zentralkanal des Rückenmarks aus. im Zentralnervensystem,
Periphere Glia: 4. Informationsleitung durch efferente Nerven-
– Schwann-Zellen. Sie umhüllen die peripheren fasern zum Muskel bzw. zur Drüse (= Effek-
Neuriten. toren),
– Mantelzellen. Sie umgeben die in den Gan- 5. Informationsabgabe an die Umwelt durch
glien liegenden Perikaryen. Muskelleistung und Drüsensekrete.
72 3 Gewebe
extrazellulär
K+ [K+ ] 4 mmol/l Na+
[Na+ ] 140 mmol/l
Natrium-Kalium-Pumpe
intrazellulär
K+ [K+ ] 160 mmol/l Na+
[Na+ ] 10 mmol/l
Grundlage für den Informationsaustausch ist die relativ gut durchlässig. Entsprechend der unter-
Erregung der Nervenzellen. Im Folgenden wer- schiedlichen Durchlässigkeit der Membran
den beschrieben: die Erregungsbildung, die Er- diffundieren im Ruhezustand ständig relativ
regungsleitung und die Erregungsübertragung. viele K+ von innen nach außen und wenige Na+
im umgekehrten Richtungssinn;
Erregungsbildung • ein aktives Transportsystem (= Natrium-Kali-
Die Bildung einer Erregung bedeutet, dass von um- Pumpe) sorgt dafür, dass es nicht zum
einer erregbaren Zelle eine Information aufge- Konzentrations- und damit auch Ladungsaus-
nommen und in elektrische Impulse transfor- gleich kommt.
miert worden ist. Eine wichtige Voraussetzung
dafür ist das Ruhepotential. Letztendlich überwiegen in der intrazellulären
Flüssigkeit einige wenige Anionen (negativ gela-
Ruhepotential dene Teilchen) und in der extrazellulären
Flüssigkeit einige Kationen (positiv geladene
Merke Teilchen). Dies führt dazu, dass die Innenseite
Die Spannung (= Potential), die bei einer der Membran im Ruhezustand gegenüber der
nicht gereizten Zelle zwischen Zellinnerem Außenseite negativ geladen ist. Sie ist polari-
und der Außenseite der Membran herrscht, siert.
bezeichnet man als Ruhepotential der Zelle
(Innenseite negativ, Außenseite positiv). Sie Erregung (Aktionspotentialbildung)
ist eine wichtige Voraussetzung für die Erregung einer Zelle bedeutet die Umwandlung
Erregungsbildung. des Ruhepotentials in das Aktionspotential
(= AP) infolge Reizung.
(mV)
40
20 (1+5) Ruhepotential
3 (2) Depolarisation
0 (3) Ladungsumkehr
4 (4) Repolarisation
- 20
- 40
2
- 60 Schwellenpotential
1 5
- 80 Ruhepotential
(ms)
1 2 3 4
Reiz
Na+
+ + - - + +
- - - -
K+
+ +
K+
Der Verlauf der Potentialänderung bei Reizung Je nach Reizstärke wird die Membran mehr oder
ist in der Abbildung 3.13 dargestellt. weniger depolarisiert.
Voraussetzung für die Entstehung eines Aktions-
Es ist zu erkennen, dass bei Reizung das potentials ist eine Mindestreizstärke, welche die
Ruhepotential (1) sehr schnell zusammenbricht. Membran auf ca. –60 mV depolarisiert. Bei die-
Die Membran wird depolarisiert (2). Für kurze sem Wert erhöht sich aufgrund der Ladungsän-
Zeit findet sogar eine Ladungsumkehr bis ca. derung die Permeabilität der Membran für Na+
+30 mV statt (Membran innen positiv, außen auf das 500fache.
negativ; 3). Anschließend wird die Membran Folge:
wieder repolarisiert (4), d. h., das Ruhepotential Rascher Na+-Einstrom mit weiterer Depolarisa-
wird wieder hergestellt (5). Der gesamte tion und anschließender Ladungsumkehr.
Vorgang dauert nur wenige Millisekunden (ms).
Das durch die Mindestreizstärke ausgelöste
Den Verlauf der Spannungsänderung von der Potential als Voraussetzung für das Aktions-
Depolarisation bis zur Wiederherstellung des potential heißt Schwellenpotential. Reize, die
Ruhepotentials nennt man Aktionspotential. Es die Membran bis zum Schwellenwert depolari-
ist Ausdruck einer Erregung. sieren, also die Reizschwelle der Zelle errei-
chen, nennt man überschwellige Reize. Reize,
Beachtet man die Faktoren, die das Ruhepoten- die die Membran nicht bis zum Schwellenwert
tial bedingen, so kann man feststellen: Reize depolarisieren und somit kein Aktionspotential
verändern die Membranpermeabilität. Als Folge auslösen, bezeichnet man als unterschwellige
kommt es zu einer Veränderung der Ionen- Reize.
verteilung.
74 3 Gewebe
Die Permeabilitätsänderung für Na+ hält nur kurz- zeichnet man als „Alles-oder-Nichts-Gesetz“.
fristig an. Dagegen wird die Membranpermea- Das bedeutet, nachdem das Schwellenpotential
bilität für K+ verbessert. erreicht ist, bleibt bei weiterer Verstärkung des
Folge: Reizes die Amplitude der Aktionspotentiale
Verstärkter K+-Ausstrom, dadurch Repolarisa- trotzdem unverändert.
tion, d. h., die Ruhespannung wird wieder er- Wie ist es aber möglich, dennoch unterschiedli-
reicht. che Reizstärken, z. B. unterschiedliche Druck-
einwirkung, wahrzunehmen?
Im Anschluss daran sorgt die Natrium-Kalium- Die Reizstärke wird durch die Frequenz der
Pumpe dafür, dass wieder die alten Konzentra- Aktionspotentiale verschlüsselt. Je stärker der
tionsverhältnisse (wie vor der Erregung) herge- Reiz, desto mehr Aktionspotentiale werden in
stellt werden. Bemerkenswert ist, dass trotz der der Zeiteinheit ausgelöst.
großen Permeabilitätsänderungen an der erreg-
ten Stelle der Membran die Ionenkonzentratio- Erregungsleitung
nen im intra- und extrazellulären Raum kaum Die Erregungsleitung besteht in der Fortleitung
verändert werden. der Aktionspotentiale entlang der Neuriten-
membran bis in die Synapsen. Wie ist das zu er-
Alles-oder-Nichts-Gesetz klären?
Die Tatsache, dass bei unterschwelligen Reizen Ein ausgelöstes Aktionspotential hat zur Folge,
keine Erregung, bei überschwelligen aber immer dass zwischen benachbarten Membranabschnit-
eine Erregung in vollem Umfang erfolgt, be- ten ein Ladungsunterschied entsteht. Dieser
führt zu einem Ladungsausgleich
(= Ausgleichsstrom) längs der
AP Faser (innen und außen). Der
Ladungsausgleich aus der Nach-
barschaft bedeutet dort die Bil-
dung eines neuen Aktionspoten-
tials usw.
Bei markscheidenhaltigen Neuri-
ten erfolgt die Erregungsleitung
Ausgleichsstrom saltatorisch (sprunghaft) von
Schnürring zu Schnürring. Bei
AP
markscheidenlosen Neuriten er-
folgt die Erregungsleitung konti-
nuierlich, weil polarisierte, de-
und repolarisierte Membranab-
schnitte viel dichter beieinander
liegen. Das hat Konsequenzen für
die Erregungsleitungsgeschwin-
Ausgleichsstrom
digkeit und den Energieverbrauch.
AP Bei der saltatorischen Erregungs-
leitung „springt“ das Aktions-
potential von Schnürring zu
Schnürring.
Folgen:
• Erhöhung der Leitungsgeschwin-
digkeit (zirka 100 gegenüber
m
1 bei kontinuierlicher
s Leitung).
m
• Geringerer
s Energieverbrauch,
Saltatorische Erregungsleitung da Natrium-Kalium-Pumpe nur
Abb. 3.14 (AP = Aktionspotential). an den Schnürringen tätig ist.
3.4 Nervengewebe 75
Axon
Neurotubuli
elektrische
präsynaptische Weiterleitung
Bläschen (Vesikel)
mit Neurotransmitter
Mitochondrien
präsynaptische
Membran
synaptischer Spalt
chemische
Übertragung
(Neurotransmitter)
postsynaptische
Membran mit
Membranrezeptoren
elektrische
Weiterleitung
❑
P Die Repolarisierung benötigt viel Energie, Folge:
Es kann ein Aktionspotential in der anderen
daher ist eine gute Durchblutung des Nerven-
systems notwendig. Sauerstoffmangel, niedri- Zelle ausgelöst werden.
ge Temperaturen und Narkotika lähmen die
Tätigkeit des Nervensystems. Es gibt erregende und hemmende Transmitter
und damit erregende und hemmende Synapsen.
An einem Neuron können bis über tausend
Erregungsübertragung in der Synapse
Synapsen liegen.
Unter Erregungsübertragung (= Informations-
übertragung) versteht man die Übertragung einer
Erregung von einem Neuron auf andere Neurone,
❑
P Es gibt zahlreiche chemische Substanzen, die
die Wirkung der natürlichen Transmitter nach-
Muskelzellen und Drüsenzellen.
ahmen (imitieren) oder hemmen. Sie sind Be-
standteil vieler Medikamente (z. B. Atropin,
Die Erregungsübertragung erfolgt an besonderen
Propranolol).
Kontaktstellen, den Synapsen.
Häute sind flächenhafte Gewebsstrukturen, die 4.1.1 Schichten der äußeren Haut
aus einem Deckepithel und einer darunter lie-
genden Bindegewebsschicht bestehen. Die äußere Haut besteht aus:
Besprochen werden in diesem Kapitel • Oberhaut (Epidermis) – mehrschichtiges
– die äußere Haut, die den Organismus gegen die verhorntes Plattenepithel.
Umwelt abgrenzt und im weitesten Sinne • Lederhaut (Corium) – vor allem straffes
Schutzaufgaben erfüllt, Bindegewebe.
– die Schleimhaut als innere Auskleidung vieler Oberhaut und Lederhaut bilden die eigent-
Hohlorgane mit wichtigen Schutz- und Trans- liche Haut, die als Cutis bezeichnet wird.
portaufgaben, • Unterhaut (Subcutis) – Verschiebeschicht
– die seröse Haut, deren Hauptaufgabe darin aus lockerem Bindegewebe zwischen Cutis
besteht, die Verschiebbarkeit der inneren Organe und Muskelfascien bzw. Periost (Knochen-
zu gewährleisten und haut) der Knochen.
– Drüsen, die Sekrete bzw. Inkrete mit vielfäl-
tigen Funktionen im Körper produzieren. Oberhaut (Epidermis)
Die Oberhaut ist ein mehrschichtiges verhorntes
Plattenepithel, welches sich in 2 Hauptschichten
4.1 Äußere Haut gliedert.
1. Keimschicht (Stratum germinativum), beste-
Äußere Haut und Schleimhaut bilden die Grenz- hend aus Basalzellschicht (Stratum basale),
schicht zwischen Organismus und Umwelt. Die Stachelzellschicht (Stratum spinosum), Körner-
äußere Haut ist die Körperbedeckung des zellschicht (Stratum granulosum) und helle
Menschen. Sie ist beim Erwachsenen durch- Schicht (Stratum lucidum).
schnittlich 2 bis 3 mm dick, hat eine Masse von 2. Hornschicht (Stratum corneum).
ca. 4 kg und eine Fläche von 1,5 bis 2 m2.
Die Dicke der Oberhaut schwankt in Abhängig-
Merke keit von der mechanischen Beanspruchung. Je
größer die Beanspruchung, desto dicker wird sie
Die wichtigsten Funktionen der äußeren Haut
(Fußsohle 1 – 2 mm, Hohlhand 1 mm).
sind:
Hautstellen, die sehr stark beansprucht werden,
• Schutz vor physikalischen und chemischen
bilden Schwielen. Besonders dünn ist die
Einwirkungen,
Epidermis an den Augenlidern.
• Vermittlung von Sinneseindrücken,
Die unterschiedliche Dicke ist vor allem durch
• Wärmeregulation.
die Hornschicht bedingt.
❑
P Da die äußere Haut wie kein anderes Organ ❑
P Zu viel Horn kann Krankheitswert bekom-
Oberhaut
(Epidermis)
Hornschicht
Cutis Keimschicht
Lederhaut-
papillen
Lederhaut
(Corium)
Fettgewebe
Blutgefäße
Unterhaut
(Subcutis) Faszie
Muskel
Hautfarbe
Die Hautfarbe des Menschen wird Hornhaut-
bestimmt vom Pigmentgehalt, der schuppen
Farbe des Blutes (abhängig vom O2-
Gehalt) und vom Grad der Durch-
blutung. Die Hautpigmentierung ist
nicht an allen Stellen gleich. Besonders Hornschicht
stark pigmentiert ist die Haut der (Stratum corneum)
Geschlechtsorgane, des Afters und der
Warzenvorhöfe.
❑
P Individuen, die wegen eines
Hornbildungs-
schicht
Gendefekts kein Melanin synthetisie- (Stratum
granulosum)
ren können, heißen Albinos; sie sind
blasshäutig, haben eine rötliche Iris
und sind durch Sonnenstrahlung sehr Keimschicht
gefährdet. (Stratum
germinativum)
Lederhaut (Corium, Dermis)
Die Lederhaut ist der bindegewebige Basalmembran
Anteil der Haut und enthält demnach Basalschicht
alle typischen Bestandteile des Binde-
gewebes (✑ S. 63). Zellen werden durch ständige Zellteilung an die Ober-
Dominierend sind die wellenartig fläche verlagert und als Hornschuppen abgestoßen.
angeordneten miteinander verflochte-
nen Kollagenfasern mit eingelagerten Oberhaut (Epidermis). Abb. 4.2
elastischen Fasernetzen. Letztere sollen
erstere vor Überdehnung schützen.
Die Fasern besitzen außerdem eine gute Quell- vergrößert, sodass diese mehr Halt bekommt.
fähigkeit, was das große Wasserbindungsver- Die Papillen bestehen aus zellreichem feinfaseri-
mögen der Lederhaut erklärt. Auch die Grund- gem Bindegewebe. Die Fasern bilden ein dichtes
substanz enthält relativ viel Wasser. Durch diese Geflecht. Eingebettet in das Gewebe ist entweder
Wasserspeicherung entsteht im Gewebe eine eine Kapillarschlinge oder ein Meissner’sches
Spannung, die als Hauttugor bezeichnet wird. Er Tastkörperchen. Die Netzschicht wird aus dicke-
lässt mit zunehmendem Alter nach, weil das ren Fasern gebildet, welche dementsprechend
Wasserbindungsvermögen abnimmt. auch gröbere und zugfeste Geflechte bilden.
❑
P Die Hornschicht kann sich bei Überbeanspruchung von der
Keimschicht lösen, es bildet sich eine Blase.
❑
P Größere Wasserverluste sind lebensbedrohlich.
7. Sinnesfunktionen
• Druckempfindung Merkel-Zellen in den untersten Schichten der Epidermis und
Ruffini-Körperchen der Lederhaut.
Haarschaft
Haarrinde
Haarmark
(bei dünnem Haar
fehlend)
Haartrichter
Oberhäutchen
(Bulbus pili)
(Cuticula)
Talgdrüse innere
epitheliale
Wurzelscheide
Haaraufrichter-
Haarzwiebel
äußere
muskel epitheliale
(Musculus arrector pili)
Wurzelscheide
Haarzwiebel Glashaut
(Bulbus pili) bindegewebige
Wurzelscheide
(=^ Lederhaut)
Haarpapille Haar-
mit Blutgefäßen papille
mit Blut-
Haarwurzel gefäßen
Wachstumszone
Abb. 4.6 Haar.
4.2.3 Nägel ❑
P Sauerstoffmangel oder Kälte führen zur
Blaufärbung der Nägel, Durchblutungsstörun-
Die Nägel bedecken als Hornplatten die End- gen zur Beeinträchtigung des Nagelwachstums
glieder der Finger und Zehen und dienen als (erkennbar an Querlinien). Häufige Erkrankun-
Schutz und als Widerlager für die Tastballen und gen sind Entzündungen von Nagelwall und -bett
gewähren dadurch eine Verbesserung der Tast- sowie Pilzerkrankungen (Nagelmykosen).
empfindung.
Bau
Der sichtbare Teil des Nagels ist die aus ver- 4.3 Schleimhaut (Tunica mucosa)
hornten Epithelzellen bestehende Nagelplatte.
Sie ist durchscheinend und sieht nur deshalb rosa Schleimhäute sind feucht und schleimreich. Der
aus, weil sie auf dem gut durchbluteten Nagel- Schleim wird in Schleimdrüsen (Becherzellen)
bett liegt. Die Nagelplatte wird von einer Haut- produziert. Wir finden die Schleimhäute als
falte, dem Nagelwall, umgeben. Proximal be- innere Auskleidung solcher Hohlorgane, deren
deckt der Nagelwall die Nagelwurzel, die in die Lichtungen mit der Umwelt in Verbindung ste-
ca. 5 mm tiefe Nageltasche eingeschoben ist. hen, dies sind:
Ein schmaler Epithelsaum (Eponychium) der – Verdauungskanal, – Atemwege,
Nageltasche geht auf die Nagelplatte über. – Harnwege, – Geschlechtsorgane,
Unmittelbar unter der Nagelplatte befindet sich – Augenlider-Bindehaut, – Mittelohr.
zuerst ein Epithel (Hyponochium). Danach folgt
das bindegewebige Nagelbett, das mit der Kno- Jede Schleimhaut besteht aus mindestens zwei
chenhaut des Fingerendgliedes verwachsen ist. Schichten:
Das Hyponochium wird unter der Nagelwurzel 1. Epithelium,
(in der Nageltasche) zur Nagelmatrix. Von ihr 2. Schleimhautbindegewebe.
geht das Nagelwachstum aus. Es beträgt pro Tag
0,1 bis 0,3 mm. Die Nagelmatrix ragt mit ihrem Aufgaben:
konvexen Rand immer etwas aus der Nagel- Die Schleimhäute sind in ihrem Bau der speziel-
tasche heraus. Dieser halbmondförmige hellere len Funktion angepasst. Ihre Aufgaben sind in
Teil heißt Lunula („Möndchen“). der Tabelle 4.2 genannt.
Die verhornten Zellen der Nagelplatte sowie
jene des Hyponochiums entsprechen der
Epidermis, das aus Bindegewebe bestehende Funktion der Schleimhaut. Tab. 4.2
Nagelbett dem Corium. Funktion Struktur
Schutzaufgabe Unverhorntes mehrschichti-
• hohe ges Plattenepithel, z. B.
mechanische Mundhöhle, Speiseröhre,
Beanspruchung Harnröhre, Scheide.
Nagelplatte • Abtransport von Flimmerepithel,
Nagelbett staubigem z. B. Atemwege.
Schleim
Nagelfalz • Schutz der Urothel, z. B. Harnblase.
Harnwege
Lunula Stoffaufnahme Falten, Zotten und Mikrovilli
(= Teil der (Resorption) zur Vergrößerung der Ober-
Nagelmatrix)
fläche, z. B. Dünndarm.
Nagelwall Stoffabgabe Abgabe von Schleim zum
(Sekretion) Schutz der Schleimhaut,
z. B. Magen.
Stofftransport Blut- und Lymphgefäße des
Schleimhautbindegewebes.
Abb. 4.7 Fingernagel. Abwehr Weiße Blutzellen des
Schleimhautbindegewebes.
86 4 Hautsystem (Häute und Drüsen)
❑
P Schleimhautentzündungen sind häufig vor- Eine seröse Höhle besteht aus zwei Blättern:
kommende akute und chronische Erkrankungen • dem visceralen Blatt, das dem jeweiligen
der Atemwege (Bronchitis), des Verdauungs- Organ anliegt und
traktes (Gastritis) und der ableitenden Harn- • dem parietalen Blatt, das sich mit der Um-
wege (Cystitis, Pyelonephritis). gebung verbindet.
Die Endung „-itis“ weist immer auf eine Ent-
zündung hin. Zwischen den beiden Blättern liegt die eigentli-
che „Höhle“, die in Wirklichkeit nur einem
kapillaren Spaltraum (= Serosaspalt), in dem
sich etwas Flüssigkeit befindet, entspricht. Zu
4.4 Seröse Haut (Tunica serosa) den serösen Höhlen gehören das Brustfell
und seröse Höhlen (Pleura ✑ Abb. 11.12, S. 223), der Herzbeutel
(Perikard ✑ S. 176) und das Bauchfell
Seröse Häute sind spiegelglatt und feucht. Sie (Peritoneum ✑ Abb. 7.3, S. 145).
bestehen (wie die Schleimhäute) ebenfalls aus
mindestens zwei Schichten. ❑
P Eiter in solchen Höhlen nennt man Empyem
1. Serosaepithel: Es ist im Unterschied zur (z. B. Pleuraempyem).
Schleimhaut immer ein einschichtiges, drüsen- Eine Vermehrung der Flüssigkeit im Serosaspalt
loses Plattenepithel, welches als Mesothel führt zur Bildung eines Ergusses (z. B. Pleura-
bezeichnet wird. erguss), welcher durch Punktion beseitigt wer-
2. Serosabindegewebe. den kann.
Aufgabe:
Die Serosa ermöglicht einerseits eine äußerst
reibungsarme Verschiebbarkeit der inneren 4.5 Drüsen (Überblick)
Organe. Das wird durch einen Flüssigkeitsfilm
erreicht, der durch Transsudation (= Übertritt Drüsen sind Organe, die aus spezialisierten
von Flüssigkeit aus dem Blut) und Resorption Epithelzellen bestehen. Die spezielle Funktion
(= Übertritt von Flüssigkeit in das Blut) konstant ist die Bildung von Wirkstoffen (= Sekrete) mit
gehalten wird. Andererseits verbindet sie die einer bestimmten chemischen Zusammenset-
Organe miteinander. zung und physiologischen Bedeutung.
Die Realisierung dieser Aufgabe wird ermög- Die Abgabe der Sekrete heißt Sekretion. Sie
licht, indem die Serosa die einzelnen Organe erfolgt entweder nach außen (Körperoberfläche)
doppelwandig umgibt, so dass eine sog. seröse oder in das Blut. Sekrete sind z. B. Schleim,
Höhle entsteht. Talg, Schweiß, Gallenflüssigkeit, Hormone.
Ausführungsgang
Drüsenzellen
Follikel
Drüsen-
Hormon zellen
Blutkapillaren
Hormon
Blutkapillaren Blutkapillaren Hormon
Klassifizierung der Drüsen ebenfalls ins Blut zu gelangen. Mit dem Blut-
1. Nach ihrer Lage zum Oberflächenepithel: strom erreichen sie den Wirkungsort.
a) im Oberflächenepithel
• einzellige schleimproduzierende Becher- Merke
zellen der Darmschleimhaut,
Die endokrinen Drüsen (= Hormondrüsen)
• mehrzellige schleimproduzierende Drüsen besitzen im Unterschied zu den exokrinen
im Schleimhautepithel der Atemwege; Drüsen keine Ausführungsgänge.
b) unter dem Oberflächenepithel im Bindegewebe
• es handelt sich immer um mehrzellige
Drüsen, die von einer bindegewebigen Zirbeldrüse
Kapsel begrenzt werden. (Epiphyse)
2. Nach der Form (✑ Abb. 3.4, S. 62): Hirnanhangdrüse
a) schlauchförmige (tubulöse) Drüsen (Hypophyse)
1. Vergleichen Sie den Aufbau von äußerer Haut, Schleimhaut und seröser Haut.
2. Welche Beziehung besteht zwischen seröser Haut und seröser Höhle?
3. Stellen Sie in einer Übersicht die hauptsächlichen Funktionen der verschiedenen Häute
zusammen.
4. Stimmt es, dass die Haut atmen muss? Begründen Sie Ihre Antwort.
5. Wo kommen
a) Schleimhäute und
b) seröse Häute (seröse Höhlen) vor?
6. Definieren Sie: Transsudation und Resorption.
7. Geben Sie einen Überblick über die Anhangsgebilde der Haut.
8. Welche Aufgaben erfüllen
a) der Talg und
b) der Schweiß?
9. Beschreiben Sie den Aufbau der Brustdrüse. Erläutern Sie die Bedeutung der Selbstunter-
suchung durch Abtasten.
10. Nennen und begründen Sie einige Maßnahmen, die zum Erhalt der Funktionstüchtigkeit
der äußeren Haut beitragen.
11. Welche Rolle spielt die äußere Haut im Rahmen der Krankenbeobachtung und Diagnostik?
12. Erklären Sie die Begriffe:
a) Drüse,
b) Sekretion,
c) Sekret,
d) Hormon.
13. Unterscheiden Sie exokrine und endokrine Drüsen.
14. Nennen Sie die exokrinen und endokrinen Drüsen und die von ihnen gebildeten Sekrete.
Beschreiben Sie kurz die Lage dieser Drüsen.
89
Das Bewegungssystem ist die Gesamtheit der an • platte Knochen (z. B. Schulterblatt, Scheitel-
der Fortbewegung des Menschen beteiligten Orga- bein, Darmbeinschaufel) sind flache, kompakte
ne. Man unterscheidet den passiven Bewegungs- Knochen mit einer festen Außenschicht und
apparat (= Knochen, Gelenke und Bänder) und einer inneren aufgelockerten Knochenschicht;
den aktiven Bewegungsapparat (= Muskulatur). • unregelmäßige Knochen – auch kurze Knochen
genannt – (z. B. Nasenbein, Jochbein, Unter-
kiefer, Oberkiefer, Wirbel, Handwurzelknochen,
5.1 Allgemeine Knochenlehre Fußwurzelknochen) sind größtenteils würfel-
oder quaderförmig.
Die allgemeine Knochenlehre befasst sich im
Wesentlichen mit der Knochenstruktur und den
Knochenverbindungen. 5.1.3 Bau eines Knochens
❑
P Das Fettmark kann unter
schwammartiges besonderen Umständen (z. B.
Gerüstwerk feiner bei großen Blutverlusten oder
Knochenbälkchen proximales Leukämien) in rotes Knochen-
mit rotem Gelenkende mark umgewandelt werden.
Knochenmark (proximale
(Substantia spongiosa) Epiphyse)
5.1.4 Knochenwachstum
Muskel-
ansatzhöcker
(Apophyse) Beim Wachstum der Röhren-
knochen unterscheidet man Län-
gen- und Dickenwachstum.
Das Längenwachstum erfolgt
kompakte unter dem Einfluss verschiede-
Knochenrinde ner Hormone von der Epiphy-
(Substantia compacta) senfuge aus, die bis zum Wachs-
nur im Diaphysen-
bereich der tumsende aus Knorpelgewebe
Röhrenknochen besteht. Nach beiden Seiten wird
Knorpelgewebe abgebaut und
durch Knochengewebe ersetzt.
Knochenhaut Gleichzeitig wird das Knorpel-
(Periost)
gewebe der Epiphysenfuge stän-
dig nachgebildet. Die Verknöche-
rung der Wachstumszone be-
Schaft ginnt zwischen dem 15. und
(Diaphyse) 17. Lebensjahr und endet bei der
Frau mit dem 18. und beim
Mann mit dem 20. Lebensjahr.
Zu diesem Zeitpunkt ist das
Längenwachstum abgeschlossen.
❑
P Verletzungen (z. B. Fraktur
durch die Epiphysenfuge) und
Markhöhle Knochenmarkserkrankungen
mit gelbem können zu einem vorzeitigen
Fettmark Schluss der Epiphysenfugen
führen, was z. B. ungleiche
Beinlängen zur Folge haben
kann.
Durch Hormonwirkungen (z. B.
Keimdrüsenhormone) kann die
distales Verknöcherung der Epiphysen-
Gelenkende
Knochenrinde (distale fuge beschleunigt oder verzö-
(Substantia corticalis) Epiphyse) gert werden.
Folgen sind dann Zwerg- bzw.
Wachstumszone Riesenwuchs.
(Metaphyse oder
Epiphysenfuge) Das Dickenwachstum geht von
der Knochenhaut aus, die zeit-
Abb. 5.1 Bau eines Röhrenknochens (Oberschenkelknochen). lebens funktionstüchtig bleibt.
5.1 Allgemeine Knochenlehre 91
❑
P Bruchheilung erfolgt durch die so genannte Dementsprechend gibt es verschiedene Arten
Kallusbildung, die größtenteils vom Periost von Knochenverbindungen (✑ Tab. 5.1):
ausgeht (✑ S. 68). 1. Bandgelenke (Articulationes fibrosae).
Knochen werden durch Bindegewebe mitein-
ander verbunden:
Knochenumbau
a) Bandhaft (Syndesmosis)
Einmal gebildete Knochen verändern sich im
Zwischenknochenmembran zwischen Elle
Laufe des Lebens ständig. So werden, wie auf
und Speiche bzw. Schien- und Wadenbein.
Seite 65 bereits beschrieben, im Kindesalter die
b) Naht (Sutura)
primitiveren unregelmäßig strukturierten Geflecht-
Verbindung zwischen den Schädelknochen.
knochen in die kalziumreicheren und stabileren
c) Einzapfung (Gomphosis)
Lamellenknochen umgebaut. Weiterhin findet
Federnde Befestigung der Zähne im Zahn-
eine funktionelle Anpassung statt, die es dem
fach.
Knochen ermöglicht, sich auf veränderte Be-
lastungen einzustellen. Dies erfolgt z. B. durch
2. Knorpelgelenke (Articulationes cartilagineae)
Zu- oder Abnahme der Knochensubstanz bzw.
Knochen werden durch Knorpelgewebe mit-
Änderung der Knochenstruktur durch Umbau
einander verbunden.
der Substantia spongiosa als Anpassung an:
Beispiele:
– Veränderungen der Körpermasse und/oder
Schambeinfuge, Bandscheiben und Rippen-
der körperlichen Aktivität,
knorpel.
– einseitige oder asymmetrische Belastungen
Band- und Knorpelgelenke haben nur sehr
z. B. bei Lähmungen oder einseitiger Arbeits-
geringe Bewegungsausmaße.
belastung etc.
❑
P Ist der Mineralstoffgehalt der Knochen ver- 3. Synoviale Gelenke (Articulationes synoviales)
mindert, entsteht eine Osteomalazie (Knochen- Wenn man vom Gelenk spricht, ist praktisch
erweichung). Wird im Alter vermehrt Knochen- immer das synoviale Gelenk gemeint.
substanz abgebaut, spricht man von Osteopo-
rose. Durch die „Entkalkung“ werden die Synoviale Gelenke sind gekennzeichnet durch:
Knochen brüchiger. Es kann schon bei geringen a) mindestens 2 Gelenkkörper mit von Gelenk-
Belastungen zu Frakturen, besonders Schenkel- knorpel überzogenen Gelenkflächen;
halsfrakturen, kommen. Frauen sind durch die b) einen Gelenkspalt (gewebefreier Raum
verminderte Östrogenbildung (nach der Meno- zwischen den Gelenkflächen);
pause) häufiger betroffen. c) die Gelenkschmiere (Synovia) im Gelenk-
spalt – sie wird von der inneren Schicht der
Gelenkkapsel produziert, hat Ernährungs-
funktion und dient gemeinsam mit dem
5.1.5 Knochenverbindungen
Gelenkknorpel der Reibungsminderung;
d) die Gelenkkapsel zur Abgrenzung des Ge-
Der Grad der Beweglichkeit von zwei oder mehr
lenkraumes, bestehend aus der Außen-
Knochen gegeneinander muss funktionsbedingt
schicht (Membrana fibrosa) aus straffem
sehr unterschiedlich sein.
Knochenverbindungen
Handwurzelknochen
Außenband
(Lig. collaterale fibulare)
Meniscus lateralis
Gelenkknorpel
Innenband
(Lig.collaterale tibiale)
Menisken
Discus Querband
Radius (Lig. transversum
genus)
Ulna Meniscus
Kreuzbänder lateralis
(angeschnitten)
Meniscus
medialis
Merke ❑
P Bei Störungen oder Schwächung einer dieser
Disci trennen den Gelenkraum vollständig; Komponenten kann eine Gelenkführung durch
Menisci nur teilweise. eine andere teilweise kompensiert werden.
Zum Beispiel wird trotz einer Kreuzbandruptur
die Funktion des Kniegelenkes aufgrund einer
Die Bewegungsausmaße und Stabilität der Gelen- gut ausgebildeten Oberschenkelmuskulatur
ke werden durch drei Komponenten beeinflusst: kaum beeinträchtigt.
• Knochenführung (beim Hüftgelenk z. B. bes-
ser ausgeprägt als beim Schultergelenk);
Einteilung der synovialen Gelenke
• Muskelführung (besonders ausgeprägt beim Nach der Form der Gelenkflächen und den sich
Schultergelenk, z. B. durch den Deltamuskel, daraus ergebenden Bewegungsmöglichkeiten sind
M. deltoideus); verschiedene Gelenktypen zu unterscheiden
• Bänderführung (besonders ausgeprägt beim (✑ Abb. 5.4 bis 5.6):
Kniegelenk). • Scharniergelenk (einachsig),
• Radgelenk (einachsig),
• Eigelenk (zweiachsig),
• Sattelgelenk (zweiachsig),
• Kugelgelenk (dreiachsig) und
• straffes Gelenk (Amphiarthrose).
Oberarm-Ellen-Gelenk Fingergelenke
(Art. humeroulnaris)
Fingerendgelenk
(Art. interphalangealis
distalis)
Oberarmrolle Fingermittelgelenk
(Trochlea humeri) (Art. interphalangealis
proximalis)
Ellenbogen Fingergrundgelenk
(Olecranon)
(Art. metacarpo-
phalangealis)
Atlas
Rippe
Axis
Wirbel-Rippen-
Gelenke
Wirbelkörper
Radgelenk (einachsig). Beispiel: Wirbel-Rippen-Gelenk; Gelenk zwischen Altas und Dreher. Abb. 5.5
94 5 Stütz- und Bewegungssystem
❑
P Häufige Gelenkverletzungen sind
• Prellung (= Kontusion), • Bänderriss (= Ligamentruptur) und
• Zerrung (= Distorsion), • Verrenkung (= Luxation).
Handwurzelknochen Trapezbein
(Os trapezium)
proximales
Handgelenk
(Art. radiocarpalis)
Elle
(Ulna)
Speiche
(Radius)
distales Handgelenk
(Art. metacarpalis)
Daumensattelgelenk
(Art. carpometacarpalis pollicis)
Mittelhandknochen
Handwurzel- des Daumens
Mittelhandgelenke II + III (Os metacarpale I)
(Carpometacarpalgelenke II + III)
Schultergelenk Hüftgelenk
(Art. humeri) (Art. coxae)
Schultergelenkpfanne
(Cavitas glenoidalis)
Oberarmkopf
(Caput humeri)
Hüftgelenkpfanne
(Acetabulum)
Oberschenkelkopf
(Caput femoris)
❑
P Wichtige Sehnen für Reflex-
prüfungen sind:
Kniescheibensehne, Achillessehne,
Halteband
(Retinaculum) Bicepssehne und Tricepssehne.
Übermäßige Beanspruchung von
Sehnenscheiden Sehnenscheiden und Schleimbeuteln
können zu deren aseptischer Ent-
zündung führen (Bursitis = Schleim-
beutelentzündung, Tendovaginitis =
Sehnenscheiden
Sehnenscheidenentzündung).
Motorische Einheit
mer
Sarko
Markscheide ➞
motorisches
Kontraktion ➞
Axon
Aktin- Z-Scheibe
Myosin- filament
filament
Z-Scheibe
➞
Erschlaffung ➞
motorische
Endplatte
longitudinaler
Tubulus mit Ca2+ Myosin- Aktin
Z köpfe Z
+ + + + + Muskelfaser- Myosin
– – – – – membran
transversaler
Tubulus
Aktin
Myosinschaft
Z Myosin Z
+ + +
– – – Kontraktion
= Verkürzung
der Sarkomere
Aktin
Der ATP-Vorrat eines Muskels wird bei Dauer- die erschöpften ATP- und KP-Speicher werden
leistungen in dem Maße aerob1) regeneriert, wie auf diese Weise wieder aufgefüllt.
er verbraucht wird. Es herrscht also ein Fließ- Skelett- und Herzmuskulatur besitzen im
gleichgewicht vor. Dabei kann die Muskel- Myoglobin3) einen besonderen Sauerstoffspei-
durchblutung auf das 20fache zunehmen, was cher, wodurch kurzfristiger O2-Mangel während
wiederum eine entsprechende Erhöhung von der Kontraktion überbrückt wird.
Herz- und Atemzeitvolumen voraussetzt. Die
begrenzenden Faktoren sind das Herz-Kreislauf- Bewegungsbezeichnungen der Muskulatur
System und die Enzymkapazitäten. Je nach Lage und Ausgangsposition können
Sowohl bei Tätigkeitsbeginn, wenn der Muskel- Muskeln unterschiedliche Gelenkbewegungen
stoffwechsel noch auf Ruhe eingestellt ist, als ausführen. Oftmals lässt bereits die Bezeichnung
auch bei kurzzeitigen Höchstleistungen wird des Muskels Rückschlüsse auf diese zu (z. B.
zusätzlich Energie benötigt. Diese Energie- M. flexor digitorum manus, M. pronator teres,
menge wird anaerob2) durch Glykolyse bereitge- M. supinator, M. extensor hallucis).
stellt, was zwei- bis dreimal schneller erfolgt.
Allerdings wird dieser Vorgang relativ rasch Gelenkbewegungen
begrenzt. Es kommt durch die Anhäufung von • Adduktion = Heranführen
Milchsäure und die damit verbundene Senkung • Abduktion = Wegführen
des pH-Wertes (= metabolische Azidose) sowie oder • Opposition = Gegenüberstellen
die Anhäufung von ADP und Phosphat zur • Reposition = Zurückstellen
Ermüdung. • Flexion = Beugen
Die ATP-Bildung aus Kreatinphosphat und ADP • Extension = Strecken
erfolgt ebenfalls zügig. oder • Anteversion = Vornehmen
• Retroversion = Zurücknehmen
Bei der Kreatinphosphatspaltung und der anae- • Innenrotation = Einwärtsdrehen
roben Glykolyse geht der Organismus eine • Außenrotation = Auswärtsdrehen
Sauerstoffschuld ein. In der anschließenden oder • Supination = Auswärtswenden
Ruhephase muss diese wieder abgetragen wer- • Pronation = Einwärtswenden
den. Die angesammelte Milchsäure wird unter
1) aerob = unter Sauerstoffverbrauch
erhöhtem O2-Verbrauch (trotz körperlicher 2) anaerob = ohne Sauerstoffverbrauch
Ruhe) in Leber und Herz verstoffwechselt, und 3) roter Muskelfarbstoff, dem Hämoglobin ähnlich
➝
➝
➝
Adduktion
zweiköpfiger Extension
Oberarmmuskel
(M. biceps brachii)
Deltamuskel breiter Rückenmuskel
(M. deltoideus) (M. latissimus dorsi)
Trapezmuskel
(M. trapezius)
➝
➝Abduktion Adduktion
Schädel
(Cranium)
Halswirbel
(Vertebrae cervicales)
Schlüsselbein
(Clavicula)
Schulterblatt Brustbein
(Scapula) (Sternum)
Oberarmknochen Rippen
(Humerus) (Costae)
Lendenwirbel
(Vertebrae lumbales)
Speiche
(Radius) Kreuzbein
(Os sacrum)
Elle
(Ulna) Hüftbein
(Os coxae)
Fingerknochen Oberschenkelknochen
(Ossa digitorum = (Femur)
Phalanges)
Mittelhandknochen
(Ossa metacarpi)
Handwurzelknochen Kniescheibe
(Ossa carpi) (Patella)
Schienbein
(Tibia)
Wadenbein
(Fibula)
Fußwurzelknochen
(Ossa tarsi)
Mittelfußknochen
(Ossa metatarsi)
Zehenknochen
(Ossa digitorum = Phalanges)
Schädel
(Cranium)
Halswirbel
(Vertebrae cervicales)
Schulterblatt
(Scapula)
Brustwirbel
(Vertebrae thoracicae)
Oberarmknochen
(Humerus)
Lendenwirbel
Speiche (Vertebrae lumbales)
(Radius)
Elle
(Ulna) Kreuzbein
(Os sacrum)
Steißbein
(Os coccygis)
Oberschenkelknochen
(Femur)
Schienbein
(Tibia)
Wadenbein
(Fibula)
Kopfwendemuskel
(M. sternocleidomastoideus)
Deltamuskel
(M. deltoideus)
großer Brustmuskel
(M. pectoralis major)
zweiköpfiger
vorderer Sägemuskel Oberarmmuskel
(M. serratus anterior) (M. biceps brachii)
gerader Bauchmuskel
(M. rectus abdominis)
äußerer schräger
Bauchmuskel Unterarmmuskeln
(M. obliquus externus (Beuger)
abdominis)
Leistenband
(Lig. inguinale)
Kammmuskel Hohlhandsehne
(M. pectineus) (Aponeurosis palmaris)
langer Anzieher
(M. adductor longus)
schlanker Muskel
(M. gracilis) gerader
Schneidermuskel Oberschenkelmuskel
(M. sartorius) (M. rectus femoris)
äußerer
Oberschenkelmuskel
(M. vastus lateralis)
Kniescheibe innerer
(Patella) Oberschenkelmuskel
(M. vastus medialis)
vorderer vierköpfiger
Schienbeinmuskel Oberschenkelmuskel
(M. tibialis anterior) (M. quadriceps femoris)
Untergrätenmuskel
(M. infraspinatus) Trapezmuskel =
Kapuzenmuskel
kleiner runder (M. trapezius)
Muskel Deltamuskel
(M. teres minor)
(M. deltoideus)
großer runder
Muskel
(M. teres major) Caput laterale
breiter Rückenmuskel
(M. latissimus dorsi) Caput longum
Caput mediale
dreiköpfiger
äußerer schräger Armstrecker
Bauchmuskel (M. triceps brachii)
(M. obliquus externus
abdominis)
zweiköpfiger Darmbein-
Oberschenkelmuskel Schienbein-Sehne
(M. biceps femoris) (Tractus iliotibialis)
halbsehniger Muskel
(M. semitendinosus) schlanker Muskel
(M. gracilis)
halbmembranöser
Muskel
(M. semimembranosus)
Wadenmuskel
(M. gastrocnemius)
Achillessehne
(Tendo calcaneus)
Brustwirbel
(Vertebrae thoracicae = Th1 – Th12) – Lordose: konvexe Seite der Krüm-
mung liegt ventral;
– Kyphose: konvexe Seite der Krüm-
mung liegt dorsal.
Physiologisch sind Halslordose,
Brustkyphose und Lendenlordose.
Neben der Doppel-s-Form ist das
Promontorium (= ventrale, gegen den
5. Lendenwirbel abgewinkelte Kante
Lendenwirbelsäule (LWS) des Kreuzbeins) charakteristisch für
5 gegeneinander bewegliche
Lendenwirbel die menschliche Wirbelsäule (✑ Abb.
▲
Bauelemente
Die Bauelemente der Wirbelsäule
Kreuzbein sind
5 miteinander verwachsene • 24 bewegliche Wirbel; sie bilden
Kreuzwirbel
(Os sacrum = S1 – S5)
den mehr oder weniger beweglichen
Teil der Wirbelsäule,
Steißbein • 8 bis 10 miteinander verwachsene
3 – 5 miteinander verwachsene Wirbel (Kreuz- und Steißbein) und
Steißwirbel
(Os coccygis = Co1 – Co3–5)
• 23 Bandscheiben (= Zwischenwirbel-
Lordose scheiben) zwischen den beweglichen
▲
❑
P Es gibt viele zum Teil krankhafte Ver- Halswirbel
biegungen, z. B. Flach- und Rundrücken, – Wirbelkörper klein und sattelförmig,
Buckel, Skoliosen (= Krümmung in der Fron- – Querfortsätze mit Löchern für die Wirbelgefäße,
talebene). – Dornfortsatz häufig gegabelt.
1. Halswirbel (= Atlas)
Bis auf die ersten beiden Halswirbel weisen die • ohne Wirbelkörper und Dornfortsatz,
Wirbel folgenden Bau auf. • mit vorderem und hinterem Bogen sowie
– Wirbelkörper (Corpus vertebrae) zwei seitlichen Tragstücken für den Schädel.
Ventral gelegenes massives Tragstück. (Man 2. Halswirbel (= Axis)
beachte die Größenzunahme von cranial nach • mit Dens (= Zahn), der als Fortsetzung des
caudal.) Wirbelkörpers nach oben in den vorderen
– Wirbelbogen (Arcus vertebrae) mit 7 Fortsätzen: Bogen des Atlas ragt.
1 Dornfortsatz (Processus spinosus), 7. Halswirbel (= Vertebra prominens)
2 Querfortsätze (Processus transversi), • mit besonders langem Dornfortsatz (Tast-
2 obere Gelenkfortsätze, punkt).
2 untere Gelenkfortsätze.
– Wirbelloch (Foramen vertebrale) ❑
P Die sattelförmigen Wirbelkörper der Hals-
Die Wirbellöcher aller Wirbel bilden zusam- wirbel können sich seitlich gelenkig verbinden
men den Wirbelkanal (Canalis vertebralis). (= Unkovertebralgelenke). Diese Verbindungen
sind besonders verschleißanfällig.
Besonderheiten der Wirbelarten
Die einzelnen Wirbeltypen zeichnen sich durch
unterschiedliche Erkennungsmerkmale aus.
Zahn
(Dens)
Querfortsatzloch
(Foramen oberer
transversale)
Gelenkfortsatz
Gelenkfläche
für den Schädel hinterer
Wirbelbogen
linkes, seitliches
Atlantoaxialgelenk
Wirbelkörper
(Corpus vertebrae)
oberer
Gelenkflächen Gelenk-
für die Rippen fortsatz
(Proc. articularis
Gelenkflächen superior)
für die Rippen unterer
Gelenkfortsatz
(Proc. articularis inferior)
Wirbelbogen Querfortsatz
(Arcus vertebrae) (Proc. transversus)
Dornfortsatz
(Proc. spinosus)
von vorn
Vorgebirge
(Promontorium)
Querlinien
(Lineae transversales)
Kreuzbein
(Os sacrum)
Kreuzbeinlöcher
(Foramina sacralia
pelvina)
Steißbein
(Os coccygis)
Medianschnitt
von rechts
Vorgebirge
(Promontorium)
Darmbeingelenkfläche
(Facies auricularis)
Kreuzbeinkanal 5 verwachsene
(Canalis sacralis)
Kreuzwirbel
Vorderfläche
(Fascies pelvina)
Hinterfläche
(Fascies dorsales)
Gallertkern
(Nucleus pulposus)
Wirbelkanal
(Canalis vertebralis)
Zwischenwirbel-
scheibe
(Discus intervertebralis)
Wirbelbogen-
gelenk
Zwischenwirbelloch
(Foramen intervertebrale)
Knochenverbindungen zwischen Wirbelsäule züge entlang der Wirbelsäule. Sie ist das mäch-
und Kopf (Kopfgelenke) tigste Muskelsystem des Menschen und ermög-
Bei den Kopfgelenken handelt es sich um licht im Zusammenwirken mit der Bauchmus-
5 synoviale Gelenke zwischen Hinterhauptbein, kulatur das Vorneigen, Strecken, Seitneigen und
Atlas und Axis. Sie erlauben Bewegungen wie in Drehen.
einem Kugelgelenk, sodass im Zusammenwir- Weitere wichtige Aufgaben der Rückenmusku-
ken mit den übrigen Halswirbeln die große latur im Zusammenwirken mit dem Bandapparat
Beweglichkeit des Kopfes als Träger wichtiger sind Stabilisierung der Wirbelsäule und For-
Sinnesorgane ermöglicht wird. Dies ist eine mung ihrer physiologischen Krümmungen.
wichtige Voraussetzung für die Orientierung und Für die äußerst fein abgestuften Kopfbewegun-
Fortbewegung, aber auch für das individuelle gen sorgt ein vielgliedriger und komplizierter
Ausdrucksvermögen des Menschen. Muskelapparat, der aus Hals-, Nacken- und
Man unterscheidet Zungenbeinmuskeln besteht.
– die paarigen oberen Kopfgelenke (Artt. atlan-
tooccipitales) zwischen Atlas und Hinter- ❑
P Es ist darauf Wert zu legen, dass die Wirbel-
hauptbein. Sie ermöglichen Vor-, Rück- und säule nicht einseitig, vorwiegend statisch be-
Seitneigung des Kopfes; ansprucht wird. Vielmehr kommt es darauf an,
– das unpaarige mediale Kopfgelenk (Art. at- Stabilität und Mobilität gleichmäßig zu ent-
lantoaxialis mediana) zwischen Dens, vorde- wickeln. Das bedeutet vor allem, auf eine all-
rem Atlasbogen und dem überknorpelten seitige Kräftigung der Muskulatur mit der
Atlasquerband (Lig. transversum atlantis); Entwicklung einer aufrechten Haltung zu ach-
– die paarigen unteren Kopfgelenke (Artt. ten, sodass der passive Bewegungsapparat ent-
atlantoaxiales laterales) zwischen Atlas und lastet wird.
Axis. Nur eine aufrechte Haltung gewährleistet eine
Mediales Kopfgelenk und untere Kopfgelenke optimale Belüftung der Lunge. Mit den Patien-
ermöglichen die Drehbewegungen des Kopfes. ten sollten nach Möglichkeit täglich leichte
gymnastische Übungen zur Stärkung von
Muskulatur und ihre Funktion Bauch- und Rückenmuskulatur durchgeführt
Die Bewegungen der Wirbelsäule werden durch werden.
das Zusammenwirken von Rücken- und Bauch-
muskulatur ermöglicht (Bauchmuskulatur ✑ S. Tastbare Knochenpunkte sind die Dornfortsätze
138). Die Rückenmuskulatur besteht aus einem ab 7. Halswirbel.
komplexen System sich überlappender Muskel-
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 109
Brustkorböffnungen (Thoraxaperturen)
Einschnitt zur Der Thorax besitzt zwei Öffnungen:
Gelenkverbindung – Obere Thoraxapertur, gebildet von
mit dem Schlüsselbein
(Incisura clavicularis) • 1. Brustwirbelkörper,
• 1. Rippenpaar,
Handgriff des Brustbeins
(Manubrium sterni) • Handgriff des Brustbeins.
– Untere Thoraxapertur, gebildet von
Brustbeinwinkel
(Angulus sterni) • 12. Brustwirbel,
• Schwertfortsatz,
• Rippenbögen,
Brustbeinkörper • 11. und 12. Rippenpaar.
(Corpus sterni)
Einschnitte zur ❑
P Die Thoraxform ändert sich in
Gelenkverbindung Abhängigkeit vom Alter. Beim Neu-
mit den Rippen geborenen stehen die Rippen nahezu
(Incisurae costales)
horizontal. Im Laufe des Lebens senken
sie sich, und der Thorax wird flacher
und auch starrer.
Schwertfortsatz Die elastische Verspannung vom
(Processus xiphoideus)
Thorax wird in der Ersten Hilfe bei der
externen Herzmassage genutzt.
Ansicht von ventral Ansicht von rechts
Tastbare Knochenpunkte sind Sternum,
Abb. 5.23 Sternum (Brustbein). die Ansatzstelle der 2. Rippe, der Rippen
5 – 7 sowie die Rippenkörper.
Schulterblatt Schlüsselbein
(Scapula) (Clavicula)
obere Thoraxöffnung
(Apertura thoracis superior)
Rippenknorpel
(Cartilago costalis)
Rippenknochen
Rippen
(Costae)
Brustbein
(Sternum)
Rippenbogen
(Arcus costalis)
Obere Extremität
1 Oberarmknochen 2 Unterarmknochen
(Humerus) • Speiche (Radius)
• Elle (Ulna)
Schulterblatt
(Scapula)
Oberarmknochen
(Humerus)
Elle
(Ulna)
Speiche
(Radius)
Obergrätengrube
(Fossa supraspinata)
Oberarmknochen
Rabenschnabelfortsatz (Humerus)
(Processus coracoideus)
Oberarmköpfchen
Schultereck (Capitulum humeri)
(Acromion)
Oberarmrolle
Schulterblattgräte (Trochlea humeri)
(Spina scapulae)
innerer Obergelenkknorren
(Epicondylus medialis)
Ellenbogengelenk
äußerer Obergelenkknorren (Articulatio cubiti)
(Epicondylus lateralis)
Radiuskopf
(Caput radii)
Untergrätengrube
(Fossa infraspinata) Elle
(Ulna)
Speiche Ellenkopf
(Radius) (Caput ulnae)
Griffelfortsatz
(Proc. styloideus ulnae)
proximales Handgelenk
(Art. radiocarpalis) Handwurzel
(Carpus)
Mittelhand
(Metacarpus)
Grundglied Fingerglieder
(Phalanx proximalis) (Phalanges)
Mittelglied
(Phalanx media)
Die Elle (Ulna) liegt kleinfingerwärts,
Endglied die Speiche (Radius) daumenwärts.
(Phalanx distalis)
❑
P Die geringe Knochenführung, die schlaffe lenkkapsel umschlossen werden.
– Oberarm-Ellen-Gelenk (Art. humeroulnaris)
Kapsel sowie die fehlende Bänderführung sind
Ursachen häufiger Luxationen. mit Oberarmrolle und Ellenhaken (Scharnier-
gelenk),
Ellenbogengelenk (Art. cubiti) – Oberarm-Speichen-Gelenk (Art. humeroradia-
Das Ellenbogengelenk wird aus drei Teilgelen- lis) mit Speichenkopf und Oberarmköpfchen
ken gebildet, die von einer gemeinsamen Ge- (Kugelgelenk) und
114 5 Stütz- und Bewegungssystem
Handgelenke
zweiköpfiger – proximales Handgelenk (Art. radiocarpalis)
Oberarmmuskel Beteiligte Knochen bzw. Knochenteile sind
(M. biceps brachii) • Radius,
• proximale Handwurzelknochenreihe,
• Ulna (durch einen Discus von den Hand-
wurzelknochen getrennt).
Auswärtsdreher Gelenktyp:
(M. supinator)
Eigelenk.
Bewegungen:
Elle Palmarflexion (Beugung der Hand hand-
Speiche flächenwärts) – Dorsalflexion (Bewegung
der Hand handrückenwärts),
Radialabduktion (Bewegung der Hand zur
Speiche) – Ulnarabduktion (Bewegung der
Hand zur Elle).
❑
P Beim Sturz auf die Hand bricht meistens
der Radius. Die distale Radiusfraktur ist
Einwärtsdrehung eine der häufigsten Frakturen überhaupt.
(Pronation)
– distales Handgelenk (Art. metacarpalis)
zwischen proximaler und distaler Hand-
wurzelknochenreihe.
Gelenktyp:
Scharniergelenk.
Bewegungen:
Palmarflexion – Dorsalflexion.
runder
Einwärtsdreher Handwurzel-Mittelhand-Gelenke (Carpo-
(M. pronator teres) metacarpalgelenke), Daumensattelgelenk.
Die Carpometacarpalgelenke liegen zwischen
Speiche der distalen Handwurzelknochenreihe und den
Elle Basen der Mittelhandknochen.
viereckiger Das Carpometacarpalgelenk I ist das Dau-
Einwärtsdreher mensattelgelenk und liegt zwischen Os trape-
(M. pronator zium und Os metacarpale I.
quadratus)
Bewegungen im Daumensattelgelenk:
Abduktion – Adduktion (Daumen wird vom
Zeigefinger abgespreizt und wieder herange-
führt), Opposition – Reposition (Daumen
wird aus der Abduktionsstellung dem kleinen
Finger gegenübergestellt und wieder in Nor-
Abb. 5.27 Ein- und Auswärtsdrehung der Hand. malstellung zurückgeführt).
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 115
Merke Kopfbein
(Os capitatum)
Alle Scharniergelenke werden
durch Seitenbänder (= Kollateral-
bänder) gesichert.
■ proximale Reihe
Dorsalansicht ■ distale Reihe
Achselhöhle
Einbuchtung der Körperoberfläche
zwischen Rumpf und Arm. Elle Speiche
Inhalt: (Ulna) (Radius)
Bindegewebskörper mit Gefäßen und
Mondbein
Nerven (Armgefäße, Armnerven) Dreieckbein (Os lunatum)
und regionäre Achsellymphknoten. (Os triquetrum)
Kahnbein
Kopfbein (Os scaphoideum)
(Os capitatum)
Ellenbeuge großes
Hakenbein Vieleckbein
Liegt zwischen Flexoren des Ober- (Os hamatum) (Os trapezium)
armes und Flexoren sowie Exten-
soren des Unterarmes. Fingergrund-
Inhalt: gelenk
– Venen der Ellenbeuge (Cubital-
venen; häufig genutzt zur Blut- Fingermittel-
entnahme und i.v.-Injektion), gelenk
Fingerend- kleines
– Aufzweigung der Oberarmarterie Vieleckbein
gelenk
(A. brachialis) in Speichenarterie (Os trapezoideum)
(A. radialis) und Ellenarterie (A.
ulnaris) (✑ Abb. 9.27, S. 181,
Abb. 9.28, S. 182 und Abb. 9.33,
S. 185).
Rückansicht Vorderansicht
Treppen-
Trapezmuskel muskeln
(Mm. scaleni)
(M. trapezius)
Deltamuskel Deltamuskel
(M. deltoideus)
(M. deltoideus)
Untergräten- großer
muskel Brustmuskel
(M. infraspinatus) (M. pectoralis
major)
großer/kleiner
runder Muskel zweiköpfiger
(M. teres Armmuskel
major/minor) (M. biceps brachii)
dreiköpfiger vorderer
Armstrecker Sägemuskel
(M. triceps brachii) (M. serratus
anterior)
breiter
Rückenmuskel breiter
(M. latissimus Rückenmuskel
dorsi) (M. latissimus
dorsi)
Palmaransicht Dorsalansicht
Palmaransicht
Flexorengruppe Extensorengruppe
für Handgelenk für Handgelenk
und Finger und Finger
langer radialer
Handstrecker
(M. extensor carpi
Oberarm- radialis longus)
Knorrenmuskel
speichenmuskel (M. anconeus) kurzer radialer
(M. brachioradialis) Handstrecker
(M. extensor carpi
runder ulnarer Handstrecker radialis brevis)
Einwärtsdreher (M. extensor carpi ulnaris)
(M. pronator teres)
radialer Handstrecker
(M. flexor carpi radialis) langer
langer Daumenabzieher
Kleinfingerstrecker (M. abductor pollicis
Hohlhandmuskel longus)
(M. palmaris longus) (M. extensor digiti minimi)
oberflächlicher kurzer
Fingerstrecker Daumenstrecker
Fingerbeuger (M. extensor digitorum) (M. extensor pollicis
(M. flexor digitorum
brevis)
superficialis) ulnarer Handstrecker
(M. flexor carpi ulnaris) Halteband
(Retinaculum
extensorum)
Merke Innervation
Die Muskulatur der oberen Extremitäten wird
Die im Unterarm liegenden Flexoren und Ex- von Nerven versorgt, die aus dem Armgeflecht
tensoren (= lange Fingermuskeln) sind über (Plexus brachialis) hervorgehen (N. radialis, N.
lange Sehnen mit den Fingergrund-, Finger- ulnaris, N. medianus; ✑ Abb. 17.21, S. 358).
mittel- und Fingerendgliedern verbunden. Sie
verlaufen im Bereich der Hand- und Finger-
gelenke in Sehnenscheiden (= Gleitschutz). 5.3.4 Beckengürtel und untere Extremität
Haltebänder (Retinacula) fixieren die Sehnen-
scheiden. Beckengürtel und untere Extremität haben Halte-
und Stützfunktion. Deshalb sind hier die Kno-
Handmuskulatur chen und Gelenke viel kräftiger ausgebildet als
Die herausragende Fähigkeit der menschlichen beim Schultergürtel und der oberen Extremität.
Hand ist die Greiffunktion. Sie wird durch die
Oppositionsfähigkeit des Daumens möglich, Beckengürtel
d. h., der Daumen kann den übrigen Fingern Der Beckengürtel stellt im Unterschied zum
gegenübergestellt werden. Schultergürtel einen geschlossenen Ring dar.
Für diese Greiffunktion steht ein komplizierter Aufgaben
Muskelapparat der Hand zur Verfügung: – Verbindung der Beine mit dem Rumpf.
– 4 Muskeln des Daumenballens und – Übertragung der Körpermasse von der Wirbel-
– 4 Muskeln des Kleinfingerballens. säule auf die beiden Oberschenkelknochen.
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 119
männliches Becken
(Pelvis masculinum) Vorgebirge
(Promontorium)
Darmbeinkamm
(Crista iliaca)
Kreuzbein
(Os sacrum)
vorderer oberer Darmbeinstachel
Hüftbein (Spina iliaca anterior superior)
(Os coxae) vorderer unterer Darmbeinstachel
(Spina iliaca anterior inferior)
Hüftgelenkpfanne
(Acetabulum)
Hüftloch
(Foramen obturatum)
Schambeinwinkel Hüftbein
(Angulus pubis: 70°–75°)
(Os coxae)
Darmbeingrube
(Fossa iliaca)
Darmbein-Kreuzbein-Gelenk
(Articulatio sacroiliaca)
Schambeinhöcker
(Tuberculum pubicum)
Hüftgelenkpfanne
(Acetabulum)
Schambeinfuge
(Symphysis pubica)
Zu diesem Zweck ist er, im Unterschied zum • Schambeinfuge (Symphysis pubica) verbindet
Schultergürtel, als stabiler Ring fest mit der die beiden Hüftbeine im Bereich der Scham-
Wirbelsäule verbunden. beine mittels Faserknorpel.
– Gebärkanal.
– Ansatz- und Ursprungsstelle von Bauch-, Gestalt
Rücken- und Gesäßmuskeln. Das Becken ist trichterförmig gebaut. Der Innen-
– Schutz der Beckenorgane. raum wird durch die Grenzlinie (Linea termina-
lis), die vom Promontorium bogenförmig zum
Knochen Oberrand der Symphyse verläuft, gegliedert in
Der Beckengürtel besteht aus – großes Becken oberhalb der Grenzlinie zwi-
1 Kreuzbein (Os sacrum), schen den beiden Darmbeinschaufeln,
2 Hüftbeinen (Ossa coxae) sowie – kleines Becken (= Beckenkanal) mit Becken-
l Steißbein (Os coccygis). eingang und Beckenausgang unterhalb der
Jedes Hüftbein wiederum setzt sich aus drei mit- Grenzlinie.
einander verwachsenen Knochen zusammen: – Die Beckeneingangsebene ist im Stand vorn
– dem Darmbein (Os ilium), nach unten geneigt.
– dem Schambein (Os pubis) und Verbindet man die beiden Sitzbeinhöcker durch
– dem Sitzbein (Os ischii). eine Linie miteinander, entstehen zwei Dreiecke:
– ventral das Trigonum urogenitale für den
Merke Durchtritt der Harn- und Geschlechtsorgane;
Die Hüftgelenkpfanne (Acetabulum) wird – dorsal das Trigonum rectale für den Durch-
von Teilen der Körper aller drei Teilknochen tritt des Rectums (✑ Abb. 5.33).
des Hüftbeines gebildet und besitzt einen
halbmondförmigen Gelenkknorpel. Geschlechtsunterschiede (✑ Abb. 5.32, S. 119)
– Männliches Becken: Untere Schambeinäste
bilden spitzen Winkel. Das männliche Becken
Knochenverbindungen ist hoch, schmal und eng.
• Darmbein-Kreuzbein-Gelenke (Iliosacralge- – Weibliches Becken: Untere Schambeinäste
lenke) verbinden die Hüftbeine im Bereich bilden stumpfwinkligen Bogen. Das weibliche
der Darmbeinschaufeln mit dem Kreuzbein. Becken ist flach, breit und weit.
Wegen der sehr straffen, knappen Gelenkkap-
sel sind praktisch keine Bewegungen möglich. Untere Extremität
Die Gelenke sind wichtig für die Elastizität des Die untere Extremität ist beim Menschen als
Beckens und die Federung der Wirbelsäule. Stützorgan ausgebildet.
Gliederung und Bau:
(✑ Tab. 5.4, S. 122 und
Abb. 5.34)
Ventralansicht Dorsalansicht
Oberschenkelkopf
(Caput femoris)
Oberschenkelhals großer Rollhügel
großer Rollhügel (Collum femoris) (Trochanter major)
(Trochanter major)
kleiner Rollhügel
(Trochanter minor)
Schaft des
Oberschenkelknochens
(Corpus femoris)
äußerer
innerer Gelenkknorren Obergelenkknorren
(Condylus medialis femoris) (Epicondylus lateralis
femoris)
Kniescheibe
(Patella) innerer äußerer
äußerer Obergelenkknorren Gelenkknorren
Gelenkknorren (Epicondylus medialis femoris) (Condylus lateralis
femoris)
des Schienbeins innerer Gelenkknorren
(Condylus lateralis tibiae) des Schienbeins Gelenkknorren-
Wadenbeinkopf (Condylus medialis tibiae) grube
(Fossa intercondylaris)
(Caput fibulae)
Ansatzstelle des
Kniescheiben-
bandes Das stärkere Schienbein (Tibia)
(Tuberositas tibiae) liegt medial, das schwächere
Wadenbein (Fibula) lateral im
Wadenbeinkörper Unterschenkel. Schienbeinkörper
(Corpus fibulae) (Corpus tibiae)
mittlerer (innerer)
Knöchel seitlicher (äußerer)
(Malleolus medialis) Knöchel
Fußwurzelknochen (Malleolus lateralis)
(Ossa tarsalia)
Malleolengabel
Mittelfußknochen
(Ossa metatarsi)
Zehenknochen
(Ossa digitorum pedis)
Untere Extremität
1 Oberschenkelknochen 2 Unterschenkelknochen
(Femur) • Schienbein (Tibia)
• Wadenbein (Fibula)
Würfelbein
(Os cuboideum)
Kahnbein
(Os naviculare)
Fußknochen von medial
Keilbeine
(Os cuneiforme mediale,
intermedium, laterale)
Mittelfußknochen Wadenmuskel
(Ossa metatarsi I – V) (M. gastrocnemius)
Schienbein
(Tibia)
Zehenknochen
(Phalanges) Sprungbein
(Talus)
Zehengrundglied Achillessehne
(Phalanx proximalis) (Tendo calcaneus)
Zehenmittelglied Fersenbein
(Phalanx media) (Calcaneus)
Zehenendglied
(Phalanx distalis)
Längsgewölbe des Fußes
Malleolengabel (= Knöchelgabel)
Den inneren Knöchel der Malleolen-
gabel bildet die Tibia, den äußeren die
Fibula. Aufgrund der Beteiligung von Hüftbein
(Os coxae)
zwei Knochen sind zusätzliche Feder-
wege eingebaut. Hüftgelenkpfanne
(Acetabulum)
Oberschenkelkopf
Knochenverbindungen, Bewegungs- (Caput femoris)
möglichkeiten, Muskeln
Beckengürtel und Bein sind durch drei
große Gelenke verbunden: Hüftgelenkbänder
– Hüftgelenk (Art. coxae), (Ligg. articulatio coxae)
– Kniegelenk (Art. genus) und
– oberes Sprunggelenk (Art. talocru-
ralis).
– Zehengrundgelenke,
vorderes Kreuzband – Zehenmittelgelenke (außer Groß-
(Lig. cruciatum anterior)
zehe = Hallux, die kein Mittel-
Gelenkflächen gelenk besitzt),
des Schienbeins
– Zehenendgelenke.
äußerer Meniscus Der Fuß besitzt je ein Quer- und
(Meniscus lateralis)
Längsgewölbe, die durch Muskeln
innerer Meniscus
(Meniscus medialis) und Bänder gehalten werden.
hinteres Kreuzband
(Lig. cruciatum posterior)
❑
P Durch schlaffe Bänder, durch
Muskellähmungen und aufgrund
Abb. 5.38 Menisken des rechten Kniegelenks. schlechten Schuhwerks können
Gefügestörungen (= Deformitäten)
auftreten, wie z. B.
Merkmale Senkfuß: Längswölbung abgeflacht
• Drehscharniergelenk. (als Extremform Plattfuß),
• 4 Hauptbewegungen: Extension und Flexion, Hohlfuß: Längswölbung verstärkt,
Außen- und Innenrotation (nur in Beuge- Spreizfuß: Querwölbung abgeflacht.
stellung).
• Ungleichheiten der Gelenkflächen werden Muskulatur und ihre Funktionen
durch zwei halbmond- und keilförmige Die Muskeln im Bereich der Hüftregion ermög-
Menisci (Innen- und Außenmeniscus) ausge- lichen die verschiedensten Bewegungen des
glichen. Jeder Meniscus ist durch kräftige Beines wie Beugen, Strecken, Heranziehen,
Bänder mit der Gelenkkapsel verankert. Spreizen und Rotationen. Der überwiegende Teil
• Stabile Bandführung (z. B. vorderes und hinte- von ihnen zieht über das Hüftgelenk direkt zum
res Kreuzband zwischen den Femurcondylen, Oberschenkel. Andere wiederum verlaufen über
inneres und äußeres Seitenband). das Kniegelenk zum Unterschenkel und ermög-
• Sehr weite Kapsel. lichen so die Bewegung von Hüft- als auch Knie-
gelenk (z. B. Schneidermuskel).
❑
P Das Kniegelenk erleidet häufig Verletzungen,
da es am wenigsten durch Muskelmassen ge- Hüftmuskulatur
schützt ist. Drehungen am Knie bei fixiertem 1. Vordere Muskelgruppe
Unterschenkel (Ski- und Fußballsport) lösen • Darmbein-Lenden-Muskel (M. iliopsoas).
Bandschäden aus. Sturz in senkrechter Rich- Funktion: Flexion im Hüftgelenk.
tung (Absprung) führen zu Tibiakopfbrüchen;
direkte Gewalt (Autoarmaturenaufprall) zu 1) = Darmbein-Lenden-Muskel
Patella- oder supracondylären Femurfrakturen. (M. iliopsoas)
kleiner
Lendenmuskel1)
(M. psoas minor)
großer viereckiger
Lendenmuskel1) Lendenmuskel
(M. psoas major) (M. quadratus lumborum)
Darmbeinmuskel1)
(M. iliacus)
großer Gesäßmuskel
Leistenband (M. gluteus maximus)
(Lig. inguinale)
Kammmuskel
(M. pectineus)
langer Anzieher
(M. adductor longus)
schlanker Muskel
(M. gracilis) zweiköpfiger
Schneidermuskel Oberschenkelmuskel
(M. sartorius) (M. biceps femoris)
Flexion Extension
im Hüftgelenk im Kniegelenk
Darmbein-
Lenden-Muskel vierköpfiger
(M. iliopsoas) Oberschenkelmuskel
(M. quadriceps femoris)
Flexion Streckbewegung
im Kniegelenk im Hüft- und
Kniegelenk
vierköpfiger
Oberschenkelmuskel
(M. quadriceps femoris)
zweiköpfiger großer Gesäßmuskel
Oberschenkel- (M. gluteus maximus)
muskel
(M. biceps femoris)
Adduktoren
vorderer
Schienbeinmuskel
(M. tibialis anterior)
Zwillingswadenmuskel
(M. gastrocnemius)
Deltoideus-Injektion
Einstichstelle:
Deltamuskel oberes mittleres Drittel
(M. deltoideus)
intragluteale Injektion
Darmbeinkamm Einstichstelle
(Crista iliaca) (Crista-Methode nach
Sachtleben):
beim Erwachsenen
3 Querfinger breit caudal
der gedachten Linie
Mitte des
großer Rollhügel Darmbeinkammes und
(Trochanter major)
dem großen Rollhügel
laterale Vastus-Injektion
äußerer Einstichstelle:
Obergelenkknorren Mitte des seitlichen
(Epicondylus lateralis Oberschenkels
femoris)
großer Rollhügel
(Trochanter major)
Endsehne des Muskels, in die die Patella als Häufige Weichteilverletzungen des Beines sind:
Umlenkrolle vor dem Kniegelenkspalt ein- – Muskelzerrungen und Muskelfaserrisse. Oft
gelagert ist, setzt an der Tuberositas tibiae betroffen sind M. gastrocnemius und
an. M. quadriceps femoris.
– Schneidermuskel (M. sartorius) – Achillessehnenverletzungen (Teil- oder
Funktion: Bewegung und Haltung im Hüft- komplette Risse).
und Kniegelenk. Typisch für diese Verletzungen sind plötzlich
2. Flexorengruppe auftretende akute Schmerzen und Funktions-
– Zweiköpfiger Oberschenkelmuskel (M. bi- störungen. Durch lockeres Aufwärmen vor
ceps femoris) begrenzt die Kniekehle lateral. sportlicher Betätigung wird der Stoffwechsel
– Halbsehniger Muskel (M. semitendinosus) der Muskulatur aktiviert und die Dehnbarkeit
begrenzt die Kniekehle medial. der Muskelfasern verbessert, sodass das Verlet-
– Halbmembranöser Muskel (M. semimem- zungsrisiko vermindert wird.
branosus) begrenzt die Kniekehle medial.
Funktion: Extension im Hüftgelenk und
Flexion im Kniegelenk. 5.3.5 Kopf (Caput)
3. Adduktorengruppe
– Schlanker Muskel (M. gracilis). Der Kopf (Caput) ist durch den Hals gut beweg-
– Kammmuskel (M. pectineus). lich mit dem Rumpf verbunden. Er befindet sich
– Langer Adduktor (M. adductor longus). mit den wichtigsten Sinnesorganen an oberster
Funktion: Adduktion im Hüftgelenk. Stelle des menschlichen Organismus und hat so
außerordentlich große Bedeutung beim Er-
Unterschenkelmuskulatur kennen der Umwelt.
1. Extensorengruppe (vorn)
– Vorderer Schienbeinmuskel (M. tibialis Schädel (Cranium)
anterior). Der Schädel ist das Knochengerüst des Kopfes.
Funktion: Dorsalflexion (Fußbewegung nach Er dient als Schutz des Gehirns und wichtiger
oben), Anheben der Zehen. Sinnesorgane. Hier beginnen der Verdauungs-
2. Flexorengruppe (hinten) und der Atmungstrakt.
– Dreiköpfiger Wadenmuskel (M. triceps Der Schädel gliedert sich in Gehirnschädel und
surae) über Achillessehne am Fersenbein- Gesichtsschädel.
höcker befestigt. Er gliedert sich in Zwil-
lingswadenmuskel (M. gastrocnemius – Gehirnschädel (Neurocranium)
Caput mediale und laterale) und Schollen- Am Gehirnschädel unterscheidet man das
muskel (M. soleus). Schädeldach, die innere und äußere Schädel-
Funktion: Plantarflexion, Supination des basis und die Schädelhöhle mit dem Gehirn. Bei
Fußes, Flexion im Kniegelenk (nur M. Säuglingen ist der Gesichtsschädel durch die
gastrocnemius). fehlende Kaufunktion (dadurch unvollständig
ausgebildete Kiefer) geringer ausgeprägt.
❑
P Intramuskuläre Injektionen sind tiefe Injek-
tionen in einen Muskel. Dafür gibt es im Wesent- Knochen des Schädeldaches (Calvaria):
lichen drei Verabreichungsorte (✑ Abb. 5.42): – Scheitelbein (Os parietale),
• Deltamuskel (M. deltoideus) an der Außen- – Stirnbein (Os frontale),
seite des Schultergelenks, – Hinterhauptbein (Os occipitale).
• mittlerer Gesäßmuskel (M. gluteus medius)
im Bereich zwischen Darmbeinkamm und Knochenverbindungen
der Verbindungslinie zwischen vorderem Die Knochen des Schädeldaches werden durch
und hinterem oberem Darmbeinstachel, Knochennähte miteinander verbunden. Die
• seitlicher Oberschenkelmuskel (M. vastus wichtigsten sind:
lateralis) auf der Mitte einer gedachten Linie – Kranznaht (Sutura coronalis) zwischen Stirn-
zwischen großem Rollhügel und äußerem bein und Scheitelbeinen,
Obergelenkknorren. – Pfeilnaht (Sutura sagittalis) zwischen den
5.3 Spezielle Knochen- und Muskellehre 129
Kranznaht
(Sutura coronalis)
Stirnbein Scheitelbein
(Os frontale) (Os parietale)
Lambdanaht
(Sutura lambdoidea)
Tränenbein
(Os lacrimale) Hinterhauptbein
(Os occipitale)
Nasenbein
(Os nasale) Schläfenbein
(Os temporale)
Jochbein
(Os zygomaticum) äußerer Gehörgang
(Meatus accusticus externus)
Oberkiefer
(Maxilla) Warzenfortsatz
(Processus mastoideus)
Griffelfortsatz
Unterkiefer (Processus styloideus)
(Mandibula)
Scheitelbeinen,
– Lambdanaht (Sutura lamb-
doidea) zwischen Hinter-
hauptbein und Scheitel- Stirnbein
beinen, (Os frontale)
– Stirnnaht zwischen den Stirn- Scheitelbein
beinen (beim Erwachsenen (Os parietale)
nicht mehr zu erkennen). Schläfenbein
(Os temporale)
Fontanellen Keilbein
Fontanellen sind straffe Binde- (Os sphenoidale)
gewebsverbindungen, die nur Tränenbein
beim Neugeborenen vorhanden (Os lacrimale)
sind. Sie verbinden die Jochbein
(Os zygomaticum)
Schädeldachknochen und er-
möglichen eine Verschiebung Nasenbein
(Os nasale)
der Knochen gegeneinander. Oberkiefer
Dies ist bedeutend für den (Maxilla)
Geburtsvorgang und das Schä-
delwachstum.
Das menschliche Neugeborene
hat 2 unpaarige und 2 paarige Unterkiefer
Fontanellen. (Mandibula)
Unpaarige Fontanellen
– Vordere, große oder Stirn- Schädel (Ansicht von ventral). Abb. 5.44
fontanelle an der Vereinigung
130 5 Stütz- und Bewegungssystem
Stirnbein
Scheitelbein
vordere
Seitenfontanelle
Scheitelbein Schläfenbein
Pfeilnaht hintere Seitenfontanelle
Hinterhauptbein Hinterhauptbein
delgrube Durchtritts-
stellen für Hirnnerven Kopfhaut
sowie seitliche Teile äußere
der Schläfenlappen des Knochenhaut
(Pericranium)
Großhirns und Teile des äußere kompakte
Mittelhirns. Knochenschicht
– Die hintere Schädel- (Lamina externa)
grube wird hauptsäch- aufgelockerte
lich vom Hinterhaupt- Knochenschicht
(Diploe)
bein gebildet; liegt am
innere kompakte
tiefsten, beinhaltet Hirn- Knochenschicht
stamm und Kleinhirn. (Lamina interna)
harte Hirnhaut venöser Blutleiter
Die Grenze zwischen vor- (Dura mater encephali)
derer und mittlerer Schä-
delgrube bilden die Hinter- Schichten des Schädeldaches. Abb. 5.46
kanten der beiden kleinen
Keilbeinflügel. Mittlere
und hintere Schädelgrube
werden durch das Felsenbein getrennt. Die drei großen Knochen sind
– die paarigen Oberkieferknochen (Maxilla),
Gesichtsschädel (Viscerocranium) – der Unterkiefer (Mandibula) und
Der Gesichtsschädel besteht aus 3 großen und – das Stirnbein (Os frontale).
11 kleinen Knochen.
Hahnenkamm
(Crista galli)
vordere
Stirnbein Schädelgrube
(Os frontale)
(Fossa cranii anterior)
Siebbeinplatte
(Lamina cribrosa)
Keilbein
(Os sphenoidale)
Türkensattel
(Sella turcica)
Schläfenbein
(Os temporale)
mittlere
Felsenbein Schädelgrube
(Pars petrosa) (Fossa cranii media)
großes
Hinterhauptloch
(Foramen occipitale
magnum)
Hinterhauptbein
(Os occipitale)
hintere
Schädelgrube
(Fossa cranii posterior)
Stirnmuskel
(M. epicranius)
ringförmiger Schläfenmuskel
Augenmuskel (M. temporalis)
(M. orbicularis oculi) hinterer Sehnen-
Oberlippenheber haubenmuskel
(M. levator labii (M. epicranius)
superioris) großer Jochbein-
Nasenmuskel muskel
(M. nasalis) (M. zygomaticus
major)
Mundringmuskel
(M. orbicularis oris) Kaumuskel
(M. masseter)
Unterlippen-
herabzieher Wangenmuskel
(M. depressor labii (M. buccinator)
inferioris)
zweibäuchiger
Kinnmuskel Muskel
(M. mentalis)
(M. digastricus)
Mundwinkel- Kopfwende-
herabzieher muskel
(M. depressor
(M. sternocleidoma-
anguli oris)
stoideus)
Sehnenhaube
(Galea aponeurotica)
Stirnmuskel
ringförmiger (M. epicranius)
Augenmuskel
(M. orbicularis oculi)
kleiner Joch- Nasenmuskel
beinmuskel (M. nasalis)
(M. zygomaticus Oberlippenheber
minor) (M. levator labii
großer Joch- superioris)
beinmuskel
(M. zygomaticus
major) Mundring-
Lachmuskel muskel
(M. risorius) (M. orbicularis oris)
Unterlippen- Kinnmuskel
herabzieher (M. mentalis)
(M. depressor labii Mundwinkel-
inferioris)
herabzieher
(M. depressor
anguli oris)
Schläfenmuskel
(M. temporalis)
• Kieferschließer –
zieht Unterkiefer zurück
➠
Kaumuskel
(M. masseter)
➠
• Kieferschließer
äußerer Flügelmuskel
(M. pterygoideus lateralis)
• Kieferöffner – zieht Unterkiefer nach vorn
mittlerer Flügelmuskel
➠ ➠ (M. pterygoideus medialis)
• Kieferschließer
– der Kaumuskel (M. masseter), Kiefergelenk ein. Daneben gibt es noch weitere
– der Schläfenmuskel (M. temporalis), Muskeln (z. B. die Mundboden- und Halsmus-
– der mittlere Flügelmuskel (M. pterygoideus keln), die indirekt auf das Kiefergelenk wirken.
medialis) und Die Kaumuskeln werden durch den dreiteiligen
– der seitliche Flügelmuskel (M. pterygoideus Nerv (N. trigeminus) innerviert.
lateralis). Funktion:
Diese Muskeln verlaufen vom Schädel zum Die Kaumuskeln dienen der Zerkleinerung der
Unterkiefer und wirken unmittelbar auf das Nahrung.
24. Nehmen Sie eine Gliederung des Armes vor und ordnen Sie die entsprechenden Knochen zu.
25. Führen Sie mit Ihrem Arm folgende Bewegungen aus, und benennen Sie die beteiligten
Muskeln:
a) Flexion und Extension.
b) Abduktion und Adduktion.
26. Begründen Sie, warum das Schultergelenk relativ häufig auskugelt.
27. Welche Gebilde befinden sich
a) in der Achselhöhle,
b) in der Ellenbeuge?
28. Skizzieren Sie mit Hilfe von Strichen (= Knochen) und kleinen Kreisen (= Gelenke) ein
Schema vom Handskelett.
29. Begründen Sie die Sonderstellung des Daumens.
30. Nennen Sie die Aufgaben des Beckengürtels.
31. Beschreiben Sie den Aufbau des Beckens als Ganzes.
Unterscheiden Sie männliches und weibliches Becken.
32. Nehmen Sie eine Gliederung des Beines vor und ordnen Sie die entsprechenden Knochen
zu.
33. Vergleichen Sie den Aufbau von Arm- und Beinskelett. Formulieren Sie eine Schluss-
folgerung.
34. Beschreiben Sie Bau und Funktion
a) des Hüftgelenkes,
b) des Kniegelenkes,
c) des oberen Sprunggelenkes.
35. Wo befinden sich
a) Schenkelhals,
b) Malleolengabel?
36. Erkunden Sie am eigenen Arm und Bein die Lage und die Funktion von
a) Flexoren und Extensoren,
b) Abduktoren und Adduktoren.
37. Wo befindet sich die Achillessehne, und welche Aufgabe hat sie?
38. Prägen Sie sich genau die Stellen für intramuskuläre Injektionen ein und beschreiben Sie,
wie man diese lokalisiert.
39. Unterscheiden Sie Kopf und Schädel.
40. Beschreiben Sie den Aufbau des Hirnschädels.
41. Unterscheiden Sie Nähte und Fontanellen. – Nennen Sie deren Aufgaben.
42. Beschreiben Sie den Aufbau des Gesichtsschädels.
43. In welchen Schädelknochen befinden sich Nasennebenhöhlen, und wie heißen diese?
44. Welche mimischen Muskeln kennen Sie?
Welche Bedeutung haben die mimischen Muskeln für die Krankenbeobachtung?
45. Erkunden Sie an sich selbst die in diesem Kapitel genannten tastbaren Knochenpunkte.
137
Vordere-seitliche Bauchwand
6.1 Brustwand Die vordere und seitliche Bauchwand wird in
neun Regionen unterteilt (✑ Abb. 7.4, S. 146).
Die Brustwand umschließt die Brusthöhle als Sie besteht aus drei Schichten:
eine steife Wand. Dies ist die Voraussetzung für – oberflächliche Schicht; Cutis und Subcutis,
den rhythmischen Wechsel von Unterdruck (zur – mittlere Schicht; 4 paarige Bauchmuskeln und
Einatmung) und Überdruck (zur Ausatmung) in ihre Aponeurosen (breite, flache Sehnen),
der Brusthöhle. Die Skelettelemente sind in – innere Schicht; Fascia transversalis1) und
Abschnitt 5.3.2, S. 109 ff. beschrieben. Bauchfell.
Zu den 4 paarigen Bauchmuskeln zählen der
Muskeln gerade Bauchmuskel (M. rectus abdominis), der
Zwischen den Rippen, also im Bereich der Zwi- äußere schräge Bauchmuskel (M. obliquus exter-
schenrippenräume (Interkostalräume), liegen die nus abdominis), der innere schräge Bauchmuskel
äußeren (Musculi intercostales externi) und die (M. obliquus internus abdominis) und der quere
inneren Zwischenrippenmuskeln (Musculi inter- Bauchmuskel (M. transversus abdominis).
costales interni). Sie haben die Aufgabe, bei der
Ein- und Ausatmung die Rippen zu heben bzw. 1) Faszie zwischen der Innenfläche der Bauchwand und dem
zu senken. Bauchfell
Kopfwendemuskel
(M. sternocleidomastoideus)
kleiner
Brustmuskel
(M. pectoralis minor)
Brustbein
(Sternum) großer
Brustmuskel
(M. pectoralis major)
äußere
Zwischenrippen-
muskeln vorderer
(Mm. intercostales Sägemuskel
externi) (M. serratus anterior)
innere
Zwischenrippen-
muskeln
(Mm. intercostales
interni)
Rektusscheide Aufgaben
Die Aponeurosen der queren und schrägen – Begrenzung der Bauchhöhle und Anpassung
Bauchmuskeln bilden für die geraden Bauch- an unterschiedliche Volumina der Bauchorgane,
muskeln eine Führungs- und Gleithülle, die Rek- – Bauchpresse zur Druckerhöhung bei Stuhl-
tusscheide genannt wird. gang, Husten, Entbindung,
– Ausatemhilfsmuskel,
– Rumpfhaltung und -bewegung,
Anheben des Beckens – Schutz der Bauchorgane.
❑
P Bauchdeckenreflexe sind wich-
tige Schutzreflexe.
gerade
Bauchmuskeln Hintere Bauchwand
Die hintere Bauchwand wird ge-
bildet von der Lendenwirbelsäule,
Rumpfdrehen dem äußeren schrägen Bauchmus-
kel (M. obliquus externus abdomi-
schräge nis), dem viereckigen Lendenmuskel
Bauchmuskeln
(M. quadratus lumborum), der tie-
fen Rückenmuskulatur (M. erector
Vorneigen
spinae) und dem unteren Teil des
breiten Rückenmuskels (M. latissi-
mus dorsi) (✑ Abb. 5.29, S. 116).
Obere Bauchwand
gerade Bauchmuskeln Die obere Bauchwand ist das
Abb. 6.2 Funktionen der Bauchmuskeln. Zwerchfell (Diaphragma), das sich
kuppelförmig zwischen Brustbein,
den unteren sechs Rippen und der
Lendenwirbelsäule erstreckt. Es
trennt die Brust- von der Bauch-
gerader höhle (✑ S. 143).
Bauchmuskel
(M. rectus abdominis) Untere Bauchwand
querer Der Beckenboden ist die untere Be-
Bauchmuskel
(M. transversus grenzung des Bauchraumes. Die
abdominis) straffen Muskeln des Beckenbodens
innerer schräger halten die Eingeweide (✑ Kap. 6.4).
Bauchmuskel
(M. obliquus internus
abdominis)
äußerer schräger
6.3 Leistenregion
Bauchmuskel (Regio inguinalis)
(M. obliquus externus
abdominis) Die Leistenregion (✑ Abb. 6.5, S.
Leistenband 140) befindet sich im Winkel zwi-
(Lig. inguinale)
schen geradem Bauchmuskel und
Leistenband. Zu ihr gehören das
Leistenband (Lig. inguinale), der
Leistenkanal (Canalis inguinalis)
Muskeln der vorderen und seitlichen und zwei Lücken in der Bauchwand
Abb. 6.3 Bauchwand und Leistenregion. (Lacuna vasorum und muscu-
lorum).
6.3 Leistenregion 139
Funktion
Beim Mann verlagert sich kurz vor
der Geburt der Hoden aus der
Bauchhöhle durch den Leistenkanal
in den Hodensack (Descensus
testis). Die geringere Temperatur
außerhalb des Körpers ist für die Schematischer Verlauf der Bauchmuskeln. Abb. 6.4
spätere Funktionsaufnahme eine
unabdingbare Voraussetzung.
Im männlichen Leistenkanal befindet sich der Schwachstellen der Bauchwand
Samenstrang mit Samenleiter, Hodengefäßen Besonders empfindlich ist die Bauchwand in der
und -nerven. Leistengegend oberhalb und unterhalb des Leis-
Der weibliche Leistenkanal enthält das runde tenbandes, in der Nabelregion und den Zwerch-
Mutterband mit Gefäßen, welches vom Uterus fellöffnungen (✑ S. 143).
kommend durch den Leistenkanal zu den großen
Schamlippen zieht. ❑
P An den Schwachstellen der Bauchwand
können Brüche (= Hernien) entstehen. Unter
Lacuna vasorum und musculorum einem Bruch versteht man den Vorfall von
Beide Lücken (oder Fächer) befinden sich Eingeweideteilen, wie Darm, Harnblase, Netz,
unterhalb des Leistenbandes. Ovarien (= Bruchinhalt), in eine Vorbuchtung
Lacuna vasorum: liegt medial, Durchtritt von des Peritoneum parietale (= Bruchsack) durch
A. und V. femoralis, Lymphgefäßen und Nerven. eine Lücke der Bauchwand (= Bruchpforte). Das
Lacuna musculorum: liegt lateral, Durchtritt Peritoneum wird noch von der Haut (= Bruch-
des Hüftlendenmuskels (M. iliopsoas), N. femo- hülle) umgeben.
ralis und N. cutaneus femoris lateralis. Hernien können angeboren oder erworben sein.
Von den vielfältigen Formen der Hernien sind
❑P Bei fehlender (= Bauchhöhlenhoden) oder die Leistenhernien mit ca. 75 % die häufigsten.
unvollständiger (= Leistenhoden) Hodenwan- Hier tritt der Bruchsack mit Bruchinhalt durch
derung in den Hodensack muss dies bis zum den Leistenkanal und kann bis zum Hoden rei-
2. Lebensjahr medikamentös oder operativ chen.
behandelt werden. Die angeborene Leistenhernie tritt bei Jungen
Wird das unterlassen, kann später die Spermio- achtmal häufiger als bei Mädchen auf.
genese (Entwicklung der Samenzellen) gestört
sein, und es besteht ein erhöhtes Krebsrisiko.
140 6 Leibeswand und Beckenboden
äußerer schräger
Bauchmuskel
(M. obliquus externus viereckiger
abdominis) Lendenmuskel
(M. quadratus
lumborum)
äußerer Leistenring
(Anulus inguinalis super-
ficialis)
Darmbeinmuskel
(M. iliacus)
= äußere Öffnung
des Leistenkanals
Leistenband
Samenstrang (Lig. inguinale)
(Funiculus spermaticus)
Oberschenkelarterie Oberschenkelnerv
(A. femoralis)
(N. femoralis)
Oberschenkelvene
(V. femoralis)
Hüftnerv
(N. obturatorius)
Oberschenkelvene
(V. femoralis)
Oberschenkelarterie
(A. femoralis)
Leistenband
(Lig. inguinale)
Muskelfach unter
dem Leistenband innerer
(Lacuna musculorum) Leistenring
(Anulus inguinalis pro-
Gefäßfach unter fundus)
dem Leistenband = innere Öffnung
(Lacuna vasorum) des Leistenkanals
Samenstrang
(Funiculus spermaticus)
Der von der Leibeswand umschlossene Innen- 7.1 Brusthöhle (Cavitas thoracis)
raum ist die Leibeshöhle. Diese wird durch das
Zwerchfell scharf in Brust- und Bauchhöhle Die Brusthöhle liegt innerhalb des Brustkorbes
getrennt. Im Allgemeinen ist es jedoch üblich, und beherbergt die Brustorgane. Sie wird von
von drei großen Körperhöhlen zu sprechen: außen wie folgt begrenzt:
– der Brusthöhle, • vorn: Brustbein, Rippen,
– der Bauchhöhle und • seitlich: Rippen,
– der Beckenhöhle (kleines Becken). • hinten: Rippen und Brustwirbelsäule,
Zwischen Bauch- und Beckenhöhle gibt es keine • unten: Zwerchfell,
scharfe Grenze. Letztere ist anatomisch gesehen • oben: obere Thoraxöffnung.
ein Teil der Bauchhöhle.
Gliederung und Lage der Brustorgane
Zwerchfell (Diaphragma, ✑ Abb. 11.12, S. 223) Die Brusthöhle wird durch einen Bindegewebs-
Das Zwerchfell trennt als doppelkupplige mus- raum, Mediastinum (Mittelfellraum), in die rech-
kulös-sehnige Platte die Brusthöhle von der te und linke Pleura unterteilt. Jede Pleura enthält
Bauchhöhle. Es gliedert sich in einen sehnigen eine Lunge (✑ S. 223). Im Mediastinum liegt als
Teil (Centrum tendineum) und in drei muskulö- 3. Höhle der Herzbeutel (Perikard) mit dem
se Teile (Brustbein-, Rippen- und Lendenteil). Herzen.
Der sehnige Teil liegt zentral und bildet die rech-
te etwas höher stehende und linke Zwerchfell- Mittelfellraum (Mediastinum)
kuppel mit dem dazwischen liegenden Herzsat- Das Mediastinum ist der mittlere Brustraum. Es
tel. Alles zusammen bildet den horizontalen Teil erstreckt sich vom Sternum bis zu den Brust-
des Zwerchfelles. wirbelkörpern und wird seitlich von den Pleu-
rahöhlen begrenzt. Caudal endet es am Zwerch-
Die Zwerchfellmuskeln entspringen peripher an fell und cranial geht es ohne scharfe Grenze in
der Innenfläche des Schwertfortsatzes und der den Bindegewebsraum des Halses über.
7. – 12. Rippe sowie am 1. – 3. Lendenwirbel
und verlaufen nach oben zum Centrum tendine- Merke
um. Dadurch stülpt sich das Zwerchfell weit in Das Mediastinum ist in erster Linie eine
den Brustraum hinein, und die ihm anliegenden Durchgangsregion für die Luft- und Speise-
Bauchorgane (Leber, Magen, Milz, Nebennieren, röhre sowie Nerven, Blut- und Lymphgefäße.
Nieren) müssen den Auf- und Abbewegungen Es enthält 2 größere Organe: das Herz und
bei der Atmung folgen. Folgende Durchtritt- den Thymus (bildet sich nach der Pubertät
stellen sind wichtig (✑ Abb. 12.7, S. 240): zum thymischen Fettkörper zurück).
– Aortenschlitz (Hiatus aorticus) im Lenden-
teil für die Aorta und den Milchbrustgang
(Ductus thoracicus), Gliederung und Organe
– Speiseröhrenöffnung (Hiatus oesophageus) Das Mediastinum gliedert man in:
im Lendenteil für Speiseröhre und Vagus- Oberes Mediastinum – zwischen Luftröhren-
nerven, gabel (Bifurcatio tracheae) und Hals.
– Hohlvenenöffnung (Foramen venae cavae) Organe:
im Centrum tendineum für die V. cava inferior. • Thymus,
• große Venen (V. cava superior, Vv. brachio-
❑
P Bei Zwerchfellbrüchen (Hiatushernien) tre- cephalicae),
ten Magen- und Darmteile in den Brustraum. • große Arterien (Truncus pulmonalis, Aorten-
bogen mit seinen Abgängen),
144 7 Die großen Körperhöhlen
2. Bauchfelltaschen
Zu den Bauchfelltaschen gehören großes Netz
– der Netzbeutel (Bursa omenta- (nach oben gelegt)
lis) hinter Magen und kleinem quer verlaufender
Netz; einziger Zugang ist das Grimmdarm
(Colon transversum)
Foramen omentale unten rechts,
– die Excavatio rectouterina absteigender
Grimmdarm
(= Douglas’scher Raum) als der (Colon descendens)
tiefste Punkt des Bauchfells Dünndarmgekröse
zwischen Mastdarm und Ge- (Mesenterium)
bärmutter bei der Frau, Dünndarm
(Intestinum tenue)
– die Excavatio vesicouterina
s-förmiger
zwischen Gebärmutter und Grimmdarm
Harnblase (Frau), (Colon sigmoideum)
– die Excavatio rectovesicalis
zwischen Mastdarm und Harn-
blase (Mann).
Dünndarmgekröse (Mesenterium). Abb. 7.2
❑
P In den Bauchfelltaschen
kann sich bei Entzündungen
und inneren Blutungen Eiter
bzw. Blut ansammeln (z. B. Leber Zwerchfell
(Hepar) (Diaphragma)
bei Douglas-Abszessen).
kleines Netz
3. Gekröse (Omentum minus)
Gekröse sind Bauchfellduplika- Netzbeutel
turen, die durch das Umschlagen (Bursa omentalis)
des Peritoneum parietale von der Bauchspeicheldrüse
(Pankreas)
Körperhöhlenwand auf das Organ
Magen
entstehen. Sie werden mit „Mes“ (Gaster)
plus dem Fachnamen des Organs Gekrösewurzel
bezeichnet, z. B. (Radix mesenterii)
Magen: Mesogastricum, quer verlaufender
Dickdarm: Mesocolon, Grimmdarm
(Colon transversum)
Dünndarm: Mesenterium,
Peritoneum
Eileiter: Mesosalpinx. parietale
Dünndarmgekröse
Merke (Mesenterium)
Die Gekröse haben 2 Haupt- großes Netz
(Omentum majus)
aufgaben:
• Sie enthalten die Blut- und Gebärmutter
(Uterus)
Lymphgefäße sowie vege- Douglas’scher
tative Nerven zur Versor- Raum
gung des Organs. (Excavatio rectouterina)
• Sie dienen der Fixierung Harnblase
bzw. Aufhängung der sack- (Vesica urinaria)
artig umhüllten Organe. Excavatio Scheide Mastdarm
vesicouterina (Vagina) (Rektum)
linke
Rippenbogenregion
(Regio hypochondriaca sinistra)
rechte Magengrube
Rippenbogenregion (Regio epigastrica)
(Regio hypochondriaca dextra)
linke Lendenregion
(Regio lateralis sinistra)
rechte Lendenregion
(Regio lateralis dextra) Nabel
(Umbilicus)
Nabelregion
(Regio umbilicalis)
linke Leisten- oder
rechte Leisten- oder Darmbeinregion
Darmbeinregion (Regio inguinalis sinistra)
(Regio inguinalis dextra)
Schambeinregion
(Regio pubica)
❑
P Unter einem „akuten Bauch“, wie er in der
Klinik genannt wird, werden akute und oft
Leber
lebensbedrohliche Erkrankungen der Bauch- (Hepar)
höhle verstanden, die umgehend ärztliches Magen
Eingreifen erfordern. Als Ursachen kommen (Gaster)
z. B. infrage: Darmverschluss (Ileus), Blutun-
Grimmdarm
gen, Organperforationen und Infektionen. (Colon)
Leerdarm
Typische Leitsymptome sind (Jejunum)
– harte Bauchdecke,
– starke Schmerzen,
– Übelkeit, Erbrechen, Krummdarm
– evtl. Fieber. (Ileum)
Retroperitonealraum
Der Retroperitonealraum liegt zwischen Perito-
neum parietale und hinterer Bauchwand. Nach
caudal reicht er bis zum Beckeneingang. Er ist Intraperitoneale Organe. Abb. 7.5
wie das Mediastinum, die seitliche Halsgegend
und die Achselhöhlen eine wichtige Durchgangs-
und Verteilungsregion für Gefäße und Nerven.
Bauch-
Seine Begrenzungen sind speicheldrüse
(Pankreas)
• vorn: Peritoneum parietale, Niere
• hinten: hintere Bauchwand, (Ren)
• oben: Zwerchfell, Zwölffinger-
• unten: Beckeneingang. darm
(Duodenum)
Organe untere
Hohlvene
Der Retroperitonealraum beherbergt folgende (V. cava inferior)
Organe: Bauchaorta
– Nieren (Renes) zwischen 12. Brust- und 3. Len- (Pars abdominalis
denwirbel beidseits der Lendenwirbelsäule; aortae)
8 Hals (Collum)
Der Hals (Collum) verbindet den Kopf mit dem – Trapezmuskel (M. trapezius) als oberflächli-
Rumpf. Er gewährleistet die relativ freie Be- cher Halsmuskel.
weglichkeit des Kopfes als eine wichtige Vor-
aussetzung für die Orientierung im Raum. Unter dem M. trapezius liegt eine Vielzahl tiefer
Halsmuskeln, die teilweise auf den Kopf bzw.
Rumpf übergehen.
8.1 Bau (✑ Abb. 8.1) Speise- und Luftröhre bilden die Grenze zwi-
schen vorderen und hinteren Halsmuskeln. Zu
Der Hals besteht aus der dorsal gelegenen, sehr den vorderen Halsmuskeln zählen z. B. der
gut beweglichen Halswirbelsäule, den Hals- flächige Hautmuskel (Platysma), der Kopfwen-
muskeln, den Halseingeweiden mit Luftröhre demuskel (M. sternocleidomastoideus) und der
(✑ S. 219), Speiseröhre (✑ S. 239), Rachen Schlüsselbein-Zungenbein-Muskel (M. sterno-
(✑ S. 214), Kehlkopf (✑ S. 216), Schilddrüse hyoideus). Zu den hinteren Halsmuskeln ge-
und Nebenschilddrüsen (✑ S. 301) sowie den hören u. a. die Gruppe der Treppenmuskeln (Mm.
beiden Gefäß-Nerven-Strängen. scaleni), die auch als Atemhilfsmuskeln fungie-
ren, und der Trapezmuskel (M. trapezius).
Am Hals sind folgende Teile äußerlich zu erken-
nen bzw. zu tasten: Die Halsmuskeln ermöglichen
• Vordere Halsgegend – Hautbewegungen (Hauthalsmuskel),
– Zungenbein (Os hyoideum) = – Hals- und Kopfbewegungen
einziger Knochen ohne Verbindung mit einem (Kopfwender, Treppenmuskeln),
anderen Knochen, – Kauen und Schlucken,
– Drosselgrube (über dem Manubrium sterni), – Kehlkopfbewegungen.
– Schildknorpel („Adamsapfel“),
– Ringknorpel,
– Schilddrüse, 8.2 Leitungsbahnen
– Hauthalsmuskel (Platysma), eine breite, dünne
Muskelplatte, die die Gesichtshaut mit der 1. Arterien (✑ Abb. 9.28, S. 182)
oberen Brusthaut verbindet und die Haut des Vom Aortenbogen kommend durchqueren links
Halses spannt. und rechts zwei große Arterien den Hals.
– Die rechte und linke gemeinsame Halsarterie
• Seitliche Halsgegend (A. carotis communis dextra und sinistra),
– Halsschlagader-Dreieck (Trigonum caroticum) welche sich jeweils in eine innere und äußere
→ Puls der A. carotis communis, Kopfarterie (A. carotis interna und externa)
– Kopfwendemuskel (M. sternocleidomastoideus), teilen, und
– äußere Drosselvene (V. jugularis externa). – die rechte und linke Schlüsselbeinarterie
(A. subclavia dextra und sinistra).
❑
P Die V. jugularis externa ist für intravenöse Beachte: Hals- und Schlüsselbeinarterie ent-
Injektionen gut geeignet. springen links getrennt aus dem Aortenbogen,
Alle Hautvenen stehen unter dem Sog des Brust- rechts mit einem gemeinsamen Stamm, dem
raumes, sodass bei ihrer Öffnung die Gefahr Truncus brachiocephalicus.
der Luftembolie besteht. Die rechte und linke Wirbelarterie (A. vertebra-
lis) entspringen aus der rechten bzw. linken
• Hintere Halsgegend (= Nackengegend) Schlüsselbeinarterie, verlaufen in den Querfort-
– Dornfortsätze der Halswirbel, wichtig: satzlöchern der Halswirbel und gelangen durch
C7 als Tastpunkt (Zählwirbel ✑ S. 105), das große Hinterhauptloch in die Schädelhöhle.
150 8 Hals (Collum)
❑
P Bei degenerativen Veränderungen der Hals- Merke
wirbelsäule mit Einengung der Querfortsatz- Der Hals ist neben Achselhöhle und Leisten-
löcher können infolge Minderdurchblutung gegend eine weitere wichtige Lymphknoten-
des Innenohres Gleichgewichts- (Schwindel) station.
und Hörstörungen auftreten.
Bei Schlag gegen den Hals oder überempfind- Die Halslymphknoten werden in oberflächliche
lichem Karotissinus1) kann es durch Reizung und tiefe unterteilt. Aus den tiefen Halslymph-
der Pressorezeptoren zu plötzlichem Blut- knoten gelangt die Lymphe rechts in den Ductus
druckabfall mit Ohnmachtsanfall (Synkopen) lymphaticus dexter und links in den Ductus
kommen. thoracicus.
❑
P V. subclavia und V. jugularis interna eignen
sich sehr gut für intravenöse Infusionen (zent-
raler Venenkatheter), da es kaum Strömungs-
hindernisse gibt, der Weg zum Herzen nur kurz
und ein Katheter hier gut verschiebbar ist.
Zungenbein
(Os hyoideum)
Hauthalsmuskel Schildknorpel
(Platysma)
Ringknorpel
linke gemeinsame
Halsarterie
(A. carotis communis
Luftröhre sinistra)
(Trachea) mittlerer
rechte gemeinsame Treppenmuskel
Halsarterie (M. scalenus medius)
(A. carotis communis dextra) Armgeflecht
rechte Wirbelarterie (Plexus brachialis)
(A. vertebralis dextra) linke
innere Drosselvene Schlüsselbeinarterie
(V. jugularis interna) (A. subclavia sinistra)
zweibäuchiger
Muskel
Griffel-Zungenbein- (M. digastricus)
muskel Trapezmuskel
(M. stylohyoideus) (M. trapezius)
Zungenbein hinterer
(Os hyoideum)
Treppenmuskel
Schlüsselbein- (M. scalenus posterior)
Zungenbein-Muskel mittlerer
(M. sternohyoideus)
Treppenmuskel
Kopfwendemuskel (M. scalenus medius)
(M. sternocleidomastoideus)
vorderer
Gefäß- und Treppenmuskel
Nervenlücke (M. scalenus anterior)
(Hiatus scaleni)
9 Kreislaufsystem
Stammzellen der
Erythrozyten
Querschnitt
Stammzellen der
Granulozyten
Rote Blutzellen (Erythrozyten). Abb. 9.3
Retikulumzelle
Leukozyten
großer Lymphozyt
eosinophiler basophiler
neutrophiler
kleiner Lymphozyt
stabkerniger segment-
kerniger
großer Lymphozyt
basophiler Granulozyt
kleiner Lymphozyt
Thrombozyten
Erythrozyt
stabkerniger, Monozyt
neutrophiler Granulozyt
– Transport von Wärme entsprechend des Tem- Nachphase: Fibrinfäden ziehen sich zusam-
peraturgefälles, men (Retraktion), sodass sich die Wundränder
– Transport von Hormonen und anderen Wirk- einander nähern. Gleichzeitig entsteht aus
stoffen vom Bildungs- zum Wirkungsort zur allen geformten Bestandteilen der Blut-
chemischen Steuerung des Organismus und kuchen (= roter Thrombus). Dabei wird Serum
– Transport von Arzneiwirkstoffen. abgepresst.
Merke
9.3.2 Blutstillung (Hämostase)
Die Blutungszeit beträgt 1 bis 3 Minuten, die
Gerinnungszeit 3 bis 5 Minuten.
Die Blutstillung umfasst alle Vorgänge, die zwi-
schen dem Entstehen und dem Verschluss einer Serum ist Plasma minus Fibrinogen.
Wunde ablaufen. Sie erfolgt nur in mittleren und
kleinen Gefäßen. In größeren Gefäßen wird der Phasen der Blutgerinnung bei
entstehende Thrombus (= Blutpfropf) immer wie- kleineren und mittleren Gefäßen. Tab. 9.2
der weggespült.
Gewebeverletzung
Die Blutstillung verläuft in zwei Schritten.
1. Vorläufiger Wundverschluss (primäre Hämo-
stase)
Nach Verletzung eines Gefäßes laufen fol- Vorphase Thromboplastin
(Thrombokinase)
gende Vorgänge ab:
– Thrombozyten lagern sich an der defekten
Stelle an und verkleben. Sie bilden einen
Thrombozytenpfropf (= weißer Thrombus).
1. Phase Prothrombin Thrombin
– Gleichzeitig setzen die Thrombozyten ge-
fäßverengende Stoffe (z. B. Serotonin) frei.
– Außerdem rollt sich die Innenschicht des
verletzten Gefäßes ein. 2. Phase Fibrinogen Fibrin
Die letzten beiden Vorgänge begünstigen die
Verschlussfähigkeit. Daher kann die Blutung
bereits gestillt sein (Blutungszeit), obwohl die
Gerinnung noch nicht abgeschlossen ist Nachphase Blutkuchen
(roter Thrombus)
(Gerinnungszeit).
2. Endgültiger Wundverschluss (= eigentliche Unter dem Schutz des Blutkuchens können sich
Blutgerinnung, sekundäre Hämostase) die zerstörten Gewebe wieder regenerieren. Die
Die Blutgerinnung beginnt etwa zur gleichen Blutgerinnung erfolgt normalerweise nur im
Zeit wie die primäre Hämostase und ist der Wundbereich, weil im strömenden Blut die Kon-
wichtigste Prozess der Blutstillung. zentration der gerinnungsaktiven Stoffe zu nied-
Vorphase: Gewebeverletzung und/oder Ober- rig ist und Antithrombin die Gerinnung stoppt.
flächenkontakt führen zur Bildung von Throm-
boplastin (= Thrombokinase).
1. Phase: Das in der Leber mithilfe von Vit-
❑
P Heparin steigert die Antithrombinwirkung
amin K gebildete inaktive Prothrombin wird und wirkt deshalb gerinnungshemmend. Die
in wenigen Sekunden durch Thromboplastin, extravasale Blutgerinnung bei Blutentnahme
Ca2+ und weitere Faktoren in aktives Throm- wird durch Stoffe verhindert, die die auf
bin überführt. vielen Stufen des Gerinnungsprozesses notwen-
2. Phase: Das Thrombin wandelt das lösliche digen Ca2+-Ionen binden, wie z. B. Lösungen
ebenfalls in der Leber gebildete Fibrinogen in von Na-Citrat.
unlösliches fadenförmiges Fibrin um. Normalerweise gerinnt das Blut in unverletzten
Gefäßen nicht.
158 9 Kreislaufsystem
Nur unter bestimmten Bedingungen (z. B. Ver- 9.3.4 Blut und Immunsystem2)
änderungen der Intima1), verminderte Strö-
mungsgeschwindigkeit des Blutes, abnorme 1. Abwehrmechanismen (Überblick)
Blutzusammensetzung) bilden sich ausnahms- Jeder Organismus ist normalerweise in der
weise Gerinnsel in den Gefäßen. Lage, mithilfe seines Immunsystems körper-
Bewirken können diese Gerinnsel z. B. fremde Stoffe (z. B. Krankheitserreger oder
– Thrombose, – Embolie, andere Schadstoffe) zu erkennen und abzu-
– Herzinfarkt – Schlaganfall. wehren.
Die häufigste Veränderung der Intima der Arte- Zu diesem Zweck besitzt er verschiedene unspe-
rien ist die Arteriosklerose. Sie ist gekenn- zifische und spezifische Abwehrmechanismen,
zeichnet durch unphysiologische Fett- und wobei die Abwehr aus mehreren Stufen besteht
Kalkeinlagerungen. Dies führt zu Elastizitäts- (✑ Tab. 9.4).
verlust und Einengungen, im Extremfall bis
zum völligen Gefäßverschluss (arterielle Ver- Merke
schlusskrankheit). Unspezifische Abwehrmechanismen sind
Trotz der weiten Verbreitung sind die Ursachen gegen alle Erregerarten gerichtet, spezifische
bis heute nicht genau bekannt. Risikofaktoren nur gegen eine einzige. Beide besitzen je-
sind auf jeden Fall Rauchen, hoher Blutdruck, weils eine humorale3) und zelluläre Kompo-
hoher Cholesterinspiegel und Diabetes mellitus. nente.
Abwehrmechanismen
T-Helferzellen T-Suppressorzellen
c) Lymphatisches System
Das lymphatische System ist der hauptsäch-
liche Träger der spezifischen Abwehr.
z. B. zytotoxische Zellen Es wird gebildet
(= T-Killerzellen); – vom Lymphgefäßsystem (✑ S. 187) und
vernichten Zellen – den lymphatischen Organen.
regulieren ohne Beteiligung von
Immunreaktion Antikörpern
Rotes Knochenmark
Lymphozyt Thymus
Lymphozyten
Blutgefäß
lymphatisches
Lymphknoten Gewebe des Darmes
weiße Milz
(Pulpa)
Lymphozyten
Blutgefäß
Der Thymus bildet das Hormon Thymosin, das Form, Größe, Masse
die zelluläre Immunabwehr aktiviert. Die Milz hat die Gestalt einer großen Kaffee-
bohne. Sie ist etwa 12 cm lang, 7 cm breit und
4 cm dick. Ihre Masse beträgt 150 bis 200 Gramm.
162 9 Kreislaufsystem
Bindegewebskapsel
Milzbalken hinterer Pol
(Extremitas posterior)
rote Pulpa
(Milzsinus)
Magenfläche
(Fascies gastrica)
Schnittrand
des Lig.
gastrolienale
Milzvene
(V. splenica)
Milzarterie
(A. splenica)
Bauchspeichel-
drüsenfläche
(Fascies pancreatica)
Balkenvene
Balkenarterie rote Pulpa
(Milzsinus) Schnittrand
Pulpavene weiße Pulpa1) des Lig.
Pulpaarterie phrenicolienale
vorderer Pol
(Extremitas anterior)
1) Pulpaarterie mit Lymphscheide (T-Lymphozyten)
und Milzfollikel (B-Lymphozyten) bilden die Grimmdarmfläche
weiße Pulpa (Fascies colica)
❑
P Bei Erkrankungen des lymphatischen Sys- • ist wichtigstes Speicherorgan für Lymphozyten,
• essentielles Immunorgan für Pneumokokken.
tems kann sich die Masse der Milz auf mehre-
re Kilogramm erhöhen. Sie ist dann unter dem
Merke
linken Rippenbogen tastbar.
Eine normal große Milz ist in der Regel nicht Die Milz ist in ihrer Abwehrtätigkeit für die
palpabel. gesamte Blutbahn zuständig.
Rindensinus Lymphfollikel
= Lymphknötchen
Lymphknötchen
= Lymphfollikel Rinde
(B-Lymphozyten)
Mark mit Marksinus
Vene Bindegewebs-
stränge
Arterie
abführendes
Lymphgefäß
Hilus
❑
P Die Kenntnis der Abflussgebiete zu bestimm-
ten regionalen Lymphknoten hat klinische
Bedeutung für die Diagnostik und Therapie-
Tubenmandel kontrolle von Tumoren und Entzündungen.
(Tonsilla tubaria)
Aus den entsprechenden Gebieten gelangen
Rachenmandel Entzündungszellen bzw. Tumorzellen in die
(Tonsilla pharyngea)
Lymphbahnen und werden in den Lymph-
Öffnung der knoten zurückgehalten. Infiltrierte Lymph-
Ohrtrompete
knoten sind vergrößert und oft tastbar.
Seitenstrang
Als Lymphographie bezeichnet man die
Zunge röntgenologische Darstellung der Lymphgefä-
(Lingua)
ße und Lymphknoten mittels Kontrastmittel.
Aufgaben
• Lymphknoten sind die „Filterstation“ der
Lymphe. Im Lymphsinus ist die Strömungsge-
schwindigkeit der Lymphe vermindert. Da-
durch haben die dort vorhandenen Uferzellen
(✑ S. 165) ausgiebigen Kontakt und können
zusammen mit den Retikulumzellen Zell-
trümmer, Bakterien, Staub- und Rußteilchen
phagozytieren. Auch Krebszellen werden zu-
rückgehalten, so dass Lymphknotenmetastasen
vorderer entstehen können.
Gaumenbogen • Prägung von B- und vor allem T-Lymphozyten
hinterer für die spezifische Immunabwehr (✑ S. 166).
Gaumenbogen • Speicherung von Lymphozyten. Die Lympho-
Gaumenmandel zyten halten sich in der Regel mehrere Stun-
(Tonsilla palatina) den in einem lymphatischen Organ auf. Danach
begeben sie sich für 30 bis 45 Minuten ins
strömende Blut und gelangen dann erneut in
ein lymphatisches Organ zurück.
Lymphfollikel (= Lymphknötchen)
Als Lymphknötchen werden größere Ansamm-
Zunge lungen von B-Lymphozyten bezeichnet. Sie
(Lingua) kommen in allen lymphatischen Organen – außer
Thymus – und im Darm (= Peyer’sche Plaques)
vor.
Zungenmandel
(Tonsilla lingualis) Tonsillen (Mandeln)
Unter Tonsillen versteht man das lymphatische
Gewebe im Rachenbereich.
Alle Tonsillen bilden den lymphatischen Ra-
Gaumenmandel
chenring (Waldeyer’scher Rachenring). Er stellt
(Tonsilla palatina) einen vorgeschalteten Immunapparat dar, der das
Abwehrsystem gewissermaßen ökonomisiert. In
der Schleimhaut sitzen Makrophagen und versu-
chen, die Antigene abzufangen. Anschließend
Tonsillen bilden den wandern sie in das Innere der Tonsille zu den
Abb. 9.10 lymphatischen Rachenring. dort vorwiegend vorhandenen B-Lymphozyten.
9.3 Physiologie des Blutes 165
Merke
Auflösung + Abbau
Das Komplementsystem ist das wichtigste un-
spezifische humorale Abwehrsystem. Phagozytose. Abb. 9.11
166 9 Kreislaufsystem
an seine Zelloberfläche. Man sagt: Der Makro- plexe nicht abgebaut werden. Sie setzen sich
phage präsentiert die Antigene den Lympho- dann in bestimmten Organen (z. B. Niere, Ge-
zyten. Die Antigenpräsentation bewirkt je nach lenke) fest und rufen dort Entzündungen her-
Beschaffenheit des Antigens entweder eine vor.
Beteiligung der B- oder T-Lymphozyten.
4. Spezifische zelluläre Abwehr
Im Fall der spezifischen humoralen Abwehr Für die spezifische zelluläre Abwehr sind die
spielen die B-Lymphozyten die zentrale Rolle. T-Lymphozyten verantwortlich.
Folgende Vorgänge spielen sich ab: Folgende Vorgänge spielen sich ab:
– T-Helferzellen heften sich an die Antigene und – Die vom Makrophagen präsentierten Antigene
stimulieren die B-Lymphozyten; des Erregers aktivieren die T-Lymphozyten;
– die aktivierten B-Lymphozyten teilen sich in – die aktivierten T-Lymphozyten teilen sich in
• B-Plasmazellen und • T-Helferzellen,
• B-Gedächtniszellen; • T-Suppressorzellen (= T-Unterdrückerzellen),
– die B-Plasmazellen produzieren antigenspezi- • T-Effektorzellen (= T-Killerzellen);
fische Antikörper2) (= Immunglobuline); – die spezifischen T-Effektorzellen lagern sich an
– die spezifischen Antikörper reagieren mit den die infizierten Zellen und zerstören sie mithilfe
Antigenen, gegen die sie gebildet wurden ihrer Enzyme. Gleichzeitig produzieren sie
(= Antigen-Antikörper-Reaktion). Es entstehen Lymphokin, das die Makrophagen aktiviert,
sodass diese jetzt die Erreger abtöten
können.
Antigen Antikörper Antigen-
(z. B. Masernvirus) + gegen Antikörper-
Masernvirus Komplex
Spezifische Spezifische
humorale Abwehr zelluläre Abwehr
Antigen
Antigen
Krankheitserreger
Krankheitserreger
1. Phagozytose
der Erreger durch
쪧 Makrophagen 쪧
Makrophage Makrophage
T-Helferzelle
2. Antigenpräsentation
쪨 (Verlagerung der Antigene 쪨
an die Zelloberfläche)
쪩
B-
Lymphozyt T-Suppressorzelle
쪩 쪩
쪩 T-Helferzelle
쪩
T-Lymphozyt
3. Anlockung und
3. Anlockung und rezeptive Anheftung
rezeptive Anheftung
von T-Lymphozyten,
von B-Lymphozyten, T-Helferzellen,
T-Helferzellen und T-Suppressorzellen
Kooperation der und Kooperation der
beiden Zellarten drei Zellarten 쪪
쪪
쪪 4. Vermehrung
T-Gedächtniszelle
쪪 der B- bzw.
T-Lymphozyten Lymphokin
Antikörper (klonale Expansion) produzierende
T-Zelle
B-Gedächt- spezifische
niszelle Lymphokin
Antikörper
produzierende
Plasmazelle Lymphokin 쪪
befähigt
Makrophagen,
Erreger abzutöten
Makrophage
Antigen-Antikörper–Reaktion Antigen-Immunzellen–Reaktion
❑
P Man kennt heute ca. 400 Merkmale der Ery- weiteren Schwangerschaften zu Schädigungen
throzytenmembran, von denen die meisten eines Rh-positiven Kindes führen können. Dies
bei Bluttransfusionen bedeutungslos sind. lässt sich durch eine Serodiagnostik feststellen.
Blutgruppen
Blutgruppe A B AB 0
Agglutinogene
= Antigene der A B A, B
Erythrozyten-
membran
Agglutination Agglutinat
verschließt
A Blutgefäß
B
A B
+ +
Anti A Anti B
A B
Blutgruppentest Kreuzprobe
Blut- Spender
gruppe A B AB 0 Serum Erythrozyten
minor major
Anti A
Testserum
Anti B
Anti A
und Empfänger
Anti B Erythrozyten Serum
Bluttransfusion
1. Schwangerschaft 2. Schwangerschaft
Zygote
für den Empfänger ein Restrisiko. Das Blut eine gewisse Zeit, oftmals Wochen bis Monate,
jedes Menschen enthält ein individuell einma- sodass bei kurz nach einer Infektion entnom-
liges Gemisch verschiedener Eiweiße, und da menen Blutkonserven die Antikörperbildung
prinzipiell jedes körperfremde Eiweiß als zwar noch nicht nachgewiesen werden kann,
Antigen wirken kann, ist eine allergische sie aber dennoch infektiös ist. Aus diesen
Reaktion nie ausgeschlossen. Außerdem kön- Gründen wird die Indikation für eine Voll-
nen Krankheitserreger übertragen werden. Die blutkonserve sehr streng gestellt.
Antikörperbildung nach einer Infektion dauert
172 9 Kreislaufsystem
linker Vorhof
(Atrium sinistrum)
große Körperarterie Lungenvenen
(Aorta) (Vv. pulmonales)
zweizipflige
Stamm der Segelklappe/
Lungenarterien Mitralklappe
(Truncus pulmonalis) (Valva bicuspidalis,
Valva mitralis)
obere Hohlvene
(V. cava superior) Aortenklappe
(Valva aortae)
rechter Vorhof
(Atrium dextrum) linke
Lungenarterienklappe/ Herzkammer
(Ventriculus sinister)
Pulmonalklappe
(Valva trunci pulmonalis) Herzinnenhaut
dreizipflige (Endokard)
Segelklappe Herzmuskel-
(Valva tricuspidalis) schicht
Papillarmuskel (Myokard)
untere Hohlvene Herzaußenhaut
(V. cava inferior) (Epikard)
rechte Herzkammer Herzscheide-
(Ventriculus dexter) wand
(Septum cardiale)
Herz, ventral
rechte gemeinsame
Halsarterie
(A. carotis communis dextra)
große Körperarterie
(Aorta)
linke Lungenarterie
rechte Lungenarterie (A. pulmonalis sinistra)
(A. pulmonalis dextra)
Stamm der
rechtes Herzohr Lungenarterien
(Auricula dextra) (Truncus pulmonalis)
rechte vorderer
Herzkranzarterie Zwischenkammerast
(Ramus interventricularis
(A. coronaria dextra)
anterior)
rechte Herzkammer linke Herzkammer
(Ventriculus dexter) (Ventriculus sinister)
Herzbasis Herzspitze
Herz, dorsal
sten Hohlororganen
Herzbasis dreischichtig:
(2. Zwischenrippenraum)
Herzinnenhaut (Endo-
linke Lunge kard), Muskelschicht
(Myokard) und Herz-
außenhaut (Epikard).
äußeres Das Myokard ist ein
Herzbeutelblatt
(Perikard) kräftiger Hohlmuskel
Herzspitze aus Herzmuskelge-
(5. Zwischen- webe (✑ S. 68).
rippenraum) Seine Dicke ist der
Zwerchfell Belastung angepasst;
(Diaphragma) so ist das Vorhofmyo-
Leber kard schwächer als das
(Hepar) Kammermyokard (ein-
Magen schließlich Vorhof-
(Gaster, und Kammerseptum)
Ventriculus)
und das linke Kammer-
myokard deutlich stär-
Abb. 9.18 Lage des Herzens. ker als das rechte.
Tricuspidal-
klappe
(Valva
Pulmonalklappe tricuspidalis)
(Valva trunci pulmonalis)
rechter Vorhof
(Atrium dextrum)
Papillarmuskeln
rechte Herzkammer
(Ventriculus dexter)
Tricuspidalklappe
(Valva tricuspidalis)
„Segel“) zwischen rechtem Vorhof und rechter zeigen sich insbesondere an den Klappen. Als
Herzkammer und Folge können Herzklappenfehler entstehen.
– Mitralklappe (Valva mitralis – zwei „Segel“)
zwischen linkem Vorhof und linker Herz- Blutversorgung (✑ Abb. 9.17, S. 173)
kammer. Die Blutversorgung des Herzens erfolgt durch die
Herzkranzgefäße (Koronargefäße). Zwei Herz-
Taschenklappen (Semilunarklappen) kranzarterien entspringen aus der Aorta dicht
Die dünnen Membranen der Taschenklappen be- hinter der Aortenklappe.
stehen aus einer Doppellage der Arterieninnen- • Rechte Herzkranzarterie (A. coronaria dextra),
haut (Intima) und haben die Form von Schwal- sie verläuft in der rechten Kranzfurche nach
bennestern. Sie sind so angeordnet, dass sie vom hinten. Ihr Endast, der hintere Zwischenkam-
zurückströmenden Blut gefüllt werden, sich da- merast (Ramus interventricularis posterior),
durch aufblähen und somit die Öffnung ver- steigt in der hinteren Zwischenkammerfurche
schließen. Jede Klappe besteht aus drei Taschen. ab;
• linke Herzkranzarterie (A. coronaria sinistra).
Die Taschenklappen unterteilen wir in Sie teilt sich nach l cm in zwei Endäste:
– Pulmonalklappe (Valva trunci pulmonalis) – den vorderen Zwischenkammerast (Ramus
zwischen rechter Herzkammer und Truncus interventricularis anterior), der in der vorde-
pulmonalis sowie ren Zwischenkammerfurche herzspitzen-
– Aortenklappe (Valva aortae) zwischen linker wärts verläuft und
Herzkammer und Aorta. – den umbiegenden Ast (Ramus circumflexus),
der in der linken Herzkranzfurche nach hin-
ten verläuft.
176 9 Kreislaufsystem
❑
P Durchblutungsstörungen des Herzens sind 9.5 Gefäßsystem
relativ häufig.
Begründung: Das Herz wird durch zwei Arte- Das Gefäßsystem bildet in Verbindung mit dem
rien versorgt. Dies sind funktionelle End- Herzen ein Transportsystem, in dem das Trans-
arterien, die kaum über Anastomosen in Ver- portmittel „Blut“ in einem geschlossenen Kreis-
bindung stehen. Durch die ständige Energie lauf bewegt wird. Auf diese Weise werden den
verbrauchende Pumptätigkeit hat das Herz Zellen die zum Leben notwendigen Stoffe zu-
einen großen Durchblutungsbedarf. und die Stoffwechselprodukte abgeleitet. Man
Bei unvollständigem oder kurzzeitigem Ver- unterscheidet das Blutgefäßsystem und das
schluss kleinerer Gefäße kommt es zu hefti- Lymphgefäßsystem.
gem Thoraxschmerz, der oft in den linken
Arm ausstrahlt (Angina pectoris). Einige
Tropfen oder Spraystöße Nitroglyzerin (über 9.5.1 Blutgefäßarten
die Mundschleimhaut resorbiert) lindern
prompt die Beschwerden, weil dadurch eine Das Blutgefäßsystem ist ein geschlossenes
Erweiterung der Herzkranzgefäße erfolgt. Der System, d. h., der Inhalt (Blut) bewegt sich aus-
vollständige Verschluss eines Gefäßes (meist schließlich in den Gefäßen. Es werden folgende
durch einen Thrombus) verursacht extrem star- Blutgefäßarten unterschieden:
ke Brustschmerzen (Herzinfarkt). Das Überle- 1. Arterien. Gefäße, die das Blut vom Herzen
ben des Patienten hängt hauptsächlich davon weg transportieren. Die kleinsten Arterien
ab, wie schnell er in eine Klinik kommt und heißen Arteriolen.
dort der Thrombus durch künstliche Fibrino- 2. Venen. Gefäße, die das Blut zum Herzen hin
lyse mit Medikamenten (z. B. Streptokinase, transportieren. Die kleinsten Venen heißen
Urokinase) aufgelöst wird. Auch heute noch Venolen (oder Venulen).
sterben viele Menschen am Herzinfarkt, da bei 3. Kapillaren. Kleinste Haargefäße zwischen
einem größeren Gefäßverschluss das dahinter Arteriolen und Venolen, die dem Stoffaus-
liegende Herzmuskelgewebe irreversibel ge- tausch zwischen Blut und Zelle dienen.
schädigt wird und der Pumpvorgang nicht auf-
rechterhalten werden kann. Die Ver- und Entsorgung der Zellen erfolgt indi-
rekt über die interstitielle Flüssigkeit.
Nervenversorgung
Das Herz wird vom vegetativen Nervensystem
(sympathische und parasymphatische Herznerven) interstitielle Flüssigkeit
versorgt (✑ S. 364 ff). Bei sympathischer
Erregung steigen Herzfrequenz und Schlagkraft,
der Parasympathikus hemmt beides.
Arteriole
❑
P Viele Herzmedikamente wirken über die
Beeinflussung des vegetativen Nervensystems
(z. B. Betablocker). Venole
Kapillaren
Herzbeutel (Perikard) Gewebe
❑
P Der Herzbeutel ermöglicht die freie Beweg-
lichkeit des Herzens. Er ist wie alle serösen Stoffaustausch im Kapillargebiet. Abb. 9.21
Höhlen aus zwei Blättern aufgebaut (✑ S. 86):
– dem äußeren fibrösen parietalen Blatt (Perikard
im engeren Sinn) und Arteriovenöse Anastomosen sind Gefäßverbin-
– dem inneren serösen viseralen Blatt (Epikard), dungen zur Umgehung der Kapillaren. Sie die-
das dem Herzen anliegt. nen der Durchblutungsregulation (z. B. Verän-
Der Umschlag vom Epikard in das Perikard derung der Hautdurchblutung zur Steuerung des
befindet sich an den Ein- und Ausflussbahnen des Wärmehaushaltes.
Herzens.
9.5 Gefäßsystem 177
Kapillaren Hauptgefäß
Arteriole
Nebengefäß
Gewebe
Venole interstitielle
Flüssigkeit
Brückenanastomose
❑
P Häufigste Erkrankung der Arterien ist die Bau von Arterie und Vene. Abb. 9.24
Arteriosklerose (Arterienverkalkung).
178 9 Kreislaufsystem
Merke
❑
P Häufige Erkrankungen der Venen sind
Das Blut gelangt über Venen immer zuerst in
die Vorhöfe. Im Herzen fließt das Blut dann
Krampfadern (Varizen) als Folge schwacher
vom rechten Vorhof in die rechte und vom
Venenwände: Die Klappen schließen nur noch
linken Vorhof in die linke Herzkammer. In
unvollkommen.
der rechten Herzhälfte befindet sich O2-
armes, in der linken Herzhälfte O2-reiches
Kapillaren Blut.
Die Kapillarwand ist einschichtig und besteht
nur aus der Intima, die von einem Gitterfaser-
häutchen umhüllt wird. Der Durchmesser der Die einzelnen Organkreisläufe (z. B. Nierenkreis-
kleinsten Kapillaren ist geringer als der eines lauf) des Körperkreislaufes sind parallel geschal-
Erythrozyten, sodass diese sich nur aufgrund tet, d. h., jedes Organ erhält einen bestimmten Teil
ihrer Elastizität hindurchbewegen können. des Gesamtblutvolumens.
Jeder Organkreislauf zeigt eine bestimmte
Gefäßfolge:
9.5.2 Blutkreislauf
linke
gemeinsame Lungenarterie
Halsarterie (A. pulmonalis
(A. carotis communis) sinistra)
linke
Lungenvenen
(Vv. pulmonales
obere sinistrae)
Hohlvene
(V. cava superior) Lungenstamm-
rechter arterie
Vorhof (Truncus pulmonalis)
(Atrium dextrum) linker Vorhof
rechte (Atrium sinistrum)
Herzkammer linke
(Ventriculus dexter) Herzkammer
Leber (Ventriculus sinister)
(Hepar) Aorta
Pfortader
(V. portae)
Grimmdarm
(Colon)
untere
Hohlvene
(V. cava
inferior)
gemeinsame Oberschenkel-
Becken- oder arterie
Hüftarterie (A. femoralis)
(A. iliaca communis)
Brustaorta Bronchialarterien,
(Pars thoracica aortae) Speiseröhrenarterien, Brusteingeweide,
obere Zwerchfellarterien, Zwerchfelloberseite,
Zwischenrippenarterien. Brustwand.
Bauchaorta Unpaarige Äste:
(Pars abdominalis aortae) – Bauchhöhlenstamm
(Truncus coeliacus) mit
• linker Magenarterie, Magen, Duodenum,
• gemeinsamer Leberarterie, Leber, Milz,
• Milzarterie (A. lienalis); Bauchspeicheldrüse.
– obere Gekrösearterie Darm ab Jejunum bis
(A. mesenterica superior), Quercolon (2. Drittel).
– untere Gekrösearterie Letztes Drittel Quer-
(A. mesenterica inferior). colon bis zum oberen
Teil des Mastdarms.
Paarige Äste – Nebennierenarterien, Nebennieren,
– Nierenarterien (Aa. renales), Nieren,
– Hoden- bzw. Eierstockarterien, Hoden bzw. Eierstöcke,
– Zwerchfellarterien, Zwerchfellunterseite,
– Lendenarterien. Bauchwand.
Gemeinsame Hüftarterie
(A. iliaca communis) mit
– innerer Hüftarterie Beckenorgane
(A. iliaca interna) und
– äußerer Hüftarterie Bein
(A. iliaca externa).
Die Arterien verzweigen sich bis zu den Kapilla- Arterien des Körperkreislaufes und ihre
ren ständig weiter auf. Dabei nehmen der Gesamt- Versorgungsgebiete
querschnitt zu, Durchmesser und Wandstärke ab. Alle großen Arterien des Körperkreislaufes ent-
Ebenso verringert sich die Strömungsgeschwin- springen aus der Aorta. Die Aorta beginnt im lin-
digkeit des Blutes. ken Ventrikel und wird ihrem Verlauf entspre-
Die Organdurchblutung wird vom vegetativen chend in folgende Abschnitte gegliedert:
Nervensystem und durch Hormone dem jeweili- – Aufsteigende Aorta (Pars ascendens aortae) im
gen Funktionszustand angepasst. oberen Mediastinum.
– Aortenbogen (Arcus aortae) verläuft vom obe-
ren Mediastinum in das hintere.
9.5 Gefäßsystem 181
Schläfenarterie
(A. temporalis)
Gesichtsarterie äußere Kopfarterie
(A. facialis) (A. carotis externa)
innere Kopfarterie
(A. carotis interna)
gemeinsame
Halsarterie
(A. carotis communis)
Schlüsselbeinarterie
(A. subclavia)
Stamm
Achselarterie der Kopf-Arm-Arterie
(A. axillaris) (Truncus brachiocephalicus)
Oberarmarterie Aorta
(A. brachialis) Bauchhöhlenstamm
Nierenarterie (Truncus coeliacus)
(A. renalis) obere
gemeinsame Gekrösearterie
Hüftarterie (A. mesenterica superior)
(A. iliaca communis) untere
Speichenarterie Gekrösearterie
(A. radialis) (A. mesenterica inferior)
Ellenarterie äußere Hüftarterie
(A. ulnaris) (A. iliaca externa)
tiefer
Hohlhandbogen
(Arcus palmaris
profundus)
innere Hüftarterie
(A. iliaca interna)
oberflächlicher Oberschenkelarterie
Hohlhandbogen (A. femoralis)
(Arcus palmaris
superficialis)
Kniekehlenarterie
(A. poplitea)
vordere
Schienbeinarterie
(A. tibialis anterior) hintere
Wadenbeinarterie Schienbeinarterien
(A. fibularis) (Aa. tibiales posterior)
Fußrückenarterie
(A. dorsalis pedis)
Hinterhauptarterie
(A. occipitalis)
Speichenarterie Bauchaorta
(A. radialis) (Pars abdominalis aortae)
Ellenarterie
(A. ulnaris)
äußere Hüftarterie
(A. iliaca externa)
Oberschenkelarterie
(A. femoralis)
Kniekehlenarterie
(A. poplitea)
vordere Schienbeinarterie
(A. tibialis anterior) Wadenbeinarterie
(A. fibularis)
hintere
Schienbeinarterie
(A. tibialis posterior)
Fußrückenarterie
(A. dorsalis pedis)
Pulstaststellen
Aortenbogen
aufsteigende Aorta (Arcus aortae)
(Pars ascendens aortae)
Brustaorta •
Bauchhöhlenstamm (Pars thoracica aortae)
(Truncus coeliacus)
obere Gekrösearterie linke Nierenarterie
(A. mesenterica superior) (A. renalis sinistra)
Keimdrüsenarterie
Bauchaorta • (Hoden- bzw.
(Pars abdominalis aortae) Eierstockarterie)
gemeinsame untere
Hüftarterie Gekrösearterie
(A. iliaca communis) (A. mesenterica inferior)
äußere Hüftarterie Aortengabel
(A. iliaca externa) (Bifurcatio aortae)
innere Hüftarterie
(A. iliaca interna)
• absteigende Aorta
(Pars descendens aortae)
oberer Magen
Bauchhöhlenstamm (Gaster)
(Truncus coeliacus) Milz
(Splen, Lien)
Milzarterie
(A. lienalis)
linke Magenarterie
(A. gastrica sinistra)
gemeinsame Leberarterie
(A. hepatica communis)
Ast der A. hepatica
Leber communis
(Hepar) (A. gastroduodenalis)
Bauchspeicheldrüse Ast der A. lienalis
(Pankreas) (A. gastroepiploica)
Zwölffingerdarm rechte Magenarterie
(Duodeum) (A. gastrica dextra)
gemeinsame
Hüftvene
(V. iliaca communis)
Oberschenkelvene
(V. femoralis) äußere Hüftvene
(V. iliaca externa)
große Hautvene
(V. saphena magna) innere Hüftvene
(V. iliaca interna)
große Hautvene1)
(V. saphena magna) –
entsteht im Bereich
des Schienbeinknöchels
Kniekehlenvene1) und zieht medial am
(V. poplitea) Unter- und Oberschenkel
nach proximal
kleine Hautvene
(V. saphena parva) –
beginnt im Breich des
Wadenbeinknöchels
und verläuft an der
dorsalen Seite des
Unterschenkels zur
Kniekehle und
mündet hier in die
V. poplitea
1) Hautvenen
Venennetz des
Fußrückens Über die mit • markierten Venen bestehen
(Rete venosum dorsale Verbindungen (Anastomosen) zum Pfort-
pedis) aderkreislauf
linke
Lungenarterie
(A. pulmonalis
rechte sinistra)
Lungenarterie Lungenvenen
(A. pulmonalis (Vv. pulmonales)
dextra)
linker Vorhof
Lungenvenen (Atrium sinistrum)
(Vv. pulmonales)
Lungenarte-
rienstamm
(Truncus
pulmonalis)
rechte
Herzkammer
(Ventriculus
dexter)
Pfortaderkreislauf
Merke
Unter den Organkreisläufen des Körperkreis-
laufes nimmt der Pfortaderkreislauf eine Sonder- Unter dem Pfortaderkreislauf versteht man
stellung ein. Abbildung 9.35 verdeutlicht dies folgenden Weg des Blutes:
wie folgt: Bauchaorta
Das Blut kommt von der Bauchaorta über die ▼
Organarterien in die Kapillargebiete der unpaari- Organarterien der unpaarigen Bauchorgane
gen Bauchorgane (Magen, Darm, Bauchspei- ▼
cheldrüse, Milz). Kapillaren der unpaarigen Bauchorgane
(1. Kapillargebiet)
Hier finden folgende wichtige Vorgänge statt: ▼
Pfortader (= Sammelvene)
– Im Magen- und Darmkapillargebiet erfolgt die ▼
Resorption der Nahrungsstoffe, Leberkapillaren
– im Milzkapillargebiet die Aufnahme von Ab- (2. Kapillargebiet)
bauprodukten des Blutes und ▼
– im Bauchspeicheldrüsenkapillargebiet die Auf- Lebervenen
nahme der Hormone Insulin und Glukagon. ▼
untere Hohlvene
Das in seiner Zusammensetzung so veränderte
Blut fließt danach über die Venen der unpaarigen blut befindlichen Stoffe werden einer Kontrolle
Bauchorgane in die Pfortader (V. portae), also unterzogen, bevor sie in die anderen Organe
nicht wie üblich in die untere Hohlvene. Über gelangen.
die Pfortader gelangt es in das 2. Kapillargebiet, Die Leber verändert also das Blut deutlich, in
das der Leber. Von da strömt es schließlich über dem sie u. a.
die Lebervenen zur unteren Hohlvene. – die resorbierten Nahrungsstoffe abbaut oder
ineinander umwandelt,
Die Leber ist das wichtigste Stoffwechselorgan – toxische Stoffe (Alkohol, Medikamente) ent-
(✑ Kap. 12.6, S. 246), d. h., die im Pfortader- giftet,
9.5 Gefäßsystem 187
untere Hohlvene
linke (V. cava inferior)
Magenvene
(V. gastrica sinistra)
Pfortader
(V. portae)
Leberpforte
(Porta hepatis)
Milzvene
(V. lienalis)
rechte
Magenvene
(V. gastrica dextra)
Bauchspeicheldrüsenvenen
(Vv. pancreaticae)
obere Gekrösevene
(V. mesenterica superior)
untere Gekrösevene
(V. mesenterica inferior)
Merke
Lymphmenge
Extremitäten verlaufen die mittleren Lymphge- Sie beträgt unter normalen Bedingungen ca. 2 l/d
fäße häufig in unmittelbarer Nachbarschaft der (= 1/10 des kapillären Filtrats).
größeren Hautvenen.
Lymphtransport
Der Ductus thoracicus ist der größte Lymph- Das Lymphsystem hat im Unterschied zum
stamm. Er beginnt in Höhe des 1. Lendenwirbels Blutgefäßsystem kein Pumporgan. Der Trans-
mit einer bläschenförmigen Erweiterung port der Lymphe erfolgt durch Kontraktion der
(= Cisterna chyli) und tritt mit der Aorta durch glatten Gefäßmuskulatur und durch vorüber-
das Zwerchfell. Danach verläuft er im hinteren gehende Drucksteigerung in der Umgebung der
Mediastinum und mündet in den linken Venen- Lymphgefäße. Die mittlere Strömungsgeschwin-
winkel (= Vereinigung von V. subclavia sinistra digkeit ist dementsprechend sehr langsam.
und V. jugularis interna sinistra). Er sammelt die
Lymphe aus allen Körperteilen unterhalb des ❑
P Verschluss von Lymphgefäßen führt zu
Zwerchfelles, dem linken Arm und der linken Lymphödemen.
Brust-, Hals- und Kopfseite. Entzündungen der Hautlymphgefäße (z. B.
Der nur ca. 1 cm lange Ductus lymphaticus dex- nach Insektenstich) erkennt man an deren roter
ter mündet in den rechten Venenwinkel (Ver- Verfärbung („roter Strich“ – im Volksmund fäl-
einigung von V. subclavia dextra und V. jugularis schlich als „Blutvergiftung“ bezeichnet).
interna dextra) und sammelt die Lymphe aus
dem rechten Arm und der rechten Hals- und
Kopfseite. Aufgabe
Bevor die Lymphe in die großen Lymphgefäße Das Lymphgefäßsystem dient dem Flüssigkeits-
gelangt, passiert sie zahlreiche zwischengeschal- transport in das Venensystem, wobei gleichzeitig
tete Lymphknoten. Diese kommen an bestimm- Kontroll- und Abwehraufgaben erfüllt werden.
ten Stellen gehäuft vor (z. B. regionäre Lymph- Mittransportiert werden solche Stoffe, die die
knoten) und besitzen Filter- und Abwehrfunktion Wand der Blutkapillaren nicht passieren können
(✑ S. 163). und erst „gefiltert“ werden müssen.
Beispiele: Bakterien, Ruß, Krebszellen und
Merke Fettstoffe (werden im Dünndarm resorbiert).
Die Flüssigkeit in den Lymphgefäßen wird
als Lymphe bezeichnet und fließt in das
Venensystem.
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 189
Lymphknoten Drosselvene
hinter dem Ohr (V. jugularis)
Unterkieferlymphknoten linker
Venenwinkel
rechter Hauptlymphgang Schlüssel-
(Ductus lymphaticus dexter) beinvene
(V. subclavia)
rechter
Venenwinkel Achsellymphknoten
Achsellymphknoten Lungenhiluslymphknoten
Brustmilchgang
(Ductus thoracicus)
Cisterna chyli
Ellenbogen-
lymphknoten
Gekröselymphknoten
Beckenlymphknoten
Leistenlymphknoten
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems weitestgehend selbständig zu sein, bildet das Herz
deshalb die Erregungen selbst. Bei der Tätigkeit
Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit der Herz- des Herzens sind demnach das elektrische
tätigkeit und den speziellen Aufgaben der einzel- Geschehen (Erregung) und das mechanische
nen Gefäßarten. Geschehen (Pumptätigkeit) zu unterscheiden.
rechter Vorhof
(Atrium dextrum)
linker Vorhof
(Atrium sinistrum)
Herzskelett –
bestehend aus
4 bindegewebigen
Ringen
(Anuli fibrosi)
Sinusknoten
linke
Herzkammer
(Ventriculus
Atrioventrikular- sinister)
knoten1)
(AV-Knoten) Papillarmuskeln
His-Bündel
Kammer-
schenkel
rechte
Purkinje’sche Herzkammer
(Ventriculus dexter)
Fasern
– +
–
+
– –
+ +
+ –
Abb. 9.39 EKG-Ableitungen.
P = Vorhoferregung
Q
R = Kammererregung
S
T = Erregungsrückbildung
in der Kammer-
muskulatur
Elektrischer Impuls
Wie die Vorgänge im ❑
P Bei körperlicher Anstrengung kann das Herz-
Muskeltätigkeit Einzelnen ablaufen, minutenvolumen bis auf 20 l/min ansteigen.
ist aus der Tabelle 9.8,
Druckverhältnisse
Seite 194 und der
Abb. 9.42, Seite 195
Regelung der Herzleistung (✑ Abb. 9.41)
Klappenstellung Die Eigenrhythmik (Autonomie) des Herzens
zu ersehen.
Blutbewegung kann vom vegetativen Nervensystem (✑ S. 364)
modifiziert werden. Dadurch erfolgt die funk-
tionsgerechte Einstellung der Herztätigkeit ent-
Begleiterscheinungen der Herzaktion sprechend der Belastungssituation.
Durch den Klappenschluss erzeugte Schwingun-
gen führen zu diagnostisch verwertbaren Schall-
erscheinungen. Man unterscheidet den 1. Herz- Herzfrequenz
ton, der beim Schluss der Segelklappen am (Herzschlag pro Minute)
Systolenbeginn auftritt, und den 2. Herzton, der
beim Schluss der Taschenklappen am Diastolen-
beginn auftritt.
❑
P Störungen der Klappenfunktion (Klappen-
fehler), z. B. eine Stenose (Klappen können sich
nicht mehr richtig öffnen) oder eine Insuffizienz
(Klappen schließen sich nicht mehr vollständig)
beeinträchtigen die Pumpfunktion. Funktionsun- Parasympathicus Sympathicus
tüchtige Herzklappen können durch künstliche (N. vagus) steigert
reduziert
Klappen ersetzt werden. Stenosen (Verengun-
gen) und Insuffizienzen verursachen Schall-
erscheinungen. Sie (Töne = physiologisch, Ge-
räusche = meist pathologisch) können vom Arzt
mit dem Stethoskop abgehört werden, wobei
der Schall jeder Klappe an bestimmten Stellen
der Brustwand am besten zu hören und dadurch
meist einer bestimmten Klappe zuzuordnen ist.
Objektiviert werden können die Schallereignisse Regelung der Herzleistung. Abb. 9.41
mittels der Phonokardiographie.
194 9 Kreislaufsystem
Schlagvolumen Gleichzeitig verlagert sich die
von ca. 70 ml Ventilebene herzspitzenwärts
wird aus jeder Kammer
in die Ausflussbahnen gedrückt; Entstehung eines Soges in den
Restvolumen Vorhöfen
von ca. 70 ml Ende
verbleibt in den Kammern Füllung der Vorhöfe Kammersystole
Erregungsrückbildung Beginn
Kammerdiastole
Erschlaffung des Kammermyokards – Entspannungs-
phase
Kammerdruck fällt
– zunächst unter den Arteriendruck
Taschenklappen werden geschlossen,
sodass der Rückfluss des Blutes in die Kammern verhindert wird
– wenig später fällt der Kammerdruck unter den Vorhofdruck
– Kammer-
Segelklappen werden geöffnet füllungsphase
Ventilebene verlagert sich wieder herzbasiswärts
Blut fließt von den Vorhöfen in die Kammern
– anfangs schnell, dann langsamer
– gleichzeitig kann Blut über die Einflussbahnen in die Vorhöfe nachfließen
Vorhöfe und Kammern befinden sich während dieser Zeit in einer kurzen Ende
Ruhephase (= Erholungszeit) Kammerdiastole
9.6 Physiologie des Kreislaufsystems 195
ne
be
tile
ne n
be Ve
tile
n
Ve
Ausgangs-
situation Kammern gefüllt,
zu Beginn Anspannungsphase
Segelklappen offen,
der Systole Taschenklappen zu, isometrische
Kammerdruck fast 0 mmHg Hg
m
m Kontraktion des
80 Hg Kammermyokards,
m
5
m Segelklappen
2 fast
0 mmHg
werden geschlossen
fast
0 mmHg 80 mmHg
25 mmHg
Entspannungs- und
m
Hg Füllungsphase
m
80 Hg
m
m
2 5
10 mmHg
Hg
m
0
m Austreibungsphase
fast 13 Hg
10 mmHg 0 mmHg m
m
40 Unter- isotonische Kontraktion
fast druck des Kammermyokards,
0 mmHg
Taschenklappen werden
130 mmHg
Unter-
geöffnet, Schlagvolumen
Entspannung des Kammermyokards, druck wird ausgestoßen,
Segelklappen werden geöffnet, 40 mmHg Vorhöfe werden gefüllt
Kammern werden gefüllt
9.6.3 Funktion der Gefäße a) Das Blut strömt entlang des herrschenden
Druckgefälles im Kreislaufsystem.
Der Transport des Blutes unterliegt bestimmten b) Die Durchflussmenge ist umso größer, je grö-
physikalischen Gesetzmäßigkeiten, von denen ßer die Druckdifferenz und je geringer der
hier einige genannt werden. Strömungswiderstand ist.
Kapillaren
Kapillaren
Arteriolen
Arteriolen
Venolen
Venolen
Arterien
Arterien
Venen
Venen
[cm2 ] [%]
4000
Querschnitt 80 Volumen
3500
70
3000 63
60
2500
50
2000
40
1500
30
1000
20 15
500 12
10 3 7
[cm/s] [%]
Strömungs- Widerstand
geschwindigkeit 60
15 50 47
40
10
30 27
20 19
5
10 4 3
[mmHg] [%]
140 Blutdruck 70 Oberfläche
120 60 59
100 50
80 40
60 30 29
40 20
10
20 10
0,5 1,5
Arteriensystem
Die Arterien erfüllen zwei Auf-
gaben. Sie verteilen das Blut auf Aortenklappe
zu Entspeicherung
die Körperperipherie und ver-
wandeln die stoßweise Blutströ-
mung am Aortenanfang in eine Systole (Austreibungsphase)
annähernd kontinuierliche Strö-
mung (Windkesselfunktion).
Merke
Austreibungsphase der Aortenklappe
auf Pulswelle
Kammersystole
Ein Teil des Schlagvolumens
fließt als systolisches Ab- Windkesselfunktion. Abb. 9.44
flussvolumen sofort weiter,
ein anderer Teil wird kurz-
fristig in dem sich dehnenden Aortenab- Im Pars ascendens aortae eines jungen, gesunden
schnitt gespeichert. Es entsteht der systoli- Erwachsenen betragen die Werte durchschnittlich:
sche arterielle Blutdruckwert. • systolisch 120 mmHg1) (= 120 Torr),
• diastolisch 80 mmHg (= 80 Torr).
Diastole Der mittlere arterielle Blutdruck beträgt mithin
In der Phase des Druckabfalls zieht sich die 100 mmHg.
gedehnte Aortenwand elastisch zusammen Die Höhe des Blutdruckes hängt vor allem von
und bewirkt das Weiterfließen des Blutes in 3 Faktoren ab:
Richtung Kapillaren. Es entsteht der diastoli- – von der Pumpkraft des Herzens,
sche arterielle Blutdruckwert. – von der Größe des Schlagvolumens und
– vom peripheren Widerstand (Gefäßquerschnitt,
Elastizität und „Glattheit“ der Gefäßwand).
Blutdruck
Der in den Blutgefäßen und Herzinnenräumen
herrschende Druck heißt Blutdruck. Merke
Der systolische arterielle Blutdruck hängt
Beim Blutdruckmessen werden 2 arterielle Blut- hauptsächlich vom Herzminutenvolumen und
druckwerte ermittelt; der systolische arterielle der diastolische arterielle Blutdruck vom
Blutdruckwert, der während der Austreibungs- peripheren Widerstand in den Arteriolen ab.
phase der Kammersystole entsteht, und der dias-
tolische arterielle Blutdruckwert, der während
der Kammerdiastole vorherrscht. 1) mmHg = Millimeter Quecksilbersäule
198 9 Kreislaufsystem
Daraus folgt:
Organdurchblutung muss angepasst werden
Lymphkapillare
Lymphe
2 l/d
28 mmHg 28 mmHg
= effektiver Filtrationsdruck: = effektiver
37 mmHg – 28 mmHg = Reabsorptionsdruck:
9 mmHg 28 mmHg – 22 mmHg = 6 mmHg
Folge: Filtration 20 l/d Folge: Reabsorption 18/d (Auswärtsfiltration)
= Flüssigkeitsbewegung
Inspiration Exspiration
Venendruck Venendruck
fällt steigt
Venen Venen
erweitert verengt
Sog- und Druckwirkung bei der Inspiration und Exspiration. Abb. 9.47
Venenklappen
geöffnet
Venen verengt Kammersystole
Venenklappen
geschlossen untere Hohlvene
Arterie
Sogwirkung der Vorhöfe
Abb. 9.48 Arterien-Venen-Kopplung. während der Kammersystole. Abb. 9.50
❑
P Beim Wechsel vom Liegen zum Stehen
(Orthostase1)) kann ein Teil des Blutes – vor
allem aus dem Lungenkreislauf – in den
Abb. 9.49 Muskelpumpe.
Beinvenen „versacken“ und unter Umständen
zum orthostatischen Kollaps führen.
1) aufrechte Körperhaltung
202 9 Kreislaufsystem
Merke
Tab. 9.10 Regulation der Organdurchblutung. Durch lokale
Regulation ist
Erhöhung des Durchblutung der Organismus
ng Strömungswiderstandes gemindert in der Lage, die
gu
Ve ren Organdurchblu-
Gefäß tung schnell,
Erw aber nur bis zu
ei t
eru
einem gewissen
ng Verringerung des Durchblutung Grade anzupas-
Strömungswiderstandes verbessert sen.
➞
arterieller Blutdruck arterieller Blutdruck
Druckrezeptoren (Pressorezeptoren)
(in Aorta, A. carotis, Ventriculus sinister)
➞
➞➞
➞
(Vasodilatation) Schlagvolumen (Vasokonstriktion) Schlagvolumen
➞
➞
Adrenalin Plasmavolumen
Renin
Noradrenalin Na+
➞
Angiotensin II Durstgefühl
➞
(GFR)
Blutdruck Niere
Na+-Rückresorption
❑
P Versagen der Kreislaufregulation bedeutet, Bei den beschriebenen Regulationsmöglichkei-
dass lebenswichtige Organe zu wenig durch- ten sind die schnelle Regelung über das vegetati-
blutet werden. Dies kann nach Blutverlust ve Nervensystem und die langsame Regelung
und bei orthostatischem Kreislaufversagen mithilfe von Hormonen und anderen Wirkstoffen
auftreten. zu unterscheiden (✑ Tab 9.14).
l. Definieren Sie den Begriff Kreislaufsystem und geben Sie einen Überblick über dessen
Funktionen.
2. Geben Sie einen Überblick über die Zusammensetzung des menschlichen Blutes.
3. Beschreiben Sie den Bau eines Erythrozyten und nennen Sie die Hauptfunktion.
Was ist der Hämatokrit?
4. Welche Arten von Leukozyten kennen Sie?
5. Wie ist ein Thrombozyt gebaut?
6. Wo werden die Blutzellen gebildet bzw. abgebaut?
7. Geben Sie die Normalwerte der Blutzellen an.
8. Nennen Sie die Bestandteile des Blutplasmas und erläutern Sie deren Funktion.
9. Welche Funktionen hat das Blut?
10. Beschreiben Sie die Vorgänge, die zum Verschluss eines verletzten kleineren Blutgefäßes
führen.
11. Warum kann es wegen einer Gerinnungsstörung zu einer Verschiebung des OP-Termines
kommen?
12. Wie kann man die Blutgerinnung bei Blutentnahmen am günstigsten verhindern?
13. Was versteht man unter der Fibrinolyse und wie läuft sie ab?
14. Welche Beziehungen bestehen zwischen Blut und Immunsystem?
15. Nehmen Sie eine Einteilung der verschiedenen Abwehrmechanismen vor.
Begründen Sie den Zusammenhang zwischen äußerem Schutzwall und persönlicher
Hygiene.
16. Welche Aufgaben erfüllen die verschiedenen Leukozytenarten?
17. Was gehört zum lymphatischen System und welche Aufgabe hat es zu erfüllen?
18. Beschreiben Sie Bau, Lage und Aufgaben von
a) Thymus,
b) Milz,
c) Lymphknoten.
19. Kann der Mensch ohne Milz leben? – Begründen Sie Ihre Antwort.
20. Was sind regionäre Lymphknoten und welche Bedeutung haben sie?
21. Was versteht man unter dem Waldeyer’schen lymphatischen Rachenring?
22. Was verstehen Sie
a) unter unspezifischer und
b) unter spezifischer Abwehr?
23. Unterscheiden Sie Allergie und immunologische Toleranz.
24. Was versteht man unter Immunisierung und welche praktische Bedeutung hat sie?
25. Charakterisieren Sie
a) das AB0-System, b) das Rhesussystem.
26. Erläutern Sie die Problematik von Organtransplantationen.
27. Beschreiben Sie Lage und Bau des Herzens.
28. Welche Gefäßarten bilden das Gefäßsystem?
29. Beschreiben Sie den Wandaufbau der Gefäßarten.
30. Was sind Anastomosen und welche Bedeutung haben sie?
31. Erläutern Sie den Blutstrom durch das Herz.
32. Beschreiben Sie Lungen- und Körperkreislauf.
33. Warum spricht man von Lungenarterien, obwohl diese Gefäße venöses Blut führen?
34. Wie erfolgt die Blutversorgung
a) des Kopfes, b) der Arme,
c) der Bauchorgane, d) der Beckenorgane,
e) der Beine?
206 9 Kreislaufsystem
Organe der Brust- und Bauchhöhle Organe der Brust- und Bauchhöhle
Gehirn Muskulatur
Haut, Muskulatur Rest
Rest
10 % 16 % 8% 2 %
18 %
90 %
56 %
Gehirn ATP
Körperkern-
Thoraxorgane temperatur 37 ˚C
Bauchorgane
28 ˚C
ADP + P
Körperschalen-
31 ˚C temperatur
Hypothalamus –
Temperaturregulationszentrum
on
m ati
or
Inf
Haut
Rückenmark
Blutgefäße
Haut
Schweißdrüse
eng weit
➠
➠
Schweiß Schweiß
kann Wärme nur noch durch Verdunstung abge- Vorgänge bei Temperaturanstieg über den
geben werden. Sollwert:
Die Wasserabgabe erfolgt durch Diffusion, Die Wärmeabgabe wird erhöht durch
wobei man 2 Formen unterscheidet: – Erweiterung der Hautblutgefäße und damit
1. Perspiratio insensibilis (= extraglanduläre Forcierung des inneren Wärmestroms sowie
Wasserabgabe), die nicht steuerbare tempera- – vermehrte Schweißbildung.
turabhängige Wasserabgabe durch Haut und
Atmung (normal: 0,5 – 1 l/d). Vorgänge bei Temperaturabfall unter den
2. Perspiratio sensibilis (= glanduläre Wasser- Sollwert:
abgabe), die durch das vegetative Nerven- Die Regulation erfolgt hauptsächlich durch zwei
system steuerbare Wasserabgabe – Schwitzen Mechanismen.
(normal: 0,5 l/d). – Drosselung der Wärmeabgabe durch Engstel-
lung der Hautblutgefäße und damit Vermin-
❑
P Die Wasserverdunstung ist ein stark Energie derung des inneren Wärmestroms.
verbrauchender Vorgang, d. h., dass beim Ver- – Erhöhung der Wärmeproduktion durch Muskel-
dunsten relativ geringer Wassermengen dem zittern („Zittern vor Kälte“) und willkürliche
Körper relativ viel Wärme entzogen wird. Da Muskelbewegungen.
die Wärme vorwiegend über die Haut abge- Wie bereits erwähnt, besitzt das Neugeborene in
geben wird, hat das Verhältnis zwischen Form der zitterfreien Wärmebildung im braunen
Körperoberfläche und -volumen große Be- Fettgewebe eine zusätzliche Regulationsmög-
deutung. lichkeit.
Beim Säugling ist die Körperoberfläche im
Verhältnis zum Körpervolumen größer als Merke
beim Erwachsenen, folglich kühlt er sehr leicht
Die Mechanismen zur Regulation der Körper-
aus.
temperatur sind Verengung (Vasokonstrik-
tion) und Erweiterung (Vasodilatation) der
Regulation der Körpertemperatur Hautblutgefäße, Schweißsekretion und Ver-
Die Thermoregulation erfolgt über einen biologi- änderung der Wärmebildung.
schen Regelkreis. Das Temperaturregulations- Diese Mechanismen können sehr schnell aus-
zentrum liegt im Hypothalamus des Zwischen- gelöst werden, d. h. innerhalb von Sekunden
hirns und speichert den Sollwert (normal 37 °C). oder Minuten.
Durch Thermorezeptoren in der Haut, im
Rückenmark und im Hypothalamus erfolgt die Neben den beschriebenen schnellen Anpassungs-
Messung des Istwertes, der dem Zentrum zum vorgängen gibt es auch langfristige. Diese phy-
Vergleich mit dem Sollwert zugeleitet wird. siologischen Adaptationen werden als Akkli-
matisation bezeichnet.
Wärmeregulationszentrum
35 36 37 38 39 40 41
Sollwert Fieber
Hautblutgefäße
Schweißsekretion Wärme- und Kälte-
Körperkerntemperatur rezeptoren in
Wärmebildung Körperschale und -kern
Verhalten
10.2 Wärmeproduktion und Wärmeabgabe 211
Am bedeutsamsten ist die Hitzeadaptation bei infolge Überlastung der Wärmeproduktion unter
schwerer körperlicher Arbeit und hohen Um- normal wird als Hypothermie bezeichnet. Bei
gebungstemperaturen bzw. bei in den Tropen Körpertemperaturen um 25 °C erlöschen die
lebenden Menschen. Die Anpassung beruht vor Reflexe des Nervensystems und es tritt der Tod
allem auf einer Verdreifachung der Schweiß- durch Herzflimmern ein.
sekretion, die aufgrund der nach unten verscho-
benen Reizschwelle schon bei niedrigeren Kör- Bei älteren Menschen kann es dazu kommen,
pertemperaturen einsetzt. Außerdem nimmt der dass ihre Körpertemperatur infolge Senkung des
Elektrolytgehalt des Schweißes ab. Sollwertes im Temperaturregulationszentrum
Hitzeadaptation bedeutet, dass der Betroffene (Gegenteil von Fieber) niedriger (z. B. auf 35 °C)
mehr trinken muss, um seinen Flüssigkeits- eingeregelt wird.
haushalt auszugleichen.
Die Hitzeadaptation bewahrt den Menschen vor ❑
P Hypothermie kann als medizinisches
einem Hitzekollaps, d. h. einer Überlastung des Verfahren auch künstlich herbeigeführt werden
Kreislaufes (kritischer Anstieg von Herzfre- mit dem Ziel, die Stoffwechselvorgänge herab-
quenz und Hautdurchblutung). zusetzen und die Reflexe zu dämpfen. Dadurch
werden tiefgreifende operative Eingriffe z. B.
Fieber in der Herzchirurgie ermöglicht.
Als Fieber bezeichnet man eine Erhöhung der
Körpertemperatur, z. B. bei Infektionen. So ge-
nannte fiebererregende (pyrogene) Stoffe bewir-
ken im Temperaturregulationszentrum, dass der
Sollwert der Körpertemperatur höher gestellt
wird.
❑
P Tritt die Differenz zwischen Ist- und neuem
Sollwert (= Fieberwert) plötzlich auf, kommt
es zum Schüttelfrost.
1. Welche Bedeutung hat die Temperatur für den Ablauf der Körperfunktionen?
2. Unterscheiden Sie Körperkerntemperatur und Schalentemperatur.
3. Welchen Wert hat die normale Körpertemperatur des Menschen?
4. Welche Möglichkeiten der Temperaturmessung kennen Sie?
Nennen Sie Vor- und Nachteile der verschiedenen Messmethoden.
5. Welche Bedeutung haben Wärmeproduktion und Wärmeabgabe bei der Konstanthaltung
der Körpertemperatur?
6. Erklären Sie die Regulation der Körpertemperatur.
7. Begründen Sie, warum Fieber mit Frieren beginnt.
213
11 Atmungssystem
Das Atmungssystem dient der Aufnahme von rer und mittlerer Nasenmuschel;
Sauerstoff und der Abgabe von Kohlendioxid. untere Nasenmuschel (= selbständi-
Diesen Gasaustausch, bei dem die Lunge eine ger Knochen). Die Nasenmuscheln
zentrale Funktion übernimmt, bezeichnet man dienen der Oberflächenvergröße-
als äußere Atmung. Sie ist die Voraussetzung für rung.
den oxidativen Abbau energiereicher Stoffe • Boden: Gaumen (Palatum), der gleichzeitig
(z. B. Glucose) zum Zweck der Energiebereit- Dach der Mundhöhle ist (✑ S. 238)
stellung und somit für die innere Atmung, deren
Vorgänge in den Zellen ablaufen. Unter jeder Nasenmuschel befindet sich ein
Nasengang. Die Grenze zwischen Nasenhöhle
und Rachen bilden die beiden Choanen (hintere
11.1 Gliederung Öffnungen der Nase). Durch feine Kanäle ist die
Nasenhöhle mit den Nasennebenhöhlen (Sinus
Das Atmungssytem besteht aus den oberen und paranasales) verbunden (✑ Abb. 11.3, S. 214 und
unteren Luftwegen. Abb. 11.4, S. 215). Die Belüftung dieser Höhlen
erfolgt mit der Atmung. Eine weitere Verbindung
Nase obere Luftwege besteht vom unteren Nasengang zur Augenhöhle
Rachen durch den Tränennasengang (Ductus nasolacri-
Kehlkopf malis). Auf diesem Weg wird die Tränenflüssig-
Luftröhre untere Luftwege keit in die Nasenhöhle abgeleitet.
Bronchialbaum
Lunge
Merke
Der Naseninnenraum gliedert sich in den
Nasenvorhof (Vestibulum nasi) und die
11.2 Bau der Atmungsorgane Nasenhöhle (Cavum nasi) mit Nasen-
muscheln und Nasengängen.
11.2.1 Nase (Nasus)
Nasenschleimhaut
Die die Nasenhöhle auskleidende Schleimhaut
teilt sich in 2 Bereiche:
1. respiratorische Schleimhaut (Regio respiratoria) Stirnhöhle
Sie bedeckt den größten Teil der Nasenhöhle (Sinus frontalis)
und ist gekennzeichnet durch
Siebbeinhöhle
• mehrreihiges (Sinus ethmoidalis)
Flimmerepithel, oder
• zahlreiche ➝ Reinigung Siebbeinzellen
➝ Anfeuchtung (Cellulae
Becherzellen ethmoidales)
• Venengeflechte ➝ Erwärmung
Kieferhöhle
(Sinus maxillaris)
2. Riechschleimhaut (Regio olfactoria)
Sie befindet sich oberhalb der oberen Nasen-
muscheln und enthält die Lage der Nasennebenhöhlen
• Riechzellen, von denen fadenförmige Ner- (Sinus paranasales). Abb. 11.3
ven durch die Siebbeinplatte zum Gehirn
ziehen (N. olfactorius = I. Hirnnerv;
✑ S. 354). Kehlkopf und die Mundhöhle mit der Speise-
röhre. Damit kreuzen sich in ihm Luft- und
Speiseweg. Der Rachenraum wird ohne scharfe
11.2.2 Rachen (Pharynx) Grenzen in drei übereinander liegende Abschnitte
gegliedert (✑ Tab. 11.1).
Der schlauchförmige Rachenraum (✑ Abb. 11.4
und 11.5) verbindet die Nasenhöhle mit dem Merke
Der Rachen hat 7 Öffnungen:
• 2 Choanen
Nasenhöhle → Nasenhöhle,
(Cavitas nasi) • 2 Öffnungen
Nasenvorhof der Ohrtrompeten
(Vestibulum nasi) → Mittelohr,
Rachenraum • Schlundenge
(Pharynx)
Kehlkopf
→ Mundhöhle,
(Larynx) • Kehlkopfeingang
Luftröhre → Kehlkopf,
(Trachea) • Speiseröhrenöffnung
→ Speiseröhre.
Rachenschleimhaut
Entsprechend der unterschiedlichen
Beanspruchung enthält sie Flimmer-
Mittelfellraum epithel mit Becherzellen im Nasen-
(Mediastinum)
abschnitt und mehrschichtiges unver-
Lungen horntes Plattenepithel im Mund- und
(Pulmones)
Zwerchfell Kehlkopfabschnitt.
(Diaphragma)
Siebbeinplatte
Stirnhöhle (Lamina cribrosa)
(Sinus frontalis)
Keilbeinhöhle
obere Nasenmuschel (Sinus sphenoidalis)
(Concha nasalis superior)
oberer Nasengang
mittlere Nasenmuschel (Meatus nasi superior)
(Concha nasalis media)
mittlerer Nasengang
untere Nasenmuschel (Meatus nasi media)
(Concha nasalis inferior)
Rachenmandel
Oberkiefer (Tonsilla pharyngea)
(Maxilla)
unterer Nasengang
Mundhöhle (Meatus nasi inferior)
(Cavitas oris)
Nasenrachen
Zunge (Pars nasalis pharyngis)
(Lingua)
Mundrachen
Unterkiefer (Pars oralis pharyngis)
(Mandibula)
Zungenwurzel
Zungenbein (Radix linguae)
(Os hyoideum)
Kehldeckel Unterrachenraum
(Epiglottis) (Pars laryngea pharyngis)
Kehlkopfeingang
Schildknorpel
(Cartilago thyroidea) Speiseröhre
Luftröhre (Ösophagus)
(Trachea)
Dorsalansicht Lateralansicht
Zungenbein Zungenbein
(Os hyoideum) (Os hyoideum)
Kehldeckel
(Epiglottis)
Kehldeckel
Schildknorpel- (Epiglottis)
Zungenbein-
Membran Schildknorpel
(Membrana (eröffnet)
thyrohyoidea)
Stellknorpel
Schildknorpel
Stimmbänder
Stellknorpel
Ringknorpel
Ringknorpel
Luftröhre
(Trachea)
Stellknorpel
Schildknorpel
Ringknorpel
• Unterer Abschnitt – subglottischer Raum falten zur Innenseite des Schildknorpels. Die
(Cavitas infraglottica) zwischen Stimmfalten Öffnung zwischen Stimmbändern (vorn) und
und Luftröhrenbeginn. Stellknorpeln (hinten) ist die Stimmritze.
❑
P Bei Entzündungen der
Stimmfalten entsteht Hei- Bronchial-
baum
serkeit. (Anfang)
Auch das Kehlkopfkarzi-
nom (Kehlkopfkrebs) be- linker
Hauptbronchus
ginnt häufig an den rechter (Bronchus principalis sini-
Stimmfalten. Bei länger Hauptbronchus ster)
(Bronchus principalis dexter)
bestehender Heiserkeit
sollte deshalb immer ein
Arzt aufgesucht werden. Wandschichten
äußere lockere
Bindegewebe-
schicht
11.2.4 Luftröhre (Trachea) lichte Weite
(Adventitia)
(Lumen) hufeisenförmige
Lage und Nachbarschafts- Knorpelspange
beziehungen Schleimhaut (Cartilago trachealis)
(Tunica mucosa
Die Luftröhre eines Erwach- respiratoria) Hinterwand
senen ist ca. 12 Zentimeter (bindegewebig-
lang und verbindet den Kehl- muskuläre Membran)
kopf mit dem Bronchial- Speiseröhre
baum. Sie schließt sich dem (Ösophagus)
Ringknorpel des Kehlkopfes
an und endet in Höhe des 4.
Brustwirbels mit der Tei- Luftröhre. Abb. 11.9
lung in die beiden Haupt-
220 11 Atmungssystem
bronchien. Die Teilungsstelle ist die Luftröhren- Lunge ist weich, elastisch und schwammig. Die
gabel (Bifurcatio tracheae). Nach der Lage Lungen sind die relativ leichtesten Organe. Die
unterscheiden wir 2 Hauptabschnitte: Farbe der Lungenoberfläche ist beim Neugebo-
– Halsteil renen rosa, später wird sie durch die Ablagerung
Der Halsteil befindet sich vor der Speiseröhre. von Rußteilchen zunehmend fleckig (rötlich,
Davor und seitlich liegt die Schilddrüse. grau bis schwarz). Die Lungen erhalten ihre
– Brustteil Form durch die Anlagerung über die Pleura an
Hier verläuft die Luftröhre im oberen Medias- die Innenwände des Thorax und das Zwerchfell.
tinum zwischen den großen Blutgefäßen und
vor der Speiseröhre. An jeder Lunge erkennt man
• Lungenbasis: liegt auf der Zwerchfell-
Bau kuppel (= Zwerchfellseite);
Die Wände der luftleitenden Wege sind versteift, • Lungenspitze: überragt die 1. Rippe;
damit sie durch den bei der Einatmung entste- • Lungenhilus: an der medialen Seite zum
henden Sog nicht zusammengepresst werden. Mediastinum hin gelegen, Eintritts- bzw.
Dies geschieht bei der Trachea durch 16 bis 20 Austrittsstelle von Hauptbronchus (Bronchus
hufeisenförmige Knorpelspangen. An der principalis), Lungenarterie (A. pulmonalis),
Hinterwand wird sie durch eine bindegewebig- Lungenvenen (Vv. pulmonales), Lymph-
muskuläre Membran verschlossen. gefäßen und Nerven; hier liegen auch die
Ringbänder verbinden die Knorpelspangen elas- Hiluslymphknoten;
tisch miteinander. • Rippenseite: liegt den Rippen an.
❑
P Beim Transport der Nahrung dehnt sich die
Gliederung der Lungen (✑ Tab. 11.2)
Speiseröhre, sodass die Luftröhre eingedrückt Entsprechend der Gliederung des Bronchial-
wird. baumes (✑ Abb. 11.11, S. 222) ergibt sich die
Gliederung der Lungen in Lappen, Segmente
Die Schleimhaut enthält mehrreihiges Flimmer- und Läppchen.
epithel und im tieferen Bereich (Submucosa)
zahlreiche Schleimdrüsen. Bronchialbaum
Als Bronchialbaum bezeichnet man die Ge-
samtheit der Bronchien und Bronchiolen. Er bil-
det die Fortsetzung der Luftröhre. Im Einzelnen
11.2.5 Lungen (Pulmones) sind folgende Abschnitte zu unterscheiden:
– linker und rechter Stamm- oder Haupt-
In den Lungen findet der Gasaustausch statt. bronchus (Bronchus principalis sinister und
Dies wird durch die Lungenbläschen (Alveolen) dexter) als Aufzweigung der Trachea;
ermöglicht, die eine hinreichend große Aus- – Lappenbronchien – der rechte Stammbronchus
tauschfläche (ca. 100 m2) garantieren. Das mus- zweigt sich in 3 und der linke in 2 Lappen-
kelfreie Lungengewebe der rechten und linken bronchien auf;
Lungenläppchen
11.2 Bau der Atmungsorgane 221
Oberlappen Oberlappen
(Lobus superior) (Lobus superior)
Mittellappen
(Lobus medius)
Unterlappen Unterlappen
(Lobus inferior) (Lobus inferior)
1 1 1 1
2 2
2
2 3
3 3 6
3 6 6
6 4 4
4 5 5
7 10 10 9 10
5 8 5 8
9 8
10 8 9 2 Segmente 9
des
5 Segmente des Unterlappens Mittellappens 4 – 5 Segmente des Unterlappens
rechter linker
Oberlappen Oberlappen
(Lobus superior (Lobus superior
dexter) sinister)
rechter oberer
Lappenbronchus linker oberer
(Bronchus lobaris Lappenbrochus
superior dexter) (Bronchus lobaris
rechter superior sinister)
Mittellappen Segment-
(Lobus medius dexter) bronchien
rechter mittlerer (Bronchi segmentales)
Lappenbronchus
(Bronchus lobaris
medius dexter)
rechter linker
Unterlappen Unterlappen
(Lobus inferior dexter) (Lobus inferior sinister)
Luftröhrengabel
(Bifurcatio tracheae)
mikroskopische Darstellung
Eingeweide-
teil der Eingeweide-
Pleura teil der Pleura
(Pleura (Pleura
visceralis) visceralis)
Pleurahöhle Wandteil der
(Cavitas
pleuralis) Pleura
(Pleura
parietalis)
Rippen
(Costae)
Zwerchfell Pleurahöhle
(Diaphragma) (Cavitas pleuralis)
Rippenfell
(Pleura parietalis)
Merke
Brustraumerweiterung und -verengung ent-
stehen durch das Wirken der Atemmusku-
Der im Zusammenhang mit der Energiefrei- latur.
setzung bzw. biologischen Oxidation notwen-
dige O2- und CO2-Transport (auch Gasaus-
tausch genannt) zwischen Umwelt und Zellen Die Atemmuskulatur gliedert sich in Ein- und
wird als äußere Atmung bezeichnet. Ausatemmuskeln.
Einatemmuskeln (Inspirationsmuskeln)
Der gesamte Prozess der Atmung lässt sich a. Zwerchfell (Diaphragma)
untergliedern in: Das Zwerchfell ist der Haupteinatemmuskel.
– Atembewegungen, Bei seiner Kontraktion flacht es ab und bewegt
– Gasaustausch, sich wie ein Zylinderkolben im Thorax nach
– Atemgastransport und caudal. Dabei kommt es auch zu einer Ver-
– Regulation der Atmung. lagerung der Bauchorgane.
11.3 Physiologie der Atmung 225
Inspiration Exspiration
Unterdruck Überdruck
äußere äußere
Zwischen- Zwischen-
rippenmuskeln rippenmuskeln
Zwerchfell Zwerchfell
Kontraktion Erschlaffung
Atmungstypen Einatemhilfsmuskeln
Wie bereits beschrieben, erfolgt die Erweiterung – Treppenmuskeln (Mm. scaleni)
des Brustraumes einerseits durch Senkung des – Kopfwendemuskel (M. sternocleidomastoide-
Zwerchfells und andererseits durch Hebung der us) bei fixiertem Kopf
Rippenbögen. Dementsprechend werden zwei – Vorderer Sägemuskel (M. serratus anterior)
Atmungstypen unterschieden. und kleiner Brustmuskel (M. pectoralis minor)
bei fixiertem Schulterblatt
abdominaler thorakaler – Großer Brustmuskel (M. pectoralis major) bei
Atmungstyp Atmungstyp aufgstützten Armen
Brustraumvergrößerung erfolgt hauptsächlich
durch ... Ausatemhilfsmuskeln
– Alle Bauchmuskeln bei fixiertem Becken.
... Zwerchfellsenkung ... Heben der – Hinterer Sägemuskel (M. serratus posterior).
Rippenbögen – Breiter Rückenmuskel (M. latissimus dorsi).
❑
P Bei Atemnot: Die Arme angewinkelt hinter
den Kopf heben. Hierdurch wird eine zusätzli-
che Zugwirkung auf den Brustkorb durch die
Atemhilfsmuskeln erreicht.
kleiner Merke
Brustmuskel
(M. pectoralis Die Pleura gewährleistet die Übertragung der
minor) Thorax- und Zwerchfellbewegung auf die
vorderer Lunge.
Sägemuskel
(M. serratus
anterior) ❑
P Wird durch Verletzung oder Krankheit die
Pleurahöhle geöffnet, sodass Luft einströmt,
zieht sich die Lunge infolge eigener Elasti-
zität zusammen. Es entsteht ein Pneumo-
thorax (✑ Abb. 11.15) und Atemnot.
Abb. 11.14 Einatemhilfsmuskeln.
11.3 Physiologie der Atmung 227
Merke
Die Ventilationsgröße hängt vom Atemzug-
volumen (= Atemtiefe) und von der Atem-
frequenz (Anzahl Atemzüge pro Minute) ab.
Das Produkt aus beiden Größen heißt Atem-
minutenvolumen.
Lufteinstrom Lunge kollabiert Beispiel:
16 Atemzüge pro Minute x 500 ml Atemzug-
Öffnung der Pleurahöhle volumen ergeben
Abb. 11.15 (Pneumothorax). = 8 Liter min-1 als Atemminutenvolumen.
Lungenvolumina
Lungenbelüftung (Ventilation) a. Atemruhevolumen: Luftmenge, die in Ruhe
Die treibende Kraft für den Gasaustausch in der ein- und wieder ausgeatmet wird. Nach norma-
Lunge sind entsprechende Druckgefälle der ler Ausatmung befinden sich Thorax und
Atemgase (✑ Abb. 11.17, S. 228). Die Aufrecht- Lunge in der Atemruhelage. Hier handelt es
erhaltung dieser Druckgefälle während der sich um eine stabile Mittelstellung, bei der
Inspiration und Exspiration wird u. a. durch den sich zwei passive Kräfte aufheben.
ständigen Luftwechsel in der Lunge gesichert. b. Inspiratorisches Reservevolumen: Luftmenge,
die bei normaler Einatmung noch zusätzlich
Lungenvolumina und -kapazitäten aufgenommen werden kann. Es wird vor allem
Das Volumen der Atemzüge kann unterschied- bei körperlicher Belastung in Anspruch ge-
lich sein, weshalb man verschiedene Volumen- nommen, wenn das Atemruhevolumen nicht
einteilungen unterscheidet. Zusammengesetzte mehr ausreicht.
[ Liter ]
6
Inspirations-
5 Inspiratorisches
Vitalkapazität (4,5 l)
kapazität
Reservevolumen (2,5 l)
Totalkapazität (6,0 l)
Atemruhevolumen (0,5 l)
3
Residualkapazität
Exspiratorisches
funktionelle
2 Reservevolumen (1,5 l)
Kollapsluft (0,7 l)
1
Residualvolumen (1,5 l)
Restluft (0,8 l)
0
Die Werte können in Abhängigkeit von Körpergröße, Geschlecht, Konstitution und Trainingszustand stark schwanken.
c. Exspiratorisches Reservevolumen: Luftmenge, Der Totraum hat die Funktionen, die Ein-
die bei normaler Ausatmung noch zusätzlich atmungsluft zu erwärmen, zu reinigen und zu
abgegeben werden kann. befeuchten. Gleichzeitig fördert er die Ventila-
d. Residualvolumen: Luftmenge, die nach maxi- tion der Atmung durch Erweiterung (bei Ein-
maler Ausatmung in der Lunge verbleibt atmung) bzw. Verengung (bei Ausatmung) der
(Kollapsluft und Restluft). Bronchiolen.
Lungenkapazitäten Merke
e. Inspirationskapazität: Luftmenge, die maxi-
Die Belüftung des Totraumes ist eine kon-
mal eingeatmet werden kann (Summe aus a
stante Größe (0,15 l). Eine Verminderung der
und b).
Gesamtventilation bedeutet also immer eine
f. Funktionelle Residualkapazität: Luftmenge,
Verringerung der alveolären Ventilation.
die nach normaler Ausatmung noch in der
Lunge verbleibt (Summe aus c und d). Durch
sie ist es möglich, dass es ständig zu einer
Mischung der vorhandenen Luft mit der zuge-
führten Frischluft kommt und die Zusammen- 11.3.2 Gasaustausch (✑ Abb. 11.17)
setzung der Alveolarluft nur geringfügig
schwankt; das heißt, inspiratorische und Der Gasaustausch zwischen Organismus und
exspiratorische O2- und CO2-Konzentrationen Umwelt in den Lungen wird als Atmung im
im Alveolarraum werden ausgeglichen. engeren Sinn oder „äußere“ Atmung bezeichnet.
g. Vitalkapazität: Luftmenge, die nach maxima- Unter „innerer“ Atmung versteht man die
ler Einatmung ausgeatmet werden kann (Sum- Oxidation der energiereichen Stoffe in den
me aus a, b und c). Die Vitalkapazität ist ein Zellen zum Zwecke der Energiebereitstellung
Maß für die Ausdehnungsfähigkeit von Lunge (✑ S. 43).
und Thorax.
h. Totalkapazität: Luftmenge, die nach maxima-
ler Einatmung in der Lunge enthalten ist (Sum- von A. pulmonalis zur V. pulmonalis
me aus d und g).
Atemwiderstände
Den Atembewegungen und dem Atemluftstrom pO2
stellen sich Widerstände entgegen, die durch 100
Muskelarbeit überwunden werden müssen. pO2 mmHg
pCO2
pCO
pCO2 100 pCO2
40 mmHg
46
46 mmHg 40
Zu den Atemwiderständen gehören mmHg
mmHg mmHg
– elastische Atemwiderstände von Lunge und
Thorax. Von Bedeutung sind die elastischen
Fasern des Lungengewebes und die Ober-
flächenspannung der Alveolen. Letztere wird pO2 40 mmHg
bei inspiratorischer Dehnung der Lunge durch
oberflächenaktive Substanzen (Surfactants) Alveole Lungenkapillare Blut-Luft-Schranke
(Alveolar- und
vermindert, Kapillarmembran,
Druckdifferenzen
– Reibungswiderstände von Lunge und Thorax, (Partialdruckgefälle) dazwischen
Basalmembran)
– Strömungswiderstände in den Atemwegen.
pO 2 = 60 mmHg
Funktion des Totraumes pCO 2 = 6 mmHg
Die luftleitenden Wege (von der Nase bis zu den O2 -arme und CO2 -reiche Luft / Blut = blau
Bronchiolen) bilden den Totraum, weil hier kein O2 -reiche und CO2 -arme Luft / Blut = rot
Gasaustausch erfolgt.
Gasaustausch in der Lunge. Abb. 11.17
11.3 Physiologie der Atmung 229
Lunge
HHb HbO2
intensiver, je größer Partialdruckgefälle und
Austauschfläche, je kürzer der Diffusionsweg H+
und je besser die Durchblutung sind. HCO3- O2-reich
CO2-arm [Blut]
Nach dem gleichen Prinzip wie in der Lunge
[Blut] O2-arm
(= alveolärer Gasaustausch) findet der Gasaus-
tausch im Gewebe statt. O2 gelangt entsprechend CO2-reich
seines Partialdruckgefälles aus dem Kapillarblut
Gewebe
➞
kalischer Lösung diffundiert er in die Zellen. H2CO3 H2O + CO2
Merke Merke
Der Sauerstofftransport erfolgt nach physikali- Der CO2-Transport erfolgt nach physikali-
scher Lösung in chemischer Bindung an Hämo- scher Lösung überwiegend in chemischer
globin, das sich in den Erythrozyten befindet. Bindung als NaHCO3 im Blutplasma und in
Carbominobindung (Bindung des CO2 an
NH-Gruppen der Bluteiweiße).
❑
P Eine bedeutend größere Affinität zum Hb
als der Sauerstoff hat das Kohlenmonoxid (CO).
Bereits in geringen Konzentrationen verdrängt ❑
P Bei Atemstillstand oder behinderter Atmung
es den Sauerstoff aus der Hb-Bindung (Giftig- erhöht sich die Wasserstoffionenkonzentration.
keit). Eine starke CO-Vergiftung erkennt man Es entsteht eine Übersäuerung des Blutes, der
an der kirschroten Farbe der Haut. pH-Wert (normal 7,37 – 7,43) sinkt. Man
spricht von einer respiratorischen Azidose.
Kohlendioxidtransport (Körperzellen → Lunge)
Das von den Zellen abgegebene Kohlendioxid
(CO2) wird hauptsächlich in Form von Bicar- 11.3.4 Regulation der Atmung
bonat (= Hydrogencarbonat, HCO3-) im Blut
zur Lunge transportiert. Nach physikalischer Durch die Atmungsregulation wird die Aufnah-
Lösung wird im Gewebskapillarblut unter me von Sauerstoff sowie die Abgabe von
Vermittlung des Enzyms Carboanhydrase CO2 Kohlendioxid den Erfordernissen unseres Kör-
wie folgt in HCO3- überführt. pers angepasst. Das geschieht durch die Verän-
derung von Atemfrequenz und Atemtiefe (Atem-
Vorgänge im Gewebe: minutenvolumen). In Ruhe beträgt die Atemfre-
1. Kohlendioxid verbindet sich mit Wasser zu quenz 16 bis 20 Atemzüge pro Minute. Bei kör-
Kohlensäure: perlicher Belastung erhöht sie sich um das Drei-
bis Vierfache. Gleichzeitig nimmt auch die
Carboanhydrase
Atemtiefe zu.
CO2 + H2O H2CO3
11.3 Physiologie der Atmung 231
Mechanisch-reflektorische Atmungsregulation
Im Folgenden sind die wichtigsten Faktoren zu-
(Hering-Breuer-Reflex)
sammengestellt, die die Atmung (Ventilation)
Durch den Hering-Breuer-Reflex werden In- und
beeinflussen.
Exspiration den aktuellen Bedingungen des
Ventilationssteigernd wirken:
Tab. 11.4 Hering-Breuer-Reflex (Reflexbogen). pCO2 (= stärkster Atemreiz), pO2 ,
➞➞
Progesteron .
➞
➞
➞
❑
P Im Gegensatz zur Herztätigkeit sind Atem-
Atemmuskulatur frequenz und Atemtiefe über die Großhirnrinde
Dehnungsrezeptoren
in der Lunge willkürlich beeinflussbar.
Atmet der Mensch ohne körperliche Belastung
– vielleicht aus Angst – sehr schnell und tief,
Reaktion sinkt die Wasserstoffionenkonzentration im
Reiz
(Veränderung des (Veränderung der Atemtiefe Blut. Es entsteht eine respiratorische Hyper-
Lungenvolumens) zur Ökonomisierung ventilations-Alkalose mit Krampferscheinun-
der Atemarbeit)
gen und vorübergehendem Atemstillstand.
232 11 Atmungssystem
12 Verdauungssystem
Mundhöhle Rachenraum
(Cavitas oris) (Pharynx)
Zunge
(Lingua)
Speiseröhre
(Ösophagus)
Leber Magen
(Hepar) (Gaster, Ventriculus)
Bauchspeicheldrüse
(Pankreas)
Grimmdarm Zwölffingerdarm
(Colon) (Duodenum)
Leerdarm
(Jejunum)
Blinddarm Krummdarm
(Caecum) (Ileum)
Wurmfortsatz
(Appendix vermiformis) Mastdarm Dünndarm
(Rektum) (Intestinum tenue)
Mit der Mundhöhle beginnt der Verdauungstrakt. Der Mundschließmuskel (M. orbicularis oris) bil-
Sie dient in erster Linie der Nahrungsaufnahme, det die Basis der Lippen und schließt den Mund;
aber auch der Atmung und wird eingeteilt in die die Öffnung des Mundes erfolgt u. a. durch den
eigentliche Mundhöhle und den Mundvorhof. zweibäuchigen Muskel (M. digastricus). Der
Wangenmuskel (M. buccinator) bildet die Wan-
Die Mundhöhle (Cavitas oris) ist der Raum inner- genwand und sorgt im Zusammenspiel mit der
halb der Zahnbögen zwischen Gaumen, mus- Zunge dafür, dass die Nahrung immer wieder
kulösem Mundboden einschließlich Zunge und zwischen die Zähne gelangt. Beim Kauen wird
Schlundenge (Isthmus faucium). zwischen Schneid- und Mahlbewegungen unter-
Der Mundvorhof (Vestibulum oris) liegt zwi- schieden. Die Schneidbewegung (Kieferschluss)
schen der Außenseite der Zahnbögen, den Wan- erfolgt durch den Kaumuskel (M. masseter) und
gen und den Lippen. den Schläfenmuskel (M. temporalis). Die Mahl-
Die Mundschleimhaut besitzt ein mehrschichti- bewegung (seitliche Verschiebung des Unterkie-
ges unverhorntes Plattenepithel und zahlreiche fers) wird durch die Flügelmuskeln (Mm. ptery-
kleine Speicheldrüsen. Letztere sind an der goideus medialis/lateralis) ausgeführt (✑ Abb.
Lippeninnenseite tastbar. 5.49 – 5.51, S. 133 – 134).
18 17 16 15 14 13 12 11 21 22 23 24 25 26 27 28
48 47 46 45 44 43 42 41 31 32 33 34 35 36 37 38
rechte Unterkieferhälfte linke Unterkieferhälfte
1 2 3 4 5 6 7 8
Zahnschmelz
(Enamelum)
Zahnbein Zahnkrone
(Corona dentis)
(Dentin)
Zahn-
fleisch
(Gingiva)
Zahn-
zement
(Cementum) Zahnwurzel
(Radix dentis)
Wurzel-
haut
(Perio-
dontium) Alveolarnerven
(Nn. alveolares)
sind Äste des
Blutgefäße N. maxilaris und
und Nerv N. mandibularis
1 6. – 8. J.
2 7. – 9. J.
3 11. – 13. J. Milchgebiss
(Durchbruchzeiten)
4 9. – 11. J.
5 1 6. – 8. M.
10. – 15. J.
7. – 9. M.
2
6 7. J. 3 16. – 20. M.
7 4 12. – 15. M.
13. – 16. J.
8 5 20. – 24. M.
13. – 18. J.
Fadenpapillen
(Papillae filiformes)
Wallpapillen
Zungenwurzel (Papillae vallatae)
(Radix linguae) Blattpapillen
Zungenmandel (Papillae foliatae)
(Tonsilla lingualis)
Kehldeckel
(Epiglottis)
Rachen Zungenbein
(Pharynx)
(Os hyoideum)
Schildknorpel
(Cartilago thyroidea)
Ringknorpel
(Cartilago cricoidea)
Speiseröhre Luftröhre
(Ösophagus) (Trachea)
Ausführungsgang
der
Ohrspeicheldrüse
(Ductus parotideus)
kleine Ohrspeicheldrüse
(Glandula parotis)
Unterzungen-
speichelgänge
Unterkiefer-
speichelgang1)
(Ductus Unterzungen-
submandibularis) speicheldrüse
(Glandula sublingualis)
Unterkiefer-
1) Er mündet meist gemeinsam mit dem speicheldrüse
(Glandula
großen Unterzungenspeichelgang neben
submandibularis)
dem Zungenbändchen auf der Unter-
zungenkarunkel.
Magenschleimhaut
Außenschicht Muskelschicht
(Peritoneum) (Tunica muscularis)
Magengrübchen
(Voveolae gastricae)
Schleimhaut
(Mucosa)
Speiseröhre Magengrund
(Ösophagus) (Fundus gastricus)
Mageneingang
(Kardia/Ostium Magenkörper
cardiacum) (Corpus gastricum)
Magenstraße
kleine
Magenkrümmung
(Curvatura gastrica
minor) große
Zwölffingerdarm Magenkrümmung
(Duodenum) (Curvatura gastrica
major)
Belegzelle
Nebenzelle
Hauptzelle
Pförtnerabschnitt
(Pars pylorica, Antrum)
Magenpförtner
(Pylorus/Ostium pyloricum)
Blutversorgung
Arterien. Alle 3 Äste des Truncus
coeliacus (✑ Abb. 9.29 und 9.30, Zwerchfell
(Diaphragma)
S. 183) sind an der Versorgung des
Magens beteiligt. Leber
(Hepar)
Venen. Das Blut des Magens fließt
über 4 große Magenvenen zur V. Magen
portae ab (✑ Abb. 9.35, S. 187). (Gaster)
Gallenblase
(Vesica biliaris)
Nervenversorgung
Die Innervation der Magentätigkeit Dickdarm
erfolgt über den N. vagus, der auch (Intestinum
crassum)
die Säureproduktion stimuliert (✑
Abb. 17.20, S. 355 und S. 356).
Dünndarm
❑
P Bei Störungen des Gleichge-
(Intestinum tenue)
Kerckring’sche Falte
(Plica circularis)
Lieberkühn’sche
Zottenmuskel Krypten
zentrales
Lymphgefäß
Dünndarmzotten
Zylinderepithel (Villi intestinales)
Blutgefäße
Becherzelle
Ring-
muskulatur
Längs-
muskulatur
Blutgefäße
Bauchfell
Merke Gefäßversorgung
Sie erfolgt durch
Die sezernierende und resorbierende Ober- – Arterien. Obere Gekrösearterie (A. mesen-
fläche des Dünndarmes (ca. 100 m2) wird terica superior, ✑ Abb. 9.29, S. 183).
3fach vergrößert: – Venen. Mesenterialvenen leiten das Blut in die
– durch die Ringfalten, Pfortader (✑ Abb. 9.35, S. 187).
– durch die Zotten an den Ringfalten,
– durch die Mikrovilli (= Bürstensaum) der Nervenversorgung
einschichtig angeordneten Zylinderepithel- Die Funktionen des Dünndarms werden haupt-
zellen. sächlich von 2 Geflechten des Parasympathicus
(= Teil des vegetativen Nervensystems), die in
– Lieberkühn’sche Krypten. Das sind Vertiefun- der Darmwand liegen, reguliert, dem Plexus
gen zwischen den Zotten, in denen sich die submucosus (Meissner’scher Plexus) in der Sub-
Ausführungsgänge der Drüsen der Dünndarm- mucosa und dem Plexus myentericus (Auer-
schleimhaut befinden; bach’scher Plexus) zwischen äußerer Längs- und
– Lymphknötchen. Sie liegen in den tieferen Be- innerer Ringmuskulatur.
reichen der Schleimhaut und erfüllen Abwehr-
aufgaben; Der Dünndarm ist mittels Mesenterium an der
– große Zwölffingerdarmpapille (Papilla duo- hinteren Bauchwand befestigt, über dessen
deni major, Vater-Papille). Sie liegt im ab- Wurzel sämtliche Versorgungsbahnen laufen
steigenden Teil des Duodenums. Hier befin- (✑ Abb. 7.2 und 7.3, S. 145).
den sich die Mündungen des Hauptgallen-
ganges (Ductus choledochus) und des Bauch-
speicheldrüsenganges (Ductus pancreaticus)
(✑ Abb. 12.21, S. 251).
244 12 Verdauungssystem
❑
P Bei Entzündung des Wurmfortsatzes (Appen-
aufsteigender dicitis) entstehen starke Druckschmerzen.
Grimmdarm Einen typischen Druckschmerzpunkt (= Mc-
(Colon ascendens) Burney-Punkt) finden Sie in der Abb. 12.12
Krummdarm oben.
(Ileum)
Bauhin’sche
Klappe 2. Grimmdarm (Colon)
(Valva ileocaecalis) Das Colon ist mit ca. 1 m der längste Abschnitt
Blinddarm des Dickdarms und liegt zwischen Blinddarm
(Caecum)
und Mastdarm. Es umgibt den intraperitonealen
Abgangsstelle des Teil des Dünndarms rahmenförmig. Das Colon
Wurmfortsatzes wird in 4 Abschnitte gegliedert (✑ Abb. 12.14):
Wurmfortsatz – aufsteigender Grimmdarm (Colon ascendens),
(Appendix vermiformis)
– quer verlaufender Grimmdarm (Colon trans-
versum),
Blinddarm mit Bauhin’scher – absteigender Grimmdarm (Colon descendens),
Abb. 12.13 Klappe und Wurmfortsatz. – s-förmiger Grimmdarm (Colon sigmoideum).
12.5 Dickdarm 245
linke
rechte Grimmdarm-
Grimmdarm- krümmung
krümmung (Flexura coli sinistra)
(Flexura coli dextra)
„Aussackungen“
(Haustra)
Längs- absteigender
aufsteigender muskel-
Grimmdarm bündel Grimmdarm
(Colon ascendens) (Colon descendens)
(Taenien)
Krummdarm
(Ileum)
Blinddarm s-förmiger
(Caecum) Grimmdarm
Aufhängeband des (Colon sigmoideum)
Wurmfortsatzes Mastdarm
Wurmfortsatz (Rektum)
(Appendix vermiformis)
(zwei rechts und eine links). Die linke heißt des Colons sind die Längsmuskeln gerafft und
Kohlrausch-Falte und liegt ca. 6 cm vom Anus heißen Taenien.
entfernt.
– Analkanal (Canalis analis). ❑
P Über die Mastdarmschleimhaut können Wirk-
Der Analkanal schließt sich ohne scharfe Gren- stoffe resorbiert werden, z. B. Narkotika, Nähr-
ze ab der Biegung des Rektums nach vorn an klistiere, Analgetika. Diese gelangen über
die Ampulla recti an und endet mit dem After, das Blut, ohne Leberpassage (möglicher Ab-
Anus (= Öffnung an der Haut). Die Schleim- bau), direkt zu den Wirkorten.
haut besitzt 8 bis 10 Längsfalten (Columnae
anales). Zwischen ihnen liegen die After-
buchten (Sinus anales). Außerdem ist sie nahe
dem Anus in der so genannten Hämorrhoidal- 12.6 Leber (Hepar)
zone mit Venengeflechten unterpolstert (Plexus
venosus rectalis = Plexus haemorrhoidalis). Die Leber ist die Stoffwechsel- und Entgiftungs-
zentrale des menschlichen Körpers und bildet
Merke u. a. die Gallenflüssigkeit. Für ihre umfangrei-
che Tätigkeit verfügt sie über eine außerge-
Das Rektum besitzt im Unterschied zum wöhnliche Regenerationsfähigkeit.
Colon keine Taenien, Haustren und Fettan-
hängsel, dafür aber reichlich schleimprodu- Form, Farbe und Größe
zierende Becherzellen. Die braunrote Leber ist mit einer Masse von ca.
1,5 kg nicht nur die größte Drüse, sondern über-
Afterverschluss (✑ Abb. 12.15, S. 245) haupt das größte innere Organ des menschlichen
Der Verschluss des Afters geschieht durch 2 ring- Körpers. Ihre Form wird im Wesentlichen von
förmige Schließmuskeln und einen Schwell- den Nachbarorganen bestimmt. Deutlich zu
körper. unterscheiden sind zwei Hauptflächen, die
• Muskeln Zwerchfellfläche (Facies diaphragmatica) und
– Innerer unwillkürlicher Afterschließmuskel die Eingeweidefläche (Facies visceralis). Die
(M. sphincter ani internus) aus glattem Mus- Zwerchfellfläche liegt in der Rundung der rech-
kelgewebe; ten Zwerchfellkuppel, die Eingeweidefläche liegt
– äußerer willkürlicher Afterschließmuskel auf Teilen des Magens, des Duodenums und des
(M. sphincter ani externus) aus quer gestreif- Dickdarms. Im vorderen Bereich sind beide Flä-
tem Muskelgewebe. chen durch eine spitzwinklige Kante (= Leber-
• Schwellkörper unterrand) getrennt.
Der wie ein Ring unmittelbar vor dem After lie-
gende Schwellkörper wird von dem zuvor Lage und Nachbarorgane
beschriebenen Venenplexus gebildet. Bei Kon- Die Leber liegt im rechten Oberbauch unter dem
traktion der Schließmuskeln wird der Blutabfluss rechten Rippenbogen (im rechten Hypochondri-
über die Venen behindert. Die Längsfalten legen um) und reicht nach links bis in die Magengrube
sich aneinander und verschließen den Anal- (Epigastrium). Wichtige Nachbarorgane sind
kanal. rechte Niere, Colon transversum, Magen und
Duodenum (✑ Abb. 7.4, S. 146).
❑
P Hämorrhoiden sind knotigenartige Vergrö-
ßerungen bestimmter Schwellkörperabschnitte. Oberflächliche Gliederung
Leitsymptom sind hellrote Sickerblutungen aus Der rechte Leberlappen (Lobus dexter) wird
dem After. durch ein Band vom linken (Lobus sinister)
getrennt. An der Eingeweidefläche liegen
– die Leberpforte (Porta hepatis) mit Leberarte-
Wandschichten rie (A. hepatica; bringt sauerstoffreiches Blut
Der Wandaufbau entspricht grundsätzlich dem = 25 %) und die Pfortader (V. portae; führt
des Dünndarms. Die Schleimhaut ist glatt und sauerstoffarmes, mit Nahrungsstoffen aus dem
besitzt Krypten für Schleimdrüsen. Im Bereich Darm angereichertes Blut = 75 % in die Leber);
12.6 Leber 247
Leberkreislauf ▼
Die Speisung der Lebersinusoide mit Blut erfolgt Zentralvene
▼
von der Peripherie des Leberläppchens durch je- Lebervenen
weils ein Ästchen der Leberarterie und der Pfort- ▼
untere Hohlvene
1) vieleckig
248 12 Verdauungssystem
sichelförmiges
Gallenblase Band1)
(Ligamentum
(Vesica biliaris)
falciforme)
Eingeweidefläche
(Fascies visceralis)
untere
Hohlvene
linker (V. cava inferior)
Leberlappen
(Lobus sinister)
Schweif-
Pfortader lappen
(V. portae) (Lobus caudatus)
Leberpforte
(Porta hepatis) rechter
Leberarterie Leberlappen
(Lobus dexter)
(A. hepatica)
Haupt-
gallengang
(Ductus Gallenblase
choledochus) (Vesica biliaris)
quadratischer
Lappen
1) Bildung des Peritoneums (Lobus quadratus)
gemeinsamer
Gallenblasen- Lebergang
gang (Ductus hepaticus
(Ductus cysticus) communis)
gemeinsamer
Lebergallengang Gallen-
(Ductus hepaticus
blasen-
communis)
gang
Hauptgallengang Haupt-
(Ductus choledochus) gallengang
(Ductus
Bauchspeichel- choledochus)
drüsengang
(Ductus pancreaticus) Gallen-
Zwölffingerdarm- blase
papille
(Papilla duodeni
major)
Weg der
Zwölffingerdarm Gallenflüssigkeit
(Duodenum)
gemeinsamer Lebergallengang ❑
P Häufige Erkrankungen der Gallenblase sind
(Ductus hepaticus communis) Entzündungen und Steinleiden. Sind die
Mikrovilli Nachbarorgane mit der Gallenblase verwach-
ein- sen, können bei Perforation Steine in den
schichtiges Darm gelangen und zum Darmverschluss
Zylinder- (Ileus) führen.
epithel
der Gallenkoliken entstehen, wenn ein Stein im
Schleimhaut Ductus cysticus oder choledochus einge-
(Tunica mucosa) klemmt wird.
Gallenblasen-
gang
(Ductus cysticus)
Hals der 12.7 Bauchspeicheldrüse (Pankreas)
Gallenblase
(Collum vesicae
biliaris)
Die Bauchspeicheldrüse hat eine Doppelfunk-
tion: Einerseits bildet sie den Bauchspeichel,
Hauptgallen-
gang der wichtige Verdauungsenzyme und Elektrolyte
(Ductus enthält, andererseits produziert sie Hormone zur
choledochus) Blutzuckerregulation.
Körper der
Gallenblase Form, Größe
(Corpus vesicae
biliaris) Das Pankreas ist eine ca. 15 cm lange, 3 – 4 cm
breite und 1 – 2 cm dicke Drüse mit einer Masse
Grund der
Gallenblase von ca. 85 Gramm. Die Läppchenstruktur ist
(Fundus deutlich an der Oberfläche zu erkennen.
vesicae biliaris)
Gliederung, Lage
Abb. 12.19 Gallenblase (Gliederung). – Kopf (Caput pancreatis). Liegt in der inneren
Krümmung des Duodenums.
– Körper (Corpus pancreatis).
– Schwanz (Cauda pancreatis).
Körper und Schwanz liegen
dorsal des Magens. Der
exokriner Teil mit Schwanz endet am Milz-
Drüsenendstück hilus.
(Acini)
und Ausführungs-
gang Merke
Das Pankreas liegt retroperi-
Blutkapillare
toneal auf der linken Seite
der hinteren Bauchwand.
Bauchspeicheldrüse
(Pankreas)
Anfangsteil des
Zwölffingerdarms Kopf Körper Schwanz
(Bulbus duodeni) (Caput) (Corpus) (Cauda)
oberer Abschnitt
(Pars superior)
Hauptgallengang
(Ductus choledochus)
absteigender Abschnitt
(Pars descendens)
kleine
Zwölffingerdarmpapille Ausführungsgang der
(Papilla duodeni minor) Bauchspeicheldrüse
(Ductus pancreaticus)
große
Zwölffingerdarmpapille aufsteigender Abschnitt
(Pars ascendens)
(Papilla duodeni major –
Papilla Vateri) Übergang des
Zwölffingerdarms
horizontaler Abschnitt in den Leerdarm
(Pars horizontalis) (Flexura
duodenojejunalis)
Leerdarm
(Jejunum)
Zwölffingerdarm
(Duodenum)
gebildet, der über den Bauchspeicheldrüsen- • A-Zellen; sie produzieren das blutzuckerspie-
gang (Ductus pancreaticus) durch die Papilla gelhebende Glukagon und
duodeni major (Papilla Vateri) in das Duode- • B-Zellen; sie bilden die Hauptmasse und pro-
num gelangt. duzieren das blutzuckerspiegelsenkende Insu-
lin (✑ auch Kap. 15.4.1, S. 307).
❑
P Die Verdauungsenzy-
me des Bauchspeichels
können bei akuter Pan-
kreatitis wegen fehlender untere Hohlvene
Selbstschutzmechanis- (V. cava inferior)
men die Drüse zerstören. Magen
(Gaster)
Stärkeverdauung in der
Tab. 12.3 Nahrungsstoffe. Mundhöhle. Tab. 12.4
Nicht resorbierbar resorbierbar Ptyalin
Kohlenhydrate
(Di-, Polysaccharide) ➝ Monosaccharide
Eiweiße ➝ Aminosäuren Stärke Maltose
Fette ➝ Glycerol und Fettsäuren
Vitamine
anorganische Ionen (Mineralien)
Wasser H2 O
12.8 Physiologie der Verdauung 253
ca. 7 Liter
Verdauungssaft täglich
❑
P Trockene Speisen und Mundatmung erfor- – Durch Muskelzug wird das Gaumensegel an-
dern größere Speichelmengen. Bei psychi- gehoben und so die Mundhöhle gegen den
scher Erregung (z. B. Angst, Ärger) kann die Nasenrachenraum abgeschlossen.
Speichelsekretion herabgesetzt werden. – Gleichzeitig kontrahiert die Mundbodenmus-
kulatur und zieht das Zungenbein mit Kehl-
Schluckvorgang kopf und Trachea nach vorn und oben.
Der Schluckvorgang ist ein angeborener Reflex. – Wird der schluckfähige Bissen (Bolus) bei ge-
Er kann willkürlich eingeleitet werden. Im Be- schlossenem Mund mit der Zunge gegen das
reich des weichen Gaumens und an der Zungen- Gaumensegel und/oder die hintere Rachen-
wurzel befinden sich Druckrezeptoren. Werden wand gedrückt, erfolgen die weiteren Vorgän-
diese durch Speisen, Speichel oder durch einen ge reflektorisch.
Spatel berührt, wird der Schluckreflex ausgelöst. – Die Zungenwurzel wird ruckartig nach hinten
254 12 Verdauungssystem
Gaumensegel
verschließt
Mundhöhle
gegen den
Nasenrachen
Luftweg
Zungenwurzel
Nahrungsweg Nahrungsfluss
Luftröhre Speiseröhre
bewegt. Dadurch stößt sie den Bolus in den 12.8.2 Verdauungsvorgänge im Magen
Mundrachen und drückt den Kehldeckel nach
unten. Gleichzeitig zieht der Schildknorpel- Motorik
Zungenbein-Muskel (M. thyrohyoideus) den Der Magen nimmt die geschluckte Speise auf
Kehlkopf näher an das Zungenbein (Os hyoi- (Füllung), durchmischt sie mit Magensaft und
deum), damit der Kehldeckel (Epiglottis) leitet sie portionsweise in das Duodenum. Dabei
schützend über den Kehlkopfeingang zu lie- findet eine weitere Zerkleinerung und damit
gen kommt. Oberflächenvergrößerung statt.
– Zungenbewegung und Kontraktion der Ra-
chenmuskulatur transportieren schließlich ❑
P Die Verweildauer der Speisen im Magen
den Bissen in den Ösophagus, dessen Peristal- hängt von deren Zusammensetzung ab. Geträn-
tik dann den Weitertransport in den Magen ke gelangen nach wenigen Minuten entlang der
übernimmt. Magenstraße in das Duodenum. Kohlenhydrate
bleiben 1 – 2, Eiweiße 2 und Fette 4 – 5
❑
P Der Schluckakt wird durch verschiedene Stunden im Magen.
Hirnnerven (V, VII, IX, X) gesteuert. Störun-
gen des Schluckvorganges weisen deshalb häu- Sekretorik
fig auf eine Läsion einer dieser Hirnnerven Im Magen beginnt die Eiweißverdauung. Durch
hin. die Salzsäure werden die Eiweiße denaturiert1)
Im Zustand der Bewusstlosigkeit erlischt der und das inaktive Pepsinogen zu Pepsin aktiviert.
Schluckreflex, und es besteht die Gefahr, dass Letzteres spaltet ca. 10 % der Eiweiße in kleine-
Erbrochenes in die Atemwege gelangt (Aspira- re Polypeptidketten (✑ S. 21).
tion). Deshalb müssen Bewusstlose in die sta-
bile Seitenlage gebracht werden. Beginn der Eiweißverdauung im
Magen. Tab. 12.5
HCl Proteinase des
Magensaftes (Pepsin)
Eiweiße Peptidbruchstücke
1) Denaturierung: Meist irreversible Strukturveränderung der Prote-
ine mit Verlust ihrer biologischen Eigenschaften (z. B. Enzymwir-
kung) und Veränderung ihrer physikalischen Eigenschaften (z. B. H2O
Gerinnung)
12.8 Physiologie der Verdauung 255
Die Farbe wird durch die Gallenfarbstoffe be- Faktor aktiv im Ileum.
stimmt, der Geruch durch den Schwefelwasser- Wasser und Natrium werden vorwiegend im
stoff, organische Säuren, Indol sowie Scatol und Duodenum und Jejunum durch Diffusion aufge-
der pH-Wert durch die Gärungsprodukte. nommen.
Calcium und Magnesium werden hauptsächlich
Motorik aktiv resorbiert. Die Resorption wird durch
Die Dickdarmmotorik bewirkt: 2 Hormone (Calcitonin, Parathormon, ✑ Tab.
– die weitere Durchmischung des Darminhaltes 15.8, S. 309) gesteuert.
durch langsames Fortschreiten von Ringmus-
kelkontraktionen (sog. Haustrenfließen) und ❑
P Die Calciumresorption setzt die Anwesenheit
rhythmische Segmentierung; von Vitamin D voraus, dessen aktive Form unter
– den Weitertransport des Darminhaltes in das Mitwirkung von Niere und Haut bei Lichtein-
Rektum. Zu diesem Zweck laufen 2- bis 3-mal wirkung entsteht (bei Mangel: Rachitis).
am Tag, gewöhnlich nach der Nahrungsauf-
nahme, starke peristaltische Kontraktionen Eisen wird ebenfalls aktiv im oberen Dünndarm
vom Caecum über das gesamte Colon; aufgenommen.
Merke Merke
Im Vergleich zum Dünndarm erfolgt der Die Resorption der Verdauungsprodukte er-
Transport im Dickdarm relativ langsam folgt passiv durch Diffusion oder aktiv mit-
(10 bis 18 Stunden). hilfe von Trägersubstanzen bzw. durch Pino-
zytose.
– die Stuhlentleerung (Defäkation). Hier han- Der Hauptresorptionsort ist der obere Dünn-
delt es sich um einen willkürlich beeinflussba- darm (Duodenum, Jejunum). Er hat eine sehr
ren reflektorischen Vorgang. Mit zunehmen- große Oberfläche, und alle lebensnotwendigen
der Füllung des Rektums werden durch erhöh- Nahrungsbestandteile sind resorptionsfähig.
ten Druck die Dehnungsrezeptoren der Darm- Grundsätzlich ist die gesamte Schleimhaut
wand gereizt. Die Aktionspotentiale gelangen des Verdauungstraktes zur Resorption fähig.
in das zuständige Reflexzentrum im Sakral- So besteht auch die Möglichkeit der künstli-
mark, das etwa ab dem 2. Lebensjahr von der chen Ernährung durch Nährklistier über die
Großhirnrinde kontrolliert werden kann. Bei Dickdarmschleimhaut.
der Darmentleerung wird der äußere Schließ-
muskel willkürlich entspannt und die Bauch-
presse erzeugt. Gleichzeitig führen parasym-
pathische Efferenzen zur Erschlaffung des 12.8.5 Regulation der Verdauung
inneren Schließmuskels. Daraufhin kommt es
zur Kontraktion der Ring- und Längsmuskulatur Die Regulation der einzelnen Verdauungsvor-
des Darmes, und es erfolgt die Entleerung. gänge ist recht kompliziert. Hier werden nur
einige grundsätzliche Möglichkeiten dargestellt.
❑
P In der Regel findet der Stuhlgang einmal
täglich statt, oft nach der Einnahme von Mahl- Das vegetative Nervensystem steuert sowohl
zeiten (Gastrokolonreflex). Motorik als auch Sekretorik der Verdauung
(Sympathicus hemmt, Parasympathicus fördert).
Resorption von Vitaminen, Wasser und
Mineralstoffen ❑
P Psychische Einflüsse, bestimmte Stoffe
Die Resorption der fettlöslichen Vitamine (A, D, (Coffein, Nikotin) und der Grad der körper-
E, K) erfolgt in gleicher Weise wie die Fett- lichen Aktivität können nachhaltig die Wirkun-
resorption. Die wasserlöslichen Vitamine gelan- gen des vegetativen Nervensystems beeinflus-
gen wie folgt in das Blut: Vitamin C und B2 sen.
durch Diffusion und Vitamin Bl2 mit Intrinsic-
258 12 Verdauungssystem
➞
Beispiel: Sekretion der Verdauungssekrete, HCL
➞
Erregung N. vagus
Peristaltik und Defäkation; Gastrin
➞
– über erlernte Reflexe, deren Auslöser Gehör- Anblick
oder Sehreize, aber auch Vorstellungen sind. Vorstellung
Beispiel: Mundspeichel und Magensaftsekre-
tion (= nervale Phase – Regulation
durch Vorstellung von Nahrung); ❑
P Aggressionen können sekretionssteigernd
– hormonal durch Gewebshormone, die durch und Angst sekretionshemmend wirken.
bestimmte Verdauungsprodukte freigesetzt
werden.
2. Gastrale Phase (lokale Einflüsse)
Regulation der Speichelproduktion Die Sekretion von Magensaft wird durch den
Die Bildung und Freisetzung des Mundspeichels direkten Kontakt der Nahrung mit der Magen-
wird reflektorisch gesteuert. wand ausgelöst.
Dehnungsreiz
Reize Großhirnrinde Nahrung Freisetzung
(Sehen, Hören, Vorstellen) im von
Antrum Gastrin
Reize Hypothalamus chemische Reize
(Geruch) (z. B. Produkte
der Eiweißver- Blutweg
dauung, Alkohol,
Kaffee,
Arzneimittel)
Speichelzentrum Corpus
ventriculi
➞
Reize Mundspeichel- Magensaftsekretion
(Berührung,
Geschmack) drüsen (ein sehr geringer
pH-Wert des Magensaftes
hemmt die Gastrinsekretion
= negative Rückkopplung)
Speichelsekretion
3. Intestinale Phase
Regulation der Magensaftsekretion Der Übertritt des Nahrungsbreis vom Magen in
In den Magendrüsen werden pro Tag ca. 3 Liter das Duodenum beeinflusst rückwirkend die
Magensaft gebildet. Magensaftsekretion in folgender Weise:
Zusammensetzung des Magensaftes:
– Wasser Dehnung der
– eiweißspaltende Enzyme (Pepsin) Darmwand Freisetzung
– Schleim (Muzin) von Magensaft-
➞
12.8.6 Funktionen der Leber (Überblick) der Blutglucosespiegel, werden die Glykogen-
vorräte wieder in Glucose umgebaut und an das
Der größte Teil der resorbierten Hydrolysepro- Blut abgegeben. Bei Erschöpfung der Glykogen-
dukte der Nahrung dient zunächst dem Aufbau vorräte setzt schließlich die Glukoneogenese ein
„körpereigener“ Stoffe (z. B. Glykogen, Proteine, (✑ S. 40).
Triglyceride, Phosphatide). Die meisten dieser
anabolen Stoffwechselvorgänge vollziehen sich Merke
in der Leber. Die Leber spielt eine wichtige Rolle bei der
Konstanthaltung des Blutglucosespiegels (✑
Merke S. 307).
Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan
unseres Körpers („Zentrallabor“). Aufgaben im Fettstoffwechsel
Bei reicher Glucosezufuhr synthetisiert die
Im Folgenden gehen wir auf die wichtigsten Leber reichlich höhere Fettsäuren und weiterhin
Funktionen der Leber ein. Triglyceride sowie Phosphatide.
Mit dem Pfortaderblut gelangen nachstehende Mit der Synthese der Plasmalipoproteine schafft
Produkte direkt in die Leber: sie die Grundstoffe für den Aufbau von Transport-
– aus dem Dünndarm: Kohlenhydrate, Eiweiße, micellen.1) Diese benötigt der Organismus für
Fette, Vitamine, Minera- den Transport der wasserunlöslichen Stoffe wie
lien, Medikamente etc.; Triglyceride, Phosphatide und Cholesterol in den
– aus dem Magen: Alkohol, Medikamente; wässrigen Körperflüssigkeiten.
– aus dem Pankreas: Hormone (Insulin) der
Langerhans’schen Inseln; Die Leber wandelt überschüssige Kohlenhydrate
– aus der Milz: Abbauprodukte des Hä- in Triglyceride um und ist für die Synthese der
moglobins. Plasmalipoproteine unterschiedlicher Dichte ver-
Daraus ergibt sich eine ihrer wesentlichsten Auf- antwortlich.
gaben, nämlich wichtige Stoffkonzentrationen in
den extrazellulären Flüssigkeiten, insbesondere Aufgaben im Cholesterolstoffwechsel
im Blut, konstant zu halten und damit eine kon- Die Leber ist der Hauptort der Cholesterol-Bio-
tinuierliche Versorgung der Zellen zu sichern. synthese. Sie nimmt aber auch Cholesterol, das
Häufig geschieht dies durch wechselseitige in anderen Körperzellen gebildet bzw. mit der
Umwandlung von Speicher- und Transportform Nahrung aufgenommen wurde, in ihren Vorrat
eines Stoffes: auf.
Merke
Aufgaben im Kohlenhydratstoffwechsel Die Leber ist maßgeblich für den Cholesterol-
Die Leber erfüllt hier vor allem die eben beschrie- haushalt des Körpers verantwortlich.
bene Aufgabe, wodurch sie den Blutglucosespie-
gel konstant hält.
Nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit gelangt Aufgaben im Äthanolstoffwechsel
viel Glucose, aber auch Insulin, mit dem Pfort- Alkohol (Äthanol, C2H5OH) wird überwiegend
aderblut in die Leber. Durch das Hormon stimu- in der Leber abgebaut. Die Leber konzentriert
liert, wird die überschüssige Glucose in Glyko-
gen und wenn dessen Speicherkapazität er- 1) Plasmalipoproteine (Bestandteile: Cholesterol, Phospha-
schöpft ist, in Fett umgewandelt. Sinkt danach tide, Triglycerid, Eiweiß), die dem Lipidtransport dienen
260 12 Verdauungssystem
ihn aber nicht, sondern der Alkohol wird mit löslich und unschädlich. In dieser Form wird das
Ausnahme von Fett- und Knochengewebe im Bilirubin aktiv in die Gallenkapillaren transpor-
ganzen Körper verteilt. tiert und gelangt mit dem Gallensaft in den
Darm. Im Colon wird es durch die Tätigkeit der
❑
P Die Blut-Alkohol-Konzentration ist ein Darmbakterien vor allem in Urobilinogen und
guter Indikator für die Konzentration des andere Farbstoffe (Sterkobilinogen, Urobilin,
Alkohols im Gehirn. Sterkobilin) umgewandelt. Diese Abbauprodukte
bewirken die braune Farbe des Stuhls. Der
größte Teil wird mit dem Stuhl ausgeschieden
Abbau von Hämoglobin, Produktion und (ca. 85 %). Der Rest wird wieder resorbiert und
Sekretion des Gallensaftes gelangt entweder über die Pfortader in die Leber
Mit dieser Spezialleistung erfüllt die Leber zurück oder bei Resorption im Rektum unter
2 Funktionen: Umgehung der Leber in die Niere. Dieser Teil
– Mitwirkung bei der Fettverdauung durch die wird mit dem Harn ausgeschieden und bestimmt
Gallensäuresynthese; die bernsteingelbe Harnfarbe mit.
– Abbau überalterter Blutzellen.
Beim Abbau von Hämoglobin in der Leber ent- Bestandteile des Gallensaftes und Bedeutung
stehen die Gallenfarbstoffe. Zuerst bildet sich das der Gallensäuren
grüne Biliverdin, das dann zum wichtigsten Der Gallensaft besteht aus Gallensäuren,
Gallenfarbstoff, dem Bilirubin, umgewandelt Gallenfarbstoffen (Bilirubin), Cholesterol, Lezi-
wird. Das Bilirubin ist wasserunlöslich und zell- thin, Na+, K+, Ca2+, HCO3-. Die Salze der
schädigend. Deshalb wird es in den Leberzellen Gallensäuren sind für die Verdauung und
an Glucuronsäure gebunden und dadurch wasser- Resorption der Fette von großer physiologischer
Bedeutung. Sie setzen die Ober-
flächenspannung herab und wirken
dadurch emulgierend (verteilend) und
Leberarterie dispergierend (verkleinernd). Außer-
(A. hepatica)
Cholesterol im Blut dem aktivieren sie die Lipasen und
hemmen die Magensaftsekretion.
Cholesterol ❑
P Gallensteine entstehen, wenn das
Gleichgewicht der Bestandteile des
Gallensäure (0,6 g/d) Leber Gallensaftes gestört ist. Am häufig-
(Hepar)
sten sind Cholesterol-Pigment-Kalk-
Steine.
Merke
Enterohepatischer Kreislauf ❑
P Die Biotransformationen in der Leber kön-
Unter dem enterohepatischen Kreislauf versteht nen die Konzentration von Arzneistoffen
man die Ausscheidung von Stoffen (z. B. Gallen- beeinflussen. Man spricht vom sog. „First pass
säuren und Gallenfarbstoffe) mit dem Gallen- effect“ (Einfluss der ersten Leberpassage).
saft aus der Leber in den Darm und deren Leber- oder Nierenfunktionsstörungen können
Rückresorption und Rücktransport mit dem zur Retention von „Giftstoffen“ führen und
Pfortaderblut in die Leber. Hier gelangen die dadurch ein Coma hepaticum oder eine Urämie
Stoffe dann erneut in die Gallenflüssigkeit und hervorrufen.
erfahren den gleichen Kreislauf.
Dieser Vorgang ist in erster Linie eine Ökonomi-
sierung bestimmter Stoffwechselprozesse. Im
Falle der für die Fettverdauung so wichtigen
Gallensäuren bedeutet dies einen täglichen
Verlust von nur ca. 10 %, ca. 90 % werden rück-
resorbiert.
Bei fettreicher Ernährung ist der Bedarf an
Gallensäuren erhöht, deshalb zirkulieren die
Gallensäuren 4- bis 12-mal pro Tag.
Aufgaben im Eiweißstoffwechsel
In der Leber werden die mit dem Pfortaderblut
ankommenden Aminosäuren verstoffwechselt.
Sie dienen zum einen der Synthese der Plasma-
proteine (Albumine, Gerinnungsfaktoren, einige
Globuline), die an das Blut abgegeben werden.
Ein weiterer Teil wird abgebaut und der dabei
frei werdende Stickstoff in Harnstoff überführt.
Der Harnstoff gelangt mit dem Blutkreislauf zur
Niere. Der Rest der Aminosäuren wird benutzt,
um intrazelluläre Proteine der Leber aufzubauen.
Merke
In der Leber findet die Synthese der Plasma-
proteine und des Harnstoffes statt.
Merke
Biotransformationen führen häufig zur „Ent-
giftung“ von Stoffen. „Entgiftung“ bedeutet
demnach, dass körperfremde und körpereige-
ne Stoffe durch Abbau, Umbau oder Kopp-
lung an andere Stoffe (z. B. Glucoronsäure)
in biologisch inaktive und für den Organis-
mus unschädliche oder harnfähige Ver-
bindungen überführt werden.
262 12 Verdauungssystem
1. Geben Sie einen Überblick über die Verdauungsorgane und deren Lage.
2. Beschreiben Sie den Bau der Mundhöhle und deren Organe (Zunge, Zähne, große
Speicheldrüsen).
3. Beschreiben Sie die Lage sowie den makroskopischen und mikroskopischen Bau der
Speiseröhre.
4. Beschreiben Sie die Lage, den makroskopischen und mikroskopischen Bau sowie die Blut-
und nervale Versorgung des Magens.
5. Nennen Sie die Abschnitte des Dünndarms.
Beschreiben Sie deren bauliche Besonderheiten und Lage.
6. Nehmen Sie eine Gliederung des Dickdarms vor.
7. Beschreiben Sie die Lage des Blinddarms.
8. Nennen Sie charakteristische Merkmale des Colons.
9. Wie wird das Rektum verschlossen?
10. Beschreiben Sie Lage und Aufbau der Leber.
11. Beschreiben Sie den Verlauf der intra- und extrahepatischen Gallenwege.
12. Beschreiben Sie Lage und Bau des Pankreas.
13. Definieren Sie:
a) Verdauung,
b) Motorik,
c) Sekretorik,
d) Resorption.
14. Beschreiben Sie die Verdauung und Resorption:
a) der Kohlenhydrate,
b) der Fette,
c) der Eiweiße.
15. Interpretieren Sie die Redensart „Gut gekaut ist halb verdaut“.
16. Nennen Sie die Aufgaben:
a) der Salzsäure,
b) der Gallensäuren.
17. Begründen Sie, warum der Dünndarm für die Resorption am besten geeignet ist.
18. Wie erfolgt die Regulation der Verdauung?
19. Nennen und erläutern Sie die wichtigsten Funktionen der Leber.
263
Die Harnorgane entwickeln sich gemeinsam mit Harnleitern, der Harnblase und der Harnröhre
den Geschlechtsorganen aus der gleichen An- als harnableitende Organe.
lage. So erklären sich auch die engen nachbar- Mit der Harnproduktion und -ausscheidung er-
schaftlichen Beziehungen. füllt das Harnsystem die für die Aufrechter-
haltung des inneren Milieus entscheidenden
Das Harnsystem besteht aus den paarigen Nieren Regulierungsaufgaben. Wichtigstes Organ hierbei
als harnbildende Organe sowie den paarigen ist die Niere.
großer
Lendenmuskel
(M. psoas major)
Harnblase
(Vesica urinaria)
Harnröhre
(Urethra)
Zwerchfell
(Diaphragma)
Mastdarm
(Rektum)
Harnblase
(Vesica urinaria)
13.1 Niere (Ren, Nephros) ihrem oberen Pol dicht unter dem Zwerchfell und
ventral der 12. Rippen. Die rechte Niere liegt
Die Niere ist, wie auch der Harnleiter, paarig an- wegen ihrer Nachbarschaft zur Leber etwas tiefer.
gelegt.
Merke
Größe, Farbe und Form Die unteren Nierenpole stehen ca. 3 Finger
Die rotbraun aussehende bohnenförmige Niere breit oberhalb des Darmbeinkammes.
hat eine Masse von 120 – 220 Gramm und ist
10 – 12 cm lang, 5 cm breit und 4 cm dick. Die
Form der Niere wird bestimmt durch Die Nachbarschaftsbeziehungen der Nieren zei-
– den konvexen lateralen Rand, gen die Abb. 7.6, S. 147 und Abb. 13.1, S. 263.
– den konkaven medialen Rand, an der
• die Nierenbucht mit
❑
P Veränderungen der Nieren können beim lie-
rechte Nierenarterie
Nebenniere (A. renalis)
(Glandula supra-
renalis dextra) linke Nebenniere
oberer (Glandula supra-
Nierenpol renalis sinistra)
Bindegewebskapsel
(Capsula fibrosa)
Nierenrinde
(Cortex renalis)
Nierenarterie
(A. renalis)
Nierenbecken Nierenvene
(Pelvis renalis)
(V. renalis)
Markpyramiden
(Pyramides renales)
Nierensäule
(Columna renalis) Nierenkelch
Markpapille (Calix renalis)
(Papilla renalis) Harnleiter
(Ureter)
Mikroskopischer Bau
Die Funktionseinheit der Niere
ist das Nephron, von dem es in abführende Arteriole
(Vas efferens)
jeder Niere ca. 1 Million gibt. In zuführende Arteriole
Gefäßpol
ihnen wird der Harn gebildet. (Vas afferens)
Nierenbecken (Pelvis renalis, Pyelon) Das Blut durchströmt in der Niere 2 Kapillar-
Das Nierenbecken, als Auffangbehälter für den gebiete:
Harn, entsteht durch den Zusammenschluß von – das Glomerulum und danach
8 – 10 Nierenkelchen. Es kann recht unter- – das Tubuluskapillargebiet.
schiedlich geformt sein. Im Nierenbecken be-
ginnt das Übergangsepithel als Charakteristikum
für die ableitenden Harnwege (✑ S. 61 und 62).
13.2 Harnleiter (Ureter)
Tab. 13.1 Nierenkreislauf. Die paarigen Harnleiter gehen kontinuierlich aus
Pars abdominalis aortae
dem Nierenbecken hervor. Es handelt sich um
dünne muskulöse Schläuche. Die Harnleiter, ca.
30 cm lang mit einem Durchmesser von 4 bis
A. renalis
Zwischenlappenarterien Harnblasenwand
(ziehen zur Basis der Pyramiden)
Ureter Ureter
Bogenarterien
(verlaufen zwischen Rinde und Pyramidenbasis bogenartig)
Läppchenarterien
(an ihnen hängen wie Beeren die Nierenkörperchen)
Vas afferens
außen
Glomerulus
Vas efferens innen außen innen
Tubuluskapillargebiet
Venen innerhalb der Niere
Harnfluss Rückfluss verhindert
V. renalis
Eintritt des Ureters in die
Harnblase. Abb. 13.7
V. cava inferior
268 13 Harnsystem, Funktionen der Niere
7 mm, leiten den Harn durch Peristaltik vom tere Seite der Harnblase ist vom Bauchfell über-
Nierenbecken in die Harnblase. Beide Harnleiter zogen. An der hinteren Blasenwand verläuft das
liegen wie die Nieren retroperitoneal. Bauchfell tief nach unten, um danach entweder
auf das Rektum (Mann) oder auf den Uterus
Ureterengen (Frau) überzugehen.
Der Harnleiter hat 3 enge Stellen: Beim Mann liegt an diesem Übergang der tiefste
– am Übergang vom Nierenbecken in den Harn- Punkt der Bauchhöhle (Excavatio rectovesica-
leiter, lis), bei der Frau liegt der tiefste Punkt zwischen
– beim Übergang in das kleine Becken und dem Uterus und dem Rektum (Excavatio recto-
– in der Harnblasenwand. uterina = Douglas’scher Raum, ✑ auch S. 145).
❑
P In der Niere gebildete kleinere Nierensteine ❑
P Ist die Harnblase gefüllt, liegt sie an der vor-
können in den Harnleiter abgehen. Häufig deren Bauchwand (ohne Zwischenschaltung
verklemmen sie sich in einer der Harnleiter- des Bauchfells) und kann oberhalb der Symphy-
engen. Dies führt zu starken Kontraktionen der se punktiert werden (Abb. 13.10, S. 270).
Ureterwandmuskulatur mit heftigen Schmerzen
(Nierenkolik). Bei entzündlichen Prozessen im kleinen Be-
cken sammelt sich Eiter in den Bauchfell-
taschen bzw. nach Verletzungen Blut.
Wandschichten
Die Wandschichten zeigen den klassischen Drei-
schichtenaufbau der Hohlorgane. Das Über- Harnblasenwand
gangsepithel des Nierenbeckens geht kontinuier- Die Schleimhaut ist mit mehrreihigem Über-
lich auf den Harnleiter über. gangsepithel (Urothel) besetzt und liegt im lee-
ren Zustand in Falten. Eine Ausnahme bildet das
am Blasengrund liegende immer faltenfreie
13.3 Harnblase (Vesica urinaria) Harnblasendreieck (Trigonum vesicae). Seine
Eckpunkte werden von 3 Öffnungen markiert,
Die Harnblase ist ein muskulöses Hohlorgan, der inneren Harnröhrenöffnung (Ostium ure-
dessen Form und Größe vom unterschiedlichen thrae internum) vorn und den 2 Ureteröffnungen
Füllungszustand abhängen. Ihre Aufgaben sind hinten.
die Speicherung und periodische Entleerung
des von den Nieren ständig produzierten Urins. Merke
Das mittlere Fassungsvermögen der Harnblase
beträgt ungefähr 1 Liter. Die Ureter durchsetzen die Harnblasenwand
schräg. Dadurch entsteht ein „Ventil“, und
Gliederung der Harn kann bei gefüllter Blase nicht
An der Harnblase unterscheidet man folgende zurückfließen (✑ Abb. 13.7).
Teile:
– Harnblasenscheitel (Apex vesicae) – oben ge-
legen, ❑
P Beim vesikoureteralen Reflux ist das Ver-
– Harnblasenkörper (Corpus vesicae) – darunter, schlusssystem geschwächt. Dadurch werden
– Harnblasengrund (Fundus vesicae) – unten, Harnleiter- und Nierenbeckeninfektionen be-
– Harnblasenhals (Cervix vesicae) – Übergang günstigt.
in die Harnröhre.
Die Muskulatur der Harnblasenwand ist drei-
Lage und Nachbarschaftsbeziehungen schichtig und so angeordnet, dass sich bei ihrer
Die Harnblase liegt im kleinen Becken hinter der Kontraktion die Harnblase vollständig entleeren
Symphyse. Beim Mann schiebt sich zwischen kann.
Harnblasengrund und Beckenboden die Vorste- Der Harnblasenwandmuskel heißt M. detrusor
herdrüse (Prostata). Außerdem liegen hinten vesicae.
unten die Bläschendrüsen an. Die obere und hin-
13.3 Harnblase 269
Merke
Scheitel der Harnblase
Die Entleerung der Harnblase heißt Miktion (Apex vesicae)
(✑ S. 274).
Körper der
Verschluss von Harnblase und Harnröhre Harnblase
Der Verschluss erfolgt durch eine aus glattem (Corpus vesicae)
Muskelgewebe bestehende Muskelschlinge, den Harnleiter
(Ureter)
unwillkürlichen Schließmuskel der Harnblase
(M. sphincter vesicae) um die innere Harn- Samenleiter
(Ductus
röhrenöffnung und den willkürlichen quer ge- deferens)
streiften Harnröhrenschließmuskel (M. sphincter
Bläschen-
urethrae) im Beckenboden. drüsen
(Glandula
❑
P Die Regulation der Miktion unterliegt kom- seminalis)
Bauchfell
(Peritoneum)
gerader bauchfellfreier Raum
Bauchmuskel über der Schambeinfuge
(M. rectus abdominis)
Harnblasenwandmuskel
(M. detrusor)
Punktionskanüle
Schambeinfuge
(Symphysis pubica) innere
Harnröhrenöffnung
Harnröhre (Ostium urethrae internum)
(Urethra)
Scheide
Kitzler (Vagina)
(Clitoris) äußere
Scheidenvorhof Harnröhrenöffnung
(Vestibulum vaginae) (Ostium urethrae externum)
❑
P Bei einem arteriellen Systemblutdruck unter
Glomerulus 70 mmHg besteht Anurie, bei einem arteriel-
len Systemblutdruck über 220 mmHg eine
Bowman’sche Druckdiurese.
Kapsel
Selbstregulation der Nierendurchblutung
Die renale Durchblutung beträgt 25 % des
Primärharn Herzminutenvolumens. Damit die Niere ihre
Funktionen kontinuierlich erfüllen kann, muss
glomeruläre Filtrationsrate sie möglichst konstant durchblutet werden. Dies
(GFR) 120 ml/min
erfolgt vor allem durch das Vas afferens, indem
es bei einer arteriellen Druckveränderung selb-
Abb. 13.11 Glomeruläre Filtration. ständig die Gefäßlichtung so verändert, dass die
Durchblutung konstant bleibt (✑ S. 202). Auf
diese Weise können Blutdruckschwankungen
Die ca. 1 m2 große Filtermembran wird aus zwischen 80 und 180 mmHg ausgeglichen
3 Schichten (Kapillarendothel, Deckzellen [Po- werden.
dozyten] des inneren Blattes der Bowman’schen
Kapsel, gemeinsame Basalmembran der Po- ❑
P Bei starkem Absinken des zentralen Blut-
dozyten und Kapillarendothelzellen) gebildet druckes, z. B. bei Schock, versagt auch die
und lässt außer Blutzellen und Plasmaproteinen Nierendurchblutung und damit die Filtration
alle Blutbestandteile hindurch. Weil nur kleine des Primärharns.
Teilchen des Blutes im Glomerulusfiltrat enthal- Es kommt zu akutem Nierenversagen, d. h.
ten sind, wird es als Ultrafiltrat und der gesamte keine Harnbildung (= Anurie).
Vorgang als Ultrafiltration bezeichnet.
Bildung des Endharns durch Resorption und
Merke Sekretion im Tubulus
In den Nierenkörperchen entstehen durch – Resorption: Stofftransport (aktiv oder passiv)
Filtration pro Tag ca. 170 Liter Primärharn. Er aus dem Tubulus in den Blutkreislauf.
enthält alle Stoffe des Blutes mit Ausnahme – Sekretion: Stofftransport (aktiv oder passiv)
der großen Eiweißmoleküle und der Blut- aus dem Blutkreislauf in den Tubulus.
zellen. Die Konzentration der filtrierbaren
Teilchen ist im Blutplasma und Primärharn Resorption
gleich. Durch die Resorption werden alle Stoffe, auch
Wasser, die der Körper zur Erhaltung der
Homöostase des inneren Milieus benötigt, aus
❑
P Durch akute und chronische Nierenkrank- dem Tubulus in das Blut zurückgeführt; das sind
heiten kann es zur Filtration von Erythrozyten 98 % der gereinigten Blutflüssigkeit. Die aktive
(blutiger Harn – Hämaturie), Leukozyten Resorption ist eine Leistung der Tubuluszellen.
(eitriger Harn – Leukozyturie) und Eiweißen Würde bei einem 70 kg schweren Mann die
(Proteinurie) kommen. Resorption für 5 Stunden versagen, betrüge die
Masse des Mannes theoretisch nur noch 28 kg.
steigt jedoch die Blutglucose 18 g/dl = 10 mmol/1, Diese Normwerte ändern sich bei einer Erkran-
dann erscheint sie im Urin (= Glucosurie). kung häufig.
❑
P Da Glucose nur in gelöster Form ausgeschie- ❑
P Diese Normalwerte verändern sich bei vielen
den werden kann, wird die Urinmenge erhöht Krankheiten (z. B. Pyelonephritis, verschiedene
(Polyurie), und der Mensch hat größeren Stoffwechselerkrankungen) und können des-
Durst (= Symptome der Zuckerkrankheit). halb wichtige Hinweise für die Diagnose geben.
Hypophysenhinterlappen
Malpighi’sches Körperchen Zwischenhirn
ion
Sekretion Resorption
at
➽ Glucose rm
Blutkapillaren fo
Penicilin ➽ Aminosäuren In
➽ HCO3-, Na+
NH3 ➽
➽ K+, Ca2+,
Mg2+ Durst
➞
H2O osmotischer
➞
H O Druck
➽ 2
Harnstoff, CI-
ADH
Osmorezeptor
Na+, CI- ➽
Harnstoff ➽
➽ H2O
➽ CI-
➽ Na+
NH3 ➽
➽ Na+, K+, Ca2+ Tubulus Blutkapillaren
H+ ➽
➽ CI-, H2O
K+ ➽
H2O H2O
➞
➽ = aktiv
➞
➽ = passiv
Tubulus-Apparat Harnkonzentration
Nierenkörperchen
(Malpighi’sches Körperchen)
Osmorezeptor Harnkanälchen
innere Kopfarterie (Tubulus)
(A. carotis interna) osmotischer Druck
➞ ➞
Plasmavolumen
Nebennierenrinde Tubulus Blutkapillaren
n
tio
orma
Inf
➞
Na+ Plasma-
H2O volumen
Aldos
teron
➞
➞ H+
K+
Merke
Bei gesunden Menschen enthält der Urin
weder Eiweiß noch Zucker, höchstens einige
abgestoßene Epithelzellen der ableitenden
Harnwege und einige Leukozyten.
276 13 Harnsystem, Funktionen der Niere
14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)
linker Harnleiter
gerader (Ureter sinister)
Bauchmuskel Bläschendrüse
(M. rectus abdominis) (Glandula seminalis)
Harnblase Mastdarm
(Vesica urinaria) (Rektum)
Samenleiter Cowper’sche Drüse
(Ductus deferens) (Glandula bulbourethralis)
Vorsteherdrüse After
(Prostata) (Anus)
Gliedschwellkörper Harnröhre
(Corpus cavernosum (Urethra)
penis)
Nebenhoden
Hoden (Epididymis)
(Testis)
Hodensack
Eichel (Scrotum)
(Glans penis)
Harnblase
(Vesica urinaria)
innere Harnleiter
Harnröhrenöffnung (Ureter)
(Ostium urethrae
internum)
Bläschendrüse
Symphyse (Glandula seminalis)
Harnröhre Mastdarm
(Urethra)
(Rektum)
Gliedschwellkörper
(Corpus cavernosum Vorsteherdrüse
penis) (Prostata)
Schiffergrube Spritzkanal
(Fossa navicularis (Ductus ejaculatorius)
urethrae)
Hodensack
äußere (Scrotum)
Harnröhrenöffnung
(Ostium urethrae Hoden
externum) (Testis)
Funktionen
• Samenzellbildung
A. testicularis Die Bildung der Samenzellen (Sper-
Samenleiter mien) erfolgt im gewundenen Teil
(Ductus deferens)
der Hodenkanälchen; diesen Vorgang
V. testicularis
bezeichnet man als Spermiogenese.
Über den gestreckten Teil gelangen
Samenstrang die Spermien in das Hodennetz.
(Funiculus spermaticus)
Nebenhodenkopf
❑
P In der Scheide sind die Spermien
(Caput epididymidis) ca. 2 Stunden, in der Gebärmutter
bis zu 48 Stunden befruchtungs-
Bindegewebslager
mit Hodennetz fähig.
(Rete testis)
Hodenläppchen • Hormonbildung
(Lobuli testis)
mit Hodenkanälchen In den Leydig’schen Zwischenzellen,
(Tubuli seminiferi) die zwischen den Hodenkanälchen
Bindegewebssepten im Bindegewebe liegen, wird das
(Septula testis) Androgen Testosteron gebildet. Mit
Bindegewebshülle Beginn der Pubertät schüttet der
(Tunica albuginea)
Hypophysenvorderlappen (✑ Kap.
Nebenhodenkörper 15.3.3, S. 304) Hormone aus, die die
Nebenhodenschweif Spermienreifung und die Ausschüt-
tung von Testosteron anregen. Das
mit 4 – 5 m langem Testosteron ist mit den weiblichen
Nebenhodengang
Sexualhormonen Östrogen und Pro-
gesteron verwandt.
Abb. 14.2 Hoden (Testis) und Nebenhoden (Epididymis).
14.1 Männliche Geschlechtsorgane 279
Blutversorgung
Die Blutversorgung der Hoden erfolgt durch die
Arteria und Vena testicularis.
Spermien
Nebenhoden (Epididymis) Sperma-
Der Nebenhoden liegt an der Hinterfläche des tiden
Hodens, also ebenfalls im Hodensack. Vom Hoden-
netz ziehen Kanälchen in den Nebenhodenkopf Spermatozyt 2 Sertoli-
und münden hier in den 4 – 5 m langen auf ca. Zelle 1)
5 cm zusammengeknäulten Nebenhodengang. Spermatozyt 1
Dieser durchzieht den Nebenhoden und geht am Ursamenzelle
Nebenhodenschweif in den Samenleiter über. (Spermatogonie)
Funktion
Im Nebenhoden reifen die Samenzellen aus. Er 1) Stützzellen, die der Ernährung der reifenden Samen-
ist der wichtigste Speicher für die Spermien. zellen dienen
Harnleiter
(Ureter)
Samenleiter
(Ductus deferens)
Harnblase
(Vesica urinaria)
paarige Gliedschwellkörper
(Corpora cavernosa penis)
Schiffergrube
(Fossa navicularis urethrae)
❑
P Häufige Entwicklungsstö-
Haut
rung ist eine zu enge Vorhaut (Cutis)
(Phimose). Fascia penis
Scheidewand
Im Inneren des Penis liegen drei (Septum penis)
lang gestreckte Schwellkörper. Gliedschwellkörper
– Die paarigen Gliedschwell- (Corpus cavernosum penis)
Dabei sind drei Stadien zu beobachten: die noch keine Kinder geboren haben (Nulli-
• Primärfollikel. Die Eizelle ist meist von einer para).
Schicht Follikelepithelzellen umgeben.
• Sekundärfollikel. Durch Teilung der Follikel- Gliederung (✑ Abb. 14.8, S. 284)
epithelzellen schon in den ersten Lebenstagen Bei der äußeren Betrachtung der Gebärmutter
wird die Hülle dicker. erkennt man die folgenden Abschnitte.
• Tertiärfollikel (= Graaf ’scher Follikel). Er – Gebärmuttergrund (Fundus uteri): Dies ist die
entwickelt sich ab dem 10. und 14. Lebensjahr. Wölbung über den Eintrittsstellen der Eileiter
Das Follikelepithel teilt sich schnell. Es ent- in den Uteruskörper.
steht ein mit Flüssigkeit gefüllter Hohlraum. – Gebärmutterkörper (Corpus uteri): Im Inneren
Der sprungreife Follikel ist kirschkerngroß dieses breiten, abgeflachten Teiles liegt die
und hebt sich bis zum Eisprung (Ovulation) Gebärmutterhöhle (Cavitas uteri) als Entwick-
deutlich von der Oberfläche ab. lungsraum für den Keimling. Ihre Form ist im
Frontalschnitt dreieckig und im Längsschnitt
2. Hormonbildung spaltförmig. Nach unten verengt sich die
Im Eierstock werden in bestimmten Zellen Sexual- Gebärmutterhöhle zum Gebärmutterhalskanal
hormone gebildet. = Cervixkanal (Canalis cervicis uteri).
• Östrogene (Follikelhormone), – Gebärmutterhals (Cervix uteri): Zwischen
• Gestagene (Gelbkörperhormon = Progesteron). Körper und Hals liegt eine Engstelle als Ver-
bindung, der Isthmus uteri. Der obere Teil des
Eileiter (Tuba uterina, Salpinx uterina) Gebärmutterhalses liegt über der Scheide, der
Der Eileiter ist ein 10 – 15 cm langer Schlauch untere Halsteil ragt als Mutterkegel (Portio
und dient dem Transport der Eizelle vom Eier- vaginalis) in die Scheide hinein.
stock in die Gebärmutter. Die äußere trichterför-
mige Eileiteröffnung umfasst mit fingerartigen ❑
P Der äußere Muttermund ist bei der Nullipara
Fortsätzen (Fimbrien) den Graaf ’schen Follikel, rund und bei der Multipara lippenartig quer
fängt die Eizelle beim Eisprung auf und trans- gestellt. Er kann vom Arzt bei einer gynäkolo-
portiert sie mithilfe von Flimmerbewegungen gischen Untersuchung betrachtet werden.
der Flimmerepithelzellen sowie peristaltischen
Muskelkontraktionen in die Gebärmutter. Der Lage
Transport dauert ca. 4 Tage. Im Eileiter findet Der Uterus liegt im kleinen Becken zwischen der
normalerweise die Befruchtung statt. Blase und dem Rektum. Normalerweise ist der
Körper nach vorn über die Blase gebeugt
❑
P Über die Eileiter besteht eine direkte Verbin- (Anteflexio uteri).
dung von der freien Bauchhöhle über Gebärmut-
ter und Scheide nach außen (Infektionsgefahr). ❑
P Bei einer Krümmung des Körpers nach hin-
Bei gestörtem Auffang- und Transportmechanis- ten (Retroflexio uteri) auf den Mastdarm
mus kann sich eine befruchtete Eizelle sowohl in könnte der Weg für die Spermien versperrt
der Bauchhöhle als auch im Eileiter einnisten. werden, weil der äußere Muttermund gegen
Im ersten Fall spricht man von einer Bauch- die vordere Scheidenwand gedrückt wird.
höhlen-, im zweiten von einer Eileiterschwan-
gerschaft. Beide sind lebensbedrohlich (Ver- Bauchfellbeziehung und Bänder
blutungsgefahr) und müssen behandelt werden. Der Bauchfellüberzug des Uterus zieht als
Doppelblatt seitwärts zur Beckenwand. So ent-
Gebärmutter (Uterus) steht von der Gebärmutter ausgehend das breite
Form und Größe Mutterband (Lig. latum uteri) als Aufhängung
Die Gebärmutter ist birnenförmig, etwa 7 bis für Eileiter und Eierstock. Das Gewebe zwischen
10 cm lang und wiegt 60 bis 70 Gramm. Bei dem Bauchfelldoppelblatt heißt Parametrium und
Frauen, die mehrere Kinder geboren haben enthält in Bindegewebe eingebettet Gefäße und
(Multipara), ist sie etwas größer als bei Frauen, Nerven. Vom Fundus der Gebärmutter ziehen die
14.2 Weibliche Geschlechtsorgane 283
Gebärmutter
Eierstock (Uterus)
(Ovarium)
Douglas’scher
Eileiter Raum
(Tuba uterina) (Excavatio
Bauchfelltasche rectouterina)
zwischen Uterus Mastdarm
und Blase (Rektum)
(Excavatio
vesicouterina) Scheiden-
gewölbe
Harnblase (Fornix vaginae)
(Vesica urinaria)
Scheide
Symphyse (Vagina)
Harnröhre kleine
(Urethra) Schamlippe
Kitzler (Labium minus
(Clitoris) pudendi)
äußere große
Harnröhrenöffnung Schamlippe
(Ostium urethrae (Labium majus
externum) pudendi)
Gebärmutterhals
(Cervix uteri)
Eierstock Muttermund
(Ovarium) (Ostium uteri)
Gebärmutterhöhle Scheide
(Cavitas uteri) (Vagina)
Gebärmutterenge Mutterkegel
(Isthmus uteri) (Portio vaginalis)
– der Funktionsschicht, welche während der teren Seite des Gebärmutterhalses zieht dann
monatlichen Regelblutung (Menstruation) das Bauchfell zur Vorderfläche des Rektums.
abgestoßen und in den darauf folgenden
Tagen wieder aufgebaut wird. Scheide (Vagina)
Die Schleimhaut im Gebärmutterhalskanal Die Scheide ist ein ca. 10 cm langer elastischer
enthält palmenblattartige Falten. Hier bilden Schlauch zwischen Harnröhre und Mastdarm.
die Zellen einen Schleimpfropf, der das Ein- Vorder- und Hinterwand liegen aufeinander, so-
dringen von Krankheitserregern von der dass ein Querspalt entsteht. Die Wand besitzt
Scheide her verhindert. Reservefalten für den Geburtsvorgang, aber
auch als Reibefläche für den Penis beim
2. Gebärmuttermuskulatur (Myometrium) Geschlechtsverkehr (Koitus).
Diese glatte Muskulatur ist in Spiralzügen an- Der obere Scheidenteil ist gewölbeartig erweitert
geordnet und wirkt vor allem als austreibende (man spricht vom Scheidengewölbe) und umfasst
Kraft während der Geburt des Kindes durch den äußeren Muttermund (Portio vaginalis). Das
Gebärmutterhalskanal und Scheide. untere Ende der Scheide (Scheideneingang,
Scheidenmund) mündet in den Scheidenvorhof.
❑
P Das Myometrium neigt zur Bildung gut-
Scheidenschleimhaut
artiger Gewächse (Myome).
Die Schleimhaut der Scheide trägt mehrschichti-
ges unverhorntes Plattenepithel. Die Zellen ent-
3. Bauchfellüberzug (Perimetrium) halten sehr viel Glykogen. Nach ihrem Abster-
Das Peritoneum überzieht vom Scheitel der ben bilden Milchsäurebakterien, auch Döder-
Harnblase kommend die Gebärmutterober- lein’sche Scheidenbakterien genannt, aus dem
fläche. Der Uterus liegt also intraperitoneal anfallenden Glykogen Milchsäure. Dadurch
und ist entsprechend beweglich (Größen- wird das Scheidensekret sauer (pH-Wert = 4) und
zunahme bei Schwangerschaft). Von der hin- bildet einen wichtigen Infektionsschutz.
14.2 Weibliche Geschlechtsorgane 285
vorderer
Zusammenschluss der Schamberg
großen Schamlippen (Mons pubis)
(Commissura große Schamlippe
labiorum anterior) (Labium majus
Kitzlervorhaut pudendi)
(Preputium clitoris) kleine Schamlippe
Kitzler (Labium minus pudendi)
(Clitoris) Scheidenvorhof
äußere Harnröhrenöffnung (Vestibulum vaginae)
(Ostium urethrae externum)
Scheideneingang hinterer Zusammen-
(Ostium vaginae) schluss der großen
Reste des Schamlippen
Jungfernhäutchens (Commissura
(Carunculae hymenales) labiorum posterior)
Damm After
(Perineum) (Anus)
haploide und
Vorkerne ver- Beginn der Zellteilung
Eizelle schmelzen zu diploider Zygote
Eileiter
(Tuba uterina)
Eileiter
(Tuba uterina)
Eierstock
(Ovarium)
Eierstock
(Ovarium)
Gebärmutter
Scheide (Uterus)
(Vagina)
äußerer Muttermund
(Ostium externum uteri)
Eizelle
Kopf mit Kopfkappe
(Akrosom)
Hals mit Zentriol
Mittelstück mit Mitochondrien
sprungreifer Follikel
(Tertiärfollikel =
Graaf’scher Follikel)
Weg der Samen- und Eizelle zum Ort der Befruchtung. Abb. 14.10
288 14 Geschlechtssystem (Genitalsystem)
2-Zellen-Stadium
Gebärmutterschleimhaut
(Endometrium)
➞
Einnistung (Nidation)
4-Zellen-Stadium
innere Blastomeren
➞
➞
➞
8-Zellen-Stadium ➞ Blastozystenhöhle
äußere Blastomeren
Morula Blastozyste
2. 2 1 Knorpelskelett.
Aortenbogen
(Arcus aortae)
Ductus arteriosus
Lig. arteriosum
(vormals Ductus arteriosus)
rechter Vorhof linker Vorhof
(Atrium dextrum)
(Atrium sinistrum)
Bauchaorta
(Pars abdominalis
aortae)
Leber
(Hepar)
Lig. venosum
(vormals Ductus
venosus)
Navelvene
(V. umbilicalis) untere
Hohlvene
(V. cava inferior)
Nabel
(Umbilicus)
Nabelschnur
(Chorda umbilicalis)
Mutterkuchen Gebärmutter
(Placenta) (Uterus)
und endet mit der vollständigen Eröffnung des eröffnet ist und endet mit der Geburt des Kindes.
Muttermundes und normalerweise dem Plat- Dauer bei Erstgebärenden: ca. 30 Minuten.
zen der Fruchtblase. Der Kopf des Kindes – Nachgeburtsperiode
hat sich bis zum Beckenboden geschoben. Das ist der Zeitraum von der Geburt des Kindes
Dauer bei Erstgebärenden: ca. 12 Stunden. bis zum Abstoßen der Placenta (= Nachge-
– Austreibungsperiode burt). Der Geburtsvorgang ist damit beendet.
Sie beginnt, wenn der Muttermund vollständig Dauer: 15 – 20 Minuten.
Placenta
Nabelschnur
Muttermund
Eröffnungsperiode
regelmäßige
Wehentätigkeit
Öffnung des
Muttermundes
Platzen der Fruchtblase
Austreibungsperiode
vollständige Öffnung
des Muttermundes
Geburt des Kindes
Nachgeburtsperiode
Abstoßen der Placenta
1. Geben Sie einen Überblick über die männlichen Geschlechtsorgane und deren Lage.
2. Welche Aufgaben erfüllen die inneren männlichen Genitalorgane?
3. Wie ist das Sperma zusammengesetzt?
4. Beschreiben Sie den Weg der Spermien vom Bildungsort zum Ort der Befruchtung.
5. Geben Sie einen Überblick über die weiblichen Geschlechtsorgane und deren Lage.
6. Beschreiben Sie die Follikelreifung im Eierstock.
7. Welche Aufgabe hat der Eileiter, und wie erfüllt er sie?
8. Beschreiben Sie den Aufbau des Uterus.
9. Was bedeutet der Begriff „Adnexe“?
10. Begründen Sie, warum eine gesunde Scheidenflora der wichtigste Schutz gegen
Infektionen der inneren weiblichen Geschlechtsorgane ist.
11. Was versteht man unter dem Scheidenvorhof?
Welche Gebilde liegen in ihm?
12. Nennen und beschreiben Sie die Entwicklungsperioden in der menschlichen Individual-
entwicklung.
13. Was versteht man unter der Befruchtung, und welches sind die wichtigsten Ergebnisse?
14. Was geschieht während der Furchung?
15. Unterscheiden Sie Trophoblast und Embryoblast.
16. Was versteht man unter Nidation?
17. Wie erfolgen Versorgung und Schutz des Embryos bzw. des Fetus?
18. Welche Besonderheiten kennzeichnen den fetalen Kreislauf, und welche Umstellungen
vollziehen sich nach der Geburt?
19. Überlegen Sie, welche Folgen ein sich nicht schließendes Foramen ovale für den Organis-
mus hat.
20. Wie wird der Geburtstermin bestimmt?
21. In welche Perioden wird der Geburtsverlauf eingeteilt, und wodurch sind diese gekenn-
zeichnet?
295
Merke
Die glandulären Hormone werden in Drüsen
gebildet und gelangen durch den Blutkreis-
Das Hormonsystem realisiert seine Funktion lauf zum Wirkungsort. Bildungs- und Wir-
mithilfe von Hormonen (= Inkrete). kungsort liegen meist weit entfernt.
negative Rückkopplung
+ –
Auf diese Weise werden zu
hohe Hormonspiegel ver- Hypophysenvorderlappen –
hindert.
Die meisten Hormone wer- glandotrope Hormone
den in der Leber inaktiviert +
und die Abbauprodukte über
die Niere ausgeschieden.
periphere endokrine Drüse
Biologischer Regelkreis
als Regulator der
Hormonproduktion effektorische Hormone
Die Hormonkonzentrationen
im Blutplasma werden in vie-
len Fällen nach dem Prinzip Erfolgsorgan
+ = fördern
der negativen Rückkopplung – = hemmen
konstant gehalten: Ein Anstieg
der Hormonkonzentration im
Plasma wirkt hemmend auf seine Freisetzung, ein anderes Molekül oder Ion (= Ligand, Agonist)
ein Abfall dagegen fördernd. mit Reiz- bzw. Signalwirkung ist.
In dem das Hormon mit dem Rezeptor reagiert,
Hormonrezeptoren und Erfolgsorgane werden bestimmte Effekte (z. B. die Synthese
Hormonrezeptoren gehören zu den molekularen eines Enzymeiweißes) ausgelöst. Den Mechanis-
Rezeptoren (biochemische Definition). Auf mus kann man sich als Schlüssel(Ligand)-
molekularer Ebene versteht man unter einem Schloss-(Rezeptor)-Prinzip vorstellen. Stoffe,
Rezeptor ein Molekül (meist sind es Glykolipide die die molekularen Rezeptoren hemmen bzw.
oder Glykoproteine), das Reaktionspartner für blockieren, werden als Antagonisten bezeichnet.
Merke
Tab. 15.4 Schlüssel-Schloss-Prinzip.
Die Rezeptoren für Hormone sind
spezifische Moleküle, die die Hor-
Ligand, Agonist
mone binden und dadurch ihre
„Schlüssel“ (z. B. Hormon,
Bakterientoxin, Wirkung vermitteln.
Effekt
Opiat, Antigen)
(z. B. Synthese Die Rezeptoren für die wasserlösli-
eines bestimmten
Enzymeiweißes) chen Hormone befinden sich auf der
Zellmembran, jene für die Steroid-
Rezeptor
hormone sitzen am Zellkern oder
„Schloss“ (Glykolipid,
Glykoprotein) anderen Zellorganellen, also innerhalb
der Zellen.
298 15 Hormonsystem (Endokrines System)
2. Alle übrigen Hormone verbinden sich mit 15.2.1 Hormone des Hypothalamus und der
einem Zellmembranrezeptor. Dadurch bewir- Hypophyse
ken sie die Bildung eines 2. Boten (second In Kerngebieten des Hypothalamus liegen die
messenger) in der Zelle, der dann die typische übergeordneten vegetativen Zentren. Von hier
Wirkung vermittelt. Dieser 2. Bote ist häu- werden sowohl die Aktivitäten des vegetativen
fig das cyclische Adenosinmonophosphat Nervensystems als auch die Bildung und
(cAMP). Freisetzung der Hypophysenhormone gesteuert.
Merke Hormone des Hypothalamus
Die meisten Peptid- und Glykoprotein- Releasing- und Inhibitinghormone
hormone sowie Aminosäureabkömmlinge Im Hypothalamus werden Releasinghormone,
(kleine Gruppe, ✑ Tab. 15.2) können die Inhibitinghormone und effektorische Hormone
Zellmembran nicht passieren und wirken des- gebildet.
halb über einen 2. Boten. Die Wirkungen der 1. Releasinghormone (= Liberine):
Hormone beruht im Wesentlichen auf der Sie steuern die Bildung und Freisetzung der
Beeinflussung von Enzymen in den Zellen 4 glandotropen1) Hormone (thyreotropes Hor-
der Erfolgsorgane. mon, luteinisierendes Hormon, follikelstimu-
Dabei gibt es drei Möglichkeiten: lierendes Hormon, adrenocorticotropes Hor-
1. Aktivierung oder Hemmung vorhandener mon) sowie der 3 effektorischen Hormone des
Enzyme, Hypophysenvorderlappens (Wachstumshormon,
2. Steigerung der Enzymsynthese über eine Prolactin, melanocytenstimulierendes Hormon).
Genaktivierung, 2. Inhibitinghormone (= Statine):
3. Veränderung der Zellmembranaktivität Sie hemmen die Freisetzung der 3 effektori-
und damit Einflussnahme auf die Substrat- schen Hormone des Hypophysenvorderlappens
bereitstellung. (Wachstumshormon, Prolactin, melanocyten-
stimulierendes Hormon).
Merke
Wachstumshormon, Prolactin und melano-
cytenstimulierendes Hormon werden sowohl
von Releasing- als auch von Inhibitinghormo-
1) auf eine periphere Hormondrüse einwirkend nen gesteuert.
15.2 Hormongruppen 299
Hemmung Hypothalamus
Hypophysen-
Releasinghormone stiel
Hypophysen-
Hypophysenvorderlappen hinterlappen
Hypophyse
glandotrope Hormone
effektorische Hormone
Blut
Hormonkonzentration
15.3 Periphere Hormondrüsen, die linken Lappen, die durch eine Brücke (Isthmus)
miteinander verbunden sind. Die beiden Schild-
durch die glandotropen drüsenlappen liegen seitlich der Luftröhre und
Hormone gesteuert werden reichen nach oben bis zum Ringknorpel des
Kehlkopfes, nach hinten bis zur Speiseröhre, der
Zu den Hormondrüsen, die durch glandotrope Isthmus liegt der Trachea vorne auf.
Hormone gesteuert werden, gehören Schild-
drüse, Nebennierenrinde und die Keimdrüsen Außen befindet sich eine Bindegewebskapsel,
(Gonaden). von der kleine Septen in das Drüsengewebe zie-
hen. Dadurch entstehen die Schilddrüsen-
läppchen. Das Drüsengewebe selbst besteht aus
kleinen Bläschen, den Follikeln.
15.3.1 Schilddrüse und die Hormone
Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) Die Hormone Thyroxin und Trijodthyronin wer-
den in den Follikelepithelzellen gebildet und in
Die Schilddrüse ist die größte Hormondrüse. Sie den Follikeln gespeichert.
hat eine Masse von 30 – 40 Gramm und liegt in Entscheidend für die Wirkung ist ihr Jodgehalt.
der vorderen Halsregion vor der Luftröhre unter- Neben den Follikelzellen liegen C-Zellen, in
halb des Schildknorpels. Die Schilddrüse (Glan- denen ein Hormon (Calcitonin) gebildet wird,
dula thyreoidea) besteht aus einem rechten und das den Calciumstoffwechsel mit reguliert.
Zungenbein Rachenwand
(Os hyoideum) von dorsal
Schildknorpel- rechter und linker
Zungenbein- Schilddrüsenlappen
Membran
(Membrana thyrohyoidea) Nebenschilddrüsen
Schildknorpel (Glandula parathyroidea)
(Cartilago thyroidea)
❑
P Krankhafte Vergrößerungen der Schilddrüse • häufiges Schwitzen,
(Struma) können Atem- und Schluckbeschwer- • starkes Herzklopfen,
den hervorrufen. Eine Struma kann mit einer • hervortretende Augäpfel
Über-, Unter- oder normalen Hormonproduk- (Exophthalmus = Glotzauge) und
tion einhergehen. • Abmagerung.
Darüber hinaus gibt es noch andere Ursachen
Hauptsächliche Wirkungen von T4 und T3 für eine Hyperthyreose, z. B. hormonproduzie-
Die von den Follikelzellen produzierten Schild- rende Schilddrüsentumoren.
drüsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin
(T3) werden aus der Aminosäure Tyrosin durch Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose)
Anreicherung von Jod gebildet. Der Zahl entspre- Ursachen können Jodmangel in der Nahrung,
chend enthält Thyroxin (T4) vier und Trijodthyro- aber auch erblich bedingte Faktoren sein.
nin (T3) drei Jodatome. Thyroxin ist trotz seiner Kennzeichen bzw. Folgen sind u. a.
10fach höheren Konzentration im Blut biolo- • niedriger Stoffumsatz,
gisch nicht so wirksam wie Trijodthyronin. Ein • geistige und körperliche Trägheit,
Großteil von Thyroxin geht nach der Sekretion in • niedriger Blutdruck,
Trijodthyronin über. Beide wirken hauptsächlich • teigiges Aussehen der Haut (Myxödem).
– auf den Stoffwechsel: Die Hormone stimu- Im Kindesalter kann es aufgrund des gehemm-
lieren vor allem den Energiestoffwechsel. Sie ten Stoffwechsels zur unproportionierten
sind gewissermaßen das „Gaspedal“ für den Kleinwüchsigkeit kommen. Meist ist dies mit
Stoffwechsel. geistiger Retardierung verbunden, weil auch
– auf Wachstum und Entwicklung: T4 und T3 die Entwicklung des Nervensystems gestört ist.
fördern die Eiweißsynthese, das Längen-
wachstum der Knochen und die Entwicklung
des Nervensystems.
15.3.2 Nebennieren und ihre Hormone
❑
P Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose)
Ein TSH-ähnlicher Stoff regt die Bildung von Die zusammen ca. 10 Gramm schweren paarigen
T4 und T3 wegen der nicht funktionierenden Nebennieren (Glandulae suprarenales) bestehen
negativen Rückkopplung ungehemmt an eigentlich aus 2 Organen, der dreischichtigen
(Basedow-Krankheit). Kennzeichen einer Nebennierenrinde und dem Nebennierenmark.
Schilddrüsenüberfunktion sind u. a. Bei den Wirbeltieren bilden sie ein kompaktes
• erhöhter Energieverbrauch, Organ.
Nebennierenkapsel Nebennierenrinde
(NNR)
äußere Knäuelzone
(Zona glomerulosa)
mittlere Zone, Bündelzone
Zentralvene (Zona fasciculata)
innere Zone, Netzzone
Nebennierenmark (Zona reticularis)
(NNM)
❑
P Wichtige therapeutische Effekte sind: Beispiel:
• Entzündungshemmung Adrenalin bewirkt gleichzeitig eine Erweiterung
(indem sie die Lymphozytenbildung hemmen), (Vasodilatation) der Herzkranzgefäße und Gefäße
• antiallergische Wirkung. der Skelettmuskulatur und Verengung (Vasokon-
Die Überproduktion des Cortisols kann das so striktion) der Arteriolen im Verdauungssystem.
genannte Cushing-Syndrom zur Folge haben Die gegensätzliche Wirkung auf unterschiedliche
mit den typischen Zeichen: Stammfettsucht, Gefäße beruht auf dem unterschiedlichen Besatz
Vollmondgesicht, Muskelschwund, Hypertonie mit verschiedenen Rezeptortypen.
und erhöhter Blutzuckerspiegel.
Merke
2. Mineralcorticoide (wichtigstes = Aldosteron)
Die Katecholamine aus dem Nebennieren-
Das Aldosteron beeinflusst den Elektrolyt-
mark sind hauptsächlich Stoffwechselhormone.
haushalt. Im Tubulusapparat der Nieren för-
dert es die Rückresorption von Na+, „zwangs-
weise“ muss passiv Wasser folgen. Stress
Das Plasmavolumen wird erhöht und die Eine ganze Reihe von Reizen, wie starke Kälte-
Urinmenge vermindert. Gleichzeitig werden und Hitzebelastung, Infektionen, Atemnot,
K+- und H+-Ausscheidung gefördert, sodass Unterzuckerung, Operationen, Verletzungen,
der pH-Wert des Urins sinkt (✑ S. 274). Ärger, Leistungsdruck und auch Freude können
den Körper in einen sog. Stresszustand
❑
P Eine aus unterschiedlichen Gründen hervor- (= Belastungs-, Spannungszustand) versetzen.
gerufene Unterfunktion der Nebennierenrinde, Deshalb nennt man solche Reize Stressoren.
bei der besonders ein Aldosteronmangel vor- In einem derartigen Zustand werden alle hormo-
herrscht, bezeichnet man als Addison'sche nellen und vegetativen Funktionen vom Hypo-
Krankheit. thalamus so gesteuert, dass es zu Alarmreak-
tionen der Körpers kommt.
Hormon wird gebildet in Dies sind Reaktionen, die ihn optimal auf eine
kurz andauernde körperliche Hochleistung ein-
Aldosteron Zona glomerulosa stellen. In einer solchen Situation kommt es über
Cortisol und Zona fasciculata und eine erhöhte Sympathicusaktivität zur verstärk-
Corticosteron reticularis ten Ausschüttung von Adrenalin und Noradrena-
Androgene Zona reticularis lin, die ihrerseits ACTH-Freisetzung und damit
304 15 Hormonsystem (Endokrines System)
Eileiter Gelbkörperbildung
Follikelstadien und -rückbildung
Vorgänge
im
Eierstock
Schleimhaut
(Endometrium)
Follikelsprung
(Ovulation)
Funktions-
schicht
(Functionalis)
Vorgänge
Basalschicht in der
(Basalis) Gebär-
mutter
Muskelschicht
(Myometrium) 28 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 1
GnRH Hypothalamus
Gonadoliberin
negative Rückkopplung
negative Rückkopplung
follikelstimulierendes luteinisierendes Hypophysen-
Hormon Hormon vorderlappen
(FSH) (LH)
Gelbkörperbildung
Follikelreifung und Gelbkörperrückbildung
Ovar
Östrogen Progesteron
Gebärmutter-
schleimhaut
(Endometrium)
Uterus
28 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 1
regt an
Menstruation Proliferationsphase Sekretionsphase hemmt
Ein steiler Abfall der Sexualhormone am Ende 15.4 Periphere Hormondrüsen, die
der Sekretionsphase löst die nächste Menstrua-
tionsblutung aus.
nicht durch die glandotropen
Hormone gesteuert werden
Merke
Die Regulation der infrage kommenden Hormon-
Die Menstruationsblutung steht nicht mit der drüsen und deren Hormone erfolgt in erster
Ovulation im Zusammenhang. Linie durch die Veränderungen der von ihnen
konstant zu haltenden Stoffkonzentrationen
Hormonelle Steuerung der Schwangerschaft (z. B. Glucose, Calcium, Natrium) im Körper. So
Erfolgt eine Kopulation in der Zeit um die Ovu- führt eine Erhöhung oder Verminderung des
lation, kann eine Befruchtung stattfinden und Blutzucker- oder Blutcalciumspiegels zu einer
damit eine Schwangerschaft eintreten. Ist dies unmittelbaren Stimulierung der Hormonsekre-
der Fall, nistet sich am 7. Tag nach der Befruch- tion. Eine Steigerung der Aldosteronsekretion
tung die Morula in die Uterusschleimhaut ein. wiederum kann durch eine Verminderung des
Nun bildet der Trophoblast (= Hüllzellen, die der Plasmavolumens erreicht werden.
Ernährung dienen) 2 Hormone: HCG (Chorion-
gonadotropin) und HPL (Human Placental
Lactogen). Diese Hormone bewirken, dass der Gelb- 15.4.1 Pankreashormone und
körper zunächst erhalten bleibt. Außerdem regen Blutzuckerregulation
sie ihn zur verstärkten Progesteronproduktion an.
Die in den Langerhans’schen Inseln gebildeten
Die Aufrechterhaltung des hohen Progesteron- Hormone Insulin und Glukagon beeinflussen
spiegels verhindert die Abstoßung der Uterus- den Blutglucosespiegel.
schleimhaut. Gegen Ende des 1. Schwanger-
schaftsmonats produziert der entstandene Mutter- Insulin wirkt als einziges Hormon blutzucker-
kuchen (Placenta) jene Mengen von Progesteron spiegelsenkend, indem es
und Östrogen, die für die Erhaltung der Schwan- – die Glucosepermeabilität der Zellmembranen
gerschaft notwendig sind. Der Gelbkörper (Cor- erhöht, sodass Glucose verstärkt in die Zellen
pus luteum) bildet sich nun zurück (✑ S. 289). gelangen und verbraucht werden kann,
– die Umwandlung von Glucose in Glykogen
sowie die Eiweiß- und Fettbildung aus Koh-
lenhydraten fördert,
– die Glukoneogenese hemmt.
Hypothalamus
kontrolliert
Wachstums-
Insulin Glukagon Adrenalin
hormon
Senkung Steigerung
Blutzucker
Glukagon wirkt blutzuckerspiegelsteigernd durch: Die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) ist eine
– Steigerung der Glykogenolyse (Umwandlung Störung insbesondere des Kohlenhydratstoff-
von Glykogen in Glucose) in der Leber, wechsels durch relativen oder absoluten Insulin-
– Förderung der Glukoneogenese (Neubildung mangel.
von Glucose) und des Fettabbaus. Die wichtigsten Formen sind der Typ-I-Diabetes
(10 %), der meist in der Jugend beginnt und
❑
P Insulinmangel führt zur Zuckerkrankheit insulinabhängig ist, und der Diabetes vom Typ II
(Diabetes mellitus). Dabei kommt es zum An- (90 %), der oft nach dem 40. Lebensjahr auftritt
stieg des Blutzuckerspiegels (Hyperglykämie) und nicht unbedingt Insulinspritzen benötigt.
und infolgedessen zur Ausscheidung des
Zuckers im Urin (Glucosurie) bei gleichzeiti- Hauptursache beim Typ II ist eine genetisch be-
ger Erhöhung der Urinmenge (Polyurie). dingte Störung am Insulinrezeptor der Zellen,
Außerdem kommt es durch den verstärkten sodass die Glucose nicht in die Zellen gelangt.
Fettsäureabbau (um Glucose zu sparen) Folge:
zwangsläufig zu einer erhöhten Ketonkörper- Zuckermangel in den Körperzellen und Zucker-
synthese (Acetessigsäure -Hydroxybutter- überschuss im Blut.
säure, Aceton). Diese Säuren im Blut bedingen
eine metabolische Azidose, die in den Zustand Häufig auftretende Symptome der schweren
tiefer Bewusstloskeit (Coma diabeticum) Zuckerkrankheit sind großer Durst, Polyurie
führen kann. (= krankhafte Vermehrung der Harnmenge),
trockene juckende Haut und Leistungsschwäche.
Regulation des Blutzuckerspiegels In vielen Fällen kann durch sorgfältige Ab-
Der normale Nüchternwert des Blutzuckers liegt stimmung der Ernährung und körperlichen Akti-
zwischen 4,4 – 6,6 mmol/l = 80 – 100 (als Grenz- vität der Blutglucosespiegel ohne Medikamente
wert bis 120) mg/dl. Da Abweichungen von der im Normbereich gehalten werden.
Norm zu schwerwiegenden Erkrankungen Gefürchtete Komplikationen der Zuckerkrank-
führen, gehört die Konstanthaltung des Blut- heit sind:
glucosespiegels zu den wichtigsten Regula- – Blutzuckerentgleisungen (Hyper- und Hypo-
tionsaufgaben des Hormonsystems. Die wech- glykämie, die ins Koma übergehen können)
selnde Aufnahme von Kohlenhydraten mit der und die
Nahrung und die unterschiedliche körperliche – diabetischen Spätfolgen wie Arteriosklerose,
Belastung und folglich auch unterschiedliche erhöhte Infektanfälligkeit, schlechte Wund-
biologische Oxidationsrate verändern ständig heilung, Erblindung, Nierenversagen und
den Blutglucosespiegel. Neuropathien.
Ein wichtiger Risikofaktor für die Krankheits-
Ein Anstieg des Blutzuckerspiegels wird von entstehung (Typ II) ist das Übergewicht.
Glucoserezeptoren im Pankreas registriert. Dar-
aufhin wird verstärkt Insulin freigesetzt, bis sich
der Blutzuckerspiegel wieder normalisiert hat. 15.4.2 Hormonelle Regulation des
Mineralhaushaltes (Überblick)
Ein Abfall des Blutzuckerspiegels wird von Glu-
coserezeptoren (sog. Glukostate) im Hypothala- Die Regulation des Mineralhaushaltes erfolgt
mus registriert. Zur Normalisierung werden durch mehrere Hormone, die in verschiedenen
3 Antagonisten des Insulins vermehrt freigesetzt: Hormondrüsen gebildet werden.
Glukagon, Adrenalin und Wachstumshormon. Man unterschiedet 2 Gruppen:
❑
P Da der Blutglucosespiegel von mehreren 1. Hormone zur Regulation der Natrium-,
Hormonen beeinflusst wird, können Verände- Kalium- und Wasserkonzentration
rungen Rückschlüsse auf den Hormonhaushalt Die Regulation erfolgt durch Aldosteron im
des Körpers geben. Deshalb kommt der Mes- Zusammenwirken mit Renin und Angiotensin
sung des Blutzuckergehaltes große Bedeutung (✑ S. 204 und 274). Dabei wird der Wasserhaus-
zu. halt zwangsläufig mit beeinflusst.
15.4 Periphere Hormonsdrüsen 309
2. Hormone zur Regulation des Calciumhaus- • die Calciumresorption aus dem Darm,
haltes • die Calciumein- bzw. -auslagerung im Kno-
Die Regulation umfasst: chensystem,
• die Konstanthaltung des Blutcalciumspiegels, • die Calciumausscheidung durch die Niere.
16 Sinnessystem
Schallwellen
GP
akustische
AP Wahr-
nehmung
bipolare Nervenzellen
Merke
16.2 Chemische Sinne
Die Sinne der Oberflächen- und Tiefensensibi- (Geschmack und Geruch)
lität ermöglichen zusammen mit dem Gleich-
gewichtssinn die Regulation der Körperhal- Zu den chemischen Sinnen gehören Geschmacks-
tung und die Ausführung von sensiblen und Geruchssinn. Ihre Bedeutung liegt im
Bewegungsprogrammen, indem sie entspre- Wahrnehmen von Umwelteinflüssen, die ihrer-
chende Reflexhandlungen auslösen. seits lebenswichtige Nahrungsreflexe auslösen,
das Wohlbefinden des Menschen entscheidend
Schmerz mitbestimmen und ihn vor schädigenden Ein-
Akuter Schmerz ist ein lebensnotwendiges wirkungen schützen.
Warnsignal mit Schutzfunktion. Als Schmerz-
rezeptoren kommen in fast allen Körpergeweben Konkrete Aufgaben sind:
freie Nervenendungen infrage. Diese reagieren – Nahrungskontrolle,
auf bestimmte chemische Stoffe (z. B. Histamin, – Auslösung der Speichel- und Magensaft-
Serotonin, Wasserstoffionen ab pH 6), die bei sekretion,
– Beeinflussung des Sexualverhaltens und der
Schädigung von Geweben freigesetzt werden.
allgemeinen Affektlage (Lust, Unlust),
Ursache für die Bildung dieser Stoffe sind
– soziale Information („jemanden nicht riechen
mechanische, chemische oder thermische Reize können“).
(die eine bestimmte Intensität überschreiten),
aber auch krankhafte Veränderungen (z. B. Geschmackssinn
Entzündungen). Die durch Schmerzreize aus- Die zahlreiche Mikrovilli tragenden sekundären
gelösten Aktionspotentiale werden durch sensi- Geschmackssinneszellen bilden ca. 4.000 Ge-
ble Neurone in das entsprechende Verarbeitungs- schmacksknospen, die in den Zungenpapillen
zentrum der Großhirnrinde geleitet. Hier wird liegen (✑ S. 237). Die Geschmacksstoffe der
der Schmerz bewusst wahrgenommen. Nahrung lagern sich nach ihrer Lösung an die
Zellmembranen der Geschmacksrezeptoren und
❑
P Schmerzrezeptoren adaptieren nicht (Bei- erzeugen Aktionspotentiale. Diese werden über
spiel: stundenlange Kopfschmerzen). afferente Nervenfasern, die sich in den Hirn-
nerven VII, IX und X (✑ S. 356) befinden, ins
Schmerzqualitäten Zentralnervensystem geleitet.
Oberflächenschmerz: Kommt von der Haut und Es können 4 Grundqualitäten des Geschmacks
läßt sich differenzieren in unterschieden werden: süß, salzig, sauer, bitter.
– einen hellen 1. Schmerz, der vorwiegend
Fluchtreflexe auslöst, sowie Geruchssinn
– einen nachfolgenden dumpfen 2. Schmerz, Die bipolaren primären Geruchsrezeptoren sind
der vor allem zu Schonhaltungen führt. im Riechfeld (Regio olfactoria) der Nase lokali-
Tiefenschmerz: dumpfer Schmerz, z. B. Kopf-, siert und von Stützzellen umgeben. Ihre Riech-
Muskel-, Gelenk-, Bindegewebsschmerzen. härchen sind in Schleim eingebettet. Die mit
Eingeweideschmerz: dumpfer Schmerz, der z. B. dem Luftstrom antkommenden Riechstoffe
auftritt bei Mangeldurchblutungen, starker Deh- (= organische Substanzen) reichern sich in der
nung von Hohlorganen oder Spasmen (Menstrua- Zellmembran an und lösen Generator- und
tionsschmerz). Aktionspotentiale aus, die über den Riechnerven
(N. olfactorius) zum ZNS geleitet werden.
314 16 Sinnessystem
Speichel mit
Geschmacksstoffen
Geschmacks-
rezeptoren süß sauer
afferente
Nervenfasern
salzig bitter
Riechzentrum
Riechbahn
Riechnerv afferente Nervenfasern
(N. olfactorius)
Geruchs- Stützzelle
rezeptoren
Riechfeld
(Regio olfactoria)
Schleim
Riechfäden
(Fila olfactoria)
vereinigen sich zum Luft mit Duftstoffen
Riechnerven
Merke ❑
P Mit zunehmendem Alter nimmt die Leis-
Gewöhnlich überlagern sich Geruchs- und tungsfähigkeit der chemischen Sinne ab.
Geschmacksempfindungen zu Mischempfin- Bestimmte Krankheiten und Rauchen beein-
dungen. Im Vergleich zu anderen Sinnen trächtigen diese ebenfalls.
zeigen sie eine besonders ausgeprägte
Adaptation.
16.3 Hör- und Gleichgewichtssinn 315
Bogengänge Trommelfell
(Membrana tympani)
Ohrmuschel
Schnecke (Auricula)
(Cochlea)
äußerer Gehörgang
Hör- und Gleich- (Meatus acusticus
gewichtsnerv externus)
(N. vestibulocochlearis)
Paukenhöhle
(Cavitas tympanica)
Ohrtrompete
(Tuba auditiva)
Bogengänge
ovales Fenster
Schnecke Vorhof
(Cochlea)
Steigbügel Hammer
(Stapes) (Malleus)
mit Handgriff
Amboss
(Incus) äußerer
Gehörgang
Trommelfell (Meatus acusticus
(Membrana tympani) externus)
❑
P Schleimhautschwellungen bei Nasen-Ra- lymphe als schützendes Flüssigkeitspolster.
chen-Infekten können den Druckausgleich ver- – Flüssigkeitsraum innerhalb des häutigen Laby-
hindern und somit vorübergehend das Hören rinths mit der Endolymphe, die das jeweilige
beeinträchtigen. Sinnesepithel umspült.
Innenohr (= Labyrinth)
Das Innenohr wird von einem knöchernen 16.3.1 Gleichgewichtssinn
Kanalsystem, dem knöchernen Labyrinth, ge-
bildet. Der Gleichgewichtssinn löst wichtige Reflexe
Im knöchernen Labyrinth befindet sich, von zur Gleichgewichtserhaltung des Körpers aus.
Perilymphe (s. u.) getrennt, ein analoges häutiges
Kanalsystem, das häutige Labyrinth. Es enthält Gliederung
die Sinneszellen des Hör- und Gleichgewichts- Das Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan) ist
organs. gemeinsam mit dem Hörorgan im Innenohr
Das Innenohr (knöchernes und häutiges Laby- lokalisiert.
rinth) gliedert sich in 3 Abschnitte: Es besteht aus 2 Untereinheiten:
– knöcherne Schnecke mit häutigem Hörorgan, 1. den 2 Vorhofsäckchen Utriculus und Saccu-
– knöcherner Vorhof mit den beiden häutigen lus, mit den Lagesinneszellen und
Vorhofsäckchen und 2. den 3 Bogengängen (seitlicher, vorderer und
– knöcherne Kanäle der Bogengänge mit häuti- hinterer häutiger Bogengang) mit den Dreh-
gen Bogengängen. sinneszellen.
Utriculus Sacculus
Horizontalbeschleunigung Vertikalbeschleunigung
Endolymphe
Ciliarbewegung
Statolithen-
membran
Erregung
Haarsinnes-
zellen
Nervenzellen Gehirn
Sacculus (vorderes Vorhofsäckchen) und Dies wird ermöglicht, weil die 3 Bogengänge in
Utriculus (hinteres Vorhofsäckchen) den 3 Hauptebenen des Raumes senkrecht auf-
In den Vorhofsäckchen liegen die Lagesinnes- einander stehen. Die Bogengänge haben ihren
zellen zum Registrieren geradliniger Beschleuni- Ursprung am Utriculus, über den sie auch in
gungen. Der „Fleck“, an dem sich das Sinnes- Verbindung stehen. Jeweils ein Schenkel der
epithel befindet, heißt Macula. halbkreisförmig gebogenen Röhren erweitert
Die Haarsinneszellen mit den Sinneshärchen sind sich an der Basis zu einer Ampulle, in der auf
in eine gallertartige Masse eingebettet, die einer kaminartigen Erhebung (Crista ampulla-
durch winzige Kalksteinchen beschwert wird. ris) die Sinneszellen lokalisiert sind. Die Sinnes-
Diese Masse wird als Statolithenmembran härchen tauchen ebenfalls in eine Gallerte, die
bezeichnet und ist schwerer als die Endolymphe. wie ein Hut (Cupula) auf den Sinneszellen liegt.
Das Gewicht der Statolithenmembran verbiegt Dreht sich der Kopf (= adäquater Reiz), dann
die Sinneshärchen bereits in Ruhe. Bei jeder kann die Endolymphe infolge ihrer Trägheit der
positiven oder negativen Linearbeschleunigung Bewegung nicht gleich folgen, sie bleibt stehen.
(= adäquater Reiz) bewirkt sie infolge der Dadurch wird die Cupula (Gallertkappe) in die
Trägheit eine zusätzliche Verbiegung der Gegenrichtung gedrückt, und die Sinneshärchen
Sinneshärchen, welche dann Erregung auslöst. werden verbogen. Die Verbiegung der Sinnes-
Die vertikal angeordneten Sinneszellen des härchen führt zur Erregung der Haarsinnes-
Sacculus werden durch Vertikalbeschleunigungen zellen.
erregt, z. B. durch rasches Anfahren oder
Stoppen eines Fahrstuhls. Die horizontal ange- ❑
P Die Folgen übermäßiger Reizung des Vesti-
ordneten Sinneszellen des Utriculus werden bularapparates sind Kinetosen (See- oder
durch Horizontalbeschleunigungen erregt, z. B. Reisekrankheit) und Schwindelgefühl.
plötzliches Anfahren oder Bremsen eines Autos.
Zentrale Verarbeitung
In den Bogengängen befinden sich die Dreh- Die Erregungen vom Gleichgewichtsorgan ge-
sinneszellen zum Registrieren von Winkel- langen über den Gehör- und Gleichgewichts-
(Dreh-) beschleunigungen. nerven (N. vestibulocochlearis) zu den Vestibu-
lariskernen im verlängerten Mark (Medulla
oblongata).
318 16 Sinnessystem
Erregung
Haarsinneszellen
Ampulle
(Crista ampullaris)
Verbiegung der Cilien
Gallertkappe
(Cupula)
Endolymphe
Lymphströmung
Winkelbeschleunigung
Corti’sches Organ
In der Scala media liegt auf der Basilarmembran
das Cortische Organ. Es enthält die Gehör-
sinneszellen, die ebenfalls zu den Haarsinnes-
zellen gehören. Die gallertartige Masse, in die
die Cilien eintauchen, heißt Tektorialmembran.
An der äußeren Seite der Scala media befindet
sich eine blutgefäßreiche Region (= Stria vascu-
laris) zur Versorgung des Hörorgans.
16.3 Hör- und Gleichgewichtssinn 319
16.3.3 Physiologie des Hörens also bei relativ niedrigem Schalldruck gehört
werden.
Der adäquate Reiz für das Hörorgan sind Schall-
wellen der Frequenzen 16 Hz bis ca. 20.000 Hz. Merke
Sie müssen eine bestimmte Intensität (Mindest- Das menschliche Ohr besitzt für den Fre-
schalldruck) besitzen, damit die Reizschwelle quenzbereich 2.000 – 5.000 Hz die größte
(= Hörschwelle) erreicht bzw. überschritten wird. Empfindlichkeit. Hier genügen bereits sehr
Die Hörschwelle ist nicht für alle Frequenzen niedrige Schalldrücke, um die Hörschwelle
gleich, sie liegt für den Frequenzbereich 2.000 – zu überschreiten.
5.000 Hz am niedrigsten; diese Töne können
Schnecke
(Cochlea)
Schnecke Schneckenloch
(Cochlea)
zwischen Vorhof-
und Paukentreppe
(Helicotrema)
Vorhof Schneckenachse
ovales Fenster Vorhoftreppe
(= Vorhoffenster) (Scala vestibuli)
rundes Fenster Schneckengang
(= Schneckenfentser) (Ductus cochlearis,
Vorhoftreppe Scala media – endet
(Scala vestibuli) an der Schneckenspitze
blind)
Paukentreppe
(Scala tympani) Paukentreppe
(Scala tympani)
Corti’sches Organ
Vorhoftreppe
(Scala vestibuli)
mit Perilymphe
Schneckengang
(Ductus cochlearis,
Scala media)
mit Endolymphe
Reissner’sche Membran
(Membrana vestibularis)
Tektorialmembran
(Membrana tectoria)
äußere Sinneszellen •
innerer Tunnel
innere Sinneszellen •
Basilarmembran
(Lamina basilaris)
Paukentreppe
(Scala tympani)
mit Perilymphe
Stützzellen
• Haarzellen
❑
P Der Schalldruckpegel ist ein Maß für den Erregung der Gehörsinneszellen
Schalldruck. Die Maßeinheit ist das Dezibel Die Schwingungen der Membran des ovalen
(dB). Der Schalldruck, der gerade noch eine Fensters erzeugen in der Perilymphe der Scala
Hörempfindung auslöst, wird mit 0 dB ange- vestibuli fortlaufende Druckwellen. Diese pflan-
geben. Bei jeder Verzehnfachung des Schall- zen sich zur Schneckenspitze fort und gelangen
druckes erhöht sich der Schalldruckpegel um über die Scala tympani wieder zurück. Das run-
20 dB. de Fenster am Ende der Scala tympani dient dem
Druckausgleich.
Die Schallwellen gelangen hauptsächlich über Durch die gegenläufigen Flüssigkeitsströmun-
das äußere Ohr zum Trommelfell und versetzen gen in der Scala vestibuli und tympani geraten
es in Schwingungen. Diese werden über die die beweglichen Strukturen in der Scala media,
3 Gehörknöchelchen auf die Membran des ovalen Reissner-Membran und Basilarmembran in eine
Fensters übertragen, welche dadurch ebenfalls wellenförmige Bewegung. Sie wird als Wander-
zu schwingen beginnt. Dieser Weg der Schall- welle bezeichnet und breitet sich zur Schnecken-
übertragung heißt Luftleitung. spitze hin aus; das Helicotrema wird allerdings
Wird der ganze Schädel, z. B. durch das Aufset- aufgrund bestimmter Dämpfungsvorgänge nicht
zen einer Stimmgabel, in Schwingungen ver- erreicht. Das heißt, jede Wanderwelle endet an
setzt, entsteht ebenfalls eine Hörwahrnehmung – einem bestimmten Punkt und erzeugt hier ein
man spricht von Knochenleitung. Sie spielt phy- Amplitudenmaximum (stärkste Auslenkung der
siologisch nur eine geringe Rolle. Basilarmembran).
Da die Basilarmembran zur Schneckenspitze hin
❑
P Mittelohrerkrankungen können zu Schwer- breiter und schlaffer wird, entsteht das Ampli-
tudenmaximun der hohen Töne (hohe Frequenz)
hörigkeit führen, Versteifung des ovalen
in der Nähe des ovalen Fensters und das niedri-
Fensters zu Taubheit.
ger Töne (niedrige Frequenz) weiter hinten in
der Schnecke. So ist es möglich, dass das Gehirn
Tab. 16.2 Schallaufnahme und -weiterleitung. jeder Stelle der Scala media eine bestimmte
Tonhöhe zuordnen kann.
Äußeres Ohr
Die Verformung des Endolymphkanals bewirkt
Trommelfell eine Verschiebung der Tektorialmembran gegen-
über den Haarsinneszellen (Hörzellen) und damit
Hammer eine Verbiegung ihrer Cilien. Diese Verbiegung
führt zur Erregung, die über den Hörnerv in das
Amboss Verstärkung Gehirn (Hörrinde) geleitet und dort verarbeitet
wird: Das Gehörte wird uns bewusst.
Steigbügel
Leistungen des Gehörsinns
ovales Fenster Zu den Leistungen des Gehörsinns gehören vor
allem
Perilymphe der Scala vestibuli – die Unterscheidung von Tonhöhen und Schall-
intensitäten sowie
Wanderwelle Amplitudenmaximum – die Feststellung der Schallrichtung und Ent-
fernung der Schallquelle.
Verbiegung der Cilien
❑
P Die Zerstörung einzelner Abschnitte der
Aktionspotentiale Basilarmembran oder Hörzellen – z. B. durch
Lärm – führt zu Hörausfall für einzelne Ton-
Hörnerv höhen bzw. auch zu Schwerhörigkeit. Bei be-
stimmten Krankheiten und im Alter kann sich
Gehirn die Reizschwelle verändern.
16.4 Gesichtssinn 321
Pigmentepithel
Netzhaut
(Schema)
Stäbchen
Lichteinfall
Zapfen
2. Mittlere Augenhaut
Zur mittleren Augenhaut gehören Aderhaut, Ziliarkörper mit Ziliarmuskel
Ziliarkörper und Regenbogenhaut. Die Aderhaut und Ziliardrüse
(Chorioidea) ist für die Blutversorgung verant-
wortlich und deshalb gefäßreich. Der Ziliar- Schlemm'scher
körper (Corpus ciliare) hat 3 Aufgaben: Kanal
• Haltesystem für die Linse;
vordere Augen- hintere Augen-
• Veränderung der Linsenkrümmung durch Kon- kammer kammer
traktion bzw. Erschlaffung des Ziliarmuskels;
• Produktion des Kammerwassers. Pupille Linse
(Lens)
Hornhaut
Die Regenbogenhaut (Iris) ist farbig und besteht (Cornea) Regenbogen-
aus einem Ringmuskel zum Engstellen und ei- haut
nem Radialmuskel zum Weitstellen der Pupille. Lederhaut (Iris)
(Sclera)
Die Pupille ist eine kreisrunde Öffnung in der
Iris, die sich vor der Linse befindet.
Weg des Kammerwassers. Abb. 16.10
3. Brechende Medien
Brechende Medien sind Hornhaut, Linse, Kam-
merwasser und Glaskörper.
Hornhaut (Cornea): 3/4 der Brechkraft des Merke
Auges entfallen auf die Hornhaut.
Das Kammerwasser dient dem Stofftransport
Linse (Lens): Die bikonvexe Linse ist eine glas- innerhalb des Auges.
klare elastische Struktur mit variabler Brechkraft.
Sie besteht aus eiweißreichen Zellen und ist ge- Weg des Kammerwassers
fäß- und nervenfrei. Eine ebenfalls durchsichtige Das Kammerwasser gelangt vom Bildungsort
Linsenkapsel begrenzt sie. Die Linse ist an Fasern zunächst in die hintere Augenkammer, von dort
des ringförmigen Ziliarmuskels aufgehängt. durch die Pupille in die vordere Augenkammer.
Vom Kammerwinkel (= Hornhaut-Iris-Winkel)
❑
P Beim grauen Star (Katarakt) tritt eine Trü-
fließt die Hauptmenge über den Schlemm’schen
bung der Linse ein. Kanal in das Venensystem.
Die Stäbchenzellen liegen mit Ausnahme des 16.4.2 Schutz- und Bewegungsapparat
gelben und blinden Flecks in der gesamten Pars des Auges
optica. Die Zapfenzellen sind auf die Fovea cen-
tralis (kleine Grube) des gelben Fleckes und ihre Die Teile des Schutz- und Bewegungsapparates
unmittelbare Umgebung konzentriert. gewährleisten die störungsfreie Funktion des
hochempfindlichen Lichtsinnesorgans. Zu ihnen
Das 2. Neuron wird von bipolaren Nervenzellen gehören die knöcherne Augenhöhle, die Augen-
gebildet. lider und der Tränenapparat.
Oberlid
gemeinsamer
Sehnenring der
Augenmuskulatur
Augapfel
(Bulbus oculi) Sehnervenkanal
(Canalis opticus)
Sehnerv
(N. opticus)
oberer schräger
Augenmuskel
III. Augen- oberer gerader
bewegungsnerv Augenmuskel
(N. oculomotorius)
äußerer gerader
Mittelhirn Augenmuskel
Brücke
IV. Augenrollnerv
(N. trochlearis)
mittlerer gerader unterer schräger
Medulla oblongata Augenmuskel Augenmuskel
VI. Augenabziehnerv unterer gerader
(N. abducens) Augenmuskel
Liddrüsen Tränenapparat
Augenbraue
Tränendrüse
Oberlid (Gl. lacrimalis)
Moll’sche Drüse obere
Wimper Umschlagstelle
der Bindehaut
Meibom’sche Drüse (Bindehautsack) Tränensack
Regen-
bogenhaut Tränen-
Pupille nasengang
(Ductus
nasolacrimalis)
Bindehaut Tränen-
(Conjunctiva)
untere Umschlagstelle röhrchen
Unterlid der Bindehaut
Moll’sche Drüse Tränen-
(Bindehautsack)
punkt
Meibom’sche Drüse
❑
P Sowohl das Berühren der Hornhaut als auch Tränenapparat
Die Tränendrüsen hinter dem Oberlid sezernie-
der Bindehaut führt reflektorisch zum Lid-
ren pro Tag etwa 500 ml Tränenflüssigkeit. Sie
schluss (Schutzreflex).
ist farblos und enthält desinfizierende Substan-
zen (z. B. Kochsalz) und das bakterienabtötende
Die Bindehaut eignet sich wie alle Schleim-
Lysozym. Über mehrere Ausführgänge gelangt
häute gut zur Resorption von Arzneimitteln. In
die Tränenflüssigkeit in den Bindehautsack und
Form von Augentropfen werden sie meist in
wird durch den Lidschlag über die Vorderfläche
den unteren Teil des Bindehautsackes (Unterlid
des Augapfels verteilt, sodass die Hornhaut
wird abgezogen oder umgeschlagen) einge-
feucht gehalten wird. Die Tränenflüssigkeit sam-
träufelt.
melt sich im medialen Augenwinkel, dem sog.
Liddrüsen Tränensee, und fließt über Tränenröhrchen,
– Meibom-Drüsen (innere Talgdrüsen). Sie lie- Tränensack und Tränennasengang in den unte-
gen an der Lidhinterseite und produzieren ein ren Nasengang.
talgähnliches Sekret, das über Ausführgänge
Merke
der hinteren Lidkante an die Lidränder gelangt
und diese einfettet. Die Tränenflüssigkeit sichert die einwand-
– Moll-Drüsen. Schweißdrüsen, die in der Nähe freie Funktion der Hornhaut, indem sie sie
des Lidrandes liegen und dort ausmünden. feucht hält und kleine Unebenheiten aus-
– Zeis-Drüsen. Äußere Talgdrüsen, deren Aus- gleicht sowie Fremdkörper im Bindehautsack
führgänge am Follikel der Wimpern enden. ausschwemmt.
❑
P Das Gerstenkorn (Hordeolum) entsteht durch
Stauung des Sekretes und Entzündung der Zeis- ❑
P Zu wenig Tränenflüssigkeit führt zu Binde-
Drüsen. Das Hagelkorn (Chalazion) entsteht haut- und Hornhautentzündung (Conjunctivitis,
durch Stauung des Sekrets und Entzün- Keratitis, „Syndrom des trockenen Auges“).
dung der Meibom-Drüsen.
326 16 Sinnessystem
16.4.3 Physiologie des Sehens Das geschieht durch aktive Änderung der Linsen-
krümmung (vorwiegend ihrer vorderen Fläche)
Als adäquater Reiz wirken elektromagnetische und heißt Akkommodation.
Strahlen der Wellenlängen 400 bis 700 nm (= Man unterscheidet
sichtbares Licht). – Fernakkommodation: Bei entspanntem Ziliar-
muskel flacht sich die Linse ab, die Brechkraft
Bildentstehung auf der Netzhaut wird verringert.
Die brechenden Medien (Cornea, Kammerwas- – Nahakkommodation: Durch Kontraktion des
ser, Linse, Glaskörper) werden als dioptrischer Ziliarmuskels kann sich die Linse so weit
Apparat bezeichnet. Dieser wirkt wie eine Sam- krümmen, dass die Brechkraft um etwa
mellinse und lässt auf der Netzhaut verkleinerte 14 Dioptrien steigt. Das ermöglicht ein schar-
umgekehrte reelle Bilder der Umwelt entstehen. fes Sehen bis zu einem Abstand von ca. 10 cm
(= Nahpunkt).
Brechkraft
Die Brechkraft gibt an, wie stark Lichtstrahlen ❑
P Die Nahakkommodation nimmt mit zuneh-
gebrochen werden. Sie wird als Kehrwert der mendem Alter ab (Linse krümmt sich aufgrund
Brennweite (f) berechnet und in Dioptrien (dpt) ihres Elastizitätsverlustes nicht mehr genug).
ausgedrückt. Die vordere Brennweite des mensch- Wenn der Nahpunkt größer als 30 cm wird,
lichen Auges beträgt 17 mm, deshalb gilt: spricht man von der Alterssichtigkeit (Presbyo-
1 1 pie). Die Kompensation erfolgt durch Sam-
D = = = 58,8 dpt mellinsen, die den Nahpunkt wieder näher an
f 0,017 m das Auge rücken. Nicht immer sind Größe und
Form des Augapfels genau auf die Brechkraft
Akkommodation des dioptrischen Apparates abgestimmt, sodass
Das Bild eines Gegenstandes wird nur dann Störungen bei der Bildentstehung auftreten.
scharf abgebildet, wenn es genau auf der Netz- Die wichtigsten sind:
haut entsteht. Damit die Bilder von Gegenstän- • Kurzsichtigkeit (Myopie),
den unterschiedlicher Entfernungen scharf gese- • Weitsichtigkeit (Hyperopie, Hypermetropie).
hen werden, ändert das Auge seine Brechkraft.
Parallelstrahl
Sehachse
(Axis opticus)
gelber
Achse des äußerer Fleck
Augapfels Brennpunkt
(Axis bulbi)
Hornhaut
Brennpunktstrahl (Cornea)
Linse
(Lens cristallina) innerer
Brennpunkt
Strahlenkörper
(Corpus ciliare) Netzhaut
(Retina)
Fernakkommodation Nahakkommodation
Bildebene Zerstreuungslinse
Bildebene Sammellinse
Lichteinfall
Pupille eng
Parasympathicus
Lichteinfall
➠
Pupille weit
Sympathicus
Merke
Die Aufgabe der Sehzentren besteht darin,
die von den Augen kommenden Informationen
in ein aufrechtes, reelles Bild umzuwandeln.
❑
P Bei Zerstörung der Sehzentren, z. B. durch
Tumoren, Verletzungen etc., erblindet der
Mensch (= Rindenblindheit).
1. Definieren Sie
a) Reiz,
b) adäquater Reiz,
c) Reizschwelle,
d) Rezeptor,
e) Sinnesorgan.
2. Nehmen Sie eine Klassifizierung der Reize vor.
3. Erläutern Sie
a) Reizaufnahme,
b) Informationsleitung.
4. Was ist
a) unter Oberflächensensibilität,
b) unter Tiefensensibilität zu verstehen?
Erläutern Sie die biologische Bedeutung dieser Sinne.
5. Welche Bedeutung hat der Schmerz?
Was versteht man unter übertragenem Schmerz?
6. Erläutern Sie die biologische Bedeutung von Geruch und Geschmack.
7. Beschreiben Sie den Aufbau des Ohres.
8. Wie arbeitet das Gleichgewichtsorgan, und welche Aufgaben erfüllt es im Körper?
9. Erläutern Sie die ablaufenden Prozesse bei der Schallaufnahme und -weiterleitung.
10. Erklären Sie, wie es zur Erregung der Hörsinneszellen im Corti’schen Organ kommt.
11. Nennen Sie Maßnahmen zur Lärmbekämpfung.
12. Beschreiben Sie den Bau des menschlichen Auges.
13. Welche Aufgaben haben:
a) die brechenden Medien,
b) der Ziliarkörper,
c) das Kammerwasser?
14. Beschreiben Sie den Abfluss des Kammerwassers.
15. Wo liegen
a) vordere und
b) hintere Augenkammer?
16. Beschreiben Sie die Verteilung der Photorezeptoren in der Retina.
17. Definieren Sie
a) gelber Fleck,
b) blinder Fleck!
18. Nennen Sie die Schutzeinrichtungen des Auges und ihre Aufgaben.
19. Beschreiben Sie die Bildentstehung auf der Netzhaut und das Funktionsprinzip der Stäb-
chen und Zapfen.
20. Erklären Sie Akkommodation und Adaptation.
Worin liegt ihre biologische Bedeutung?
21. Was versteht man unter der Sehbahn?
22. Geben Sie einen Überblick über die Leistungen des Gesichtssinnes.
23. Warum strengt langes Nahsehen die Augen besonders an?
331
17 Nervensystem
optimale Anpassung an
die aktuellen Umweltein- ZNS
wirkungen erfolgt. Dazu
nimmt es mithilfe von Rückenmark
Rezeptoren Informationen (Medulla spinalis)
auf, analysiert und spei-
chert sie, um danach die
Effektorgane zur Aktivität
anzuregen. Zum Beispiel
wird Sprachinformation
akustisch aufgenommen,
analysiert und gespei-
chert, danach werden die
Sprechorgane erregt, und
es erfolgt die Reaktion.
Nervensystem (NS)
ZNS – anatomische Gliederung – PNS
Nervensysten (NS)
animales NS – physiologische Gliederung – vegetatives NS, VNS
(= cerebrospinales NS, (= Eingeweide-
Umweltnervensystem) nervensystem)
17.2 Rückenmark
Anschwellung im
(Medulla spinalis) Lendenbereich
(Intumescentia lumbosacralis)
Das Rückenmark leitet über absteigende
Nervenfasern (Leitungsbahnen = weiße
Rückenmark
Substanz) Informationen vom Gehirn zur (Medulla spinalis)
Peripherie bzw. über die aufsteigenden
Nervenfasern Informationen von der Rückenmark (Medulla spinalis). Abb. 17.2
Peripherie zum Gehirn.
17.2 Rückenmark 333
C1
Halsteil (Pars cervicalis) mit
8 Paar Halsnerven (Nn. cervicales)
C8
Th1
Th12
L1
Lendenteil (Pars lumbalis) mit
Pferde- 5 Paar Lendennerven
(Nn. lumbales)
schweif
(Cauda
equina) L5
S1 Kreuzbeinteil (Pars sacralis) mit
5 Paar Kreuzbeinnerven (Nn. sacrales)
S5
Co1 Steißbeinteil (Pars coccygea) mit
1– 3 Paar Steißbeinnerven (Nn. coccygei)
Co3
zwischen Peripherie und Gehirn verlaufen. Die weißer Substanz, die Commisura alba anterior,
weiße Substanz wird durch die graue „Schmet- in Verbindung;
terlingsfigur“ rechts und links in jeweils – einen Seitenstrang (Fubiculus lateralis)
3 Stränge unterteilt: zwischen motorischer Vorder- und sensibler
– einen Vorderstrang (Funiculus anterior) Hinter wurzel und
zwischen Fissura mediana anterior (vordere – einen Hinterstrang (Funiculus posterior)
Längsspalte) und motorischer Vorderwurzel. zwischen sensibler Hinterwurzel und Sulcus
Beide Vorderstränge stehen durch eine Brücke medianus posterior (hinterer Rückenmarks-
furche).
17.3 Gehirn 335
17.3.1 Masse, Lage, Form, Gliederung Das Endhirn ist der Sitz des Bewusstseins, des
Empfindens, des Willens und des Gedächtnisses.
Das Gehirn ist der rostrale Teil des Zentralnerven- Es ist beim Menschen der größte Hirnabschnitt,
systems. Beim Erwachsenen beträgt die Hirn- der einen weiten Teil der übrigen Hirnteile über-
masse durchschnittlich 1.350 bis 1.500 Gramm. deckt und diesen funktionell übergeordnet ist.
Das Gehirn liegt von Hirnhäuten und Liquor Gebildet wird es von zwei fast symmetrischen
umgeben in der knöchernen Schädelhöhle und halbkugelförmigen Hälften (Hemisphären), die
ist dieser in seiner äußeren Form angepasst. Die durch einen tiefen Längsspalt (Fissura longitudi-
untere Fläche des Gehirns heißt Hirnbasis. nalis cerebri) voneinander getrennt und durch
den Balken (Corpus callosum) miteinander ver-
Gliederung des Gehirns bunden sind.
Folgende Abschnitte unterscheidet man:
• Endhirn (Telencephalon) oder Die Oberfläche der beiden Hemisphären wird
Großhirn (Cerebrum), durch zahlreiche Windungen (Gyri, Singular:
Endhirn
(Telencephalon)
= Großhirn
(Cerebrum)
Scheitel-
Hinterhaupt-Furche
(Sulcus parietooccipitalis)
Balken
(Corpus callosum)
Zirbeldrüse
Zwischenhirn (Epiphyse)
(Diencephalon)
Hirnanhangdrüse
(Hypophyse) Kleinhirn
(Cerebellum)
Mittelhirn
(Mesencephalon) Brücke
(Pons)
verlängertes
Mark
(Medulla oblongata)
vordere hintere
Zentralwindung Zentralwindung
(Gyrus praecentralis) (Gyrus postcentralis)
Stirnlappen Scheitellappen
(Lobus frontalis) (Lobus parietalis)
Scheitel-
Hinterhaupt-Furche
seitliche Furche (Sulcus parieto-occipitalis)
(Sulcus lateralis)
Hinterhauptlappen
Schläfenlappen (Lobus occipitalis)
(Lobus temporalis)
Zentralfurche
(Sulcus centralis)
Gyrus) und Furchen (Sulci, Singular: Sulcus) Graue Substanz (Substantia grisea)
beachtlich vergrößert. Gleichzeitig wird durch Die graue Substanz bildet
die tiefen Furchen jede Endhirnhemisphäre in – die Endhirnrinde (Cortex cerebri), die wie
4 Endhirnlappen (Lobi, Singular: Lobus) unter- ein Mantel das Endhirn (Großhirn) umschließt.
teilt: Sie besteht aus 10 – 16 Milliarden Nervenzell-
• Stirnlappen (Lobus frontalis), körpern, die in 6 Schichten übereinander an-
• Scheitellappen (Lobus parietalis), geordnet sind;
• Schläfenlappen (Lobus temporalis) und – die Kerne des Endhirns: Als solche werden
• Hinterhauptlappen (Lobus occipitalis). Ansammlungen von grauer Substanz unter-
halb der Hirnrinde bezeichnet.
Wichtige Furchen als Grenzlinien zwischen den
Lappen sind Funktionszentren der Endhirnrinde
– die Zentralfurche (Sulcus centralis) zwischen Die ablaufenden Nervenprozesse können be-
Stirn- und Scheitellappen, stimmten Teilen der Rinde (= Rindenfelder) zu-
– die seitliche Furche (Sulcus lateralis) zwi- geordnet werden. Diese Rindenfelder werden von
schen Stirn-, Scheitel-, Schläfenlappen sowie Nervenzellkörpern gebildet, die gleiche oder ähn-
– die Scheitel-Hinterhaupt-Furche (Sulcus parieto- liche Funktionen erfüllen. Die Projektion erfolgt
occipitalis) zwischen Scheitel- und Hinter- in der Weise, dass die Abschnitte der linken
hauptlappen. Körperhälfte auf dem Kopf stehend (Bein und
Becken oben, Kopf unten) in der rechten End-
Merke hirnhemisphäre und umgekehrt repräsentiert
werden. Nach der Funktion unterscheidet man
Vor der Zentralfurche liegt die vordere Zentral-
2 verschiedene Rindenfeldtypen, die motorischen
windung (Gyrus praecentralis) und hinter
und die sensorischen (sensiblen) Rindenfelder.
ihr die hintere Zentralwindung (Gyrus post-
centralis).
Motorische Rindenfelder
Sie werden von motorischen Neuronen gebildet
Innerer Bau und sind für das Zustandekommen der Bewe-
Wie das Rückenmark besteht auch das Gehirn gungen verantwortlich.
aus grauer und weißer Substanz.
17.3 Gehirn 337
Zentralfurche
(Sulcus centralis)
vordere
Zentralwindung hintere
(Gyrus praecentralis) Zentralwindung
– Willkürmotorik – (Gyrus postcentralis)
motorisches – Körperfühlsphäre –
Lese- und
Schreibzentrum Scheitellappen
(„Blickzentrum“) (Lobus parietalis)
Stirnlappen Hinterhauptlappen
(Lobus frontalis) (Lobus occipitalis)
seitliche Furche Sehzentrum
(Sulcus lateralis)
Sensorische Rindenfelder ❑
P Bei Ausfall des Sehzentrums ist der Mensch
Sie werden von sensiblen Neuronen gebildet und blind (Rindenblindheit).
verarbeiten die von den Sinneszellen aufgenom-
menen Informationen. Dem Sehzentrum benachbart sind verschiede-
– Primäres sensorisches Rindenfeld (= Körper- ne optische Assoziationszentren, z. B. das
fühlsphäre). Das Zentrum befindet sich in der optische Erinnerungszentrum für die Schrift
hinteren Zentralwindung (Gyrus postcentra- (= optisches Lese- und Schreibzentrum).
lis) des Scheitellappens, wo die sensiblen Kör-
perfühlbahnen enden. Diese leiten die Infor-
mationen von den Tast-, Druck-, Temperatur-
❑
P Fällt das Zentrum der optischen Erinnerung
aus, kann der Mensch zwar sehen, aber nicht
und Schmerzrezeptoren der Haut, den Mus-
erklären, was er gesehen hat. Dies wird als
keln, Gelenken und inneren Organen in das
„Seelenblindheit“ bezeichnet.
Zentrum. Hier werden sie dann zu Tast-,
Druck-, Temperatur- und Schmerzempfindun- – Zentren für Geschmacks- und Geruchsemp-
gen verarbeitet und bewusst wahrgenommen findungen. Beide Zentren liegen an der Innen-
(✑ auch Abb. 17.17, S. 350). seite des Schläfenlappens (Gyrus parahippo-
– Hörzentrum. Das Hörzentrum liegt im Schlä- campalis), wobei sich das Geruchszentrum im
fenlappen und ist nur wenige Millimeter groß. vorderen Abschnitt befindet.
Es ist für die Wahrnehmung von Lauten und
Tönen zuständig.
Merke
❑
P Ausfall des Hörzentrums führt zur Taubheit. Die Organe des Körpers sind bestimmten sen-
siblen und motorischen Regionen der Endhirn-
– Sensorisches Sprachzentrum (= Wernicke- rinde zugeordnet. Dies bezeichnet man als
Zentrum). Dieses Zentrum befindet sich hin- Somatotopie (✑ Abb. 17.8).
ter dem Hörzentrum im Schläfenlappen und
ist wie das motorische Sprachzentrum meist In den primären Projektionsfeldern der Motorik
nur in der linken Endhirnhälfte zu finden. Es (vordere Zentralwindung) und Sensibilität (hin-
ist für das Verstehen und die Interpretation tere Zentralwindung) der Endhirnrinde sind die
von Wörtern zuständig. einzelnen Organe nicht nach ihrer Größe, son-
dern entsprechend ihrer funktionellen oder bio-
logischen Wertigkeit repräsentiert. Das heißt, je
❑
P Ausfall bedeutet „Seelentaubheit“. Dem bedeutungsvoller ein Organ diesbezüglich ist,
Kranken fehlt die Spracherinnerung. Worte und desto größer ist die räumliche Ausdehnung sei-
Silben werden als „Wortsalat“ hervorgebracht nes Rindenbezirkes und umgekehrt.
(Paraphasie).
Repräsentation des Körpers im Gyrus postcentralis und praecentralis (Somatotopie). Abb. 17.8
Längsfurche
primäres motorisches (Fissura longitudinalis
Rindenzentrum cerebri)
Endhirnrinde
(Cortex cerebri),
graue Substanz
Hirngewölbe (Substantia grisea)
(Fornix) weiße Substanz
(Substantia alba)
Schweifkern
(Nucleus caudatus) Balken
(Corpus callosum)
Thalamus
Vormauer innere Kapsel
(Claustrum) (Capsula interna)
mit
Linsenkern- Projektionsbahnen
schale (nicht dargestellt)
(Putamen)
Mandelkörper
Bleicher Kern (Corpus amygdaloideum
(Pallidum)
Hypothalamus
Linsenkern
(Nucleus lentiformis) rechte Hemisphäre alinke Hemisphäre
Die Basalganglien sind ein wichtiges Bindeglied – Assoziationsbahnen: Sie verbinden die Zen-
zwischen den motorischen Zentren der Großhirn- tren innerhalb einer Endhirnhemisphäre unter-
rinde und denen des Hirnstammes; sie sind aber einander.
der Rinde untergeordnet. – Kommissurenbahnen: Sie verbinden die bei-
den Hemisphären miteinander.
Aufgaben
Die Basalganglien sind vor allem am Zustande- Merke
kommen und der Sicherung der normalen Bewe-
gungsabläufe beteiligt. Das heißt, als Teil des Das wichtigste Kommissurensystem ist der
extrapyramidal-motorischen Systems Balken (Corpus callosum).
– sichern sie die Flüssigkeit und Zweckmäßig-
keit der Bewegungen sowie automatisierte und – Projektionsbahnen: Diese Leitungsbahnen
individuelle Mitbewegungen, verbinden das Endhirn mit den anderen Hirn-
– koordinieren sie die Bewegungen und sind teilen und dem Rückenmark.
mitverantwortlich für Mimik und Muskeltonus,
Merke
– integriert der Mandelkörper Umweltreize und
inneres Milieu und beeinflusst somit die Das Hauptprojektionssystem ist die innere
Tätigkeit des vegetativen Nervensystems. Kapsel (Capsula interna), die in Wirklichkeit
keine Kapsel ist, sondern ein Gebiet, in dem
Merke die meisten afferenten und efferenten Projek-
Koordinierte und orientierte Handlungen bis tionsfasern auf engstem Raum verlaufen.
hin zum Persönlichkeitsprofil sind immer das
Ergebnis des Zusammenwirkens aller Funk- ❑
P Schädigungen der inneren Kapsel entstehen
tionszentren der Endhirn- bzw. Großhirnrinde z. B. bei Blutungen. Sie führen zu schwerwie-
mit den übrigen Teilen des Nervensystems. genden Ausfällen (z. B. Halbseitenlähmungen).
Weiße Substanz (Substantia alba)
Sie befindet sich unter der Hirnrinde. Man unter- Limbisches System
scheidet folgende Leitungsbahnsysteme: Es wird aus Hirnteilen gebildet, die wie ein Saum
(Limbus) an der Innenfläche der Endhirnhemi-
sphäre um den Balken und den
3. Ventrikel liegen.
vorderer Schweifkern
Thalamuskern (Nucleus caudatus) Zum limbischen System gehören
(Nucleus thalami Hirngewölbe u. a.:
anterior) (Fornix) – das Ammonshorn (Hippocam-
Balken pus) am Boden des seitlichen
(Corpus Ventrikels,
callosum)
– die Ammonshornwindung (Gy-
rus hippocampi) unmittelbar
neben dem Zwischenhirn,
– die Gürtelwindung (Gyrus cin-
guli; gehört teils zum Stirn-
Ammonshorn und teils zum Schläfenlappen),
(Hippocampus)
– das Hirngewölbe (Fornix) um
Teil des Hirnstamm
Riechhirns den 3. Ventrikel,
(Truncus cerebri)
(Bulbus olfactorius) – Teile des Riechhirns (z. B.
Mandelkörper
Hirnanhangdrüse (Corpus amygdaloi- Bulbus olfactorius),
(Hypophyse) deum) – der Mandelkörper (Corpus
Hypothalamus amygdaloideum) im Schläfen-
lappen und
Abb. 17.10 Limbisches System. – der vordere Thalamuskern
(Nucleus thalami anterior).
17.3 Gehirn 341
❑
P Bei Ausfall erlischt das Bedürfnis zur Nah-
rungsaufnahme.
17.3.3 Zwischenhirn (Diencephalon)
2. Durstzentrum. Hier wird die Flüssigkeitsauf-
Das Zwischenhirn wird zum größten Teil vom nahme reguliert.
Endhirn überlagert. Nur kleinere Abschnitte sind 3. Temperaturregulationszentrum. Hier aus wird
an der Hirnbasis sichtbar. die Körpertemperatur reguliert (✑ S. 210).
Es wird hauptsächlich aus 2 Abschnitten ge- 4. Sexualitätszentrum. Durch die Bildung der
bildet, dem viel größeren Thalamus und dem Releasing- und Inhibitinghormone werden die
darunter liegenden kleineren Hypothalamus. Sexualfunktionen regulierend beeinflusst.
Beide Abschnitte begrenzen den spaltförmigen
3. Ventrikel und werden dadurch in einen linken Merke
und rechten Anteil getrennt.
Über dem Hypophysenstiel (Infundibulum)
Thalamus steht der Hypothalamus und damit das Gehirn
Der Thalamus besteht überwiegend aus grauer mit der Hypophyse in Verbindung. Er stellt
Substanz, die zahlreiche Kerngebiete bildet. somit das zentrale Bindeglied zwischen
Nervensystem und Hormonsysten dar.
Aufgaben
– Vorderer Kern (Nucleus anterior thalami):
Umschaltstation der Riechbahn.
– Seitlicher Kern (Nucleus lateralis thalami):
Umschaltstation aller sensiblen Bahnen zur
hinteren Zentralwindung (Körperfühlsphäre).
– Mittlerer Kern (Nucleus medialis thalami):
Regulierende Beeinflussung der Bahnen zur
Bewegungssteuerung.
342 17 Nervensystem
Balken
(Corpus callosum)
Adergeflecht
Gewölbebogen (Plexus choroideus)
(Fornix) Epiphyse
Thalamus (Epiphysis cerebri)
3. Ventrikel Zirbeldrüse
(Ventriculus tertius) (Corpus pineale)
Hypophysenstiel Vierhügelplatte
(Lamina tecti)
Sehnerven-
kreuzung Kleinhirn
(Cerebellum)
Hirnanhangs-
drüse 4. Ventrikel
(Hypophyse) Mittelhirn (Ventriculus quartus)
(Mesencephalon)
Brücke verlängertes Mark
(Pons) Wasserkanal (Medulla oblongata)
(Aquaeductus cerebri)
Merke ❑
P Sind die Öffnungen zwischen äußerem und
Die Formatio reticularis beeinflusst als Koordi- innerem Liquorraum nicht angelegt oder ver-
nator des Hirnstammes Bewusstsein, Motorik, legt, entsteht der „Wasserkopf“ (Hydrocepha-
vegetative Funktionen und Emotionen. Die lus).
dazu notwendigen Informationen erhält sie von
allen Sinnessystemen, vom Hypothalamus,
Thalamus, dem limbischen System sowie
bestimmten Arealen der Endhirnrinde. 17.5 Schutzeinrichtungen des ZNS
Die Formatio reticularis ist der Assoziations-
apparat des Hirnstammes. Das ZNS wird von knöchernen Hüllen (Wirbel-
kanal, Schädelhöhle), 3 Rückenmarks- bzw.
Hirnhäuten (Meningen) und von 1 Liquorhülle
geschützt.
Die Hirn- bzw. Rückenmarkshäute sind:
17.4 Hirnkammern – harte Hirn- bzw. Rückenmarkshaut (Dura
(Ventriculi encephali) mater encephali bzw. spinalis). Die feste und
derbe Dura mater ist als äußerste Haut mit der
Im Gehirn liegen 4 mit Liquor gefüllte Hirn-
knöchernen Umgebung verwachsen;
kammern (Ventrikel; ✑ Abb. 17.12, S. 343 und
– Spinnwebenhaut (Arachnoidea encephali bzw.
Abb. 17.14, S. 347).
spinalis) liegt direkt unter der Dura. Sie be-
– 1. und 2. Ventrikel
steht aus einer dünnen Lage Bindegewebe,
Sie liegen in der rechten und linken Endhirn-
dessen kollagene Fasern einander überkreuzen
hemisphäre und werden auch als Seiten-
und enthält keine Blutgefäße;
ventrikel bezeichnet.
– weiche Hirn- bzw. Rückenmarkshaut (Pia
– 3. Ventrikel
mater encephali bzw. spinalis). Die ebenfalls
Dieser liegt als spaltförmiger Raum im Thala-
zarte, dünne, aber gefäßreiche Pia mater
mus.
schmiegt sich dem Gehirn und Rückenmark an
– 4. Ventrikel
und dringt in sämtliche Vertiefungen ein.
Diese Hirnkammer befindet sich im Rauten-
hirn (Rhombencephalon). Ihr Boden ist die
Rautengrube (Fossa rhomboidea), und das Dach ❑
P Meningitis ist eine Entzündung der Hirn-
wird aus Teilen des Kleinhirns gebildet. häute.
Beide Seitenventrikel sind jeweils durch das
Zwischenkammerloch (Foramen interventricu- Subarachnoidalraum
lare) mit dem 3. und dieser durch einen Kanal Dies ist ein Spaltraum zwischen Arachnoidea
(Aquaeductus cerebri) mit dem 4. Ventrikel ver- und Pia mater, der mit Liquor gefüllt ist.
bunden.
Merke
Im beschriebenen Hohlraumsystem befindet Das ZNS ist allseitig von Liquor wie mit einem
sich die Hirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor Wasserkissen schützend umgeben. Auf diese
cerebrospinalis). Sie wird von Venengeflechten Weise werden mechanische Erschütterungen
(Plexus chorioideus), die sich in allen Hirn- abgefedert. Außerdem kommt es bei begrenz-
kammern befinden, gebildet. Die 4 Hirnkam- ten Hirnschwellungen nicht zu einem intra-
mern bilden den inneren Liquorraum. Er steht craniellen Druckanstieg.
über 3 Öffnungen im Boden des 4. Ventrikels mit
dem äußeren Liquorraum (Subarachnoidalraum,
Zentralkanal des Rückenmarks) in Verbindung:
❑
P Bei der Lumbalpunktion wird beim sitzen-
– eine mediane Öffnung (Apertura mediana den Menschen eine Kanüle zwischen L3 und L4
ventriculi quarti = Magendie-Loch) hinten; oder L4 und L5 in den Subarachnoidalraum
– zwei laterale Öffnungen (Apertura latera- geführt, um Liquor zu gewinnen. Das Rücken-
lis ventriculi quarti = Luschka-Loch) hinter mark kann dabei nicht verletzt werden, da es
sowie unter der 4. Hirnkammer. in Höhe von L2 endet.
346 17 Nervensystem
Rückenmark
weiche
Rückenmarkhaut harte
(Pia mater spinalis)
Rückenmarkhaut
äußerer Liquorraum (Dura mater spinalis)
(Subarachnoidalraum) – inneres Blatt –
Spinnwebenhaut Epiduralraum
(Arachnoidea spinalis)
harte
Wirbel Rückenmarkhaut
(Dura mater spinalis)
Zwischen- – äußeres Blatt –
wirbelscheibe Rückenmarknerv
vorderer Ast (N. spinalis)
(Ramus ventralis)
hinterer Ast
Grenzstrangganglien (Ramus dorsalis)
des Sympathicus
Zwischen Arachnoidea und Pia mater von durae matris). Durch ihre besondere Wandstruk-
Rückenmark und Gehirn gibt es keine nennens- tur (um den Endothelschlauch befindet sich
werten Unterschiede. straffes Bindegewebe der Dura mater encephali)
können sie nicht kollabieren und werden deshalb
Harte Rückenmarkhaut (Dura mater spinalis) nicht als Venen bezeichnet.
Die harte Rückenmarkshaut bildet im Wirbel-
kanal ❑
P Ein Tentoriumriss (Riss im Kleinhirnzelt)
– ein äußeres Blatt: Es kleidet als Periost den kann während der Geburt eines Kindes durch
Wirbelkanal aus; zu großen Druck im Geburtskanal lebensge-
– ein inneres Blatt: In ihm steckt das Rücken- fährliche Blutungen zur Folge haben.
mark wie in einem Sack. Blutungen im Bereich der Hirnhäute, wie sie
Zwischen diesen beiden Blättern befindet sich z. B. bei Schädel-Hirn-Traumen entstehen,
der Epiduralraum, angefüllt mit Fettgewebe und können zu lebensgefährlichen Hirndruck-
Venengeflechten zum Schutz des Rückenmarkes erhöhungen führen. Das Blut sammelt sich in
vor Zerrungen. den entsprechenden Räumen.
tenartigen Adergeflechten
(Plexus choroidei1)) der vier Innerer und äußerer Liquorraum
Hirnventrikel durch Ultra-
Subarachnoidalraum
filtration aus dem Blut (Cavum subarachnoidale)
(Tagesmenge ca. 650 ml).
knöchernes
Resorption: Schädeldach
Die Resorption in das Blut (Calvaria)
erfolgt im äußeren Liquor- Seitenventrikel
raum im Bereich der Rücken- (1. und 2. Ventrikel)
markswurzeln sowie durch „Wasserkanal“
(Aquaeductus cerebri)
die Zotten der Arachnoidea,
die sich in die venösen
4. Ventrikel
Hirnblutleiter vorwölben.
Zentralkanal
Blut-Liquor- bzw. Zwischenkammerloch
Blut-Hirn-Schranke (Foramen interventriculare)
Die aus 3 Schichten (Plexus- 3. Ventrikel
epithel, Basalmembran, Hirn-
kapillarendothel) bestehende
Permeabilitätsbarriere be- Schichten des Schädeldaches, Hirnhäute
dingt eine unterschiedliche aufgelockerte
Zusammensetzung von Blut- äußere kompakte Knochenschicht
serum und Liquor. Dies ist Knochenschicht (Diploe)
ein weiterer Schutzmecha- innere kompakte
nismus für das hochemp- Knochenschicht
findliche ZNS. Schädeldach
(Calvaria)
venöser
Zusammensetzung: harte Hirnhaut Blutleiter
(Dura mater encephali)
Der Liquor beim gesunden Liquorraum
weiche Hirnhaut
Menschen ist eine eiweiß- (Pia mater encephali)
arme wasserklare Flüssig-
Großhirnrinde Spinn-
keit, deren Zusammenset- (Cortex cerebri) webenhaut
zung aufgrund ständiger (Arachnoidea
Austauschprozesse geringfü- encephali)
gig schwankt.
17.7 Blutversorgung des Gehirns das Blut in die oberflächlichen Hirnvenen und
sammelt sich in den Sinus der Dura mater. Von
Der Blutzufluss erfolgt über 4 große Arterien: diesen fließt es in die innere Drosselvene
– rechte innere Kopfarterie (A. carotis interna (V. jugularis interna).
dextra),
– linke innere Kopfarte-
rie (A. carotis interna
sinistra),
– rechte Wirbelarterie
(A. vertebralis dextra), vorderer
– linke Wirbelarterie (A. Verbindungsast
(A. communicans
vertebralis sinistra). anterior)
Beide Wirbelarterien ver-
einigen sich am oberen innere
Kopfarterie
Rand der Medulla oblon- (A. carotis
gata zur Schädelbasis- interna)
arterie (A. basilaris).
hinterer
Arterienring Verbindungsast
(A. communicans
(Circulus arteriosus cere- posterior)
bri)
Die A. basilaris und die Schädelbasis-
arterie
beiden inneren Kopfarte- (A. basilaris)
rien sind durch verschie-
dene Arterienäste zu ei- Wirbelarterie
(A. vertebralis)
nem Arterienring zusam-
mengeschlossen. Von die-
sem Ring aus werden die
einzelnen Hirnteile von Arterielle Blutversorgung des Gehirns. Abb. 17.15
der Oberfläche her ver-
sorgt.
❑
P Ein Platzen der Arte-
rien führt zu Hirnblu- Sinus sagittalis
superior
tungen, die z. B. im
Bereich der inneren Sinus sagittalis
Kapsel Nervenbahnen inferior
schädigen können, so- Sinus rectus
dass eine Halbseiten- innere Kopfarterie
lähmung entsteht. Ver- (A. carotis interna)
engungen oder Ver-
Sinus cavernosus
schluss dieser Arterien
führen zu Durchblu- Sinus petrosus
tungsstörungen unter- superior
schiedlichen Grades Sinus sigmoideus
bis zum Schlaganfall Gesichtsvene
(Apoplexie). (V. facialis)
innere Drosselvene
Der Blutabfluss aus dem (V. jugularis interna)
Schädelinneren geschieht
folgendermaßen: Von den Venöser Hirnblutleiter (Sinus durae matris). Abb. 17.16
tiefen Hirnvenen gelangt
17.8 Leitungsbahnen des ZNS 349
17.8 Leitungsbahnen des ZNS Die peripheren Fortsätze dieser Zellen sind
mit den Rezeptoren (Schmerz, Druck, Tempe-
Die Bereiche des ZNS werden miteinander ratur, Tiefensensibilität) verbunden. Die zen-
durch afferente (sensible) und efferente (motori- tralen Fortsätze ziehen bei den Rückenmarks-
sche) Leitungsbahnen verbunden. nerven als sensible Hinterwurzel in das
Rückenmark und enden entweder im Hinter-
horn oder in der Medulla oblongata. Bei den
17.8.l Sensible aufsteigende Leitungsbahnen Hirnnerven enden sie in den sensiblen Hirn-
nervenkernen.
In den sensiblen Leitungsbahnen werden die – Zweites sensibles Neuron
Informationen von den Sinneszellen (z. B. Es beginnt im verlängerten Mark. Die Neuri-
Wärme, Druck) und Nervenendungen (z. B. ten dieser Neurone kreuzen entweder im
Schmerz) des Körpers den entsprechenden Teilen Rückenmark oder der Medulla oblongata auf
des ZNS zugeleitet. An der Leitung zur End- die Gegenseite und ziehen zum Thalamus.
hirnrinde sind 3 sensible Neurone beteiligt: – Drittes sensibles Neuron
– Erstes sensibles Neuron (= peripheres sensi- Es geht vom Thalamus aus. Die Neuriten dieser
bles Neuron) Neurone verlaufen durch die innere Kapsel
Diese Neurone sind pseudounipolare Nerven- und enden in der hinteren Zentralwindung
zellen. Die Nervenzellkörper liegen bei den (Körperfühlsphäre). Hier entstehen die Empfin-
Rückenmarksnerven in den Spinalganglien dungen und Wahrnehmungen. Die Neuriten der
und bei den Hirnnerven in den Hirnnerven- 2. sensiblen Neurone, die für die Tiefensensi-
ganglien. bilität zuständig sind, führen zum Kleinhirn.
17.8.2 Motorische
hintere Zentralwindung
(Gyrus postcentralis) absteigende
= Körperfühlsphäre Leitungsbahnen
Endhirnrinde
(Cortex cerebri) Zu den motorischen (abstei-
innere Kapsel der genden, efferenten) Bahnen
Großhirnhälften gehören die Pyramidenbah-
(Capsula interna)
nen und verschiedene extra-
3. sensibles Neuron pyramidale Bahnen. Sie sind
Thalamus für das Zustandekommen der
Brückenkern willkürlichen und unwillkür-
2. sensibles Neuron lichen Bewegungen zustän-
Hirnnervenganglion dig.
1. sensibles Neuron
– sensibler Endkern 1. Pyramidenbahn (Tractus
Kopfganglien pyramidalis)
Medulla oblongata Die Pyramidenbahn dient der
Kleinhirn Willkürmotorik. Sie verbindet
(Cerebellum)
zu diesem Zweck die Endhirn-
peripherer rinde mit den
Fortsatz
– motorischen Hirnnerven-
kernen und
– motorischen Vorderhörnern
des Rückenmarks. Im Unter-
Hinterstrang-
bahnen schied zur afferenten Lei-
tung wird die efferente nur
aus 2 Neuronen gebildet.
Kleinhirn-
Seitenstrang- • Erstes motorisches
bahn (= zentrales) Neuron
Die relativ großen Nerven-
1. sensibles
Neuron zellkörper liegen in der
vorderen Zentralwindung
Skelettmuskel (Gyrus praecentralis) des
mit Stirnlappens. Ihre Axone
Muskelspindel ziehen zum Rückenmark
bzw. zu den motorischen
Hautsinnes- Hirnnervenkernen.
zellen
• Zweites motorisches
(= peripheres) Neuron
Die Nervenzellkörper lie-
peripherer gen in den Vorderhörnern
Fortsatz
des Rückenmarks und im
Spinalganglion Hirnstamm. Ihre Axone
erreichen in den motori-
Abb. 17.17 Sensible Leitungsbahnen. schen Vorderwurzeln und
weiterführenden periphe-
ren Nerven oder in den
Hirnnerven die quer ge-
❑
P Krankheitsbedingte Schäden der Hinter- streifte Muskulatur.
strangbahnen führen zu schweren Sensibilitäts-
und Bewegungsstörungen. Demnach werden 2 Leitungssysteme der Pyrami-
denbahnen unterschieden:
17.8 Leitungsbahnen des ZNS 351
innere Kapsel
➞
Hirnschenkel
Tractus
➞
2. motorisches
verlängertes Mark. kreuzung oder peripheres
(Decussatio pyramidum) motorisches Neuron
Im Hirnstamm kreuzt ein Teil motorische
Hirnnervenkerne
der Axone auf die Gegenseite Pyramidenbahnen
und zieht als Tractus corti-
conuclearis zu den motori-
schen Kerngebieten der Hirn-
motorisches Pyramiden-Seiten-
nerven. Hier werden sie auf strangbahn
Vorderhorn
die 2. motorischen Neurone (Tractus cortico-
umgeschaltet, deren Axone zu spinalis lateralis)
den quer gestreiften Kopf-
2. oder
muskeln ziehen. 80 – 90 % peripheres
der übrigen Fasern kreuzen in motorisches
den Pyramiden der Medulla Neuron
oblongata (Pyramidenbahn-
Skelett-
kreuzung, Decussatio pyrami- muskulatur
dum) auf die Gegenseite und
ziehen als Pyramiden-Seiten-
strangbahn (Tractus cortico-
spinalis lateralis) zu den
motorischen Vorderhörnern
des Rückenmarks. Die restli-
chen 10 – 20 % der Axone
ziehen ungekreuzt als Pyra- Motorische Leitungsbahnen. Abb. 17.18
miden-Vorderstrangbahn
(Tractus corticospinalis ante-
rior) zu ihren Zielsegmenten und kreuzen erst schen Zentren ab, was für die Koordination der
hier auf die Gegenseite. Bewegungsabläufe sehr wichtig ist. Die Pyrami-
Die Axone der Pyramidenbahn geben auf ihrem denbahn übt einen dämpfenden Einfluss auf den
Weg in das Rückenmark über Abzweigungen Ablauf der spinalen Eigenreflexe, die den Mus-
ständig Informationen an die anderen motori- keltonus regulieren, aus (✑ S. 363).
352 17 Nervensystem
Siebbeinplatte
Riechfäden
(Fila olfactoria)
Riechfeld
(Area olfactoria)
Sehnerv
(N. opticus)
III. Hirnnerv:
Augenbewegungsnerv
(N. oculomotorius)
VI. Hirnnerv:
Augen-
abziehnerv
(N. abducens)
IV. Hirnnerv:
Augenrollnerv
(N. trochlearis)
Schläfenmuskel
(M. temporalis) V1
Kaumuskel
(M. masseter)
V2
oberer
Facialiskern
➞
➞
unterer Speichelkern
Facialiskern
mimische N. facialis
Muskulatur ➞
Felsen-
bein
X. Hirnnerv:
Nervengeflecht Herz-Lungen-
(Plexus parotideus) Magennerv
(N. vagus)
IX. Hirnnerv:
Zungen- rückläufiger
Rachennerv Kehlkopfnerv
(N. glossopharyngeus) (N. laryngeus
recurrens)
Ohrspeicheldrüse
Trapezmuskel
(M. trapezius)
V. Hirnnerv (N. trigeminus = Drillingsnerv) – nur von der vorderen Zentralwindung der
überwiegend sensibel Gegenseite versorgt.
Zunächst bilden die sensiblen Fasern im Bereich
der Pyramidenspitze das mächtige Ganglion tri- ❑
P Ausfall des rechten zentralen motorischen
geminale (Gasser-Ganglion). Aus diesem Gan- Neurons, z. B. infolge eines Schlaganfalls, be-
glion treten die 3 Hauptäste des Trigeminus. deutet Lähmung der mimischen Muskulatur
1. N. ophthalmicus (V1). Er versorgt sensibel: der linken unteren Gesichtshälfte.
• Dura mater der vorderen Schädelgrube, Ausfall des rechten peripheren motorischen
• Stirnhaut, • Nasenrücken, Neurons, z. B. infolge eines Schädelbasisbru-
• Auge, • Nasenhöhle, ches oder einer Mittelohrentzündung, bewirkt
• Stirnhöhlen, • Keilbeinhöhlen, totale Lähmung der rechten Gesichtshälfte
• Siebbeinzellen. (u. U. fließt aus dem herabhängenden Mund-
2. N. maxillaris (V2). Er versorgt sensibel: winkel der Speichel und das Auge kann nicht
• Haut des unteren Augenlides, mehr geschlossen werden.
• Wangen,
• Oberlippe, • Nasenhöhle, VIII. Hirnnerv (N. vestibulocochlearis = Hör-
• Gaumen und Zähne des Oberkiefers. und Gleichgewichtsnerv) – sensibel
3. N. mandibularis (V3). Er versorgt sensibel: Dieser Nerv tritt ebenfalls durch den inneren
• Haut, • Kinn, Gehörgang in das Felsenbein. Ein Teil leitet die
• Unterlippe, • vordere Zungenabschnitte, Erregungen vom Gleichgewichtsorgan und ein
• Zähne des Unterkiefers, zweiter die vom Gehörorgan.
• untere Wangenbereiche bis Gehörgang und
Trommelfell IX. Hirnnerv (N. glossopharyngeus = Zungen-
• sowie motorisch: die Kaumuskulatur. Rachen-Nerv) – sensibel, motorisch, parasym-
pathisch
VII. Hirnnerv (N. facialis = Gesichtsnerv) – Dieser Nerv innerviert
überwiegend motorisch – motorisch die Rachenmuskeln,
Zusammen mit dem Hör- und Gleichgewichts- – sensibel die hintere Rachenwand und das hin-
nerv zieht der Gesichtsnerv durch den inneren tere Drittel der Zunge,
Gehörgang in das Felsenbein und verlässt durch – parasympathisch die Ohrspeicheldrüse (Spei-
eine Öffnung (Foramen stylomastoideum) die chelsekretion).
Schädelhöhle und gelangt so an die äußere Schä-
delbasis. Von hier zieht er durch die Ohrspei- X. Hirnnerv (N. vagus = Herz-Lungen-Magen-
cheldrüse in den Gesichtsschädelbereich. Nerv) – überwiegend parasympathisch
Der N. facialis enthält Der N. vagus ist der wichtigste Nerv des Para-
– motorische Fasern zur Innervation der mimi- sympathicus.
schen Muskulatur, Er tritt mit 10 – 15 Faserbündeln aus der Medulla
– sensorische Nervenfasern (Geschmacksfasern) oblongata und verlässt die Schädelhöhle durch
aus den vorderen zwei Dritteln der Zunge und das Drosselloch (Foramen jugulare).
– parasympathische Fasern zu den Unterkiefer-
und Unterzungendrüsen, Tränendrüsen, Becher- Verlauf
zellen der Mund- und Nasenschleimhaut. Der X. Hirnnerv ist zunächst Bestandteil des
Gefäß-Nerven-Stranges des Halses, gelangt
Der motorische Ursprungskern des Facialis in durch die obere Thoraxöffnung in das hintere
der Brücke besteht aus 2 Anteilen, Mediastinum und von dort mit der Speiseröhre
– dem oberen Facialiskern (Augenfacialis): Er durch den Hiatus oesophageus in den Bauch-
versorgt die obere Gesichtshälfte und wird raum.
von den motorischen Rindenzentren sowohl
der rechten als auch der linken Zentral- Entsprechend dieses Verlaufes werden 4 Teile
windung innerviert; unterschieden:
– dem unteren Facialiskern (Mundfacialis). Er • Kopfteil: Er innerviert sensibel die Dura mater
innerviert die untere Gesichtshälfte und wird der hinteren Schädelgrube.
17.9 Peripheres Nervensystem 357
❑
P Eine Reizung durch Meningitis hat reflekto- XII. Hirnnerv (N. hypoglossus = Unterzungen-
risches Erbrechen zur Folge. nerv) – motorisch
Innervationsgebiet: Zungenmuskulatur.
• Halsteil: Er innerviert motorisch den Kehl-
kopf, parasympathisch das Herz.
❑
P Einseitige Lähmung des Hypoglossus führt
XI. Hirnnerv (N. accessorius = Beinerv) – Während der Embryonalentwicklung bleibt das
motorisch Wachstum des Rückenmarkes gegenüber dem
Innervationsgebiete: Kopfwendermuskel, Tra- der Wirbelsäule zurück. Das hat zur Folge, dass
pezmuskel. sich die Austrittsstellen (Zwischenwirbellöcher)
Armgeflecht
(Plexus brachialis)
Axillararterie
(A. axillaris)
Axillarnerv
(N. axillaris)
Ellennerv
(N. ulnaris)
Hautmuskelnerv
(N. musculocutaneus)
Mittelnerv
(N. medianus)
Speichennerv
(N. radialis)
Ellennerv
(N. ulnaris)
Mittelnerv
(N. medianus)
Ellennerv
(N. ulnaris)
L1
Lendengeflecht
(Plexus lumbalis) L2
L3
N. ileohypogastricus
N. ileoinguinalis L4
N. genitofemoralis
N. cutaneus femoris L5
lateralis
N. femoralis
Kreuzbeingeflecht
(Plexus sacralis)
Ischiasnerv*)
(N. ischiadicus)
*) Mächtigster Nerv
des Körpers
Lendengeflecht
(Plexus lumbalis)
Gluteus-Nerven
(Nn. glutaei)
Oberschenkelnerv
(N. femoralis) Kreuzbeingeflecht
(Plexus sacralis)
Obturator-Nerv Obturator-Nerv
(N. obturatorius) (N. obturatorius)
Ischiasnerv
(N. ischiadicus)
Wadenbeinnerv
(N. peroneus communis)
Schienbeinnerv
(N. tibialis)
tiefer Wadenbeinnerv
(N. peroneus profundus)
oberflächlicher
Wadenbeinnerv
(N. peroneus superficialis)
Fußnerven
(Nn. plantares)
Merke ❑
P Folgen von Nervenausfällen
Reflexe stellen die einfachste Form der Reiz- Monosynaptische Eigen- oder Dehnungsreflexe
beantwortung dar. Es handelt sich hierbei um Beispiel: Kniesehnenreflex
eine unwillkürliche stereotypisierte Reaktion auf Ein leichter Schlag auf das rechte Kniesehnen-
einen Reiz, die unter gleichen Bedingungen band (Lig. patellae) führt zu einer passiven Deh-
immer in der gleichen starren und schnellen Art
und Weise abläuft. Die Reflexzentren hemmendes
(Umschaltstellen) liegen im Rückenmark und Zwischenneuron
Hirnstamm. Hinterhorn sensorische Bahn
Vorderhorn motorische Bahn
Beispiele
– Zurückziehen der Hand beim Anfassen eines
heißen Gegenstandes;
– Saugen und Schlucken,
– Reaktionen zur Bewahrung der Körperhaltung,
– Aufrechterhaltung von Atmung und Kreislauf.
Muskel
❑
P Neugeborene reagieren in erster Linie mit Erworbene Reflexe (bedingte Reflexe)
Reflexen auf Reize, da die Großhirnrinde Wird einem Menschen seine Lieblingsspeise ge-
noch nicht funktionsreif ist. zeigt oder beschrieben, reagiert er mit Speichel-
absonderung, also mit einem Reflex, der nicht
angeboren ist, sondern erlernt wurde.
In der Abbildung 17.27 ist die Herausbildung
des bedingten Speichelreflexes dargestellt.
364 17 Nervensystem
sehen
und ... Speichelreflexzentrum erregt
schmecken
= Speicheldrüsen werden
angeregt
zeitweilige Verbindung
= Speicheldrüsen werden
angeregt
Hypothalamus
– das Herzmuskelgewebe und
– die Drüsen. zentrales efferentes Neuron
Hirnstamm
Merke Seitensäulen des Rückenmarks
Das VNS ist mit dem somatischen Nerven- Th1 – L3 und S2 – S4
system vielfach verknüpft. 1. peripheres efferentes oder
präganglionäres Neuron
(markscheidenarm)
Aufbau
parasympathische
N. oculomotorius Kopfganglien
Ganglion
cervicale
Auge •N. facialis
•
••
superius
Speichel- und
•
•
•
Grenzstrang
Ganglion
Tränendrüsen
• •
N. glossopharyngeus
stellatum
Kopfgefäße
Th1
Th2
• •
N. vagus
Th3
•
•
Herz
organnahe
Th4 Nn. splanchnici parasympathische
•
major und minor Ganglien
Th5
Th6
• Ganglion
coeliacum Lunge •
Th7
•
Th8
• •
•
Magen
Th9
Th10
• •
•
Ganglion
mesenteri-
Th11 cum Leber
Th12
• superius
L1
• •
•
Pankreas
L2
L3
• •
L4
• Niere
L5
••
S2
S3
•• Darm •
••
S4
S5 •• Urogenital-Trakt
(Rektum, Blase,
Genitale)
•
Ganglion Plexus N. splanchnici
mesentericum inferius hypogastricus pelvini
➞
– Schweißdrüsen
weiße Verbindungsäste Nn. spinales
➞
➞
Grenzstrangganglien periphere Nerven
(synaptische Umschaltung)
➞
Erfolgsorgane
➞ Hautgefäße – Vasokonstriktion
➞ Schweißdrüsen – Sekretion
➞
Drüsen und glatte Th1 Axone der postganglionären
Muskulatur des Neuronen winden sich um die
➞
➞➞
Ganglion stellatum ➞ Atemfrequenz
(synaptische Umschaltung)
organen ziehen
Nn. splanchnici major und minor
➞ Motilität
➞
➞
➞ Kontraktion der
prävertebrale Ganglien Schließmuskeln
(Ganglion coeliacum, Ganglion
mesentericum superius)
(synaptische Umschaltung)
1. efferentes
sympathisches Neurone Spinalganglion prävertebrales Ganglion
Rückenmarknerv weißer Verbindungsast
Hinterwurzel
zum Grenzstrang
grauer Verbindungsast
zum Grenzstrang
sensible Afferenz
Vorderwurzel ➋
Vorderhorn
Seitenhorn sympathische ➋ sympathische ➊
Efferenz ➊ Efferenz Haut
Hinterhorn
Baucheingeweide
Hautblutgefäße
Schweißdrüsen
Beispiele: viscerale Afferenz
zwischen Baucheingeweiden und
➊ Hautblutgefäßen bzw. Schweißdrüsen 2. efferentes Grenzstrangganglion
sympathisches
zwischen Haut Neuron
➋ und den Baucheingeweiden
Merke Transmitter
Die chemischen Überträgerstoffe im sympathi-
Die paarigen sympathischen Grenzstranggang- schen Nervensystem sind:
lien sind beiderseits der Wirbelsäule von der • Acetylcholin vom prä- auf das postganglio-
Hirnbasis bis zum Kreuzbein in einer Doppel- näre Neuron in den Grenzstrang- und prä-
reihe angeordnet und werden als Grenzstrang des vertebralen Ganglien.
Sympathicus bezeichnet. Sie sind untereinan- • Noradrenalin vom postganglionären Neuron
der verbunden. In den Grenzstrangganglien oder auf das Erfolgsorgan.
praevertebralen Ganglien wird von den prä-
auf die postganglionären Neurone synaptisch Da die sympathischen Ganglien organfern lie-
umgeschaltet. Die Neuriten der postganglio- gen, sind die präganglionären Axone kurz und
nären Neurone ziehen zu den Erfolgsorganen. die postganglionären lang.
❑
P
Arzneimittel, die die gleiche Wirkung wie
Merke
Adrenalin und Noradrenalin haben, heißen Nach der Lage der zentralen Teile unterschei-
Sympathomimetika. Arzneimittel, die die det man einen cranialen (Pars encephalica)
Wirkung dieser Hormone blockieren oder und sacralen (Pars sacralis) Parasympathicus.
abschwächen, nennt man Sympatholytika.
Die synaptische Umschaltung von den prä- auf
Noradrenalin und Adrenalin erzeugen an den die postganglionären Neurone erfolgt in peri-
sympathisch innervierten Erfolgsorganen ver- pheren parasympathischen Ganglien, die entwe-
schiedene physiologische Wirkungen. Das ist der in unmittelbarer Organnähe oder im Organ
möglich, weil diese Organe 2 Arten von Rezep- (= intramurale Ganglien) liegen.
toren besitzen, die - und -Rezeptoren. Erstere Die präganglionären Axone ziehen in speziellen
sprechen besser auf Noradrenalin, letztere besser Nerven zu den postganglionären Neuronen, sind
auf Adrenalin an. also im Vergleich zum Sympathicus sehr lang.
Allgemein gilt: Entsprechend kurz sind die postganglionären
-Rezeptoren vermitteln die erregende (Aus- Axone.
nahme: Magen-Darm-Trakt), -Rezeptoren die
hemmende (Ausnahme: Herzerregung) Wirkung Parasympathische Innervation
des Sympathicus. Cranialer Parasympathicus
Von den präganglionären Perikaryen des Hirn-
2. Parasympathicus stammes ziehen die Axone in den Hirnnerven III
Die Perikaryen der praeganglionären (1. efferen- (N. oculomotorius), VII (N. facialis), IX (N. glos-
ten) parasympathischen Neurone liegen: sopharyngeus) und X (N. vagus) zu den post-
– im Hirnstamm (Pars encephalica), v. a. im ganglionären Neuronen der vegetativen para-
Mittelhirn und verlängerten Mark, und sympathischen Kopf- bzw. Brust- und Bauch-
– im Kreuzmark (Pars sacralis) in den Seiten- ganglien. In den Kopfganglien werden die prä-
säulen der Rückenmarksegmente S2 – S4. ganglionären Neurone, deren Axone in den
Hirnnerven III, VII und IX verlaufen, auf die
postganglionären Neurone umgeschaltet. Die
und Bauchganglien
Lunge – Atemfrequenz
intramurale Ganglien Gastrointestinaltrakt bis
Cannon-Böhm-Punkt2) – Motilität
➞
1) Kopfganglien 2) Grenze zwischen mittlerem und linkem Drittel des Colon trans-
versum
370 17 Nervensystem
1. efferentes 2. efferentes ❑
P Bei verschiedenen Erkrankungen innerer
Neuron Neuron Organe kann die Haut über dem Krankheits-
(= präganglionäres (= postganglionäres
Neuron) Neuron) herd, aber auch in weiterer Entfernung,
mit langer Nervenfaser mit kurzer Nervenfaser schmerzhaft und gerötet sein. Der Eingeweide-
Acetylcholin Acetylcholin schmerz wird also auf die Hautoberfläche
übertragen (übertragener Schmerz). Wichtig zu
wissen ist, dass diese gürtelförmigen Hautareale
Wirkungsweise des VNS (= Dermatome) nicht immer unmittelbar über
Sympathicus und Parasympathicus weisen je dem erkrankten Organ liegen (Head’sche
nach Situation unterschiedliche Erregungszu- Zonen: nerval mit inneren Organen verbundene
stände auf. Der Sympathicus bewirkt eine Hautregionen). Der Grund dafür: Von einem
Leistungssteigerung, die als ergotrope Reaktion Rückenmarksegment werden sowohl das Organ
bezeichnet wird (vorherrschend bei Arbeit). Der wie die entsprechende Hautregion innerviert.
Parasympathicus sorgt für die Aktivierung jener
Organfunktionen, die für den Aufbau der Ener-
giereserven nötig sind, d. h., er hat eine tro- Vergleich Sympathicus und Parasympathicus.
photrope Wirkung (vorherrschend bei Ruhe). Die wichtigsten Gemeinsamkeiten:
– Meist 3 Neurone bilden die efferente Strecke
von ZNS zum Erfolgsorgan (Effektor),
❑
P Arzneimittel, die so wirken wie Acetylcholin,
– gleicher Transmitter zwischen prä- und post-
werden Parasympathomimetica genannt. ganglionären Neuronen,
Arzneimittel, die die Wirkung von Acetylcholin – oft gemeinsame Nervengeflechte um Arterien.
blockieren oder abschwächen, heißen Para-
sympatholytica.
17.12 Zusammenwirken der Koordinationssysteme 371
Wegen der unterschiedlichen Transmitter zwi- oft aufgrund vieler täglicher Belastungen
schen postganglionären Neuronen und Effektor (Verkehr, Schule, Arbeit u. a.) in Gang gesetzt,
wird der Sympathicus als adrenerges und der ohne dass danach die körperliche Handlung
Parasympathicus als cholinerges System be- (Abwehr, Flucht) erfolgt.
zeichnet. Folgen können z. B. sein: Herz-Kreislauf-
Erkrankungen, Magengeschwüre, Drüsenfunk-
tionsstörungen.
17.12 Zusammenwirken der
Koordinationssysteme Verarbeitung
VNS, animales Nervensystem
und Hormonsystem Umwelt
Nahrungsverhalten:
– Blutdrucksenkung, Koordinationssysteme. Abb. 17.30
– Erhöhung der Magen-Darm-Durchblutung
372 17 Nervensystem
14 – 30 Hz 8 – 13 Hz 14 – 30 Hz
EEG-Ableitpunkte
Wachsein Ruhe Wachsein
➞
➞
B Einschlafen Theta (
) 5,0 – 7,0
➞
➞
Mit dem EEG lassen sich 2 Schlafphasen fest-
stellen: C Leichtschlaf Delta () 4,0
– der REM (Rapid Eye Movements = schnelle
➞
➞
Augenbewegungen) oder der paradoxe Schlaf
D mitteltiefer Delta () 3,0 – 3,5
und Schlaf
➞
Merke
10 min 20 min 30 min 40 min EEG
Der erste Tiefschlaf (D, E) einer
Schlafperiode wird etwa 30 bis
wach
90 Minuten nach dem Einschlafen
A REM-Schlaf (B) über das Stadium C erreicht.
paradoxer
Schlaf
Merke
Zu einem erholsamen Schlaf gehören sowohl
Non-REM- als auch REM-Schlaf-Phasen.