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I. RICHTLINIEN FÜR MÜNDLICHE VORTRÄGE
2. Gliederung: Ein einleitender Hinweis auf die Struktur des Vortrags und ein
abschließender Rückblick oder Zusammenfassung erleichtern die Aufnahme.
Eine schriftliche Handreichung und/oder Projektion dienen demselben Zweck,
erleichtern außerdem die anschließende Diskussion.
3. Umgang mit Quellen: In dem Vortrag soll explizit auf die benutzten Quellen
eingegangen werden. Dadurch wird das Wissen als Ergebnis der Forschung und
der medialen Vermittlung kenntlich gemacht. (Zusammenhänge,
Interpretationen, aber auch Fakten sind nicht quasi naturgegeben, sondern ein
kulturelles Produkt. Das Bewusstsein davon ist eine Grundvoraussetzung
kritischen Denkens.)
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II. RICHTLINIEN FÜR SCHRIFTLICHE ARBEITEN
Praxisbezogen
a) Mini-Seminararbeit: ein Beispiel
b) Evaluierung
Systematischer Zugang
1. Was ist eine Seminararbeit?
2. Auswahl der Literatur
3. Ausführung
4. Belege (Textnachweise)
5. Sonstiges
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a) Mini-Seminararbeit: ein Beispiel
Oliver Jahraus behauptet, die deutsche Literatur beginne mit Goethes Roman Die Leiden des
jungen Werther, also im Jahr 1774 (Jahraus 2013, S. 11). Ist diese These haltbar? Dieser Frage
soll in gebotener Kürze nachgegangen werden.
Die genannte These ist nur ein Köder, den Jahraus ganz am Anfang seiner
Ausführungen auswirft. Bald darauf wird die These allerdings differenziert. Nun heißt es,
Werther sei »der erste moderne deutsche Roman«, mit dem die »moderne deutsche Literatur«
beginne (ebd.).1 Für diese These liefert Jahraus in der Folge durchaus überzeugende
Argumente. Goethes Roman führe ein »neue[s] Verständnis von Subjektivität« und das darauf
beruhende »neue[ ] Menschenbild« in die Literatur ein (Jahraus 2013, S. 12). Modern ist in
dieser Sicht nicht nur Werthers Subjektivität, seine radikale Selbstbezogenheit, sondern mehr
noch ihre gelungene literarische Darstellung. Ein Paradoxon: die radikale Unmittelbarkeit
wird vermittelt. Damit ist Goethes Roman »ein Beispiel von Literatur, die gerade das
Unvermittelbare [=die absolute Subjektivität] vermitteln kann« (ebd.).
Diesen Thesen ist zuzustimmen. Insofern kann in der Tat behauptet werden, dass die
moderne deutsche (Prosa)Literatur mit Goethes erstem Roman beginnt. Die Behauptung, mit
diesem Roman beginne die deutsche Literatur, ist allerdings schlichtweg falsch.
Literatur
Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werther. In: ders.: Werke. Hamburger
Ausgabe, Bd. 6. München: dtv 1982. S. 7–124.
Oliver Jahraus: Deutsche Literatur. Die 101 wichtigsten Fragen. München: Beck 2013.
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Hervorhebungen von S.L.V. Die erste zitierte Stelle formuliert Jahraus in Anlehnung an Gerhard Neumann.
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b) Evaluierung
Bei der Selbstkontrolle oder der Evaluierung der Arbeit müssen die folgenden
Fragen positiv beantwortet werden können:
1. Angemessene Fragestellung?
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1. Was ist eine Seminararbeit?
1.1. Die Seminararbeit ist ein Aufsatz, der im wissenschaftlichen Stil und nach
bestimmten Regeln eine literaturwissenschaftliche Fragestellung auf originelle
Weise beantwortet. Seminararbeiten bilden in der Regel den Abschluss der
intensiven Beschäftigung mit einem Themenbereich im Seminar.
1.4. Bei der Fragestellung (=Thema) der Arbeit folgen Sie am besten Ihren
persönlichen Interessen. Vielleicht können Sie dabei Ihre beiden
Studienrichtungen verbinden oder ihre besonderen Vorkenntnisse ins Spiel
bringen? Die Fragestellung kann zu den unterschiedlichsten Bereichen der
germanistischen Literaturwissenschaft gehören, zum Beispiel:
Bereich Thema
Motiv- und Stoffvergleiche Das Motiv des Vater-Sohn-Konflikts in Kafkas Erzählung Das Urteil und
Janko Polić Kamovs Erzählung Sloboda
Gattungsfragen Kafkas Das Urteil – Bedeutung der novellistischen Merkmale
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Poetologie/Werkkontext Franz Kafkas Das Urteil – ein Schlüsselwerk im Opus?
Sozial- oder kulturgeschichtliche Sozialkritische Deutung des Vater-Sohn-Komplexes von Franz Kafkas
Kontextualisierung Erzählung Das Urteil
1.5. Die Fragestellung soll unbedingt mit der Leiterin/ dem Leiter des
Seminars besprochen werden. So können ungünstige Fragestellungen vermieden
werden, wie z.B.: a) literaturwissenschaftlich nicht relevante Themen („Warum
hat Franz Kafka nicht geheiratet?“ b) allzu allgemeine („Franz Kafkas
Erzählwerke“), c) allzu anspruchsvolle („Franz Kafka – die ultimative
Deutung“) oder d) bereits von anderen Studierenden angemeldete Themen.
2.1. Die Seminararbeit beschäftigt sich in der Regel mit einem oder mehreren
literarischen Texten (Quellen, Primärliteratur). Dabei sollen die besten
verfügbaren, wissenschaftlich relevanten Ausgaben benutzt werden, und nicht
populäre oder veraltete Ausgaben.
2.2. Bitte nicht die On-line-Ausgabe von Primärtexten als Quelle angeben!
Solche Ausgaben sind oft unzuverlässig (viele Fehler, keine Paginierung u.a.).2
2.3. Jede Seminararbeit knüpft an bestehendes Wissen an. Dieses Wissen ist in
der wissenschaftlichen Literatur (Sekundärliteratur) gespeichert. Besprechen
Sie die Auswahl der Literatur mit dem Leiter/ der Leiterin des Seminars!
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Es gibt auch zuverlässige On-line-Ausgaben und Digitalisate (z.B.: 1. Zeno.org <www.zeno.org>; 2. Deutsches
Textarchiv <www.deutschestextarchiv.de>). Die Zuverlässigkeit dieser Datenbanken besteht eben darin, dass die
Texte mit einer relevanten Druckausgabe identisch sind – die Sie dann auch als Ihre Quelle angeben können.
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a) Lexika
Werklexikon
Das Urteil. In: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Studienausgabe. Hg. von Walter Jens.
Stuttgart: Kindler 1996. Bd. 9, S. 52f.
Autorenlexikon
Metzler Autoren Lexikon. Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur
Gegenwart. Hg. von Bernd Lutz. Stuttgart: Metzler 1986.
Autorenlexikon (für Autoren nach 1945)
Henning Bobzin: Daniel Kehlmann. In: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen
Gegenwartsliteratur [Datenbank]. München: Edition text + kritik (Boorberg Verlag u.
Munzinger-Archiv) (Informationsstand: 1.6.2009). [verfügbar im Goethe-Institut]
Sachlexikon
Manfred Schmeling, Kerst Walstra: Erzählung. In: Reallexikon der deutschen
Literaturwissenschaft. Hg. von Harald Fricke. Bd. 1. Berlin, New York: de Gruyter 1997. S.
519–522.
Allgemeines Lexikon3
Daniel Kehlmann. In: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie.
<http://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Kehlmann> (Zugriff: 15.9.2013).
b) Literaturgeschichten
Viktor Žmegač (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur
Gegenwart. Band II/2. 4. Auflage. Weinheim: Beltz Athenäum 1996.
c) Handbücher
Bettina von Jagow, Oliver Jahraus (Hgg.): Kafka-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008.
d) einzelne Studien
Oliver Jahraus: Das Urteil. In: Bettina von Jagow, Oliver Jahraus (Hgg.): Kafka-Handbuch.
Leben – Werk – Wirkung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. S. 409–420.
3. Ausführung
Nachdem Sie die Literatur zum Thema gesammelt und gelesen, das Wissen
systematisiert, die Gliederung der Arbeit provisorisch skizziert haben usw., folgt
die schriftliche Ausarbeitung.
Die fertige Arbeit muss eine transparente Gliederung aufweisen: eine innere und
eine äußere.
Innere Gliederung
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Die Benutzung eines allgemeinen Lexikons (gedruckt oder on-line) ist nur dann gerechtfertigt, wenn es mehr
oder zuverlässigere Angaben zum Thema bietet als die zugänglichen Fachlexika. Dies ist besonders bei aktuellen
Entwicklungen der Fall, zu denen bspw. Wikipedia fallweise mehr liefert als Fachlexika.
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3.1. Das Ziel der Seminararbeit ist die überzeugende Klärung einer
Fragestellung. Diese Fragestellung soll am Anfang der Arbeit unbedingt
deutlich genannt werden, wofür es eine Reihe rhetorischer Mittel gibt, z.B.:
a) »Die Erzählung Das Urteil (1913) gilt als ein Schlüsselwerk des deutschsprachigen Prager Autors
Franz Kafka (Schlingmann 1995, S. 69). In der vorliegenden Arbeit wird den Gründen für diese
Schlüsselstellung nachgegangen.«
b) »Das Ziel dieser Arbeit ist der Nachweis, dass Franz Kafkas Beziehung zum Expressionismus in der
Literaturwissenschaft umstritten ist.«
c) »Ein hervorstechendes Merkmal von Franz Kafkas Erzählwerken ist die Beschränkung der
Erzählperspektive auf die Wahrnehmung einer Figur. Den dadurch entstehenden Effekt bezeichnet V.
Žmegač als ›Gefängnis des Bewusstseins‹ (Žmegač 1996, S. 100). In der vorliegenden Arbeit soll dieser
Effekt in der Erzählung Das Urteil untersucht werden.«
d) »Das Motiv des Vater-Sohn-Konflikts steht im Zentrum vieler Werke im Umkreis des literarischen
Expressionismus. Dazu gehören auch Kafkas Erzählung Das Urteil und die Erzählung Sloboda des
kroatischen Autors Janko Polić Kamov (1886–1910). In dieser Seminararbeit soll das genannte Motiv in
diesen Werken verglichen werden, und zwar im Hinblick auf...«
3.5. Die Präsentation von Allgemeinwissen (bspw. ein Überblick über Leben
und Werk des Autors) gehört nicht zum Thema!
Äußere Gliederung
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3.10. Das letzte Kapitel sind die Schlussfolgerungen.
3.11. Die Arbeit endet mit einem Literaturverzeichnis, in dem allen zitierten
und konsultierten Titel in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet werden.
3.12. Unter dem Text Ihrer Arbeit muss folgender Satz stehen:
4. Belege (Textnachweise)
4.3. Ein Beleg ist ebenso obligatorisch beim indirekten Zitat (Paraphrase).
4.4. Falls Sie den Argumenten eines anderen Autors auf noch indirektere Weise
folgen, z.B. indem Sie sich an bestimmte Thesen oder Argumente anlehnen, ist
es korrekt, auch darauf zu verweisen. Das kann in Klammern (vgl. Bobinac
2004, S. 10) oder in einer Anmerkung geschehen.4
4.5. Falls Sie sich in einem längeren Abschnitt oder in der ganzen Arbeit an
einen bestimmten Text anlehnen, können Sie darauf eingangs hinweisen (z.B. in
einer Anmerkung: „Die folgenden Ausführungen zur Erzählperspektive folgen
Stanzel 1989, S. 149ff.“).
5. Sonstiges
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Vgl. Bobinac 2004, S. 10. (Dies ist ein fiktives Beispiel. „Vgl.“ ist die Abkürzung von vergleiche.)
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5.1. Für die graphische Gestaltung von Texten gibt es Konventionen (Marginen,
Abstände, Leerzeilen, Abschnitt, Schriftgröße...). Zu finden sind diese Regeln
z.B. im Duden. Die Einhaltung dieser Regeln gehört zur allgemeinen
Schriftkompetenz.5
5.2. Bitte Schriftgröße 12, Zeilenabstand 1,5.
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Die Regeln dienen der Konzentration auf das Wesentliche. Ein schlampiges und verwirrendes Äußeres lenkt den
Blick vom Inhalt auf die Form. Die Form soll nicht auffallen – also wird sie normiert.
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III. BEISPIELE FÜR GELUNGENE SEMINARARBEITEN
Die gelben und roten Markierungen dienen ausschließlich dem Zweck der Veranschaulichung
im Rahmen dieser Richtlinien:
Rot markiert sind stellen, die sich auf den Umgang mit der benutzten Literatur beziehen.
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Universität Zagreb – Philosophische Fakultät – Abteilung für Germanistik
Veranstaltung: Seminar zur deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts / 2 C
Seminarleiter: Svjetlan Lacko Vidulić
Studentin: Alenka Cindrić
Datum der Abgabe: 31.8.2009
Seminararbeit
Gliederung
1. Einleitung
2. Die Fuge als musikalische Gattung
3. Merkmale der Fuge in Celans „Todesfuge“
4. Schlussfolgerungen
5. Literaturverzeichnis
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1. Einführung
„Todesfuge“ ist ein hermetisches Gedicht eines der bedeutendsten Lyriker der Nachkriegszeit,
Paul Celan, geboren 1920 in der rumänischen Stadt Czernowitz in der heutigen Ukraine.
Celan stammte aus einer deutschsprachig-jüdischen Familie und hat Erfahrung mit dem
nazistischen Regime gemacht, als deutsche Truppen 1941 Czernowitz besetzten (Arbeitslager,
Tod der Eltern). Diese Erfahrungen thematisiert er in diesem Gedicht: „Die ‚Todesfuge‘ ist ein
frühes Zeichen der künstlerischen Auseinandersetzung mit der milionenfachen Vernichtung
der europäischen Juden in den Vernichtungslagern der deutschen Faschisten“ (Schutte 1997,
S.69). Bereits der Titel weist auf die Bedeutung der musikalischen Gattung der Fuge für die
Interpretation dieses Gedichts hin.
In der vorliegenden Arbeit wird die Beziehung von Celans „Todesfuge“ und der Gattung
der Fuge untersucht. Inwiefern entspricht dieses Gedicht der musikalischen Gattung, die es im
Titel führt? In einem ersten Schritt wird anhand einschlägiger musikwissenschaftlicher
Literatur die musikalische Gattung der Fuge vorgestellt. In einem zweiten Schritt werden auf
den Spuren von Horns Interpretation (Horn 1999–2005) die Fugen-Merkmale des Gedichts
herausgearbeit.
Die Fuge (lat. Flucht) ist eine vom Kanon abgeleitete Form des polyphonen Stils, die als
selbstständige Gattung oder als Satz größerer zyklischer Instrumentalwerke oder Vokalmusik
vorkommt. Ihren Höhepunkt hat sie im 17. und 18. Jahrhundert bei Johan Sebastian Bach
erreicht. „Er hat in seinen Zyklen ‚Das wohltemperierte Klavier‘ (1722/1744) und ‚Die Kunst
der Fuge‘ (1749) die Fugenkomposition zu höchster Vollendung gebracht“ (Hempel 2001, S.
255).
Eine besondere Kompositionsform ist das, wodurch sich eine Fuge von anderen
musikalischen Gattungen unterscheidet. Charakteristisch für die Fuge ist ein Thema das in
zwei Versionen vorkommt – Dux (lat. Führer, Leiter, Feldherr) und Comes (lat. Begleiter,
Gefährte, Teilnehmer), die kontrapunktisch verarbeitet sind, das heißt, sie erklingen
gleichzeitig. Dux ist das Thema in der Tonika und Comes kommt meistens in der
Dominanttonart vor. Die Fuge hat überwiegend nur ein klar erkennbares Thema, aber möglich
sind auch Fugen mit zwei, drei oder vier Themen, die dann Doppel-, Tripel oder
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Quadrupelfugen heißen. In diesen mehrthematischen Fugen sind oft nicht alle Themen
gleichwertig. Es kann vorkommen, dass das zweite, dritte oder vierte Thema als ein
Kontrapunkt eingeführt wird.
Die meisten Fugen bestehen aus drei Teilen. Im ersten Teil, dass Exposition heißt,
erklingt das Thema nacheinander in jeder der Stimmen. Biem Übergang in die nächste
Stimme wird ein Kontrapuntk konzipiert, bzw. eine „Gegenstimme“ die gleichzeitig mit dem
Thema erklingt. Im zweiten Teil folgen weitere meist unvollständige Durchführungen
(Engführungen), die durch locker gefügte Zwischenspiele getrennt sind und auch thematisch
freier sind. Im dritten Teil, der ein Kulminationspunkt polyphoner Entwicklung ist, kommt
das Thema bzw. die Themen in Vergrößerung oder Verkleinerung, Engführung, Umkehrung
oder Gegenbewegung vor. Dabei können mehrere dieser Prinzipien gleichzeitig erscheinen.
Bei Doppel-, Tripel- und Quadrupelfugen erscheint im letzten Teil in der Regel eine
Kombination aller Themen.
Diese Grundregeln der Fugenkomposition sind in jedem einzelnen Stück anders
ausgeprägt und darin besteht die Einmaligkeit der Fugen (vgl. Werner, Marggraf 1989, S.173).
Das Gedicht „Todesfuge“ wurde 1945 veröffentlicht. Zu dieser Zeit wurde über die Frage
debattiert, ob überhaupt noch nach Auschwitz und über Auschwitz ein Gedicht möglich wäre,
weil ein Gedicht über Auschwitz eine Ästhetisierung der Judenvernichtung bedeuten würde
(Horn 1999-2005). Die Schönheit des Gedichts ist aber nur in der Struktur vorhanden, der
Struktur einer Fuge, in den kontrapunktisch behandelten Themen und Motiven. Mit dieser
besonderen Ästhetisierung der Struktur hat Celan die Grausamkeit des Inhalts noch mehr
hervorgehoben (vgl. Žmegač 1994, S. 719).
Im Gedicht werden bestimmte Sätze wiederholt, manchmal ganz und manchmal mit
Variationen. Die Frequenz, Distribution und Hierarchie der einzelnen Sätze im Gedicht kann
durch das schon im Titel genannte Kompositionsprinzip erklärt werden. Es ist also eine Fuge
und zwar eine Doppelfuge, eine Fuge mit zwei Themen (vgl. Schutte 1997, S. 142). Die zwei
Themen der „Todesfuge“ repräsentieren die Täter-Opfer Konstelation. Das erste Thema
„Schwarze Milch der frühe“, zu der auch der lyrische Subjekt „wir“ gehört, sind die Opfer
bzw. die Juden, die im Gedicht erwähnt sind. Das erste Thema ist zugleich das Hauptthema,
weil das zweite Thema als ein Kontrapunkt eingeführt wird.
Eine mögliche Erklärung der Metapher „Schwarze Milch der fühe“ bietet Eric Horn:
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Eine erste Interpretationsmöglichkeit leitet die Metapher von einem jüdischen Sprichwort ab, das
besagt, dass - wenn alle Menschen in Unglück leben - Mordechai Meisel in der weißen Milch der Frühe
badet (vgl. Leo Perutz: Nachts unter den steinernen Brücken. München 1993). Mordechai Meisel soll
durch dieses Sprichwort als der vollkommene Glückspilz charakterisiert werden, den er in den
jüdischen Sagen auch immer wieder verkörpert. Die Metapher "schwarze Milch der Frühe" könnte dann
als Darstellung der vollkommenen Hoffnungslosigkeit begriffen werden, da selbst der ansonsten so
glückliche Mordechai Meisel nicht mehr in der weißen Milch der Frühe baden kann (Horn 1999-2005).
Nach dem ersten Thema folgt ein Kontrapunkt bzw. eine Gegenstimme, die
gleichzeitig mit dem Thema erklingt: „wir trinken sie abends/ wir trinken sie mittags und
morgens wir trinken sie nachts“ und danach eine freie Fortführung: „ wir schaufeln ein Grab
in den Lüften da liegt man nicht eng“.
Das zweite Thema „Ein Mann wohnt im Haus“ ist eine Verallgemeinerung für die
Täter. Diese Täter (die, die als Aufseher, Folterer und Henker in Vernichtungslagern tätig
waren) werden durch den Mann der ein Haus bewohnt bzw. den Lageraufseher repräsentiert
(Schutte 1997, S.72). Nach dem zweiten Thema folgt auch ein Kontrapunkt („der spielt mit
den Schlangen der schreibt“) und eine freie Fortführung („er befiehlt uns spielt auf nun zum
Tanz“).
Dem ersten Thema ist das zweite gegenübergestellt und zwar kontrapunktisch. „ Die
Ordnung von Vers und Strophe ist weitgehend aufgelöst. Das Gedicht will also durch die
Bewegung erfahren werden. Kein Interpunktionszeichen hält den Fluß der Sprache auf.
Sinneinheiten gehen ineinander über. Übergänge und Verbindungen sind beabsichtigt.“
(Schutte 1997, S.75)
Nach der Exposition im Gedicht wo die beiden Themen, „Schwarze Milch der Frühe“
und „Ein Mann wohnt im Haus“, vorgestellt sind, folgt der zweiter Teil der „Todesuge“, wo
diese zwei Themen in Form von Engführungen durchgeführt werden. Sie heißen
Engführungen, weil sie die in der Exposition genannten Themen verknappen. Sie führen auch
ein neues Motiv ein: „dein aschenes Haar Sulamith“. Diese Engführungen sind Versgruppe
zwei „Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich Nachts/ wir trinken dich mittags wir trinken
dich/ abends/ wir trinken und trinken/ Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen
der/ schreibt/ der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes/ Haar Margarete/
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den/ Lüften da liegt man nicht eng“
und Versgruppe vier „Schwarze Milch der frühe wir trinken dich nachts/ wir trinken dich
mittags und morgens wir trinken dich abends/ wir trinken und trinken/ ein Mann wohnt im
Haus dein goldenes Haar Margarete/ dein aschenes haar Sulamith er spielt mit den
Schlangen“.
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Versgruppe drei („Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr anderen singet/ und
spielt/ er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen/ sind blau/ stecht tiefer die
Spaten ihr einen ihr anderen spielt weiter/ zum Tanz auf“) und Versgruppe fünf („Er ruft spielt
süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus/ Deutschland/ er ruft streicht dunkler die Geigen
dann steigt ihr als Rauch/ in die Luft/ dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht
eng“) sind Zwischenspiele und deshalb auch thematisch lockerer. Sie führen die Zeilen acht
(„er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde“) und neun („er befiehlt uns
spielt auf nun zum Tanz“) weiter indem sie das, was der Mann aus dem zweiten Thema zu den
Juden bzw. den Opfern sagt, was er ihnen befehlt und was er macht, beschreiben. Auch hier
wird ein neues Motiv eingeführt, und zwar das Motiv „Der Tod ist ein Meister aus
Deutschland“.
In der letzten Durchführung der „Todesfuge“ (Versgruppe sechs) bzw. dem letzten
Teil, werden einzelne Motive und die zwei Themen noch enger miteinander verwoben und
repräsentieren dabei einen Kulminationspunkt polyphoner Entwicklung. Hier fällt eine
Besonderheit auf, die zwei gereimten Verse, die die einzigen gereimten Verse im ganzen
Gedicht sind: „der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau/ er trifft dich mit
bleierner Kugel, er trifft dich genau“. Schutte ist der Meinung, dass diese zwei Verse eine
Selbstanrede des impliziten Autors sind und begründet es mit der Kenntnis von Celans
„Überlebensschuldgefühl“, dem Gefühl von Verrat an den Ermordeten, weil er selbst
entkommen ist und nichts gegen den Tod der anderen gemacht hat (Schutte 1997, S. 78). Die
Struktur dieser Verse wird als eine Fermate erklärt. Eine Fermate bedeutet in der
musikalischen Terminologie eine Verlängerung des ursprünglichen Notenwerts. Dieser
Aushaltezeichen ( ) wird über einer Note oder Pause gesetzt und bedeutet eine beliebige
Verlängerung des Tonwerts, der aber dann überwiegend doppelt verlängert wird.
Die Fuge endet mit zwei Versen ( „dein goldenes Haar Margarete/ dein aschenes Haar
Sulamith“), die als ein Schlussakkord betrachtet werden können. Diese Verse sind formal und
syntaktisch fast gleich. Sie unterscheiden sich durch die Semantik, durch das, was die beiden
Namen und Adjektive, die mit den Namen verbunden sind, konnotieren. „Der Name Sulamith
entstammt wahrscheinlich dem Alten Testament, genauer gesagt dem Hohelied Salomos“
(Horn, 1999-2005). Der Name Margarethe steht für die Täterseite, während Sulamith für die
Opferseite steht (vgl. Schutte 1997, S. 144). Die Adjektive „golden“ und „aschen“ können
entweder als blond und grau interpretiert werden, bzw. als Haarfarben die für bestimmte
„Rassentypen“ darstehen, oder als tot und lebendig (ebd.). Schutte fragt nach der Harmonie
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oder Dissonanz des Schlussakkords und überlässt dem Leser, selbst darüber zu entscheiden
(Schutte 1997, S. 142).
4. Fazit
Die Todesfuge ist ein gelungenes Beispiel, wie man ohne weiteres Gedichte über grauenhafte
Erreignisse und Dinge schreiben kann. Celan hat die Form einer Fuge auf ein Gedicht
übertragen und diese fast vollkomene Form hat ihm ermöglicht, das Gedicht für den Leser auf
viele Niveaus intrigant und interessant zu machen und den schrecklichen Inhalt auf eine
besondere Weise auszuprägen, ohne dass er in Geschmacklosigkeit geraten ist, was bei so
einem schweren Thema nicht leicht zu erreichen ist.
5. Literaturverzeichnis
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