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Wunderwelt der Pilze: Mit dem Fliegenpilz in andere Sphären fliegen


Der Waldboden ist in diesem Herbst mit besonders vielen Pilzen übersät, die Körbe
füllen sich üppig. Pilze werden aber nicht nur von Feinschmeckern geschätzt. Manche
Sammler suchen auch bewusstseinserweiternde Erfahrungen.
Illustration: Selina Buess, Text: Melissa Müller

07.10.2018, 05.00 Uhr

Pilze üben auf die Menschen eine spezielle Anziehungskraft aus.

Und plötzlich sind sie da. Spriessen über Nacht aus dem Waldboden. Wenn
Pilze einen Ring bilden, spricht der Volksmund von einem Hexenring.
Dahinter steckt aber kein Zauberspuk. Pilze haben so etwas ähnliches wie
ein Wurzel, das Myzel. Es wächst kreisförmig nach aussen, woraus die
Pilze entspringen.

Die urtümlichen Lebewesen, die weder Tiere noch Pflanzen sind, regen die
Fantasie an. Manche sehen in ihnen Häuser von Feen, Kobolden und
Schlümpfen. Die einen schätzen sie als Delikatesse. Die anderen würden
niemals selbst gesammelte Pilze essen - aus Angst vor ihren Giftstoffen.

Frau ermordet Mann mit Knollenblätterpilz

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Auch heute treten immer wieder


Vergiftungen auf. 1993 ermordete einen
Bernerin zusammen mit ihrem Liebhaber
ihren Gatten mit dem Gift des
Knollenblätterpilzes. Bis zu acht
schwerwiegende Vergiftungen gehen in
der Schweiz pro Jahr auf sein Konto. Er ist
der giftigste Pilz Europas.

Zur Zeit füllen sich die Körbe der


Pilzsammler üppig. Nicht alle haben es
jedoch auf den kulinarischen Genuss
Mörderischer Waldbewohner: Der
Knollenblätterpilz ist der giftigste Pilz abgesehen. Manche hoffen auf
Europas. halluzinogene Pilze, die einst
schamanischen Ritualen dienten.

Psychoaktive Pilze kursieren weltweit in


der Drogenszene. Als einheimische Art
spielt in der Schweiz nur der
Spitzkegelige Kahlkopf eine Rolle,
bekannt auch als Magic Mushroom. Der
unscheinbare Giftpilz mit dem Zipfelchen
an der Spitze gedeiht auf Viehweiden. Es
ist verboten, ihn zu sammeln. Der Stoff
Psylocibin wirkt ähnlich wie LSD. Das ist
nicht ohne Risiko: Menschen, die ihn
ausprobiert haben, erzählen, sie fühlten
sich eingeschlossen in einer
beängstigenden Welt.
Der Spitzkegelige Kahlkopf wächst
manchmal auf einem Kuhfladen und
wirkt wie LSD.

Halluzinogen wirkt auch der Fliegenpilz


wegen der Subtanz Miscimol. Tödlich ist er
zwar nicht – man müsste 70 Kilo davon
essen, um zu sterben – aber wer von ihm
kostet, muss drei Stunden nach dem
Verzehr mit Krämpfen, unkontrollierten
Bewegungen und geistiger Verwirrtheit
rechnen. Trotz seines Gifts prangt er als
leuchtend roter Glückspilz auf
Märchenhaft schön: Der Fliegenpilz.
Geburtstagskarten, schmückt Christbäume

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und Torten.

Manche Pilznamen deuten auf Mythen


und Legenden hin. Wie die
Totentrompete, die Zwergenmütze und
der Satans-Röhrling. Unerfahrene
verwechseln diesen seltenen Pilz mit dem
knolligen karminroten Stiel bisweilen mit
dem Steinpilz. Trotz mildem Aroma sollte
man ihn nicht essen; er führt zu Magen-
Darm-Beschwerden.
Der Satansröhrling steht auf der
Roten Liste.
Greifen
wir also
lieber zum echten Steinpilz. Er wächst
auf voralpinen Steilhängen – hellbraun,
würzig duftend auf nadelweichem Boden.
Womöglich steigt einem beim Suchen
auch der aasartige Geruch der
Stinkmorchel (7) in die Nase. Der
lateinische Name Phallus impudicus
Der Steinpilz gehört zu den
bedeutet «schamloser Penis». Die
beliebtesten Gourmetpilzen.
Stinkmorchel ist kein Speisepilz und zieht
mit ihrem Gestank Fliegen und andere
Insekten an.

Zugreifen darf man hingegen beim


Parasolpilz, auch Riesenschirmling
genannt. Paniert und gebraten stiehlt er
jedem Wienerschnitzel die Show: Aussen
schmeckt er knusprig, innen saftig. Der
Parasolpilz duftet nach gebratener Milch.
Zu finden in der ganzen Schweiz, auf
Wiesen und im Laubwald. Junge
Exemplare sind paukenschlegelförmig.
Der Hut ist mit hellbraunen Schuppen
bedeckt, die Lamellen sind crèmeweiss.
Ein typisches Merkmal ist auch der
verschiebbare Ring am langen Stiel.
Der Parasolpilz schmeckt noch
besser als ein Wienerschnitzel, wenn Auch die Gelbliche Koralle ist geniessbar,
man ihn paniert.
sie kann aber allzu leicht mit der

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Bauchweh-Koralle verwechselt werden.


Pilze gelten generell als schwer
verdaulich, weil ihrer Zellwände aus
Chitin bestehen. Bereits Ötzi verstand
etwas von Pilzen.

Er trug zwei auf einer Schnur


aufgezogene Zunderschwämme mit sich.
Zunder ist ein Baumpilz. Mit Pyrit und
Von Korallenpilzen sollte man besser
Zunder konnten die Urzeitmenschen ein
die Finger lassen. Sie können leicht
Feuer entfachen. verwechselt werden.

Pilze faszinieren die Menschen seit eh


und je. Sie inspirieren Schriftsteller, Maler
und Gamedesigner. In «Alice im
Wunderland» isst die kleine Alice einen
Pilz und wird riesengross. Beim Genuss
eines anderen Pilzes wird sie wieder
Der Zunder ist ein Baumpilz. Aus ihm
klein. Auch in den Super-Mario-
kann man ein Feuer machen, wie
schon Ötzi wusste. Computerspielen muss man sich einen
Super-Pilz sichern, damit Mario auf der
Stelle wächst und einen Kraftschub bekommt.

Unterirdisches Netz

Die Mykologie ist die Wissenschaft von den Pilzen. Sie bilden neben
dem Tier- und Pflanzenreich eine eigene Kategorie. 7000 Pilzarten sind
in der Schweiz bekannt; davon sind etwa 300 essbar.
Pilze vermehren sich mit Sporen und ernähren sich von abgestorbenen
pflanzlichen oder tierischen Überresten. Ihre Zellwände sind aus
Chitin, das auch der Hauptbestandteil der Hülle von Krebsen, Insekten
und Spinnen ist.
Der Pilz, den wir sehen, ist nur der Fruchtkörper. Unterirdisch hat er ein
immenses Wurzelgeflecht, das Myzel. Mit diesem weit verzweigten
Netzwerk kann er sich mit Bäumen und anderen Pilzwesen
austauschen. 90 Prozent aller Pflanzen gehen eine Symbiose mit
Pilzen ein. (mem)

Quellen: John Wright: «Handbuch für Pilzjäger», Christian Rätsch: «Pilze und
Menschen», Robert Hofrichter: «Das geheimnisvolle Leben der Pilze».

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