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Radfahren in Den Niederlanden2009
Radfahren in Den Niederlanden2009
Radfahren
in den Niederlanden
Index
Vorwort
„I want to ride my bicycle, I want to ride my bike“ – Bicycle Race von Queen wäre durchaus eine
geeignete Nationalhymne für die Niederlande, wenn man bedenkt, wie häufig und lange wir mit
unseren Fahrrädern unterwegs sind.
Warum das so ist? Weil Radfahrer frischer, kreativer und positiver am Arbeitsplatz erscheinen.
Oder in der Schule, im Sportclub oder wo auch immer. Darum hoffe ich auch, dass diese
Broschüre dazu beitragen wird, dass weltweit noch mehr Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt
werden.
Die Niederlande gelten als klassisches Fahrradland, aber Radfahren liegt inzwischen überall auf
der Welt im Trend. In vielen Ländern wird dem Fahrrad bereits ein hoher Stellenwert eingeräumt,
sowohl im Straßenverkehr als auch in der Verkehrspolitik.
Regelmäßig erreichen uns Anfragen aus dem Ausland, ob die Niederlande bei der Gestaltung
einer eigenen Radverkehrspolitik Unterstützung leisten könnten. Wir hoffen auch, dass das
so bleibt, denn natürlich sind wir gern bereit, zur Entwicklung eines nachhaltigen, sauberen,
gesunden und effizienten Verkehrs beizutragen. Beispielsweise mit dieser Broschüre, die ein
umfassendes Bild vom Radverkehr in den Niederlanden vermittelt.
Wir freuen uns, Ihnen nach unserer erfolgreichen letzten Ausgabe nun die vorliegende ergänzte
und vollständig überarbeitete Broschüre präsentieren zu können. Besuchen Sie doch auch
einmal die Website www.fietsberaad.org oder www.Radverkehrsknowhow.org. Hier finden Sie,
übersichtlich zusammengestellt, alle verfügbaren Informationen über den Radverkehr in den
Niederlanden sowie Erfahrungen aus anderen Ländern.
Tineke Huizinga
Staatssekretärin für Verkehr, Wasserwirtschaft und öffentliche Arbeiten
Zahlen und
Fakten
Holland und Radfahren – das ist schon seit je eine untrennbare Einheit.
In diesem Kapitel haben wir einige Zahlen und Fakten zum Thema
Radfahren aus der Gegenwart und Vergangenheit zusammengestellt.
100% Auto (als Fahrer oder Mitfahrer) 1.1 Radfahren in den Niederlanden
90% Eisenbahn
80% 36% Bus/Straßenbahn/U-Bahn
48%
70% Zu Fuß
60% Verkehrsmittel und Entfernungen
2% 76% 81% Fahrrad
50% Obwohl die Niederländer im Durchschnitt immer größere Entfernungen zurücklegen, erfreut sich
2%
27%
40% 3% das Fahrrad nach wie vor großer Beliebtheit. Gut ein Viertel aller Wege werden mit dem Rad erle-
30% 19% digt. Für Entfernungen bis 7,5 km ist das Fahrrad sogar das beliebteste Verkehrsmittel überhaupt.
20% 2007 wurden 34 % aller Wege bis 7,5 km mit dem Fahrrad zurückgelegt. (Figur 1)
34%
26% 6%
10% 11%
15% 4%
0% 2% Natürlich hängt der Fahrradgebrauch in hohem Maße von der zurückzulegenden Entfernung ab.
Ingesamt bis to 7,5km 7,5km bis 15 km über 15km Da in den Niederlanden immer noch 70 % aller zurückgelegten Wege kürzer als 7,5 km sind,
macht sich die starke Position des Fahrrads auf diesen Entfernungen (35 %) auch im gesamten
Modal-Split bemerkbar (Anteil des Fahrrads 26 %). Gleichzeitig fällt auf, dass auch Strecken über
Figur 1: Zurückgelegte Wege nach Haupttransportmittel und Entfernungsklasse im Jahr 2007
(Quelle: Mobiliteitsonderzoek Nederland 2007, AVV (Mobilitätsuntersuchung Niederlande, Beratungsdienst für Verkehr und Transport) 7,5 km noch häufig mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. In der Entfernungsklasse 7,5 bis 15 km
sind es immerhin 15 %.
Einkauf 28% 18% 49% 5% 20% Fahrrad Umfang her wichtigsten Motiven wie dem Arbeitsweg und dem Einkaufen.
15%
19%
10% 9% 9%
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Es gibt keine zuverlässigen internationalen oder europäischen Statistiken, die den Fahrradgebrauch 0%
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je Land gegenüberstellen. 2006 wurden, vor allem anhand von im Internet recherchierten Daten,
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viele Zahlen zum Fahrradgebrauch in europäischen Ländern und Städten gegenübergestellt. Die
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nachstehenden Zahlen (Tabelle 2, Figur 4) betreffen immer den Fahrradgebrauch bei allen Wegen
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(zurückgelegt von den Einwohnern der betreffenden Stadt oder des betreffenden Landes). Diese
Zahlen stammen aus verschiedenen Quellen, wobei je Stadt bzw. Land immer mindestens zwei In Europa gibt es also auch außerhalb der Niederlande Städte, in denen der Fahrradgebrauch hoch
Quellen herangezogen wurden (kleinere Differenzen wurden beseitigt). liegt (über 20 % Anteil am Modal-Split). Landesweit gesehen sind die Niederlande jedoch einsamer
Spitzenreiter.
Italien ca. 5 % Einige klare Ausnahmen, vor allem in der Poebene, mit
Orten wie Parma (über 15 %) und Ferrara (etwa 30 %). Figur 5 Rekonstruktion der Trends des Fahrradanteils an allen per Auto, Fahrrad, Mofa/Moped und öffentlichem
Verkehr zurückgelegten Wegen in einigen westeuropäischen Städten, 1920–1995 (in %).
Ebenfalls unter den Spitzenreitern: Florenz (über 20 %). (Quelle: de la Bruheze en Veraart,1999)
Frankreich ca. 5 % Spitzenreiter: Straßburg (12 %) und Avignon (10 %).
Irland ca. 3 % Praktisch keine Spitzenreiter (Dublin mit 5 % vorn). Abgesehen von den allgemeinen Parallelen in den in Abbildung 3 dargestellten Trendlinien sind auch
Tschechien ca. 3 % Einige Städte mit gewisser Fahrradnutzung (Ostrava, erhebliche Unterschiede festzustellen. Diese Unterschiede betreffen insbesondere das Niveau, auf dem
Olomouc und České Budějovice zwischen 5 % und 10 %), sich die allgemeine kontinuierliche Entwicklung vollzieht, und das Ausmaß des Anstiegs oder Rückgangs
einige mit hohem Fahrradanteil (Prostejov 20 %). der Fahrradnutzung.
Großbritannien ca. 2 % Einzelne Städte mit auffallend höherer Fahrradnutzung (York • Einen besonders hohen Fahrradanteil (über 30 %) weisen Amsterdam, Eindhoven, Enschede und
und Hull 11 %, Oxford und vor allem Cambridge fast 20
%). Kopenhagen auf – Städte, in denen niemals ein mit dem Fahrrad konkurrierendes Verkehrssystem ein-
geführt wurde und in denen der Fahrradverkehr schon immer regulärer Bestandteil der Verkehrspolitik
Tabelle 2: Anteil des Fahrrads an allen Wegen in einigen europäischen Ländern und Städten war. Die Anerkennung der Radfahrer als vollwertige Verkehrsteilnehmer mit gleichen Rechten in den
50er- und 60er-Jahren war in diesen Städten ein wesentlicher Faktor.
• In Südostlimburg und Hannover liegt der Fahrradgebrauch auf mittlerem Niveau (ca. 20 %). Hier ging
der Anstieg des Autoverkehrs mit einer eher autofreundlichen Politik und einer mehr auf das Auto
abgestimmten Raumstruktur einher.
• Einen niedrigen Fahrradanteil (ca. 10 % oder weniger) weisen Antwerpen, Manchester und Basel auf.
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Allerdings muss diese Erklärung angesichts ihres langfristigen Charakters über die Jahrzehnte hinweg
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betrachtet werden. In Bezug auf die Raumordungspolitik und die Vorstellungsbildung ist diese Schlussfol-
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gerung nicht überraschend, da sich in diesen Bereichen Veränderungen naturgemäß nur sehr allmählich
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vollziehen. Abgesehen von all diesen Faktoren hat offenbar auch die Verkehrspolitik einen relevanten,
Fahrräder je Einwohner (2004) Zahl der Fahrraddiebstähle je 100 Fahrräder kontinuierlichen Einfluss. Politische Entscheidungen, die in den 50er- und 60er-Jahren getroffen worden
Figur 6: Fahrradbesitz in einigen europäischen Ländern, Figur 7: Zahl der gestohlenen Fahrräder pro Jahr (Quelle: sind, wirken sich bis in die Gegenwart aus. In verschiedenen ausländischen Städten hatten das negative
2004 (Quelle: Europäische Kommission) Politiemonitor (Polizeistatistik), seit 2005 Sicherheitsmonitor) Image und die konkreten fahrradfeindlichen Maßnahmen ein Ausmaß, das für die heutige Bevölkerung
der Niederlande unvorstellbar ist.
Tabelle 3: Zahl der Passagierkilometer und umgekommen Personen von Radfahrer und Autoeinsitzen-
den in 1980, 2001 und 2005 (Quelle CBS (Zentrales Statistik Buro)-Onderzoek Verplaatsingsgedrag
Die Niederlande sind das einzige Land Europas, in denen es mehr Fahrräder als Einwohner gibt.
(Studie des Reisebenehmens) und AVV (Beratende Dienst Verkehr und Transport)- Basisgegevens
(Grundtatsachen)) (Figur 6) Die Einwohner der Niederlande besitzen im Durchschnitt 1,11 Fahrräder, und entspre-
chend hoch sind die Verkaufszahlen: 2003 wurden 1,2 Millionen Fahrräder verkauft – bei einer
Einwohnerzahl von 16 Millionen. Absolut gesehen werden nur in einigen Ländern mit wesentlich
größerer Einwohnerzahl mehr Fahrräder verkauft: 4,9 Mio. in Deutschland (82 Mio. Einwohner),
Umgekommen Radfahrer
pro 100 Millionen km 3,2 Mio. in Frankreich und 2,5 Mio. in Großbritannien (beide 60 Mio. Einwohner).
In den Niederlanden werden mit Abstand die meisten Fahrräder im Fachhandel gekauft: 77 % im
12
Italien Jahr 2005. Die meisten dieser Geschäfte beschränken sich nicht auf den Verkauf von Fahrrädern
und Fahrradzubehör, sondern verfügen auch über eine Reparatur- und Wartungswerkstatt. Der
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Anteil anderer Handelskanäle am Fahrradverkauf (Warenhäuser, Discounter, Versandhäuser usw.)
nimmt allerdings zu: von 10 % im Jahr 2000 auf 23 % im Jahr 2005. Der durchschnittliche Preis
8 Österreich eines neuen Fahrrads beträgt 579 Euro.
Großbritannien
6 Finnland
timmten Bevölkerungsgruppen
Schweden
2 Norwegen
Die Niederlande
Fahrrad km pro Person pro Tag
0 1 2 3
Figur 8: Beziehung zwischen Unfälle und Radbenutzung In manchen Ländern hat das Fahrrad ein schlechtes Image. Wer Rad fährt, beweist damit seinen
niedrigen sozialen Status, denn er kann sich offenbar kein Auto leisten. In den Niederlanden ist das
ganz anders: in allen Bevölkerungsgruppen ist der Fahrradgebrauch annähernd gleich. Radfahren
zeugt in den Niederlanden von einem gesunden und (Umwelt-) bewussten Lebensstil. Wie aus
Figur 9 hervorgeht, machen die Bevölkerungsgruppen mit dem höchsten und dem niedrigsten
1.0
0.9
0.8
0.7
0.6
Zahl der Fahrradfahrten pro
0.5
Person und Tag
0.4
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Figur 9: Fahrradgebrauch nach
0.2
Ausbildungsniveau (2007).
0.1
(Quelle: Mobiliteitsonderzoek
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Nederland 2007, AVV (Mobi-
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Zahl der Fahrradfahrten
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Figur 10: Fahrradgebrauch
0.6
nach Einkommen (2007).
0.4
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für Verkehr und Transport)
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1.5 Diebstahl
Mit 18 Millionen Fahrrädern auf einer so kleinen Fläche sind die Niederlande leider auch ein Para-
dies für Fahrraddiebe. So sind sie in Europa nicht nur absolute Spitzenreiter beim Fahrradbesitz und
Fahrradgebrauch, sondern auch beim Fahrraddiebstahl. Jährlich werden in den Niederlanden rund
900.000 Fahrräder gestohlen. Allerdings ist es dem Staat gelungen, die Diebstahlzahlen seit Mitte
der neunziger Jahre allmählich etwas zu senken, aber nach wie vor handelt es sich doch um ein
Problem wesentlichen Ausmaßes: (Figur 7, seite 14)
Durchschnittlich erstatten nur 45 % der Bestohlenen Anzeige bei der Polizei. Nur wenige Prozent
aller gestohlenen Fahrräder gelangen letztlich wieder zu ihrem rechtmäßigen Eigentümer zurück.
Radfahrer sind auch in den Niederlanden eine gefährdete Gruppe von Verkehrsteilnehmern, wenn
man von der Verletzungsgefahr je zurückgelegtem Kilometer ausgeht. In den letzten Jahrzehnten
hat sich die Sicherheitssituation der Radfahrer aber ständig verbessert. Die jährliche Zahl der Ver-
kehrsopfer hat sich seit 1980 halbiert, sowohl unter den Radfahrern als auch unter den Autoinsas-
sen (siehe nebenstehende Tabelle @). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sowohl die Auto- als
auch die Fahrradnutzung in diesem Zeitraum enorm angestiegen sind. 2001 legten Autoinsassen
und Radfahrer insgesamt 32 % mehr Kilometer zurück als im Jahr 1980. Die Zahl der potenziellen
Unfälle zwischen Auto und Fahrrad hätte damit zahlenmäßig exponentiell ansteigen müssen. Wird
dies berücksichtigt, hat sich die Sicherheitssituation sogar enorm verbessert. Eine starke Verkehrs-
zunahme und eine hohe Fahrradnutzung müssen also nicht zwangsläufig zu einer größeren Gefä-
hrdung im Straßenverkehr führen, weder für Radfahrer noch für Autoinsassen. (Tabelle 3, seite 14)
Außer anhand eines zeitlichen Vergleichs lässt sich dies auch mithilfe eines Vergleichs zwischen
Ländern und sogar zwischen niederländischen Städten nachweisen. Figur 8, seite 14 zeigt deutlich,
dass Radfahrer in Ländern mit hohem Fahrradgebrauch weniger gefährdet sind. Dasselbe Muster
zeigt sich beim Vergleich niederländischer Städte untereinander. In Städten mit hohem Fahrradge-
18 19
brauch ist die Gefahr, als Radfahrer bei einen Verkehrsunfall verletzt zu werden, um durchschnit-
tlich 35 % geringer als in Städten mit geringem Radverkehrsaufkommen.
In verschiedenen Untersuchungen wurde immer wieder dasselbe Muster festgestellt: Je höher der
Fahrradgebrauch, desto geringer die Gefahr für die Radfahrer. Dafür gibt es mehrere Erklärungen,
die mit dem Verhalten der Verkehrsteilnehmer und der Berücksichtigung des Fahrrads im Rahmen
der Verkehrspolitik in Zusammenhang stehen. Erstens hat ein stärkerer Fahrradgebrauch zur Folge,
dass alle Verkehrsteilnehmer ihr Verhalten anpassen, da Radfahrer im Straßenbild eine dominan-
tere Rolle spielen und außerdem mehr Verkehrsteilnehmer eine größere Radfahrerfahrung haben.
Zweitens geht eine stärkere Fahrradnutzung oft mit einem geringeren Autogebrauch einher, wo-
durch die Gefahr eines Unfalls mit Beteiligung eines Kraftfahrzeugs abnimmt. Drittens ist fast jeder
Autofahrer auch Radfahrer (60 % der Niederländer fahren mindestens dreimal pro Woche und
80 % mindestens einmal pro Woche Fahrrad), d.h. dass Autofahrer das Verhalten von Radfahrern
kennen. Abschließend die politische Erklärung: Eine umfangreiche Benutzung des Fahrrads erhöht
die Unterstützung für die Fahrradpolitik, d.h. dass größere Investitionen in eine sichere Fahrradin-
frastruktur fließen.
In den Niederlanden stellt, wie in allen westlichen Ländern, Fettsucht infolge von Bewegungs-
mangel und schlechten Ernährungsgewohnheiten ein großes Problem dar. In den Niederlanden
leiden ca. 11 % aller Menschen an Fettsucht. Obgleich nach Meinung von Ärzten Bewegung für
den Menschen unverzichtbar ist, verbringen viele Menschen ihr Leben in zunehmenden Maße im
Sitzen, und auch ihre Beförderung erfolgt im Sitzen (d.h. im Auto oder in öffentlichen Verkehrs-
mitteln). Viele Wissenschaftler weisen darauf hin, dass das Fahrrad für Pendler das ideale Mittel
ist, um Bewegungsmangel entgegenzuwirken. Eine halbe Stunde mäßig intensiver Bewegung pro
Tag ist (abgesehen von gesunder Ernährung) ausreichend, und dafür ist der Pendelverkehr gut
geeignet: Die ganze Fahrt wird mit dem Fahrrad (bis 15 km) oder in Kombination mit öffentli-
chen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Untersuchungen haben gezeigt, dass der krankheitsbedingte
Arbeitsausfall Fahrrad fahrender Arbeitnehmer wesentlich geringer ist als der anderer Beschäftigter.
Maßnahmen zur Stimulierung des Fahrradfahrens unter Arbeitnehmern zahlen sich deshalb auch
leicht aus.
Nachhaltige Mobilität ist ein aktuelles Gesprächsthema in der heutigen Zeit, in der dem Klimawan-
del besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Und das Fahrrad ist das sauberste, nachhaltigste,
gesündeste und in der Stadt auch das schnellste Verkehrsmittel. Das Fahrrad ist in Bezug auf den
Ausstoß von Treibhausgasen ca. 140 Mal so nachhaltig wie ein Auto und auch viel nachhaltiger als
öffentliche Verkehrsmittel. Außerdem erlaubt eine fahrradfreundliche Stadt (z.B. Houten, Gronin-
gen und Zwolle) eine Steigerung der Lebensqualität. Aus diesem Grund hat in vielen Ländern und
Städten das Interesse am Radfahren und an der Stimulierung der Fahrradnutzung stark zugenom-
men. Die Niederlande gelten in diesem Zusammenhang als Wiege und Mekka des Radfahrens.
Deshalb ist jetzt Koordination erforderlich, um das Wissen und die Erfahrungen, die in den Nieder-
landen mit dem Radfahren gesammelt wurden, zu verbreiten.Es gibt eine internationale Fassung
der Website des Radverkehrsrats (www.fietsberaad.org oder www.radverkehrsknowhow.org ), auf
der (in erster Linie auf Englisch) Übersetzungen von Veröffentlichungen und Beispielen niederlän-
discher und ausländischer Radverkehrspolitik. Außerdem gibt es einen Auskunftsstelle für Fragen
von Ausländern und Präsentationen für Ausländer. Diese Auskunftsstelle ist auch über die Website
www.fietsberaad.org oder www.radverkehrsknowhow.org zugänglich.
politik
für das Fahrrad möglichst attraktiv zu gestalten. Die Anlage guter Radwegenetze und Fahrradab-
stellanlagen sind die wichtigsten Elemente. In der Radverkehrspolitik der großen Städte spielt die
Bekämpfung des Fahrraddiebstahls eine wichtige Rolle. Neben physischen und raumordnerischen
Maßnahmen zur Förderung des Fahrradgebrauchs sind auch Information und Aufklärung erforder-
lich.
Die Förderung des Radverkehrs ist kein Selbstzweck. Die Förderung der Fahrradnutzung und die
Anlage von Infrastruktureinrichtungen für den Radverkehr sind im Interesse einer breiten Skala Wo in einer Stadt oder einem Dorf etwas auf dem Gebiet des Fahrradverkehrs geschehen muss
gesellschaftlicher Ziele. Zur Illustration sind nachstehend die Ziele aus dem radverkehrspolitischen und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, wird in den meisten Fällen anhand von Unfallzahlen
Bericht 2006–2015 der Stadt Amstelveen aufgeführt: und Verkehrszählungen entschieden. Auch führen die Kommunen oft pragmatische Untersuchun-
gen zur Ermittlung von Schwachstellen durch, aus denen Schlussfolgerungen gezogen werden.
• Verbesserung der Erreichbarkeit von Unternehmen und Einrichtungen: Dies erfolgt auf direkte Darüber hinaus ist der Input seitens des niederländischen Radfahrerbunds oft eine wichtige Basis
Weise durch Verbesserung der Radverkehrseinrichtungen für die Kunden und Arbeitnehmer, die für Maßnahmen.
bereits mit dem Fahrrad kommen. Aber auch indirekt, indem Kunden und Arbeitnehmer, die mit
dem Auto kommen, dazu angeregt werden, auf das Fahrrad oder eine Kombination von Fahr- Finanzierung
rad und öffentlichem Verkehr umzusteigen. Dadurch verbessert sich die Erreichbarkeit für den Radverkehrspolitik kostet natürlich Geld. Zur Finanzierung der radverkehrspolitischen Maßnah-
verbleibenden Autoverkehr. men haben die meisten Kommunen spezifische Haushaltsposten ausgewiesen. Damit wollen sie
• Verbesserung der Qualität des Lebensumfelds: Auf direkte Weise, da viele Einwohner Wert auf dafür sorgen, dass die Kontinuität bei der Durchführung der Radverkehrspolitik gewährleistet ist.
sichere und komfortable Radverkehrseinrichtungen legen. Und indirekt, da das Fahrrad kurze Die Kommunen machen auch oft in hohem Maße von externen Finanzierungsquellen Gebrauch.
Autofahrten ersetzt, die eine relativ große (Lärm )Belästigung verursachen. Radverkehrsprojekte können oft im Rahmen größerer Infrastrukturprojekte, Bauprojekte, Verkehrs-
• Erhöhung der sozialen Sicherheit und der Verkehrssicherheit: Sowohl objektiv (Senkung der Zahl sicherheitsprojekte oder raumordnerischer Entwicklungsmaßnahmen durchgeführt werden.
der Verkehrsopfer) als auch subjektiv (Abbau von Unsicherheitsgefühlen). Die Kommunen können auch Beihilfen in Anspruch nehmen; diese werden von den Provinzen und
• Verbesserung der öffentlichen Gesundheit: Direkt: Radfahren sorgt für Bewegung als Bestandteil Stadtregionen verwaltet (siehe 2.2). Für Infrastrukturmaßnahmen auf Betriebsgeländen gibt es oft
26 27
der täglichen Aktivitäten. Aber auch indirekt: Wenn kurze Strecken mit dem Fahrrad statt mit eigene Regelungen, und EU-Mittel werden immer häufiger für Radverkehrsprojekte eingesetzt.
dem Auto zurückgelegt werden, verbessert sich die Luftqualität. Fahrradabstellanlagen werden in manchen Kommunen aus Parkgebühren (von Autofahrern)
• Erweiterung der Entfaltungsmöglichkeiten: Viele Einwohner von Amstelveen haben zu vielen finanziert, zuweilen aber auch von privaten Unternehmen oder im Rahmen öffentlich-privater
Zeitpunkten kein Auto zur Verfügung. Gute und sichere Radverkehrseinrichtungen ermöglichen Partnerschaften.
es ihnen, dennoch selbstständig Aktivitäten zu entfalten. Auch Menschen mit Behinderung sind
oft auf die Radverkehrsinfrastruktur angewiesen. Indirekt: Es fördert die Selbstwirksamkeit und In den Kommunen mit der am besten entwickelten Radverkehrspolitik werden auf Jahresbasis
Entwicklung von Kindern, wenn sie schon in jungen Jahren in der Lage sind, sich selbstständig oft erhebliche Beträge in die Radverkehrsinfrastruktur und andere Maßnahmen zugunsten des
fortzubewegen. Radverkehrs investiert. Gleichzeitig sind aber auch große Unterschiede feststellbar, die weniger ein
• Senkung der Zahl der Fahrraddiebstähle Hinweis darauf sind, dass Kommunen mit kleinerem Budget weniger tun würden, sondern vielmehr
beweisen, dass es diesen Kommunen gelingt, ihre Radverkehrsmaßnahmen zu finanzieren, indem
Die Raumordnungspolitik ist in Groningen stark auf die Anforderungen einer kompakten Stadt aus-
gerichtet. Die Raumstruktur zeichnet sich um das Jahr 2000 durch eine starke Verdichtung aus. Das
Leitbild der Stadt von 1980 blieb erhalten. Die Stadtverwaltung führte die Politik mit klarer Per-
spektive und großer Beharrlichkeit über 20 bis 30 Jahre durch. Infolgedessen sind unter anderem
die meisten Wege gut mit dem Fahrrad zu bewältigen. Im Umkreis von 3 km um den Stadtkern
leben 78 % der Einwohner und befinden sich 90 % aller Arbeitsplätze; nahezu alle Gebäude liegen
im Umkreis von 5 km.
In den 70er-Jahren setzte sich die Auffassung durch, dass man neben der wirtschaftlichen Entwick-
lung auch eine nachhaltig gestaltete, kompakte Innenstadt anstreben sollte, in der sich alle Arten
von Aktivitäten konzentrieren, die einen Mix von Wohn-, Arbeits- und Einkaufsfunktionen bietet
28 29
und Fußgängern, Radfahrern und dem öffentlichen Personennahverkehr Vorrang gibt. 1977 mün-
dete diese Auffassung in der Durchführung des Verkehrszirkulationsplans, der die Innenstadt in vier
Sektoren einteilte. Es war nun nicht mehr möglich, mit dem Auto von einem Sektor in den anderen
zu gelangen – schon aber mit dem Fahrrad und dem Bus. Der Durchgangsverkehr wurde aus der
Innenstadt ferngehalten. Autofahrer, die in die Innenstadt wollten, wurden auf dem kürzesten Weg
zu Parkplätzen in Zentrumsnähe geleitet. In den 80er- und 90er-Jahren stand die Parkraumbewirt-
schaftung im Vordergrund. In einem breiten Ring um das Stadtzentrum wurden Parkgebühren und
eine Parkhöchstdauer eingeführt.
• Bis 2010 benutzen mindestens 37 % der Einwohner Amsterdams für alle Wege das Fahrrad.
• Im selben Jahr erzielt Amsterdam in der jährlichen Zufriedenheitsumfrage zum Radverkehr auf
der Skala bis 10 eine Bewertung von mindestens 7,5.
• Die Zahl der Fahrraddiebstähle hat sich bis 2010 um 40 % verringert.
Der gegenwärtige radverkehrspolitische Mehrjahresplan (2007–2010) sieht die folgenden Hand-
lungsschwerpunkte vor:
Die Maßnahmen in Bezug auf das Hauptradwegenetz werden in einem Zeitraum von vier Jahren
schätzungsweise € 43 Millionen kosten. Die drei kostenintensivsten Projekte (Bau von Brücken und
Tunneln zur Schließung von Lücken) werden mit € 24 Millionen veranschlagt. Die Finanzierung
erfolgt größtenteils aus regionalen Beihilfen, Beiträgen der Stadtteile, dem städtischen Mobilitäts-
fonds und aus Eigenmitteln der Stadt. Die Gesamtkosten der Amsterdamer Radverkehrspolitik
einschließlich Organisationskosten werden sich im Zeitraum 2007–2010 auf knapp € 70 Millionen
belaufen – exklusive der Kosten spezifischer Verkehrssicherheitsprojekte.
dezentrale Regisseure
Beispiel D Gelderland: umfassende
und moderne Fahrradpolitik
Neben den zwölf Provinzen gibt es in den größten städtischen Ballungsräumen sieben Stadtregi-
Die Provinz Gelderland verfolgt eine intensive Radverkehrspolitik in den Bereichen, in denen die onen, die spezifisch im Bereich der Verkehrspolitik dieselben Aufgaben haben wie die Provinzen
Provinzen auch wirklich Einfluss haben. Die eigenen Radwege werden mit einem Messfahrrad (außer dass sie keine eigenen Straßen verwalten). Diesen insgesamt 19 Organen der mittleren
geprüft, um festzustellen, wo Verbesserungen unter anderem des Fahrkomforts erforderlich sind. Verwaltungsebene hat die Regierung in den letzten Jahren auf dem Wege einer weitgehenden
Im Zeitraum von zwei Jahren wird die Provinz 21 Mio. Euro in die Anlage und Verbesserung pro- Dezentralisierung eine Hauptrolle in der Verkehrspolitik übertragen. Die Provinzen und Stadtregi-
32 33
vinzialer Radwege investieren. Außerdem gibt es ein Budget für Beihilfen zu innovativen kommu- onen haben nun die Aufgabe, die Kohärenz der politischen Maßnahmen auf regionaler Ebene zu
nalen Radverkehrsprojekten. Die Fahrradabstellanlagen an Bushaltestellen werden verbessert und verbessern und so die Zusammenarbeit zwischen den Kommunen zu fördern. Damit sind sie auch
erweitert, und außerdem will die Provinz das System des „ÖV-Fahrrads“ (siehe S. 21 / Beispiel K) für die Zuweisung der erheblichen jährlichen Beihilfebeträge zuständig, die bislang vom Staat ver-
auf kleinere Bahnhöfe und Busbahnhöfe ausweiten. Unter anderem mittels der innovativen „Fahr- waltet worden waren: Infrastrukturbeihilfen und Beiträge zur Betreibung des öffentlichen Verkehrs,
radbox“: einer Art automatischem Fahrradschließfach mit einem Fassungsvermögen von 10 bis 16 insgesamt rund 1600 Mio. Euro pro Jahr für alle nachgeordneten Gebietskörperschaften. Fast alle
ÖV-Fahrrädern. Körperschaften der mittleren Verwaltungsebene verwenden in der Praxis einen wesentlichen Teil
Ferner wurde kürzlich in der Veluwe, dem größten Natur- und Erholungsgebiet der Niederlande, der Infrastrukturbeihilfen für Radverkehrsprojekte – nicht zuletzt auf Betreiben der Kommunen.
die Beschilderung im Zuge der Einführung des „Knotenpunktenetzes“ wesentlich verbessert. Und
zum Schluss noch ein ganz besonderes – und für die Niederlande neues – Projekt: die Langstrec- Was den Inhalt anbelangt, spielen die Provinzen und Stadtregionen oft eine führende Rolle bei
kenrouten in der Provinz Gelderland werden in die Regionalpläne aufgenommen. Damit unterlie- der Entwicklung und Realisierung eines regionalen/überörtlichen Radwegenetzes. Dabei tragen sie
gen sie dem Schutz der Raumordnungspolitik: Wenn neue räumliche Entwicklungen geplant sind, dem überörtlichen Charakter dieser Radwegenetze Rechnung: ein Radweg endet schließlich nicht
die diese Routen berühren, wird die Provinz den Plänen nur dann zustimmen, wenn sich die für an der Ortsgrenze, sondern führt weiter bis zum nächsten Ort. In den Stadtregionen handelt es
die Langstreckenrouten zuständige nationale Radverkehrsplattform mit einer alternativen Route sich um relativ kompakte Netze in einem zusammenhängenden bebauten Gebiet, die damit gut
einverstanden erklärt. mit den kommunalen Radwegenetzen vergleichbar sind. Bei den provinzialen Radwegenetzen liegt
der Schwerpunkt weitaus stärker auf den überörtlichen Strecken außerhalb der geschlossenen Ort-
schaften, und damit auch oft auf der Nutzung des Fahrrads zu Freizeitzwecken. „Nutzradwege“
(die der gezielten Fahrt von A nach B dienen) und „Freizeitradwege“ (Radwanderwege durch eine
attraktive Umgebung oder Strecken, die zu Freizeit- und Erholungszielen führen), werden häufig in
ein provinziales Radwegenetz integriert.
dezentralen Politik
Wissen und Informationen. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die Position des Radverkehrs im Straßenver-
kehr und in der Verkehrspolitik zu stärken. Der Radverkehrsrat, dem knapp 20 Sachverständige aus
der Praxis (vor allem Vertreter der Kommunen) angehören, unterstützt seine Zielgruppen, indem er
statistische Daten, Erfahrungen und andere Informationen sammelt oder sammeln lässt und verbreitet
– hauptsächlich über eine Quartalszeitschrift und eine Website. Derzeit ist auch eine neue internatio-
Die staatliche Politik auf dem Gebiet der Raumordung und Mobilität ist in verschiedenen nationalen nale website vom Fietsberaad activ: www.fietsberaad.org oder www.radverkehrsknowhow.org
Plänen niedergelegt. Diese Pläne geben nur die Rahmenbedingungen vor; die Grundzüge der Politik
werden von den nachgeordneten Gebietskörperschaften in eigenen Plänen ausgearbeitet. Im Ver- Die Wissensplattform Verkehr und Transport (Kennisplatform Verkeer en Vervoer/KpVV) unterstützt
gleich zu anderen europäischen Ländern ist die Radverkehrspolitik in den Niederlanden stark dezen- die nachgeordneten Gebietskörperschaften mit praktischem Wissen. Der Schwerpunkt dabei liegt auf
tral organisiert – in inhaltlicher Hinsicht seit je, soweit es um die Kommunen geht, und in politischer fünf Themen: Politik, Mobilität, Sicherheit, Infrastruktur und öffentlicher Nahverkehr. Innerhalb dieser
Hinsicht seit der vor kurzem vorgenommenen Dezentralisierung von der staatlichen Ebene hin zu den Themen wird dem Radverkehr an verschiedenen Fronten Aufmerksamkeit gewidmet.
Provinzen und Stadtregionen.
Das CROW ist die nationale Wissensplattform für Infrastruktur, Verkehr, Transport und öffentlichen
In der heutigen Situation spielt der Staat vor allem eine unterstützende Rolle. Die Radverkehrspolitik Raum. Seine Aufgabe besteht darin, das vorhandene Wissen in eine praxistaugliche Form umzuset-
soll und kann dezentralisiert werden; der Staat ist dann nur noch für die Angelegenheiten zuständig, zen; insbesondere über breit unterstützte Empfehlungen, Richtlinien und Regelungen, niedergelegt in
die ein landesweites Vorgehen erfordern. Dies ist bei vier Arten von Aktivitäten der Fall: zahlreichen Publikationen. Auch zum Thema Radverkehr wurden verschiedene Richtlinien veröffent-
1. Formulierung inhaltlicher Rahmenbedingungen für die nachgeordneten Gebietskörperschaften licht; zu nennen sind hier vor allem der Leitfaden für Fahrradabstellanlagen (Leidraad Fietsparkeren)
2. Wahrnehmung inhaltlicher Angelegenheiten, die nur auf nationaler Ebene geregelt werden können und der kürzlich neu überarbeitete Entwurfsleitfaden für den Radverkehr (Ontwerpwijzer Fietsver-
3. Finanzierung dezentraler radverkehrspolitischer Maßnahmen keer) (siehe Kapitel 4).
4. U
nterstützung der dezentralen Radverkehrspolitik durch Wissensentwicklung und Wissensverbrei-
tung Der niederländische Radfahrerbund (Fietsersbond) ist die Interessenvertretung der Radfahrer in den
Niederlanden. Zur Organisation gehören eine Hauptgeschäftsstelle und 130 Ortsverbände. Mit
34 35
Die inhaltlichen Rahmenbedingungen hat der Staat in allgemeiner Form im jüngsten „Leitprogramm finanzieller Unterstützung des Ministeriums für Verkehr, Wasserwirtschaft und öffentliche Arbeiten
Mobilität“ (Nota Mobiliteit) niedergelegt. Darin ist zur Radverkehrspolitik die folgende Vereinbarung führt der Radfahrerbund das Benchmark-Projekt „Radverkehrsbilanz“ (Fietsbalans) durch, das auf die
festgelegt: „Alle öffentlichen Körperschaften fördern den Fußgängerverkehr sowie den Fahrradver- Förderung der kommunalen Radverkehrspolitik abzielt. Das Projekt Radverkehrsbilanz, ein Mess-
kehr als Hauptverkehrsträger und als Bindeglied im kombinierten Personenverkehr von Tür zu Tür. system für das Fahrradklima, also die Bedingungen für Radfahrer in den Städten und Gemeinden,
Die Kommunen, Wasserverbände, Provinzen und Stadtregionen tragen zu diesem Zweck für ein Rad- wurde im Zeitraum 2000–2004 in 125 Kommunen durchgeführt. Jede der untersuchten Kommunen
wegenetz Sorge, das den verkehrstechnischen Hauptforderungen Kohärenz, Direktheit, Attraktivität, erhielt einen ausführlichen Bericht, in dem anhand von zehn Kriterien eine relative Bewertung des
Sicherheit und Komfort genügt. Die Körperschaften sorgen außerdem für Fahrradabstellmöglichkei- Fahrradklimas vorgenommen wurde. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse fordert der Ortsverband
ten, die in Bezug auf Qualität, Quantität und Standort der Nachfrage entsprechen.“ des Radfahrerbunds die Stadt- bzw. Gemeindeverwaltung auf, konkrete Verbesserungen zugunsten
der Radfahrer durchzuführen. Seit 2006 wird eine leicht abgeänderte Methodik (Radverkehrsbilanz 2)
Zu den inhaltlichen Angelegenheiten, die nur auf nationaler Ebene geregelt werden können, gehören angewendet.
natürlich rechtliche Fragen auf dem Gebiet der Straßenverkehrsvorschriften und der Bauverordnung
(Fahrradabstellanlagen!). Wichtig ist außerdem vor allem, dass Fahrradabstelleinrichtungen an Bahn- Die Stiftung nationale Radverkehrsplattform (Stichting Landelijk Fietsplatform) ist eine unabhängige
höfen als Bestandteil des Bahnhofs und der Umsteigefunktion betrachtet werden müssen – womit Koordinierungsstelle für den Freizeit-Fahrradverkehr in den Niederlanden. In dieser Plattform sind
sie ebenso wie der Eisenbahnverkehr selbst in die Zuständigkeit des Staates fallen. Um die Kapazität nationale und regionale Körperschaften und Interessenverbände vertreten. Die Radverkehrsplattform
(vor allem der unbewachten Stellplätze) so zu erweitern, dass sie an allen 380 Bahnhöfen ausreicht, fördert die Möglichkeiten für den Freizeit-Fahrradverkehr in den Niederlanden. Hierzu werden mit
stehen insgesamt 250 Millionen Euro zur Verfügung. finanzieller Unterstützung durch den Staat (Ministerium für Landwirtschaft, Natur und Lebensmit-
telqualität) die landesweiten Radwanderstrecken entwickelt und verwaltet. Neben der Radver-
Die Punkte 3 und 4 – Finanzierung und Wissensentwicklung – betreffen Angelegenheiten, die der kehrsplattform spielt auch der ANWB, der größte Interessenverband im Bereich Urlaub, Freizeit und
Staat nun erstmals ausdrücklich „ausgelagert“ hat. Das Ministerium für Verkehr, Wasserwirtschaft Mobilität, in Bezug auf die Wissensfunktion im Rahmen der Radverkehrspolitik eine wichtige Rolle.
und öffentliche Arbeiten befasst sich also kaum noch damit. Umso mehr aber andere nationale Orga- Der ANWB sorgt beispielsweise für die Beschilderung von Radwanderwegen und engagiert sich auch
nisationen, wenn es um diese Wissensfunktion geht. allgemein stark für den Freizeit-Fahrradverkehr.
Wissensentwicklung und -verbreitung SenterNovem schließlich, eine beim Wirtschaftministerium ressortierende Agentur, ist für Beihilfe-
Die Wissensfunktion auf dem Gebiet der Radverkehrspolitik ist in den Niederlanden stark entwickelt, zahlungen zu Innovationen auf dem Gebiet des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit zuständig
aber auch einigermaßen zergliedert. Mindestens sechs Organisationen, die alle landesweit tätig sind, und bietet verschiedene Programme und Beihilferegelungen, in deren Rahmen im Prinzip auch in-
spielen eine wichtige Rolle: novative Projekte auf dem Gebiet des Fahrradverkehrs unterstützt werden können. Oft stehen große
Budgets zur Verfügung (Regelung CO2-Reduzierung des Personenverkehrs: 3 Mio. Euro; Programm
Mobilitätsmanagement: 2 Mio. Euro), und in der Praxis wurden und werden zahlreiche Radverkehrs-
projekte unterstützt, vor allem auf dem Gebiet der Fahrradabstellanlagen und der Fahrradvermietung.
Besonders große Erfahrung hat man in der Radverkehrspolitik, die auf die
Förderung der Fahrradnutzung für den Arbeitsweg, die Fahrt zu Geschäften
und Einkaufszentren und den Schulweg abzielt. Diese Reiseziele werden
auch unter dem Oberbegriff „Nutzverkehr“ zusammengefasst. Daneben
existiert ein Fahrtmotiv, bei dem das Ziel der Fahrradfahrt noch nicht die
endgültige Bestimmung ist, beispielsweise wenn das Fahrrad für die Fahrt
zum Bahnhof verwendet wird. Auch bei diesen Wegen, die nur einen Teil
der Transportkette darstellen, bieten sich viele Chancen für eine erfolgrei-
che Radverkehrspolitik. Und schließlich gibt es auch noch den Freizeit-
Radverkehr, bei dem oft das Radfahren selbst das Fahrtmotiv ist.
Beispiel E Houten and Veenendaal: 3.1 Mit dem Fahrrad zum Einkaufen
Radverkehr und florierender
Einzelhandel Hintergrund
Auch in den Niederlanden geht man mancherorts fälschlicherweise noch davon aus, dass Radfahrer
Die meisten Geschäfte in Houten (ca. 43.000 Einwohner) befinden sich im Zentrum dieser fahr- kaum Geld in die Kasse bringen, weswegen es für Geschäftsinhaber vor allem wichtig ist, dass sie
radfreundlichen Stadt. Die Einwohner tätigen fast all ihre Lebensmittelankäufe und die Hälfte ihrer mit dem Auto gut erreichbar sind. Dem ist aber gar nicht so. Rad fahrende Kunden geben zwar je
Nonfood-Ankäufe in der eigenen Stadt. Der Umsatz je Quadratmeter Ladenfläche lag bei einer Besuch weniger aus, kommen dafür aber häufiger. Das ist natürlich von Stadt zu Stadt unterschied-
Messung vor einigen Jahren wesentlich höher als der niederländische Durchschnitt. lich, aber sowohl ältere Untersuchungen in Utrecht als auch aktuelle Studien in Breda (wo ein
Veenendaal (ca. 60.000 Einwohner) ist, wenn man von der Fahrradnutzung ausgeht, eine echte Radfahrer wöchentlich fast anderthalb Mal so viel Geld ausgibt wie ein Autofahrer) und Groningen
Fahrradstadt. Aber auch eine echte Einkaufsstadt. Ihr Angebot brachte ihr 2004 den Titel „Beste haben dies bewiesen. Die Zahlen für Groningen sind besonders bemerkenswert:
Einkaufsstadt der Provinz Utrecht“ und eine außerordentlich starke Kaufkraftbindung ihrer Ein-
wohner ein. Offenbar ein kleines Paradies für den Einzelhandel – was sich in Veenendaal offenbar Tabelle 3 zeigt, welchen Profit die Unternehmer in der Groninger Innenstadt je Verkehrsträger erzie-
bestens mit einer intensiven Radverkehrspolitik verträgt. len. Unter Berücksichtigung aller Besucher und des gesamten Umsatzes ist das Fahrrad insgesamt
durchaus von wesentlicher wirtschaftlicher Bedeutung: Auf den Radverkehr entfallen 31 % der
Besucher und 34 % des Umsatzes. Dabei handelte es sich offenbar hauptsächlich um Einwohner
von Groningen. 46 % der Einwohner von Groningen fahren mit dem Rad in die Innenstadt und
erledigen dort 56 % aller von Einwohnern getätigten Verkäufe. Besucher aus der umliegenden
Region oder anderen Regionen der Niederlande ziehen den öffentlichen Verkehr ihrem Auto leicht
vor; Besucher, die mit dem Auto anreisen, geben aber wesentlich mehr Geld aus. (Tabelle 5)
Darüber hinaus ist ein Paradox feststellbar, das vor allem von der Wirtschaft mit Interesse zur
38 39
Kenntnis genommen wird: Je mehr Geschäftskunden, die in der Nähe wohnen, vom Auto auf
das Fahrrad umsteigen, umso mehr knapper Parkraum steht für die Fahrzeuge der aus weiterer
Entfernung anreisenden Kunden zur Verfügung. Genau aus diesem Grund stellte der Einzelhan-
delsdachverband (Hoofdbedrijfschap Detailhandel) 2004 fest, dass der Einzelhandel am besten
selbst ergänzende Initiativen ergreifen sollte, beispielsweise durch Einrichtung von Fahrradkellern
in privaten Räumlichkeiten in Einkaufszentren oder Innenstädten. Denn, so argumentierte auch der
Verband: Je mehr Besucher aus der Stadt selbst mit dem Fahrrad kommen, umso mehr Parkplätze
stehen den Besuchern aus der Region zur Verfügung, denn Parkplätze sind bekanntlich knapp.
Maßnahmen
Eine zweckmäßige Radverkehrspolitik für die Innenstädte muss also insbesondere darauf abzielen,
mehr Einwohner aus der Stadt selbst dazu zu bewegen, für die Fahrt in die Innenstadt das Fahrrad
zu nehmen. Das erfordert eine breiter angelegte Strategie als nur die Schaffung oder Verbesserung
von Radverkehrseinrichtungen. Es erfordert eine integrierte Perspektive. Dazu gehören auch eine
strengere Parkraumbewirtschaftung (wie viel Kapazität für Autos muss geboten werden, und wie
weit bis ins Zentrum soll Autoverkehr möglich sein?) sowie spezifische Entscheidungen hinsichtlich
der Verkehrszirkulation. Als Bestandteil eines integrierten Plans für ein Stadtzentrum sind gute
Fahrradabstelleinrichtungen von großer Bedeutung. Die Kunden möchten ihr Fahrrad möglichst
nahe ihrer Bestimmung auf sichere Art und Weise abstellen können. Das ist nämlich eine wichtige
Anteil der Passanten Anteil des Umsatzes
Erwägung bei der Entscheidung für das Verkehrsmittel. In vielen Gemeinden ist die Kapazität an
Herkunft der Passanten Wanderer Fahrrad ÖPNV PKW Wanderer Fahrrad ÖPNV PKW
Stellplätzen in Spitzenzeiten viel zu klein. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass gebührenfreie
lokal 32% 46% 13% 9% 19% 56% 14% 25%
bewachte Fahrradabstellanlagen am Rande einer Fußgängerzone viele Radfahrer dazu bringen, ihr
regional 1% 22% 41% 36% 0% 21% 32% 40%
Fahrrad dort abzustellen – in etwas größerer Entfernung von ihrem Ziel –, was Problemen durch zu
überregional 5% 7% 48% 39% 4% 5% 39% 37%
viele, willkürlich bei Geschäften abgestellte Fahrräder entgegenwirkt.
total 20% 31% 27% 21% 11% 34% 25% 35%
Tabelle 5: Untersuchung unter Passanten im Groninger Stadtzentrum 2004; Anteil der Hauptverkehrsträger nach Besucherzahlen
und erzieltem Umsatz (in %)
Anwendung des Fahrrads durch Personal (in %) dings ist das Fahrrad im Arbeitsverkehr sowieso unvermindert populär – der starke Anstieg des Au-
Anwendung des Fahrrads vorher nachher Unterschied toverkehrs ist nämlich vor allem bei den längeren Strecken zu verzeichnen. Die meisten Menschen
immer 42,2 47,3 5,1 halten für die Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsplatz eine Fahrzeit von einer halben Stunde
häufig 11,3 17,5 6,2 für akzeptabel. Mit dem Fahrrad lässt sich in dieser Zeit eine Strecke von 7,5 km zurücklegen. Das
regelmäßig 18,3 24,2 5,9 ist eine interessante Zahl, denn die Hälfte aller Erwerbstätigen in den Niederlanden wohnt nicht
weiter als 7,5 km von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Davon haben sich bereits 45 % für das Fahrrad
manchmal 13,2 7,5 -5,7
entschieden, aber dieser Anteil lässt sich zweifellos noch steigern.
nie 15 3,5 -11,5
Wer mit dem Rad zur Arbeit fährt, kann sich das Fitnessstudio eigentlich sparen, auch wenn die
Tabelle 6: Anwendung des Fahrrads vor und nach ein Rad vom Arbeitegeber bekommen zu haben Entfernung zum Arbeitsplatz nur eine Viertelstunde beträgt. Eine Person mit schlechter Kondition
(Quelle: Van de Ven & Partners / Nationale Fiets Projecten (Nationalfahrrad Projekte), 2002) kann nämlich ihre Leistungsfähigkeit um 10 % steigern, wenn sie dreimal wöchentlich mit dem
Fahrrad drei Kilometer hin und zurück fährt. Das ist fast dasselbe Ergebnis, das ein Trainingspro-
gramm bewirken kann.
40
Beispiel G Trappers: Innovation im Maßnahmen
41
Mobilitätsmanagement
Es ist eine breite Skala an Maßnahmen denkbar, um die Fahrradnutzung auf dem Arbeitsweg er-
folgreich zu fördern. Die Erfolgschancen nehmen offenbar zu, wenn die Kommunen und die lokale
Wirtschaft dabei gemeinsam vorgehen. Gute Fahrradstrecken und Radwege – die auch allgemein
Trappers ist ein System, das Arbeitnehmer zum Radfahren anregen soll. Das Fahrrad wird mit ei- erforderlich sind, um die Radfahrer gut zu bedienen – sind und bleiben das Wichtigste. Das ist in
nem kleinen Sender ausgestattet. Am Arbeitsplatz ist ein Registriergerät installiert, das das Fahrrad der Regel eine Aufgabe des Staates. Darüber hinaus kann der Fahrradgebrauch aber auch durch
erkennt, wenn es sich in der Nähe befindet. Jedes Mal, wenn der Arbeitnehmer mit dem Fahr- die Unternehmen selbst gefördert werden, etwa indem Arbeitgeber den Arbeitnehmern, die in
rad zur Arbeit kommt, erhält er dafür Punkte. Mit seinen gesammelten Punkten kann er dann im einem gewissen Umkreis vom Arbeitsplatz wohnen, Fahrräder zur Verfügung stellen.
„Trappershop“ im Internet Produkte und Ausflüge erwerben. Dieses System ist für den Arbeitgeber
kostenlos. Vorkehrungen zur Förderung der Fahrradnutzung für den Arbeitsweg brauchen nicht umfangreich
zu sein, um die gewünschte Wirkung zu haben. Bei einer Evaluierung von rund hundert Trans-
portplänen großer Unternehmen zeigte sich, dass sich schon mit relativ einfachen Maßnahmen
der Fahrradgebrauch um durchschnittlich 3 Prozentpunkte steigern lässt. Beispielsweise indem
den Arbeitnehmern ein guter Fahrradkeller, Duschmöglichkeiten oder Firmenfahrräder angeboten
werden.
1. S ichere Schulumgebung: Drei Schulen haben Vereinbarungen mit Eltern, der Polizei und der
Stadt geschlossen. In verschiedenen Arbeitsgruppen werden Maßnahmen entwickelt und durch-
geführt, die die Sicherheit der Kinder in den und um die Schulen erhöhen sollen.
2. V
on der Rückbank aufs Fahrrad: Das Ziel dieses Projekts besteht darin, dass Kinder selbstständig
von zu Hause oder der Schule aus mit dem Fahrrad zu ihrem Sportclub oder anderen Aktivitäten
fahren können. An drei Standorten für außerschulische Betreuung läuft ein Versuchsprojekt, bei
dem die Kinder in Begleitung selbstständig Rad fahren.
3. „
Kinderkorridor“ (Kindlint): Die Vorbereitungen zur Einrichtung zweier „Kinderkorridore“ in
Delft sind in vollem Gange. In diesem Projekt kommen Spielplätze, Raumordnung, Verkehrssi-
cherheit und Verkehrserziehung zusammen. Die Kinderkorridore sollen es den Kindern ermög-
lichen, sich selbstständig und spielend zwischen Orten zu bewegen, an denen sie sich gern
aufhalten.
4. F ahrradabstellanlagen: Die Stadt hat begonnen, alle Fahrradabstellanlagen an den Delfter
Grundschulen zu beurteilen. Anhand einer Checkliste wird festgestellt, ob die Kapazität ausreicht
42 43
und ob die Abstellplätze qualitativ gut sind. Die Ergebnisse fließen in ein Durchführungspro-
gramm ein.
5. V
erkehrserzieher: Praktischer Verkehrsunterricht ist wichtig, damit die Kinder lernen, sich im
Verkehr richtig zu verhalten. In Delft erteilt ein Verkehrserzieher allen Klassen praktischen
Verkehrsunterricht. Der Verkehrserzieher bildet auch die Lehrkräfte aus, sodass diese nach drei
Jahren selbst Verkehrsunterricht erteilen können.
Man hofft, dass die Schulen nach Abschluss des Projekts so überzeugt sind, dass sie selbst entspre-
chende Initiativen entwickeln.
44 45
Maßnahmen
Die Fahrradwege zu den Grundschulen sind wenig gebündelt: schließlich sind die Entfernungen
in der Regel gering. Meistens ist erst in direkter Umgebung der Schule eine echte Fahrradroute
ausgewiesen. Die Verbesserung der Schulwege führt dann rasch zu Verkehrssicherheitsmaßnahmen
im gesamten Viertel oder Dorfkern.
Die Verbesserung der Schulumgebung erfordert eine breit angelegte Herangehensweise und
den Einsatz vieler verschiedener Instrumente. Dazu gehören nicht nur Infrastrukturmaßnahmen,
sondern auch Verkehrserziehung, Kontrollen und die Kommunikation mit den Eltern. Mitverant-
wortung ist ein Schlüsselbegriff, wenn es um die Lösung von Problemen im Zusammenhang mit
den Schulwegen geht. An Verkehrsangelegenheiten im Umfeld der Schule sind immer viele Interes-
sengruppen beteiligt: die Schulleitung, Eltern und Schülerlotsen, Lehrer und Kinder, aber auch die
Anwohner, die Polizei und die Stadtverwaltung.
Sogar Arbeitgeber stimulieren die Fahrradnutzung immer häufiger, auch im Rahmen einer besseren
Gesundheit. Da Unternehmen aufgrund der Bestimmungen des Umweltschutzgesetzes verpflich-
tet sind, Emissionen, die infolge des Verkehrs von und zum Arbeitsplatz entstehen, so weit wie
möglich zu vermindern, bedeutet dies, dass auch die Fahrradnutzung (mit 0 Emissionen) stark
stimuliert werden muss. Die Taskforce Mobilitätsmanagement, in der Arbeitgeber und Behörden
zusammenarbeiten, um Alternativen für die Autonutzung zu stimulieren, wird im Herbst 2008 auch
Arbeitgebermaßnahmen zur Stimulierung der Fahrradnutzung lancieren. Hierzu gehören eine Fahr-
radvergütung und die Einführung eines Mobilitätsbudgets. Letzteres ist ein außergewöhnlich gutes
Mittel zur Stimulierung der Fahrradnutzung. Das System, das schon in verschiedenen Betrieben im
Einsatz ist, beinhaltet, dass Arbeitnehmer ein festes Budget für den Arbeitsweg erhalten. Davon
zahlen sie alle Kosten für den tatsächlichen Arbeitsweg, wie z.B. Autokosten, Parkgebühren, die
beim Abstellen des Autos am Unternehmen anfallen, und Kosten für Monats- oder Jahreskarten
für öffentliche Verkehrsmittel. Der Betrag, der übrig bleibt, gilt als Einkommen für den Arbeit-
46 47
nehmer. Da das Fahrrad das bei Weitem preisgünstigste Verkehrsmittel ist, kann ein Arbeitnehmer,
der mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, einen großen finanziellen Vorteil erzielen.
In verschiedenen Untersuchungen wurde festgestellt, dass 40 % der Freizeitradler von den ausge-
wiesenen Fahrradrouten Gebrauch machen. Das Angebot an Routen ist enorm und sehr vielfältig,
sowohl was die Distanzen betrifft als auch hinsichtlich der Beschilderung. Von denjenigen, die
die Fahrradrouten benutzen, entscheiden sich 60 % für ausgeschilderte Routen. Darum werden
auch verstärkt Netzwerke von Fahrradrouten eingerichtet, sowohl in den Niederlanden als auch in
Belgien.
Von allen Bahnreisenden fahren nicht weniger 33 % mit dem Fahrrad zum Bahnhof. Die übrigen
gehen zu Fuß (ebenfalls ein Drittel) oder benutzen ein anderes öffentliches Verkehrsmittel oder das
Auto. Die Ursache für den hohen Fahrradanteil liegt vor allem darin, dass 45 % aller Niederländer
nicht weiter als 3 km von einem Bahnhof entfernt wohnen – eine ideale Entfernung für das Fahr-
Das „ÖV-Fahrrad“
rad.
50
Beispiel K 51
Bis heute wird allerdings die Zahl der an den Bahnhöfen zu erwartenden Fahrräder immer noch oft
Im Ausland werden in immer mehr Städten (Berlin, Paris, Wien, Barcelona, Rom usw.) mit großem unterschätzt. Zu Spitzenzeiten stehen am Amsterdamer Hauptbahnhof über 20.000 Fahrräder; in
Erfolg Fahrradleihsysteme eingesetzt. Aufgrund der großen Anzahl Fahrradbesitzer in den Nieder- Leiden sind es nicht viel weniger. Am Hauptbahnhof von Utrecht ist die landesweit größte Fahr-
landen gibt es in niederländischen Städten noch keine Fahrradleihsysteme. Aber natürlich besteht radabstellanlage geplant: 17.500 bewachte und unbewachte Stellplätze.
auch in den Niederlanden Bedarf an einem schnell verfügbaren Fahrrad für den Nahverkehr in
eine andere Stadt. Zu diesem Zweck dient das ÖV-Fahrrad: Der Fahrgast braucht nur einen Pass Da das Fahrrad immer häufiger für die Fahrt zum Bahnhof genutzt wird und Menschen auch ver-
oder seine elektronische Fahrkarte zu scannen, um ein Fahrrad mitnehmen zu können. Bei seiner stärkt mit dem Zug fahren, ist ein großer Mangel an Stellplätzen entstanden. In den Prognosen für
Rückkehr wird der Fahrradschlüssel gescannt. Der Mietpreis von 2,85 Euro für zwanzig Stunden das Jahr 2010 wird auch von einem Anstieg der Zugnutzung um 5 % pro Jahr ausgegangen.
wird automatisch abgebucht. Die Abonnementkosten betragen 9,50 Euro pro Jahr. Die Kunden Das bedeutet, dass ein zusätzlicher Impuls für den Ausbau der Stellplätze erforderlich ist. Ziel ist es,
sind zufrieden, insbesondere wegen des Komforts, der Schnelligkeit und der niedrigen Kosten. dass das Angebot die Nachfrage erfüllen muss. Im Aktionsprogramm „groei op het spoor“ (Wach-
Das ÖV-Fahrrad wurde im Jahr 2003 ins Leben gerufen und führt inzwischen (2008) 470.000 stum im Schienenverkehr) sind zusätzlich € 20 Millionen für Fahrradstände vorgesehen. Daneben
Vermietungen pro Jahr an 165 Verleihstellen durch. Das ÖV-Fahrrad (das sich inzwischen im Besitz wird auch geprüft, wie Kommunen zur Lösung des Problems herrenloser Fahrräder stimuliert
der Niederländischen Eisenbahn befindet) wird vor allem für geschäftliche Zwecke (49 Prozent) ge- werden können. Es wird an einem Folgeprojekt von „Ruimte voor de Fiets“ (Raum für das Fahrrad)
nutzt. Dank des ÖV-Fahrrads reisen 35 Prozent der Passbesitzer häufiger mit dem Zug und lassen gearbeitet.
12 Prozent das Auto manchmal oder regelmäßig stehen. Ziel ist es, die Grenze von einer Millionen
Fahrten im Jahr 2011 zu überschreiten. Daneben hat die ÖV-Fahrrad den Ehrgeiz, das bekannteste Als Verkehrsmittel auf dem letzten Abschnitt der Reise, also vom Bahnhof zum Reiseziel (Arbeits-
Stadtleihfahrrad zu werden, und man wird das ÖV-Fahrrad in zunehmenden Maße auch außer- platz, Schule usw.), spielt das Fahrrad eine weitaus geringere Rolle. Das ist eine Folge der Tatsache,
halb von Bahnhöfen, wie z.B. in großen Busbahnhöfen sowie auch in der Nähe von Stadtzentren, dass die meisten Bahnreisenden am Zielbahnhof nicht schnell und preiswert über ein Fahrrad verfü-
Industriegeländen und Landungsbrücken von Fähren mieten können. gen können. Nur wer sehr regelmäßig mit der Bahn fährt, ist bereit oder in der Lage, am Zielbahn-
hof ein eigenes Fahrrad abzustellen. Hinzu kommt, dass längst nicht alle Bahnhöfe über bewachte
Stellplätze oder genügend abschließbare Fahrradboxen verfügen. Ein kleiner Teil der Bahnreisenden
nimmt ein Klappfahrrad mit in den Zug.
Ein spezielles Problem an Bahnhöfen stellen die Fahrradwracks und die sehr langfristig abgestellten
Fahrräder dar. Fast 15 % der Fahrräder auf den unbewachten Stellplätzen der Hauptbahnhöfe wer-
den länger als vier Wochen nicht bewegt. Wenn es gelingt, diesen Anteil zu senken, können neue
Fahrradabstellanlagen kleiner und damit kostengünstiger realisiert werden. Selbstverständlich muss
die Beseitigung langfristig ungenutzter Fahrräder mit der erforderlichen Sorgfalt erfolgen.
52 53
54 55
56 57
4.1 Raumordnungspolitik:
nahegelegene Ziele
Die niederländische Regierung spielt in der Raumordnung seit je eine stark lenkende Rolle. Ein
wichtiger Grund dafür ist die Raumknappheit in dem so dicht besiedelten Land. „Nähe“ und
„Kompaktheit“ der Städte sind zwei Leitprinzipien der Stadterweiterungspolitik. Das kam der Fahr-
radnutzung zugute. Es liegt auch auf der Hand: Je näher bei ihren Zielen die Menschen wohnen
(Arbeitsplatz, Geschäfte, Schulen usw.), desto mehr kurze Wege werden sie zurücklegen. Und je
mehr kürzere Wege, umso leichter die Entscheidung für das Fahrrad. Das lässt sich auch durch
Zahlen belegen. Personen, die bis zu 3 km von Stadt- oder Stadtteilzentren entfernt wohnen, legen
bei 27 % aller Wege nur kurze Entfernungen zurück. Wer in größerer Entfernung oder in einem
kleinen Ort wohnt, bewegt sich nur in 22 % der Fälle über eine kurze Distanz.
Die Standortwahl für neue Wohnviertel hat also auch Folgen für die Auswahl an Verkehrsmitteln,
die den künftigen Bewohnern zur Verfügung steht. Es ist wichtig, dass neue Arbeits- und vor allem
Wohnstandorte nicht an den Rändern expandierender Stadtregionen angelegt werden, sondern
innerhalb der leicht täglich mit dem Fahrrad zu bewältigenden Entfernung von 3 km um die Stadt-
oder Stadtteilzentren großer und mittelgroßer Städte. Wenn dort kein Raum zur Verfügung steht,
Die meisten Verkehrsexperten in den Niederlanden stützen sich beim Entwurf der Straßeninfra-
struktur auf die Empfehlungen der Wissensplattform CROW (siehe Abschnitt 2.3). 1993 legte das
CROW die erste Fassung eines Entwurfsleitfadens für Radverkehrseinrichtungen vor, der auch in
die englische Sprache übersetzt wurde: „Sign up for the bike: Design manual for a cycle-friendly
infrastructure“. Darin sind alle Schritte des Prozesses beschrieben, vom Plan zur Förderung des
Radverkehrs bis hin zur praktischen Durchführung der Maßnahmen. Dieses Handbuch wurde 2006
vollständig überarbeitet; voraussichtlich wird auch diese zweite Auflage ins Englische übersetzt.
Kern des Entwurfsleitfadens sind die folgenden fünf Hauptanforderungen an eine fahrradfreundli-
che Infrastruktur.
Radwegenetz
Das Ziel der stark verkehrs- und infrastrukturtechnisch orientierten Herangehensweise in der Rad-
verkehrspolitik ist keineswegs nur die Erhöhung der Verkehrssicherheit. In den Entwurfsrichtlinien
ist die Sicherheit ausdrücklich „nur“ eine der fünf Hauptanforderungen. Die anderen vier sind:
Zwolle (100.000 Einwohner) gehört, was die Fahrradnutzung und das Verkehrsklima für Radfahrer • Direktheit: direkte und schnelle Verbindungen zwischen Abfahrts- und Bestimmungsort
betrifft, zu den Spitzenreitern unter den niederländischen Städten. Willem Bosch, schon seit fast • Komfort: gute Straßendecke, großzügige Abmessungen und wenig Behinderungen durch andere
fünfzehn Jahren das Gesicht der Radverkehrspolitik in Zwolle, hat dafür eine einfache Erklärung: Verkehrsteilnehmer
Der Erfolg von Zwolle beruht vor allem auf einer strukturellen und fortwährenden Verbesserung • Attraktivität: eine schöne und sozial sichere Umgebung ohne Geruchs- und Lärmbelästigung
der Einrichtungen für Radfahrer. Man hat, ganz einfach gesagt, das Radfahren attraktiver gemacht. • Zusammenhang: ein Netz logischer, zusammenhängender Strecken
„Jahrzehntelang haben wir darauf hingearbeitet, dem Fahrrad als Verkehrsträger gebührenden Diese Hauptanforderungen gelten für das gesamte Radwegenetz, aber auch für die Einrichtungen
Raum zu geben. Das war ein langer Prozess, nicht etwa nur eine Strategie der letzten Jahre.“ auf Straßenabschnitten und an Kreuzungen.
Dank der kontinuierlichen Bemühungen seit den 70er-Jahren war die Stadtverwaltung in der Lage,
in der Region ein optimales Hauptradwegenetz zu realisieren, in den meisten Fällen getrennt von Das Radwegenetz
den Straßen mit dem stärksten Autoverkehr. Immer wurde bewusst versucht, den Auto- und den Die Basis der Radverkehrspolitik ist in den meisten Kommunen ein Netz von Hauptradwegen. Beim
Radverkehr zu entkoppeln. Das Konzept der baulich getrennten Radwege an den Verkehrsadern Entwurf eines solchen Netzes wird eine Analyse der Herkunftsgebiete und der wichtigsten Ziele
des Autoverkehrs spielte in Zwolle daher nur eine untergeordnete Rolle. Ein großer Vorteil der der Radfahrer (Büros, Schulen, Bahnhof usw.) herangezogen. In manchen Fällen kommt hierbei ein
getrennten Strukturen für Radfahrer besteht darin, dass an den Hauptverkehrswegen weniger Verkehrsmodell zum Einsatz; meistens jedoch reicht eine manuelle Analyse in Kombination mit den
Ampelkreuzungen erforderlich sind – eigentlich nur dort, wo die Radwege die am stärksten vor Ort gewonnenen Erkenntnissen aus. Die Hauptradwege müssen höheren Qualitätsanforderun-
befahrenen Autostraßen kreuzen. Aus diesem Grund arbeitete die Stadt jahrelang daran, die gen genügen; sie müssen beispielsweise immer asphaltiert oder immer als Vorfahrtswege ausge-
höhengleichen Kreuzungen durch Über- oder Unterführungen zu ersetzen. wiesen sein. Auch Probleme werden auf den Hauptradwegen in der Regel vorrangig beseitigt.
Das Ergebnis ist ein nahezu hindernisfreies Hauptradwegenetz. Nicht einmal die Autobahn A28,
die die Stadt durchschneidet, stellt für den Radverkehr ein Hindernis dar. Rutger Ekhart, verkehrs- Das Radwegenetz kann nicht unabhängig vom Straßennetz für den Autoverkehr und – in gerin-
und transportpolitischer Berater der Stadt, erklärt: „Die Radfahrer merken gar nicht, dass sie die gerem Maße – vom Busverkehrsnetz betrachtet werden. Wenn Hauptradwege mit den Ver-
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A28 überqueren. Die Autobahn wurde raumordnerisch so gut eingegliedert, dass sie die Radfahrer kehrsadern für den Autoverkehr zusammenfallen, hat dies für die Radfahrer oft negative Folgen.
in keiner Weise behindert.“ Und ebenso wenig stellen die Straßen, die gemeinsam den Zwoller Die größere Zahl der Konflikte beeinträchtigt die Verkehrssicherheit und führt zu Behinderungen
Ring bilden, und die Bahnlinie, die die Stadt im rechten Winkel zur Autobahn durchschneidet, im und Zeitverlust. In verschiedenen niederländischen Städten hat man – oft mit Erfolg – versucht,
täglichen Verkehr eine nennenswerte Barriere dar. den Rad- und den Kraftfahrzeugverkehr zu entkoppeln. So wurde beispielsweise der Autoverkehr
auf einem historischen sternförmigen Straßennetz Richtung Innenstadt zugunsten des Fahrradver-
kehrs eingedämmt, oder ein Bahnübergang für Kraftfahrzeuge und Fahrräder wurde durch eine
Fahrradunterführung ersetzt.
systematisch 300 m
und Houten, war ein vollständig getrenntes Verkehrssystem sogar Ausgangspunkt bei der Gestal-
tung der städtebaulichen Struktur. Die Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit sind unübertrof-
Maschenweite
fen – diese Städte sind die verkehrssichersten der Niederlande. In der Praxis traten allerdings auch
einige Nachteile der strengen Trennung der Verkehrssysteme zutage: Probleme mit der Orientie-
rung und eine größere Anfälligkeit für gesellschaftliche Unsicherheit.
Veenendaal (60.000 Einwohner) ist eine der vielen „neuen Städte“ der Niederlande und weist Erst jüngeren Datums ist die Kategorisierung von Straßen nach den von der Initiative „Nach-
damit auch all deren typische Merkmale auf: einheitliche Wohnviertel, große Gewerbegebiete und haltige Sicherheit“ ausgearbeiteten Prinzipien. Alle niederländischen Kommunen haben um die
austauschbare Abschnitte entlang der Autobahn. Allerdings weist Veenendaal doch ein Merkmal Jahrhundertwende ihr Straßennetz in Kategorien eingeteilt. Nach den Prinzipien der „nachhalti-
auf, das all den anderen Städten fehlt: eine hohe Fahrradnutzung auf dem Niveau der Top Ten der gen Sicherheit“ soll eine begrenzte Zahl von Straßen innerhalb der geschlossenen Ortschaft den
niederländischen Städte. Status der „Verkehrsader“ erhalten. Hier gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Auf diesen
Verkehrsadern müssen im Prinzip immer baulich getrennte Radwege vorhanden sein. Die übrigen
Für Leo Smolders, bis vor kurzem Verkehrsreferent der Stadt Veenendaal, ist die Raumstruktur Straßen gelten als „Aufenthaltszonen“; hier beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit 30 km/h.
Veenendaals ein entscheidender Faktor. Die bebaute Fläche ist ein 4,5 x 4,5 km großes Quadrat, in Getrennte Radwege sind hier nicht erforderlich, aber die Kommunen können auf Hauptradwegen
dessen Mitte sich das Stadtzentrum befindet. Ein ideales Konzept für Radfahrer! Diese Struktur ist durch eine Aufenthaltszone durchaus zusätzliche Maßnahmen zugunsten des Radverkehrs ergrei-
eine Folge von Gegebenheiten wie dem begrenzten Umfang des Stadtgebiets, zweifellos aber auch fen. Leider blieben bei diesem System sehr viele Straßen außer Betracht – nämlich die, auf denen
der bewussten Raumordnungspolitik der letzten Jahrzehnte. der Verkehr für eine Aufenthaltszone zu stark war, auf denen aber dennoch viele Straßenüberque-
rungen stattfanden und die keinen Raum für baulich getrennte Radwege boten. Nach einer Lösung
Ein charakteristisches Merkmal der Radverkehrsinfrastruktur in Veenendaal ist die geringe, konse- für diese so genannten „grauen Straßen“ wird noch gesucht.
quent eingehaltene Maschenweite des Radwegenetzes. Das Radwegenetz von Delft, das mit erhe-
blicher finanzieller Unterstützung des Staates realisiert wurde, ist bis weit über die niederländischen
Grenzen hinweg bekannt. In diesem Modellprojekt der frühen 80er-Jahre wurde systematisch von
62 63
festen Entfernungen Gebrauch gemacht: 500 m für Hauptradwege, 200 bis 300 m für das Stadt-
teilnetz und 100 m für das Nachbarschaftsnetz. Nur wenige Städte haben dieses System in den
letzten Jahrzehnten konsequent bis ins Detail angewendet. In Veenendaal war das zwar der Fall, al-
lerdings mit einer ganz eigenen Philosophie: Es wurde nicht oder kaum zwischen Netzwerkebenen
unterschieden – das Hauptradwegenetz fällt also mit dem Stadtteilnetz zusammen –, und es wurde
streng eine einheitliche Maschenweite von 300 m eingehalten. Smolders: „Auf diese Weise waren
wir in der Lage, ein feinmaschiges Netz zu realisieren, das so gut wie immer eine ideale Verbindung
zwischen zwei Punkten ermöglicht. Es gibt also kaum Umwege, und vor allem: Wer mit dem Rad
in die Innenstadt fahren will, hat meistens die Wahl aus zwei oder drei Verbindungen mit jeweils
eigener Charakteristik. So findet jeder eine Strecke nach seinem Geschmack. Dass das funktioniert,
beweist die Praxis: Die als weniger sicher empfundenen Strecken durch abgelegene Parks werden
abends seltener benutzt als die nahe gelegenen Alternativen. Unsere Einwohner finden also immer
ein passendes Angebot.“
Die Gestaltung der Radverkehrseinrichtungen ist mindestens ebenso wichtig: Komfort und Ge-
schwindigkeit auf allen Strecken. Bei einigen Verbindungen in Veenendaal führte das zu einer ganz
eindeutigen Entscheidung für den Radverkehr: mit Radwegen, meist in beiden Richtungen, entlang
einer Wohnstraße, auf der nur noch sehr begrenzter Autoverkehr möglich ist. Hinter diesem Kon-
zept steckt der Gedanke, dass eine qualitativ hochwertige, ununterbrochene Strecke für Radfahrer
die Vorteile einer räumlich und kostentechnisch günstigeren Radverkehrsstrecke, die teilweise
über verkehrsberuhigte Straßen verläuft, übertrifft. Und diese Strecken sind tatsächlich perfekt für
Radfahrer! Im Ergebnis sind die meisten Fahrradrouten in Veenendaal eine Kombination gesonder-
ter Radwege, vor allem in den neuesten Stadterweiterungsgebieten, mit Radwegen, die parallel zur
Straße verlaufen, vor allem in den älteren, um den Stadtkern herum angeordneten Wohngebieten.
In diesen 30-km/h-Zonen haben die Radfahrer auf der gesamten Strecke Vorfahrt.
Im März 2004 wurde der „Snelbinder“ mithilfe von vier Schwimmkranen seitlich an die Eisenbahn-
brücke angehängt und dort befestigt. Eine Woche später wurde die Brücke für den Fahrradverkehr
geöffnet.
auch Risiken mit sich bringen können. In den Niederlanden spielt diese Frage so gut wie keine
Zwolle ist nicht nur die Stadt der Fahrradunterführungen, sondern auch der Fahrradspuren. Auch Rolle. Radwege werden allgemein als sichere Verkehrseinrichtungen betrachtet. Die Risiken an
dies ist die Folge der politischen Entscheidung, die Hauptradwege vom Autoverkehr zu trennen. Kreuzungen werden vor allem durch den Mofa-/Moped-Verkehr verursacht. Nach erfolgreichen
Während die Fahrradspur andernorts in den Niederlanden oft als vorübergehende Lösung An- Versuchen in mehreren Kommunen beschloss man 1999, den Mofa-/Moped-Verkehr auf den
wendung finden, weil für baulich getrennte Radwege der Platz fehlt, ist dieses Konzept in Zwolle meisten Radwegen innerhalb der geschlossenen Ortschaft zu verbieten. Mofa-/Mopedfahrer müs-
in den meisten Fällen eine bewusste Entscheidung. Das zeigt sich an der Gestaltung der Fahr- sen seither von der parallel verlaufenden Fahrbahn Gebrauch machen. Die Kommunen können von
radspuren: hier findet man nicht die üblichen schmalen, in verkehrssicherheitstechnischer Hinsicht dieser Regel abweichen, indem sie an Radwegen ein Schild aufstellen, das auch den Mofa-/Mo-
bedenklichen Streifen, die das Nebeneinanderfahren unmöglich machen, sondern breite, komforta- ped-Verkehr gestattet. Von dieser Möglichkeit wird vor allem bei den bereits genannten solitären
ble Fahrspuren. Zwolle strebt nach der beachtlichen Breite von 2 m; die meisten Fahrradspuren sind Radwegen in Neubauvierteln Gebrauch gemacht, da hier keine gleichwertige Alternative für den
bereits 1,75 m breit (außer auf bestimmten Strecken wie den Boulevards um die Innenstadt, wo die Mofa-/Moped-Verkehr vorhanden ist, denn schließlich gibt es entlang dieser Radwege keine Fahr-
Breite 1,50 beträgt). Sie finden sich auch auf Straßen mit relativ geringem Autoverkehr. bahn. Um die Behinderungen durch den Mofa-/Moped-Verkehr nach Möglichkeit zu begrenzen,
Bei ihrer Entscheidung für die Fahrradspuren maß die Stadt Zwolle auch dem Komfort der Rad- werden an strategischen Stellen Bodenschwellen für Mofas/Mopeds angelegt. Ein spezielles Profil
fahrer wesentliche Bedeutung bei. Ein weiterer Faktor war die Tatsache, dass sich Fahrradspuren (konkav-konvex-konkav) verhindert, dass mopedfahrende Jugendliche die Schwellen als Sprung-
weitaus einfacher in die regulären Instandhaltungsmaßnahmen einbeziehen lassen als baulich schanzen missbrauchen können.
getrennte Radwege, da sie integrierter Bestandteil der Straßendecke sind.
Und schließlich gibt es auch noch das Fahrbahnprofil mit Fahrradspuren. Durch Markierungen und
Fahrradsymbole wird ein Teil der Fahrbahn für den Radverkehr reserviert. Diese Fahrradspur sollte
vorzugsweise rot eingefärbt werden. Die Fahrradspur hat gesetzlichen Status. Autofahrer dürfen
darauf weder halten noch parken. Fahrradspuren werden oft auf Verkehrsadern ausgewiesen, an
denen der Raum für baulich getrennte Radwege fehlt.
Vervoerwijzen en afstanden Verkehrsampeln haben in den Niederlanden meistens gesonderte Lichter für den Radverkehr. Es
Alhoewel Nederlanders steeds grotere afstanden gaan afleggen, blijkt de fiets nog steeds populair wurden zahlreiche Einrichtungen entwickelt, die die Sicherheit und den Verkehrsfluss des Radverkehrs
te zijn. Voor ruim een kwart van alle verplaatsingen wordt de fiets gebruikt. Op afstanden tot 7,5 verbessern sollen. Einige Beispiele hierfür sind:
km is de fiets zelfs het meest populaire vervoermiddel. In 2005 werd 35% van de verplaatsingen • Kontaktschleifen, die den Radfahrer schon aus einiger Entfernung bei der Lichtzeichenanlage
tot 7,5 km per fiets afgelegd. anmelden.
Tabel 1: Verplaatsingen naar hoofdvervoerwijze en afstandsklasse in 2005 • Zwei Grünphasen je Zyklus für den Radverkehr.
(Bron: Mobiliteitsonderzoek Nederland 2005, AVV) • Alle Radfahrerampeln an einer Kreuzung gleichzeitig auf Grün schalten. Dies ist vor allem praktisch
für links abbiegende Radfahrer, die die Kreuzung diagonal überqueren können.
• Der Wartezeitindikator, der den Radfahrern anzeigt, wie lange es noch bis zur nächsten Grünphase
und Etten-Leur
denn in städtischen Gebieten werden 70 % der gesamten Aufenthaltszeit von Ampeln verursacht.
Die niederländischen Radfahrer fahren daher auch sehr häufig durch Rot – zum großen Ärger der
Autofahrer. Und wenn sich an Ampelanlagen Unfälle mit Fahrradbeteiligung ereignen, sind wegen
Im Rahmen eines Wettbewerbs forderte die Provinz Nordbrabant 1998 alle Kommunen auf, eine des hohen Tempos des Autoverkehrs oft schwere Verletzungen die Folge. Aus diesen Gründen suchen
Musterfahrradstrecke zur Verbesserung der überörtlichen Radverkehrsstrecken zu entwerfen. Das Verkehrsexperten immer häufiger nach Alternativen für Ampelanlagen. Die wichtigste davon ist der
von der Stadt Breda vorgelegte Konzept wurde in die Praxis umgesetzt. Der Schnellradweg ist Verkehrskreisel.
eine 7 km lange Fahrradstrecke zwischen Breda und Etten-Leur. Beim Bau dieses Schnellradwegs
strebte man nach Kontinuität und Erkennbarkeit auf der gesamten Strecke. Abgesehen von einem Ebenso wie in anderen westeuropäischen Ländern befindet sich der Verkehrskreisel in den Niederlan-
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Fall haben die Radfahrer an allen Kreuzungen Vorfahrt. Die asphaltierten Radwege sind dank ihrer den unaufhaltsam auf dem Vormarsch – angesichts der positiven Auswirkungen auf den Verkehrsfluss
roten Farbe gut erkennbar. Bei den Begleitmaßnahmen wurde den Bäumen im Zusammenhang mit und die Sicherheit zu Recht. Zu Beginn legte man vorzugsweise Verkehrskreisel mit baulich getren-
möglichem Wurzeldruck große Aufmerksamkeit gewidmet. Außerdem wurde die optimale Position nten Radwegen an, auf denen die Radfahrer dem ein- und ausfahrenden Autoverkehr Vorfahrt ge-
der Straßenlaternen ermittelt. An der Strecke wurden drei Pausen- und Unterstellplätze realisiert, währen mussten. Man ging davon aus, dass es im Interesse der eigenen Sicherheit der Radfahrer sei,
an denen die Radfahrer auch Informationen über die Strecke vorfinden. wenn sie dem Autoverkehr Vorfahrt gewährten. Dagegen wehrte sich allerdings der Radfahrerbund,
der befürchtete, dass dies nur der Anfang sei und dass die Radfahrer auch an anderen Kreuzungen ihr
Vorfahrtsrecht verlieren würden. Die ersten Versuche mit einem Verkehrskreisel, der baulich getrennte
Gebührenfreie bewachte
der Wohnungen, abschließbare Fahrradboxen mit festen Stellplätzen für Abonnementinhaber
Beispiel V und bewachte Abstellanlagen im Wohnviertel. Die Kommunen ergreifen in zunehmendem Maße
Stellplätze in Apeldoorn
Initiativen, um das Parken von Fahrrädern strenger zu regeln. Viele Städte und Gemeinden, die das
ungeordnete Parken von Fahrrädern in Fußgängerzonen einschränken wollen, realisieren große,
hochwertige und bewachte Fahrradabstellanlagen am Rande der Innenstadt. Diese stellen sie
Apeldoorn (155.000 Einwohner) machte im April 1998 drei bewachte Fahrradabstellanlagen im zunehmend gebührenfrei zur Verfügung, was sich als sehr effektive Maßnahme zur Konzentrierung
Stadtzentrum, wo ein Stellplatz bislang umgerechnet 45 Eurocent gekostet hatte, gebührenfrei. Ein der abgestellten Fahrräder erwiesen hat. 1998 wurde ein Leitfaden herausgegeben („Fietspar-
Jahr später hatte sich die Zahl der Benutzer um 70 % erhöht, und derselbe Anstieg war im folgen- keur“), mit dem in den Niederlanden erstmals Qualitätsanforderungen an Fahrradabstellsysteme
den Jahr erneut zu verzeichnen. Zählungen zeigen, dass die Anlagen während der Haupteinkaufs- formuliert wurden. Die Normen wurden gemeinsam von Herstellern, Entwerfern, Vertretern der
zeiten ausgelastet sind. Die Zahl der ungeordnet abgestellten Fahrräder verringerte sich in diesen Benutzer (darunter der Radfahrerbund) und Auftraggebern (wie NS Reizigers) ausgearbeitet. Ob
zwei Jahren um 20 %. „Inzwischen hat sich die Zahl der in diesen Anlagen abgestellten Fahrräder es um Fahrradklemmen, abschließbare Fahrradboxen für Abonnementinhaber oder innovativere
gegenüber 1998 verdreifacht. Sie steigt noch immer, aber logischerweise nicht mehr so stark wie Systeme geht – sie müssen bestimmten Anforderungen hinsichtlich des Benutzerkomforts, der
am Anfang“, erklärt Verkehrsexperte Wim Mulder. Es gibt aber noch mehr positive Auswirkungen: Gefahr der Beschädigung des Fahrrads, der Beständigkeit gegen Vandalismus und beispielsweise
Zwei Jahre nach der Einführung erklärten 18 % der Benutzer der bewachten Abstellanlagen, bislang der Nachhaltigkeit genügen.
meist mit dem Auto oder dem Bus in die Stadt gefahren zu sein. In Apeldoorn gibt es nun insge-
samt 2800 gebührenfreie bewachte Stellplätze in fünf Abstellanlagen. Ein Verbot des ungeordneten
Parkens von Fahrrädern hält die Stadt für überflüssig. „In Stoßzeiten sind in der Hauptstraße kaum
Fußgänger mit Fahrrad unterwegs, also werden auch wenig Fahrräder ungeordnet abgestellt. Zu
ruhigeren Zeiten schon, aber dagegen werden wir nicht einschreiten. Niemand stört sich an den
Leuten, und ihre Räderstehen niemandem im Weg. Auch die Geschäftsleute klagen nicht.“ Apel-
doorn finanziert die gebührenfreien Abstellplätze aus den Parkgebühren der Autofahrer. Die Tief-
garagen und Parkautomaten bringen jährlich 2 bis 2,5 Millionen Euro in die Stadtkasse. Ein Viertel
davon fließt in den öffentlichen Personennahverkehr und die gebührenfreien Fahrradabstellplätze.
Das Budget für Fahrradabstellanlagen beträgt inzwischen 220.000 Euro pro Jahr. Neben diesem
Betrag, der in die Verwaltung und Instandhaltung investiert wird, sind auch noch 1 Million Euro für
die Realisierung neuer Abstellanlagen reserviert.
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Im Jahr 2007 hat man sich für eine ganzheitliche Strategie entschieden, die folgende Punkte
Innovatives Konzept in
umfasst:
Beispiel X
Amsterdam
• Das niederländische Kraftfahrtamt verfügt jetzt über ein landesweites Fahrraddiebstahlregister, in
dem alle Anzeigen wegen Fahrraddiebstahl registriert werden.
• S eit Januar 2008 ist dieses Register auch der Öffentlichkeit zugänglich. Das heißt, dass man nach
In Amsterdam geht man strukturiert gegen den Fahrraddiebstahl vor – mit dem „Integralen Eingabe einer Rahmen- oder Chipnummer sehen kann, ob das Fahrrad als gestohlen gilt (oder ob
Arbeitsprogramm zur Verhütung von Fahrraddiebstählen 2002–2006“. Das ist auch nötig, denn diesbezüglich Anzeige erstattet wurde). Dies leistet einen Beitrag zur Bekämpfung von Hehlerei.
im Polizeibezirk Amsterdam-Amstelland betrug das Diebstahlrisiko 2001 im Durchschnitt 16 %. •D
ie Polizei wird in Zukunft in zunehmendem Maße über Scanner verfügen, mit deren Hilfe der
Die Zielsetzungen wurden inzwischen sogar mehr als erfüllt: 2005 war das Risiko schon auf 10 Antidiebstahlchip (der von niederländischen Herstellern schon seit einigen Jahren in neue Fahr-
% gesunken. Das Arbeitsprogramm basiert auf zwei Pfeilern; es sieht einerseits Maßnahmen an räder eingebaut wird) ausgelesen werden kann. Dank einer Verbindung mit dem Register kann
Standorten vor, an denen viele Fahrräder gestohlen und weiterverkauft werden, und zielt ande- man schnell nachsehen, ob ein Fahrrad als gestohlen gilt.
rerseits darauf ab, die Registrierung von Fahrrädern zu fördern. Amsterdam versucht im Rahmen •D
as niederländische Innenministerium hat im Juni 2008 eine große Öffentlichkeitskampagne ge-
der breit angelegten Strategie auch darauf hinzuwirken, dass gestohlene Fahrräder häufiger ihrem gen Fahrraddiebstahl gestartet, in der das Register und der Nutzen der Erstattung einer Anzeige
rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben werden können. Die Amsterdamer Fahrradabwicklungs- im Mittelpunkt stehen.
zentrale AFAC, zu der alle gefundenen und eingesammelten Fahrräder gebracht werden, setzt • Es wird ein Wissenszentrum für Fahrraddiebstahl eingerichtet.
alles daran, den Eigentümer zu finden. Die Diebstahlopfer können auch selbst nach ihrem Fahrrad
suchen, denn auf der AFAC-Website können alle gefundenen Fahrräder abgerufen werden.
Und noch eine technologische Maßnahme: 2005 wurden die Fahrräder von 4000 Amsterdamer
Radfahrern versuchsweise kostenlos mit einem Chip ausgestattet, der es erleichtern soll, den
rechtmäßigen Eigentümer eines gestohlenen Fahrrads ausfindig zu machen. Der Amsterdamer
Fahrradhandel hat einen Verhaltenscode zum Umgang mit Gebrauchtfahrrädern erstellt, der darauf
abzielt, die Zahl der Fahrraddiebstähle in Amsterdam drastisch zu senken. Die teilnehmenden Fahr-
radhändler – erkennbar an einem Sticker mit der Aufschrift „Hier keine gestohlenen Fahrräder“
– haben sich verpflichtet, keine (möglicherweise) gestohlenen Fahrräder zu kaufen, zu verkaufen
oder zu reparieren. Das macht den Fahrraddiebstahl und die Hehlerei weniger attraktiv. Der Verhal-
tenskodex wurde inzwischen von der Branchenorganisation BOVAG landesweit übernommen.
Das leichtsinnige Verhalten vieler Radfahrer ist ein beliebtes Stammtischthema. Radfahrer igno-
rieren rote Ampeln, fahren ohne Licht oder auf der falschen Straßenseite und stellen damit für so
manchen Autofahrer ein großes Ärgernis dar. Die Rückbesinnung auf Normen und Werte, die sich
in der niederländischen Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts vollzogen hat, rückte auch das
Fehlverhalten der Radfahrer wieder mehr in den Blickpunkt. So werden nun beispielsweise landes-
weite Fahrradbeleuchtungskampagnen mit Kontrollaktionen regionaler Polizeikorps kombiniert.
Das Tragen eines Fahrradhelms ist in den Niederlanden bei alltäglichen Fahrten unüblich. Nur
Radrennfahrer und Mountainbiker haben die Gewohnheit, bei ihrem Sport einen Helm zu tragen.
In begrenztem Umfang werden auch vor allem jüngere Kinder von ihren Eltern angehalten, einen
Helm aufzusetzen. In den meisten Fällen hängt dieser allerdings schon endgültig am Nagel, bevor
das Kind 10 Jahre alt ist. Eine Helmpflicht würde sicher nicht auf breite Zustimmung stoßen. Es ist
zu befürchten, dass die allgemeine Fahrradnutzung sehr darunter leiden würde.
CROW, Sign up for the bike: Design manual for a cycle-friendly infrastructure, 1996. Dieses Hand-
buch ist noch lieferbar, siehe www.crow.nl. Eine englische Übersetzung der vollständig überarbeit-
eten Fassung des Entwurfsleitfadens erscheint wahrscheinlich 2007.
Die Organisation für Verkehrssicherheitsforschung SWOF unterhält auch eine ausführliche en-
glischsprachige Website, die umfassende Informationen über die Fahrradnutzung und die Radver-
kehrssicherheit bietet: www.swov.nl
Die Forschungsabteilung des Ministeriums für Verkehr, Wasserwirtschaft und öffentliche Arbeiten
(AVV) hat im englischsprachigen Teil der Website zahlreiche Berichte zu verkehrspolitischen Fragen
in den Niederlanden veröffentlicht. In der Rubrik „Passenger Transport“ sind auch verschiedene
Veröffentlichungen über die Radverkehrspolitik zu finden: www.rws-avv.nl
Der Radverkehrsrat hat kürzlich eine englischsprachige Broschüre über die Radverkehrspolitik in
einigen fahrradfreundlichen Städten herausgegeben: Continous and integral: The cycling policies
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of Groningen and other European cycling cities (Fietsberaad, Broschüre Nr. 7, April 2006). Diese
Broschüre enthält eine Reihe von Fallbeispielen zur Verkehrspolitik verschiedener Städte mit relativ
hoher Fahrradnutzung, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Jedes Beispiel skizziert ein
spezifisches Bild der Entwicklung der Fahrradnutzung in einer Stadt sowie der Beziehung zwischen
der Fahrradnutzung und der kommunalen Radverkehrspolitik. Als Beispiele dienen fünf nieder-
ländische Städte, die als besonders fahrradfreundlich gelten – Groningen, Amsterdam, Enschede,
Zwolle und Veenendaal – sowie fünf weitere europäische Städte, die sich ebenfalls durch eine
bemerkenswerte Fahrradnutzung auszeichnen: Münster und Freiburg in Deutschland, Kopenhagen
und Odense in Dänemark und Gent in Belgien.
Die Broschüre steht auf www.fietsberaad.org oder www.radverkehrsknowhow.org
(unter „Rapporten“) zum Download bereit
Anlage:
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Radfahren in den Niederlanden
Verlag
Ministerium für Verkehr, Wasserwirtschaft und Öffentliche Arbeiten
Direktorat-General für das Personenverkehr
PO Box 20901
2500 EX Den Haag
Die Niederlande
Telefon: +31 70 351 61 71
www.minvenw.nl
und
Text
Mobycon
Fietsberaad
Ligtermoet & Partners
Übersetzung
Bothof, Nijmegen
Schlussredaction
Mario Fruianu (DGP)
Gordon de Munck (AVV)
Hans Voerknecht (Fietsberaad)
Fotografie
POL! Fotografie
Collectie Gemeentearchief Rotterdam
Hollandse Hoogte
Trafficlinq
Druck
Mosaic Media