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Die kleine Seejungfrau – Märchen spielend Deutsch lernen, PASCH-Netzwerktreffen Nov 2021,

Goethe Institut Bukarest & Galli TrainingCenter München______________________________

Die kleine Seejungfrau Zusammenfassung:

Die kleine Meerjungfrau ist die jüngste und anmutigste der sechs Töchter des Meerkönigs. Sie hat,
wie alle Meermenschen, keine Füße, sondern einen Fischschwanz. Durch Erzählungen von der
Oberfläche („Die Blumen duften und die Fische [= Vögel] singen wunderbar“) weckt ihre Großmutter
weiter die Sehnsucht nach der Menschenwelt. Mit fünfzehn Jahren dürfen die Töchter nachts hinauf
und am Strand liegen – die älteren Schwestern erzählen Wunderdinge von der lärmenden
beleuchteten Stadt, den Vögeln, dem Sonnenuntergang, Kindern und Eisbergen. Als sie endlich selbst
das Alter erreicht, steigt sie gegen den Wunsch ihres Vaters empor und beobachtet die Matrosen auf
einem Schiff – am besten gefällt ihr aber der Prinz mit den dunklen Augen, der gerade seinen
sechzehnten Geburtstag feiert. Als das Schiff wegen eines Sturms sinkt, erinnert sich die
Meerjungfrau, dass Menschen nur tot auf den Meeresgrund gelangen können, und bringt den
Prinzen an den Strand und verliebt sich in ihn.
Sie beobachtet, wie ein Mädchen ihn findet, und ist traurig, dass sie sich anlächeln – der Prinz weiß
schließlich nicht, wer ihn gerettet hat. Die Meerjungfrau findet heraus, wo das Schloss steht, und
besucht die Gegend immer wieder. Sie erfährt, dass die Meermenschen im Gegensatz zu den
normalen Menschen keine Seele besitzen, die nach ihrem Tod in die Luft aufsteigt – die einzige
Möglichkeit, eine solche zu erlangen, ist, von einem Menschen geliebt zu werden. Auch ihre Mutter
hatte schon denselben Weg eingeschlagen, da sie sich ebenfalls in einen Menschen verliebt hatte,
und deswegen Mann und Tochter auf dem Meeresgrund verlassen hatte. So begibt sie sich zur
Meerhexe und lässt sich einen Trunk brauen, der ihr Beine wachsen lässt statt ihres Fischschwanzes.
Die Verwandlung ist jedoch unumkehrbar – sie wird nie wieder zu ihrem Vater und ihren Schwestern
zurückkehren können. Falls sich der Prinz nicht in sie verliebt, bekommt sie keine unsterbliche Seele
und wird zu Meerschaum werden. Außerdem muss sie ihre Stimme opfern. Stumm trifft sie also den
Prinzen und wird von ihm in sein Schloss geführt.
Dort bleibt sie bei ihm, aber der Prinz liebt nur das unbekannte Mädchen, das er am Strand sah und
für seine Retterin hält. Später stellt sich heraus, dass dieses Mädchen die Prinzessin des
Nachbarkönigreichs ist, und der Prinz heiratet sie. Da der erste Sonnenstrahl nach seiner
Hochzeitsnacht der kleinen Meerjungfrau den Tod bringen soll, geben ihre Schwestern ihr den Rat,
den Prinzen mit einem Holzpflock zu töten: Das würde sie wieder in ein Meerwesen verwandeln und
sie retten. Sie bringt es aber nicht über ihr Herz, springt ins Wasser und löst sich in Meerschaum auf.
Dabei stirbt sie jedoch nicht, sondern verwandelt sich in einen Luftgeist. Damit hat sie die
Möglichkeit, durch gute Handlungen eine unsterbliche Seele zu erlangen und so an dem „ewigen
Glück der Menschen“ teilzuhaben.

Erste Schlüsselszene:

Die SCHWESTERN stehen rechts und links, die SEEJUNGFRAU in der Mitte. Zur Musik bewegen sie sich,
als wären sie im Wasser.

SEEJUNGFRAU: Ach, ich kann es kaum erwarten, bis ich fünfzehn Jahre bin. Denn dann schwimm ich
nach oben hin. Und sehe dann, was ihr schon seht. Und mir so schön beschreibt. Kommt, erzählt mir
doch, wie schön es dort überm Wasser ist!

EINE SCHWESTER: Die Sonne sollst du seh’n, wenn sie untergeht. Das orangene Licht an den Himmel
weht. Oben ist es schön, wenn sie untergeht...

SEEJUNGFRAU: (wiederholt verträumt) Das orangene Licht...

BEIDE SCHWESTERN: Hier unter Wasser ist es schön. Doch du solltest erstmal seh’n, wie schön es
oben ist. Wenn du erstmal droben bist, wirst du versteh’n, wie schön es über Wasser ist.

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©Johannes Galli, Die Kleine Seejungfrau, Galli Verlag e.V. Wiesbaden, August 2018
Die kleine Seejungfrau – Märchen spielend Deutsch lernen, PASCH-Netzwerktreffen Nov 2021,
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SEEJUNGFRAU: Ach, ich kann es kaum erwarten, bis ich fünfzehn Jahre bin. Denn dann schwimm ich
nach oben hin. Und sehe dann, was ihr schon seht. Und mir so schön beschreibt.

ANDERE SCHWESTER: Den Mond solltest du seh’n, oh, er glänzt so sehr und wirft silberne Ringe
übers Meer. Oben ist es schön.

SEEJUNGFRAU: (wiederholt verträumt) Er wirft silberne Ringe...

BEIDE SCHWESTERN: Dort oben ist es schön. Den Prinzen sollst du seh’n, wie er dort am Strande
steht. Dort oben ist es schön und den Prinzen sollst du seh’n, wie der Wind sein Haar verweht...

SEEJUNGFRAU: Was ist ein Prinz?

EINE SCHWESTER: Das ist ein Mensch.

SEEJUNGFRAU: Was ist ein Mensch?

ANDERE SCHWESTER: Menschen sind Wesen wie wir, nur ohne Fischschwanz.

SEEJUNGFRAU: Wie können sie ohne Fischschwanz schwimmen?

EINE SCHWESTER: Sie schwimmen nicht, sie gehen.

SEEJUNGFRAU: Was ist gehen?

ANDERE SCHWESTER: Gehen ist Schwimmen auf dem Land.

EINE SCHWESTER: Und wenn du auftauchst und Glück hast, dann triffst du deinen Prinzen.

ANDERE SCHWESTER: So, jetzt ist’s genug für heute...

SEEJUNGFRAU: Und wenn ich Glück hab‘, treff‘ ich meinen Prinzen... Ich glaub, ich habe Glück. Ja, ich
spür’s! Oh, ich kann es kaum erwarten. Ich will auftauchen, und vielleicht hab‘ ich Glück... Vielleicht
hab‘ ich wirklich Glück!

Zweite Schlüsselszene: 4 Spieler*Innen (Seejungfrau, Prinz, Welle, Prinzessin)

SEEJUNGFRAU: Huch, wie die Zeit vergeht! Jetzt bin ich schon fünfzehn. Juhu, heute darf ich
auftauchen! (blickt nach oben und taucht aus dem Wasser auf) Oh, ist es hier oben schön, viel
schöner, als ich dachte. Alles ist so klar und so luftig… Oh, hier ist ein kleiner Felsen, auf den will ich
mich setzen.

PRINZ: (Der PRINZ befindet sich auf einem Schiff und blickt durch ein Fernrohr.)

SEEJUNGFRAU: Huch, was ist das? Ein Schiff? Und wer steht da drauf? Das ist doch nicht etwa...
mein... Prinz?!

PRINZ: Oho, ihi, aha, Der Prinz, der Prinz ist da. Shanananana. Schau da, der Prinz ist da. Oh, wie ist
es schön, hier ins Wasser seh’n, Man spiegelt sich so schön. Und kann sich selbst versteh’n. Ich bin so
schön, sagt Mutter mir.

SEEJUNGFRAU: Er ist so schön...

PRINZ: Ich bin so schön, ich glaub es ihr. Sie sagt, ich sei der Schönste hier. Doch halt, was red ich mir
da ein? Das wird erst in der Zukunft sein. Sie sagt: „Red von der Zukunft nicht, Sei auf Vergangenheit

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erpicht. Darin zu leben ist die Pflicht.“ Ich bin so schön, sie sagt es mir. Sie sagt, ich sei der Schönste
hier.

SEEJUNGFRAU: Er ist so schön... Ich spüre es sofort, das ist mein Prinz. Was für ein Glück, ich tauche
auf und da steht vor mir mein Prinz...

PRINZ: Ein Gewitter zieht auf! Ein Gewitter, dass es kracht! Oh, ein Gewitter, das ist bitter! Man sieht
den Donner und hört den Blitz! Nein, das ist doch ein Witz!

WELLE: (Die WELLE erscheint, spritzt ihm Wasser ins Gesicht und grabscht nach seiner Hand)

PRINZ: Oh, das Wasser klatscht ins Schiff! Oh, ich werde nass! Fort mit dir, Welle. Oh, jetzt bin ich im
Wasser. Und das Wasser steht mir bis zum Halse. Vorne ist Wasser, hinten ist Wasser, unter mir ist
Wasser, schon teilweise über mir ist Wasser. Ich befürchte, das endet übel... um genau zu sein:
wässrig übel.

WELLE: Ich gebe dir recht, das endet übel... um genau zu sein: wässrig übel.

PRINZ: Wer bist du denn?

WELLE: Ich bin das Wasser!

PRINZ: Heißt das, du rettest mich nicht?

WELLE: Nein! Ich zieh dich runter unter Wasser.

PRINZ: Siehst du, ich wusste, es endet übel!

WELLE: Und tschüss!

PRINZ: Der PRINZ schwebt „unter Wasser“ (ruft) Hallo. Ich ertrinke! Ist da niemand?

SEEJUNGFRAU: („schwimmt” zum PRINZEN) Oh Gott, er stirbt! Oh, mein Prinz, ich komme! Eigentlich
dürfen wir Nixen nicht eingreifen, aber er ist mein Prinz. (Sie bringt ihn nun an Land) Ich liebe dich,
für mich ist’s keine Frage. Ich sehe dich und lieb dich immer mehr. Mein kleiner Prinz, das Schicksal
kennt Erbarmen. Mein kleiner Prinz, komm her, ich halt dich fest. Niemals darfst du untergeh’n, ich
bleib bei dir für immer, immer, immer... Was ist das... ich höre Schritte! Oh, da naht ein Mensch.
Schnell, ich muss fort. Niemand darf mich sehen. (Sie taucht unter)

PRINZESSIN: Was liegt denn hier herum? Ein Prinz. Was macht eine junge Frau, wenn sie einen
Prinzen findet? Sie rettet ihn. Früher war es umgekehrt. Da haben Prinzen junge Frauen gerettet.
Aber was soll man machen, wenn sich die Zeiten ändern und plötzlich Prinzen am Strand gestrandet
rumliegen? Wäre das schön, wenn ein Prinz mich retten würde... Der hier sieht nicht aus, als ob er
irgendjemanden retten könnte. (beugt sich zum PRINZEN) Hey! Bist du bei Bewusstsein? Ach, dumme
Frage. Welcher Prinz ist denn schon bei Bewusstsein?

PRINZ: (Der PRINZ wacht auf) Ja, Mama!

PRINZESSIN: Ich bin nicht deine Mama! Na komm, du Prinzchen, ich werde dich retten.

SEEJUNGFRAU: Jetzt ist er gerettet, und dann eines Tages denkt er: „Oh, ich geh mal schwimmen”,
und er schwimmt so vor sich hin, und plötzlich tauche ich vor ihm auf, und dann sagt er zu mir: „He,
da bist du ja! Du bist meine Prinzessin”, und ich sage: „Du bist mein Prinz”, und dann schwimmen wir
Hand in Hand an den Strand.

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Dritte Schlüsselszene: 6 Spieler*innen (Meereshexe, Seejungfrau, Prinz, Prinzessin, eine Schwester,


andere Schwester)

MEERESHEXE: Du schwimmst jetzt nach oben, dorthin, wo du deinen Prinzen vermutest. Und wenn
er dich liebt und dir... (lächelt wissend, räuspert sich) ... treu ist, dann bekommst du eine Seele. Aber
bedenke, wenn du eine Seele willst, dann musst du leiden. Nur was du durch Leid erreichst, hat einen
Wert für dich.

SEEJUNGFRAU: (taucht auf mit schwimmenden Bewegungen zur Musik. Sie ist nun an Land und
versucht die ersten Schritte. Sie verzieht schmerzhaft ihr Gesicht, weil ihr jeder Schritt weh tut. Der
PRINZ tritt auf.)

PRINZ: Oh, was für ein schöner Strand. Ideal zum Muscheln Suchen! (sieht die SEEJUNGFRAU) Ha! Ich
suche Muscheln und finde eine schöne Frau. Wow! Küss die Hand, schöne Frau!

SEEJUNGFRAU: (weint stumm verzweifelt)

MEERESHEXE: Und nun viel Glück.

PRINZ: Na, wie finden Sie den Blick aufs Meer und vor allem... ähem... den Blick auf mich?

SEEJUNGFRAU: (Kann nicht antworten. Im Folgenden reagiert sie mit Kopfschütteln und Nicken)

PRINZ: Können Sie nicht sprechen? Hm... ich glaube, Sie sind stumm. Stimmt’s. Sind Sie stumm wie
ein Fisch?

SEEJUNGFRAU: (nickt)

PRINZ: (nach vorne) Die gefällt mir! (zur SEEJUNGFRAU) Darf ich mich bei dieser ungünstigen
Gelegenheit vorstellen? Ich bin der Prinz. Schwimmen Sie gerne?

SEEJUNGFRAU: (nickt)

PRINZ: Ich nicht! Also, ich bin ja mal von einem Schiff gesprungen beziehungsweise gesprungen
worden. Und ich ging unter! Dann hat mich jemand gerettet und hat wunderschön für mich
gesungen.

SEEJUNGFRAU: (nickt freudig)

PRINZ: Sie gefallen mir. Weil Sie mir immer zustimmen. Stimmt’s?

SEEJUNGFRAU: (nickt freudig)

PRINZ: Jetzt habe ich mal eine Frage: Wollen wir Freunde sein?

SEEJUNGFRAU: (nickt freudig)

PRINZ: Wollen wir einen Strandspaziergang machen, einen schönen langen?

SEEJUNGFRAU: (schüttelt entsetzt den Kopf. Sie will nicht laufen, da es schmerzt)

PRINZ: Na, komm schon. Was hast du denn?

SEEJUNGFRAU: (zeigt ihre Schmerzen bei jedem Schritt, aber der PRINZ bemerkt nichts)

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PRINZ: (ganz in sich selbst versunken, bemerkt aber ihren Gang) Du gehst so... wie will ich sagen...
intensiv. Oh, mein Gott, ist das schön. Ich habe einen schönen Freund, eine Frau, die mich versteht,
die mir nie widerspricht und eine, die mir immer folgt, wohin ich auch gehe.

PRINZ: Oh Mann, wärst du eine Prinzessin, dann würde ich dich wahrscheinlich, glaube ich, wenn
meine Mama zustimmen würde, heiraten.

SEEJUNGFRAU: (legt ihre Hand aufs Herz)

PRINZ: Ich habe dir doch gerade erzählt, dass ich mal gerettet worden bin. Da ich ein... hm...
attraktiver Prinz bin, haben sich viele Prinzessinnen beworben, um mich zu heiraten. Aber mir geht
die eine nicht aus dem Kopf, die mich gerettet hat... Ich lag damals am Strand.

SEEJUNGFRAU: (freut sich, denn sie denkt, er wird sie jetzt erkennen)

PRINZ: Schau mal, wie du dich freust. Das nenne ich einen echten Freund, der schweigt und sich
freut, wenn man ihm eine Geschichte erzählt... Und ich habe den Verdacht, dass die Prinzessin, die
mich damals gerettet hat, hier irgendwo noch sein muss...

SEEJUNGFRAU: (reißt ungläubig die Augen auf)

PRINZ: Ich lade alle aus der Gegend ein zu einem Fest. Und da wird sie dann dabei sein. Ich werde sie
erkennen an ihrer Stimme, und sie wird mich erkennen an mir selbst. Und dann werde ich sie
heiraten. Was sagst du dazu?

SEEJUNGFRAU: (weint)

PRINZESSIN: (erscheint) Huch, bist du auch zum großen Fest des Prinzen hier im Schloss eingeladen?

SEEJUNGFRAU: (nickt)

PRINZESSIN: (verächtlich) Aha... Ich wusste gar nicht, dass auch Menschen aus niederem Stand
eingeladen sind... Naja...

SEEJUNGFRAU: (ist erschüttert)

PRINZ: Nun such ich meine Prinzessin, nun find ich sie, nun bind‘ ich sie an mich! (entdeckt die
PRINZESSIN) Ah, da ist sie! Kaum gesucht und schon gefunden. Ach, Prinzessin. Ihr habt mir damals
das Leben gerettet.

PRINZESSIN: Ich habe Euch nicht das Leben gerettet, ich habe Euch gefunden.

PRINZ: Das spielt keine Rolle. Ihr habt mich gefunden und Ihr habt davor so wunderschön gesungen.

SEEJUNGFRAU: (zeigt auf sich, doch keiner bemerkt sie, sie erstarrt)

PRINZESSIN: (zum PRINZEN) Okay, dann heirate ich dich.

SEEJUNGFRAU: (ist am Boden zerstört, PRINZ und PRINZESSIN gehen weg)

ANDERE SCHWESTER: (erscheint am Ufer und winkt) Geliebte Schwester! Jetzt ist es passiert,
stimmt’s?

SEEJUNGFRAU: (nickt und weint)

EINE SCHWESTER: Er liebt eine andere und du hast alles verspielt. Wenn die Sonne aufgeht, wirst du
zu Meeresschaum und auf diese Weise verschwindest du für immer. So ist der Fluch für eine
Seejungfrau, welche die treue Liebe eines Menschenmannes nicht erringen kann...
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SEEJUNGFRAU: (nickt weinend)

ANDERE SCHWESTER: Doch wir sind gekommen, dir zu helfen. Wir waren bei der Meereshexe und
mussten unsere Haare opfern... Ach, die wachsen doch wieder... (sind kurz traurig, besinnen sich)

EINE SCHWESTER: Aber schau mal, hier: Ich habe einen Holzpflock für dich. (reicht der
SEEJUNGFRAU den Holzpflock)

ANDERE SCHWESTER: Wenn du ihm den auf das Herz drückst, dann verliert er seine Seele. Er wird
ein seelenloser Mensch, und du bleibst am Leben. Du erhältst zwar keine Seele, aber du wirst nicht
zu Meeresschaum zerfallen, sondern kannst lebendig zu uns zurückkehren... Oh, der Prinz kommt
schon. Mach es!

PRINZ: Hallo, mein Freund! Es war eine wunderschöne Hochzeit, stimmt’s? Ja, wenn du mich so
direkt fragst, es war die schönste Hochzeit meines Lebens. (sieht den Holzpflock) Was hast du denn
da? Ich wette, das ist ein Hochzeitsgeschenk. Und ich weiß auch, was es ist. Ein Filzschreiber. Oder
ein Malstift. Denn ich kann prima Sonnenaufgänge malen. Meine Mama hat immer gesagt: „Wenn dir
nix einfällt, mal Sonnenaufgänge!”

SEEJUNGFRAU: (hält zitternd den Pflock hoch in Richtung seines Herzens)

PRINZ: He, was machst du da? Willst du mir einen Sonnenaufgang auf mein Herz malen?

SEEJUNGFRAU: (schafft es nicht und lässt den Pflock wieder sinken und dann fallen)

PRINZ: (hebt ihn auf) Oh, dein Geschenk ist zu Boden gefallen. Da gehört es nicht hin. Auf jeden Fall
sage ich dir: Danke, danke, danke! Oh, ich muss weiter. Hochzeitsgeschenke einsammeln...

MUTTER: (der Seejungfrau erscheint) Mein liebes Kind, ich bin zu dir gekommen. Ich hab‘ gespürt,
dass du Erlösung suchst. Die Mutter hat den Hilferuf vernommen, denn über dir schwebt dieser böse
Fluch. Beim ersten Sonnenstrahl sollst du zerfallen, du löst dich auf in weißen Meeresschaum. Mein
Kind, auch ich kenne die unsterbliche Sehnsucht nach einer Seele. Und diese Sehnsucht hat dich
gerettet. Denn es heißt in den ewigen Gesetzen, die in allen Welten herrschen: Wenn eine Seele
liebt, erzeugt sie eine Seele. Und ich liebe dich und du wirst ein seelenvoller Mensch werden. So, wie
du es dir gewünscht hast. (beide lächeln und schauen sich an)

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©Johannes Galli, Die Kleine Seejungfrau, Galli Verlag e.V. Wiesbaden, August 2018

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