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Marion Reiser

Zwischen Ehrenamt und Berufspolitik


Stadtforschung aktuell
Band 107

Herausgegeben von
Hellmut Wollmann
Marion Reiser

Zwischen Ehrenamt
und Berufspolitik
Professionalisierung
der Kommunalpolitik in
deutschen Großstädten
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

..

1. Auflage Juli 2006

Alle Rechte vorbehalten


© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006

Lektorat: Monika Mülhausen / Nadine Kinne

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Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in the Netherlands

ISBN-10 3-531-14963-6
ISBN-13 978-3-531-14963-9
Meinen Eltern
Richard und Michaele Reiser
Danksagung

Die zutreffendste Beschreibung für wissenschaftliches Arbeiten mit undefinier-


tem Ausgang wurde von Andrew Wiles (zit. n. Singh 1998:30) als ein Gang
durch ein dunkles Haus beschrieben:
„Man betritt den ersten Raum, und er ist dunkel. Vollkommen dunkel. Man stolpert herum und
stößt gegen die Möbel, doch allmählich wird klar, was wo steht. Endlich, nach vielleicht einem
halben Jahr, findet man den Lichtschalter, und plötzlich liegt alles im Hellen. Man kann genau
sehen, wo man ist. Dann geht man in den nächsten Raum und verbringt wieder ein halbes Jahr
im Dunkeln. Diese Durchbrüche, für die man manchmal nur einen Augenblick braucht, ein an-
dermal ein oder zwei Tage, sind allesamt Errungenschaften der vielen Monate Herumstolperns
im Dunkeln, ohne die es sie nicht geben würde.“

Mein Dank gilt all jenen Personen, die mich auf diesem Weg begleitet und unter-
stützt haben:
Danken möchte ich insbesondere meinem Betreuer PD Dr. Jens Borchert,
der mich nicht nur zu dieser Dissertation ermutigt, sondern auch in allen Phasen
der Arbeit hervorragend betreut hat.
Bei Dr. Klaus Stolz möchte ich mich für die kritischen Hinweise und die
badische Unterstützung bedanken.
Der Nachwuchsgruppe ‚Politik als Beruf’ an der Universität Göttingen dan-
ke ich für die angenehme Arbeitsatmosphäre: Danke an PD Dr. Jens Borchert,
Dr. Klaus Stolz, Susa Könen, Michael Koss, Peter Matuschek, Jürgen Petersen
und Tessa Debus für die vielen intensiven und konstruktiven Diskussionen.
Des Weiteren möchte ich meinem Zweitgutachter Juniorprofessor Scott
Gissendanner sowie dem Drittgutachter Prof. Dr. Stephan Lessenich danken.
Ein Dankeschön gilt auch den Mandatsträgern der Kommunalparlamente in
Frankfurt am Main, Hannover, Nürnberg und Stuttgart für ihre Zeit und Bereit-
schaft, sich so offen und ausführlich zu diesem Thema zu äußern.
Herzlichen Dank an Julia Wandt und Dr. Esther Winther, deren Unterstüt-
zung – vor allem in der Endphase – einfach phänomenal war. Für das Korrektur-
lesen danke ich Julia Wandt und Adrienne Krappidel.
Besonders bedanken möchte ich mich bei meiner Familie, insbesondere bei
meinen Eltern, die mich in jeglicher Hinsicht so großartig bestärken und unter-
stützen.
Inhalt

Verzeichnis der Tabellen ................................................................................. 13


Verzeichnis der Abbildungen .......................................................................... 14

1. Einleitung .............................................................................................. 15

2. Konzeptionelle Grundlagen: Kommunalpolitik und


Professionalisierung ............................................................................. 21
2.1 Kommunalpolitik ........................................................................... 21
2.1.1 Stellung der Kommunen im bundesdeutschen
Verfassungssystem ............................................................... 22
2.1.2 Die Kommunalvertretung im politisch-administrativen
System auf kommunaler Ebene ............................................ 27
2.1.2.1 Kommunalverfassungen .......................................... 28
2.1.2.2 Das Verhältnis von Rat und Verwaltung ................. 33
2.1.2.3 Die Funktionen der Kommunalvertretung ............... 36
2.1.2.4 Kommunalvertretung – Parlament oder
unpolitisches Verwaltungsorgan? ............................ 37
2.1.2.5 Organisation der Ratsarbeit in den Großstädten ...... 39
2.1.2.6 Dilemma der Ehrenamtlichkeit: Auswirkungen
auf die Ratsarbeit ..................................................... 44
2.2 Professionalisierung von Politik ..................................................... 47
2.2.1 Der Professionalisierungsbegriff: Eine Definition ............... 48
2.2.2 Organisationsformen der Politikausübung ........................... 48
2.2.2.1 Leitbilder von Abgeordneten ................................... 49
2.2.2.2 Historische Entwicklung der Professionalisierung .. 52
2.2.3 Professionalisierungsprozess auf nationaler und regionaler
Ebene: Zwischenfazit ............................................................. 59
2.3 Professionalisierung auf kommunaler Ebene – Konzeption ........... 61
2.3.1 Die Ebenen der Professionalisierung .................................... 61
2.3.1.1 Individuelle Professionalisierung ............................. 62
2.3.1.2 Professionalisierung politischer Ämter .................... 63
2.3.1.3 Professionalisierung politischer Institutionen .......... 63
10 Inhalt

2.3.2 Indikatoren der Professionalisierung .................................... 65


2.3.2.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung ... 67
2.3.2.2 Indikator II: Entschädigung der Ratsmitglieder ....... 68
2.3.2.3 Indikator III: Aufwendungen für das
Kommunalparlament ............................................... 68

3. Methoden .............................................................................................. 70
3.1 Methodisches Vorgehen ................................................................. 70
3.1.1 Dokumentenanalyse ............................................................. 71
3.1.2 Schriftliche Befragung ......................................................... 72
3.1.3 Leitfadeninterviews .............................................................. 75
3.2 Fallauswahl .................................................................................... 76
3.3 Kurzportraits der vier Untersuchungsstädte ................................... 79
3.3.1 Hannover .............................................................................. 79
3.3.2 Frankfurt am Main ................................................................ 79
3.3.3 Nürnberg ............................................................................... 81
3.3.4 Stuttgart ................................................................................ 82

4. Professionalisierung in deutschen Großstädten ................................. 83


4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung ........................ 83
4.1.1 Ratstätigkeit im engeren Sinne ............................................. 84
4.1.1.1 Zeitaufwand ............................................................. 84
4.1.1.2 Zeitliche Lage der Sitzungen ................................... 90
4.1.2 Mandatsnebentätigkeiten ...................................................... 91
4.1.2.1 Sitzungsvorbereitung ............................................... 91
4.1.2.2 Repräsentationsaufgaben ......................................... 94
4.1.3 Zeitaufwand: Vergleich zu anderen Parlamenten ................. 96
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder .......................... 99
4.2.1 Entschädigungsvorschriften ................................................ 100
4.2.2 Entschädigungen in den vier Untersuchungsstädten ........... 101
4.2.3 Entschädigungen: Vergleich zu anderen Parlamenten ......... 107
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament .......... 110
4.3.1 Aufwendungen in den vier Untersuchungsstädten .............. 111
4.3.1.1 Fraktionszuwendungen ........................................... 112
4.3.1.2 Personelle Ausstattung ............................................ 116
4.3.1.3 Technische Ausstattung .......................................... 124
4.3.2 Aufwendungen für das Kommunalparlament: Vergleich
zu anderen Parlamenten ....................................................... 126
4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten ................... 128
4.4.1 Professionalisierung in den vier Untersuchungsstädten ...... 129
Inhalt 11

4.4.2 Professionalisierung: Vergleich zu anderen Parlamenten ... 134


4.4.3 Professionalisierungsarten und -grade:
Erklärungsfaktoren .............................................................. 136

5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik .................... 140


5.1 Vereinbarkeit von Beruf und Mandat – das Dilemma ................... 140
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur ....................... 141
5.2.1 Altersstruktur ....................................................................... 141
5.2.2 Geschlecht ........................................................................... 143
5.2.3 Bildungsgrad ....................................................................... 146
5.2.4 Berufsstruktur ...................................................................... 148
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf . 157
5.3.1 Individuelle Strategien ........................................................ 157
5.3.1.1 Freistellung ............................................................. 158
5.3.1.2 Reduzierung der Arbeitszeit ................................... 168
5.3.1.3 Gleitzeit/flexiblere Arbeitszeiten ............................ 173
5.3.1.4 Wechsel des Arbeitsplatzes .................................... 174
5.3.1.5 Reduzierung der Mandatsausübung ........................ 178
5.3.1.6 Weitere Strategien .................................................. 180
5.3.2 Idealtypen ............................................................................ 181
5.3.2.1 Realtypischer Strategieeinsatz ................................ 184
5.3.2.2 Bedeutung der Idealtypen ....................................... 190
5.3.3 Individuelle Professionalisierung in den vier Städten ......... 191
5.4 Einflussfaktoren für die Wahl der Strategien ................................ 196

6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in Großstädten....... 199


6.1 Amateurinstitution ......................................................................... 199
6.1.1 Reduzierung der Ratsarbeit ................................................. 200
6.1.1.1 Neues Steuerungsmodell: Vorteile ......................... 201
6.1.1.2 Probleme bei der Umsetzung .................................. 203
6.1.2 Veränderte Organisation der Ratsarbeit .............................. 207
6.1.3 Entwicklungsoption Amateurinstitution: Zwischenfazit ..... 209
6.2 Ressourcenbasierte Professionalisierung der Institution ............... 210
6.2.1 Personelle Ressourcen ......................................................... 210
6.2.2 Sachliche Ressourcen .......................................................... 217
6.2.3 Entwicklungsoption ressourcenbasierte Professionalisierung:
Zwischenfazit ...................................................................... 221
6.3 Professionalisierung des Amtes ..................................................... 221
6.3.1 Professionalisierung aller Ratsmitglieder ............................ 222
12 Inhalt

6.3.1.1 Pro und contra Professionalisierung:


Argumentationsstränge ........................................... 222
6.3.1.2 Gewichtung der Vor- und Nachteile:
Einstellungsunterschiede ........................................ 230
6.3.1.3 Professionalisierung versus Ehrenamt .................... 231
6.3.2 Professionalisierung eines Teils der Ämter ......................... 236
6.3.2.1 Fraktionsvorsitzende ............................................... 236
6.3.2.2 Mehrere Personen pro Fraktion .............................. 239
6.3.3 Entwicklungsoption Professionalisierung des Amtes:
Zwischenfazit ...................................................................... 241
6.4 Professionalisierte Institution ........................................................ 242
6.5 Fazit: Entwicklungslinien und strategische Optionen ................... 242

7. Diskussion, Fazit und Ausblick: Professionalisierung auf lokaler


Ebene? .................................................................................................. 245
7.1 Zentrale Ergebnisse: Hohe Professionalisierung bei starker
Divergenz ...................................................................................... 246
7.2 Professionalisierung auch in mittelgroßen Städten? ...................... 252
7.3 Professionalisierung und kommunale Demokratie ........................ 255

Literaturverzeichnis ..................................................................................... 261

Anhang .......................................................................................................... 274


Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 3.1: Einwohnerzahlen der deutschen Großstädte ............................. 76


Tabelle 3.2: Indikatoren der Fallauswahl ..................................................... 77
Tabelle 3.3: Hannover: Sitze und Sitzanteile ................................................ 79
Tabelle 3.4: Frankfurt: Sitze und Sitzanteile ................................................ 80
Tabelle 3.5: Nürnberg: Sitze und Sitzanteile ................................................ 81
Tabelle 3.6: Stuttgart: Sitze und Sitzanteile .................................................. 82
Tabelle 4.1: Zeitaufwand für die Ratstätigkeiten im engeren Sinne ............. 87
Tabelle 4.2: Aufwandsentschädigungen in den deutschen Großstädten ...... 108
Tabelle 4.3: Aufwendungen für die Kommunalparlamente ......................... 127
Tabelle 4.4: Professionalisierungsgrad – Die drei Indikatoren ................... 129
Tabelle 4.5: Professionalisierungsprozess – Gesamtaufwendungen pro
Jahr und Ratsmitglied in Tausend Euro ................................... 133
Tabelle 5.1: Altersstruktur ........................................................................... 142
Tabelle 5.2: Höchster Bildungsabschluss der Ratsmitglieder und der
Stadtbevölkerung ..................................................................... 147
Tabelle 5.3: Berufsstruktur in den vier Untersuchungsstädten .................... 149
Tabelle 5.4: Individuelle Strategien ............................................................. 158
Tabelle 5.5: Höhe der Freistellung pro Woche ............................................ 160
Tabelle 5.6: Anteil der Professionalisierungsstrategien ............................... 193
Tabelle 6.1: Einstellung zur Professionalisierung nach Städten .................. 232
Tabelle 6.2: Einstellung zur Professionalisierung nach Parteien ................. 232
Tabelle 6.3: Einstellung zur Professionalisierung nach Berufssektoren ...... 233
Tabelle 6.4: Einstellung zur Professionalisierung nach Geschlecht ............ 234
Tabelle 6.5: Einstellung zur Professionalisierung der Fraktions-
vorsitzenden ............................................................................. 237
Tabelle B.1: Rücklauf nach Fraktionen ........................................................ 282
Tabelle B.2: Rücklauf nach Geschlecht ....................................................... 283
Tabelle B.3: Entschädigungen in Baden-Württemberg ................................. 283
Tabelle B.4: Entschädigungen in Niedersachsen .......................................... 283
Tabelle B.5: Aufwendungen für die Kommunalparlamente in Städten
Baden-Württembergs ............................................................... 284
Tabelle B.6: Aufwendungen für die Kommunalparlamente in Städten
Niedersachsens ........................................................................ 284
Verzeichnis der Abbildungen

Abbildung 2.1: Professionalisierung politischer Institutionen .................... 64


Abbildung 4.1: Professionalisierungsgrade und -arten in den Großstädten 135
Abbildung 5.1: Gesamtüberblick über die Altersstruktur .......................... 143
Abbildung 5.2: Idealtypen .......................................................................... 182
1 Einleitung

„Und wenn ich jetzt diese Woche mal in meinen Terminkalender schaue, da gibt es am Montag
eine Verhandlung mit CSU und Grünen um 10.30 Uhr, danach Besprechung Verkehrsaus-
schuss, nachmittags eine Fraktionssitzung; ich war an meinem Schreibtisch von 8.00 bis 10.00
Uhr. Wenn ich heute schaue, dann war es ausgesprochen gut für meinen Schreibtisch, weil ich
heute erst Termine ab 14.00 Uhr habe. (...) Wenn also jemand nur mal seine Sitzungen wahr-
nimmt und nicht noch was drauf setzt an Engagement nach außen, dann hat er schon ein Zeit-
problem, das er mit seinem Arbeitgeber irgendwie vereinbaren muss. Nun stellt sich aber die
Frage, ob es sinnvoll wäre aus Kommunalpolitikern Berufspolitiker zu machen. Das ist sehr
schwierig, ein Dilemma. Denn in der Kommunalpolitik muss man noch in seinem Beruf veran-
kert sein, weil man von der Kommunalpolitik nicht leben kann. D.h. die Nähe zu seinem Beruf,
zu seinem Fundament spielt beim Kommunalpolitiker eine viel größere Rolle als beim Landes-
und Bundespolitiker“ (N2).

Diese Aussage eines Stadtrats aus Nürnberg verdeutlicht das Dilemma, in dem
sich heutzutage die Ratsmitglieder in deutschen Großstädten befinden: Das for-
mal ehrenamtliche Mandat in einer Großstadt verlangt einen hohen Zeitaufwand,
was zu Problemen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Mandat führt.
Dies ist jedoch kein neues Phänomen. So standen der hohe Zeitaufwand und die
daraus resultierenden Probleme für die lokale Demokratie im Zentrum der de-
mokratietheoretischen Debatte, die insbesondere in den 1970er und 1980er Jah-
ren im Rahmen der kommunalwissenschaftlichen Forschung geführt wurde.
Seit den 1970er Jahren entstanden im Rahmen der kommunalwissenschaft-
lichen Forschung Studien, die den Zeitaufwand der ehrenamtlichen Ratsmitglie-
der, insbesondere in den Großstädten, untersucht haben (vgl. u.a. Naßmacher
1973; Kommunalpolitische Blätter 1/1977; Simon 1988; Ronge 1994). Dabei
zeigt sich, dass für die Ausübung eines Ratsmandats in Großstädten ein wöchent-
licher Zeitaufwand von durchschnittlich 25 bis 60 Stunden pro Woche erforder-
lich ist. Hinsichtlich dieser Situation wird das „Dilemma zwischen (formal) eh-
renamtlicher Tätigkeit in der kommunalen Vertretungskörperschaft und dem
dafür (tatsächlich) erforderlichen Zeitaufwand“ (Naßmacher/Naßmacher 1999:
277) beklagt.
Die Auswirkungen dieses Dilemmas wurden im Rahmen der demokratie-
theoretischen Debatte diskutiert: So wurde zum einen bezweifelt, dass der Rat
noch in der Lage ist, seine Funktionen ausreichend zu erfüllen. Aufgrund der
komplexen kommunalpolitischen Materie, des Informationsvorsprungs der Ver-
waltung sowie der permanenten Arbeitsüberlastung der Mandatsträger könnten
16 1. Einleitung

diese die Verwaltung nicht mehr hinreichend kontrollieren (vgl. Simon


1988:49f.; Ueltzhöffer 1975:119; Gabriel 1981:200). Zum anderen wurden die
Auswirkungen auf die Personen- bzw. Berufsgruppen, die ein ehrenamtliches
Mandat in einer Großstadt ausüben können, konstatiert (vgl. Naßma-
cher/Naßmacher 1999:278f.). Dabei wird anknüpfend an Max Weber (1994) die
Abkömmlichkeitsthese vertreten, wonach die Abkömmlichkeit vom Beruf das
wichtigste Kriterium für die Möglichkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Man-
dat ist (Naßmacher/Naßmacher 1999:279; vgl. auch Simon 1988:66). Dies führt
dazu, dass nur noch bestimmte Berufsgruppen wie Angehörige des Öffentlichen
Dienstes ein Mandat in Großstädten ausüben können, während andere Berufs-
gruppen ausgeschlossen sind. De facto würden sich die Ratsmitglieder aufgrund
dieser Rahmenbedingungen professionalisieren (vgl. Naßmacher 1981:57;
Thränhardt 1981:40).
Zunehmend finden sich auf lokaler Ebene weitere Anzeichen für eine Pro-
fessionalisierung, zumindest in den Großstädten. So haben Fraktionen teilweise
umfangreiche Mitarbeiterstäbe beschäftigt, welche die Ratsmitglieder organisa-
torisch und inhaltlich unterstützen (vgl. Kempf 1989; Naßmacher 1989:190). In
manchen Städten gehen die Aufwandsentschädigungen bereits über einen reinen
Kostenersatz hinaus (vgl. Christner 1991). Die Debatten um die Funktionsfähig-
keit des Rates und seiner Mitglieder sowie eine mögliche Professionalisierung
wurden in der kommunalwissenschaftlichen Forschung jedoch seit den 1980er
Jahren in den Hintergrund gedrängt und nicht weiter verfolgt. Daher beziehen
sich die bisherigen Erkenntnisse über eine mögliche Professionalisierung auf
lokaler Ebene zumeist auf die Untersuchung von Einzelfällen (vgl. Berkemeier
1999; Ronge 1994).
Die erläuterten Anzeichen einer Professionalisierung und damit die Frage
nach einem möglichen (informellen) Professionalisierungsprozess auf lokaler
Ebene wurden bisher ebenso wenig systematisch untersucht wie die Auswirkun-
gen auf die Ratsmitglieder. Aber auch im Rahmen der Professionalisierungsfor-
schung wurde die lokale Ebene bisher weitgehend ignoriert. Mit Ausnahme der
professionalisierten Bürgermeister wurde die kommunale Ebene lediglich als
Sprungbrett für professionalisierte Positionen auf den höheren Ebenen des politi-
schen Systems betrachtet (vgl. Herzog 1975:85ff.; Ronge 1994:268; Borchert/
Golsch 1999:122; Golsch 1998:159ff.).
Auf den höheren Ebenen des politischen Systems haben diese – gerade für
die lokale Ebene skizzierten – Entwicklungen letztendlich zur Professionalisie-
rung der Politik geführt, wobei der formellen Professionalisierung ein langer
informeller Professionalisierungsprozess vorausging. Während die Abgeordneten
formal ehrenamtlich tätig waren, hatte ihre Aufwandsentschädigung bereits eine
Höhe erreicht, die ihnen erlaubte, nicht ausschließlich „für“ die Politik, sondern
1. Einleitung 17

auch „von“ der Politik zu leben (Weber 1994:42f.). Insofern wurde ein normati-
ves Leitbild – das der Ehrenamtlichkeit – aufrechterhalten, obwohl es nicht mehr
der Realität entsprach. Untersuchungen, die einen politischen Professionalisie-
rungsprozess auf kommunaler Ebene betrachten, sind daher wünschenswert und
von aktueller Brisanz, da gerade hier die Ehrenamtlichkeit des Mandatsträgers
einen hohen Stellenwert einnimmt (vgl. Sachße 2002:24; Krabbe 1989). Ein
Paradigmenwechsel von der Ehrenamtlichkeit zur Professionalität der Politik
würde die kommunale Selbstverwaltung grundlegend verändern: Auch auf loka-
ler Ebene würde sich wohl der Typus des Berufs- und Karrierepolitikers durch-
setzen, der den Feierabendpolitikern den Zugang zu den Kommunalparlamenten
erschwere. Dies stünde dem Prinzip der demokratischen Gleichheit entgegen.
In der vorliegenden Untersuchung ist daher die Frage nach einer Professio-
nalisierung auf lokaler Ebene zentral. Welchen Umfang hat die zu vermutende
Professionalisierung bereits erreicht und welche Entwicklungstendenzen sind
erkennbar? Angesichts der erläuterten Anzeichen einer Professionalisierung wird
vermutet, dass auf lokaler Ebene ein Professionalisierungsprozess zu beobachten
ist. Insbesondere in den Großstädten haben sich durch Prozesse der Parlamenta-
risierung und Parteipolitisierung in den vergangenen Jahrzehnten die Rahmenbe-
dingungen der Ratsarbeit verändert. Des Weiteren wurde in empirischen Studien
festgestellt, dass der Zeitaufwand für die ehrenamtlichen Ratsmitglieder über-
proportional zur Gemeindegröße ansteigt (vgl. Kommunalpolitische Blätter
1/1977, 1/1980). Insofern ist zu erwarten, dass ein Professionalisierungsprozess
auf kommunaler Ebene zuerst bzw. insbesondere in den Großstädten auftritt. Da
es bisher keine Untersuchungen zu einer möglichen Professionalisierung auf
kommunaler Ebene gibt – von einzelnen, eher unsystematischen Vermutungen
und Beobachtungen abgesehen – beschäftigt sich die Analyse im Rahmen dieser
Studie in erster Linie mit Großstädten.
Der Professionalisierungsprozess wird in der vorliegenden Studie sowohl
komparativ als auch longitudinal untersucht. Die Kommunen der verschiedenen
Bundesländer haben aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik unter-
schiedliche institutionelle Rahmenbedingungen. So haben sich unter anderem
verschiedene Kommunalverfassungen mit unterschiedlichen Gemeindeordnun-
gen und Wahlsystemen der kommunalen Vertretungskörperschaften herausge-
bildet (vgl. Frey/Holler 1976:241ff.; Bogumil 2002a:24ff.). Untersuchungen
zeigen zudem, dass die realen Entscheidungsstrukturen neben den institutionel-
len Rahmenbedingungen auch stark von der lokalen politischen Kultur beein-
flusst werden (Naßmacher 1989:193; Voigt 1994). Neben diesen Unterschieden
sind allerdings gemeinsame Entwicklungen zu beobachten, zum einen im Ver-
hältnis zu den höheren Ebenen des politischen Systems – hierbei ist insbesondere
an die zunehmende Politikverflechtung (vgl. Wehling/Kost 2003) und die teil-
18 1. Einleitung

weise daraus entstehende Finanzkrise der Kommunen (vgl. Karrenberg/Münster-


mann 2002; Holtkamp 2002; Kuban 2003:28) zu denken. Zum anderen lassen
sich gleichgerichtete Entwicklungen im Verhältnis des Rates zu den anderen
Institutionen der kommunalen Selbstverwaltung (Bürgermeister, Verwaltung)
beispielsweise in den Reformen der Kommunalverfassungen in den 1990er Jah-
ren, aber auch in der Diskussion um das Neue Steuerungsmodell erkennen (vgl.
Bogumil 2002a). Bezogen auf die kommunalen Vertretungskörperschaften zei-
gen Untersuchungen, dass insbesondere in den großen Kommunen ein Prozess
der Parlamentarisierung und Parteipolitisierung der Kommunalpolitik stattgefun-
den hat (Holtmann 1990; Gabriel/Haungs 1984).
Daher bietet sich für die vorliegende Studie ein Vergleich mehrerer Städte
mit unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen an. Das Ziel dieser
Untersuchung ist insofern ein doppeltes: Zum einen wird untersucht, ob es einen
Professionalisierungsprozess auf lokaler Ebene gibt und durch welche gemein-
samen Entwicklungen sich dieser auszeichnet. Zum anderen könnten aber auf-
grund der unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen in den Kom-
munen der einzelnen Bundesländer unterschiedliche Professionalisierungsarten
und -entwicklungen entstanden sein. Die vier systematisch ausgewählten Groß-
städte sind Frankfurt am Main, Hannover, Nürnberg und Stuttgart.
Neben diesem Vergleich wird die Professionalisierung diachron untersucht,
um Aussagen über einen möglichen Professionalisierungsprozess machen zu
können. Die Professionalisierungsprozesse auf den höheren Ebenen des politi-
schen Systems vollzogen sich über einen sehr langen Zeitraum. Insofern wird der
Grad der Professionalisierung in den Großstädten des Untersuchungsjahres 2002
mit dem Stand im Jahre 1984 verglichen, da ein Untersuchungszeitraum von 20
Jahren geeignet ist, um langfristige Veränderungen und Entwicklungstendenzen
zu erfassen. Mittels einer solch umfassenden Studie wird der Professionalisie-
rungsprozess in den deutschen Großstädten analysiert und damit versucht, im
Spannungsfeld von Kommunalpolitik und Professionalisierung einen ersten
Beitrag zur Behebung des gegenwärtigen Forschungsdefizits zu leisten.

Aufbau der Arbeit


Um den Prozess und den Grad der Professionalisierung auf lokaler Ebene zu
untersuchen, werden in Kapitel 2 die theoretischen und konzeptionellen Grund-
lagen für die Analyse gelegt. In einem ersten Teil werden die institutionellen
Rahmenbedingungen der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland ebenso
analysiert wie die zentralen Entwicklungen und Veränderungen auf kommunaler
Ebene, welche die Stellung und Arbeitsweise der kommunalen Vertretungskör-
perschaften beeinflussen. Des Weiteren werden auf Grundlage des Forschungs-
stands die Forschungslücken der aufgezeigten Professionalisierungstendenzen
1. Einleitung 19

auf kommunaler Ebene herausgearbeitet. In einem zweiten Teil steht der Aspekt
der Professionalisierung im Zentrum, um die Perspektive der bisherigen kom-
munalwissenschaftlichen Forschung zu erweitern. Dazu werden die sich an Max
Weber anschließenden Studien zur Professionalisierung der Politik auf anderen
Ebenen des politischen Systems für die Analyse genutzt. Im dritten Teil werden
dann die beiden Forschungsfelder der Kommunalpolitik- und Professionalisie-
rungsforschung zusammengebracht, um den analytischen und kategorialen Be-
zugsrahmen der eigentlichen empirischen Untersuchung zu entwerfen. In Kapitel
3 wird das methodische Vorgehen ebenso erläutert wie die Fallauswahl.
Die weiteren drei Kapitel präsentieren die empirischen Ergebnisse der Ana-
lyse: In Kapitel 4 werden der Professionalisierungsprozess ebenso wie Grad und
Muster der Professionalisierung in den deutschen Großstädten untersucht. Dazu
werden die in Kapitel 2 hergeleiteten zentralem Indikatoren der Professionalisie-
rung im Zeitvergleich untersucht. Um die Ergebnisse besser einordnen zu kön-
nen, werden die Ergebnisse mit Parlamenten auf den anderen Ebenen des politi-
schen Systems verglichen.
Während sich Kapitel 4 mit der institutionellen Ebene der Professionalisie-
rung befasst, wird in Kapitel 5 die Perspektive auf die Akteursebene gelegt. Im
Zentrum stehen dabei die Überlegungen und Entscheidungen der Ratsmitglieder
beim Versuch, die widerstreitenden Anforderungen von Mandat und Beruf mit-
einander in Einklang zu bringen. In einem ersten Schritt wird daher untersucht,
ob die in der wissenschaftlichen Diskussion vertretene Abkömmlichkeitsthese
zutrifft, ob sich also durch das Dilemma, in dem sich die Ratsmitglieder befin-
den, eine einseitige Sozialstruktur der Stadträte – insbesondere hinsichtlich der
Berufsstruktur – ergeben hat. In einem weiteren Schritt wird untersucht, wie die
Ratsmitglieder konkret Beruf und Mandat vereinbaren und welche Strategien sie
dazu anwenden. Ziel ist es, den Grad der individuellen Professionalisierung dif-
ferenziert innerhalb der institutionellen Rahmenbedingungen zu untersuchen.
In Kapitel 6 wird die Analyseebene wieder auf jene der Institutionen verla-
gert. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Entwicklungstendenzen und
Zukunftsszenarien sich für die Kommunalparlamente von Großstädten aus den
individuellen Entscheidungen ihrer Mitglieder ergeben und welche Optionen die
Mandatsträger favorisieren und erwarten.
Die zentrale Frage, ob ein Professionalisierungsprozess auf kommunaler
Ebene stattfindet, welchen Umfang diese Professionalisierung bereits erreicht hat
und welche weiteren Entwicklungstendenzen erkennbar sind, wird in Kapitel 7
abschließend zusammenfassend beantwortet. Dazu werden die zentralen Ergeb-
nisse der vorliegenden Studie miteinander verbunden und in Kontext zu den
Entwicklungen auf den höheren Ebenen des politischen Systems gesetzt. Die
Studie beschäftigt sich mit dem Extremfall ‚Großstädte’, für den Professionali-
20 1. Einleitung

sierungsprozesse feststellbar sind. Handelt es sich dabei um einen Ausnahmefall


oder finden sich solche Tendenzen auch in kleineren Städten? Darüber hinaus
steht die grundsätzliche Frage im Zentrum, welche Auswirkungen die Professio-
nalisierung für die kommunale Demokratie hat. Die Erfahrungen aus den höhe-
ren Ebenen zeigen, dass sich durch die Professionalisierung Demokratie grund-
legend ändert.
2 Konzeptionelle Grundlagen: Kommunalpolitik
und Professionalisierung

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Professionalisierung der Kommu-


nalpolitik in deutschen Großstädten. Ausgangspunkt ist dabei das Dilemma, in
dem sich die Ratsmitglieder befinden: Auf der einen Seite sind sie formal eh-
renamtlich tätig, auf der anderen Seite benötigen sie aber einen sehr hohen Zeit-
aufwand für die Ausübung des Mandats. Die zentrale Fragestellung lautet daher,
ob – vergleichbar zu den Entwicklungen auf den höheren Ebenen des Systems –
nun auch auf lokaler Ebene ein (informeller) Professionalisierungsprozess statt-
findet. Das Forschungsprojekt ist somit im Spannungsfeld zwischen den bisher
weitgehend getrennten Forschungsfeldern der Professionalisierungs- und Loka-
len Politikforschung angesiedelt. Im ersten Teil werden daher die Grundlagen
und die Rahmenbedingungen der Kommunalpolitik und insbesondere der Rats-
arbeit erläutert. Im Zentrum steht dabei der Forschungsstand zu dem Dilemma
der Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Beruf sowie zu den Professionalisie-
rungstendenzen des Rates. In einem zweiten Teil geht es dann um die Professio-
nalisierung der Politik. Um diese auf lokaler Ebene zu untersuchen, werden die
sich an Max Weber anschließenden Studien zur Professionalisierung der Politik
auf anderen Ebenen des politischen Systems für die Analyse herangezogen.
Zentral sind dabei die Organisationsformen der Politikausübung, die als Maß-
stab dienen sollen, um Veränderungstendenzen und Professionalisierungspro-
zesse besser erfassen zu können. Des Weiteren wird der historische Prozess der
Professionalisierung auf den höheren Ebenen in Deutschland analysiert, um
Ansatzpunkte für mögliche Entwicklungsrichtungen auf kommunaler Ebene
abzuleiten. Im dritten Teil werden Kommunalpolitik und Professionalisierung
zusammengebracht und der analytische und kategoriale Bezugsrahmen für die
empirische Untersuchung entworfen.

2.1 Kommunalpolitik

Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung steht die Frage, ob sich nach den
Parlamenten auf der nationalen und der regionalen Ebene nun auch die Vertre-
22 2. Konzeptionelle Grundlagen

tungskörperschaften und die Mandatsträger1 in den Großstädten auf kommunaler


Ebene professionalisieren und wie sich dieser Professionalisierungsprozess
darstellt. Daher werden im Folgenden die institutionellen Rahmenbedingungen
der Kommunalpolitik in Deutschland erläutert. Die Kommunalvertretung ist das
oberste politische Organ der Kommunen (vgl. 2.1.2), die bei der Erfüllung ihrer
Aufgaben jedoch vielfältigen Einflussfaktoren ausgesetzt ist: Der Rat initiiert,
berät und entscheidet in einem Umfeld, das durch eine „horizontale und vertika-
le Politikverflechtung“ (Naßmacher/Naßmacher 1999:273) geprägt ist. So wir-
ken viele Akteure und Prozesse auf die Ratstätigkeit ein. Zum einen werden die
Arbeit und Aufgaben der Kommunalvertretungen durch die Stellung der Kom-
munen im Gesamtstaat (äußere Kommunalverfassung) und zum anderen durch
die institutionelle Ordnung der Kommunen (innere Kommunalverfassung) be-
stimmt. Zunächst werden daher die verfassungsrechtliche und -politische Stel-
lung der Kommunen und ihre Relevanz im politischen System der Bundesrepu-
blik kurz erläutert, bevor in einem zweiten Schritt die Stellung der Kommunal-
parlamente im politisch-administrativen System auf kommunaler Ebene darge-
stellt und diskutiert wird. Welche Aufgaben und Funktionen hat der Gemeinde-
rat und wie werden diese erfüllt? Hierbei wird ein besonderer Schwerpunkt auf
Entwicklungen der letzten Jahrzehnte gelegt: Wie hat sich die Organisation der
Ratsarbeit in den vergangenen Jahrzehnten verändert? Welche Auswirkungen
hat dies auf den Rat und die Ratsmitglieder? Welche Professionalisierungsten-
denzen sind zu erkennen?

2.1.1 Stellung der Kommunen im bundesdeutschen Verfassungssystem

Im Folgenden wird die Stellung der kommunalen Ebene im bundesdeutschen


Verfassungssystem erläutert. Des Weiteren wird untersucht, über welchen Ent-
scheidungs- und Handlungsspielraum die Kommunalvertretungen überhaupt
verfügen, und welche Aufgaben die Gemeinden ausüben. Die kommunale Ebe-
ne ist nach der im deutschen Verfassungsrecht vorherrschenden Auffassung
keine eigenständige staatliche Ebene neben Bund und Ländern. Vielmehr geht
das Grundgesetz von einem zweistufigen Staatsaufbau aus, in dem die Gemein-
den lediglich eine innere Gliederung eines Bundeslands darstellen bilden (vgl.
Giese 1999:75). Die Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung ist jedoch
in Art. 28 II GG garantiert, in dem es heißt: „Den Gemeinden muss das Recht
gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen

1 In der vorliegenden Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit nur die maskuline Form
verwendet.
2.1 Kommunalpolitik 23

der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“. So sind hier die wesentlichen


Merkmale der kommunalen Selbstverwaltung bereits festgelegt2:

ƒ das Örtlichkeits- und Universalitätsprinzip (‚alle Angelegenheiten der örtli-


chen Gemeinschaft’) und
ƒ das Eigenverantwortlichkeitsprinzip (‚in eigener Verantwortung’).

Als örtliche Angelegenheiten werden dabei diejenigen Angelegenheiten be-


zeichnet, die sich aus dem räumlichen Zusammenleben der Menschen ergeben
und die in den Gemeinden am effektivsten geregelt werden können. Gemäß Art.
28 II GG fallen diese Aufgaben in den Verantwortungsbereich der Gemeinden
und dürfen ihnen nur unter genau festgelegten Voraussetzungen entzogen wer-
den (vgl. Gabriel/Ahlstich/Kunz 1997:328; Holtmann 1990:3; Kevenhörster/
Uppendahl 1987:31). Der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit gibt den Ge-
meinden das Recht, diese Aufgaben ohne Weisung des Staates zu erfüllen.
Demnach können die Gemeinden über sämtliche örtliche Aufgaben autonom
entscheiden3. Diese eigenverantwortliche Erfüllung von öffentlichen Aufgaben
wird als verwaltungs-organisatorische Funktion der kommunalen Selbstverwal-
tung bezeichnet.
Der zweite Bestandteil ist die politisch-demokratische Funktion (vgl.
Grauhan 1970:69; Henneke 1999:133). Das demokratische Leitbild der politi-
schen Ordnung auf der kommunalen Ebene orientiert sich dabei an jener der
staatlichen Ebene, die eindeutige Entscheidung der Verfassungsgeber für die
repräsentative Demokratie (vgl. Gabriel 1979a:90). So ist in Art. 28 I 2 GG
bestimmt, dass „das Volk in Ländern, Kreisen und Gemeinden“ demokratisch
gewählte Vertretungen haben muss (vgl. Schefold/Neumann 1996:284ff.).
Durch die Mitwirkung der Bürger soll der Übermacht der Verwaltungsbürokra-
tie entgegengewirkt und Bürgernähe gewährleistet werden, die sich insbesonde-
re in der Berufung von Bürgern in Ehrenämter praktisch zeigt (vgl. Schmidt-
Jortzig 1980:4). In der neueren Verfassungsinterpretation wird in Art. 28 I 2 GG
eine Gleichstellung der Kommunalvertretungen mit den Volksvertretungen auf
Länderebene und implizit auch auf Bundesebene gesehen (vgl. dazu ausführlich
2.1.2.4). Gabriel schlussfolgerte in einer Zusammenfassung der wissenschaftli-

2 Die Zuweisung öffentlicher Aufgaben basiert in Deutschland auf dem Subsidiaritätsprinzip.


Demnach sollen die öffentlichen Aufgaben möglichst bürgernah, d.h. in der kleinmöglichsten
Einheit, erfüllt werden.
3 Insgesamt lässt sich die kommunale Selbstverwaltung als ein Bündel verschiedener Hoheits-
rechte begreifen, zu denen insbesondere die Personalhoheit, d.h. die Berufung eigener Dienst-
kräfte, die Organisationshoheit als Recht zur eigenverantwortlichen Gestaltung des Gemeinde-
aufbaus und des Geschäftsablaufs, die Planungshoheit sowie die Finanzhoheit gehören (vgl.
hierzu Hesse/Ellwein 1992:62).
24 2. Konzeptionelle Grundlagen

chen Diskussion „dass das Grundgesetz mit der Vorstellung der Kommunalpoli-
tik als einer unpolitisch-genossenschaftlichen Angelegenheit gebrochen und die
Gemeinden in den demokratischen Staatsaufbau integriert hat“ (Gabriel
1979a:89; vgl. auch Schmidt-Eichstaedt 1985:31). Insgesamt wird daher in
dieser neueren Verfassungsinterpretation der kommunalen Ebene – ungeachtet
der formalen Zweistufigkeit des Bundesstaates – ein eigener Status (vgl. Woll-
mann 1999:61; 2.1.2.4) zuerkannt.

Die kommunalen Aufgaben


Die von den Gemeinden zu erfüllenden Aufgaben spiegeln die Doppelfunktion
der Kommunen wider, die sich aus der Einbindung der Gemeinden in die staat-
liche Verwaltung ergibt (vgl. Pfizer/Wehling 2000a:18; Gabriel/Ahlstich/Kunz
1997:329f.; Dauwe 1995:23; Schimanke 1984:343f.). So erfüllen die Gemein-
den nicht nur Aufgaben des eigenen Wirkungskreises (so genannte Selbstver-
waltungsaufgaben), sondern erledigen auch staatliche Aufgaben, die „den Ge-
meinden aus Zweckmäßigkeitsgründen“ (Wehling/Kost 2003:17) (Auftragsan-
gelegenheiten) übertragen werden. Hier nutzen die höheren Ebenen die Gegen-
standsnähe, die Sachkenntnis und die Verwaltungskraft der Gemeinden. Da sich
jedoch die Abgrenzung zwischen den beiden Aufgabenarten nicht klar trennen
lässt, ist man in der wissenschaftlichen Diskussion von dem Dualismus Staat –
Gemeinde abgekommen und nimmt nun eine Stufung der Aufgaben vor. Dabei
werden die Aufgaben danach gestuft, welche Einwirkungsmöglichkeiten die
höheren Ebenen auf die Wahrnehmung und Durchführung haben, und welche
Art der Aufsicht es durch den Staat gibt (vgl. Gabriel/Ahlstich/Kunz 1997:329f.;
Pfizer/Wehling 2000a:18)4. Bei den ‚Freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben’
liegt die Erfüllung ganz im Belieben der Gemeinde5. Die ‚Pflichtaufgaben ohne
Weisung’ müssen lediglich erfüllt werden, wobei die Art und Weise, das ‚Wie’
der Aufgabenerledigung den Gemeinden freisteht6. Bei den ‚Pflichtaufgaben
nach Weisung’ hingegen ist nicht nur die Wahrnehmung vorgeschrieben, son-
dern auch die Art und Weise der Durchführung7. Bei den ‚Staatlichen Aufga-

4 In der Literatur werden zumeist die ‚Freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben’ und die


‚Pflichtaufgaben ohne Weisung’ unter Aufgaben des eigenen Wirkungskreises gegliedert,
während die ‚Pflichtaufgaben nach Weisung’ und die ‚Staatlichen Aufgaben’ als Aufgaben des
übertragenen Wirkungskreises aufgefasst werden (vgl. Naßmacher/Naßmacher 1999:151).
5 Politikfelder sind beispielsweise Kultur und Sport. So kann die Gemeinde im Rahmen der
Gesetze selbst entscheiden, ob sie ein Museum einrichten will, ohne dass das Land befugt ist,
sich einzumischen.
6 Politikfelder sind hier z.B. der Straßenbau, Müll und die Energieversorgung. Der Staat hat
hierbei nur die Rechtsaufsicht.
7 Beispiele sind Feuerschutz und Bauaufsicht. Hierbei hat der Staat Sonderaufsicht
(Gemeindeordnungen und Spezialgesetze).
2.1 Kommunalpolitik 25

ben’8 fungiert die Gemeinde schließlich lediglich als untere staatliche Verwal-
tungsbehörde, wobei der Staat uneingeschränktes Weisungsrecht besitzt. Inso-
fern hat der Gemeinderat im Rahmen der ‚Freiwilligen Selbstverwaltungsaufga-
ben’ und – eingeschränkt – bei den ‚Pflichtaufgaben ohne Weisung’ einen
Handlungsspielraum, seine politischen Vorstellungen umzusetzen, während er
bei den anderen Aufgaben lediglich ausführendes Organ ist.
Für die Bundesrepublik ist also charakteristisch, dass die Ebenen des politi-
schen Systems nicht klar getrennt neben- bzw. untereinander existieren, sondern
in vielfältiger Art und Weise miteinander verflochten sind. Neben Bund und
Land hat auch immer mehr die Europäische Union Möglichkeiten, in die Selbst-
verwaltung der Kommunen einzugreifen. So sind die Kommunen immer stärker
von europäischen Regelungen betroffen, insbesondere auch im Bereich der
kommunalen Daseinsvorsorge (vgl. Karrenberg/Münstermann 2000:4; Schmidt-
Eichstaedt 1999:333ff.). Dies bedeutet, dass die Kommunen in ihren Entschei-
dungen eingeschränkt sind durch Regelungen, welche die drei Ebenen an sie
stellen. Insgesamt kann festgestellt werden, dass der Anteil der Aufgaben, bei
denen der Gemeinderat die Entscheidungsbefugnis hat, abgenommen hat (vgl.
Schmidt-Eichstaedt 1999:328; Dieckmann 1999:300). Als typische Beispiele
nennen Schäfer und Stricker unter anderem „die Beseitigung von Ermessens-
spielräumen [oder] die Umwandlung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben in
pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben“ (Schäfer/Stricker 1989:47)9.
Neben der Rechtsqualität der Aufgaben ist jedoch auch der finanzielle
Spielraum der Kommunen von hoher Bedeutung für die politischen Gestal-
tungsmöglichkeiten.
„Der politische Handlungsspielraum der Kommunalpolitik kann in einem ganz wesentlichen
Maße aus dem staatlich verfassten Finanzwesen der Gemeinden abgeleitet werden, [so dass
die kommunale Finanzautonomie] als ein konstitutiver Bestandteil der kommunalen Autono-
mie schlechthin gewertet werden kann“ (Kevenhörster/Uppendahl 1987:33; vgl. Holtkamp
2002).

Durch den zunehmenden Einfluss der übergeordneten Ebenen findet eine Bin-
dung von Ressourcen statt, welche die Kommunen an den Rand ihrer finanziel-
len Leistungsfähigkeit bringen. Zudem wird festgestellt, dass das Konnexi-
tätsprinzip – die Regelung, dass diejenige politische Ebene, die eine Regelung

8 Staatliche Aufgaben gibt es lediglich in einigen Bundesländern (Bayern, Niedersachsen,


Saarland). In anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern
und Schleswig-Holstein gibt es lediglich die Pflichtaufgaben nach Weisung.
9 Bereits 1960 ermittelte die Sachverständigenkommission für Verwaltungsvereinfachung in
Bonn, dass 80-90% der Aufgaben gesetzlich zugewiesene Auftragsangelegenheiten sind (vgl.
Voigt 1977:10). Obwohl diese Zahlen schon mehr als 40 Jahre alt sind, werden sie immer
noch genannt.
26 2. Konzeptionelle Grundlagen

veranlasst, auch für deren Finanzierung aufkommt – nur unzureichend ange-


wendet wird (vgl. Dieckmann 1999:297f.). So verschärft sich in jüngster Zeit
die Lage der Gemeinden mehr und mehr, denn
„bei engen fiskalischen Handlungsspielräumen neigen Entscheidungszentren übergeordneter
Ebenen nämlich dazu, ungelöste Probleme und Aufgaben zu dezentralisieren und die unterge-
ordneten Entscheidungseinheiten mit den finanziellen und politischen Folgekosten zu be-
lasten“ (Kevenhörster/Uppendahl 1987:14).

Insofern sagt die Höhe des Budgets allein nicht viel über die kommunale Hand-
lungsautonomie aus, da sehr hohe Summen der kommunalen Haushalte zweck-
gebundene Zuweisungen sind, so genannte ‚goldene Zügel’. Neben diesen zu-
nehmenden Eingriffen von übergeordneten staatlichen Ebenen haben insbeson-
dere die strukturellen und konjunkturellen Schwächen der deutschen Wirtschaft
sowie ein reformbedürftiger kommunaler Finanzausgleich dazu geführt, dass
sich die finanzielle Situation der Kommunen in Deutschland in den letzten bei-
den Jahrzehnten, insbesondere seit der deutschen Einheit, zugespitzt hat (vgl.
Kleinfeld 1996a:298; Hansmeyer 1997:209). So ist bei der Anzahl der defizitä-
ren Verwaltungshaushalte ein „sprunghafter Anstieg“ (Karrenberg/Münster-
mann 2002:5; vgl. Kuban 2003:28; Scherf/Hofmann 2003:320ff.) zu verzeich-
nen, insbesondere bei strukturschwachen Städten. Die Kommunen sind daher zu
einem strengen Konsolidierungskurs gezwungen. Da Ausgaben, die die Kom-
munen nach Weisung der übergeordneten Ebenen erledigen, weitgehend recht-
lich gebunden sind, sind die Kommunen dazu gezwungen, die Einsparungen vor
allem bei den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben zu erreichen. Dadurch
haben die Stadtparlamente einen immer geringeren finanziellen und damit poli-
tischen Handlungsspielraum.10
So hat die tatsächliche Entwicklung der Kommunalpolitik aufgrund der zu-
nehmenden Politikverflechtung und der Finanzkrise zu einer Einengung des
kommunalpolitischen Handlungsspielraums und zu einem Verlust an Gemein-
deautonomie geführt hat. (vgl. Holtkamp 2001; Zielinski 1999; Mäding 1998;
Kunz 2000; Bogumil/Kißler 1995:11). Die Autonomie der Gemeinde ist jedoch
für das Ermessen ihres Demokratiepotentials von Bedeutung, denn in einer
völlig abhängigen Gemeinde, die keine eigenen Entscheidungs- und Handlungs-
spielräume hat, hätten demokratische Strukturen nur Alibicharakter. So fragte

10 Nur ein Drittel der Einnahmen der Kommunen stammen in den alten Bundesländern aus
eigenen Steuereinnahmen, weitere 20% erhalten sie aus Gebühren und weiteren Einnahmen.
Rund 50% erhalten die Kommunen über die Finanzzuweisungen von übergeordneten staatli-
chen Ebenen (Gewerbesteuerumlage, Gemeindeanteile an Einkommens- und Umsatzsteuer,
Zuweisungen von EU, Bund und Ländern) (vgl. Schmidt-Eichstaedt 1999:336f.). Diese Aus-
gleichsfunktion von Bund und Ländern wurde in den letzten Jahren durch verschiedene gesetz-
liche Regelungen höher (vgl. Naßmacher/Naßmacher 1999:225).
2.1 Kommunalpolitik 27

Ueltzhöffer bereits 1975: „Was kann in der Gemeinde, in welchem Umfang und
mit welchem Effekt überhaupt noch entschieden werden?“ (Ueltzhöffer
1975:96). Offe stellte die These auf, dass die formelle kommunale Autonomie,
die in Art. 28 GG festgeschrieben ist, nur eine Scheinautonomie sei und die
Gemeinde als Filterzone, „die Entlastungsfunktionen für die zentralstaatliche
Ebene übernimmt, indem sie Problemlagen partikularisiert und somit den Zent-
ralstaat vor Legitimationsverlusten schützt“ (Offe zit. n. Haasis 1978:120),
missbraucht wird. Doch trotz dieses eingeschränkten Entscheidungs- und Hand-
lungsspielraums sind die Gemeinden wichtige und eigenständige Teile des Ge-
samtsystems. Geht man von der
„global-quantitativen Aufteilung der kommunalen Politik in autonome und außengesteuerte
Bereiche über zu der Perspektive, die der demokratischen Fragestellung am wichtigsten ist,
nämlich ihre Auswirkungen auf den Bürger, dann verschieben sich die Gewichte (noch) mehr
zur Gemeinde. Zahlreiche, zumindest in erster Instanz kommunale Entscheidungen haben
tiefgehende Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der Bürger“ (Simon 1988:18).

Obwohl also das Gewicht der Gemeinden in der vertikalen Gewaltenteilung im


Verhältnis zu Bund und Land schwach ist (vgl. Naßmacher 1994:195), haben
die Kommunen eine große Bedeutung für die demokratische Kultur in Deutsch-
land.
„Im Rahmen der wachsenden Komplexität der Gesamtsysteme bleibt die legitimierende und
partizipatorische Dimension der Kommunalpolitik von erheblicher Bedeutung für demokrati-
sche Systeme“ (Naßmacher 1994:195).

So stellen die Kommunen ein wichtiges Bindeglied zwischen dem politisch-


administrativen System und dem Bürger dar.

2.1.2 Die Kommunalvertretung im politisch-administrativen System auf


kommunaler Ebene

Nachdem die Stellung der kommunalen Ebene erläutert und auf den Handlungs-
und Entscheidungsspielraum der Kommunen eingegangen wurde, steht im Fol-
genden der Gemeinderat im politisch-administrativen System auf kommunaler
Ebene im Zentrum der Betrachtung. Wie in 2.1.1 erläutert, ist das Grundgesetz
die Grundlage für die Arbeit des Rates. Daraus geht das Prinzip der repräsenta-
tiven Demokratie auf kommunaler Ebene hervor. Die kommunale Vertretungs-
körperschaft wird demnach in unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen
Wahlen bestimmt. Den Gemeinden wird das Recht gewährleistet, alle Angele-
genheiten der örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich zu regeln (Art. 28
GG). Eine weitere gesetzliche Grundlage für die Kommunalvertretungen bilden
28 2. Konzeptionelle Grundlagen

die Kommunalverfassungen der jeweiligen Bundesländer. Die darin verankerten


kommunalen Institutionensysteme (auch ‚Innere Gemeindeverfassung’) und
damit die Stellung der kommunalen Vertretungskörperschaft unterscheiden sich
teilweise erheblich11.. In einem ersten Schritt werden daher die Kommunalver-
fassungen erläutert. Des Weiteren wird das Verhältnis der beiden zentralen
Institutionen der kommunalen Selbstverwaltung – der ehrenamtliche Rat und die
hauptamtliche Verwaltung – genauer beleuchtet und die zentralen Debatten im
Rahmen der kommunalwissenschaftlichen Forschung zusammengefasst. Im
Anschluss daran stehen die Aufgaben der Kommunalparlamente ebenso wie die
Organisation der Ratsarbeit im Zentrum der Betrachtung, bevor das Dilemma
der Ehrenamtlichkeit und die Professionalisierungstendenzen in deutschen
Großstädten ebenso diskutiert werden wie die Relevanz der vorliegenden Arbeit
für die kommunalwissenschaftliche Forschung.

2.1.2.1 Kommunalverfassungen

Wie erläutert, bestimmen die Kommunalverfassungen neben dem Art. 28 GG


die Kompetenzen und Aufgaben des Gemeinderats. In den einzelnen Bundes-
ländern haben sich dabei verschiedene Kommunalverfassungen mit unterschied-
lichen Gemeindeordnungen und Wahlsystemen der kommunalen Vertretungs-
körperschaften herausgebildet. Bis zu den zum Teil sehr grundlegenden Refor-
men der 1990er Jahre unterschied man bei den Kommunalverfassungen vier
Idealtypen (vgl. hierzu Frey/Holler 1976:241ff.; Schmidt-Eichstaedt 1989:17ff.;
Bogumil 2002a:24ff.):

ƒ Norddeutsche Ratsverfassung (Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen),


ƒ Süddeutsche Ratsverfassung (Baden-Württemberg, Bayern),
ƒ Bürgermeisterverfassung (Rheinland-Pfalz, Saarland, Landgemeinden in
Schleswig-Holstein) und
ƒ Magistratsverfassung (Hessen, Städte in Schleswig-Holstein).

Dabei unterscheiden sich die vier Kommunalverfassungstypen insbesondere


hinsichtlich der Aufgabenverteilung zwischen Gemeinderat und Verwaltung,
den Aufgaben, Rechtsstellung und Bezeichnung des Ratsvorsitzenden und der
Leitung der Verwaltung und Vertretung der Stadt (vgl. Simon 1988:9; vgl. Wal-

11 Die Unterschiede zwischen den Kommunalverfassungen sind dabei durch unterschiedliche


Selbstverwaltungstraditionen bedingt – entweder aufgrund der Traditionen der Vorgängerstaa-
ten (Preußen, Württemberg) oder aufgrund des Einflusses der Besatzungsmächte (Nordrhein-
Westfalen, Niedersachsen) (vgl. Giese 1999:77).
2.1 Kommunalpolitik 29

ter 2002:172). Im Folgenden werden die vier traditionellen Typen der Gemein-
deordnungen erläutert, um dann auf die Änderungen in den jeweiligen Kommu-
nalverfassungen einzugehen, die in den 1990er Jahren beschlossen wurden. Die
ehemaligen Typen der Kommunalverfassungen werden auch deshalb hier erläu-
tert, weil zu erwarten ist, dass die Lernprozesse eher lange dauern und dass
daher die „erwarteten Veränderungen der Kommunalpolitik nicht unbedingt
bereits eingetroffen sind – weder ganz noch teilweise“ (Wehling/Kost 2003:10).
Im Zentrum der Betrachtungen stehen im Folgenden insbesondere jene Rege-
lungen, die einen Einfluss auf die Handlungsmöglichkeiten der kommunalen
Vertretungskörperschaften haben. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Analy-
se der Gesetze für die Wahl der Kommunalparlamente, die innerhalb dieser
Kommunalverfassungen Anwendung finden.

Süddeutsche Ratsverfassung
Kennzeichnend für die Süddeutsche Ratsverfassung ist die starke Stellung des
Bürgermeisters: Er ist stimmberechtigter Vorsitzender des Rates, leitet die Ver-
waltung, kümmert sich um die laufenden Geschäfte und ist somit Repräsentant
und Rechtsvertreter der Gemeinde (vgl. Wehling/Kost 2003:11). Seine Macht-
fülle ist dadurch legitimiert, dass er ebenso wie der Gemeinderat direkt von den
Bürgern gewählt wird (vgl. Borchmann 1984:273). Aufgrund dessen wird dieser
Gemeindeverfassungstyp auch „Süddeutsche Bürgermeisterverfassung“ genannt
(vgl. Knemeyer 1989:39; Wehling 2003:29f.). Bei der Wahl der Gemeinderats-
mitglieder können die Wähler die Stimmen kumulieren und panaschieren12 und
den Gemeinderat somit individuell zusammensetzen, was den Einfluss der Par-
teien verringert (vgl. Wehling 1998; Holtmann 1999). In Baden-Württemberg
werden auch in den größeren Städten insbesondere Honoratioren gewählt (vgl.
Wehling 2003:31f.), während in den bayerischen Großstädten eher entlang der
Parteipräferenzen gewählt wird (vgl. März 2003:48).13

Norddeutsche Ratsverfassung
Die Norddeutsche Ratsverfassung als Gegentyp zur Süddeutschen Ratsverfas-
sung zeichnet sich durch einen starken, demokratisch legitimierten Rat und
einen verhältnismäßig schwachen Verwaltungschef aus, der ‚entpolitisiert’ das
Werkzeug des Rates sein sollte (vgl. Giese 1999:62; Wehling/Kost 2003:11).
Die drei Führungsfunktionen Vorsitz im Rat, Leitung der Verwaltung und Ver-
tretung der Gemeinde sind auf zwei Amtsinhaber aufgeteilt: Der Rat wählt aus

12 Dabei haben die Wähler so viele Stimmen wie Sitze im Rat zu vergeben sind.
13 In Baden-Württemberg gibt es bereits von Beginn an Bürgerentscheide, die sowohl vom
Gemeinderat eingeleitet als auch durch ein Bürgerbegehren erzwungen werden können (vgl.
zu den prozeduralen und materiellen Beschränkungen Wehling 2003:35f.).
30 2. Konzeptionelle Grundlagen

seiner Mitte einen Bürgermeister, der Vorsitzender des Rates und oberster poli-
tischer Repräsentant ist14. Diesem ehrenamtlichen Bürgermeister wird mit dem
hauptamtlichen Gemeinde- bzw. Stadtdirektor ein machtvolles Gegenüber ge-
stellt, der vom Rat gewählt wird und von diesem jederzeit mit qualifizierter
Mehrheit abberufen werden kann. Der Stadtdirektor leitet die Verwaltung, berei-
tet die Beschlüsse des Rates vor und sorgt für deren Rechtmäßigkeit und Aus-
führung.
Wegen des Nebeneinanders von Bürgermeister und Stadtdirektor spricht
man hier auch von der zweigleisigen Kommunalverfassung im Gegensatz zur
eingleisigen im süddeutschen Ratsmodell. Jedoch waren auch bei genauer
Kompetenzabgrenzung in der Gemeindeordnung ‚Übergriffe’ nicht zu vermei-
den, die zu entsprechenden Konflikten führten. So gab es speziell in den großen
Städten in Nordrhein-Westfalen oft Reibungsverluste innerhalb des Kompetenz-
streits zwischen Bürgermeister und Stadtdirektor.15 Zusätzlich ermöglichte die
Norddeutsche Ratsverfassung insbesondere durch das kommunale Wahlrecht
dem Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion eine starke Machtposition. Dort er-
möglichte das Verhältniswahlrecht mit starren Listen keine individuellen
Wahlmöglichkeiten für die Bürger: Der Einfluss der Wähler auf die Kandida-
tenaufstellung und die Listenplatzierung war sehr gering, was dazu führte, dass
die politischen Parteien eine relativ große Machtfülle erhielten (vgl. Klein-
feld/Nendza 1996:79; Simon 1988:10).

Magistratsverfassung
In Hessen und in den Städten Schleswig-Holsteins hat sich das preußische Mo-
dell der Magistratsverfassung bis zum heutigen Tage erhalten. Die Magistrats-
verfassung beruht auf dem Modell der Gewaltenteilung, das dem parlamentari-
schen System mit einer Stadtverordnetenversammlung als Volksvertretung und
dem Magistrat sowie dem (Ober-)Bürgermeister an der Spitze als Stadtregierung
sehr nahe kommt. Volksvertretung und Verwaltung sind deutlich getrennt.16 Die
von den Bürgern gewählte Stadtverordnetenversammlung wählt und kontrolliert
den Magistrat, der als „eine Art kollektiver Gemeindevorstand“ (Holtmann

14 Die Vorsitzenden der Ausschüsse wurden ebenfalls aus der Mitte der Ratsmitglieder gewählt.
15 Dies führte zu einem „System mit undurchsichtigen Verantwortlichkeiten: Die Verantwortung
verschwand nur allzu oft im Bermuda-Dreieck von Bürgermeister, Oberstadtdirektor und Vor-
sitzenden der dominierenden Ratsfraktion“ (Wehling/Kost 2003:11; vgl. auch Borchmann
1984:273; Kleinfeld/Nendza 1996:76; Derlien 1994:48). Daher wurde dieses System als äu-
ßerst konfliktträchtig eingestuft, in ihm sei eine Vermengung von Verantwortlichkeiten mit al-
len negativen Konsequenzen auch für die Ergebnisse der Kommunalpolitik gegeben (vgl.
Naßmacher 1989:225; Banner 1989:57).
16 Die Stadtverordnetenversammlung wählt ihren eigenen Vorsitzenden, den Stadtverordneten-
vorsteher.
2.1 Kommunalpolitik 31

1990:7) fungiert und die Verwaltung leitet17. Der Oberbürgermeister ist Leiter
der Verwaltung, gegenüber den anderen Magistratsmitgliedern aber lediglich ein
„primus inter pares“ (Borchmann 1984:272) und damit auch den Mehrheitsbe-
schlüssen des Magistrats unterworfen, die er nach außen zu vertreten und auszu-
führen hat.18 Die Amtszeit von Magistrat und Bürgermeister übersteigt jene der
Stadtverordnetenversammlung. So wird in Hessen die Stadtverordnetenver-
sammlung bislang für vier Jahre, der Bürgermeister und die Magistratsmitglie-
der für sechs Jahre gewählt. Dies kann jedoch zu Konflikten führen, wenn der
Magistrat keine Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung mehr hat. Um
dies zu verhindern, erlaubt die hessische Gemeindeordnung nun den neu konsti-
tuierten Stadtverordnetenversammlungen bei wechselnden Mehrheiten in den
zwölf Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern, innerhalb der ersten sechs Mo-
nate nach Zusammentritt der neuen Stadtverordnetenversammlung die
Magistratsmitglieder mit einfacher Mehrheit abzuwählen und durch neue zu
ersetzen. Dadurch wird gleichzeitig die Stellung der
Stadtverordnetenversammlung gestärkt. Dies lässt sich „als Schritt in Richtung
Parlamentarisierung von Kommunalpolitik interpretieren“ (Wehling/Kost
2003:12; vgl. auch Giese 1999).
Bürgermeisterverfassung
In Rheinland-Pfalz, dem Saarland sowie den Landgemeinden in Schleswig-
Holstein findet die Bürgermeisterverfassung Anwendung. Die Stellung des
Bürgermeisters entspricht jener im Süddeutschen Ratsmodell: Er ist stimmbe-
rechtigter Vorsitzender des Rates, Chef der Verwaltung und Repräsentant der
Gemeinde. Im Gegensatz zum Süddeutschen Ratsmodell wird hier der Bürger-
meister jedoch nicht direkt vom Volk gewählt, sondern vom Gemeinderat19.

17 Die ehrenamtlichen Beigeordneten werden von der Stadtverordnetenversammlung nach Pro-


porz gewählt, so dass (fast) alle Fraktionen im Magistrat vertreten sind. In Hessen gilt gemäß
der Steinschen Städteordnung die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in Stadtverordnetenver-
sammlung und Magistrat, d.h. wer aus dem Rat dorthin gewählt worden ist, muss seinen Sitz
in der Stadtverordnetenversammlung aufgeben. In der Praxis führt das häufig dazu, dass ver-
diente Kommunalpolitiker in den Magistrat gewählt werden. Der Magistrat besteht aus haupt-
amtlichen und ehrenamtlichen Beigeordneten, wobei die Zahl der hauptamtlichen die der eh-
renamtlichen nicht übersteigen darf. Die Beigeordneten sind nicht Untergebene des Verwal-
tungschefs innerhalb eines hierarchischen Verwaltungsaufbaus, sondern gleichberechtigte
Mitglieder eines regierungsähnlichen Gremiums (Magistrat) unter Vorsitz des Bürgermeisters.
18 Seit 1993 wird der Oberbürgermeister jedoch direkt gewählt. Seither ist er berechtigt, seine
abweichende Meinung nach außen deutlich zu machen (vgl. Wehling/Kost 2003:12).
19 In den Städten von Rheinland-Pfalz mit mehr als zwei Beigeordneten gibt es eine Besonder-
heit, die in Richtung Magistratsverfassung geht: Hier gibt es seit 1973 einen formellen Stadt-
vorstand – bestehend aus Bürgermeister und Beigeordneten – mit eigenen Rechten, der den
Bürgermeister bindet. Dieser ist zuständig für die Vorbereitung wichtiger Ratsbeschlüsse, für
Eilentscheidungen und für die Zustimmung zur Gemeinderat-Tagesordnung (vgl. Klein-
feld/Nendza 1996; Wehling/Kost 2003:13).
32 2. Konzeptionelle Grundlagen

Ausgehend von Ostdeutschland wurden in den 1990er Jahren mit Ausnahme


von Baden-Württemberg alle Kommunalverfassungen reformiert. Bereits in den
1980er Jahren waren insbesondere im Rahmen der Effizienzdebatte in West-
deutschland die Stärken und Schwächen der verschiedenen institutionellen Ord-
nungen diskutiert worden. Zugespitzt wurden die Norddeutsche Ratsverfassung
in Nordrhein-Westfalen und die Süddeutsche Ratsverfassung in Baden-
Württemberg gegenübergestellt. Dabei wurde auf die (vermeintlich) höhere
Verwaltungseffektivität der Süddeutschen Ratsverfassung verwiesen (vgl. Schi-
manke 1989; Banner 1984; Thränhardt/Uppendahl 1981). Allerdings konnte in
empirischen Studien die behauptete Überlegenheit des süddeutschen Modells
nicht bestätigt werden (vgl. Derlien 1994; Voigt 199220). Diese Reformdiskussi-
onen in den alten Bundesländern wurden jedoch erst mit der Neuordnung der
Kommunalverfassungen in den neuen Bundesländern in konkrete Veränderun-
gen überführt. Dies führte dazu, dass trotz der nach wie vor bestehenden Unter-
schiede zwischen den einzelnen Kommunalverfassungen diese zu einem Aus-
maß vereinheitlicht wurden, das angesichts des Föderalismus’ nicht erwartet
worden war (vgl. Bogumil 2002a:29; vgl. auch Henneke 1996; Knemeyer 1997;
Gisevius 1999). Dabei wurden die Kommunalverfassungen in Richtung des
Süddeutschen Ratsmodells verändert, so dass Knemeyer von einer „Reduzie-
rung der Grundtypen durch den ‚Siegeszug der süddeutschen Kommunalverfas-
sung’“ (Knemeyer 1999:105) spricht. Die Rahmenbedingungen der Kommunal-
politik wurden durch nachfolgende Punkte geändert:

ƒ Durch die Einführung direktdemokratischer Elemente: Neben den Verän-


derungen aus Effizienzgründen wurden in allen Gemeindeordnungen di-
rektdemokratische Elemente eingeführt, die die Bürger stärker in den Ent-
scheidungsprozess einbinden sollten (vgl. Henneke 1999:135; Bogumil
2002a; Mittendorf/Rehmet 2002:203ff.; Schefold/Neumann 1996:120ff.).
So wurden in allen Bundesländern Bürgerentscheide und Bürgerbegehren
eingeführt, die institutionell betrachtet zu einer „Neuverteilung politischer
Macht in den Kommunen“ (vgl. Gabriel 1999:32921) führten.
ƒ Durch eine Stärkung des Bürgermeisters: Zum einen durch die Direktwahl
selbst, die dem Amtsinhaber ein höheres Maß an Legitimation gibt. Zum
anderen durch einen Zugewinn an Kompetenzen. Diese zeichnen sich
durch eine Einköpfigkeit des Gemeindevorstandes aus. Zwischen 1991 und

20 So konnte Voigt zeigen, dass das kommunale Entscheidungssystem nur bedingt von der in der
Kommunalverfassung niedergelegten Struktur abhängig ist (vgl. Voigt 1992).
21 Allerdings zeigt die Studie von Gabriel, dass die Nutzung dieser partizipativen Elemente eher
ernüchternd ist, dass aber bereits das Vorhandensein dieser Einflussmöglichkeit zu einer höhe-
ren politischen Responsivität der politischen Führung geführt habe (vgl. Gabriel 1999:331).
2.1 Kommunalpolitik 33

1996 wurde in allen Bundesländern die Direktwahl des Bürgermeisters


eingeführt und seine administrative Stellung ausgebaut (vgl. Sche-
fold/Neumann 1996:99ff.). In den beiden Bundesländern mit der Norddeut-
schen Ratsverfassung wurde im Jahr 1994 (Nordrhein-Westfalen) bzw.
1996 (Niedersachsen) die Doppelspitze abgeschafft. Anstelle von Bürger-
meister und Stadtdirektor ist nun der Bürgermeister auch Verwaltungschef
und hat damit eine ähnliche Machtposition wie der Bürgermeister im süd-
deutschen Ratsmodell. Dies bedeutete aber zugleich eine Entmachtung des
Rates (vgl. zum Reformprozess in Nordrhein-Westfalen Kleinfeld/Nendza
1996:78ff.).

2.1.2.2 Das Verhältnis von Rat und Verwaltung

Neben der (formal) ehrenamtlichen Vertretungskörperschaft ist in allen deut-


schen Kommunalverfassungen als die zweite wesentliche Institution der kom-
munalen Selbstverwaltung eine eigenständige hauptamtliche Verwaltungsbe-
hörde verankert, an deren Spitze der von der Bevölkerung direkt gewählte Bür-
germeister steht (vgl. Schmidt-Eichstaedt 1985:21f.; Frey/Holler 1976:241ff.;
Schefold/Neumann 1996; Knemeyer 1999). Das Verhältnis von Rat und Ver-
waltung steht schon seit Ende der 1960er Jahre auf der Agenda der kommunal-
wissenschaftlichen Forschung, wobei sich drei unterschiedliche Debatten erken-
nen lassen (vgl. Bogumil 2002a): Bis Ende der 1980er Jahre war die Diskussion
demokratietheoretisch ausgerichtet. Ausgangspunkt dabei war die Vormachtstel-
lung der Verwaltung und die Kritik an der kommunalen Vertretungskörper-
schaft. So wurde bemängelt, dass diese lediglich die Vorlagen der Verwaltungen
ratifizieren würden. Ziel war die Stärkung der politischen Führung. Zentral
waren dabei zum einen die drei von Grauhan entwickelten Modelle politischer
Verwaltungsführung „legislatorische Programmsteuerung“, die „exekutive Füh-
rerschaft“22 und das „korrelative Führungsmodell“ (vgl. Grauhan 1969) und zum
anderen das von Banner entwickelte „Vorentscheiderkonzept“23 (Banner 1972).

22 Das Modell der „exekutiven Führerschaft“ (Grauhan 1969, 1970:269ff.) geht dabei davon aus,
dass die Verwaltung die inhaltliche Ausgestaltung der Politik zumindest stark präjudiziert,
wenn nicht sogar wesentlich bestimmt. Durch das Informationsverarbeitungsdefizit der Kom-
munalvertretungen würde ein Entscheidungs- und Machtvakuum entstehen, das von der haupt-
amtlichen Verwaltung ausgefüllt wird (vgl. auch Vetterlein 1976:536; Bogumil 2002a:12f.;
Holler/Naßmacher 1976).
23 Die These über die „exekutive Führerschaft“ wurde durch das von Banner entwickelte „Vo-
rentscheider-Konzept“ (Banner 1972; vgl. Naßmacher/Naßmacher 1979:126ff.; Bogumil
2002a:13) relativiert. Demnach würden zumindest wichtige Vorlagen in der Regel von der
Verwaltung erst nach Abstimmung in informellen Kreisen bestehend aus Verwaltungs- und
Ratsvertretern vorgelegt. Daher ist eine politische Einflussnahme auf die Vorlagen durchaus
34 2. Konzeptionelle Grundlagen

In den 1980er Jahren wurde das Verhältnis von Rat und Verwaltung aus der
genau umgekehrten Perspektive problematisiert: Mit dem Effizienzargument
wurde dabei die Norddeutsche Ratsverfassung kritisiert, insbesondere bezüglich
des überzogenen Ausgabenverhaltens gewählter Kommunalpolitiker und deren
zunehmende Eingriffe in den Ablauf der Kommunalverwaltung. Dadurch ent-
flammte eine Debatte um den Zusammenhang zwischen kommunalem Ent-
scheidungssystem und der Kommunalverfassung, die mit zu den Reformen der
Kommunalverfassungen beigetragen hat24.
Seit den 1990er Jahren bezieht sich die aktuelle Debatte auf die Neuen
Steuerungsmodelle, die hinsichtlich der demokratischen Steuerung und unter
Effizienzgesichtspunkten somit seit langem Gegenstand der wissenschaftlichen
Diskussion sind (vgl. Brandel et al. 1999:7; Bogumil 2002a:9). Das Konzept des
Neuen Steuerungsmodells basiert in der Gesamtphilosophie und in wichtigen
Elementen auf Reformmodellen, die international unter der Gesamtsperspektive
des ‚New Public Management’ entwickelt und erprobt wurden. Beim New Pub-
lic Management handelt es sich um die Gesamtheit möglicher Strategien zur
Schließung der Modernisierungslücke im öffentlichen Sektor (Budäus 1994:46)
mit Betonung auf die steuernden und effizienzfördernden Kräfte von Markt und
Wettbewerb (vgl. Struwe 1995:20-32; Reichard 1996:241ff.). Während sich die
wissenschaftliche Diskussion zu Beginn des Prozesses vor allem auf die verwal-
tungsinternen Vorgänge konzentrierte und die Politik nicht mit einbezogen wur-
de, hat sich in den vergangenen Jahren das Interesse in der wissenschaftlichen
Debatte verstärkt auf die Probleme und Auswirkungen des Reformmodells auf
die Kommunalpolitik gerichtet (vgl. Weiß 2002; KGSt 1999; vgl. Bogumil/
Kißler 1997a:135; 1997b).

gegeben. „Politische Vorlagen von einiger Tragweite werden im Allgemeinen nicht unvermit-
telt von der Verwaltung in das formalorganisatorische Entscheidungssystem (Fachausschüsse,
Rat) eingeleitet. In der Praxis ist unübersehbar, dass kleinere Personengruppen über den Inhalt
solcher Vorlagen zumindest in den Grundzügen vorentscheiden. (...) Die Gruppe der Vorent-
scheider bildet (...) den Transmissionsriemen zwischen der bürokratischen Vorbereitungsma-
schinerie und dem politischen Entscheidungsorgan. [...Dieses System weist] zweifellos Züge
einer Oligarchie auf, (...) die den subalternen Verwaltungsmitarbeiter ebenso wie den Hinter-
bänkler im Rat von größerem politischen Einfluss ausschließt“ (Banner 1972:166f.).
24 Inwiefern es in den Entscheidungsstrukturen Unterschiede aufgrund der verschiedenen Ge-
meindeordnungen gibt, wurde häufig diskutiert. Tendenziell wird dabei das Modell der exeku-
tiven Führerschaft angesichts des starken Bürgermeisters eher als Kennzeichen der Süddeut-
schen Ratsverfassung gesehen (Grauhan 1970), während in der Norddeutschen Ratsverfassung
die Macht eher beim Gemeinderat, der Mehrheitsfraktion und den Vorentscheiderkreisen ge-
sehen wird (Banner 1982, 1984). Allerdings konnte in empirischen Studien gezeigt werden,
dass die realen Entscheidungsstrukturen stark von der lokalen politischen Kultur beeinflusst
sind und unter den Bedingungen der gleichen Gemeindeordnung sehr unterschiedlich sein
können (vgl. Naßmacher 1989:193; Voigt 1994).
2.1 Kommunalpolitik 35

„Das neue Leitbild, das die Vertreter des Neuen Steuerungsmodells für die politische Vertre-
tung und den politischen Prozess zeichnen, ist geprägt vom Führungsanspruch der Volksver-
tretung“ (KGSt 1999:64).

In diesem Kontext löste seit Beginn der Reformen die Definition der Schnittstel-
le zwischen den Aufgaben der politischen Gremien und der Verwaltung große
Diskussionen aus. Das Neue Steuerungsmodell empfiehlt eine ‚Steuerung auf
Abstand’, was bedeutet, dass der Rat sich in erster Linie mit langfristigen, stra-
tegischen Problemen befassen und die Verwaltung durch Grundsatzvorgaben
steuern soll (vgl. Schumacher 1996:224; Mersmann 1994:217). „Einzelent-
scheidungen im Alltagsgeschäft sollen auf Ausnahmen beschränkt sein“ (Weiß
2002:58f.). So stellte die Kommunale Geschäftsstelle bei der Einführung des
Neuen Steuerungsmodells das Credo auf: „Die Politik ist für das ‚Was’, die
Verwaltung für das ‚Wie’ der kommunalen Leistungserstellung verantwortlich“
(KGSt 1993:Bericht 5:17). Dies führte zu Protesten der Kommunalpolitiker, die
eine Einschränkung der Vertretung der Bürgerinteressen und einen Einflussver-
lust auf die Verwaltung befürchteten (vgl. Henneke 1996:449). Die strenge
Aufteilung der Verantwortungssphären wurde daher in der Zwischenzeit relati-
viert (vgl. KGSt 1996: Bericht 10:17). Der neueste Ansatz geht von einer Auf-
teilung in drei Managementdimensionen aus – dem normativen, strategischen
und operativen Management25 (Heinz 2000:13ff.). Politik und Verwaltungsfüh-
rung betreiben kommunales Management in allen drei Bereichen, jedoch mit
unterschiedlicher Schwerpunktsetzung (vgl. Heinz 2000:187ff.). Der Schwer-
punktverantwortungsbereich der Politik soll im normativen und strategischen
Management liegen, während er im operativen gering ist (Heinz 2000:25). Nach
diesem Modell kann nun aber der Rat jederzeit Verbesserungsvorschläge ein-
bringen, die sich durch die Rückkopplung mit den Bürgern ergeben (Banner
1997:130), ohne zum alten „Verantwortungsmix“ (KGSt 1996: Bericht 10:16)
zurückzukehren. Ziel ist also eine Aufgaben- und Zuständigkeitsabgrenzung
zwischen Rat und Verwaltung in den Bereich der „Politikformulierung“ im
Sinne der politischen Zielvorgaben (Rat), und in den Bereich der „Politik-
implementation“, der wirksamen Umsetzung der politischen Grundsatzentschei-
dungen (Verwaltung) (Rieckenbacher 1995:405).

25 Das normative Management: der programmatische, konstitutionelle und kulturelle Entwick-


lungspfad einer Kommune, beinhaltet die generellen und längerfristigen Ziele wie Leitbilder
und Organisationskultur. Das strategische Management: Beitrag zu gesellschaftlichen Wir-
kungen, ebenfalls langfristig angelegt; Zielfelder: Ergebnisse/Wirkungen, Programme/Pro-
dukte, Prozesse/Strukturen). Das operative Management: Die Umsetzung der normativen und
strategischen Ziele in operationalisierte Ziele und Aktivitäten (Heinz 2000:13ff.).
36 2. Konzeptionelle Grundlagen

2.1.2.3 Die Funktionen der Kommunalvertretung

Wie erläutert, hat die Vertretungskörperschaft in allen deutschen Kommunalver-


fassungen eine dominierende Rolle im politischen Willensbildungs- und Ent-
scheidungsprozess: Der Gemeinderat ist oberstes politisches Organ und hat das
Recht, grundsätzlich über die wesentlichen Angelegenheiten der kommunalen
Selbstverwaltung zu entscheiden26 (vgl. Naßmacher/Naßmacher 1999:274).
Darunter fällt beispielsweise auch das Recht, Satzungen, also Rechtsvorschrif-
ten für den gemeindlichen Bereich, zu erlassen. Dieses Recht wird in der kom-
munalwissenschaftlichen Literatur als Steuerungs- und Zielbildungsfunktion
interpretiert.
Dem Gemeinderat werden in der politikwissenschaftlichen und kommunal-
rechtlichen Literatur aufgrund von Interpretationen der Gemeindeordnungen
neben der Steuerungs- und Zielbildungsfunktion weitere Funktionen zugewiesen
(vgl. dazu insbesondere Gabriel/Ahlstich/Kunz 1997:345-346; Naßmacher
1989:179; 1999:280; Schmidt-Jortzig 1982): Die Artikulations- und Repräsenta-
tionsfunktion, nach der der Gemeinderat die zu lösenden Probleme zu formulie-
ren und die Gemeinde sowohl nach außen und innen zu vertreten hat. Die Initia-
tivfunktion beinhaltet das Recht für die einzelnen Mitglieder des Rates, Fraktio-
nen und den gesamten Rat, Themen in den Entscheidungsprozess einzubrin-
gen27. Des Weiteren gehört die Informations- und Kontrollfunktion dazu: So ist
eine der wichtigsten Aufgaben des Gemeinderats seine Funktion als Kontrollor-
gan der Verwaltung. Der Gemeinderat überwacht dabei die Ausführung seiner
Ratsbeschlüsse; dafür ist die Verwaltung verpflichtet, die Vertretungskörper-
schaft regelmäßig über die wichtigsten Angelegenheiten zu informieren. Dieses
Recht ist die Voraussetzung für die Kontrolle. Der Rat kann aber auch Informa-
tionen gezielt von der Verwaltung verlangen. Diese „Kontrollrechte“, insbeson-
dere in Form von Informations-, Frage- und Akteneinsichtsrechten, wurden in
den letzten Jahren gestärkt (vgl. Wollmann 1999:57; Schefold/Neumann
1996:98ff.)28. Schließlich erfüllt der Rat Wahlfunktionen, da er befugt ist, Beige-
ordnete zu bestellen.

26 Einschränkungen gibt es hierbei bei Geschäften der laufenden Verwaltung, die im Einzelnen
beschrieben werden müssen und bei Aufgaben, die dem Bürgermeister kraft Gesetzes vorbe-
halten sind. So heißt es z.B. in der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums Baden-
Württemberg: „Dem Gemeinderat kommt als Vertretung der Bürger und Hauptorgan der Ge-
meinde die Entscheidung in allen Angelegenheiten der Gemeinde zu, soweit nicht ausdrück-
lich die Zuständigkeit des Bürgermeisters begründet ist. In Zweifelsfällen besteht somit die
Vermutung für die Zuständigkeit des Gemeinderates“ (vgl. Naßmacher/Naßmacher 1999:274).
27 Diese Funktion teilt der Rat mit anderen Akteuren, insbesondere mit der Verwaltung, die die
Aufgabe hat, Beschlüsse für den Rat vorzubereiten (vgl. Bovenschulte/Buß 1996:18ff.).
28 Wollmann sieht die Stärkung dieser Kontrollrechte als ein Indiz für die rechtliche Veranke-
rung der faktischen Parlamentarisierung auf kommunaler Ebene (vgl. Wollmann 1999:57).
2.1 Kommunalpolitik 37

2.1.2.4 Kommunalvertretung – Parlament oder unpolitisches


Verwaltungsorgan?

In der kommunalwissenschaftlichen und rechtswissenschaftlichen Literatur ist


die Frage, ob der Gemeinderat ein unpolitisches Verwaltungsorgan ist oder ob
es sich hierbei um ein Parlament handelt, seit langem Gegenstand einer komple-
xen wissenschaftlichen Diskussion. Mittlerweile haben sich hierbei zwei Dis-
kursgemeinden herausgebildet (vgl. zu den folgenden Ausführungen insbeson-
dere Wollmann 1999:58ff.):
Auf der einen Seite steht die traditionelle Auffassung, die heute noch ins-
besondere von der juristischen Kommunalwissenschaft vertreten wird und die
sich auf das geltende Verfassungs- und Gesetzesrecht stützt (vgl. Knemeyer
1982:204). Ausgangspunkt dieser Argumentation ist die Tatsache, dass die
Bundesrepublik ein zweistufiger Bundesstaat ist, und die Gemeinden daher
keine originäre Staatlichkeit und Staatsgewalt besitzen und staatsrechtlich Teil
der Exekutive der Länder sind. Selbst die nach Art. 28 GG garantierten Aufga-
ben seien „zunächst Aufgaben des Staates (...) und der Staat [hat] diese seine
gemeindlichen Aufgaben aus bestimmten Gründen auf die Gemeinden dele-
giert“ (Ott 1994:107). Danach ist „kommunale Selbstverwaltung (...) letztlich
eine Form dezentralisierter Staatsverwaltung und die Kommunalvertretung
mithin (...) [ein] Verwaltungsorgan“ (Wollmann 1999:58). So bestimmt bei-
spielsweise die baden-württembergische Gemeindeordnung: „Verwaltungsorga-
ne der Gemeinde sind der Gemeinderat und der Bürgermeister“ (GOBW §23).
Demnach können kommunale Vertretung und die Verwaltung nicht wie auf den
anderen Ebenen nach Parlament und Regierung und auch nicht nach Opposition
und Regierungsmehrheit unterschieden werden (vgl. Simon 1988:20, BVerfGE
6, 10529). Da also
„die Kommunalvertretungen im Ergebnis weder ‚echte’ legislative Befugnisse besäßen noch
ihr institutionelles Pendant eine ‚echte’ exekutive Gewalt sei, sei es staatsrechtlich ausge-
schlossen, sie als Parlamente zu qualifizieren“ (Wollmann 1999:60).

Auf der anderen Seite steht die neuere – insbesondere aus Politikwissenschaft-
lern, aber auch Juristen bestehende – Diskursgemeinde, die sich in erster Linie
auf die tatsächlichen Entwicklungen auf kommunaler Ebene, auf rechtlich neue-
re verfassungs- und kommunalgesetzliche Regelungselemente, aber auch auf
den oben erwähnten Art. 28 I 2GG stützen (vgl. Wollmann 1999:59f.). Dieser
bestimmt, dass die Kommunen demokratisch gewählte Vertretungen haben

29 BVerfGE 6, 105: Während zu den Funktionen des Bundestages und der Landtage die „Gesetz-
gebung und Regierungsbildung“ gehöre, sei die Funktion der Kommunalvertretung „die Ver-
waltung der Gemeinde“.
38 2. Konzeptionelle Grundlagen

müssen und stellt diese damit ihrer Interpretation nach implizit in eine Linie mit
den Volksvertretungen auf den höheren Ebenen (vgl. Schmidt-Eichstaedt
1985:21). Zwar werden in den kommunalen Vertretungskörperschaften auch
Verwaltungsentscheidungen und nicht nur Normen wie auf Bundes- und Lan-
desebene getroffen. Dennoch kann man ihnen „uneingeschränkt den Status von
Volksvertretungen zugestehen“ (Schmidt-Eichstaedt 1989:31), da sie nach dem
gleichen Wahlverfahren wie die Parlamente der höheren Ebenen gewählt wer-
den und grundsätzlich auch die gleichen Aufgaben wahrnehmen: Sie repräsen-
tieren die Volkssouveränität, sind nur ihrem Gewissen unterworfen und treffen
die Entscheidungen im Namen des Volkes. Ungeachtet der formalen Zweistu-
figkeit des Bundesstaates sollte daher der kommunalen Ebene und auch dem
Gemeinderat ein in „wesentlichen Dimensionen funktional ähnliche[r] und e-
benbürtige[r] Status“ (Wollmann 1999:61) zuerkannt werden. Des Weiteren
werden insbesondere die tatsächlichen Entwicklungen auf kommunaler Ebene
hervorgehoben. Die Debatte hierüber konkretisiert sich zum einen an der Rolle
von politischen Parteien in der Kommunalpolitik und der Frage nach der Parla-
mentarisierung der kommunalen Selbstverwaltung, der Arbeitsweise der Kom-
munalparlamente. Da dieser Auffassung in der vorliegenden Studie zugestimmt
wird, werden die kommunalen Vertretungskörperschaften somit als Kommunal-
parlamente verstanden.

Parteipolitisierung und Parlamentarisierung der Kommunalpolitik


Im Folgenden wird der angesprochene Prozess der Parteipolitisierung und der
Parlamentarisierung auf lokaler Ebene analysiert. Gleichzeitig wird untersucht,
wie sich dadurch Stellung und Arbeitsweise des Rates verändert hat. Erst seit
den 1970er Jahren verzeichnen die Parteien auf lokaler Ebene einen Bedeu-
tungsgewinn, „der die traditionelle Selbstverwaltungsdoktrin in Frage stellte und
wettbewerbsorientierte Formen der Konfliktregulierung mit sich brachte“ (Gab-
riel/Ahlstich/Kunz 1997:342f.). Vorher herrschte die Auffassung vor, Kommu-
nalpolitik sei ihrer Natur nach unpolitische Sachpolitik. Diese Auffassung hat in
Deutschland eine lange Tradition (vgl. Haller 1979:341; Holtmann 1990:11). So
stellte Luckmann 1970 fest, dass
„die Kommunalpolitik (...) die Richtlinien für die Handlungen und Entscheidungen der Stadt
als geschlossene Gemeinschaft festlegen [soll]. Sie kann daher nicht durch kontroverse Mei-
nungen, Streitigkeiten, eine scharfe Polemik oder eine zugespitzte Konfrontierung verschiede-
ner Fraktionen zersplittert werden“ (Luckmann 1970:132; vgl. auch Ueltzhöffer 1975:121).

Für Gabriel/Haungs (1984:23) leugnet „die für das deutsche Selbstverwaltungs-


denken lange Zeit typische Sachzwangideologie (...) die Konflikthaftigkeit
kommunaler Probleme“. Insofern wurde dem für die Bundes- und Landesebene
2.1 Kommunalpolitik 39

typischen konkurrenzdemokratisch-parteiorientierten Modell das konkordanz-


demokratisch-verwaltungsorientierte auf lokaler Ebene gegenübergestellt.
In den 1970er Jahren war jedoch die krisenhafte Entwicklung in den gro-
ßen Städten nicht mehr zu übersehen, und so wurde der Ideologiecharakter des
Harmoniemodells immer deutlicher (vgl. Thränhardt 1999; Wehling 1975:15;
Voigt 1977:4; Gabriel 1979a:247; Holtmann 1999; Knemeyer/Jahndel 1991;
Rudzio 1977; Frey 1976). Zu diesem Zeitpunkt diskutierten und beschlossen
alle damals im Bundestag vertretenen Parteien kommunalpolitische Grundsätze
(vgl. Knemeyer/Jahndel 1991). Der Gemeinderat wurde politisiert. So konkur-
rieren heutzutage die verschiedenen Parteien ebenso wie auf den höheren Ebe-
nen des politischen Systems um die Kontrolle wichtiger Personal- und Sachent-
scheidungen (Wehling 1991:150). Der Einfluss der lokalen Parteien vollzieht
sich insbesondere über die Fraktionen in den Lokalparlamenten.
Zusammenhängend mit der Parteipolitisierung kommt somit die Frage nach
der Parlamentarisierung der Kommunalpolitik auf (vgl. Frey/Naßmacher 1975).
Dabei wird diskutiert, inwieweit es eine „Annäherung an ein parteienstaatlich-
parlamentarisches bzw. konkurrenzdemokratisches Konzept“ (Gabriel/Haungs
1984:22) für die kommunale Ebene gibt. Bei einer Untersuchung von Köser
(2000:160f.) zeigt sich für Baden-Württemberg, dass sich unabhängig von den
normativen Vorgaben in der Kommunalverfassung eine „zweifache kommunale
Verfassungswirklichkeit“ herausgebildet hat: Während die Ratstätigkeit in den
kleinen Gemeinden nach wie vor von der Konkordanzdemokratie mit der kon-
fliktlosen Zusammenarbeit mit der Verwaltung geprägt ist, hat in den mittelgro-
ßen Gemeinden und insbesondere in den Großstädten ein Prozess der Politisie-
rung und Parlamentarisierung30 stattgefunden“ (Köser 2000:170).

2.1.2.5 Organisation der Ratsarbeit in den Großstädten

Die Organisation der Ratsarbeit wird somit von den Veränderungen der politi-
schen Rahmenbedingungen beeinflusst. Während in der traditionellen Vorstel-
lung die Kommunalvertretung somit eine Versammlung unabhängiger Bürger
war, die mit ihrem gesunden Menschenverstand das Expertenwissen der Ver-
waltung ergänzen sollte (vgl. Gabriel 1984:237; vgl. auch Simon 1988), wird

30 Gabriel/Haungs (1984) unterscheiden beim Prozess der Parlamentarisierung zwischen einer


strukturellen und einer kulturellen Parlamentarisierung. Unter struktureller Parlamentarisie-
rung wird dabei der Wandel von einer eher verwaltungsorientierten zu einer stärker parteien-
staatlichen Struktur der politischen Willensbildung verstanden, während mit kultureller Parla-
mentarisierung die damit verbundene Veränderung der Vorstellungen der Mandatsträger über
ihre Ratstätigkeit gemeint ist.
40 2. Konzeptionelle Grundlagen

die Ratsarbeit der Großstädte heute durch die erläuterte Politisierung und Par-
lamentarisierung der Kommunalpolitik geprägt.
Zwar ist in formal-institutioneller Perspektive nach wie vor das Ratsplenum
das Entscheidungsorgan der Kommune, tatsächlich ratifiziert das Plenum jedoch
insbesondere in größeren Städten vorrangig beschlussreife Vorlagen. Konflikte
werden in den Ratssitzungen nicht ausgetragen, da strittige Punkte im Vorfeld
diskutiert und vorentschieden werden. So stellten auch Simon (1988:43f.) und
Derlien et al. (1976:112ff.) eine Tendenz von der Entscheidungsfunktion des
Plenums hin zu einer Präsentationsfunktion für die Öffentlichkeit fest. So wur-
den die Entscheidungen vom Ratsplenum vorverlegt in die formellen Bera-
tungsphasen in den Ausschüssen und Fraktionssitzungen (vgl. dazu Simon
1988:43)31. Dabei vertritt Naßmacher die These, dass die Organisation der Rats-
arbeit nicht so stark von den unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedin-
gungen in den einzelnen Bundesländern geprägt wird, als vielmehr von der
„Stadtgröße und (...) [dem] Professionalisierungsgrad der Ratsarbeit“ (Naßma-
cher 1989:183).
So ist die Arbeit der Gemeinderäte insbesondere in den Großstädten ähn-
lich wie in den Landtagen und den Bundestagen durch die Bildung von Aus-
schüssen und durch Fraktionen strukturiert. Diese stellen „die Scharniere im
kommunalen Entscheidungsprozess“ (Gabriel 1984:237) dar. Strittige und wich-
tige Vorlagen werden in den Fraktionen vorberaten, bevor sie in die Ausschüsse
und das Plenum gehen (vgl. Naßmacher 1989:185). Die Ausschüsse sind dabei
für die fachliche, die Fraktionen für die parteipolitische Komponente der Rats-
arbeit zuständig.
Da das Ratsplenum mit der Beratung aller kommunalpolitischen Angele-
genheiten arbeitsmäßig überfordert wäre, hat sich in den kommunalen Vertre-
tungskörperschaften ein Ausschusssystem entwickelt. Je größer die Stadt, desto
mehr Ausschüsse gibt es und desto höher ist ihre Bedeutung (vgl. Grauhan
1970:278). In den Ausschüssen, die für bestimmte Aufgabenbereiche eingerich-
tet werden32, werden formal die Entscheidungen für das Ratsplenum vorbereitet
(beratende Funktion) und teilweise auch beschlossen (beschließende Funkti-

31 In der Untersuchung von Simon (1988:43f.) nennen 68% die Fraktionen und ihre Arbeitskreise
als das Stadium, in dem die Entscheidungen festgelegt werden, 55% die Ausschussberatungen.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Gabriel (1979b:186) und Banner (1983:164), die dem Rat
in dieser formellen Beratungsphase das größte Gewicht geben.
32 Einige Gemeindeordnungen sehen auch die Einrichtung bestimmter Ausschüsse verpflichtend
vor. Vgl. GONRW §57II: Hauptausschuss, Finanzausschuss und Rechnungsprüfungsaus-
schuss; HGO §62I: Finanzausschuss. Zur Koordination der einzelnen Fachausschüsse wird re-
gelmäßig ein Haupt- bzw. Verwaltungsausschuss gebildet (vgl. GONRW §59I). Dieser leistet
ebenso wie der Finanzausschuss, der Stadtentwicklungsausschuss und der Personalausschuss
Querschnittsaufgaben, wodurch ihre Bedeutung höher ist als die der Fachausschüsse (vgl.
Naßmacher 1989:183).
2.1 Kommunalpolitik 41

on)33. Vorsitzender der Ausschüsse ist je nach Gemeindeordnung entweder der


(Ober-)Bürgermeister (GOBW §40III) oder ein dem Ausschuss angehörendes
Ratsmitglied. Hier einigen sich im Allgemeinen die Fraktionen über die Vertei-
lung der Ausschussvorsitze (vgl. GO NRW §58 V; NGO §51VII). Die Aus-
schüsse werden proportional zur Stärke der Fraktionen besetzt (vgl. GOBAY
§33, NGO §51II). Es besteht für die Fraktionen die Möglichkeit, nicht dem Rat
angehörige sachkundige Bürger als beratende Mitglieder in die Ausschüsse zu
berufen (vgl. GOBW §40, §41; GONRW §58IV), wovon die Fraktionen in
unterschiedlichem Ausmaß Gebrauch machen.
Fraktionen werden definiert als „selbständig handelnde, voneinander unab-
hängige, mit eigenen Zielvorstellungen versehene politische Gruppen in parla-
mentarischen Gremien“ (Holler/Naßmacher 1976:163). Über einen langen Zeit-
raum hinweg waren Parteien und Fraktionen nicht im Kommunalverfassungs-
recht verankert. Mit dem oben dargestellten Prozess der Parteipolitisierung und
der Parlamentarisierung stieg die Bedeutung der Fraktionen für den Willensbil-
dungs- und Entscheidungsprozess (vgl. Kanitz/Dill 1994:49f.). Mittlerweile sind
die Fraktionen in den meisten Kommunalverfassungen als wichtige Akteure im
Willensbildungs- und Entscheidungsprozess anerkannt und verankert (vgl. NGO
§39b). Allerdings kennen bis heute die Kommunalverfassungen in Baden-
Württemberg34, Bayern und Sachsen den Begriff der Gemeinderatsfraktion nicht
(vgl. hierzu auch Zuleeg 1981:148f.). Dennoch haben sich in der kommunalen
Verfassungswirklichkeit Fraktionen und Fraktionsrechte herausgebildet.35 Auch
das Bundesverfassungsgericht stellte in mehreren Entscheidungen fest, dass
Fraktionen als ständige Gliederungen der Vertretungskörperschaften den techni-
schen Ablauf der Meinungsbildung und Beschlussfassung in gewissem Grade
steuern und damit erleichtern (vgl. BVerfGE 38, 273f.).
Insbesondere in den Großstädten sind in allen Bundesländern die Fraktio-
nen als Schaltstelle der Ratsarbeit unentbehrlich geworden (vgl. Gabriel/
Haungs/Zender 1984:104ff.; Köser/Caspers-Merk 1989:111). Hauptaufgabe der
Fraktionen sind die politische Richtliniensetzung, Programmaufstellung und die
Formulierung von Entwicklungszielen für die Kommune. Um politisches Ge-

33 Bestimmte Bundesländer kennen die Einrichtung beschließender Ausschüsse, an die das


Ratsplenum Entscheidungen delegieren kann (vgl. GOBW §39; GOBAY §32; HGO §62I; nur
beratende Funktion haben beispielsweise die Ausschüsse nach der NGO).
34 So kennt Baden-Württemberg beispielsweise nur die Unterscheidung in Gruppen- und Einzel-
rechte der Gemeinderäte (vgl. Köser 2000:162).
35 Um die Rechte der Mitglieder einer Fraktion zu schützen und die Fraktionsgeschäfte rechtlich
zu organisieren, geben sich die Fraktionen in aller Regel eine Geschäftsordnung. In den Ge-
schäftsordnungen sind im Allgemeinen Vorschriften über die Mitglieder (Rechte, Pflichten,
Aufnahme und Ausschluss), die Bildung und Rechte des Vorstandes, Abstimmungsregelungen
etc. enthalten.
42 2. Konzeptionelle Grundlagen

wicht zu erlangen, müssen die Fraktionen die Meinungen ihrer Mitglieder in


einem gemeinsamen Willensbildungsprozess bündeln (Gisevius 1997:85). Die
Arbeitsweise der Fraktionen ist daher insbesondere dadurch geprägt, dass die
wichtigen Vorlagen vorberaten, ein gemeinsames Vorgehen und eventuell ein
einheitliches Abstimmungsverhalten festgelegt werden, bevor sie in die Aus-
schüsse und das Plenum gehen (vgl. Henneke 1997:2). Simon kam in seiner
Untersuchung (1988:76f.) zu dem Ergebnis, dass die Fraktionen für die Ratsar-
beit eine große Bedeutung haben, da zum einen die meisten Initiativen aus den
Fraktionen kommen. Zum anderen wird die Fraktion von den Ratsmitgliedern
als das Stadium angesehen, in dem die Festlegungen im Entscheidungsprozess
zustande kommen. So sind die Fraktionen in Großstädten für die Ratsmitglieder
mittlerweile „das wichtigste Arbeits- und Willensbildungsgremium“ (Simon
1988:12; vgl. auch Naßmacher 1973:560) geworden. Die Verlagerung der Rats-
arbeit vom Plenum in die Ausschüsse hat die Bedeutung der Fraktionen eben-
falls vergrößert, da die Meinungsbildung innerhalb der Fraktionen der Zersplit-
terung des politischen Willensbildungsprozesses entgegenwirkt, da in den Frak-
tionen die Informationen zusammenkommen, die in den einzelnen Ausschüssen
gesammelt werden. In den Fraktionen werden daraufhin fraktionseinheitliche
Positionen zu den Verwaltungsvorlagen formuliert, die dann in die Ausschüsse
und das Plenum eingebracht werden. Dadurch verlagern sich die originären
Aufgaben der Beratung und Entscheidung vom Plenum mehr und mehr in die
Fraktionen (vgl. Kanitz/Dill 1994:49ff.; vgl. auch Naßmacher 1989:185). Inner-
halb der Fraktionen findet insbesondere in Großstädten eine Arbeitsteilung statt,
die sich zumeist entsprechend der Ausschussstruktur verhält: So werden Ar-
beitskreise gebildet, um die „Flut von Vorlagen“ (Kanitz/Dill 1994:49), die
„zunehmende Kompliziertheit und Konfliktintensität“ (Naßmacher 1989:186)
zu bewältigen.
In größeren Gemeinden ist es auch kommunale Praxis, dass die Fraktionen
zur Bewältigung ihrer Aufgaben organisatorische Hilfen in Form von Mitarbei-
tern und Sachmitteln erhalten36. Die Zuwendungen für die Unterstützung der

36 Allerdings urteilte das Verwaltungsgericht Mainz im Jahr 2002, dass Gelder für Fraktionsmit-
arbeiter „weitgehend rechtswidrig“ seien, da sie die „Gefahr der grundgesetzwidrigen ver-
schleierten Parteienfinanzierung“ in sich birge, da durch die Bezahlung von Mitarbeitern das
„Verbot der verdeckten Parteienfinanzierung“ umgangen werden könnte. So können Gelder
für die Ratsfraktionen nach der Mainzer Rechtsprechung nur in unmittelbaren Zusammenhang
mit der Arbeit des Rates fließen. So seien „allenfalls die Beschäftigung von Kräften für die bü-
romäßige Abwicklung des Informationsaustausches unter den Fraktionsmitgliedern“ zulässig,
während Fraktionsassistenten unzulässig seien. Obwohl es nach dem Mainzer Urteil noch un-
klar ist, wie sich die Ausstattung der Fraktionen weiterentwickelt, wurde im Anschluss an die-
ses Urteil von den Fraktionen und Ratsmitgliedern bekräftigt, dass sie auf die Zuarbeit ange-
wiesen seien, da sie für die „Qualität der politischen Arbeit“ notwendig sei (Merkator 2002
zit.n. Grabenstroer 2002).
2.1 Kommunalpolitik 43

Fraktionsarbeit werden in den Gemeindeordnungen und Entschädigungsordnun-


gen der jeweiligen Bundesländer geregelt, die von den einzelnen Gemeinden
durch entsprechende Satzungen ausgefüllt werden. In der Untersuchung von
Kempf zur Arbeitssituation von Ratsmitgliedern zeigte sich, dass die Höhe der
Unterstützung dabei insbesondere von der Gemeindegröße abhängig ist (vgl.
Kempf 1989:146). So haben die Fraktionen in Großstädten häufig bereits einen
ganzen Stab an Mitarbeitern zur Verfügung. Allerdings konnte Kempf auch
zeigen, dass es dabei große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundeslän-
dern gibt (vgl. Kempf 1989:123). Die Fraktionsgeschäftsstellen dienen den
Fraktionsmitgliedern dabei als „think tanks“ (Naßmacher 1989:189; vgl. auch
Kempf 1989:146), die für die Vorbereitung der Ratsinitiativen, für Informati-
onsbeschaffung und Dokumentation sowie auch für Pressearbeit und den
Schriftverkehr zuständig sind (vgl. auch Gisevius 1997:90; Kanitz/Dill 1994:44,
Vetterlein 1974:27ff.). Banner (1989:68) sieht in den steigenden Hilfsdiensten
in den Großstädten einen zunehmenden Professionalisierungsgrad, da sie dazu
beitragen, den Initiativen und der Sachkompetenz der Fraktionen zum Durch-
bruch zu verhelfen.

Ratsmitglieder
Wie bereits erläutert wurde, steht der ehrenamtliche Rat der hauptamtlichen
Verwaltung gegenüber. Die Ratsmitglieder üben das Mandat also ehrenamtlich
aus und erhalten dafür lediglich eine Aufwands- und Verdienstausfallentschädi-
gung.
„Das Amt des kommunalen Volksvertreters ist ein Ehrenamt, das (seinem Begriff nach) ne-
benberuflich und unentgeltlich ausgeübt wird, wobei die Unentgeltlichkeit die finanzielle Ent-
schädigung für besonderen mit dem Mandat verbundenen Aufwand nicht ausschließt“ (Heu-
vels 1986:11).

Dabei zeichnen sich die gemeinsamen Leitvorstellungen der Landesgesetzgeber


hinsichtlich des Charakters des Amtes des gemeindlichen Volksvertreters durch
drei Grundsätze aus (vgl. dazu Heuvels 1986:8ff.): Erstens durch das Prinzip
der Ehrenamtlichkeit, das in den Gemeindeordnungen festgeschrieben ist. Dies
bedeutet, dass das Mandat nicht als Beruf ausgeübt wird, durch den der Man-
datsträger seinen Lebensunterhalt verdient. Mit der Ehrenamtlichkeit verknüpft
ist das Prinzip der Nebenberuflichkeit der Amtsführung. Da heutzutage nahezu
jeder einen Beruf ausüben muss, um sein Einkommen zu sichern, kann das Amt
eines kommunalen Volksvertreters nur neben der Erwerbstätigkeit ausgeübt
werden. Es wird im Allgemeinen angenommen, dass die Gemeinden dies durch
die zeitliche Lage der Gremien berücksichtigen und diese im Feierabend statt-
finden (sog. Feierabendparlament). Das dritte Prinzip ist die Unentgeltlichkeit
44 2. Konzeptionelle Grundlagen

und die finanzielle Entschädigung für den Aufwand. Dieses Prinzip liegt auch
allen gesetzlichen Entschädigungsregelungen zugrunde. Dies bedeutet, dass der
kommunale Mandatsträger kein Einkommen erhält, ihm jedoch der besondere
Aufwand, der durch das Amt entsteht, ersetzt wird. Dadurch soll gewährleistet
sein, dass die Wahrnehmung des Ehrenamtes zumutbar ist. Eine Entschädigung
darüber hinaus, die einen alimentativen Charakter hätte, ist unzulässig (Wehling
1998:31).
Neben dieser formalen Ehrenamtlichkeit zeichnet sich das kommunale
Mandat in deutschen Großstädten jedoch durch einen hohen Zeitaufwand aus.
Seit den 1970er Jahren entstanden im Rahmen der kommunalwissenschaftlichen
Forschung eine Vielzahl an Studien, die den Zeitaufwand der ehrenamtlichen
Ratsmitglieder, insbesondere in den Großstädten, untersucht haben.37 Obwohl
diese Studien aufgrund unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen und
Definitionen zu anderen Ergebnissen kommen, zeigt sich, dass in Großstädten
ein wöchentlicher Zeitaufwand von 25 bis 60 Stunden pro Woche für ein Man-
dat aufgewendet wird. Insofern liegt die zeitliche Belastung der Ratsmitglieder
für die Ratstätigkeit in den Großstädten bei mindestens einer Halbtags-, bei den
Führungspositionen im Rat sogar bei einer hauptamtlichen Tätigkeit. Hinsicht-
lich dieser Situation beklagt Naßmacher das „Dilemma zwischen (formal) eh-
renamtlicher Tätigkeit in der kommunalen Vertretungskörperschaft und dem
dafür (tatsächlich) erforderlichen Zeitaufwand“ (Naßmacher/Naßmacher
1999:277). Ronge schlussfolgert hinsichtlich dieses hohen Zeitaufwands:
„Den eigentlichen Kern des Ehrenamtes bildet heutzutage der Umstand, dass die in solcher
Funktion geleistete Arbeit nicht – oder nur symbolisch – entgolten wird“ (Ronge 1994:268).

2.1.2.6 Dilemma der Ehrenamtlichkeit: Auswirkungen auf die Ratsarbeit

Aufgrund des geschilderten Dilemmas wird in der kommunalwissenschaftlichen


Debatte bezweifelt, dass die Ratsmitglieder noch ihre Funktionen ausüben kön-
nen. Allerdings datiert diese Debatte auf die demokratietheoretische Diskussion
um die Stellung des Rates in den 1980er Jahren zurück. Seither ist dieses Thema
weit in den Hintergrund der kommunalwissenschaftlichen Forschung geraten.
Im Rahmen dieser Debatte wurde festgestellt, dass sich dieses Grundproblem
mit der Größe der Gemeinden noch verschärft, da insbesondere in den Groß-

37 Vgl. die Studien von Naßmacher 1973; Kommunalpolitische Blätter 1/1977, 1/1980; Naßma-
cher/Naßmacher 1979; Zender 1984a; Grothe-Hüttmann 1980; Müller 1980; Gau 1983; Simon
1988; Nassmacher 1989:31; Köser/Caspers-Merk 1989:108; Ronge 1994; Schneider 1997;
Berkemeier 1999).
2.1 Kommunalpolitik 45

städten der Arbeitsaufwand und die zeitliche Belastung der ehrenamtlichen


Ratsmitglieder sehr hoch sind.
Zur Erfüllung der oben erläuterten Funktionen des Rates (vgl. 2.1.2.3) ist
die Informiertheit der Ratsmitglieder eine Grundvoraussetzung. Jedoch werden
in der Literatur schon seit längerem gerade Defizite in der Informationsverarbei-
tung festgestellt, die als Hauptgrund für die Funktionsdefizite der Kommunal-
vertretungen gelten (vgl. Vetterlein 1976:534ff.; Ellwein/Zoll 1982:248). So
konstatierte Berkemeier aus seiner Erfahrung als Stadtverordneter in Frankfurt
bereits 1972, dass das Parlament sowohl als „Diskussionsforum“ als auch als
„Kontrollgremium“ ausfalle (1972:202). Gründe sieht er vor allem in der kom-
plexen und komplizierten kommunalpolitischen Materie sowie in der permanen-
ten Arbeitsüberlastung der Stadtverordneten. Dies drückt sich in einem Informa-
tionsvorsprung der Verwaltung gegenüber den Räten aus. So stellt auch Ueltz-
höffer (1975:119) fest, dass die Dominanz der lokalen Bürokratie vor allem auf
ihrem „Planungs- und Informationsmonopol“ beruhe, da die Verwaltung einen
direkten und umfassenden Zugang zu den Informationen hat, und auf der Tatsa-
che, dass die Verwaltung Zeit habe, „jedenfalls sehr viel mehr Zeit als Gemein-
deräte“. So sind die Ratsmitglieder zum einen zeitlich überlastet und haben ein
„quantitatives Problem“ in der Informationsverarbeitung, weil sie insbesondere
von der Verwaltung mit Vorlagen überflutet werden. Gleichzeitig zu der quanti-
tativen Informationsüberlastung haben die Räte aber ein „qualitatives Informati-
onsdefizit“ (Simon 1988:49f.), da ihnen zu wichtigen Fragen die zuverlässigen
und rechtzeitigen Informationen fehlen. Aufgrund des Zeitmangels ist die Ver-
waltung die wichtigste Informationsquelle der Ratsmitglieder und Fraktionen
für die Ratsarbeit (vgl. Naßmacher 1973:560; Simon 1988:51). Die Ratsmitglie-
der klagen daher über eine zu große Fülle an Vorlagen, die sie zeitlich nicht
bewältigen können, und sehen dies auch als gezielte Überlastungsstrategie der
Verwaltung (vgl. Berkemeier 1972:203f.; Vetterlein 1976:53738). Aufgrund
dieser Restriktionen „manövrieren die Kontrolleure in die Abhängigkeit der
Kontrollierten“ (Gabriel 1979a:201). Das größte Funktionsdefizit des Rates wird
daher in der Kontrolle der Verwaltung gesehen (vgl. Berkemeier 1972:202;
Vetterlein 1976:528; Gabriel 1979a:201ff.). Gabriel fasst den Forschungsstand
so zusammen:
„Nahezu alle vorliegenden Untersuchungen (...) stimmen in der Aussage überein, dass der fak-
tische Einfluss der Vertretungskörperschaft weit hinter der formalen Machtposition zurück-
bleibt“ (Gabriel 1981:200).

38 Eingeschränkt bestätigte dies auch Simon (1988:52) in seiner Untersuchung.


46 2. Konzeptionelle Grundlagen

Neben der Problematik hinsichtlich der politischen Steuerung werden aufgrund


dieses Dilemmas auch Auswirkungen auf die Personen- bzw. Berufsgruppen,
die ein ehrenamtliches Mandat in einer Großstadt ausüben können, festgestellt
(vgl. Andersen 1997:177; Naßmacher/Naßmacher 1999:278f.). Als wichtiges
Kriterium für die Möglichkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Mandat wird
dabei die Abkömmlichkeit vom Beruf gesehen. Dies seien insbesondere Perso-
nen, „die nicht durch eine genau festgelegte, fremdbestimmte Arbeitszeit ge-
bunden sind“ (Naßmacher/Naßmacher 1999:279; vgl. auch Simon 1988:66). Als
Ergebnis davon können nur noch bestimmte Berufsgruppen wie Rentner, Beam-
te ein Mandat in Großstädten ausüben, während andere Gruppen ausgeschlossen
sind. Des Weiteren wurde ein Auseinanderklaffen von Leitbild und Realität
konstatiert. So schrieb Naßmacher 1981:
„Angesichts einer zeitlichen Beanspruchung, die es erlaubt, von einer kommunalpolitischen
‚Halbtagstätigkeit’ zu sprechen, ist die gesetzliche Fiktion in kommunalen Vertretungskörper-
schaften keineswegs realistisch. Der Freizeit- oder Feierabend-Politiker ist längst durch den
Teilzeit-, z.T. sogar durch den Vollzeit-Politiker ersetzt worden“ (Naßmacher 1981:57; vgl.
auch Naßmacher 1973:562).

So forderte beispielsweise Thränhardt 1981 angesichts dieser empirischen Evi-


denz:
„Wenn die Räte effektiv und verantwortlich arbeiten sollen, ist angemessene Bezahlung und
Ausstattung eine Voraussetzung. Die Ratstätigkeit ist zumindest in Großstädten eine professi-
onelle oder semiprofessionelle Tätigkeit. Dementsprechend müssen die heutigen Entschädi-
gungen durchgreifend erhöht werden, und zwar auf eine Halbtagsbezahlung“ (Thränhardt
1981:40; vgl. auch Naßmacher 1981:66).

Christner stellte bei einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung in deutschen


Großstädten hinsichtlich der Entschädigungszahlungen für Ratsmitglieder be-
reits eine „schleichende Professionalisierung“ fest (Christner 1991:266).
In der kommunalwissenschaftlichen Literatur, aber auch in den Medien
wird häufig thematisiert, dass sich die Ratsmitglieder aufgrund dieses hohen
Zeitaufwands de facto professionalisieren. Die Debatte um die Stellung des
Rates und die Anzeichen einer Professionalisierung fand jedoch in der kommu-
nalwissenschaftlichen Forschungsgemeinde hauptsächlich im Rahmen der de-
mokratietheoretischen Debatte der 1970er und 1980er Jahre statt. Während der
Effizienzdebatte in den 1980er und 1990er Jahren wurde diese Problematik in
den Hintergrund gedrängt. Auch im Rahmen der Debatte um die Neuen Steue-
rungsmodelle seit den 1990er Jahren wird diese Frage lediglich am Rande dis-
kutiert. So beziehen sich die bisherigen Erkenntnisse um eine mögliche Profes-
sionalisierung in den deutschen Großstädten zumeist auf Einzelfälle, und diese
Anzeichen wurden bisher nicht systematisch untersucht. Wie die Ratsmitglieder
2.2 Professionalisierung von Politik 47

aber konkret Beruf und Mandat vereinbaren, welche Auswirkungen dies auf den
eigentlichen Beruf hat und ob die Mandatsausübung wirklich ‚nur’ bzw. haupt-
sächlich bestimmten Berufsgruppen möglich ist, wurde bisher in der kommu-
nalwissenschaftlichen Forschung noch nicht systematisch untersucht. Eine Aus-
nahme bildet eine Untersuchung von Fruth (1989), der unter dem Titel „Sind
unsere ehrenamtlichen Stadträte überfordert?“ eine Untersuchung der Ratsmit-
glieder in Ansbach, Bamberg, Erlangen und Fürth veröffentlicht hat. Hierbei
gaben bereits 64% der Ratsmitglieder an, berufliche Nachteile durch das Mandat
zu haben. Es wurde des Weiteren in der kommunalwissenschaftlichen For-
schung nicht systematisch untersucht, ob ein Professionalisierungsprozess auf
lokaler Ebene stattfindet, und wie sich dieser darstellt. So wird lediglich pau-
schal behauptet, dass insbesondere die Mandatsträger mit Führungs-
positionen ihre Funktionen de facto professionell ausüben (vgl. Naßma-
cher/Naßmacher 1999). Zudem werden in der kommunalwissenschaftlichen
Literatur zwar immer wieder die institutionellen Unterschiede zwischen den
Kommunalverfassungen in den einzelnen Bundesländern hervorgehoben und
ihre unterschiedlichen Auswirkungen auf die politische Kultur, die Funktionsfä-
higkeit und Einflussmöglichkeiten des Rates untersucht. Aber es wurde, mit
Ausnahme der Studie von Kempf (1989), der die unterschiedlichen Arbeitsbe-
dingungen der Ratsmitglieder analysierte, noch nicht untersucht, ob sich auf-
grund der unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen in den einzel-
nen Bundesländern verschiedene Entwicklungsrichtungen einer möglichen Pro-
fessionalisierung herausbilden. Diese Forschungslücke innerhalb der kommu-
nalwissenschaftlichen Debatte versucht das vorliegende Projekt zu schließen.

2.2 Professionalisierung von Politik

Nachdem nun die Grundlagen und die Rahmenbedingungen der Kommunalpoli-


tik und insbesondere der Ratsarbeit erläutert wurden, steht im Folgenden die
Professionalisierung der Politik im Zentrum der Betrachtung. Dabei wird zuerst
der im Rahmen dieser Studie verwendete Professionalisierungsbegriff definiert
bevor gezeigt wird, wie Politik organisiert sein kann und welche Leitbilder
damit verbunden sind. Anschließend wird der historische Prozess der Professio-
nalisierung auf den höheren Ebenen in Deutschland kurz dargestellt und analy-
siert, welche spezifischen Entwicklungen dabei erkennbar sind, um Annahmen
für mögliche Entwicklungsrichtungen auf kommunaler Ebene abzuleiten.
48 2. Konzeptionelle Grundlagen

2.2.1 Der Professionalisierungsbegriff: Eine Definition

Der Begriff der Professionalisierung wird in der wissenschaftlichen Diskussion


mehrdeutig verwendet und bezeichnet unterschiedliche Dinge. So haben Elias-
sen/Pedersen (1978) herausgearbeitet, dass die Professionalisierung von Politi-
kern aus verschiedenen Perspektiven untersucht werden kann: So bezieht sie
sich auf den Prozess der Verberuflichung von Politik, also der Entwicklung vom
Ehrenamt zur hauptberuflichen Tätigkeit (vgl. auch Borchert/Golsch 1995:621;
Borchert 2003:149). Sie kann auch den Prozess der Qualifizierung und der So-
zialisation in den Politikerberuf beschreiben, durch den sich der Politiker vom
Laien zum Experten entwickelt. Drittens verweist Professionalisierung auf die
„soziale Kategorie der ‚Professionen’“ (Borchert 2003:150). Unter Professionen
werden dabei besondere Gruppen von Berufen verstanden, wie beispielsweise
Ärzte und Anwälte (Eliassen/Pedersen 1978:290f.; Stolz 2004:53). In der vor-
liegenden Untersuchung wird unter politischer Professionalisierung der Prozess
der Verberuflichung verstanden, also die Entwicklung vom Ehrenamt zu einer
dauerhaften Vollzeiterwerbstätigkeit.

2.2.2 Organisationsformen der Politikausübung

Im Folgenden wird analysiert, wie Politik bzw. die Politikausübung organisiert


sein kann, welche Leitbilder es in Deutschland gibt und welche Erwartungen
damit verbunden sind. Bereits Max Weber entwickelte in seinem Vortrag „Poli-
tik als Beruf“ eine Politikertypologie. Dabei identifiziert er bei jenen, „die ‚Poli-
tik’ treiben“ (Weber 1994:42; vgl. dazu auch Borchert 2003:72ff.), drei Grup-
pen: Die Gelegenheitspolitiker, nebenberufliche und hauptberufliche Politiker.
Unter „Gelegenheitspolitikern“ versteht er dabei den aktiven Bürger, d.h.
„alle, wenn wir unseren Wahlzettel abgeben oder eine ähnliche Willensäuße-
rung“ (Weber 1994:41). Neben diesen Gelegenheitspolitikern gibt es nach We-
ber die „Gewohnheitspolitiker“. Die Gewohnheitspolitiker lassen sich wiederum
in zwei Gruppen unterscheiden: In jene, die Politik nebenberuflich und in jene,
die sie hauptberuflich ausüben. Die nebenberuflichen Politiker üben nach Weber
ihre „Tätigkeit (...) nur im Bedarfsfalle aus (...) und [machen] weder materiell
noch ideell in erster Linie daraus ‚ihr Leben’“ (Weber 1994:41). Insofern ist
nach Weber das Differenzkriterium zwischen den drei Gruppen „Gelegenheits-
politiker“, „nebenberufliche Gewohnheitspolitiker“ und „hauptberufliche Ge-
wohnheitspolitiker“ der Zeitaufwand und die Dauerhaftigkeit, den die Ausübung
der Politik erfordert. Dabei steigt von Gruppe zu Gruppe die zeitliche Inan-
spruchnahme der politischen Tätigkeit an. Innerhalb der Gruppe der hauptberuf-
2.2 Professionalisierung von Politik 49

lichen Politiker unterscheidet Weber dann im Folgenden zwischen jenen, die


„für die Politik“ und jenen, die „von der Politik“ leben:
„’Von’ der Politik als Beruf lebt, wer danach strebt, daraus eine dauernde Einnahmequelle zu
machen, – ‚für’ die Politik der, bei dem dies nicht der Fall ist“ (Weber 1994:43).

Das Differenzkriterium zwischen diesen beiden Gruppen ist somit die materielle
Abhängigkeit von der Politik.

2.2.2.1 Leitbilder von Abgeordneten

Sowohl in der Praxis in Deutschland als auch in der wissenschaftlichen Diskus-


sion lassen sich heute drei Idealtypen und Leitbilder von Abgeordneten unter-
scheiden, die sich übereinstimmend mit Webers Typologie insbesondere in den
zentralen Kriterien ‚Zeitaufwand’ und ‚Einkommen durch die Politik’ unter-
scheiden: Der hauptberufliche Abgeordnete, der Teilzeitparlamentarier und der
Feierabendpolitiker (vgl. hierzu Heuvels 1986:29ff.). Mit diesen bestehenden
Leitbildern werden jeweils auch bestimmte Erwartungen (vgl. Steffani 1984:
158ff.) verknüpft, die im Folgenden diskutiert werden.
Das Leitbild eines hauptberuflichen Abgeordneten geht davon aus, dass
neben der Mandatsausübung nur in geringem Umfang ein (anderer) Beruf aus-
geübt wird. Dieses Modell liegt dem Bundestag und den Landtagen der meisten
Flächenländer zugrunde und wird in der Diskussion als ‚Vollzeitparlamentarier’
bezeichnet. Es ist unter anderem durch eine hohe steuerpflichtige Diät und ent-
sprechende Versorgungsleistungen gekennzeichnet, die gewährleisten sollen,
dass die Abgeordneten ohne Einbußen ihren Beruf aufgeben können. Die Ar-
beitsorganisation des Parlaments nimmt daher beispielsweise bei den Sitzungs-
zeiten keine Rücksicht auf die Anforderungen einer möglichen Berufstätigkeit
neben dem Mandat.
Dem Leitbild des Teilzeitparlamentariers liegt die Vorstellung zugrunde,
dass die Mandatsträger gleichzeitig Beruf und Mandat ausüben. Die Höhe der
Diät ist so bemessen, dass ein großer Teil der Abgeordneten erhebliche Ein-
kommenseinbußen erleidet, wenn sie ihren Beruf vollständig aufgeben. Daher
ist die Arbeitsorganisation des Parlaments so gestaltet, dass mindestens von
einer Teilzeit-Berufstätigkeit der Abgeordneten ausgegangen wird. Der Schwer-
punkt liegt dabei auf der Mandatsausübung; es soll jedoch die Möglichkeit oder
sogar ein Anreiz geschaffen werden, neben dem Mandat noch einen Beruf aus-
zuüben. Dieses Modell findet beim Landtag von Baden-Württemberg, beim
Berliner Abgeordnetenhaus und bei der Hamburger Bürgerschaft Anwendung.
Die Höhe der Diät ist so bemessen, dass ein Anreiz für den zusätzlichen Ein-
50 2. Konzeptionelle Grundlagen

kommenserwerb geschaffen wird, dass aber in gewissem Maße auch auf die
Möglichkeit einer Berufsaufgabe (z.B. infolge von Unvereinbarkeiten) Rück-
sicht genommen wird. Die Arbeitsorganisation berücksichtigt die zusätzliche
Berufsausübung, richtet sich jedoch nicht daran aus.
Ebenso wie beim Teilzeitparlamentarier, werden dem Leitbild des Feier-
abendpolitikers (vgl. auch 2.1.2.6) zufolge Beruf und Mandat nebeneinander
ausgeübt. Der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt beim Feierabendpolitiker jedoch
im Beruf; der Abgeordnete übt sein Mandat neben der Berufstätigkeit aus. Ein
Ratsmandat auf kommunaler Ebene ist nach dem Verständnis der Gemeinde-
ordnungen ein Ehrenamt. Die Arbeitsorganisation des Parlaments muss auf die
Berufstätigkeit Rücksicht nehmen. Die Höhe der Diät, sofern sie als steuer-
pflichtiges Einkommen ausgestaltet ist, bzw. der Aufwandsentschädigung muss
so niedrig sein, dass aus materiellen Gründen eine hauptberufliche Mandatsaus-
übung nicht in Betracht kommt (vgl. dazu Boldt 1979; Arnim 2001; Schneider
1989).
Der Unterschied zwischen den beiden Typen ‚Feierabendpolitiker’ und
‚Teilzeitparlamentarier’ liegt somit in der Gewichtung der politischen gegen-
über der beruflichen Tätigkeit: Während Feierabendparlamentarier neben ihrem
Beruf noch ein Mandat wahrnehmen, liegt der Schwerpunkt beim Teilzeitmo-
dell deutlich auf der politischen Tätigkeit, deren Ausgestaltung den Abgeordne-
ten nebenbei noch berufliche Aktivitäten ermöglichen soll (vgl. Schneider
1989:9; Golsch 1998:110). Im Gegensatz zum Feierabendpolitiker wird beim
Teilzeitparlamentarier anerkannt, dass das Abgeordnetenamt zumindest teilwei-
se eine Erwerbsquelle ist. Insofern kann im juristischen Sinne von zwei ‚Gat-
tungen’ gesprochen werden, die sich von der statusrechtlichen Klassifizierung
ihres Amtes idealtypisch unterscheiden:
„Dem ehrenamtlichen ‚nach Feierabend’ und unentgeltlich tätigen Gemeindevertreter steht der
Berufsparlamentarier in Bund und Ländern gegenüber, für den die Ausübung des Mandats
seine materielle Existenzgrundlage bildet oder zumindest zu bilden geeignet wäre“ (Heuvels
1986:29).

Die unterschiedliche gesetzliche Ausgestaltung des finanziellen Status’ von


kommunalen und überkommunalen Volksvertretern beruht demnach in letzter
Instanz auf der faktischen Unterstellung, dass Art und Umfang der Anforderun-
gen des Amtes im Falle des kommunalen Volksvertreters eine Ausübung in
Form der ehrenamtlichen Nebentätigkeit erlauben, im Falle des Abgeordneten
hingegen nicht selten „den ganzen Mann“ (Heuvels 1986:29; BVerfGE 40, 296)
erfordern. Die Unterschiede im Selbstverständnis der Parlamente bestehen dabei
vor allem im Grad der Professionalisierung der Mandatsausübung und damit
2.2 Professionalisierung von Politik 51

nicht zuletzt im Ausmaß der zeitlichen Inanspruchnahme durch die Ausübung


des Mandats (vgl. Thaysen 1976:10).
Mit diesen unterschiedlichen Leitbildern sind jeweils bestimmte Erwartun-
gen und Vorstellungen verknüpft39: So werden insbesondere beim Feierabendpo-
litiker, aber auch beim Teilzeitparlamentarier die berufliche Erfahrung und die
soziale Anbindung, die Verwurzelung ‚im normalen Leben’ und damit die
‚Volksnähe’ hervorgehoben. Dadurch könnten die Volksvertreter ihre Bürger
besser vertreten; eine Professionalisierung würde die Politiker hingegen von
ihren Bürgern entfremden:
„Eine wichtige Aufgabe ist es heute zweifellos, der drohenden Entfremdung zwischen den
Bürgern und ihren Repräsentanten entgegenzuwirken, die ihren Ausdruck z.B. in zunehmen-
der Politikverdrossenheit (...) findet. Parteien und Parlamente geraten zunehmend in eine Iso-
lation, gewöhnen sich spezifische Denk-, Verhaltens- und Ausdrucksformen an, verstehen die
Bürger nicht mehr und werden von ihnen nicht mehr verstanden. Die Konfrontation mit dem
Beruf ist hier ein wichtiges Korrektiv“ (Tormin 1984:157).

Ähnlich begründete auch Lothar Späth, damaliger Fraktionsvorsitzender der


CDU im Landtag Baden-Württembergs, den Beschluss, in Baden-Württemberg
den Teilzeitparlamentarier einzuführen: In den Landtagen seien keine
„Politikerprofis [notwendig], sondern Parlamentarier, die mitten im Leben stünden, und zwar
nicht nur im politischen, sondern auch im beruflichen. Solche Abgeordneten seien aufgrund
ihrer Erfahrungen in der Lage, eine ‚bürgernahe’ Verwaltung zu kontrollieren und ihr ‚Gegen-
spieler’ zu sein“ (Späth zit. n. Schneider 1989:458).

Ein weiteres Argument, das in den Diskussionen um die Professionalisierung


der Parlamente auf Landes- und Bundesebene diskutiert wurde, ist die finanziel-
le Unabhängigkeit, und damit auch eine größere Unabhängigkeit von Partei und
Fraktion. Aufgrund der Verbindung von Beruf und Mandat sei eine gesicherte
Existenz nach dem Ausscheiden aus dem Parlament möglich; daher sei eine
Nichtwiederaufstellung nicht als Existenzbedrohung anzusehen (vgl. Tormin
1984; vgl. Bahnsen 1996:213). Für eine hauptberufliche Ausübung bzw. eine
weitere Professionalisierung der Arbeit wird insbesondere die hohe Arbeitsbe-
lastung der Mandatsausübung als Grund hervorgebracht. Die parallele Aus-
übung des eigentlichen Berufs würde das Zeitbudget der Mandatsträger reduzie-
ren und könnte einen „Verlust an parlamentarischer Kontrollfähigkeit gegenüber
der Verwaltung nach sich ziehen“ (vgl. Schneider 1989:462).

39 Diese traten jeweils in den Diskussionen um die Statusänderungen der Parlamente hervor, auf
die im Folgenden (vgl. 2.2.2.2) noch genauer eingegangen wird.
52 2. Konzeptionelle Grundlagen

2.2.2.2 Historische Entwicklung der Professionalisierung

Im Winter 1918 wies Max Weber in seiner berühmten Rede „Politik als Beruf“
erstmalig darauf hin, dass sich im Gefolge des modernen Parlamentarismus und
der sich ausbreitenden massendemokratischen Parteienherrschaft ein Wandel
vom älteren Freizeit- und Gelegenheitspolitiker hin zum Vollzeit- und Berufspo-
litiker vollziehen würde (Weber 1994). Seit jener Rede zählt die Webersche
Unterscheidung zwischen denjenigen Parlamentariern, die „für“ die Politik und
denjenigen, die „von“ der Politik leben, zu den geflügelten Worten der Politik-
wissenschaft. Allerdings musste erst noch ein weiteres halbes Jahrhundert ver-
gehen, „bis sich tatsächlich in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts so etwas
wie ein Arbeitsmarkt für Berufspolitiker (...) in Deutschland herausbildete“
(Wiesendahl 2001:145). So gibt es in Deutschland heutzutage wie in allen west-
lichen Demokratien eine Gruppe von Politikern, die nicht nur „für“, sondern
auch „von der Politik leben“. Historisch betrachtet, war dies jedoch nicht immer
der Fall, sondern ist das Ergebnis national spezifischer Prozesse der Professio-
nalisierung. Weber stellte bereits eine historische Tendenz vom Leben „für die
Politik“ zum Leben „von der Politik“ fest. Er sieht die Gründe für die Professio-
nalisierung der Politik zum einen in der Demokratisierung, die für ihn untrenn-
bar mit der Verberuflichung von Politik verbunden ist, da nur dadurch die mate-
riellen Voraussetzungen für eine soziale Öffnung der politischen Ämter erreicht
werden könnten (vgl. Weber 1994:44). Zum anderen liegt die Ursache der Pro-
fessionalisierung der Politik in den wachsenden Staatsaufgaben, die dazu führ-
ten, dass gewählte Ämter nun mehr Zeit und Aufwand erforderten. Dadurch war
es den Mandatsträgern häufig nicht mehr möglich, ein geregeltes Einkommen
durch ihren ursprünglichen Beruf zu sichern. So konnten sie die mit dem Man-
dat verbundenen Aufgaben nur noch erfüllen, wenn sie durch ihre politische
Tätigkeit ein Einkommen erhielten (vgl. Weber 1994:44).
Im Folgenden wird nun diese Entwicklung vom Leben „für die Politik“
zum Leben „von der Politik“ in den deutschen Parlamenten nachgezeichnet.
Dabei wird der Prozess der politischen Professionalisierung auf den höheren
Ebenen des politischen Systems in Deutschland analysiert. Wie hat er sich voll-
zogen? Durch welche Charakteristika hat er sich ausgezeichnet? Wie bereits
erläutert, besteht auf kommunaler Ebene nach wie vor das normative Leitbild
des ehrenamtlichen Volksvertreters. Es wird jedoch aufgrund des hohen Zeit-
aufwands für die kommunale Mandatsausübung, insbesondere in den Großstäd-
ten, vermutet, dass in den Großstädten ein informeller Professionalisierungspro-
zess stattfindet (vgl. 2.1.2.6). Insofern wird bei der Analyse des Prozesses der
Professionalisierung auf den höheren Ebenen untersucht, ob der formalen Pro-
2.2 Professionalisierung von Politik 53

fessionalisierung ein informeller Professionalisierungsprozess vorausging, und


wenn ja, durch was sich dieser auszeichnet.

Formale Professionalisierung
Vergleichbar mit dem heutigen Verständnis des kommunalen Mandatsträgers
wurde das Abgeordnetenamt auf der Bundes- und Landesebene von den Anfän-
gen des Konstitutionalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis lange
nach Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes formal als reines Ehrenamt ange-
sehen. Es war demnach auch allgemein anerkannt, dass die ‚Entschädigungen’,
auf die die Abgeordneten nach Art. 40 WRV und Art. 48 II GG Anrecht hatten,
vom rechtlichen Charakter her lediglich als eine Aufwandsentschädigung, nicht
aber als eine Besoldung zu verstehen waren (vgl. Burmeister 1993:36; Heuvels
1986). Formal wurde dieser Charakter erst in der Folge des ‚Diätenurteils’ des
Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 1975 geändert (BVerfGE 40,
296), das dadurch einen „prägenden Einschnitt für die Entwicklung des Abge-
ordnetenstatus’“ (Oberreuter 1981:10) in der Geschichte der Bundesrepublik
hatte. Dieses Urteil wurde nämlich als letzter Anstoß für die bereits lange gefor-
derte Neugestaltung der Rechtsstellung der Abgeordneten in Bund und Ländern
angesehen (vgl. Henkel 1977; Burmeister 1993:36). Das Urteil stellte fest, dass
die finanzielle Vergütung der Abgeordneten keine Aufwandsentschädigung ist,
sondern der Abgeordnete „aus der Staatskasse ein Einkommen“ (BVerfGE 40,
296) erhält. Dies wurde damit begründet, dass
„die Tätigkeit des Abgeordneten (...) im Bund zu einem den vollen Einsatz der Arbeitskraft
fordernden Beruf geworden [ist]; der Abgeordnete kann daher unter diesem Aspekt heute legi-
timerweise ein Entgelt beanspruchen, mit dem er seinen und seiner Familie Lebensunterhalt
zu bestreiten mag“ (BVerfGE 40, 296).

In der Folge dieses Urteils änderten neben dem Bundestag auch nach und nach
die Landtage den Status ihrer Abgeordneten zu hauptberuflichen Abgeordneten
bzw. Teilzeitparlamentariern. Als letztes Parlament auf Landesebene wurden die
Bürgerschaft und ihre Abgeordneten des Stadtstaates Hamburg 1995 von einem
Feierabendparlament in ein Teilzeitparlament umgewandelt. Der ausschlagge-
bende Faktor für die formale Professionalisierung des Abgeordnetenamtes war
somit die zeitliche Inanspruchnahme des Mandats, die eine ehrenamtliche und
nebenberufliche Ausübung nicht mehr zuließ.
„In der Bundesrepublik nahm die Arbeitsbelastung der Abgeordneten durch ausgedehnte Auf-
gabenfelder, das Hineinreichen der Politik in nahezu alle Lebensbereiche der Gesellschaft (...)
zu. Entsprechend stieg der zeitliche Aufwand für das Mandat“ (Burmeister 1993:45).

Dadurch wurde die Vorstellung eines neben dem Erwerbsberuf ausgeübten


Ehrenamtes immer mehr zur Fiktion. Gleichzeitig widersprach das Festhalten an
54 2. Konzeptionelle Grundlagen

der Ehrenamtlichkeit dem Selbstverständnis der Bundesrepublik, da das moder-


ne egalitäre Demokratieverständnis fordert, dass allen Bürgern ungeachtet ihrer
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Position der freie Zugang in die Parla-
mente möglich ist, und damit alle Bürger die gleichen Chancen auf Teilhabe an
den demokratischen Entscheidungsprozessen haben.

Informelle Professionalisierung
Neben dieser formalen Entwicklung des Status’ der Parlamente und ihrer Abge-
ordneten fand jedoch bereits in den Jahrzehnten vor der Formalisierung ein
informeller Professionalisierungsprozess in den einzelnen Parlamenten statt.
Dieser wird im Folgenden für die Bundesebene nachgezeichnet und analysiert.
Im Kaiserreich gab es bis 1906 keinerlei Entschädigung für die Abgeord-
neten. So verbot auch Art. 32 der Bismarckschen Reichsverfassung (BRV) auf
Betreiben Bismarcks jede „Besoldung oder Entschädigung“ (vgl. Bor-
chert/Golsch 1999:115). Ziel dieser Regelung war es, „unliebsame Gegner“
(Burmeister 1993:29) vom Eintritt in den Reichstag abzuhalten, denn die soziale
Unausgewogenheit der politischen Repräsentation sollte erhalten bleiben (vgl.
Molt 1963:38). Nur wirtschaftlich unabhängigen ‚Honoratioren’ wurde zuge-
traut, sachverständig und unabhängig zu handeln (vgl. Burmeister 1993:29).
Durch die Diätenlosigkeit sollte zudem erreicht werden, dass es „keinen beson-
deren Stand von Berufsparlamentariern“ (Huber 1963:893; vgl. auch Eschen-
burg 1959:54) gibt. Grund für die fehlenden Diäten war insbesondere die feh-
lende Entscheidungsautonomie des Reichstags. So stimmte der Reichstag zwi-
schen 1871 und 1906 14-mal für Diäten, scheiterte aber jeweils am Bundesrat.
In der Praxis hatte das Diätenverbot zur Folge, dass es nur finanziell unabhängi-
gen und vermögenden Personen möglich war, sich um ein Abgeordnetenmandat
zu bewerben (vgl. Huber 1970:893; vgl. auch Borchert/Golsch 1999:114). Es
war entscheidend, abkömmlich zu sein. Nach Max Weber kombiniert
„Abkömmlichkeit (...) kategorial die je nach ‚zivilem’ Beruf unterschiedliche zeitliche Ver-
fügbarkeit mit der ebenfalls differierenden Notwendigkeit, unmittelbar aus der Politik ein
Einkommen zu beziehen“ (Borchert 2003:76).

Er unterscheidet dabei zwischen Berufsgruppen, die schwerer abkömmlich sind


und solchen, die Beruf und politische Aktivität einfacher vereinbaren können
(z.B. Anwälte und Journalisten). So hatten

„preußische Junker, die Großindustriellen, (...) die Rentiers [und höheren Beamten] kein Prob-
lem damit, die zunehmend zeitaufwendigere Parlamentsarbeit mit ihren wirtschaftlichen Akti-
vitäten in Einklang zu bringen“ (Borchert/Golsch 1999:114.; vgl. auch Molt 1963:40ff.).
2.2 Professionalisierung von Politik 55

Andere Personen- und Berufsgruppen, wie beispielsweise Arbeiter und Unter-


nehmer, waren jedoch nicht wirtschaftlich ‚abkömmlich’. Für sie bestand dann
die Alternative, entweder den bisherigen Beruf auszuüben oder unmittelbar aus
der Politik ihr Einkommen zu beziehen, sobald sie aufgrund des hohen Zeitauf-
wands ihren eigentlichen Beruf nicht mehr ausüben konnten. Aufgrund der
Diätenlosigkeit führte dies dazu, dass diese Berufsgruppen kein Abgeordneten-
mandat im Reichstag ausüben konnten. Diese faktische Begrenzung des passi-
ven Wahlrechts wurde jedoch in diesem klassisch-liberalen Demokratiekonzept
nicht als Mangel betrachtet, sondern als Korrektiv gegen das allgemeine Wahl-
recht (vgl. Scheffler 1956:112) sogar begrüßt.
Allerdings entwickelten sich dadurch andere, informelle Kanäle der Profes-
sionalisierung: So wurden benachteiligte Berufsgruppen, die finanziell nicht wie
die Honoratioren unabhängig waren, von Verbänden und Parteien unterstützt.
Dadurch wurde die Rekrutierung aus neuen sozialen Gruppen möglich. So zahl-
te beispielsweise die SPD ihren Reichstagsabgeordneten ab 1876 ein Gehalt40.
Zusätzlich beschäftigte die Partei aber auch Abgeordnete als Funktionäre und
Journalisten. Nach 1898 waren durchgehend mindestens 40% der Abgeordneten
der SPD hauptamtlich angestellt. Zusätzlich waren 15 bis 20% der Abgeordne-
ten der SPD bei den Gewerkschaften beschäftigt (vgl. Molt 1963:40-44; Bur-
meister 1993:26ff.; Herzog 1982:20). Dadurch schuf die Sozialdemokratie die
Zugangsmöglichkeiten für die Männer „ohne Besitz und Status“ (Sheehan
1985:88). Bei den Konservativen bestand die wichtigste Allianz mit dem Bund
der Landwirte. Dieser
„übte (...) seinen größten Einfluss (...) dadurch aus, dass er die Deutsch-Konservative Partei
völlig kontrollierte, aber auch die große Mehrheit der Abgeordneten von drei anderen konser-
vativen und nationalliberalen Parteien fest im Griff hatte“ (Borchert/Golsch 1999:116f.).

Ähnliche Modelle – wenn auch weniger erfolgreich – wurden von den Indust-
rieverbänden und auch von der Katholischen Kirche eingeführt (vgl. Molt 1963:
289ff.). Die Diätenlosigkeit förderte somit also einen neuen Typ des Berufspoli-
tikers, dessen Beruf sich durch eine inhaltliche Nähe zur Politik auszeichnet.
Gleichzeitig ermöglichte dieser Typ des Partei- und Verbandsfunktionärs den
Zugang zum Reichstag für Personen, die ohne die Bezahlung zum Großteil für
die Politik nicht abkömmlich gewesen wären (vgl. Molt 1963:46).
Da das Fehlen von Diäten jedoch – trotz der Gruppe der bei Parteien und
Verbänden angestellten Funktionären – zunehmend zu einer Beschlussunfähig-
keit führte, stimmte der Bundesrat schließlich 1906 der Einführung einer Auf-
wandsentschädigung zu (Verfassung von 1906 zit. n. Loewenberg 1969:76). Die

40 Dies wurde jedoch von der Reichsregierung als ungesetzlich betrachtet, und die SPD wurde
daher strafrechtlich verfolgt (vgl. Molt 1963:40).
56 2. Konzeptionelle Grundlagen

3.000 Reichsmark pro Jahr waren allerdings zu niedrig, um davon leben zu


können (vgl. Burmeister 1993:31; Eschenburg 1959:58; Borchert/Golsch
1999:115; Molt 1963:38f.). Insofern führte die Einführung der Entschädigung
auch nicht zu einer Veränderung der einseitigen berufsmäßigen und sozialen
Zusammensetzung des Reichstags (Burmeister 1993:32).
In der Weimarer Republik hatte das Parlament, im Gegensatz zum
Reichstag im Kaiserreich, das eigenständige Recht zur Festlegung der Diäten.
Formal handelte es sich jedoch nach wie vor nicht um ein Gehalt, sondern nach
Art. 40 WRV um eine Aufwandsentschädigung. Nach Loewenberg (1969:77)
reichten die 600 Reichsmark pro Monat auch nach wie vor nicht aus, um von
der Politik leben zu können. Die während des Kaiserreichs bereits etablierten
Partei- und Verbandsfunktionäre nahmen eine immer zentralere Stellung ein. So
waren 1920 77% der SPD-Abgeordneten Partei- oder Gewerkschaftsangestellte
(Meyer 1992:180 zit. nach Borchert/Golsch 1999:115).
Wie oben erläutert, wurde auch in der Bundesrepublik das Abgeordnete-
namt bis zum Diätenurteil 1975 formal als Ehrenamt angesehen. Jedoch fand
schon bald nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ein starker informeller Profes-
sionalisierungsprozess des Amtes statt. Dieser zeigt sich am besten in der Aus-
gestaltung der Aufwandsentschädigung und zwar in zweierlei Hinsicht:

ƒ In quantitativer Hinsicht: Die Höhe der Aufwandsentschädigung stieg


rasch und war bereits lange vor der Diäten-Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts dazu geeignet, den Abgeordneten ein ausreichendes mate-
rielles Einkommen zu gewährleisten.
ƒ In qualitativer Hinsicht: So entwickelte sich die Ausgestaltung der Ent-
schädigung von einer reinen Aufwandsentschädigung hin zu einem regel-
rechten ‚sozialen Netz für Abgeordnete’, wie beispielsweise Mitte der
1960er Jahre durch die Einführung der Alters-, Invaliden- und Hinterblie-
benenversorgung für Abgeordnete. Hier zeigt sich der gewandelte Charak-
ter besonders deutlich, da die Leistungen zur sozialen Sicherung unbe-
streitbar alimentativer Natur sind. So sieht Lückhoff in der Einführung der
Altersvorsorge auch den Abschluss der Entwicklung vom Honoratioren-
zum Berufspolitiker (vgl. Lückhoff 1989:20).

Für die Abgeordneten der Landtage trifft diese Entwicklung in der Tendenz
ebenso zu. So hat die ständig gestiegene zeitliche Belastung der Bundes- und
Landtagsabgeordneten dazu geführt, dass, wie oben erläutert, im Jahr 1975
durch das Bundesverfassungsurteil das Leitbild den realen Bedingungen ange-
passt wurde: Von der ursprünglichen Einschätzung als Ehrenamt hin zu der
Wahrnehmung als ‚Beruf’. Hingegen ist der Status der Mitglieder kommunaler
2.2 Professionalisierung von Politik 57

Vertretungskörperschaften, auch in größeren Städten, nach wie vor von der


Vorstellung der Ehrenamtlichkeit geprägt.
Neben der Professionalisierung des Mandats gab es auf der nationalen und
regionalen Ebene im Laufe der 1960er und 1970er Jahre auch Verbesserungen
der Arbeitsbedingungen für die Mandatsträger und Fraktionen, insbesondere
durch wissenschaftliche Beratung und Assistenz. Zielsetzung dieser Unterstüt-
zung ist es dabei insbesondere, die zeitliche Überlastung der Abgeordneten
durch Delegation von Aufgaben an qualifizierte Mitarbeiter zu verringern und
durch diese Form der Politikberatung die Qualität der Parlamentsarbeit zu
verbessern (vgl. Schmidhuber 1974:528). Insbesondere im Bereich der Vorbe-
reitung und Erarbeitung von Themen fehle den Parlamentariern häufig die Zeit,
um sich intensiv einzuarbeiten (vgl. Lückhoff 1989:23). Dabei entwickelten sich
drei unterschiedliche Arten von Mitarbeitern: Der Wissenschaftliche Dienst (1),
Fraktionsmitarbeiter (2) und persönliche Mitarbeiter der Parlamentarier (3).

1. 1949 wurde im Bundestag ein Wissenschaftlicher Dienst eingerichtet, der


die Abgeordneten durch Dokumentation und Assistenz unterstützen und
dadurch zu einer größeren Unabhängigkeit der Parlamentarier von der Bun-
desregierung und den Fraktionen führen sollte (vgl. Scholz 1981:278).
Aufgaben des Wissenschaftlichen Dienstes – der zu parteipolitischer Neut-
ralität verpflichtet ist – sind dabei insbesondere die Beschaffung und Auf-
bereitung von Informationen und die fachliche Vorbereitung parlamentari-
scher Initiativen (vgl. Schmidhuber 1974:528).
2. Parallel dazu erhielten die Fraktionen Ressourcen für Räume und zur Be-
schäftigung von Fraktionsmitarbeitern, da neben partei- und fraktionsunab-
hängiger Beratung auch ein Bedarf an der Bearbeitung von Problemfeldern
unter besonderer Berücksichtigung parteipolitischer Positionen besteht.
Diese Arbeit wird vorrangig von fraktionsinternen bzw. Fraktionen zuge-
ordneten Arbeitsstäben und Fraktionsassistenten geleistet. So entschied das
Bundesverfassungsgericht, dass Fraktionen Zuschüsse aus dem Bundes-
haushalt zur Bewältigung des Aufwands erhalten dürfen, den die Parla-
mentsarbeit ihnen abverlangt. Diese sollen,
„den technischen Verlauf der Meinungsbildung in der Vertretungskörperschaft, in der sie tätig
sind, in gewissem Grade (...) steuern und damit (...) erleichtern“ (BVerfGE 38, 258 (273f.)).

Nach Verfassung und Geschäftsordnung obliegt es den Fraktionen, an der


Gesetzgebungsfunktion, der Kontrollfunktion, der Wahlfunktion und der
Öffentlichkeitsfunktion des Bundestages mitzuwirken. Die Fraktionen er-
füllen diese Aufgaben insbesondere dadurch, dass sie die Arbeitsteilung un-
ter ihren Mitgliedern und im Deutschen Bundestag organisieren, gemein-
58 2. Konzeptionelle Grundlagen

same Initiativen vorbereiten und aufeinander abstimmen sowie eine umfas-


sende Information der Fraktionsmitglieder und der Öffentlichkeit unterstüt-
zen, um auf diese Weise unterschiedliche politische Positionen zu verhand-
lungs- und verständigungsfähigen Einheiten zusammenzufassen und darzu-
stellen (vgl. Schindler 1999). Zunächst handelte es sich bei der Unterstüt-
zung für die Fraktionen lediglich um Geldleistungen für die Unterhaltung
der Büros der Fraktionen. Erst seit 1955 werden Finanzmittel für die Ein-
stellung von wissenschaftlichen Mitarbeitern bereitgestellt. Von 1959 an
wurde die Mitgliederzahl der Fraktionen bei der Berechnung berücksichtigt.
Dadurch kam zu dem Grundbetrag in Höhe von monatlich 3.000 DM ein
Zuschlag hinzu, der sich nach der Stärke der Fraktionen richtete. Seit dem
Haushaltsplan 1971 sind die monatlichen Zahlungen an die Fraktionen nach
Grundbetrag, allgemeinem Zuschlag je Abgeordnetem und gestuftem Zu-
schlag für den Gesetzgebungsdienst aufgeschlüsselt. Seit 1991 dürfen auch
Zuschüsse an Gruppen ohne Fraktionsstatus gezahlt werden41. Seit dem 1.
Januar 1995 hat die Fraktionsfinanzierung durch das Fraktionsgesetz eine
gesetzliche Grundlage erhalten42.
3. Im Zuge der Parlamentsreform von 1969 wurden persönliche Mitarbeiter
für die Abgeordneten eingeführt, die neben den Wissenschaftlichen Hilfs-
diensten und den Fraktionsmitarbeitern als „dritte Ebene der Parlaments-
hilfsdienste“ (Hirsch 1981:203) bezeichnet werden43. Abgeordneten werden
danach unter bestimmten Voraussetzungen und in begrenzter Höhe Auf-
wendungen ersetzt, die ihnen aus der Beschäftigung von Mitarbeitern zur
Unterstützung ihrer parlamentarischen Arbeit entstehen. Ziel war es dabei,
die Parlamentarier zeitlich zu entlasten, insbesondere im Bereich der Rou-
tinearbeiten und der Vorbereitungstätigkeit, um ihre Arbeit dadurch effek-
tiver zu gestalten (vgl. Schmidhuber 1974:528; vgl. auch Burmeister
1993:114). Gleichzeitig sollten dadurch Benachteiligungen von ‚normalen’
Parlamentariern gegenüber der Fraktionsführung ausgeglichen werden (vgl.
Quaritsch 1972:304). Der zunächst zur Verfügung gestellte Betrag betrug
1.500 DM monatlich, so dass nur eine Bürokraft angestellt werden konnte;
teilweise beschäftigten mehrere Abgeordnete gemeinsam z.B. einen Assis-
tenten und eine Schreibkraft. Inzwischen betragen die Mittel für die Be-

41 Der Bundestag hatte schon im Oktober 1990 zugunsten der Gruppe der PDS beschlossen,
einen Grundbetrag in Höhe von 213.158 DM im Monat sowie einen monatlichen Zuschlag in
Höhe von 7.726 DM je Abgeordneten zu gewähren; das entspricht der Hälfte des Betrages, der
für Fraktionen vorgesehen ist (vgl. Schindler 1999).
42 16. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (Fraktionsgesetz) vom 11. März 1994.
43 Diese Einführung stieß zunächst auf Kritik der Fraktionsführungen, die dadurch Machteinbu-
ßen befürchteten (vgl. Burmeister 1993:114).
2.2 Professionalisierung von Politik 59

schäftigung von persönlichen Mitarbeitern ca. 9.100 Euro44 im Monat. Da


bei entscheiden die Abgeordneten selbst, ob sie Schreib- oder Bürohilfs-
kräfte, Sekretärinnen, Hilfssachbearbeiter, Sachbearbeiter oder wissen-
schaftliche Assistenten einstellen, und ob diese Mitarbeiter beim Parlament
oder im Wahlkreis eingesetzt werden (vgl. Schindler 1999; Burmeister
1993:113).

Insofern gibt es heutzutage für die Abgeordneten vielfältige Arten der Unter-
stützung durch Mitarbeiter, die wesentlich zur Parlamentsarbeit beitragen. „Poli-
tische Stäbe, Berater, Referenten, Assistenten formulieren professionelle An-
sprachprodukte, die häufig von den politischen Akteuren verkündet werden“
(Kaack/Roth 1980:217). Ähnliche Entwicklungen der inhaltlichen Zuarbeit
finden sich auch in den Landtagen (vgl. Greß/Huth 1998; Enquete-Kommission
Hamburg 1992; Landfried 1990).

2.2.3 Professionalisierungsprozess auf nationaler und regionaler Ebene:


Zwischenfazit

An diesem kurzen Abriss des Prozesses der Professionalisierung in Deutschland


kann zum einen gezeigt werden, dass es – wie von Max Weber vorausgesehen –
eine Tendenz vom Ehrenamt zum Berufspolitiker gibt. Während sich zuerst das
Abgeordnetenamt auf der Bundesebene in einem langen Prozess professionali-
sierte, fand anschließend auch in den Parlamenten auf der Länderebene eine
Professionalisierung statt. Zum anderen zeigt die historische Entwicklung, dass
es während des Professionalisierungsprozesses über einen langen Zeitraum
einen Widerspruch zwischen Leitbild und Realität gab, da bereits lange vor der
Formalisierung der Professionalisierung ein informeller Professionalisierungs-
prozess stattgefunden hat: Während die Abgeordneten formal noch den Status
eines ehrenamtlichen Mandatsträgers innehatten, erreichten die Entschädigun-
gen bereits eine Höhe, die über eine reine Aufwandsentschädigung hinausging
und von der die Abgeordneten leben konnten. Die Analyse des historischen
Prozesses zeigt zudem, dass sich in Zeiten, in denen der Zeitaufwand der Abge-
ordnetentätigkeit zu hoch war, um parallel einer Vollzeittätigkeit nachzugehen,
andere Kanäle der Professionalisierung für die finanziell nicht unabhängigen
Abgeordneten entwickelten. Dazu gehörte die Bezahlung bzw. Anstellung der
Abgeordneten durch Parteien, Verbände und Interessengruppen. Zudem konnte
gezeigt werden, dass die Parlamentarier im Laufe der Zeit vermehrt Zuarbeit

44 Stand: April 2003


60 2. Konzeptionelle Grundlagen

durch Mitarbeiter erhielten, um durch die Delegation von Aufgaben – insbeson-


dere im Bereich der Beratung und Vorbereitung – die Abgeordneten zeitlich zu
entlasten und die Parlamentsarbeit qualitativ zu verbessern.
Die These der vorliegenden Studie ist, dass in den deutschen Großstädten
ebenfalls ein informeller Professionalisierungsprozess stattfindet. Insofern soll
es bei der folgenden Analyse gerade nicht um die normative Grundlage der
Entschädigungsregelungen, sondern um die konkrete Entwicklung in den Groß-
städten gehen. Daher wird ein besonderes Augenmerk auf informelle Entwick-
lungen, auf funktionale Äquivalente einer formalen Professionalisierung der
Ratsarbeit gerichtet. Wie die Analyse der Rahmenbedingungen der Ratsarbeit
(vgl. 2.1.2.5) zeigte, lassen sich auf lokaler Ebene, insbesondere in den Groß-
städten, Entwicklungen erkennen, die darauf schließen lassen, dass ein informel-
ler Professionalisierungsprozess stattfindet. Dazu gehören zum einen der hohe
Zeitaufwand, den die Ratsmitglieder in den Großstädten für die Ratsarbeit benö-
tigen, zum anderen aber auch die im Zusammenhang mit der Parlamentarisie-
rung der Arbeitsweise in den Kommunalparlamenten gestiegene Bedeutung der
Fraktionen. So zeigten Studien, dass diese Fraktionen in größeren Gemeinden
zur Bewältigung ihrer Aufgaben organisatorische Hilfen in Form von Mitarbei-
tern und Sachmitteln erhalten. Wie erläutert (2.1.2.6.), wurde in einer rechtswis-
senschaftlichen Untersuchung in deutschen Großstädten hinsichtlich der Ent-
schädigungszahlungen für Ratsmitglieder eine „schleichende Professionalisie-
rung“ (Christner 1991:266) festgestellt. Zudem wird untersucht, ob sich in den
Großstädten auf lokaler Ebene ebenfalls andere Kanäle der Professionalisierung
entwickelt haben, wie sie für die nationale Ebene gezeigt wurden.
Während zu den historischen Professionalisierungsprozessen auf der natio-
nalen und regionalen Ebene auch für Deutschland Studien vorliegen (vgl. Bur-
meister 1993:43f.; Schneider 1989; Jun 1996; Stolz 1999; Borchert/Golsch
1999), wurde eine mögliche Professionalisierung auf lokaler Ebene in der Pro-
fessionalisierungsforschung bisher noch nicht untersucht. Vielmehr wird dabei
trotz des hohen Zeitaufwands generell von einer ehrenamtlichen Ausübung der
Mandate auf lokaler Ebene ausgegangen. So stellt Golsch fest:
„Obwohl die Ausübung eines kommunalen Wahlamtes demnach in manchen Fällen den Cha-
rakter einer Freizeitbeschäftigung bei weitem überschreiten kann, [handelt] es sich bei diesen
Positionen um ehrenamtliche Tätigkeiten“ (Golsch 1998:160).

Die Bedeutung der kommunalen Ebene wird in der Professionalisierungsfor-


schung – von den professionalisierten Positionen der Bürgermeister abgesehen –
vor allem in ihrer Funktion als Sprungbrett zu professionellen Mandaten auf
höheren Ebenen angesehen (vgl. Herzog 1975:85ff.; Ronge 1994:268; Bor-
chert/Golsch 1999:122; Golsch 1998:159ff.). Insofern werden in der vorliegen-
2.3 Professionalisierung auf kommunaler Ebene – Konzeption 61

den Untersuchung zwei Forschungsfelder – die Professionalisierungsforschung


und die lokale Politikforschung – zusammengeführt und analysiert. Dabei steht
die Frage im Zentrum, ob ein Professionalisierungsprozess in deutschen Groß-
städten stattfindet und wie sich dieser beschreiben lässt.

2.3 Professionalisierung auf kommunaler Ebene – Konzeption

Wie die Analyse des historischen Professionalisierungsprozesses auf den ande-


ren Ebenen des politischen Systems gezeigt hat, ging der formalen Professiona-
lisierung, insbesondere der Abgeordnetenämter, ein langer informeller Professi-
onalisierungsprozess voraus. Die Annahme ist, dass es auch auf lokaler Ebene,
insbesondere in den Großstädten, einen solch informellen Prozess gibt. Das
Leitbild ist nach wie vor von der Ehrenamtlichkeit der Mandatsträger geprägt.
Aber wie stellt sich die Realität dar? Wie hoch ist der aktuelle Grad der Profes-
sionalisierung und wie hat er sich entwickelt? Welche Entwicklungsrichtungen
zeichnen sich ab? Vollzieht sich der Prozess in allen deutschen Städten auf die
gleiche Art und Weise oder gibt es aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbe-
dingungen in den einzelnen Bundesländern, insbesondere aufgrund der ver-
schiedenen Kommunalverfassungen, auch unterschiedliche Professionalisie-
rungsprozesse? Wie können die einzelnen Ratsmitglieder aufgrund des hohen
Zeitaufwands Beruf und Mandat vereinbaren? Haben sich auf lokaler Ebene
andere Kanäle der Professionalisierung entwickelt? Um diese Fragen zu beant-
worten, wird im Folgenden eine Konzeption entwickelt, auf Grundlage derer die
empirische Analyse durchgeführt wird. Dazu wird zunächst untersucht, auf
welchen Ebenen es überhaupt Professionalisierung geben kann, und wie diese
Ebenen miteinander verbunden sein können. In einem zweiten Schritt werden
dann die Indikatoren entwickelt, mit denen der Grad der Professionalisierung
auf den einzelnen Ebenen untersucht werden kann.

2.3.1 Die Ebenen der Professionalisierung

Politische Professionalisierung kann sich auf verschiedenen Ebenen vollziehen.


Dabei sind vier miteinander verbundene, analytisch jedoch zu trennende Ebenen
zu unterscheiden: Die Ebene des individuellen Politikers, die Professionalisie-
rung des Amtes, die der Institution und die des gesamten politischen Systems
(vgl. Borchert 1999:15f.; Eliassen/Pedersen 1978). Da sich die vorliegende
Analyse auf die Professionalisierung der kommunalen Ebene beschränkt, wer-
62 2. Konzeptionelle Grundlagen

den im Folgenden drei Ebenen diskutiert und analysiert: Die Ebene des Indivi-
duums, jene des politischen Amtes und jene der Institution.

2.3.1.1 Individuelle Professionalisierung

Wie erläutert, bezieht sich individuelle Professionalisierung auf den Übergang


von einer ehrenamtlichen zu einer bezahlten politischen Tätigkeit. Damit einher
geht zum einen ein spezifischer politischer Qualifikationsprozess und zum ande-
ren eine Deprofessionalisierung vom Hauptberuf (Borchert/Golsch 1995:621;
Herzog 1975; Burmeister 1993). Der Grad der Professionalisierung von Abge-
ordneten wird durch das Verhältnis von beruflicher und politischer Tätigkeit
bestimmt, zum einen durch den Anteil des Einkommens durch die Politik am
Gesamteinkommen und zum anderen durch den Anteil des Zeitaufwands der
politischen Tätigkeit gemessen am Zeitbudget.
Dabei wird die „Opportunitätsstruktur“ (Schlesinger 1966) durch die Ver-
fügbarkeit, Zugänglichkeit und Attraktivität einer individuellen Professionalisie-
rung definiert. Die Antworten auf die Fragen, ob eine Position verfügbar ist, ob
sie für eine bestimmte Person zugänglich ist, und ob es überhaupt attraktiv er-
scheint, sie auszuüben, bestimmen die individuelle Entscheidung (Borchert
2003:26). Dabei bewerten die Individuen die Attraktivität entsprechend ihrer
Ausgangsbedingungen, Motive und Ziele (vgl. Golsch 1998:99). Die Attraktivi-
tät der individuellen Professionalisierung ergibt sich dabei aus den Opportuni-
tätskosten anderer verfügbarer und zugänglicher Optionen. Dabei spielen Pull-
und Push-Faktoren eine Rolle: Pull-Faktoren für eine individuelle Professionali-
sierung sind sowohl materielle Anreize wie das Einkommen durch die Politik
als auch immaterielle Anreize wie Prestige, Bekanntheit, Mitwirkungs- und
Gestaltungsmöglichkeiten:
„Characteristics of office such as its powers, its salary, the size of the constituency, and its
value as a stepping-stone to higher office all affect its place in the opportunity structure. The
desirability of holding an office encompasses all these characteristics, but also is based on less
tangible factors, such as the position of the office in the federal system and a difficult-to-
document but commonly recognized fact: that impressions of the inherent attractiveness of
various offices can change” (Canon 1990:12).

Push-Faktoren sind beispielsweise die Unzufriedenheit im jetzigen Beruf und


die Suche nach neuen Herausforderungen. Je stärker diese Push- und Pull-
Faktoren ausgeprägt sind, desto eher wird sich ein Individuum politisch profes-
sionalisieren. Dabei sind der Professionalisierungsgrad von Amt und Institution
die Rahmenbedingungen, innerhalb derer die individuelle Wahl getroffen wird.
So zeigten Untersuchungen in den USA, dass bei hochprofessionalisierten Äm-
2.3 Professionalisierung auf kommunaler Ebene – Konzeption 63

tern mehr Individuen bereit sind, ihre ‚erste’ Karriere aufzugeben, um für und
von der Politik zu leben als bei weniger professionalisierten Ämtern (Ehrenhalt
1991; Rosenthal 1998; Fiorina 1996). Ein hochprofessionalisiertes Amt trägt
also dazu bei, dass die individuelle Professionalisierung für einen größeren
Personenkreis gegenüber anderen Optionen attraktiv ist. Erfordert ein Mandat
hingegen einen hohen Zeitaufwand, bietet aber lediglich ein niedriges Einkom-
men, sind die Mandatsträger darauf angewiesen, ihr Einkommen durch Tätigkei-
ten außerhalb des Mandats zu sichern. Wie die Analyse des historischen Prozes-
ses gezeigt hat, können sich dadurch andere Professionalisierungskanäle entwi-
ckeln, die dazu führen, dass das Individuum professionalisiert ist. Beispiele sind
die Kombination des Mandats mit anderen professionalisierten Mandaten oder
die Anstellung der Mandatsträger bei Parteien, Verbänden und Interessengrup-
pen.

2.3.1.2 Professionalisierung politischer Ämter

Die Professionalisierung politischer Ämter ist ein historischer Prozess, der sich
durch Verberuflichung, Konsolidierung und Expansion der zur Verfügung ste-
henden Ressourcen vollzieht. Mit diesen Ressourcen, die von Amtsinhaber zu
Amtsinhaber weitergegeben werden, sind die materiellen und immateriellen
Infrastrukturen des Amtes gemeint wie das aus dem Amt bezogene Einkommen,
der notwendige Zeitaufwand, Mitarbeiter und Privilegien (Borchert 1999:16).
Ein Parlamentsmandat ist somit als professionalisiert zu betrachten, wenn es ein
konkurrenzfähiges Einkommen bietet und aufgrund der zeitlichen Belastung
eine andere berufliche Tätigkeit ausschließt bzw. stark einschränkt (vgl. Bor-
chert 1999:17). Im Rahmen des Professionalisierungsprozesses auf lokaler Ebe-
ne könnte es auch möglich sein, dass sich einzelne Ämter, beispielsweise die
Ämter bestimmter Funktionsträger, zuerst professionalisieren.

2.3.1.3 Professionalisierung politischer Institutionen

Schließlich kann sich Professionalisierung auf der Ebene der politischen Institu-
tion vollziehen. Nach Borchert zeichnet sich eine professionalisierte Institution
durch einen hohen Anteil professionalisierter Mitglieder, eine differenzierte
Binnenstruktur mit zeitaufwendigen Verfahren und durch ein im Vergleich zu
Amateurinstitutionen höheres Budget aus (Borchert 1999:17). Unter den Indika-
tor ‚professionalisierte Mitglieder’ fallen nach dieser Definition sowohl die
Mandatsträger als auch die professionellen Mitarbeiterstäbe. Dabei ist es, so
64 2. Konzeptionelle Grundlagen

Borchert, vorstellbar, dass sich ein Amt als Teil der Institution entweder früher
oder später als die Institution professionalisiert. Für eine Professionalisierung
der Institution sei jedoch die Professionalisierung der Ämter nicht unbedingt
Grundvoraussetzung. So sei im Extremfall ein Parlament vorstellbar,
„dessen Mitglieder sämtlich Amateure sind, deren Ämter nicht-professionalisiert sind, wäh-
rend die Institution deshalb professionalisiert bleibt, weil viele Aufgaben auf die weiterhin
professionellen Mitarbeiterstäbe übergehen“ (Borchert 1999:17).

Dieses Argument von Borchert wird im Folgenden präzisiert und weiterentwi-


ckelt. Theoretisch sind zwei Extremfälle bei der Professionalisierung einer Insti-
tution denkbar: Auf der einen Seite könnte man sich ein Parlament vorstellen, in
dem die Ämter der Mandatsträger professionalisiert sind, der Institution aber
keinerlei weitere personelle und sachliche Ressourcen zur Verfügung stehen.
Auf der anderen Seite wäre, wie in dem zitierten Beispiel von Borchert, ein
Parlament denkbar, in dem die Mandatsträger das Amt ehrenamtlich ausüben,
die personellen und sachlichen Ressourcen der Institution jedoch hoch sind.
Insofern sind bei der Professionalisierung einer Institution zwei Professionali-
sierungsarten zu unterscheiden:

ƒ Die mitgliederbasierte Professionalisierung, die sich dadurch auszeichnet,


dass die politischen Ämter professionalisiert sind und
ƒ die ressourcenbasierte Professionalisierung, die die Institution durch pro-
fessionelle Mitarbeiterstäbe und weitere Ressourcen professionalisiert.

Abbildung 2.1: Professionalisierung politischer Institutionen

Geringe Ressourcen Hohe Ressourcen

III
Hoher IV
Semiprofessionelle Institution
Professionalisierungsgrad Professionalisierte
durch mitgliederbasierte
des Amtes Institution
Professionalisierung
II
Niedriger
I Semiprofessionelle Institution
Professionalisierungsgrad
Amateurinstitution durch ressourcenbasierte
des Amtes
Professionalisierung

Quelle: Eigene Konzeption


2.3 Professionalisierung auf kommunaler Ebene – Konzeption 65

Die Höhe des Professionalisierungsgrades der Institution bestimmt sich dann


durch das Zusammenwirken dieser beiden Professionalisierungsarten (vgl. Ab-
bildung 2.1). Eine professionalisierte Institution verfügt sowohl über professio-
nalisierte Ämter als auch über hohe personelle und sachliche Ressourcen. Im
Gegensatz dazu zeichnet sich eine Amateurinstitution dadurch aus, dass das
Mandat ehrenamtlich ausgeübt wird, die Ämter also nicht professionalisiert
sind, und die personellen und sachlichen Ressourcen der Institution sehr gering
sind. Institutionen, die lediglich in einer der beiden Ausprägungen über einen
hohen Professionalisierungsgrad verfügen, haben damit einen höheren Professi-
onalisierungsgrad als die Amateurinstitutionen, aber einen niedrigeren als pro-
fessionalisierte Institutionen. Sie sind daher als semiprofessionelle Institutionen
einzustufen. Insofern gibt es semiprofessionelle Institutionen durch mitglieder-
basierte Professionalisierung und semiprofessionelle Institutionen durch res-
sourcenbasierte Professionalisierung (vgl. Abbildung 2.1).
Wie erläutert, wird generell davon ausgegangen, dass die Professionalisie-
rung des Amtes und die der Institution (also insbesondere der weiteren Ressour-
cen) parallel verlaufen. Jedoch ist es durchaus denkbar, dass sich der Professio-
nalisierungsprozess über die eine oder die andere Ausprägung entwickelt bzw.
semiprofessionell bleibt. Dies ist gerade für die vorliegende Analyse interessant:
Da die Mandatsträger auf kommunaler Ebene, wie erläutert, formal ehrenamt-
lich sind, wäre es durchaus denkbar, dass sich die Institution dadurch professio-
nalisiert hat, dass den Mandatsträgern stark zugearbeitet wird. Es wäre auch
denkbar, dass sich dabei aufgrund der unterschiedlichen institutionellen Rah-
menbedingungen in den Städten der verschiedenen Bundesländer unterschiedli-
che Professionalisierungsarten herausgebildet haben. Insofern wird bei der Ana-
lyse des Professionalisierungsgrades und -prozesses in den deutschen Großstäd-
ten auch untersucht, ob sich unterschiedliche Professionalisierungsarten entwi-
ckelt haben.

2.3.2 Indikatoren der Professionalisierung

In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, inwiefern ein Professionalisierungs-


prozess auf lokaler Ebene stattfindet, und wie hoch die Stadtparlamente und ihre
Mitglieder in den Großstädten bereits professionalisiert sind. Konzeptionell wird
dabei auf die amerikanische Professionalisierungsforschung zurückgegriffen,
die vor allem in den letzten 30 Jahren eine Vielzahl von Messgrößen für die
Untersuchung der Professionalisierung von Parlamenten entwickelt hat (vgl.
dazu Mooney 1994; King 2000; King/Zeckhauser/Kim 2002; Squire 1993;
Bowman/Kearney 1988; Citizens Conference on State Legislatures 1971;
66 2. Konzeptionelle Grundlagen

Z’graggen 2002:7f.). Trotz der Vielzahl der Ansätze ist allen gemeinsam, dass
das Professionalisierungskonzept
„generally refers to the enhancement of the legislature’s capacity to perform its role in the
policy-making process with an expertise, seriousness and effort“ (Mooney 1995:48; vgl.
Bowman/Kearney 1988:76ff.).

Als Grundlage für die Definition eines professionalisierten Parlaments dienen


die relevanten Attribute des amerikanischen Kongresses. Danach treffen sich
professionalisierte Parlamente in unlimitierten Sessionen, die Parlamentarier
erhalten ein hohes Einkommen und für die Parlamentsarbeit werden Mitarbeiter
und andere Einrichtungen zur Verfügung gestellt (vgl. auch Mooney 1994:73).
Darauf aufbauend entwickelte Squire Ende der 1980er Jahre einen viel beachte-
ten Index zur Messung der Professionalisierung: „Measures of professionaliza-
tion can be broken into three components: level of member remuneration, staff
support and facilities, and time demands“ (Squire 1988:69f.). Als Vergleichs-
maßstab für die Messung des Professionalisierungsgrades anderer Parlamente,
vor allem die der amerikanischen Staaten, zog er den amerikanischen Kongress
als hochprofessionalisiertes Parlament heran. Der Squire-Index mit seinen Indi-
katoren wurde in den letzten Jahren stark diskutiert und vielfach modifiziert.
King (2000:329) analysierte in einem historischen Vergleich die Professionali-
sierung der amerikanischen Parlamente und modifizierte dazu den Squire-Index
anlehnend an Kurtz (1991) und Hamm/Moncrief (1999). Er ersetzte den Indika-
tor ‚Mitarbeiter pro Parlamentarier im Parlament’ durch den Indikator ‚Ausga-
ben der Parlamente je Parlamentarier (exklusive deren Einkommen)’ (vgl. auch
King/Zeckhauser/Kim 2002:12). Mooney (1994) zeigte in Studien, dass die
verschiedenen Messgrößen zwar teilweise Unterschiede aufweisen, sich jedoch
alle aus den drei Hauptindikatoren ‚Einkommen der Parlamentarier’, ‚Länge der
Sessionen’ und ‚Kosten für die Infrastruktur der Parlamente’ zusammensetzen
und zudem im Vergleich eine große Konsistenz aufweisen. Somit wird in der
jüngsten Professionalisierungsforschung der USA dieser Index übereinstim-
mend zur Untersuchung des Professionalisierungsgrades verwendet.
Der in der amerikanischen Forschung verwendete Index für die Messung
der Professionalisierung besticht durch die Einfachheit des Konzepts. So erzeugt
die zeitliche Beanspruchung der Ratsmitglieder einen Professionalisierungs-
druck, der prinzipiell auf zwei Arten bearbeitet werden kann: Durch eine Erhö-
hung des Einkommens und damit die ‚Befreiung’ der Ratsmitglieder aus der
Abhängigkeit von ihrem zivilen Beruf (1), oder aber durch die Verbesserung der
Arbeitsbedingungen durch mehr Mitarbeiter und eine bessere technische Aus-
stattung und damit die zeitliche Entlastung der Ratsmitglieder in ihrer politi-
schen Arbeit (2). Damit beinhaltet der Index sowohl Indikatoren für die Unter-
2.3 Professionalisierung auf kommunaler Ebene – Konzeption 67

suchung des Professionalisierungsgrades des Amtes (Einkommen und Zeitauf-


wand) als auch für die der Institution (Ausgaben des Parlaments pro Parlamenta-
rier, personelle und sachliche Ressourcen). In der vorliegenden Studie wird für
die Untersuchung des Professionalisierungsprozesses auf lokaler Ebene in
Stadtparlamenten ein sehr ähnlicher Index verwendet, der allerdings hinsichtlich
der spezifischen Situation in den deutschen Kommunalparlamenten modifiziert
wurde. Die drei Indikatoren sind der ‚Zeitaufwand und die zeitliche Verteilung’
(1), die ‚Entschädigung der Ratsmitglieder’ (2) und die ‚Aufwendungen für das
Kommunalparlament’ (3).

2.3.2.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung

Abweichend von der amerikanischen Professionalisierungsforschung werden in


der vorliegenden Studie bezüglich des Zeitaufwands nicht nur die durchschnitt-
lichen ‚days in session’ als zeitlicher Aufwand gewertet, sondern die reale zeit-
liche Belastung durch das Ratsmandat untersucht. Daher werden nicht nur die
Sitzungstätigkeiten als Zeitaufwand angesehen, sondern die Zeit, die das einzel-
ne Ratsmitglied durchschnittlich pro Woche für die Ratsarbeit und für die dar-
aus entstehenden Aufgaben aufwendet bzw. aufwenden muss. Die Höhe des
Zeitaufwands ist natürlich stark davon abhängig, wie diese Tätigkeiten definiert
und abgegrenzt werden. Unter den gegebenen Bedingungen des heutigen Parla-
mentarismus in Deutschland erschöpft sich das aktive Politikengagement nicht
in der ‚reinen’ Mandatsausübung, die jedoch auch selbst schon eine erhebliche
Komplexität enthält. Die Umstände, unter denen solch ein Mandat errungen und
ausgeübt wird, implizieren jedoch eine ganze Reihe notwendiger Mandatsne-
bentätigkeiten, die mehr oder weniger zwingend mit der Mandatsausübung
zusammenhängen (vgl. dazu Schwabe/Vöhringer 1998:5; Ronge 1994:275;
Ronge 1992:14). Auch bei der Berechnung des Zeitaufwands der Abgeordneten
im Bundestag und in den Landtagen werden diese Mandatsneben-
tätigkeiten mit eingerechnet (vgl. Greß/Huth 1998:101ff.; Paprotny 1995:24ff.;
Kevenhörster/Schönbohm 1973:18ff.). Daher werden bei der folgenden Unter-
suchung der Zeitaufwand sowohl für die Ratstätigkeit im engeren Sinne als auch
für die sog. Mandatsnebentätigkeiten analysiert. Zu der Ratstätigkeit im engeren
Sinne zählen dabei

ƒ Sitzungen des Stadtrats: Ratssitzungen, Ausschüsse, Präsidium etc.,


ƒ Sitzungen der Fraktionen: Fraktionssitzungen, Vorstand, Arbeitskreise etc.,
ƒ Aufsichtsratssitzungen in kommunalen Unternehmen etc., in denen
parlamentarische Kontrolle erfolgt.
68 2. Konzeptionelle Grundlagen

Zu den Mandatsnebentätigkeiten zählen

ƒ die Sitzungsvorbereitung, insbesondere die Informationsbeschaffung und


-verarbeitung,
ƒ Repräsentationsaufgaben.

Für die Funktionsträger in den einzelnen Fraktionen, vor allem für die Frakti-
onsvorsitzenden, ergeben sich noch weitere Aufgaben der Ratstätigkeit bzw.
Fraktionsarbeit, die ebenfalls hinsichtlich des Zeitaufwands untersucht werden.
Neben dem reinen Zeitaufwand wird aber auch die zeitliche Verteilung der
Ratstätigkeiten untersucht. Wie erläutert, soll in der Arbeitsorganisation des
Feierabendparlaments die Berufstätigkeit berücksichtigt werden (vgl. 2.1.2.6;
2.2.2.1). Aufgrund dessen sollen die Sitzungstätigkeiten nach ‚Feierabend’ er-
folgen, damit die ehrenamtlichen Mandatsträger Beruf und Mandat vereinbaren
können. Eine zeitliche Verteilung der Ratstätigkeiten, die die Ausübung eines
Berufs stark einschränkt oder unmöglich macht, ist hingegen Ausdruck einer
Professionalisierung.

2.3.2.2 Indikator II: Entschädigung der Ratsmitglieder

Als zweiter Indikator wird die finanzielle Entschädigung der Ratsmitglieder


untersucht. Dieser Indikator kann Aussagen darüber machen, wie professionali-
siert das Amt ist, und ob der einzelne Mandatsträger aus diesem direkt aus dem
Amt bezogenen Einkommen leben kann. Als monatliche Entschädigung der
Mandatsträger werden die Aufwandsentschädigung, die Sitzungsgelder und das
Einkommen durch die Aufsichtsratsmandate definiert. Um zu analysieren, ob es
unterschiedliche Professionalisierungsgrade der Ämter gibt, wird ebenso wie
beim Zeitaufwand auch das Einkommen der Fraktionsvorsitzenden untersucht.
Wie die Analyse des historischen Professionalisierungsprozesses zeigte, ist
jedoch nicht nur das Einkommen, sondern auch die soziale Absicherung ein
Zeichen für den Grad der Professionalisierung. Insofern wird auch untersucht,
ob die Ratsmitglieder neben der Entschädigung sozial abgesichert werden, bei-
spielsweise durch eine Altersversorgung für Abgeordnete.

2.3.2.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament

Als dritter Indikator für den Grad der Professionalisierung werden die Aufwen-
dungen für das Kommunalparlament untersucht. Dabei handelt es sich um Auf-
2.3 Professionalisierung auf kommunaler Ebene – Konzeption 69

wendungen, die die Fraktionen in den Stadtparlamenten zur Ausübung der Frak-
tionsgeschäfte und zur Unterstützung der Ratsmitglieder erhalten. Diese werden
aus Gründen der Vergleichbarkeit pro Ratsmitglied gemessen, da die Stadtpar-
lamente in ihrer Größe z.T. erheblich differieren (vgl. 3.3). Neben der reinen
Höhe dieser Aufwendungen wird auch untersucht, welche Auswirkungen die
Höhe des Budgets einerseits auf die personelle Ausstattung der Fraktionsge-
schäftsstellen hat. Dabei wird neben der reinen Anzahl der Mitarbeiter auch
nach der Qualität der Mitarbeiter differenziert (wissenschaftliche und administ-
rative Mitarbeiter), da dadurch Aussagen hinsichtlich der tatsächlichen Unter-
stützung für die Ratsmitglieder gemacht werden können. Durch diese personel-
len Ressourcen verbessert sich auch die Qualität der Ratsarbeit:
„The more personal and research staff working in a legislature, the better its members can
investigate public problems, check the biases of information sources, and respond to
constituents” (Mooney 1995:52f.).

Dadurch werden die Parlamente und die Mandatsträger zudem auch unabhängi-
ger von der Verwaltung und anderen Akteuren:
„The implications of the expansion of staff capacity for the legislatures are many. Foremost, it
has given the legislatures independence, both from the executive branch and from those who
seek to influence legislative action” (Pound 1992:15).

Andererseits werden die weiteren Ressourcen der Ratsmitglieder und Fraktionen


untersucht, vor allem hinsichtlich der technischen Ausstattung. So hat
„the evolution of computers and information system technology (…) greatly enhanced the
capacity of legislatures to develop and analyze information and make it more readily available
to the members” (Pound 1992:15).

Zu der technischen Ausstattung gehören neben dem Equipment insbesondere so


genannte Parlamentsinformationssysteme. In diesen Plattformen können die
Mandatsträger Verwaltungsdokumente wie Protokolle und Tagesordnungen
ebenso einsehen und online recherchieren wie Vorlagen und Anträge. Dies er-
leichtert den Mandatsträgern den Informationszugang und die Informationsver-
arbeitung, bringt eine größere zeitliche Flexibilität und ist zeitsparend.
3 Methoden

3.1 Methodisches Vorgehen

Zur Untersuchung der in der Einleitung und unter 2.3 entwickelten Fragen nach
einem Professionalisierungsprozess der Kommunalpolitik in den deutschen
Großstädten wurde ein multimethodisches Vorgehen gewählt. Dieses methodi-
sche Vorgehen und die Fallauswahl werden im Folgenden erläutert. Die ausge-
wählten Untersuchungsstädte und ihre Kommunalvertretungen werden an-
schließend kurz portraitiert.
Der Professionalisierungsprozess wird in der vorliegenden Studie in vier
Städten mit unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen vergleichend
untersucht (vgl. zu diesem Vorgehen auch Studien von Eliassen/Pedersen 1978;
Best/Cotta 2000). Dabei fokussiert die Untersuchung auf die Analyse der Pro-
fessionalisierung in deutschen Großstädten (vgl. 1; 2.1.2.6). In Anlehnung an
Gabriel (2000:190) werden Städte ab einer Einwohnerzahl von mindestens
400.000 Einwohnern als Großstädte definiert und in die Analyse einbezogen
(vgl. zu den Auswahlkriterien 3.2). Zusätzlich zu der vergleichenden Untersu-
chung wird der Prozess der Professionalisierung diachron analysiert. Wie die
Ausführungen gezeigt haben (vgl. 2.2.2.2), vollzog sich der Professionalisie-
rungsprozess auf den höheren Ebenen des politischen Systems über einen lan-
gen Zeitraum hinweg. Um diese Entwicklungen in den Großstädten erfassen zu
können, wird der Grad der Professionalisierung in den Großstädten des Untersu-
chungsjahres 2002 mit jenem im Jahr 1984 verglichen. Das Jahr 1984 bietet sich
als Vergleichsjahr aus mehreren Gründen an: In der bereits erwähnten Studie
von Kempf (1989) zu den Arbeitsbedingungen der Ratsmitglieder wurden die
Daten zu den unter 2.3.2 entwickelten Indikatoren zum Großteil bereits erhoben.
Ein Untersuchungszeitraum von 20 Jahren ist des Weiteren geeignet, um lang-
fristige Veränderungen und Entwicklungstendenzen analysieren zu können.
Da eine mögliche Professionalisierung der Kommunalpolitik bisher nicht
wissenschaftlich untersucht wurde, ist das gewählte multimethodische Vorgehen
für die komparative und longitudinale Untersuchung des Professionalisierungs-
prozesses geeignet. Darüber hinaus wird die Triangulation verschiedener For-
schungsmethoden in der Sozialforschung als probates Mittel gesehen, um Ver-
zerrungspotenziale, die sich aus der Untersuchung eines Gegenstandsbereichs
3.1 Methodisches Vorgehen 71

mit nur einer Methode ergeben, zu minimieren und die Validität der verwende-
ten Methoden und der gefundenen Ergebnisse zu erhöhen (Lamnek 1993; Patton
1990; Oevermann 1979:352; Kleining 1982:225). Folgende drei Erhebungsme-
thoden wurden in der vorliegenden Studie eingesetzt: Die Dokumentenanalyse,
die schriftliche Befragung und Leitfadeninterviews. Das methodische Vorgehen
ist insoweit dreistufig, als dass die drei Methoden nacheinander, und bezüglich
der Ergebnisse aufeinander aufbauend, angewendet werden: So wurden auf
Grundlage der Ergebnisse der Dokumentenanalyse sowohl die vier Untersu-
chungsstädte ausgewählt als auch der Fragebogen für die schriftliche Befragung
entwickelt. Aus den Ergebnissen dieser schriftlichen Befragung wiederum wur-
den zum einen die zentralen Fragen für die Leitfadeninterviews abgeleitet, zum
anderen waren die Ergebnisse Grundlage für die Auswahl der Interviewpartner.
Die gewonnenen Daten wurden sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgewer-
tet. Im Folgenden werden die drei Erhebungsmethoden näher erläutert.

3.1.1 Dokumentenanalyse

Die Grundlage der Untersuchung des Professionalisierungsprozesses in den


deutschen Großstädten bildet eine Dokumentenanalyse, um zwei der unter 2.3.2
entwickelten Indikatoren für den Grad der Professionalisierung – die ‚Entschä-
digung der Ratsmitglieder’ und die ‚Aufwendungen für das Kommunalparla-
ment’ – und die Rahmenbedingungen der Ratsarbeit zu untersuchen. Eine erste
Analyse wurde in allen zwölf deutschen Großstädten mit mehr als 400.000 Ein-
wohnern durchgeführt. Auf Grundlage der Ergebnisse der Dokumentenanalyse
wurden die vier Untersuchungsstädte Frankfurt am Main, Nürnberg, Hannover
und Stuttgart ausgewählt, in denen die weitere Analyse erfolgte (vgl. 3.2). In
den vier Untersuchungsstädten erfolgte anschließend eine tiefergehende Aus-
wertung der Dokumente. Im Rahmen der Dokumentenanalyse wurden die
Kommunalverfassungen der betreffenden Bundesländer, Satzungen der Unter-
suchungsstädte wie die Entschädigungssatzungen und die Satzungen über die
Finanzierung der Fraktionen, Protokolle der Rats- und Ausschusssitzungen
sowie Tagesordnungen der kommunalen Vertretungskörperschaften recherchiert
und analysiert. Zusätzlich wurden in den Städten veröffentlichte Gutachten und
Studien ebenso herangezogen wie Berichte in den Printmedien und in den
Amtsblättern der Untersuchungsstädte. Der Zugang zu den verschiedenen Do-
kumenten erfolgte hauptsächlich über die Verwaltung und die Ratsfraktionen.
Des Weiteren wurden öffentlich zugängliche Dokumente und Informationen auf
den Internetseiten der Untersuchungsstädte verwendet (vgl. dazu auch Ale-
mann/Forndran 1995:175). Wie erläutert, wird der Professionalisierungsgrad des
72 3. Methoden

Jahres 2002 mit jenem von 1984 verglichen, um den Professionalisierungspro-


zess zu analysieren. Die wesentlichen Daten für das Jahr 1984 konnten aus der
Studie von Kempf (1989) gewonnen werden. Fehlende und ergänzende Daten
aus dem Jahr 1984 wurden bei Bedarf zusätzlich anhand von Satzungen, Proto-
kollen und Artikeln aus den Amtsblättern recherchiert. Zur Einordnung des
Professionalisierungsgrades in den Großstädten wurden die Daten bezüglich der
Diäten und Fraktionskostenzuschüsse auch für die Bürgerschaft in Hamburg und
für den Bundestag in den Online-Dokumenten der Parlamente recherchiert.

3.1.2 Schriftliche Befragung

Als weitere Methode der Datenerhebung wurde die schriftliche Befragung an-
gewendet. Wie erläutert, wurden auf Grundlage der Ergebnisse der Dokumen-
tenanalyse die vier Untersuchungsstädte Hannover, Frankfurt am Main, Stutt-
gart und Nürnberg ausgewählt. Die schriftliche Befragung richtete sich an alle
Ratsmitglieder in diesen vier Kommunalparlamenten. Während es bei der Do-
kumentenanalyse hauptsächlich um die Professionalisierung von Amt und Insti-
tution und damit um die allgemeinen Rahmenbedingungen der Ratsarbeit ging,
fand nun ein Perspektivenwechsel statt, da in der weiteren Analyse insbesondere
das Handeln der Akteure, der Ratsmitglieder, innerhalb dieser Rahmenbedin-
gungen im Vordergrund stand.
Da es sich bei der Analyse des Professionalisierungsprozesses auf lokaler
Ebene um ein bisher kaum erforschtes Gebiet handelt (vgl. 1. und 2.2.3), wur-
den zur Entwicklung des Fragebogens in den Monaten Februar bis April 2002
explorative Interviews mit Experten geführt, um einen qualitativen Zugang zum
Untersuchungsgegenstand zu erhalten (vgl. Strauss 1994; Kleining 1982:226).
Diese gering standardisierten Interviews wurden mit Fraktionsvorsitzenden bzw.
stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Kommunalparlamente in den zwei
Untersuchungsstädten Stuttgart und Hannover, mit Vertretern des Hessischen
Städtetages und des Städtetags Rheinland-Pfalz, mit weiteren Ratsmitgliedern
und Fraktionsgeschäftsführern in den Städten Karlsruhe, Heidelberg und Mann-
heim und mit dem Staatssekretär des Innenministeriums des Landes Baden-
Württemberg geführt. Diese Interviews dienten in erster Linie der Strukturie-
rung der weiteren Forschungsarbeit und der Entwicklung des Fragebogens (vgl.
Lamnek 1993:22; Atteslander 1995:173). Dadurch war es möglich, die Relevanz
des Forschungsvorhabens für die Kommunalpolitik und die einzelnen Ratsmit-
glieder festzustellen und Einschätzungen zur Entwicklung der Professionalisie-
rung zu erhalten. Auf Grundlage dieser Einschätzungen und der ersten Ergeb-
nisse wurde der Fragebogen für die schriftliche Befragung mit offenen und
3.1 Methodisches Vorgehen 73

geschlossenen Fragen entwickelt. Dabei wurde im Wesentlichen den „Grundsät-


zen der Frageformulierung“ nach Kromrey (1998:349f.) gefolgt und auf einfa-
che Frageformulierungen sowie auf Eindeutigkeit der Fragen und Antwortmög-
lichkeiten geachtet (vgl. auch Bortz/Döring 2003:254). Zur Überprüfung der
Fragen erfolgte ein Pretest des Fragebogens bei der CDU-Fraktion Leipzig (vgl.
dazu ausführlich Friedrichs 1990:245ff.). In erster Linie ging es dabei darum zu
testen, ob die Fragen und Antwortkategorien verständlich waren und ob der
Fragebogen die relevanten Bereiche zur Situation und Entwicklung der Ratsar-
beit in den Städten berücksichtigt.
Bei der Befragung handelt es sich um eine Vollerhebung aller Ratsmitglie-
der, die in dem Erhebungszeitraum zwischen August und Dezember 2002 ein
Mandat in einem der vier Kommunalparlamente ausübten. Insgesamt waren dies
287 Ratsmitglieder in den vier Städten: In Frankfurt 93 Stadtverordnete, in
Stuttgart 60 Stadträte, in Hannover 64 Ratsfrauen und -herren und in Nürnberg
70 Stadträte. Den Ratsmitgliedern wurde Anonymität zugesichert. Die Vertei-
lung der Fragebögen erfolgte über den Fraktionsvorsitzenden der jeweiligen
Fraktion in den Fraktionssitzungen. Im Vorfeld der Versendung wurden alle
Fraktionsgeschäftsführer bzw. -vorsitzenden angeschrieben und um Unterstüt-
zung gebeten, um die Kooperationsbereitschaft zu erhöhen (vgl. dazu Wieken
1974). Dabei zeigte sich eine große Unterstützung seitens der Verantwortlichen.
Nach vier Wochen wurde mit einer erneuten Versendung der Fragebögen bei
den Ratsmitgliedern nachgefasst.45 Die Nachfassaktion wurde weitere drei Wo-
chen später nochmals wiederholt (vgl. auch Wieken 1974:151; Bortz/Döring
2003:258).
Der Fragebogen umfasst 30 teils offene, teils standardisierte Fragen (siehe
Anhang). Fragen zu den soziodemographischen Daten, zu Erfahrungen im (vor-)
politischen Raum, zur Ausbildung und beruflichen Laufbahn wurden dabei
überwiegend geschlossen gestellt. Die für die vorliegende Untersuchung beson-
ders interessanten Fragen – wie z.B. zur Vereinbarkeit von Beruf und Mandat,
zu Professionalisierungstendenzen und zu den Einstellungen hinsichtlich der
weiteren Entwicklung auf kommunaler Ebene – wurden überwiegend offen
gestellt, da durch die bei geschlossenen Fragen erforderliche Kategorisierung
Informationen und Einstellungen der Ratsmitglieder verloren gehen können
(vgl. Alemann/Forndran 1995:168f.). Die Antworten der Ratsmitglieder wurden
sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgewertet. Die Auskünfte auf die offe-
nen Fragen wurden kategorisiert, wobei das Kategoriensystem induktiv aus den

45 Da die Ratsmitglieder die Möglichkeit hatten, den Fragebogen anonym zurückzuschicken,


wurden bei den Nachfassaktionen jeweils wieder alle Ratsmitglieder angeschrieben. Im An-
schreiben wurde denjenigen, die den Fragebogen bereits zurückgeschickt hatten, für ihre Teil-
nahme gedankt; die anderen wurden nochmals gebeten, den Fragebogen zurückzuschicken.
74 3. Methoden

gegebenen Antworten gewonnen wurde, da aufgrund des explorativen Zugangs


keine zu testenden Hypothesen gebildet worden waren, für die das Material
hätte deduktiv ausgewertet werden können (vgl. Bortz/Döring 2003:386ff.; vgl.
auch Brunner 1994). Die geschlossenen Fragen wurden quantitativ mit dem
Statistikprogramm SPSS ausgewertet (vgl. Janssen/Laatz 2003).
Insgesamt wurden von den 287 verschickten Fragebögen 149 zurückgesen-
det, was somit eine Rücklaufquote von insgesamt 51,9% ergibt. In Frankfurt lag
der Rücklauf bei 48,4% (45 von 93 Fragebögen), in Stuttgart bei 51,7% (31 von
60 Fragebögen), in Hannover bei 59,4% (38 von 64 Fragebögen) und in Nürn-
berg bei 50% (35 von 70 Fragebögen). Die Rücklaufquote ist bis heute ein
schwieriges Thema in den Sozialwissenschaften. Roth (1993:170) sieht in der
Rücklaufquote sogar ein „ungelöstes Problem“. Fragen wie ‚Ab welchem Rück-
lauf kann eine Umfrage ausgewertet werden?’ und ‚Wie ist ein hoher Rücklauf
zu erreichen?’ sind nach wie vor nicht allgemeingültig beantwortet. Eine Rück-
laufquote von mehr als 50% bei einer schriftlichen Befragung wird allgemein
jedoch als äußerst zufriedenstellend betrachtet. Für die Verwertbarkeit der Er-
gebnisse einer schriftlichen Befragung ist jedoch neben der Höhe des Rücklaufs
die Zusammensetzung der Stichprobe der Antworter, die Repräsentativität,
mindestens ebenso wichtig. Insofern ist nicht nur eine quantitative, sondern
auch eine qualitative Analyse durch den Vergleich bestimmter Merkmale der
Antworter mit denen der Gesamtgruppe geboten (vgl. Bortz/Döring 2003:257ff.;
Binder et al. 1979). In der vorliegenden Untersuchung entspricht die prozentuale
Verteilung des Rücklaufs nach den Merkmalen ‚Fraktion/Gruppe’ und ‚Ge-
schlecht’ den Prozentanteilen an der Grundgesamtheit fast genau. Lediglich bei
den kleineren Fraktionen und bei den Einzelvertretern müssen hierbei Abstriche
gemacht werden.46 Weitere Merkmale, die für die vorliegende Untersuchung von
Interesse sind47, können hier nicht verglichen werden, da die Daten für die
Grundgesamtheit nicht exakt genug vorliegen.48

46 Siehe Anhang. Hinsichtlich der großen Fraktionen gab es lediglich in Hannover größere
Abweichungen. So war der Rücklauf bei der SPD – auch aufgrund des sehr aktiven Werbens
des Fraktionsvorsitzenden – sehr hoch (85%), während bei der CDU der Rücklauf sehr gering
war (lediglich 32%). Dieser Anteil konnte aber auch durch eine dritte Nachfassaktion nicht er-
höht werden.
47 Zur Diskussion der merkmalsspezifischen Repräsentativität vgl. Bortz/Döring 2003:400.
48 So wäre insbesondere die Berufsstruktur der Kommunalparlamente interessant gewesen. Wie
allerdings unter 5.2.4 noch gezeigt wird, stimmen die Selbstangaben der Ratsmitglieder über
ihren Beruf (teilweise erlernter Beruf, teilweise früher ausgeübter Beruf) auf den Internet-
Seiten der Fraktionen und auf den Wahlzetteln – teilweise aus wahlstrategischen Gründen –
häufig nicht mit der aktuellen Berufsausübung überein. In der vorliegenden Studie wurden die
Ratsmitglieder aber ganz bewusst nach ihrer aktuellen Berufsausübung befragt. Insofern wür-
de ein Vergleich des Rücklaufs mit der Grundgesamtheit nicht aufschlussreich sein.
3.1 Methodisches Vorgehen 75

3.1.3 Leitfadeninterviews

Als dritte Methode wurden face-to-face Leitfadeninterviews mit ausgewählten


Ratsmitgliedern der vier Untersuchungsstädte geführt. Die Interviews dienten
dazu, vertiefende qualitative Informationen zu den in der Dokumentenanalyse
und der schriftlichen Befragung erhobenen Aspekten zu erlangen, um eine mög-
lichst adäquate Interpretation zu ermöglichen (vgl. dazu auch Oevermann
1979:367; Mayring 1993:17). In jeder der vier Städte wurden bewusst anhand
bestimmter Variablen zehn Ratsmitglieder für diese Interviews ausgewählt, so
dass insgesamt 40 Interviews geführt wurden. In der schriftlichen Befragung
wurde nach der grundsätzlichen Bereitschaft zur Teilnahme an einem ausführli-
chen persönlichen Interview gefragt. 70% der Ratsmitglieder erklärten sich dazu
bereit. Bei der Auswahl der Interviewpartner wurde auf eine gleichmäßige Ver-
teilung der soziodemographischen Merkmale Geschlecht, Alter und Beruf eben-
so geachtet wie auf eine breite Streuung hinsichtlich ihrer Zugehörigkeitsdauer
zum Rat und der Parteizugehörigkeit. Zentral bei der Auswahl waren jedoch die
in der schriftlichen Befragung erhobenen, unterschiedlichen persönlichen und
beruflichen Rahmenbedingungen, die individuellen Strategien zur Vereinbarkeit
von Beruf und Mandat, sowie die Einstellungen zu den Entwicklungsoptionen
auf kommunaler Ebene. Alle nach diesen Kriterien ausgewählten Ratsmitglieder
erklärten sich zu einem Interview in der jeweiligen Stadt bereit.
Das Leitfadeninterview zeichnet sich dadurch aus, dass der Gesprächsver-
lauf relativ offen ist. Die Gesprächsführung orientierte sich in halbstandardisier-
ter Form an einem Leitfaden, der bewusst flexibel und offen gestaltet wurde, so
dass während des Gesprächs noch neue, relevante Aspekte integriert und disku-
tiert werden können. Dieser Leitfadenfragebogen beinhaltete sowohl generelle
Fragen zur Situation und Entwicklung der Professionalisierung in der jeweiligen
Untersuchungsstadt als auch auf die einzelnen Interviewten zugeschnittene
Fragen. Diese individuellen Fragen bezogen sich konkret auf die oben genann-
ten persönlichen und beruflichen Rahmenbedingungen. Die Interviews dauerten
zwischen 45 und 75 Minuten und wurden auf Tonband aufgezeichnet. Anschlie-
ßend wurden alle Interviews transkribiert, so dass sie als vollständige Fließtexte
vorlagen, die mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet wurden. Dieses
Vorgehen wurde gewählt, da die qualitative Inhaltsanalyse zunehmend als Me-
thode der Datenauswertung auch bei Leitfadeninterviews herangezogen wird
(vgl. Atteslander 1995:229). Da gerade Interviewtexte häufig komplex und
vielschichtig sind, müssen sie geordnet, zusammengefasst und abstrahiert wer-
den. Durch die Inhaltsanalyse werden die „Daten begreifbar und für die Frage-
stellung entscheidbar“ (Wiedemann 1986:137; vgl. auch Lamnek 1993:197).
Das Vorgehen orientierte sich dabei an dem Auswertungskonzept von Mayring
76 3. Methoden

(1993). So wurden die transkribierten Interviewtexte zunächst mittels Paraphra-


sierung und Generalisierung so reduziert, dass sie nur noch die wichtigsten
Inhalte umfassten (‚Zusammenfassende Inhaltsanalyse’).49 Anschließend wurden
die Interviewtexte inhaltlich gemäß der Fragestellung geordnet und gegliedert
(‚Strukturierende Inhaltsanalyse’) (vgl. Mayring 1993:58ff., 91ff.). Zur Beant-
wortung der zentralen Fragestellung der Untersuchung wurden die Ergebnisse
der drei dargestellten Erhebungsmethoden zusammengeführt.

3.2 Fallauswahl

Die Dokumentenanalyse wurde, wie erläutert, in allen zwölf deutschen Groß-


städten mit mehr als 400.000 Einwohnern durchgeführt.

Tabelle 3.1: Einwohnerzahlen der deutschen Großstädte

Stadt Einwohnerzahl
Dortmund 572.000
Dresden 519.000
Duisburg 528.000
Düsseldorf 566.000
Essen 622.000
Frankfurt 615.000
Hannover 515.000
Köln 1.005.000
Leipzig 475.000
München 1.267.000
Nürnberg 495.000
Stuttgart 589.000

Quelle: Eigene Zusammenstellung auf Grundlage der Amtlichen Einwohnerzahlen, Stand 2002

49 Als zweiter Schritt folgt bei Mayring die ‚Explizierende Inhaltsanalyse’, in der unklare Text-
bestandteile durch zusätzliches Material verständlich gemacht werden. Dieser Schritt war bei
der vorliegenden Auswertung nicht notwendig, da Unklarheiten bereits durch Nachfragen in
den Interviews geklärt werden konnten.
3.2 Fallauswahl 77

Diese Großstädte sind Dortmund, Dresden, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Frank-


furt, Hannover, Köln, Leipzig, München, Nürnberg und Stuttgart.50 Dabei wurde
die Messgröße von Gabriel (2000:190) herangezogen, der ab einer Einwohner-
zahl von 400.000 in Deutschland von einer Großstadt spricht.51 Die unter 2.1.2.6
genannten Studien zum Zeitaufwand der Mandatsträger zeigen, dass dieser im
Vergleich zur Stadtgröße überproportional ansteigt. Die zwölf Großstädte vari-
ieren in ihrer Größe von knapp 500.000 bis zu knapp 1,3 Millionen Einwohnern.
Um keine Verzerrungseffekte zu erhalten, wird in der vorliegenden Untersu-
chung die Variable ‚Stadtgröße’ konstant gehalten. Daher werden die beiden
Großstädte München und Köln nicht in die Untersuchung miteinbezogen. Die
übrigen zehn Städte liegen alle im Bereich zwischen 495.000 und 622.000 Ein-
wohnern und kommen daher für die Fallauswahl in Frage. Die Auswahl der
Großstädte erfolgte anhand zwei grundlegender Indikatoren der Professionali-
sierung (vgl. 2.3.2): Zum einen anhand der ‚Entschädigung der Ratsmitglieder’,
zum anderen anhand der ‚Aufwendungen für das Kommunalparlament’.

Tabelle 3.2: Indikatoren der Fallauswahl

Entschädigung 2002 Aufwendungen für das


Entschädigung 2002
inkl. Sitzungsgeldern Parlament 2002
Dortmund 534 Euro 402 Euro 14.510 Euro
Dresden 600 Euro 408 Euro 7.314 Euro
Duisburg 534 Euro 402 Euro 11.638 Euro
Düsseldorf 534 Euro 402 Euro 22.212 Euro
Essen 534 Euro 402 Euro 10.180 Euro
Frankfurt 895 Euro 895 Euro 30.814 Euro
Hannover 466 Euro 466 Euro 17.846 Euro
Leipzig 770 Euro 330 Euro 14.190 Euro
Nürnberg 1.475 Euro 1.475 Euro 6.029 Euro
Stuttgart 1.770 Euro 920 Euro 17.883 Euro

50 Die drei Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin haben einen institutionellen Sonderstatus
in ihrer Doppelfunktion als Bundesland und Kommune. Wie unter 2.2.2.2 erläutert wurde, sind
die Parlamente in diesen Stadtstaaten auch zumindest semiprofessionell. Insofern werden diese
drei Stadtstaaten in der Untersuchung nicht berücksichtigt.
51 Gabriel erläutert: „Everyone would agree that the German cities with a population of at least
500.000 inhabitants may be regarded as big and urban (...). On the other hand, applying this
criterion in a rigid way would lead to a complete exclusion of East German cities. In order to
avoid such a situation, the threshold was lowered to 400.000 inhabitants” (Gabriel 2000:190).
78 3. Methoden

Wie erläutert, besteht das Ziel dieser Studie zum einen darin, Unterschiede im
Professionalisierungsprozess und -grad zwischen den einzelnen Städten zu ana-
lysieren, zum anderen soll untersucht werden, ob es einheitliche Professionali-
sierungstendenzen in den deutschen Großstädten gibt – unabhängig von den
unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen. Die Auswahl der Unter-
suchungsfälle orientierte sich daher an der Methodik des most different systems
design (Przeworski/Teune 1970). Dementsprechend wurden die Untersuchungs-
städte so ausgewählt, dass sie über möglichst verschiedene Ausprägungen des
Professionalisierungsgrades verfügen. Damit ist es möglich, sowohl verallge-
meinerbare Aussagen zur Entwicklung der Professionalisierung zu überprüfen
als auch mögliche unterschiedliche Entwicklungen hinsichtlich der Professiona-
lisierung zu identifizieren und zu erklären. Daher wurden bei jedem Indikator
die beiden Städte mit der Extremausprägung ausgewählt, wodurch die Fallaus-
wahl vier Untersuchungsstädte ergab.
Zum einen wurde somit die Stadt mit der niedrigsten Aufwandsentschädi-
gung ausgewählt. Die Ratsmitglieder in den Großstädten Nordrhein-Westfalens
haben zwar die niedrigste Grundaufwandsentschädigung, allerdings erhalten sie
zusätzlich Sitzungsgelder. Addiert man diese modellhaft für die minimale An-
zahl an Sitzungen zu der Grundaufwandsentschädigung hinzu, ergibt sich eine
höhere Aufwandsentschädigung als in Hannover, da dort ein Pauschalbetrag
ohne zusätzliche Sitzungsgelder bezahlt wird. Daher ist Hannover die Stadt mit
der niedrigsten Ausprägung hinsichtlich des Indikators ‚Entschädigung der
Ratsmitglieder’. Entsprechend wurde des Weiteren die Stadt mit der höchsten
Aufwandsentschädigung ausgewählt: Da die Stadträte in Stuttgart mit 1.770
Euro monatlich die höchste Aufwandsentschädigung erhalten, ist Stuttgart die
zweite Untersuchungsstadt. Ebenso wurden auch beim zweiten Indikator ‚Auf-
wendungen für das Kommunalparlament’ die Städte mit den Extremausprägun-
gen ausgewählt: Dies sind Frankfurt am Main mit den mit Abstand höchsten
Aufwendungen pro Jahr und Nürnberg mit den niedrigsten. Auf Grundlage
dieser Fallauswahl sind somit Frankfurt am Main, Hannover, Nürnberg und
Stuttgart als Untersuchungsstädte ausgewählt worden. Diese vier Städte variie-
ren zudem hinsichtlich ihrer institutionellen Rahmenbedingungen, die unter
2.1.2.1 erläutert wurden. So finden in diesen Untersuchungsstädten unterschied-
liche Kommunalverfassungen mit verschiedenen Gemeindeordnungen und un-
terschiedliche Wahlsysteme für die Wahl der Ratsmitglieder Anwendung. Diese
werden im Folgenden im Rahmen von Kurzporträts der Untersuchungsstädte
erläutert.
3.3 Kurzportraits der vier Untersuchungsstädte 79

3.3 Kurzportraits der vier Untersuchungsstädte

3.3.1 Hannover

Die Landeshauptstadt Hannover ist mit 515.000 Einwohnern die größte Stadt
Niedersachsens. 1996 wurde das niedersächsische Kommunalverfassungsrecht
geändert, nach dem nun auch in Hannover das oben diskutierte Prinzip der Ein-
gleisigkeit gilt und der Oberbürgermeister direkt gewählt wird. Dem Stadtrat
gehören 65 Mitglieder an – 64 gewählte Ratsmitglieder und der Oberbürger-
meister. Die Ratsmitglieder werden alle fünf Jahre gewählt, wobei die Wähler
drei Stimmen haben, die sie auf verschiedene Listen und Personen verteilen
(panaschieren) und auch einer Liste oder Person bis zu drei Stimmen geben
können (kumulieren). Seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist die SPD durchgän-
gig die stärkste Fraktion im Rat. Im Rat der untersuchten Ratsperiode 2001 bis
2006 sind mit der SPD, der CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP
vier Fraktionen vertreten. Hinzu kommen zwei Einzelvertreter. Einen Überblick
über die Sitze und Sitzanteile gibt Tabelle 3.3. Für diese Wahlperiode hat die
SPD-Fraktion mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Koalition.

Tabelle 3.3: Hannover: Sitze und Sitzanteile

Fraktionen/ Gruppierungen Prozentanteil an Sitzen Sitze


SPD 46,2% 29
CDU 33,8% 22
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10,8% 7
FDP 6,2% 4
PDS 1,5% 1
WfH 1,5% 1
Gesamt 100,0% 64

3.3.2 Frankfurt am Main

Frankfurt am Main ist mit 615.000 Einwohnern die größte der vier Untersu-
chungsstädte. Für die in Hessen gelegene Stadt gilt die Hessische Gemeindeord-
nung (HGO), die eine so genannte ‚unechte Magistratsverfassung’ ist (vgl. hier-
zu Dreßler 2003:137). Die Besonderheit dieser Verfassung liegt darin, dass an
der Spitze der Verwaltung hier nicht der Bürgermeister allein steht, sondern ein
Kollegialorgan, der so genannte Magistrat, der sich aus dem Bürgermeister und
80 3. Methoden

den haupt- und ehrenamtlichen Beigeordneten zusammensetzt (vgl. Dreßler


2003:136; Borchmann/Breithaupt/Viola 1986). Wie unter 2.1.2.1 erläutert, wur-
de in Hessen die Kommunalordnung in den 1990er Jahren verändert. So wurden
u.a. die Direktwahl der Bürgermeister und der Bürgerentscheid auf Gemeinde-
ebene eingeführt und das Wahlsystem verändert. Seit den Kommunalwahlen
2001 haben die Wähler bei den Kommunalwahlen in Hessen so viele Stimmen,
wie Vertreter zu wählen sind, und können panaschieren und kumulieren. Da-
durch können sie auf die Wahl und Platzierung einzelner Kandidaten Einfluss
nehmen (personalisiertes Verhältniswahlrecht). Dieses Wahlsystem löste die
starre Listenwahl ab. Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung ist mit 93
Mandatsträgern das größte Kommunalparlament in Deutschland. In Hessen hat
die Parteipolitisierung in den 1970er Jahren besonders deutliche Spuren hinter-
lassen: So ist dort nicht nur die Fraktionsdisziplin sehr wichtig, die HGO kennt
sogar die ‚Ein-Personen-Fraktionen’. Nach dieser Regelung erhält jede Partei
oder Wählergruppe, die nach der Wahl in der kommunalen Vertretungskörper-
schaft vertreten ist, Fraktionsstatus. 1999 wurde zudem die Fünf-Prozent-Hürde
aus dem hessischen Kommunalwahlrecht gestrichen.

Tabelle 3.4: Frankfurt: Sitze und Sitzanteile

Fraktionen Prozentanteil an Sitzen Sitze


CDU 38,7% 36
SPD 30,1% 28
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14,0% 13
FDP 4,3% 4
FAG 4,3% 4
Republikaner 3,2% 3
PDS 2,2% 2
Europa-Liste 1,1% 1
BFF 1,1% 1
ÖkoLinX-ARL 1,1% 1
Gesamt 100,0% 93

Seit der Wahl im März 2001 sind in der Frankfurter Stadtverordnetenversamm-


lung als Folge der Aufhebung der 5%-Hürde zehn Fraktionen vertreten52 – da-

52 In den Wahlperioden zuvor waren durchschnittlich vier bzw. fünf Fraktionen in der Stadtver-
ordnetenversammlung vertreten.
3.3 Kurzportraits der vier Untersuchungsstädte 81

runter drei Ein-Personen-Fraktionen. Dies hat die Mehrheitsverhältnisse in der


Stadtverordnetenversammlung stark verändert. Aufgrund dessen gibt es in
Frankfurt seit der Wahl 2001 das so genannte ‚Vierer-Bündnis’ aus CDU, SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, das über die wichtigen Entscheidungen
gemeinsam entscheidet.

3.3.3 Nürnberg

Nürnberg ist mit 495.000 Einwohnern nach München die zweitgrößte Stadt
Bayerns. Gemeinsam mit Fürth und Erlangen bildet Nürnberg den mittelfränki-
schen Großraum und ist einer der deutschen Ballungsräume. Die Stadträte wer-
den alle sechs Jahre gewählt. Das Wahlsystem ist eine personalisierte Verhält-
niswahl mit offenen Listen. Die Wähler haben so viele Stimmen, wie Stadträte
zu wählen sind, und können kumulieren und panaschieren.

Tabelle 3.5: Nürnberg: Sitze und Sitzanteile

Fraktionen/Gruppierungen Prozentanteil der Sitze Sitze


CSU 43,6% 32
SPD 39,5% 29
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5,8% 4
BI Ausländerstopp 2,3% 1
FDP 2,1% 1
Die Guten 2,0% 1
Republikaner 1,4% 1
Freie Wähler 1,4% 1
Gesamt 99,8% 70

Der Stadtrat in Nürnberg hat gem. Art. 31 II GO 70 Stadtratsmitglieder. Obwohl


in Bayern die Freien Wähler neben CSU und SPD die dritte kommunalpolitische
Kraft sind, spielen sie im Stadtrat in Nürnberg keine Rolle. Der Stadtrat wird in
der Wahlperiode 2002-2008 von den beiden großen Fraktionen CSU mit 32
Sitzen und SPD mit 29 Sitzen dominiert. Allerdings gibt es keine klaren Mehr-
heiten im Rat, da CSU und Freie Wähler auf der einen Seite sowie SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf der anderen Seite die gleiche Anzahl an Sit-
zen haben. Dies würde dazu führen, dass bei Abstimmungen im Stadtrat der
Vertreter der Republikaner und der Vertreter der Bürgerinitiative Ausländer-
82 3. Methoden

stopp ‚Zünglein an der Waage’ wären. Aufgrund dessen gibt es in Nürnberg in


der untersuchten Wahlperiode eine so genannte ‚All-Parteien-Koalition’. Diese
Konstellation führt nach Angaben der Stadträte dazu, dass in Nürnberg wieder
stärker die Sachpolitik im Vordergrund steht und eher konkordanzdemokrati-
sche Strukturen vorherrschen.

3.3.4 Stuttgart

Stuttgart, die Landeshauptstadt Baden-Württembergs, hat 589.000 Einwohner.


Der Gemeinderat umfasst 60 Stadträte und wird alle fünf Jahre gewählt. Nach
§26 GemO BW haben die Wähler die Möglichkeit zum Panaschieren und Ku-
mulieren. Dabei haben sie so viele Stimmen wie Mitglieder im Rat sind. In der
vorliegenden Studie wird die Ratsperiode 1999 bis 2004 untersucht. In dieser
Periode sind mit der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Freien
Wählern und der FDP fünf Fraktionen vertreten.

Tabelle 3.6: Stuttgart: Sitze und Sitzanteile

Fraktionen/ Gruppierungen Prozentanteil der Sitze Sitze


CDU 41,7% 25
SPD 25,0% 15
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13,3% 8
Freie Wähler 6,7% 4
FDP 6,7% 4
Republikaner 5,0% 3
PDS 1,7% 1
Gesamt 100,0% 60

Des Weiteren sitzen Vertreter von Republikanern und PDS im Rat. In Stuttgart
gibt es im Gegensatz zu Hannover und Frankfurt keine festgelegte Koalition, so
dass die Entscheidungen mit wechselnden Mehrheiten im Rat gefällt werden.
Die CDU ist jedoch stärkste Fraktion im Rat.
4 Professionalisierung in deutschen Großstädten

Die zentrale Frage der vorliegenden Untersuchung ist, ob ein Professionalisie-


rungsprozess in den deutschen Großstädten stattgefunden hat und wie hoch die-
se (informelle) Professionalisierung ist. Dazu werden im Folgenden der aktuelle
Professionalisierungsgrad der Institutionen und der Ämter sowie die Entwick-
lung der vergangenen 20 Jahre in den vier Untersuchungsstädten untersucht. In
einem ersten Schritt werden die unter 2.3.2 entwickelten Indikatoren ‚Zeitauf-
wand und zeitliche Verteilung’, ‚Entschädigung der Ratsmitglieder’ und ‚Auf-
wendungen für das Kommunalparlament’ des Jahres 2002 untersucht und mit
jenen des Jahres 1984 verglichen. Anschließend werden die Ergebnisse der In-
dikatoren zusammengefasst, um zu untersuchen, wie professionalisiert Amt und
Institution in den Großstädten sind und ob in den Städten ein Professionalisie-
rungsprozess stattgefunden hat. Dabei wird jedoch nicht nur die Höhe des Pro-
fessionalisierungsgrades analysiert, sondern auch die Art der Professionalisie-
rung. Wie unter 2.3.1.3 hergeleitet, sind auf der Ebene der politischen Institutio-
nen theoretisch unterschiedliche Professionalisierungsarten denkbar: Zum einen
die mitgliederbasierte Professionalisierung, die sich dadurch auszeichnet, dass
die politischen Ämter professionalisiert sind, und zum anderen die ressourcen-
basierte Professionalisierung, die die Institution durch professionelle Mitarbei-
terstäbe und weitere Ressourcen professionalisiert. Aufgrund der unterschiedli-
chen institutionellen Rahmenbedingungen in den Städten der verschiedenen
Bundesländer könnten sich unterschiedliche Professionalisierungsarten heraus-
gebildet haben. Um die Ergebnisse besser einordnen zu können, werden sie je-
weils auch mit den Entwicklungen in den anderen deutschen Großstädten und
mit jenen auf den anderen Ebenen des politischen Systems verglichen.

4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung

Wie unter 2.3.2.1 hergeleitet, wird in der vorliegenden Studie die zeitliche Be-
lastung durch das Ratsmandat analysiert. Dabei werden nicht nur die Ratstätig-
keit im engeren Sinne, sondern auch die so genannten Mandatsnebentätigkeiten
untersucht. Zu den Ratstätigkeiten im engeren Sinne zählen dabei die Sitzungen
des Stadtrats, insbesondere die Rats- und Ausschusssitzungen, die Sitzungen der
84 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

Fraktionen, Sitzungen für weitere Gremien und Aufsichtsratssitzungen in (for-


mal privatisierten) kommunalen Unternehmen, in denen parlamentarische Kon-
trolle erfolgt. Gemäß den Gemeindeordnungen ist die Anwesenheit bei diesen
Rats- und Ausschusssitzungen Pflicht (sog. Mitwirkungspflicht). Die Ratsmit-
glieder können sich lediglich im Ausnahmefall vertreten lassen53. Im Gegensatz
zu diesen Ratstätigkeiten sind die Mandatsnebentätigkeiten gesetzlich nicht vor-
geschrieben und liegen frei im Ermessen der Ratsmitglieder und der Fraktionen.
Zu diesen Mandatsnebentätigkeiten zählen die Vorbereitung zu Sitzungen und
Repräsentationsaufgaben, wie der Kontakt zu Bürgern und Organisationen, der
Besuch von Veranstaltungen und die Medienarbeit. Neben der reinen Höhe des
Zeitaufwands wird des Weiteren die zeitliche Verteilung der Ratstätigkeiten,
insbesondere der Sitzungen, analysiert, um zu untersuchen, ob und zu welchem
Grad die Lage der Sitzungen die eigentliche Berufsausübung einschränkt. In
einem ersten Schritt werden nun zunächst die beiden Unterindikatoren Zeitauf-
wand und zeitliche Verteilung für die vier Untersuchungsstädte analysiert, bevor
sie in Bezug zu weiteren Studien zum Zeitaufwand in deutschen Großstädten, in
Landtagen und im Bundestag gesetzt werden. Dieser Indikator für den Professi-
onalisierungsgrad zeigt, wie hoch die zeitliche Belastung für die im eigentlichen
Sinne ehrenamtlichen Ratsmitglieder ist, und ob eine ehrenamtliche und neben-
berufliche Ausübung des Mandats überhaupt möglich ist. Wie hoch ist also der
Professionalisierungsdruck in den deutschen Großstädten?

4.1.1 Ratstätigkeit im engeren Sinne

Die Analyse der Ratstätigkeit im engeren Sinne untergliedert sich im Folgenden


in die Analyse des Zeitaufwands und jene der Lage der Sitzungen.

4.1.1.1 Zeitaufwand

Die Ratstätigkeit im engeren Sinne schließt, wie oben bereits erläutert, die Rats-
und Ausschusssitzungen, die Fraktionssitzungen und weitere Gremiensitzungen
mit ein.

53 Vgl. z.B. §30 Abs. 4 GOBay; §34 Abs. 3 GO Ba-Wü. Aus der Berufung durch den Wähler
ergibt sich die rechtliche und politische Pflicht für die ehrenamtlichen Ratsmitglieder, an den
Aufgaben des Gemeinderats mitzuwirken. Die Mitglieder sind deshalb verpflichtet, an den
Sitzungen teilzunehmen. Sie dürfen Sitzungen nur fernbleiben, wenn ausreichende Gründe da-
für vorhanden sind, zum Beispiel Krankheit und Ortsabwesenheit aus beruflichen Gründen
(§38 Abs. 1 GO Ba-Wü).
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 85

Die Ratsherren und -frauen in Hannover geben an, dass sie für die Ratstätigkeit
im engeren Sinne durchschnittlich 18 Stunden pro Woche benötigen. So findet
einmal pro Monat eine Ratsversammlung statt, an der alle Ratsmitglieder teil-
nehmen. Hinzu kommt der Zeitaufwand für die Ausschusssitzungen. Die Aus-
schüsse tagen dabei unterschiedlich häufig: Während beispielsweise der Stadt-
entwicklungs- und Bauausschuss 18-mal im Jahr zusammentritt, finden im
Sportausschuss lediglich neun Sitzungen pro Jahr statt. Im Durchschnitt tagen
die Ausschüsse einmal monatlich bei einer Sitzungsdauer von zwei Stunden.
Die Ratsmitglieder der großen Fraktionen sind in der Regel in zwei bis drei
Ausschüssen vertreten, die Vertreter der kleinen Fraktionen in durchschnittlich
vier Ausschüssen. Vor jeder Ausschusssitzung findet in den großen Fraktionen
zusätzlich eine Vorbesprechung des Arbeitskreises der Fraktion statt, in der die
Vorlagen und Drucksachen diskutiert werden. Diese Besprechungen dauern
durchschnittlich ebenfalls zwei Stunden. Insofern gibt es bei den Ausschusssit-
zungen und Vorbesprechungen zwischen den Fraktionsmitgliedern kleiner Frak-
tionen und denjenigen großer Fraktionen Unterschiede in zweierlei Hinsicht: So
haben die Fraktionsmitglieder kleiner Fraktionen im Vergleich zu jenen der
großen Fraktionen zwar eine größere Anzahl an Ausschüssen, jedoch keine zu-
sätzlichen Arbeitskreissitzungen. Grund dafür ist, dass bei den großen Fraktio-
nen durchschnittlich fünf bis sechs Personen in den einzelnen Ausschüssen ver-
treten sind und dadurch eine Abstimmung zwischen den Mitgliedern erforder-
lich ist, während bei den kleinen Fraktionen lediglich eine Person die Fraktion
in den einzelnen Ausschüssen vertritt. Dies führt aber gleichzeitig dazu, dass bei
den großen Fraktionen eine Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedern stattfindet.
Zumeist übernimmt dabei nach Angaben der Ratsmitglieder der Ausschussspre-
cher die Hauptarbeit – insbesondere auch im Bereich der Vorbereitung (vgl.
4.1.2.1). Bei den übrigen Ausschussmitgliedern gibt es nach Aussagen der
Ratsmitglieder auch sog. Hinterbänkler (vgl. H6, H23). Die Vertreter der klei-
nen Fraktionen hingegen sind meist alleine für die Themenbereiche der einzel-
nen Ausschüsse verantwortlich, was zu einem höheren Zeitaufwand führt.
Mindestens im zweiwöchentlichen Rhythmus findet in allen Fraktionen ei-
ne dreistündige Fraktionssitzung statt. Zusätzlich sind die Ratsmitglieder in wei-
teren Kommission, Beiräten und Aufsichtsräten vertreten, für die ein zusätzli-
cher Zeitaufwand anfällt. Dieser Zeitaufwand ist zum Teil erheblich, insbeson-
dere bei Aufsichtsräten in größeren Unternehmen (z.B. Flughafen, Stadtsparkas-
se, Stadtwerke, Verkehrsbetriebe). So erläutert ein Ratsherr:
„Ich bin im Verwaltungsrat der Stadtsparkasse, der viermal im Jahr tagt. Der hat aber zusätz-
lich noch ein paar Fachausschüsse, so dass ich dafür insgesamt 18 Termine im Jahr habe“
(H27).
86 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

Die Stadtverordneten in Frankfurt geben einen durchschnittlichen wöchentli-


chen Zeitaufwand von 21,5 Stunden für die Sitzungstätigkeiten an. Auch hier
gibt es monatlich eine Plenarsitzung, die durchschnittlich zwischen sieben und
neun Stunden dauert. Die Ausschüsse treten ebenfalls im monatlichen Rhyth-
mus zusammen. Dabei sind Stadtverordnete großer Fraktionen in durchschnitt-
lich zwei bis drei Ausschüssen vertreten, die Vertreter kleiner Fraktionen, wie in
Hannover, in vier Ausschüssen. Während in Hannover pro Ausschusssitzung
eine Arbeitskreissitzung stattfindet, sind es in Frankfurt in den großen Fraktio-
nen zwei: In einer wird dabei die Sitzung vorbereitet, in der anderen werden
Schwerpunktthemen diskutiert, Experten eingeladen oder Institutionen und Ein-
richtungen besucht. An den einzelnen Ausschüssen „hängen jedoch“, wie ein
Stadtverordneter an einem Beispiel erläutert, „noch viele Fach- und Unteraus-
schüsse dran“ (F27), die einen zusätzlichen Zeitaufwand erfordern.
„Ich bin im Ausschuss für Jugend und Soziales. Da haben wir ein Kinder- und Jugendhilfege-
setz, durch das wir eine Menge an strukturellen Institutionen haben: Wir haben einen Fach-
ausschuss Erziehungshilfe, den Jugendhilfeausschuss, einen Fachausschuss für Kinder- und
Jugendbetreuung. Dann bin ich noch Mitglied im Verwaltungsrat des Jugendbildungswerkes
und im Vorstand der Gesellschaft für Jugendbeschäftigung, die Jugendlichen bei der Arbeits-
suche hilft“ (F27).

Ebenso wie in Hannover finden im wöchentlichen Rhythmus Fraktionssitzungen


statt, die durchschnittlich drei bis vier Stunden in Anspruch nehmen. Die Mit-
glieder des Fraktionsvorstands haben wöchentlich eine zusätzliche zweistündige
Sitzung. Hinzu kommen für die Stadtverordneten die weiteren Gremien und die
Aufsichtsratstätigkeiten, für die ein ähnlich hoher Zeitaufwand erforderlich ist
wie in Hannover.
In Nürnberg ergab die Analyse einen wöchentlichen Zeitaufwand von 19,6
Stunden für die Ratstätigkeiten im engeren Sinne. Im dreiwöchigen Rhythmus
findet in Nürnberg eine Stadtratssitzung statt, die zwischen vier und acht Stun-
den dauert. Wie in Hannover und Frankfurt finden die Ausschusssitzungen in
der Regel einmal pro Monat statt. Bei den großen Fraktionen kommt eine Ar-
beitsgruppensitzung vor den Ausschusssitzungen hinzu. Die Anzahl der Aus-
schüsse pro Stadtrat und die Länge der Ausschusssitzungen sind mit den beiden
anderen Städten vergleichbar. Die Fraktionssitzungen finden wöchentlich statt
und dauern wie in Hannover und Frankfurt durchschnittlich zwischen drei und
vier Stunden. Hinzu kommen auch hier Sitzungen weiterer Gremien und Auf-
sichtsratssitzungen.
Die Stadträte in Stuttgart geben an, dass sie durchschnittlich 23,7 Stunden
pro Woche für Rats-, Ausschuss- und Fraktionssitzungen aufwenden. Dies ist
im Vergleich zu den anderen drei Städten der höchste Zeitaufwand. Grund dafür
ist die höhere Sitzungshäufigkeit in Stuttgart: So tagt der Gemeinderat jede
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 87

zweite Woche. Dies hat auch Einfluss auf die Ausschusssitzungen, weil sie in
Stuttgart – abhängig von der Wichtigkeit der Ausschüsse – wöchentlich bzw. im
zweiwöchentlichen Rhythmus stattfinden. Neben diesen beschließenden Aus-
schüssen gibt es auch beratende Ausschüsse, die in der Regel einmal pro Monat
zusammentreten. Wie in den anderen Städten, findet auch in Stuttgart wöchent-
lich eine Fraktionssitzung statt, die durchschnittlich drei Stunden dauert. Die
Stadträte sind ebenso wie in den anderen Städten zusätzlich in weiteren Gremien
vertreten.

Tabelle 4.1: Zeitaufwand für die Ratstätigkeiten im engeren Sinne

Wöchentlicher Aufwand für die Ratstätigkeit


Frankfurt 21,5 Stunden/Woche
Hannover 18,1 Stunden/Woche
Nürnberg 19,6 Stunden/Woche
Stuttgart 23,7 Stunden/Woche
Durchschnitt 20,7 Stunden/Woche54

Quelle: Eigene Erhebungen

Der Vergleich des Zeitaufwands für die vier Untersuchungsstädte zeigt somit,
dass die Stadträte in Stuttgart mit durchschnittlich knapp 24 Stunden pro Woche
den höchsten Zeitaufwand für die Ratsarbeit im engeren Sinne haben, während
die Stadträte in Hannover mit rund 18 Stunden pro Woche nur ca. drei Viertel
der Zeit benötigen. Dies erklärt sich durch die unterschiedliche Sitzungshäufig-
keit der Ratsversammlungen und Ausschusssitzungen in den vier Untersu-
chungsstädten: Während die Kommunalparlamente in Frankfurt und Hannover
nur einmal pro Monat zur Ratssitzung zusammentreten, trifft sich der Stadtrat in
Nürnberg im dreiwöchentlichen und der Gemeinderat in Stuttgart im zweiwö-
chentlichen Rhythmus. Die Ausschusssitzungen finden in den drei Städten
Frankfurt, Hannover und Nürnberg in der Regel einmal pro Monat statt, wäh-
rend in Stuttgart jede bzw. jede zweite Woche eine Ausschusssitzung ist. In je-
der Stadt gibt es zwischen zwölf und 16 Ausschüsse zu verschiedenen Themen-
feldern, und durchschnittlich ist ein Ratsmitglied in drei Ausschüssen vertreten.
Dabei ist lediglich eine geringe Varianz55 zwischen den Städten festzustellen;

54 Die Standardabweichung beträgt 2,4 Stunden.


55 In Hannover und Stuttgart beträgt der Durchschnittswert 3,0, in Frankfurt 3,1 und in Nürnberg
2,9 Ausschüsse pro Ratsmitglied. Die Standardabweichung zwischen den Städten beträgt da-
her lediglich 0,1 Ausschüsse.
88 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

vielmehr variiert die Anzahl der Mitgliedschaften in den Ausschüssen vor allem
innerhalb der Städte. Die Spannweite beträgt in allen vier Untersuchungsstädten
5 und reicht von Ratsmitgliedern, die lediglich in einem Ausschuss Mitglied
sind, bis zu Ratsmitgliedern, die ihre Fraktion in sechs Ausschüssen vertreten56.
Wie bereits erläutert, sind insbesondere die Mitglieder kleinerer Fraktionen in
überdurchschnittlich vielen Ausschüssen vertreten. Des Weiteren sind Personen
mit einem hohen Zeitbudget – insbesondere Nicht-Berufstätige – und Funktions-
träger wie Fraktionsvorsitzende und Mitglieder im Fraktionsvorstand über-
durchschnittlich häufig Mitglieder in Ausschüssen. Hinzu kommen weitere
Gremien und Beiräte sowie die Abordnung von Ratsmitgliedern in Aufsichtsräte
von formal privatisierten kommunalen Unternehmen. Durchschnittlich ist ein
Ratsmitglied in acht Gremien vertreten. Zusätzlich haben die Ratsmitglieder
eine wöchentlich stattfindende Fraktionssitzung und vor jeder Ausschusssitzung
eine zusätzliche Sitzung der Arbeitsgruppen der Fraktion, die parallel zu den
Ausschüssen in den größeren Fraktionen eingerichtet werden.
Individuell variiert der Zeitaufwand für die Gremienarbeit zu einem sehr
hohen Grad. Dabei sind vor allem zwei Variablen ausschlaggebend: Zum einen
ist für die Höhe des Zeitaufwands die Position entscheidend, die das einzelne
Ratsmitglied in der politischen ‚Ratshierarchie’ einnimmt. So haben Funktions-
träger wie etwa Fraktionsvorsitzende, Vorsitzende bzw. Sprecher der Ausschüs-
se einen höheren Zeitaufwand als die ‚normalen’ Ratsmitglieder. Dies erklärt
sich dadurch, dass diese Funktionsträger zusätzliche Sitzungen haben wie bei-
spielsweise Fraktionsvorstandssitzungen und Sitzungen mit anderen Fraktions-
vorsitzenden. So liegt der zeitliche Aufwand der Fraktionsvorsitzenden in allen
vier Städten bei durchschnittlich 30 Stunden.
Zum anderen beeinflusst die tatsächliche berufliche Arbeitszeit bzw. die
Möglichkeit, die Ratstätigkeit mit dem Beruf zeitlich zu vereinbaren, das Zeit-
budget. So ergibt die Analyse, dass die Nicht-Berufstätigen mit durchschnittlich
22,5 Stunden und die Teilzeitbeschäftigten mit 21,2 Stunden pro Woche einen
höheren Zeitaufwand haben als die Vollzeitbeschäftigten mit durchschnittlich
19,9 Stunden pro Woche. Bei den Beschäftigten zeigen sich zudem Unterschie-
de hinsichtlich der verschiedenen Berufsgruppen. So wenden Selbständige/Frei-
berufler durchschnittlich 21,7 Stunden auf, Beschäftigte im Öffentlichen Dienst
und jene im politischen/politiknahen Bereich 21 Stunden, während Beschäftigte
in der Privatwirtschaft mit 15,4 Stunden durchschnittlich den geringsten Zeit-
aufwand haben. Die Ratsmitglieder können ihren Zeitaufwand beeinflussen,
indem sie Ausschüsse abgeben, wenn sie den Aufwand zeitlich nicht leisten
können. Dies zeigt sich in der großen Spannweite der Ausschussmitgliedschaf-

56 Die Standardabweichung beträgt in Hannover 1,06 Ausschüsse, in Frankfurt ebenfalls 1,06, in


Nürnberg 0,92 und in Stuttgart 1,16 Ausschüsse.
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 89

ten. Allerdings ist die Abgabe von Ausschüssen nur in begrenztem Maße mög-
lich und wird innerhalb der Fraktionen kritisch betrachtet, wie das Zitat eines
Hannoveraner Ratsherren zeigt:
„Keiner in der Fraktion wollte noch einen neuen Ausschuss. Und da hat dann der Fraktions-
vorsitzende gedroht und eine Liste verteilt, wer welche Ausschüsse hat; da hatte ich noch
sechs Ausschüsse; und da wurde dann schon geguckt, da gab es dann eine, die nur einen Aus-
schuss hatte. Da wird dann schon Druck ausgeübt, dass die dann den neuen Ausschuss über-
nimmt“ (H4).

Häufiger kommt es daher vor, dass Ratsmitglieder ihre Ausschüsse mit anderen
tauschen. Die Ausschüsse haben, wie erläutert, eine unterschiedliche Sitzungs-
häufigkeit und sind damit unterschiedlich zeitaufwendig. Die Ratsmitglieder
unterscheiden dabei zwischen so genannten ‚starken’ und ‚schwachen’ Aus-
schüssen.
„Wenn sie in starken Ausschüssen sind, also in Karriereausschüssen, (...) die von großer Be-
deutung sind, das ist z.B. der Umwelt- und Technik-Ausschuss, der tagt jeden Dienstagvor-
mittag einen halben Tag. Ein Kollege hat deshalb aufgehört im Umwelt- und Technik-
Ausschuss und hat getauscht mit einem aus dem Wirtschaftsausschuss, weil der nur 14tägig
freitags tagt und er so seine Termine im Ausland besser koordinieren kann“ (S13).

Im Vergleich zu 1984 hat sich nach Angaben jener Ratsmitglieder, die damals
bereits im Rat vertreten waren, hinsichtlich der Ratstätigkeiten im engeren Sinne
in erster Linie die Anzahl der weiteren Gremien und Aufsichtsräte erhöht. Ins-
besondere die Privatisierungen von kommunalen Unternehmen und die damit
verbundene Ausgliederung der parlamentarischen Kontrolle haben zu einer
deutlichen Steigerung der Sitzungen und des Zeitaufwands geführt. Hinzukom-
men in Frankfurt und Nürnberg noch weitere Gremien, die sich aus den aktuel-
len Mehrheitsverhältnissen in den kommunalen Vertretungskörperschaften er-
geben: Wie erläutert (3.3.2), gibt es in Frankfurt in der untersuchten Wahlperio-
de ein Viererbündnis aus CDU, SPD, Die Grünen im Römer und der FDP. Diese
Koalition führt ebenso wie die Allparteien-Kooperation in Nürnberg zu zusätzli-
chen Sitzungen.
„Aufgrund des Viererbündnisses kommen jetzt eben noch zusätzliche Sitzungen dazu, weil
wir z.B. die Etatanträge erst im Arbeitskreis der Fraktion beraten und dann in einer gemein-
samen Sitzung mit den anderen drei Fraktionen und dann im Ausschuss“ (F23).

Des Weiteren hat sich nach Angaben der Ratsmitglieder der Zeitaufwand für die
einzelnen Ausschusssitzungen erhöht, während die Ratssitzungen tendenziell
immer kürzer werden. Dies ergebe sich dadurch, dass die inhaltlichen Diskussi-
onen fast ausschließlich in den Ausschüssen stattfinden, während das Ratsple-
90 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

num kein Diskussionsforum mehr darstellt, sondern in erster Linie das Ratifizie-
rungsorgan ist.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass alleine der Zeitaufwand
für die Ratstätigkeiten im engeren Sinne in den vier Stadträten bei durchschnitt-
lich knapp 21 Stunden pro Woche liegt. Die Stuttgarter Stadträte haben mit
knapp 24 Stunden pro Woche dabei den höchsten, die Hannoveraner Ratsherren
und Ratsfrauen mit durchschnittlich 18 Stunden pro Woche den niedrigsten
Zeitaufwand.

4.1.1.2 Zeitliche Lage der Sitzungen

Neben der Häufigkeit und Länge der Sitzungen spielt für den Professionalisie-
rungsgrad, wie erläutert, die zeitliche Lage der Sitzungen eine große Rolle, da
sie bestimmt, inwiefern ein Mandat nebenberuflich ausgeübt werden kann. Bei
der Lage der Sitzungen zeigte die Analyse große Unterschiede zwischen den
vier Untersuchungsstädten.
In Hannover beginnt die Stadtratssitzung in der Regel um 15.00 Uhr, die
Ausschusssitzungen üblicherweise in der Zeit zwischen 15.00 und 16.00 Uhr.
Die Vorsprechungen der Fraktion finden teilweise direkt vor der Ausschusssit-
zung statt, so dass diese teilweise bereits um 13.00 Uhr beginnen. Die Ratsmit-
glieder haben durchschnittlich zwei Sitzungen pro Woche während der Arbeits-
zeit und müssen sich dafür von ihrem Arbeitgeber für 20% der Arbeitszeit frei-
stellen lassen (H19, H7, H23; vgl. dazu auch 5.3.1.1). In Frankfurt beginnen die
Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung und die Ausschusssitzungen in der
Regel ebenfalls nach 15.00 Uhr am Nachmittag. Vergleichbar mit der Situation
in Hannover geben die Stadtverordneten an, dass sie an drei Nachmittagen pro
Woche Termine haben und dafür freigestellt werden müssen. „Mit Fahrzeit bin
ich dann ab 13.00 Uhr nicht mehr am Arbeitsplatz“ (F27; vgl. auch F17, F18).
Die Stadtratssitzung in Nürnberg findet ebenfalls um 15.00 Uhr statt. Im Gegen-
satz zu Hannover und Frankfurt, beginnen die Ausschusssitzungen in Nürnberg
jedoch entweder bereits um 9.00 Uhr am Morgen oder um 15.00 Uhr. Ver-
gleichbar mit Hannover finden auch hier die Fraktionsbesprechungen und Ar-
beitsgruppensitzungen direkt vor den Ausschüssen statt, so dass diese für die
Nachmittagstermine meist um 13.00 Uhr beginnen. Normale Stadträte werden
für die Sitzungen durchschnittlich für 25% ihrer Arbeitszeit von ihrem Arbeit-
geber freigestellt. Auch in Stuttgart fängt die Sitzung des Gemeinderats um 15
Uhr am Nachmittag an. Die Ausschuss- und teilweise auch die anderen Gre-
miensitzungen beginnen in der Regel allerdings bereits um 8.00 Uhr morgens
bzw. um 13.00 Uhr am frühen Nachmittag. „Abendsitzungen der Gremien hin-
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 91

gegen sind selten“57. Aufgrund der hohen Sitzungshäufigkeit der Ausschüsse


führt dies dazu, dass die Stadträte in Stuttgart – je nach Ausschussbesetzung und
Anzahl der Ausschüsse – für die Sitzungen, die tagsüber stattfinden, zwischen
eineinhalb und zweieinhalb Tagen pro Woche freigestellt werden müssen. So
erläutert eine Stadträtin: „Ich muss hier am Arbeitsplatz Buch führen. Im Schnitt
fehle ich ein Drittel der wöchentlichen Arbeitszeit“ (S16). Ein stellvertretender
Fraktionsvorsitzender erläutert, dass er für die Sitzungen in der Regel 25 Stun-
den pro Woche nicht an seinem eigentlichen Arbeitsplatz ist.
Während in Frankfurt und Hannover die Ausschusssitzungen also generell
am Nachmittag anfangen, beginnen sie in Nürnberg und Stuttgart vor allem um
8.30 oder 13.00 Uhr und damit genau während der Arbeitszeiten. Es konnte ge-
zeigt werden, dass diese unterschiedliche Lage der Sitzungen Auswirkungen auf
die Anzahl der Stunden hat, die die Arbeitnehmer von ihrer Arbeit freigestellt
werden müssen bzw. in denen sie nicht arbeiten können. Eine ehrenamtliche und
nebenberufliche Ausübung des Mandats erscheint angesichts der Lage der Sit-
zungen als praktisch unmöglich, die Vereinbarkeit von Beruf und Mandat ist
aufgrund dieser Lage der Sitzungen mit Schwierigkeiten verbunden (vgl. dazu
5.3). Dadurch ist der Professionalisierungsdruck in diesen beiden Städten bedeu-
tend höher als in Nürnberg und Frankfurt.

4.1.2 Mandatsnebentätigkeiten

Nach der Analyse der Ratstätigkeiten im engeren Sinne werden im Folgenden


die Mandatsnebentätigkeiten untersucht. Diese umfassen in erster Linie die Sit-
zungsvorbereitung und die Repräsentationsaufgaben.

4.1.2.1 Sitzungsvorbereitung

Beim Zeitaufwand für die Vorbereitung der Sitzungen, für Diskussionen im


Vorfeld, für Recherchen, das Schreiben von Anträgen und für Kontakte mit der
Verwaltung zeigen sich im Städtevergleich keine wesentlichen Unterschiede.
Der Umfang der Unterlagen, die die Ratsmitglieder erhalten, liegt nach Anga-
ben der Ratsmitglieder bei durchschnittlich 400 Seiten pro Woche. Diese Unter-
lagen beinhalten Anfragen, Anträge und Verwaltungsberichte (vgl. F8, N7). Pro
Jahr erstellen die Stadtverwaltungen in den Untersuchungsstädten bis zu 4.000
Verwaltungsdrucksachen, hinzu kommen Anträge und Anfragen der Fraktionen

57 Schriftliche Antwort auf Anfrage von Herrn Berger, Amtsleiter Haupt- und Personalamt Stutt-
gart, vom 20. Januar 2004.
92 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

und Mandatsträger. Die Anzahl der Vorlagen hat sich in dem Zeitraum zwi-
schen 1984 und 2002 verdoppelt: So gab es im Jahr 1984 beispielsweise in
Frankfurt 1.848 Magistratsvorlagen, 523 Fraktionsinitiativen und insgesamt
7.164 Tagesordnungspunkte. Im Jahr 2002 waren es 3.920 Magistratsvorlagen,
1.160 Fraktionsinitiativen und 15.445 Tagesordnungspunkte.58 Zusätzlich hat
sich auch der Umfang der einzelnen Verwaltungsvorlagen erhöht. Dabei sind
viele Ratsmitglieder der Meinung, dass die Drucksachen von der Verwaltung
teilweise bewusst aufgebläht werden und dass sich der Umfang der Drucksa-
chen daher verringern ließe:
„Da bekomme ich Drucksachen mit 40 bis 60 Seiten; wenn ich mich hinsetzen würde und das
Wichtigste herausschreiben würde, dann würde das auf ein bis zwei DIN A4-Seiten passen.
Und zwischenrein packen sie aber wichtige Details; daher muss man alles lesen, um nicht et-
was zu überlesen“ (H19).

Schätzungen der Ratsmitglieder zufolge braucht man zum Lesen aller Vorlagen
einen zeitlichen Aufwand von zwei bis drei Tagen die Woche. Insofern gibt es
nur wenige Ratsmitglieder, die das dafür notwendige Zeitbudget aufbringen
können (F18, N1). Daher findet innerhalb der Fraktionen eine Arbeitsteilung
statt, die zu einer Spezialisierung der Ratsmitglieder führt. Dementsprechend
liest der Großteil der Ratsmitglieder aufgrund des hohen Zeitaufwands auch
ausschließlich die Unterlagen für jene Ausschüsse, in denen sie vertreten sind.
„Nach einem Jahr habe ich mir überlegt, ob ich das Mandat niederlegen soll. Und dann habe
ich entschieden, dass ich nicht mehr alles lesen kann, sondern mich auf meine Themen be-
schränke, wo ich Fachfrau bin, und mich dort weiterentwickle“ (N16).

Viele Ratsmitglieder bemängeln jedoch, dass dadurch häufig der Gesamtblick


verloren geht, da jeder „einfach in seinem Gebiet wurschtelt“ (F24) und sich
„Fachidioten“ (N23) herausbilden (vgl. auch F18, F27, H23, H7, N30, N16).
Aber auch beim Lesen der Unterlagen für die ‚eigenen’ Ausschüsse, findet
bei den Ratsmitgliedern eine unterschiedliche Prioritätensetzung statt: Während
in jeder Stadt ein Teil der Ratsmitglieder die Vorbereitung der Sitzungen als
sehr wichtig ansieht und versucht, so viel Zeit wie möglich dafür aufzuwenden –
und dafür z.T. auf Repräsentationsaufgaben verzichtet –, gibt der andere Teil
der Ratsmitglieder an, dass sie für die Vorbereitung nicht so viel Zeit aufwenden
können, wie sie müssten, um ihren Kontrollaufgaben nachkommen zu können.
Diese Problematik wird verdeutlicht durch die Aussagen einer Stadträtin aus
Stuttgart und einer Stadtverordneten aus Frankfurt:

58 Die Kennzahlen wurden auf Anfrage vom Büro der Stadtverordnetenversammlung in Frank-
furt mitgeteilt.
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 93

„Als normales Ratsmitglied muss man eigentlich zehn bis zwölf Stunden zur Vorbereitung an-
setzen; ich habe zumeist jedoch nur vier Stunden für die Vorbereitung der Sitzungen und die
Gemeinderatspost, wobei das bei mir nur dazu reicht, den Berg an Post zu öffnen, zu sortieren
und Termine einzutragen“ (S13).

„Ich habe häufig ein schlechtes Gewissen, gerade wenn ich in die Ausschüsse gehe, müsste
ich mich eigentlich mit den vielen Vorlagen viel intensiver beschäftigen, denn es gibt immer
vieles, was wir abnicken und hoffen, dass es richtig ist“ (F2, ähnlich N16).

Neben den Schwierigkeiten der Ratsmitglieder, die notwendige Zeit für das Le-
sen der Unterlagen aufzubringen, fehlt ihren eigenen Aussagen nach auch die
Zeit, wichtige Themen auf die Agenda zu setzen, indem sie selbst Anträge stel-
len:
„Was ich gar nicht mehr mache, ist z.B. Anträge schreiben. Weil, wenn ich mich zu einem be-
stimmten Thema mit einem Antrag äußern möchte, dann muss ich das natürlich vorher recher-
chieren, man muss mit mehreren Leuten Gespräche führen, man muss mal ins Internet gehen,
man muss schauen, wie ist die Gesetzeslage und die momentane Stimmung, macht das Sinn,
das zu ändern – für diesen Aufwand fehlt mir die Zeit“ (F24).

Im Vergleich zu 1984 sehen die Ratsmitglieder in der Vorbereitung die größte


Zunahme des Gesamtzeitaufwands. So haben sich, wie oben erläutert, sowohl
Umfang als auch Anzahl der Drucksachen stark erhöht. Zudem sind die Ent-
scheidungsprozesse und Vorgänge nach Einschätzung der Ratsmitglieder kom-
plexer geworden, zum einen durch die Privatisierungen der kommunalen Unter-
nehmen, die einen Gesamtüberblick schwieriger machen, und zum anderen
durch die Einbindung von Interessengruppen und weiteren Gruppierungen in
den Entscheidungsprozess. „Das Drumherum hat zugenommen: Die Recherchen
und die Diskussionen im Vorfeld“ (S22). Auch dauern die Entscheidungspro-
zesse nach Einschätzung der Ratsmitglieder heutzutage länger.
„Durch die Restriktionen im Landesbereich dauern die Prozesse und die Abstimmungsverfah-
ren im Vorfeld länger; früher hat man relativ schnell etwas entscheiden können, heute wird
mit vielen Bedenken gearbeitet, so dass die Verfahren komplizierter werden“ (S22; ähnlich
H35).

Gleichzeitig habe sich jedoch der Zeitdruck in den Entscheidungsverfahren er-


höht. Insbesondere bei aktuellen Themen werde von den Medien erwartet, dass
die Stadträte schnell zu einer Entscheidung kommen.
„Heute muss alles sofort entschieden werden, während man früher mehr Zeit hatte, um Dinge
dann auch sorgfältiger vorzubereiten. Durch die ganzen Medien hat sich einiges verändert“
(S1).

Übereinstimmend stellen die Ratsmitglieder in den vier Untersuchungsstädten


fest, dass sie für die Vorbereitung von Sitzungen und das Schreiben von Anträ-
94 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

gen eigentlich ein Zeitbudget von minimal zehn bis 15 Stunden pro Woche be-
nötigen würden. Aufgrund der ehrenamtlichen Ausübung des Mandats wendet
jedoch der Großteil der Ratsmitglieder bedeutend weniger Zeit für diese Tätig-
keiten auf. Dies führt nach Einschätzung der Mandatsträger dazu, dass sie ihre
Aufgaben als Ratsmitglieder – insbesondere die Kontrollfunktion, aber auch die
Initiativfunktion – aufgrund des fehlenden Zeitbudgets nicht zufrieden stellend
erfüllen können.
Im Vergleich zu den ‚normalen’ Ratsmitgliedern, haben die Fraktionsvor-
sitzenden für die Vorbereitung einen bedeutend höheren Zeitaufwand. Ihre Auf-
gabe ist es, die politische Richtung der Fraktion festzulegen und diese nach au-
ßen zu vertreten. „Man muss zu jeder politischen Frage aus dem Stegreif eine
Antwort geben können; das kann man ja nur, wenn man sich mit dem Thema
auch befasst hat“ (F23). Dies erfordert, dass die Fraktionsvorsitzenden einen
Überblick über alle Themen und Ausschüsse haben. Daher lesen die Fraktions-
vorsitzenden in der Regel alle Sitzungsunterlagen (vgl. S1, H22). Hinzu kommt,
dass sie die Arbeit der Fraktion koordinieren und ihr Kontakt zur Verwaltung
intensiver ist als bei den normalen Ratsmitgliedern. Daher sehen die Fraktions-
vorsitzenden beim Zeitaufwand für die Vorbereitung auch den größten Unter-
schied zwischen ‚normalen’ Ratsmitgliedern und den Fraktionsvorsitzenden.

4.1.2.2 Repräsentationsaufgaben

Hinsichtlich der Repräsentationsaufgaben zeigen sich bei der Analyse ebenfalls


keine Unterschiede zwischen den Untersuchungsstädten; die Schwerpunktset-
zungen der Ratsmitglieder und die Höhe des Zeitaufwands sind jedoch noch
unterschiedlicher als bei der Sitzungsvorbereitung: Während ein Teil der Rats-
mitglieder den Kontakt zu den Bürgern für sehr wichtig hält, um direkt etwas
über die Anliegen der Bürger und die Probleme in der Stadt zu erfahren, sehen
andere Ratsmitglieder dies nicht als zentrale Aufgabe der Ratsmitglieder an.
Daher halten sie das Verhalten und Agieren ihrer Ratskollegen für eine Fehl-
entwicklung und nehmen selbst so wenige Termine wie möglich wahr. Zwei
Zitate sollen diese konträren Einstellungen verdeutlichen:
„Die Bürgernähe bekommt man dadurch, wenn man rausgeht aus dem Rathaus und sich die
Problematik vor Ort anschaut, dort mit den Leuten redet, dann bekommt man den besten Ein-
druck. Und was man sonst im Ausschuss nur in Theorie hat, versteht man viel besser und an-
ders, wenn man es gesehen hat“ (N10).

„Ich könnte jeden Tag irgendwo sein, beim Sportverein, beim sozialen Verein, eine Schule
oder eine KiTa besuchen, Hof halten und einen guten Tag sagen, aber das ist meiner Meinung
nach nicht das, was Ratsleute in einer Großstadt machen sollen und können“ (H18).
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 95

Die Termine werden in den Fraktionssitzungen an die einzelnen Fraktionsmit-


glieder zum einen nach örtlichen und inhaltlichen Aspekten verteilt: So gehen
die Ratsmitglieder insbesondere in ihren eigenen Stadtteilen zu Repräsentations-
terminen und zu Veranstaltungen, die einen inhaltlichen Bezug zu ihren Aus-
schusstätigkeiten haben. Dabei sind vor allem die Vorsitzenden und Sprecher
der Ausschüsse in der Verantwortlichkeit.
„Ich bin im Wirtschaftsausschuss und ich muss schauen, dass, wenn die Handwerkskammer
ihre Jahrshauptversammlung hat, ich auch komme. Ebenso bei Verbänden und Vereinen, die
im weitesten Sinne etwas mit Wirtschaft zu tun haben. Sonst wird einem das als Desinteresse
ausgelegt“ (H23).

Zum anderen richten sich die Anzahl und die zeitliche Lage der Veranstaltungen
nach dem Zeitbudget der einzelnen Ratsmitglieder:
„Das ist in der Fraktion sehr ungleichmäßig verteilt; es gibt Leute, die pro Woche sechs und
mehr Termine haben, weil sie eben Zeit dafür haben, und andere, so wie ich, die versuchen,
aus Zeitgründen möglichst nirgends hinzugehen“ (F18).

Insbesondere bei den Repräsentationsterminen, die tagsüber stattfinden – wie


Eröffnungen, Einweihungen und Empfänge –, gibt es sehr große Unterschiede.
Dabei spielt die zeitliche Flexibilität und Abkömmlichkeit der Ratsmitglieder
eine wichtige Rolle, da die Ratsmitglieder für Repräsentationstermine keinen
Anspruch auf Freistellung durch den Arbeitgeber haben. Daher findet in den
Fraktionen eine Arbeitsteilung zwischen den Berufstätigen und den Nicht-
Berufstätigen statt.
„Seit ich jetzt in Altersteilzeit bin, erwartet die Fraktion, dass ich auch morgens Termine
wahrnehme, und das mache ich, weil die Fraktion früher auf mich Rücksicht genommen hat“
(F28).

Durchschnittlich nehmen die Ratsmitglieder drei Abendtermine und einen Wo-


chenendetermin pro Woche wahr (vgl. N30, F23, N7, H23).
Neben diesen Terminen vor Ort gehört zu den Repräsentationsaufgaben die
Medienarbeit, insbesondere das Schreiben von Pressemitteilungen und Inter-
views mit Journalisten. Diese Medienarbeit gewinnt nach Angaben der Ratsmit-
glieder an Wichtigkeit. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass insbeson-
dere in Stuttgart und Nürnberg diese Bedeutung von den Ratsmitgliedern her-
vorgehoben und die Medienarbeit als individuelle Aufgabe wahrgenommen
wird, während es insbesondere in Hannover in erster Linie um die Präsentation
der Fraktion als Ganzes nach außen geht (vgl. S2, S16, N5, N18, H7, H16). Wie
in 2.1.2.1 und 3.3 erläutert, findet in den beiden süddeutschen Städten ein stark
personalisiertes Wahlsystem Anwendung, bei dem die Wähler bewusst be-
stimmte Kandidaten wählen können (vgl. Kodolitsch 1996). Studien belegen,
96 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

dass die Selektionskriterien der Wähler dabei Persönlichkeit, Ansehen und Be-
kanntheit sind (vgl. Wehling 2003:30f.). Dies erklärt, warum die Ratsmitglieder
in den beiden süddeutschen Städten der Medienarbeit einen höheren Stellenwert
beimessen: Sie benötigen die Öffentlichkeit, um sich zu präsentieren und zu
profilieren und damit ihre Wiederwahlchancen zu erhöhen (vgl. auch 4.4.2;
6.1.1.2).

4.1.3 Zeitaufwand: Vergleich zu anderen Parlamenten

Insgesamt zeigt sich, dass der wöchentliche Zeitaufwand für die normalen
Ratsmitglieder bei durchschnittlich mindestens 25 bis 35 Stunden liegt59. Dabei
nimmt der Zeitaufwand für die Sitzungstätigkeiten in den vier Untersuchungs-
städten durchschnittlich 20 Stunden pro Woche ein. Der Aufwand ist in Stutt-
gart aufgrund der höheren Sitzungstätigkeit im Vergleich zu den anderen drei
Städten am höchsten, in Hannover ist er am niedrigsten. Des Weiteren wurde
festgestellt, dass die zeitliche Lage der Sitzungen in den vier Untersuchungs-
städten sehr unterschiedlich ist: Während in Frankfurt und Hannover die Sitzun-
gen in der Regel am Nachmittag oder Abend stattfinden, beginnen sie in Nürn-
berg und Stuttgart entweder am Morgen oder am frühen Nachmittag. Insofern
ist in diesen beiden Städten eine Vereinbarkeit von Beruf und Mandat schwerer
möglich als in Frankfurt und Hannover.
Bei den Mandatsnebentätigkeiten hingegen zeigt sich ein anderes Bild. Im
Gegensatz zu den Ratstätigkeiten im engeren Sinne gibt es hier keine gesetzlich
vorgeschriebene Anwesenheits- und Mitwirkungspflicht. Wie jedoch unter
2.3.2.1 erläutert, sind diese Mandatsnebentätigkeiten unter den heutigen Rah-
menbedingungen für die Mandatsausübung und zur Funktionserfüllung notwen-
dig. Durchschnittlich zeigen sich zwischen den vier Untersuchungsstädten – im
Gegensatz zu den Ratstätigkeiten im engeren Sinne – kaum Unterschiede im
Zeitaufwand. Allerdings variiert der Zeitaufwand für die Vorbereitung der Sit-
zungen und für Repräsentationsaufgaben bei den Ratsmitgliedern innerhalb der
Städte zu einem sehr hohen Grad. Die Analyse ergab, dass diese Differenzen im
Zeitaufwand durch eine unterschiedliche Prioritätensetzung der Ratsfunktionen
entstehen. Die Ratsmitglieder haben einen hohen Zeitaufwand und müssen da-

59 Neben diesen direkt mit der Ratstätigkeit verbundenen Aufgaben kommen bei allen Ratsmit-
gliedern die Parteiaktivitäten hinzu. So sind 36% der Ratsmitglieder gleichzeitig Vorsitzender
in ihrem Ortsverein, weitere 58% sind im Vorstand. Zusätzlich betreuen die Kommunalpoliti-
ker in ihren Stadtteilen die Bezirksräte, um die Themen in den Rat zu transportieren. Durch-
schnittlich geben die Ratsmitglieder dafür einen wöchentlichen Zeitaufwand von fünf Stunden
an.
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 97

her bestimmte Ratsfunktionen zugunsten anderer vernachlässigen. Dabei variiert


die Bedeutungsbeimessung der wichtigsten Funktionen eines Ratsmitglieds:
Während ein Teil der Mandatsträger insbesondere die Artikulations- und Reprä-
sentationsfunktion, also den Bürgerkontakt als sehr wichtig erachtet, empfindet
der andere Teil die Informations- und Kontrollfunktion als Hauptaufgabe. Daher
wenden sie mehr Zeit für das Lesen der Sitzungsunterlagen und für das Stellen
von Anträgen auf. Insgesamt zeigt sich, dass Personen mit einem höheren freien
Zeitbudget für die Ratstätigkeiten bedeutend mehr Zeit aufwenden als Vollzeit-
beschäftigte, insbesondere bei den Mandatsnebentätigkeiten.
Funktionsträger, insbesondere die Fraktionsvorsitzenden, haben im Ver-
gleich zu den normalen Ratsmitgliedern einen bedeutend höheren Zeitaufwand.
So geben die Ratsmitglieder in allen vier Untersuchungsstädten an, dass es sich
dabei mindestens um einen Fulltime-Job handelt. Die Fraktionsvorsitzenden
selbst schätzen ihren Gesamtzeitaufwand auf 40 bis 60 Stunden pro Woche.
Insgesamt ist bei der Analyse des Zeitaufwands zu beachten, dass die
Ratsmitglieder das Ratsmandat zumindest formal als Ehrenamt ausüben. Wäh-
rend die professionellen Parlamentarier auf Landes- und Bundesebene davon
leben können und theoretisch ihre gesamte Zeit dafür zur Verfügung haben, ist
das Zeitbudget der Ratsmitglieder begrenzt. Insofern handelt es sich bei dieser
Analyse um den Zeitaufwand, den sie aufgrund der persönlichen und berufli-
chen Situation aufbringen können, und nicht um den, den sie für notwendig er-
achten60. Um die Ratsaufgaben erfüllen zu können und um gleichzeitig den Pro-
fessionalisierungsdruck durch die Arbeitslast zu verringern, hat sich in allen vier
Untersuchungsstädten innerhalb der (großen) Fraktionen eine starke Arbeitstei-
lung und Spezialisierung entwickelt. Diese Arbeitsteilung bezieht sich zum ei-
nen auf die inhaltliche Ebene. So konzentrieren sich die Ratsmitglieder in der
Regel lediglich auf die Themen in jenen Ausschüssen, in denen sie Mitglied
sind. Zum anderen bezieht sich die Arbeitsteilung auf die ‚geographische’ Ebe-
ne, indem sich die Ratsmitglieder in erster Linie als Vertreter ‚ihres’ Stadtteils
betrachten und daher ihre Repräsentationsaufgaben darauf konzentrieren. Dar-
über hinaus lassen sich jedoch auch Tendenzen einer Spezialisierung auf der
Ebene der Funktionen erkennen: Auf der einen Seite Ratsmitglieder, die einen
Schwerpunkt auf die Informations- und Kontrollfunktion legen und dadurch
andere Funktionen, wie z.B. die Repräsentationsfunktion, vernachlässigen bzw.
diesen kaum nachkommen, und auf der anderen Seite jene, die sich auf diese
Repräsentationsfunktionen konzentrieren.
Die Ergebnisse zum Zeitaufwand entsprechen in der Tendenz jenen anderer
Studien zum Zeitaufwand eines Ratsmandats in einer Großstadt. So untersuchte

60 Auf die Strategien, welche die Ratsmitglieder anwenden, um ihr Zeitbudget zu erhöhen, wird
in Kapitel 5.3.1 eingegangen.
98 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

Ronge 1993 den Zeitaufwand der Stadträte in Wuppertal (Ronge 1994). Insge-
samt stellte er fest, dass die Stadträte durchschnittlich rund 44 Stunden pro Wo-
che für die ehrenamtliche Politik aufbringen. Dabei zeigte sich, dass für die
Mandatsarbeit im engeren Sinne durchschnittlich 16,5 Stunden pro Woche auf-
gewendet wurden, während es für die so genannten Mandatsnebentätigkeiten
27,5 Stunden pro Woche waren. Eine Studie aus dem Jahr 1996 in Stuttgart
kommt zu ähnlichen Ergebnissen (Schwabe/Vöhringer 1998). Auch dort ergab
sich eine durchschnittliche wöchentliche Belastung von 42,3 Stunden pro Wo-
che. Für die Ratstätigkeit im engeren Sinne, also die Sitzungen, wenden die
Gemeinderäte durchschnittlich 27,7 Stunden pro Woche auf. Hinzu ergab sich
in der Studie für Mandatsnebentätigkeiten wie Bürgerkontakt und auswärtige
Repräsentationsaufgaben ein Zeitaufwand von 14,6 Stunden pro Woche.
Der in der vorliegenden Studie ermittelte Zeitaufwand ist somit geringer als
der in den beiden dargestellten Studien von Schwabe/Vöhringer (1998) und
Ronge (1994) erhobene. In diesen wurden jedoch im Gegensatz zur vorliegen-
den Studie die Anfahrtszeiten zu den Sitzungen ebenso mit eingerechnet wie die
Parteiarbeit. Zudem beruht die Analyse des Zeitaufwands in der vorliegenden
Studie auf Selbsteinschätzungen der Ratsmitglieder. Ronge (1994:280) fand in
seiner Studie über Wuppertal heraus, dass die Ratsmitglieder jedoch ihren Zeit-
aufwand selbst schwer einschätzen können und diesen unterschätzen.
„Es ist bemerkenswert, dass die kommunalen Parlamentarier den Zeitaufwand, den sie der
Politikarbeit widmen, unterschätzen. Die Selbsteinschätzungen liegen (in Wuppertal) etwa um
die Hälfte niedriger als die mittels der Zeitprotokolle erhobenen Werte. Erstens können dafür
unterschiedliche Abgrenzungen verantwortlich sein. Insbesondere die – insgesamt umfangrei-
chen – Zeiten für Information und Reflexion sowie die Wegezeiten werden von den Betroffe-
nen selbst nicht unbedingt der ‚eigentlichen’ Politikarbeit zugeschlagen, wie dies hier begrün-
det getan wurde. Zweitens könnte es sein, dass die Abgeordneten zumindest an einem Teil ih-
rer politischen ‚Arbeit’ so viel Freude haben, dass sie diese gar nicht als Arbeit empfinden“
(Ronge 1994:280).

Auch andere Studien haben auf die Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Zeit-
aufwands hingewiesen (vgl. Kommunalpolitische Blätter 1/1977, 1/1980; Simon
1988). Für die vorliegende Studie kann vermutet werden, dass es sich bei dem
ermittelten Zeitaufwand in den vier Untersuchungsstädten eher um einen zu
niedrigen Zeitaufwand handelt. Zusammenfassend wird festgestellt, dass der
Zeitaufwand, den Ratsmitglieder in deutschen Großstädten für ihre Ratstätigkeit
aufwenden, sehr hoch ist und zum Teil sogar die normale Arbeitszeit übersteigt
(vgl. 2.1.2.6; Köser 2000:162; Ronge 1994:268; Gau 1983:82; Fruth 1989:43;
N.N. 1976 und 1980).
Beim Vergleich des Zeitaufwands der ehrenamtlichen Stadträte mit jenem
der hauptamtlichen Landtags- und Bundestagsabgeordneten wird der hohe Zeit-
aufwand ebenfalls deutlich. So beträgt der wöchentliche Gesamtaufwand nach
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 99

einer Studie von Paprotny (1995:24) im Jahre 1995 im niedersächsischen Land-


tag 62 Stunden und nach einer Studie im schleswig-holsteinischen Landtag 70
Stunden (Pappi 1988). In einer Vollerhebung aller Mitglieder des 11. Bundesta-
ges wurde ein durchschnittlicher Zeitaufwand von 69,5 Stunden festgestellt
(Herzog et al. 1990:83ff.). So zeigt sich im Vergleich zu den Berufspolitikern
auf Landes- und Bundesebene ein relativ hoher Professionalisierungsgrad des
Ratsmandats in den Großstädten in Bezug auf den Indikator Zeitaufwand.

4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder

Als zweiter Indikator für die Analyse des Professionalisierungsgrades und des
Professionalisierungsprozesses wurde das Einkommen der Ratsmitglieder durch
die Politik hergeleitet (vgl. 2.3.2.2). Dieser Indikator kann Aussagen darüber
machen, wie professionalisiert das Amt ist, und ob das Individuum zumindest
teilweise davon leben kann. Als monatliches Einkommen der Mandatsträger
werden die Aufwandsentschädigung, die Sitzungsgelder und das Einkommen
durch die Aufsichtsratsmandate zugrunde gelegt. Dazu werden die Entschädi-
gungen des Jahres 1984 mit denen des Jahres 2002 verglichen, um zu untersu-
chen, inwiefern sich das Einkommen erhöht hat. Dabei wird zum einen unter-
sucht, wie hoch das Einkommen ‚normaler’ Ratsmitglieder ist, zum anderen
werden aber auch die Rahmenbedingungen der Fraktionsvorsitzenden genauer
analysiert, um die unterschiedlichen Professionalisierungsgrade der Ämter zu
erfassen. Wie bei der Analyse des Professionalisierungsprozesses auf den höhe-
ren Ebenen erläutert wurde (vgl. 2.2.2.2), zeigte sich die Professionalisierung in
der Ausgestaltung des Einkommens nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern
auch qualitativ durch die Einführung eines ‚sozialen Netzes’ für die Abgeordne-
ten. Daher wird im Folgenden auch untersucht, ob es in den Untersuchungsstäd-
ten neben der reinen Aufwandsentschädigung Versorgungsleistungen mit rein
alimentativem Charakter gibt, wie beispielsweise eine Altersversorgung für die
Ratsmitglieder.
Im Folgenden werden die Regelungen in den Entschädigungsordnungen
kurz erläutert, bevor die Aufwandsentschädigungen in den vier Untersuchungs-
städten in einem Vergleich zwischen 1984 und 2002 analysiert werden. An-
schließend werden die Entschädigungen in den vier Untersuchungsstädten mit
jenen in den anderen deutschen Großstädten verglichen, um generelle Aussagen
über den Professionalisierungsprozess in deutschen Großstädten machen zu
können. Um Aussagen über den Grad der Professionalisierung treffen zu kön-
nen, werden die Aufwandsentschädigungen mit den Diäten der Parlamente auf
den höheren Ebenen verglichen; zusätzlich werden die Entschädigungen zur
100 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

Einordnung den durchschnittlichen Monatsverdiensten von Angestellten und


Arbeitern gegenübergestellt.

4.2.1 Entschädigungsvorschriften

Wie bereits mehrfach erläutert, ist das Ratsmandat formal ein Ehrenamt. Die
Ratsmitglieder sollen jedoch durch die Ausübung des Mandats keine finanziel-
len Nachteile erfahren. Daher gibt es in den Kommunalverfassungsgesetzen al-
ler Bundesländer Entschädigungsvorschriften.61 Aufgrund der Gesetzgebungs-
kompetenz der Länder im Bereich des Kommunalrechts, die sich aus Art. 70 I
GG ergibt, beinhalten die Gemeindeordnungen der Bundesländer äußerst unter-
schiedliche Regelungsinstrumente im Bereich der Entschädigungen für Ratsmit-
glieder. In allen Gemeindeordnungen sind jedoch zwei grundsätzliche Regelun-
gen enthalten: Zum einen der Ersatz des entgangenen Verdienstes62 und zum

61 Siehe §19 BaWüGO, Art. 20a BayGO, §13 BrhvVerf i.V.m. §8 Ortsgesetz, §27 HesGO, §39
Vi NdsGO, §30 IV,V NRWGO, §18 V RhPfGO, §28 i.V.m. 51 KSVG, §24 SHGO)
62 In allen Kommunalverfassungen ist ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstes, der dem Man-
datsträger als Folge der Ausübung des Ehrenamtes entgeht, verankert. Daher müssen die
Kommunen entsprechend der gesetzlichen Konzeption den Ratsmitgliedern als Kompensati-
onsleistungen den Differenzbetrag zwischen dem Einkommen, das der Ersatzberechtigte ohne
die Wahrnehmung des Mandats erzielt, und den wegen der Teilnahme an Sitzungen verringer-
ten Einkünften zu erstatten. „Er wird so gestellt, wie er stehen würde, wenn er keine Einbuße
seiner Bezüge oder Gewinne als Folge seiner Ratstätigkeit erlitten hätte (Christner 1991:126).
Der Großteil der Entschädigungsvorschriften unterteilt die verdienstausfallberechtigten Man-
datsträger in selbständig und unselbständig Erwerbstätige. Bei abhängig Beschäftigten wird in
der Regel der Verdienstausfall direkt mit dem Arbeitgeber des Anspruchsberechtigten ver-
rechnet, einige Länder ermöglichen aber aus Gründen der Verwaltungsökonomie die pauscha-
le Abrechnung mit Hilfe eines Durchschnittssatzes bzw. eines Regelstundensatzes anstelle ei-
nes Einzelnachweises (u.a. §19 II BaWüGO; §27 I2 HsGO). Abweichend von dem Regelfall,
dass den Mandatsträgern stets der volle Umfang ihrer Verdiensteinbußen ersetzt werden soll,
finden sich in mehreren Gemeindeordnungen Vorschriften, die die Festlegung eines Höchstbe-
trages in einer Satzung erlauben (§19I 1 BaWüGO; §39 V 2 NdsGO) (vgl. Christner
1991:118ff.). Durch den Höchstbetrag erleiden die Ratsmitglieder, deren Einkommen pro
Stunde über dem Höchstsatz liegt, finanzielle Einbußen. Diese Höchstbeträge werden jedoch
als legitim angesehen, da es Mandatsträgern mit höherem Einkommen eher zuzumuten ist, fi-
nanzielle Einbußen hinzunehmen „als anderen Mitgliedern mit geringem Einkommen“, insbe-
sondere angesichts leerer Gemeindekassen (Kirchhof 1984:§22) Da bei Selbständigen der
Nachweis des Verdienstausfalls zu kompliziert wäre, erhalten diese pauschal einen Stunden-
satz. Neben dieser ‚Verdienstausfallentschädigung im engeren Sinne’, gibt es in sämtlichen
Bundesländern eine zweite Form des Verdienstausfallersatzes, den so genannten ‚Nachteils-
ausgleich’: Ratsmitglieder, die nicht erwerbstätig sind und stattdessen einen eigenen Haushalt
versorgen, haben einen Anspruch auf Zahlung eines bestimmten Stunden- bzw. Pauschalsatzes
(so genannte ‚Hausfrauenklausel’). Das Ziel dieses Anspruches ist die „Gleichstellung der
häuslichen Tätigkeit“ als gleichberechtigter Beitrag zum Familienhaushalt (Christner
1991:120).
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 101

anderen der Ersatz der mandatsbedingten Unkosten. Wie oben erläutert, interes-
siert im Rahmen der vorliegenden Studie insbesondere der Ersatz der mandats-
bedingten Unkosten, d.h. die Aufwandsentschädigungen. Diese werden in den
Entschädigungsregelungen für Mitglieder kommunaler Vertretungskörperschaf-
ten geregelt. Der Mandatsträger soll dadurch Ersatz für die Aufwendungen, die
ihm durch seine ehrenamtliche Tätigkeit entstehen, erhalten. So hat das Bundes-
verfassungsgericht definiert, dass der Aufwand dabei „sämtliche tatsächlichen
finanziellen Mehraufwendungen in der Lebensführung des Mandatsträgers, die
durch die ehrenamtliche Tätigkeit zusätzlich veranlasst werden“ (BVerfGE 40,
296 (318), umfasst. Diese müssen sachlich angemessen und begründet sowie
durch das Ehrenamt verursacht worden sein (vgl. BVerfGE 49, 1 (2)). Diese
Aufwandsentschädigung soll die Wahrnehmung für alle Personengruppen zu-
mutbar machen, aber sie sollen dadurch nicht entlohnt werden. Daher dürfen
Gemeinderatsmitglieder nur für den Aufwand entschädigt werden, der ihnen
durch die Tätigkeit entsteht (vgl. Wehling 1998:31; Ronge 1994:267). Aller-
dings geht es bei der folgenden Analyse des Einkommens durch die Politik und
den Grad der Professionalisierung gerade nicht um das Modell, die normative
Grundlage der Entschädigungsregelungen, sondern um den konkreten Umfang
der materiellen Entschädigung in den deutschen Großstädten.
„Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass sich auch in den größeren Kommunen im Verlaufe
der Jahre eine vergleichbare Entwicklung vollzogen hat wie bei den Abgeordneten, und zwar,
dass die Entschädigung der Ratsmitglieder dort mittlerweile längst de facto den Rahmen einer
bloßen Aufwandsentschädigung gesprengt und die Dimension einer teilweisen Alimentation
angenommen hat“ (Heuvels 1986:82).

4.2.2. Entschädigungen in den vier Untersuchungsstädten

Im Folgenden werden die Aufwandsentschädigungen in den vier Untersu-


chungsstädten analysiert und miteinander verglichen. In Hannover erhalten die
Ratsmitglieder im Jahr 2002 monatlich eine Aufwandsentschädigung in Höhe
von 466 Euro pro Monat; die Fraktionsvorsitzenden bekommen eine erhöhte
Aufwandsentschädigung von 931 Euro. Dieser Betrag ist ein Pauschalbetrag, so
dass keine zusätzlichen Sitzungsgelder bezahlt werden.63 Die Mandatsträger in
Hannover können dabei jedoch über die Höhe ihrer Aufwandsentschädigung
nicht frei entscheiden, da per Runderlass des Niedersächsischen Innenministeri-
ums je nach Größenklasse Höchstbeträge festgelegt sind, die in den Kommunen

63 Gemäß §39 VI NGO kann die Aufwandsentschädigung entweder ausschließlich als Monats-
beitrag, als Monatsbeitrag und zusätzlich als Sitzungsgelder oder ausschließlich als Sitzungs-
gelder gewährt werden.
102 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

nicht überschritten werden dürfen (vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung 2002:213ff.).


Dabei liegt der Höchstsatz für niedersächsische Städte mit mehr als 450.000
Einwohnern bei monatlich 515 Euro (vgl. Bund der Steuerzahler 2002:8). Die
konkrete Höhe ist gem. §39 VIII NGO per Satzung in den kommunalen Vertre-
tungskörperschaften festzulegen. Die Aufwandsentschädigung in Hannover liegt
mit den festgelegten 466 Euro sogar unter diesem Höchstsatz. Die Ratsmitglie-
der erhalten zudem Entschädigungen für die von ihnen ausgeübten Aufsichts-
ratsmandate. Dabei ist die Höhe sehr unterschiedlich und reicht von jährlichen
Entschädigungen in Höhe von 100 Euro bis zu mehreren tausend Euro. „Der
Vorsitzende des Aufsichtsrats der Flughafen AG erhält ein Grundgehalt von
jährlich 2.000 Euro plus Sitzungsgeldern“ (H35). Zusätzlich wird zum Aus-
gleich der Kosten für Fahrten innerhalb des Stadtgebiets zur Wahrnehmung des
Mandats gemäß §39 VI NGO ein monatlicher Pauschalbetrag für die Monats-
karte der öffentlichen Verkehrsmittel erstattet64 (vgl. auch Bund der Steuerzahler
2002:2ff.).65 Im Vergleich zu 1984 hat sich die Aufwandsentschädigung in Han-
nover inflationsbereinigt nicht erhöht, sondern um 9% verringert: Während die
Ratsmitglieder im Jahr 2002, wie erläutert, eine monatliche Entschädigung von
466 Euro erhalten, betrug diese 1984 inflationsbereinigt 509 Euro. Für die Ent-
schädigung der Fraktionsvorsitzenden gilt die gleiche Entwicklung.
Im Jahr 2002 erhalten die Stadtverordneten in Frankfurt nach §27 HGO in
Verbindung mit der ‚Satzung über die Entschädigung von ehrenamtlich Tätigen’
eine monatliche Aufwandsentschädigung von 895 Euro und damit über 90%
mehr als die Kollegen in Hannover. Die Fraktionsvorsitzenden bekommen eine
erhöhte Aufwandsentschädigung von 1.386 Euro. Diese Aufwandsentschädi-
gung ist ebenso wie in Hannover ein Pauschalbetrag, so dass neben dieser Ent-
schädigung keine weiteren Sitzungsgelder bezahlt werden. Gemäß §27 HGO III
kann der hessische Minister des Innern durch Rechtsverordnung, vergleichbar
mit jenen in Niedersachsen, Höchstsätze für die Aufwandsentschädigungen
bestimmen, die nicht überschritten werden dürfen. Im Gegensatz zu Niedersach-
sen, hat der hessische Innenminister von diesem Regelungsrecht keinen

64 Alle Angaben laut Satzung über die Entschädigung der Ratsfrauen, Ratsherren, Stadtbezirks-
ratsmitglieder, der nicht dem Rat angehörenden Ausschussmitglieder und der ehrenamtlich Tä-
tigen der Landeshauptstadt Hannover vom 21. März 2002.
65 Des Weiteren haben die Ratsherren und -frauen gemäß §39 V NGO Anspruch auf Ersatz des
Verdienstausfalls für Sitzungen des Rates, der Ausschüsse, Sitzungen sonstiger Gremien, Sit-
zungen der Fraktionen bzw. Gruppen, Sitzungen und Veranstaltungen von Organisationen und
Einrichtungen, zu denen sie von der Landeshauptstadt Hannover entsandt werden. Dieser Ver-
dienstausfall wird gewährt, wenn der Arbeitgeber das Ratsmitglied für die Sitzungen freige-
stellt hat. Selbständige erhalten einen Verdienstausfall während ihrer regelmäßigen Arbeitszeit
von 33,50 Euro/Stunde; höchstens jedoch acht Stunden pro Tag. Der Gesamtbetrag, der an
Verdienstausfallentschädigung gezahlt wird, darf bei den Ratsfrauen und -herren 1.994 Euro
monatlich nicht übersteigen.
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 103

Gebrauch gemacht und für die hessischen Stadtverordnetenversammlungen kei-


ne Höchstsätze festgelegt. Daher können die Stadtverordneten in Frankfurt
selbst über die Höhe ihrer Entschädigung entscheiden. Im Vergleich zum Jahr
1984 ist die Aufwandsentschädigung inflationsbereinigt um 38% angestiegen:
Von 650 Euro auf 895 Euro pro Monat. Des Weiteren haben die Stadtverordne-
ten ebenso wie in Hannover Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung und
auf Ersatz der Fahrt- und Reisekosten.
Hinzu kommen auch in Frankfurt die Sitzungsgelder für die Aufsichtsrats-
mandate. Wie in Hannover gibt es dabei eine große Streubreite: Von Aufsichts-
räten, in denen lediglich niedrige Sitzungsgelder bezahlt werden, bis zu ‚wichti-
gen’ Aufsichtsräten, die im Jahr mit einem Betrag von mehreren tausend Euro
entschädigt werden. Dabei wurde in Frankfurt, ebenso wie in den anderen Un-
tersuchungsstädten herausgestellt, dass jene Aufsichtsratsmandate, die finanziell
lukrativ sind, zumeist an die Funktionsträger mit einem besonders hohen zeitli-
chen Aufwand gehen. So sagt beispielsweise eine Stadtverordnete:
„Man hat aber auch den Vorteil, dass man die Fraktion noch in dem einen oder anderen Auf-
sichtsrat vertritt, man hat dann zwar auch wieder mehr Zeitaufwand, aber es ist auch ein fi-
nanzieller Vorteil. Das ist auch eine Belohnung für die, die schon länger in der Politik oder in
der Fraktion sind oder ein schwieriges und arbeitsintensives Aufgabengebiet haben oder viele
gute Stimmen bei der Wahl gesammelt haben; das zahlt sich dann bei diesen Posten finanziell
schon aus“ (F16).

Die Stadträte in Nürnberg erhalten im Jahr 2002 sogar eine monatliche Auf-
wandsentschädigung in Höhe von 1.475 Euro. Damit haben die Nürnberger
Stadträte im Vergleich zu den Ratsherren und -frauen in Hannover die dreifache
Entschädigung, im Vergleich zu den Stadtverordneten in Frankfurt eine fast um
zwei Drittel höhere Entschädigung. Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden
erhalten 2.212 Euro und die Fraktionsvorsitzenden 2.948 Euro. Dieser Betrag ist
ebenso wie in Frankfurt und Hannover als Pauschalbetrag zu verstehen, da die
Stadträte keinen Anspruch auf zusätzliche Sitzungsgelder haben. Die Stadträte
in Bayern haben gemäß Art. 20a I GO BAY Anspruch auf Entschädigung. Über
die konkrete Ausgestaltung und Höhe der Entschädigung können die Gemein-
den im Rahmen ihres ortsgesetzgeberischen Ermessens entscheiden und haben
damit einen großen Gestaltungsspielraum. Vorgaben werden vom Landesge-
setzgeber nur dahingehend gemacht, dass die Entschädigung ‚angemessen’ sein
muss. Danach soll die Entschädigung wegen der passiven Wahlgleichheit den
materiellen Aufwand ersetzen, aber nicht eine Höhe erreichen, die die Entschä-
digung als ein Entgelt erscheinen lässt. Die Aufwandsentschädigung stieg in den
Jahren zwischen 1984 und 2002 um 18,5% von 1.245 Euro auf 1.475 Euro. Bei
den Fraktionsvorsitzenden ist die Steigerungsrate ebenso hoch: Hier stieg die
Aufwandsentschädigung von 2.490 Euro auf 2.948 Euro pro Monat. Die Ent-
104 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

schädigungszahlungen unterliegen in Nürnberg seit 1973 einer Dynamisierung


durch Anbindung an die Beamtenbesoldung, die in §1 (4) EStRES geregelt ist:
„Wird die Grundvergütung für die Vergütungsgruppe II des Bundes-Angestelltentarifvertrages
(BAT) erhöht, so erhöht sich die Aufwandsentschädigung (...) um den gleichen Prozentsatz.
Die ehrenamtlichen Stadträte erhalten außerdem bei der Erhöhung der Vergütung nach BAT
in Form von einmaligen Zahlungen den gleichen Betrag wie Angestellte der Vergütungsgrup-
pe BAT II.“

Die Stadträte haben ebenso wie in den anderen Untersuchungsstädten Anspruch


auf Verdienstausfallentschädigung66. Dabei gibt es in Nürnberg eine Besonder-
heit: So werden den Fraktionsvorsitzenden pauschal 125 Stunden pro Monat als
Zeitaufwand anerkannt, für den die Verdienstausfallentschädigung gewährt
wird. Dies entspricht der monatlichen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten.
Insofern wird in Nürnberg bei den Fraktionsvorsitzenden anerkannt, dass es sich
bei der Ausübung dieser Funktion um eine Vollzeittätigkeit handelt. Durch die
Aufwandsentschädigung in Höhe von knapp 3.000 Euro und die Bezahlung der
vollen monatlichen Arbeitszeit als Verdienstausfall haben die Fraktionsvorsit-
zenden in Nürnberg de-facto ein professionalisiertes Amt. Zu dieser Aufwands-
entschädigung kommen auch in Nürnberg die Entschädigungen für die Auf-
sichtsräte hinzu, die nach Angaben der Mandatsträger ebenfalls in der Höhe sehr
stark variieren. Dabei erhalten insbesondere die Funktionsträger und jene Man-
datsträger, die ein sehr gutes Wahlergebnis erzielt haben, die hoch dotierten
Aufsichtsratsmandate.
In Stuttgart kann der Gemeinderat ebenfalls selbst über die Höhe der Ent-
schädigung entscheiden. Laut Gemeindeordnung (§19 GemO BW) könnte der
baden-württembergische Innenminister zwar eine Rechtsordnung erlassen, in
der er Höchst- bzw. Eckwerte über die Höhe der Entschädigungen festlegt; diese
Möglichkeit wird jedoch nicht in Anspruch genommen. Gemäß der Entschädi-
gungssatzung des Gemeinderats in Stuttgart erhalten die Stadträte eine Auf-
wandsentschädigung, die sich im Gegensatz zu den anderen drei Untersu-
chungsstädten aus einem monatlichen Grundbetrag und Sitzungsgeldern zu-

66 Dabei wird bei abhängig Beschäftigtem der vom Arbeitgeber eingereichte tatsächliche Ver-
dienstausfall bezahlt. Selbständige ehrenamtliche Stadträte erhalten einen Verdienstausfall von
20,45 Euro/Stunde. Die selbständigen Ratsmitglieder gaben dabei in den Interviews an, dass
sie pro Monat ca. 300 bis 400 Euro an Verdienstausfallentschädigung erhalten. Ehrenamtliche
Stadträte, die keine Ersatzansprüche haben, denen aber im beruflichen oder häuslichen Bereich
ein Nachteil entsteht, der nur durch das Nachholen versäumter Arbeit oder durch die Inan-
spruchnahme einer Hilfskraft ausgeglichen werden kann, erhalten ebenfalls eine Entschädi-
gung. Diese Entschädigung beträgt 12,78 Euro/Stunde (vgl. §2 (2) und (3) EStRES). Dabei
werden als Zeitaufwand für die Berechnung des Verdienstausfalls nach §2 (4) die Dauer der
Sitzungen des Stadtrats, seiner Ausschüsse und Kommissionen zuzüglich einer Stunde Weg-
zeit anerkannt, wobei ein Höchstsatz von zehn Stunden pro Tag festgesetzt ist.
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 105

sammensetzt. Im Jahr 2002 beträgt der monatliche Grundbetrag für Stadträte


920 Euro pro Monat und für die Fraktionsvorsitzenden monatlich 1.790 Euro
(§2 (2) Entschädigungssatzung Stuttgart 2001).67 Das Sitzungsgeld beträgt pro
Sitzung bis zu einer Dauer von sechs Stunden 31 Euro und bei Sitzungen über
sechs Stunden 62 Euro. Beruflich selbständig und unselbständig Tätige erhalten,
soweit sie durch die Teilnahme an Sitzungen einen ihrem regelmäßigen Ein-
kommen entsprechenden Verdienstausfall erleiden und diesen nachweisen oder
glaubhaft machen können, ein erhöhtes Sitzungsgeld von 92 Euro. Hausfrauen
steht ebenfalls ein erhöhtes Sitzungsgeld in Höhe von 62 Euro zu68 (§2 (2), (3),
(4)). Sitzungsgelder werden gemäß §2 (5) gewährt für die Teilnahme an Sitzun-
gen und Besichtigungen des Gemeinderats, seiner Ausschüsse und Gremien und
anderer Gremien, in die der Gemeinderat aufgrund von Verpflichtungen Mit-
glieder entsendet. Nach §2 (10) erhalten die Stadträte auch Sitzungsgelder in
Höhe von 31 Euro pro Sitzung für die Teilnahme an Sitzungen der Fraktionen
oder Gruppen des Gemeinderats und ihrer Arbeitskreise; gemäß §2 (11) werden
auch Sitzungsgelder für die Teilnahme an Sitzungen der Bezirksräte bezahlt.
Nach Angaben des Haupt- und Personalamts der Stadt Stuttgart betrug im Jahre
2002 das durchschnittliche monatliche Sitzungsgeld für die Stadträte 1.480 Eu-
ro. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, „dass einige Stadträte wesentlich
weniger Sitzungsgelder erhalten – z.B. als Einzelmitglied im Gemeinderat ohne
zusätzliche Ausschusssitzungen – oder einiges mehr erhalten, da sie in vielen
Gremien Mitglied sind“ 69. 45 der 60 Ratsmitglieder erhalten dabei ein erhöhtes
Sitzungsgeld; 13 wegen Haushaltsführung und 32 Ratsmitglieder wegen Ver-
dienstausfällen in ihrer selbständigen oder unselbständigen beruflichen Tätig-
keit. Insofern erhalten jene Stuttgarter Stadträte ohne besondere Funktionen eine
durchschnittliche monatliche Aufwandsentschädigung von insgesamt 2.400 Eu-
ro. Wie erläutert, ist jedoch in den erhöhten Sitzungsgeldern bereits die Ver-
dienstausfallentschädigung enthalten. So wird in Stuttgart – im Gegensatz zu
Regelungen in den anderen Großstädten – die Verdienstausfallentschädigung
bei den abhängig Beschäftigten nicht individuell berechnet und abgerechnet,
sondern pauschal mit den Sitzungsgeldern abgegolten. Rechnet man aus Grün-
den der Vergleichbarkeit diese Verdienstausfallentschädigung aus den Sitzungs-

67 Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden erhalten je Fraktion eine weitere Aufwandsent-


schädigung von 435 Euro bei Fraktionen bis zu neun Mitgliedern, 870 Euro bei Fraktionen bis
zu 19 Mitgliedern und 1.305 Euro bei Fraktionen mit 20 und mehr Mitgliedern (§2 (2) und (8)
Satzung über die Entschädigung von ehrenamtlich Tätigen 2001).
68 Diese Sitzungsgelder gelten für Sitzungen bis zu sechs Stunden. Ab einer Sitzungszeit von
mehr als sechs Stunden werden die doppelten Beträge bezahlt (vgl. §2).
69 Schriftliche Antwort auf Anfrage von Herrn Berger, Amtsleiter Haupt- und Personalamt Stutt-
gart, vom 20. Januar 2004.
106 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

geldern heraus, so erhalten die Stadträte durchschnittlich Sitzungsgelder in Hö-


he von monatlich 650 Euro.
Hinzu kommt, wie in 4.3 noch näher erläutert wird, dass die Fraktionen
gem. §2 (4) der ‚Satzung über die Finanzierung der Arbeit der Fraktionen’ das
Recht haben, aus ihren Fraktionsbudgetmitteln wahlweise Sitzungsgelder für
fraktionsinterne Sitzungen an die Fraktionsmitglieder zu bezahlen. Die Handha-
bung der einzelnen Fraktionen ist dabei unterschiedlich. So bezahlt die SPD-
Fraktion nach Angaben der Mandatsträger durchschnittlich 50 Euro pro Frakti-
onsmitglied pro Monat, während in der CDU-Fraktion alle Fraktionssitzungen
und Arbeitskreissitzungen mit 30 Euro für Angestellte und mit 60 Euro für
Selbständige vergütet werden. Dadurch erhalten CDU-Fraktionsmitglieder Sit-
zungsgelder für fraktionsinterne Sitzungen in Höhe von monatlich durchschnitt-
lich 300 Euro. Im Durchschnitt aller Fraktionen erhalten die Ratsmitglieder im
Gemeinderat Stuttgart zusätzlich zu der Aufwandsentschädigung und den übli-
chen Sitzungsgeldern monatlich ungefähr 200 Euro. Insgesamt haben die Stutt-
garter Stadträte damit durchschnittlich 1.770 Euro pro Monat an Aufwandsent-
schädigung inklusive der Sitzungsgelder. Damit liegt die Entschädigung in
Stuttgart z.T. weit über jener in den anderen drei Untersuchungsstädten.
Die Grundaufwandsentschädigung ist im Vergleich zum Jahr 1984 von 568
Euro um 62% angestiegen. Bei der Grundaufwandsentschädigung für die Frak-
tionsvorsitzenden fand sogar ein noch größerer Anstieg statt: Von 934 Euro
(1.300 DM) im Jahre 1984 auf 1.790 Euro im Jahre 2002. Dies ist ein Anstieg
von 91,6%. Das Sitzungsgeld hingegen stieg nur geringfügig: Während es im
Jahr 1984 28,70 Euro (40 DM) pro Sitzung waren, sind es 2002, wie oben erläu-
tert, 31 Euro, was einem inflationsbereinigten Anstieg von 7,9% entspricht. Die
gleiche Steigerungsrate findet man auch bei den erhöhten Sitzungsgeldern. Da
die Aufbewahrungspflicht für die Abrechnungen lediglich zwölf Jahre beträgt,
kann die Verwaltung der Stadt Stuttgart keine Angaben über die Höhe der
durchschnittlichen monatlichen Sitzungsgelder im Jahre 1984 bereitstellen. Da-
her wird als Vergleichsmaßstab das Jahr 1991 herangezogen, da es das älteste,
noch archivierte Jahr ist. Damals betrug die Aufwandsentschädigung 1.000 DM,
das durchschnittliche monatliche Sitzungsgeld lag bei 944 DM70. So verdoppelte
sich die durchschnittliche Gesamtaufwandsentschädigung innerhalb von zehn
Jahren mit einem Anstieg von 95,6% fast: Von 1.228 Euro im Jahre 1991 (1.944
DM) auf 2.400 Euro im Jahre 2002.
Neben dieser Aufwandsentschädigung gibt es in Stuttgart bereits erste An-
sätze für eine Altersversorgung, die den Ratsmitgliedern seit 1991 gewährt wird.

70 Diese Angabe zum Sitzungsgeld des Jahres 1991 beinhaltet auch die erhöhten Sitzungsgelder.
Da hierzu von der Verwaltung Stuttgart keine weiteren Details genannt werden konnten, wird
dieser Wert mit dem Äquivalent aus dem Jahr 2002 verglichen.
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 107

So erhalten berufliche Selbständige und Unselbständige, die nachweisen kön-


nen, dass sie durch die Teilnahme an Sitzungen einen ihrem regelmäßigen Ein-
kommen entsprechenden Verdienstausfall erleiden, gemäß §2 (9) eine zusätzli-
che monatliche Entschädigung für Aufwendungen für ihre Altersvorsorge. Bei
in einem Arbeitsverhältnis stehenden Personen ist dies der im jeweiligen Monat
durch den Arbeitgeber nach §168 I Nr. 5 SGB VI einbehaltene Betrag zur Ren-
tenversicherung. Selbständig Tätige oder mandatsbedingt Teilzeit beschäftigte
Beamte haben den Anspruch nur, wenn ihr Einkommen nach Abzug des Ver-
dienstausfalls niedriger ist als die Beitragsbemessung zur gesetzlichen Renten-
versicherung. Nach Angaben des Haupt- und Personalamtes71 erhielten im Jahre
2002 zehn Ratsmitglieder, also ein Sechstel der Ratsmitglieder, eine Altersvor-
sorge im obigen Sinne. Insofern fand seit 1984 nicht nur eine Steigerung in der
Quantität der Entschädigungsleistungen statt, sondern auch in der Qualität.

4.2.3 Entschädigungen: Vergleich zu anderen Parlamenten

Die Analyse der Entschädigungsregelungen zeigt, dass die Ratsmitglieder in


allen Untersuchungsstädten Anspruch auf Ersatz von mandatsbedingten Unkos-
ten in Form der Aufwandsentschädigung haben. Die konkrete Ausgestaltung
und Entwicklung zeigt jedoch überraschenderweise eklatante Unterschiede. So
unterscheiden sich die Aufwandsentschädigungen in den vier Untersuchungs-
städten in hohem Maße: In Hannover erhalten die ‚einfachen’ Ratsmitglieder
mit 466 Euro die niedrigste Aufwandsentschädigung. Frankfurt liegt mit einer
Aufwandsentschädigung von 895 Euro im Mittelfeld. Mit 1.475 Euro in Nürn-
berg und 1.770 Euro in Stuttgart ist die Aufwandsentschädigung in diesen bei-
den Städten am höchsten. Im Vergleich zu 1984 zeigt die Analyse, dass sich die
Höhe der Aufwandsentschädigung in den vier Städten des Weiteren auch sehr
ungleich entwickelt hat. Dabei ist Hannover die einzige Stadt, in der die Auf-
wandsentschädigung gesunken ist und zwar um 9%. In den anderen drei Städten
stieg sie, allerdings in unterschiedlich hohem Maße: In Nürnberg mit 18% nur
gering, in Frankfurt mit 38% und insbesondere in Stuttgart mit über 61% hinge-
gen sehr stark.
Betrachtet man die Aufwandsentschädigungen in allen zwölf deutschen
Großstädten mit mehr als 400.000 Einwohnern, lässt sich auch insgesamt eine
große Streuung der monatlichen Aufwandsentschädigungen durch das Mandat
erkennen (vgl. Tabelle 4.2). Dabei zeigt sich, dass die Aufwandsentschädigun-

71 Schriftliche Antwort auf Anfrage von Herrn Berger, Amtsleiter Haupt- und Personalamt Stutt-
gart, vom 20.Januar 2004.
108 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

gen in den bayerischen Städten München und Nürnberg und in der baden-
württembergischen Stadt Stuttgart besonders hoch sind.

Tabelle 4.2: Aufwandsentschädigungen in den deutschen Großstädten

Entschädigung Entschädigung Entschädigung 1984 Veränderung der


Stadt
inkl. Sitzungsgeld 2002 - inflationsbereinigt - Entschädigung

Dortmund 534 Euro 402 Euro 333 Euro + 20,6 %


Dresden 600 Euro 408 Euro
Duisburg 534 Euro 402 Euro 333 Euro + 20,6 %
Düsseldorf 534 Euro 402 Euro 333 Euro + 20,6 %
Essen 534 Euro 402 Euro 333 Euro + 20,6 %
Frankfurt 895 Euro 895 Euro 649 Euro + 37,8 %
Hannover 466 Euro 466 Euro 511 Euro - 9,11%
Köln 534 Euro 402 Euro 333 Euro + 20,6 %
Leipzig 770 Euro 330 Euro
München 2.407 Euro 1.876 Euro 1.285 Euro + 46,0 %
Nürnberg 1.475 Euro 1.475 Euro 1.249 Euro + 18,1 %
Stuttgart 1.770 Euro 920 Euro 571 Euro + 61,1 %
Durchschnitt
1.045 Euro 698 Euro 593 Euro + 28,8 %72
Städte
Hamburg 2.529 Euro
Bundestag 10.512 Euro

Quelle: Eigene Erhebungen, Schindler 1999, Kempf 1989

Die nordrhein-westfälischen Städte Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Essen und


Köln und die niedersächsische Stadt Hannover haben mit monatlich 534 Euro
bzw. 466 Euro die niedrigsten Aufwandsentschädigungen. Die Ratsmitglieder in
Frankfurt und Leipzig liegen mit ihren Aufwandsentschädigungen im mittleren
Bereich.
Vergleicht man die Entwicklung seit 1984, zeigt sich, dass diese Unter-
schiede in der Höhe der Aufwandsentschädigungen bereits damals bestanden.
Dabei haben sich die Aufwandsentschädigungen in diesen knapp 20 Jahren

72 Die Steigerungsrate bezieht sich lediglich auf jene zehn Großstädte, für die Daten aus dem
Jahr 1984 vorliegen.
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 109

nicht aneinander angeglichen, sondern sich sogar weiter auseinander entwickelt.


Wie die Veränderungen im Vergleich von 1984 zu 2002 zeigen, haben sich die
Aufwandsentschädigungen vor allem in jenen Städten stark erhöht, in denen sie
bereits 1984 hoch waren. Die Standardabweichungen belegen diese Divergenz
deutlich (sd1984 = 373 Euro; sd2002 = 799 Euro).
In der Gegenüberstellung der Entschädigungen mit den Diäten, die die Ab-
geordneten in der semiprofessionellen Bürgerschaft in Hamburg erhalten, zeigt
sich, dass die Aufwandsentschädigung eines formal ehrenamtlichen Münchner
Stadtrats fast identisch mit dem Einkommen eines Hamburger Bürgerschaftsab-
geordneten ist: So erhält der Münchner Stadtrat 2.400 Euro und der Bürger-
schaftsabgeordnete 2.500 Euro. Wie bei der Analyse in den vier Untersuchungs-
städten bereits erläutert, bekommen Funktionsträger eine erhöhte Aufwandsent-
schädigung.73 Insbesondere in den drei Städten mit den höchsten Aufwandsent-
schädigungen erhalten die Fraktionsvorsitzenden genauso viel bzw. mehr als ein
Hamburger Bürgerschaftsabgeordneter: So beträgt die Aufwandsentschädigung
für die Fraktionsvorsitzenden in München 3.752 Euro, in Nürnberg 2.948 Euro
und in Stuttgart 2.440 Euro (1.790 Euro Grundaufwandsentschädigung und 650
Euro Sitzungsgeld). Auch im Vergleich zum durchschnittlichen Einkommen
eines Angestellten zeigt sich, dass die Aufwandsentschädigungen der Ratsmit-
glieder in diesen Städten weit über einen reinen Ersatz der Unkosten hinausge-
hen. So betrug im Jahr 2002 der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst eines
deutschen Angestellten 3.627 Euro im Monat, der Bruttomonatsverdienst der
Arbeiter lag bei 2.392 Euro im Monat (Statistisches Bundesamt 2003).
Insofern haben die Aufwandsentschädigungen in den bayerischen Städten
München und Nürnberg und in der baden-württembergischen Stadt Stuttgart
bereits eine Höhe erreicht, die auf eine informelle Teilprofessionalisierung des

73 Tabelle: Entschädigung Fraktionsvorsitzende


Stadt Grundaufwandsentschädigung – ohne Sitzungsgeld
Dortmund 1.608,00 Euro
Dresden 511,00 Euro
Duisburg 1.608,00 Euro
Düsseldorf 1.608,00 Euro
Essen 1.608,00 Euro
Frankfurt 1.385,00 Euro
Hannover 931,00 Euro
Köln 1.458,00 Euro
Leipzig 480,00 Euro
München 3.751,96 Euro
Nürnberg 2.948,00 Euro
Stuttgart 1.790,00 Euro
110 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

Amtes schließen lässt, da die Ratsmitglieder zumindest teilweise davon leben


können. Im Rahmen der Leitfadeninterviews wurde deutlich, dass die Ratsmit-
glieder in Stuttgart und Nürnberg und zum Teil auch in Frankfurt die Auf-
wandsentschädigung tatsächlich als Bezahlung für ihre Ratstätigkeit ansehen.
Diese Einstellung zeigt sich beispielsweise auch in der Begründung der Erhö-
hung der Aufwandsentschädigung in Stuttgart: „Denn die bislang gewährten
Monatspauschalen waren nach Abzug der Einkommensteuer und den Auslagen
so gut wie aufgebraucht“ (Amtsblatt Stuttgart 1999).
So zeigt die Analyse, dass der Professionalisierungsgrad in den deutschen
Großstädten hinsichtlich der Entschädigung zwischen zwei Extremen variiert –
zwischen Städten, in denen die Aufwandsentschädigung bereits eine Höhe er-
reicht hat, in der die Ratsmitglieder davon zumindest teilweise leben können
und die zum Teil sogar die Diäten der Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten
übersteigt und zwischen Städten, in denen es sich bei der Entschädigung wohl
tatsächlich vor allem um den gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleich der Unkos-
ten handelt.
Eine Erklärung für diese Unterschiede könnte in dem unterschiedlichen
Handlungsspielraum in den einzelnen Bundesländern bei der Bestimmung der
Höhe der Aufwandsentschädigung liegen. So gibt es in den meisten Bundeslän-
dern vom Minister des Innern festgelegte Höchstbeträge für die Aufwandsent-
schädigung der ehrenamtlichen Ratsmitglieder. Wie in der Analyse der vier Un-
tersuchungsstädte bereits festgestellt, gibt es in den drei Bundesländern Bayern,
Baden-Württemberg und Hessen diese Festlegung nicht. Hier können die Stadt-
räte über die Höhe der Aufwandsentschädigung selbst entscheiden. Dies sind
auch jene Bundesländer, in denen die Entschädigungen in den Großstädten im
Vergleich zu den anderen Bundesländern deutlich höher sind, und in denen die
Entschädigung in der Periode zwischen 1984 und 2002 – mit der Ausnahme
Nürnbergs – überdurchschnittlich anstieg. Hier ist es den Stadträten also mög-
lich, wie am Beispiel Münchens zu erkennen ist, die Aufwandsentschädigung so
zu erhöhen, dass sie de-facto professionalisiert sind.

4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament

Als dritter Indikator für den Grad und den Prozess der Professionalisierung wer-
den im Folgenden die Aufwendungen für das Kommunalparlament analysiert.
Wie in 2.3.2.3 erläutert, kann dieser Indikator in erster Linie Aussagen zur Pro-
fessionalisierung der Institution machen. Dem Professionalisierungsdruck, der
durch das hohe Arbeitsaufkommen und dem einhergehenden hohen Zeitauf-
wand entsteht, wird durch eine bessere Ressourcenausstattung entgegnet, da die
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 111

Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch mehr Mitarbeiter und bessere


technische Ausstattung zu einer zeitlichen Entlastung der Ratsmitglieder in ihrer
politischen Arbeit führt.
Wie auf den höheren Ebenen des politischen Systems (vgl. 2.2.2.2), erhal-
ten die Fraktionen in den Stadtparlamenten zur Ausübung der Fraktionsgeschäf-
te und zur Unterstützung der Ratsmitglieder Zuwendungen. Der Anspruch der
Ratsfraktionen auf Mittelzuwendung ist (noch) nicht in allen Bundesländern
gesetzlich verankert, wird aber nichtsdestotrotz überall gewohnheitsrechtlich
gewährt. Diese Zuwendungen werden von den Innenministerien der Bundeslän-
der in Entschädigungsordnungen – zumeist als Rahmenvorgabe – festgelegt.
Der Stadtrat bestimmt die konkrete Höhe für die einzelne Kommune jeweils per
Satzung. Über die Verwendung dieser Zuschüsse müssen die Fraktionen Re-
chenschaft ablegen. In den einzelnen Städten sind die Zuwendungen unter-
schiedlich aufgegliedert, und teilweise ist bereits genau festgelegt, wofür die
Zuschüsse gewährt werden. In anderen Städten werden Gesamtzuwendungen,
bestehend aus Sockelbeträgen und Pro-Kopf-Beträgen an die einzelnen Fraktio-
nen ausbezahlt, die dann im Rahmen der Vorschriften eigenständig darüber
haushalten können.
Im Folgenden werden diese Aufwendungen für die Kommunalparlamente
in den vier Untersuchungsstädten analysiert. Dabei ist von Interesse, in welcher
Höhe die Fraktionen Zuschüsse erhalten. Vergleichbar mit der Analyse des Ein-
kommens wird auch hier die Entwicklung betrachtet, indem die Zuschüsse des
Jahres 2002 jenen des Jahres 1984 gegenüber gestellt werden. Dabei wird des
Weiteren untersucht, welche Auswirkung die Höhe des Budgets zum einen auf
die personelle Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen und die Art der Unter-
stützung für die Ratsmitglieder hat. Zum anderen werden die technischen Res-
sourcen untersucht. Zusätzlich werden auch hier die Daten mit den Aufwendun-
gen in den anderen deutschen Großstädten verglichen, um generalisierbare Aus-
sagen über die Professionalisierung in deutschen Großstädten machen zu kön-
nen. Um eine bessere Einordnung und Bewertung zu ermöglichen, werden auch
bei diesem Indikator die Daten jenen der semiprofessionalisierten Bürgerschaft
Hamburg und den Aufwendungen im Bundestag gegenübergestellt.

4.3.1 Aufwendungen in den vier Untersuchungsstädten

Im Folgenden werden im ersten Schritt die Fraktionszuwendungen, die die Frak-


tionen pro Jahr erhalten, analysiert. Anschließend werden sowohl die personel-
len als auch die technischen Ressourcen untersucht, die den Fraktionen und
Mandatsträgern aufgrund dieser Zuwendungen zur Verfügung stehen.
112 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

4.3.1.1 Fraktionszuwendungen

Nachfolgend werden die Fraktionszuwendungen in den vier Untersuchungsstäd-


ten vergleichend analysiert. Da die kommunalen Vertretungskörperschaften in
ihrer Mitgliederanzahl zum Teil erheblich variieren, werden nicht die Gesamt-
zuwendungen pro Kommunalparlament, sondern die Zuwendungen pro Rats-
mitglied miteinander verglichen. Die im Folgenden dargestellten Aufwendun-
gen beinhalten dabei alle Aufwendungen, die der Stadtrat und die einzelnen
Fraktionen aus dem Haushalt erhalten – mit Ausnahme der Mietkosten74.
Im Jahr 2002 erhalten die Fraktionen des Stadtrats in Hannover insgesamt
1.034.200 Euro an Fraktionszuwendungen. Gesetzliche Grundlage für diese
Fraktionszuwendungen ist in Hannover die Niedersächsische Gemeindeord-
nung, die in §39b (3) regelt: „Die Gemeinde kann den Fraktionen und Gruppen
Zuwendungen zu den sachlichen und personellen Aufwendungen für die Ge-
schäftsführung gewähren.“ Die Höhe und Ausgestaltung der konkreten Zuwen-
dungen wurden in der Geschäftsordnungskonferenz 1996 (Drucksache Nr.
1153/96) neu strukturiert und beschlossen. Danach erhalten die einzelnen Frak-
tionen entsprechend ihrer unterschiedlichen Fraktionsgröße im Jahr 2002 fol-
gende Zuwendungen: Die SPD-Fraktion mit 29 Mitgliedern erhält jährlich
404.900 Euro, die CDU-Fraktion mit 22 Ratsmitgliedern 261.300 Euro, die
Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit sieben Ratsmitgliedern 230.400
Euro, und die FDP-Fraktion mit vier Mitgliedern hat Anrecht auf 137.600 Euro.
Die Fraktionen bekommen somit im Jahr 2002 jährlich durchschnittlich 17.846
Euro pro Fraktionsmitglied. Die Gesamtzuwendungen unterteilen sich in Han-
nover in Personalkosten und allgemeine Sachkostenzuschüsse. Dabei stehen den
Fraktionen die Sachkosten als direkte finanzielle Zuwendung zur Verfügung.
Hierbei bekommen sie jeweils einen Sockelbetrag von 1.490 Euro im Jahr pro
Fraktion und einen Kopfbetrag pro Fraktionsmitglied von jährlich 2.700 Euro.
Davon finanzieren die Fraktionen beispielsweise Zeitschriften, Telefon, Büro-
einrichtung, Broschüren und Informationsmaterial.75 Bei den Personalkosten
hingegen können die Ratsfraktionen nicht frei darüber entscheiden, wie sie die
Fraktionsgeschäftsstellen personell besetzen, da sie sich an einen Stellenplan
halten müssen (vgl. dazu ausführlich 4.3.1.2).

74 In allen Städten haben die Fraktionen Anspruch auf Büroräume. In manchen Städten allerdings
können diese Räume im Rathaus zur Verfügung gestellt werden, so dass keine Mietkosten an-
fallen; in anderen Städten wiederum müssen Räume angemietet werden. Da es sich dabei teil-
weise um hohe Summen handelt, würde die Einberechnung der Mietkosten zu einer unnötigen
Verzerrung der Daten führen.
75 Zusätzlich erhalten die Fraktionen pro neu einzurichtenden Arbeitsplatz einmalig einen Sach-
kostenzuschuss von 7.150 Euro.
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 113

Im Vergleich zum Jahr 1984 ist in Hannover – ebenso wie bei der Entwicklung
der Aufwandsentschädigung – im Jahr 2002 ein niedriger Professionalisierungs-
grad zu konstatieren. So erhielten die Fraktionen 1984 inflationsbereinigt durch-
schnittlich 22.700 Euro pro Fraktionsmitglied, während sie, wie erläutert, im
Jahr 2002 durchschnittlich 17.846 Euro erhalten. Dies entspricht einem Rück-
gang von etwas mehr als 20%. Die Abnahme erklärt sich zum einen dadurch,
dass der Gesamtbetrag seit 1996 – mit Ausnahme der Anpassung der Personal-
kosten an die Tariferhöhungen im Öffentlichen Dienst – nicht mehr erhöht und
damit auch nicht an die Inflation angepasst wurde. Im Rahmen der Haushalts-
konsolidierung haben sich die Fraktionen zusätzlich darauf verständigt, die
Fraktionskostenzuschüsse im Jahr 2002 um 5% abzusenken, um ihre eigene
Einsparungsbereitschaft öffentlich zu dokumentieren (vgl. H27). Dies führt da-
zu, dass die Fraktionen mit weniger Mitteln auskommen müssen: So wurden
beispielsweise die jährlichen Zuwendungen für die SPD-Fraktion um 20.000
Euro reduziert (vgl. H4).
Im Jahr 2002 bekommen die Fraktionen in Frankfurt insgesamt 2.813.941
Euro an Fraktionszuwendungen, die aufgeteilt sind in Personal- und Sachkosten.
Die konkrete Höhe für die einzelnen Fraktionen wird dabei aus einem Grundbe-
trag und einem Kopfbetrag für jedes Fraktionsmitglied errechnet76. Demnach
erhält die CDU-Fraktion (36 Mitglieder) jährlich 939.008 Euro, die SPD-
Fraktion (28 Mitglieder) 756.927 Euro und Die Grünen im Römer 413.799 Eu-
ro77. Pro Stadtverordnetem ergibt sich dadurch eine jährliche Zuwendung für die
Fraktionen von 30.814 Euro und damit über 70% mehr pro Mitglied als für die
Fraktionen in Hannover. Gesetzliche Grundlage für die Fraktionszuwendungen
ist in Frankfurt die Hessische Gemeindeordnung, die in §36a (4) regelt, dass die
„Gemeinde (…) den Fraktionen Mittel aus ihrem Haushalt zu den sachlichen
und personellen Aufwendungen für die Geschäftsführung gewähren“ kann. Über
die Verwendung der Zuwendungen können die Fraktionen im Gegensatz zu je-
nen in Hannover frei entscheiden.
Im Vergleich zum Jahr 1984, in dem die Fraktionen pro Mitglied 16.320
Euro erhielten, ist dies eine Steigerung um 89%. Ein Teil dieser sehr großen
Steigerung des Budgets kann mit den Folgen der Aufhebung der 5%-Hürde für
Kommunalwahlen in Hessen im Jahr 2001 erklärt werden. Waren vor den Wah-

76 Die Mittel gliedern sich in einen jährlichen Grundbetrag für den Geschäftsbetrieb, der nach der
Fraktionsgröße gestaffelt ist (bei einem Sitz: 33.233,97 Euro, bei zwei Sitzen: 43.459,81 Euro;
bei drei: 46.016,27 Euro, zwischen vier und zwölf Sitzen: 51.129,19 Euro, ab 13 Mitgliedern:
63.911,49 Euro). Hinzu kommt ein Kopfbetrag von jährlich 4.601,63 Euro. Für das Personal
erhalten die Fraktionen pro Mitglied jährlich 11.831,29 Euro.
77 Die FDP-Fraktion erhält 166.861 Euro, die FAG 116.861 Euro, Die Republikaner 135.536
Euro, die PDS 94.134 Euro, BFF 67.475 Euro, ÖkoLinX-ARL 62.874 Euro, E.L. 49.667, fwf
4.551 und Die Farbechten, Die Rödelheimer und Wir Bergen-Erkheimer jeweils 2.275 Euro.
114 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

len 2001 in der Stadtverordnetenversammlung zumeist vier Fraktionen vertre-


ten, steigerte sich die Anzahl der Fraktionen durch den Wegfall der 5%-Hürde
auf zehn Fraktionen (vgl. auch 3.3.2). Dadurch stiegen die Zuwendungen an die
Fraktionen von 2.275.566 Euro im Jahr 2001 auf 2.815.782 Euro im Jahr 2002.
Dies entspricht einer Steigerungsrate von 23,7%. Nichtsdestotrotz ist damit in
Frankfurt ein sehr starkes Anwachsen der Fraktionsmittel festzustellen.
In Nürnberg betragen die Zuwendungen für die Fraktionen im Jahr 2002
insgesamt 422.000 Euro. Dabei erhalten die Fraktionen und Gruppierungen ei-
nen monatlichen Sockelbetrag für den ‚Mindestpersonalbedarf’, der sich nach
der Größe der Fraktion richtet. So erhält die CSU-Fraktion (32 Mitglieder) mo-
natlich 10.943 Euro, die SPD-Fraktion (29 Mitglieder) 9.531 Euro, BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN (vier Mitglieder) 2.001 Euro und Die Freien (zwei Mitglie-
der) 686 Euro pro Monat.78 Hinzu kommt pro Fraktionsmitglied ein weiterer
monatlicher Zuschuss für weitere Personal- und Sachaufwendungen in Höhe
von 102 Euro. Pro Ratsmitglied stehen den Fraktionen in Nürnberg daher jähr-
lich lediglich 6.029 Euro zu. Über diesen Betrag können die Fraktionen wie in
Frankfurt frei entscheiden und müssen sich nicht, wie beispielsweise in Hanno-
ver, an allgemeine Vorgaben halten. Gesetzliche Grundlage für die Fraktions-
zuwendungen ist auch in Nürnberg die Gemeindeordnung. So sind die Gemein-
den gemäß Art. 56 II GO BAY verpflichtet, für den ordnungsgemäßen Gang der
Geschäfte zu sorgen und dafür die erforderlichen Einrichtungen zu schaffen.
Bezug nehmend auf diese Vorschrift, werden den Fraktionen in Nürnberg Zu-
wendungen für die Fraktionsarbeit gewährt, die in ihrer Höhe vom Ältestenrat
beschlossen werden. Im Vergleich zum Jahr 1984, ist der Zuschuss pro Ratsmit-
glied von 4.975 Euro auf 6.029 Euro pro Jahr um 21% angestiegen. Wie der
Vergleich zu Hannover und Frankfurt zeigt, sind dies sowohl im Vergleich zum
Jahr 1984 als auch zum Jahr 2002 sehr niedrige Zuwendungen für die Fraktio-
nen in Nürnberg.
Die Fraktionen und Gruppierungen des Gemeinderats in Stuttgart haben
ein jährliches Gesamtbudget in Höhe von 1.058.200 Euro (Haushalt Stuttgart
2002/2003:50) und damit durchschnittlich 17.637 Euro pro Ratsmitglied und
Jahr. Im Gegensatz zu den Gemeindeordnungen in Niedersachsen, Hessen und
Bayern gibt es in der Gemeindeordnung Baden-Württembergs keine Regelung
zur Finanzierung von Fraktionen. Gemäß §4 (1) der Gemeindeordnung können
jedoch die Gemeinden „die weisungsfreien Angelegenheiten durch Satzung re-
geln, soweit die Gesetze keine Vorschriften enthalten“. Darauf stützt sich die
‚Satzung über die Finanzierung der Arbeit der Fraktionen, Gruppierungen und

78 Für den Anteil der Personalkosten wird ein 13. Monatseinkommen zur Bereitstellung der
Weihnachtszuwendungen gewährt. Alle Informationen auf Anfrage von Herrn Schneider, Fi-
nanzreferat Stadt Nürnberg, E-Mail vom 22.08.2002.
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 115

Einzelmitglieder des Gemeinderats’ vom 9. Mai 1996.79 Gemäß §1 (1) der Sat-
zung haben danach die Fraktionen
„Anspruch auf die Bereitstellung von Räumen, Sach- und Dienstleistungen sowie von Bud-
getmitteln zur Finanzierung ihres notwendigen sächlichen und personellen Aufwands für die
Erfüllung ihrer teilorganschaftlichen Aufgaben im Gemeinderat“.

Die Budgetmittel für die Fraktionen setzen sich gemäß dieser Satzung aus zwei
Einzelposten zusammen: Die Fraktionen erhalten zum einen Mittel für die Be-
schäftigung von Assistenzpersonal (§2 (2a)). Der Budgetanteil setzt sich dabei
aus einem Sockelbetrag von 7.669 Euro pro Fraktion und einem Kopfbetrag von
10.226 Euro pro Mitglied zusammen (§2 (3)). Zum anderen erhalten sie Mittel
für Entschädigungszahlungen an die Mitglieder der Fraktion im Auftrag der
Stadt, für die sonstigen sächlichen Aufwendungen und die Beschäftigung von
Büropersonal (§2 (2b)). Hierbei betragen der Sockelbetrag 31.189 Euro pro
Fraktion und der Kopfbetrag 2.586 Euro (§2 (4)). Insgesamt setzt sich das Bud-
get für die Fraktionen somit aus einem Sockelbetrag in Höhe von 38.858 Euro
pro Fraktion und einem Kopfbetrag pro Mitglied in Höhe von 12.812 Euro zu-
sammen.80 Dementsprechend erhält die CDU ca. 359.000 Euro pro Jahr, die SPD
ca. 231.000, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhalten 141.400 Euro, Freie Wähler
und FDP mit jeweils vier Fraktionsmitgliedern erhalten je 90.100 Euro. Insge-
samt gesehen, bekommen die kleinen Fraktionen ebenso wie in den anderen
Untersuchungsstädten aufgrund der hohen Sockelbeträge einen höheren Betrag
pro Fraktionsmitglied als die großen Fraktionen.81 In Stuttgart können die Frak-
tionen ebenso wie in Frankfurt und Nürnberg frei über die Verwendung ihres
Budgets entscheiden. Dadurch ergeben sich in den einzelnen Fraktionen unter-
schiedliche Verwendungen der Fraktionsmittel.
„Wir haben ein Gesamtbudget, (...) und können das Gesamtbudget dann auch eigenständig
verwalten, und wir können zwischen Personal- und Sachkosten quasi frei hin und her spielen,
von der Seite her sind wir da flexibel. (...) Wir sind da aber an keinen Stellenplan gebunden.
Wenn wir jetzt morgen sagen, wir stocken die 3,8 Stellen auf vier auf, dann können wir das,
ohne vorher einen Antrag auf Änderung des Stellenplans zu stellen. Dann haben wir eben
weniger Geld für Sachmittel zur Verfügung“ (S1).

79 zuletzt geändert am 10. Mai 2001.


80 Bestimmte sächliche Leistungen gehören zur Grundausstattung und werden nicht auf das Bud-
get angerechnet. Dazu zählen die Fraktionszimmer (§5 (1) d), das Mobiliar (e) und die Büro-
grundausstattung (g), aber auch Aus- und Fortbildungskosten (h).
81 Die CDU-Fraktion erhält pro Mitglied 14.366 Euro, die SPD-Fraktion 15.402 Euro, die Frak-
tion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17.669 Euro, Freie Wähler- und FDP-Fraktion be-
kommen jeweils 22.526 Euro pro Mitglied. Die Gruppierungen ohne Fraktionsstatus erhalten
lediglich den Kopfbetrag, so dass die Republikaner 36.800 Euro und der PDS-Einzelvertreter
12.800 Euro bekommen.
116 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

Hinsichtlich der Fraktionszuwendungen gibt es in Stuttgart jedoch eine Beson-


derheit. So ist in §2 (4) festgelegt, dass die Fraktionen das Budget auch für
„Entschädigungszahlungen an die Mitglieder der Fraktion“ verwenden können.
Bei diesen Zahlungen handelt es sich jedoch nicht um die Entschädigungszah-
lungen für die Sitzungen, die nach der Entschädigungssatzung bezahlt werden
(vgl. 4.2.2). Hierbei handelt es sich vielmehr um die Legitimation, „dass die
Fraktionen für interne, so genannte Fraktionssitzungen (...) aus den Fraktions-
budgetmitteln eine Entschädigung zahlen dürfen“. Auf diese Entschädigungs-
zahlungen wurde bereits bei der Analyse der Entschädigungen (vgl. 4.2.2) ein-
gegangen. Die Fraktionen machen von diesem Recht in unterschiedlicher Weise
Gebrauch: Während die SPD-Fraktion ihren Fraktionsmitgliedern monatlich
durchschnittlich 50 Euro zahlt, werden in der CDU-Fraktion alle Fraktionssit-
zungen und Arbeitskreissitzungen vergütet. Dadurch erhält ein CDU-
Fraktionsmitglied monatlich durchschnittlich 300 Euro. Diese Sitzungsgelder
kommen also dem einzelnen Mandatsträger zugute und sind als Einkommen zu
werten. Insofern stehen diese Mittel nicht mehr für die Ausstattung der Frakti-
onsgeschäftsstellen zur Verfügung. Im Vergleich zu 1984 ist das Budget um
mehr als 210% angestiegen und damit noch stärker als in Frankfurt: Von 5.685
Euro auf die oben genannten 17.637 Euro pro Ratsmitglied. Während die Frak-
tionen in Stuttgart also im Jahr 1984 ähnlich niedrige Zuwendungen erhielten
wie in Nürnberg, bekommen sie nun ähnlich hohe Fraktionszuschüsse wie in
Hannover.

4.3.1.2 Personelle Ausstattung

Nachdem die Höhe und die Entwicklung der Fraktionszuwendungen in den vier
Untersuchungsstädten analysiert wurden, wird im Folgenden untersucht, welche
Auswirkungen dies auf die personelle Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen
hat.
In Hannover sind die Fraktionen personell relativ gut ausgestattet: So ha-
ben die beiden großen Fraktionen SPD und CDU jeweils sieben Personen be-
schäftigt, die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat vier Mitarbeiter
und die FDP-Fraktion zwei Mitarbeiter. Wie erläutert, können die Ratsfraktio-
nen in Hannover jedoch nicht frei darüber entscheiden, wie sie die Fraktionsge-
schäftsstellen personell besetzen. Sie müssen sich dabei vielmehr an dem in der
Drucksache 1153/96 beschlossenen Stellenplan orientieren, von dem sie ledig-
lich im Einzelfall abweichen können. Dieser Stellenplan orientiert sich weitge-
hend an den 1992 erarbeiteten Empfehlungen einer unabhängigen Kommission
zur Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen. Die Expertenkommission kalku-
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 117

lierte den Stellenplan so, dass er ihrer Meinung nach den Anforderungen an eine
Fraktionsgeschäftsstelle in einer Großstadt gerecht werden kann. Gemäß der
Kommission soll mit dieser personellen Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstel-
len eine sinnvolle Unterstützung der jeweiligen Fraktionen und der ehrenamtli-
chen Ratsmitglieder bei ihrer Arbeit erreicht werden. Im Stellenplan82 wird den
Ratsfraktionen aufgrund ihrer Größe dabei zum einen eine unterschiedlich große
Anzahl an Mitarbeitern zugesprochen, zum anderen findet hierbei eine Diffe-
renzierung nach Vergütungsgruppen und somit nach der Qualifizierung der Mit-
arbeiter statt.83 Wie der Stellenplan ebenfalls zeigt, steigt die personelle Ausstat-
tung nicht proportional zur Fraktionsgröße an. Stattdessen gibt es Schwellen, an
denen die personelle Ausstattung zu der nächsten Kategorie ‚springt’ (vgl. Stel-
lenplan). So erhält beispielsweise eine Fraktion mit vier Mitgliedern mit einer
Verwaltungskraft und einem wissenschaftlichen Mitarbeiter lediglich die Hälfte
an Personal zugesprochen wie eine Fraktion mit fünf Mitgliedern (zwei Verwal-

82 Tabelle: Stellenplan gemäß Drucksache 1153/96


Größe der Ratsfraktionen Anzahl Vergütungsgruppe
1 III BAT
2 bis 4 Mitglieder
1 VI b BAT
1 III BAT
5 bis 10 Mitglieder 1 IV a BAT
2 VI b BAT
1 III BAT
11 bis 20 Mitglieder 2 IV a BAT
2 VI b BAT
1 II BAT
1 III BAT
ab 21 Mitglieder 2 IV a BAT
1 V b BAT
1 VI b BAT

83 Die Mitarbeiter sind in der Regel Angestellte der Verwaltung und werden an die Fraktionen
nur abgeordnet. Bei den großen Fraktionen sind die Mitarbeiter in der Regel zwischen fünf
und sieben Jahren in der Fraktionsgeschäftsstelle. Der Austausch mit der Stadtverwaltung wird
dabei von der Fraktionsführung als positiv betrachtet, da sie die Grundkenntnisse der Verwal-
tungstätigkeit mitbringen (z.B. „Was ist ein Einzelplan“). Allerdings werden von den Ratsmit-
gliedern in dieser Verwaltungsnähe auch Nachteile gesehen: „Wir nennen unsere Fraktionsge-
schäftsstelle unsere Verwaltung; so bekomme ich häufig von der Mitarbeitern Vorlagen und
wenn ich mir die dann anschaue, dann ist da nichts o.k. Aber die sehen das auch wieder aus
einer anderen Sicht; die sind ein Teil der Verwaltung, die lesen das dann schon so; das kommt
aus dem Amt, da kenne ich ja noch den und den; das ist schon in Ordnung. Wir haben aber
nicht diesen Verwaltungsblick; aber alle Mitarbeiter hier haben den eben. Und wir betrachten
das dann mehr aus einem politischen Blickwinkel“ (H19). In weitaus geringerem Maße wer-
den auch sog. ‚Freie’ mit akademischer Ausbildung direkt eingestellt; allerdings sind dies aus
Kostengründen weniger.
118 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

tungskräfte und zwei wissenschaftliche Mitarbeiter). So erreicht man also bei


einer Vergrößerung der Fraktion um ein Mitglied an bestimmten Schwellen eine
Verdopplung der personellen Ausstattung. Ein Ratsmitglied der FDP-Fraktion,
die in der untersuchten Wahlperiode aus vier Mitgliedern besteht, erläutert die
strategischen Überlegungen zum ‚Überspringen’ dieser Schwelle wie folgt:
„Es gibt momentan den Fall, dass ein CDU-Mitglied zu uns überwechseln will; und da ist
schon die Diskussion, ob wir den aufnehmen würden, da er als schwierig gilt. Aber mit fünf
Personen in der Fraktion würden wir eine Verdoppelung der Mitarbeiter bekommen, und das
ist dann schon ein Argument, denn die Arbeit der Fraktion würde stark profitieren, und das
würde das aufwiegen. Denn wir leiden schon unter unserem geringem Personal“ (H18).

Die personelle Ausstattung der Fraktionen hat Einfluss auf die Art und Weise,
wie die Arbeit in den Fraktionsgeschäftsstellen organisiert ist, und vor allem in
welchem Umfang und in welcher Art die Mandatsträger unterstützt werden
können. Alle vier im Rat vertretenen Fraktionen haben ihre Fraktionsgeschäfte
so organisiert, dass sie einen Geschäftsführer haben, der vor allem für den tech-
nisch-organisatorischen Ablauf der Fraktionsarbeit zuständig ist, aber auch in-
haltlich und organisatorisch mitarbeitet. Die inhaltliche Arbeit im Rahmen der
Fraktionsgeschäftsstellen ist in Hannover in den großen Fraktionen nach dem
Arbeitsgruppenprinzip gegliedert, und damit sind die „Arbeitsstrukturen (...)
sehr ähnlich mit denen von Landtagspolitikern“ (H23). Die Assistenten sind für
die Vorbereitung, Koordination und Zusammenarbeit in bestimmten Ausschuss-
bereichen zuständig, bei den großen Fraktionen sind dies in der Regel pro Assis-
tent zwei bis drei Ausschüsse. Die Mitarbeiter werden dabei aufgrund des „ent-
sprechenden Know-hows, der Qualifikation und des Interesses“ (H27) den ein-
zelnen Ausschüssen zugeordnet.84 Bei den einzelnen Fachausschüssen sind die
Assistenten dann zuständig für die organisatorische und inhaltliche Vorberei-
tung der Sitzungen.
„Wir haben bei unseren Arbeitskreissitzungen immer unsere Mitarbeiterin dabei, die uns be-
treut, die dann da Protokoll schreibt, die uns inhaltlich zuarbeitet. Die machen alles Organisa-
torische. Bei uns läuft auch sehr viel inhaltliche Abstimmung über die Geschäftsstelle. Allei-
ne, ohne Unterstützung wäre dies für uns Ehrenamtliche gar nicht zu schaffen“ (H23).

84 Am Beispiel der SPD werden das Arbeitsgruppenprinzip und die Zuständigkeiten der Frakti-
onsmitarbeiter erläutert: So hat die SPD-Fraktion eine Geschäftsführerin, die für die Büroor-
ganisation zuständig ist und die Fachausschüsse Personal, Finanzen und Städtische Beteili-
gungen betreut; daneben hat die SPD-Fraktion drei Fraktionsassistenten: Einer betreut die
Ausschüsse und Arbeitsgruppe Bau und Grün, einer betreut die Themenbereiche Soziales,
Ausschuss für Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Liegenschaftsangelegenheiten, Krankenhäuser,
Gleichstellung und Frauen und einer Jugend, Schule, Kultur, Sport. Ein weiterer Fraktionsas-
sistent ist für Bezirksräte und die Finanzen zuständig. Eine Verwaltungskraft kümmert sich um
die allgemeine Büroarbeit und die Zusammenarbeit mit der Verwaltung. Zusätzlich stellt diese
Verwaltungskraft Material für bestimmte Fachthemen zusammen.
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 119

Bei der inhaltlichen Zuarbeit übernehmen die Fraktionsassistenten die Recher-


che für neue Initiativen der Fraktionen, den Kontakt zur Verwaltung und zu wei-
teren Institutionen und Organisationen; sie unterstützen die Ratsmitglieder aber
auch bei der Pressearbeit und beim Schreiben von Reden und Vorträgen (vgl.
H35, H23). Dabei nehmen die Ratsmitglieder die organisatorische und inhaltli-
che Unterstützung unterschiedlich stark in Anspruch. So erläutert eine Ratsfrau:
„Ich gebe so viel Arbeit ab wie möglich. Die schreiben mir die Pressemitteilungen, kontaktie-
ren die Verwaltung, suchen Drucksachen heraus, planen und organisieren die Ausschüsse etc.
Das ist schon eine Entlastung. Wenn ich da hinter allem her rennen müsste, dann würde ich
eine Krise bekommen. Ohne diese Mithilfe könnte ich das alles nicht so gut vereinbaren“
(H7).

Ein Ratsherr hingegen gibt an, dass er die Unterstützung der Fraktionsmitarbei-
ter kaum in Anspruch nimmt: „Ich habe die eigentlich gar nicht im Kopf, dass
die mir das machen können; meist mache ich das alles selbst“ (H35). Die Zuar-
beit durch die Fraktionsmitarbeiter ist dabei insbesondere bei jenen Ratsmitglie-
dern stark ausgeprägt, die weitere Funktionen im Rat und in der Fraktion aus-
üben, wie beispielsweise als Sprecher bzw. Vorsitzender eines Ausschusses oder
als Fraktionsvorsitzender.
Personell sind die Fraktionen in Frankfurt noch besser ausgestattet als in
Hannover.85 So hat beispielsweise die CDU-Fraktion mit ihren 36 Mitgliedern
zwölf Fraktionsmitarbeiter beschäftigt. „Wir haben zwölf Mitarbeiter mit allen
Sekretärinnen und Hilfskräften. Das ist ja schon ein kleines Amt“ (F23). Die
SPD-Fraktion (28 Mitglieder) beschäftigt acht Fraktionsmitarbeiter und die
Grünen-Fraktion mit ihren 13 Fraktionsmitgliedern fünf Mitarbeiter.86 Ver-
gleichbar mit der Situation in Hannover, betreut jeder Fraktionsassistent87 je-

85 Während die Fraktionsmitarbeiter in Hannover üblicherweise aus der Verwaltung kommen


und von der Stadt für eine gewisse Zeit abgeordnet werden, werden die Fraktionsmitarbeiter in
Frankfurt von den Fraktionen direkt eingestellt – befristet bis zur nächsten Wahl. Daher kom-
men die Fraktionsmitarbeiter nicht nur aus der Verwaltung, sondern auch häufig „von außen“
(F23, F4, F24).
86 Vergleichbar dazu ist auch die Situation in den anderen Fraktionen, wobei in den kleineren
Fraktionen das Verhältnis von Fraktionsmitarbeiter zu Mandatsträger höher ist als in den gro-
ßen Fraktionen. So haben die beiden Fraktionen FDP und FAG mit jeweils vier Mandatsträ-
gern je drei Mitarbeiter (0,75 Mitarbeiter pro Fraktionsmitglied), die PDS mit zwei Mandats-
trägern zwei Mitarbeiter (1,0) und die Europa-Liste bei einem Mandatsträger zwei Mitarbeiter
(2,0), während das Verhältnis bei der CDU 0,36 und bei der SPD 0,4 beträgt.
87 Bei der CDU-Fraktion gibt es z.B. sechs Fraktionsassistenten, die den Ausschüssen folgen-
dermaßen zugeteilt sind: Fraktionsreferent 1: Sport, Wirtschaft und Wohnen; Fraktionsreferent
2: Planen und Bauen; Fraktionsreferent 3: Finanzen, Immigration und Integration, Jugend und
Soziales, Personal, Organisation und Verwaltungsreform; Fraktionsreferent 4: Frauen, Schule,
Kultur; Fraktionsreferent 5: Pressesprecher, Gesundheit, Recht und Sicherheit; Fraktionsrefe-
rent 6: Stellvertretender Fraktionsgeschäftsführer, Verkehr, Umwelt, Ältestenrat.
120 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

weils zwei bis drei Ausschüsse, denen er gezielt inhaltlich zuarbeitet: Von der
Recherche über das Vorbereiten von Ausschuss- und Arbeitskreissitzungen bis
zum Schreiben von Reden für Fraktionsmitglieder. So erläutert ein Stadtverord-
neter:
„Das ist auch ungefähr die Anzahl an Personen, die man braucht, wenn eine Geschäftsstelle
eine Fraktion wirklich unterstützen will, wenn sie viele Dinge recherchieren und vorbereiten
soll, das fängt ja alleine schon bei der Auswertung der Zeitungen an, die Abwicklung des
Schriftverkehrs, die Vorbereitung von Ausschusssitzungen, und auch das ganze Archiv; die
nehmen Kontakt mit den Ämtern auf, klären meine Fragen und Probleme ab. Wenn ich z.B.
im Stadtparlament eine Rede halten muss zu einem Thema, in dem ich mich nicht so gut aus-
kenne, dann gehe ich zu dem Assistenten und der sucht mir dann die Daten und Fakten heraus
und arbeitet die wichtigsten Fakten argumentativ auf“ (F17; vgl. auch F24, F18).

Die Zuarbeit geht beispielsweise bei der Fraktion der Grünen sogar so weit, dass
die Fraktionsassistenten „auch Votierungsvorschläge machen“ (F2, F8).
Bezüglich der Fraktionsgeschäftsführer gibt es in Frankfurt eine Besonder-
heit: In fast allen Fraktionen sind die Fraktionsgeschäftsführer gleichzeitig
Stadtverordnete. Dabei üben diese parlamentarischen Fraktionsgeschäftsführer
in den Fraktionen zugleich hohe Funktionen aus: So sind in den beiden großen
Fraktionen CDU und SPD die parlamentarischen Geschäftsführer auch stellver-
tretende Fraktionsvorsitzende, bei den Grünen und der FAG ist der Fraktions-
vorsitzende gleichzeitig Geschäftsführer. Insofern ist hier die Grenze zwischen
Mandatsausübung und Fraktionsmitarbeitern aufgeweicht, da diese Stadtverord-
neten bei der Fraktion angestellt sind. Diese Konstellation kann als informelle
Herstellung eines bezahlten Berufspolitikers interpretiert werden. Diese Doppel-
funktionen gibt es in den Fraktionen bereits seit mehr als 20 Jahren (vgl. F17,
F18). Hauptaufgaben der Fraktionsgeschäftsführer sind in Frankfurt – ebenso
wie in Hannover – die Organisation, Koordination und Leitung der Fraktionsge-
schäftsstelle. In Frankfurt wird jedoch insbesondere die politische Funktion der
Fraktionsgeschäftsführer hervorgehoben:
„Hauptaufgabe der Fraktionsgeschäftsführer ist es, Mehrheiten zu finden; und das ist noch
wichtiger seit die Mehrheitsverhältnisse nun so außerordentlich schwierig sind. Da sind viele
Gespräche und Verhandlungen notwendig“ (F3).

Darin wird auch der Vorteil dieser Doppelfunktion gesehen, da die Fraktionsge-
schäftsführer aufgrund ihres Mandats einen besseren Einblick in die Ratstätig-
keit haben.
„Der Vorteil liegt darin, dass die Verbindung zwischen Fraktionsgeschäftsstelle und Fraktion
eine engere ist. Die Mitarbeiter sind natürlich auch nah dran, nehmen aber nicht an den Ab-
stimmungsprozessen teil und sie nehmen auch nicht an den ‚oberen’ Beratungen teil und sie
nehmen auch nicht an den Beratungen mit den anderen Fraktionen teil. Und auch das Zuarbei-
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 121

ten für den Fraktionsvorsitzenden ist leichter, wir sitzen ja nebeneinander, wir haben eine enge
Verzahnung“ (F18).

Bereits 1984 war die personelle Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen in


Frankfurt sehr hoch. So stellte Kempf (1989) bei seiner Untersuchung fest, dass
die beiden großen Fraktionen CDU und SPD im Jahr 1984 jeweils einen Frakti-
onsgeschäftsführer und fünf Fraktionsassistenten beschäftigten und damit einen
„extrem gute[n] Ausstattungsgrad“ (Kempf 1989:131) hatten.
In Nürnberg spiegeln sich die festgestellten niedrigen Fraktionskostenzu-
schüsse auch in der personellen Besetzung der Fraktionsgeschäftsstellen wider.
So beschäftigen die beiden großen Fraktionen CSU und SPD jeweils lediglich
einen Fraktionsgeschäftsführer und zwei Verwaltungsangestellte. Bei der CSU
ist zudem eine Person ehrenamtlich für die Pressearbeit zuständig. Die Haupt-
aufgaben des Fraktionsgeschäftsführers liegen in beiden Fraktionen vor allem in
der Koordinierung und Organisation der Fraktionsarbeit, insbesondere als Bin-
deglied zwischen der Verwaltung, Vereinen, Verbänden und Interessengruppen
auf der einen Seite und den für die jeweiligen Themenbereiche zuständigen
Stadträten auf der anderen Seite. Weitere Aufgaben sind das Koordinieren der
fraktionsinternen Sitzungen und das Vorbereiten von Tagungen und Beratungen.
Die Sekretärinnen sind ausschließlich für den normalen Bürobetrieb zuständig:
„Wir haben einfach unheimlich viele Anrufe und Briefe zu beantworten, Ko-
pien, Archiv, Sitzungsdienst“ (N1). Zudem arbeitet in beiden Fraktionen eine
dieser beiden Verwaltungsangestellten hauptsächlich dem Fraktionsvorsitzenden
zu. Während dem Fraktionsgeschäftsführer in erster Linie die Zeit für eine in-
haltliche Zuarbeit der Stadträte fehlt, haben die Sekretärinnen nicht die Fach-
kenntnis, um bei der Vorbereitung der Ratsarbeit zu helfen. Insofern gibt es in
Nürnberg im Gegensatz zu Hannover und Frankfurt nicht einmal bei den großen
Fraktionen Fachreferenten, die den Stadträten zuarbeiten. Dies führt dazu, dass
die inhaltliche Vorarbeit wie das Schreiben von Anträgen und die Vorbereitung
der Ausschüsse ausschließlich von den Stadträten selbst gemacht wird. „Materi-
al besorgen, Reden zusammenstellen etc., das müssen wir alles selber machen“
(N10). Bei den kleinen Fraktionen bzw. Gruppierungen wie bei BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN ist die personelle Situation noch schlechter:
„Wir bekommen zwar auch einen Sockelbetrag, aber gerade für die kleinen Fraktionen ist das
fast nicht machbar. Unsere Drei-Viertel-Stelle ist zu 90% mit Organisationsaufgaben, Akten
abheften und Telefonaten beschäftigt“ (N28).

Der Betrag, der der Grünen-Fraktion zusteht, reicht jedoch nicht einmal für die
Finanzierung dieser Stelle aus. Daher gibt die Fraktionsvorsitzende einen Groß-
teil ihrer Aufwandsentschädigung für die Fraktionsgeschäftsstelle ab.
122 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

„Ich gebe 70% für die Finanzierung der Fraktionsgeschäftsstelle ab. Ich komme damit im
Endeffekt auf eine Aufwandsentschädigung, die nicht wesentlich über der der anderen Mit-
glieder liegt“ (N28).

Diese Vorgehensweise ist in den anderen Fraktionen – allerdings zu einem ge-


ringeren Anteil – ebenfalls üblich, um die Sachkosten zu decken. Wie bereits
bei den beiden Untersuchungsstädten Frankfurt und Hannover angesprochen,
brauchen die Fraktionen Mittel zur Unterhaltung der Geschäftsstellen und zur
Finanzierung von Veranstaltungen und Informationsmaterial. In Nürnberg rei-
chen die Zuwendungen für die Fraktionsarbeit auch bei den großen Fraktionen
jedoch lediglich zur Deckung der Personalkosten. „Für die Sachkosten reicht
das Budget nicht mehr; unsere Stadträte geben dafür 10% ihrer Aufwands-
entschädigung ab“ (N1). Insofern kann für Nürnberg festgestellt werden, dass
die Stadträte aufgrund der sehr geringen personellen Ausstattung der Fraktions-
geschäftsstellen kaum Unterstützung durch die Fraktionsmitarbeiter erhalten.
Insbesondere in inhaltlicher Hinsicht findet keinerlei Zuarbeit statt, da das Per-
sonal in den Fraktionsgeschäftsstellen lediglich für die Organisation und Koor-
dination der Fraktionsarbeit zuständig ist.
Wie erläutert, sind die Zuwendungen für die Fraktionen in Stuttgart auf
dem gleichen Niveau wie in Hannover. Im Gegensatz zu Hannover, wo die
Fraktionen an den Stellenplan gebunden sind, können die Fraktionen in Stuttgart
über die Verwendung ihrer Mittel frei entscheiden. Wie bei der Zahlung der
Sitzungsgelder für fraktionsinterne Sitzungen, verfolgen die Fraktionen auch bei
der personellen Ausstattung unterschiedliche Strategien bezüglich Quantität und
Qualität der Mitarbeiter: Die Ratsfraktion der CDU (25 Fraktionsmitglieder)
beschäftigt 3,8 Personen in der Fraktionsgeschäftsstelle. Dies teilt sich auf in
eine Fraktionsgeschäftsführerin, zwei Sekretärinnen und in eine 80%-Stelle für
Pressearbeit. Die Fraktionsgeschäftsführerin ist nach Angaben der Ratsmitglie-
der zu 90% für allgemeine Organisationstätigkeiten und für die Organisation
von Veranstaltungen zuständig. In die inhaltliche Arbeit des Tagesgeschäfts ist
sie nach Angaben der Mandatsträger nicht eingebunden (vgl. S1, S22). Eine
Verwaltungsfachkraft ist dem Fraktionsvorsitzenden zugeordnet, während die
andere für die restlichen Ratsmitglieder der Fraktion zuständig ist. Dadurch ist
sie ausschließlich mit Organisationsaufgaben beschäftigt und kann den Ratsmit-
gliedern inhaltlich nicht zuarbeiten. So erläutert beispielsweise eine Stadträtin,
dass
„für die 24 Fraktionsmitglieder ohne den Fraktionsvorsitzenden eine Sekretärin zur Verfügung
steht. Dadurch ist diese bereits durch die Koordination überfordert, so dass keine inhaltliche
Zuarbeit gefordert werden kann“ (S5).
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 123

Im Gegensatz dazu beschäftigt die SPD-Fraktion (15 Fraktionsmitglieder) von


ihrem Budget mit zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern und einer Verwaltungs-
kraft drei Personen. Trotz des geringeren Budgets hat somit die SPD-Fraktion
fast die gleiche Anzahl an Fraktionsmitarbeitern wie die CDU-Fraktion. Aller-
dings verzichtet die SPD-Fraktion dafür auf einen Fraktionsgeschäftsführer, was
bundesweit gesehen für große Fraktionen in Großstädten sehr unüblich ist. Ein
weiterer Grund für die im Vergleich zur CDU-Fraktion relativ große Fraktions-
geschäftsstelle ist, dass die CDU-Fraktion – wie oben erläutert – einen bedeu-
tend größeren Teil des Gesamtbudgets für Sitzungsgelder fraktionsinterner Sit-
zungen an die Fraktionsmitglieder aufwendet als die SPD-Fraktion. In der Zuar-
beit für die Ratsmitglieder hingegen gibt es im Vergleich zur CDU-Fraktion
keine entscheidenden Unterschiede. So beschränkt sich die Art der Unterstüt-
zung für die normalen Ratsmitglieder lediglich auf Koordination und Organisa-
tion, da „die beiden Assistentinnen (...) relativ viel für den Vorstand, insbeson-
dere bei der Organisation und Koordination und bei der Vorbereitung von Ver-
anstaltungen“ (S22) arbeiten. Auch bei den kleineren Fraktionen liegt der
Schwerpunkt der Tätigkeiten bei der Organisation und Koordination der Frakti-
onsarbeit. In den Interviews zeigte sich jedoch, dass bei BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN hinsichtlich der personellen Ressourcen eine inhaltliche Zuarbeit
möglich wäre, diese aber von den Fraktionsmitgliedern nicht in Anspruch ge-
nommen wird, da dies nicht als Entlastung empfunden wird. So erklärt eine
Ratsfrau:
„Ich muss bei jedem Schritt überlegen, ist es jetzt besser, ich mache es selber oder delegiere
ich es. Ich habe festgestellt, wenn ich selbst in einem Amt anrufe, dann geht es schneller. (...)
Am Anfang habe ich denen auch inhaltliche Recherchen aufgegeben; und dann haben die re-
cherchiert, und ich habe von denen einen Hefter bekommen; da habe ich fast länger zum Le-
sen als zum Suchen gebraucht“ (S18).

Das Gesamtbudget für die Fraktionsgeschäftsstellen ist im Vergleich zu Hanno-


ver gleich hoch. Aufgrund der Zahlung von Sitzungsgeldern für fraktionsinterne
Sitzungen ist allerdings die personelle Ausstattung und damit auch die inhaltli-
che Unterstützung für die Ratsmitglieder geringer als in Hannover, da die weni-
gen Mitarbeiter, wie erläutert, hauptsächlich für die Unterstützung des Frakti-
onsvorsitzenden, zuständig sind. Die ‚normalen’ Stadträte erhalten hingegen
lediglich organisatorische Hilfestellungen durch die Fraktionsgeschäftsstellen.
Insgesamt lässt sich also für Stuttgart zusammenfassen, dass die Fraktionsge-
schäftsstellen personell im Vergleich zu Hannover und Frankfurt schlechter, im
Vergleich zu Nürnberg allerdings besser ausgestattet sind.
Wie erläutert, ist das Budget für die Fraktionsgeschäftsstellen im Zeitraum
zwischen 1984 und 2002 um mehr als 210% gestiegen. Dadurch hat sich auch
die personelle Ausstattung der Geschäftsstellen verändert. So erläutern jene
124 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

Ratsmitglieder, die bereits damals im Rat vertreten waren, dass es 1984 noch
keine Fraktionsgeschäftsstelle gab, sondern lediglich eine Schreibkraft pro Frak-
tion. Damals wurde auch die Koordination und Organisation von den Stadträten
übernommen.

4.3.1.3 Technische Ausstattung

Nach der Analyse der personellen Ausstattung wird im Folgenden die techni-
sche Ausstattung der Fraktionen in den vier Untersuchungsstädten untersucht.
Wie in 2.3.2.3 erläutert, führt eine gute technische Ausstattung der Fraktionen
und Ratsmitglieder – insbesondere im Bereich der Informations- und Kommu-
nikationssysteme – zu einer Verbesserung der Zugänglichkeit zu Informationen
ebenso wie zu einer Erleichterung der Informationsverarbeitung. Bei ehrenamt-
lichen Mandatsträgern hat dies eine noch höhere Bedeutung, da die Ratsmitglie-
der ihr Mandat nebenberuflich ausüben und daher während der üblichen Öff-
nungszeiten der Stadtverwaltung in der Regel ihren Beruf ausüben. Durch die
Informationssysteme können sie jedoch zu jeder Zeit und von jedem Ort auf
Verwaltungsvorlagen und weitere Dokumente zugreifen. Die Analyse ergab
auch hinsichtlich der technischen Ausstattung große Unterschiede zwischen den
Untersuchungsstädten.
So steht den Ratsfrauen und -herren in Hannover das Ratsinformationssys-
tem ‚CUPARLA’ zur Verfügung. In diesem System sind Vorlagen, Anträge und
weitere Informationen in Form eines elektronischen Archivs enthalten, auf die
die Ratsmitglieder jederzeit zugreifen können (vgl. H35, H33, H23, H7, H18).
Durch diese technische Ausstattung konnte in Hannover zudem eine Arbeitsent-
lastung der Fraktionsgeschäftsstelle erreicht werden, da sich die Ratsmitglieder
nun selbst ihre Vorlagen ausdrucken können, und dies nicht mehr von der Frak-
tionsgeschäftsstelle erledigt werden muss. Diese Arbeitsentlastung der Frakti-
onsgeschäftsstelle ermöglicht es den Fraktionsmitarbeitern nun, den Mandats-
trägern in anderen Bereichen noch stärker zuzuarbeiten oder zusätzliche Res-
sourcen für Sachkosten zu haben: „In der Geschäftsstelle haben wir eine ganze
Kraft gestrichen dadurch, dass man keine Papiere mehr ausdrucken muss etc.;
jetzt haben wir mehr Geld für Sachkosten“ (H35).
Die Frankfurter Stadtverordneten haben ebenfalls ein elektronisches Rats-
system. Neben dem für alle Bürger einsehbaren Archiv, in dem Vorlagen und
Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung und der Ausschüsse recherchiert
werden können, haben die Stadtverordneten seit dem Jahr 2002 einen Zugangs-
code, mit dem sie auch die nicht-öffentlichen Vorlagen einsehen können. Zu-
sätzlich wird seit dem Untersuchungsjahr 2002 ein Intranet für die Stadtverord-
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 125

neten aufgebaut, um die Arbeitsbedingungen für die Mandatsträger und die


Fraktionen noch weiter zu verbessern.
Im Gegensatz zu den anderen Untersuchungsstädten existiert in Nürnberg
im Untersuchungsjahr 2002 kein elektronisches Ratsinformationssystem, in dem
die Ratsmitglieder nach Verwaltungsvorlagen und Anträgen suchen können.
„Natürlich haben wir auch ein Archiv, und das ist jetzt neu und das ist ein
Schrank, den macht man auf und zieht die Ordner raus, dort hat man Stichwor-
te“ (N10; ähnlich N2). Grund für die Nicht-Existenz eines solchen elektroni-
schen Ratssystems ist die schlechte Haushaltslage in Nürnberg. Die Stadträte
erläutern zudem, dass im Stadtrat über die Anschaffung von Laptops für die
einzelnen Mandatsträger diskutiert wurde. Dies scheiterte jedoch ebenfalls an
der Nicht-Finanzierbarkeit:
„Da haben alle gelacht, was heißt gelacht, aber geschmunzelt, wir sind weit entfernt davon. Es
hängt aber nicht am Interesse, sondern es fehlt das Geld, das können wir uns momentan nicht
leisten“ (N16).

Die technische Ausstattung der Ratsmitglieder in Stuttgart ist im Vergleich zu


den anderen drei Städten wesentlich umfangreicher und besser entwickelt. So
gibt es wie in Hannover und Frankfurt ein elektronisches Ratssystem. Vor 2002
wurde den Stadträten das Ratsinformationssystem ‚CUPARLA’ zur Verfügung
gestellt, das auch in Hannover angewendet wird. Seit 2002 gibt es das elektroni-
sche System ‚KORVIS’ (Kommunales Rats- und Verwaltungssystem), da das
System ‚CUPARLA’ als unbefriedigend empfunden wurde:
„Rat und Verwaltung benötigen die entscheidungsrelevanten Informationen. (…) [Bisher] ges-
taltet sich die Informationsbeschaffung beschwerlich, oder sogar unmöglich. (...) Was fehlt, ist
ein geeignetes System, das (...) den Bedürfnissen des Rates und der Führungskräfte nach-
kommt, indem es alle benötigten Informationen aus den Einzelsystemen bündelt, auf einer
Plattform zusammenfasst und benutzerfreundlich zur Verfügung stellt“ (Gemeinderatsdruck-
sache 1091/2001).88

Zusätzlich sind die Ratsmitglieder mit einem ‚mobilen Büro’ ausgestattet. So


stehen allen Ratsmitgliedern zu Hause ein ISDN-Anschluss und ein Laptop zur

88 Für die Einführung des neuen Systems KORVIS fielen in den Jahren 2002 und 2003 folgende
Kosten an: Die Kosten für die Entwicklung betrugen 477.000 Euro, für die Qualifizierung der
Anwender 45.000 Euro, für Personalkosten 275.000 Euro und für die wissenschaftliche Unter-
stützung 48.000 Euro. Die Kosten für das Untersuchungsjahr 2002 betrugen 335.000 Euro.
Diese Kosten wurden nicht in die Kosten für das Parlament pro Ratsmitglied eingerechnet, da
der Anwenderkreis sich nicht nur auf die Stadträte beschränkt, sondern auch für Amtsleiter
und weitere Angestellte der Verwaltung konzipiert ist. Zudem handelt es sich dabei um Kos-
ten, die lediglich in diesen beiden Jahren anfallen. Um daher die Aussagekraft des Indikators
nicht zu verfälschen, wurden die Kosten für die Einführung des Systems nicht eingerechnet
(Kosten sind dem Haushalt 2002 und 2003 entnommen).
126 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

Verfügung. Dadurch haben sie jederzeit Zugriff auf die Sitzungsunterlagen. Die
Ratsmitglieder empfinden dieses ‚mobile Büro’ als „echte Arbeitserleichterung“
(S13; vgl. S6), das sie auch von der Fraktionsgeschäftsstelle und insbesondere
von der Verwaltung unabhängiger macht.
„Denn wenn ich hier normal arbeite, dann ist in der Verwaltung und in der Fraktionsge-
schäftsstelle um 17.00 Uhr, wenn ich fertig bin, zu. Und auch am Wochenende war ich abge-
hängt; und jetzt kann ich mich an den Rechner setzen und kann Mails checken, recherchieren,
kann die Anträge schreiben etc. und das ist wirklich eine echte Unterstützung“ (S16).

4.3.2 Aufwendungen für das Kommunalparlament: Vergleich zu anderen


Parlamenten

Im Folgenden werden die Analyseergebnisse für die vier Untersuchungsstädte


hinsichtlich des Indikators ‚Aufwendungen für das Kommunalparlament’ zu-
sammengefasst. Zudem werden die finanziellen Zuwendungen der Fraktionen
mit jenen in den anderen deutschen Großstädten verglichen und in Bezug zu den
höheren Ebenen gesetzt.
Ebenso wie bei den Aufwandsentschädigungen zeigt sich auch bei den
Aufwendungen für die Fraktionsgeschäftsstellen eine sehr breite Streuung. Da-
bei erhalten die Fraktionen in Frankfurt pro Fraktionsmitglied jährlich 30.814
Euro, die Fraktionen in Hannover und Stuttgart haben mit 17.846 bzw. 17.883
ein ähnliches hohes Budget zur Verfügung und liegen im Vergleich der vier
Städte im Mittelfeld. Die mit Abstand niedrigsten Zuwendungen für die Frakti-
onsarbeit erhalten die Fraktionen in Nürnberg mit lediglich 6.029 Euro pro
Ratsmitglied. Im Vergleich zu 1984, lässt sich feststellen, dass die Aufwendun-
gen in Hannover in diesem Zeitraum um 21% gesunken sind; in Nürnberg sind
sie um 21% angestiegen, in Frankfurt um 89%. Die größte Steigerung der Auf-
wendungen fand in Stuttgart statt, wo das Budget sogar um mehr als 210% an-
stieg.
Betrachtet man die Anzahl der beschäftigten Personen pro Ratsmitglied,
zeigt sich, dass die Fraktionsgeschäftsstellen in Frankfurt personell am besten
ausgestattet sind. Auf jedes Fraktionsmitglied kommen hier durchschnittlich
0,312 Mitarbeiter. In den Fraktionen in Hannover sind ebenfalls viele Frakti-
onsmitarbeiter beschäftigt (durchschnittlich 0,292 Fraktionsmitarbeiter/Rats-
mitglied). Die Fraktionen in Stuttgart sind personell schlechter ausgestattet und
kommen auf 0,213 Fraktionsmitarbeiter pro Ratsmitglied. Die Nürnberger Frak-
tionen haben durchschnittlich lediglich 0,100 Fraktionsmitarbeiter pro Ratsmit-
glied. Des Weiteren zeigt die Analyse in den vier Untersuchungsstädten zwei
grundsätzlich unterschiedliche Unterstützungsarten: In Nürnberg und in Stutt-
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 127

gart werden die Ratsmitglieder von den Fraktionsmitarbeitern aufgrund der fest-
gestellten geringeren personellen Ausstattung lediglich in organisatorischen
Dingen unterstützt. Im Gegensatz dazu haben die Fraktionen in Frankfurt und
Hannover relativ große Fraktionsgeschäftsstellen, so dass die Mitarbeiter den
Ratsmitgliedern nicht nur organisatorisch, sondern vor allem inhaltlich zuarbei-
ten können.

Tabelle 4.3: Aufwendungen für die Kommunalparlamente

Aufwendungen 1984
Aufwendungen 2002 Veränderung
- inflationsbereinigt -89
Dortmund 14.510 Euro 13.482 Euro + 7,6 %
Dresden 7.314 Euro
Düsseldorf 22.212 Euro 9.935 Euro + 123,6 %
Duisburg 11.638 Euro 8.515 Euro + 36,7%
Essen 10.180 Euro
Frankfurt 30.814 Euro 16.320 Euro + 88,8%
Hannover 17.846 Euro 22.706 Euro - 21,4%
Köln 30.500 Euro
Leipzig 14.190 Euro
München 15.999 Euro 12.081 Euro + 32,4%
Nürnberg 6.029 Euro 4.975 Euro + 21,2%
Stuttgart 17.637 Euro 5.685 Euro + 210,2%
Durchschnitt
16.572 Euro 11.712 Euro + 45,9%90
Städte
Hamburg 31.153 Euro91
92
Bundestag 90.465 Euro 80.696 Euro + 35,0%

Quelle: Eigene Erhebungen, Schindler 1999, Kempf 1989

89 Die Höhe der Aufwendungen für die Fraktionsarbeit im Jahr 1984 in Essen und Köln konnte
von den beiden Stadtverwaltungen nicht mitgeteilt werden, da sie dort nicht über solch einen
langen Zeitraum archiviert werden.
90 Die Steigerungsrate bezieht sich lediglich auf jene Großstädte, für die Daten aus dem Jahr
1984 vorliegen.
91 Zusätzlich erhalten die Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft pro Jahr 18.200 Euro für
persönliche Mitarbeiter, die Bundestagsabgeordneten erhalten jährlich 87.205 Euro.
92 Die Daten für den Bundestag beziehen sich auf das Jahr 1998.
128 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

Hinsichtlich der technischen Ausstattung wurde deutlich, dass insbesondere die


Stuttgarter Stadträte mit ihrem ‚mobilen Büro’ sehr gut ausgestattet sind. Wäh-
rend es in Stuttgart, Hannover und Frankfurt ein elektronisches Ratsinformati-
onssystem gibt, in denen die Ratsmitglieder nach Sitzungsunterlagen recherchie-
ren können, steht den Nürnberger Stadträten für ihre Arbeit ein solches System
nicht zur Verfügung.
Bei den Fraktionszuwendungen zeigt sich bei der Analyse in allen zwölf
Großstädten – ebenso wie bei den Aufwandsentschädigungen – ein sehr diffe-
renziertes Bild (vgl. Tabelle 4.3): Dabei stehen Köln und Frankfurt mit jeweils
über 30.000 Euro jährlich pro Stadtverordneten an der Spitze. Die Fraktionen in
Nürnberg erhalten mit 6.000 Euro und in Dresden mit 7.300 Euro pro Mitglied
die geringsten Aufwendungen für die Fraktionsarbeit. Neben diesen Extremfäl-
len zeigt der Vergleich, dass sich die übrigen Städte im Bereich zwischen
15.000 und 17.000 Euro pro Ratsmitglied gruppieren. Im Vergleich zum Jahr
1984 wird sichtbar, dass die Fraktionszuwendungen durchschnittlich um 45%
anstiegen, sich in den einzelnen Städten jedoch sehr unterschiedlich entwickelt
haben: Während die Zuwendungen in Hannover im Zeitraum zwischen 1984
und 2002 um über 20% zurückgingen, haben sich, ebenso wie bei den Auf-
wandsentschädigungen, einzelne Städte besonders stark professionalisiert.
So stiegen die Zuwendungen in Frankfurt um knapp 90% und in Düssel-
dorf um mehr als 120%. Am stärksten ist der Zuwachs in Stuttgart: Während die
Stuttgarter Fraktionen im Jahr 1984 finanziell ähnlich schwach wie in Nürnberg
unterstützt wurden, hat sich Stuttgart seither mit einem Zuwachs von mehr als
200% ins gehobene Mittelfeld unter den Städten gehoben. Insgesamt betrachtet,
ist bei der Entwicklung der Fraktionszuwendungen in den zwölf deutschen
Großstädten wie bei den Aufwandsentschädigungen in dem Zeitraum zwischen
1984 und 2002 eine Divergenz festzustellen. Die Standardabweichungen bele-
gen dies deutlich (sd1984 = 5.861 Euro; sd2002 = 7.323 Euro). Im Vergleich zu der
semiprofessionalisierten Hamburger Bürgerschaft lässt sich in den beiden Städ-
ten Köln und Frankfurt eine ähnlich hohe Professionalisierung erkennen – abge-
sehen von den persönlichen Mitarbeitern der Bürgerschaftsabgeordneten. Im
Vergleich zum Bundestag sind die Zuwendungen jedoch gering und betragen
durchschnittlich nur ca. 10 bis 15% der Zuwendungen pro Abgeordneten.

4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten

Im Folgenden werden die Höhe des Professionalisierungsgrades und die Profes-


sionalisierungsarten in den Untersuchungsstädten durch eine zusammenfassende
Betrachtung der drei Indikatoren untersucht und mit jenen in den anderen deut-
4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten 129

schen Großstädten verglichen. Um die Höhe des Professionalisierungsgrades


einordnen zu können, findet anschließend ein Vergleich mit der Hamburger
Bürgerschaft und dem Bundestag statt. Im letzten Teil werden dann mögliche
Erklärungsfaktoren für die festgestellten Divergenzen diskutiert.

4.4.1 Professionalisierung in den vier Untersuchungsstädten

Nach der Analyse der drei Indikatoren für die Professionalisierung, wird nun im
Folgenden für jede der vier Untersuchungsstädte zusammengefasst, wie hoch
der Professionalisierungsgrad von Amt und Institution ist, und ob im Vergleich
zwischen 1984 und 2002 ein Professionalisierungsprozess stattgefunden hat. Als
Indikatoren für die Professionalisierung des politischen Amtes wurden das di-
rekt aus diesem Amt bezogene Einkommen, der Zeitaufwand für die Ausübung
des Amtes und weitere Ressourcen, die dem Ratsmitglied direkt zustehen, defi-
niert. Dabei wird Bezug nehmend auf die unter 2.3.1.3 entwickelten Professio-
nalisierungsarten der Institution untersucht, ob sich unterschiedliche Entwick-
lungsrichtungen herausgebildet haben. Der Professionalisierungsgrad der beiden
Ebenen stellt dann den Rahmen für die individuelle Professionalisierung dar, die
in Kapitel 5 analysiert werden wird.

Tabelle 4.4: Professionalisierungsgrad – Die drei Indikatoren

Zeitaufwand/ Kosten des Parlaments/


Monatliches Einkommen
Lage der Sitzungen Mitarbeiterstab
Hannover Eher niedrig/
Sitzungen am Nachmittag Niedrig: 465 Euro Mittel: 17.846 Euro/
und Abend Großer Mitarbeiterstab
Frankfurt Mittel/
Sitzungen am Nachmittag Mittel: 870 Euro Hoch: 30.814 Euro/
und Abend Großer Mitarbeiterstab
Nürnberg Mittel/
Sitzungen vor allem tags- Hoch: 1.500 Euro Niedrig: 6.029 Euro/
über Kleiner Mitarbeiterstab
Stuttgart Hoch/
Sitzungen vor allem tags- Hoch: 1.770 Euro Mittel: 17.883 Euro/
über Kleiner Mitarbeiterstab

Stuttgart
Wie die Analyse in 4.1.1.1 zeigte, haben die Stuttgarter Stadträte einen sehr ho-
hen Zeitaufwand von mindestens 25 bis 35 Stunden pro Woche für ihre Ratstä-
130 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

tigkeit. Die Rats- und Ausschusssitzungen finden zusätzlich in der Regel tags-
über statt, so dass diese stark mit einer Berufsausübung kollidieren und eine
ehrenamtliche Ausübung kaum möglich machen. Die Aufwandsentschädigung
für die normalen Ratsmitglieder ist mit durchschnittlich 1.770 Euro im Monat
relativ hoch; Fraktionsvorsitzende erhalten eine Aufwandsentschädigung in Hö-
he von ca. 2.700 Euro. Hinzu kommen für alle Ratsmitglieder die Entschädi-
gungen für die Aufsichtsratsmandate, wobei die Fraktionsvorsitzenden hierbei
als zusätzliche ‚Entlohnung’ üblicherweise die am höchsten dotierten Aufsichts-
ratsmandate innehaben. Damit reicht die Aufwandsentschädigung bereits in die
Nähe der Diäten des semiprofessionellen Parlaments in Hamburg heran. Auch in
der Entwicklung der Aufwandsentschädigung im Zeitraum zwischen 1984 und
2002 zeigt sich in Stuttgart eine starke Professionalisierung, da sie um mehr als
60% anstieg. Es kann somit festgestellt werden, dass diese Entschädigung be-
reits geeignet ist, um zumindest teilweise davon leben zu können. Des Weiteren
haben die Ratsmitglieder einen Anspruch auf Altersversorgung, sofern sie ihre
Berufstätigkeit aufgrund des Mandats einschränken. Insofern kann hier von ei-
ner qualitativen Ausweitung der Abgeordnetenentschädigung gesprochen wer-
den, da bereits ein Schritt in Richtung eines sozialen Netzes für die Ratsmitglie-
der festzustellen ist.
Hinsichtlich der Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen ergab die Ana-
lyse, dass sich die Höhe der Zuwendungen im Vergleich zu den anderen Städten
auf einem mittleren Niveau befindet. Im Vergleich zum Jahr 1984 stiegen die
Zuwendungen an die Fraktionen allerdings um mehr als 210% an. Da die Frak-
tionen jedoch befugt sind, aus diesen Zuwendungen zusätzliche Sitzungsgelder
für fraktionsinterne Sitzungen zu bezahlen, reduziert sich das Budget für die
Fraktionsgeschäftsstellen. Daher sind die diese personell relativ schwach be-
setzt. Dies hat zur Folge, dass die Mandatsträger von den Fraktionsmitarbeitern
in erster Linie nur organisatorisch unterstützt werden. Wie die Praxis der frakti-
onsinternen Sitzungsgelder zudem zeigt, verzichten die Stadträte zugunsten ei-
ner stärkeren Professionalisierung des Amtes bewusst auf eine bessere Ausstat-
tung der Fraktionsgeschäftsstellen und damit auf eine bessere inhaltliche Unter-
stützung. Durch das ‚mobile Büro’ und das elektronische Parlamentssystem sind
die einzelnen Ratsmitglieder technisch allerdings sehr gut ausgestattet.
Insofern kann für die Professionalisierung des politischen Amtes in Stutt-
gart ein hoher Professionalisierungsgrad festgestellt werden. Insgesamt hat sich
das Stadtparlament in Stuttgart mit einem Zuwachs an Zuwendungen von mehr
als 130% im Zeitraum zwischen 1984 und 2002 sehr stark professionalisiert.
Der Professionalisierungsgrad ist dabei im Vergleich zu den anderen Städten am
stärksten angestiegen. Da Stuttgart hinsichtlich der Ressourcen im Jahr 1984
4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten 131

sehr schlecht ausgestattet war, ist trotz des hohen Anstiegs dieser Zuwendungen
nach wie vor eine mitgliederbasierte Professionalisierung festzustellen. Aller-
dings könnte Stuttgart mit seinen enormen Zuwachsraten in beiden Bereichen
für das Konzept einer umfassenden Professionalisierung der Kommunalpolitik
stehen. Für eine endgültige Bewertung ist jedoch der weitere Professionalisie-
rungsprozess abzuwarten.

Nürnberg
Die Analyse ergab, dass in Nürnberg der Zeitaufwand für die Ratstätigkeiten
ebenfalls eher hoch ist, wobei er etwas unter dem Niveau von Stuttgart liegt.
Ähnlich zur Situation in Stuttgart, finden auch in Nürnberg die Sitzungen zu
einem hohen Prozentsatz tagsüber statt und machen daher eine nebenberufliche
Ausübung des Ehrenamtes schwierig. Bezüglich der Aufwandsentschädigung
wurde festgestellt, dass sich diese auf einem relativ hohen Niveau bewegt. So
erhalten normale Stadträte ohne weitere Funktionen 1.475 Euro pro Monat; die
Fraktionsvorsitzenden mit 2.948 Euro sogar das doppelte. Im Vergleich zu den
anderen Stadträten liegen sie damit auf einem hohen Niveau. Auch im Vergleich
zu den Durchschnittseinkommen, reicht die Höhe der Aufwandsentschädigung
bereits mindestens an ein halbes Einkommen heran. Hinzu kommen auch hier
die Entschädigungen für die Aufsichtsratsmandate. Die Fraktionsgeschäftsstel-
len sind hingegen sehr schlecht ausgestattet: So sind die Aufwendungen, die pro
Ratsmitglied 6.000 Euro pro Jahr betragen, im Vergleich zu allen anderen deut-
schen Großstädten mit Abstand am niedrigsten. Dies hat zur Folge, dass die
Fraktionsgeschäftsstellen in Nürnberg personell sehr schwach besetzt sind und
dass daher keine inhaltliche Unterstützung für die einzelnen Fraktionsmitglieder
erfolgen kann. Auch weitere Ressourcen zur Unterstützung der Ratsarbeit, bei-
spielsweise in Form eines elektronischen Ratssystems, gibt es in Nürnberg
nicht. Insofern kann zusammengefasst werden, dass in Nürnberg das Amt relativ
hoch professionalisiert ist, dass aber die Ausstattung mit personellen und sachli-
chen Ressourcen sehr niedrig ist. Daher findet man in Nürnberg ebenfalls eine
mitgliederbasierte Professionalisierung vor, allerdings auf einem niedrigeren
Niveau als in Stuttgart. Der Professionalisierungsgrad hat sich in Nürnberg in
den vergangenen 20 Jahren erhöht, ist jedoch nicht so stark angestiegen wie in
Stuttgart: Im Vergleich zum Jahr 1984 haben sowohl die Aufwandsentschädi-
gungen als auch die Zuwendungen für die Fraktionsgeschäftsstellen inflations-
bereinigt um 20% zugenommen.

Frankfurt
Der Zeitaufwand in Frankfurt liegt auf einem mittleren Niveau im Vergleich zu
den anderen Großstädten. Die Sitzungen finden im Normalfall erst am Nachmit-
132 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

tag oder in den Abendstunden statt, so dass eine Vereinbarkeit von Beruf und
Mandat besser möglich erscheint als in Stuttgart und Nürnberg. Die Aufwands-
entschädigung, die im Zeitraum zwischen 1984 und 2002 mit ca. 40% leicht
überdurchschnittlich anstieg, liegt auf einem mittleren Niveau: So erhalten die
normalen Stadtverordneten im Jahr 2002 knapp 900 Euro, die Fraktionsvorsit-
zenden 1.385 Euro zuzüglich der Entschädigungen durch die Aufsichtsratsman-
date. Dieser Betrag ist eher nicht geeignet, um vom Mandat (teilweise) leben zu
können. Insofern liegt die Professionalisierung des Amtes im Vergleich der
deutschen Großstädte lediglich im mittleren Bereich. Eine Besonderheit liegt
jedoch darin, dass in Frankfurt die Fraktionsvorsitzenden bzw. stellvertretenden
Fraktionsvorsitzenden aller Fraktionen gleichzeitig Fraktionsgeschäftsführer
und somit de-facto professionalisiert sind.
Die Fraktionen sind sehr gut mit sachlichen und personellen Ressourcen
ausgestattet. So sind die Zuwendungen für die Kosten des Kommunalparlaments
im Jahr 2002 mit jährlich 30.000 Euro pro Stadtverordneten genauso hoch wie
jene der Bürgerschaft in Hamburg. Den Stadtverordneten wird sowohl organisa-
torisch als auch inhaltlich sehr viel zugearbeitet. Die Zuwendungen stiegen im
Vergleich zum Jahr 1984 um knapp 90% an. Auch in Frankfurt gibt es ein elekt-
ronisches Parlamentssystem, das es den Stadtverordneten und Fraktionsmitar-
beitern erlaubt, schnell und effizient auf Verwaltungsvorlagen zuzugreifen.
Der Professionalisierungsgrad in Frankfurt ist im Vergleich zu den anderen
deutschen Großstädten sehr hoch. Dabei liegt die Professionalisierung des Am-
tes lediglich auf einem mittleren Niveau, während die Professionalisierung der
Institution sehr hoch ist. Insofern ist in Frankfurt bei einem insgesamt hohen
Professionalisierungsgrad eine ressourcenbasierte Professionalisierung der Insti-
tution festzustellen.

Hannover
Das Kommunalparlament in Hannover hat im Vergleich zu den anderen Unter-
suchungsstädten den niedrigsten Professionalisierungsgrad des Amtes: Der Zeit-
aufwand für die Ratstätigkeit liegt durchschnittlich bei 25 Stunden. Die Sitzun-
gen finden hier im Regelfall am Nachmittag bzw. am Abend statt, so dass eine
Vereinbarkeit mit dem Beruf im Vergleich zu den anderen Städten noch am e-
hesten möglich ist. Die Aufwandsentschädigung für die normalen Ratsmitglie-
der beträgt pauschal 465 Euro pro Monat, für die Fraktionsvorsitzenden 930
Euro. Dies ist die geringste Aufwandsentschädigung in allen zwölf deutschen
Großstädten mit mehr als 400.000 Einwohnern und entspricht in der Höhe tat-
sächlich nur einer reinen Entschädigung für die Aufwendungen für das Mandat.
Hannover ist auch die einzige der zwölf deutschen Großstädte, deren Auf-
wandsentschädigung seit 1984 gesunken ist – um 9%.
4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten 133

Auch die Zuwendungen für die Fraktionsgeschäftsstellen sanken um 20% auf


17.900 Euro pro Ratsmitglied. Während in Hannover im Jahre 1984 die Fraktio-
nen im Vergleich zu den anderen deutschen Großstädten die höchsten Zuwen-
dungen erhielten, liegen sie nun im mittleren Bereich. Die personelle Ausstat-
tung der Fraktionsgeschäftsstellen ist dabei relativ hoch und den Ratsmitglie-
dern wird sowohl organisatorisch als auch inhaltlich zugearbeitet. Insofern ist in
Hannover ebenfalls eine ressourcenbasierte Professionalisierung zu diagnosti-
zieren, allerdings mit einem niedrigeren Professionalisierungsgrad als in Frank-
furt. Während in allen anderen Städten der Professionalisierungsgrad angestie-
gen ist, ist er in Hannover in dem Zeitraum zwischen 1984 und 2002 gesunken.

Tabelle 4.5: Professionalisierungsprozess – Gesamtaufwendungen pro Jahr


und Ratsmitglied in Tausend Euro

Aufwendungen für
Entschädigungen Gesamtaufwendungen
Kommunalparlament
2002 1984 2002 1984 2002 1984 Veränderung
Frankfurt 31 16 11 8 42 24 + 75%
Hannover 18 23 6 6 24 29 - 17%
Nürnberg 6 5 18 15 24 20 + 20%
Stuttgart 1893 6 20 10 38 16 + 138%

Quelle: Kempf 1989, eigene Zusammenstellung

Die Analyse der vier Untersuchungsstädte hat also gezeigt, dass der Professio-
nalisierungsgrad von Amt und Institution im Jahr 2002 unterschiedlich hoch ist.
Der Vergleich mit 1984 hat zudem gezeigt, dass sich der Professionalisierungs-
prozess in den Städten unterschiedlich entwickelt hat. Tabelle 4.5 zeigt noch-
mals zusammenfassend für die vier Untersuchungsstädte die Veränderungen
anhand der beiden Indikatoren ‚Entschädigungen’ und ‚Aufwendungen für das
Kommunalparlament’. Dabei lässt sich deutlich erkennen, dass die Institutionen
im Jahr 1984 bereits unterschiedlich stark professionalisiert waren, dass sich
aber aufgrund der unterschiedlichen Professionalisierungsprozesse die Reihen-
folge der Professionalisierungsgrade in diesem Zeitraum verschoben hat. Be-
trachtet man die Gesamtzuwendungen, war der Stadtrat in Hannover im Jahre

93 Die 18.000 Euro in Stuttgart ist der Betrag, den die Fraktionen pro Ratsmitglied zugewiesen
bekommen. Hiervon sind jedoch die oben bereits erläuterten Sitzungsgelder für fraktionsinter-
ne Sitzungen abzuziehen. Da jedoch die einzelnen Fraktionen damit unterschiedlich umgehen,
wurde hier bei der Zusammenstellung auf die formale Zuweisung abgestellt.
134 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

1984 die am stärksten professionalisierte Institution. Seither nahm der Professi-


onalisierungsgrad um ca. 17% ab, so dass der Stadtrat in Hannover im Jahr 2002
gemeinsam mit Nürnberg die am geringsten professionalisierte Institution ist. In
allen anderen deutschen Großstädten nahm der Professionalisierungsgrad in die-
sem Zeitraum hingegen zu. Frankfurt hatte im Jahr 1984 einen Professionalisie-
rungsgrad auf mittlerem Niveau. Der Professionalisierungsprozess war mit ei-
nem Zuwachs von 75% relativ stark. Stuttgart war im Jahr 1984 im Vergleich zu
den anderen drei Untersuchungsstädten am geringsten professionalisiert. In dem
Zeitraum von 1984 bis 2002 hat sich Stuttgart mit einem Zuwachs der Gesamt-
zuwendungen von 138% am stärksten professionalisiert. Dadurch hat der Pro-
fessionalisierungsgrad in Stuttgart im Jahr 2002 ein hohes Niveau erreicht.
Neben diesen Veränderungen im Gesamtprofessionalisierungsgrad sind in
dieser Zusammenstellung die unterschiedlichen Professionalisierungsarten der
Institution klar zu erkennen. Insbesondere anhand der beiden Untersuchungs-
städte Hannover und Nürnberg zeigen sich die unterschiedlichen Schwerpunkt-
setzungen deutlich: In beiden Städten sind die Professionalisierungsgrade mit
jeweils 24.000 Euro Gesamtaufwendungen pro Ratsmitglied und Jahr gleich
hoch. Allerdings ist die Aufteilung der Gesamtzuwendungen genau spiegelbild-
lich: Während in Hannover die Aufwandsentschädigungen für die Ratsmitglie-
der bei 6.000 Euro pro Jahr und die Zuwendungen für die personellen und sach-
lichen Ressourcen bei 18.000 Euro pro Jahr liegen, erhalten die Ratsmitglieder
in Nürnberg 18.000 Euro pro Jahr an Aufwandsentschädigung, die Fraktionsge-
schäftsstellen hingegen 6.000 Euro pro Jahr. Insofern ist in Hannover eine res-
sourcenbasierte Professionalisierung der Institution festzustellen, in Nürnberg
eine mitgliederbasierte Professionalisierung.

4.4.2 Professionalisierung: Vergleich zu anderen Parlamenten

Wie die Analyse der einzelnen Indikatoren, aber auch die Zusammenschau in
Abbildung 4.1 zeigt, sind in allen zwölf deutschen Großstädten unterschiedliche
Professionalisierungsgrade und -arten zu erkennen. Hinsichtlich der Professio-
nalisierungsarten ergab die Untersuchung, dass die drei süddeutschen Großstäd-
te Nürnberg, München und Stuttgart eine mitgliederbasierte Professionalisie-
rung haben, die nordrhein-westfälischen Städte sowie Hannover, Frankfurt und
die beiden ostdeutschen Städte Dresden und Leipzig hingegen eine ressourcen-
basierte Professionalisierung. So ist in jenen Städten, in denen die Aufwands-
entschädigung und der Zeitaufwand der Ratsmitglieder eher hoch ist, die Anzahl
der Mitarbeiter und die Qualität und Quantität der Zuarbeit eher niedrig und
umgekehrt. Daher wird vermutet, dass es sich bei diesen unterschiedlichen Pro-
4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten 135

fessionalisierungsarten zumindest teilweise um funktionale Äquivalente handelt.


Während das Ziel beider Professionalisierungsarten jeweils das gleiche ist, ist
die konkrete Ausgestaltung der Zielerreichung verschieden: So haben sich un-
terschiedliche Wege herausgebildet, um die Ratsaufgaben zu erfüllen. Es konnte
gezeigt werden, dass den einzelnen Ratsmitgliedern in Städten, in denen die
Fraktionen personell gut ausgestattet sind, von den Mitarbeitern zu einem hohen
Grade inhaltlich und organisatorisch zugearbeitet wird. Dadurch sind die Rats-
mitglieder zeitlich entlastet und können das Mandat eher ehrenamtlich ausüben.
Bei einer mitgliederbasierten Professionalisierung gibt es diese Art der Unter-
stützung nur in sehr geringem Maße. Daher müssen die einzelnen Ratsmitglie-
der jene Aufgaben, die bei einer ressourcenbasierten Professionalisierung von
den Fraktionsmitarbeitern erledigt werden, zusätzlich zu der übrigen Ratstätig-
keit selbst ausüben.

Abbildung 4.1: Professionalisierungsgrade und -arten in den Großstädten

35000

13
8 6
30000

Dortmund (1)
25000
Dresden (2)
12
Duisburg (3)
4
Düsseldorf (4)
Essen (5)
20000
ressourcenbasierte

Frankfurt (6)
7 12 Hannover (7)

10
Köln (8)
15000 Leipzig (9)
1 9 München (10)
Nürnberg (11)
3 Stuttgart (12)
10000 5 Hamburg (13)

2
11
5000

0
0 500 1000 1500 2000 2500 3000
mitgliederbasierte

Quelle: Eigene Zusammenstellung


136 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

Wie der Vergleich mit dem Jahr 1984 zeigt, sind diese unterschiedlichen Profes-
sionalisierungsarten schon seit Jahrzehnten vorhanden. Die Unterschiede haben
sich zudem seither nicht angeglichen. So stellte Kempf (1989:123) in seiner Un-
tersuchung fest:
„Als großzügigste Städte fallen Hannover und München ins Auge, die sich im gesamten Fi-
nanzaufwand kaum unterscheiden, in der Aufteilung der Finanzen jedoch unterschiedliche
Wege gehen: In Hannover werden die Fraktionsgeschäfte höher entgolten als in München, in
München (sind) die ehrenamtlichen Tätigkeiten weitaus besser bezahlt als in Hannover“.

Diese Unterscheide zeigten sich in seiner Analyse auch für die anderen Groß-
städte. Insgesamt fasste Kempf für die Verteilung des Gesamtbudgets im Jahr
1984 zusammen, dass die süddeutschen Städte die Rolle des einzelnen Mandats-
trägers auf Kosten der Fraktion als Gruppe betonen, während bei den norddeut-
schen Städten das Umgekehrte zu beobachten ist (vgl. Kempf 1989:123).
Neben den unterschiedlichen Professionalisierungsarten zeigen sich in den
zwölf Großstädten zudem große Unterschiede im Grad der Professionalisierung:
Während beispielsweise die nordrhein-westfälischen Städte (außer Köln) eher
gering professionalisiert sind, sind München und Frankfurt am stärksten profes-
sionalisiert. Dies zeigt sich auch im Vergleich zum Professionalisierungsgrad
der Bürgerschaft Hamburg. So erhalten Münchner Stadträte eine Aufwandsent-
schädigung, die im Bereich der Diäten der Bürgerschaft Hamburg liegt, wäh-
rend die Kölner und Frankfurter Fraktionsgeschäftsstellen ebenso gut ausgestat-
tet sind, wie jene in Hamburg. Im Vergleich zum Bundestag sind die Kommu-
nalparlamente jedoch lediglich niedrig professionalisiert. In allen deutschen
Großstädten ist – mit der Ausnahme von Hannover – ein Professionalisierungs-
prozess festzustellen. Zuwachs, Grad und Art der Professionalisierung variieren
jedoch zwischen den Städten stark.

4.4.3 Professionalisierungsarten und -grade: Erklärungsfaktoren

Es stellt sich daher die Frage nach den Ursachen dieser überraschend großen
Divergenzen. Diese Fragen können im Rahmen der vorliegenden Untersuchung
nicht abschließend beantwortet werden, da sie nicht ihr zentraler Gegenstand
sind. Allerdings werden im Folgenden mögliche Erklärungsfaktoren diskutiert.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass durch den Föderalismus in
Deutschland die Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern getrennt von-
einander verlaufen und die Ratsmitglieder selbst nicht wissen, wie die Rahmen-
bedingungen des Mandats in den Großstädten anderer Bundesländer sind. Selbst
in den Arbeitskreisen der Großstädte innerhalb des Deutschen Städtetages wer-
4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten 137

den die Rahmen- und Arbeitsbedingungen der Ratsmitglieder und damit zu-
sammenhängend die Höhe der Aufwandsentschädigungen und die personellen
Ressourcen in den Fraktionsgeschäftsstellen nicht thematisiert. Dies führt dazu,
dass die Ratsmitglieder ihre eigenen Rahmenbedingungen nur mit anderen, zu-
meist kleineren Städten in ihrem eigenen Bundesland vergleichen und über kei-
ne Informationen bezüglich der Entwicklung in den Kommunalparlamenten in
Großstädten anderer Bundesländer verfügen. Das Beispiel einer Hannoveraner
Ratsfrau soll dies verdeutlichen:
„Ich denke bei der Aufwandsentschädigung, das muss man auch im Vergleich sehen. Und
wenn man es mit den anderen Städten und Kreisen vergleicht, dann sind wir schon weit vorne.
Die staunen einfach immer nur, wenn ich auf irgendwelchen Kreistagen oder in anderen Städ-
ten bin, die sagen immer: ‚Was kriegt ihr, das ist ja viel!’ [...] Wieso, wie viel ist es denn bei
den anderen? (...) Da sind wir ja richtig bescheiden. Da hinken wir dann ja hinterher. Ich ken-
ne es natürlich nur in Niedersachsen“ (H13; ähnlich F2).

Bezüglich der Höhe und der Entwicklung der Aufwandsentschädigungen kann


vermutet werden, dass sich diese Differenzen auf den völlig unterschiedlichen
Handlungsspielraum der Räte in Entschädigungsfragen zurückführen lassen.
Teilweise legen die Innenministerien der Bundesländer Höchstgrenzen oder so-
gar – wie in Nordrhein-Westfalen – genaue Beträge fest, während etwa in Ba-
den-Württemberg, Bayern und Hessen die Räte selbst für diese Entscheidung
verantwortlich sind (vgl. dazu 4.2.3). Dies sind genau jene Bundesländer, in
denen die untersuchten Großstädte über die höchsten Aufwandsentschädigungen
verfügen und in denen die Aufwandsentschädigungen im Zeitraum zwischen
1984 und 2002 – mit Ausnahme Nürnbergs – überdurchschnittlich angestiegen
sind. Während daher die Ratsmitglieder dieser Kommunalparlamente auf den
hohen Zeitaufwand durch eine Erhöhung der Aufwandsentschädigung selbst
reagieren können, sind die Ratsmitglieder in Nordrhein-Westfalen und Nieder-
sachsen auf eine Anpassung durch die Innenministerien angewiesen.
Über die Höhe der Aufwendungen für die Fraktionsgeschäftsstellen hinge-
gen können alle Kommunalparlamente selbst entscheiden. Insofern ist es frag-
lich, warum diese Divergenzen bestehen. Teile dieser Entwicklung können mit
der stadtspezifischen Situation bzw. der landesspezifischen Entwicklung erklärt
werden. So lässt sich beispielsweise ein relativ hoher Anteil des starken An-
stiegs der Aufwendungen für die Fraktionsgeschäftsstellen in Frankfurt auf die
Aufhebung der 5%-Hürde in Hessen im Jahr 2001 zurückführen. Dies führte
dazu, dass im Frankfurter Stadtparlament anstelle von vier Fraktionen nun zehn
Fraktionen vertreten sind, die Zuwendungen für die Fraktionsgeschäfte erhalten.
In Hannover lässt sich die geringere institutionelle Professionalisierung unter
anderem durch die allgemeinen Sparmaßnahmen erklären, in deren Folge auch
die Ausgaben der Fraktionen um 5% gekürzt wurden. Neben diesen Einzelfall-
138 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten

erklärungen wird aber im Folgenden versucht, generelle plausible Erklärungen


herzuleiten.
Eine Erklärungsmöglichkeit dafür könnte in der unterschiedlichen Einstel-
lung bezüglich der Wichtigkeit von Fraktionen liegen. Die unterschiedliche Ein-
stellung von Ratsmitgliedern gegenüber Fraktionen zeigte sich bereits in einer
Studie von Simon (1988:89), der feststellte, dass baden-württembergische Ge-
meinderatsmitglieder es mit 55% für signifikant weniger wichtig halten, ihre
eigenen Vorstellungen zugunsten der Fraktion zurückzustellen als nordrhein-
westfälische Ratsmitglieder (73,1%). Diese Vermutung bestätigen die Ratsmit-
glieder in den Interviews im Rahmen dieser Studie, die dies auf die unterschied-
lichen Wahlsysteme zurückführen. In einem personalisierten Wahlsystem steht
das einzelne Ratsmitglied mehr im Mittelpunkt, während bei einer Wahl mit
geschlossenen Listen die Bedeutung der Fraktion höher ist (vgl. dazu 2.1.2.1).
Obwohl die Wahlsysteme im Rahmen der Reformen in den norddeutschen Bun-
desländern in den 1990er Jahren geändert wurden, gibt es diese unterschiedli-
chen Einstellungen heutzutage noch immer (vgl. 2.1.2.1). Insofern könnte ver-
mutet werden, dass die Ratsmitglieder in Bayern und Baden-Württemberg, die
über eine eher geringe personelle Ausstattung in den Fraktionsgeschäftsstellen
verfügen, das einzelne Ratsmitglied gegenüber der Fraktion in den Vordergrund
stellen, während beispielsweise in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen
nach wie vor den Fraktionen eine höhere Wichtigkeit beigemessen wird.
Im Rahmen der Analyse zu den Entwicklungsoptionen in den Kommunal-
parlamenten (vgl. dazu Kapitel 6) zeigt sich darüber hinaus, dass die Funktions-
vorstellungen hinsichtlich der Kernaufgaben eines Ratsmitglieds in den vier
Untersuchungsstädten stark differenzieren: Während die Ratsmitglieder in
Frankfurt und Hannover eine inhaltliche Zuarbeit und Politikberatung durch
Fraktionsmitarbeiter für eine wichtige Unterstützung ansehen, lehnen die Rats-
mitglieder in Nürnberg und Stuttgart einen weiteren Ausbau der Fraktionsge-
schäftsstellen durch mehr Personal überwiegend ab, da in ihrem Selbstverständ-
nis die Vorbereitung der Sitzungen zu ihren eigenen Kernaufgaben zählt. Ledig-
lich eine weitere organisatorische Unterstützung befürwortet die Mehrheit (vgl.
dazu ausführlicher 6.2.1). Insofern kann dies als eine Erklärung dafür dienen,
warum die personelle Ausstattung in den Fraktionen in Nürnberg und Stuttgart
relativ gering ist. Des Weiteren erklärt diese Einstellung der Mehrheit der Stutt-
garter Stadträte, warum sie einen Teil der Aufwendungen für die Fraktionsge-
schäftsstellen für die Bezahlung von Sitzungsgeldern verwenden.
Ein weiterer Einflussfaktor für die Entwicklung der Aufwendungen könnte
in der Haushaltslage und der finanziellen Situation in den Großstädten liegen.
So lässt sich vermuten, dass eine Erhöhung der Aufwendungen für die Kommu-
nalparlamente insbesondere in jenen Städten schwer vermittelbar ist, in denen
4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten 139

die Haushaltslage und die wirtschaftliche Lage eher schlecht ist. Vergleicht man
die Strukturdaten der Großstädte mit der Entwicklung der Aufwendungen, kann
ein Zusammenhang vermutet werden. So liegen beim Großstadtranking (vgl. IW
Consult/Initiative/Wirtschaftswoche 2004) die Städte München, Frankfurt am
Main, Stuttgart und Düsseldorf sowohl beim Niveau-Ranking als auch beim
Dynamik-Ranking auf Spitzenplätzen94. Dies sind jene Städte, bei denen im
Zeitraum zwischen 1984 und 2002 die höchsten Anstiege im Professionalisie-
rungsgrad zu verzeichnen sind. So stiegen die Aufwendungen in Stuttgart um
210%, in Düsseldorf um 124%, in Frankfurt um 89% und in München (jedoch
lediglich) um 32% an. Es lässt sich daher vermuten, dass in diesen Städten eine
Erhöhung zum einen leichter finanzierbar und zum anderen der Bevölkerung
gegenüber einfacher zu vermitteln ist. In Städten mit einer schlechteren Haus-
haltslage und einer geringeren wirtschaftlichen Dynamik hingegen zeigt sich,
dass die Kommunalparlamente dort ihre Ausstattung sogar reduzieren (wie z.B.
in Hannover) oder es nicht verantworten wollen, sich in der derzeitigen wirt-
schaftlichen Lage weitere Ressourcen für den Rat zu genehmigen (vgl. z.B.
Nürnberg). Diese erläuterten Erklärungsfaktoren für die Divergenzen in Profes-
sionalisierungsgrad, -prozess und -art sollen als plausible Vermutungen dienen
und als Grundlage für weitere, zukünftige Analysen verstanden werden.

94 In dem Großstadtranking wurden die 50 einwohnerstärksten Städte Deutschlands analysiert.


Der Niveau-Index bezieht sich auf das Jahr 2002, das Untersuchungsjahr der vorliegenden
Studie. Der Dynamik-Index bewertet die Entwicklung zwischen 1998 und 2003. In die Analy-
se gingen 60 Einzelindikatoren ein, die zu den folgenden sechs Bereichen verdichtet wurden:
Wohlstand (Einkommen am Wohnort und Einkommenssteuerkraft), Arbeitsmarkt (Arbeitslo-
sigkeit und Beschäftigung), Standort (Arbeitskosten, Produktivitäten, Infrastruktur, Humanka-
pital), Wirtschaft (Wirtschaftskraft und Struktur), Struktur (soziale und sozio-ökonomische
Struktur) und Staat (öffentliche Haushalte, öffentliche Beschäftigung).
5 Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und
Berufspolitik

5.1 Vereinbarkeit von Beruf und Mandat – das Dilemma

Die Analyse des Professionalisierungsgrades in deutschen Großstädten hat ge-


zeigt, dass Ratsmitglieder einen Zeitaufwand von durchschnittlich 25 bis 35
Stunden pro Woche haben, der häufig sogar die Arbeitszeit im eigentlichen
Beruf übersteigt. Zusätzlich finden insbesondere in Stuttgart und Nürnberg die
Sitzungen zum Großteil vor- und nachmittags, also während der üblichen Ar-
beitszeit, statt. Wie erläutert, ist das Ratsmandat in den Großstädten formal
ehrenamtlich. Naßmacher (1973:562) beschreibt daher die Situation für die
Ratsmitglieder als das Dilemma zwischen formal ehrenamtlicher Arbeit und
dem Zeitaufwand dafür. So zeigte auch die Untersuchung der Aufwandsent-
schädigungen (vgl. 4.2.3), dass die Ratsmitglieder nicht (nur) „von der Politik“
(Weber 1994:43) leben können. Daher sind sie im Allgemeinen darauf angewie-
sen sind, ihren Beruf weiterhin auszuüben. Die Höhe der Aufwandsentschädi-
gung in den vier Untersuchungsstädten ist jedoch sehr unterschiedlich: Insbe-
sondere in Nürnberg und Stuttgart hat die Aufwandsentschädigung eine Höhe
erreicht, die über eine reine Aufwandsentschädigung hinausgeht. Die Höhe der
Entschädigung in Hannover hingegen lässt darauf schließen, dass es sich dabei
lediglich um einen Ausgleich für die tatsächlichen Aufwendungen handelt.
Aufgrund des hohen Zeitaufwands besteht auch Konsens in Wissenschaft
und Praxis, dass ein Mandat im Rat einer Großstadt mit einem ‚normalen’ Beruf
kaum vereinbar ist. Diese Sicht wird durch die Ergebnisse der vorliegenden
Studie gestützt: So sind nur 3,4% der befragten Stadträte in den vier Untersu-
chungsstädten der Meinung, dass es möglich ist, Job und Mandat ohne Probleme
zu vereinbaren. 52,6% erachten es für schwierig, sehen aber keine andere Lö-
sung; 43% halten es aufgrund ihrer Erfahrungen nicht für möglich, ein Mandat
mit einem ‚normalen’ Beruf zu vereinbaren. 89,3% der Ratsmitglieder haben
aufgrund dieser schwierigen Vereinbarkeit durch ihre Mandatsausübung konkre-
te Nachteile und Probleme am Arbeitsplatz. Somit stellt sich die Frage, wie es
die Ratsmitglieder schaffen, dieses Dilemma zu lösen – auf der einen Seite der
hohe Zeitaufwand für das ehrenamtliche Mandat und auf der anderen Seite die
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 141

Notwendigkeit, ihren eigentlichen Beruf weiter auszuüben. Die Frage ist, wel-
che Personen überhaupt noch ein Mandat in deutschen Großstädten ausüben
können. Gibt es nur noch bestimmte Personen- und Berufsgruppen, denen dies
möglich ist und sind andere Gruppen davon ausgeschlossen? Wie vereinbaren
die einzelnen Ratsmitglieder Beruf und Mandat konkret? Welche Gemeinsam-
keiten und Unterschiede lassen sich dabei in den Untersuchungsstädten erken-
nen? Entwickeln sich aufgrund der unterschiedlichen Professionalisierungsgrade
des Amtes – insbesondere hinsichtlich des Einkommens durch die Politik –
dabei bestimmte Handlungsmuster heraus? Inwiefern führen diese zu einer indi-
viduellen Professionalisierung der Ratsmitglieder? Diese Fragen stehen im
Zentrum der folgenden Analyse.

5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur

Da die Ratsmitglieder das Mandat auf ehrenamtlicher Basis und im Allgemei-


nen neben einer Berufstätigkeit ausüben, ist die generelle Annahme, dass diese
schwierige Vereinbarkeit Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Kom-
munalparlamente hat. So wird in der kommunalwissenschaftlichen Literatur
davon ausgegangen, dass nur noch bestimmte Personengruppen in den Stadträ-
ten vertreten sind (vgl. 2.1.2.6). Dies wird im Folgenden anhand der soziode-
mographischen Merkmale Alter, Geschlecht, Bildung und insbesondere anhand
der Berufsgruppen analysiert.

5.2.1 Altersstruktur

Die Analyse zeigt, dass die Altersstruktur der Ratsmitglieder eine Diskrepanz zu
jener der Bevölkerung aufweist. Das Durchschnittsalter in den drei Städten
Hannover, Frankfurt und Nürnberg liegt in der untersuchten Wahlperiode bei
rund 48 Jahren, in Stuttgart mit 52 Jahren dagegen etwas höher. Diesen ver-
gleichsweise hohen Altersdurchschnitt in Stuttgart bestätigt auch die Untersu-
chung von Walter (1997:233), in der für Stuttgart für die Wahlperiode 1989-
1994 ein Altersdurchschnitt von 53 Jahren ermittelt wurde. In den vier Untersu-
chungsstädten gehören 60% der Ratsmitglieder der Altersgruppe zwischen 41
und 60 Jahren an. Allerdings variiert die Verteilung innerhalb dieser Alters-
gruppe in den vier Städten: In Stuttgart ist mit 29% fast ein Drittel der Stadträte
zwischen 56 und 60 Jahre alt; in Hannover weist die Kohorte zwischen 51 und
55 Jahren mit 27% den größten Anteil auf. In Nürnberg und Stuttgart sind die
meisten Ratsmitglieder zwischen 41 und 50 Jahren alt. Auffällig ist jedoch, dass
142 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

insbesondere in Stuttgart der Anteil der „Unter-40-Jährigen“ mit 13% im Ver-


gleich zu den anderen drei Städten, in denen der Anteil bei ca. 25% liegt, sehr
niedrig ist. Einen Gesamtüberblick über die Altersstruktur in den vier Untersu-
chungsstädten gibt Abbildung 5.1.

Tabelle 5.1: Altersstruktur

Stuttgart95 Hannover Frankfurt Nürnberg Gesamt


6,5% 7,9% 8,9% 5,7%
18 – 30 Jahre 7,3%
(17,1%) (15,5%) (15,4%) (14,9%)
6,5% 18,5% 15,6% 17,1%
31 – 40 Jahre 14,7%
(18,4%) (17,9%) (19,2%) (18,4%)
22,6% 18,5% 31,2% 40,0%
41 – 50 Jahre 28,2%
(14,4%) (14,6%) (14,7%) (15,1%)
48,4% 39,5% 24,4% 17,2%
51 – 60 Jahre 31,5%
(11,7%) (11,5%) (12,5%) (13,2%)
16,2% 15,8% 20,0% 20,0%
Über 60 Jahre 18,2%
(22,5%) (25,2%) (22,7%) (25,5%)
Durchschnitt 52,3 Jahre 48,6 Jahre 48,5 Jahre 47,7 Jahre96 N=149

Quelle: Stadt Frankfurt am Main 2003:16; Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2003;


Niedersächsisches Landesamt für Statistik 2003; Amt für Stadtforschung und Statistik
Nürnberg 2002:32

Dies deckt sich mit den Ergebnissen anderer Elitestudien in deutschen Groß-
städten (vgl. Walter 1997:233; Gau 1983:67f.; Kaack 1981; Naßmacher 1973).
Als eine Erklärung für die Überrepräsentation der mittleren Alterskohorte in
den Kommunalparlamenten wird hervorgehoben, dass diese Personen am ehes-
ten Beruf und Mandat vereinbaren können. Gerade sie haben im Vergleich zu
jüngeren Jahrgängen bessere Rahmenbedingungen für die Ausübung eines
kommunalpolitischen Mandats, da sie privat und vor allem beruflich bereits
etabliert sind. Die jüngeren Altersgruppen hingegen befinden sich noch in der
Ausbildung oder in den ersten Jahren der Berufstätigkeit. „Zumeist setzt die
politische Karriere erst mit einer abgesicherten beruflichen Tätigkeit ein“ (Be-
cher 1997:222; vgl. auch Naßmacher 1973:555).

95 Die Daten in Klammern beziehen sich auf die Verteilung in der Bevölkerung der jeweiligen
Stadt.
96 Das Durchschnittsalter wurde näherungsweise errechnet. Um die Zusicherung der Anonymität
in der schriftlichen Befragung glaubhafter zu machen, wurden die Ratsmitglieder nicht nach
ihrem genauen Alter befragt, sondern gebeten, ihr Alter anhand der vorgegebenen Kategorien,
die sich in 5-Jahres-Schritten vollzogen, einzuordnen. Vgl. Fragebogen im Anhang.
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 143

Abbildung 5.1: Gesamtüberblick über die Altersstruktur

Altersstruktur in den vier Städten (N=149)

40%

31,50%
28,20%
30%

18,20%
20%
14,70%

10% 7,30%

0%
18–30 J a hre 31–40 J a hre 41–50 J a hre 51–60 J a hre übe r 60 J a hre

Alt e r

Dieser Zusammenhang wird auch in der vorliegenden Studie bestätigt: Die


Ratsmitglieder geben an, dass sie aufgrund der notwendigen Freistellung für die
Sitzungen Probleme am Arbeitsplatz bekommen und dadurch ihre beruflichen
Karrierechancen stark beeinträchtigt bzw. häufig sogar beendet werden. Viele
der jüngeren Ratsmitglieder hingegen erläutern, dass sie die beruflichen
Nachteile deshalb in Kauf nehmen, da sie eine politische Karriere anstreben.
Darauf wird im Folgenden (vgl. 5.3.1.4) noch näher eingegangen.

5.2.2 Geschlecht

In vielen kommunalen Elitenstudien wird eine starke Unterrepräsentanz von


Frauen in den Kommunalparlamenten festgestellt. Während der Anteil der Frau-
en an der Gesamtbevölkerung bei 51%97 liegt, beträgt der Anteil der Frauen in
den Stadtparlamenten in diesen Studien 15 bis 30% (vgl. Köser 2000:156; Gau
1983:53f.; Naßmacher 1973:552; Arzberger 1980:55; Hoecker 1987:61; Walter
1997:231; Zender 1984a:37). Die Ergebnisse dieser – z.T. älteren – Studien
können in der vorliegenden Untersuchung für die vier Städte nicht bestätigt
werden: So ist in den Kommunalparlamenten in Stuttgart (45,2%), Frankfurt

97 Der Anteil der Frauen an der Bevölkerung in Stuttgart liegt bei 51% (vgl. Statistisches Lan-
desamt Baden-Württemberg 2003), in Frankfurt bei 51,1% (Stadt Frankfurt am Main
2003:10), in Hannover bei 51,5% (Statistik Stadt Hannover 2003) und in Nürnberg bei 51,9%
(Amt für Stadtforschung und Statistik Nürnberg 2002:36).
144 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

(44,4%) und Nürnberg (48,6%) fast jedes zweite Ratsmitglied weiblich; ledig-
lich in Hannover ist der Anteil mit 36,8% niedriger. Durchschnittlich liegt somit
der Anteil der Frauen in den vier Untersuchungsstädten bei 43,6%.
Bereits die Studie von Walter (1997:230f.) über die Stuttgarter Ratsmit-
glieder zeigt jedoch, dass der Anteil der Frauen im Stadtparlament kontinuier-
lich ansteigt: Während in der Wahlperiode 1989-1994 der Frauenanteil lediglich
bei 26,7% lag, stieg er in der Wahlperiode 1994-1999 bereits auf 36,7% an. Der
Frauenanteil an Ratsmitgliedern variiert zudem nach Parteizugehörigkeit: Dabei
ist der Frauenanteil bei den Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit 70%98
am höchsten, der Anteil in den SPD-Fraktionen liegt bei 41%99, in den Fraktio-
nen von CDU bzw. CSU bei 42%100. Die FDP hat mit 25% den geringsten Frau-
enanteil. Traditionell wird die Unterrepräsentanz der Frauen auf mehrere Fakto-
ren zurückgeführt: Zum einen wird in der Literatur die ‚Abkömmlichkeitsthese’
vertreten. Dabei wird auf die besondere Problematik der familiären Rollenver-
teilung verwiesen (vgl. Hoecker 1987:61; Köser 2000:156). Diese führe dazu,
dass vor allem berufstätige Frauen aufgrund der Doppelbelastung von Beruf und
Familie kaum Zeit für politische Aktivitäten haben. Insbesondere in Großstädten
mit dem ermittelten hohen Zeitaufwand für die Mandatsausübung führe dies
dazu, dass es wenigen Frauen möglich sei, ein Mandat wahrzunehmen.
Zum anderen wird die Unterrepräsentation der Frauen mit der ‚Sozialisati-
onsthese’ begründet. In diesem Zusammenhang wird das traditionelle Rollen-
verständnis angeführt, das ein „ausgeprägtes Desinteresse [der Frauen] an Poli-
tik zur Folge hat“ (Hoecker 1986; Köser 2000:156). Auch seien die Frauen im
vorpolitischen Raum, insbesondere in den Vereinen, wenig präsent. Diese Posi-
tionen stellen aber häufig einen ersten Schritt in die Politik dar (vgl. Herzog
1982, 1975), gleichzeitig führen sie zu einer Steigerung des Bekanntheitsgrades
(vgl. Köser 2000:156; Wehling 1989:55). Dies sind jedoch wichtige Kriterien
bei den Rekrutierungsmechanismen der Parteien und bei den Wahlen zum
Kommunalparlament (vgl. Köser 2000:156f.). Denn insbesondere in personali-
sierten Wahlsystemen mit der Möglichkeit zum Kumulieren und Panaschieren
spielt die Bekanntheit der Personen eine große Rolle, die jedoch häufig auf-
grund der geringen Präsenz im vorpolitischen Raum nicht gegeben sei. In Groß-
städten jedoch sind die parteipolitischen Präferenzen und die vorgegebenen

98 In Hannover liegt der Frauenanteil in der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei 60%, in
Stuttgart und Frankfurt jeweils bei 67% und in Nürnberg bei 75%.
99 Der Anteil der Frauen in den SPD-Fraktionen variiert stark zwischen den vier Untersuchungs-
städten: In Stuttgart liegt er bei 55%, in Nürnberg bei 42%, in Hannover bei 39% und in
Frankfurt lediglich bei 27%.
100 In der CDU-Fraktion in Stuttgart sind 43% weiblich, in der Nürnberger CSU-Fraktion sind es
42%, in der Frankfurter CDU-Fraktion sind es 47%. In Hannover hingegen ist der Anteil der
Frauen in der CDU-Fraktion mit 29% bedeutend niedriger.
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 145

Listenplätze bei der Wahl generell wichtiger als die Bekanntheit (vgl. Wehling
1989:55). So führt der Weg in die Gemeindevertretung heutzutage in der Regel
über die Parteien. Die örtlichen Parteigliederungen, die in der Personalrekrutie-
rung eine ihrer wichtigsten Tätigkeiten sehen, rekrutieren aus dem Kreis der
Aktiven Kandidaten für die Kommunalwahl.
Die Analyse ergab jedoch, dass sich die Gründe, die bisher für die Unterre-
präsentation verantwortlich gemacht wurden, in den letzten Jahren verändert
haben. So haben die Parteien zum einen Frauenquoten für die Listenaufstellung
eingeführt. In den meisten Parteien, so die Ratsmitglieder, liegt die Quote bei
50%, d.h. auf jedem zweiten Listenplatz muss eine Frau stehen. Um jedoch
diese Frauen überhaupt für die Listen rekrutieren zu können, haben die Parteien
in den untersuchten Großstädten ihre Rekrutierungsmechanismen teilweise
geändert. So ist eine längere vorhergehende parteipolitische Aktivität nicht mehr
eine wesentliche Voraussetzung für die Nominierung, und Frauen werden ge-
zielt auch aus dem Kreis passiver Parteimitglieder bzw. aus Nicht-Mitgliedern
rekrutiert. So erläutert beispielsweise eine Stadträtin aus Nürnberg:
„Die CSU hatte Probleme, Frauen zu finden, die schon in der Partei aktiv waren. Deshalb hat
man die Strategie verfolgt, Frauen von außen mit einzubeziehen. Die Frau (...) beispielsweise
ist erst in die CSU eingetreten als man ihr angetragen hatte, sich aufstellen zu lassen. Ich
selbst war schon CSU-Mitglied, war aber überhaupt nicht aktiv in der Politik“ (N16).

Gleichzeitig werden von den Ortsparteien, den Kommunalpolitischen Vereini-


gungen der Parteien und von den Landeszentralen für politische Bildung Semi-
nare speziell für Frauen angeboten, um sie auf ein Ratsmandat vorzubereiten
(vgl. H19, F2, H27). So erläutert eine Ratsfrau aus Hannover:
„Bei mir damals war es so, dass die Frauenunion alle Frauen zu einem Informationsabend ein-
geladen hat, wo erklärt wurde, wie man sich engagieren kann. (...) Und danach war auch
plötzlich ein unheimlicher Zulauf von Frauen, die das interessiert hat“ (H19; vgl. auch N10).

Des Weiteren wurden die Rahmenbedingungen für Ratsmitglieder mit Kindern


verbessert. So werden den Ratsmitgliedern mittlerweile in vielen Bundesländern
während der „mandatsbedingten Abwesenheit vom Haushalt [die Kosten für]
eine entgeltliche Kinderbetreuung (...) erstattet“ (§45 GO NRW; ähnlich §29 I
NGO). In Studien wird zudem regelmäßig festgestellt, dass der prozentuale
Anteil der Frauen in den Stadträten parallel zur Gemeindegröße ansteigt (vgl.
Köser 2000:156; Wehling 2000:204f.). Insofern ist die empirische Haltbarkeit
der Abkömmlichkeitsthese anzuzweifeln, da Arbeits- und Zeitaufwand parallel
zur Gemeindegröße ansteigen (vgl. 2.1.2.5.). In den Interviews zeigte sich zu-
dem, dass der Großteil der Frauen im Rat keine kleinen Kinder (mehr) hat. So
lassen sich die meisten Frauen mit Kindern erst nach der Familienphase für den
Rat aufstellen (vgl. S13, N2, H7). Trotz Kinderbetreuung sei es für Frauen mit
146 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

kleinen Kindern nur sehr schwer möglich, Kinder und Mandat zu vereinbaren,
sofern sie für die Betreuung zuständig sind.
„Die Frauen, die hier viel machen und im Rat sind, die haben alle solche Typen, die Haus-
männer sind oder sich um die Kinder kümmern. Da gibt es dann ein Spiegelbild, anders geht
das gar nicht“ (H35; vgl. auch N28).

Insofern kann bezüglich der Geschlechterverteilung im Rat festgestellt werden,


dass sich der Anteil der Frauen insbesondere durch die geänderten Rekrutie-
rungsmechanismen der Parteien erhöht hat. Parallel dazu wurden in vielen Bun-
desländern zudem die Rahmenbedingungen für Ratsmitglieder mit kleinen Kin-
dern verbessert, um eine Vereinbarkeit von Familie und Mandat zu erleichtern.

5.2.3 Bildungsgrad

Die Mandatsträger haben im Vergleich zur Bevölkerung in den einzelnen Städ-


ten ein höheres Bildungsniveau. So haben in den vier Untersuchungsstädten
58% der befragten Ratsmitglieder einen Universitäts- bzw. Fachhochschulab-
schluss. Das Kommunalparlament in Frankfurt hat dabei mit knapp 69% den
höchsten Anteil an Stadtverordneten mit Hochschulabschluss. Durchschnittlich
haben weitere 17% die Hochschulreife, so dass in den vier Städten durchschnitt-
lich mehr als 75% der Ratsmitglieder Abitur oder einen höheren Bildungsab-
schluss haben. Knapp ein Viertel der Ratsmitglieder hat einen Hauptschul- bzw.
Realschulabschluss. Frankfurt hat mit 4,4% (n=2) der Stadtverordneten dabei
den geringsten Anteil an Hauptschulabgängern. Wie Tabelle 5.2., in der die
höchsten Abschlüsse der Ratsmitglieder mit denen der Bevölkerung verglichen
werden, zeigt, ist die Verteilung der Bildungsabschlüsse in der Bevölkerung
geradezu spiegelverkehrt zu der Verteilung bei den Mandatsträgern. So haben in
der Bevölkerung der Untersuchungsstädte lediglich 27% (Nürnberg) bis 38%
(Frankfurt) Abitur bzw. einen höheren Bildungsabschluss.
Insgesamt entsprechen die Ergebnisse jenen anderer Elitestudien, die zeigen,
dass das Bildungsniveau der Kommunal-, Landtags- und Bundestagsabgeordne-
ten kein Spiegelbild der Bevölkerung, sondern vielmehr ein „spiegelverkehrtes
Abbild“ (Geißel 1999:90) darstellt. Während ca. 75% der Bevölkerung einen
Haupt- bzw. Realschulabschluss und lediglich die Minderheit Abitur bzw. einen
Hochschulabschluss hat, verfügt in den Parlamenten der Großteil der Mandats-
träger über einen Hochschulabschluss (Köser 2000:155; Best/Cotta 2000:497;
Weßels 1997:83).
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 147

Tabelle 5.2: Höchster Bildungsabschluss der Ratsmitglieder und der Stadtbe-


völkerung
Hauptschule Realschule (Fach-)Abitur Universität/ FH
Stuttgart Ratsmitglieder 12,9% 12,9% 22,6% 51,6%
101
Bevölkerung 31,2% 22,3% 37,0% -
Hannover Ratsmitglieder 10,5%102 15,8% 15,8% 57,9%
Bevölkerung - - - -
Frankfurt Ratsmitglieder 4,4% 15,6% 11,1% 68,9%
Bevölkerung 20,0% 32,8% 37,8% -
Nürnberg Ratsmitglieder 8,6% 17,1% 22,9% 17,4%
Bevölkerung 28,0% 29,0% 10,0% 17%
Gesamt Ratsmitglieder 8,7% 14,8% 17,4% 58,4%

Quelle: Eigene Erhebung; Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (2003); Stadt Frankfurt


am Main 2002:57; Amt für Stadtforschung und Statistik Nürnberg 2002:36

Dies wird zum einen damit erklärt, dass in Großstädten die kommunalpoliti-
schen Aufgaben komplexer sind, und sich Personen mit niedrigerem Bildungs-
abschluss eine Mandatsausübung eventuell nicht zutrauen bzw. es ihnen nicht
zugetraut wird (vgl. Naßmacher 1981:60f.). Dies bestätigen auch die
Ratsmitglieder in den Interviews. So sagt beispielsweise eine Ratsfrau aus
Hannover:
„Arbeiter und Hilfsarbeiter findet man selten. Aber meiner Meinung nach wären die auch zu
schlecht qualifiziert. (...) Denn sonst wird man von der Verwaltung oder von Interessengrup-
pen über den Tisch gezogen. Wer trägt dann die Konsequenzen dieses Handelns? Wer die
Kosten?“ (H23; ähnlich S5).

Zum anderen wird als weiterer Grund für den hohen Bildungsgrad der Mandats-
träger die Abkömmlichkeit im Beruf genannt, da in Berufen, die Personen mit
einem Haupt- bzw. Realschulabschluss überwiegend ausüben, die Flexibilität im
Allgemeinen geringer ist. Darauf wird jedoch im Folgenden noch näher einge-
gangen.

101 Lediglich für Nürnberg liegen für die Stadtbevölkerung nach Abitur und Universitätsabschluss
differenzierte Daten vor. In den Statistiken der anderen Städte wurden alle Abschlüsse ab dem
Abitur zusammengefasst.
102 Für Hannover liegen keine vergleichbaren Daten vor.
148 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

5.2.4 Berufsstruktur

In der wissenschaftlichen Diskussion zur Vereinbarkeit von Beruf und Mandat


in Großstädten ist die generelle Annahme, dass der hohe Zeitaufwand und die
Problematik der Vereinbarkeit von Beruf und Mandat insbesondere die Berufs-
struktur der Ratsmitglieder beeinflusst. Diese Annahme geht auf Max Weber
zurück, der diese Abkömmlichkeitsthese in „Politik als Beruf“ für die nationale
Ebene im Kaiserreich aufgestellt hat (Weber 1994:43f.; vgl. auch 2.2.2.2). Nach
Naßmacher kommt es auf lokaler Ebene daher zu einer „tacit social selection“
(1981:60). Dies bedeutet, dass spezifische Berufsgruppen bezüglich Flexibilität
und Abkömmlichkeit Vorteile haben, ein Mandat wahrzunehmen.
„What Max Weber called Abkömmlichkeit – an occupation which allows enough flexibility
and security (...) is still one of the most important factors bringing people into politics“
(Weßels 1997:84).

Dementsprechend wird parallel zu der Situation im Bundestag und in den Land-


tagen eine Dominanz der öffentlich Beschäftigten nun auch auf lokaler Ebene
festgestellt (Gau 1983:61; Naßmacher 1973:553; Gabriel 1979a:108; Herzog
1975:49, 225). Diese Entwicklungen, so Wessels, zeigten, dass vielmehr ein
“sheltered” Sektor als eine funktionale Spezialisierung, wie zum Beispiel ein
bestimmter Beruf oder eine bestimmte Disziplin, die Hauptzugänge für eine
politische Karriere bereitstellen, da diese Berufsgruppen generell keine Proble-
me mit der Vereinbarkeit, der Flexibilität und der Abkömmlichkeit haben. Die
Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes haben „in ganz anderer Weise als in der
Privatwirtschaft Freistellungsmöglichkeiten (...), die ihr Einkommen und/oder
ihre Freizeit nur vergleichsweise geringfügig beeinträchtigen“ (Ronge 1994:
282). Als Ergebnis üben vor allem Berufsgruppen wie Rentner, Beamte –in
dieser Gruppe vor allem die Lehrer – und zu einem geringeren Ausmaß Selb-
ständige und Freiberufler ein Mandat in Großstädten aus. Andere Gruppen sind
weitgehend ausgeschlossen, da sie Job und Mandat nicht vereinbaren können
(Weber 1994:43; Janning 1999:77; Gau 1983:82; Möltgen 2001:80; Gabriel
1979a:108). Dies bestätigt sich in allen Statistiken über die berufliche Zusam-
mensetzung von Politikern (vgl. Geißel 1999:178). Obwohl sich in keinem Par-
lament der demokratischen Welt die Sozialstruktur – und damit auch die Berufs-
struktur – der Wähler in ihren Mitgliedern widerspiegelt, wird diese Entwick-
lung durch die ansteigenden Anforderungen der lokalen Angelegenheiten, ins-
besondere in Großstädten, verstärkt.
Daher würde man erwarten, dass in den vier Untersuchungsstädten eben-
falls vor allem die in den zitierten Studien ermittelten Berufsgruppen vertreten
sind. Die zugrunde liegende Annahme ist also, dass der Berufssektor und die
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 149

damit verbundene Abkömmlichkeit die Möglichkeit bestimmt, ein ehrenamtli-


ches Mandat in einer Großstadt auszuüben, und dass hauptsächlich Beschäftigte
des öffentlichen Sektors in den Stadträten von Großstädten sitzen. Im Folgenden
wird somit untersucht, welche Berufsgruppen in den Kommunalparlamenten der
Untersuchungsstädte vertreten sind. Bei der Analyse der Berufstätigkeit soll
jedoch nicht der erlernte Beruf im Mittelpunkt stehen, sondern ausschließlich
die zum Erhebungszeitpunkt ausgeführte Tätigkeit. Im Rahmen der schriftlichen
Befragung zeigten sich Diskrepanzen zwischen den Angaben im Fragenbogen
und den Veröffentlichungen des Stadtrats, der Fraktionen und auf den Wahlun-
terlagen. Wie sich bei den persönlichen Interviews herausstellte, geben die
Stadträte in der Öffentlichkeit häufig ihren erlernten Beruf an, auch wenn sie
diesen seit Jahren nicht mehr ausüben. Dies ist vor allem bei jenen Personen der
Fall, die nun im politiknahen Bereich arbeiten oder beispielsweise freigestellte
Betriebsräte in ihrem Unternehmen sind. Grund dafür ist, dass die Befragten den
Eindruck haben, dass die Bürger in den personenbezogenen Wahlsystemen auf
persönlichkeitsbezogene Faktoren Wert legen und daher Kandidaten mit be-
stimmten Berufen Wettbewerbsvorteile haben (vgl. dazu auch Löffler/Rogg
2000:119ff.). Darüber hinaus ist ein Teil der Ratsmitglieder der Ansicht, dass es
wichtig ist, einen ‚normalen’ Beruf auszuüben, um nicht die Bodenhaftung zu
verlieren. Diese geben daher in der Öffentlichkeit ihren erlernten Beruf an, auch
wenn sie beispielsweise seit Jahren im politischen Sektor arbeiten. Auch bei der
Frage nach der wöchentlichen Arbeitszeit spiegelt sich dieser Anspruch in den
Antworten wider. So gaben etliche Ratsmitglieder fälschlicherweise an, Vollzeit
beschäftigt zu sein. Im Rahmen der Interviews mit anderen Ratsmitgliedern
stellte sich allerdings heraus, dass ein Teil dieser Personen nur noch Teilzeit
berufstätig ist. Diese Widersprüche werden bei der Analyse berücksichtigt.

Tabelle 5.3: Berufsstruktur in den vier Untersuchungsstädten


Frankfurt Hannover Nürnberg Stuttgart Gesamt
Nicht berufstätig 26,7% 23,7% 17,1% 9,7% 20,1%
Öffentlicher Sektor 17,8% 26,3% 34,3% 25,8% 26,2%
Angestellte im Politi-
28,9% 15,8% 17,1% 19,4% 20,1%
schen Bereich
Angestellte Privater
8,9% 21,1% 5,7% 9,7% 11,4%
Sektor
Selbständige/
17,8% 13,2% 25,7% 35,5% 22,1%
Freiberufler

Quelle: Eigene Erhebung


150 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

Bei der Analyse der Berufsstruktur wird hinsichtlich der Berufsgruppen zwi-
schen Nicht-Berufstätigen (a), Selbständigen und freiberuflich Tätigen (b) und
abhängig Beschäftigten unterschieden. Die abhängig Beschäftigten werden in
die folgenden drei Hauptgruppen unterteilt: In Beamte und öffentlich Bedienste-
te (c), in Angestellte und Arbeiter in der Privatwirtschaft (d) und in Angestellte
im politischen und politiknahen Bereich (e). Unter Angestellte im politischen
Bereich werden hauptamtliche Abgeordnete, Wahlbeamte und Angestellte von
Fraktionen und Parteien gefasst. Angestellte im politiknahen Bereich sind Mit-
arbeiter von Verbänden, Interessengruppen, karitativen und kulturellen Organi-
sationen (vgl. zu den Berufskategorien Golsch 1998:124; Schindler 1999; Hess
1995:567f.; Kaack 1988:131ff.). In den vier Städten zeigt sich die in Tabelle 5.3
dargestellte Aufteilung.
In Frankfurt gehen lediglich drei Viertel der Stadtverordneten einer Er-
werbstätigkeit nach, etwas mehr als ein Viertel der Stadtverordneten ist somit
nicht berufstätig: Davon sind 15,6% im Ruhestand, 2,2% sind Studierende und
8,9% Hausfrauen. Bei ihrer Erstkandidatur für das Stadtverordnetenmandat
waren allerdings lediglich 17,8% nicht berufstätig; diese Differenz ergibt sich
dadurch, dass lediglich 4,4% der Stadtverordneten bereits im Ruhestand waren,
als sie sich das erste Mal haben aufstellen lassen. Der Anteil der Studierenden
bei der Erstkandidatur war mit 8,9% höher, da einige von ihnen mittlerweile
berufstätig sind. Der öffentliche Sektor ist mit 17,8% im Vergleich zu den ande-
ren Städten und insbesondere auch zu anderen Parlamenten in Frankfurt relativ
gering vertreten. Den höchsten Anteil an öffentlich Bediensteten haben dabei
die CDU-Fraktion mit 26,7% und die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN mit 22,2%, gefolgt von der SPD-Fraktion mit 18,2%. In den anderen
Fraktionen bzw. Gruppierungen gibt es keine Angestellten im öffentlichen
Sektor. Interessant ist hier, dass nur ein Stadtverordneter Lehrer (2,2%) ist.
Allerdings sind 6,6% (N=3) an der Universität, entweder als Hochschul-
professor oder als wissenschaftlicher Mitarbeiter, beschäftigt. Sehr dominant ist
in Frankfurt der politische bzw. politiknahe Bereich mit 28,9%. 8,9% sind An-
gestellte der Fraktion – wie bereits unter 4.3.1.2. erläutert sind in Frankfurt die
Fraktionsgeschäftsführer in allen Fraktionen Stadtverordnete –, der Partei oder
als Mitarbeiter eines Landtagsabgeordneten (MdL). 20% der Stadtverordneten
arbeiten im politiknahen Bereich, insbesondere bei Verbänden, Vereinen, Ge-
werkschaften und Interessengruppen. Dabei sind mit 55,6% mehr als die Hälfte
der Fraktionsmitglieder von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im politischen und
politiknahen Bereich beschäftigt; bei der SPD-Fraktion sind dies 36,4% der
Fraktionsmitglieder und bei der CDU-Fraktion 13,3%. Der private Sektor ist in
Frankfurt hingegen mit 8,9% der Ratsmitglieder, die in diesem Sektor arbeiten,
schwach vertreten. Bei der Aufteilung nach Parteien ergeben sich keine Unter-
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 151

schiede zwischen den einzelnen Fraktionen. Knapp ein Fünftel der Stadtverord-
neten ist selbständig bzw. freiberuflich tätig. Diese sind fast ausschließlich in
der CDU-Fraktion (33,3% der Fraktionsmitglieder) und in der FDP-Fraktion
(50%) zu finden. Hier sind insbesondere die Anwälte zu nennen, die mit 62,5%
den Großteil der Berufsgruppe Selbständige/Freiberufliche ausmachen.
In Hannover ist – vergleichbar mit Frankfurt – knapp ein Viertel der Rats-
mitglieder nicht berufstätig. 10,5% der Ratsmitglieder sind pensioniert, der
Anteil der Hausfrauen und Studierenden beträgt zusammen 7,9%. Das dominan-
te Berufsfeld in Hannover ist der öffentliche Sektor mit einem Anteil von
28,9%, insbesondere in der SPD-Fraktion. Weiter ausdifferenziert sind jedoch
bei den Beamten und öffentlich Bediensteten keine dominierenden Berufe fest-
gestellt worden. Vielmehr sind die Ratsmitglieder in sehr unterschiedlichen
Bereichen des Öffentlichen Dienstes tätig: Wie in Frankfurt ist lediglich ein
Ratsmitglied Lehrer; des Weiteren sind Finanzbeamte oder beispielsweise eine
Fachärztin im Öffentlichen Dienst zu nennen. In Hannover ist der Anteil der
Angestellten im privaten Sektor mit 21,1% im Vergleich zu den anderen drei
Untersuchungsstädten sehr hoch. Mit 42,9% ist der Anteil der Privatbeschäftig-
ten in der CDU sehr hoch, allerdings darf dieser Wert aufgrund des geringen
Rücklaufs der CDU-Fraktion gerade im Abgleich mit den Angaben auf der
Internetpräsenz der Fraktion als nicht repräsentativ gesehen werden. Den Anga-
ben auf der Website zufolge liegt der Anteil in der CDU bei 28%, was jedoch
immer noch ein hoher Anteil ist. In der SPD-Fraktion arbeiten 13% der Frakti-
onsmitglieder im privaten Sektor. Allerdings zeigt sich hierbei, dass dabei zwei
Drittel nicht mehr in ihrem erlernten Beruf arbeiten, sondern entweder als frei-
gestellter Betriebsrat oder als Personalratsvorsitzender. Der Anteil der Beschäf-
tigten im politischen/politiknahen Bereich liegt bei 15,8%. Dieser Bereich ist,
vergleichbar mit den Ergebnissen in Frankfurt, auch für die Fraktion von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Hannover mit einem 40%igen Anteil das do-
minierende Arbeitsfeld. Im politischen Bereich arbeitet lediglich ein SPD-
Fraktionsmitglied als stellvertretender SPD-Bezirksgeschäftsführer. Die weite-
ren Ratsmitglieder sind im politiknahen Bereich tätig, beispielsweise als Ver-
bandsreferent. 13,2% der Ratsmitglieder sind selbständig bzw. freiberuflich
tätig. Bei der SPD sind dabei alle als freiberufliche Rechtsanwälte tätig. In den
anderen Fraktionen kann aufgrund der geringen Fallzahl keine Tendenz festge-
stellt werden.
In Nürnberg ist der Anteil der Nicht-Berufstätigen mit 17,1% geringer als
in Frankfurt und Hannover. 11,4% der Ratsmitglieder sind Pensionäre und 5,7%
Hausfrauen. Zum Zeitpunkt der Übernahme des Ratsmandats war lediglich eine
Person als Hausfrau nicht berufstätig (2,9%); alle weiteren Ratsmitglieder, die
heute pensioniert sind, waren zum Zeitpunkt der ersten Mandatsübernahme
152 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

berufstätig. Mit mehr als einem Drittel der im Öffentlichen Dienst beschäftigten
Ratsmitglieder ist dies die mit Abstand dominierende Berufsgruppe. Innerhalb
der einzelnen Fraktionen gibt es keine Unterschiede in der Verteilung. Auch
hier ist der Anteil der Lehrer mit 5,7% der Ratsmitglieder sehr gering. Ein
Sechstel der Ratsmitglieder arbeitet im politischen/politiknahen Bereich. Dies
ist insbesondere in der SPD-Fraktion das dominante Berufsfeld, da 33,3% der
SPD-Mitglieder in diesem Bereich arbeiten. Die Ratsmitglieder sind zumeist im
politischen Bereich als Fraktions- oder Parteigeschäftsführer der eigenen Partei
beschäftigt. Die Angestellten im politiknahen Bereich sind vor allem bei Inte-
ressengruppen beschäftigt. Zudem gibt es in jeder der beiden großen Fraktionen
(CSU und SPD) einen Stadtrat, der Geschäftsführer in einer stadtnahen Einrich-
tung ist. Die Geschäftsführerposten werden in alter Tradition per Proporz an je
einen Stadtrat der beiden großen Fraktionen CSU und SPD vergeben. Der Anteil
der Angestellten im privaten Sektor liegt mit 11,4% im Durchschnitt der vier
Untersuchungsstädte. In den beiden großen Fraktionen CSU und SPD ist der
Anteil ungefähr gleich hoch, während es in den kleineren Fraktionen keine Pri-
vatbeschäftigten gibt. 20% der Stadträte sind selbständig/freiberuflich. Mit
27,8% ist hierbei der Anteil in der CSU-Fraktion am höchsten. Auch hier sind
die Anwälte die dominierende Gruppe bei den Freiberuflern, gefolgt von Ärzten
und Steuerberatern.
In Stuttgart ist der Anteil der Nicht-Berufstätigen im Vergleich zu den an-
deren Städten mit 9,7% sehr gering. Allerdings haben insbesondere die Inter-
views und auch die Angaben der einzelnen Fraktionen auf den Websites bzw.
den Veröffentlichungen gezeigt, dass dieser Prozentanteil als zu gering betrach-
tet werden muss, da knapp ein Viertel der Stadträte ein erhöhtes Sitzungsgeld
für Haushaltsführung (vgl. 4.2.2) erhält. So gibt es in Stuttgart eine große Grup-
pe von Hausfrauen, die nach der Familienphase nicht in den Beruf zurückge-
kehrt, sondern sich für eine politische Karriere im Rat entschieden haben (vgl.
5.3.2.6).103 Mehr als ein Fünftel der Stadträte ist im öffentlichen Sektor beschäf-
tigt. Dazu zählen vor allem die Lehrer (6,5% der Stadträte sind Lehrer), Profes-
soren (6,5%) und leitende Angestellte in Landesbehörden. Ebenso hoch wie der
Anteil der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst ist mit 22,6% der Anteil der
Angestellten im politischen/politiknahen Bereich. Davon ist die Hälfte direkt im
politischen Bereich beschäftigt, als Parlamentarischer Berater im Landtag, als
persönlicher Referent in der Landtagsfraktion und als politischer Beamter. Die
andere Hälfte arbeitet für Interessengruppen und Verbände. Mit knapp 30% sind
hierbei der Anteil in der CDU-Fraktion und jener in der Fraktion von BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN am höchsten, wobei die CDU-Fraktionsmitglieder insbe-

103 Die Gruppe der ‚Hausfrauen’ hat – mit Ausnahme von zwei Stadträtinnen – nicht an der
schriftlichen Befragung teilgenommen.
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 153

sondere im politischen Bereich tätig sind.104 Der Anteil der Angestellten und
Arbeiter im privaten Sektor ist mit 6,5% sehr gering. 38,7% der Ratsmitglieder
sind selbständig bzw. freiberuflich tätig. Einen hohen Anteil haben hier – nicht
überraschend – insbesondere die CDU-, die FDP-Fraktion und die Freien Wäh-
ler. In diesen Fraktionen haben insbesondere die mittelständischen Unternehmen
traditionsgemäß eine hohe Stellung (vgl. Köser 2000:156). Dieses Ergebnis
bestätigt den von Wehling in Studien festgestellten Honoratiorencharakter der
Stadträte in Baden-Württemberg.
Bei genauerer Betrachtung der Berufsstruktur in den vier Untersuchungs-
städten lässt sich also erkennen, dass die befragten Ratsmitglieder nicht die
Berufsstruktur der Bevölkerung widerspiegeln. Allerdings ist die Berufsstruktur
nicht so verzerrt wie man erwarten würde. So sind nicht nur die klassischen
Personen- und Berufsgruppen repräsentiert. Im Vergleich zu anderen Parlamen-
ten und auch zu den Erwartungen und Einschätzungen in der Literatur lässt sich
ein dominanterer Anteil an öffentlich Bediensteten erwarten. Mit durchschnitt-
lich 25% ist der öffentliche Sektor in den vier Untersuchungsstädten jedoch
nicht so stark überrepräsentiert wie in anderen Parlamenten. Auch spezielle und
sonst für deutsche Parlamente typische Berufe sind nicht so stark vertreten wie
erwartet: Insgesamt sind in den vier Stadtparlamenten nur sechs der befragten
Ratsmitglieder Lehrer; dies ist ein Anteil von lediglich 4%. Zudem haben die
Interviews mit den Stadträten gezeigt, dass öffentlich Bedienstete sich nicht
unbedingt in einem ‚geschützten’ Raum befinden. Viele der Befragten gaben an,
dass gerade die öffentlich Bediensteten häufig große Probleme mit der Verein-
barkeit von Beruf und Mandat haben. Darüber hinaus zeigt sich bei einem Ver-
gleich der vier Städte keine klare Berufsstruktur. Die Anteile der Berufsgruppen
sind in hohem Maße von Stadt zu Stadt unterschiedlich: In jeder Stadt haben
andere Berufsgruppen einen dominanten Anteil. So ist in Stuttgart die Gruppe
der Freiberufler und Selbständigen sehr dominant, während in Nürnberg und
Hannover der öffentliche Sektor einen vergleichbar hohen Anteil einnimmt. In
Frankfurt spielen die Angestellten des politischen/politiknahen Bereiches eine
wichtige Rolle. Diese Differenzen kann man teilweise auch mit den Unterschie-
den zwischen den Wirtschaftsstrukturen erklären, so ist z.B. Stuttgart durch eine
ganz andere wirtschaftliche Struktur geprägt als Hannover (vgl. Statistisches
Landesamt Baden-Württemberg 2003; Stadt Frankfurt am Main 2002; Amt für
Stadtforschung und Statistik Nürnberg 2002).
Die Analyse des Sozialprofils in den vier Untersuchungsstädten hat ge-
zeigt, dass die Ratsmitglieder durchschnittlich zwischen 41 und 60 Jahren alt
sind und somit die mittlere Alterskohorte stark überrepräsentiert ist. Zudem

104 Baden-Württemberg ist ein traditionelles CDU-Land. Dadurch haben CDU-Ratsmitglieder


leichteren Zugang zu politischen Posten als andere Parteiangehörige.
154 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

verfügen die Ratsmitglieder über einen bedeutend höheren Bildungsgrad als die
Bevölkerung. Bei der Untersuchung des Geschlechts zeigte sich, dass die Frau-
en nicht mehr unterrepräsentiert sind: So ist fast jedes zweite Ratsmitglied weib-
lich. Neben dem Einfluss dieser soziodemographischen Daten wird in der Lite-
ratur die These vertreten, dass die Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Beruf und
Mandat insbesondere durch die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufssektoren
bestimmt wird. Die Analyse zeigte jedoch, dass die Berufsstrukturen in den
Untersuchungsstädten stark voneinander abweichen und auch der öffentliche
Sektor nicht so dominant in den Kommunalparlamenten vertreten ist, wie dies
erwartet wird. Insofern widersprechen die Ergebnisse der Sozialstrukturanalyse,
insbesondere der Analyse der Berufsstruktur, in den vier Untersuchungsstädten
deutlich der Abkömmlichkeitsthese. Zusammenfassend kann also festgestellt
werden, dass der Berufssektor alleine nicht erklären kann, wem es möglich ist,
Job und Mandat zu vereinbaren. Es wird vermutet, dass die Hauptkriterien kom-
plexer sind und von mehr als einem Faktor abhängen. So ist die Annahme, dass
zwei Hauptfaktoren die Vereinbarkeit von Beruf und Mandat maßgeblich beein-
flussen:

ƒ Die konkrete individuelle Position im eigentlichen Beruf und


ƒ die Rahmenbedingungen und der Professionalisierungsgrad des Amtes in
der jeweiligen Stadt.

Berufsposition
Wie erläutert, wird in der Literatur generell argumentiert, dass die unterschiedli-
chen Berufssektoren und -gruppen einen Einfluss auf die Möglichkeit haben,
Job und Mandat zu vereinbaren, und dass insbesondere Beschäftigte des öffent-
lichen Sektors dabei privilegiert sind. Diese Abkömmlichkeitsthese wird durch
die Analyse nicht bestätigt. Deshalb wird hier die These vertreten, dass nicht
alleine der Sektor entscheidend ist, sondern vielmehr die spezifische Berufsposi-
tion des Ratsmitglieds und insbesondere der Grad der Flexibilität und Abkömm-
lichkeit im Beruf. Obwohl die Ratsmitglieder per Gesetz Anspruch auf Freistel-
lung haben, kann dieser in der Praxis nicht immer durchgesetzt werden. Zudem
wird die Freistellung formal nur für die Sitzungen garantiert, nicht jedoch für
Arbeitskreise, Besprechungen der Fraktionen und Repräsentationstermine, die
jedoch auch zwingend zu der Mandatsausübung gehören. So sagt eine Stadträtin
aus Stuttgart beispielsweise:
„Wir haben zwar eine Schieflage in den Berufen, interessanterweise aber gar nicht im Öffent-
lichen Dienst. Es sind aber vor allem Personen, die sich ihre Zeit frei einteilen können und die
abkömmlich sind“ (S4).
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 155

So scheinen also die Faktoren ‚Abkömmlichkeit’ und ‚Flexibilität’ in der kon-


kreten Jobposition die entscheidenden Kriterien für die Möglichkeit der Verein-
barung zu sein. Wie erläutert (vgl. 2.2.2.2), sind nach Weber bestimmte Berufs-
gruppen, wie beispielsweise Anwälte, leichter abkömmlich als andere, was
bedeutet, dass sie Beruf und politische Aktivität leichter vereinbaren können als
beispielsweise Arbeiter. Gemäß den vorherigen Erläuterungen wird hier abwei-
chend zu Weber jedoch nicht pauschal nach Berufsgruppen differenziert, son-
dern anhand der konkreten Position untersucht, welchen Einfluss die Abkömm-
lichkeit auf die Vereinbarkeit von Beruf und Mandat und auf die individuelle
Professionalisierung hat.
Unter Abkömmlichkeit wird somit verstanden, zu welchem Grad die Rats-
mitglieder in ihrer Arbeitszeit flexibel sind bzw. über diese selbst bestimmen
können. Beeinträchtigt wird die Abkömmlichkeit durch eine fremdbestimmte
Arbeitszeit, die durch bestimmte Rahmenbedingungen vorgegeben ist und daher
eine flexible Arbeitszeiteinteilung schwierig bzw. unmöglich macht. Darunter
fallen z.B. Anwesenheitspflichten am Arbeitsplatz aufgrund von Öffnungszeiten
und/oder Kundenkontakt. Auch die Zusammenarbeit im Team mit Kollegen
erfordert regelmäßige Anwesenheit und Abstimmungsbedarf. Daher wird ange-
nommen, dass Ratsmitglieder, die solche Arbeitsbedingungen an ihrem Arbeits-
platz haben, gerade auch aufgrund des hohen Zeitaufwands des Ratsmandats
während der üblichen Arbeitszeit große Schwierigkeiten haben, Beruf und
Mandat zu vereinbaren. Ratsmitglieder, die über ihre Arbeitszeit selbst be-
stimmten können, werden Beruf und Mandat hingegen leichter vereinbaren
können.

Rahmenbedingungen und Professionalisierungsgrad


Neben der individuellen Berufsposition sind die Rahmenbedingungen des Man-
dats – der Professionalisierungsgrad in der jeweiligen Stadt und die institutio-
nelle Opportunitätsstruktur – der zweite ausschlaggebende Faktor. Dabei sind
insbesondere vier Faktoren entscheidend:

1. Der Zeitaufwand in der spezifischen Stadt: Wie unter 4.1 gezeigt, haben die
Stadträte in den vier Städten eine unterschiedliche Anzahl von Sitzungen
pro Monat und damit einen unterschiedlich hohen Zeitaufwand.
2. Die zeitliche Verteilung der Mandatsaktivitäten und vor allem der Sitzun-
gen: Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn die Sitzungen tagsüber statt-
finden und damit während der üblichen Arbeitszeiten liegen. Hier sind die
Kriterien Flexibilität und Abkömmlichkeit sogar noch bedeutsamer. Wie
gezeigt, gibt es dabei große Unterschiede zwischen den vier Städten: Wäh-
rend in Hannover und Frankfurt die Sitzungen vor allem am Nachmittag
156 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

und Abend stattfinden, beginnen die Sitzungen in Stuttgart und Nürnberg


regelmäßig bereits am Morgen bzw. am frühen Nachmittag (vgl. 4.1.1.2).
3. Die Aufwandsentschädigung für die Mandatsausübung, also das Einkom-
men durch die Politik: Wie unter 4.2. gezeigt, variieren diese zu einem ho-
hen Grad zwischen den vier Städten. Während ein Ratsmitglied in Hanno-
ver ‚lediglich’ ungefähr 500 Euro pro Monat an Aufwandsentschädigung
erhält, ist diese in Frankfurt mit 900 Euro bereits fast doppelt so hoch. Am
höchsten sind die Entschädigungen mit knapp 1.500 Euro in Nürnberg und
mit 1.770 Euro in Stuttgart. Die Entschädigungen für die Fraktionsvorsit-
zenden sind dabei mindestens doppelt so hoch wie die der ‚normalen’
Ratsmitglieder.
4. Die Anzahl der Mitarbeiter in den Fraktionsgeschäftsstellen und der Cha-
rakter der Unterstützung: Da die Fraktionsgeschäftsstellen in Nürnberg und
Stuttgart relativ klein sind, wird hier den Ratsmitgliedern lediglich organi-
satorisch zugearbeitet. In Hannover und Frankfurt sind die Fraktionsge-
schäftsstellen personell gut ausgestattet, so dass die Mitarbeiter die Rats-
mitglieder auch inhaltlich unterstützen können.

Es wird hier argumentiert, dass die Vereinbarkeit beeinflusst wird durch das
Wechselspiel zwischen der konkreten Berufsposition und den Rahmenbedin-
gungen der Mandatsausübung. Dieses Wechselspiel bestimmt, ob bzw. wie ein
Ratsmitglied Beruf und Mandat vereinbaren kann. Am Beispiel des Berufs
‚Lehrer’ soll die Interaktion der Faktoren verdeutlicht werden: Lehrer unterrich-
ten in der Regel vormittags und sind während dieser Zeit kaum abkömmlich und
nicht flexibel in ihrer Zeitplanung. In Hannover und Frankfurt finden die Sit-
zungen fast ausschließlich am Nachmittag und Abend statt, so dass Lehrer die
Berufstätigkeit und das Mandat relativ einfach vereinbaren können. Im Gegen-
satz dazu finden in Stuttgart und Nürnberg viele Sitzungen am Vormittag statt,
so dass eine Vereinbarung für die Lehrer kaum möglich ist. So kann also die
gleiche konkrete Arbeitsplatzposition aufgrund der unterschiedlichen Rahmen-
bedingungen des Mandats für eine Vereinbarung von Beruf und Mandat ideal
sein oder sie nicht ermöglichen.
Trotz der Beeinflussung der Vereinbarkeit durch die spezifische Berufspo-
sition und die Rahmenbedingungen des Mandats wird angenommen, dass die
Situation der Ratsmitglieder jedoch nicht statisch und rein strukturell bedingt ist.
Vielmehr handelt es sich um einen dynamischen Prozess. Die generelle Annah-
me einer statischen Situation in der Literatur greift zu kurz, da hierbei die Ges-
taltungsmöglichkeiten des Individuums nicht berücksichtigt werden. So kann
das Ratsmitglied das Zusammenspiel der beiden Faktoren aktiv verändern, um
Berufstätigkeit und Mandat vereinbaren zu können. Im Folgenden wird das
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 157

Wechselspiel zwischen den oben diskutierten Faktoren analysiert, und es wird


untersucht, wie und ob die Ratsmitglieder auf dieses aktiv Einfluss nehmen.

5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf

Fraglich ist, wie die einzelnen Ratsmitglieder das Dilemma zwischen formal
ehrenamtlicher Arbeit und dem dafür notwendigen Zeitaufwand lösen. Daher
wird untersucht, wie die befragten Ratsmitglieder unter den gegebenen Rah-
menbedingungen individuell mit diesen Interessenskonflikten umgehen. Welche
Strategien wenden sie an, um Beruf und Mandat zu vereinbaren? Wie verändern
sie dadurch das Verhältnis von Beruf und Mandat? Bilden sich dabei bestimmte
Entwicklungsrichtungen in den einzelnen Städten heraus? Welche Auswirkun-
gen haben diese auf den individuellen Professionalisierungsgrad der Ratsmit-
glieder? Diese Fragen stehen im Zentrum der folgenden Analyse.

5.3.1 Individuelle Strategien

Im Rahmen der schriftlichen Befragung wurden die Ratsmitglieder gefragt, wie


sie individuell Beruf und Mandat vereinbaren und ob dazu Veränderungen der
Rahmenbedingungen erforderlich waren. Für die große Mehrheit von 85,3%
erforderte das Mandat berufsbezogene Veränderungen, um beides vereinbaren
zu können. 8,7% der Ratsmitglieder antworteten ‚nicht zutreffend’105, da sie
niemals einen Beruf neben dem Mandat ausgeübt haben. Lediglich 6% der
Ratsmitglieder in den vier Städten befanden sich bereits vor der Übernahme des
Mandats in einer Berufsposition, die es ihnen erlaubt, ohne Veränderungen
Mandat und Beruf zu vereinbaren – sie haben also eine ideale Berufsposition.
Daher stellt sich die Frage, wie die Arbeit organisiert sein muss, um ‚ideal’ für
eine Vereinbarkeit von Beruf und Mandat zu sein. Insgesamt haben nur neun
Ratsmitglieder ihre Position nicht verändert: Zwei davon haben von Beginn an
nur Teilzeit gearbeitet. Zwei Ratsmitglieder sind Lehrer – einer in Hannover
und einer in Frankfurt, also in den beiden Städten, in denen in der Regel keine
Sitzungen am Vormittag stattfinden. Vier Ratsmitglieder sind im politischen
Sektor beschäftigt: Zwei als Fraktionsgeschäftsführer für ihre eigene Fraktion
im Rat, eins für die Fraktion im Landtag und eins als persönlicher Assistent für

105 Wie die Analyse der Berufsgruppen gezeigt hat, sind heute ca. 20% der Ratmitglieder nicht
berufstätig. Viele davon sind jedoch schon seit Jahren im Rat und wurden pensioniert, nach-
dem sie viele Jahre Beruf und Mandat vereinbart und damit z.T. auch Probleme hatten. Daher
werden auch diese Ratsmitglieder in die Analyse miteinbezogen.
158 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

den Bürgermeister in seiner Stadt. Ein weiteres Ratsmitglied arbeitet als Mana-
ger in einem kommunalen Unternehmen. Damit kann also zusammengefasst
werden, dass fünf der Ratsmitglieder für ihre eigene Partei arbeiten. Insofern ist
es wenig überraschend, dass ihre Arbeitgeber die Ausübung des Mandats unter-
stützen. Die anderen vier Ratsmitglieder sind während der Hälfte des Tages
flexibel und abkömmlich. Dies ist ausreichend für die Anforderungen des Man-
dats in ihrer Stadt.

Tabelle 5.4: Individuelle Strategien

Strategien Anteil106
Freistellung 50,9%
Reduzierung der Arbeitszeit 33,5%
Gleitzeit/flexiblere Arbeitszeiten 24,2%
Wechsel des Arbeitsplatzes 14,1%
Nicht-Ausübung des Berufs auf Zeit – Beurlaubung 4,0%
Reduzierung der Mandatsausübung 2,7%
Einstellung zusätzlichen Personals 2,7%
Vorruhestand 1,3%
Arbeitslosigkeit 1,3%

Im Folgenden werden nun die Strategien analysiert, welche die Ratsmitglieder


anwenden, um Beruf und Mandat zu vereinbaren. Wie erläutert, wenden 85,3%
der Ratsmitglieder Strategien an. Bei der Betrachtung der Strategien soll jeweils
analysiert werden, ob und warum einzelne Strategien in einer Stadt dominant
sind und ob diese Strategien vor allem von bestimmten Berufsgruppen ange-
wendet werden. Bei der Befragung nannten die Ratsmitglieder neun Strategien,
die in Tabelle 5.4 zusammengefasst sind.

5.3.1.1 Freistellung

50,9% der Ratsmitglieder werden bzw. wurden freigestellt. Damit ist diese die
häufigste Strategie zur Vereinbarkeit von Beruf und Mandat. Betrachtet man
lediglich die abhängig Beschäftigten, da auch nur diese freigestellt werden,

106 Mehrfachantworten, daher keine Summation auf 100% möglich.


5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 159

ergibt sich ein Anteil von 78,2%. In den Gemeindeordnungen aller Bundeslän-
der ist festgelegt, dass die Ratsmitglieder für die unmittelbar mit dem Mandat
verbundenen Tätigkeiten vom Arbeitgeber freizustellen sind. Diese Regelungen
sollen ermöglichen, dass die Ratsmitglieder ihr Mandat ehrenamtlich und ne-
benberuflich ausüben können, und dass ihnen beruflich dadurch keine Nachteile
entstehen. So steht beispielsweise in der Niedersächsischen Gemeindeordnung
in §39 III: „Der Ratsfrau oder dem Ratsherrn ist die für ihre oder seine Tätigkeit
notwendige freie Zeit zu gewähren.“ Insofern stellt sich die Frage, ob die Frei-
stellung überhaupt als ‚Strategie’ zur Vereinbarkeit von Beruf und Mandat gel-
ten kann, da sie gesetzlich verankert ist und die Vereinbarkeit für alle Ratsmit-
glieder gewährleisten soll. Jedoch zeigt sich bereits in anderen Studien (vgl.
Ronge 1994:282) und insbesondere auch in den Ergebnissen der vorliegenden
Studie, dass die gesetzlichen Regelungen und ihre Umsetzung in der Realität
häufig nicht übereinstimmen. Dies sollen einige Zitate von Ratsmitgliedern
illustrieren:
„Die rechtliche Situation ist da ja eigentlich völlig klar, aber trotzdem gibt es häufiger Prob-
leme mit dem Arbeitgeber oder den Kollegen“ (S16).

„Formal dürfen die ja auch keine Steine in den Weg legen, wenn man ehrenamtlich tätig ist
und sich für die kommunale Selbstverwaltung einsetzt; aber ich habe gerade bei mir gemerkt,
dass das Verhältnis meiner Chefin mir gegenüber stark abgekühlt ist, seit ich im Rat bin“
(H18).

„Theoretisch ist das ja auch so geregelt, dass man als Stadtverordneter für die Sitzungen vom
Arbeitgeber freigestellt werden muss. Das geht aber nur in Zeiten mit einer guten wirtschaftli-
chen Lage, jetzt in der momentanen Lage, wo jeder um seinen Arbeitsplatz bangt, scheuen
auch viele davor zurück und da würde ich auch davor zurückscheuen, dies wirklich in An-
spruch zu nehmen. Also, von der Theorie her, ist es eigentlich richtig geregelt, dass man sagt,
man wird freigestellt, man bekommt eine Verdienstausfallentschädigung bzw. der Arbeitgeber
erhält diese, nur gilt es einfach nur in Zeiten, wo Arbeitnehmer gesucht werden“ (F18).

Insofern kann also festgestellt werden, dass die Freistellungspraxis von den
gesetzlichen Regelungen abweicht: 75% der Angestellten in Stuttgart, 82% in
Nürnberg, 79% in Hannover und 52% der Angestellten in Frankfurt werden von
ihrem Arbeitgeber freigestellt. Dabei überrascht es nicht, dass jene Ratsmitglie-
der, die nur Teilzeit beschäftigt sind, seltener freigestellt werden müssen als
Vollzeit beschäftigte Angestellte. So werden von den Ratsmitgliedern, die Voll-
zeit beschäftigt sind, 85,9% freigestellt, während es bei den Teilzeitbeschäftig-
ten lediglich 56,5% sind. Da in Frankfurt viele Ratsmitglieder Teilzeit beschäf-
tigt sind, erklärt sich die dortige, vergleichsweise niedrige Freistellungsquote.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie viele Stunden bzw. Tage die
Ratsmitglieder von ihren Arbeitgebern freigestellt werden. Es ist zu vermuten,
dass dies mit dem durchschnittlichen Sitzungsaufwand während der Arbeitszeit
160 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

zusammenhängt und somit eine höhere Freistellung in Stuttgart und Nürnberg


zu erwarten ist. Die Stundenanzahl variiert von durchschnittlich drei Stunden
pro Woche bis zu einer vollständigen Freistellung. Die Freistellungspraxis ist in
Tabelle 5.5 für die vier Untersuchungsstädte zusammengefasst.

Tabelle 5.5: Höhe der Freistellung pro Woche

Frankfurt Hannover Nürnberg Stuttgart


½ Tag 25,0% 10,5% 15,0% 25,0%
1 Tag 31,1% 26,3% 30,0% 0%
1½ Tage 25,0% 31,6% 15,0% 25,0%
2 Tage 6,3% 21,0% 10,0% 16,7%
4 bis 5 Tage 12,5% 10,5% 30,0% 33,3%

Dabei ist zu erkennen, dass es in allen vier Städten zwei Gruppen von Freige-
stellten gibt: Auf der einen Seite diejenigen, die von einem halben Tag pro Wo-
che bis zu zwei Tagen pro Woche freigestellt werden, und auf der anderen Seite
diejenigen, die fast vollständig von ihrem Arbeitgeber freigestellt werden. Diese
klare Aufteilung in zwei Gruppen findet sich sowohl bei den Vollzeit- als auch
bei den Teilzeitbeschäftigten: Von den Vollzeitbeschäftigten werden 79,7%
zwischen drei Stunden und 20 Stunden pro Woche freigestellt, wobei 50% der
Vollzeitbeschäftigten zwischen acht und zwölf Stunden pro Woche freigestellt
werden. Die übrigen 20% der Vollzeitbeschäftigten werden entweder komplett
oder zu einem sehr hohen Anteil freigestellt. Bei den Teilzeitbeschäftigten wer-
den 69,3% bis zu 50% ihrer Arbeitszeit freigestellt und 30,7% darüber hinaus.
Wie die Untersuchung des Zeitaufwands unter 4.1 gezeigt hat, ist bereits
die reine Sitzungstätigkeit während der Arbeitszeit sehr hoch – abhängig von
der zeitlichen Lage und der Häufigkeit der Sitzungen, die in den vier Städten
wie erläutert stark variiert. Insofern erfordert die Ratstätigkeit in den Großstäd-
ten eine hohe Anzahl an Stunden während der üblichen Arbeitszeit und ist nicht
zu vergleichen mit der erforderlichen Freistellung in kleineren Städten. Die
Interviews zeigten, dass die Mehrheit der Ratsmitglieder, die eine feste Arbeits-
stelle mit geregelten Arbeitszeiten haben, eine Freistellung im Umfang von
einem Viertel bis zu einem Drittel der Arbeitszeit benötigt, um an den Rats- und
Ausschusssitzungen teilnehmen zu können. Dies deckt sich auch mit der ersten
Gruppe, die identifiziert wurde, bei der die durchschnittliche Freistellung bei 25
bis 30% der Arbeitszeit liegt. Diese Höhe der Freistellung ermöglicht es also
den Ratsmitgliedern, an den Sitzungen teilzunehmen und entspricht dem, was
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 161

die Gemeindeordnungen in ihren Freistellungssatzungen festgelegt haben: Die


Vereinbarkeit von Beruf und Mandat.
Ein Drittel der freigestellten Ratsmitglieder wird hingegen mit durch-
schnittlich vier bis fünf Tagen pro Woche deutlich mehr freigestellt. Diese Frei-
stellung geht über die benötigte Zeit für die Teilnahme an Sitzungen hinaus, so
dass die Ratsmitglieder auch für Mandatsnebentätigkeiten wie die Vorbereitung
und Repräsentationstermine freigestellt werden. Bei dieser Gruppe kann im
Gegensatz zur ersten Gruppe von einer individuellen Professionalisierung ge-
sprochen werden: Zum einen üben die Ratsmitglieder ihren eigentlichen Beruf
nicht mehr aus und sind Vollzeitpolitiker. Zum anderen wird das Ratsmitglied
für seine politische Arbeit bezahlt, denn es erhält weiterhin Gehalt von seinem
Arbeitgeber, obwohl es seine eigentliche Arbeit für den Arbeitgeber nicht mehr
ausübt. Der Arbeitgeber erhält nur für einen begrenzten Stundensatz – insbeson-
dere für die Sitzungen – Verdienstausfall von der Stadt. Insofern professionali-
siert sich das Ratsmitglied teilweise auch auf Kosten des Arbeitgebers.107 Dabei
ist jedoch fraglich, welche Interessen der Arbeitgeber hinter einer erweiterten
freiwilligen Freistellung stehen, aus welcher Motivation die Arbeitgeber dazu
bereit sind. Darauf wird im Folgenden noch näher eingegangen.
Eine Erklärungsmöglichkeit für diese Unterschiede könnte die Zugehörig-
keit der Ratsmitglieder zu den verschiedenen Berufssektoren sein. So wird im
Allgemeinen angenommen, dass die Freistellungsgesetze in den verschiedenen
Berufsgruppen unterschiedlich gehandhabt werden (vgl. Ronge 1994; Gabriel
2000). Während es in der Privatwirtschaft eher problematisch für die Ratsmit-
glieder sei, freigestellt zu werden, ergeben sich insbesondere bei Beamten und
öffentlich Bediensteten keine Probleme, da es für sie häufig weitergehende
Regelungen zur Freistellung gibt. Viele privatwirtschaftliche Arbeitgeber seien
jedoch nur ungern bereit, ihre Mitarbeiter freizustellen bzw. es sei ihnen nicht
möglich, ihre Arbeitnehmer für ihre Ratstätigkeiten freizustellen.
„Arbeitgeber, vor allem kleine Betriebe, können die Ausfallzeiten nicht kompensieren. Sit-
zungen um 8.30 Uhr während der Arbeitszeit sind mit normaler Berufstätigkeit kaum verein-
bar“ (S3).

Diese Annahmen können in der vorliegenden Untersuchung nicht pauschal be-


stätigt werden: Bei Betrachtung der freigestellten Ratsmitglieder lässt sich er-
kennen, dass es gemäß der unterschiedlichen Berufsgruppen keine großen Un-
terschiede gibt: So werden 72% der Angestellten im öffentlichen Sektor, 65%
des Privatsektors und 80% der Angestellten des politischen/politiknahen Sektors
freigestellt. Die Selbständigen und die Nicht-Berufstätigen benötigen natürlich

107 Eine Ausnahme bilden hierbei die Fraktionsvorsitzenden in Nürnberg, die pauschal eine
Verdienstausfallentschädigung für 125 Stunden pro Monat erhalten.
162 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

keine Freistellung. Auch bezüglich des Anteils der Freistellung an der Arbeits-
zeit gibt es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Berufsgruppen. Des
Weiteren haben viele Ratsmitglieder in den Interviews betont, dass Angestellte
des öffentlichen Sektors häufig mehr Probleme haben als Angestellte des priva-
ten Sektors.
„Beim Öffentlichen Dienst ist es allgemein schwieriger mit den Freistellungen. Aktuell läuft
gerade eine Sache mit einem Kollegen von der SPD, der massive Probleme hat an seiner
Schule, der andere arbeitet beim Bundesgrenzschutz, wo es auch immer Theater gibt; gerade
die öffentlichen Dienstherren stellen sich da viel mehr an als die privaten“ (H19).

Insofern kann also festgestellt werden, dass die Berufsgruppe, der die Ratsmit-
glieder angehören, nicht erklären kann, warum manche Ratsmitglieder sehr
großzügig und über den durch die Verdienstausfallentschädigung gedeckten
Betrag freigestellt werden und warum andere Probleme bei der Freistellung
haben. Daher werden im Folgenden die durch die unterschiedliche Freistel-
lungspraxis identifizierten zwei Gruppen getrennt voneinander analysiert, um
auf die Motive und Probleme der Freistellungspraxis genauer einzugehen. So
lässt die unterschiedliche Freistellungspraxis erwarten, dass gerade bei den zu
einem hohen Grad Freigestellten die Arbeitgeber eine andere Einstellung zur
Freistellung sowie andere Interessen haben. Zunächst wird nun auf die bereits
erwähnten Rahmenbedingungen und Probleme bei den ‚normal’ Freigestellten
eingegangen, bevor anschließend die Gruppe der ‚vollständig Freigestellten’
analysiert wird.

Gruppe I: Rahmenbedingungen und Probleme bei der Freistellung


Wie bereits erläutert, geben die Ratsmitglieder an, dass die gesetzlichen Vorga-
ben theoretisch eine Vereinbarkeit von Beruf und Mandat sehr gut ermöglichen
würden, dass aber die Praxis davon häufig abweicht und es dadurch zu Proble-
men am Arbeitsplatz kommt. Die radikalste Abweichung zwischen Theorie und
Praxis besteht in jenen Fällen, in denen die Arbeitgeber trotz der gesetzlichen
Vorgaben ihre Ratsmitglieder nicht für die Sitzungen freistellen. So gibt bei-
spielsweise eine Stadtverordnete aus Frankfurt an:
„Meine Geschäftsführerin weigert sich, mich freizustellen, das macht sie nicht. Sie verweigert
auch nicht, dass ich irgendwo hin kann, nach dem Motto: Mach was Du willst, aber mach’
deine Arbeit. Insofern muss ich die Stunden nacharbeiten“ (F8).

Obwohl der Anspruch gerichtlich durchsetzbar wäre, wird dies jedoch von den
Ratsmitgliedern in den meisten Fällen nicht gemacht. So sagt die Stadtverordne-
te: „Nein, ich habe nicht versucht, das durchzusetzen. Das würde einfach auch
die Atmosphäre vergiften“ (F8). Ratsmitglieder aus anderen Städten bestätigen
dies, indem sie angeben, ihren Anspruch auch aus Angst vor dem Verlust des
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 163

Arbeitsplatzes und aufgrund der Stimmung im Unternehmen nicht durchzuset-


zen.
Eine Problematik, die sich in der Freistellungspraxis häufig ergibt, ist die
Frage, für welche Ratstätigkeiten für die Arbeitgeber die Pflicht besteht, ihre
Arbeitnehmer freizustellen. Wie bereits erläutert, sind die Arbeitgeber nach den
Gemeindeordnungen verpflichtet, die Ratsmitglieder für die ‚notwendige Zeit’
freizustellen. Aufgrund dieser Definitionen des Anspruchs für Freistellung liegt
es jedoch teilweise im Ermessen der Arbeitgeber, wie lange und für welche
Sitzungen sie Ratsmitglieder freistellen. Die Ratsmitglieder erläutern, dass es
bei den Stadtratssitzungen und den Ausschusssitzungen relativ unproblematisch
sei. Schwierigkeiten gebe es jedoch häufig, wie ein Ratsmitglied erläutert,
„bei der Fraktionssitzung und bei den Arbeitsgruppensitzungen, man nennt es vorbereitende
Sitzungen, das ist rechtlich eine Grauzone, man kann ja die öffentlichen Sitzungen nicht wahr-
nehmen, wenn sie nicht vorbereitet sind, was da anerkannt und nicht anerkannt wird, ist da
schwer abzugrenzen“ (N23).

Auch bei den Aufsichtsratssitzungen der Unternehmen mit kommunaler Beteili-


gung, in die die Ratsmitglieder entsandt werden, gibt es häufig Probleme mit
dem Arbeitgeber. So erläutert ein Ratsmitglied:
„Ich war im Aufsichtsrat der Städtischen Werke und mir wurde dafür keine Freistellung ge-
währt, da es hieß, es sei ein Privatunternehmen und ich müsse dafür unbezahlten Urlaub neh-
men; es war damals aber eine 100%ig städtische Tochter. Und das habe ich als formalen An-
lass genommen, dies überprüfen zu lassen. Jetzt wird man auch dafür freigestellt“ (N7).

Für die Mandatsnebentätigkeiten (vgl. 4.1.2), die teilweise auch während der
Arbeitszeit wahrgenommen werden müssen bzw. sollen, gibt es keine gesetzli-
che Grundlage und auch keine Verdienstausfallentschädigung für die Ratsmit-
glieder, so dass die Freistellung im Ermessen des Arbeitgebers liegt. Wie bereits
erläutert, erhalten die Arbeitgeber für die freigestellten Stunden eine Ver-
dienstausfallentschädigung (vgl. 4.2.1). Allerdings ist diese Entschädigung für
die meisten Unternehmen kein Ausgleich dafür, dass ihr Arbeitnehmer nicht am
Arbeitsplatz ist und seine Arbeit ausführt.
„Der Arbeitgeber will eben nicht 20 Euro für die Stunden, die der Arbeitnehmer weg ist, son-
dern der will seinen Auftrag erledigen. Die Verdienstausfallentschädigung ändert eben nichts
daran, dass derjenige Arbeitnehmer dann im Betrieb fehlt und dass eine Arbeit gemacht wer-
den muss“ (H35).

Dabei sind nach Einschätzung der Ratsmitglieder für die Freistellung zwei Fak-
toren besonders entscheidend: Zum einen die individuelle Position im Unter-
nehmen, zum anderen die Betriebsgröße. Hinsichtlich der individuellen Position
ist ausschlaggebend, inwiefern das Ratsmitglied in seiner Arbeit von anderen
164 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

Kollegen ersetzt werden kann. Je qualifizierter das Ratsmitglied ist und je mehr
Verantwortung es im Unternehmen trägt, desto schwieriger ist es, eine Vertre-
tung zu finden.
„Wir haben auch einen Diplom-Biologen, der in einer mittelständischen Firma ist, der dort in
einer verantwortlichen Position ist, wo er einfach nicht ersetzbar ist; und seinem Arbeitgeber
bzw. der Firma fehlen eben jene Stunden, und die Entschädigung, die er dafür bekommt, ist in
der Regel kein Ersatz“ (N1).

Schwierigkeiten gibt es häufig auch, wenn Ratsmitglieder in Teamstrukturen


arbeiten. Darauf wird im Folgenden noch näher eingegangen (vgl. auch 5.3.1.4).
Der zweite Faktor ist der Einfluss der Betriebsgröße auf die Möglichkeit
zur Freistellung. So ist es in größeren Unternehmen grundsätzlich einfacher, die
Mitarbeiter während der Fehlzeiten zu ersetzen. Eine Ratsfrau aus Hannover
fasst es wie folgt zusammen:
„Wenn man in einem Unternehmen mit 5.000 Beschäftigen arbeitet wie ich, dann gibt es da
zwar auch ein paar mehr Leute, die ein Mandat wahrnehmen, aber in der Masse ist das nicht
so tragisch, das ist leichter aufzufangen. Wenn aber in einem kleinen Handwerksbetrieb einer
für 20 bis 25% der Arbeitszeit ausfällt, dann ist das schon eine erhebliche Einschränkung für
den Arbeitgeber und die Kollegen“ (H32).

Eine weitere Schwierigkeit stellt die fehlende Planbarkeit der notwendigen Frei-
stellungen dar. So gibt es zwar Sitzungspläne für die Rats- und Ausschusssit-
zungen, die zu Beginn des Jahres festgelegt werden und die zu einer gewissen
Planbarkeit führen. „Je regelmäßiger die Sachen sind, desto einfacher ist es ja
auch immer für die Arbeitgeber“ (H7). Allerdings finden häufig außerordentli-
che Sitzungen zu aktuellen Themen statt, die zu Planungsproblemen führen:
„Wir wollen nicht sagen, wir haben erst in zwei Wochen unsere nächste Sitzung und vorher
kann hier alles explodieren und wir kümmern uns nicht darum; natürlich wollen wir da flexi-
bel sein“ (H19).

Ein zusätzliches Problem ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass das
Ende der Rats- und Ausschusssitzungen schwer abzusehen ist: „Man kann aber
immer relativ schwer planen, wie lange die gehen, denn es kommt immer auf
die Diskussionen an, die sich entwickeln“ (H33). Daher sei es schwierig, dem
Vorgesetzten eine genaue Angabe zu machen, wann die Einsatzfähigkeit am
Arbeitsplatz wieder gegeben ist. Dies führt dann zu Problemen der Koordination
der inneren Zeitabläufe. Dies gestaltet sich umso schwieriger, je unabkömmli-
cher ein Ratsmitglied ist. So sagt beispielsweise eine Ratsfrau, die als Lehrerin
arbeitet: „Mein Schulleiter muss dann ja einplanen können, ob ich die Schul-
stunde um 13.00 Uhr abhalten kann, um Ersatz zu finden“ (S18). Und eine an-
dere Ratsfrau, die im Verkauf arbeitet, erläutert:
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 165

„Ich arbeite direkt mit Kunden und dann muss ja immer einer meiner Kollegen einspringen,
der dann die Arbeit macht. Und das ist dann auch immer eine sehr unzuverlässige Sache, weil
man das kaum abschätzen kann; man weiß ja auch nie genau, wann die Sitzungen beendet
sind“ (H19).

Um diese Problematik zu entschärfen, wurde jüngst in Stuttgart festgelegt, dass


Sitzungen höchstens vier Stunden dauern, so dass die Ratsmitglieder ihren rest-
lichen Arbeitstag besser planen können (vgl. dazu 6.1.2).
Allerdings führen die Freistellungen häufig zu Problemen mit Kollegen und
Vorgesetzten, in einigen Fällen sogar zu Mobbing (vgl. H32). So sagt ein Frak-
tionsvorsitzender aus Hannover:
„Da haben viele große Schwierigkeiten in der Akzeptanz, und zwar nicht in der Akzeptanz
durch den Vorstandsvorsitzenden, möglicherweise nicht einmal durch den Hauptabteilungslei-
ter, aber auf der Ebene der Kollegen, mit denen sie sozusagen auch zusammenarbeiten auf der
Ebene von Projekten“ (H39).

So sind weniger die finanziellen Nachteile für das Unternehmen oder die zeitli-
che Nicht-Vereinbarkeit entscheidend, sondern vor allem die Nicht-Teamfä-
higkeit der Ratsmitglieder.
„Dann wenn sie in einem Team eingesetzt werden oder in einer Struktur arbeiten, wo sie eben
plötzlich – und das ist eben plötzlich – dann mal montags vormittags gar nicht kommen, und
dann wissen sie auch gar nicht, ob sie diesen Mittwoch können, und dann müssen sie wieder
für zwei Stunden weg, dann sind sie sozusagen nicht teamfähig“ (S13; vgl. auch H19).

Auch bei Ratsmitgliedern, die einen abgegrenzten und selbst bestimmten Ar-
beitsbereich haben, führt die Freistellung zu Problemen am Arbeitsplatz bzw.
konkreter zur Erfüllung ihrer Aufgaben. So haben die meisten dieser Ratsmit-
glieder keinen Anspruch auf Vertretung während ihrer Fehlzeiten. Dies führt
dazu, dass, so eine Stadträtin,
„so viel Arbeit auf meinem Schreibtisch liegen bleibt, dass ich mir eben bei jedem Termin
doppelt und dreifach überlege, ob ich hingehe, weil ich weiß, dass meine Arbeit hier liegen
bleibt“ (N25).

Ein weiteres, sehr wichtiges Kriterium bei der Freistellungspraxis ist nach An-
gaben der Ratsmitglieder die Bewertung der kommunalpolitischen Tätigkeit am
Arbeitsplatz. Am Beispiel eines Ratsherrn, der seit 20 Jahren im Rat der Stadt
Hannover ist, wird im Folgenden gezeigt, wie sehr die Freistellungspraxis und
die Probleme am Arbeitsplatz auch von der Haltung des Vorgesetzen und der
Kollegen abhängig sind, und dass eine Freistellung nicht nur durch konkrete
Berufspositionen der Ratsmitglieder bedingt wird. In den 20 Jahren als Man-
datsträger hatte dieser Ratsherr drei Vorgesetzte, die das Mandat sehr unter-
schiedlich bewertet haben:
166 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

„Mein erster Vorgesetzter hat mich beglückwünscht und dann gesagt, ich solle Bescheid sa-
gen, wann ich gehen muss; das war also eine ganz tolle Geschichte, auch mit den Kollegen,
die haben mir das Gefühl vermittelt, da ist jemand, der in der demokratischen Urzelle mit-
macht, das finden wir ganz toll, und haben mir das Gefühl vermittelt, dass ich kein Fremdkör-
per bei ihnen bin. Sie wollten auch keine Verdienstausfallentschädigung. Dann habe ich einen
neuen Chef bekommen; der hat immer verbal gesagt, er findet das ganz toll, und dann kam
aber das große ‚Aber’. Dem hat es also nicht gepasst, dass ich gehen konnte zu Sitzungen, die
eben stattgefunden haben, ohne dass er entscheiden konnte, ohne dass er das genehmigen
musste. Die Folge war, dass ich gemobbt wurde mit Sätzen wie ‚Ach, sind Sie auch da?’. Bei
meinem dritten Chef ist die Situation dann eskaliert. Er gibt vor, dass er für die Demokratie
und für die Kommunale Selbstverwaltung sei, es soll bloß keiner aus seiner Abteilung sein.
Die aktuelle Situation ist nun so, dass er mir nach einer Grundsatzdiskussion aus dem Weg
geht, und ich auch bei einer Beförderung auf eine Stelle, die mir eigentlich schon versprochen
war, übergangen wurde“ (H33).

In den Interviews erklärten vor allem jene Ratsmitglieder, die schon längere Zeit
im Rat sind, dass die Freistellungspraxis in den vergangenen Jahren problemati-
scher wurde. Die Gründe dafür liegen ihrer Meinung nach einerseits an den
schwieriger gewordenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Andererseits habe es
Veränderungen in der Unternehmensphilosophie gegeben, die dazu führten, dass
ein ehrenamtliches Mandat nicht mehr ein so hohes Ansehen in den Unterneh-
men habe und dadurch das Verständnis geringer wurde. Die erläuterten Proble-
me mit den Vorgesetzen und den Kollegen führen, so die Ratsmitglieder, dazu,
dass sie sich nur noch für die wichtigsten Sitzungen freistellen lassen, um Span-
nungen am Arbeitsplatz zu vermeiden. Daher nehmen sie teilweise nicht an
Ausschusssitzungen teil. Diese Probleme sind auch der Grund dafür, dass die
Ratsmitglieder vermehrt andere Strategien wählen, um die Probleme am Ar-
beitsplatz dadurch zu verringern. Welche Strategien dies sind, wird im Folgen-
den noch erläutert.

Gruppe II: Professionalisierung durch Freistellung


Wie erläutert, werden 35% der Ratsmitglieder zu einem sehr hohen Grad (80 bis
100% der Arbeitszeit) von ihrem Unternehmen für die Ratstätigkeit freigestellt.
Da die Unternehmen bei einer kompletten Freistellung keine vollständige Ver-
dienstausfallentschädigung bekommen, stellt sich die Frage, aus welcher Moti-
vation die Unternehmen dies tun. Die Ratsmitglieder, die vollständig bzw. zu
einem sehr hohen Anteil freigestellt werden, sind häufig Funktionsträger, insbe-
sondere Fraktionsvorsitzende bzw. stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Wie
unter 4.1.3 erläutert, haben gerade die Fraktionsvorsitzenden von ihrem Ar-
beitsaufwand her einen Fulltimejob, der die Ausübung eines Berufs unmöglich
macht. In Frankfurt sind die Fraktionsvorsitzenden zumeist dadurch abgesichert,
dass sie gleichzeitig als Fraktionsgeschäftsführer von der Fraktion angestellt
sind und ein Gehalt erhalten. In Nürnberg und Stuttgart haben die Fraktionsvor-
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 167

sitzenden finanzielle Rahmenbedingungen, die es ihnen ermöglichen, zumindest


teilweise von der Politik zu leben. In Hannover hingegen ist die Aufwandsent-
schädigung zu niedrig, um von ihr leben zu können. Daher sind sie darauf an-
gewiesen, von ihrem Arbeitgeber zu einem Großteil freigestellt zu werden. So
sagt ein Fraktionsvorsitzender aus Hannover:
„Ich bin 1993 Fraktionsvorsitzender geworden, dann hat mich mein Chef gefragt, was heißt
denn das jetzt – ich habe gesagt, dass es heißt, dass ich dann einmal in der Woche noch kom-
me, wenn sie mir das ermöglichen, und meine Post angucke. Dann hat mich meine Firma frei-
gestellt für die politische Arbeit“ (H27).

Auch in Stuttgart ist diese Art der Freistellung für Funktionsträger üblich:
„Es gibt viele, die auf kommunaler Ebene nicht mehr richtig in ihrem Beruf sind, insbesonde-
re bei Funktionsträgern. Man kann nicht den Fraktionsvorsitz machen und dafür keine Zeit
haben. Das muss man dann mit seinem Arbeitgeber absprechen“ (S22).

Neben diesen Funktionsträgern werden aber auch viele ‚normale’ Ratsmitglie-


der sehr großzügig von ihrem Arbeitgeber freigestellt. Als Erklärung gaben die
Ratsmitglieder bei den Interviews vor allem zwei Gründe an: Zu einem kleine-
ren Teil seien dies Versorgungsposten für ‚alt gediente Kommunalpolitiker’,
z.T. bei privatisierten kommunalen Unternehmen.
„So füttern die Stadtwerke reihenweise Leute durch, die im Rat arbeiten, die Stadtsparkasse
hat das gemacht, ohne die hätten manche auch kein Fraktionsvorsitzender sein können“ (H18).

Zum Großteil handelt es sich dabei allerdings um Ratsmitglieder, deren Arbeit-


geber
„ein Interesse haben, einen Stadtrat in ihrem Reihen zu haben, also von Tendenzbetrieben, die
ganzen Initiativen und die Beihilfeempfänger, von großen Verbänden, Wohnungsgesellschaft,
karitative Verbände, Architekten und Bauunternehmer“ (H18; ähnlich F8 und H7).

Die Ratsmitglieder sehen als Hauptmotivation der Arbeitgeber zwei Gründe an:
Zum einen sei es für die Unternehmen imagefördernd:
„Es gibt große Unternehmen, die Leute ganz bewusst reinschicken, z.B. ein Keramikunter-
nehmen hat einen Grünen in den Kreistag geschickt, denn für die war das ein ganz tolles
Marketing. Solche Fälle gibt es auch im Stadtrat“ (H33).

Zum anderen sind die Informationsflüsse, in die die Ratsmitglieder durch ihre
Ratstätigkeit eingebunden sind, teilweise auch für ihre Arbeitgeber nützlich:
„Dann haben sie natürlich auch noch andere Vorteile, die Informationsflüsse sind besser, wo
gibt es Ausschreibungen, wo werden Flächen ausgewiesen, das glaube ich unbedingt, dass es
so ist, dass es Vorteile gibt. Also vor allem im Bausektor und bei der Zuliefererindustrie“
(H23).
168 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

Beispiele dafür finden sich auch bei sozialen Einrichtungen, die ihre Arbeit-
nehmer sehr großzügig freistellen (vgl. F8 und H18). Neben den Vorteilen durch
bessere Informationsflüsse, handelt es sich bei dieser Vorgehensweise um eine
direkte Form des Lobbying.
„Wenn sie ein politisches Anliegen haben, dann werden sie sich dahin begeben, wo darüber
entschieden wird. Es gibt dann ja die Vorgabe, dass diese dann den Rat verlassen müssen,
wenn über ihre Organisation entschieden wird und dann wird es besonders evident. Aber das
sind wesentliche Bestandteile von Politik, das kann man, glaube ich, nicht verhindern“ (F8;
vgl. auch F19).

5.3.1.2 Reduzierung der Arbeitszeit

Eine weitere häufig angewendete Strategie ist die ‚Reduzierung der Arbeitszeit’.
So haben 33,5% der Ratsmitglieder von einer Vollzeit- auf eine Halbtagsbe-
schäftigung reduziert. Die Ratsmitglieder geben an, dass sie diesen Weg wählen,
um den notwendigen Zeitaufwand für das Mandat aufbringen zu können. Aller-
dings hat die Höhe des Einkommens durch die Politik für die Anwendung dieser
Strategie einen großen Einfluss. So haben vor allem die Ratsmitglieder in Stutt-
gart (45%) und Nürnberg (44%), wo die Aufwandsentschädigungen mit 1.770
Euro bzw. 1.500 Euro monatlich relativ hoch sind, ihre Arbeitszeit reduziert.
Dementsprechend geben die befragten Ratsmitglieder an, dass sie die Arbeits-
zeit auch deshalb verringern können, da sie das reduzierte Einkommen durch die
Aufwandsentschädigung größtenteils kompensieren können (vgl. S18, N31). In
Hannover hingegen haben lediglich 13% ihre Arbeitszeit reduziert, in Frankfurt
24%. Hinsichtlich der Verringerung der Wochenarbeitszeit können zwei Grup-
pen unterschieden werden: Die abhängig Beschäftigten und die selbständi-
gen/freiberuflichen Ratsmitglieder.

Selbständige und Freiberufler


Die Position der Selbständigen unterscheidet sich insofern von jener der abhän-
gig Beschäftigten, als dass sie generell über ihre Arbeitszeiten und die Arbeits-
organisation selbst bestimmen können. Jedoch geben 87,5% der Selbständigen
an, dass sie durch die Ausübung des Mandats nicht mehr so viel in ihrem eige-
nen Unternehmen arbeiten wie vor der Mandatsübernahme. So sagt ein Hanno-
veraner Ratsherr:
„Der durchschnittliche Aufwand während der Arbeitszeit liegt bei 15 bis 20 Stunden. (...) Da
leidet der Beruf echt darunter. Ich habe es direkt hier im Büro gemerkt und auch an der Kun-
denliste, wenn der Rechtsanwalt plötzlich Ratsherr ist. (...) Denn dann heißt es immer, der ist
leider in einer Sitzung – und natürlich tagsüber, und das ist die Zeit, in der sie die Mandanten
haben wollen“ (H23).
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 169

Auch die anderen Selbständigen bestätigen, dass sie durchschnittlich zwei Tage
pro Woche nicht im Büro bzw. Unternehmen sind. Dies führt dazu, dass die
Ratsmitglieder, politische Termine in die Terminplanung der Kanzlei oder Pra-
xis miteinbeziehen und somit der eigentlichen beruflichen Tätigkeit nicht mehr
zu Verfügung stehen. „Ich habe mich so organisiert, dass eben bestimmte Ter-
mine geblockt sind, weil da Sitzungen sind. Dadurch arbeite ich weniger als
Anwalt“ (F18). Durch die geringere Arbeitszeit entstehen Umsatz- und Ein-
kommenseinbußen. Die Selbständigen/Freiberufler erhalten – vergleichbar mit
der Freistellung der abhängig Beschäftigten – eine Verdienstausfallentschädi-
gung für die Einkommenseinbußen während der Sitzungen (vgl. 4.2.1). Viele
Ratsmitglieder geben jedoch an, dass diese Entschädigung nicht hoch genug ist,
um den eigentlichen Einkommensverlust zu kompensieren. So erklärt ein Rats-
mitglied:
„Man hat mal ausgerechnet, 90 Euro muss man die Stunde in der Kanzlei einspielen, nur um
das Büro zu halten. Meine Miete und meine Mitarbeiter muss ich bezahlen, egal ob ich im
Rathaus bin oder hier meine Verträge abschließe. Und ich bekomme einen Verdienstausfall
von 31,50 Euro die Stunde; d.h. jede Stunde, die ich im Rathaus bin, mache ich 60 Euro Ver-
lust; und bei meinen Mandanten rechne ich 200 Euro die Stunde ab. (...) Das hat natürlich
gravierende Auswirkungen auf mein Portemonnaie“ (H23).

Diese Aussage bestätigen auch andere Ratsmitglieder, die angeben, dass Selb-
ständige und Freiberufler ihren Beruf und das Mandat nur vereinbaren können,
wenn sie bereits etabliert sind. Ein Selbständiger aus Frankfurt, zum Beispiel,
versuchte eine Kanzlei aufzubauen, wechselt nun aber wieder in eine Arbeit-
nehmerstellung:
„Ich muss feststellen, dass, wenn man das kommunalpolitische Mandat ernst nimmt und so
wahrnehmen will, man mit der Selbständigkeit nicht hinkommt. Die Einbußen sind zu groß“
(F17).

So handelt es sich bei den Selbständigen und Freiberuflern in den Kommunal-


parlamenten hauptsächlich um Etablierte, die „nicht permanent da sein müssen“.
So konstatiert auch ein Ratsherr aus Stuttgart: „Inzwischen sind zwei Söhne und
eine Tochter ebenfalls im Betrieb, sonst könnte ich das Mandat nicht ausüben“
(S8).
Aber auch wenn die Verdienstausfallentschädigung den Umsatzverlust
nicht vollständig kompensiert, so sehen die Selbständigen selbst und vor allem
auch ihre Ratskollegen durch die Ratsarbeit Vorteile für die Unternehmen, vor
allem im Bereich des Marketing und der Erhöhung des Bekanntheitsgrades.
Zudem sehen sie, vergleichbar mit den Unternehmen, die ihre Ratsmitglieder
vollständig freistellen, Vorteile im Informationsfluss und in der Einflussnahme
auf Entscheidungen.
170 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

„Da gibt es dann neben den Nachteilen auch Synergieeffekte; die Synergieeffekte sind ganz
deutlich da, man lernt Leute kennen, Bezüge kennen und kann eben auch Sachen gestalten“
(H23; vgl. auch N16).

Im Vergleich zu den Angestellten haben es die Selbständigen zudem insofern


leichter, als dass sie jederzeit wieder ihre volle Arbeitskraft im Unternehmen
einsetzen können, während es für Angestellte unter Umständen schwieriger ist,
wieder Vollzeit arbeiten zu können.

Abhängig beschäftigte Ratsmitglieder


31% der angestellten Ratsmitglieder reduzieren ihre wöchentliche Arbeitszeit,
zumeist von einer Vollzeit- auf eine Teilzeitbeschäftigung. Dies bedeutet, dass
beinahe ein Drittel aller abhängig Beschäftigten aufgrund des Mandats ihre
Arbeitszeit reduzieren. Auch hier fällt auf, dass es dabei große Unterschiede
zwischen den Städten gibt: So reduzieren in Stuttgart 44% und in Nürnberg 50%
der Angestellten ihre Arbeitszeit, während es in Frankfurt mit 24% und Hanno-
ver mit 13% deutlich weniger sind.
Bei den Gründen für die Wahl dieser Strategie zeigt sich das Zusammen-
spiel zwischen der individuellen Berufsposition einerseits, also die Anforderun-
gen und die Abkömmlichkeit im Beruf, und andererseits den Rahmenbedingun-
gen des Mandats, insbesondere die zeitliche Belastung und die Höhe der Auf-
wandsentschädigung. So beeinflusst die Anreiz- und Anforderungsstruktur der
Ratstätigkeit die Entscheidung der Ratsmitglieder, ob sie die Arbeitszeit redu-
zieren oder nicht. Ein Anreiz dafür, ein sog. Pull-Faktor, ist in der Attraktivität
einer individuellen Professionalisierung zu sehen. Die Anforderungsstruktur der
Ratstätigkeit und ihre Vereinbarkeit mit dem Beruf sind hingegen Push-
Faktoren, welche die Ratsmitglieder dazu veranlassen, diese Strategie zu wäh-
len. Im Folgenden werden diese Faktoren näher erläutert.
Ein Push-Faktor, der die Ratsmitglieder dazu veranlasst, die Arbeitszeit zu
verringern, ist die Problematik am Arbeitsplatz. So erläutern die Ratsmitglieder,
dass sie ihre Arbeitszeit reduziert haben, um die Probleme am Arbeitsplatz, die
durch die Freistellung entstanden sind, zu verringern. Die Zitate zweier Rats-
mitglieder sollen dies veranschaulichen:
„Wenn ich nicht auf Teilzeit reduziert hätte, dann müsste ich mich immer freistellen lassen.
Und das würde zu sehr großen Problemen führen, da ich direkt mit Kunden arbeite. (...) Es ist
ja auch immer sehr unzuverlässig und nicht planbar, weil man nie weiß, wann die Sitzungen
beendet sind. Mein Arbeitgeber müsste also noch jemanden voll einstellen“ (H19).

„Ich habe dann beschlossen, ich möchte Teilzeit machen, um dem ständigen Konflikt in der
Arbeit aus dem Weg zu gehen. Ich konnte immer erst kurz vor knapp gehen (...) Und jetzt ha-
be ich auch nicht mehr das Gefühl, es stört, wenn ich gehe, weil die denken, jetzt geht die
schon wieder“ (N10).
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 171

Der Druck, die Arbeitszeit zu reduzieren, ist dabei in jenen Städten am höchs-
ten, in denen die Sitzungen (fast) ausschließlich während der eigentlichen Ar-
beitszeit stattfinden. Dies ist, wie erläutert, in Stuttgart und Nürnberg der Fall.
So haben beispielsweise die Lehrer in Stuttgart und Nürnberg ihre Arbeitszeit
reduziert, um während der üblichen Unterrichtszeit am Vormittag trotzdem für
das Mandat abkömmlich zu sein. Durch die Arbeitszeitreduzierung ist es ihnen
möglich, ihre Arbeitszeit so zu legen, dass sie im Regelfall vom Arbeitgeber
nicht mehr freigestellt werden müssen. So sagt ein Lehrer aus Nürnberg:
„Für meine Arbeit an der Schule bedeutet dies, dass der Stundenplan so gemacht wurde, dass
ich mittwochs und donnerstags keinen Unterricht habe, da dann viele Termine standardmäßig
anfallen, wie z.B. Stadtratssitzungen“ (N23).

Unzufriedenheit im eigentlichen Beruf ist ebenfalls ein Push-Faktor für Rats-


mitglieder, diese Strategie anzuwenden. So erklärt z.B. eine Stadträtin aus Stutt-
gart:
„Zu dieser Zeit stagnierte es in meinem Beruf und ich dachte mir, dass ich ruhig etwas anderes
machen könnte. Und sah das als Gelegenheit, weil ich nicht ganz raus aus dem Beruf muss.
Und dann habe ich mir überlegt, wie kann ich mein sicheres Einkommen durch meine Er-
werbstätigkeit so weit erhalten, dass ich nicht ganz abhängig bin von der Aufwandsentschädi-
gung und dem Sitzungsgeld“ (S18).

Des Weiteren reduzieren jene Ratsmitglieder die Arbeitszeit, die einen beson-
ders hohen Arbeits- und Zeitaufwand haben. Besonders häufig sind dies Funkti-
onsträger und Mitglieder kleiner Fraktionen. So sagt beispielsweise eine Stadt-
rätin aus Nürnberg: „Bei uns Kleinen arbeitet eigentlich keiner mehr Vollzeit, in
den großen Fraktionen gibt es noch mehr, die Vollzeit arbeiten“ (N3). Der
Grund dafür ist, dass Ratsmitglieder kleinerer Fraktionen im Vergleich zu
Ratsmitgliedern großer Fraktionen eine höhere Anzahl an Ausschüssen und
einen höheren Vorbereitungsaufwand haben. Da die Ratsmitglieder die Fraktio-
nen in den Ausschüssen alleine vertreten, sind nur sie für die politische Ausrich-
tung der Fraktion zuständig, während es bei den großen Fraktionen eine größere
Arbeitsteilung gibt (vgl. 4.1.1.1). Für Funktionsträger wie Ausschusssprecher
gilt dies entsprechend.
Neben diesen Push-Faktoren, ist jedoch vor allem die Attraktivität der in-
dividuellen Professionalisierung und dabei die Höhe der Aufwandsentschädi-
gung das entscheidende Kriterium, ob ein Individuum diese Strategie wählt oder
nicht. Wie die Differenzierung nach Städten zeigt, wird diese Strategie vor al-
lem in jenen Städten angewendet, die eine hohe Aufwandsentschädigung haben,
so dass die Ratsmitglieder zumindest teilweise von ihr leben können. So sagt
eine Stadträtin aus Nürnberg:
172 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

„Um ehrlich zu sein, mein Einkommen durch die Teilzeitbeschäftigung plus die Aufwands-
entschädigung durch die Stadtratstätigkeit ist immer noch mehr, weitaus mehr, als ich hätte,
wenn ich Vollzeit arbeiten würde“ (N31; ähnlich N30).

In Hannover hingegen ist die Aufwandsentschädigung zu niedrig, um davon


teilweise leben zu können, was dazu führt, dass diese Strategie dort nicht als
Lösungsmöglichkeit angesehen wird. So sagt beispielsweise eine Ratsfrau:
„Ich würde nie auf die Idee kommen, was mir vorgeschlagen wurde, auf Teilzeit zu gehen.
(...) Es ist eben ein Ehrenamt mit einer geringen Aufwandsentschädigung; von daher würde
ich davon Abstand nehmen, meinen Beruf, in dem ich mein Geld verdiene, noch mehr zu ver-
nachlässigen“ (H32).

Bei einer ebenso hohen Aufwandsentschädigung wie in Nürnberg und Stuttgart,


würden Ratsmitglieder aus Hannover ebenfalls ihre Arbeitszeit reduzieren, da
sie dann die Einkommensverluste kompensieren und gleichzeitig die Probleme
am Arbeitsplatz vermeiden könnten (vgl. H7). Allerdings gaben auch Ratsmit-
glieder aus Nürnberg und Stuttgart an, dass sie ihre Arbeitszeit nicht reduzieren
würden, da die Aufwandsentschädigung niemals ihre Einbußen im eigentlichen
Beruf ausgleichen könnten und daher eine Verringerung der Arbeitszeit für sie
nicht attraktiv sei. So sagt ein Ratsmitglied:
„Diese Frage stellt sich für mich gar nicht, denn das, was ich in meinem Beruf verdiene und
was ich auch als Aufwandsentschädigung bekommen müsste, um zu reduzieren, das werde ich
selbst als Politiker nicht bekommen“ (N25).

Dieses Zitat zeigt, dass die Attraktivität der Strategie nicht von der absoluten
Höhe der Aufwandsentschädigung, sondern von der relativen Höhe – somit also
vom Verhältnis der Aufwandsentschädigung zum individuellen, eigentlichen
Einkommen – abhängt. So ist die Aufwandsentschädigung für manche Stadträte
hoch genug, um diese Strategie für sie attraktiv zu machen.
Allerdings spielt nicht nur die Aufwandsentschädigung eine Rolle, ob eine
individuelle Professionalisierung attraktiv erscheint. So geben Ratsmitglieder
an, dass sie sich für eine Reduzierung der Arbeitszeit entschieden haben, ob-
wohl die Aufwandsentschädigung die Einbußen nicht vollkommen aufhebt.
Jedoch, wie unter 2.3.1.1 erläutert, spielen gerade auf kommunaler Ebene Pres-
tige und Ansehen eine große Rolle (vgl. N30), aber auch die Möglichkeit gestal-
terisch zu wirken und etwas ‚in seiner Stadt’ zu bewegen. Dies, so Ratsmitglie-
der, wiege die finanziellen Nachteile auf:
„Nach Abwägung aller Pro- und Contra-Argumente habe ich mir gedacht, wenn ich die Gele-
genheit habe, dann mache ich das, weil es ein Ziel von mir war, gestalterisch in die Ortsteile
einzugreifen. Und diese Gelegenheit ergibt sich kein zweites Mal“ (N23).
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 173

Eine individuelle Professionalisierung ist dabei insbesondere für Frauen attrak-


tiv, da sie im Durchschnitt weniger verdienen als Männer. So haben 51,4% der
weiblichen und nur 16% der männlichen Ratsmitglieder die Arbeitszeit auf-
grund des Mandats verringert. Auch hier bestätigen sich wieder Unterschiede
zwischen den Städten: Während in Nürnberg 81,8% und in Stuttgart 62,5% der
Frauen ihre Arbeitszeit reduziert haben, sind es in Frankfurt lediglich 27,3% und
in Hannover 28,6% der Frauen. Die relativ hohen Aufwandsentschädigungen in
Nürnberg und Stuttgart sind für die Stadträtinnen häufig höher als das Einkom-
men, das sie in ihrem ursprünglichen Beruf hatten.
Allerdings problematisieren viele der Ratsmitglieder, die ihre Arbeitszeit
reduziert haben, die Auswirkungen dieser Reduzierung auf ihre Rentenansprü-
che. So gleiche die Aufwandsentschädigung zwar momentan die Einkommens-
verluste – zumindest teilweise – aus, jedoch haben sie im Rentenalter Verluste,
da die Folge von ihrem aktuellen niedrigeren Einkommen geringere Rentenan-
sprüche sind. Deshalb können die Ratsmitglieder diese Strategie nur für einen
begrenzten Zeitraum anwenden. „Als ehrenamtlicher Stadtrat hat man ja auch
keine Rentenansprüche. D.h. dass ich die letzten Jahre vor Renteneintritt mit
Sicherheit wieder Vollzeit arbeiten muss“ (N23). Ein anderes Ratsmitglied, das
die Arbeitszeit reduziert hatte, hat ebenfalls aufgrund seiner Pensionsansprüche
wieder auf Vollzeit gewechselt und wendet stattdessen eine andere Strategie an,
die keine negativen Einflüsse auf die Pensionsansprüche hat. Um die Nachteile
durch die Verringerung der Arbeitszeit auf die Pensionsansprüche auszuglei-
chen, gibt es allerdings in Stuttgart bereits Regelungen in der Entschädigungs-
ordnung: Wie unter 4.2.2 erläutert, erhalten Ratsmitglieder, die aufgrund ihres
Mandats geringere Pensionsansprüche haben, von der Stadt einen Ausgleich
dafür.

5.3.1.3 Gleitzeit/flexiblere Arbeitszeiten

Fast ein Viertel der Ratsmitglieder vereinbart mit seinen Arbeitgebern flexiblere
Arbeitszeiten. Hier ist vor allem die zeitliche Abkömmlichkeit das Ziel. Da die
Sitzungen häufig während der üblichen Arbeitszeiten stattfinden, ist es notwen-
dig, für diese Sitzungszeiten abkömmlich zu sein. Durch die flexibleren Ar-
beitszeiten können sich die Ratsmitglieder ihre Arbeitszeit relativ frei einteilen
und die Arbeit z.B. am Abend oder am Wochenende nachholen. Dies bestätigen
Aussagen wie „Ich kann in den späten Abendstunden und am Wochenende
einen Ausgleich erreichen.“ (H6; ähnlich S22, H31, F36) und „Flexibler Arbeit-
geber. Kann meine Arbeitszeit nach Bedarf einteilen“ (H19; ähnlich H37, S14).
Flexible Arbeitszeiten sind somit eine Grundbedingung für die Ausübung eines
174 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

Mandats in einer Großstadt. So gaben die Ratsmitglieder in der schriftlichen


Befragung zu über 90% an, dass sie – entweder von Beginn an oder durch die
Anwendung dieser Strategie – flexible oder gar sehr flexible Arbeitszeiten ha-
ben.

5.3.1.4 Wechsel des Arbeitsplatzes

Mehr als 14% der befragten Ratsmitglieder wechseln aufgrund der Anforderun-
gen des Mandats ihren Arbeitsplatz. Dabei lassen sich drei Hauptgruppen unter-
scheiden: Zu der ersten Gruppe gehören jene Ratsmitglieder, die auf einen Ar-
beitsplatz wechseln, der in engem Bezug zu ihrem eigentlichen Beruf steht.
Dazu zählen der Wechsel innerhalb des Unternehmens auf einen anderen Ar-
beitsplatz, der Wechsel auf einen Arbeitsplatz in einem anderen Unternehmen
und der Wechsel in die Freiberuflichkeit. Ein Beispiel für solche Berufswechsel
ist der eines Ratsmitglieds vom Rechtsanwalt zum Richter mit der Begründung,
dass die „Arbeitszeit nicht vereinbar war. Nun Sondersituation als Richter, da
keine feste Arbeitszeit“ (N20). Auch der Wechsel innerhalb des eigenen Unter-
nehmens hat zum Ziel, zeitlich flexibler zu sein:
„Eine durchschnittliche Freistellung von neun Unterrichtsstunden pro Woche und der Ersatz
durch Kollegen ist auf Dauer nicht durchhaltbar. Daher musste ich meinen Arbeitsplatz wech-
seln. Meine originäre Tätigkeit als Hauptschullehrer übe ich derzeit nicht aus, stattdessen Tä-
tigkeit in der Schülerberatung“ (N7; ähnlich S23).

Auch aus der Berufsgruppe der Selbständigen suchten Ratsmitglieder einen


Arbeitsplatz als Angestellte, da sie die Umsatz- und Einkommensverluste nicht
kompensieren und ihr Unternehmen dadurch nicht halten konnten (vgl. F27).
Ziele dieser Arbeitsplatzwechsel sind somit vor allem eine bessere zeitliche
Abkömmlichkeit und Flexibilität. Viele dieser Ratsmitglieder hatten auf ihrem
alten Arbeitsplatz Kontakt zu Kunden und mussten während bestimmter Zeiten
präsent sein, andere waren mit ihrer Arbeit mit Kollegen in Teamstrukturen
eingebunden. Die Freistellung für die Ratstätigkeiten führte deswegen zu den
oben genannten Problemen mit Kollegen (z.B. Mobbing) oder mit den Vorge-
setzten, wie eine Ratsfrau erläutert:
„Ich bin dort besser abkömmlich, weil ich (...) die Arbeit jetzt besser selbst organisieren kann.
Im vorherigen Bereich habe ich mit Kunden zu tun gehabt, da ging es um die Beratung von
Kunden. (...) Und dort hatte ich eben viele Termine, auf die ich mich auch viel vorbereiten
musste. Und da war dann die Woche vor einem Verhandlungstermin auch richtig Stress und
dadurch war es eben sehr schwierig, sich dann dort zu verabschieden, sich freistellen zu las-
sen. Und das hat eben dort innerhalb der Gruppe zu Spannungen geführt“ (H32).
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 175

Durch den Wechsel des Arbeitsplatzes haben die Ratsmitglieder, die diese Stra-
tegie wählten, nun ein abgetrenntes Arbeitsfeld und arbeiten nicht mehr im
Team. Insofern schaffen sie sich durch den Wechsel des Arbeitsplatzes Rah-
menbedingungen, um abkömmlich zu sein und damit auch einfacher freigestellt
werden zu können.
Es stellt sich jedoch die Frage, warum die Ratsmitglieder diese Strategie
wählen und sich nicht für eine andere Lösungsmöglichkeit entscheiden. Im
Rahmen der Analyse der Interviews war auffallend, dass insbesondere diejeni-
gen Ratsmitglieder, die ihren Arbeitsplatz bzw. ihr Arbeitsfeld innerhalb des
Unternehmens gewechselt haben, sich im Vorfeld über die verschiedenen Alter-
nativen ausführlich Gedanken gemacht hatten. Einer der Hauptgründe waren die
oben erläuterten Probleme am Arbeitsplatz. Ein zweiter wichtiger Grund für die
Entscheidung, den Arbeitsplatz zu wechseln, ist, dass andere Strategien aus
unterschiedlichen Gründen nicht möglich oder umsetzbar waren. Gründe, sich
für den Wechsel des Arbeitsplatzes und damit beispielsweise gegen eine Redu-
zierung der Arbeitszeit zu entscheiden, liegen dabei in den hohen Opportuni-
tätskosten, die mit einer Reduzierung der Arbeitszeit verbunden sind. So geben
die Ratsmitglieder an, dass es für sie mit zu hohen finanziellen Einbußen ver-
bunden gewesen wäre und insofern diese Alternative für sie nicht in Frage kam:
„Bei mir würde das finanziell nicht ausreichen, wenn ich nur die Hälfte der
Bezüge erhalten würde, insbesondere hinsichtlich der Pension“ (N25). Insofern
sehen sie den Wechsel des Arbeitsplatzes als eine Lösungsmöglichkeit zur Ent-
spannung der Situation am Arbeitsplatz an, der für sie zwar eine Einschränkung
in der beruflichen Laufbahn darstellt, aber attraktiver als die Anwendung ande-
rer Strategien ist. Somit stellt der Wechsel des Arbeitsplatzes eine Kompromiss-
lösung dar.
Zur zweiten Gruppe zählen solche Ratsmitglieder, die von ihrem eigentli-
chen Beruf in einen politischen oder politiknahen Beruf wechseln, beispielswei-
se als Mitarbeiter bei Interessengruppen, insbesondere aber bei ihrer eigenen
Partei oder Fraktion. Diese Personen sind für ihre eigene Fraktion als Fraktions-
geschäftsführer, -mitarbeiter oder für die eigene Partei auf kommunaler bzw.
Landesebene tätig. Diese Strategie wird vor allem in Frankfurt verfolgt, wo, wie
unter 4.3.1.2 erläutert, Stadtverordnete gleichzeitig als Fraktionsgeschäftsführer
beschäftigt sind. Insofern sind dort hauptamtliche, politische Positionen verfüg-
bar, die von Fraktionsmitgliedern besetzt werden können. Weitere Positionen,
auf die Ratsmitglieder wechseln, sind die der Parteigeschäftsführer. Dabei ist
die Opportunitätsstruktur, d.h. die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Attraktivi-
tät solcher Positionen, entscheidend. Hinsichtlich der Verfügbarkeit kommt es
darauf an, wann und ob solche Positionen frei werden. So erläutert ein Stadtver-
ordneter aus Frankfurt:
176 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

„Als die Stelle [als Parteigeschäftsführer] hier frei geworden ist, hat mich der Parteivorsitzen-
de, der zu dem Zeitpunkt Fraktionsvorsitzender im Römer war, gefragt, ob ich die Stelle über-
nehmen möchte. (...) Und natürlich hatte das damit zu tun, dass er mich und meine Arbeit als
Stadtverordneter kannte und offensichtlich der Ansicht war, dass ich diesen Job ausführen
kann. (...) Er hat jemanden gesucht, der die Partei relativ gut kennt, die Personen in der Partei
und in der Stadtverordnetenfraktion kennt und der die kommunalen Themen kennt. Insofern
habe ich da ganz gut gepasst. Wäre ich nicht Stadtverordneter gewesen, hätte er mich nicht
gekannt, und dann hätte ich den Job wahrscheinlich auch nicht bekommen“ (F24).

Dieses Beispiel zeigt, dass es bei der Strategie des Wechsels des Arbeitsplatzes
in den politischen Bereich somit zum einen darauf ankommt, dass eine Position
verfügbar und der Person auch zugänglich ist. Zum anderen ist es wichtig, dass
die Position zu diesem Zeitpunkt für das Ratsmitglied auch attraktiv ist. Dies
wiederum ist von seiner persönlichen und beruflichen Situation abhängig. Dabei
geben die Ratsmitglieder, die diese Strategie gewählt haben, an, dass diese für
sie vor allem deshalb attraktiv war, weil sie es als Chance ansahen, eine Karriere
im politischen Sektor zu machen. Ein weiterer Grund ist auch hier die Proble-
matik in ihrem eigentlichen Beruf. Durch den Wechsel in die Politik können sie
nun leichter Beruf und Mandat vereinbaren und sich somit ganz auf die Politik
konzentrieren.
„Ich bin ja eigentlich Rechtsanwalt und als ich Stadtverordneter wurde, musste man sich in
der Kanzlei daran gewöhnen, dass ich sehr viel weg war. Und man kann eben immer nur eine
Sache machen und von daher musste mein Beruf schon zurückstecken. Das war auch für mich
nicht einfach, das zu vereinbaren. Und als die Position des Fraktionsgeschäftsführers frei wur-
de, wurde ich von meinen Kollegen gefragt. Ich habe es dann gemacht, weil es auch eine Er-
leichterung für mich war. Denn immer das schlechte Gewissen zu haben, dass man im Büro
nicht da ist, das frisst einen langsam auf“ (F23).

Als dritte Gruppe sind jene Ratsmitglieder zu nennen, bei denen die Wahl zum
Ratsmitglied bereits vor Beginn der Berufstätigkeit war bzw. gleichzeitig erfolg-
te, wie eine Stadtverordnete erläutert: „Ich bin direkt nach meiner mündlichen
Prüfung zur konstituierenden Versammlung gefahren“ (F2). Diese Ratsmitglie-
der geben an, dass sie sehr große Schwierigkeiten haben, einen Arbeitsplatz zu
finden unter der Voraussetzung, „dass er [der Arbeitgeber] sie freistellen muss“
(F2). Insofern ist das Ziel ihrer ‚Strategie’ ebenfalls, einen Arbeitsplatz zu fin-
den, der es ermöglicht, Beruf und Mandat zu vereinbaren. Im Unterschied zu
den anderen beiden Gruppen in der Kategorie ‚Strategie Wechsel des Arbeits-
platzes’ haben diese Ratsmitglieder jedoch eine andere Ausgangssituation: Sie
hatten zuvor noch keinen Arbeitsplatz. Allerdings geben die Ratsmitglieder an,
dass sie in ihrem Beruf, auf den die Ausbildung bzw. das Studium abzielt(e),
keinen Arbeitgeber finden, der bereit ist, sie als Ratsmitglied einzustellen. Das
Ziel ist also, durch einen eventuellen ‚Berufswechsel’ Beruf und Mandat zu
vereinbaren. Das Ergebnis ist mit der zweiten Gruppe ‚Wechsel in einen politi-
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 177

schen/politiknahen Beruf’ vergleichbar, da die Ratsmitglieder vermuten, dass


sie am ehesten in diesem Bereich einen Arbeitsplatz finden. Denn bei Interes-
sengruppen, Organisationen und Institutionen im politischen und politiknahen
Bereich stellt sich die Situation anders dar: So sehen es nach Einschätzung der
Ratsmitglieder Interessengruppen als vorteilhaft an, ein Ratsmitglied als Mitar-
beiter zu beschäftigen – wie oben bereits unter der Strategie ‚Freistellung’ dis-
kutiert und dargestellt wurde. Andere junge Ratsmitglieder arbeiten Teilzeit im
politischen Bereich:
„Als Berufseinstieg im juristischen Bereich gibt es kaum Teilzeitstellen und Selbständigkeit
ohne die nötige Zeit zu haben, ist zu risikoreich. (...) Jetzt arbeite ich stundenweise als
Wahlkreismitarbeiterin eines MdL“ (F2).

So stellt sich die Situation gerade für die jungen, nicht etablierten Ratsmitglie-
der als sehr schwierig dar. Diese sind jedoch bereit, berufliche Nachteile hinzu-
nehmen, um das Mandat ausüben zu können:
„Bisher denke ich, dass ich das Mandat auf jeden Fall beibehalten möchte. Ich würde dafür
auch weiterhin beruflich zurückstecken. (...) Aber es ist dann wohl im Endeffekt eine finan-
zielle Frage; wenn ich es finanziell nicht schaffe, geht es eben nicht anders“ (F2).

Neben diesem eher pragmatischen Grund, eine Einkommensquelle zu finden,


um weiterhin das Mandat ausüben zu können, haben viele dieser jungen Rats-
mitglieder Ambitionen auf eine politische Karriere – entweder als Mandatsträ-
ger auf einer höheren Ebene, in der Verwaltung, beispielsweise als kommunaler
Wahlbeamter, oder als Angestellter im politischen Bereich. So schätzen die
Ratsmitglieder in den Interviews, dass zwischen einem Viertel bis zu einem
Drittel der Ratsmitglieder
„ganz eindeutig aufbauen auf dem Kommunalmandat, um dann in andere politische Ämter zu
gelangen, insbesondere auf Bürgermeisterebene oder auf Landes- und Bundesebene“ (S13).

Dies deckt sich auch mit den Angaben, die die Ratsmitglieder im Rahmen der
schriftlichen Befragung zu ihren Karriereabsichten gemacht haben. So streben
12,8% der Ratsmitglieder nach eigenen Aussagen eine hauptamtliche Position
auf kommunaler Ebene an: 4,9% die Position des Oberbürgermeisters und 6,9%
einen Dezernentenposten. 21,6% der Ratsmitglieder wollen für ein professionel-
les Mandat auf einer höheren Ebene des politischen Systems kandidieren: 15%
für ein Landtagsmandat, 3,8% für ein Bundestagsmandat und 2,8% für ein Man-
dat im Europaparlament. Insgesamt strebt also mehr als ein Drittel der Ratsmit-
glieder eine politische Karriere an. Dabei ist der Anteil der Frankfurter Stadtver-
ordneten am höchsten: Hier wollen 39% der Stadtverordneten für ein Mandat
178 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

auf einer höheren Ebene kandidieren, während es in Stuttgart lediglich 4% der


Ratsmitglieder sind. Dies lässt sich unter anderem mit der beruflichen Situation
der Ratsmitglieder erklären: In Stuttgart ist der Anteil der Selbständigen sehr
hoch; eine Kombination mit einem Vollzeitmandat ist kaum machbar. In Frank-
furt hingegen ist der Anteil der Beschäftigten im politischen und politiknahen
Bereich relativ hoch. Gerade jene Berufsgruppen streben überdurchschnittlich
häufig eine vollständige Professionalisierung in der Politik an. Die Chancen, als
Stadtverordneter eine politische Karriere zu machen, sind gemäß einer Untersu-
chung in der Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt relativ gut (Becher
1997). So legten in der Wahlperiode 1989-1993 16 Mandatsträger ihr Mandat
als Stadtverordnete nieder, da sie „Führungspositionen in der Stadtverwaltung,
in der Rechtsaufsichtsbehörde oder auf höherer politischer Ebene übernahmen“
(Becher 1997:193). Dabei handelte es sich vor allem um Stadtverordnete, die
der Regierungskoalition angehörten (Becher 1997:199). Eine Ratsfrau erklärt, es
wäre „als junger Stadtrat nur dann zu rechtfertigen, solche Einschnitte im Beruf
hinzunehmen, wenn man eine politische Karriere anstrebt“ (S13). So sehen viele
der jüngeren Ratsmitglieder ihre Ratstätigkeit als einen wichtigen Schritt auf
ihrer ‚Ochsentour’ zu professionellen Mandaten auf höheren Ebenen des politi-
schen Systems an. Obwohl die Ratsmitglieder in dem von Unsicherheit gepräg-
ten politischen Geschäft natürlich ‚keine Garantie’ auf eine politische Karriere
haben, sind sie bereit, zum jetzigen Zeitpunkt ihren eigentlichen Beruf zu ver-
nachlässigen und finanzielle Einbußen mit dem Ziel einer späteren Kompensati-
on in Kauf zu nehmen.

5.3.1.5 Reduzierung der Mandatsausübung

Es ist bemerkenswert, dass nur 2,7% der Ratsmitglieder angeben, dass bei ihnen
der Beruf Vorrang vor dem Mandat hat und sie versuchen, lediglich ihre Freizeit
für dieses einzusetzen. Alle Ratsmitglieder, die diese Strategie zur Vereinbarkeit
von Beruf und Mandat verfolgen, sind Mitglieder des Stadtrats Hannover. Da
der Zeitaufwand in Hannover der geringste aller vier Städte ist und die Sitzun-
gen hauptsächlich am Nachmittag und am Abend stattfinden, scheint es in Han-
nover noch am ehesten möglich zu sein, das Mandat ohne große Veränderungen
im eigentlichen Beruf auszuüben.
„Ich kann es auch deshalb nicht, weil ich einen Hauptberuf daneben habe – und für mich ist
eben mein Hauptberuf noch etwas anderes – und daneben engagiere ich mich gerne in meiner
Stadt für einige Bereiche. Ich will es mir mit meinem Brötchengeber auch nicht dermaßen
verscherzen, dadurch dass ich ständig im Namen des Mandats unterwegs bin. (...) Daher setze
ich Prioritäten und beschränke mich im Wesentlichen auf Ausschusstermine und abendliche
Veranstaltungen“ (H18).
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 179

Es wird jedoch aus zwei Gründen vermutet, dass der Anteil der Ratsmitglieder,
die die Priorität auf den Beruf legen, höher ist als der in der schriftlichen Befra-
gung ermittelte Anteil: Zum einen ist es sozial nicht erwünscht, ein Mandat
nicht engagiert auszuüben, zum anderen stellt sich die Frage, wie ein Ratsman-
dat ‚richtig’ ausgeübt wird. Wie bei der Diskussion des Zeitaufwands bereits
diskutiert wurde (vgl. 4.1.3), liegt dies – mit Ausnahme der Pflicht zur Sitzungs-
teilnahme – im Ermessen der Ratsmitglieder. Gerade aufgrund des beschränkten
Zeitbudgets der meisten Ratsmitglieder führt dies dann – wie gezeigt – auch zu
einer unterschiedlichen Prioritätensetzung und teilweise auch zur Vernachlässi-
gung bestimmter Ratsaufgaben.
Die weitestgehende Reduzierung der Ratstätigkeit ist die Niederlegung des
Mandats. Es gibt keine genauen Angaben über die Anzahl der Ratsmitglieder,
die ihr Mandat während der Wahlperiode niederlegen. Aber in den Interviews
gaben die befragten Ratsmitglieder an, dass dies relativ selten vorkommt und sie
sich nur an zwei bis drei Ratsmitglieder während der letzten Wahlperioden erin-
nern können. In Nürnberg traten im Jahr 2003, ca. ein Jahr nach der Wahl des
neuen Stadtrats, zwei Ratsmitglieder aus Gründen der Nicht-Vereinbarkeit zu-
rück. Ein Grund für diese geringe Anzahl scheint zu sein, dass das Niederlegen
des Mandats einen hohen Ansehensverlust in der öffentlichen Meinung, in der
Partei und bei den Ratskollegen bedeutet:
„Also, wenn man da nach einem Jahr sagt, das habe ich mir ganz anders vorgestellt, so viel
Zeit habe ich gar nicht, ich trete zurück, dann ist das immer ein sehr schlechtes Zeichen, nicht
nur für die Bevölkerung, sondern auch innerhalb der anderen Mandatsträger. (...) Man kann
ihn eigentlich auch nicht mehr ernst nehmen, auch politisch nicht mehr“ (N23).

Es ist daher eher die Ausnahme, dass Ratsmitglieder zurücktreten. Diejenigen


Ratsmitglieder, die Beruf und Mandat zwar nicht vereinbaren können, aber
aufgrund des Ansehensverlustes nicht zurücktreten wollen, reduzieren dann ihre
Ratstätigkeiten auf ein Minimum:
„Die Leute können das auch ein Stück weit steuern, indem sie eben nur in einen oder zwei
Ausschüsse gehen und relativ wenige Repräsentationsaufgaben übernehmen; dann ist das mit
dem Beruf noch vereinbar. Aber dann ist eben die politische Beteiligung im Rat wie in der
Fraktion relativ gering und die Einwirkungsmöglichkeiten sind dann relativ gering“ (S22).

Diese Ratsmitglieder lassen sich in der Regel für die nächste Wahl nicht mehr
aufstellen. Diese Angaben werden in der Studie zu Mandatsniederlegungen auf
kommunaler Ebene von Becher bestätigt. „Wie die Ergebnisse (...) zeigen, ka-
men Parlamentsaustritte aus Gründen ‚beruflicher Belastung’ bzw. ‚beruflich
bedingtem Wohnortwechsel’“ (Becher 1997:188) sehr selten vor.
180 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

5.3.1.6 Weitere Strategien

Nicht-Ausübung des Berufs auf Zeit – Beurlaubung


4% der Ratsmitglieder lassen sich für die Dauer des Mandats von ihrem Arbeit-
geber beurlauben, um die notwendige Zeit für das Mandat zu haben. Auffallend
ist auch hier, dass diese Strategie nur in Stuttgart und Nürnberg angewendet
wird, und die entsprechenden Ratsmitglieder angeben, durch die Aufwandsent-
schädigung ihr fehlendes Einkommen (teilweise) kompensieren zu können. So
erläutert eine Stadträtin aus Stuttgart: „Ich hatte vorher eine Teilzeitstelle (...)
und habe die dann ganz aufgegeben, also Freistellung unter Wegfall der Bezü-
ge“ (S28). Eine zweite Gruppe, die unter die Strategie ‚Nicht-Ausübung des
Berufs’ gefasst wird, sind diejenigen, die sich statt einer Rückkehr in den Beruf
für die Übernahme eines Ratsmandats entscheiden. Diese Strategie ist vor allem
in Stuttgart vorherrschend. Dabei handelt es sich nach Angaben der Ratsmit-
glieder in der Regel um
„Frauen nach der Familienphase, (...) die Zeit [haben], die Kinder sind groß, und statt einer
beruflichen Beschäftigung, wo ein Widereinstieg ja auch sehr schwierig wäre, entscheiden sie
sich für die Politik als zweite Karriere“ (S16).

Da die Aufwandsentschädigung in Stuttgart relativ hoch ist, ist dies zum einen
finanziell attraktiv, zum anderen ist es „gerade auch für Frauen eine ganz große
Chance, es in der Kommunalpolitik zu etwas zu bringen“ (S13).

Einstellung zusätzlichen Personals


2,7% der Ratsmitglieder stellen neue Mitarbeiter ein. Dabei handelt es sich zum
einen um Selbständige, die Betriebe führen, in denen sie während der üblichen
Geschäftszeiten nicht abkömmlich wären. Durch diese Einstellung neuer Mitar-
beiter – dies sind in allen Fällen Geschäftsführer – sind die Stadträte zeitlich
abkömmlich. Zum anderen handelt es sich um Anwälte, die noch einen Sozius
mit in die Kanzlei genommen haben, um trotz der Fehlzeiten und der geringeren
Arbeitszeiten Büro und Mitarbeiter finanzieren können. So schaffen diese
Ratsmitglieder „Betriebsstrukturen (...), die ich sonst nicht geschafft hätte oder
wenn, dann mit dem Ziel, dass ich ein besseres wirtschaftliches Ergebnis erziele
(H23)“.

Vorruhestand
Eine weitere Strategie ist das frühzeitige Ausscheiden aus dem Beruf in den
Vorruhestand. 1,3% der Ratsmitglieder geben an, sich aus Gründen der Verein-
barkeit bewusst für den Vorruhestand entschieden zu haben. Die daraus entste-
henden finanziellen Nachteile können sie durch die Aufwandsentschädigung
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 181

kompensieren. Die Ratsmitglieder, die diese Strategie anwenden, sind bzw.


waren Fraktionsvorsitzende, die vorher bereits vollständig von ihrem Unter-
nehmen freigestellt waren und sich, sobald es möglich war, für den Vorruhe-
stand entschieden haben.

Arbeitslosigkeit
1,3% der Ratsmitglieder nehmen sogar die Arbeitslosigkeit in Kauf, um ihr
Mandat ausüben zu können.

5.3.2 Idealtypen

Wie die Analyse der einzelnen Strategien gezeigt hat, verändern die Ratsmit-
glieder durch die Anwendung der Strategien das Verhältnis von Beruf und Rats-
tätigkeit, um das skizzierte Dilemma zu lösen. Im Folgenden sollen zunächst
theoretisch Idealtypen entwickelt werden, die dieses Dilemma auf unterschiedli-
che Weise lösen. Diese Idealtypen unterscheiden sich danach, welche unter-
schiedlichen beruflichen Rahmenbedingungen die Ratsmitglieder für die Ver-
einbarkeit haben und welche Strategien sie dafür anwenden. In einem zweiten
Schritt werden die von den Ratsmitgliedern angewendeten Strategien den Ideal-
typen zugeordnet, um zu sehen, welche Idealtypen in der Realität am häufigsten
auftreten. Das erste Differenzkriterium zwischen den Idealtypen ist, ob das
einzelne Ratsmitglied aufgrund der Ausübung des Ratsmandats Probleme am
eigentlichen Arbeitsplatz hat. Unter den Idealtypus I fallen jene Ratsmitglieder,
die keine Probleme bei der Vereinbarung von Beruf und Mandat haben, da sie
abkömmlich sind: Darunter fallen zum einen jene, die einen hohen Grad an
zeitlicher Verfügbarkeit und wirtschaftlicher Abkömmlichkeit im Sinne Webers
haben (Weber 1994:43). Dies bedeutet, dass sie finanziell abgesichert und da-
durch nicht auf ein Einkommen aus der Politik angewiesen sind. Darunter fallen
beispielsweise Rentner und Hausfrauen. Zum anderen gehören dazu jene, die in
ihrem Beruf in hohem Grade flexibel und abkömmlich sind und die daher das
Mandat ohne Einschränkungen im Beruf ausüben können.
Falls sich jedoch aufgrund der politischen Aktivität Beruf und Mandat nur
schwer oder nicht vereinbaren lassen, haben jene Personen, so Borchert,
„aufgrund der zeitlichen Beanspruchung, welche die moderne Politik unweigerlich mit sich
bringt, die Alternative, entweder den bisherigen Beruf oder aber das politische Amt auszu-
üben“ (Borchert 2003:7).

Allerdings erfordert die Mandatsausübung in den untersuchten Großstädten


nicht die komplette Arbeitskraft. Der Zeitaufwand ist nicht so hoch, dass keine
182 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

weitere berufliche Tätigkeit mehr möglich wäre. Insofern lassen sich theoretisch
drei Möglichkeiten ableiten, wie die Ratsmitglieder das Dilemma lösen können:
Sie können zum einen ihre Prioritäten auf den Beruf setzen, sich zum anderen
für die Politik entscheiden, indem sie ihre Prioritäten dort setzen und sich indi-
viduell professionalisieren, und drittens können sie versuchen, einen Ausgleich
zwischen den beiden Sphären zu finden, der es ihnen erlaubt, beide Tätigkeiten
so gut wie möglich zu erledigen.

Abbildung 5.2: Idealtypen

Vereinbarkeit Beruf – Mandat

Typ I: Vereinbarungsprobleme
Keine Vereinbarungsprobleme Anwendung von Strategien

Typ II: Pro Beruf

Typ III: Ausgleich

Typ IV: Pro Politik

Zum Idealtypus II gehören jene Ratsmitglieder, die das Dilemma zwischen


Beruf und Mandat zugunsten des eigentlichen Berufs lösen. Dies kann bedeuten,
dass das Ratsmitglied in die Ausführung des Mandats nur so viel Zeit investiert,
wie es neben dem eigentlichen Beruf möglich ist – auch wenn das auf Kosten
der Ausführung des Mandats geht. Somit ist der Idealtypus II ein sog. Feier-
abendpolitiker, der das Mandat als nebenberufliches Ehrenamt begreift und
bereit ist, für das Mandat seine Freizeit zu opfern, aber nicht seinen Beruf. Wie
unter 4.1.3 gezeigt, erfordert die Ausübung eines Mandats jedoch einen sehr
hohen Zeitaufwand, vor allem aber auch Zeit während der üblichen Arbeitszei-
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 183

ten. Es stellt sich somit die Frage, wie diese Personen dies schaffen und welche
Einschnitte sie dabei bei der Ausübung des Mandats hinnehmen. Es ist zu er-
warten, dass es sich bei diesem Idealtypus eher um einen sog. ‚Hinterbänkler’
handelt, der keine besonderen Funktionen ausübt. Zudem gehören zum Idealty-
pus II auch Stadträte, denen es nicht möglich ist oder die nicht Willens sind,
Beruf und Mandat so zu organisieren, dass sie beides miteinander vereinbaren
können und die daher das Mandat während der Wahlperiode niederlegen.
Das Ratsmitglied kann sich idealtypisch um einen Ausgleich zwischen dem
Bereich der Mandatsausübung und jenem des Berufs bemühen, um so beide in
Einklang zu bringen. Der Idealtypus III vereinbart Beruf und Mandat mit dem
Ziel, beide Tätigkeitsbereiche gut zu erfüllen und dabei keinen der Bereiche
stark zu vernachlässigen. Somit soll sowohl der eigentliche Beruf beibehalten
als auch das Mandat gut ausgeführt werden. Dafür gibt es die folgenden Mög-
lichkeiten, mit denen die Ratsmitglieder die Vereinbarkeit erreichen können:

ƒ Einflussnahme auf die Organisation der Ratsarbeit: Eine Möglichkeit ist


der Versuch, die Ratsarbeit und die Sitzungszeiten so zu organisieren, dass
sie eine leichtere Vereinbarkeit mit dem Beruf ermöglichen. Dies könnte
beispielsweise dadurch erreicht werden, dass Sitzungen effizienter organi-
siert werden, so dass weniger Sitzungen während der Arbeitszeit stattfin-
den, bzw. die Sitzungen zeitlich so gelegt werden, dass sie außerhalb der
üblichen Arbeitszeit stattfinden. Diese Modifikationen sind jedoch nicht
von den einzelnen Ratsmitgliedern individuell zu erreichen, sondern müs-
sen von dem Kommunalparlament beschlossen werden108.
ƒ Reorganisation der fachlichen Arbeit: Eine andere Option, die Vereinbar-
keit zu erreichen, liegt darin, die eigentliche Arbeit so zu organisieren, dass
sie die Ausübung des Mandats erlaubt. Diese Lösungsmöglichkeit kann
von den Ratsmitgliedern individuell erreicht werden. Aufgrund der ange-
sprochenen Schwierigkeiten bei der zeitlichen Vereinbarung, wendet der
Idealtypus III individuelle Strategien an, durch die er vor allem die für das
Mandat erforderliche Abkömmlichkeit und Verfügbarkeit im Beruf erreicht
(‚Abkömmlichkeitsstrategien’). Dies kann dadurch erreicht werden, dass
die Ratsmitglieder ihre Arbeit so organisieren, dass sie beispielsweise nicht
zu bestimmten Zeiten am Arbeitsplatz sein müssen (z.B. Kundenkontakt)
und nicht in Teamstrukturen eingebunden sind. Auch die gesetzlich veran-
kerte Freistellung soll, wie erläutert, den Ratsmitgliedern die Vereinbarkeit
von Beruf und Mandat ermöglichen, ohne dass sie berufliche Nachteile ha-
ben.

108 Auf die Möglichkeiten der kollektiven Einflussnahme wird unter 6.1.2 näher eingegangen.
184 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

Zuletzt gibt es idealtypisch jene, die sich für das Mandat bzw. für die Politik
entscheiden und sich individuell professionalisieren (Idealtypus IV). Eine indi-
viduelle Professionalisierung kann dabei durch das Kumulieren des Mandats mit
anderen professionalisierten oder semiprofessionalisierten Ämtern erreicht wer-
den. Des Weiteren kann ein Mandatsträger sich durch die gleichzeitige Aus-
übung einer Angestelltenposition in einem Parlament, in Parteien oder Interes-
sengruppen individuell professionalisieren. Wie die Analyse des Professionali-
sierungsgrads des Amtes (vgl. 4.4.1) zeigt, sind die politischen Ämter in den
Großstädten teilweise bereits so hoch professionalisiert, dass die Mandatsträger
zumindest teilweise von der Politik leben können.

5.3.2.1 Realtypischer Strategieeinsatz

Im Folgenden wird nun untersucht, welchen Idealtypen die einzelnen Strategien


zuzuordnen sind. Dabei steht die Frage im Zentrum, ob die Ratsmitglieder ihre
Prioritäten auf den Beruf oder das Mandat setzen bzw. ob sie versuchen, einen
Ausgleich zwischen Beruf und Mandat zu erreichen. Des Weiteren wird analy-
siert, welche Prioritäten mehrheitlich in den einzelnen Städten gesetzt werden
und ob andere Idealtypen keine oder lediglich eine untergeordnete Rolle spielen.
Wie die Untersuchung der Strategie ‚Reduzierung der Mandatsausübung’
zeigt, lässt sich diese dem Idealtypus II zuordnen. So investieren die Ratsmit-
glieder nur so viel Zeit in ihr Mandat, wie es möglich ist, ohne im eigentlichen
Beruf zu große Einschnitte zu machen. Dabei ergab die Analyse, dass dies nur
in Hannover möglich erscheint, da dort die Sitzungen relativ spät beginnen und
insofern eine Ausübung des Mandats, ohne den Beruf zu vernachlässigen, noch
am ehesten möglich ist. Des Weiteren wurden unter dieser Kategorie jene Rats-
mitglieder gefasst, die das Mandat niederlegen, da sie den hohen Zeitaufwand
nicht mit ihrem Beruf vereinbaren können. Allerdings konnte gezeigt werden,
dass dies selten geschieht, da sich die Ratsmitglieder zum einen bewusst für das
Mandat entschieden haben und die Wahl in den Rat für sie einen Erfolg dar-
stellt. Zum anderen ist das Niederlegen des Mandats mit einem hohen Anse-
hensverlust in der Partei, aber auch in der Bevölkerung verbunden, so dass das
Niederlegen des Mandats vermieden wird.
Die Strategie ‚Gleitzeit/flexiblere Arbeitszeiten’ ist eindeutig dem Idealtyp
III zuzuordnen. Wie bereits oben erläutert, müssen die Ratsmitglieder zeitlich
flexibel und abkömmlich sein, da die Sitzungen häufig während der üblichen
Arbeitszeiten stattfinden. Diese Strategie ermöglicht damit auch Personen, die
eigentlich eine genau festgelegte und fremdbestimmte Arbeitszeit haben, die
notwendige zeitliche Abkömmlichkeit zu erreichen. Auch die ‚Einstellung zu-
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 185

sätzlichen Personals’ ist dem Idealtypus III zuzuordnen, da es sich dabei um


eine Strategie handelt, die es den Ratsmitgliedern durch die Schaffung neuer
Betriebsstrukturen erlaubt, zeitlich abkömmlich zu sein.
Bei der Strategie ‚Freistellung’ ist zu unterscheiden, wie viele Stunden die
Ratsmitglieder freigestellt werden. Wie gezeigt werden konnte, benötigt ein
Ratsmitglied für die Sitzungen während der üblichen Arbeitszeit – je nach Stadt
und Anzahl der Ausschüsse – zwischen 20 und 35% der Arbeitszeit. Das Recht
auf Freistellung ist gesetzlich verankert, damit die Ratsmitglieder das Mandat
ehrenamtlich und nebenberuflich ausüben können und dadurch keine berufli-
chen Nachteile entstehen. Eine Freistellung von weniger als 50% der Arbeitszeit
wird deshalb als eine Abkömmlichkeitsstrategie gewertet, da sie es den Rats-
mitgliedern erlaubt, die Sitzungen auch während der üblichen Arbeitszeit wahr-
zunehmen. Bei einer Freistellung von mehr als 50% wurde gezeigt, dass dabei
bereits von einer Professionalisierung der Ratsmitglieder gesprochen werden
kann. Diese Ratsmitglieder haben häufig Führungspositionen in der Fraktion
bzw. im Stadtrat inne. Dies bedeutet, dass sie einen sehr hohen Zeit- und Ar-
beitsaufwand haben, der es notwendig macht, sich den Großteil ihrer Zeit mit
der Politik zu beschäftigen. Um dies zu ermöglichen, werden sie von ihren Ar-
beitgebern zumeist komplett freigestellt. Dies kann somit als ein Professionali-
sierungskanal betrachtet werden, wie er während des Professionalisierungs-
prozesses auf der nationalen Ebene auftrat (vgl. 2.2.2.2). Ohne diesen ‚Kanal’
könnten diese Personen ihre herausgehobenen Funktionen nicht ausüben. Wie
die Ratsmitglieder in den Interviews ausführten, üben sie ihren Beruf praktisch
nicht mehr aus, sondern haben zum Teil nur noch ‚politiknahe’ Funktionen,
beispielsweise im Betriebsrat, inne. Dies führt daher zu einer Deprofessionali-
sierung vom eigentlichen Beruf. Faktisch sind diese Ratsmitglieder ‚Berufspoli-
tiker’, die zu einem Teil von der Stadt durch die Verdienstausfallentschädigung
und zum anderen Teil von ihrem Unternehmen für ihre politische Tätigkeit
bezahlt werden. Wie gezeigt wurde, ist die Anwendung dieser Strategie vor
allem abhängig von der Bereitschaft und dem Interesse des Arbeitgebers, das
Ratsmitglied freizustellen.
Beim ‚Wechsel des Arbeitsplatzes’ ist die Zuordnung schwieriger. Bei je-
nen Ratsmitgliedern, die den Arbeitsplatz innerhalb des gleichen Berufsfeldes
wechseln, stellt sich die Frage, welchem Idealtypus diese zuzuordnen sind. Auf
der einen Seite scheint auch hier das Ziel primär eine zeitliche Flexibilisierung
zu sein. Ein Arbeitsplatzwechsel ist dabei notwendig, da diese Personen in Ar-
beitsgebieten oder in Teams arbeiten, die eine Flexibilisierung nicht zulassen.
Auf der anderen Seite hat diese Gruppe relativ große Einschnitte beruflicher
Natur, die jedoch nicht zu einer politischen Professionalisierung führen. Die
Interviews haben jedoch gezeigt, dass die Ratsmitglieder dies als Kompromiss-
186 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

lösung empfinden, da sie Beruf und Mandat sonst nicht vereinbaren könnten,
eine Teilprofessionalisierung durch andere Strategien wie insbesondere durch
die Reduzierung der Arbeitszeit für sie jedoch nicht möglich bzw. nicht attraktiv
erscheint. So ist ein Arbeitsplatzwechsel als Abkömmlichkeitsstrategie anzuse-
hen und dem Idealtyp III zuzuordnen.
Der Wechsel in den politischen/politiknahen Bereich hingegen ist klar als
Professionalisierungsstrategie zu deuten und somit dem Idealtypus IV zuzuord-
nen: Die Ratsmitglieder wechseln von ihrem Privatberuf in eine bezahlte politi-
sche Vollzeittätigkeit. Gleichzeitig führt dies zu einer Deprofessionalisierung
von ihrem eigentlichen Beruf. Die wichtigsten Determinanten sind hierbei die
Verfügbarkeit und die Attraktivität solcher Positionen. Die dritte Gruppe, die
unter diese Strategie gefasst wurde, ist die der jungen Ratsmitglieder, die zum
Zeitpunkt der Mandatsübernahme noch keiner Berufstätigkeit nachgingen. Wie
erläutert, sind sie gezwungen, sich einen Arbeitgeber zu suchen, der bereit ist,
ein Ratsmitglied einzustellen – sofern sie nicht ihr Mandat niederlegen wollen.
Nach Angaben der Ratsmitglieder ist dies am ehesten im politi-
schen/politiknahen Bereich möglich. Des Weiteren streben nach Angaben der
Ratsmitglieder insbesondere viele der jungen Ratsmitglieder eine politische
Karriere an – vor allem als Abgeordnete in den Parlamenten der höheren Ebe-
nen und in Wahlämtern auf lokaler Ebene und sehen daher das Ratsmandat als
einen Schritt auf ihrer ‚Ochsentour’ an. Insofern kann dies aus zwei Gründen als
eine Professionalisierungsstrategie und individuelle Professionalisierung be-
trachtet werden: Zum einen leben diese Ratsmitglieder zum jetzigen Zeitpunkt
zumindest teilweise von der Politik, zum anderen ist es gleichzeitig eine Vorbe-
reitungsstrategie zu einer vollständigen Professionalisierung.
Wie die Analyse ergab, spielt die Strategie ‚Reduzierung der Arbeitszeit’
eine große Rolle. Diese Strategie führt zu einer Veränderung des Verhältnisses
von Privatberuf und Politik, das dazu führt, dass die Ratsmitglieder – zumeist
teilweise – von der Politik leben. Dabei wurden zwei Gruppen identifiziert: Zum
einen die abhängig Beschäftigten und zum anderen die Selbständigen/
Freiberufler. Bei den abhängig Beschäftigten zeigt sich, dass die Wahl dieser
Strategie vor allem von der Höhe der Aufwandsentschädigung abhängig ist. Bei
den abhängig Beschäftigten kann somit eindeutig eine Professionalisierung
festgestellt werden – diese Gruppe ist dem Idealtyp IV zuzuordnen.
Bei den Selbständigen gibt es im Vergleich zu den abhängig Beschäftigten
zwei Unterschiede: Erstens können sie ihre Arbeitszeit relativ variabel verrin-
gern, d.h. in Wochen, in denen keine Sitzungen sind, können sie Vollzeit arbei-
ten. Zudem haben sie auch keine Schwierigkeiten, bei einem Ausscheiden durch
Nicht-Aufstellung oder einem schlechten Wahlergebnis ihre Arbeitskraft wieder
voll ihrem Beruf zu widmen. Zweitens scheint hier die Attraktivität nicht so sehr
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 187

an der Höhe der Aufwandsentschädigung zu liegen, sondern vielmehr an den


Informationsflüssen und der Bekanntheit, die dieses Mandat mit sich bringt.
Allerdings hat die Analyse gezeigt, dass dies vor allem für die etablierten Selb-
ständigen/Freiberufler zählt. Junge, sich am Aufbau des Unternehmens befindli-
che, selbständige oder freiberufliche Ratsmitglieder haben große Schwierigkei-
ten mit der Vereinbarkeit und sind auf die Aufwandsentschädigung angewiesen.
Insofern muss bei der Zuordnung zu einem Idealtypus bei den Selbständigen
danach unterschieden werden, welchen Anteil die Aufwandsentschädigung am
Gesamteinkommen hat und ob die Ratsmitglieder darauf angewiesen sind. Bei
den jüngeren Selbständigen und Freiberuflichen ist dies, wie die Analyse ergab,
der Fall. Bei den älteren Ratsmitgliedern mit etablierten Unternehmen ist die
Zuordnung schwieriger. Teilweise handelt es sich hierbei um so genannte Hono-
ratioren, die in Webers Sinne abkömmlich sind und somit dem Idealtypus I
zuzuordnen sind. Allerdings gibt es auch hier Ratsmitglieder, die auf die Auf-
wands- und die Verdienstausfallentschädigung angewiesen sind und sich somit
individuell professionalisieren.
Die Strategie ‚Nicht-Ausübung des Berufs auf Zeit – Beurlaubung’ ist e-
benfalls eine Professionalisierungsstrategie und damit dem Idealtyp IV zuzu-
ordnen, da auch hier die Ratsmitglieder ‚von der Politik leben’. Sie stellt im
Unterschied zu der Reduzierung der Arbeitszeit noch eine höhere individuelle
Professionalisierung dar: Zum einen ist die Aufwandsentschädigung hier die
einzige Einkommensquelle, zum anderen führt eine vollständige Aufgabe des
Berufs – wenn auch nur auf Zeit – zu einer Deprofessionalisierung im eigentli-
chen Beruf, da die Ratsmitglieder für diesen Zeitraum ihren Beruf gar nicht
mehr ausüben. Auch die Strategie ‚Arbeitslosigkeit’ ist als Professionalisie-
rungsstrategie zu verstehen, da im Verhältnis Beruf – Mandat die Prioritäten so
gesetzt werden, dass für die Mandatsausübung die Berufsausübung – zumindest
für einen bestimmten Zeitraum – sogar aufgegeben wird. Dadurch findet insbe-
sondere bei einer längeren Arbeitslosigkeit eine Deprofessionalisierung vom
eigentlichen Beruf statt, und auch hier leben die Ratsmitglieder während der
Arbeitslosigkeit zumindest teilweise von der Politik. Wie bei der Strategie ‚Vor-
ruhestand’ festgestellt wurde, wird diese Strategie aktuell lediglich von Rats-
mitgliedern angewendet, die bereits zuvor komplett freigestellt waren. Insofern
waren sie eigentlich bereits vor der Anwendung der Strategie ‚Vorruhestand’
Vollzeit als Politiker tätig. Der Vorruhestand stellt damit eine Fortführung der
Professionalisierungsstrategie dar. Während sie jedoch zuvor von ihrem Unter-
nehmen ‚finanziert’ wurden und formal berufstätig waren, stellt dies nun eine
formale Beendung der Berufstätigkeit dar, die dazu führt, dass die Ratsmitglie-
der in Webers Sinne abkömmlich sind.
188 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

Zeitpunkt der Strategiewahl


Wie bereits erwähnt, wenden 85% der Ratsmitglieder mindestens eine Strategie
an – viele wenden allerdings mehrere an, entweder gleichzeitig oder nacheinan-
der. Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Mandat ist es daher interes-
sant zu untersuchen, wann die Ratsmitglieder welche Strategien anwenden bzw.
mit ihrem Arbeitgeber besprechen. Die Strategien ‚Freistellung’ und ‚Gleit-
zeit/flexiblere Arbeitszeit’, die darauf abzielen, abkömmlich zu sein, wurden
von mehr als 75% bereits vor der Aufnahme des Ratsmandats mit dem Arbeit-
geber abgesprochen. Aufgrund von Gesprächen mit Ratsmitgliedern und auch
aufgrund ihrer politischen Erfahrungen ist es den Bewerbern bereits bei der
Kandidatur und damit vor der Übernahme klar, dass ein Mandat in ihrer Groß-
stadt einen hohen Zeitaufwand erfordert, und sie für das Ratsmandat abkömm-
lich und flexibel sein müssen. Die weitergehenden Strategien werden hingegen
zu über 80% erst nach der Übernahme des Mandats, meist im Laufe der ersten
beiden Jahre, angewendet. Dafür geben die Ratsmitglieder vor allem zwei
Gründe an: Zum einen die Unterschätzung des Zeitaufwands für das Mandat (1)
und zum anderen die Probleme am Arbeitsplatz (2).

(1) Die große Mehrheit der Ratsmitglieder erläutert, dass sie nicht erwartet
haben, dass das Mandat so zeitaufwendig und die Vereinbarkeit mit dem Beruf
so schwierig ist. So haben sich die Ratsmitglieder, wie sie in den Interviews
relativ einheitlich angaben, vor der Kandidatur zwar bereits mit aktiven Rats-
mitgliedern unterhalten und sich dabei vor allem auch nach dem Zeitaufwand
erkundigt. Auch finden z.T. Informationsveranstaltungen der Fraktionen statt,
die darüber informieren. So erläutert beispielsweise der Fraktionsgeschäftsfüh-
rer der SPD in Nürnberg:
„Die SPD-Fraktion hat versucht, die Kandidaten für die Kommunalwahl 2002 sehr intensiv
vorzubereiten, (...) auch über die zeitliche Belastung. (...) Dort haben wir den potenziellen
Kandidaten dargestellt, was es bedeutet, Stadtrat zu sein, also die fachliche und die zeitliche
Belastung. Wir haben ihnen das auch an einer fiktiven Woche eines Stadtrats gezeigt. (...).
Aber das ist keine Sache, die im Kopf stattfindet. Man weiß es eben selbst erst, wenn man es
macht.“

Viele Ratsmitglieder sagen auch, dass sie sich von den Erklärungen und Darstel-
lungen nicht haben abhalten lassen, da sie sich nicht vorstellen konnten, dass es
so zeitaufwendig ist. Beispielsweise sagt eine Stadträtin aus Stuttgart:
„Ich habe es trotzdem gemacht, auch wenn mir gesagt wurde, dass drei Tage in der Woche
futsch sind. Weil man sich dann ja auch immer denkt, na ja, es wird schon irgendwie gehen.
Aber die ganzen Dinge, die es nach sich zieht, die kann man sich gar nicht vorstellen und aus-
rechnen. Man macht es dann ja trotzdem“ (S16).
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 189

Ein Stadtverordneter aus Frankfurt bestätigt dies in ähnlicher Weise:


„Natürlich gibt es die Informationen, wie hoch der Aufwand ist, wie der Ablauf aussieht, wel-
che Erwartungen an uns gestellt werden. Aber jemand, der in den Stadtrat möchte, den
schreckt das nicht ab. Weil viele eben sagen, jetzt warte ich erst einmal ab, wie es sich entwi-
ckelt und dann kommt es doch meist wesentlich massiver, wie man es erwartet – aber dann
sind sie schon mitten drin“ (F24).

(2) Wie auch bei der Analyse der einzelnen Strategien bereits festgestellt wur-
de, bekommen viele Ratsmitglieder Schwierigkeiten mit dem Arbeitgeber, mit
den Vorgesetzten und Kollegen – zumeist aufgrund der vielen Fehlzeiten, der
Teamunfähigkeit und der Freistellungen –, und auf der anderen Seite spüren sie
den Druck und die Erwartungen von Seiten der Fraktion und der Fraktionskolle-
gen, die einen vollen Einsatz für das Mandat erwarten. Daher befinden sich die
Ratsmitglieder in diesem Dilemma und sind gezwungen, entweder durch Strate-
gien Beruf und Mandat aufeinander abzustimmen oder aber ihr Mandat nieder-
zulegen. Wie erläutert, legen sehr wenige Ratsmitglieder ihr Mandat nieder. Die
meisten Ratsmitglieder entscheiden sich für eine Veränderung im eigentlichen
Beruf, um das Mandat so gut wie möglich ausüben zu können. So sagt eine
Stadträtin aus Nürnberg: „Einige wenige hören dann auf, die meisten nehmen
dann aber die beruflichen Konsequenzen in Kauf“ (N28).

Aufgrund dieser anfänglichen Unterschätzung des Arbeits- und Zeitaufwands


und der Probleme am Arbeitsplatz, wenden viele Ratsmitglieder somit hinter-
einander verschiedene Strategien an. Dabei gaben die Ratsmitglieder im Allge-
meinen an, zuerst die Abkömmlichkeitsstrategien angewendet zu haben, bevor
sie sich anschließend für weitergehende Strategien wie ‚Reduzierung der Ar-
beitszeit’ oder ‚Wechsel des Arbeitsplatzes’ entschieden. Zwei Beispiele sollen
diese Strategiewechsel verdeutlichen:
„Arbeitgeber muss freistellen, tut es aber nicht gerne; dann Verringerung der wöchentlichen
Arbeitszeit, später dann Kündigung und selbständige, stark reduzierte Tätigkeit als freiberufli-
che Journalistin“ (S28).

„Zuerst vom Arbeitgeber 20% der Arbeitszeit freigestellt, dann Einführung flexiblerer Ar-
beitszeiten und jetzt Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit auf Teilzeit“ (N14).

Wie zuvor gezeigt, sind nur wenige Ratsmitglieder nicht fähig oder willig ihre
konkrete Jobposition zu verändern und entscheiden sich, dem Beruf Vorrang zu
geben und das Mandat niederzulegen. Die große Mehrheit jedoch verändert ihre
konkrete Jobposition durch die Anwendung von Strategien. Während der ersten
beiden Jahre passen sie ihren Beruf den Mandatsanforderungen an und können
dadurch mehr Zeit für die Politik aufwenden. Die Ratsmitglieder sagen durch-
190 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

gängig, dass sie dadurch eine ‚Sondersituation’ erreicht haben, die es ihnen
erlaubt, das Mandat auszuüben. So geben die Ratsmitglieder in den Interviews
an, dass insbesondere jene, die schon länger im Stadtrat sind, Beruf und Mandat
so organisiert haben, dass sie beides vereinbaren können und dass die meisten
dabei eine Entscheidung zugunsten des Mandats gefällt haben.
„Wer länger im Rat ist, muss zwangsläufig irgendwann die Prioritäten zugunsten des einen
oder anderen setzen. Als Ratsmitglied hat man zumeist keine Karrierechancen mehr im eigent-
lichen Beruf, denn wenn man so häufig fehlt, wird man nicht mehr auf Fortbildungen ge-
schickt und bei Beförderungen nicht beachtet. Und sehr viele legen dann auch die Weichen für
das Stadtratsmandat, obwohl das ja eigentlich ‚nur’ ein Ehrenamt ist. Politik macht man ja
nicht, weil man dazu gezwungen wird, das macht man, weil man es will. Und deshalb sind
Klagen auch immer relativ zu sehen. Man macht das ja, weil es Spaß macht, weil man glaubt,
Einfluss zu haben. Und dafür nimmt man eben berufliche Nachteile in Kauf“ (S22).

Dies zeigt sich auch an der hohen Zahl der Ratsmitglieder, die anstreben, in der
nächsten Wahlperiode wieder als Ratsmitglied im Rat vertreten zu sein: So
wollen 89% der Ratsmitglieder wieder für den Rat kandidieren – in Nürnberg
sind es 100%, in Stuttgart 95% und in Hannover und Frankfurt jeweils 83%. Der
Großteil der Ratsmitglieder ohne erneute Kandidaturabsicht gibt an, aus Alters-
gründen nicht mehr antreten zu wollen.

5.3.2.2 Bedeutung der Idealtypen

Im Folgenden werden den Idealtypen die in der Realität vorkommenden Realty-


pen und Strategien zugeordnet. Wie bereits erläutert, fallen unter den Idealtyp I
jene Ratsmitglieder, die keine Vereinbarungsprobleme haben, da sie entweder
bereits eine ideale Berufsposition haben oder keinen Beruf ausüben. Wie die
Analyse der Sozialstruktur zeigte, ist knapp ein Fünftel der Ratsmitglieder heute
nicht berufstätig und hat damit momentan keine Vereinbarungsprobleme. Aller-
dings gehören zu diesen auch jene Ratsmitglieder, die zu einem früheren Zeit-
punkt einen Beruf hatten und teilweise auch Strategien angewendet haben. 7,3%
der Ratsmitglieder waren niemals berufstätig und gehören damit seit Beginn der
Ratstätigkeit zum Idealtyp I. Wie erläutert, befinden sich nur sehr wenige Rats-
mitglieder (6%) bei der Übernahme des Mandats in einer Berufsposition, die
eine Vereinbarkeit ohne Probleme ermöglicht. Dabei zeigte sich, dass dies zum
einen Personen mit einem Beruf im politischen/politiknahen Bereich sind. Zum
anderen sind es Teilzeit Beschäftigte bzw. Berufsgruppen wie Lehrer, die wäh-
rend der Hälfte des Tages zeitlich flexibel und abkömmlich sind. Des Weiteren
gehören jene selbständigen Ratsmitglieder dazu, die wirtschaftlich abkömmlich
sind. Zum Idealtyp I gehören also in der Realität ca. 25% der Ratsmitglieder.
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 191

Zum Idealtyp II (Vorrang des Berufs) gehört lediglich die Strategie ‚Reduzie-
rung der Mandatsausübung’. Es wird vermutet, dass die Anzahl der Ratsmit-
glieder, die dies in der schriftlichen Befragung und in den Leitfadeninterviews
angegeben haben, als zu niedrig einzuschätzen ist. Allerdings zeigt sich, dass
alle anderen Strategien zu einer Veränderung im eigentlichen Beruf führen. Dies
ist ein Zeichen dafür, dass ein sehr hoher Anteil der Ratsmitglieder ihr Mandat
so gut wie möglich ausüben will und dafür Veränderungen im eigentlichen Be-
ruf hinnimmt. Die Analyse der einzelnen Strategien machte jedoch deutlich,
dass die Stärke der Prioritätensetzung nicht nur zwischen den Strategien, son-
dern auch innerhalb der Strategien variiert. Dies erschwert es, festzustellen,
inwiefern Ratsmitglieder, die z.B. wenige Stunden pro Woche freigestellt wer-
den, nicht doch dem Beruf den Vorrang geben. Zudem ist es schwierig zu defi-
nieren, was unter guter Mandatsausübung zu verstehen ist. Selbst wenn der reale
Anteil derjenigen, die die Priorität auf den Beruf setzen, eventuell höher ist als
dies die Ratsmitglieder angaben, so kann dennoch festgestellt werden, dass
dieser Idealtypus von geringer Bedeutung ist. Lediglich 3% der Ratsmitglieder
gehören nach den vorliegenden Erkenntnissen zum Idealtypus II.
Zum Idealtypus III zählen jene Ratsmitglieder, die einen Ausgleich zwi-
schen Beruf und Mandat herstellen. Wie die Analyse zeigt, gehören dazu jene
Ratsmitglieder, die von ihrem Arbeitgeber freigestellt werden, die ihren Ar-
beitsplatz innerhalb ihres eigentlichen Berufs wechseln und jene, die mit ihrem
Arbeitgeber eine flexible Arbeitszeit vereinbaren. Hinzu kommen jene selbstän-
digen Ratsmitglieder, die durch die Einstellung von neuen Mitarbeitern Be-
triebsstrukturen schaffen, um beides vereinbaren zu können. Wie jedoch erläu-
tert wurde, wenden viele Ratsmitglieder mehrere Strategien an. Insofern zählen
zum Idealtyp III nur jene, die neben diesen Strategien keine Professionalisie-
rungsstrategien anwenden. Somit gehören in der Realität diesem Typus ca. 23%
der Ratsmitglieder an.
Die Analyse hat ergeben, dass 49% der Ratsmitglieder in den vier Städten
mindestens eine Professionalisierungsstrategie anwenden und sich insofern
individuell professionalisieren. So gehört knapp die Hälfte der Ratsmitglieder
dem Idealtypus IV an. Diese individuelle Professionalisierung wird unter 5.3.3.
genauer analysiert. Zusammenfassend ist an dieser Stelle zu betonen, dass die
Realität eine asymmetrische Verteilung der Idealtypen aufzeigt.

5.3.3 Individuelle Professionalisierung in den vier Städten

Bisher wurde untersucht, welche Strategien von den Ratsmitgliedern am häu-


figsten angewendet werden; das Individuum stand also im Zentrum der Unter-
192 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

suchung. Im Folgenden wird nun die Perspektive geändert und untersucht, ob


die unterschiedlichen institutionellen Opportunitätsstrukturen, der unterschiedli-
che Professionalisierungsgrad der Institution und der Ämter einen Einfluss auf
die Wahl der Strategien haben. Daher wird nun die Perspektive auf die einzel-
nen Städte mit ihren unterschiedlichen Rahmenbedingungen gelegt. Welche
Strategien sind dominant? Spielen bestimmte Idealtypen in manchen Städten
eine andere Rolle als in anderen? Welche Rahmenbedingungen sind für die
Strategiewahl und den Grad der individuellen Professionalisierung entschei-
dend? Welche unterschiedlichen und gemeinsamen Entwicklungen sind erkenn-
bar? Dabei wird für jede Stadt ein ‚Stadtratsprofil’ entwickelt werden, indem
sowohl die Sozialstruktur als auch die Strategiestruktur, die institutionelle Op-
portunitätsstruktur analysiert werden.
Wie erläutert wurde, wenden einige Ratsmitglieder auch mehrere Strate-
gien gleichzeitig oder nacheinander an, um Mandat und Beruf zu vereinbaren.
Im Folgenden wird nun analysiert, wie hoch der Anteil der Ratsmitglieder ist,
die mindestens eine Professionalisierungsstrategie anwenden und sich dadurch
individuell professionalisieren. Des Weiteren soll geklärt werden, wie hoch
dabei der Grad der individuellen Professionalisierung ist. Die oben diskutierte
Hypothese war, dass in jenen Städten mit einem höheren Professionalisierungs-
grad des Amtes sich die Ratsmitglieder auch eher individuell professionalisie-
ren.
Die Analyse hat dabei ergeben, dass 49% der Ratsmitglieder in den vier
Städten mindestens eine Professionalisierungsstrategie anwenden und sich inso-
fern individuell professionalisieren. Wenn man die Professionalisierungsstrate-
gien nach den Untersuchungsstädten differenziert, ergibt sich eine Aufteilung,
wie in Tabelle 5.6 dargestellt. Dabei zeigt sich, dass diese Verteilung die An-
nahme bestätigt. So haben die Städte Nürnberg und Stuttgart, die, wie unter
4.4.1 erläutert, den höchsten Grad der Professionalisierung auf der Ebene des
politischen Amtes haben, auch den höchsten Grad an Ratsmitgliedern, die sich
individuell professionalisieren. Mit 61,3% in Stuttgart und 60% in Nürnberg
professionalisieren sich damit fast zwei Drittel aller Ratsmitglieder, während
sich in Hannover als Stadt mit dem geringsten Grad an Professionalisierung des
Amtes ‚lediglich’ etwas mehr als ein Drittel der Ratsmitglieder individuell pro-
fessionalisiert. Es wird vermutet, dass die Unterschiede zum einen aufgrund der
Notwendigkeit der individuellen Professionalisierung entstehen: Wie gezeigt,
sind gerade die zeitlichen Ansprüche des Mandats in Nürnberg und Stuttgart
höher als in den beiden anderen Städten, vor allem auch bezüglich der zeitlichen
Lage der Sitzungen, die stark mit den ‚normalen’ Arbeitszeiten kollidieren. Des
Weiteren sind in diesen beiden Städten die Aufwandsentschädigungen – wie
gezeigt werden konnte – bereits auf einem Niveau, das es für manche (Berufs-)
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 193

Gruppen attraktiv macht, sich individuell zu professionalisieren. Es wird im


Folgenden untersucht, ob in den jeweiligen Städten unterschiedliche Professio-
nalisierungsstrategien dominieren und, wenn ja, welche und aus welchen Grün-
den. Welche gemeinsamen Entwicklungen kann man in den vier Städten erken-
nen? Wo liegen die Unterschiede?

Tabelle 5.6: Anteil der Professionalisierungsstrategien

Ratsmitglieder mit Professionalisierungsstrategie


Stuttgart 61,3%
Hannover 36,8%
Frankfurt 42,2%
Nürnberg 60,0%
Gesamt 49,0%

Aufgrund der niedrigen Aufwandsentschädigung in Hannover ist es fraglich,


wie sich dort 36,8% der Ratsmitglieder professionalisieren können. Die domi-
nierenden Strategien in Hannover sind die Abkömmlichkeitsstrategien ‚Gleit-
zeit/flexiblere Arbeitszeiten’, ‚(normale) Freistellung’ und der ‚Wechsel des
Arbeitsplatzes innerhalb des Berufsfeldes’ (15,8%) und die Professionalisie-
rungsstrategien ‚Professionalisierung durch Freistellung’ (21,1%), und der ‚Vor-
ruhestand’ (5,3%). Die Interviews mit den Ratsmitgliedern zeigten, dass in
Hannover die Aufwandsentschädigung zu gering ist, als dass es für die Ratsmit-
glieder möglich, geschweige denn attraktiv ist, die Arbeitszeit zu reduzieren
(vgl. 5.3.1.2). Daher reduzieren auch sehr wenige Ratsmitglieder ihre Arbeits-
zeit. Diejenigen Ratsmitglieder, die das tun, sind freiberuflich tätig bzw. selb-
ständig und können diese Strategie relativ variabel einsetzen. Von den abhängig
Beschäftigten haben hier lediglich zwei ihre Arbeitszeit reduziert. Wie oben
erläutert, würde ein Teil der abhängig beschäftigten Ratsmitglieder zum Abbau
von Stress und Problemen am Arbeitsplatz bei einer Aufwandsentschädigung in
der Höhe, wie sie in Nürnberg oder Stuttgart bezahlt wird, ihre Arbeitszeit redu-
zieren. Mit der in Hannover gewährten Aufwandsentschädigung können sie es
sich nicht leisten. Die Folge daraus ist, dass die Ratsmitglieder entweder ihren
Arbeitsplatz wechseln oder darauf angewiesen sind, dass sie einen Arbeitgeber
haben, der bereit ist, sie großzügig oder sogar komplett freizustellen. Insbeson-
dere die Fraktionsvorsitzenden in Hannover können durch eine sehr großzügige
Freistellung ihre Funktion und das Mandat wahrnehmen. Ohne diese informelle
Professionalisierung, diesen Professionalisierungskanal, wäre es ihnen nicht
194 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

möglich, die Funktion wahrzunehmen. Vergleichbares lässt sich für die Strate-
gie ‚Vorruhestand’ feststellen. Der geringere Grad an individueller Professiona-
lisierung kann also zum einen aufgrund der vergleichsweise niedrigen Auf-
wandsentschädigung erklärt werden. Zum anderen ist der Druck auf die Rats-
mitglieder, sich ‚beruflich’ anzupassen, aufgrund der Lage der Sitzungen am
späten Nachmittag und der geringeren Anzahl an Sitzungen nicht so hoch wie in
den anderen Untersuchungsstädten.
Nürnberg hat, wie unter 4.4.1 gezeigt, einen hohen Professionalisierungs-
grad des Amtes. Bei der Betrachtung der Strategien fällt auf, dass sich die Ab-
kömmlichkeitsstrategien ungefähr im gleichen Rahmen wie in Hannover bewe-
gen. So werden 68,9% aller Ratsmitglieder freigestellt (88% der abhängig Be-
schäftigten), 20% vereinbaren Gleitzeit bzw. flexiblere Arbeitszeiten und 17,1%
wechseln ihren Arbeitsplatz. Einen großen Unterschied gibt es allerdings hin-
sichtlich der Professionalisierungsstrategien. So spielt hier die Reduzierung der
Arbeitszeit eine bedeutende Rolle: 51,4% der Ratsmitglieder reduzieren ihre
Arbeitszeit; betrachtet man nur die abhängig Beschäftigten, sind es 44%. Die
Analyse ergab, dass dies zum einen vor allem weibliche Ratsmitglieder sind,
zum anderen Ratsmitglieder der kleinen Fraktionen. Dabei betonten die weibli-
chen Ratsmitglieder, dass die Aufwandsentschädigung höher ist als ihr ur-
sprüngliches Einkommen. In den kleinen Fraktionen wurde vor allem der hohe
Zeitaufwand als Grund für die individuelle Professionalisierung genannt. Für
diese Ratsmitglieder ist folglich eine individuelle Professionalisierung attraktiv.
Auch die sehr großzügige Freistellung der Ratsmitglieder von über 50% der
Arbeitszeit spielt eine bedeutende Rolle: 20% der Ratsmitglieder werden fast
vollständig von ihrem Arbeitgeber freigestellt.
Stuttgart hat einen noch höheren Grad der Professionalisierung des Amtes
als Nürnberg. Wie bei den Berufen bereits erläutert, hat Stuttgart einen sehr
hohen Anteil an Selbständigen und Freiberuflern. Dies erklärt den hohen Anteil
der Ratsmitglieder, die ihre Arbeitszeit im eigentlichen Beruf reduziert haben:
54,9% der Ratsmitglieder geben an, dass sie ihre Arbeitszeit aufgrund des Man-
dats reduziert haben – 59% dieser Ratsmitglieder, die ihre Arbeitszeit reduzie-
ren, sind selbständig/freiberuflich tätig. Im Vergleich zu den anderen Städten, in
denen in diese Gruppe vor allem die Freiberuflichen – insbesondere die Rechts-
anwälte – fallen, spielt in Stuttgart das mittelständische Gewerbe eine große
Rolle und hat eine lange Tradition. Wie diskutiert, gibt es für die Selbständigen
dabei auch Synergieeffekte, die zum einen in den besseren Informationsflüssen
liegen, aber auch an der wachsenden Bekanntheit und Außenwirkung, die die
Ausübung des Mandats für diese Berufsgruppe attraktiv macht. Die meisten
dieser Unternehmer, so die Ratsmitglieder in den Interviews, sind beruflich
‚gesettelt’ und eigentlich nicht mehr Vollzeit in ihrem Unternehmen tätig, da sie
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 195

dieses beispielsweise bereits an ihre Kinder weitergegeben haben. Hinzu kom-


men 9,7% der Ratsmitglieder, die für die Zeit der Mandatstätigkeit beurlaubt
sind bzw. für die wenigen Stunden, die sie noch arbeiten, nur nach Anwesenheit
bezahlt werden. Insofern reduzieren in Stuttgart 64,6% der Ratsmitglieder ihre
Arbeitszeit. Der ‚Wechsel des Arbeitsplatzes’ ist mit 19,4% ebenfalls eine häu-
fige Strategie. Diese wird insbesondere von Frauen angewendet, die häufig von
einer Festanstellung in die Freiberuflichkeit wechseln. Die beiden Abkömm-
lichkeitsstrategien ‚Freistellung’ und ‚Gleitzeit/flexiblere Arbeitszeiten’ werden
insgesamt gesehen relativ selten eingesetzt. Dies erklärt sich jedoch zum einen
aus dem im Vergleich zu den anderen Städten relativ geringen Anteil an abhän-
gig Beschäftigten. Setzt man die Freistellung lediglich in Bezug zu den abhän-
gig Beschäftigten und nicht zu dem ganzen Rat, werden auch hier über 70% der
Angestellten für die Sitzungen freigestellt; 47% der Angestellten haben Gleitzeit
mit ihrem Arbeitgeber vereinbart. Eine weitere große Gruppe, die bereits unter
der Strategie ‚Nicht-Ausübung des Berufs’ diskutiert wurde, sind die Frauen
nach der Familienphase, die für das Mandat darauf verzichten, wieder in ihren
alten Beruf einzusteigen. So zeigt sich also, dass in Stuttgart sehr viele Ratsmit-
glieder ihren Beruf nicht mehr voll ausüben. So vermutet eine Stadträtin:
„Ich glaube, wenn man hinter die Fassade schaut, wenn sie mal genau hinter die Berufe
schauen, die die 60 Stadträte angeben, da sind gerade mal 10% wirklich voll berufstätig –
mehr sind es nicht“ (S13).

Eine andere Stadträtin sagte: „Außer mir gibt es in der Fraktion keinen, der voll
berufstätig ist“ (S16). Die unterschiedlichen Zeitressourcen durch den Status der
Berufstätigkeit spiegeln sich auch im Verhältnis unter den Stadträten wider. So
zeigt sich, dass insbesondere die Berufstätigen von der Fraktion unter Druck
gesetzt werden, ihr Mandat richtig auszuüben und auch tagsüber einige reprä-
sentative Aufgaben zu übernehmen: „Da kommt häufig der Vorwurf, du be-
kommst dein Gehalt, wir Armen sind nur von der Aufwandsentschädigung ab-
hängig und stürzen uns voll in die Arbeit rein“ (S16). So gebe es karrieremäßig
„Doppelreflexe, da sie im Unternehmen der Politiker sind und hier im Rathaus
sind sie derjenige, der nie da ist“ (S16).
In Frankfurt reduzieren im Vergleich zu den Ratsmitgliedern in Stuttgart
und Nürnberg relativ wenige Ratsmitglieder ihre Arbeitszeit: Insgesamt sind es
28,9% aller Ratsmitglieder. Wie bereits erläutert, spielt hier durch die Verfüg-
barkeit der Ämter des Fraktionsgeschäftsführers, die aus dem Kreis der Stadt-
verordneten gesucht werden, der Wechsel in den politischen Sektor eine ver-
gleichsweise bedeutende Rolle. In Frankfurt sind 26,7% und damit mehr als ein
Viertel der Stadtverordneten nicht berufstätig und insofern per se abkömmlich.
Dies deckt sich auch mit den Angaben der Stadtverordneten: „Ein Drittel der
196 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

Stadtverordneten sind Rentner und Hausfrauen, die haben natürlich wenig Prob-
leme“ (F24). 22,2% der Ratsmitglieder waren bereits zu Beginn ihres Mandats
lediglich Teilzeit beschäftigt.
„Wir haben ja in unseren Fraktionen einen nicht unerheblichen Anteil an Frauen, die im Prin-
zip nicht voll berufstätig sind oder einer Teilzeit-Beschäftigung nachgehen. Die können es
hervorragend vereinbaren. Oder die Älteren/die Freiberuflichen: Wir haben viele, die das be-
reits eine lange Zeit machen, die sind fertig mit ihrem Beruf, die sind häufig nur noch halbbe-
ruflich tätig“ (F18).

Durch die Professionalisierungsstrategien, insbesondere die Reduzierung der


Arbeitszeit, hat sich diese Gruppe noch vergrößert. Des Weiteren spielt in
Frankfurt der politische/politiknahe Sektor eine große Rolle. Hieraus wird eben-
falls mehr als ein Viertel der Stadtverordneten rekrutiert. Dieser Professionali-
sierungskanal ist somit dem unter 2.2.2.2 für die nationale Ebene festgestellten
sehr ähnlich. Diese Stadtverordneten sind de-facto bereits Berufspolitiker bzw.
Interessenvertreter bei sozialen Trägern und Interessengruppen.
„Ein Drittel bis die Hälfte der Stadtverordneten hat einen Teilzeitberuf oder einen Beruf, der
so flexibel ist, dass sie sich darauf einstellen können. Die können sich ihren Zeitplan selbst
schustern bzw. haben häufig einen Arbeitgeber, der das gerne sieht“ (F8).

So verstehen viele Organisationen die Unterstützung eines Stadtverordneten als


direktes Lobbying. Auch in Frankfurt sind, vergleichbar mit den Erkenntnissen
für Stuttgart, lediglich wenige Stadtverordnete Vollzeit berufstätig.
„Die restlichen Ratsmitglieder – ein kleinerer Anteil – sind voll im Berufsleben eingespannt,
die haben richtig Probleme, (...) die kommen zu spät zur Sitzung, die klagen, die lehnen Ter-
mine ab, weil sie sagen ‚Ich kann es nicht machen’ und die sind genauso schlecht vorbereitet
wie ich“ (F24).

Allerdings wurde in den Interviews deutlich, dass dies vor allem jene Ratsmit-
glieder sind, die noch nicht so lange im Rat sind und noch nicht die Weichen für
die Politik gelegt haben.

5.4 Einflussfaktoren für die Wahl der Strategien

Die Analyse der Strategien zur Vereinbarkeit von Beruf und Mandat hat gezeigt,
dass die Anwendung bestimmter Strategien vor allem von den beiden Faktoren
‚Individuelle Berufsposition’ und ‚Rahmenbedingungen des Mandats’ sowie
dem Wechselspiel zwischen diesen beiden Faktoren abhängig ist. Bei der indi-
viduellen Berufsposition sind dabei zum einen ‚harte Faktoren’ wie die Art der
Tätigkeit und die Rahmenbedingungen der Ausübung entscheidend: So gibt es
5.4 Einflussfaktoren für die Wahl der Strategien 197

jene Ratsmitglieder, die in ihrer Ausübung bereits flexibel sind, selbstbestimmt


arbeiten und somit gute Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit haben. Eine
zweite Gruppe sind jene Ratsmitglieder, die durch Abkömmlichkeitsstrategien
wie Freistellung und Gleitzeit diese Situation erreichen können. Schließlich gibt
es jene Ratsmitglieder, die weitere Veränderungen benötigen wie z.B. den
Wechsel des Arbeitsplatzes und die Verringerung der Arbeitszeit, um Beruf und
Mandat vereinbaren zu können. Zweitens sind eher ‚weiche Faktoren’ wie die
Einstellung der Arbeitgeber und Vorgesetzten zum ehrenamtlichen Engagement
wichtig, wie unter der Strategie ‚Freistellung’ am Beispiel des Hannoveraner
Ratsherrn gezeigt wurde. Wenn sie die Mandatsausübung unterstützen – auch
aus eigenen Interessen –, können leichter informelle Arrangements gefunden
werden. Bezugnehmend auf die generelle Annahme in der Literatur würde man
erwarten, dass die Einstellung auch vom Berufssektor abhängig ist, aber wie der
Vergleich zwischen den Sektoren gezeigt hat, sind keine signifikanten Unter-
schiede festzustellen.
Bezüglich der Rahmenbedingungen des Mandats sind insbesondere zwei
Faktoren für die Vereinbarkeit entscheidend: Zum einen der Zeitaufwand für
das Mandat und die zeitliche Lage der Sitzungen, zum anderen die Höhe der
Aufwandsentschädigung. Die vier untersuchten Städte sind bezüglich dieser
Rahmenbedingungen Extremfälle unter den deutschen Großstädten. Daher wird
aufbauend auf den Stadtratsprofilen der einzelnen Städte zusammenfassend
diskutiert, welche Rahmenbedingungen die Anwendung individueller Strategien
begünstigen: Hinsichtlich der Abkömmlichkeitsstrategien ‚Gleitzeit/flexiblere
Arbeitszeiten’ und ‚Freistellung’ sind keine signifikanten Unterschiede zu beo-
bachten – diese werden in allen vier Städten in gleich hohem Maße angewendet.
Unterschiede gibt es jedoch bei den weitergehenden Strategien. Dabei zeigt
sich zum einen, dass der Idealtypus IV, also die Anwendung von Professionali-
sierungsstrategien, in den Städten mit einer vergleichsweise hohen Aufwands-
entschädigung bedeutend häufiger vorkommt als in den anderen Städten. So
liegt der Anteil der Ratsmitglieder, die Professionalisierungsstrategien anwen-
den und sich damit individuell professionalisieren, in Stuttgart und Nürnberg bei
60%, während er in den anderen beiden Städten bei 36 bzw. 40% liegt. Wie die
Analyse zeigte, ist es insbesondere in Stuttgart und Nürnberg für einen höheren
Anteil an Ratsmitgliedern attraktiv, sich individuell zu professionalisieren. So
ist in Städten mit hoher Aufwandsentschädigung die Strategie ‚Reduzierung der
Arbeitszeit’ die dominante Strategie, während sich in den anderen Städten die
Ratsmitglieder vor allem andere Strategien suchen, um die Vereinbarkeit zu
ermöglichen: Strategien, die das Einkommen nicht direkt beeinflussen wie zum
Beispiel der ‚Wechsel des Arbeitsplatzes’, die Professionalisierung durch ‚kom-
plette Freistellung’ und der ‚Vorruhestand’.
198 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik

Wie die Analyse der Handlungsmuster gezeigt hat, sind sich die Ratsmitglieder
bei der Wahl der einzelnen Strategien über die unterschiedlichen ‚Wahlmög-
lichkeiten’ bewusst. Zunächst prüfen sie, welche Strategien für sie zugänglich
und verfügbar sind. So geben die Ratsmitglieder an, dass bestimmte Strategien
für sie nicht in Frage kommen, weil beispielsweise eine Reduzierung der Ar-
beitszeit bei ihnen nicht möglich ist. So ist beispielsweise beim Öffentlichen
Dienst in Bayern festgelegt, dass nur unter bestimmten Umständen wie bei Kin-
dererziehung oder ab einem bestimmten Alter die Arbeitszeit reduziert werden
kann. Auch ein Arbeitsplatzwechsel innerhalb des gleichen Unternehmens auf
einen Arbeitsplatz, der eine zeitliche Flexibilisierung erlaubt, ist nicht immer
möglich. Bei dem Wechsel in den politischen bzw. politiknahen Bereich stellt
die Verfügbarkeit von Positionen noch ein wichtigeres Kriterium dar. In einem
zweiten Schritt wägen die Ratsmitglieder bewusst zwischen den einzelnen Stra-
tegien ab, die ihnen zugänglich und verfügbar sind, und entscheiden sich für
jene, die für sie am attraktivsten ist.
Resümierend bleibt festzustellen, dass ein Ratsmandat in einer Großstadt
heutzutage schwer ehrenamtlich und nebenberuflich auszuüben ist. Die Ergeb-
nisse der Analyse unterstützen diese Einschätzung deutlich: Über 85% der
Ratsmitglieder setzen individuelle Strategien ein, um eine Vereinbarkeit von
Beruf und Mandat zu realisieren, 49% professionalisieren sich durch die An-
wendung von Professionalisierungsstrategien individuell und befinden sich
damit in einer Situation zwischen Ehrenamt und Berufspolitik.
6 Entwicklungslinien und strategische Optionen in
den Großstädten

In der vorliegenden Studie wurde der Professionalisierungsprozess analysiert


und eine generelle Tendenz zu einer Professionalisierung in den deutschen Groß-
städten festgestellt. Dabei zeigten sich in den verschiedenen Städten unterschied-
liche Professionalisierungsarten und -grade. Wie unter 5.3 gezeigt wurde, wen-
den die Ratsmitglieder bisher individuelle Strategien an, um das unter 2.1.2.6
skizzierte Dilemma zu lösen. Denkbar wären aber auch kollektive Lösungen,
also allgemeine Entwicklungsoptionen für die gesamte Institution mit ihren Mit-
gliedern. So zeigte sich auf nationaler Ebene, dass sich die Mandatsträger, solan-
ge Amt und Institution niedrig professionalisiert waren, durch andere Professio-
nalisierungskanäle zuerst individuelle Lösungen suchten, bevor – in diesem Falle
– die Institution mit ihren Mitgliedern professionalisiert wurde (vgl. 2.2.3). Im
Folgenden wird daher untersucht, wie sich die Situation der Kommunalparla-
mente nach Einschätzung der Ratsmitglieder in den vier Untersuchungsstädten
weiterentwickeln wird. Welche Entwicklungsoptionen halten sie für umsetzbar
und erstrebenswert? Ist in ihren Erwartungen und Einstellungen ein Zusammen-
hang zu der bisherigen Entwicklung des Professionalisierungsprozesses, insbe-
sondere hinsichtlich der Professionalisierungsart, zu erkennen? Die Analyse
erfolgt anhand der unter 2.3.1.3 entwickelten vier möglichen Entwicklungslinien
der Professionalisierung, die sich zum einen hinsichtlich des Professionalisie-
rungsgrades und zum anderen hinsichtlich der Art der Professionalisierung un-
terscheiden: Die Beibehaltung bzw. Rückkehr zur Amateurinstitution (1), eine
ressourcenbasierte Professionalisierung (2), eine mitgliederbasierte Professiona-
lisierung (3) und die professionalisierte Institution (4).

6.1 Amateurinstitution

Eine erste Entwicklungsrichtung könnte die Rückkehr zur Amateurinstitution


darstellen. Formal sind – wie erläutert – die Kommunalparlamente der deutschen
Großstädte Amateurinstitutionen mit ehrenamtlichen Ratsmitgliedern. Wie die
Analyse des Grades der Professionalisierung in 4.4.1 jedoch gezeigt hat, sind die
200 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

Kommunalparlamente bereits – in den Städten zu unterschiedlichen Graden –


professionalisiert. Die Analyse hat verdeutlicht, dass der Zeitaufwand der Rats-
mitglieder mit mindestens 25 Stunden pro Woche sehr hoch ist. Gleichzeitig hat
sich die zeitliche Lage der Sitzungen so entwickelt, dass die Sitzungen immer
früher am Tag beginnen (vgl. 4.1.1.2). Dadurch ist es für die Ratsmitglieder
schwierig, das Mandat ehrenamtlich und neben einem Beruf auszuüben (vgl.
5.1). Eine Lösungsmöglichkeit, den zu erbringenden Zeitaufwand der einzelnen
Ratsmitglieder zu verringern, wäre in der Reduzierung der Ratsarbeit zu sehen;
eine weitere Lösung könnte in einer neu strukturierten Organisation der Ratsar-
beit liegen, ohne dabei die Zuständigkeiten und Aufgaben der Ratsmitglieder zu
verändern.

6.1.1 Reduzierung der Ratsarbeit

Eine Verringerung des Zeitaufwands würde eine einfachere ehrenamtliche Aus-


übung der Ratsarbeit ermöglichen. Dies könnte durch die Umsetzung des Neuen
Steuerungsmodells, das seit Anfang der 1990er Jahre im Zentrum der kommu-
nalpolitischen Diskussion in Deutschland steht, erreicht werden (vgl. Banner
1991:6-11; Wollmann 1996:1-49; KGSt 1993:Bericht 14; 1996:Bericht 10). Wie
unter 2.1.2.2 erläutert, empfiehlt das Neue Steuerungsmodell eine ‚Steuerung auf
Abstand’. Demnach soll sich der Rat in erster Linie mit langfristigen, strategi-
schen Problemen befassen und die Verwaltung durch Grundsatzvorgaben steu-
ern, während Einzelentscheidungen auf Ausnahmen beschränkt sein sollen.
Durch die Konzentration auf strategische Entscheidungen könnte zum einen der
Zeitaufwand der Ratsmitglieder reduziert werden. Zum anderen könnten die
Ratsmitglieder durch die Festlegung von strategischen Zielen, die am Ende des
Jahres auf ihr Erreichen hin kontrolliert werden und für die sich die Verwaltung
rechtfertigen muss, die Verwaltung wieder einfacher kontrollieren – trotz ihrer
Ehrenamtlichkeit und der ressourcentechnischen Unterlegenheit. Im Folgenden
wird analysiert, ob ein solcher Wechsel in der Schwerpunktsetzung auf strategi-
sche Entscheidungen überhaupt der Interessenlage der Ratsmitglieder entspricht,
ob sie eine Umsetzung der Steuerungsmodelle für durchführbar und wünschens-
wert halten. Sind die Ratsmitglieder bereit, sich aus dem operativen Management
herauszuziehen und sich insbesondere auf strategische Entscheidungen zu kon-
zentrieren? Inwiefern widerspricht dies dem Selbstverständnis der Ratsmitglieder
von ihrer Amtsausübung? Wie passt dies zu ihren Auffassungen von ihrer Stadt-
ratsarbeit? Sehen sie dadurch eine Möglichkeit, den Zeitaufwand zu reduzieren
und damit eine ehrenamtliche Ausübung wieder zu erleichtern? In der schriftli-
chen Befragung sprach sich mit 91,9% die große Mehrheit aller Ratsmitglieder
6.1 Amateurinstitution 201

gegen das Neue Steuerungsmodell aus. In den drei Städten Hannover (2,6%),
Frankfurt (4,4%) und Nürnberg (5,7%) sehen sehr wenige Ratsmitglieder die
Reformen als Lösung an, während dies in Stuttgart mit 22,6% mehr als ein Fünf-
tel der Stadträte tut. Signifikante Unterschiede in den Einstellungen zum Neuen
Steuerungsmodell lassen sich hingegen weder beim Geschlecht109, beim Alter110
noch bei der Parteizugehörigkeit111 erkennen. Im Folgenden wird analysiert, wel-
che Reformen die Ratsmitglieder im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells als
positiv betrachten und inwiefern sie es als Lösung gegen den hohen Zeitaufwand
ansehen. Anschließend stehen die Bedenken der Ratsmitglieder gegen das Neue
Steuerungsmodell und die Probleme, die sie bei der Umsetzung sehen, im Mit-
telpunkt.

6.1.1.1 Neues Steuerungsmodell: Vorteile

Wie gezeigt, gibt es in allen vier Städten einige Ratsmitglieder, die in dem Neu-
en Steuerungsmodell eine Lösungsmöglichkeit für die analysierten Probleme des
Rates und der einzelnen Ratsmitglieder sehen. Die Probleme in der aktuellen
Situation der Ratsmitglieder liegen auf der einen Seite in dem hohen Zeitauf-
wand für die Ratstätigkeit und auf der anderen Seite darin, dass die Ratsmitglie-
der angeben, aufgrund des hohen Zeitaufwands und der steigenden Komplexität
die Verwaltung nicht mehr kontrollieren zu können (vgl. dazu 2.1.2.6). Gerade
diese beiden Aspekte sollen durch die Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells
erreicht werden. Dem stimmen auch einige Ratsmitglieder in den Untersu-
chungsstädten zu. So sagt eine Stadträtin aus Stuttgart: „Das Zeitargument ist aus
Sicht des Gemeinderates immer das Hauptargument, diesen Prozess einzuleiten“
(S5). Auch werden Vorteile für die Kontrolle der Verwaltung gesehen, da diese
durch Zielvorgaben besser zu kontrollieren sei als durch die Einzelanträge.
„Ich merke jetzt nach den vier bis fünf Jahren, dass sich die öffentliche Verwaltung über Ein-
zelanträge gar nicht kontrollieren lässt, weil sie viel zu komplex dafür ist, als dass ein ehren-
amtlicher Stadtrat die durchschaut. Von daher ist das eigentlich sowieso eine Farce. Insofern
wäre es eigentlich sinnvoller, Regularien oder mehr in diese Verwaltungsreform zu investieren,
um auch wirklich sagen zu können, hier kann ich einen Wert untersuchen, und das ist für mich
als Abgeordneter transparent“ (S13; ähnlich H23, N7).

109 94% der weiblichen und 91% der männlichen Ratsmitglieder lehnen das Neue Steuerungsmo-
dell ab.
110 90% der 20-35jährigen; 97% der 36-50jährigen und 90% der 51-70jährigen lehnen das Neue
Steuerungsmodell ab.
111 89% der CDU bzw. CSU-Fraktionsmitglieder, 93% der SPD-Mitglieder, 95% von BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN und alle FDP-Fraktionsmitglieder lehnen das Neue Steuerungsmodell ab.
202 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

Der Rückzug aus Einzelfallentscheidungen wird ebenfalls teilweise positiv beur-


teilt, da dadurch wieder mehr Zeit für die Erarbeitung strategischer Ziele zur
Verfügung wäre. Dies würde zu einer Qualitätsverbesserung der Ratsarbeit füh-
ren. So fasst dies ein Stadtrat aus Nürnberg wie folgt zusammen:
„Wenn man sich heute die Tagesordnung für den Verkehrsausschuss anschaut: Dann sind das
vor allem Straßenumbenennungen, kleine Verkehrsumleitungen, die ein Stadtrat angestoßen
hat, und andere Kleinigkeiten; darüber müssen wir nicht entscheiden, das sollte die Verwaltung
machen, denn dann können wir uns auf die großen Dinge wesentlich besser konzentrieren“
(N7; vgl. auch N33, H19).

Ein Ratsherr aus Hannover sieht dies ähnlich, wenn er sagt:


„Ich sehe schon einen möglichen Kompromiss, dass man sich auch um Einzelheiten kümmern
kann, dass wir aber trotzdem wieder Zeit für die großen strategischen Themen und zum Prägen
der Entwicklung haben. Denn da wird zu wenig im Rat diskutiert, über Visionen, über zukünf-
tige Entwicklungen. (...) Viele wollen aber nicht auf das Strategische gehen, die wollen das
Klein-Klein machen“ (H8).

In keinem der vier Kommunalparlamente findet bisher eine durchgängige An-


wendung des dem Neuen Steuerungsmodell zugrundeliegenden Konzepts statt.
Nichtsdestotrotz praktizieren einzelne Ausschüsse diese Steuerung auf Abstand.
So gibt es beispielsweise in Nürnberg Ausschüsse, die zu Beginn des Haushalts-
jahres die strategischen Rahmenbedingungen festlegen und der Verwaltung die
konkrete Umsetzung überlassen. So erläutert ein Stadtrat aus Nürnberg:

„Wir machen das im Kulturbereich schon sehr gut; da wird ein Jahresprogramm vorgelegt und
am Ende des Jahres kommt der Jahresbericht; und da kann man dann sehr gut über Grundsätz-
liches diskutieren und das Referat weiß dann Bescheid, was abgesegnet ist und was nicht; und
am Ende dieses Zeitraums gibt es dann die Kontrolle. Das erleichtert die Arbeit sehr, weil es
eben einen guten Überblick bringt und von Einzelheiten, vom Kanaldeckel wegführt. Bei uns
im Kulturausschuss läuft es sehr gut seit 2½ Jahren. Einzelentscheidungen gibt es natürlich
auch noch; denn vieles ist am Anfang des Jahres auch noch nicht absehbar; aber die Linien und
die Etats, innerhalb derer sie sich bewegen können und auch die Personalplanung und die Or-
ganisation sind klar; aber natürlich brauchen die Referate dann während des Jahres Beschlüsse
von uns; es ist nicht so, dass wir dadurch überflüssig wären. Einzelentscheidungen gibt es nach
wie vor und die sind auch notwendig und es gibt ja auch Anträge aus den einzelnen Fraktionen;
es ist daher, glaube ich, keine Arbeitserleichterung, was den Zeitaufwand betrifft, aber die
Qualität der Arbeit wird besser, weil man sich mit den Einzelentscheidungen am Gesamtrah-
men orientiert und man kann es besser einordnen“ (N2; ähnlich F23).

Insofern führt die Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells nach ersten Erfah-
rungen der Ratsmitglieder zu einer Qualitätsverbesserung der Ratsarbeit und zu
besseren Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Verwaltung. Eine zeitliche Ent-
lastung hingegen erkennen sie nicht, da die strategische Steuerung ebenfalls
einen hohen Zeitaufwand erfordert.
6.1 Amateurinstitution 203

6.1.1.2 Probleme bei der Umsetzung

Die erläuterten grundsätzlichen Vorteile werden von vergleichsweise vielen


Ratsmitgliedern gesehen. Dennoch lehnen sie das Neue Steuerungsmodell ab, da
sie einerseits die darin enthaltenen Ansätze als nicht mit ihren Aufgaben als
Politiker und Repräsentant vereinbar sehen und sie andererseits die bisherige
Umsetzung in ihrer jeweiligen Stadt bemängeln. Diese Probleme mit der Umset-
zung des Neuen Steuerungsmodells werden auch regelmäßig in wissenschaftli-
chen Debatten und empirischen Studien angeführt (vgl. Weiß 2002:80ff.; Kodo-
litsch 1996; Banner 1996; Janning 1996). Im Folgenden werden daher die beiden
zentralen Probleme der Umsetzung für die Ratsmitglieder diskutiert: Zum einen
das Verhältnis zwischen Rat und Verwaltung und zum anderen ihre Rolle als
Stellvertreter und Politiker.

Verhältnis Rat – Verwaltung


Wie unter 2.1.2.2 erläutert, ist ein wesentliches Element des Neuen Steuerungs-
modells die Entflechtung der Verantwortungsbereiche zwischen Rat und Verwal-
tung, wie es auch dem verfassungsrechtlichen Leitbild der „legislatorischen Pro-
grammsteuerung“ (Grauhan 1969:270) entspricht (vgl. Banner 1993:188; Kodo-
litsch 1996:169). Dementsprechend soll sich der Rat in erster Linie mit langfris-
tigen, strategischen Problemen befassen und die Verwaltung durch die Vorgabe
von Zielen und Rahmenbedingungen steuern. Dadurch könne der Rat insbeson-
dere seine Richtlinien- und Kontrollfunktion wieder besser erfüllen112 (vgl. Weiß
2002:117). So müsste nach diesem Modell der Rat weitgehend darauf verzichten,
durch Einzeleingriffe Einfluss auf den Verwaltungsvollzug zu nehmen. Dieser
Machtverlust würde jedoch durch den Zugewinn an strategischen Einflussmög-
lichkeiten ausgeglichen, wenn nicht sogar überkompensiert. Das Verhältnis zwi-
schen Rat und Verwaltung ist jedoch seit jeher von einem Dualismus geprägt,
einer Misstrauenskultur, die in den 1960er und 1970er Jahren auch im Rahmen
der Partizipationsdebatte im Zentrum standen (vgl. Bogumil 2002a; Weiß
2002:121; Kodolitsch 1996:169). Daher wird in der wissenschaftlichen Debatte
immer wieder herausgestellt, dass die Bereitschaft des Rates zu dieser neuen
Arbeitsteilung ein unerlässlicher Punkt für den Erfolg der Neuen Steuerungsmo-
delle ist, und dass daher die Politik von Anfang an in den Modernisierungspro-
zess einzubinden sei (vgl. Banner 1996:144). Dabei sei es entscheidend, den Rat
davon zu überzeugen, dass die neue Arbeitsteilung keinen Politik- und Macht-

112 Im Rahmen der Debatte um die Neuen Steuerungsmodelle ergibt sich die neue Arbeitsteilung
zwischen Rat und Verwaltung vor allem aus der Erkenntnis, „dass eine solche dezentrale Res-
sourcen- und Ergebnisverantwortung nur funktionieren kann, wenn sich niemand in die Ver-
antwortungsbereiche der Fachdienste einmischt“ (Kodolitsch 1996:171).
204 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

verlust darstellt, sondern dass sie einen Qualitätsgewinn für die Kommunalpoli-
tik bedeutet (vgl. Potthast 1996:456). Dazu muss die Verwaltung Vorleistungen
erbringen, insbesondere durch mehr Transparenz im Handeln und durch die
Schaffung von verbesserten Entscheidungsgrundlagen für die Politik (Weiß
2002:121; Andree 1994:42).
Allerdings ist dies in den vier Untersuchungsstädten nicht erfolgt. So wird
die Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells vorrangig als interne Verwaltungs-
reform begriffen. Die Veränderungen im Innenverhältnis zwischen Rat und Ver-
waltung und die Auswirkungen auf die Ratstätigkeit stehen nicht im Mittelpunkt
des Reformprozesses, sondern werden lediglich nachrangig behandelt. Dement-
sprechend sehen die Ratsmitglieder im Neuen Steuerungsmodell vor allem die
Reformierung und Stärkung der Verwaltung und betrachten die angestrebte neue
Arbeitsteilung hauptsächlich als Machtverlust gegenüber der Verwaltung: „Ich
bin strikt dagegen, der Verwaltung noch mehr Macht zu geben, weil sie es eben
so machen, wie sie es wollen“ (N10; vgl. auch F27). In Stuttgart wurde im Rah-
men des sog. Wibera-Gutachtens im Jahre 1996 angeregt, „die Hauptsatzung zu
ändern und gemäß den Leitlinien des Neuen Steuerungsmodells den Rat zu ver-
pflichten, sich auf die strategischen Entscheidungen zu konzentrieren“ (S1). Dies
wurde jedoch vom Gemeinderat abgelehnt, da befürchtet wurde, dass dem Rat
die Gestaltungsmöglichkeiten verloren gehen würden. Vielmehr wirft der Rat der
Verwaltung vor, dass sie eine wirksame Kontrolle dadurch zu verhindern versu-
che, dass sie den Rat mit nebensächlichen Informationen überhäufe und die
wirklich wichtigen vorenthalte.
Auch die in der wissenschaftlichen Literatur geforderten Vorleistungen der
Verwaltung, insbesondere hinsichtlich der Transparenz im Verwaltungshandeln,
wurden nach Angaben der Ratsmitglieder in allen vier Untersuchungsstädten
nicht erbracht. Vielmehr berichten sie, dass das Misstrauen durch das Verhalten
der Verwaltung im Modernisierungsprozess sogar noch erhöht wurde. Die fol-
genden Aussagen der Ratsmitglieder belegen dies:
„Die Verwaltung müsste eine ehrliche Darbietung bringen. Wenn klar und deutlich dastehen
würde, es gibt die Varianten 1, 2 und 3 und das sind die jeweiligen Bedingungen, so dass wir
Ehrenamtlichen uns innerhalb kürzester Zeit kundig machen können; aber die Verwaltung legt
eben häufig Fallstricke“ (N2; vgl. auch F17, S13).

„Wenn wir als Partner verstanden werden würden, dann könnte man ganz anders zusammenar-
beiten; aber durch dieses Gegner-Sein-Verständnis werden die Drucksachen immer dicker und
wir müssen schauen, wo der Haken steckt“ (H19; ähnlich S6).

Dementsprechend halten es viele der Ratsmitglieder nur für möglich, die Ver-
waltung durch das Einbringen von Vorlagen und durch Einzeleingriffe zu kon-
trollieren.
6.1 Amateurinstitution 205

Stellvertreter- und Politikerrolle


Neben dem problematischen Verhältnis zur Verwaltung, sei das Neue Steue-
rungsmodell, so argumentieren die Ratsmitglieder, nicht mit ihrer Rolle als Poli-
tiker und als Stellvertreter der Bevölkerung vereinbar. Gemäß der Gemeindeord-
nungen ist der Gemeinderat die Vertretung der Bürger (vgl. §24 I BaWüGO; Art.
30 BayGO). Diese und ähnlich lautende Rechtsnormen verpflichten die gewähl-
ten Repräsentanten, bürgernah zu handeln und zu entscheiden. Andere Studien
zum Selbstverständnis der Ratsmitglieder, aber auch die Analyse der vorliegen-
den Studie zeigen, dass die Ratsmitglieder die Vertretung von Bürgerinteressen
neben der Verwaltungskontrolle als ihre wichtigste Aufgaben ansehen. In der
Untersuchung zum Selbstverständnis der Ratsmitglieder zeigte sich bei der Be-
fragung ebenfalls, dass
„[sie] eine Verringerung der Ratsaufgaben ab[lehnen], wenngleich sie sich zeitlich stark be-
lastet sehen. Die Orientierung an Einzelproblemen aus der Bürgerschaft gehört ihrer Meinung
nach zu den Kernfunktionen der Repräsentation“ (Simon 1988:10).

Studien belegen zudem, dass die Bürger in den Ratsmitgliedern ihre direkten
Ansprechpartner sehen und von ihrem Vertreter erwarten, dass er sich persönlich
um ihre Anliegen und Beschwerden kümmert (vgl. Weiß 2002:89; Willke
1992:14; Janning 1996:158). Bei diesen Anliegen handelt es sich jedoch zumeist
um Einzelentscheidungen, wie beispielsweise um den viel beschworenen Kanal-
deckel (vgl. Holler/Naßmacher 1976:142; Lang/Gronbach 1998:164). Dement-
sprechend lehnen die Ratsmitglieder die Konzentration auf strategische Ent-
scheidungen ab, da sie sich dann nicht mehr um diese Einzelentscheidungen
kümmern könnten. Dies dem Bürger zu vermitteln, halten sie für äußerst schwie-
rig. Insofern steht das Neue Steuerungsmodell für sie im Widerspruch zu ihrer
Repräsentationsfunktion:
„Das ist ein Widerspruch an sich, denn der Stadtrat vertritt die Bürger und wenn sich ein Stadt-
rat nur auf Strategiedebatten einlässt und gar nicht mehr drauf schaut, was hinten rauskommt,
dann ist er vom Bürger weg, denn der Bürger erfährt ja schließlich am eigenen Leib das, was
hinten raus kommt. Und dann zu sagen, das tut mir leid, das ist nur Ausfluss der strategischen
Entscheidung, das wäre zu wenig“ (N23; ähnlich S5, N7, S1, F28).

Dieser Punkt ist eng verknüpft mit einem weiteren Problem, das die Ratsmitglie-
der in der Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells sehen: Es steht im Wider-
spruch zu ihrer Rolle als Politiker, insbesondere bezüglich ihres Wiederwahlinte-
resses. Daher sehen es die Ratsmitglieder als notwendig an, sich auch mit Ein-
zelproblemen, die von den Bürgern an sie herangetragen werden, zu beschäfti-
gen: „Ich bin vom Volk gewählt in einer Personalwahl und daher komme ich gar
nicht darum herum, mich ins Detail zu verlieben und den Kanaldeckel, den der
Nachbar schon 25mal angesprochen hat, dann auch tatsächlich aufzugreifen“
206 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

(N2; ähnlich S5). Die konsequente Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells


würde jedoch zu einer „Entpersonalisierung der Kommunalpolitik“ (Kodolitsch
1996:174) führen.
Diese Intention kollidiert jedoch genau mit einem anderen Entwicklungs-
trend: Seit den Kommunalverfassungsreformen in den 1990er Jahren (vgl.
2.1.2.1) werden die Ratsmitglieder nun in allen Bundesländern in einer persona-
lisierten Wahl gewählt. Ziel war es dabei gerade, den Parteieneinfluss zu redu-
zieren und der Politikverdrossenheit der Bürger entgegenzuwirken. Durch die
Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens wird die Wahl stärker persona-
lisiert (vgl. Kodolitsch 1996:175; Löffler/Rogg 2000:118f.), da die Wähler da-
durch bewusst bestimmte Kandidaten wählen können. Im süddeutschen Raum, in
dem dieses Wahlsystem bereits seit längerem vorherrscht, zeigen Studien, dass
die Selektionskriterien dabei vor allem Persönlichkeit, Ansehen und Bekanntheit
sind (vgl. Wehling 1989:227; 2003:30f.). Daher haben die Kandidaten ein Inte-
resse, sich zu profilieren, was im Allgemeinen am besten über sichtbare Einzel-
eingriffe erreicht waren kann: Denn die Ratsmitglieder benötigen die Öffentlich-
keit, um sich den Wählern zu präsentieren und sich zu profilieren (vgl. Dieck-
mann 1996:21; Weiß 2002:93; Petzold 1997:21).
„Profil gewinnen diese [Politiker] ja zweifelsohne nicht durch ihre anonyme Mitwirkung am
Zustandekommen eher abstrakter Grundsatzbeschlüsse, sondern dadurch, dass sie öffentlich
Stellung zu Fragen beziehen, die ihren Wählern auf den Nägeln brennen“ (Kodolitsch
1996:173; vgl. auch Blume 1993:6; Brandel et al. 1999:52).

In den Interviews zeigt sich, dass das Argument der Wiederwahl in Hannover
und Frankfurt von den Ratsmitgliedern nicht genannt wird, während es in Stutt-
gart und Nürnberg von allen Ratsmitgliedern als ein wichtiges Argument gegen
das Neue Steuerungsmodell hervorgebracht wurde. Für diese Unterschiede
scheinen die konkrete Ausgestaltung des Wahlsystems und die daraus resultie-
renden Erfahrungen der Ratsmitglieder eine entscheidende Rolle zu spielen.
Während es in Bayern und Baden-Württemberg bereits seit langem das persona-
lisierte Wahlsystem mit den Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens
gibt, wurde es in Niedersachsen erst mit der Reform des Niedersächsischen
Kommunalverfassungsrechts 1996113 eingeführt, in Hessen gibt es die Verhält-
niswahl mit offenen Listen erst seit der Wahl 2001. Zuvor wurde in diesen bei-
den Bundesländern in einer Verhältniswahl mit geschlossenen Listen gewählt,
wodurch für das einzelne Ratsmitglied keine Notwendigkeit bestand, sich auf-
grund des Wiederwahlinteresses persönlich zu profilieren. Insofern ist zu vermu-
ten, dass die Ratsmitglieder in diesen beiden Bundesländern noch keine ausrei-

113 In Niedersachsen hatte es bereits in den Jahren 1968, 1972 und 1976 eine mit Personenwahl
verbundene Listenwahl gegeben.
6.1 Amateurinstitution 207

chenden Erfahrungen mit dem veränderten Wahlsystem gemacht haben und dass
daher die persönliche Profilierung aufgrund des Wiederwahlinteresses noch
keinen zentralen Stellenwert erlangt hat.
In der wissenschaftlichen Debatte werden die oben diskutierten Probleme
ebenfalls erkannt. Allerdings wird es für realistisch gehalten, diese Hindernisse
durch strukturelle Veränderungen zu verringern. Durch die oben bereits erläuter-
te bessere Zusammenarbeit zwischen Rat und Verwaltung lasse sich langfristig
die Konkurrenz zwischen beiden verringern. So wird beispielsweise ein aktives
Beschwerdemanagement als Lösung angesehen, um die Einflussnahme der
Ratsmitglieder in den Verwaltungsvollzug zu verringern. Sofern die Bürger auf
ein funktionierendes Beschwerdesystem zurückgreifen könnten, würden sie sich
voraussichtlich weniger an ihre Vertreter wenden, sondern direkt an die Verwal-
tung (vgl. Arzberger/Murck/Schumacher 1979:189; Janning 1996; Kodolitsch
1996). Die Ratsmitglieder in den vier Untersuchungsstädten glauben jedoch
nicht, dass sich diese Strukturen und Vorstellungen umsetzen lassen. Zusammen-
fassend kann also festgestellt werden, dass lediglich ein kleiner Prozentteil der
Ratsmitglieder das Neue Steuerungsmodell für positiv und umsetzbar hält. Al-
lerdings sehen sie darin in erster Linie Chancen für eine qualitativ bessere Rats-
arbeit und eine einfachere Kontrolle der Verwaltung; eine Reduzierung des Ar-
beitsaufwands hingegen wird selbst von den Befürwortern als unrealistisch be-
trachtet. Die große Mehrheit der Ratsmitglieder lehnt das Neue Steuerungsmo-
dell hingegen ab, da sie dadurch einen (weiteren) Machtverlust gegenüber der
Verwaltung befürchten. Des Weiteren widerspricht es ihren Funktionsvorstel-
lungen, insbesondere hinsichtlich ihrer Repräsentationsfunktion. Daher ist nicht
zu erwarten, dass die Ratsmitglieder ihre Arbeitsweise entsprechend den im
Neuen Steuerungsmodell verankerten Vorstellungen verändern.

6.1.2 Veränderte Organisation der Ratsarbeit

Während die Analyse ergab, dass die Ratsmitglieder mehrheitlich in allen vier
Städten nicht zu einer konsequenten Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells
bereit sind, wird im Folgenden untersucht, inwiefern sie eine andere zeitliche
Organisation der Ratsarbeit für sinnvoll und umsetzbar halten. Wie unter 4.1.1.2
gezeigt, finden die Sitzungen in Stuttgart und Nürnberg vor allem tagsüber und
in Frankfurt und Hannover am Nachmittag statt. Durch eine Verschiebung der
Sitzungen auf den späten Nachmittag und Abend könnte erreicht werden, dass
das Mandat wieder leichter nebenberuflich und ehrenamtlich auszuüben ist, da
die Ratsmitglieder seltener für Sitzungen freigestellt werden müssten. Die Ana-
lyse zeigt allerdings, dass selbst diese Verlegung der Sitzungen von den Rats-
208 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

mitgliedern abgelehnt wird. So gab es in allen vier Städten bereits Diskussionen


– und in Stuttgart sogar eine Abstimmung im Gemeinderat – über die Lage der
Sitzungen. In Stuttgart wurde eine Verlegung der Sitzungen auf den Nachmittag
gefordert, damit „auch Menschen mit klassischen Berufen eher so ein Mandat
wahrnehmen können“ (S1). Dieser Vorschlag scheiterte allerdings in der Ab-
stimmung im Gemeinderat. Dies war jedoch keine Entscheidung, die von den
einzelnen Fraktionen geschlossen getroffen wurde, sondern von den einzelnen
Stadträten gemäß „ihrer persönlichen Lebenssituation und ihren Einstellungen
entsprechend“ (S1). In Hannover wurde die zeitliche Lage der Sitzungen sogar
erst vor wenigen Jahren von abends auf nachmittags gelegt, und auch in den
anderen beiden Städten spricht sich die Mehrheit gegen die Verlegung auf den
Abend aus. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe, die sich in allen vier Städten
decken. Ein Problem ist dabei die Koordination mit anderen Rats- und/oder Par-
teitätigkeiten.
„Denn in einer Großstadt ist das einfach so organisiert, dass abends schon zu viele Beiräte sind.
Die ganzen beratenden Ausschüsse sind am Nachmittag. Und wenn wir jetzt die Ausschüsse
auch nachmittags hätten, dann würde das zu oft kollidieren, und dann tagen die ganzen Be-
zirksbeiräte ab 17.00 Uhr; dann finden die ganzen Parteisachen am Abend statt, wann sollten
die beschließenden Ausschüsse dann tagen?“ (N2; vgl. auch N25, N1, F8).

So sei praktisch jeder Abend bereits durch andere Rats- und Parteiaktivitäten
blockiert und damit sei eine Verlegung der Rats- und Ausschusssitzungen auf
den Abend nicht zu koordinieren, da die Termine dann zeitlich miteinander kol-
lidieren würden. Des Weiteren würden sich die Sitzungen mit Repräsentations-
terminen überschneiden:
„Es wurde immer mal wieder angesprochen, die Sitzungen auf abends zu verlegen, aber es gab
nie die Bereitschaft, etwas zu verändern – ob das arbeitnehmerfreundlicher ist, ist eine zweite
Frage, aber es wäre auf alle Fälle bürgerunfreundlicher. Denn die ganzen Bürgertermine finden
am Abend statt, wenn die Leute nicht mehr bei der Arbeit sind. Wenn wir noch einmal zwei
Abende pro Woche im Stadtrat rumhängen müssten, dann hätten wir die Zeit überhaupt nicht
mehr, und dann wären wir von der Bevölkerung weitgehend abgeschnitten. (...) Die Bevölke-
rung würde darunter leiden“ (S22).

In diesem Zitat eines Stadtrats aus Stuttgart zeigt sich bereits der dritte Punkt,
der im Rahmen dieser Diskussion immer wieder angesprochen wird: Die Frage,
ob eine Verlegung der Sitzungen auf den Abend wirklich ‚arbeitnehmerfreundli-
cher’ wäre. Zwar stimmen sehr viele der Ratsmitglieder zu, dass durch die Ver-
legung der Sitzungen auf den Abend die Vereinbarkeit mit dem Beruf verbessert
würde. Allerdings würde dies ihrer Einschätzung nach zu Lasten der Qualität
und Effektivität der Ratsarbeit gehen. Dies war auch der Hauptgrund für die
Ratsmitglieder in Hannover, die Sitzungen um zwei Stunden vorzuverlegen.
6.1 Amateurinstitution 209

„Teilweise waren die Sitzungen früher später, aber die wurden absichtlich nach vorne gerückt.
Die Sitzungen gingen eben teilweise wirklich bis in die Nacht hinein; und dann geht es
manchmal einfach nicht mehr. Wenn man schon seine acht Stunden im normalen Beruf gear-
beitet hat, und dann fängt die Sitzung an und man hat kein Abendbrot, auch keine Pause, und
wenn es dann so spät wird, dann ist das schlecht machbar, da ist keine effektive Arbeit mehr
möglich. Und dann haben wir beschlossen, etwas zu ändern“ (H19; ähnlich N25).

Somit würde eine Verlegung der Sitzungen auf den Abend erstens zu einem
Qualitätsverlust der Ratsarbeit und zweitens zu einer noch höheren zeitlichen
Gesamtbelastung für die Ratsmitglieder führen. In Stuttgart ergaben sich aller-
dings, so die Ratsmitglieder, aus den Diskussionen um das Neue Steuerungsmo-
dell Verbesserungen in der Organisation der Ratstätigkeit, insbesondere hinsicht-
lich zweier Aspekte: Erstens werden nun die Sitzungen in Kooperation mit der
Verwaltung langfristiger geplant, „denn früher kam plötzlich da noch ein Termin
oder es wurde einer gestrichen, und nun setzt die Verwaltung die Termine lang-
fristig“ (S18). Diese langfristige Planung der Sitzungen erlaubt nun eine bessere
Koordination der beruflichen Termine mit den Ratstätigkeiten. Zweitens wurde
mit der Verwaltung eine Höchstdauer von vier Stunden pro Sitzung vereinbart.
Dies führte, so die Ratsmitglieder, zum einen ebenfalls zu einer besseren Pla-
nung am Arbeitsplatz:
„Denn früher waren die Sitzungen morgens um 8.00 Uhr und man wusste nie, komme ich jetzt
um 12.00 Uhr oder um 14.00 Uhr raus, und das war für mich ein Unding, denn ich muss ja an-
geben, ob ich um 13.00 Uhr eine Klasse übernehmen kann oder nicht“ (S18).

Zum anderen habe die Beschränkung der Dauer auf vier Stunden zusätzlich zu
einer Selbstbeschränkung und zu einer strafferen und effizienteren Organisation
der Sitzungen geführt, um die Tagungsordnungspunkte in der vorgegebenen Zeit
diskutieren zu können. Insgesamt zeigt sich folglich, dass es für eine zeitliche
Umorganisation der Ratsarbeit keine Mehrheit in den einzelnen Fraktionen und
im Gemeinderat gibt. Die Gründe hierfür liegen zum einen in den Koordinati-
onsproblemen mit anderen Rats- und Parteitätigkeiten ebenso wie mit Repräsen-
tationsterminen. Zum anderen würde eine Verschiebung der Sitzungen auf den
Abend zwar die Vereinbarkeit von Beruf und Mandat vereinfachen, die zeitliche
Gesamtbelastung der Ratsmitglieder jedoch erhöhen und damit nach Einschät-
zung der Ratsmitglieder die Qualität der Ratsarbeit gleichzeitig verringern. Da-
her ist keine zeitliche Umorganisation der Ratsarbeit zu erwarten.

6.1.3 Entwicklungsoption Amateurinstitution: Zwischenfazit

Wie gezeigt werden konnte, hält die große Mehrheit der Ratsmitglieder eine
Reduzierung des Zeitaufwands durch eine Konzentration auf strategische Ent-
210 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

scheidungen nicht für erstrebenswert und umsetzbar. Hinderungsgründe für die


konsequente Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells sehen sie dabei zum
einen in dem angespannten Verhältnis zur Verwaltung und dem damit zusam-
menhängenden Gefühl eines Machtverlusts durch den Rückzug aus Einzelfall-
entscheidungen. Zum anderen widerspricht es ihren Rollen als Repräsentant und
Politiker, die das aktive Eingreifen in Einzelfallentscheidungen erfordern. Auch
eine andere zeitliche Organisation der Sitzungen, die eine ehrenamtliche Aus-
übung besser ermöglichen würden, ist aufgrund von Koordinierungsproblemen
und vermuteter Qualitätseinbußen wegen der höheren Gesamtbelastung nicht
mehrheitsfähig. Somit stellt die ‚Rückkehr’ zur Amateurinstitution für die Rats-
mitglieder keine Entwicklungsoption dar.

6.2 Ressourcenbasierte Professionalisierung der Institution

Eine zweite mögliche Entwicklungsrichtung ist die ressourcenbasierte Professio-


nalisierung der Kommunalparlamente. Dabei sind zwei Ressourcen zentral: Zum
einen die personelle Ausstattung und die inhaltliche Zuarbeit der Ratsmitglieder
sowie zum anderen die technischen Ressourcen in Form der neuen Informations-
technologien. Im Folgenden wird analysiert, inwiefern die Ratsmitglieder darin
eine mögliche Entlastung sehen und inwiefern sie diese Art der Professionalisie-
rung für erstrebenswert halten. Die zentrale Frage ist, ob es bei den Einstellun-
gen zur ressourcenbasierten Professionalisierung Unterschiede zwischen den
Untersuchungsstädten gibt. Halten dabei die Ratsmitglieder jener Kommunalpar-
lamente, in denen eine ressourcenbasierte Professionalisierung festgestellt wurde
(vgl. 4.4.1), eine weitere Professionalisierung in diesem Bereich eher für eine
Entwicklungsoption als jene, die Ratsmitglieder in Stadträten mit einer mitglie-
derbasierten Professionalisierung sind? Oder sehen gerade die Ratsmitglieder der
Kommunalparlamente mit geringen Ressourcen die Notwendigkeit einer Profes-
sionalisierung in diesem Bereich?

6.2.1 Personelle Ressourcen

Eine Möglichkeit zur Reduzierung des Zeitaufwands der Ratsmitglieder könnte


eine stärkere organisatorische und inhaltliche Zuarbeit durch Fraktionsmitarbei-
ter sein. Zudem könnte durch eine bessere inhaltliche Zuarbeit auch eine Verbes-
serung der Qualität der Ratsarbeit und eine bessere Kontrolle der Verwaltung
erreicht werden. Wie die Analyse der Aufwendungen für die Fraktionsarbeit
(vgl. 4.3) gezeigt hat, variiert das Ausmaß und die Art der Zuarbeit heutzutage zu
6.2 Ressourcenbasierte Professionalisierung der Institution 211

einem hohen Grad zwischen den einzelnen Städten. Während die Ratsmitglieder
in Frankfurt und in Hannover eine hohe organisatorische und inhaltliche Zuarbeit
gewohnt sind, wird den Stadträten in Nürnberg und Stuttgart lediglich organisa-
torisch zugearbeitet. Insofern ist interessant, ob aufgrund dieser Unterschiede
differierende Einstellungen dahingehend bestehen, ob eine stärkere Zuarbeit für
die Ratsmitglieder eine erstrebenswerte Gestaltungsoption darstellt. So wäre
denkbar, dass in den Städten, in denen die Ratsmitglieder vergleichsweise gerin-
ge personelle Ressourcen und damit auch kaum inhaltliche Unterstützung zur
Verfügung haben, sich diese zu einem größeren Anteil für eine Vergrößerung der
Fraktionsgeschäftsstellen aussprechen als in jenen Städten, in denen diese Zuar-
beit bereits Realität ist.
Durchschnittlich 42% der Ratsmitglieder in den vier Untersuchungsstädten
halten eine bessere personelle Ausstattung für wichtig und wünschenswert. In
Frankfurt sehen lediglich 33% der befragten Stadtverordneten eine Vergrößerung
der Fraktionsgeschäftsstellen als wichtig an, in Nürnberg sind es 40%, in Stutt-
gart 48% und in Hannover 50%. Insofern werden die beiden Extrempositionen
von jenen Städten eingenommen, die bereits vergleichsweise große Fraktionsge-
schäftsstellen haben. Obwohl diese Werte auf keine sehr großen Einstellungsun-
terschiede hinweisen, kristallisierten sich diese im Rahmen der Leitfadeninter-
views jedoch heraus. Aufgrund des unterschiedlich hohen Professionalisierungs-
grades hinsichtlich der Ressourcen muss im Rahmen der Analyse beachtet wer-
den, dass die Ratsmitglieder in den vier Untersuchungsstädten jeweils von einem
anderen Niveau ausgehen. Im Folgenden wird daher nun für die vier Untersu-
chungsstädte jeweils zuerst kurz das aktuelle Niveau der Zuarbeit zusammenge-
fasst, bevor anschließend auf die Erwartungen und Wünsche der Ratsmitglieder
eingegangen wird.
In Frankfurt ist der Anteil der Ratsmitglieder, die sich eine bessere perso-
nelle Ausstattung wünschen, mit 33% am geringsten. Wie die Analyse unter
4.3.1.2 zeigte, sind hier die Fraktionsgeschäftsstellen im Vergleich zu allen ande-
ren deutschen Großstädten personell sehr gut ausgestattet, wodurch die Stadtver-
ordneten ähnliche Rahmenbedingungen haben wie die Abgeordneten in der se-
miprofessionellen Bürgerschaft in Hamburg. Die Fraktionsmitarbeiter arbeiten
ihnen organisatorisch, aber vor allem auch inhaltlich zu (vgl. 4.3.1.2). Dies er-
klärt auch den relativ geringen Anteil an Stadtverordneten, die sich für eine bes-
sere personelle Ausstattung aussprechen. Lediglich die Stadtverordneten der
kleinen Fraktionen und der Einzelvertreter wünschen sich eine stärkere inhaltli-
che Zuarbeit. Insgesamt aber sieht die große Mehrheit der Stadtverordneten ein
Niveau der Zuarbeit erreicht, bei dem eine noch stärkere inhaltliche Zuarbeit die
Stadtverordneten kaum weiter entlasten würde. Jene Aufgaben, die sie momen-
tan in erster Linie ausüben, sind ihrer Meinung nach Tätigkeiten, die sie nicht an
212 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

Mitarbeiter delegieren können. Darunter fallen beispielsweise Repräsentations-


termine, das Lesen der Unterlagen und die Teilnahme an Sitzungen. So erläutert
dies ein Stadtverordneter:
„Ich glaube nicht, dass dies der Weg ist. Ich finde, unsere Fraktionsgeschäftsstelle ist gut aus-
gestattet; wir haben viele Assistenten, die machen gute Arbeit, die bereiten das vor, die arbei-
ten uns zu, so gut sie können; der Flaschenhals für mich ist die zeitliche Belastung des Einzel-
nen. Sagen wir mal, es gibt doppelt so viele Assistenten, aber was ein Assistent mir zuarbeiten
kann, ist nur bedingt, ich muss mich selber hinsetzen und mir das Zeug reinziehen, um zu wis-
sen, um was es bei einem Thema geht. Selbst wenn die mir jede Rede schreiben, trotzdem
muss ich sie mir zumindest mal durchlesen und am Ende muss ich die Rede halten und muss
auf Fragen von anderen Fraktionen oder Bürgern eine kompetente Antwort geben können. Al-
so, irgendwann muss ich mich in das Thema einarbeiten. Und ich glaube, was ein Assistent da
an Arbeit abnehmen kann, ist auch nur endlich“ (F24; vgl. auch F2).

Eine weitere Entlastung könnten sich einige Stadtverordneten jedoch durch die
Einführung von persönlichen Mitarbeitern vorstellen. „Jeder hätte dann sozusa-
gen seine persönliche Assistentin; ich habe also wen, der mich noch individueller
unterstützt“ (F8). Dies verdeutlicht, warum in Frankfurt der Großteil der Stadt-
verordneten einen weiteren Ausbau der Fraktionsgeschäftsstellen nicht unbedingt
für notwendig erachtet. Die inhaltliche Zuarbeit ist bereits auf einem solch hohen
Niveau, dass ein weiterer Ausbau die Arbeit und den Zeitaufwand der einzelnen
Stadtverordneten nicht mehr verringern würde.
In Hannover liegt der Anteil der Stadträte, die sich eine Vergrößerung der
Fraktionsgeschäftsstellen wünschen, bei 50% und damit im Vergleich zu den
anderen Untersuchungsstädten am höchsten. Die Analyse unter 4.3.1.2 ergab
jedoch, dass auch die Fraktionsgeschäftsstellen in Hannover personell sehr gut
ausgestattet sind und den Ratsmitgliedern sowohl organisatorisch als auch inhalt-
lich zugearbeitet wird. Im Gegensatz zu den Stadtverordneten in Frankfurt sind
jedoch insbesondere die Fraktionsmitglieder der großen Fraktionen mit der Zu-
arbeit der Fraktionsmitarbeitern nicht zufrieden. Dementsprechend liegt das
eigentliche Anliegen der Ratsmitglieder nicht in einer personellen Vergrößerung
der Fraktionsgeschäftsstellen, sondern vor allem in einer qualitativ besseren Zu-
arbeit. Die Ratsmitglieder erhoffen sich dadurch aber weniger eine Reduzierung
des eigenen Zeitaufwands, sondern in erster Linie eine Verbesserung der Qualität
der Politik, wie das folgende Zitat einer Ratsfrau verdeutlicht:
„Durch eine Vergrößerung und bessere Ausstattung, eine bessere Zuarbeit könnte sich das ein-
zelne Ratsmitglied wieder verstärkt auf seine Beschlussvorlagen konzentrieren, das würde die
Qualität sicherlich verbessern, einen geringen Zeitaufwand hätte man aber dadurch nicht“
(H18; vgl. auch H35).

Entscheidend für eine Qualitätsverbesserung sei dafür neben ‚sinnvollen Struktu-


ren’ insbesondere eine regelmäßige Qualitätsüberprüfung der Arbeit der Frakti-
6.2 Ressourcenbasierte Professionalisierung der Institution 213

onsgeschäftsstellen. Daher fordern die Ratsmitglieder ein „Controlling für Ge-


schäftsstellen“ (H14). „Es müsste eine Planung geben, wie Geschäftsstellen am
besten im Interesse der Ratsmitglieder arbeiten können. Bisher ist es absolut
Zufall, ob meine Geschäftsstelle gut ist oder nicht“ (H23). Des Weiteren wird
von vielen der Ratsmitglieder bemängelt, dass die Fraktionsmitarbeiter in Han-
nover von der Verwaltung abgeordnet werden (vgl. 4.3.1.2) und nicht, wie in
vielen anderen Städten, von den Fraktionen selbst rekrutiert werden. Dies führe
dazu, dass die Fraktionsmitarbeiter in Verwaltungsstrukturen denken würden.
Daher wünschen sie sich eine ‚verwaltungsfernere’ Zuarbeit. So erläutert eine
Ratsfrau:
„Ich bekomme ja häufig von den Mitarbeitern Vorlagen, und wenn ich mir die dann anschaue,
dann ist da nichts o.k. Wir nennen unsere Fraktionsgeschäftsstelle auch unsere Verwaltung.
Denn sie sehen das auch wieder aus einer anderen Sicht; die sind ein Teil der Verwaltung, die
lesen das dann schon so; das kommt aus dem Amt, da kenne ich ja noch den und den; das ist
schon in Ordnung. Alle Mitarbeiter hier haben eben den Verwaltungsblick. Und wir betrachten
das dann aus einem politischen Blickwinkel“ (H19).

Obwohl die Fraktionen in Hannover quantitativ gesehen vergleichsweise perso-


nell gut ausgestattete Fraktionsgeschäftsstellen haben, sind hier jedoch viele der
Ratsmitglieder mit der Qualität der Zuarbeit nicht zufrieden und würden sich
unter diesem Gesichtspunkt eine bessere Ausstattung wünschen. Als eine Mög-
lichkeit zur Reduzierung des Zeitaufwands sehen sie einen weiteren Ausbau der
Fraktionsgeschäftsstellen jedoch nicht an.
Nürnberg hat die wenigsten Mitarbeiter pro Ratsmitglied. Im Gegensatz zu
der personellen Ausstattung in Hannover und Frankfurt arbeiten in Nürnberg
neben dem Fraktionsgeschäftsführer lediglich Verwaltungsangestellte, die den
normalen Bürobetrieb aufrechterhalten und hauptsächlich für die Organisation
und Koordination zuständig sind (vgl. 4.3.1.2). Trotz dieser Situation sprechen
sich lediglich 40% der Stadträte für eine Vergrößerung der Fraktionsgeschäfts-
stellen aus. Der Wunsch nach einer besseren Ausstattung bezieht sich jedoch bei
der überwiegenden Mehrheit der Stadträte nicht auf eine inhaltlich, sondern nur
auf eine weitere organisatorische Zuarbeit. „Gut fände ich es, wenn noch jemand
für Schreibtätigkeiten da wäre, der dann einen Entwurf überarbeitet oder Dinge
abtippt. Das wäre für mich schon eine Erleichterung“ (N30; vgl. auch N25,
N16). Eine inhaltliche Zuarbeit hingegen halten sie für nicht erstrebenswert, wie
die Zitate der beiden Stadträte verdeutlichen:
„Also, ich halte es schon für sehr wichtig, dass die inhaltliche Vorbereitung jeder Stadtrat
selbst macht. Allein, weil er deshalb mit der Materie bis ins Kleinste vertraut ist. Es ist ja nicht
so, dass man einen Antrag stellt, den losschickt und irgendwann erledigt sich das von selbst.
Sondern man muss da dranbleiben, bis dahin, dass man vor Ort irgendwelche Bürgerversamm-
lungen initiiert und denen das auch erklären muss, was dort abläuft. Da kann man nicht auf der
214 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

Bürgerversammlung bei jedem zweiten Sachverhalt oder bei jeder dritten Frage sagen, ich habe
hier rechts und links meine Mitarbeiter, die wissen da sicherlich besser Bescheid als ich. Also,
das ergäbe ein schlechtes Bild von einem Politiker. Zuarbeit? Also, ich finde es ausreichend,
wie es hier in Nürnberg ist. Vor allem ist auch damit tatsächlich das Bild eines Politikers ver-
bunden, der sich selbst um die Dinge kümmert“ (N23; vgl. auch N25, N30, N2).

„Die politische Entscheidung muss ich sowieso selbst treffen, und das wäre ja auch nicht gut,
wenn da kein Abstand da wäre oder wenn die mir Entscheidungshilfen geben würden, denn
dann bräuchten wir ja gar nicht den Stadtrat, dann könnten sie es gleich selbst machen“ (N7).

Es gibt lediglich wenige Stadträte, die eine inhaltliche Zuarbeit für erforderlich
halten und darin sowohl einen zeitlichen Entlastungseffekt für die Ratsmitglieder
als auch eine Qualitätsverbesserung für die Ratsarbeit sehen (vgl. N1). Insgesamt
betrachtet, halten die Nürnberger Stadträte somit eine Vergrößerung der Frakti-
onsgeschäftsstellen, insbesondere durch wissenschaftliches Personal, und damit
zusammenhängend eine inhaltliche Zuarbeit für nicht notwendig, da sie ihren
Funktionsvorstellungen eines Stadtrats widerspricht. Eine bessere organisatori-
sche Unterstützung hingegen befürworten 40% der Stadträte.
In Stuttgart sind die Fraktionsgeschäftsstellen ebenfalls eher klein. Wie un-
ter 4.3.1.2 dargestellt, ist daher auch lediglich eine organisatorische Unterstüt-
zung möglich. „Die machen wirklich rein organisatorische Sachen, oder manch-
mal helfen sie bei der Recherche. Also, eigentlich könnte man da schon ein paar
Leute mehr beschäftigen“ (S13). Insgesamt sprechen sich 48,4% der Stadträte in
Stuttgart für eine Vergrößerung der Fraktionsgeschäftsstellen aus. Innerhalb
dieser Befürworter einer erweiterten Zuarbeit sind jedoch zwei Subgruppen zu
identifizieren: Auf der einen Seite steht die weit größere Gruppe der Ratsmit-
glieder, bei der sich der Wunsch nach einem Ausbau der Fraktionsgeschäftsstel-
len lediglich auf Verwaltungsmitarbeiter bezieht. Diese halten eine inhaltliche
Zuarbeit – ähnlich wie in Nürnberg – nicht für wünschenswert und realisierbar
und lehnen daher einen Ausbau der Fraktionsgeschäftsstellen mit wissenschaftli-
chen Fraktionsmitarbeitern ab:
„Aber direkt inhaltlich arbeiten kann man auch nur, wenn man in den Ausschüssen sitzt. Das-
selbe gilt für Pressemitteilungen, ich kann mir immer nicht vorstellen, wie jemand so eine Mit-
teilung schreiben will, der nie die Debatten in einem Ausschuss dazu erlebt hat. Deshalb halte
ich einen Pressereferenten auch nicht für notwendig, die sind dann auch immer so allgemein
gehalten“ (S2).

Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch viele Ratsmitglieder, die durchaus
Vorteile in einer inhaltlichen Zuarbeit sehen:
„Das wäre ja theoretisch möglich, dass man das Budget für die Fraktionsgeschäftsstellen und
Mitarbeiter im Haushalt verdoppelt; da finde ich, da ist die Struktur falsch, die müsste so wie
in anderen Städten sein, dass man fachliche Ansprechpartner hat. Dass man seine Idee, sagen
wir mal, man will einen Antrag machen zum Erhalt der Seilbahn, dass ich nicht den Antrag
6.2 Ressourcenbasierte Professionalisierung der Institution 215

schreibe und vorher telefonieren muss, die Verwaltung erreichen muss, sondern dass das ein
Mitarbeiter tut. So stelle ich mir das auch vor, und das wäre eine enorme Erleichterung“ (S13).

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Befürworter einer inhaltlichen


Zuarbeit zum Großteil im politischen und politiknahen Bereich beschäftigt sind
und aus ihrer eigentlichen Berufstätigkeit die wissenschaftliche Zuarbeit kennen.
Insofern kann für Stuttgart ebenfalls festgestellt werden, dass sich eine knappe
Mehrheit der Ratsmitglieder gegen eine personelle Vergrößerung der Fraktions-
geschäftsstellen ausspricht. Die Befürworter einer besseren personellen Ausstat-
tung lehnen jedoch – vergleichbar mit den Nürnberger Stadträten – mehrheitlich
eine inhaltliche Zuarbeit ab, da dies ihren Funktionsvorstellungen widerspricht.
Die Analyse zeigt, dass es – neben diesen Einstellungsunterschieden in den
verschiedenen Städten – bei den Einstellungen zu einer ressourcenbasierten Pro-
fessionalisierung hinsichtlich der Variablen Parteizugehörigkeit114 der Ratsmit-
glieder, Geschlecht115 und Status in der Rats- und Fraktionshierarchie keine signi-
fikanten Unterschiede gibt. Bezüglich des Alters hingegen zeigt sich, dass sich in
allen vier Städten in erster Linie die älteren Altersgruppen für einen Ausbau der
Zuarbeit aussprechen: So befürworten lediglich 24% der 20- bis 35-jährigen und
33% der 36- bis 50-jährigen einen Ausbau, während dies mit 63% fast zwei Drit-
tel der 51- bis 70-jährigen tun. Insgesamt ergab die Analyse somit, dass durch-
schnittlich 42% der Ratsmitglieder eine Vergrößerung der Fraktionsgeschäfts-
stellen befürworten, um dadurch eine Erleichterung ihrer eigenen Arbeit und eine
Reduzierung des Zeitaufwands zu erreichen. Wie sich in der Differenzierung
nach Städten allerdings zeigte, gibt es dabei unterschiedliche Vorstellungen be-
züglich der Art und des Umfangs der Zuarbeit. So wird in Frankfurt und in Han-
nover die Politikberatung, d.h. die inhaltliche Zuarbeit durch Referenten, als sehr
wichtig angesehen. Wie die Untersuchung zeigte (vgl. 4.3.1.2), wird den Stadträ-
ten in diesen Kommunalparlamenten bereits inhaltlich zugearbeitet, so dass sie
diese Form der wissenschaftlichen Beratung kennen und nutzen. Die Stadträte in
Nürnberg und in Stuttgart hingegen erhalten zum aktuellen Zeitpunkt keine in-
haltliche Unterstützung durch Mitarbeiter und halten diese mehrheitlich auch
nicht für erstrebenswert. So wünschen sich die Stadträte in Nürnberg und Stutt-
gart zwar einen Ausbau der Fraktionsgeschäftsstellen, allerdings lediglich im
organisatorischen Bereich und bei einfachen Hilfsdiensten wie Recherchen und
Schreibdiensten. Es gibt in beiden Städten lediglich eine Minderheit an Ratsmit-
gliedern, die eine wissenschaftliche Beratung für unbedingt notwendig halten.

114 41% der CDU- bzw. CSU-Mitglieder, 44% der SPD-Mitglieder, 36% der Mitglieder von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und 50% der FDP-Mitglieder befürworten einen Ausbau der
Fraktionsgeschäftsstellen.
115 39% der weiblichen und 45% der männlichen Ratsmitglieder sprechen sich für größere Frakti-
onsgeschäftsstellen aus.
216 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

Diese sind jedoch in diesen beiden Kommunalparlamenten in erster Linie jene,


die im politischen Bereich beschäftigt sind. Somit ist ihnen beispielsweise die
Arbeitsorganisation und die wissenschaftliche Zuarbeit in den Landtagen be-
kannt. Die große Mehrheit hingegen lehnt eine inhaltliche Zuarbeit mit der Be-
gründung ab, dass es sich dabei um Kernaufgaben handelt, die ein Ratsmitglied
selbst ausüben sollte. Sie sehen diese Vorarbeiten wie Recherche, Kontakt zur
Verwaltung als Kernbereiche ihrer Ratstätigkeit an, die sie nicht an Mitarbeiter
delegieren möchten. Während also in Frankfurt und Hannover die inhaltliche
Zuarbeit als sinnvoll und wichtig für die Qualität der politischen Arbeit und auch
als Entlastungsfaktor für die einzelnen Ratsmitglieder angesehen wird, gehört die
inhaltliche Vorbereitung im Verständnis der Nürnberger und der Mehrheit der
Stuttgarter Stadträte zu den Hauptaufgaben der Ratsmitglieder, die sie nicht
abgeben wollen und können.
Somit gibt es hinsichtlich dieser Tätigkeiten in den Städten unterschiedliche
Vorstellungen über die Aufgaben eines Ratsmitglieds. Das Selbstverständnis
wird durch die eigenen Erwartungen und die Funktionsvorstellungen, also die
Vorstellungen über die Tätigkeit eines Ratsmitglieds definiert (vgl. Simon
1988:33). Während die Ratsmitglieder in Nürnberg und teilweise auch in Stutt-
gart die inhaltliche Vorbereitung als genuine Aufgabe der Stadträte ansehen,
wird in Frankfurt und Hannover die Bedeutung der wissenschaftlichen und in-
haltlichen Zuarbeit als sehr wichtig eingeschätzt. Es stellt sich die Frage, worin
dieses unterschiedliche Selbstverständnis der Ratsmitglieder begründet ist. Wie
die Analyse bezüglich der personellen Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen
zeigte (vgl. 4.3.1.2), bestehen diese Unterschiede schon seit langem und haben
sich in der Zwischenzeit nicht aneinander angeglichen. Insofern könnte man also
annehmen, dass diese Rahmenbedingungen das Selbstverständnis der Ratsmit-
glieder prägen.
Ein Grund dafür könnte die unterschiedliche Sozialisation sein. So werden
die neu gewählten Ratsmitglieder in die Institution ‚Stadtrat’ unterschiedlich
hineinsozialisiert. Wie die Ratsmitglieder erläutern, orientieren sie sich nach der
ersten Mandatsübernahme an den Arbeits- und Verfahrensweisen der anderen
Rats- und Fraktionsmitgliedern. In den Städten Hannover und Frankfurt lernen
sie von Beginn an, einen Teil der Arbeit an die Mitarbeiter der Fraktionsge-
schäftsstelle abzugeben und sehen dies auch als Hilfe und Entlastung an. In
Stuttgart und Nürnberg hingegen erfahren die neuen Ratsmitglieder auch die
Vorbereitung und Recherchen als Kernaufgaben eines Ratsmitglieds kennen.
Eine zweite Erklärungsmöglichkeit bezüglich des unterschiedlichen Selbstver-
ständnisses der Ratsmitglieder könnte das Wahlsystem sein (vgl. dazu auch
6.1.1.2). Wie erläutert, sehen die Ratsmitglieder aufgrund des personalisierten
Wahlsystems in Baden-Württemberg und Bayern die Notwendigkeit, sich per-
6.2 Ressourcenbasierte Professionalisierung der Institution 217

sönlich zu profilieren. Dies hat nach Angaben der Ratsmitglieder zur Folge, dass
in den süddeutschen Bundesländern das einzelne Ratsmitglied eine wichtigere
Rolle einnimmt als die Fraktion. Angesichts dessen erscheint es nachvollziehbar,
dass die Ratsmitglieder in Stuttgart und Nürnberg auf ihre eigenständige Vorbe-
reitung pochen und eine inhaltliche Zuarbeit der Fraktionsgeschäftsstellen ableh-
nen. Bei geschlossener Listenwahl – das Wahlsystem bei Kommunalwahlen in
Niedersachsen und Hessen bis 1996 bzw. 2001 – hingegen stehen die Partei- und
Fraktionszugehörigkeit und die Profilierung innerhalb der eigenen Fraktion im
Vordergrund. Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Kempf (1989), der fest-
stellte, dass in jenen Städten und Gemeinden, in denen die Norddeutsche Rats-
verfassung gilt, die Fraktion als Gesamtes im Vordergrund steht, während in den
Städten und Gemeinden mit der Süddeutschen Ratsverfassung das einzelne
Ratsmitglied eine stärkere Stellung habe. Auch wenn sich die Wahlsysteme
durch die Reformen angeglichen haben, scheinen diese grundsätzlichen Einstel-
lungen bisher noch stabil zu sein.
Obwohl den Kommunalparlamenten die Budgetzuteilung für die
Fraktionsgeschäftsstellen unterliegt, und die Stadträte sich somit selbst mehr
Geld für die personelle Ausstattung bewilligen könnten, wird dies in allen vier
Untersuchungsstädten aus den beschriebenen unterschiedlichen Gründen von der
Mehrheit der Ratsmitglieder nicht als eine Entwicklungsoption angesehen.

6.2.2 Sachliche Ressourcen

Neben der personellen Ausstattung liegt eine weitere Möglichkeit der ressour-
cenbasierten Professionalisierung in den sachlichen Ressourcen. Dazu gehört
insbesondere die Infrastruktur wie z.B. Büros und technische Ausstattung. In der
Literatur werden gerade die Informationstechnologien und die elektronischen
Ratsinformationssysteme als Chance gesehen, um zum einen die Qualität der
Parlamentsarbeit zu erhöhen, da dadurch die Informationen schneller und einfa-
cher zugänglich sind als in einem herkömmlichen Archiv. Zum anderen könne
dadurch der Zeitaufwand für die Informationssuche und -verarbeitung sowie die
Entscheidungsvorbereitung verringert werden (vgl. Kempf 1989; Pound
1992:19; Enquete-Kommission Hamburg 1992). Zudem erhöhen die elektroni-
schen Ratsinformationssysteme die zeitliche Flexibilität der Ratsmitglieder. So
können sie dadurch jederzeit und von jedem Ort auf die Informationen zugreifen.
Dies ist insbesondere angesichts der Rahmenbedingungen der Mandatsausübung
wichtig, da die Ratsmitglieder – mit Ausnahme der Fraktionsvorsitzenden – über
keinen eigenen Arbeitsplatz im Rathaus verfügen und sie Mandatstätigkeiten wie
Recherchen und Verwaltungsanfragen in der Regel nach ihrer regulären Arbeit,
218 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

also vor allem abends und am Wochenende, durchführen. Somit könnte eine
Verbesserung der technischen Ausstattung die Ratsmitglieder in ihrer Arbeit
entlasten – entweder direkt, indem sie bei der Informationsbeschaffung zeitliche
Erleichterungen haben oder indirekt, indem die Mitarbeiter die Informationsbe-
schaffung schneller erledigen können und sie daher die Ratsmitglieder noch
stärker, auch bei anderen Ratstätigkeiten, unterstützen können.
In Stuttgart hält mit 19,4% lediglich knapp ein Fünftel der Stadträte eine
bessere technische Ausstattung für notwendig. In den anderen drei Untersu-
chungsstädten sprach sich im Gegensatz dazu jeweils deutlich mehr als die Hälf-
te der Ratsmitglieder für eine bessere technische Ausstattung aus: In Hannover
61%, in Frankfurt 58% und in Nürnberg 66%. Dabei gibt es keine nennenswer-
ten Unterschiede in der Einschätzung hinsichtlich der Variablen Alter116, Partei117,
Berufsgruppen118 und Geschlecht119. Bei der Analyse der Angaben der Ratsmit-
glieder, inwiefern eine bessere Ausstattung zu einem Qualitätsgewinn und einer
Zeitersparnis führen könnte, muss hier – ebenso wie bei der personellen Ausstat-
tung – von dem bereits erreichten Niveau ausgegangen werden. So zeigte die
Untersuchung in 4.3.1.3 einen sehr unterschiedlichen Grad der technischen Aus-
stattung in den vier Städten. Somit wird im Folgenden zunächst jeweils kurz auf
das bereits erreichte Niveau der technischen Ausstattung in den Städten einge-
gangen, um anschließend die Einstellungen der Ratsmitglieder genauer zu
untersuchen.
Hierbei zeigte sich, dass die Stadträte in Stuttgart technisch sehr gut ausge-
stattet sind (vgl. 4.3.1.3). So gibt es seit 2002 das elektronische Kommunale
Rats- und VerwaltungsInformationsSystem (KORVIS), in dem alle zur Ent-
scheidungsfindung notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt werden.
Dadurch sollte eine effizientere Informationsversorgung erreicht werden und
gleichzeitig die Entscheidungsqualität verbessert werden. Auf diesem Portal
können die Stadträte alle Sitzungsunterlagen, Protokolle und das Archiv abrufen.
Zudem verfügt jedes Ratsmitglied über ein sogenanntes ‚mobiles Büro’ durch
von der Stadt zur Verfügung gestellte Laptops und ISDN-Anschlüsse. Insofern
ist die große Mehrheit der Stuttgarter Stadträte mit der technischen Ausstattung

116 53% der Altersgruppe 20-35 Jahre, 55% der 36-50-Jährigen und 51% der 51-70-Jährigen
sprachen sich für eine bessere technische Ausstattung aus.
117 52% der CDU- bzw. CSU-Fraktionsmitglieder, 54% der SPD-Fraktionsmitglieder, 50% der
Mitglieder von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und 50% der FDP-Fraktionsmitglieder halten ei-
ne bessere technische Ausstattung für notwendig.
118 50% der Nicht-Berufstätigen, 47% der öffentlich Bediensteten und Beamten, 53% der Selb-
ständigen/Freiberufler, 57% der Angestellten im politischen/politiknahen Bereich und 53% der
Angestellten in der Privatwirtschaft sprachen sich für eine bessere technische Ausstattung aus.
119 49% der weiblichen und 55% der männlichen Ratsmitglieder erachten eine bessere technische
Ausstattung für notwendig.
6.2 Ressourcenbasierte Professionalisierung der Institution 219

und mit dem Ratsinformationssystem zufrieden, und 85% der Stuttgarter Stadträ-
te halten den bereits erfolgten Ausbau des Ratsinformationssystems für eine
große Erleichterung ihrer Ratstätigkeit. Dies erklärt den geringen Anteil von
19% der Stadträte, die sich eine bessere technische Ausstattung als Arbeitser-
leichterung wünschen.
In Frankfurt gibt es das Parlamentsinformationssystem PARLIS 2000, das
den Stadtverordneten ebenfalls erlaubt, die öffentlichen und nicht-öffentlichen
Vorlagen, Protokolle, Beschlüsse und Niederschriften online aufzurufen und
nach Stichworten zu durchsuchen (vgl. 4.3.1.3). Allerdings handelt es sich dabei
im Gegensatz zu jenem in Stuttgart um ein System, das nach Angaben der Stadt-
verordneten viele technische Probleme aufweist. Daher sehen sie in diesem Be-
reich Verbesserungsbedarf. Trotzdem geben 79% der Stadtverordneten an, dass
die Rahmenbedingungen ihrer Mandatstätigkeit durch das Ratsinformationssys-
tem bereits verbessert wurden. In Frankfurt wurde zudem darüber diskutiert, den
Stadtverordneten, ähnlich wie in Stuttgart, einen Laptop zur Arbeitserleichterung
zur Verfügung zu stellen.
„Wir hatten vor einigen Jahren den Vorschlag, dass wir diesen Riesenberg an Papieren vermin-
dern, indem jeder einen Laptop bekommt, wo er dann übers Internet alles einsehen kann und
damit arbeiten kann“ (F24).

Das Projekt wurde jedoch nach der ersten Haushaltssperre gestoppt, „weil wir
uns nicht mehr getraut haben“ (F2). Die Stadtverordneten halten jedoch ein sol-
ches ‚mobiles Büro’ für die Ratstätigkeit für hilfreich. Daher wünschen sich
knapp 60% der Stadtverordneten eine bessere technische Ausstattung (vgl. F18,
F8, F2, F27).
In Hannover existiert ebenfalls ein Ratsinformationssystem, in dem die
Ratsmitglieder die Vorlagen einsehen und ausdrucken können und nach be-
stimmten Stichworten durchsuchen können (vgl. 4.3.1.3). Auch hier wird es von
79% der Ratsmitglieder als Arbeitserleichterung angesehen, obwohl viele die
Schwächen im System und in der Pflege des Online-Archivs bemängeln (vgl.
H35, N33, H23, H18). Des Weiteren erläutern einige, dass viele der Ratsmitglie-
der das System noch nicht nutzen, „weil da viele noch nicht so klar kommen“
(H23). Aufgrund der Tatsache, dass sich die Ratsmitglieder nun selbst ihre Vor-
lagen ausdrucken und dies nicht mehr von der Fraktionsgeschäftsstelle erledigt
wird, konnte in Hannover eine Arbeitsentlastung des Fraktionspersonals erreicht
werden. Dadurch können die Mitarbeiter den Ratsmitgliedern in anderen Berei-
chen stärker zuarbeiten. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass
ein Großteil der Ratsmitglieder in Hannover durchaus eine Arbeitserleichterung
durch das Ratsinformationssystem erkennt, und dass sich gerade infolgedessen
60% der Ratsmitglieder eine (noch) bessere technische Ausstattung wünschen.
220 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

In Nürnberg ist im Städtevergleich der Wunsch nach einer besseren technischen


Ausstattung mit einem Anteil von 66% der Stadträte am größten. Wie die Analy-
se (vgl. 4.3.1.3) zeigte, gibt es in Nürnberg keine technische Ausstattung für die
Stadträte: So existiert kein elektronisches Ratsinformationssystem, in dem die
Sitzungsunterlagen recherchiert werden können. Insofern wird hier der Wunsch
nach einem „EDV-Archiv, auf das jeder Stadtrat von zu Hause oder vom Ar-
beitsplatz aus zugreifen kann“ (N2) von den Ratsmitgliedern formuliert. Bisher
steht den Stadträten lediglich ein normales Archiv zur Verfügung, in dem die
Ratsmitglieder nach Anträgen und Informationen suchen können:
„Wenn Themen wieder aufkommen, dann müssen wir hier in den dicken Leitz-Ordnern oder
im Keller suchen; das ist sehr zeitaufwendig. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen“ (N1).

Insbesondere die neueren Stadträte wissen dann häufig nicht, dass das Thema
bereits vor Jahren im Kommunalparlament auf der Agenda stand und stellen aus
Unwissenheit die gleichen Anträge nochmals. Durch eine einfachere Suche in
einem elektronischen Archiv könnte sich daher die Qualität verbessern (vgl.
N30). Auch verfügen die Stadträte über keine Laptops, da diese nicht finanzier-
bar sind (vgl. 4.3.1.3). Die Stadträte sind der Ansicht, dass sich durch eine besse-
re technische Ausstattung eine Zeitersparnis erzielen lässt. Die Umsetzung schei-
terte jedoch bisher an der Finanzierung. „Es hängt aber nicht am Interesse, son-
dern es fehlt das Geld, das können wir uns momentan nicht leisten“ (vgl. N2).
So lässt sich also insgesamt feststellen, dass die Ratsmitglieder in allen vier
Städten durch eine gute technische Ausstattung und eine schnelle und gebündelte
Informationssuche sowohl Verbesserungen in der Qualität der Ratsarbeit als
auch einen zeitsparenden Effekt erkennen und erwarten. Die Umsetzung dieser
Ausstattung scheitert allerdings in Nürnberg und teilweise auch in Frankfurt an
der Finanzierung. Jedoch zeigt sich, dass im Gegensatz zu einer besseren perso-
nellen Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen keine Bedenken seitens der
Ratsmitglieder gegen eine bessere technische Ausstattung bestehen. Insofern ist
anzunehmen, dass auch in den Städten mit geringen technischen Ressourcen bei
einer besseren Haushaltslage diese Arbeitserleichterungen eingeführt werden.
Trotzdem zeigt insbesondere das Beispiel von Stuttgart – „eine Umfrage zur
elektronischen Unterstützung der Gemeinderatsarbeit (...) zeigt Stuttgarts Vorrei-
terstellung auf diesem Gebiet“ (GRDrs 1091/2001) – dass eine sehr gute techni-
sche Ausstattung nicht ausreichend ist, um den Zeitaufwand der Ratsmitglieder
so zu verringern, dass eine ehrenamtliche Ausübung wieder problemlos möglich
ist.
6.3 Professionalisierung des Amtes 221

6.2.3 Entwicklungsoption ressourcenbasierte Professionalisierung:


Zwischenfazit

Eine weitere ressourcenbasierte Professionalisierung wird in den vier Untersu-


chungsstädten hinsichtlich der personellen Ausstattung lediglich von 42% der
Ratsmitglieder als notwendig und erstrebenswert angesehen. Generell zeigt sich,
dass die Ratsmitglieder in jenen Städten, in denen bereits eine ressourcenbasierte
Professionalisierung festgestellt wurde, die personelle Zuarbeit als zeitliche Ent-
lastung ansehen, während in den anderen Städten eine Entwicklung in diese
Richtung für die Ratsmitglieder nicht erstrebenswert ist. Vielmehr lehnen die
Ratsmitglieder in Stuttgart und Nürnberg eine inhaltliche Zuarbeit durch Frakti-
onsmitarbeiter ab. Diese Unterschiede lassen sich dabei unter anderem mit einem
unterschiedlichen Selbstverständnis der Ratsmitglieder bezüglich der Kernauf-
gaben eines Ratsmitglieds erklären. Eine gute technische Ausstattung wird hin-
gegen von der Mehrheit der Ratsmitglieder in Hannover, Frankfurt und Nürnberg
als wünschenswert betrachtet. Die Umsetzung scheiterte jedoch bisher an der
Finanzierbarkeit. In Stuttgart hingegen ist die technische Ausstattung bereits auf
einem solch hohen Niveau, dass ein weiterer Ausbau kaum möglich ist und daher
von den Stadträten auch nicht gefordert wird. Die Kommunalparlamente können
selbst über den Grad der ressourcenbasierten Professionalisierung entscheiden.
Allerdings wird insbesondere die Professionalisierung durch eine bessere perso-
nelle Ausstattung aus den beschriebenen Gründen von der Mehrheit der Ratsmit-
glieder nicht als Entwicklungsoption angesehen, so dass keine weitere ressour-
cenbasierte Professionalisierung zu erwarten ist. Eine Verbesserung der techni-
schen Infrastruktur wird hingegen durchweg positiv beurteilt. Gerade dies stößt
jedoch aktuell an Grenzen, die durch die finanzielle Situation der Kommunen
vorgegeben sind. Bei einer besseren finanziellen Lage ist jedoch eine weitere
Professionalisierung in diesem Bereich zu erwarten.

6.3 Professionalisierung des Amtes

Eine weitere Entwicklungsoption ist die Professionalisierung der politischen


Ämter – entweder aller Ratsmitglieder oder nur bestimmter Funktionsträger. Wie
die Analyse in 4.4.1 zeigt, variiert der Professionalisierungsgrad des Amtes in
den vier Städten zu einem relativ hohen Grad: In Stuttgart ist der Grad der Pro-
fessionalisierung des Amtes am höchsten, gefolgt von Nürnberg. In Frankfurt
besteht ein mittlerer Professionalisierungsgrad, während Hannover den gerings-
ten Grad der Professionalisierung des Amtes aufweist. Es wurde festgestellt, dass
es sich dabei insbesondere in Stuttgart und Nürnberg bereits um eine informelle
222 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

Teil-Professionalisierung handelt, während in Hannover das Amt noch am ehes-


ten als ehrenamtlich betrachtet werden kann. Die Analyse der individuellen Pro-
fessionalisierung zeigte, dass über 85% der Ratsmitglieder individuelle Strate-
gien anwenden, um eine Vereinbarkeit von Beruf und Mandat zu ermöglichen –
und sie sich dadurch in einer Situation zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
befinden (vgl. 5.4.). Dabei professionalisieren sich knapp 50% der Ratsmitglie-
der individuell und machen de facto vor allem Politik. Sie könnten daher eine
Formalisierung der aktuellen Situation für erstrebenswert halten. Insofern stellt
sich die Frage, welche Einstellungen die Ratsmitglieder zu einer formalen Pro-
fessionalisierung haben. Im Folgenden wird zuerst untersucht, inwiefern die
Ratsmitglieder die Professionalisierung aller Ämter für wünschenswert und er-
strebenswert halten. Dabei wird darauf eingegangen, welche Gründe ihrer An-
sicht nach für und gegen eine Professionalisierung sprechen. In einem weiteren
Schritt wird analysiert, welche Ratsmitglieder sich für eine Professionalisierung
des Amtes aussprechen. In einem dritten Schritt wird die Einstellung der Rats-
mitglieder zur Option der Professionalisierung eines Teils der Ämter untersucht.
Im letzten Teil werden entlang der Handlungsmöglichkeiten der Ratsmitglieder
Schlussfolgerungen über eine mögliche Professionalisierung der Ämter gezogen.

6.3.1 Professionalisierung aller Ratsmitglieder

Parallel zu der Entwicklung auf den höheren Ebenen des politischen Systems ist
die Professionalisierung aller Ämter als mögliche Entwicklungsoption plausibel.
Die Ansichten, ob es sich dabei um eine sinnvolle Entwicklung handeln würde,
sind dabei allerdings konträr: So spricht sich mit 52% die Hälfte der Ratsmit-
glieder in den vier Städten für eine Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit aus, wäh-
rend die andere Hälfte für eine formale Statusänderung plädiert: 32% der Rats-
mitglieder halten eine Semiprofessionalisierung und 16% eine vollständige Pro-
fessionalisierung des Amtes für angemessen. Im Folgenden werden zunächst die
Gründe der Ratsmitglieder für diese Einstellung analysiert, um dann in einem
zweiten Schritt genauer auf die Variablen, die diese Einstellungen bedingen,
einzugehen.

6.3.1.1 Pro und contra Professionalisierung: Argumentationsstränge

In der schriftlichen Befragung nannten die Ratsmitglieder als Gründe für eine
Professionalisierung die ‚zeitliche Belastung’, die ‚Entscheidungsqualität’ und
die ‚soziale Öffnung’. Die Gründe ‚soziale Anbindung’, ‚Vermeidung von Ab-
6.3 Professionalisierung des Amtes 223

hängigkeit’, ‚Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung’ und das Finanzierungs-


problem sprechen ihrer Meinung nach gegen eine Professionalisierung des Am-
tes. Diese Gründe für und gegen eine Professionalisierung werden im Folgenden
näher erläutert.

Zeitliche Belastung
Drei Viertel aller Ratsmitglieder sehen in der zeitlichen Belastung durch das
Mandat ein Argument für eine Professionalisierung. In den Untersuchungsstäd-
ten Stuttgart (83% der befragten Ratsmitglieder), Frankfurt (83%) und Nürnberg
(74%) wird dabei von der überwiegenden Mehrheit die zeitliche Belastung als
Pro-Argument für eine Professionalisierung der Ratsmitglieder angeführt. In
Hannover liegt der Anteil mit 53% hingegen weit niedriger. Wie bereits unter
2.2.3 erläutert, waren der Arbeitsaufwand und die zeitliche Belastung auch auf
den höheren Ebenen des politischen Systems jeweils das Hauptargument für die
Professionalisierung des Amtes (vgl. Burmeister 1993:45; Borchert/Golsch
1999). Die Analyse ergab, dass der Zeitaufwand in den vier Städten bei mindes-
tens 25 bis 35 Stunden pro Woche liegt (vgl. 4.1.3). Im Rahmen dieser Professi-
onalisierungs’diskussion’ argumentieren die Ratsmitglieder daher mit dem tägli-
chen Arbeitsanfall, der Zahl der Vorlagen und Drucksachen sowie der Anzahl
und Dauer der Sitzungen (N8, S5, N31, N15, F24, S3, F9, F32). Aussagen wie
„Die Ehrenamtlichkeit ist eine große Lüge“ und „Die Belastungen aus der Rats-
tätigkeit lassen kaum noch eine berufliche Tätigkeit zu“ (H6) belegen dies. Als
Gegenargument führen einige Ratsmitglieder das aus ihrer Sicht unnötige Hin-
eindrängen des Rates in die Aufgaben der Verwaltung an. Durch die Umsetzung
des Neuen Steuerungsmodells und einer damit zusammenhängenden Konzentra-
tion auf das Wesentliche (vgl. 6.1.1.1) ließe sich die Belastung reduzieren. Je-
doch zeigte die Analyse der Bewertung des Neuen Steuerungsmodells durch die
Ratsmitglieder, dass dies von der großen Mehrheit der Ratsmitglieder abgelehnt
wird (vgl. 6.1.1.2).
Die Ratsmitglieder vergleichen ihre zeitliche Belastung in allen vier Unter-
suchungsstädten in der Regel mit jener der professionellen Landtagsabgeordne-
ten. Nach Einschätzung der Ratsmitglieder hat ein Ratsmitglied in einer Groß-
stadt mindestens ebenso viel Arbeit wie ein Landtagsabgeordneter:
„Stadträte einer Großstadt leisten zeitlich gesehen ein Vielfaches im Vergleich zu Landtagsab-
geordneten. Vergleichen sie mal den zeitlichen Aufwand, die Entschädigungen und die berufli-
chen Eingriffe; bei einer Belastung von 50 bis 80 Stunden pro Woche ist eine berufliche Tätig-
keit praktisch nicht auszuüben“ (S14).

Daher „müssten wir eigentlich den Landtagsabgeordneten gleichgestellt werden“


(S28; vgl. S13, F28, H23), argumentieren die Ratsmitglieder. Durch die Profes-
224 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

sionalisierung des Amtes hätten sie die notwendige Zeit, um das Mandat verant-
wortungsbewusst auszuüben.
„Ich glaube, dass der Zeitaufwand, den ein Stadtverordneter hat, um das Mandat wirklich gut
und seriös auszuüben, so hoch ist, dass es sich nicht mit einem normalen Beruf vereinbaren
lässt. Daher kann es meiner Meinung nach nur funktionieren, wenn es professionalisiert wird,
sprich man bekommt ein Gehalt, um die Zeit zu haben, damit man nicht arbeiten muss und sich
richtig darum kümmern kann“ (H35).

Entscheidungsqualität
Eng zusammenhängend mit der zeitlichen Belastung erwarten 59% der Ratsmit-
glieder, wie aus dem Zitat des Hannoveraner Ratsherrn deutlich wird, durch eine
Professionalisierung eine bessere Qualität der Ratsarbeit. Die Grundfunktion
aller demokratischen Parlamente besteht darin, einen wesentlichen Beitrag zur
demokratischen Legitimation zu leisten. Dies setzt jedoch die Fähigkeit zu ver-
antwortlicher Entscheidung voraus, was ein Parlament jedoch nur kann, wenn es
die Verwaltung grundsätzlich zu kontrollieren vermag.
„Kontrollieren bezeichnet den Prozess bzw. die Fähigkeit der Informationsgewinnung, Infor-
mationsverarbeitung und abschließender verbindlicher Stellungnahme (...) bzw. rechtwirksa-
mer Entscheidung“ (Steffani 1984:159).

Die Ratsmitglieder erläutern jedoch, dass sie aufgrund des hohen Zeitaufwands
und der gestiegenen Komplexität der Ratsaufgaben die Entscheidungen nicht
mehr in dieser Weise fällen können. Wie unter 4.1.3. erläutert, setzen die Rats-
mitglieder aufgrund ihres begrenzten Zeitbudgets Prioritäten bei ihren unter-
schiedlichen Aufgaben. Da für die Sitzungen Anwesenheitspflicht besteht, er-
folgt eine Einschränkung insbesondere bei der Vorbereitung für die Sitzungen,
also beispielsweise beim Lesen der Vorlagen und Berichte, bei der Recherche
sowie bei Besprechungen mit Verwaltung und Bürgern (vgl. N18, F31).
„Die zunehmende Komplexität der zu entscheidenden Materien erfordert
eine immer umfangreichere Einarbeitungszeit“ (H17). Diese Einarbeitungszeit
kann jedoch von vielen Ratsmitgliedern nicht mehr geleistet werden. Das Ergeb-
nis ist eine oberflächliche unzureichende Vorbereitung und Ausübung der eigent-
lichen Ratsarbeit (vgl. F32, S13). Die Analyse zeigte zwar, dass daher eine star-
ke Arbeitsteilung und Spezialisierung innerhalb der Fraktionen stattfindet. Aber
selbst bei ihren eigentlichen Fachgebieten fehlt häufig die Zeit zur notwendigen
Einarbeitung, was sich auf die Entscheidungsqualität negativ auswirkt. So erläu-
tert ein Stadtverordneter:
„Denn ich glaube eben nicht, dass man das Mandat wirklich gut machen kann, wenn man einen
Beruf hat. Es gibt manche, die machen das irgendwie, aber die sind nicht wirklich gute Stadt-
verordnete, die nehmen nicht wirklich Einfluss auf die Stadtpolitik, was ja eigentlich ihr Job
6.3 Professionalisierung des Amtes 225

ist, gestalten da nichts, und das kann man eben nur machen, wenn man die entsprechende Zeit
hat“ (F24).

Eine Ratsfrau äußert sich ähnlich, wenn sie sagt:


„Manchmal sitze ich dann in den Ausschüssen und denke, Mensch, hier werden Sachen abge-
nickt, da bin ich mir sicher, dass die jetzt gerade keiner richtig versteht. Und das ist dann eben
so eine Sache, wie sollen wir die Verwaltung kontrollieren, wenn das keiner versteht – und das
passiert eben manchmal. Weil es eben alles Feierabendpolitiker sind, die einfach nicht die Zeit
und die Muße haben, sich da ganz mit zu beschäftigen. (...) Und dadurch [eine Professionalisie-
rung] hätte man eben mehr Zeit zur Verfügung, um die Sachen eben ordentlicher und gründli-
cher zu machen“ (F2; vgl. auch H29, H32).

Aufgrund des aktuellen Tagesgeschäfts sei es zudem zeitlich nicht oder nur
schwer möglich, längerfristige, strategische Ziele zu entwickeln. Die Ratsmit-
glieder erläutern somit teilweise selbst, dass sie jene politischen Aufgaben, die
durch das oben diskutierte Neue Steuerungsmodell wieder ins Zentrum der poli-
tischen Arbeit rücken sollen, nicht bzw. in einem nicht ausreichenden Maße
ausüben. So erklärt ein Hannoveraner Ratsherr: „Die Koordinierungsaufgaben
und die Entwicklung strategischer Ziele kommen bei der ehrenamtlichen Tätig-
keit wegen des enormen Tagesgeschäfts zu kurz“ (H34). Da die Mehrheit der
Ratsmitglieder jedoch eine Konzentration auf strategische Entscheidungen ab-
lehnt (vgl. 6.1.1.), halten sie ein höheres Zeitbudget für erforderlich, um neben
dem aktuellen Tagesgeschäft wieder genügend Zeit für strategische Entschei-
dungen zu haben.
Der dritte Bereich, in dem die Ratsmitglieder nach eigenen Angaben Ein-
schränkungen machen müssen, sind die Bürgerkontakte. Auf abendliche Veran-
staltungen könnten sie zwar gehen, aber gerade die Termine tagsüber lassen sich
schwer in ihren Arbeitslauf einrichten.
„Seit ich Rentner bin, fühle ich mich so, als wenn ich Profi-Politiker wäre; ich bin den ganzen
Tag mit Gesprächen und Terminen voll. (...) Man hätte durch eine Professionalisierung auch
viel mehr Zeit, um sich die Projekte vor Ort anzuschauen“ (H35; vgl. auch Simon 1988:66;
Banner 1996:161).

Insofern erwarten die Ratsmitglieder, dass eine Professionalisierung zu einer


Qualitätsverbesserung der inhaltlichen Arbeit führt, da sie sich dann mit dem
notwendigen und nicht nur mit dem verfügbaren Zeitbudget um ihre Aufgaben
kümmern können.

Soziale Anbindung
Die ‚soziale Anbindung’ wird von 53% der Ratsmitglieder als Argument für die
Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit des Amtes genannt, da eine Professionalisie-
rung – wie auf den höheren Ebenen zu erkennen – zum Verlust der „Bodenhaf-
226 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

tung“ (H32) führt und damit zur Abgehobenheit der Politiker. Somit ist das
Hauptargument hierbei das der Entfremdung, die drohende Entfremdung zwi-
schen den Repräsentanten und den Bürgern, die sich häufig in zunehmender
Politikverdrossenheit ausdrücke. Die Anbindung an den Beruf sei dabei ein
wichtiges Korrektiv. „Denn wenn man eben nur Politik macht, dann verleitet das
dazu, gar nicht mehr mit Leuten zu reden, die in anderen Zusammenhängen ar-
beiten und leben“ (H32; vgl. auch F27). Ähnlich äußert sich eine Ratsfrau aus
Hannover:
„Ich glaube, wenn ich nicht berufstätig wäre, dann hätte ich ein Problem: Ich wüsste mit man-
chen Themen nichts so richtig anzufangen. Man muss auch die Rückkopplung haben, um auch
zu wissen, was ist das jetzt überhaupt für ein Thema und warum ist es wichtig und was wollen
wir da bewegen; das erfährt man doch recht häufig aus dem Umfeld des Berufs oder von Kol-
legen“ (H19; ähnlich F16, N13).

„Das wichtigste bei der Ehrenamtlichkeit ist, dass es lebens- und wirklichkeitsorientierter ist.
Ich bin ja in meinem Beruf mit den ganz normalen Lebens- und Wirklichkeitsproblemen kon-
frontiert und muss mich mit denen auseinandersetzen. Und das halte ich schon für wichtig, da
man jetzt dadurch eine andere Sichtweise in den Rat einbringt als Verwaltungsbeamte es tun,
das halte ich für eine große Stärke“ (S1).

Die Ratsmitglieder halten eine Verwurzelung in ihrer Stadt dabei für noch wich-
tiger als auf den höheren Ebenen. „Im Gegensatz zum Landtag und zum Bundes-
tag erfordert eine Stadtratstätigkeit noch viel stärker Erfahrungen vor Ort,
Kenntnis der Lebensverhältnisse der Bürger“ (S29; ähnlich N2). Historisch be-
trachtet, ist die lokale Selbstverwaltung gerade darin begründet, dass „der Rat
das praktische Leben in die Verwaltung einbringt. Das ist eigentlich ja auch das
entscheidende Moment der kommunalen Demokratie“ (H23; vgl. auch H19,
N22). Dabei lebe ehrenamtliche Kommunalpolitik vor allem von den Erfahrun-
gen der verschiedenen Personen- und Berufsgruppen. Vollzeitpolitiker sind dies-
bezüglich zu unflexibel und im ‚normalen’ Leben nicht mehr eingebunden
(N22). Allerdings sehen viele der Ratsmitglieder bereits heutzutage – trotz der
formalen Ehrenamtlichkeit und der zumindest noch teilweisen Verankerung im
Beruf – eine gewisse Abgehobenheit der Ratsmitglieder.
„Denn auch bei dem derzeitigen System verlieren Mandatsträger gelegentlich den ‚Boden unter
den Füßen’, wenn diese sehr lang ihr Mandat innehaben. Eine Professionalisierung würde dies
noch verstärken“ (H25; vgl. auch N30).

So garantiert ihrer Meinung nach die formal ehrenamtliche Ausübung nicht per
se eine soziale Anbindung. So ‚opfern’ die gewählten Mandatsträger in den
Großstädten zumeist ihre gesamte Freizeit für die politische Arbeit und haben
dadurch einen anderen Lebensstil als die normalen Bürger. Dadurch geht, so die
Ratsmitglieder, ein Teil der sozialen Anbindung verloren. Einige Ratsmitglieder
6.3 Professionalisierung des Amtes 227

führen zudem an, dass die soziale Anbindung nicht nur durch eine Berufsaus-
übung, sondern auch außerhalb des Arbeitsplatzes gewonnen werden kann.
„Durch eine Verwurzelung im Wahlkreis und in der Stadt kann man die Abgehobenheit ver-
hindern. (...) Man muss vor Ort wohnen, dort in den Vereinen verwurzelt sein, dass die Bürger
wissen, wer das eigentlich ist. Das ist viel wichtiger als die Verwurzelung im Beruf“ (H35).

So könnte durch eine Professionalisierung die soziale Anbindung sogar wieder


erhöht werden, indem die Ratsmitglieder zwar nicht mehr am Berufsleben teil-
nehmen, aber nun wieder verstärkt in ihrer Freizeit in der Sozialgemeinde.

Soziale Öffnung
21% der Ratsmitglieder nennen die soziale Öffnung des Mandats als Pro-
Argument für eine Professionalisierung des Amtes. Wie unter 2.2.2.1 erläutert,
muss gemäß dem parlamentarischen Gleichheitssatz die Ausübung des Ehren-
amts so organisiert sein, dass das Mandat neben nahezu jedem Beruf ausgeübt
werden kann. Wie unter 5.2 analysiert, können jedoch aufgrund des hohen Zeit-
aufwands in den deutschen Großstädten nur jene Personen ein Ratsmandat über-
nehmen, deren Beruf zumindest zeitlich flexible Wahrnehmungsmöglichkeiten
zulässt. Dies führt auch dazu, dass sich interessierte Personen nicht für ein Man-
dat aufstellen lassen können, da sie die Mandatsausübung nicht mit ihrem Beruf
vereinbaren könnten.
„Aufgrund des hohen Zeitaufwands können nur noch bestimmte Berufsgruppen ein Mandat
wahrnehmen. Dies ist ein Problem, weil dadurch der Bevölkerungsquerschnitt nicht mehr oder
nur eingeschränkt gespiegelt wird. Dies ist sozusagen die Kehrseite von dem, dass es sich um
ehrenamtliche Stadträte handelt“ (S1; vgl. auch H18).

Nach den Vorstellungen vieler Ratsmitglieder sollten im Stadtrat jedoch mög-


lichst alle Bevölkerungsgruppen vertreten sein (vgl. N16, F2, H24). In der Pro-
fessionalisierung des Amtes sehen sie daher eine Chance, „das Mandat wieder
für neue Berufsgruppen zu öffnen“ (F28; vgl. auch H8). Nach Ansicht vieler
Ratsmitglieder würde dies eine Qualitätsverbesserung mit sich bringen, da gera-
de hochqualifizierte Personen heutzutage aufgrund ihrer anspruchsvollen Berufe
ein Mandat nicht wahrnehmen können.
„Das ist auch eine Möglichkeit zur besseren Rekrutierung, damit die auch Qualität mitbringen.
Insbesondere wenn man jüngere Leute haben möchte, da muss man dann auch gesetzlich den
Spielraum etwas ausdehnen“ (S16; vgl. auch F2, F13).

Ein großer Anteil der Ratsmitglieder bezweifelt allerdings, dass durch eine Pro-
fessionalisierung eine soziale Öffnung erreicht werden kann. Dabei zeigen sich
insbesondere zwei Argumentationsstränge: So wird argumentiert, dass es da-
durch nicht zu einer sozialen Öffnung kommen, sondern dass sich die soziale
228 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

Schließung vielmehr lediglich verschieben würde. Grund dafür sei, dass ein
professionalisiertes Amt für die verschiedenen Berufs- und Personengruppen
unterschiedlich attraktiv sei.
„Eine hauptberufliche Tätigkeit stellt für die verschiedenen Berufsgruppen einen unterschiedli-
chen finanziellen Anreiz dar, für das Parlament zu kandidieren, ich würde mir nicht verspre-
chen, dass dann die Schichten, die Berufe besser in den Parlamenten repräsentiert werden.
Denn wir bekommen weder einen Rechtsanwalt, einen Mediziner oder einen selbständigen In-
genieur, der würde das nur machen, wenn er finanziell ungefähr das gleiche erzielt, was er in
seinem Beruf auch erzielt“ (F17; vgl. auch F17, N7, H23, S13).

Die Ratsmitglieder erwarten daher, dass sich hochqualifizierte Personen mit


einem gut bezahlten Job gegen die Ausübung des Mandats entscheiden würden,
da für sie ein Mandat nicht attraktiv genug wäre und sich somit ihr Anteil im Rat
im Gegensatz zur aktuellen Situation verringern würde. An ihrer Stelle würden
stattdessen Angehörige des Öffentlichen Dienstes und Verbandsfunktionäre
nachrücken, wie an der Zusammensetzung des Bundestages und anderer Landta-
ge abzulesen ist. „Die Befürchtung besteht also, dass das Ratsmandat dann für
solche Personengruppen attraktiv werden würde, die nicht gewünscht sind bzw.
die im Rat bereits überwiegend vertreten sind“ (S13). Diese Einschätzung der
Ratsmitglieder entspricht weitestgehend den empirischen Erkenntnissen, insbe-
sondere aus der US-amerikanischen Professionalisierungsforschung.
„When legislatures professionalize, however, service becomes full-time, and the relative
burdens reverse. Now professionals and proprietors are reluctant to give up their more secure
and lucrative primary occupations, whereas salary and wage earners may find public service
more attractive than their current positions“ (Fiorina 1999:975).

Auch Rosenthal zeigte bei seinen Studien zur Professionalisierung der state le-
gislatures in den USA auf, dass durch die Professionalisierung des Amtes neue
Personengruppen in die Parlamente kommen:
„Another difference between the new breed and the old breed relates to occupations. The old
breed (lawyers and businesspeople) are being replaced by career politicians who come from the
ranks of unseasoned lawyers, teachers, preachers, spouses of professionals, single people
which can live on a legislative salary, public organizer, legislatives aides, and others like ilk
(…) Another part of the new breed is made up of the younger, newer members – men and
women alike – who come out of college, graduate school, or law school and go directly into
politics“ (Rosenthal 1998:75).

Die zweite Argumentation der Ratsmitglieder geht noch weiter: So würde eine
Professionalisierung des Amtes nicht nur zu einer Verschiebung, sondern sogar
zu einer weiteren sozialen Schließung führen, da dadurch eine politische Klasse
auf kommunaler Ebene entstehen würde. Somit gäbe es dann nur noch eine ‚Be-
rufsgruppe’ in den Großstädten: Die Berufspolitiker. „Wir würden eine Politiker-
6.3 Professionalisierung des Amtes 229

Kaste in einer Stadt züchten, die eigentlich ihr ganzes Leben nichts anderes
macht als verschiedene politische Funktionen auszuüben“ (S1; vgl. F1, H23). Ein
damit zusammenhängendes Argument der Ratsmitglieder ist, dass es aufgrund
der Schließung durch die Professionalisierung immer schwieriger werde, ein
Mandat in einer Großstadt auszuüben, da diese professionalisierten Ämter um-
kämpft sein würden. Dadurch würde sich der Charakter der Kommunalpolitik als
Schule der Demokratie verändern:
„Und ein weiterer Punkt ist auch der, dass durch die Ehrenamtlichkeit der politische Nach-
wuchs auch eine Möglichkeit hat, reinzukommen, sich das anzuschauen; es als Schule der De-
mokratie zu nutzen, um dann auf höheren Ebenen aktiv zu sein. Wenn das professionell wäre,
wäre der Eintritt nicht so einfach. Politisch Interessierte haben heutzutage hingegen eine Chan-
ce rein zu kommen und zu lernen“ (H32; vgl. auch H39).

Finanzierungsproblem
Ein weiteres Argument, das gegen eine Professionalisierung des Amtes hervor-
gebracht wird, sind die hohen Kosten einer Professionalisierung. Insbesondere
angesichts der aktuellen Haushaltslage sei eine Professionalisierung ausgeschlos-
sen (vgl. F8, S1, N25). Zudem müssten bei einer Professionalisierung des Amtes
die Diäten zumindest so hoch sein, dass sie auch für einen Großteil der Bevölke-
rungsgruppen attraktiv sind, um nicht, wie bereits unter dem Argument ‚Soziale
Öffnung’ diskutiert wurde, eine soziale Schließung herbeizuführen, indem die
Ausübung des Mandats dann für ‚Besserverdienende’ nicht mehr attraktiv wäre.
So erläutert ein Ratsherr:
„Wenn sie jetzt eine Bezahlung ansteuern würden, dann wäre auch die Frage, was angemessen
wäre. Viele sagen, die Arbeit eines Stadtverordneten in Frankfurt ist deutlich mehr als die eines
Landtagsabgeordneten. (...) Es würde auf keinen Fall gehen, dass man sagt, ein Stadtverordne-
ter hat viel weniger zu tun und kann deshalb mit viel weniger bezahlt werden, selbst wenn man
eine gewisse Hierarchie dabei beachten würde. Hinzu kämen neben der Zahlung von Diäten
aber auch die Pensions- und ggf. Übergangsgeldansprüche der Ratsmitglieder“ (H39).

Um eine Finanzierbarkeit der Professionalisierung zu erreichen, sehen die Be-


fürworter die Notwendigkeit, parallel zur Professionalisierung die Kommunal-
parlamente zu verkleinern, um die Kosten nicht explodieren zu lassen: „Eine
Professionalisierung von 93 Stadtverordneten ginge nicht“ (F23).

Akzeptanzproblem in der Bevölkerung


Eng verknüpft mit dem Argument der Nicht-Finanzierbarkeit als Folge der
schlechten Haushaltslage, ist das Argument des ‚Akzeptanzproblems in der Be-
völkerung’. So erwarten die Ratsmitglieder bei einer Diskussion zur Professiona-
lisierung die gleichen Reaktionen wie bei den Debatten zu Diätenerhöhungen in
den professionalisierten Parlamenten, die sehr häufig Empörung und Widerstand
230 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

in der Bevölkerung und den Medien auslösen. So halten die Ratsmitglieder die
Notwendigkeit einer Professionalisierung von Kommunalpolitikern für schwer
vermittelbar, was die beiden Zitate der Ratsmitglieder verdeutlichen:
„Bei der Professionalisierungsdebatte darf man auch die öffentliche Meinung wirklich nicht
unterschätzen, (...) denn dann führen sie natürlich die Diätendiskussion in ihrer gesamten Brei-
te. Die müssen sie in der Öffentlichkeit tatsächlich erst einmal vermitteln. Und deshalb führt
die Diskussion eigentlich auch keiner. (...) Ein heikles Thema, das man nicht unberücksichtigt
lassen kann“ (S5; vgl. auch H31, F28, N10).

„Aber solche Veränderungen wurden auch deshalb nie ernsthaft diskutiert, weil es in der Be-
völkerung auf großen Widerstand stoßen würde, weil die Vorurteile gegen Politik und Politiker
groß sind, nach dem Motto, die wollen uns wieder abzocken, die kriegen wieder das große
Geld“ (F24).

Die Ratsmitglieder erfahren diese Akzeptanzprobleme und die kritische Betrach-


tung in den Medien bereits bei der Erhöhung der Aufwandsentschädigungen:
„Wir Ratsmitglieder gelten ja auch als Politiker, und wenn wir unsere Auf-
wandsentschädigung erhöhen, kommt es in der Öffentlichkeit sehr schlecht an“
(H27). Die aktuell schlechte Haushaltslage mache die Vermittlung noch schwie-
riger und wird von den Ratsmitgliedern angesichts der Sparmaßnahmen und
Kürzungen auch als „das falsche Signal an die Öffentlichkeit“ (N10) empfunden.
„Im Prinzip wäre eine Teilprofessionalisierung schon ein geeignetes Modell –
aber eben nicht in der momentanen Situation, wo wir überall kürzen und dann
bei uns aufstocken“ (F24; vgl. auch F28). Insofern hält die überwiegende Mehr-
heit der Ratsmitglieder die Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung für den aktu-
ell größten Hinderungsgrund für eine Diskussion über die Professionalisierung
der Ratsmitglieder.

6.3.1.2 Gewichtung der Vor- und Nachteile: Einstellungsunterschiede

Die Diskussion der Ratsmitglieder zum Pro und Contra einer Professionalisie-
rung der Ratsmitglieder spiegelt die Diskussionen wider, die auch bereits bei der
Professionalisierung der Landtage geführt wurden (vgl. 2.2.2.1). Dabei sind sich
die Ratsmitglieder der Vor- und Nachteile einer Professionalisierung des Amtes
bewusst, zu der unterschiedlichen Einstellung für oder gegen eine Professionali-
sierung kommen sie durch eine unterschiedliche Gewichtung dieser Vor- und
Nachteile. Bei der Diskussion ‚Ehrenamt’ versus ‚Professionalisierung’ zeigen
sich dabei zwei Hauptargumentationslinien der Ratsmitglieder: Zum einen gibt
es jene Ratsmitglieder, die sich aufgrund des hohen Zeitaufwands und der ge-
stiegenen Komplexität für eine Professionalisierung aussprechen, um einerseits
durch ein höheres Zeitbudget die Entscheidungsqualität zu verbessern und um
6.3 Professionalisierung des Amtes 231

andererseits eine soziale Öffnung des Mandats zu erreichen. Zum anderen gibt es
jene, die sich gegen eine Professionalisierung aussprechen. Dabei erkennen und
erfahren diese Ratsmitglieder ebenfalls die Schwierigkeiten, die mit dem ehren-
amtlichen Mandat verbunden sind. Jedoch ziehen sie daraus nicht den Schluss,
dass eine Professionalisierung erstrebenswert ist. Vielmehr sprechen sie sich für
die Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit aus, – auch wenn dies beispielsweise zum
Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen führt – da ihrer Ansicht nach die
Vorteile der ehrenamtlichen Ausübung, insbesondere die Verwurzelung im Be-
ruf, überwiegen.
Allerdings zeigte sich in den Interviews, dass viele Ratsmitglieder die Pro-
und Contra-Argumente kennen, aber keine klaren Präferenzen haben bzw. von
ihrer Einstellung zur Professionalisierung nicht völlig überzeugt sind. So erläu-
tert ein Stadtverordneter aus Frankfurt: „Es gibt für beide Seiten der Medaille
Vor- und Nachteile. Es ist die Quadratur des Kreises!“ (F45). Dies ist auch ein
Grund, warum sich viele Ratsmitglieder für eine Semiprofessionalisierung aus-
sprechen, da ihrer Ansicht nach die Nachteile der Professionalisierung – insbe-
sondere die Abgehobenheit und die Abhängigkeit von der Politik – dabei nicht
so stark wirken, sie gleichzeitig aber die notwendige Zeit für das Mandat hätten.
So fasst diese eine Ratsfrau zusammen:
„Eine Teilzeitprofessionalisierung würde ich vom Aufwand her für angemessen halten. Es hät-
te meiner Ansicht nach nur Vorteile. So ist man noch in seinen Beruf verwurzelt und nicht ab-
gehoben; gleichzeitig besteht auch keine Gefahr der Abhängigkeit von der Politik. Der einzelne
hätte weniger Stress und das Vereinbarungsproblem wäre nicht mehr so stark. Gleichzeitig hät-
te man mehr Zeit für die Ratstätigkeit und keine finanziellen Einbußen“ (H32; ähnlich S28,
H19, S16, N10).

6.3.1.3 Professionalisierung versus Ehrenamt

Wie erläutert, spricht sich die Hälfte der Ratsmitglieder für eine formale Profes-
sionalisierung aus – entweder in Form einer Teilprofessionalisierung oder einer
Vollprofessionalisierung. Die andere Hälfte plädiert trotz der mehrfach ange-
sprochenen Probleme für die Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit. Daher wird im
Folgenden untersucht, welche Ratsmitglieder sich für eine Professionalisierung
aussprechen. Bei der Differenzierung der Einstellung zur Professionalisierung
nach Städten zeigt sich, dass sich in Stuttgart und Nürnberg jeweils knapp zwei
Drittel der Ratsmitglieder für die Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit ausspre-
chen. Eine Vollprofessionalisierung der Ämter wird in diesen beiden Städten nur
von einem sehr niedrigen Anteil der Stadträte befürwortet. In Hannover spricht
sich knapp die Hälfte der Ratsmitglieder für eine Professionalisierung aus – 26%
für eine Semiprofessionalisierung und 21% für eine Vollprofessionalisierung. In
232 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

Frankfurt ist mit knapp zwei Dritteln die klare Mehrheit der Stadtverordneten für
eine Professionalisierung. Hierbei liegt der Anteil jener, die sich für ein semipro-
fessionelles Mandat aussprechen, bei 40%. 22% halten eine Vollprofessionalisie-
rung für angemessen.

Tabelle 6.1: Einstellung zur Professionalisierung nach Städten


Hannover Frankfurt Stuttgart Nürnberg
Ehrenamtliche Ausübung 52,6% 37,8% 60,0% 62,9%
Semiprofessionelle Ausübung 26,3% 40,0% 33,3% 28,6%
Hauptberufliche Ausübung 21,1% 22,2% 6,7% 8,6%

Dieses Ergebnis ist überraschend. So hätte man erwarten können, dass sich in
den beiden Städten Stuttgart und Nürnberg, in denen der (informelle) Grad der
Professionalisierung des Amtes relativ hoch ist, ein höherer Anteil der Ratsmit-
glieder für eine Formalisierung der Professionalisierung ausspricht als in den
beiden anderen Städten mit einem niedrigeren Professionalisierungsgrad.
Gleichzeitig zeigte die Analyse der Strategien unter 5.3.1.2, dass in Stuttgart und
Nürnberg aufgrund dieser informellen Teilprofessionalisierung des Amtes über
40% der Ratsmitglieder ihre Berufstätigkeit reduziert haben und sich somit indi-
viduell professionalisiert haben. So hätte man erwarten können, dass diese Rats-
mitglieder daher eher eine formale Professionalisierung befürworten.

Tabelle 6.2: Einstellung zur Professionalisierung nach Parteien


B’90/ DIE
SPD CDU/CSU FDP120
GRÜNEN
Ehrenamtliche Ausübung 39,3% 35,0% 68,5% 75,0%
Semiprofessionelle Ausübung 37,5% 45,0% 24,1% 25,0%
Hauptberufliche Ausübung 23,2% 20,0% 7,4% 0,0%

Betrachtet man die unterschiedlichen Einstellungen der Ratsmitglieder zur Pro-


fessionalisierung hinsichtlich ihrer Parteizugehörigkeit, zeigt sich, dass sich für
eine Professionalisierung insbesondere die Ratsmitglieder von SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN aussprechen. So befürworten 60% der SPD-Parteimit-

120 Aufgrund der Datenlage werden hier lediglich diese vier Parteien analysiert. Sowohl für die
Freien Wähler als auch für die PDS und weitere Einzelvertreter liegen zu geringe Fallzahlen
vor, um damit aussagekräftige Ergebnisse erzielen zu können.
6.3 Professionalisierung des Amtes 233

glieder und 65% der Parteimitglieder von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine
Professionalisierung. Bei den beiden bürgerlichen Parteien CDU/CSU und FDP
ist das Verhältnis genau umgekehrt: Hier sprechen sich jeweils mehr als zwei
Drittel für eine Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit aus, bei der FDP sind es sogar
75% (vgl. Tabelle 6.2). Diese Ergebnisse werden durch Studien zur Professiona-
lisierung der state legislatures in den USA bestätigt. So zeigte sich, dass die
individuelle Einstellung der Ratsmitglieder insbesondere durch die persönliche
Attraktivität einer Professionalisierung bestimmt wird. Generell sprechen sich
daher Mitglieder bürgerlicher Parteien eher für eine Beibehaltung der Ehrenamt-
lichkeit aus, da diese in der Regel Berufe ausüben, in denen sie zum einen über-
durchschnittlich verdienen würden. Zum anderen seien sie in ihrer Berufsaus-
übung zeitlich flexibler und könnten dadurch Beruf und ehrenamtliches Mandat
relativ gut vereinbaren. Ein hauptamtliches Mandat ist für diese Gruppe nicht
attraktiv. Die Demokraten hingegen üben häufig Angestelltenpositionen aus. Für
diese ist eine Vereinbarkeit von Beruf und Mandat schwieriger. Gleichzeitig
verdienen sie im Gegensatz zu den republikanischen Mandatsträgern in der Re-
gel nicht überdurchschnittlich, so dass für sie eine Professionalisierung durchaus
attraktiv ist (vgl. Fiorina 1996:49; 1999:975f.; Moncrief/Squire/Kurtz 1998:5;
Ehrenhalt 1991; Moncrief/Squire/Jewell 2001:21f.). Insofern lässt sich in den
USA eine Einstellungsschere zwischen den Parteilagern feststellen, die durch die
dahinter liegende berufliche Zusammensetzung der Parteien bedingt ist.

Tabelle 6.3: Einstellung zur Professionalisierung nach Berufssektoren

Nicht Öffentlicher Politischer Privat- Selbständig/


berufstätig Sektor Sektor wirtschaft Freiberufler
Ehrenamtliche
63,3% 53,8% 30,0% 50,0% 60,6%
Ausübung
Semiprofessionelle
20,0% 35,9% 40,0% 31,1% 33,3%
Ausübung
Hauptberufliche
16,7% 10,3% 30,0% 18,8% 6,1%
Ausübung

Betrachtet man die Einstellungen der Ratsmitglieder hinsichtlich ihrer Zugehö-


rigkeit zu einem Berufssektor, zeigt sich, dass sich mit einem Anteil von 70%
insbesondere die Angestellten im politischen/politiknahen Bereich für eine Pro-
fessionalisierung aussprechen. Eine Professionalisierung wird von diesen Rats-
mitgliedern generell weniger negativ beurteilt, da sie bereits ‚von’ der Politik
leben. Sowohl bei den Beschäftigten im öffentlichen Sektor als auch bei den
Angestellten in der Privatwirtschaft lässt sich keine klare Präferenz erkennen, da
234 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

sich hier jeweils 50% für und 50% gegen eine Professionalisierung aussprechen.
60% der Selbständigen/Freiberufler befürworten die Beibehaltung der Ehrenamt-
lichkeit, da eine Professionalisierung, wie sie in den Interviews erläuterten, für
sie unattraktiv sei.

Tabelle 6.4: Einstellung zur Professionalisierung nach Geschlecht


Ehrenamtlich Semiprofessionell Hauptberuflich
Stuttgart weiblich 30,8% 53,8% 15,4%
männlich 82,4% 17,6% 0,0%
Hannover weiblich 57,1% 35,7% 7,1%
männlich 50,0% 20,8% 29,2%
Frankfurt weiblich 30,0% 55,0% 15,0%
männlich 44,0% 28,0% 28,0%
Nürnberg weiblich 64,7% 35,3% 0,0%
männlich 61,1% 22,2% 16,7%

Bei der Differenzierung der Einstellungen zur Professionalisierung nach Ge-


schlecht, zeigt sich, dass sich durchschnittlich 65% der Frauen für eine Professi-
onalisierung aussprechen. Bei den männlichen Ratsmitgliedern ist der Anteil mit
43% geringer. Wird dies jedoch genauer analysiert, werden große Unterschiede
zwischen den Städten erkennbar: In den beiden Städten Stuttgart und Frankfurt
sprechen sich mit einem Anteil von je 70% die Frauen klar für eine Professiona-
lisierung aus, während sie in Hannover und Nürnberg mehrheitlich gegen eine
Professionalisierung sind. Im Vergleich zu den männlichen Ratsmitgliedern
sprechen sich die Frauen aber besonders häufig für eine Semiprofessionalisie-
rung aus: In Frankfurt und Stuttgart favorisieren 55% der weiblichen Ratsmit-
glieder eine solche Professionalisierung, in Nürnberg und Hannover sind es je-
weils 35%. Bei den männlichen Ratsmitgliedern hingegen halten durchschnitt-
lich lediglich 22% eine Semiprofessionalisierung für ein geeignetes Modell (vgl.
Tabelle 6.4). Die positive Einschätzung einer Semiprofessionalisierung der Frau-
en erklärt sich unter anderem dadurch, dass sie, im Gegensatz zu den männlichen
Ratsmitgliedern, in ihrem eigentlichen Beruf ebenfalls nur Teilzeit beschäftigt
sind, da sie ihre Berufstätigkeit nicht nur mit ihrem Mandat, sondern auch mit
der Haushaltsführung und der Kinderbetreuung vereinbaren müssen. In den vier
Untersuchungsstädten sind 35% der Ratsfrauen Teilzeit beschäftigt und 23%
nicht berufstätig, lediglich 40% sind voll berufstätig. Bei den Ratsherren beträgt
der Anteil der Teilzeitbeschäftigten lediglich 8%, mit einem Anteil von 74% ist
6.3 Professionalisierung des Amtes 235

der Großteil Vollzeit berufstätig. Insofern ist eine Semiprofessionalisierung für


die Frauen die attraktivste Option, da sie dabei Mandat und Familie gut vereinba-
ren können. Bei den männlichen Ratsmitgliedern hingegen stellt ein semiprofes-
sionelles Mandat keine attraktive Option im Vergleich zu ihrer Vollzeittätigkeit
dar. Die Variablen ‚Alter’ und ‚Status im Kommunalparlament’ haben hingegen
keinen Einfluss auf die Einstellung zur Professionalisierung.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich die eine Hälfte der
Ratsmitglieder für eine Professionalisierung und die andere Hälfte für die Beibe-
haltung der Ehrenamtlichkeit ausspricht. Die Unterschiede zwischen den Unter-
suchungsstädten sind dabei markant: In Frankfurt spricht sich mit mehr als 60%
die Mehrheit der Ratsmitglieder für eine formale Professionalisierung aus, in
Hannover plädiert – trotz niedrigstem Professionalisierungsgrad des Amtes in-
nerhalb der vier Untersuchungsstädte – immerhin knapp die Hälfte für eine Pro-
fessionalisierung des Amtes. In den beiden Städten Stuttgart und Nürnberg hin-
gegen spricht sich mit jeweils drei Fünftel der Ratsmitglieder eine große Mehr-
heit gegen eine formale Professionalisierung aus. Große Einstellungsunterschie-
de zeigten sich hinsichtlich der Berufsgruppen: Während die nicht berufstätigen
und die selbständigen/freiberuflichen Ratsmitglieder überwiegend für die Beibe-
haltung der Ehrenamtlichkeit plädieren, spricht sich die Mehrheit der Angestell-
ten im politischen/politiknahen Bereich für eine Professionalisierung aus. Für
eine Semiprofessionalisierung aller Ratsmitglieder votiert mit 32% eine starke
Minderheit, die ihren Rückhalt vor allem bei den weiblichen Stadträten hat.
Es konnte jedoch in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der US-
amerikanischen Professionalisierungsforschung gezeigt werden, dass diese Ein-
stellungsunterschiede weniger am bereits erreichten Professionalisierungsdruck
und -grad begründet liegen, sondern dass für die Einstellung zur Professionalisie-
rung die individuelle Attraktivität einer Professionalisierung eine große Rolle
spielt. Bei der Differenzierung nach Parteien zeigt sich eine Einstellungsschere
zwischen den Parteilagern: Während die bürgerlichen Parteien sich eher gegen
eine Professionalisierung aussprechen, sind die Mandatsträger von SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eher für eine Professionalisierung. Somit verläuft
die Konfliktlinie bezüglich dieser Einstellung zwischen diesen beiden Parteila-
gern. Entscheidungen zu Diätenerhöhungen in Parlamenten und auch zur Höhe
der Aufwandsentschädigungen in den Kommunalparlamenten werden zumeist
im Konsens beschlossen, so dass aufgrund dieser Einstellungsschere keine kon-
sensfähige Entscheidung zu erwarten ist. Allerdings haben die Kommunalparla-
mente gar nicht die Entscheidungsmacht für eine formale Professionalisierung
der Mandatsträger. Dies müsste vom jeweiligen Landtag beschlossen werden.
236 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

6.3.2 Professionalisierung eines Teils der Ämter

Wie erläutert, besteht neben der Option, die Ämter aller Ratsmitglieder zu pro-
fessionalisieren, die Möglichkeit, lediglich einen Teil der Ämter im Kommunal-
parlament zu professionalisieren. Dabei gibt es zwei denkbare Modelle: Zum
einen das Modell, die Fraktionsvorsitzenden jeder Fraktion zu professionalisie-
ren, zum anderen das Modell, neben dem Fraktionsvorsitzenden weitere Ämter
bestimmter Funktionsträger zu professionalisieren. Im Folgenden wird zunächst
auf die Einstellungen zur Professionalisierung der Fraktionsvorsitzenden, in
einem zweiten Schritt auf die Professionalisierung mehrerer Ämter pro Fraktion
eingegangen.

6.3.2.1 Fraktionsvorsitzende

Insgesamt sprechen sich in den vier Untersuchungsstädten 79% für eine Profes-
sionalisierung der Fraktionsvorsitzenden aus: 50% der befragten Ratsmitglieder
halten ein vollprofessionalisiertes, 29% ein semiprofessionelles Amt für ange-
messen. 20% der Ratsmitglieder bevorzugen eine weitere ehrenamtliche Aus-
übung. Dabei zeigen sich lediglich geringe Unterschiede zwischen den vier Un-
tersuchungsstädten (vgl. Tabelle 6.5). So sprechen sich in Hannover 79% für
eine formale Professionalisierung des Fraktionsvorsitzenden aus, während 21%
für die Beibehaltung des ehrenamtlichen Status sind. Auch in Stuttgart ist mit
70% der Ratsmitglieder ein hoher Anteil für eine Professionalisierung des Frak-
tionsvorsitzenden. Im Vergleich zu den anderen drei Städten ist der Anteil hier
jedoch am niedrigsten. Einen hauptberuflichen Fraktionsvorsitzenden halten
lediglich 37% für erstrebenswert. In Frankfurt ist der Anteil der Ratsmitglieder,
die sich für eine Professionalisierung des Fraktionsvorsitzenden aussprechen, mit
mehr als 88% am höchsten. 65% der Stadtverordneten halten eine hauptamtliche
Ausübung des Fraktionsvorsitzes für angemessen. Für Frankfurt muss allerdings
beachtet werden, dass diese Situation aufgrund der erläuterten Doppelfunktion
von Fraktionsvorsitz und Fraktionsgeschäftsführer in den meisten Fraktionen
bereits Realität ist (vgl. 4.3.1.2). Die Doppelfunktion wird dabei von der Mehr-
heit der Stadtverordneten positiv beurteilt, so dass sich lediglich 11% für eine
Beibehaltung des Ehrenamtes aussprechen. In Nürnberg spricht sich mit 77%
ebenfalls die Mehrheit der Stadträte für eine formale Professionalisierung des
Amtes aus, knapp ein Viertel der Ratsmitglieder ist für die Beibehaltung der
Ehrenamtlichkeit.
6.3 Professionalisierung des Amtes 237

Tabelle 6.5: Einstellung zur Professionalisierung der Fraktionsvorsitzenden

Hannover Frankfurt Stuttgart Nürnberg

Ehrenamtliche Ausübung 21,1% 11,6% 30,0% 23,5%

Semiprofessionelle Ausübung 34,2% 23,2% 33,3% 26,5%

Hauptberufliche Ausübung 44,7% 65,1% 36,7% 50,0%

Vergleichbar zu den Einstellungen bezüglich einer Professionalisierung aller


Ämter, halten auch hier vor allem die Fraktionsmitglieder von BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN (90%) und der SPD (86%) eine formale Professionalisierung
des Amtes des Fraktionsvorsitzenden für angemessen, während bei den FDP-
Mitgliedern (74%) und den Mitgliedern von CDU bzw. CSU (69%) die Werte
etwas geringer sind. Als Gründe für bzw. gegen eine Professionalisierung wer-
den ähnliche Argumente hervorgebracht, wie bei der oben analysierten Diskussi-
on der Professionalisierung aller Ämter. Allerdings findet eine andere Gewich-
tung der Argumente statt: Als Hauptgrund für eine Professionalisierung geben
mehr als 88% der Ratsmitglieder in den vier Städten die zeitliche Belastung der
Fraktionsvorsitzenden an. Wie die Analyse des Zeitaufwands ergab (vgl. 4.1.3),
ist der Zeitaufwand der Fraktionsvorsitzenden sehr hoch und entspricht mindes-
tens dem Zeitaufwand einer normalen Arbeitswoche. „Belastung zwischen 40
und 70 Stunden pro Woche! Fraktion kann nur so gegenüber der Verwaltung
bestehen“ (S26). „Bei den Fraktionsvorsitzenden ist das eine klare Sache; die
haben so viele Aufgaben, dass sie das ehrenamtlich auf keinen Fall mehr schaf-
fen können“ (H32). Mit einem Wert von jeweils 93% wird dieser Grund in Stutt-
gart und Frankfurt etwas häufiger genannt als in den beiden anderen Städten
(Hannover 81% und Nürnberg 86%). Eng zusammen damit hängt nach Ansicht
der Ratsmitglieder die Notwendigkeit ständiger Präsenz des Fraktionsvorsitzen-
den. 37% der Ratsmitglieder in den vier Städten nennen dies als Grund für eine
Professionalisierung (vgl. F25, F18). Ebenfalls in Zusammenhang mit dem Ar-
gument des hohen Zeitaufwands steht nach Ansicht von 48% der Ratsmitglieder
die zentrale Aufgabe des Fraktionsvorsitzenden der „Strategiefindung, Koordina-
tion und Organisation“. Auch hier gibt es keine nennenswerte Variation zwi-
schen den vier Städten (vgl. H19, H16).
„Ein Fraktionsvorsitzender muss gerade bei wichtigen Entscheidungen (...) mindestens auf der
gleichen Informationsebene stehen wie der Sprecher einer Fraktion, um genauso auch die De-
batten zu führen; er kann es nicht einfach anderen überlassen, sondern er muss als Fraktions-
vorsitzender auch führen, weil es auch bei wichtigen Entscheidungen der Stadt Widerstände
innerhalb der Fraktion gibt, und da muss man eben auch gute Argumente haben, warum es z.B.
238 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

wichtig ist. Und das kann man nur machen, wenn man auch Zeit hat, darüber nachzudenken,
wenn man in die Tiefe geht, das kann man nicht oberflächlich machen. Ein Fraktionsvorsitzen-
der muss in allen Gebieten drin sein und er muss die Linie bestimmen können und muss dann
auch mit den Obleuten Kontakt haben, wie denn das Thema in der Gruppe gesehen wird, wo er
dann auch die gegensätzlichen Interessen zusammenführen muss. Das ist die vornehmste Auf-
gabe eines Vorsitzenden. (...) Das kostet viel Zeit und viel Überzeugungsgabe“ (N33; vgl. auch
S25).

12,9% halten eine Professionalisierung auch deshalb für sinnvoll, weil sie zu
einer sozialen Öffnung der Funktion führen würde. Heutzutage ist die Möglich-
keit, den Fraktionsvorsitz zu übernehmen, lediglich einer sehr kleinen Gruppe
von Personen möglich. „Sie brauchen eine Stellung, die das erlaubt. Aber es
kommt immer auf den Arbeitgeber an. Daher können auch nur solche Personen
den Fraktionsvorsitz übernehmen, die solch eine Stellung innehaben“ (S22).
Als Argumente gegen eine Vollprofessionalisierung bringen die Ratsmit-
glieder hier die gleichen Argumente hervor wie bei den ‚normalen’ Ratsmitglie-
dern, jedoch haben sie hier ein weit geringeres Gewicht. Die Bedenken treten bei
einem viel geringeren Prozentsatz der Ratsmitglieder auf als dies bei der Diskus-
sion um eine Professionalisierung der normalen Ratsmitglieder zu beobachten
ist: So befürworten auch hier einige Ratsmitglieder eine soziale Anbindung der
Fraktionsvorsitzenden (13,8%) und sprechen sich daher für eine Teilprofessiona-
lisierung aus. 17,6% befürchten die Abhängigkeit der Fraktionsvorsitzenden von
der Politik. So erläutert beispielsweise ein Stadtrat, der auch Fraktionsvorsitzen-
der ist, seine Befürchtungen wie folgt:
„Wenn ich mich hätte entscheiden müssen, das professionell zu machen, dann hätte ich mich
nicht für dieses Amt zur Verfügung gestellt, weil ich mit 33 Jahren auf eine Schiene gekom-
men wäre, Berufspolitiker zu sein; quasi auch ein Stückweit von der Partei abhängig zu sein,
dass sie mich wieder aufstellt, und natürlich vom Wähler. Ich bin von meinen Fraktionsmit-
gliedern abhängig, dass die mich wieder zum Vorsitzenden wählen, und dies in vergleichswei-
se jungen Jahren, das wäre mir ein zu großes Risiko gewesen“ (S1; ähnlich H24).

Dies führe dann wieder zu einer sozialen Schließung, da


„sich dann auch wieder die zur Verfügung stellen, die in den 50ern sind, weil sie sagen, o.k. ich
mache das ein paar Jahre, meine berufliche Laufbahn ist ja sowieso rum und danach muss ich
nichts Großartiges mehr tun, weil ich danach entweder in den Ruhestand gehe oder Berater
werde“ (S1).

3,5% halten die Professionalisierung für nicht finanzierbar, ebenfalls 3,5% sehen
Akzeptanzprobleme in der Öffentlichkeit. Die hohe Zustimmung zur Professio-
nalisierung der Fraktionsvorsitzenden, so gaben viele der Ratsmitglieder in den
Interviews an, resultiert auch daraus, dass die Fraktionsvorsitzenden de facto ihre
Aufgaben bereits heute (fast) Vollzeit ausüben. So ergab die Analyse, dass alle
6.3 Professionalisierung des Amtes 239

Fraktionsvorsitzenden über ihr Zeitbudget weitestgehend frei entscheiden kön-


nen. So erläutert auch eine Ratsfrau aus Hannover:
„Denn man muss ganz ehrlich sagen, so wie es jetzt gemacht wird, ist es ja so durch die Hinter-
tür; die haben alle Jobs, wo sie im Grunde genommen nicht mehr gebraucht werden, die sind
abgehakt. Das wäre einfach ehrlicher und transparenter, wenn man sagen würde, das ist eben
so eine umfassende Arbeit, die wird jetzt als Beruf bezahlt“ (H19).

In Frankfurt sind die Fraktionsvorsitzenden häufig gleichzeitig Fraktionsge-


schäftsführer ihrer eigenen Fraktion:
„Der Fraktionsvorsitzende sollte eigentlich hauptamtlich sein. Das regeln die anderen Fraktio-
nen dadurch, dass sie ihren Fraktionsvorsitzenden zum Geschäftsführer machen. Bei uns und
der SPD ist es so, dass die Vorsitzenden einen starken Stellvertreter, der Geschäftsführer ist,
neben sich haben“ (F18; vgl. auch F17, F8, F1).

Somit sind die Fraktionsvorsitzenden bei ihrer Fraktion angestellt. Diese Vorge-
hensweise ist damit eine informelle Herstellung eines (bezahlten) Berufspoliti-
kers. In Hannover und teilweise auch in Stuttgart werden die Fraktionsvorsitzen-
den der großen Fraktionen fast bzw. komplett von ihrem Arbeitgeber für ihre
Funktion freigestellt sind. Dies bedeutet gleichzeitig aber auch, dass in der aktu-
ellen Situation nur solche Personen diese Funktion wahrnehmen können, die in
der Lage sind, solch ein Arrangement mit dem Arbeitgeber zu treffen. In Nürn-
berg ist die Aufwandsentschädigung mit 3.000 Euro für die Fraktionsvorsitzen-
den bereits auf einem relativ hohen Niveau. Hinzu kommt bei den Nürnberger
Fraktionsvorsitzenden eine Verdienstausfallentschädigung von pauschal 125
Stunden pro Monat. Dies entspricht der monatlichen Arbeitszeit eines Vollzeit-
berufstätigen. Insofern verfügen die Nürnberger Fraktionsvorsitzenden über
Rahmenbedingungen, die es ihnen zum einen ermöglichen, mit dem Arbeitgeber
relativ einfach Arrangements zu vereinbaren, und die zum anderen zu einer Ent-
schädigung führen, die es erlaubt, von ihr zu leben. Insgesamt kann zusammen-
fasst werden, dass es in allen vier Untersuchungsstädten bereits Rahmenbedin-
gungen gibt, die den Fraktionsvorsitzenden erlauben, sich Vollzeit um ihre
Funktion zu kümmern. Die große Mehrheit der Ratsmitglieder spricht sich für
eine Formalisierung dieser – bisher informellen – Professionalisierung der
Fraktionsvorsitzenden aus.

6.3.2.2 Mehrere Personen pro Fraktion

Nachdem sich also eine große Mehrheit der Ratsmitglieder für eine Professiona-
lisierung der Position des Fraktionsvorsitzenden ausspricht, die Professionalisie-
rung aller Ratsmitglieder jedoch sehr umstritten diskutiert wird, könnte eine
240 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

weitere Lösungsmöglichkeit darin liegen, mehrere Positionen pro Fraktion zu


professionalisieren. So wäre es denkbar, nicht nur die Position des Fraktionsvor-
sitzenden, sondern auch die Ämter weiterer Funktionsträger, die einen hohen
Zeitaufwand haben, zu professionalisieren – wie beispielsweise weitere Mitglie-
der des Fraktionsvorstands oder die Sprecher von Ausschüssen. Diese Option
wird jedoch in allen vier Untersuchungsstädten von der großen Mehrheit abge-
lehnt. In Stuttgart wurde diese Möglichkeit im Rahmen des Wibera-Gutachtens
1996 vorgeschlagen. So sollte ein ständiger Ausschuss gebildet werden, in den
aus dem Kreis der Ratsmitglieder zwischen acht und zwölf Personen gewählt
werden. Diese sollten das Mandat hauptamtlich ausüben und die führenden
Positionen im Gemeinderat und in den Fraktionen einnehmen (vgl. Wibera-
Gutachten). Der Vorschlag wurde jedoch wegen der Befürchtung, dass die
hauptamtlichen die ehrenamtlichen Stadträte aufgrund des Informationsvor-
sprungs dominieren, von den Stadträten abgelehnt. „Das hat man damals verwor-
fen, weil man ein Zwei-Klassen-System nicht haben wollte und weil klar war,
dass dann die Hauptamtlichen die Ehrenamtlichen so dominieren werden“ (S1).
Ebenso ungünstig und mit der gleichen Argumentation wird diese Möglichkeit
auch in den anderen Städten diskutiert. So erläutert ein Frankfurter Stadtverord-
neter:
„Das Gefährliche daran und deshalb bin ich doch überwiegend skeptisch, ist, dass man dann
noch stärker als jetzt zwei Klassen von Politikern schafft: Auf der einen Seite die Profi-
Stadtverordneten, die einfach ein großes Herrschaftswissen haben, und dann gibt es die nicht
professionellen Stadträte, die einfach nie mit diesen Profi-Stadträten konkurrieren können, weil
sie ein Informationsdefizit haben, die sich nie im gleichen Maße einbringen können. Und da
bin ich mir nicht sicher, ob das dann gut ist“ (F24; vgl. auch F18, N7, N30).

Die Befürchtungen gründen sich in Nürnberg und Frankfurt teilweise auf


schlechten Erfahrungen mit ‚professionalisierten’ Ratsmitgliedern. So gab es
beispielsweise in Frankfurt in den 1980er Jahren neben dem parlamentarischen
Geschäftsführer weitere Stadtverordnete, die als Fraktionsmitarbeiter angestellt
waren. Dies führte aber gerade aufgrund des Informationsgefälles und der Aus-
nutzung von Herrschaftswissen zu Konflikten innerhalb der Fraktion. Daraufhin
wurden diese Doppelpositionen abgeschafft (vgl. F18). Auch in Nürnberg, wo es
in früheren Jahren die Doppelfunktion von Stadtrat und Fraktionsgeschäftsführer
gab, entstanden häufiger Konflikte. So wurde von den ehrenamtlichen Stadträten
ein Wettbewerbsvorteil dieser hauptamtlichen Stadträte in der Wahl zum Stadtrat
gesehen, da diese über einen höheren Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung ver-
fügten. Des Weiteren entstanden Rollenkonflikte:
„Die SPD hatte das eigentlich abgeschafft gehabt, dass man gleichzeitig Stadtrat und Frakti-
onsmitarbeiter/Fraktionsgeschäftsführer ist; die CSU hatten über sehr lange Zeit einen Ge-
schäftsführer, der auch im Stadtrat war, es gibt bestimmte Nachteile der Verbindung. (...) Die
6.3 Professionalisierung des Amtes 241

Nachteile liegen im Rollenkonflikt, zum einen muss man den anderen zuarbeiten, obwohl man
selbst Fraktionsmitglied ist, man ist auch Beschäftigter und dadurch weisungsgebunden, aber
als Stadtrat ist man frei, dieser Konflikt ist sehr schwierig“ (N1).

Aufgrund dieser schlechten Erfahrungen, die Kempf (1989:129) in seiner Studie


zur Arbeitssituation der Ratsmitglieder ebenfalls feststellte, lehnen die Ratsmit-
glieder eine Professionalisierung eines Teils der Ämter ab.

6.3.3 Entwicklungsoption Professionalisierung des Amtes: Zwischenfazit

Hinsichtlich der Professionalisierung des Amtes kann zusammenfassend fest-


gehalten werden, dass eine formale Professionalisierung der Ratsmitglieder nicht
zu erwarten ist, da die Ratsmitglieder selbst keine eindeutige Meinung haben, ob
sie diese Entwicklungsoption als erstrebenswert erachten. So spricht sich mit
47% knapp die Hälfte der Ratsmitglieder für eine Professionalisierung aus, wäh-
rend mit 53% etwas mehr als die Hälfte für die Beibehaltung der Ehrenamtlich-
keit plädiert. Dabei votiert mit 32% fast ein Drittel der Ratsmitglieder für eine
Semiprofessionalisierung aller Ratsmitglieder. Bei der Differenzierung nach
Städten zeigt sich, dass sich die Frankfurter Stadtverordneten mit mehr als 60%
mehrheitlich für eine formale Professionalisierung aussprechen, während das
Verhältnis von Professionalisierungsbefürwortern und -gegnern in Nürnberg und
Stuttgart genau umgekehrt ist. Die Analyse lässt jedoch vermuten, dass für die
Einstellung zur Professionalisierung weniger der Professionalisierungsdruck in
der jeweiligen Stadt ausschlaggebend ist als vielmehr die individuelle Attraktivi-
tät. Entscheidend sind dabei vor allem die Zugehörigkeit zur Berufsgruppe und
das Geschlecht. Gegen eine Professionalisierung der Ämter spricht zudem die
Tatsache, dass die Kommunalparlamente gar nicht selbst über eine Professionali-
sierung der Ämter entscheiden können, da dies unter die Zuständigkeit der Lan-
desparlamente fällt.
Die Professionalisierung eines Teils der Ämter wird von den Ratsmitglie-
dern durchgängig abgelehnt, da dadurch ein Zwei-Klassen-System von Ratsmit-
gliedern entstehen würde und die ehrenamtlichen Ratsmitglieder von den haupt-
amtlichen dominiert würden. Für die formale Professionalisierung der Fraktions-
vorsitzenden spricht sich hingegen die große Mehrheit der Ratsmitglieder aus.
Dafür gibt es zwei Hauptgründe: Zum einen haben alle Fraktionsvorsitzenden
eine zeitliche Belastung, die mindestens einer Vollzeittätigkeit entspricht. Auch
wird beim Fraktionsvorsitzenden die herausragende Stellung von allen Ratsmit-
gliedern anerkannt, so dass dabei keine Konkurrenzsituation empfunden wird.
Zum anderen zeigte die Analyse, dass es in allen vier Städten mehr oder weniger
institutionalisierte Arrangements gibt, die es den Fraktionsvorsitzenden erlauben,
242 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

sich fast bzw. vollständig auf die Ausübung ihrer Funktion zu konzentrieren. De
facto sind die Fraktionsvorsitzenden also bereits Berufspolitiker, so dass die
Ratsmitglieder die Professionalisierung der Fraktionsvorsitzenden als die Forma-
lisierung eines existierenden Status’ ansehen. Insofern wird lediglich die Profes-
sionalisierung der Fraktionsvorsitzenden mehrheitlich als Entwicklungsoption
betrachtet.

6.4 Professionalisierte Institution

Eine professionalisierte Institution zeichnet sich zum einen durch eine hohe res-
sourcenbasierte Professionalisierung und zum anderen durch die Professionali-
sierung ihrer Mitglieder aus. Insofern handelt es sich bei dieser Entwicklungsop-
tion um die gleichzeitige ressourcenbasierte und mitgliederbasierte Professiona-
lisierung. Wie erläutert, gibt es jedoch für die jeweiligen Komponenten keine
klaren Präferenzen in den Kommunalparlamenten, so dass eine Entwicklung in
Richtung einer professionalisierten Institution nicht zu erwarten ist.

6.5 Fazit: Entwicklungslinien und strategische Optionen

Im vorliegenden Kapitel wurde untersucht, welche Entwicklungen sich die


Ratsmitglieder für die Ratsarbeit und die Kommunalparlamente wünschen. Da-
bei zeigte die Analyse, dass die Ratsmitglieder sehr unterschiedliche Vorstellun-
gen haben und keine der vier Entwicklungsoptionen in den jeweiligen Kommu-
nalparlamenten von der Mehrheit der Ratsmitglieder getragen wird. Hinsichtlich
einer Rückkehr zur Amateurinstitution wurde deutlich, dass die große Mehrheit
der Ratsmitglieder die Umsetzung der Neuen Steuerungsmodelle ablehnt, da die
Konzentration auf strategische Entscheidungen ihren Funktionsvorstellungen
widerspricht und sie einen Machtverlust gegenüber der Verwaltung befürchten.
Ebenso ist eine veränderte zeitliche Organisation aufgrund von Koordinations-
problemen nicht mehrheitsfähig.
Die zweite Option, eine stärkere ressourcenbasierte Professionalisierung, ist
hinsichtlich der Schaffung von zusätzlichen Mitarbeiterstellen bei den Ratsmit-
gliedern höchst umstritten. Die Analyse zeigt dabei überraschende Einstellungs-
unterschiede zwischen den Untersuchungsstädten: Die Nürnberger und Stuttgar-
ter Ratsmitglieder, denen bisher nicht von Fraktionsmitarbeitern inhaltlich
zugearbeitet wird, lehnen diese Form der Professionalisierung mehrheitlich ab,
da die inhaltliche Vorbereitung für sie zu ihren Kernfunktionen zählt. In
Frankfurt hat die inhaltliche und organisatorische Zuarbeit durch Mitarbeiter
6.5 Fazit: Entwicklungslinien und strategische Optionen 243

hingegen bereits ein solches Ausmaß angenommen, dass sich die Stadtverordne-
ten dadurch keine weitere zeitliche Entlastung versprechen. Selbst in Hannover,
wo viele Ratsmitglieder mit der Qualität der Zuarbeit nicht zufrieden sind,
spricht sich mit einem Anteil von 50% keine klare Mehrheit für diese Form der
ressourcenbasierten Professionalisierung aus. Die technische Infrastruktur wird
hingegen von allen Mandatsträgern als sehr wichtig betrachtet. Gerade dies stößt
jedoch häufig an Grenzen, die durch die finanzielle Situation der Kommunen
vorgegeben sind. Allerdings zeigt das Beispiel des Kommunalparlaments in
Stuttgart, welches über eine sehr gute technische Infrastruktur für die Stadträte
verfügt, dass eine ressourcenbasierte Professionalisierung durch den Ausbau von
technischen Ressourcen zwar eine Erleichterung und höhere Flexibilität für die
Ratsmitglieder bedeutet, aber für eine Reduzierung des hohen Arbeits- und Zeit-
aufwands alleine nicht ausreichend ist.
Die dritte Option, die mitgliederbasierte Professionalisierung, wird von den
Ratsmitgliedern in allen vier Untersuchungsstädten kontrovers diskutiert. Hin-
sichtlich der Professionalisierung aller Ratsmitglieder gibt es keine mehrheitliche
Zustimmung, lediglich beim Fraktionsvorsitzenden sprechen sich die Ratsmit-
glieder aller Untersuchungsstädte mehrheitlich für eine Professionalisierung aus.
Es wurde festgestellt, dass es in allen Untersuchungsstädten aufgrund der enor-
men Arbeitsbelastung bereits mehr oder weniger institutionalisierte Arrange-
ments für Fraktionsvorsitzende gibt, so dass diese bereits zum aktuellen Zeit-
punkt de-facto Berufspolitiker sind. Insofern würde eine Professionalisierung
diesen Zustand lediglich formalisieren. Allerdings können die Ratsmitglieder
nicht selbst über eine Professionalisierung der Ämter entscheiden, so dass hin-
sichtlich aller Ämter nicht damit zu rechnen ist. Da es sich bei der vierten Ent-
wicklungsoption um eine gleichzeitig ressourcenbasierte und mitgliederbasierte
Professionalisierung handelt, und es für beide keine klaren Mehrheiten im Rat
gibt, ist diese Entwicklung nicht zu erwarten.
Insofern gibt es in den Untersuchungsstädten keine gemeinsamen Vorstel-
lungen der Ratsmitglieder, wie sich das Ratsmandat und das Kommunalparla-
ment weiterentwickeln sollen. So zeigt sich das Paradox, in dem sich die Rats-
mitglieder befinden: Sie sind weitgehend übereinstimmend der Auffassung, dass
Reformnotwendigkeit besteht; sie sehen aber gleichzeitig keine überzeugende
Alternative für den gesamten Stadtrat mit seinen Mitgliedern. So erläutert auch
ein Stadtrat aus Nürnberg:
„Ich bin der Meinung, dass es so in Zukunft sicherlich nicht mehr gut weitergeht. Es gibt bis
jetzt aber noch keine wirklich guten Lösungen. Im Prinzip gibt es zu dem jetzigen Modell
kaum eine Alternative“ (N1).
244 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten

Daher sucht jedes Ratsmitglied, wie unter 5.3 gezeigt, für sich selbst individuelle
Lösungsmöglichkeiten, um das Mandat ausüben zu können. Aufgrund dieser
individuellen Strategien können viele Ratsmitglieder das existierende Dilemma
individuell für sich lösen und zwar jeweils auf jene Art und Weise, wie es für sie
persönlich am attraktivsten ist. Aufgrund dieser individuellen Lösungen können
die Kommunalparlamente weiterhin ihre Funktionen erfüllen, wodurch in den
Kommunalparlamenten nicht die dringende Notwendigkeit besteht, die Rahmen-
bedingungen für alle Ratsmitglieder einheitlich zu verändern.
7. Diskussion, Fazit und Ausblick:
Professionalisierung auf lokaler Ebene?

Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Professionalisierung der


Kommunalpolitik in deutschen Großstädten. Ausgangspunkt ist dabei das Di-
lemma, in dem sich die Ratsmitglieder befinden: Auf der einen Seite sind sie
formal ehrenamtlich tätig, auf der anderen Seite benötigen sie aber einen sehr
hohen Zeitaufwand für die Ausübung des Mandats. Die zentralen Fragestellun-
gen der vorliegenden Untersuchung lauteten daher, ob dies nun auch auf lokaler
Ebene – vergleichbar zu den Entwicklungen auf den höheren Ebenen des Sys-
tems – zu einem (informellen) Professionalisierungsprozess geführt hat, welchen
Umfang diese Professionalisierung bereits erreicht hat und welche weiteren Ent-
wicklungstendenzen erkennbar sind. Dazu werden die zentralen Erkenntnisse
zum Professionalisierungsgrad und zum Professionalisierungsprozess zusam-
menfassend betrachtet und in Kontext zu den Professionalisierungsprozessen auf
den höheren Ebenen des politischen Systems gesetzt. Um den Professionalisie-
rungsprozess auf lokaler Ebene zu untersuchen, wurde in der vorliegenden Stu-
die bewusst der Extremfall ‚Großstädte’ gewählt (vgl. Kapitel 1). Grund dafür
war die Annahme, dass ein Professionalisierungsprozess auf kommunaler Ebene
zuerst bzw. insbesondere in den Großstädten auftritt. Dadurch wird die Reich-
weite der Ergebnisse durch die gewählte Stadtgröße begrenzt. Da jedoch vermu-
tet wird, dass diese Ergebnisse in ihrer Tendenz auch für kleinere Städte Gültig-
keit besitzen, werden diese in die Betrachtung hinzugezogen. So können Aussa-
gen darüber getroffen werden, ob es sich bei den Professionalisierungstendenzen
in den untersuchten Großstädten um eine Ausnahme oder um ein allgemeines
Phänomen auf lokaler Ebene handelt. Ausgehend von dem Spannungsverhältnis
zwischen den verwurzelten Idealvorstellungen des ehrenamtlichen Feierabendpo-
litikers und den empirisch festgestellten Entwicklungen wird abschließend disku-
tiert, wie Professionalisierung die lokale Demokratie verändert und herausfor-
dert.
246 7. Diskussion, Fazit und Ausblick: Professionalisierung auf lokaler Ebene?

7.1 Zentrale Ergebnisse: Hohe Professionalisierung bei starker Divergenz

Die Studie zeigt deutlich, dass die Professionalisierung in den untersuchten


Großstädten sehr hoch ist, sich aber auch sehr stark zwischen den Städten unter-
scheidet. Dafür aussagekräftig sind die Analyseergebnisse der Indikatoren ‚Zeit-
aufwand und zeitliche Verteilung’, ‚Entschädigung der Ratsmitglieder’ und
‚Aufwendungen für das Kommunalparlament’.
Die Analyse des Zeitaufwands (vgl. 4.1) zeigt im Ergebnis die erwartet ho-
he Belastung von wöchentlich durchschnittlich 25 bis 35 Stunden für ‚normale’
Ratsmitglieder und mindestens 40 bis 60 Stunden für die Fraktionsvorsitzenden.
Angesichts dieses hohen Arbeits- und Zeitaufwands ist eine ehrenamtliche Aus-
übung kaum realisierbar. Aufschlussreiche Unterschiede ergeben sich bei der
Trennung zwischen dem Zeitaufwand für die Ratstätigkeiten, zu denen die
Ratsmitglieder gemäß Gemeindeordnung verpflichtet sind, und jenem für die
Mandatsnebentätigkeiten. So wurden beim Zeitaufwand für die Ratstätigkeiten in
erster Linie Differenzen zwischen den Untersuchungsstädten festgestellt, die sich
vor allem durch die unterschiedliche Sitzungshäufigkeit der Ratsversammlungen
und Ausschusssitzungen in den vier Untersuchungsstädten erklären. Neben der
reinen Höhe des Zeitaufwands zeigen sich auch große Unterschiede bei der zeit-
lichen Lage der Sitzungen. Am Vormittag stattfindende Sitzungen erschweren
die Vereinbarkeit von Beruf und Mandat und erhöhen den Professionalisierungs-
druck. Bei den Mandatsnebentätigkeiten sind hingegen kaum Differenzen zwi-
schen den Städten, sondern sehr große individuelle innerhalb der Städte zu er-
kennen. Diese individuellen Unterschiede sind dabei auf den Professionalisie-
rungsdruck zurückzuführen, da die Ratsmitglieder aufgrund ihrer begrenzten
Zeitressourcen Prioritäten setzen und dafür andere Funktionen vernachlässigen
müssen. Eine Gruppe von Ratsmitgliedern bevorzugt die Artikulations- und
Repräsentationsfunktion, die andere die Informations- und Kontrollfunktion.
Insgesamt zeigt sich, dass Personen mit einem höheren Zeitbudget, vor allem die
Nicht-Berufstätigen und Teilzeitbeschäftigten für die Ratstätigkeiten bedeutend
mehr Zeit aufwenden als Vollzeitbeschäftigte, insbesondere bei den Mandatsne-
bentätigkeiten.
Die Unterschiede zwischen der Höhe der Aufwandsentschädigung in den
vier Untersuchungsstädten, aber auch in den zwölf Großstädten mit mehr als
400.000 Einwohnern, sind eklatant: Insbesondere in den Städten in Bayern und
Baden-Württemberg liegen die Aufwandsentschädigungen auf einem sehr hohen
Niveau und entsprechen teilweise sogar (fast) den Diäten der semiprofessionel-
len Bürgerschaft. Bei dieser Höhe können die Ratsmitglieder zumindest teilweise
von der Entschädigung leben – und viele Mandatsträger in diesen Städten leben
auch tatsächlich teilweise von diesem Einkommen durch die Politik. In den Städ-
7.1 Zentrale Ergebnisse: Hohe Professionalisierung bei starker Divergenz 247

ten Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens sind die Entschädigungen hinge-


gen am niedrigsten. Insgesamt betrachtet schwanken die Entschädigungen in den
deutschen Großstädten zwischen zwei Extremen: Zwischen Städten, in denen die
Aufwandsentschädigungen bereits eine Höhe erreicht haben, die auf eine (Teil-)
Professionalisierung schließen lässt, und zwischen Städten, in denen die Ent-
schädigung tatsächlich nur ein Ersatz für die Aufwendungen der Mandatsträger
ist. Die Entwicklung der Professionalisierung im Zeitraum zwischen 1984 und
2002 zeigt, dass sich die Entschädigungen in den Städten nicht aneinander ange-
glichen haben, sondern sogar eine Divergenz festzustellen ist. Auch im Rahmen
des Professionalisierungsprozesses auf Bundes- und Landesebene (vgl. 2.2.2)
war das Amt formal noch lange ein Ehrenamt, obwohl die Abgeordneten bereits
von den Entschädigungen leben konnten. Diese Entwicklung vollzog sich nicht
nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht. So entwickelte sich
aus der reinen Aufwandsentschädigung durch die Einführung einer Alters- und
Invalidenversorgung mit der Zeit ein soziales Netz für die Abgeordneten. Auch
in den Großstädten ist eine qualitative Erweiterung der Entschädigung zu erken-
nen – so gibt es in Stuttgart bereits erste Ansätze einer Altersversorgung (vgl.
4.2.2).
Bei den Aufwendungen für das Kommunalparlament zeigt sich ebenso wie
bei den Aufwandsentschädigungen ein sehr differenziertes Bild (vgl. 4.3). Hin-
sichtlich der finanziellen Ausstattung der Fraktionen ist bei der absoluten Höhe
eine hohe Varianz zu erkennen – von Städten, in denen die Fraktionen eine sehr
geringe finanzielle Zuwendung erhalten bis zu Städten, in denen sie ebenso viel
erhalten wie die Fraktionen der semiprofessionalisierten Bürgerschaft in Ham-
burg. Dies wirkt sich insbesondere auf die personelle Ausstattung der Fraktions-
geschäftsstellen aus, wodurch sich zwei grundsätzlich unterschiedliche Unter-
stützungsarten herausgebildet haben: Zum einen eine lediglich organisatorische
Unterstützung der Ratsmitglieder und zum anderen jene Unterstützungsart, bei
der die Ratsmitglieder nicht nur organisatorische, sondern vor allem inhaltliche
Zuarbeit durch die Fraktionsmitarbeiter erhalten. Auch auf der Ebene der politi-
schen Institution zeigen sich somit Parallelen zu den höheren Ebenen. Dort ha-
ben sich die Arbeitsbedingungen für die Abgeordneten kontinuierlich verbessert
– sowohl in personeller als auch in sachlicher Hinsicht (vgl. 2.2.2.2). So erhielten
die Mandatsträger wissenschaftliche Beratung und Assistenz ebenso wie An-
spruch auf Büroräume und sachliche Ressourcen.
Insgesamt zeigt die Analyse zu Ausmaß und Entwicklung der Professionali-
sierung der Kommunalparlamente, dass der Professionalisierungsgrad relativ
hoch ist und zum Teil sogar an den Grad der semiprofessionellen Bürgerschaft in
Hamburg heranreicht. Dabei sind jedoch nicht nur sehr große Differenzen im
Grad und in der Entwicklung der Professionalisierung, sondern vor allem auch
248 7. Diskussion, Fazit und Ausblick: Professionalisierung auf lokaler Ebene?

unterschiedliche Professionalisierungsarten in den verschiedenen Bundesländern


zu erkennen. So ergeben sich durch die Zusammenschau der Indikatoren der
Professionalisierung Muster, die größtenteils die entwickelten Idealtypen abbil-
den (vgl. 2.3.1.2). Diese Professionalisierungsarten sind auf der einen Seite die
mitgliederbasierte Professionalisierung – also in erster Linie die Professionalisie-
rung des Amtes der Mandatsträger – und auf der anderen Seite die ressourcenba-
sierte Professionalisierung – also in erster Linie die Professionalisierung der
Ressourcen: So ist in jenen Städten, in denen die Aufwandsentschädigung und
der Zeitaufwand der Ratsmitglieder eher hoch ist, die Anzahl der Mitarbeiter
sowie die Qualität und Quantität der Zuarbeit eher niedrig und umgekehrt.
Bei diesen unterschiedlichen Professionalisierungsarten handelt es sich zu-
mindest teilweise um funktionale Äquivalente: Während das Ziel beider Profes-
sionalisierungsarten jeweils in der Erfüllung der Ratsaufgaben liegt, haben sich
unterschiedliche Arten der Zielerreichung herausgebildet. Ratsmitglieder, deren
Fraktionsgeschäftsstellen personell gut ausgestattet sind und die hohe inhaltliche
und organisatorische Zuarbeit erhalten, sind zeitlich entlastet und können das
Mandat eher ehrenamtlich ausüben. Bei einer mitgliederbasierten Professionali-
sierung gibt es diese Art der Unterstützung nur in sehr geringem Maße, so dass
die einzelnen Ratsmitglieder die Aufgaben, die bei einer ressourcenbasierten
Professionalisierung von den Mitarbeitern übernommen werden, zusätzlich zu
der übrigen Ratstätigkeit selbst übernehmen. Allerdings erhalten sie eine höhere
Aufwandsentschädigung. Empirisch zeigt sich, dass Nürnberg mit einer relativ
hohen Aufwandsentschädigungen bei sehr geringen personellen und technischen
Ressourcen eine (Teil-)Professionalisierung des Amtes betreibt. In Hannover und
Frankfurt hingegen zeigt sich ein hoher Professionalisierungsgrad der Institution,
da die Aufwendungen für das Parlament und damit auch die personellen und
sachlichen Ressourcen relativ hoch sind, die Ratsmitglieder aber niedrige Ent-
schädigungen erhalten. Dies spricht für eine teilweise Professionalisierung der
Institution. Stuttgart schließlich scheint mit seinen enormen Zuwachsraten in
beiden Bereichen für das Konzept einer umfassenden Professionalisierung der
Kommunalpolitik zu stehen. Insgesamt wurde in den nord- und westdeutschen
Bundesländern eine ressourcenbasierte, in den süddeutschen Bundesländern eine
mitgliederbasierte Professionalisierung festgestellt.
Somit gibt es einen relativ hohen Professionalisierungsgrad von Amt und
Institution, der jedoch sehr stark zwischen den Städten variiert. Dieser institutio-
nelle Professionalisierungsgrad stellt den Rahmen für die individuelle Professio-
nalisierung dar. Wie agieren die Ratsmitglieder innerhalb dieser institutionellen
Rahmenbedingungen? Welche Entscheidungen treffen sie beim Versuch, Mandat
und Beruf miteinander zu vereinbaren und führt dies zu einer individuellen poli-
tischen Professionalisierung?
7.1 Zentrale Ergebnisse: Hohe Professionalisierung bei starker Divergenz 249

Anknüpfend an die bisherigen Erkenntnisse, dass ein Mandat im Rat einer Groß-
stadt mit einem ‚normalen’ Beruf kaum vereinbar ist, wurde geprüft, ob sich
durch diese Probleme eine einseitige Sozialstruktur der Räte hinsichtlich Alter,
Geschlecht, Bildungsgrad oder Berufsstruktur ergeben hat (vgl. 5.2). Bei der
Altersstruktur findet sich eine Überrepräsentation der mittleren Jahrgänge –
ähnlich wie in anderen Parlamenten. Frauen sind mit durchschnittlich 44% der
Ratsmitglieder in den untersuchten Kommunen sehr stark vertreten – eine syste-
matische geschlechtsspezifische Schließung der Kommunalpolitik ist somit nicht
zu erkennen. Die Bildungsabschlüsse der Ratsmitglieder sind genau wie in ande-
ren Parlamenten weit überdurchschnittlich.
Die Analyse der Berufsstruktur widerspricht hingegen der weit verbreiteten
Vorstellung, dass in erster Linie nur Angehörige des Öffentlichen Dienstes (und
hier insbesondere Lehrer) die Zeit für ein kommunalpolitisches Engagement
aufbringen könnten: Lediglich ein Viertel der Ratsmitglieder kommt aus dem
Öffentlichen Dienst. Damit bilden sie eine von vier nahezu gleich großen Grup-
pen, zu denen außerdem die Selbständigen und Freiberufler, die Nichterwerbstä-
tigen und die Angestellten im politischen/politiknahen Sektor gehören. Deutlich
unterrepräsentiert sind hingegen die Beschäftigten im privaten Sektor. Dabei gibt
es jedoch kein einheitliches Muster; vielmehr weichen die Berufsstrukturen in
den Untersuchungsstädten stark voneinander ab und auch der öffentliche Sektor
ist nicht so dominant in den Kommunalparlamenten vertreten wie erwartet. Inso-
fern widersprechen die Ergebnisse der Sozialstrukturanalyse in den vier Untersu-
chungsstädten eindeutig der Abkömmlichkeitsthese, die davon ausgeht, dass der
Berufssektor bzw. die Berufsgruppe darüber entscheidet, wer ein Mandat in einer
Großstadt ausüben kann und wer nicht. Damit sind rein sozialstrukturelle Analy-
sen der Ratspopulation unzureichend.
Vielmehr sind die individuellen Lagen und Strategien entscheidend: 85%
der Ratsmitglieder in den vier Untersuchungsstädten wenden Strategien zur Ver-
einbarkeit von Beruf und Mandat an (vgl. 5.3). Die vier wichtigsten Strategien
sind ‚Freistellung’, ‚Reduzierung der Arbeitszeit’, ‚Gleitzeit/flexiblere Arbeits-
zeiten’ und der ‚Wechsel des Arbeitsplatzes’. Bei der gesetzlich geregelten Frei-
stellung durch den Arbeitsgeber zeigt sich einerseits, dass diese je nach Berufs-
position und Betriebsgröße durchaus nicht für alle Arbeitnehmer praktikabel ist
und die Freistellungen häufig zu Problemen mit Kollegen und Vorgesetzten
führen. Anderseits offenbart die Analyse, dass es in allen Kommunalparlamenten
Ratsmitglieder gibt, die von ihren Arbeitgebern (nahezu) komplett freigestellt
werden. Dabei zeigt sich, dass die komplette Freistellung primär von den Frakti-
onsvorsitzenden in Anspruch genommen wird, die ohne diese vollständige Frei-
stellung ihre Funktion nicht ausüben könnten. Des Weiteren werden die ‚norma-
len’ Ratsmitglieder aus einem gewissen Eigeninteresse der Unternehmen an
250 7. Diskussion, Fazit und Ausblick: Professionalisierung auf lokaler Ebene?

einer Repräsentanz im politischen Raum heraus freigestellt. Hierbei geht es


ebenso um das Unternehmensimage wie um den Zugang zu Informationen und
um Einfluss.
Eine Reduzierung der Arbeitszeit wird von zwei Gruppen praktiziert. Einer-
seits ist diese Strategie für viele Selbständige und Freiberufler die einzige Mög-
lichkeit, Mandat und Beruf in Einklang zu bringen, auch wenn dies für viele
Einkommenseinbußen bedeutet. Andererseits nutzen abhängig Beschäftigte diese
Strategie, um den Erwartungsdruck und die Konflikte am Arbeitsplatz zu verrin-
gern und sich Freiräume für ihre politische Tätigkeit zu schaffen. Dabei dient die
Aufwandsentschädigung als Kompensation für den erlittenen Einkommensver-
lust. Durch die Kombination beider Einkünfte versuchen diese Ratsmitglieder,
ihr altes Gesamteinkommen zu erzielen. Daher ist die Attraktivität dieser Strate-
gie sowohl abhängig von der Höhe des beruflichen Einkommens als auch von
der jeweiligen Aufwandsentschädigung.
Die Vereinbarung flexiblerer Arbeitszeiten mit dem Arbeitgeber kommt vor
allem dort in Frage, wo eine Reduzierung der Arbeitszeit finanziell zu unattraktiv
erscheint. Der Wechsel des Arbeitsplatzes wird von den Ratsmitgliedern in erster
Linie dann gewählt, wenn andere Optionen nicht möglich sind oder bereits er-
folglos praktiziert wurden. Ziel ist auch hier, die Abkömmlichkeit zu erhöhen.
Dabei finden sich sowohl der Wechsel auf einen anderen Arbeitsplatz beim glei-
chen Arbeitgeber als auch ein völliger Wechsel der Branche. Einen Sonderfall
stellen jene Ratsmitglieder dar, die in eine politische oder politiknahe Funktion
wechseln und so zu De-facto-Berufspolitikern werden. Allgemein zeigt sich,
dass bei denjenigen, die bereit sind, ihren Arbeitsplatz für ein Ratsmandat auf-
zugeben, die Motivation für ein politisches Engagement besonders hoch ist. So
strebt nach eigenen Aussagen insgesamt mehr als ein Drittel der Ratsmitglieder
eine politische Karriere an.
Diesen Strategien ist gemein, dass sie den Beruf zugunsten des Mandats
vernachlässigen. Der umgekehrte Weg – also die Privilegierung der Berufstätig-
keit auf Kosten des Mandats – wird hingegen kaum angewendet. Dieses ‚Sich-
Herausziehen’ aus der Ratsarbeit wird innerhalb der Fraktionen in der Regel
nicht toleriert, so dass dieser Weg aufgrund des sozialen Drucks kaum dauerhaft
gangbar ist. Aber auch Mandatsniederlegungen werden von den Ratsmitgliedern
als negativ beurteilt. Im Regelfall kommt es in Fällen, in denen Ratsmitglieder
nicht bereit bzw. nicht fähig sind, Kompromisse im beruflichen Bereich einzu-
gehen, zu einem Verzicht auf eine erneute Kandidatur nach einer Amtszeit.
Im Anschluss an die Analyse der verschiedenen Vereinbarkeitsstrategien
wurden theoretisch vier Idealtypen möglicher strategischer Grundentscheidungen
von Ratsmitgliedern im Dilemma von Berufstätigkeit und Mandatsausübung
entwickelt: Nicht-Entscheidung, da Problem individuell nicht vorhanden (1),
7.1 Zentrale Ergebnisse: Hohe Professionalisierung bei starker Divergenz 251

Entscheidung pro Beruf (2), Versuch des Ausgleichs (3) und Entscheidung pro
Mandat (4). Bei der Zuordnung der einzelnen real verfolgten Strategien zeigt
sich, dass für 20% der Ratsmitglieder die Vereinbarkeitsprobleme gering sind;
3% entscheiden sich für den Beruf, 30% versuchen eine Balance herzustellen.
Knapp die Hälfte der Ratsmitglieder legt eine Priorität auf das Mandat und ord-
net die berufliche Tätigkeit der politischen unter. Dadurch professionalisiert sich
die Hälfte der Ratsmitglieder individuell und befindet sich damit in einer Situati-
on zwischen Ehrenamt und Berufspolitik.
Die Ratsmitglieder professionalisieren sich dabei überwiegend dort indivi-
duell, wo der Professionalisierungsdruck durch den Zeitaufwand und die zeitli-
che Lage der Sitzungen am höchsten ist und wo diese individuelle Professionali-
sierung aufgrund der Höhe der Entschädigung im Vergleich zu anderen Optionen
besonders attraktiv ist. Die Stadträte treffen somit eine rationale Auswahl aus
den für sie verfügbaren strategischen Optionen, wobei die politische Tätigkeit für
fast alle eine hohe Priorität hat.
Auch hinsichtlich der Sozialstruktur der Mandatsträger und der eingesetzten
Strategien zur Vereinbarkeit von Beruf und Mandat lassen sich vielfältige Paral-
lelen zwischen der aktuellen Situation in den Großstädten und jener in den Par-
lamenten auf den höheren Ebenen während des informellen Professionalisie-
rungsprozesses erkennen. Die angewendeten Strategien der Ratsmitglieder in den
deutschen Großstädten sind den informellen Kanälen der Professionalisierung
vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik in Art und Ausmaß interessanterweise
sehr ähnlich. Parallelen zeigen sich hinsichtlich der Anstellung von Mandatsträ-
gern bei Parteien, Verbänden und Interessengruppen. Eine Sonderform ist die
Anstellung der Mandatsträger in der eigenen Fraktion. Diese Strategie war auf
den höheren Ebenen immer dann wichtig, wenn das politische Amt niedrig pro-
fessionalisiert war. Mit fortschreitender Professionalisierung des Amtes verlor
sie immer mehr an Bedeutung. Auch in den untersuchten Großstädten spielt
diese Strategie vor allem dort eine Rolle, wo die Aufwandsentschädigung niedrig
ist. Eine weitere Strategie, die in den Professionalisierungsprozessen auftaucht –
sowohl auf den höheren Ebenen als auch im aktuellen Prozess in den Großstäd-
ten –, ist die Reduzierung der Arbeitszeit. Dabei zeigt sich allerdings, dass diese
Strategie erst dann angewendet wird, wenn der Professionalisierungsgrad des
Amtes, d.h. die Höhe der Aufwandsentschädigung, bereits relativ hoch ist – da
erst dann eine solche Professionalisierung für die Mandatsträger im Vergleich zu
ihrem eigentlichen Beruf attraktiv ist.
Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, dass in den deutschen
Großstädten ein Professionalisierungsprozess stattfindet und dass die Kommu-
nalparlamente über einen relativ hohen Professionalisierungsgrad verfügen, der
teilweise sogar an jenen der semiprofessionellen Bürgerschaft in Hamburg her-
252 7. Diskussion, Fazit und Ausblick: Professionalisierung auf lokaler Ebene?

anreicht. Das normative Leitbild auf kommunaler Ebene ist jedoch nach wie vor
jenes des ehrenamtlichen Feierabendpolitikers. Insofern gibt es auch in den deut-
schen Großstädten – ebenso wie während des Professionalisierungsprozesses auf
den höheren Ebenen des politischen Systems (vgl. 2.2.2) – einen Widerspruch
zwischen Leitbild und Realität. Der Professionalisierungsprozess in den deut-
schen Großstädten weist darüber hinaus auf allen Ebenen der Professionalisie-
rung – der Ebene der Institution, des Amtes und auch auf jener des Individuums
– vielfältige Parallelen zu den informellen Professionalisierungsprozessen auf
den höheren Ebenen auf.

7.2 Professionalisierung auch in mittelgroßen Städten?

Angesichts des hohen Professionalisierungsgrades in den deutschen Großstädten


stellt sich die Frage, ob dieser nur ein Phänomen in den zwölf größten deutschen
Städten ist oder ob es sich hierbei um eine allgemeine Entwicklungstendenz auf
lokaler Ebene handelt.
In Deutschland gibt es ca. 12.500 Gemeinden unterschiedlichster Größe –
von Kommunen mit wenigen hundert Einwohnern bis zu den im Rahmen der
vorliegenden Untersuchung analysierten Großstädten mit zum Teil mehr als
einer Million Einwohnern. Es ist sicherlich nicht zu erwarten, dass auch in den
kleinsten Gemeinden Professionalisierungsprozesse zu beobachten sind. So zei-
gen auch Analysen zur Höhe des Zeitaufwands für die Ratstätigkeit eine sehr
große Spannbreite des Zeitaufwands, der mit der Gemeindegröße ansteigt. In
kleinen Gemeinden beträgt der wöchentliche Zeitaufwand dabei deutlich weniger
als zehn Stunden. Bei dieser Höhe ist eine ehrenamtliche und nebenberufliche
Ausübung relativ problemlos möglich. Studien zum Zeitaufwand zeigen jedoch,
dass der Zeitaufwand überproportional zur Einwohnerzahl zunimmt und dass
insbesondere in Mittel- und Großstädten ein sehr starker Anstieg zu beobachten
ist. Insofern ist zu erwarten, dass aufgrund dieses Zeitaufwands und des daraus
entstehenden Professionalisierungsdrucks auch in mittelgroßen Städten Professi-
onalisierungstendenzen erkennbar sind.
Im Vorfeld der Fragenbogenentwicklung der vorliegenden Untersuchung
wurden Experteninterviews mit Kommunalpolitikern in Städten der Größenklas-
se zwischen 100.000 und 300.000 Einwohnern geführt121. Diese Interviews zei-
gen ebenso wie eine erweiterte Datenanalyse (vgl. Tabellen B 3-6) in den mittel-

121 Die Städte, in denen Fraktionsgeschäftsführer und/oder Fraktionsvorsitzende bzw. Vertreter des
Städtetags interviewt wurden, sind Wiesbaden, Mainz, Karlsruhe, Mannheim und Heidelberg.
Des Weiteren wurde mit Abgeordneten des Landtags Baden-Württemberg gesprochen, die von
Erfahrungen in ihren Wahlkreisen berichteten.
7.2 Professionalisierung auch in mittelgroßen Städten? 253

großen Städten Baden-Württembergs und Niedersachsens, dass auch dort Profes-


sionalisierungsprozesse stattfinden, wenn auch auf einem niedrigeren Niveau.
Ratsmitglieder mittelgroßer Städte berichten von einem Anstieg des Zeit-
aufwands. Des Weiteren ist in jenen Städten eine zeitliche Verlagerung der Sit-
zungen in den Tag hinein zu beobachten. So finden auch hier Sitzungen vermehrt
bereits zur Mittagszeit bzw. am frühen Nachmittag statt. Dies führt zu einer
schwierigeren Vereinbarung von Beruf und Mandat und zur Notwendigkeit der
Abkömmlichkeit vom Beruf.
Hinsichtlich der Aufwandsentschädigungen für die Mandatsträger und der
Aufwendungen für die Kommunalparlamente sind nach diesen Erkenntnissen in
den mittelgroßen Städten dieser beiden Bundesländern ebenfalls unterschiedliche
Entwicklungen und Professionalisierungsgrade zu verzeichnen, die jenen Mus-
tern und Professionalisierungsarten entsprechen, die für die Großstädte der je-
weiligen Bundesländer identifiziert wurden. Die Analyse der Aufwandsentschä-
digungen in den deutschen Großstädten (vgl. 4.2.3) zeigt sehr große Unterschie-
de in der Höhe, die auf den unterschiedlichen Handlungsspielraum der Räte in
Entschädigungsfragen zurückgeführt wird. In Niedersachsen sehen die Richtli-
nien des Innenministeriums zur angemessenen Aufwandsentschädigung be-
stimmte Höchstgrenzen vor. Bis zu dieser Höhe können die Stadträte selbst über
ihre Entschädigung entscheiden. Dabei findet eine Abstufung nach der Einwoh-
neranzahl der Kommunen statt. Insofern können die Mandatsträger in kleineren
und mittleren Städte maximal einen bestimmten Prozentsatz jener Entschädi-
gung, die die Ratsmitglieder in Großstädten erhalten, bekommen. Interessanter-
weise werden in den sechs größten niedersächsischen Städten – mit Ausnahme
Wolfsburgs – diese Höchstsätze weit unterschritten. Insgesamt liegen die Ent-
schädigungen in den niedersächsischen Städten auf einem Niveau, bei dem man
ebenso wie in Hannover de facto von einer reinen Entschädigung für die mit der
Ratstätigkeit verbundenen Aufwendungen sprechen kann.
In Baden-Württemberg hingegen gibt es wie erläutert keine Vorgaben durch
den Innenminister über die Höhe der Entschädigungen. Dort orientieren sich die
Ratsmitglieder kleinerer Städte nach Angaben der Fraktionsvorsitzenden bzw.
Fraktionsgeschäftsführer in Karlsruhe und Heidelberg an den Entschädigungen,
die in größeren Städten bezahlt werden. So gibt es für die Kommunalparlamente
Übersichten der Entschädigungen in den baden-württembergischen Städten. Die
Übersicht der monatlichen Entschädigungen in den sechs größten Städten Baden-
Württembergs zeigt, dass die Höhe der Aufwandsentschädigung weitgehend
parallel zur Stadtgröße ansteigt. Die Orientierung an den Entschädigungszahlun-
gen in Stuttgart führt dazu, dass die Entschädigungen in den mittelgroßen Städ-
ten vergleichsweise hoch sind. So erhält beispielsweise ein Ratsmitglied in Hei-
delberg (143.000 Einwohnern) mit 460 Euro eine ebenso hohe Aufwandsent-
254 7. Diskussion, Fazit und Ausblick: Professionalisierung auf lokaler Ebene?

schädigung wie ein Ratsmitglied in Hannover, während ein niedersächsisches


Ratsmitglied aus Oldenburg (155.000 Einwohner) lediglich eine Entschädigung
in Höhe von 243 Euro bekommt. Die Städte Freiburg, Karlsruhe und Mannheim
liegen mit einer Entschädigung von mehr als 500 Euro auf dem gleichen Niveau
wie die nordrhein-westfälischen Städte Essen, Köln, Dortmund, Duisburg und
Dortmund (vgl. Tabelle 4.2). Demgemäß kann auch in den mittelgroßen Städten
in Baden-Württemberg von einer Teilprofessionalisierung gesprochen werden.
Alle Fraktionen in den untersuchten mittelgroßen Städten erhalten Aufwen-
dungen zur Unterhaltung der Fraktionsgeschäftsstellen. In Baden-Württemberg
zeigt sich, dass auch die Aufwendungen für die Kommunalparlamente mit der
Stadtgröße ansteigen. Dabei ist allerdings ein überproportionaler Anstieg bei
Städten mit mehr als 200.000 Einwohnern zu verzeichnen, so dass drei Gruppen
von Städten zu identifizieren sind: Städte mit einer Einwohnerzahl zwischen
100.000 und 200.000 Einwohnern, die Zuwendungen auf einem relativ niedrigen
Niveau erhalten; zum zweiten die Städte zwischen 200.000 und 500.000 Ein-
wohnern, die zwar eine Mittelposition einnehmen, allerdings bereits beträchtli-
che Aufwendungen erhalten. So haben die Zuwendungen in den – nach Stuttgart
– drei größten Städten Baden-Württembergs Freiburg, Karlsruhe und Mannheim
eine Höhe erreicht, die sogar über der Höhe der Aufwendungen in den drei
Großstädten Dresden, Nürnberg und Essen liegt. Als dritte ‚Gruppe’ ist schließ-
lich Stuttgart auszumachen, da dort die Zuwendungen nochmals beträchtlich
höher sind. Für Niedersachsen sind ebenfalls relativ hohe Aufwendungen für die
Ratsfraktionen festzustellen, die allerdings im Gegensatz zu Baden-Württemberg
nicht proportional zur Einwohnerzahl ansteigen und sich zudem in gleich großen
Städten stark unterscheiden: So verfügen beispielsweise die Fraktionen in Osna-
brück mit knapp 6.400 Euro pro Jahr pro Ratsmitglied über mehr als das Dreifa-
che der fast gleichgroßen Stadt Oldenburg. Hinsichtlich der personellen Res-
sourcen gehören Fraktionsgeschäftsführer auch in kleineren und mittelgroßen
Städten nach Angaben der Experten zur allgemeinen Ausstattung größerer Frak-
tionen. Des Weiteren sind eingeschränkt auch Assistenten bzw. Verwaltungs-
kräfte in Fraktionen beschäftigt, um die Ratsmitglieder organisatorisch und in-
haltlich zu unterstützen. Auch die technische Ausstattung ist in vielen Fällen
vergleichbar mit jener in den Großstädten. So werden in immer mehr mittelgro-
ßen Städten Ratsinformationssysteme eingerichtet, wie beispielsweise das Sit-
zungssystem ‚Session’ in Heidelberg im Jahr 2004 oder das Ratsinformationssy-
stem in Mannheim. Inwiefern es hinsichtlich der personellen Ausstattung der
Fraktionen Unterschiede zwischen den Städten in Baden-Württemberg und jenen
in Niedersachsen gibt, kann auf Grundlage dieser Erkenntnisse nicht beantwortet
werden.
7.3 Professionalisierung und kommunale Demokratie 255

Auf individueller Ebene lassen sich ebenfalls Strategien zur Vereinbarkeit von
Beruf und Mandat finden, jedoch vor allem bei den Fraktionsvorsitzenden. So
hat beispielsweise ein Fraktionsvorsitzender in Karlsruhe seinen eigentlichen
Beruf auf eine Halbtagstätigkeit reduziert, um für sein Amt und seine Funktion
die notwendige Zeit zu haben. Des Weiteren ist der Vorruhestand nach Angaben
der Interviewten eine häufige Strategie, mit der sich Funktionsträger mittelgroßer
Städte die notwendigen Zeitressourcen schaffen. Ausgehend von diesen Einzel-
fallbeschreibungen kann davon ausgegangen werden, dass die Anwendung von
Abkömmlichkeits- und Professionalisierungsstrategien, wenn auch in geringerem
Maße, auch in mittelgroßen Städten durchaus üblich ist.
Auch in den mittleren und kleineren Städten scheint somit eine Professiona-
lisierung auf den Ebenen des Individuums, des Amtes und der Institution stattzu-
finden. Interessanterweise weisen die Ergebnisse zudem daraufhin, dass sich in
den jeweiligen Bundesländern unabhängig von der Stadtgröße die gleichen Pro-
fessionalisierungsarten herausbilden. Wie erläutert, ist dies auch darauf zurück-
zuführen, dass sich die mittelgroßen Städte bei der Festlegung der Höhe der
Entschädigungen – soweit dies in ihrem Handlungsspielraum liegt – und der
Höhe der Aufwendungen für das Parlament an den Realitäten in den größten
Städten ihres Bundeslandes orientieren. Bundesländerübergreifende Vergleiche
hingegen gibt es, wie erläutert, nicht, so dass die Professionalisierungsprozesse
getrennt verlaufen. Hierbei müssen jedoch zukünftige Analysen diese Annahmen
genauer untersuchen. Insofern ist angesichts dieser Erkenntnisse zu konstatieren,
dass die in der vorliegenden Studie untersuchten deutschen Großstädten mit
mehr als 400.000 Einwohnern im Umfang der Professionalisierung zwar die
Extremposition einnehmen, dass sie jedoch keinen Ausnahmefall darstellen.

7.3 Professionalisierung und kommunale Demokratie

Auf kommunaler Ebene, insbesondere in den Großstädten, findet ein Professio-


nalisierungsprozess statt, bei dem viele Parallelen zu den Prozessen auf den hö-
heren Ebenen zu erkennen sind. Daher stellt sich die Frage, wie sich der Profes-
sionalisierungsprozess in den Großstädten weiterentwickeln wird. Welche Opti-
onen gibt es und welche Entwicklung(en) sind zu erwarten? Führt der Professio-
nalisierungsprozess auf kommunaler Ebene ebenfalls zu einer formalen Professi-
onalisierung wie auf den höheren Ebenen des politischen Systems? Was bedeutet
die Professionalisierung für die kommunale Selbstverwaltung, die nach wie vor
als ‚Schule der Demokratie’ gilt und in der die Ehrenamtlichkeit der Mandatsträ-
ger eine große Rolle spielt? Welche Erfahrungen können aus den Professionali-
sierungsprozessen auf den höheren Ebenen gezogen werden?
256 7. Diskussion, Fazit und Ausblick: Professionalisierung auf lokaler Ebene?

Die Beurteilung der politischen Professionalisierung und ihr Vorhandensein in


der Demokratie wird in Gesellschaft und Wissenschaft seit jeher sehr unter-
schiedlich beurteilt, wobei diese Beurteilung sehr stark von den in der Gesell-
schaft verwurzelten Demokratievorstellungen abhängt. Für Max Weber waren
Professionalisierung und Demokratisierung untrennbar miteinander verbunden.
Bei einer ehrenamtlichen und somit unentgeltlichen Ausübung des Mandats ist
dieses nur wirtschaftlich abkömmlichen Personen zugänglich. Erst durch die
Professionalisierung wird die Politik für neue Bevölkerungsschichten geöffnet.
Historisch ist die Professionalisierung somit in erster Linie eine Folge der De-
mokratisierung und der Zunahme der Staatsaufgaben, die eine hauptberufliche
Ausübung des Mandats aufgrund der zunehmenden Arbeitsbelastung erforderte.
Aber welche Auswirkungen hatte die Professionalisierung auf den höheren Ebe-
nen des politischen Systems? Sie führte dazu, dass die Politiker ihre Tätigkeit
hauptberuflich ausüben und damit materiell von dem Einkommen aus diesem
Amt abhängig sind. Gleichzeitig sind die Mandatsträger jedoch von der Unsi-
cherheit betroffen, abgewählt bzw. nicht wiedergewählt zu werden. Mit dem
Verlust des Mandats verlieren sie aber gleichzeitig auch ihre wirtschaftliche
Grundlage. Die Berufspolitiker haben dadurch über alle Parteigrenzen hinweg als
Gruppe ein gemeinsames Interesse an der Fortsetzung ihrer Karrieren. Um die
Unsicherheit zu verringern, wenden die Berufspolitiker daher Strategien an, um
ihren Verbleib in der Politik zu sichern. Dies führt jedoch (wiederum) zur sozia-
len Schließung der Demokratie.
Somit zeigen die Erfahrungen der höheren Ebenen des politischen Systems,
dass sich die Demokratie durch die Professionalisierung verändert hat. Ange-
sichts dessen ist zu erwarten, dass sich auch auf kommunaler Ebene der Charak-
ter der kommunalen Selbstverwaltung durch den Professionalisierungsprozess
verändern und sich ebenso wie auf den höheren Ebenen des politischen Systems
eine politische Klasse mit Eigeninteressen etablieren würde. Statt des ehrenamt-
lichen Feierabendpolitikers, der die praktische Erfahrung in die Verwaltung
einbringt, würde sich der Karriere- und Berufspolitiker durchsetzen. Dies würde
zu einer sozialen Schließung führen und den Zugang für anderen Personengrup-
pen, die das Mandat ehrenamtlich und nebenberuflich ausüben würden, erschwe-
ren. Aber gerade auf kommunaler Ebene spielt die Ehrenamtlichkeit eine sehr
große Rolle. So ist die kommunale Selbstverwaltung eine der zentralen Traditi-
onslinien bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland und die ‚Keimzelle’
einer vitalen Bürgergesellschaft. So wurde die kommunale Selbstverwaltung mit
ihrer bürgerschaftlichen Mitwirkung schon seit den Zeiten des Freiherrn vom
Stein als ‚Schule der Demokratie’ und als eine Stätte bezeichnet, in der die Aus-
wirkungen der jeweiligen Entscheidungen für den Bürger unmittelbar erfahrbar
und begreifbar sind. Durch die Mitwirkung der Bürger soll der Übermacht der
7.3 Professionalisierung und kommunale Demokratie 257

Verwaltungsbürokratie entgegengewirkt und Bürgernähe gewährleistet werden,


die sich praktisch insbesondere in der Berufung von Bürgern in Ehrenämter
zeigt. Gleichzeitig wird das ehrenamtliche Engagement in der Kommunalpolitik
als wichtige Lernstation und als Teil der ‚Ochsentour’ zu den hauptamtlichen
Positionen auf den höheren Ebenen betrachtet. Dadurch können die Bürger poli-
tische Techniken entwickeln und deren Beherrschung erlernen (vgl. Dahl 1967:
965ff.), welche sie für die politische Karriere benötigen. Die Gemeinde gilt so-
mit als ursprüngliches Feld für die politische Betätigung des Bürgers. Dabei
herrscht auf kommunaler Ebene nach wie vor das Idealbild des Bürgers in der
Politik vor – die Vorstellung, dass Politik die Angelegenheit aller ist. Eine Pro-
fessionalisierung der Kommunalpolitik widerspricht diesem Ideal des Bürgerpo-
litikers fundamental.
Aber welche Entwicklungsoptionen gibt es für die Kommunalparlamente in
den Großstädten? Wie wird sich der Prozess weiterentwickeln? Welche Bedeu-
tung hat dabei das Ideal des Bürgerpolitikers? Eine ehrenamtliche und nebenbe-
rufliche Ausübung, die diesem Ideal des Bürgerpolitikers entsprechen würde, ist
in den Großstädten unrealistisch. Die Analyse offenbarte die aktuellen Rahmen-
bedingungen in den Großstädten, die eine ehrenamtliche Ausübung aufgrund des
hohen Arbeits- und Zeitaufwands nicht erlauben, ebenso wie den bereits relativ
hohen Professionalisierungsgrad der Kommunalparlamente. Grundvoraussetzung
für eine Re-Etablierung der Ehrenamtlichkeit wäre daher eine deutliche Verrin-
gerung des Arbeits- und Zeitaufwands für die Ratsmitglieder. Entwicklungen in
diese Richtung sind jedoch nicht absehbar. Überdies sind Modelle, die im Rah-
men der Lokalen Politikforschung intensiv diskutiert werden und die zu einem
geringeren Zeitaufwand führen könnten – wie insbesondere das Neue Steue-
rungsmodell –, nicht realisierbar und werden zudem von den Ratsmitgliedern
abgelehnt. So zeigt die Analyse im Rahmen dieser Studie (vgl. 6.1), dass die
überwiegende Mehrheit der Ratsmitglieder eine Konzentration auf strategische
Entscheidungen, wie es die Konzeption im Rahmen des Neuen Steuerungsmo-
dells vorsieht, ablehnen. Die Hauptgründe dafür liegen zum einen darin, dass sie
dadurch einen (weiteren) Machtverlust gegenüber der Verwaltung befürchten;
zum anderen widerspricht es ihren Funktionsvorstellungen, insbesondere hin-
sichtlich der Bürgervertretung. Aber auch andere Modelle, die eine ehrenamtli-
che Ausübung erleichtern würden, sind nicht um- und durchsetzbar. Eine andere
zeitliche Organisation der Ratsarbeit – beispielsweise durch das Verlegen der
Sitzungen auf den späten Nachmittag oder Abend – werden von den Ratsmit-
gliedern aufgrund von Koordinationsproblemen und persönlichen Entscheidun-
gen abgelehnt.
Auch eine formale Professionalisierung ist in den Großstädten aus mehreren
Gründen nicht zu erwarten. So haben die Ratsmitglieder in den vier Untersu-
258 7. Diskussion, Fazit und Ausblick: Professionalisierung auf lokaler Ebene?

chungsstädten sehr konträre Einstellungen zu einer formalen Professionalisie-


rung des Amtes (vgl. 6.3): Die eine Hälfte der Ratsmitglieder spricht sich für
eine formale Professionalisierung des Amtes aus, die andere Hälfte für die Bei-
behaltung der Ehrenamtlichkeit. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede in den
Einstellungen zur Professionalisierung, die jedoch nicht mit dem vorhandenen
Professionalisierungsgrad des Amtes übereinstimmen. Große Einstellungsunter-
schiede bestehen zudem zwischen den Berufsgruppen – während die nichtberufs-
tätigen und die selbständigen/freiberuflichen Ratsmitglieder überwiegend für die
Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit plädieren, spricht sich die Mehrheit der An-
gestellten im politischen/politiknahen Bereich für eine Professionalisierung aus.
Damit zusammenhängend zeigen sich in Abhängigkeit zur Parteizugehörigkeit
starke Einstellungsunterschiede: Während sich die Ratsmitglieder von SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehrheitlich für eine Professionalisierung aus-
sprechen, befürworten jeweils mehr als zwei Drittel der Mandatsträger der bei-
den bürgerlichen Parteien CDU/CSU und FDP die Beibehaltung der Ehrenamt-
lichkeit. Da Entscheidungen zum Status der Abgeordneten in der Regel von der
großen Mehrheit der Mandatsträger beschlossen werden, lassen diese Erkennt-
nisse, insbesondere hinsichtlich dieser Spaltung in zwei Lager, vermuten, dass es
zu keiner ernsthaften Diskussion über den Status der Kommunalparlamente
kommen wird.
Die von den Ratsmitgliedern angeführten Gründe für und gegen eine Pro-
fessionalisierung wurzeln letztendlich in den unterschiedlichen demokratietheo-
retischen Vorstellungen vom Verhältnis von Professionalisierung und lokaler
Demokratie. Die Hauptgründe für eine Professionalisierung sind nach Ansicht
der Stadträte die ‚zeitliche Belastung’, die ‚Entscheidungsqualität’ und die ‚sozi-
ale Öffnung’. Die Gründe ‚Soziale Anbindung’, ‚Vermeidung von Abhängig-
keit’, ‚Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung’ und das Finanzierungsproblem
sprechen ihrer Meinung nach gegen eine Professionalisierung des Amtes (vgl.
6.3.1.1). Diese Argumente der Ratsmitglieder für bzw. gegen eine Professionali-
sierung des Amtes auf kommunaler Ebene entsprechen dabei genau jenen, die im
Rahmen der Professionalisierungsdebatten auf den höheren Ebenen des politi-
schen Systems hervorgebracht und kontrovers diskutiert wurden (vgl. 2.2.2.1).
Letztendlich setzte sich dort die tatsächliche Entwicklung durch: Das Faktum,
dass das Mandat aufgrund des hohen Zeitaufwands nicht mehr ehrenamtlich
auszuüben war. Dies führte schließlich zu der formalen politischen Professiona-
lisierung der Parlamente. In den Großstädten ist dies aufgrund der konträren
Einstellungen der Ratsmitglieder (noch) nicht zu erwarten.
Ein weiterer Grund, der gegen eine formale Professionalisierung in den
Großstädten spricht, ist die Tatsache, dass die Kommunalparlamente keinerlei
Entscheidungsbefugnis über ihren eigenen Status haben. Dies bedeutet, dass sie
7.3 Professionalisierung und kommunale Demokratie 259

nicht eigenständig über eine formale Professionalisierung entscheiden dürfen.


Sie können in vielen Bundesländern nicht einmal über die Höhe der Aufwands-
entschädigungen frei entscheiden (vgl. 4.2). Stattdessen hat das jeweilige Lan-
desparlament die Kompetenz, über eine formale Professionalisierung der Kom-
munalparlamente zu entscheiden. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass die Lan-
desparlamente in absehbarer Zeit für eine formale Professionalisierung votieren
werden. Erstens würde eine formale Professionalisierung zu schwierigen Ab-
grenzungsproblemen führen, da sich der Professionalisierungsprozess wie erläu-
tert nicht nur auf die Großstädte beschränkt. Es wäre für das Landesparlament
schwierig zu entscheiden, ab welcher Stadtgröße eine formale Professionalisie-
rung erfolgen soll. Zweitens werden die Landesparlamente keine Statusänderung
auf kommunaler Ebene prüfen, solange keine konkreten Forderungen aus den
Großstädten an sie herangetragen werden. Da jedoch die Ratsmitglieder in den
einzelnen Untersuchungsstädten keine einheitlichen Entwicklungsvorstellungen
hinsichtlich einer weiteren Professionalisierung der Kommunalparlamente haben
(vgl. 6.5), werden solche Forderungen nicht an sie herangetragen werden.
Drittens haben die Landesparlamente kein Interesse an einer Professionali-
sierungsdebatte. Hauptgrund dafür sind die Bürger, die in der Regel sehr sensibel
auf Professionalisierungsprozesse und Diätendebatten reagieren und zudem an
der Idealvorstellung des Feierabendpolitikers festhalten. Auch für die Ratsmit-
glieder ist dieses ‚Akzeptanzproblem in der Bevölkerung’ ein wichtiger Grund
gegen eine formale Professionalisierung. So sehen sie sich bei Erhöhungen der
Aufwandsentschädigungen bereits mit Vorwürfen der Selbstbedienung von Sei-
ten der Öffentlichkeit konfrontiert.
Neben Ratsmitgliedern, Bürgern und Landtagsabgeordneten, die nach wie
vor an dem Ideal des ehrenamtlichen Feierabendpolitikers festhalten, befasst sich
allerdings auch die Wissenschaft bislang kaum mit den tatsächlichen Professio-
nalisierungsprozessen auf kommunaler Ebene. Dabei scheint es häufig, als sei
auch die wissenschaftliche Debatte von dieser Norm geprägt. So werden zwar
die tatsächlichen Professionalisierungsprozesse sowohl in der Lokalen Politik-
forschung als auch in der Professionalisierungsforschung erkannt. Dennoch wird
an dem Ideal des Feierabendpolitikers nach wie vor festgehalten und kaum über
eine mögliche formale Professionalisierung oder andere Entwicklungsoptionen
auf kommunaler Ebene diskutiert.
Angesichts dessen – so die Prognose der vorliegenden Untersuchung – wird
auf lokaler Ebene in den Großstädten auf längere Sicht keine formale Professio-
nalisierung stattfinden. Stattdessen ist zu erwarten, dass es weiterhin informelle
Professionalisierungsprozesse in den deutschen Großstädten geben wird, die in
den einzelnen Bundesländern unterschiedlich verlaufen und dass sich dadurch
die Professionalisierungsgrade und Professionalisierungsarten voraussichtlich
260 7. Diskussion, Fazit und Ausblick: Professionalisierung auf lokaler Ebene?

noch weiter auseinanderentwickeln werden. Insgesamt wurde im Rahmen der


Analyse des Weiteren das Paradox sichtbar, in dem sich die Ratsmitglieder und
die Kommunalpolitik in deutschen Großstädten befinden: Allgemein zeigt sich,
dass die derzeitige Situation sehr schwierig ist und dass Reformnotwendigkeit
besteht. Gleichzeitig gibt es aber keine überzeugende Alternative für den gesam-
ten Stadtrat mit seinen Mitgliedern. Die gegenwärtige Lösung ist daher eine
individuelle und zeigt sich konkret in den Strategien, welche die Mehrheit der
Ratsmitglieder bereits anwenden, um das Mandat ausüben zu können. Darin
zeigt sich auch das Spannungsverhältnis zwischen dem Ideal des ehrenamtlichen
Feierabendpolitikers und den tatsächlich stattfindenden Professionalisierungs-
prozessen in den deutschen Großstädten. Dieses Spannungsverhältnis ist ersicht-
lich schwer auszuhalten, aber offenbar noch schwerer aufzulösen.
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Zuleeg, Manfred (1981): Die Fraktionen in den kommunalen Vertretungskörperschaften. In: Püttner
(Hrsg.) (1981): 145-164.
Anhang

Anhang A: Fragebogen für die Stadtverordneten in Frankfurt am Main

A. Persönliche Daten

1. Geschlecht
weiblich männlich

2. Welcher Altersgruppe gehören Sie an?


20-25 Jahre 26-30 Jahre 31-35 Jahre
36-40 Jahre 41-45 Jahre 46-50 Jahre
51-55 Jahre 56-60 Jahre 61-65 Jahre
über 65 Jahre

3. Parteizugehörigkeit
CDU SPD BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN FDP
REP PDS Parteilos Sonstiges

B. Politische Daten

4. Seit wann sind Sie Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt?


Seit ______________ (Jahr)

5. Welche Funktionen und Ämter nehmen Sie momentan in der Stadtverordnetenversammlung


und in der Fraktion ein?
Bürgermeister/-in
Beigeordnete/-r
Fraktionsvorsitzende/-r
Mitglied im Fraktionsvorstand
Vorsitzende/-r im Ausschuss
Stellv. Vorsitzende/-r im Ausschuss
Mitglied in Ausschüssen Anzahl: ________
Sonstiges: ______________________________________________________________
Anhang A: Fragebogen 275

6. Nehmen Sie außer Ihrem Mandat in der Stadtverordnetenversammlung weitere öffentliche


Ämter oder Mandate auf lokaler Ebene ein?
Nein
Ja, und zwar
im Ortsrat
im Bezirksrat
in der Regionalversammlung
Beirat
Aufsichtsrat etc. in (privatisierten) kommunalen Unternehmen
7. Nehmen bzw. nahmen Sie öffentliche Ämter und Mandate auf der Landes-, der Bundesebene
bzw. der europäischen Ebene ein?
Nein
Ja, und zwar _________________________ von ________ bis ________
_________________________ von ________ bis ________

C. Daten zur Parteimitgliedschaft

8. Seit wann sind Sie Mitglied Ihrer Partei/Gruppierung?


Seit __________ (Jahr)

9. Welche Position nehmen bzw. nahmen Sie in der Partei auf Landes-, Bezirks- und Kommu-
nalebene ein?
Vorsitz im Landesverband von ________ bis ________
Bezirk von ________ bis ________
Kreisverband von ________ bis ________
Ortsverein/-verband von ________ bis ________

Vorstandsmitglied im Landesverband von ________ bis ________


Bezirk von ________ bis ________
Kreisverband von ________ bis ________
Ortsverein/-verband von ________ bis ________

Sonstiges: _______________________________________________________________

D. Funktionen in Verbänden und Vereinen

10. In welchen Vereinen und Verbänden haben bzw. hatten Sie Funktionen inne?
Keine Funktion
Funktionen im/in Verein/en und Verband/Verbänden
276 Anhang A: Fragebogen

Name/Typ des Verbands/Vereins: __________________________________________


Von ________ bis ________ Funktion: ____________________________________

Name/Typ des Verbands/Vereins: __________________________________________


Von ________ bis ________ Funktion: ____________________________________

Name/Typ des Verbands/Vereins: __________________________________________


Von ________ bis ________ Funktion: ____________________________________

E. Ausbildung und berufliche Laufbahn

11. Was ist Ihr höchster absolvierter Bildungsabschluss?


Volksschule/Hauptschule
Realschule
Abitur/Fachabitur
Universität/Fachhochschule
Sonstiges: _____________________________________________________________

12. In welchem Beruf waren Sie vor Ihrer Wahl zur/zum Stadtverordneten tätig?
Nicht berufstätig
Berufstätig als: _________________________________________________________

13. Haben Sie jemals eine hauptamtliche politische Position (z. B. in einer Partei, Interessen-
gruppe oder als Fraktionsangestellter) innegehabt?
Nein
Ja, von _________ bis _________ in der Position als: __________________________

14. Welchen Beruf üben Sie momentan aus?


Nicht berufstätig
Pensioniert
Student/-in
Hausfrau/-mann
Sonstiges: ________________________________________________________
Berufstätig als: _________________________________________________________
Vollzeit
Teilzeit
Anhang A: Fragebogen 277

F. Vereinbarkeit von Beruf und Mandat

15. Wie hoch schätzen Sie den durchschnittlichen wöchentlichen Zeitaufwand ein
für Ihre Tätigkeit als Stadtverordnete/-r: _______________ Stunden/Woche
für Ihre Parteitätigkeit: _______________ Stunden/Woche
für Ihre zusätzlichen politischen Funktionen: _______________ Stunden/Woche
Bitte nennen Sie die Funktionen: ________________________________________________

16. Werden Sie von Ihrer Arbeit freigestellt, weil Sitzungen u.ä. während der Arbeitszeit stattfin-
den? Wenn ja, wie viele Stunden durchschnittlich pro Woche?
Nein
Ja, _____________________________ Stunden/Woche

17. Ausgehend von den veränderten Strukturbedingungen der Kommunalpolitik (höhere Arbeits-
belastung, höhere Komplexität etc.), halten Sie es weiterhin für möglich und sinnvoll, in ei-
ner Großstadt wie Frankfurt, das Mandat nebenberuflich und ehrenamtlich auszuüben?
Ja, halte ich ohne Probleme für möglich.
Ja, halte ich für schwierig, aber wünschenswert.
Ja, halte ich für schwierig, sehe aber keine andere Lösung.
Nein, das Mandat ist mit einem normalen Beruf nicht mehr vereinbar.
Nein, es gibt nur noch bestimmte Berufsgruppen wie öffentlich Bedienstete bzw.
Rentner, Studenten, Hausfrauen oder Teilzeitbeschäftigte, denen es zeitlich möglich
ist, sich in Großstädten als Stadtverordnete/-r zu engagieren.
Gründe: ______________________________________________________________

18. Sind Sie der Ansicht, dass die Ausübung eines kommunalen Mandats in einer Großstadt
berufliche Nachteile bringt?
Nein
Ja, aufgrund (Mehrfachnennungen möglich)
Schwierigkeiten am Arbeitsplatz (Unzufriedenheit der Kollegen etc.)
Einschränkung der beruflichen Möglichkeiten
Reduzierung der beruflichen Leistungsfähigkeit
Einkommenseinbußen
Entlassungsgefahr
Sonstiges: ________________________________________________________

19. Wie können Sie trotz des hohen Zeitbedarfs Ihren Beruf und das Mandat zeitlich vereinba-
ren?
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
278 Anhang A: Fragebogen

20. Haben Sie vor Beginn der Tätigkeit als Stadtverordnete/-r besondere Absprachen an Ihrer
Arbeitsstelle getroffen?
Nein
Ja,
Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit
Gleitzeit/flexiblere Arbeitszeiten
vom Arbeitgeber teilweise/ganz freigestellt
Wechsel des Arbeitsplatzes
Vorruhestand
Sonstiges: ________________________________________________________

21. Oft ergeben sich Änderungen im Laufe der Zeit. Hat sich für Sie beruflich etwas während der
Zeit Ihres Mandats verändert? Wenn ja, hing das mit der Tätigkeit als Stadtverordnete/-r bzw.
mit Ihren weiteren politischen Funktionen zusammen?
Nein, beruflich hat sich nichts verändert.
Ja, es hing nicht mit der Tätigkeit als Stadtverordnete/-r zusammen.
Ja, es hing mit der Tätigkeit als Stadtverordnete/-r zusammen
Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit
Gleitzeit/flexiblere Arbeitszeiten
vom Arbeitgeber ganz/teilweise freigestellt
Wechsel des Arbeitsplatzes
Vorruhestand
Sonstiges: ________________________________________________________
Gründe: ___________________________________________________________________

22. Welche Entwicklungen halten Sie für wünschenswert, um die Situation für die ehrenamtli-
chen Kommunalpolitiker in Großstädten zu verbessern? (Mehrfachnennungen möglich)
Einführung hauptamtlicher Fraktionsvorsitzender
Einführung von Diäten für Stadtverordnete
Erhöhung der Aufwandsentschädigung
Verstärkung der Fraktionsgeschäftsstellen
Vermehrte Freistellung durch Arbeitgeber
Mehr Akzeptanz und Verständnis durch Kollegen und Vorgesetzte am Arbeitsplatz
Verringerung der Zuständigkeiten der Stadtverordnetenversammlung
Effizientere Organisation der Tätigkeiten der Stadtverordnetenversammlung
Engere Zusammenarbeit mit der Verwaltung
Bessere technische Ausstattung für die Stadtverordneten
Vermehrte Qualifikationsmöglichkeiten für die Stadtverordneten
Sonstiges: _____________________________________________________________
Anhang A: Fragebogen 279

23. Gibt es bzw. gab es in den letzten Jahren in Frankfurt bereits Erleichterungen bzw. Verbesse-
rungen für die Stadtverordneten. Wenn ja, worin liegen diese?
Nein
Ja, ___________________________________________________________________

24. Sind Sie der Ansicht, dass in Großstädten die Mandatsträger bzw. die Funktionsträger wie
der Fraktionsvorsitzende ihre Aufgaben hauptamtlich ausüben sollten?

Stadtverordnete
Nein, Stadtverordnete sollten weiterhin ehrenamtlich und nebenberuflich tätig sein.
Nein, aber Stadtverordnete sollten Ihre Tätigkeit halbtags beruflich ausüben.
Ja, die Stadtverordneten sollten Ihre Tätigkeit hauptberuflich ausüben.
Funktionsträger
Nein, Fraktionsvorsitzende sollten weiterhin ehrenamtlich und nebenberuflich tätig sein.
Nein, aber Fraktionsvorsitzende sollten die Tätigkeit halbtags beruflich ausüben.
Ja, Fraktionsvorsitzende sollten Ihre Tätigkeit hauptberuflich ausüben.
Gründe: ___________________________________________________________________
__________________________________________________________________________

25. Wie hoch ist Ihr monatliches Durchschnittseinkommen (brutto) durch Ihre politische Tätig-
keit auf kommunaler Ebene? (Aufwandsentschädigung + Aufsichtsratsmandate etc.)
weniger als 500 Euro/Monat 2001 bis 2500 Euro/Monat
501 bis 1000 Euro/Monat 2501 bis 3000 Euro/Monat
1001 bis 1500 Euro/Monat über 3001 Euro/Monat
1501 bis 2000 Euro/Monat

26. Aufgrund steigender Komplexität wird häufig bezweifelt, dass die Stadtverordnetenver-
sammlung die Verwaltung noch wirksam kontrollieren kann, da Zeit und Sachkenntnis fehlen
würden.
a) Stimmen Sie dem zu?
Ja
Nein
Gründe: _____________________________________________________________

b) Halten Sie eine vermehrte Qualifizierung der Mandatsträger, z. B. durch Weiterbildun-


gen, grundsätzlich für
notwendig
wünschenswert
überflüssig?
Gründe: _______________________________________________________________
280 Anhang A: Fragebogen

G. Motivation

27. Warum sind Sie politisch aktiv geworden? Welche Gründe und Motivationen sind besonders
wichtig für Sie und charakterisieren Ihren Weg in die Politik? (Mehrfachnennungen möglich)
Wahrnehmung von Mitwirkungs-/Mitgestaltungsmöglichkeiten
Pflichtgefühl gegenüber der Gemeinschaft/Bürgerpflicht
Übereinstimmung mit den Zielen der Partei
Standpunkt festlegen, „wissen, wo man hingehört“
Persönliche Kontakte
Orientierung an Persönlichkeiten
Parteimitgliedschaft der Eltern
Missstände in der Politik
Sonstiges: ___________________________________________________________

28. Warum haben Sie sich für die Stadtverordnetenversammlung aufstellen lassen?
(Mehrfachnennungen möglich)
Weil ich in meiner Stadt etwas bewegen wollte.
Aufgrund aktueller Missstände in der Kommunalpolitik.
Weil ich gebeten wurde, mich aufstellen zu lassen.
Weil es einen Mangel an guten Kandidaten gab.
Weil ich besonderes Interesse an einem Politikfeld hatte.
Weil ich es als einen guten Einstieg für eine politische Karriere ansah.
Sonstiges: ___________________________________________________________

29. Gäbe es andere politische Aufgaben oder Positionen für die Sie sich interessieren könnten?
Nein, ich werde nicht mehr kandidieren.
Ja, ich möchte weiterhin auf kommunaler Ebene aktiv sein
als Stadtverordnete/-r
als Fraktionsvorsitzende/-r
als Stadtverordnetenvorsteher/-in
als ehrenamtliches Magistratsmitglied
als Dezernent/hauptamtliches Magistratsmitglied
als Oberbürgermeister/-in; Bürgermeister/-in
Sonstiges: _________________________________________________________

Ja, ich werde mich für ein Mandat auf einer anderen Ebene bewerben, für den bzw. das
Bundestag
Landtag
Europaparlament
Sonstiges: _________________________________________________________
Anhang A: Fragebogen 281

30. Wie beurteilen Sie diesen Fragebogen? Finden Sie, dass anhand dieser Angaben Sie selbst
und die Situation in der Kommunalpolitik hinreichend beschrieben werden können? Möchten
Sie weitere Angaben und persönliche Einschätzungen zu Ihrer Person, zu Ihrem Weg und zur
Situation in der Kommunalpolitik machen?
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________

31. Wären Sie bereit, eventuell in einem Interview ausführlicher auf Fragen zu diesem Themen-
gebiet einzugehen?
Nein
Ja

Herzlichen Dank für Ihre Mitarbeit!


282 Anhang B: Tabellen

Anhang B: Tabellen

Tabelle B.1: Rücklauf nach Fraktionen


Stuttgart Rücklauf Prozentanteil der Sitze
CDU 45,2% 41,7%
SPD 35,5% 25,0%
Bündnis 90/Die Grünen 9,7% 13,3%
Freie Wähler 6,5% 6,7%
FDP 3,2% 6,7%
Republikaner 0,0% 5,0%
PDS 0,0% 1,7%
Gesamt 100,0% 100,0%
Frankfurt Rücklauf Prozentanteil an Sitzen
CDU 33,3% 38,7%
SPD 24,4% 30,1%
Bündnis 90/Die Grünen 20,0% 14,0%
FDP 8,9% 4,3%
Republikaner 4,4% 3,2%
PDS 4,4% 2,2%
FAG 2,2% 4,3%
Europa-Liste 2,2% 1,1%
BFF 0,0% 1,1%
ÖkoLinX-ARL 0,0% 1,1%
Gesamt 99,8% 100,0%
Hannover Rücklauf Prozentanteil an Sitzen
SPD 60,5% 46,2%
CDU 18,4% 33,8%
Bündnis 90/Die Grünen 13,2% 10,8%
FDP 7,9% 6,2%
PDS 0,0% 1,5%
WfH 0,0% 1,5%
Gesamt 100,0% 100,0%
Nürnberg Rücklauf Prozentanteil an Sitzen
CSU 51,4% 45,7%
SPD 37,2% 41,4%
Bündnis 90/Die Grünen 8,6% 5,7%
Republikaner 2,9% 1,4%
Freie Wähler 0,0% 1,4%
FDP 0,0% 1,4%
Die Guten 0,0% 1,4%
BI Ausl.Stopp 0,0% 1,4%
Gesamt 100,0% 99,8%
Anhang B: Tabellen 283

Tabelle B.2: Rücklauf nach Geschlecht


Geschlecht Rücklauf Grundgesamtheit
Frankfurt Weiblich 44,4% 40,9%
Männlich 55,6% 59,1%
Hannover Weiblich 36,8% 38,5%
Männlich 63,2% 61,5%
Nürnberg Weiblich 48,6% 40,0%
Männlich 51,4% 60,0%
Stuttgart Weiblich 45,2% 46,7%
Männlich 54,8% 53,3%
Gesamt Weiblich 43,6% 41,3%
Männlich 56,4% 58,7%

Tabelle B3: Entschädigungen in Baden-Württemberg


Einwohnerzahl Entschädigung/Monat Sitzungsgeld
Heilbronn 121.000 230 Euro 51 Euro
Heidelberg 143.000 460 Euro -
Freiburg 210.000 511 Euro -
Karlsruhe 284.000 527 Euro -
Mannheim 309.000 720 Euro -
Stuttgart 589.000 870 Euro 31 Euro

Quelle: CDU-Fraktion Heidelberg. Stand 2000.

Tabelle B4: Entschädigungen in Niedersachsen

Einwohnerzahl Entschädigung/Monat Höchstgrenze laut


Innenministerium
Göttingen 121.000 256 Euro 344 Euro
Wolfsburg 122.000 330 Euro 344 Euro
Oldenburg 155.000 243 Euro 430 Euro
Osnabrück 164.000 294 Euro 430 Euro
Braunschweig 245.000 341 Euro 430 Euro
Hannover 515.000 466 Euro 515 Euro
Quelle: Bund der Steuerzahler (2002). Stand 2002
284 Anhang B: Tabellen

Tabelle B5: Aufwendungen für die Kommunalparlamente in Städten Baden-Württembergs

Einwohnerzahl Aufwendungen pro Ratsmitglied/Jahr


Heilbronn 121.000 614 Euro
Heidelberg 143.000 2.761 Euro
Freiburg 210.000 9.906 Euro
Karlsruhe 284.000 9.704 Euro
Mannheim 309.000 10.673 Euro
Stuttgart 589.000 17.637 Euro
Quelle: CDU-Fraktion Heidelberg. Stand 2000.

Tabelle B6: Aufwendungen für die Kommunalparlamente in Städten Niedersachsens

Einwohnerzahl Aufwendungen pro Ratsmitglied/Jahr


Göttingen 121.000 5.506 Euro
Wolfsburg 122.000 7.160 Euro
Oldenburg 155.000 2.107 Euro
Osnabrück 164.000 6.388 Euro
Braunschweig 245.000 9.134 Euro
Quelle: Bund der Steuerzahler (2002). Stand 2002

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