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Zwischen Ehrenamt Und Berufspolitik
Zwischen Ehrenamt Und Berufspolitik
Herausgegeben von
Hellmut Wollmann
Marion Reiser
Zwischen Ehrenamt
und Berufspolitik
Professionalisierung
der Kommunalpolitik in
deutschen Großstädten
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
..
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für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-
cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN-10 3-531-14963-6
ISBN-13 978-3-531-14963-9
Meinen Eltern
Richard und Michaele Reiser
Danksagung
Mein Dank gilt all jenen Personen, die mich auf diesem Weg begleitet und unter-
stützt haben:
Danken möchte ich insbesondere meinem Betreuer PD Dr. Jens Borchert,
der mich nicht nur zu dieser Dissertation ermutigt, sondern auch in allen Phasen
der Arbeit hervorragend betreut hat.
Bei Dr. Klaus Stolz möchte ich mich für die kritischen Hinweise und die
badische Unterstützung bedanken.
Der Nachwuchsgruppe ‚Politik als Beruf’ an der Universität Göttingen dan-
ke ich für die angenehme Arbeitsatmosphäre: Danke an PD Dr. Jens Borchert,
Dr. Klaus Stolz, Susa Könen, Michael Koss, Peter Matuschek, Jürgen Petersen
und Tessa Debus für die vielen intensiven und konstruktiven Diskussionen.
Des Weiteren möchte ich meinem Zweitgutachter Juniorprofessor Scott
Gissendanner sowie dem Drittgutachter Prof. Dr. Stephan Lessenich danken.
Ein Dankeschön gilt auch den Mandatsträgern der Kommunalparlamente in
Frankfurt am Main, Hannover, Nürnberg und Stuttgart für ihre Zeit und Bereit-
schaft, sich so offen und ausführlich zu diesem Thema zu äußern.
Herzlichen Dank an Julia Wandt und Dr. Esther Winther, deren Unterstüt-
zung – vor allem in der Endphase – einfach phänomenal war. Für das Korrektur-
lesen danke ich Julia Wandt und Adrienne Krappidel.
Besonders bedanken möchte ich mich bei meiner Familie, insbesondere bei
meinen Eltern, die mich in jeglicher Hinsicht so großartig bestärken und unter-
stützen.
Inhalt
1. Einleitung .............................................................................................. 15
3. Methoden .............................................................................................. 70
3.1 Methodisches Vorgehen ................................................................. 70
3.1.1 Dokumentenanalyse ............................................................. 71
3.1.2 Schriftliche Befragung ......................................................... 72
3.1.3 Leitfadeninterviews .............................................................. 75
3.2 Fallauswahl .................................................................................... 76
3.3 Kurzportraits der vier Untersuchungsstädte ................................... 79
3.3.1 Hannover .............................................................................. 79
3.3.2 Frankfurt am Main ................................................................ 79
3.3.3 Nürnberg ............................................................................... 81
3.3.4 Stuttgart ................................................................................ 82
„Und wenn ich jetzt diese Woche mal in meinen Terminkalender schaue, da gibt es am Montag
eine Verhandlung mit CSU und Grünen um 10.30 Uhr, danach Besprechung Verkehrsaus-
schuss, nachmittags eine Fraktionssitzung; ich war an meinem Schreibtisch von 8.00 bis 10.00
Uhr. Wenn ich heute schaue, dann war es ausgesprochen gut für meinen Schreibtisch, weil ich
heute erst Termine ab 14.00 Uhr habe. (...) Wenn also jemand nur mal seine Sitzungen wahr-
nimmt und nicht noch was drauf setzt an Engagement nach außen, dann hat er schon ein Zeit-
problem, das er mit seinem Arbeitgeber irgendwie vereinbaren muss. Nun stellt sich aber die
Frage, ob es sinnvoll wäre aus Kommunalpolitikern Berufspolitiker zu machen. Das ist sehr
schwierig, ein Dilemma. Denn in der Kommunalpolitik muss man noch in seinem Beruf veran-
kert sein, weil man von der Kommunalpolitik nicht leben kann. D.h. die Nähe zu seinem Beruf,
zu seinem Fundament spielt beim Kommunalpolitiker eine viel größere Rolle als beim Landes-
und Bundespolitiker“ (N2).
Diese Aussage eines Stadtrats aus Nürnberg verdeutlicht das Dilemma, in dem
sich heutzutage die Ratsmitglieder in deutschen Großstädten befinden: Das for-
mal ehrenamtliche Mandat in einer Großstadt verlangt einen hohen Zeitaufwand,
was zu Problemen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Mandat führt.
Dies ist jedoch kein neues Phänomen. So standen der hohe Zeitaufwand und die
daraus resultierenden Probleme für die lokale Demokratie im Zentrum der de-
mokratietheoretischen Debatte, die insbesondere in den 1970er und 1980er Jah-
ren im Rahmen der kommunalwissenschaftlichen Forschung geführt wurde.
Seit den 1970er Jahren entstanden im Rahmen der kommunalwissenschaft-
lichen Forschung Studien, die den Zeitaufwand der ehrenamtlichen Ratsmitglie-
der, insbesondere in den Großstädten, untersucht haben (vgl. u.a. Naßmacher
1973; Kommunalpolitische Blätter 1/1977; Simon 1988; Ronge 1994). Dabei
zeigt sich, dass für die Ausübung eines Ratsmandats in Großstädten ein wöchent-
licher Zeitaufwand von durchschnittlich 25 bis 60 Stunden pro Woche erforder-
lich ist. Hinsichtlich dieser Situation wird das „Dilemma zwischen (formal) eh-
renamtlicher Tätigkeit in der kommunalen Vertretungskörperschaft und dem
dafür (tatsächlich) erforderlichen Zeitaufwand“ (Naßmacher/Naßmacher 1999:
277) beklagt.
Die Auswirkungen dieses Dilemmas wurden im Rahmen der demokratie-
theoretischen Debatte diskutiert: So wurde zum einen bezweifelt, dass der Rat
noch in der Lage ist, seine Funktionen ausreichend zu erfüllen. Aufgrund der
komplexen kommunalpolitischen Materie, des Informationsvorsprungs der Ver-
waltung sowie der permanenten Arbeitsüberlastung der Mandatsträger könnten
16 1. Einleitung
auch „von“ der Politik zu leben (Weber 1994:42f.). Insofern wurde ein normati-
ves Leitbild – das der Ehrenamtlichkeit – aufrechterhalten, obwohl es nicht mehr
der Realität entsprach. Untersuchungen, die einen politischen Professionalisie-
rungsprozess auf kommunaler Ebene betrachten, sind daher wünschenswert und
von aktueller Brisanz, da gerade hier die Ehrenamtlichkeit des Mandatsträgers
einen hohen Stellenwert einnimmt (vgl. Sachße 2002:24; Krabbe 1989). Ein
Paradigmenwechsel von der Ehrenamtlichkeit zur Professionalität der Politik
würde die kommunale Selbstverwaltung grundlegend verändern: Auch auf loka-
ler Ebene würde sich wohl der Typus des Berufs- und Karrierepolitikers durch-
setzen, der den Feierabendpolitikern den Zugang zu den Kommunalparlamenten
erschwere. Dies stünde dem Prinzip der demokratischen Gleichheit entgegen.
In der vorliegenden Untersuchung ist daher die Frage nach einer Professio-
nalisierung auf lokaler Ebene zentral. Welchen Umfang hat die zu vermutende
Professionalisierung bereits erreicht und welche Entwicklungstendenzen sind
erkennbar? Angesichts der erläuterten Anzeichen einer Professionalisierung wird
vermutet, dass auf lokaler Ebene ein Professionalisierungsprozess zu beobachten
ist. Insbesondere in den Großstädten haben sich durch Prozesse der Parlamenta-
risierung und Parteipolitisierung in den vergangenen Jahrzehnten die Rahmenbe-
dingungen der Ratsarbeit verändert. Des Weiteren wurde in empirischen Studien
festgestellt, dass der Zeitaufwand für die ehrenamtlichen Ratsmitglieder über-
proportional zur Gemeindegröße ansteigt (vgl. Kommunalpolitische Blätter
1/1977, 1/1980). Insofern ist zu erwarten, dass ein Professionalisierungsprozess
auf kommunaler Ebene zuerst bzw. insbesondere in den Großstädten auftritt. Da
es bisher keine Untersuchungen zu einer möglichen Professionalisierung auf
kommunaler Ebene gibt – von einzelnen, eher unsystematischen Vermutungen
und Beobachtungen abgesehen – beschäftigt sich die Analyse im Rahmen dieser
Studie in erster Linie mit Großstädten.
Der Professionalisierungsprozess wird in der vorliegenden Studie sowohl
komparativ als auch longitudinal untersucht. Die Kommunen der verschiedenen
Bundesländer haben aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik unter-
schiedliche institutionelle Rahmenbedingungen. So haben sich unter anderem
verschiedene Kommunalverfassungen mit unterschiedlichen Gemeindeordnun-
gen und Wahlsystemen der kommunalen Vertretungskörperschaften herausge-
bildet (vgl. Frey/Holler 1976:241ff.; Bogumil 2002a:24ff.). Untersuchungen
zeigen zudem, dass die realen Entscheidungsstrukturen neben den institutionel-
len Rahmenbedingungen auch stark von der lokalen politischen Kultur beein-
flusst werden (Naßmacher 1989:193; Voigt 1994). Neben diesen Unterschieden
sind allerdings gemeinsame Entwicklungen zu beobachten, zum einen im Ver-
hältnis zu den höheren Ebenen des politischen Systems – hierbei ist insbesondere
an die zunehmende Politikverflechtung (vgl. Wehling/Kost 2003) und die teil-
18 1. Einleitung
auf kommunaler Ebene herausgearbeitet. In einem zweiten Teil steht der Aspekt
der Professionalisierung im Zentrum, um die Perspektive der bisherigen kom-
munalwissenschaftlichen Forschung zu erweitern. Dazu werden die sich an Max
Weber anschließenden Studien zur Professionalisierung der Politik auf anderen
Ebenen des politischen Systems für die Analyse genutzt. Im dritten Teil werden
dann die beiden Forschungsfelder der Kommunalpolitik- und Professionalisie-
rungsforschung zusammengebracht, um den analytischen und kategorialen Be-
zugsrahmen der eigentlichen empirischen Untersuchung zu entwerfen. In Kapitel
3 wird das methodische Vorgehen ebenso erläutert wie die Fallauswahl.
Die weiteren drei Kapitel präsentieren die empirischen Ergebnisse der Ana-
lyse: In Kapitel 4 werden der Professionalisierungsprozess ebenso wie Grad und
Muster der Professionalisierung in den deutschen Großstädten untersucht. Dazu
werden die in Kapitel 2 hergeleiteten zentralem Indikatoren der Professionalisie-
rung im Zeitvergleich untersucht. Um die Ergebnisse besser einordnen zu kön-
nen, werden die Ergebnisse mit Parlamenten auf den anderen Ebenen des politi-
schen Systems verglichen.
Während sich Kapitel 4 mit der institutionellen Ebene der Professionalisie-
rung befasst, wird in Kapitel 5 die Perspektive auf die Akteursebene gelegt. Im
Zentrum stehen dabei die Überlegungen und Entscheidungen der Ratsmitglieder
beim Versuch, die widerstreitenden Anforderungen von Mandat und Beruf mit-
einander in Einklang zu bringen. In einem ersten Schritt wird daher untersucht,
ob die in der wissenschaftlichen Diskussion vertretene Abkömmlichkeitsthese
zutrifft, ob sich also durch das Dilemma, in dem sich die Ratsmitglieder befin-
den, eine einseitige Sozialstruktur der Stadträte – insbesondere hinsichtlich der
Berufsstruktur – ergeben hat. In einem weiteren Schritt wird untersucht, wie die
Ratsmitglieder konkret Beruf und Mandat vereinbaren und welche Strategien sie
dazu anwenden. Ziel ist es, den Grad der individuellen Professionalisierung dif-
ferenziert innerhalb der institutionellen Rahmenbedingungen zu untersuchen.
In Kapitel 6 wird die Analyseebene wieder auf jene der Institutionen verla-
gert. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Entwicklungstendenzen und
Zukunftsszenarien sich für die Kommunalparlamente von Großstädten aus den
individuellen Entscheidungen ihrer Mitglieder ergeben und welche Optionen die
Mandatsträger favorisieren und erwarten.
Die zentrale Frage, ob ein Professionalisierungsprozess auf kommunaler
Ebene stattfindet, welchen Umfang diese Professionalisierung bereits erreicht hat
und welche weiteren Entwicklungstendenzen erkennbar sind, wird in Kapitel 7
abschließend zusammenfassend beantwortet. Dazu werden die zentralen Ergeb-
nisse der vorliegenden Studie miteinander verbunden und in Kontext zu den
Entwicklungen auf den höheren Ebenen des politischen Systems gesetzt. Die
Studie beschäftigt sich mit dem Extremfall ‚Großstädte’, für den Professionali-
20 1. Einleitung
2.1 Kommunalpolitik
Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung steht die Frage, ob sich nach den
Parlamenten auf der nationalen und der regionalen Ebene nun auch die Vertre-
22 2. Konzeptionelle Grundlagen
1 In der vorliegenden Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit nur die maskuline Form
verwendet.
2.1 Kommunalpolitik 23
chen Diskussion „dass das Grundgesetz mit der Vorstellung der Kommunalpoli-
tik als einer unpolitisch-genossenschaftlichen Angelegenheit gebrochen und die
Gemeinden in den demokratischen Staatsaufbau integriert hat“ (Gabriel
1979a:89; vgl. auch Schmidt-Eichstaedt 1985:31). Insgesamt wird daher in
dieser neueren Verfassungsinterpretation der kommunalen Ebene – ungeachtet
der formalen Zweistufigkeit des Bundesstaates – ein eigener Status (vgl. Woll-
mann 1999:61; 2.1.2.4) zuerkannt.
ben’8 fungiert die Gemeinde schließlich lediglich als untere staatliche Verwal-
tungsbehörde, wobei der Staat uneingeschränktes Weisungsrecht besitzt. Inso-
fern hat der Gemeinderat im Rahmen der ‚Freiwilligen Selbstverwaltungsaufga-
ben’ und – eingeschränkt – bei den ‚Pflichtaufgaben ohne Weisung’ einen
Handlungsspielraum, seine politischen Vorstellungen umzusetzen, während er
bei den anderen Aufgaben lediglich ausführendes Organ ist.
Für die Bundesrepublik ist also charakteristisch, dass die Ebenen des politi-
schen Systems nicht klar getrennt neben- bzw. untereinander existieren, sondern
in vielfältiger Art und Weise miteinander verflochten sind. Neben Bund und
Land hat auch immer mehr die Europäische Union Möglichkeiten, in die Selbst-
verwaltung der Kommunen einzugreifen. So sind die Kommunen immer stärker
von europäischen Regelungen betroffen, insbesondere auch im Bereich der
kommunalen Daseinsvorsorge (vgl. Karrenberg/Münstermann 2000:4; Schmidt-
Eichstaedt 1999:333ff.). Dies bedeutet, dass die Kommunen in ihren Entschei-
dungen eingeschränkt sind durch Regelungen, welche die drei Ebenen an sie
stellen. Insgesamt kann festgestellt werden, dass der Anteil der Aufgaben, bei
denen der Gemeinderat die Entscheidungsbefugnis hat, abgenommen hat (vgl.
Schmidt-Eichstaedt 1999:328; Dieckmann 1999:300). Als typische Beispiele
nennen Schäfer und Stricker unter anderem „die Beseitigung von Ermessens-
spielräumen [oder] die Umwandlung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben in
pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben“ (Schäfer/Stricker 1989:47)9.
Neben der Rechtsqualität der Aufgaben ist jedoch auch der finanzielle
Spielraum der Kommunen von hoher Bedeutung für die politischen Gestal-
tungsmöglichkeiten.
„Der politische Handlungsspielraum der Kommunalpolitik kann in einem ganz wesentlichen
Maße aus dem staatlich verfassten Finanzwesen der Gemeinden abgeleitet werden, [so dass
die kommunale Finanzautonomie] als ein konstitutiver Bestandteil der kommunalen Autono-
mie schlechthin gewertet werden kann“ (Kevenhörster/Uppendahl 1987:33; vgl. Holtkamp
2002).
Durch den zunehmenden Einfluss der übergeordneten Ebenen findet eine Bin-
dung von Ressourcen statt, welche die Kommunen an den Rand ihrer finanziel-
len Leistungsfähigkeit bringen. Zudem wird festgestellt, dass das Konnexi-
tätsprinzip – die Regelung, dass diejenige politische Ebene, die eine Regelung
Insofern sagt die Höhe des Budgets allein nicht viel über die kommunale Hand-
lungsautonomie aus, da sehr hohe Summen der kommunalen Haushalte zweck-
gebundene Zuweisungen sind, so genannte ‚goldene Zügel’. Neben diesen zu-
nehmenden Eingriffen von übergeordneten staatlichen Ebenen haben insbeson-
dere die strukturellen und konjunkturellen Schwächen der deutschen Wirtschaft
sowie ein reformbedürftiger kommunaler Finanzausgleich dazu geführt, dass
sich die finanzielle Situation der Kommunen in Deutschland in den letzten bei-
den Jahrzehnten, insbesondere seit der deutschen Einheit, zugespitzt hat (vgl.
Kleinfeld 1996a:298; Hansmeyer 1997:209). So ist bei der Anzahl der defizitä-
ren Verwaltungshaushalte ein „sprunghafter Anstieg“ (Karrenberg/Münster-
mann 2002:5; vgl. Kuban 2003:28; Scherf/Hofmann 2003:320ff.) zu verzeich-
nen, insbesondere bei strukturschwachen Städten. Die Kommunen sind daher zu
einem strengen Konsolidierungskurs gezwungen. Da Ausgaben, die die Kom-
munen nach Weisung der übergeordneten Ebenen erledigen, weitgehend recht-
lich gebunden sind, sind die Kommunen dazu gezwungen, die Einsparungen vor
allem bei den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben zu erreichen. Dadurch
haben die Stadtparlamente einen immer geringeren finanziellen und damit poli-
tischen Handlungsspielraum.10
So hat die tatsächliche Entwicklung der Kommunalpolitik aufgrund der zu-
nehmenden Politikverflechtung und der Finanzkrise zu einer Einengung des
kommunalpolitischen Handlungsspielraums und zu einem Verlust an Gemein-
deautonomie geführt hat. (vgl. Holtkamp 2001; Zielinski 1999; Mäding 1998;
Kunz 2000; Bogumil/Kißler 1995:11). Die Autonomie der Gemeinde ist jedoch
für das Ermessen ihres Demokratiepotentials von Bedeutung, denn in einer
völlig abhängigen Gemeinde, die keine eigenen Entscheidungs- und Handlungs-
spielräume hat, hätten demokratische Strukturen nur Alibicharakter. So fragte
10 Nur ein Drittel der Einnahmen der Kommunen stammen in den alten Bundesländern aus
eigenen Steuereinnahmen, weitere 20% erhalten sie aus Gebühren und weiteren Einnahmen.
Rund 50% erhalten die Kommunen über die Finanzzuweisungen von übergeordneten staatli-
chen Ebenen (Gewerbesteuerumlage, Gemeindeanteile an Einkommens- und Umsatzsteuer,
Zuweisungen von EU, Bund und Ländern) (vgl. Schmidt-Eichstaedt 1999:336f.). Diese Aus-
gleichsfunktion von Bund und Ländern wurde in den letzten Jahren durch verschiedene gesetz-
liche Regelungen höher (vgl. Naßmacher/Naßmacher 1999:225).
2.1 Kommunalpolitik 27
Ueltzhöffer bereits 1975: „Was kann in der Gemeinde, in welchem Umfang und
mit welchem Effekt überhaupt noch entschieden werden?“ (Ueltzhöffer
1975:96). Offe stellte die These auf, dass die formelle kommunale Autonomie,
die in Art. 28 GG festgeschrieben ist, nur eine Scheinautonomie sei und die
Gemeinde als Filterzone, „die Entlastungsfunktionen für die zentralstaatliche
Ebene übernimmt, indem sie Problemlagen partikularisiert und somit den Zent-
ralstaat vor Legitimationsverlusten schützt“ (Offe zit. n. Haasis 1978:120),
missbraucht wird. Doch trotz dieses eingeschränkten Entscheidungs- und Hand-
lungsspielraums sind die Gemeinden wichtige und eigenständige Teile des Ge-
samtsystems. Geht man von der
„global-quantitativen Aufteilung der kommunalen Politik in autonome und außengesteuerte
Bereiche über zu der Perspektive, die der demokratischen Fragestellung am wichtigsten ist,
nämlich ihre Auswirkungen auf den Bürger, dann verschieben sich die Gewichte (noch) mehr
zur Gemeinde. Zahlreiche, zumindest in erster Instanz kommunale Entscheidungen haben
tiefgehende Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der Bürger“ (Simon 1988:18).
Nachdem die Stellung der kommunalen Ebene erläutert und auf den Handlungs-
und Entscheidungsspielraum der Kommunen eingegangen wurde, steht im Fol-
genden der Gemeinderat im politisch-administrativen System auf kommunaler
Ebene im Zentrum der Betrachtung. Wie in 2.1.1 erläutert, ist das Grundgesetz
die Grundlage für die Arbeit des Rates. Daraus geht das Prinzip der repräsenta-
tiven Demokratie auf kommunaler Ebene hervor. Die kommunale Vertretungs-
körperschaft wird demnach in unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen
Wahlen bestimmt. Den Gemeinden wird das Recht gewährleistet, alle Angele-
genheiten der örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich zu regeln (Art. 28
GG). Eine weitere gesetzliche Grundlage für die Kommunalvertretungen bilden
28 2. Konzeptionelle Grundlagen
2.1.2.1 Kommunalverfassungen
ter 2002:172). Im Folgenden werden die vier traditionellen Typen der Gemein-
deordnungen erläutert, um dann auf die Änderungen in den jeweiligen Kommu-
nalverfassungen einzugehen, die in den 1990er Jahren beschlossen wurden. Die
ehemaligen Typen der Kommunalverfassungen werden auch deshalb hier erläu-
tert, weil zu erwarten ist, dass die Lernprozesse eher lange dauern und dass
daher die „erwarteten Veränderungen der Kommunalpolitik nicht unbedingt
bereits eingetroffen sind – weder ganz noch teilweise“ (Wehling/Kost 2003:10).
Im Zentrum der Betrachtungen stehen im Folgenden insbesondere jene Rege-
lungen, die einen Einfluss auf die Handlungsmöglichkeiten der kommunalen
Vertretungskörperschaften haben. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Analy-
se der Gesetze für die Wahl der Kommunalparlamente, die innerhalb dieser
Kommunalverfassungen Anwendung finden.
Süddeutsche Ratsverfassung
Kennzeichnend für die Süddeutsche Ratsverfassung ist die starke Stellung des
Bürgermeisters: Er ist stimmberechtigter Vorsitzender des Rates, leitet die Ver-
waltung, kümmert sich um die laufenden Geschäfte und ist somit Repräsentant
und Rechtsvertreter der Gemeinde (vgl. Wehling/Kost 2003:11). Seine Macht-
fülle ist dadurch legitimiert, dass er ebenso wie der Gemeinderat direkt von den
Bürgern gewählt wird (vgl. Borchmann 1984:273). Aufgrund dessen wird dieser
Gemeindeverfassungstyp auch „Süddeutsche Bürgermeisterverfassung“ genannt
(vgl. Knemeyer 1989:39; Wehling 2003:29f.). Bei der Wahl der Gemeinderats-
mitglieder können die Wähler die Stimmen kumulieren und panaschieren12 und
den Gemeinderat somit individuell zusammensetzen, was den Einfluss der Par-
teien verringert (vgl. Wehling 1998; Holtmann 1999). In Baden-Württemberg
werden auch in den größeren Städten insbesondere Honoratioren gewählt (vgl.
Wehling 2003:31f.), während in den bayerischen Großstädten eher entlang der
Parteipräferenzen gewählt wird (vgl. März 2003:48).13
Norddeutsche Ratsverfassung
Die Norddeutsche Ratsverfassung als Gegentyp zur Süddeutschen Ratsverfas-
sung zeichnet sich durch einen starken, demokratisch legitimierten Rat und
einen verhältnismäßig schwachen Verwaltungschef aus, der ‚entpolitisiert’ das
Werkzeug des Rates sein sollte (vgl. Giese 1999:62; Wehling/Kost 2003:11).
Die drei Führungsfunktionen Vorsitz im Rat, Leitung der Verwaltung und Ver-
tretung der Gemeinde sind auf zwei Amtsinhaber aufgeteilt: Der Rat wählt aus
12 Dabei haben die Wähler so viele Stimmen wie Sitze im Rat zu vergeben sind.
13 In Baden-Württemberg gibt es bereits von Beginn an Bürgerentscheide, die sowohl vom
Gemeinderat eingeleitet als auch durch ein Bürgerbegehren erzwungen werden können (vgl.
zu den prozeduralen und materiellen Beschränkungen Wehling 2003:35f.).
30 2. Konzeptionelle Grundlagen
seiner Mitte einen Bürgermeister, der Vorsitzender des Rates und oberster poli-
tischer Repräsentant ist14. Diesem ehrenamtlichen Bürgermeister wird mit dem
hauptamtlichen Gemeinde- bzw. Stadtdirektor ein machtvolles Gegenüber ge-
stellt, der vom Rat gewählt wird und von diesem jederzeit mit qualifizierter
Mehrheit abberufen werden kann. Der Stadtdirektor leitet die Verwaltung, berei-
tet die Beschlüsse des Rates vor und sorgt für deren Rechtmäßigkeit und Aus-
führung.
Wegen des Nebeneinanders von Bürgermeister und Stadtdirektor spricht
man hier auch von der zweigleisigen Kommunalverfassung im Gegensatz zur
eingleisigen im süddeutschen Ratsmodell. Jedoch waren auch bei genauer
Kompetenzabgrenzung in der Gemeindeordnung ‚Übergriffe’ nicht zu vermei-
den, die zu entsprechenden Konflikten führten. So gab es speziell in den großen
Städten in Nordrhein-Westfalen oft Reibungsverluste innerhalb des Kompetenz-
streits zwischen Bürgermeister und Stadtdirektor.15 Zusätzlich ermöglichte die
Norddeutsche Ratsverfassung insbesondere durch das kommunale Wahlrecht
dem Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion eine starke Machtposition. Dort er-
möglichte das Verhältniswahlrecht mit starren Listen keine individuellen
Wahlmöglichkeiten für die Bürger: Der Einfluss der Wähler auf die Kandida-
tenaufstellung und die Listenplatzierung war sehr gering, was dazu führte, dass
die politischen Parteien eine relativ große Machtfülle erhielten (vgl. Klein-
feld/Nendza 1996:79; Simon 1988:10).
Magistratsverfassung
In Hessen und in den Städten Schleswig-Holsteins hat sich das preußische Mo-
dell der Magistratsverfassung bis zum heutigen Tage erhalten. Die Magistrats-
verfassung beruht auf dem Modell der Gewaltenteilung, das dem parlamentari-
schen System mit einer Stadtverordnetenversammlung als Volksvertretung und
dem Magistrat sowie dem (Ober-)Bürgermeister an der Spitze als Stadtregierung
sehr nahe kommt. Volksvertretung und Verwaltung sind deutlich getrennt.16 Die
von den Bürgern gewählte Stadtverordnetenversammlung wählt und kontrolliert
den Magistrat, der als „eine Art kollektiver Gemeindevorstand“ (Holtmann
14 Die Vorsitzenden der Ausschüsse wurden ebenfalls aus der Mitte der Ratsmitglieder gewählt.
15 Dies führte zu einem „System mit undurchsichtigen Verantwortlichkeiten: Die Verantwortung
verschwand nur allzu oft im Bermuda-Dreieck von Bürgermeister, Oberstadtdirektor und Vor-
sitzenden der dominierenden Ratsfraktion“ (Wehling/Kost 2003:11; vgl. auch Borchmann
1984:273; Kleinfeld/Nendza 1996:76; Derlien 1994:48). Daher wurde dieses System als äu-
ßerst konfliktträchtig eingestuft, in ihm sei eine Vermengung von Verantwortlichkeiten mit al-
len negativen Konsequenzen auch für die Ergebnisse der Kommunalpolitik gegeben (vgl.
Naßmacher 1989:225; Banner 1989:57).
16 Die Stadtverordnetenversammlung wählt ihren eigenen Vorsitzenden, den Stadtverordneten-
vorsteher.
2.1 Kommunalpolitik 31
1990:7) fungiert und die Verwaltung leitet17. Der Oberbürgermeister ist Leiter
der Verwaltung, gegenüber den anderen Magistratsmitgliedern aber lediglich ein
„primus inter pares“ (Borchmann 1984:272) und damit auch den Mehrheitsbe-
schlüssen des Magistrats unterworfen, die er nach außen zu vertreten und auszu-
führen hat.18 Die Amtszeit von Magistrat und Bürgermeister übersteigt jene der
Stadtverordnetenversammlung. So wird in Hessen die Stadtverordnetenver-
sammlung bislang für vier Jahre, der Bürgermeister und die Magistratsmitglie-
der für sechs Jahre gewählt. Dies kann jedoch zu Konflikten führen, wenn der
Magistrat keine Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung mehr hat. Um
dies zu verhindern, erlaubt die hessische Gemeindeordnung nun den neu konsti-
tuierten Stadtverordnetenversammlungen bei wechselnden Mehrheiten in den
zwölf Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern, innerhalb der ersten sechs Mo-
nate nach Zusammentritt der neuen Stadtverordnetenversammlung die
Magistratsmitglieder mit einfacher Mehrheit abzuwählen und durch neue zu
ersetzen. Dadurch wird gleichzeitig die Stellung der
Stadtverordnetenversammlung gestärkt. Dies lässt sich „als Schritt in Richtung
Parlamentarisierung von Kommunalpolitik interpretieren“ (Wehling/Kost
2003:12; vgl. auch Giese 1999).
Bürgermeisterverfassung
In Rheinland-Pfalz, dem Saarland sowie den Landgemeinden in Schleswig-
Holstein findet die Bürgermeisterverfassung Anwendung. Die Stellung des
Bürgermeisters entspricht jener im Süddeutschen Ratsmodell: Er ist stimmbe-
rechtigter Vorsitzender des Rates, Chef der Verwaltung und Repräsentant der
Gemeinde. Im Gegensatz zum Süddeutschen Ratsmodell wird hier der Bürger-
meister jedoch nicht direkt vom Volk gewählt, sondern vom Gemeinderat19.
20 So konnte Voigt zeigen, dass das kommunale Entscheidungssystem nur bedingt von der in der
Kommunalverfassung niedergelegten Struktur abhängig ist (vgl. Voigt 1992).
21 Allerdings zeigt die Studie von Gabriel, dass die Nutzung dieser partizipativen Elemente eher
ernüchternd ist, dass aber bereits das Vorhandensein dieser Einflussmöglichkeit zu einer höhe-
ren politischen Responsivität der politischen Führung geführt habe (vgl. Gabriel 1999:331).
2.1 Kommunalpolitik 33
22 Das Modell der „exekutiven Führerschaft“ (Grauhan 1969, 1970:269ff.) geht dabei davon aus,
dass die Verwaltung die inhaltliche Ausgestaltung der Politik zumindest stark präjudiziert,
wenn nicht sogar wesentlich bestimmt. Durch das Informationsverarbeitungsdefizit der Kom-
munalvertretungen würde ein Entscheidungs- und Machtvakuum entstehen, das von der haupt-
amtlichen Verwaltung ausgefüllt wird (vgl. auch Vetterlein 1976:536; Bogumil 2002a:12f.;
Holler/Naßmacher 1976).
23 Die These über die „exekutive Führerschaft“ wurde durch das von Banner entwickelte „Vo-
rentscheider-Konzept“ (Banner 1972; vgl. Naßmacher/Naßmacher 1979:126ff.; Bogumil
2002a:13) relativiert. Demnach würden zumindest wichtige Vorlagen in der Regel von der
Verwaltung erst nach Abstimmung in informellen Kreisen bestehend aus Verwaltungs- und
Ratsvertretern vorgelegt. Daher ist eine politische Einflussnahme auf die Vorlagen durchaus
34 2. Konzeptionelle Grundlagen
In den 1980er Jahren wurde das Verhältnis von Rat und Verwaltung aus der
genau umgekehrten Perspektive problematisiert: Mit dem Effizienzargument
wurde dabei die Norddeutsche Ratsverfassung kritisiert, insbesondere bezüglich
des überzogenen Ausgabenverhaltens gewählter Kommunalpolitiker und deren
zunehmende Eingriffe in den Ablauf der Kommunalverwaltung. Dadurch ent-
flammte eine Debatte um den Zusammenhang zwischen kommunalem Ent-
scheidungssystem und der Kommunalverfassung, die mit zu den Reformen der
Kommunalverfassungen beigetragen hat24.
Seit den 1990er Jahren bezieht sich die aktuelle Debatte auf die Neuen
Steuerungsmodelle, die hinsichtlich der demokratischen Steuerung und unter
Effizienzgesichtspunkten somit seit langem Gegenstand der wissenschaftlichen
Diskussion sind (vgl. Brandel et al. 1999:7; Bogumil 2002a:9). Das Konzept des
Neuen Steuerungsmodells basiert in der Gesamtphilosophie und in wichtigen
Elementen auf Reformmodellen, die international unter der Gesamtsperspektive
des ‚New Public Management’ entwickelt und erprobt wurden. Beim New Pub-
lic Management handelt es sich um die Gesamtheit möglicher Strategien zur
Schließung der Modernisierungslücke im öffentlichen Sektor (Budäus 1994:46)
mit Betonung auf die steuernden und effizienzfördernden Kräfte von Markt und
Wettbewerb (vgl. Struwe 1995:20-32; Reichard 1996:241ff.). Während sich die
wissenschaftliche Diskussion zu Beginn des Prozesses vor allem auf die verwal-
tungsinternen Vorgänge konzentrierte und die Politik nicht mit einbezogen wur-
de, hat sich in den vergangenen Jahren das Interesse in der wissenschaftlichen
Debatte verstärkt auf die Probleme und Auswirkungen des Reformmodells auf
die Kommunalpolitik gerichtet (vgl. Weiß 2002; KGSt 1999; vgl. Bogumil/
Kißler 1997a:135; 1997b).
gegeben. „Politische Vorlagen von einiger Tragweite werden im Allgemeinen nicht unvermit-
telt von der Verwaltung in das formalorganisatorische Entscheidungssystem (Fachausschüsse,
Rat) eingeleitet. In der Praxis ist unübersehbar, dass kleinere Personengruppen über den Inhalt
solcher Vorlagen zumindest in den Grundzügen vorentscheiden. (...) Die Gruppe der Vorent-
scheider bildet (...) den Transmissionsriemen zwischen der bürokratischen Vorbereitungsma-
schinerie und dem politischen Entscheidungsorgan. [...Dieses System weist] zweifellos Züge
einer Oligarchie auf, (...) die den subalternen Verwaltungsmitarbeiter ebenso wie den Hinter-
bänkler im Rat von größerem politischen Einfluss ausschließt“ (Banner 1972:166f.).
24 Inwiefern es in den Entscheidungsstrukturen Unterschiede aufgrund der verschiedenen Ge-
meindeordnungen gibt, wurde häufig diskutiert. Tendenziell wird dabei das Modell der exeku-
tiven Führerschaft angesichts des starken Bürgermeisters eher als Kennzeichen der Süddeut-
schen Ratsverfassung gesehen (Grauhan 1970), während in der Norddeutschen Ratsverfassung
die Macht eher beim Gemeinderat, der Mehrheitsfraktion und den Vorentscheiderkreisen ge-
sehen wird (Banner 1982, 1984). Allerdings konnte in empirischen Studien gezeigt werden,
dass die realen Entscheidungsstrukturen stark von der lokalen politischen Kultur beeinflusst
sind und unter den Bedingungen der gleichen Gemeindeordnung sehr unterschiedlich sein
können (vgl. Naßmacher 1989:193; Voigt 1994).
2.1 Kommunalpolitik 35
„Das neue Leitbild, das die Vertreter des Neuen Steuerungsmodells für die politische Vertre-
tung und den politischen Prozess zeichnen, ist geprägt vom Führungsanspruch der Volksver-
tretung“ (KGSt 1999:64).
In diesem Kontext löste seit Beginn der Reformen die Definition der Schnittstel-
le zwischen den Aufgaben der politischen Gremien und der Verwaltung große
Diskussionen aus. Das Neue Steuerungsmodell empfiehlt eine ‚Steuerung auf
Abstand’, was bedeutet, dass der Rat sich in erster Linie mit langfristigen, stra-
tegischen Problemen befassen und die Verwaltung durch Grundsatzvorgaben
steuern soll (vgl. Schumacher 1996:224; Mersmann 1994:217). „Einzelent-
scheidungen im Alltagsgeschäft sollen auf Ausnahmen beschränkt sein“ (Weiß
2002:58f.). So stellte die Kommunale Geschäftsstelle bei der Einführung des
Neuen Steuerungsmodells das Credo auf: „Die Politik ist für das ‚Was’, die
Verwaltung für das ‚Wie’ der kommunalen Leistungserstellung verantwortlich“
(KGSt 1993:Bericht 5:17). Dies führte zu Protesten der Kommunalpolitiker, die
eine Einschränkung der Vertretung der Bürgerinteressen und einen Einflussver-
lust auf die Verwaltung befürchteten (vgl. Henneke 1996:449). Die strenge
Aufteilung der Verantwortungssphären wurde daher in der Zwischenzeit relati-
viert (vgl. KGSt 1996: Bericht 10:17). Der neueste Ansatz geht von einer Auf-
teilung in drei Managementdimensionen aus – dem normativen, strategischen
und operativen Management25 (Heinz 2000:13ff.). Politik und Verwaltungsfüh-
rung betreiben kommunales Management in allen drei Bereichen, jedoch mit
unterschiedlicher Schwerpunktsetzung (vgl. Heinz 2000:187ff.). Der Schwer-
punktverantwortungsbereich der Politik soll im normativen und strategischen
Management liegen, während er im operativen gering ist (Heinz 2000:25). Nach
diesem Modell kann nun aber der Rat jederzeit Verbesserungsvorschläge ein-
bringen, die sich durch die Rückkopplung mit den Bürgern ergeben (Banner
1997:130), ohne zum alten „Verantwortungsmix“ (KGSt 1996: Bericht 10:16)
zurückzukehren. Ziel ist also eine Aufgaben- und Zuständigkeitsabgrenzung
zwischen Rat und Verwaltung in den Bereich der „Politikformulierung“ im
Sinne der politischen Zielvorgaben (Rat), und in den Bereich der „Politik-
implementation“, der wirksamen Umsetzung der politischen Grundsatzentschei-
dungen (Verwaltung) (Rieckenbacher 1995:405).
26 Einschränkungen gibt es hierbei bei Geschäften der laufenden Verwaltung, die im Einzelnen
beschrieben werden müssen und bei Aufgaben, die dem Bürgermeister kraft Gesetzes vorbe-
halten sind. So heißt es z.B. in der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums Baden-
Württemberg: „Dem Gemeinderat kommt als Vertretung der Bürger und Hauptorgan der Ge-
meinde die Entscheidung in allen Angelegenheiten der Gemeinde zu, soweit nicht ausdrück-
lich die Zuständigkeit des Bürgermeisters begründet ist. In Zweifelsfällen besteht somit die
Vermutung für die Zuständigkeit des Gemeinderates“ (vgl. Naßmacher/Naßmacher 1999:274).
27 Diese Funktion teilt der Rat mit anderen Akteuren, insbesondere mit der Verwaltung, die die
Aufgabe hat, Beschlüsse für den Rat vorzubereiten (vgl. Bovenschulte/Buß 1996:18ff.).
28 Wollmann sieht die Stärkung dieser Kontrollrechte als ein Indiz für die rechtliche Veranke-
rung der faktischen Parlamentarisierung auf kommunaler Ebene (vgl. Wollmann 1999:57).
2.1 Kommunalpolitik 37
Auf der anderen Seite steht die neuere – insbesondere aus Politikwissenschaft-
lern, aber auch Juristen bestehende – Diskursgemeinde, die sich in erster Linie
auf die tatsächlichen Entwicklungen auf kommunaler Ebene, auf rechtlich neue-
re verfassungs- und kommunalgesetzliche Regelungselemente, aber auch auf
den oben erwähnten Art. 28 I 2GG stützen (vgl. Wollmann 1999:59f.). Dieser
bestimmt, dass die Kommunen demokratisch gewählte Vertretungen haben
29 BVerfGE 6, 105: Während zu den Funktionen des Bundestages und der Landtage die „Gesetz-
gebung und Regierungsbildung“ gehöre, sei die Funktion der Kommunalvertretung „die Ver-
waltung der Gemeinde“.
38 2. Konzeptionelle Grundlagen
müssen und stellt diese damit ihrer Interpretation nach implizit in eine Linie mit
den Volksvertretungen auf den höheren Ebenen (vgl. Schmidt-Eichstaedt
1985:21). Zwar werden in den kommunalen Vertretungskörperschaften auch
Verwaltungsentscheidungen und nicht nur Normen wie auf Bundes- und Lan-
desebene getroffen. Dennoch kann man ihnen „uneingeschränkt den Status von
Volksvertretungen zugestehen“ (Schmidt-Eichstaedt 1989:31), da sie nach dem
gleichen Wahlverfahren wie die Parlamente der höheren Ebenen gewählt wer-
den und grundsätzlich auch die gleichen Aufgaben wahrnehmen: Sie repräsen-
tieren die Volkssouveränität, sind nur ihrem Gewissen unterworfen und treffen
die Entscheidungen im Namen des Volkes. Ungeachtet der formalen Zweistu-
figkeit des Bundesstaates sollte daher der kommunalen Ebene und auch dem
Gemeinderat ein in „wesentlichen Dimensionen funktional ähnliche[r] und e-
benbürtige[r] Status“ (Wollmann 1999:61) zuerkannt werden. Des Weiteren
werden insbesondere die tatsächlichen Entwicklungen auf kommunaler Ebene
hervorgehoben. Die Debatte hierüber konkretisiert sich zum einen an der Rolle
von politischen Parteien in der Kommunalpolitik und der Frage nach der Parla-
mentarisierung der kommunalen Selbstverwaltung, der Arbeitsweise der Kom-
munalparlamente. Da dieser Auffassung in der vorliegenden Studie zugestimmt
wird, werden die kommunalen Vertretungskörperschaften somit als Kommunal-
parlamente verstanden.
Die Organisation der Ratsarbeit wird somit von den Veränderungen der politi-
schen Rahmenbedingungen beeinflusst. Während in der traditionellen Vorstel-
lung die Kommunalvertretung somit eine Versammlung unabhängiger Bürger
war, die mit ihrem gesunden Menschenverstand das Expertenwissen der Ver-
waltung ergänzen sollte (vgl. Gabriel 1984:237; vgl. auch Simon 1988), wird
die Ratsarbeit der Großstädte heute durch die erläuterte Politisierung und Par-
lamentarisierung der Kommunalpolitik geprägt.
Zwar ist in formal-institutioneller Perspektive nach wie vor das Ratsplenum
das Entscheidungsorgan der Kommune, tatsächlich ratifiziert das Plenum jedoch
insbesondere in größeren Städten vorrangig beschlussreife Vorlagen. Konflikte
werden in den Ratssitzungen nicht ausgetragen, da strittige Punkte im Vorfeld
diskutiert und vorentschieden werden. So stellten auch Simon (1988:43f.) und
Derlien et al. (1976:112ff.) eine Tendenz von der Entscheidungsfunktion des
Plenums hin zu einer Präsentationsfunktion für die Öffentlichkeit fest. So wur-
den die Entscheidungen vom Ratsplenum vorverlegt in die formellen Bera-
tungsphasen in den Ausschüssen und Fraktionssitzungen (vgl. dazu Simon
1988:43)31. Dabei vertritt Naßmacher die These, dass die Organisation der Rats-
arbeit nicht so stark von den unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedin-
gungen in den einzelnen Bundesländern geprägt wird, als vielmehr von der
„Stadtgröße und (...) [dem] Professionalisierungsgrad der Ratsarbeit“ (Naßma-
cher 1989:183).
So ist die Arbeit der Gemeinderäte insbesondere in den Großstädten ähn-
lich wie in den Landtagen und den Bundestagen durch die Bildung von Aus-
schüssen und durch Fraktionen strukturiert. Diese stellen „die Scharniere im
kommunalen Entscheidungsprozess“ (Gabriel 1984:237) dar. Strittige und wich-
tige Vorlagen werden in den Fraktionen vorberaten, bevor sie in die Ausschüsse
und das Plenum gehen (vgl. Naßmacher 1989:185). Die Ausschüsse sind dabei
für die fachliche, die Fraktionen für die parteipolitische Komponente der Rats-
arbeit zuständig.
Da das Ratsplenum mit der Beratung aller kommunalpolitischen Angele-
genheiten arbeitsmäßig überfordert wäre, hat sich in den kommunalen Vertre-
tungskörperschaften ein Ausschusssystem entwickelt. Je größer die Stadt, desto
mehr Ausschüsse gibt es und desto höher ist ihre Bedeutung (vgl. Grauhan
1970:278). In den Ausschüssen, die für bestimmte Aufgabenbereiche eingerich-
tet werden32, werden formal die Entscheidungen für das Ratsplenum vorbereitet
(beratende Funktion) und teilweise auch beschlossen (beschließende Funkti-
31 In der Untersuchung von Simon (1988:43f.) nennen 68% die Fraktionen und ihre Arbeitskreise
als das Stadium, in dem die Entscheidungen festgelegt werden, 55% die Ausschussberatungen.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Gabriel (1979b:186) und Banner (1983:164), die dem Rat
in dieser formellen Beratungsphase das größte Gewicht geben.
32 Einige Gemeindeordnungen sehen auch die Einrichtung bestimmter Ausschüsse verpflichtend
vor. Vgl. GONRW §57II: Hauptausschuss, Finanzausschuss und Rechnungsprüfungsaus-
schuss; HGO §62I: Finanzausschuss. Zur Koordination der einzelnen Fachausschüsse wird re-
gelmäßig ein Haupt- bzw. Verwaltungsausschuss gebildet (vgl. GONRW §59I). Dieser leistet
ebenso wie der Finanzausschuss, der Stadtentwicklungsausschuss und der Personalausschuss
Querschnittsaufgaben, wodurch ihre Bedeutung höher ist als die der Fachausschüsse (vgl.
Naßmacher 1989:183).
2.1 Kommunalpolitik 41
36 Allerdings urteilte das Verwaltungsgericht Mainz im Jahr 2002, dass Gelder für Fraktionsmit-
arbeiter „weitgehend rechtswidrig“ seien, da sie die „Gefahr der grundgesetzwidrigen ver-
schleierten Parteienfinanzierung“ in sich birge, da durch die Bezahlung von Mitarbeitern das
„Verbot der verdeckten Parteienfinanzierung“ umgangen werden könnte. So können Gelder
für die Ratsfraktionen nach der Mainzer Rechtsprechung nur in unmittelbaren Zusammenhang
mit der Arbeit des Rates fließen. So seien „allenfalls die Beschäftigung von Kräften für die bü-
romäßige Abwicklung des Informationsaustausches unter den Fraktionsmitgliedern“ zulässig,
während Fraktionsassistenten unzulässig seien. Obwohl es nach dem Mainzer Urteil noch un-
klar ist, wie sich die Ausstattung der Fraktionen weiterentwickelt, wurde im Anschluss an die-
ses Urteil von den Fraktionen und Ratsmitgliedern bekräftigt, dass sie auf die Zuarbeit ange-
wiesen seien, da sie für die „Qualität der politischen Arbeit“ notwendig sei (Merkator 2002
zit.n. Grabenstroer 2002).
2.1 Kommunalpolitik 43
Ratsmitglieder
Wie bereits erläutert wurde, steht der ehrenamtliche Rat der hauptamtlichen
Verwaltung gegenüber. Die Ratsmitglieder üben das Mandat also ehrenamtlich
aus und erhalten dafür lediglich eine Aufwands- und Verdienstausfallentschädi-
gung.
„Das Amt des kommunalen Volksvertreters ist ein Ehrenamt, das (seinem Begriff nach) ne-
benberuflich und unentgeltlich ausgeübt wird, wobei die Unentgeltlichkeit die finanzielle Ent-
schädigung für besonderen mit dem Mandat verbundenen Aufwand nicht ausschließt“ (Heu-
vels 1986:11).
und die finanzielle Entschädigung für den Aufwand. Dieses Prinzip liegt auch
allen gesetzlichen Entschädigungsregelungen zugrunde. Dies bedeutet, dass der
kommunale Mandatsträger kein Einkommen erhält, ihm jedoch der besondere
Aufwand, der durch das Amt entsteht, ersetzt wird. Dadurch soll gewährleistet
sein, dass die Wahrnehmung des Ehrenamtes zumutbar ist. Eine Entschädigung
darüber hinaus, die einen alimentativen Charakter hätte, ist unzulässig (Wehling
1998:31).
Neben dieser formalen Ehrenamtlichkeit zeichnet sich das kommunale
Mandat in deutschen Großstädten jedoch durch einen hohen Zeitaufwand aus.
Seit den 1970er Jahren entstanden im Rahmen der kommunalwissenschaftlichen
Forschung eine Vielzahl an Studien, die den Zeitaufwand der ehrenamtlichen
Ratsmitglieder, insbesondere in den Großstädten, untersucht haben.37 Obwohl
diese Studien aufgrund unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen und
Definitionen zu anderen Ergebnissen kommen, zeigt sich, dass in Großstädten
ein wöchentlicher Zeitaufwand von 25 bis 60 Stunden pro Woche für ein Man-
dat aufgewendet wird. Insofern liegt die zeitliche Belastung der Ratsmitglieder
für die Ratstätigkeit in den Großstädten bei mindestens einer Halbtags-, bei den
Führungspositionen im Rat sogar bei einer hauptamtlichen Tätigkeit. Hinsicht-
lich dieser Situation beklagt Naßmacher das „Dilemma zwischen (formal) eh-
renamtlicher Tätigkeit in der kommunalen Vertretungskörperschaft und dem
dafür (tatsächlich) erforderlichen Zeitaufwand“ (Naßmacher/Naßmacher
1999:277). Ronge schlussfolgert hinsichtlich dieses hohen Zeitaufwands:
„Den eigentlichen Kern des Ehrenamtes bildet heutzutage der Umstand, dass die in solcher
Funktion geleistete Arbeit nicht – oder nur symbolisch – entgolten wird“ (Ronge 1994:268).
37 Vgl. die Studien von Naßmacher 1973; Kommunalpolitische Blätter 1/1977, 1/1980; Naßma-
cher/Naßmacher 1979; Zender 1984a; Grothe-Hüttmann 1980; Müller 1980; Gau 1983; Simon
1988; Nassmacher 1989:31; Köser/Caspers-Merk 1989:108; Ronge 1994; Schneider 1997;
Berkemeier 1999).
2.1 Kommunalpolitik 45
aber konkret Beruf und Mandat vereinbaren, welche Auswirkungen dies auf den
eigentlichen Beruf hat und ob die Mandatsausübung wirklich ‚nur’ bzw. haupt-
sächlich bestimmten Berufsgruppen möglich ist, wurde bisher in der kommu-
nalwissenschaftlichen Forschung noch nicht systematisch untersucht. Eine Aus-
nahme bildet eine Untersuchung von Fruth (1989), der unter dem Titel „Sind
unsere ehrenamtlichen Stadträte überfordert?“ eine Untersuchung der Ratsmit-
glieder in Ansbach, Bamberg, Erlangen und Fürth veröffentlicht hat. Hierbei
gaben bereits 64% der Ratsmitglieder an, berufliche Nachteile durch das Mandat
zu haben. Es wurde des Weiteren in der kommunalwissenschaftlichen For-
schung nicht systematisch untersucht, ob ein Professionalisierungsprozess auf
lokaler Ebene stattfindet, und wie sich dieser darstellt. So wird lediglich pau-
schal behauptet, dass insbesondere die Mandatsträger mit Führungs-
positionen ihre Funktionen de facto professionell ausüben (vgl. Naßma-
cher/Naßmacher 1999). Zudem werden in der kommunalwissenschaftlichen
Literatur zwar immer wieder die institutionellen Unterschiede zwischen den
Kommunalverfassungen in den einzelnen Bundesländern hervorgehoben und
ihre unterschiedlichen Auswirkungen auf die politische Kultur, die Funktionsfä-
higkeit und Einflussmöglichkeiten des Rates untersucht. Aber es wurde, mit
Ausnahme der Studie von Kempf (1989), der die unterschiedlichen Arbeitsbe-
dingungen der Ratsmitglieder analysierte, noch nicht untersucht, ob sich auf-
grund der unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen in den einzel-
nen Bundesländern verschiedene Entwicklungsrichtungen einer möglichen Pro-
fessionalisierung herausbilden. Diese Forschungslücke innerhalb der kommu-
nalwissenschaftlichen Debatte versucht das vorliegende Projekt zu schließen.
Das Differenzkriterium zwischen diesen beiden Gruppen ist somit die materielle
Abhängigkeit von der Politik.
kommenserwerb geschaffen wird, dass aber in gewissem Maße auch auf die
Möglichkeit einer Berufsaufgabe (z.B. infolge von Unvereinbarkeiten) Rück-
sicht genommen wird. Die Arbeitsorganisation berücksichtigt die zusätzliche
Berufsausübung, richtet sich jedoch nicht daran aus.
Ebenso wie beim Teilzeitparlamentarier, werden dem Leitbild des Feier-
abendpolitikers (vgl. auch 2.1.2.6) zufolge Beruf und Mandat nebeneinander
ausgeübt. Der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt beim Feierabendpolitiker jedoch
im Beruf; der Abgeordnete übt sein Mandat neben der Berufstätigkeit aus. Ein
Ratsmandat auf kommunaler Ebene ist nach dem Verständnis der Gemeinde-
ordnungen ein Ehrenamt. Die Arbeitsorganisation des Parlaments muss auf die
Berufstätigkeit Rücksicht nehmen. Die Höhe der Diät, sofern sie als steuer-
pflichtiges Einkommen ausgestaltet ist, bzw. der Aufwandsentschädigung muss
so niedrig sein, dass aus materiellen Gründen eine hauptberufliche Mandatsaus-
übung nicht in Betracht kommt (vgl. dazu Boldt 1979; Arnim 2001; Schneider
1989).
Der Unterschied zwischen den beiden Typen ‚Feierabendpolitiker’ und
‚Teilzeitparlamentarier’ liegt somit in der Gewichtung der politischen gegen-
über der beruflichen Tätigkeit: Während Feierabendparlamentarier neben ihrem
Beruf noch ein Mandat wahrnehmen, liegt der Schwerpunkt beim Teilzeitmo-
dell deutlich auf der politischen Tätigkeit, deren Ausgestaltung den Abgeordne-
ten nebenbei noch berufliche Aktivitäten ermöglichen soll (vgl. Schneider
1989:9; Golsch 1998:110). Im Gegensatz zum Feierabendpolitiker wird beim
Teilzeitparlamentarier anerkannt, dass das Abgeordnetenamt zumindest teilwei-
se eine Erwerbsquelle ist. Insofern kann im juristischen Sinne von zwei ‚Gat-
tungen’ gesprochen werden, die sich von der statusrechtlichen Klassifizierung
ihres Amtes idealtypisch unterscheiden:
„Dem ehrenamtlichen ‚nach Feierabend’ und unentgeltlich tätigen Gemeindevertreter steht der
Berufsparlamentarier in Bund und Ländern gegenüber, für den die Ausübung des Mandats
seine materielle Existenzgrundlage bildet oder zumindest zu bilden geeignet wäre“ (Heuvels
1986:29).
39 Diese traten jeweils in den Diskussionen um die Statusänderungen der Parlamente hervor, auf
die im Folgenden (vgl. 2.2.2.2) noch genauer eingegangen wird.
52 2. Konzeptionelle Grundlagen
Im Winter 1918 wies Max Weber in seiner berühmten Rede „Politik als Beruf“
erstmalig darauf hin, dass sich im Gefolge des modernen Parlamentarismus und
der sich ausbreitenden massendemokratischen Parteienherrschaft ein Wandel
vom älteren Freizeit- und Gelegenheitspolitiker hin zum Vollzeit- und Berufspo-
litiker vollziehen würde (Weber 1994). Seit jener Rede zählt die Webersche
Unterscheidung zwischen denjenigen Parlamentariern, die „für“ die Politik und
denjenigen, die „von“ der Politik leben, zu den geflügelten Worten der Politik-
wissenschaft. Allerdings musste erst noch ein weiteres halbes Jahrhundert ver-
gehen, „bis sich tatsächlich in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts so etwas
wie ein Arbeitsmarkt für Berufspolitiker (...) in Deutschland herausbildete“
(Wiesendahl 2001:145). So gibt es in Deutschland heutzutage wie in allen west-
lichen Demokratien eine Gruppe von Politikern, die nicht nur „für“, sondern
auch „von der Politik leben“. Historisch betrachtet, war dies jedoch nicht immer
der Fall, sondern ist das Ergebnis national spezifischer Prozesse der Professio-
nalisierung. Weber stellte bereits eine historische Tendenz vom Leben „für die
Politik“ zum Leben „von der Politik“ fest. Er sieht die Gründe für die Professio-
nalisierung der Politik zum einen in der Demokratisierung, die für ihn untrenn-
bar mit der Verberuflichung von Politik verbunden ist, da nur dadurch die mate-
riellen Voraussetzungen für eine soziale Öffnung der politischen Ämter erreicht
werden könnten (vgl. Weber 1994:44). Zum anderen liegt die Ursache der Pro-
fessionalisierung der Politik in den wachsenden Staatsaufgaben, die dazu führ-
ten, dass gewählte Ämter nun mehr Zeit und Aufwand erforderten. Dadurch war
es den Mandatsträgern häufig nicht mehr möglich, ein geregeltes Einkommen
durch ihren ursprünglichen Beruf zu sichern. So konnten sie die mit dem Man-
dat verbundenen Aufgaben nur noch erfüllen, wenn sie durch ihre politische
Tätigkeit ein Einkommen erhielten (vgl. Weber 1994:44).
Im Folgenden wird nun diese Entwicklung vom Leben „für die Politik“
zum Leben „von der Politik“ in den deutschen Parlamenten nachgezeichnet.
Dabei wird der Prozess der politischen Professionalisierung auf den höheren
Ebenen des politischen Systems in Deutschland analysiert. Wie hat er sich voll-
zogen? Durch welche Charakteristika hat er sich ausgezeichnet? Wie bereits
erläutert, besteht auf kommunaler Ebene nach wie vor das normative Leitbild
des ehrenamtlichen Volksvertreters. Es wird jedoch aufgrund des hohen Zeit-
aufwands für die kommunale Mandatsausübung, insbesondere in den Großstäd-
ten, vermutet, dass in den Großstädten ein informeller Professionalisierungspro-
zess stattfindet (vgl. 2.1.2.6). Insofern wird bei der Analyse des Prozesses der
Professionalisierung auf den höheren Ebenen untersucht, ob der formalen Pro-
2.2 Professionalisierung von Politik 53
Formale Professionalisierung
Vergleichbar mit dem heutigen Verständnis des kommunalen Mandatsträgers
wurde das Abgeordnetenamt auf der Bundes- und Landesebene von den Anfän-
gen des Konstitutionalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis lange
nach Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes formal als reines Ehrenamt ange-
sehen. Es war demnach auch allgemein anerkannt, dass die ‚Entschädigungen’,
auf die die Abgeordneten nach Art. 40 WRV und Art. 48 II GG Anrecht hatten,
vom rechtlichen Charakter her lediglich als eine Aufwandsentschädigung, nicht
aber als eine Besoldung zu verstehen waren (vgl. Burmeister 1993:36; Heuvels
1986). Formal wurde dieser Charakter erst in der Folge des ‚Diätenurteils’ des
Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 1975 geändert (BVerfGE 40,
296), das dadurch einen „prägenden Einschnitt für die Entwicklung des Abge-
ordnetenstatus’“ (Oberreuter 1981:10) in der Geschichte der Bundesrepublik
hatte. Dieses Urteil wurde nämlich als letzter Anstoß für die bereits lange gefor-
derte Neugestaltung der Rechtsstellung der Abgeordneten in Bund und Ländern
angesehen (vgl. Henkel 1977; Burmeister 1993:36). Das Urteil stellte fest, dass
die finanzielle Vergütung der Abgeordneten keine Aufwandsentschädigung ist,
sondern der Abgeordnete „aus der Staatskasse ein Einkommen“ (BVerfGE 40,
296) erhält. Dies wurde damit begründet, dass
„die Tätigkeit des Abgeordneten (...) im Bund zu einem den vollen Einsatz der Arbeitskraft
fordernden Beruf geworden [ist]; der Abgeordnete kann daher unter diesem Aspekt heute legi-
timerweise ein Entgelt beanspruchen, mit dem er seinen und seiner Familie Lebensunterhalt
zu bestreiten mag“ (BVerfGE 40, 296).
In der Folge dieses Urteils änderten neben dem Bundestag auch nach und nach
die Landtage den Status ihrer Abgeordneten zu hauptberuflichen Abgeordneten
bzw. Teilzeitparlamentariern. Als letztes Parlament auf Landesebene wurden die
Bürgerschaft und ihre Abgeordneten des Stadtstaates Hamburg 1995 von einem
Feierabendparlament in ein Teilzeitparlament umgewandelt. Der ausschlagge-
bende Faktor für die formale Professionalisierung des Abgeordnetenamtes war
somit die zeitliche Inanspruchnahme des Mandats, die eine ehrenamtliche und
nebenberufliche Ausübung nicht mehr zuließ.
„In der Bundesrepublik nahm die Arbeitsbelastung der Abgeordneten durch ausgedehnte Auf-
gabenfelder, das Hineinreichen der Politik in nahezu alle Lebensbereiche der Gesellschaft (...)
zu. Entsprechend stieg der zeitliche Aufwand für das Mandat“ (Burmeister 1993:45).
Informelle Professionalisierung
Neben dieser formalen Entwicklung des Status’ der Parlamente und ihrer Abge-
ordneten fand jedoch bereits in den Jahrzehnten vor der Formalisierung ein
informeller Professionalisierungsprozess in den einzelnen Parlamenten statt.
Dieser wird im Folgenden für die Bundesebene nachgezeichnet und analysiert.
Im Kaiserreich gab es bis 1906 keinerlei Entschädigung für die Abgeord-
neten. So verbot auch Art. 32 der Bismarckschen Reichsverfassung (BRV) auf
Betreiben Bismarcks jede „Besoldung oder Entschädigung“ (vgl. Bor-
chert/Golsch 1999:115). Ziel dieser Regelung war es, „unliebsame Gegner“
(Burmeister 1993:29) vom Eintritt in den Reichstag abzuhalten, denn die soziale
Unausgewogenheit der politischen Repräsentation sollte erhalten bleiben (vgl.
Molt 1963:38). Nur wirtschaftlich unabhängigen ‚Honoratioren’ wurde zuge-
traut, sachverständig und unabhängig zu handeln (vgl. Burmeister 1993:29).
Durch die Diätenlosigkeit sollte zudem erreicht werden, dass es „keinen beson-
deren Stand von Berufsparlamentariern“ (Huber 1963:893; vgl. auch Eschen-
burg 1959:54) gibt. Grund für die fehlenden Diäten war insbesondere die feh-
lende Entscheidungsautonomie des Reichstags. So stimmte der Reichstag zwi-
schen 1871 und 1906 14-mal für Diäten, scheiterte aber jeweils am Bundesrat.
In der Praxis hatte das Diätenverbot zur Folge, dass es nur finanziell unabhängi-
gen und vermögenden Personen möglich war, sich um ein Abgeordnetenmandat
zu bewerben (vgl. Huber 1970:893; vgl. auch Borchert/Golsch 1999:114). Es
war entscheidend, abkömmlich zu sein. Nach Max Weber kombiniert
„Abkömmlichkeit (...) kategorial die je nach ‚zivilem’ Beruf unterschiedliche zeitliche Ver-
fügbarkeit mit der ebenfalls differierenden Notwendigkeit, unmittelbar aus der Politik ein
Einkommen zu beziehen“ (Borchert 2003:76).
„preußische Junker, die Großindustriellen, (...) die Rentiers [und höheren Beamten] kein Prob-
lem damit, die zunehmend zeitaufwendigere Parlamentsarbeit mit ihren wirtschaftlichen Akti-
vitäten in Einklang zu bringen“ (Borchert/Golsch 1999:114.; vgl. auch Molt 1963:40ff.).
2.2 Professionalisierung von Politik 55
Ähnliche Modelle – wenn auch weniger erfolgreich – wurden von den Indust-
rieverbänden und auch von der Katholischen Kirche eingeführt (vgl. Molt 1963:
289ff.). Die Diätenlosigkeit förderte somit also einen neuen Typ des Berufspoli-
tikers, dessen Beruf sich durch eine inhaltliche Nähe zur Politik auszeichnet.
Gleichzeitig ermöglichte dieser Typ des Partei- und Verbandsfunktionärs den
Zugang zum Reichstag für Personen, die ohne die Bezahlung zum Großteil für
die Politik nicht abkömmlich gewesen wären (vgl. Molt 1963:46).
Da das Fehlen von Diäten jedoch – trotz der Gruppe der bei Parteien und
Verbänden angestellten Funktionären – zunehmend zu einer Beschlussunfähig-
keit führte, stimmte der Bundesrat schließlich 1906 der Einführung einer Auf-
wandsentschädigung zu (Verfassung von 1906 zit. n. Loewenberg 1969:76). Die
40 Dies wurde jedoch von der Reichsregierung als ungesetzlich betrachtet, und die SPD wurde
daher strafrechtlich verfolgt (vgl. Molt 1963:40).
56 2. Konzeptionelle Grundlagen
Für die Abgeordneten der Landtage trifft diese Entwicklung in der Tendenz
ebenso zu. So hat die ständig gestiegene zeitliche Belastung der Bundes- und
Landtagsabgeordneten dazu geführt, dass, wie oben erläutert, im Jahr 1975
durch das Bundesverfassungsurteil das Leitbild den realen Bedingungen ange-
passt wurde: Von der ursprünglichen Einschätzung als Ehrenamt hin zu der
Wahrnehmung als ‚Beruf’. Hingegen ist der Status der Mitglieder kommunaler
2.2 Professionalisierung von Politik 57
41 Der Bundestag hatte schon im Oktober 1990 zugunsten der Gruppe der PDS beschlossen,
einen Grundbetrag in Höhe von 213.158 DM im Monat sowie einen monatlichen Zuschlag in
Höhe von 7.726 DM je Abgeordneten zu gewähren; das entspricht der Hälfte des Betrages, der
für Fraktionen vorgesehen ist (vgl. Schindler 1999).
42 16. Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (Fraktionsgesetz) vom 11. März 1994.
43 Diese Einführung stieß zunächst auf Kritik der Fraktionsführungen, die dadurch Machteinbu-
ßen befürchteten (vgl. Burmeister 1993:114).
2.2 Professionalisierung von Politik 59
Insofern gibt es heutzutage für die Abgeordneten vielfältige Arten der Unter-
stützung durch Mitarbeiter, die wesentlich zur Parlamentsarbeit beitragen. „Poli-
tische Stäbe, Berater, Referenten, Assistenten formulieren professionelle An-
sprachprodukte, die häufig von den politischen Akteuren verkündet werden“
(Kaack/Roth 1980:217). Ähnliche Entwicklungen der inhaltlichen Zuarbeit
finden sich auch in den Landtagen (vgl. Greß/Huth 1998; Enquete-Kommission
Hamburg 1992; Landfried 1990).
den im Folgenden drei Ebenen diskutiert und analysiert: Die Ebene des Indivi-
duums, jene des politischen Amtes und jene der Institution.
tern mehr Individuen bereit sind, ihre ‚erste’ Karriere aufzugeben, um für und
von der Politik zu leben als bei weniger professionalisierten Ämtern (Ehrenhalt
1991; Rosenthal 1998; Fiorina 1996). Ein hochprofessionalisiertes Amt trägt
also dazu bei, dass die individuelle Professionalisierung für einen größeren
Personenkreis gegenüber anderen Optionen attraktiv ist. Erfordert ein Mandat
hingegen einen hohen Zeitaufwand, bietet aber lediglich ein niedriges Einkom-
men, sind die Mandatsträger darauf angewiesen, ihr Einkommen durch Tätigkei-
ten außerhalb des Mandats zu sichern. Wie die Analyse des historischen Prozes-
ses gezeigt hat, können sich dadurch andere Professionalisierungskanäle entwi-
ckeln, die dazu führen, dass das Individuum professionalisiert ist. Beispiele sind
die Kombination des Mandats mit anderen professionalisierten Mandaten oder
die Anstellung der Mandatsträger bei Parteien, Verbänden und Interessengrup-
pen.
Die Professionalisierung politischer Ämter ist ein historischer Prozess, der sich
durch Verberuflichung, Konsolidierung und Expansion der zur Verfügung ste-
henden Ressourcen vollzieht. Mit diesen Ressourcen, die von Amtsinhaber zu
Amtsinhaber weitergegeben werden, sind die materiellen und immateriellen
Infrastrukturen des Amtes gemeint wie das aus dem Amt bezogene Einkommen,
der notwendige Zeitaufwand, Mitarbeiter und Privilegien (Borchert 1999:16).
Ein Parlamentsmandat ist somit als professionalisiert zu betrachten, wenn es ein
konkurrenzfähiges Einkommen bietet und aufgrund der zeitlichen Belastung
eine andere berufliche Tätigkeit ausschließt bzw. stark einschränkt (vgl. Bor-
chert 1999:17). Im Rahmen des Professionalisierungsprozesses auf lokaler Ebe-
ne könnte es auch möglich sein, dass sich einzelne Ämter, beispielsweise die
Ämter bestimmter Funktionsträger, zuerst professionalisieren.
Schließlich kann sich Professionalisierung auf der Ebene der politischen Institu-
tion vollziehen. Nach Borchert zeichnet sich eine professionalisierte Institution
durch einen hohen Anteil professionalisierter Mitglieder, eine differenzierte
Binnenstruktur mit zeitaufwendigen Verfahren und durch ein im Vergleich zu
Amateurinstitutionen höheres Budget aus (Borchert 1999:17). Unter den Indika-
tor ‚professionalisierte Mitglieder’ fallen nach dieser Definition sowohl die
Mandatsträger als auch die professionellen Mitarbeiterstäbe. Dabei ist es, so
64 2. Konzeptionelle Grundlagen
Borchert, vorstellbar, dass sich ein Amt als Teil der Institution entweder früher
oder später als die Institution professionalisiert. Für eine Professionalisierung
der Institution sei jedoch die Professionalisierung der Ämter nicht unbedingt
Grundvoraussetzung. So sei im Extremfall ein Parlament vorstellbar,
„dessen Mitglieder sämtlich Amateure sind, deren Ämter nicht-professionalisiert sind, wäh-
rend die Institution deshalb professionalisiert bleibt, weil viele Aufgaben auf die weiterhin
professionellen Mitarbeiterstäbe übergehen“ (Borchert 1999:17).
III
Hoher IV
Semiprofessionelle Institution
Professionalisierungsgrad Professionalisierte
durch mitgliederbasierte
des Amtes Institution
Professionalisierung
II
Niedriger
I Semiprofessionelle Institution
Professionalisierungsgrad
Amateurinstitution durch ressourcenbasierte
des Amtes
Professionalisierung
Z’graggen 2002:7f.). Trotz der Vielzahl der Ansätze ist allen gemeinsam, dass
das Professionalisierungskonzept
„generally refers to the enhancement of the legislature’s capacity to perform its role in the
policy-making process with an expertise, seriousness and effort“ (Mooney 1995:48; vgl.
Bowman/Kearney 1988:76ff.).
Für die Funktionsträger in den einzelnen Fraktionen, vor allem für die Frakti-
onsvorsitzenden, ergeben sich noch weitere Aufgaben der Ratstätigkeit bzw.
Fraktionsarbeit, die ebenfalls hinsichtlich des Zeitaufwands untersucht werden.
Neben dem reinen Zeitaufwand wird aber auch die zeitliche Verteilung der
Ratstätigkeiten untersucht. Wie erläutert, soll in der Arbeitsorganisation des
Feierabendparlaments die Berufstätigkeit berücksichtigt werden (vgl. 2.1.2.6;
2.2.2.1). Aufgrund dessen sollen die Sitzungstätigkeiten nach ‚Feierabend’ er-
folgen, damit die ehrenamtlichen Mandatsträger Beruf und Mandat vereinbaren
können. Eine zeitliche Verteilung der Ratstätigkeiten, die die Ausübung eines
Berufs stark einschränkt oder unmöglich macht, ist hingegen Ausdruck einer
Professionalisierung.
Als dritter Indikator für den Grad der Professionalisierung werden die Aufwen-
dungen für das Kommunalparlament untersucht. Dabei handelt es sich um Auf-
2.3 Professionalisierung auf kommunaler Ebene – Konzeption 69
wendungen, die die Fraktionen in den Stadtparlamenten zur Ausübung der Frak-
tionsgeschäfte und zur Unterstützung der Ratsmitglieder erhalten. Diese werden
aus Gründen der Vergleichbarkeit pro Ratsmitglied gemessen, da die Stadtpar-
lamente in ihrer Größe z.T. erheblich differieren (vgl. 3.3). Neben der reinen
Höhe dieser Aufwendungen wird auch untersucht, welche Auswirkungen die
Höhe des Budgets einerseits auf die personelle Ausstattung der Fraktionsge-
schäftsstellen hat. Dabei wird neben der reinen Anzahl der Mitarbeiter auch
nach der Qualität der Mitarbeiter differenziert (wissenschaftliche und administ-
rative Mitarbeiter), da dadurch Aussagen hinsichtlich der tatsächlichen Unter-
stützung für die Ratsmitglieder gemacht werden können. Durch diese personel-
len Ressourcen verbessert sich auch die Qualität der Ratsarbeit:
„The more personal and research staff working in a legislature, the better its members can
investigate public problems, check the biases of information sources, and respond to
constituents” (Mooney 1995:52f.).
Dadurch werden die Parlamente und die Mandatsträger zudem auch unabhängi-
ger von der Verwaltung und anderen Akteuren:
„The implications of the expansion of staff capacity for the legislatures are many. Foremost, it
has given the legislatures independence, both from the executive branch and from those who
seek to influence legislative action” (Pound 1992:15).
Zur Untersuchung der in der Einleitung und unter 2.3 entwickelten Fragen nach
einem Professionalisierungsprozess der Kommunalpolitik in den deutschen
Großstädten wurde ein multimethodisches Vorgehen gewählt. Dieses methodi-
sche Vorgehen und die Fallauswahl werden im Folgenden erläutert. Die ausge-
wählten Untersuchungsstädte und ihre Kommunalvertretungen werden an-
schließend kurz portraitiert.
Der Professionalisierungsprozess wird in der vorliegenden Studie in vier
Städten mit unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen vergleichend
untersucht (vgl. zu diesem Vorgehen auch Studien von Eliassen/Pedersen 1978;
Best/Cotta 2000). Dabei fokussiert die Untersuchung auf die Analyse der Pro-
fessionalisierung in deutschen Großstädten (vgl. 1; 2.1.2.6). In Anlehnung an
Gabriel (2000:190) werden Städte ab einer Einwohnerzahl von mindestens
400.000 Einwohnern als Großstädte definiert und in die Analyse einbezogen
(vgl. zu den Auswahlkriterien 3.2). Zusätzlich zu der vergleichenden Untersu-
chung wird der Prozess der Professionalisierung diachron analysiert. Wie die
Ausführungen gezeigt haben (vgl. 2.2.2.2), vollzog sich der Professionalisie-
rungsprozess auf den höheren Ebenen des politischen Systems über einen lan-
gen Zeitraum hinweg. Um diese Entwicklungen in den Großstädten erfassen zu
können, wird der Grad der Professionalisierung in den Großstädten des Untersu-
chungsjahres 2002 mit jenem im Jahr 1984 verglichen. Das Jahr 1984 bietet sich
als Vergleichsjahr aus mehreren Gründen an: In der bereits erwähnten Studie
von Kempf (1989) zu den Arbeitsbedingungen der Ratsmitglieder wurden die
Daten zu den unter 2.3.2 entwickelten Indikatoren zum Großteil bereits erhoben.
Ein Untersuchungszeitraum von 20 Jahren ist des Weiteren geeignet, um lang-
fristige Veränderungen und Entwicklungstendenzen analysieren zu können.
Da eine mögliche Professionalisierung der Kommunalpolitik bisher nicht
wissenschaftlich untersucht wurde, ist das gewählte multimethodische Vorgehen
für die komparative und longitudinale Untersuchung des Professionalisierungs-
prozesses geeignet. Darüber hinaus wird die Triangulation verschiedener For-
schungsmethoden in der Sozialforschung als probates Mittel gesehen, um Ver-
zerrungspotenziale, die sich aus der Untersuchung eines Gegenstandsbereichs
3.1 Methodisches Vorgehen 71
mit nur einer Methode ergeben, zu minimieren und die Validität der verwende-
ten Methoden und der gefundenen Ergebnisse zu erhöhen (Lamnek 1993; Patton
1990; Oevermann 1979:352; Kleining 1982:225). Folgende drei Erhebungsme-
thoden wurden in der vorliegenden Studie eingesetzt: Die Dokumentenanalyse,
die schriftliche Befragung und Leitfadeninterviews. Das methodische Vorgehen
ist insoweit dreistufig, als dass die drei Methoden nacheinander, und bezüglich
der Ergebnisse aufeinander aufbauend, angewendet werden: So wurden auf
Grundlage der Ergebnisse der Dokumentenanalyse sowohl die vier Untersu-
chungsstädte ausgewählt als auch der Fragebogen für die schriftliche Befragung
entwickelt. Aus den Ergebnissen dieser schriftlichen Befragung wiederum wur-
den zum einen die zentralen Fragen für die Leitfadeninterviews abgeleitet, zum
anderen waren die Ergebnisse Grundlage für die Auswahl der Interviewpartner.
Die gewonnenen Daten wurden sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgewer-
tet. Im Folgenden werden die drei Erhebungsmethoden näher erläutert.
3.1.1 Dokumentenanalyse
Als weitere Methode der Datenerhebung wurde die schriftliche Befragung an-
gewendet. Wie erläutert, wurden auf Grundlage der Ergebnisse der Dokumen-
tenanalyse die vier Untersuchungsstädte Hannover, Frankfurt am Main, Stutt-
gart und Nürnberg ausgewählt. Die schriftliche Befragung richtete sich an alle
Ratsmitglieder in diesen vier Kommunalparlamenten. Während es bei der Do-
kumentenanalyse hauptsächlich um die Professionalisierung von Amt und Insti-
tution und damit um die allgemeinen Rahmenbedingungen der Ratsarbeit ging,
fand nun ein Perspektivenwechsel statt, da in der weiteren Analyse insbesondere
das Handeln der Akteure, der Ratsmitglieder, innerhalb dieser Rahmenbedin-
gungen im Vordergrund stand.
Da es sich bei der Analyse des Professionalisierungsprozesses auf lokaler
Ebene um ein bisher kaum erforschtes Gebiet handelt (vgl. 1. und 2.2.3), wur-
den zur Entwicklung des Fragebogens in den Monaten Februar bis April 2002
explorative Interviews mit Experten geführt, um einen qualitativen Zugang zum
Untersuchungsgegenstand zu erhalten (vgl. Strauss 1994; Kleining 1982:226).
Diese gering standardisierten Interviews wurden mit Fraktionsvorsitzenden bzw.
stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Kommunalparlamente in den zwei
Untersuchungsstädten Stuttgart und Hannover, mit Vertretern des Hessischen
Städtetages und des Städtetags Rheinland-Pfalz, mit weiteren Ratsmitgliedern
und Fraktionsgeschäftsführern in den Städten Karlsruhe, Heidelberg und Mann-
heim und mit dem Staatssekretär des Innenministeriums des Landes Baden-
Württemberg geführt. Diese Interviews dienten in erster Linie der Strukturie-
rung der weiteren Forschungsarbeit und der Entwicklung des Fragebogens (vgl.
Lamnek 1993:22; Atteslander 1995:173). Dadurch war es möglich, die Relevanz
des Forschungsvorhabens für die Kommunalpolitik und die einzelnen Ratsmit-
glieder festzustellen und Einschätzungen zur Entwicklung der Professionalisie-
rung zu erhalten. Auf Grundlage dieser Einschätzungen und der ersten Ergeb-
nisse wurde der Fragebogen für die schriftliche Befragung mit offenen und
3.1 Methodisches Vorgehen 73
46 Siehe Anhang. Hinsichtlich der großen Fraktionen gab es lediglich in Hannover größere
Abweichungen. So war der Rücklauf bei der SPD – auch aufgrund des sehr aktiven Werbens
des Fraktionsvorsitzenden – sehr hoch (85%), während bei der CDU der Rücklauf sehr gering
war (lediglich 32%). Dieser Anteil konnte aber auch durch eine dritte Nachfassaktion nicht er-
höht werden.
47 Zur Diskussion der merkmalsspezifischen Repräsentativität vgl. Bortz/Döring 2003:400.
48 So wäre insbesondere die Berufsstruktur der Kommunalparlamente interessant gewesen. Wie
allerdings unter 5.2.4 noch gezeigt wird, stimmen die Selbstangaben der Ratsmitglieder über
ihren Beruf (teilweise erlernter Beruf, teilweise früher ausgeübter Beruf) auf den Internet-
Seiten der Fraktionen und auf den Wahlzetteln – teilweise aus wahlstrategischen Gründen –
häufig nicht mit der aktuellen Berufsausübung überein. In der vorliegenden Studie wurden die
Ratsmitglieder aber ganz bewusst nach ihrer aktuellen Berufsausübung befragt. Insofern wür-
de ein Vergleich des Rücklaufs mit der Grundgesamtheit nicht aufschlussreich sein.
3.1 Methodisches Vorgehen 75
3.1.3 Leitfadeninterviews
3.2 Fallauswahl
Stadt Einwohnerzahl
Dortmund 572.000
Dresden 519.000
Duisburg 528.000
Düsseldorf 566.000
Essen 622.000
Frankfurt 615.000
Hannover 515.000
Köln 1.005.000
Leipzig 475.000
München 1.267.000
Nürnberg 495.000
Stuttgart 589.000
Quelle: Eigene Zusammenstellung auf Grundlage der Amtlichen Einwohnerzahlen, Stand 2002
49 Als zweiter Schritt folgt bei Mayring die ‚Explizierende Inhaltsanalyse’, in der unklare Text-
bestandteile durch zusätzliches Material verständlich gemacht werden. Dieser Schritt war bei
der vorliegenden Auswertung nicht notwendig, da Unklarheiten bereits durch Nachfragen in
den Interviews geklärt werden konnten.
3.2 Fallauswahl 77
50 Die drei Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin haben einen institutionellen Sonderstatus
in ihrer Doppelfunktion als Bundesland und Kommune. Wie unter 2.2.2.2 erläutert wurde, sind
die Parlamente in diesen Stadtstaaten auch zumindest semiprofessionell. Insofern werden diese
drei Stadtstaaten in der Untersuchung nicht berücksichtigt.
51 Gabriel erläutert: „Everyone would agree that the German cities with a population of at least
500.000 inhabitants may be regarded as big and urban (...). On the other hand, applying this
criterion in a rigid way would lead to a complete exclusion of East German cities. In order to
avoid such a situation, the threshold was lowered to 400.000 inhabitants” (Gabriel 2000:190).
78 3. Methoden
Wie erläutert, besteht das Ziel dieser Studie zum einen darin, Unterschiede im
Professionalisierungsprozess und -grad zwischen den einzelnen Städten zu ana-
lysieren, zum anderen soll untersucht werden, ob es einheitliche Professionali-
sierungstendenzen in den deutschen Großstädten gibt – unabhängig von den
unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen. Die Auswahl der Unter-
suchungsfälle orientierte sich daher an der Methodik des most different systems
design (Przeworski/Teune 1970). Dementsprechend wurden die Untersuchungs-
städte so ausgewählt, dass sie über möglichst verschiedene Ausprägungen des
Professionalisierungsgrades verfügen. Damit ist es möglich, sowohl verallge-
meinerbare Aussagen zur Entwicklung der Professionalisierung zu überprüfen
als auch mögliche unterschiedliche Entwicklungen hinsichtlich der Professiona-
lisierung zu identifizieren und zu erklären. Daher wurden bei jedem Indikator
die beiden Städte mit der Extremausprägung ausgewählt, wodurch die Fallaus-
wahl vier Untersuchungsstädte ergab.
Zum einen wurde somit die Stadt mit der niedrigsten Aufwandsentschädi-
gung ausgewählt. Die Ratsmitglieder in den Großstädten Nordrhein-Westfalens
haben zwar die niedrigste Grundaufwandsentschädigung, allerdings erhalten sie
zusätzlich Sitzungsgelder. Addiert man diese modellhaft für die minimale An-
zahl an Sitzungen zu der Grundaufwandsentschädigung hinzu, ergibt sich eine
höhere Aufwandsentschädigung als in Hannover, da dort ein Pauschalbetrag
ohne zusätzliche Sitzungsgelder bezahlt wird. Daher ist Hannover die Stadt mit
der niedrigsten Ausprägung hinsichtlich des Indikators ‚Entschädigung der
Ratsmitglieder’. Entsprechend wurde des Weiteren die Stadt mit der höchsten
Aufwandsentschädigung ausgewählt: Da die Stadträte in Stuttgart mit 1.770
Euro monatlich die höchste Aufwandsentschädigung erhalten, ist Stuttgart die
zweite Untersuchungsstadt. Ebenso wurden auch beim zweiten Indikator ‚Auf-
wendungen für das Kommunalparlament’ die Städte mit den Extremausprägun-
gen ausgewählt: Dies sind Frankfurt am Main mit den mit Abstand höchsten
Aufwendungen pro Jahr und Nürnberg mit den niedrigsten. Auf Grundlage
dieser Fallauswahl sind somit Frankfurt am Main, Hannover, Nürnberg und
Stuttgart als Untersuchungsstädte ausgewählt worden. Diese vier Städte variie-
ren zudem hinsichtlich ihrer institutionellen Rahmenbedingungen, die unter
2.1.2.1 erläutert wurden. So finden in diesen Untersuchungsstädten unterschied-
liche Kommunalverfassungen mit verschiedenen Gemeindeordnungen und un-
terschiedliche Wahlsysteme für die Wahl der Ratsmitglieder Anwendung. Diese
werden im Folgenden im Rahmen von Kurzporträts der Untersuchungsstädte
erläutert.
3.3 Kurzportraits der vier Untersuchungsstädte 79
3.3.1 Hannover
Die Landeshauptstadt Hannover ist mit 515.000 Einwohnern die größte Stadt
Niedersachsens. 1996 wurde das niedersächsische Kommunalverfassungsrecht
geändert, nach dem nun auch in Hannover das oben diskutierte Prinzip der Ein-
gleisigkeit gilt und der Oberbürgermeister direkt gewählt wird. Dem Stadtrat
gehören 65 Mitglieder an – 64 gewählte Ratsmitglieder und der Oberbürger-
meister. Die Ratsmitglieder werden alle fünf Jahre gewählt, wobei die Wähler
drei Stimmen haben, die sie auf verschiedene Listen und Personen verteilen
(panaschieren) und auch einer Liste oder Person bis zu drei Stimmen geben
können (kumulieren). Seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist die SPD durchgän-
gig die stärkste Fraktion im Rat. Im Rat der untersuchten Ratsperiode 2001 bis
2006 sind mit der SPD, der CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP
vier Fraktionen vertreten. Hinzu kommen zwei Einzelvertreter. Einen Überblick
über die Sitze und Sitzanteile gibt Tabelle 3.3. Für diese Wahlperiode hat die
SPD-Fraktion mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Koalition.
Frankfurt am Main ist mit 615.000 Einwohnern die größte der vier Untersu-
chungsstädte. Für die in Hessen gelegene Stadt gilt die Hessische Gemeindeord-
nung (HGO), die eine so genannte ‚unechte Magistratsverfassung’ ist (vgl. hier-
zu Dreßler 2003:137). Die Besonderheit dieser Verfassung liegt darin, dass an
der Spitze der Verwaltung hier nicht der Bürgermeister allein steht, sondern ein
Kollegialorgan, der so genannte Magistrat, der sich aus dem Bürgermeister und
80 3. Methoden
52 In den Wahlperioden zuvor waren durchschnittlich vier bzw. fünf Fraktionen in der Stadtver-
ordnetenversammlung vertreten.
3.3 Kurzportraits der vier Untersuchungsstädte 81
3.3.3 Nürnberg
Nürnberg ist mit 495.000 Einwohnern nach München die zweitgrößte Stadt
Bayerns. Gemeinsam mit Fürth und Erlangen bildet Nürnberg den mittelfränki-
schen Großraum und ist einer der deutschen Ballungsräume. Die Stadträte wer-
den alle sechs Jahre gewählt. Das Wahlsystem ist eine personalisierte Verhält-
niswahl mit offenen Listen. Die Wähler haben so viele Stimmen, wie Stadträte
zu wählen sind, und können kumulieren und panaschieren.
3.3.4 Stuttgart
Des Weiteren sitzen Vertreter von Republikanern und PDS im Rat. In Stuttgart
gibt es im Gegensatz zu Hannover und Frankfurt keine festgelegte Koalition, so
dass die Entscheidungen mit wechselnden Mehrheiten im Rat gefällt werden.
Die CDU ist jedoch stärkste Fraktion im Rat.
4 Professionalisierung in deutschen Großstädten
Wie unter 2.3.2.1 hergeleitet, wird in der vorliegenden Studie die zeitliche Be-
lastung durch das Ratsmandat analysiert. Dabei werden nicht nur die Ratstätig-
keit im engeren Sinne, sondern auch die so genannten Mandatsnebentätigkeiten
untersucht. Zu den Ratstätigkeiten im engeren Sinne zählen dabei die Sitzungen
des Stadtrats, insbesondere die Rats- und Ausschusssitzungen, die Sitzungen der
84 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
4.1.1.1 Zeitaufwand
Die Ratstätigkeit im engeren Sinne schließt, wie oben bereits erläutert, die Rats-
und Ausschusssitzungen, die Fraktionssitzungen und weitere Gremiensitzungen
mit ein.
53 Vgl. z.B. §30 Abs. 4 GOBay; §34 Abs. 3 GO Ba-Wü. Aus der Berufung durch den Wähler
ergibt sich die rechtliche und politische Pflicht für die ehrenamtlichen Ratsmitglieder, an den
Aufgaben des Gemeinderats mitzuwirken. Die Mitglieder sind deshalb verpflichtet, an den
Sitzungen teilzunehmen. Sie dürfen Sitzungen nur fernbleiben, wenn ausreichende Gründe da-
für vorhanden sind, zum Beispiel Krankheit und Ortsabwesenheit aus beruflichen Gründen
(§38 Abs. 1 GO Ba-Wü).
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 85
Die Ratsherren und -frauen in Hannover geben an, dass sie für die Ratstätigkeit
im engeren Sinne durchschnittlich 18 Stunden pro Woche benötigen. So findet
einmal pro Monat eine Ratsversammlung statt, an der alle Ratsmitglieder teil-
nehmen. Hinzu kommt der Zeitaufwand für die Ausschusssitzungen. Die Aus-
schüsse tagen dabei unterschiedlich häufig: Während beispielsweise der Stadt-
entwicklungs- und Bauausschuss 18-mal im Jahr zusammentritt, finden im
Sportausschuss lediglich neun Sitzungen pro Jahr statt. Im Durchschnitt tagen
die Ausschüsse einmal monatlich bei einer Sitzungsdauer von zwei Stunden.
Die Ratsmitglieder der großen Fraktionen sind in der Regel in zwei bis drei
Ausschüssen vertreten, die Vertreter der kleinen Fraktionen in durchschnittlich
vier Ausschüssen. Vor jeder Ausschusssitzung findet in den großen Fraktionen
zusätzlich eine Vorbesprechung des Arbeitskreises der Fraktion statt, in der die
Vorlagen und Drucksachen diskutiert werden. Diese Besprechungen dauern
durchschnittlich ebenfalls zwei Stunden. Insofern gibt es bei den Ausschusssit-
zungen und Vorbesprechungen zwischen den Fraktionsmitgliedern kleiner Frak-
tionen und denjenigen großer Fraktionen Unterschiede in zweierlei Hinsicht: So
haben die Fraktionsmitglieder kleiner Fraktionen im Vergleich zu jenen der
großen Fraktionen zwar eine größere Anzahl an Ausschüssen, jedoch keine zu-
sätzlichen Arbeitskreissitzungen. Grund dafür ist, dass bei den großen Fraktio-
nen durchschnittlich fünf bis sechs Personen in den einzelnen Ausschüssen ver-
treten sind und dadurch eine Abstimmung zwischen den Mitgliedern erforder-
lich ist, während bei den kleinen Fraktionen lediglich eine Person die Fraktion
in den einzelnen Ausschüssen vertritt. Dies führt aber gleichzeitig dazu, dass bei
den großen Fraktionen eine Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedern stattfindet.
Zumeist übernimmt dabei nach Angaben der Ratsmitglieder der Ausschussspre-
cher die Hauptarbeit – insbesondere auch im Bereich der Vorbereitung (vgl.
4.1.2.1). Bei den übrigen Ausschussmitgliedern gibt es nach Aussagen der
Ratsmitglieder auch sog. Hinterbänkler (vgl. H6, H23). Die Vertreter der klei-
nen Fraktionen hingegen sind meist alleine für die Themenbereiche der einzel-
nen Ausschüsse verantwortlich, was zu einem höheren Zeitaufwand führt.
Mindestens im zweiwöchentlichen Rhythmus findet in allen Fraktionen ei-
ne dreistündige Fraktionssitzung statt. Zusätzlich sind die Ratsmitglieder in wei-
teren Kommission, Beiräten und Aufsichtsräten vertreten, für die ein zusätzli-
cher Zeitaufwand anfällt. Dieser Zeitaufwand ist zum Teil erheblich, insbeson-
dere bei Aufsichtsräten in größeren Unternehmen (z.B. Flughafen, Stadtsparkas-
se, Stadtwerke, Verkehrsbetriebe). So erläutert ein Ratsherr:
„Ich bin im Verwaltungsrat der Stadtsparkasse, der viermal im Jahr tagt. Der hat aber zusätz-
lich noch ein paar Fachausschüsse, so dass ich dafür insgesamt 18 Termine im Jahr habe“
(H27).
86 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
zweite Woche. Dies hat auch Einfluss auf die Ausschusssitzungen, weil sie in
Stuttgart – abhängig von der Wichtigkeit der Ausschüsse – wöchentlich bzw. im
zweiwöchentlichen Rhythmus stattfinden. Neben diesen beschließenden Aus-
schüssen gibt es auch beratende Ausschüsse, die in der Regel einmal pro Monat
zusammentreten. Wie in den anderen Städten, findet auch in Stuttgart wöchent-
lich eine Fraktionssitzung statt, die durchschnittlich drei Stunden dauert. Die
Stadträte sind ebenso wie in den anderen Städten zusätzlich in weiteren Gremien
vertreten.
Der Vergleich des Zeitaufwands für die vier Untersuchungsstädte zeigt somit,
dass die Stadträte in Stuttgart mit durchschnittlich knapp 24 Stunden pro Woche
den höchsten Zeitaufwand für die Ratsarbeit im engeren Sinne haben, während
die Stadträte in Hannover mit rund 18 Stunden pro Woche nur ca. drei Viertel
der Zeit benötigen. Dies erklärt sich durch die unterschiedliche Sitzungshäufig-
keit der Ratsversammlungen und Ausschusssitzungen in den vier Untersu-
chungsstädten: Während die Kommunalparlamente in Frankfurt und Hannover
nur einmal pro Monat zur Ratssitzung zusammentreten, trifft sich der Stadtrat in
Nürnberg im dreiwöchentlichen und der Gemeinderat in Stuttgart im zweiwö-
chentlichen Rhythmus. Die Ausschusssitzungen finden in den drei Städten
Frankfurt, Hannover und Nürnberg in der Regel einmal pro Monat statt, wäh-
rend in Stuttgart jede bzw. jede zweite Woche eine Ausschusssitzung ist. In je-
der Stadt gibt es zwischen zwölf und 16 Ausschüsse zu verschiedenen Themen-
feldern, und durchschnittlich ist ein Ratsmitglied in drei Ausschüssen vertreten.
Dabei ist lediglich eine geringe Varianz55 zwischen den Städten festzustellen;
vielmehr variiert die Anzahl der Mitgliedschaften in den Ausschüssen vor allem
innerhalb der Städte. Die Spannweite beträgt in allen vier Untersuchungsstädten
5 und reicht von Ratsmitgliedern, die lediglich in einem Ausschuss Mitglied
sind, bis zu Ratsmitgliedern, die ihre Fraktion in sechs Ausschüssen vertreten56.
Wie bereits erläutert, sind insbesondere die Mitglieder kleinerer Fraktionen in
überdurchschnittlich vielen Ausschüssen vertreten. Des Weiteren sind Personen
mit einem hohen Zeitbudget – insbesondere Nicht-Berufstätige – und Funktions-
träger wie Fraktionsvorsitzende und Mitglieder im Fraktionsvorstand über-
durchschnittlich häufig Mitglieder in Ausschüssen. Hinzu kommen weitere
Gremien und Beiräte sowie die Abordnung von Ratsmitgliedern in Aufsichtsräte
von formal privatisierten kommunalen Unternehmen. Durchschnittlich ist ein
Ratsmitglied in acht Gremien vertreten. Zusätzlich haben die Ratsmitglieder
eine wöchentlich stattfindende Fraktionssitzung und vor jeder Ausschusssitzung
eine zusätzliche Sitzung der Arbeitsgruppen der Fraktion, die parallel zu den
Ausschüssen in den größeren Fraktionen eingerichtet werden.
Individuell variiert der Zeitaufwand für die Gremienarbeit zu einem sehr
hohen Grad. Dabei sind vor allem zwei Variablen ausschlaggebend: Zum einen
ist für die Höhe des Zeitaufwands die Position entscheidend, die das einzelne
Ratsmitglied in der politischen ‚Ratshierarchie’ einnimmt. So haben Funktions-
träger wie etwa Fraktionsvorsitzende, Vorsitzende bzw. Sprecher der Ausschüs-
se einen höheren Zeitaufwand als die ‚normalen’ Ratsmitglieder. Dies erklärt
sich dadurch, dass diese Funktionsträger zusätzliche Sitzungen haben wie bei-
spielsweise Fraktionsvorstandssitzungen und Sitzungen mit anderen Fraktions-
vorsitzenden. So liegt der zeitliche Aufwand der Fraktionsvorsitzenden in allen
vier Städten bei durchschnittlich 30 Stunden.
Zum anderen beeinflusst die tatsächliche berufliche Arbeitszeit bzw. die
Möglichkeit, die Ratstätigkeit mit dem Beruf zeitlich zu vereinbaren, das Zeit-
budget. So ergibt die Analyse, dass die Nicht-Berufstätigen mit durchschnittlich
22,5 Stunden und die Teilzeitbeschäftigten mit 21,2 Stunden pro Woche einen
höheren Zeitaufwand haben als die Vollzeitbeschäftigten mit durchschnittlich
19,9 Stunden pro Woche. Bei den Beschäftigten zeigen sich zudem Unterschie-
de hinsichtlich der verschiedenen Berufsgruppen. So wenden Selbständige/Frei-
berufler durchschnittlich 21,7 Stunden auf, Beschäftigte im Öffentlichen Dienst
und jene im politischen/politiknahen Bereich 21 Stunden, während Beschäftigte
in der Privatwirtschaft mit 15,4 Stunden durchschnittlich den geringsten Zeit-
aufwand haben. Die Ratsmitglieder können ihren Zeitaufwand beeinflussen,
indem sie Ausschüsse abgeben, wenn sie den Aufwand zeitlich nicht leisten
können. Dies zeigt sich in der großen Spannweite der Ausschussmitgliedschaf-
ten. Allerdings ist die Abgabe von Ausschüssen nur in begrenztem Maße mög-
lich und wird innerhalb der Fraktionen kritisch betrachtet, wie das Zitat eines
Hannoveraner Ratsherren zeigt:
„Keiner in der Fraktion wollte noch einen neuen Ausschuss. Und da hat dann der Fraktions-
vorsitzende gedroht und eine Liste verteilt, wer welche Ausschüsse hat; da hatte ich noch
sechs Ausschüsse; und da wurde dann schon geguckt, da gab es dann eine, die nur einen Aus-
schuss hatte. Da wird dann schon Druck ausgeübt, dass die dann den neuen Ausschuss über-
nimmt“ (H4).
Häufiger kommt es daher vor, dass Ratsmitglieder ihre Ausschüsse mit anderen
tauschen. Die Ausschüsse haben, wie erläutert, eine unterschiedliche Sitzungs-
häufigkeit und sind damit unterschiedlich zeitaufwendig. Die Ratsmitglieder
unterscheiden dabei zwischen so genannten ‚starken’ und ‚schwachen’ Aus-
schüssen.
„Wenn sie in starken Ausschüssen sind, also in Karriereausschüssen, (...) die von großer Be-
deutung sind, das ist z.B. der Umwelt- und Technik-Ausschuss, der tagt jeden Dienstagvor-
mittag einen halben Tag. Ein Kollege hat deshalb aufgehört im Umwelt- und Technik-
Ausschuss und hat getauscht mit einem aus dem Wirtschaftsausschuss, weil der nur 14tägig
freitags tagt und er so seine Termine im Ausland besser koordinieren kann“ (S13).
Im Vergleich zu 1984 hat sich nach Angaben jener Ratsmitglieder, die damals
bereits im Rat vertreten waren, hinsichtlich der Ratstätigkeiten im engeren Sinne
in erster Linie die Anzahl der weiteren Gremien und Aufsichtsräte erhöht. Ins-
besondere die Privatisierungen von kommunalen Unternehmen und die damit
verbundene Ausgliederung der parlamentarischen Kontrolle haben zu einer
deutlichen Steigerung der Sitzungen und des Zeitaufwands geführt. Hinzukom-
men in Frankfurt und Nürnberg noch weitere Gremien, die sich aus den aktuel-
len Mehrheitsverhältnissen in den kommunalen Vertretungskörperschaften er-
geben: Wie erläutert (3.3.2), gibt es in Frankfurt in der untersuchten Wahlperio-
de ein Viererbündnis aus CDU, SPD, Die Grünen im Römer und der FDP. Diese
Koalition führt ebenso wie die Allparteien-Kooperation in Nürnberg zu zusätzli-
chen Sitzungen.
„Aufgrund des Viererbündnisses kommen jetzt eben noch zusätzliche Sitzungen dazu, weil
wir z.B. die Etatanträge erst im Arbeitskreis der Fraktion beraten und dann in einer gemein-
samen Sitzung mit den anderen drei Fraktionen und dann im Ausschuss“ (F23).
Des Weiteren hat sich nach Angaben der Ratsmitglieder der Zeitaufwand für die
einzelnen Ausschusssitzungen erhöht, während die Ratssitzungen tendenziell
immer kürzer werden. Dies ergebe sich dadurch, dass die inhaltlichen Diskussi-
onen fast ausschließlich in den Ausschüssen stattfinden, während das Ratsple-
90 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
num kein Diskussionsforum mehr darstellt, sondern in erster Linie das Ratifizie-
rungsorgan ist.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass alleine der Zeitaufwand
für die Ratstätigkeiten im engeren Sinne in den vier Stadträten bei durchschnitt-
lich knapp 21 Stunden pro Woche liegt. Die Stuttgarter Stadträte haben mit
knapp 24 Stunden pro Woche dabei den höchsten, die Hannoveraner Ratsherren
und Ratsfrauen mit durchschnittlich 18 Stunden pro Woche den niedrigsten
Zeitaufwand.
Neben der Häufigkeit und Länge der Sitzungen spielt für den Professionalisie-
rungsgrad, wie erläutert, die zeitliche Lage der Sitzungen eine große Rolle, da
sie bestimmt, inwiefern ein Mandat nebenberuflich ausgeübt werden kann. Bei
der Lage der Sitzungen zeigte die Analyse große Unterschiede zwischen den
vier Untersuchungsstädten.
In Hannover beginnt die Stadtratssitzung in der Regel um 15.00 Uhr, die
Ausschusssitzungen üblicherweise in der Zeit zwischen 15.00 und 16.00 Uhr.
Die Vorsprechungen der Fraktion finden teilweise direkt vor der Ausschusssit-
zung statt, so dass diese teilweise bereits um 13.00 Uhr beginnen. Die Ratsmit-
glieder haben durchschnittlich zwei Sitzungen pro Woche während der Arbeits-
zeit und müssen sich dafür von ihrem Arbeitgeber für 20% der Arbeitszeit frei-
stellen lassen (H19, H7, H23; vgl. dazu auch 5.3.1.1). In Frankfurt beginnen die
Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung und die Ausschusssitzungen in der
Regel ebenfalls nach 15.00 Uhr am Nachmittag. Vergleichbar mit der Situation
in Hannover geben die Stadtverordneten an, dass sie an drei Nachmittagen pro
Woche Termine haben und dafür freigestellt werden müssen. „Mit Fahrzeit bin
ich dann ab 13.00 Uhr nicht mehr am Arbeitsplatz“ (F27; vgl. auch F17, F18).
Die Stadtratssitzung in Nürnberg findet ebenfalls um 15.00 Uhr statt. Im Gegen-
satz zu Hannover und Frankfurt, beginnen die Ausschusssitzungen in Nürnberg
jedoch entweder bereits um 9.00 Uhr am Morgen oder um 15.00 Uhr. Ver-
gleichbar mit Hannover finden auch hier die Fraktionsbesprechungen und Ar-
beitsgruppensitzungen direkt vor den Ausschüssen statt, so dass diese für die
Nachmittagstermine meist um 13.00 Uhr beginnen. Normale Stadträte werden
für die Sitzungen durchschnittlich für 25% ihrer Arbeitszeit von ihrem Arbeit-
geber freigestellt. Auch in Stuttgart fängt die Sitzung des Gemeinderats um 15
Uhr am Nachmittag an. Die Ausschuss- und teilweise auch die anderen Gre-
miensitzungen beginnen in der Regel allerdings bereits um 8.00 Uhr morgens
bzw. um 13.00 Uhr am frühen Nachmittag. „Abendsitzungen der Gremien hin-
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 91
4.1.2 Mandatsnebentätigkeiten
4.1.2.1 Sitzungsvorbereitung
57 Schriftliche Antwort auf Anfrage von Herrn Berger, Amtsleiter Haupt- und Personalamt Stutt-
gart, vom 20. Januar 2004.
92 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
und Mandatsträger. Die Anzahl der Vorlagen hat sich in dem Zeitraum zwi-
schen 1984 und 2002 verdoppelt: So gab es im Jahr 1984 beispielsweise in
Frankfurt 1.848 Magistratsvorlagen, 523 Fraktionsinitiativen und insgesamt
7.164 Tagesordnungspunkte. Im Jahr 2002 waren es 3.920 Magistratsvorlagen,
1.160 Fraktionsinitiativen und 15.445 Tagesordnungspunkte.58 Zusätzlich hat
sich auch der Umfang der einzelnen Verwaltungsvorlagen erhöht. Dabei sind
viele Ratsmitglieder der Meinung, dass die Drucksachen von der Verwaltung
teilweise bewusst aufgebläht werden und dass sich der Umfang der Drucksa-
chen daher verringern ließe:
„Da bekomme ich Drucksachen mit 40 bis 60 Seiten; wenn ich mich hinsetzen würde und das
Wichtigste herausschreiben würde, dann würde das auf ein bis zwei DIN A4-Seiten passen.
Und zwischenrein packen sie aber wichtige Details; daher muss man alles lesen, um nicht et-
was zu überlesen“ (H19).
Schätzungen der Ratsmitglieder zufolge braucht man zum Lesen aller Vorlagen
einen zeitlichen Aufwand von zwei bis drei Tagen die Woche. Insofern gibt es
nur wenige Ratsmitglieder, die das dafür notwendige Zeitbudget aufbringen
können (F18, N1). Daher findet innerhalb der Fraktionen eine Arbeitsteilung
statt, die zu einer Spezialisierung der Ratsmitglieder führt. Dementsprechend
liest der Großteil der Ratsmitglieder aufgrund des hohen Zeitaufwands auch
ausschließlich die Unterlagen für jene Ausschüsse, in denen sie vertreten sind.
„Nach einem Jahr habe ich mir überlegt, ob ich das Mandat niederlegen soll. Und dann habe
ich entschieden, dass ich nicht mehr alles lesen kann, sondern mich auf meine Themen be-
schränke, wo ich Fachfrau bin, und mich dort weiterentwickle“ (N16).
58 Die Kennzahlen wurden auf Anfrage vom Büro der Stadtverordnetenversammlung in Frank-
furt mitgeteilt.
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 93
„Als normales Ratsmitglied muss man eigentlich zehn bis zwölf Stunden zur Vorbereitung an-
setzen; ich habe zumeist jedoch nur vier Stunden für die Vorbereitung der Sitzungen und die
Gemeinderatspost, wobei das bei mir nur dazu reicht, den Berg an Post zu öffnen, zu sortieren
und Termine einzutragen“ (S13).
„Ich habe häufig ein schlechtes Gewissen, gerade wenn ich in die Ausschüsse gehe, müsste
ich mich eigentlich mit den vielen Vorlagen viel intensiver beschäftigen, denn es gibt immer
vieles, was wir abnicken und hoffen, dass es richtig ist“ (F2, ähnlich N16).
Neben den Schwierigkeiten der Ratsmitglieder, die notwendige Zeit für das Le-
sen der Unterlagen aufzubringen, fehlt ihren eigenen Aussagen nach auch die
Zeit, wichtige Themen auf die Agenda zu setzen, indem sie selbst Anträge stel-
len:
„Was ich gar nicht mehr mache, ist z.B. Anträge schreiben. Weil, wenn ich mich zu einem be-
stimmten Thema mit einem Antrag äußern möchte, dann muss ich das natürlich vorher recher-
chieren, man muss mit mehreren Leuten Gespräche führen, man muss mal ins Internet gehen,
man muss schauen, wie ist die Gesetzeslage und die momentane Stimmung, macht das Sinn,
das zu ändern – für diesen Aufwand fehlt mir die Zeit“ (F24).
gen eigentlich ein Zeitbudget von minimal zehn bis 15 Stunden pro Woche be-
nötigen würden. Aufgrund der ehrenamtlichen Ausübung des Mandats wendet
jedoch der Großteil der Ratsmitglieder bedeutend weniger Zeit für diese Tätig-
keiten auf. Dies führt nach Einschätzung der Mandatsträger dazu, dass sie ihre
Aufgaben als Ratsmitglieder – insbesondere die Kontrollfunktion, aber auch die
Initiativfunktion – aufgrund des fehlenden Zeitbudgets nicht zufrieden stellend
erfüllen können.
Im Vergleich zu den ‚normalen’ Ratsmitgliedern, haben die Fraktionsvor-
sitzenden für die Vorbereitung einen bedeutend höheren Zeitaufwand. Ihre Auf-
gabe ist es, die politische Richtung der Fraktion festzulegen und diese nach au-
ßen zu vertreten. „Man muss zu jeder politischen Frage aus dem Stegreif eine
Antwort geben können; das kann man ja nur, wenn man sich mit dem Thema
auch befasst hat“ (F23). Dies erfordert, dass die Fraktionsvorsitzenden einen
Überblick über alle Themen und Ausschüsse haben. Daher lesen die Fraktions-
vorsitzenden in der Regel alle Sitzungsunterlagen (vgl. S1, H22). Hinzu kommt,
dass sie die Arbeit der Fraktion koordinieren und ihr Kontakt zur Verwaltung
intensiver ist als bei den normalen Ratsmitgliedern. Daher sehen die Fraktions-
vorsitzenden beim Zeitaufwand für die Vorbereitung auch den größten Unter-
schied zwischen ‚normalen’ Ratsmitgliedern und den Fraktionsvorsitzenden.
4.1.2.2 Repräsentationsaufgaben
„Ich könnte jeden Tag irgendwo sein, beim Sportverein, beim sozialen Verein, eine Schule
oder eine KiTa besuchen, Hof halten und einen guten Tag sagen, aber das ist meiner Meinung
nach nicht das, was Ratsleute in einer Großstadt machen sollen und können“ (H18).
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 95
Zum anderen richten sich die Anzahl und die zeitliche Lage der Veranstaltungen
nach dem Zeitbudget der einzelnen Ratsmitglieder:
„Das ist in der Fraktion sehr ungleichmäßig verteilt; es gibt Leute, die pro Woche sechs und
mehr Termine haben, weil sie eben Zeit dafür haben, und andere, so wie ich, die versuchen,
aus Zeitgründen möglichst nirgends hinzugehen“ (F18).
dass die Selektionskriterien der Wähler dabei Persönlichkeit, Ansehen und Be-
kanntheit sind (vgl. Wehling 2003:30f.). Dies erklärt, warum die Ratsmitglieder
in den beiden süddeutschen Städten der Medienarbeit einen höheren Stellenwert
beimessen: Sie benötigen die Öffentlichkeit, um sich zu präsentieren und zu
profilieren und damit ihre Wiederwahlchancen zu erhöhen (vgl. auch 4.4.2;
6.1.1.2).
Insgesamt zeigt sich, dass der wöchentliche Zeitaufwand für die normalen
Ratsmitglieder bei durchschnittlich mindestens 25 bis 35 Stunden liegt59. Dabei
nimmt der Zeitaufwand für die Sitzungstätigkeiten in den vier Untersuchungs-
städten durchschnittlich 20 Stunden pro Woche ein. Der Aufwand ist in Stutt-
gart aufgrund der höheren Sitzungstätigkeit im Vergleich zu den anderen drei
Städten am höchsten, in Hannover ist er am niedrigsten. Des Weiteren wurde
festgestellt, dass die zeitliche Lage der Sitzungen in den vier Untersuchungs-
städten sehr unterschiedlich ist: Während in Frankfurt und Hannover die Sitzun-
gen in der Regel am Nachmittag oder Abend stattfinden, beginnen sie in Nürn-
berg und Stuttgart entweder am Morgen oder am frühen Nachmittag. Insofern
ist in diesen beiden Städten eine Vereinbarkeit von Beruf und Mandat schwerer
möglich als in Frankfurt und Hannover.
Bei den Mandatsnebentätigkeiten hingegen zeigt sich ein anderes Bild. Im
Gegensatz zu den Ratstätigkeiten im engeren Sinne gibt es hier keine gesetzlich
vorgeschriebene Anwesenheits- und Mitwirkungspflicht. Wie jedoch unter
2.3.2.1 erläutert, sind diese Mandatsnebentätigkeiten unter den heutigen Rah-
menbedingungen für die Mandatsausübung und zur Funktionserfüllung notwen-
dig. Durchschnittlich zeigen sich zwischen den vier Untersuchungsstädten – im
Gegensatz zu den Ratstätigkeiten im engeren Sinne – kaum Unterschiede im
Zeitaufwand. Allerdings variiert der Zeitaufwand für die Vorbereitung der Sit-
zungen und für Repräsentationsaufgaben bei den Ratsmitgliedern innerhalb der
Städte zu einem sehr hohen Grad. Die Analyse ergab, dass diese Differenzen im
Zeitaufwand durch eine unterschiedliche Prioritätensetzung der Ratsfunktionen
entstehen. Die Ratsmitglieder haben einen hohen Zeitaufwand und müssen da-
59 Neben diesen direkt mit der Ratstätigkeit verbundenen Aufgaben kommen bei allen Ratsmit-
gliedern die Parteiaktivitäten hinzu. So sind 36% der Ratsmitglieder gleichzeitig Vorsitzender
in ihrem Ortsverein, weitere 58% sind im Vorstand. Zusätzlich betreuen die Kommunalpoliti-
ker in ihren Stadtteilen die Bezirksräte, um die Themen in den Rat zu transportieren. Durch-
schnittlich geben die Ratsmitglieder dafür einen wöchentlichen Zeitaufwand von fünf Stunden
an.
4.1 Indikator I: Zeitaufwand und zeitliche Verteilung 97
60 Auf die Strategien, welche die Ratsmitglieder anwenden, um ihr Zeitbudget zu erhöhen, wird
in Kapitel 5.3.1 eingegangen.
98 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
Ronge 1993 den Zeitaufwand der Stadträte in Wuppertal (Ronge 1994). Insge-
samt stellte er fest, dass die Stadträte durchschnittlich rund 44 Stunden pro Wo-
che für die ehrenamtliche Politik aufbringen. Dabei zeigte sich, dass für die
Mandatsarbeit im engeren Sinne durchschnittlich 16,5 Stunden pro Woche auf-
gewendet wurden, während es für die so genannten Mandatsnebentätigkeiten
27,5 Stunden pro Woche waren. Eine Studie aus dem Jahr 1996 in Stuttgart
kommt zu ähnlichen Ergebnissen (Schwabe/Vöhringer 1998). Auch dort ergab
sich eine durchschnittliche wöchentliche Belastung von 42,3 Stunden pro Wo-
che. Für die Ratstätigkeit im engeren Sinne, also die Sitzungen, wenden die
Gemeinderäte durchschnittlich 27,7 Stunden pro Woche auf. Hinzu ergab sich
in der Studie für Mandatsnebentätigkeiten wie Bürgerkontakt und auswärtige
Repräsentationsaufgaben ein Zeitaufwand von 14,6 Stunden pro Woche.
Der in der vorliegenden Studie ermittelte Zeitaufwand ist somit geringer als
der in den beiden dargestellten Studien von Schwabe/Vöhringer (1998) und
Ronge (1994) erhobene. In diesen wurden jedoch im Gegensatz zur vorliegen-
den Studie die Anfahrtszeiten zu den Sitzungen ebenso mit eingerechnet wie die
Parteiarbeit. Zudem beruht die Analyse des Zeitaufwands in der vorliegenden
Studie auf Selbsteinschätzungen der Ratsmitglieder. Ronge (1994:280) fand in
seiner Studie über Wuppertal heraus, dass die Ratsmitglieder jedoch ihren Zeit-
aufwand selbst schwer einschätzen können und diesen unterschätzen.
„Es ist bemerkenswert, dass die kommunalen Parlamentarier den Zeitaufwand, den sie der
Politikarbeit widmen, unterschätzen. Die Selbsteinschätzungen liegen (in Wuppertal) etwa um
die Hälfte niedriger als die mittels der Zeitprotokolle erhobenen Werte. Erstens können dafür
unterschiedliche Abgrenzungen verantwortlich sein. Insbesondere die – insgesamt umfangrei-
chen – Zeiten für Information und Reflexion sowie die Wegezeiten werden von den Betroffe-
nen selbst nicht unbedingt der ‚eigentlichen’ Politikarbeit zugeschlagen, wie dies hier begrün-
det getan wurde. Zweitens könnte es sein, dass die Abgeordneten zumindest an einem Teil ih-
rer politischen ‚Arbeit’ so viel Freude haben, dass sie diese gar nicht als Arbeit empfinden“
(Ronge 1994:280).
Auch andere Studien haben auf die Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Zeit-
aufwands hingewiesen (vgl. Kommunalpolitische Blätter 1/1977, 1/1980; Simon
1988). Für die vorliegende Studie kann vermutet werden, dass es sich bei dem
ermittelten Zeitaufwand in den vier Untersuchungsstädten eher um einen zu
niedrigen Zeitaufwand handelt. Zusammenfassend wird festgestellt, dass der
Zeitaufwand, den Ratsmitglieder in deutschen Großstädten für ihre Ratstätigkeit
aufwenden, sehr hoch ist und zum Teil sogar die normale Arbeitszeit übersteigt
(vgl. 2.1.2.6; Köser 2000:162; Ronge 1994:268; Gau 1983:82; Fruth 1989:43;
N.N. 1976 und 1980).
Beim Vergleich des Zeitaufwands der ehrenamtlichen Stadträte mit jenem
der hauptamtlichen Landtags- und Bundestagsabgeordneten wird der hohe Zeit-
aufwand ebenfalls deutlich. So beträgt der wöchentliche Gesamtaufwand nach
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 99
Als zweiter Indikator für die Analyse des Professionalisierungsgrades und des
Professionalisierungsprozesses wurde das Einkommen der Ratsmitglieder durch
die Politik hergeleitet (vgl. 2.3.2.2). Dieser Indikator kann Aussagen darüber
machen, wie professionalisiert das Amt ist, und ob das Individuum zumindest
teilweise davon leben kann. Als monatliches Einkommen der Mandatsträger
werden die Aufwandsentschädigung, die Sitzungsgelder und das Einkommen
durch die Aufsichtsratsmandate zugrunde gelegt. Dazu werden die Entschädi-
gungen des Jahres 1984 mit denen des Jahres 2002 verglichen, um zu untersu-
chen, inwiefern sich das Einkommen erhöht hat. Dabei wird zum einen unter-
sucht, wie hoch das Einkommen ‚normaler’ Ratsmitglieder ist, zum anderen
werden aber auch die Rahmenbedingungen der Fraktionsvorsitzenden genauer
analysiert, um die unterschiedlichen Professionalisierungsgrade der Ämter zu
erfassen. Wie bei der Analyse des Professionalisierungsprozesses auf den höhe-
ren Ebenen erläutert wurde (vgl. 2.2.2.2), zeigte sich die Professionalisierung in
der Ausgestaltung des Einkommens nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern
auch qualitativ durch die Einführung eines ‚sozialen Netzes’ für die Abgeordne-
ten. Daher wird im Folgenden auch untersucht, ob es in den Untersuchungsstäd-
ten neben der reinen Aufwandsentschädigung Versorgungsleistungen mit rein
alimentativem Charakter gibt, wie beispielsweise eine Altersversorgung für die
Ratsmitglieder.
Im Folgenden werden die Regelungen in den Entschädigungsordnungen
kurz erläutert, bevor die Aufwandsentschädigungen in den vier Untersuchungs-
städten in einem Vergleich zwischen 1984 und 2002 analysiert werden. An-
schließend werden die Entschädigungen in den vier Untersuchungsstädten mit
jenen in den anderen deutschen Großstädten verglichen, um generelle Aussagen
über den Professionalisierungsprozess in deutschen Großstädten machen zu
können. Um Aussagen über den Grad der Professionalisierung treffen zu kön-
nen, werden die Aufwandsentschädigungen mit den Diäten der Parlamente auf
den höheren Ebenen verglichen; zusätzlich werden die Entschädigungen zur
100 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
4.2.1 Entschädigungsvorschriften
Wie bereits mehrfach erläutert, ist das Ratsmandat formal ein Ehrenamt. Die
Ratsmitglieder sollen jedoch durch die Ausübung des Mandats keine finanziel-
len Nachteile erfahren. Daher gibt es in den Kommunalverfassungsgesetzen al-
ler Bundesländer Entschädigungsvorschriften.61 Aufgrund der Gesetzgebungs-
kompetenz der Länder im Bereich des Kommunalrechts, die sich aus Art. 70 I
GG ergibt, beinhalten die Gemeindeordnungen der Bundesländer äußerst unter-
schiedliche Regelungsinstrumente im Bereich der Entschädigungen für Ratsmit-
glieder. In allen Gemeindeordnungen sind jedoch zwei grundsätzliche Regelun-
gen enthalten: Zum einen der Ersatz des entgangenen Verdienstes62 und zum
61 Siehe §19 BaWüGO, Art. 20a BayGO, §13 BrhvVerf i.V.m. §8 Ortsgesetz, §27 HesGO, §39
Vi NdsGO, §30 IV,V NRWGO, §18 V RhPfGO, §28 i.V.m. 51 KSVG, §24 SHGO)
62 In allen Kommunalverfassungen ist ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstes, der dem Man-
datsträger als Folge der Ausübung des Ehrenamtes entgeht, verankert. Daher müssen die
Kommunen entsprechend der gesetzlichen Konzeption den Ratsmitgliedern als Kompensati-
onsleistungen den Differenzbetrag zwischen dem Einkommen, das der Ersatzberechtigte ohne
die Wahrnehmung des Mandats erzielt, und den wegen der Teilnahme an Sitzungen verringer-
ten Einkünften zu erstatten. „Er wird so gestellt, wie er stehen würde, wenn er keine Einbuße
seiner Bezüge oder Gewinne als Folge seiner Ratstätigkeit erlitten hätte (Christner 1991:126).
Der Großteil der Entschädigungsvorschriften unterteilt die verdienstausfallberechtigten Man-
datsträger in selbständig und unselbständig Erwerbstätige. Bei abhängig Beschäftigten wird in
der Regel der Verdienstausfall direkt mit dem Arbeitgeber des Anspruchsberechtigten ver-
rechnet, einige Länder ermöglichen aber aus Gründen der Verwaltungsökonomie die pauscha-
le Abrechnung mit Hilfe eines Durchschnittssatzes bzw. eines Regelstundensatzes anstelle ei-
nes Einzelnachweises (u.a. §19 II BaWüGO; §27 I2 HsGO). Abweichend von dem Regelfall,
dass den Mandatsträgern stets der volle Umfang ihrer Verdiensteinbußen ersetzt werden soll,
finden sich in mehreren Gemeindeordnungen Vorschriften, die die Festlegung eines Höchstbe-
trages in einer Satzung erlauben (§19I 1 BaWüGO; §39 V 2 NdsGO) (vgl. Christner
1991:118ff.). Durch den Höchstbetrag erleiden die Ratsmitglieder, deren Einkommen pro
Stunde über dem Höchstsatz liegt, finanzielle Einbußen. Diese Höchstbeträge werden jedoch
als legitim angesehen, da es Mandatsträgern mit höherem Einkommen eher zuzumuten ist, fi-
nanzielle Einbußen hinzunehmen „als anderen Mitgliedern mit geringem Einkommen“, insbe-
sondere angesichts leerer Gemeindekassen (Kirchhof 1984:§22) Da bei Selbständigen der
Nachweis des Verdienstausfalls zu kompliziert wäre, erhalten diese pauschal einen Stunden-
satz. Neben dieser ‚Verdienstausfallentschädigung im engeren Sinne’, gibt es in sämtlichen
Bundesländern eine zweite Form des Verdienstausfallersatzes, den so genannten ‚Nachteils-
ausgleich’: Ratsmitglieder, die nicht erwerbstätig sind und stattdessen einen eigenen Haushalt
versorgen, haben einen Anspruch auf Zahlung eines bestimmten Stunden- bzw. Pauschalsatzes
(so genannte ‚Hausfrauenklausel’). Das Ziel dieses Anspruches ist die „Gleichstellung der
häuslichen Tätigkeit“ als gleichberechtigter Beitrag zum Familienhaushalt (Christner
1991:120).
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 101
anderen der Ersatz der mandatsbedingten Unkosten. Wie oben erläutert, interes-
siert im Rahmen der vorliegenden Studie insbesondere der Ersatz der mandats-
bedingten Unkosten, d.h. die Aufwandsentschädigungen. Diese werden in den
Entschädigungsregelungen für Mitglieder kommunaler Vertretungskörperschaf-
ten geregelt. Der Mandatsträger soll dadurch Ersatz für die Aufwendungen, die
ihm durch seine ehrenamtliche Tätigkeit entstehen, erhalten. So hat das Bundes-
verfassungsgericht definiert, dass der Aufwand dabei „sämtliche tatsächlichen
finanziellen Mehraufwendungen in der Lebensführung des Mandatsträgers, die
durch die ehrenamtliche Tätigkeit zusätzlich veranlasst werden“ (BVerfGE 40,
296 (318), umfasst. Diese müssen sachlich angemessen und begründet sowie
durch das Ehrenamt verursacht worden sein (vgl. BVerfGE 49, 1 (2)). Diese
Aufwandsentschädigung soll die Wahrnehmung für alle Personengruppen zu-
mutbar machen, aber sie sollen dadurch nicht entlohnt werden. Daher dürfen
Gemeinderatsmitglieder nur für den Aufwand entschädigt werden, der ihnen
durch die Tätigkeit entsteht (vgl. Wehling 1998:31; Ronge 1994:267). Aller-
dings geht es bei der folgenden Analyse des Einkommens durch die Politik und
den Grad der Professionalisierung gerade nicht um das Modell, die normative
Grundlage der Entschädigungsregelungen, sondern um den konkreten Umfang
der materiellen Entschädigung in den deutschen Großstädten.
„Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass sich auch in den größeren Kommunen im Verlaufe
der Jahre eine vergleichbare Entwicklung vollzogen hat wie bei den Abgeordneten, und zwar,
dass die Entschädigung der Ratsmitglieder dort mittlerweile längst de facto den Rahmen einer
bloßen Aufwandsentschädigung gesprengt und die Dimension einer teilweisen Alimentation
angenommen hat“ (Heuvels 1986:82).
63 Gemäß §39 VI NGO kann die Aufwandsentschädigung entweder ausschließlich als Monats-
beitrag, als Monatsbeitrag und zusätzlich als Sitzungsgelder oder ausschließlich als Sitzungs-
gelder gewährt werden.
102 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
64 Alle Angaben laut Satzung über die Entschädigung der Ratsfrauen, Ratsherren, Stadtbezirks-
ratsmitglieder, der nicht dem Rat angehörenden Ausschussmitglieder und der ehrenamtlich Tä-
tigen der Landeshauptstadt Hannover vom 21. März 2002.
65 Des Weiteren haben die Ratsherren und -frauen gemäß §39 V NGO Anspruch auf Ersatz des
Verdienstausfalls für Sitzungen des Rates, der Ausschüsse, Sitzungen sonstiger Gremien, Sit-
zungen der Fraktionen bzw. Gruppen, Sitzungen und Veranstaltungen von Organisationen und
Einrichtungen, zu denen sie von der Landeshauptstadt Hannover entsandt werden. Dieser Ver-
dienstausfall wird gewährt, wenn der Arbeitgeber das Ratsmitglied für die Sitzungen freige-
stellt hat. Selbständige erhalten einen Verdienstausfall während ihrer regelmäßigen Arbeitszeit
von 33,50 Euro/Stunde; höchstens jedoch acht Stunden pro Tag. Der Gesamtbetrag, der an
Verdienstausfallentschädigung gezahlt wird, darf bei den Ratsfrauen und -herren 1.994 Euro
monatlich nicht übersteigen.
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 103
Die Stadträte in Nürnberg erhalten im Jahr 2002 sogar eine monatliche Auf-
wandsentschädigung in Höhe von 1.475 Euro. Damit haben die Nürnberger
Stadträte im Vergleich zu den Ratsherren und -frauen in Hannover die dreifache
Entschädigung, im Vergleich zu den Stadtverordneten in Frankfurt eine fast um
zwei Drittel höhere Entschädigung. Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden
erhalten 2.212 Euro und die Fraktionsvorsitzenden 2.948 Euro. Dieser Betrag ist
ebenso wie in Frankfurt und Hannover als Pauschalbetrag zu verstehen, da die
Stadträte keinen Anspruch auf zusätzliche Sitzungsgelder haben. Die Stadträte
in Bayern haben gemäß Art. 20a I GO BAY Anspruch auf Entschädigung. Über
die konkrete Ausgestaltung und Höhe der Entschädigung können die Gemein-
den im Rahmen ihres ortsgesetzgeberischen Ermessens entscheiden und haben
damit einen großen Gestaltungsspielraum. Vorgaben werden vom Landesge-
setzgeber nur dahingehend gemacht, dass die Entschädigung ‚angemessen’ sein
muss. Danach soll die Entschädigung wegen der passiven Wahlgleichheit den
materiellen Aufwand ersetzen, aber nicht eine Höhe erreichen, die die Entschä-
digung als ein Entgelt erscheinen lässt. Die Aufwandsentschädigung stieg in den
Jahren zwischen 1984 und 2002 um 18,5% von 1.245 Euro auf 1.475 Euro. Bei
den Fraktionsvorsitzenden ist die Steigerungsrate ebenso hoch: Hier stieg die
Aufwandsentschädigung von 2.490 Euro auf 2.948 Euro pro Monat. Die Ent-
104 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
66 Dabei wird bei abhängig Beschäftigtem der vom Arbeitgeber eingereichte tatsächliche Ver-
dienstausfall bezahlt. Selbständige ehrenamtliche Stadträte erhalten einen Verdienstausfall von
20,45 Euro/Stunde. Die selbständigen Ratsmitglieder gaben dabei in den Interviews an, dass
sie pro Monat ca. 300 bis 400 Euro an Verdienstausfallentschädigung erhalten. Ehrenamtliche
Stadträte, die keine Ersatzansprüche haben, denen aber im beruflichen oder häuslichen Bereich
ein Nachteil entsteht, der nur durch das Nachholen versäumter Arbeit oder durch die Inan-
spruchnahme einer Hilfskraft ausgeglichen werden kann, erhalten ebenfalls eine Entschädi-
gung. Diese Entschädigung beträgt 12,78 Euro/Stunde (vgl. §2 (2) und (3) EStRES). Dabei
werden als Zeitaufwand für die Berechnung des Verdienstausfalls nach §2 (4) die Dauer der
Sitzungen des Stadtrats, seiner Ausschüsse und Kommissionen zuzüglich einer Stunde Weg-
zeit anerkannt, wobei ein Höchstsatz von zehn Stunden pro Tag festgesetzt ist.
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 105
70 Diese Angabe zum Sitzungsgeld des Jahres 1991 beinhaltet auch die erhöhten Sitzungsgelder.
Da hierzu von der Verwaltung Stuttgart keine weiteren Details genannt werden konnten, wird
dieser Wert mit dem Äquivalent aus dem Jahr 2002 verglichen.
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 107
71 Schriftliche Antwort auf Anfrage von Herrn Berger, Amtsleiter Haupt- und Personalamt Stutt-
gart, vom 20.Januar 2004.
108 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
gen in den bayerischen Städten München und Nürnberg und in der baden-
württembergischen Stadt Stuttgart besonders hoch sind.
72 Die Steigerungsrate bezieht sich lediglich auf jene zehn Großstädte, für die Daten aus dem
Jahr 1984 vorliegen.
4.2 Indikator II: Entschädigungen der Ratsmitglieder 109
Als dritter Indikator für den Grad und den Prozess der Professionalisierung wer-
den im Folgenden die Aufwendungen für das Kommunalparlament analysiert.
Wie in 2.3.2.3 erläutert, kann dieser Indikator in erster Linie Aussagen zur Pro-
fessionalisierung der Institution machen. Dem Professionalisierungsdruck, der
durch das hohe Arbeitsaufkommen und dem einhergehenden hohen Zeitauf-
wand entsteht, wird durch eine bessere Ressourcenausstattung entgegnet, da die
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 111
4.3.1.1 Fraktionszuwendungen
74 In allen Städten haben die Fraktionen Anspruch auf Büroräume. In manchen Städten allerdings
können diese Räume im Rathaus zur Verfügung gestellt werden, so dass keine Mietkosten an-
fallen; in anderen Städten wiederum müssen Räume angemietet werden. Da es sich dabei teil-
weise um hohe Summen handelt, würde die Einberechnung der Mietkosten zu einer unnötigen
Verzerrung der Daten führen.
75 Zusätzlich erhalten die Fraktionen pro neu einzurichtenden Arbeitsplatz einmalig einen Sach-
kostenzuschuss von 7.150 Euro.
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 113
Im Vergleich zum Jahr 1984 ist in Hannover – ebenso wie bei der Entwicklung
der Aufwandsentschädigung – im Jahr 2002 ein niedriger Professionalisierungs-
grad zu konstatieren. So erhielten die Fraktionen 1984 inflationsbereinigt durch-
schnittlich 22.700 Euro pro Fraktionsmitglied, während sie, wie erläutert, im
Jahr 2002 durchschnittlich 17.846 Euro erhalten. Dies entspricht einem Rück-
gang von etwas mehr als 20%. Die Abnahme erklärt sich zum einen dadurch,
dass der Gesamtbetrag seit 1996 – mit Ausnahme der Anpassung der Personal-
kosten an die Tariferhöhungen im Öffentlichen Dienst – nicht mehr erhöht und
damit auch nicht an die Inflation angepasst wurde. Im Rahmen der Haushalts-
konsolidierung haben sich die Fraktionen zusätzlich darauf verständigt, die
Fraktionskostenzuschüsse im Jahr 2002 um 5% abzusenken, um ihre eigene
Einsparungsbereitschaft öffentlich zu dokumentieren (vgl. H27). Dies führt da-
zu, dass die Fraktionen mit weniger Mitteln auskommen müssen: So wurden
beispielsweise die jährlichen Zuwendungen für die SPD-Fraktion um 20.000
Euro reduziert (vgl. H4).
Im Jahr 2002 bekommen die Fraktionen in Frankfurt insgesamt 2.813.941
Euro an Fraktionszuwendungen, die aufgeteilt sind in Personal- und Sachkosten.
Die konkrete Höhe für die einzelnen Fraktionen wird dabei aus einem Grundbe-
trag und einem Kopfbetrag für jedes Fraktionsmitglied errechnet76. Demnach
erhält die CDU-Fraktion (36 Mitglieder) jährlich 939.008 Euro, die SPD-
Fraktion (28 Mitglieder) 756.927 Euro und Die Grünen im Römer 413.799 Eu-
ro77. Pro Stadtverordnetem ergibt sich dadurch eine jährliche Zuwendung für die
Fraktionen von 30.814 Euro und damit über 70% mehr pro Mitglied als für die
Fraktionen in Hannover. Gesetzliche Grundlage für die Fraktionszuwendungen
ist in Frankfurt die Hessische Gemeindeordnung, die in §36a (4) regelt, dass die
„Gemeinde (…) den Fraktionen Mittel aus ihrem Haushalt zu den sachlichen
und personellen Aufwendungen für die Geschäftsführung gewähren“ kann. Über
die Verwendung der Zuwendungen können die Fraktionen im Gegensatz zu je-
nen in Hannover frei entscheiden.
Im Vergleich zum Jahr 1984, in dem die Fraktionen pro Mitglied 16.320
Euro erhielten, ist dies eine Steigerung um 89%. Ein Teil dieser sehr großen
Steigerung des Budgets kann mit den Folgen der Aufhebung der 5%-Hürde für
Kommunalwahlen in Hessen im Jahr 2001 erklärt werden. Waren vor den Wah-
76 Die Mittel gliedern sich in einen jährlichen Grundbetrag für den Geschäftsbetrieb, der nach der
Fraktionsgröße gestaffelt ist (bei einem Sitz: 33.233,97 Euro, bei zwei Sitzen: 43.459,81 Euro;
bei drei: 46.016,27 Euro, zwischen vier und zwölf Sitzen: 51.129,19 Euro, ab 13 Mitgliedern:
63.911,49 Euro). Hinzu kommt ein Kopfbetrag von jährlich 4.601,63 Euro. Für das Personal
erhalten die Fraktionen pro Mitglied jährlich 11.831,29 Euro.
77 Die FDP-Fraktion erhält 166.861 Euro, die FAG 116.861 Euro, Die Republikaner 135.536
Euro, die PDS 94.134 Euro, BFF 67.475 Euro, ÖkoLinX-ARL 62.874 Euro, E.L. 49.667, fwf
4.551 und Die Farbechten, Die Rödelheimer und Wir Bergen-Erkheimer jeweils 2.275 Euro.
114 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
78 Für den Anteil der Personalkosten wird ein 13. Monatseinkommen zur Bereitstellung der
Weihnachtszuwendungen gewährt. Alle Informationen auf Anfrage von Herrn Schneider, Fi-
nanzreferat Stadt Nürnberg, E-Mail vom 22.08.2002.
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 115
Einzelmitglieder des Gemeinderats’ vom 9. Mai 1996.79 Gemäß §1 (1) der Sat-
zung haben danach die Fraktionen
„Anspruch auf die Bereitstellung von Räumen, Sach- und Dienstleistungen sowie von Bud-
getmitteln zur Finanzierung ihres notwendigen sächlichen und personellen Aufwands für die
Erfüllung ihrer teilorganschaftlichen Aufgaben im Gemeinderat“.
Die Budgetmittel für die Fraktionen setzen sich gemäß dieser Satzung aus zwei
Einzelposten zusammen: Die Fraktionen erhalten zum einen Mittel für die Be-
schäftigung von Assistenzpersonal (§2 (2a)). Der Budgetanteil setzt sich dabei
aus einem Sockelbetrag von 7.669 Euro pro Fraktion und einem Kopfbetrag von
10.226 Euro pro Mitglied zusammen (§2 (3)). Zum anderen erhalten sie Mittel
für Entschädigungszahlungen an die Mitglieder der Fraktion im Auftrag der
Stadt, für die sonstigen sächlichen Aufwendungen und die Beschäftigung von
Büropersonal (§2 (2b)). Hierbei betragen der Sockelbetrag 31.189 Euro pro
Fraktion und der Kopfbetrag 2.586 Euro (§2 (4)). Insgesamt setzt sich das Bud-
get für die Fraktionen somit aus einem Sockelbetrag in Höhe von 38.858 Euro
pro Fraktion und einem Kopfbetrag pro Mitglied in Höhe von 12.812 Euro zu-
sammen.80 Dementsprechend erhält die CDU ca. 359.000 Euro pro Jahr, die SPD
ca. 231.000, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhalten 141.400 Euro, Freie Wähler
und FDP mit jeweils vier Fraktionsmitgliedern erhalten je 90.100 Euro. Insge-
samt gesehen, bekommen die kleinen Fraktionen ebenso wie in den anderen
Untersuchungsstädten aufgrund der hohen Sockelbeträge einen höheren Betrag
pro Fraktionsmitglied als die großen Fraktionen.81 In Stuttgart können die Frak-
tionen ebenso wie in Frankfurt und Nürnberg frei über die Verwendung ihres
Budgets entscheiden. Dadurch ergeben sich in den einzelnen Fraktionen unter-
schiedliche Verwendungen der Fraktionsmittel.
„Wir haben ein Gesamtbudget, (...) und können das Gesamtbudget dann auch eigenständig
verwalten, und wir können zwischen Personal- und Sachkosten quasi frei hin und her spielen,
von der Seite her sind wir da flexibel. (...) Wir sind da aber an keinen Stellenplan gebunden.
Wenn wir jetzt morgen sagen, wir stocken die 3,8 Stellen auf vier auf, dann können wir das,
ohne vorher einen Antrag auf Änderung des Stellenplans zu stellen. Dann haben wir eben
weniger Geld für Sachmittel zur Verfügung“ (S1).
Nachdem die Höhe und die Entwicklung der Fraktionszuwendungen in den vier
Untersuchungsstädten analysiert wurden, wird im Folgenden untersucht, welche
Auswirkungen dies auf die personelle Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen
hat.
In Hannover sind die Fraktionen personell relativ gut ausgestattet: So ha-
ben die beiden großen Fraktionen SPD und CDU jeweils sieben Personen be-
schäftigt, die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat vier Mitarbeiter
und die FDP-Fraktion zwei Mitarbeiter. Wie erläutert, können die Ratsfraktio-
nen in Hannover jedoch nicht frei darüber entscheiden, wie sie die Fraktionsge-
schäftsstellen personell besetzen. Sie müssen sich dabei vielmehr an dem in der
Drucksache 1153/96 beschlossenen Stellenplan orientieren, von dem sie ledig-
lich im Einzelfall abweichen können. Dieser Stellenplan orientiert sich weitge-
hend an den 1992 erarbeiteten Empfehlungen einer unabhängigen Kommission
zur Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen. Die Expertenkommission kalku-
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 117
lierte den Stellenplan so, dass er ihrer Meinung nach den Anforderungen an eine
Fraktionsgeschäftsstelle in einer Großstadt gerecht werden kann. Gemäß der
Kommission soll mit dieser personellen Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstel-
len eine sinnvolle Unterstützung der jeweiligen Fraktionen und der ehrenamtli-
chen Ratsmitglieder bei ihrer Arbeit erreicht werden. Im Stellenplan82 wird den
Ratsfraktionen aufgrund ihrer Größe dabei zum einen eine unterschiedlich große
Anzahl an Mitarbeitern zugesprochen, zum anderen findet hierbei eine Diffe-
renzierung nach Vergütungsgruppen und somit nach der Qualifizierung der Mit-
arbeiter statt.83 Wie der Stellenplan ebenfalls zeigt, steigt die personelle Ausstat-
tung nicht proportional zur Fraktionsgröße an. Stattdessen gibt es Schwellen, an
denen die personelle Ausstattung zu der nächsten Kategorie ‚springt’ (vgl. Stel-
lenplan). So erhält beispielsweise eine Fraktion mit vier Mitgliedern mit einer
Verwaltungskraft und einem wissenschaftlichen Mitarbeiter lediglich die Hälfte
an Personal zugesprochen wie eine Fraktion mit fünf Mitgliedern (zwei Verwal-
83 Die Mitarbeiter sind in der Regel Angestellte der Verwaltung und werden an die Fraktionen
nur abgeordnet. Bei den großen Fraktionen sind die Mitarbeiter in der Regel zwischen fünf
und sieben Jahren in der Fraktionsgeschäftsstelle. Der Austausch mit der Stadtverwaltung wird
dabei von der Fraktionsführung als positiv betrachtet, da sie die Grundkenntnisse der Verwal-
tungstätigkeit mitbringen (z.B. „Was ist ein Einzelplan“). Allerdings werden von den Ratsmit-
gliedern in dieser Verwaltungsnähe auch Nachteile gesehen: „Wir nennen unsere Fraktionsge-
schäftsstelle unsere Verwaltung; so bekomme ich häufig von der Mitarbeitern Vorlagen und
wenn ich mir die dann anschaue, dann ist da nichts o.k. Aber die sehen das auch wieder aus
einer anderen Sicht; die sind ein Teil der Verwaltung, die lesen das dann schon so; das kommt
aus dem Amt, da kenne ich ja noch den und den; das ist schon in Ordnung. Wir haben aber
nicht diesen Verwaltungsblick; aber alle Mitarbeiter hier haben den eben. Und wir betrachten
das dann mehr aus einem politischen Blickwinkel“ (H19). In weitaus geringerem Maße wer-
den auch sog. ‚Freie’ mit akademischer Ausbildung direkt eingestellt; allerdings sind dies aus
Kostengründen weniger.
118 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
Die personelle Ausstattung der Fraktionen hat Einfluss auf die Art und Weise,
wie die Arbeit in den Fraktionsgeschäftsstellen organisiert ist, und vor allem in
welchem Umfang und in welcher Art die Mandatsträger unterstützt werden
können. Alle vier im Rat vertretenen Fraktionen haben ihre Fraktionsgeschäfte
so organisiert, dass sie einen Geschäftsführer haben, der vor allem für den tech-
nisch-organisatorischen Ablauf der Fraktionsarbeit zuständig ist, aber auch in-
haltlich und organisatorisch mitarbeitet. Die inhaltliche Arbeit im Rahmen der
Fraktionsgeschäftsstellen ist in Hannover in den großen Fraktionen nach dem
Arbeitsgruppenprinzip gegliedert, und damit sind die „Arbeitsstrukturen (...)
sehr ähnlich mit denen von Landtagspolitikern“ (H23). Die Assistenten sind für
die Vorbereitung, Koordination und Zusammenarbeit in bestimmten Ausschuss-
bereichen zuständig, bei den großen Fraktionen sind dies in der Regel pro Assis-
tent zwei bis drei Ausschüsse. Die Mitarbeiter werden dabei aufgrund des „ent-
sprechenden Know-hows, der Qualifikation und des Interesses“ (H27) den ein-
zelnen Ausschüssen zugeordnet.84 Bei den einzelnen Fachausschüssen sind die
Assistenten dann zuständig für die organisatorische und inhaltliche Vorberei-
tung der Sitzungen.
„Wir haben bei unseren Arbeitskreissitzungen immer unsere Mitarbeiterin dabei, die uns be-
treut, die dann da Protokoll schreibt, die uns inhaltlich zuarbeitet. Die machen alles Organisa-
torische. Bei uns läuft auch sehr viel inhaltliche Abstimmung über die Geschäftsstelle. Allei-
ne, ohne Unterstützung wäre dies für uns Ehrenamtliche gar nicht zu schaffen“ (H23).
84 Am Beispiel der SPD werden das Arbeitsgruppenprinzip und die Zuständigkeiten der Frakti-
onsmitarbeiter erläutert: So hat die SPD-Fraktion eine Geschäftsführerin, die für die Büroor-
ganisation zuständig ist und die Fachausschüsse Personal, Finanzen und Städtische Beteili-
gungen betreut; daneben hat die SPD-Fraktion drei Fraktionsassistenten: Einer betreut die
Ausschüsse und Arbeitsgruppe Bau und Grün, einer betreut die Themenbereiche Soziales,
Ausschuss für Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Liegenschaftsangelegenheiten, Krankenhäuser,
Gleichstellung und Frauen und einer Jugend, Schule, Kultur, Sport. Ein weiterer Fraktionsas-
sistent ist für Bezirksräte und die Finanzen zuständig. Eine Verwaltungskraft kümmert sich um
die allgemeine Büroarbeit und die Zusammenarbeit mit der Verwaltung. Zusätzlich stellt diese
Verwaltungskraft Material für bestimmte Fachthemen zusammen.
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 119
Ein Ratsherr hingegen gibt an, dass er die Unterstützung der Fraktionsmitarbei-
ter kaum in Anspruch nimmt: „Ich habe die eigentlich gar nicht im Kopf, dass
die mir das machen können; meist mache ich das alles selbst“ (H35). Die Zuar-
beit durch die Fraktionsmitarbeiter ist dabei insbesondere bei jenen Ratsmitglie-
dern stark ausgeprägt, die weitere Funktionen im Rat und in der Fraktion aus-
üben, wie beispielsweise als Sprecher bzw. Vorsitzender eines Ausschusses oder
als Fraktionsvorsitzender.
Personell sind die Fraktionen in Frankfurt noch besser ausgestattet als in
Hannover.85 So hat beispielsweise die CDU-Fraktion mit ihren 36 Mitgliedern
zwölf Fraktionsmitarbeiter beschäftigt. „Wir haben zwölf Mitarbeiter mit allen
Sekretärinnen und Hilfskräften. Das ist ja schon ein kleines Amt“ (F23). Die
SPD-Fraktion (28 Mitglieder) beschäftigt acht Fraktionsmitarbeiter und die
Grünen-Fraktion mit ihren 13 Fraktionsmitgliedern fünf Mitarbeiter.86 Ver-
gleichbar mit der Situation in Hannover, betreut jeder Fraktionsassistent87 je-
weils zwei bis drei Ausschüsse, denen er gezielt inhaltlich zuarbeitet: Von der
Recherche über das Vorbereiten von Ausschuss- und Arbeitskreissitzungen bis
zum Schreiben von Reden für Fraktionsmitglieder. So erläutert ein Stadtverord-
neter:
„Das ist auch ungefähr die Anzahl an Personen, die man braucht, wenn eine Geschäftsstelle
eine Fraktion wirklich unterstützen will, wenn sie viele Dinge recherchieren und vorbereiten
soll, das fängt ja alleine schon bei der Auswertung der Zeitungen an, die Abwicklung des
Schriftverkehrs, die Vorbereitung von Ausschusssitzungen, und auch das ganze Archiv; die
nehmen Kontakt mit den Ämtern auf, klären meine Fragen und Probleme ab. Wenn ich z.B.
im Stadtparlament eine Rede halten muss zu einem Thema, in dem ich mich nicht so gut aus-
kenne, dann gehe ich zu dem Assistenten und der sucht mir dann die Daten und Fakten heraus
und arbeitet die wichtigsten Fakten argumentativ auf“ (F17; vgl. auch F24, F18).
Die Zuarbeit geht beispielsweise bei der Fraktion der Grünen sogar so weit, dass
die Fraktionsassistenten „auch Votierungsvorschläge machen“ (F2, F8).
Bezüglich der Fraktionsgeschäftsführer gibt es in Frankfurt eine Besonder-
heit: In fast allen Fraktionen sind die Fraktionsgeschäftsführer gleichzeitig
Stadtverordnete. Dabei üben diese parlamentarischen Fraktionsgeschäftsführer
in den Fraktionen zugleich hohe Funktionen aus: So sind in den beiden großen
Fraktionen CDU und SPD die parlamentarischen Geschäftsführer auch stellver-
tretende Fraktionsvorsitzende, bei den Grünen und der FAG ist der Fraktions-
vorsitzende gleichzeitig Geschäftsführer. Insofern ist hier die Grenze zwischen
Mandatsausübung und Fraktionsmitarbeitern aufgeweicht, da diese Stadtverord-
neten bei der Fraktion angestellt sind. Diese Konstellation kann als informelle
Herstellung eines bezahlten Berufspolitikers interpretiert werden. Diese Doppel-
funktionen gibt es in den Fraktionen bereits seit mehr als 20 Jahren (vgl. F17,
F18). Hauptaufgaben der Fraktionsgeschäftsführer sind in Frankfurt – ebenso
wie in Hannover – die Organisation, Koordination und Leitung der Fraktionsge-
schäftsstelle. In Frankfurt wird jedoch insbesondere die politische Funktion der
Fraktionsgeschäftsführer hervorgehoben:
„Hauptaufgabe der Fraktionsgeschäftsführer ist es, Mehrheiten zu finden; und das ist noch
wichtiger seit die Mehrheitsverhältnisse nun so außerordentlich schwierig sind. Da sind viele
Gespräche und Verhandlungen notwendig“ (F3).
Darin wird auch der Vorteil dieser Doppelfunktion gesehen, da die Fraktionsge-
schäftsführer aufgrund ihres Mandats einen besseren Einblick in die Ratstätig-
keit haben.
„Der Vorteil liegt darin, dass die Verbindung zwischen Fraktionsgeschäftsstelle und Fraktion
eine engere ist. Die Mitarbeiter sind natürlich auch nah dran, nehmen aber nicht an den Ab-
stimmungsprozessen teil und sie nehmen auch nicht an den ‚oberen’ Beratungen teil und sie
nehmen auch nicht an den Beratungen mit den anderen Fraktionen teil. Und auch das Zuarbei-
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 121
ten für den Fraktionsvorsitzenden ist leichter, wir sitzen ja nebeneinander, wir haben eine enge
Verzahnung“ (F18).
Der Betrag, der der Grünen-Fraktion zusteht, reicht jedoch nicht einmal für die
Finanzierung dieser Stelle aus. Daher gibt die Fraktionsvorsitzende einen Groß-
teil ihrer Aufwandsentschädigung für die Fraktionsgeschäftsstelle ab.
122 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
„Ich gebe 70% für die Finanzierung der Fraktionsgeschäftsstelle ab. Ich komme damit im
Endeffekt auf eine Aufwandsentschädigung, die nicht wesentlich über der der anderen Mit-
glieder liegt“ (N28).
Ratsmitglieder, die bereits damals im Rat vertreten waren, dass es 1984 noch
keine Fraktionsgeschäftsstelle gab, sondern lediglich eine Schreibkraft pro Frak-
tion. Damals wurde auch die Koordination und Organisation von den Stadträten
übernommen.
Nach der Analyse der personellen Ausstattung wird im Folgenden die techni-
sche Ausstattung der Fraktionen in den vier Untersuchungsstädten untersucht.
Wie in 2.3.2.3 erläutert, führt eine gute technische Ausstattung der Fraktionen
und Ratsmitglieder – insbesondere im Bereich der Informations- und Kommu-
nikationssysteme – zu einer Verbesserung der Zugänglichkeit zu Informationen
ebenso wie zu einer Erleichterung der Informationsverarbeitung. Bei ehrenamt-
lichen Mandatsträgern hat dies eine noch höhere Bedeutung, da die Ratsmitglie-
der ihr Mandat nebenberuflich ausüben und daher während der üblichen Öff-
nungszeiten der Stadtverwaltung in der Regel ihren Beruf ausüben. Durch die
Informationssysteme können sie jedoch zu jeder Zeit und von jedem Ort auf
Verwaltungsvorlagen und weitere Dokumente zugreifen. Die Analyse ergab
auch hinsichtlich der technischen Ausstattung große Unterschiede zwischen den
Untersuchungsstädten.
So steht den Ratsfrauen und -herren in Hannover das Ratsinformationssys-
tem ‚CUPARLA’ zur Verfügung. In diesem System sind Vorlagen, Anträge und
weitere Informationen in Form eines elektronischen Archivs enthalten, auf die
die Ratsmitglieder jederzeit zugreifen können (vgl. H35, H33, H23, H7, H18).
Durch diese technische Ausstattung konnte in Hannover zudem eine Arbeitsent-
lastung der Fraktionsgeschäftsstelle erreicht werden, da sich die Ratsmitglieder
nun selbst ihre Vorlagen ausdrucken können, und dies nicht mehr von der Frak-
tionsgeschäftsstelle erledigt werden muss. Diese Arbeitsentlastung der Frakti-
onsgeschäftsstelle ermöglicht es den Fraktionsmitarbeitern nun, den Mandats-
trägern in anderen Bereichen noch stärker zuzuarbeiten oder zusätzliche Res-
sourcen für Sachkosten zu haben: „In der Geschäftsstelle haben wir eine ganze
Kraft gestrichen dadurch, dass man keine Papiere mehr ausdrucken muss etc.;
jetzt haben wir mehr Geld für Sachkosten“ (H35).
Die Frankfurter Stadtverordneten haben ebenfalls ein elektronisches Rats-
system. Neben dem für alle Bürger einsehbaren Archiv, in dem Vorlagen und
Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung und der Ausschüsse recherchiert
werden können, haben die Stadtverordneten seit dem Jahr 2002 einen Zugangs-
code, mit dem sie auch die nicht-öffentlichen Vorlagen einsehen können. Zu-
sätzlich wird seit dem Untersuchungsjahr 2002 ein Intranet für die Stadtverord-
4.3 Indikator III: Aufwendungen für das Kommunalparlament 125
88 Für die Einführung des neuen Systems KORVIS fielen in den Jahren 2002 und 2003 folgende
Kosten an: Die Kosten für die Entwicklung betrugen 477.000 Euro, für die Qualifizierung der
Anwender 45.000 Euro, für Personalkosten 275.000 Euro und für die wissenschaftliche Unter-
stützung 48.000 Euro. Die Kosten für das Untersuchungsjahr 2002 betrugen 335.000 Euro.
Diese Kosten wurden nicht in die Kosten für das Parlament pro Ratsmitglied eingerechnet, da
der Anwenderkreis sich nicht nur auf die Stadträte beschränkt, sondern auch für Amtsleiter
und weitere Angestellte der Verwaltung konzipiert ist. Zudem handelt es sich dabei um Kos-
ten, die lediglich in diesen beiden Jahren anfallen. Um daher die Aussagekraft des Indikators
nicht zu verfälschen, wurden die Kosten für die Einführung des Systems nicht eingerechnet
(Kosten sind dem Haushalt 2002 und 2003 entnommen).
126 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
Verfügung. Dadurch haben sie jederzeit Zugriff auf die Sitzungsunterlagen. Die
Ratsmitglieder empfinden dieses ‚mobile Büro’ als „echte Arbeitserleichterung“
(S13; vgl. S6), das sie auch von der Fraktionsgeschäftsstelle und insbesondere
von der Verwaltung unabhängiger macht.
„Denn wenn ich hier normal arbeite, dann ist in der Verwaltung und in der Fraktionsge-
schäftsstelle um 17.00 Uhr, wenn ich fertig bin, zu. Und auch am Wochenende war ich abge-
hängt; und jetzt kann ich mich an den Rechner setzen und kann Mails checken, recherchieren,
kann die Anträge schreiben etc. und das ist wirklich eine echte Unterstützung“ (S16).
gart werden die Ratsmitglieder von den Fraktionsmitarbeitern aufgrund der fest-
gestellten geringeren personellen Ausstattung lediglich in organisatorischen
Dingen unterstützt. Im Gegensatz dazu haben die Fraktionen in Frankfurt und
Hannover relativ große Fraktionsgeschäftsstellen, so dass die Mitarbeiter den
Ratsmitgliedern nicht nur organisatorisch, sondern vor allem inhaltlich zuarbei-
ten können.
Aufwendungen 1984
Aufwendungen 2002 Veränderung
- inflationsbereinigt -89
Dortmund 14.510 Euro 13.482 Euro + 7,6 %
Dresden 7.314 Euro
Düsseldorf 22.212 Euro 9.935 Euro + 123,6 %
Duisburg 11.638 Euro 8.515 Euro + 36,7%
Essen 10.180 Euro
Frankfurt 30.814 Euro 16.320 Euro + 88,8%
Hannover 17.846 Euro 22.706 Euro - 21,4%
Köln 30.500 Euro
Leipzig 14.190 Euro
München 15.999 Euro 12.081 Euro + 32,4%
Nürnberg 6.029 Euro 4.975 Euro + 21,2%
Stuttgart 17.637 Euro 5.685 Euro + 210,2%
Durchschnitt
16.572 Euro 11.712 Euro + 45,9%90
Städte
Hamburg 31.153 Euro91
92
Bundestag 90.465 Euro 80.696 Euro + 35,0%
89 Die Höhe der Aufwendungen für die Fraktionsarbeit im Jahr 1984 in Essen und Köln konnte
von den beiden Stadtverwaltungen nicht mitgeteilt werden, da sie dort nicht über solch einen
langen Zeitraum archiviert werden.
90 Die Steigerungsrate bezieht sich lediglich auf jene Großstädte, für die Daten aus dem Jahr
1984 vorliegen.
91 Zusätzlich erhalten die Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft pro Jahr 18.200 Euro für
persönliche Mitarbeiter, die Bundestagsabgeordneten erhalten jährlich 87.205 Euro.
92 Die Daten für den Bundestag beziehen sich auf das Jahr 1998.
128 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
Nach der Analyse der drei Indikatoren für die Professionalisierung, wird nun im
Folgenden für jede der vier Untersuchungsstädte zusammengefasst, wie hoch
der Professionalisierungsgrad von Amt und Institution ist, und ob im Vergleich
zwischen 1984 und 2002 ein Professionalisierungsprozess stattgefunden hat. Als
Indikatoren für die Professionalisierung des politischen Amtes wurden das di-
rekt aus diesem Amt bezogene Einkommen, der Zeitaufwand für die Ausübung
des Amtes und weitere Ressourcen, die dem Ratsmitglied direkt zustehen, defi-
niert. Dabei wird Bezug nehmend auf die unter 2.3.1.3 entwickelten Professio-
nalisierungsarten der Institution untersucht, ob sich unterschiedliche Entwick-
lungsrichtungen herausgebildet haben. Der Professionalisierungsgrad der beiden
Ebenen stellt dann den Rahmen für die individuelle Professionalisierung dar, die
in Kapitel 5 analysiert werden wird.
Stuttgart
Wie die Analyse in 4.1.1.1 zeigte, haben die Stuttgarter Stadträte einen sehr ho-
hen Zeitaufwand von mindestens 25 bis 35 Stunden pro Woche für ihre Ratstä-
130 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
tigkeit. Die Rats- und Ausschusssitzungen finden zusätzlich in der Regel tags-
über statt, so dass diese stark mit einer Berufsausübung kollidieren und eine
ehrenamtliche Ausübung kaum möglich machen. Die Aufwandsentschädigung
für die normalen Ratsmitglieder ist mit durchschnittlich 1.770 Euro im Monat
relativ hoch; Fraktionsvorsitzende erhalten eine Aufwandsentschädigung in Hö-
he von ca. 2.700 Euro. Hinzu kommen für alle Ratsmitglieder die Entschädi-
gungen für die Aufsichtsratsmandate, wobei die Fraktionsvorsitzenden hierbei
als zusätzliche ‚Entlohnung’ üblicherweise die am höchsten dotierten Aufsichts-
ratsmandate innehaben. Damit reicht die Aufwandsentschädigung bereits in die
Nähe der Diäten des semiprofessionellen Parlaments in Hamburg heran. Auch in
der Entwicklung der Aufwandsentschädigung im Zeitraum zwischen 1984 und
2002 zeigt sich in Stuttgart eine starke Professionalisierung, da sie um mehr als
60% anstieg. Es kann somit festgestellt werden, dass diese Entschädigung be-
reits geeignet ist, um zumindest teilweise davon leben zu können. Des Weiteren
haben die Ratsmitglieder einen Anspruch auf Altersversorgung, sofern sie ihre
Berufstätigkeit aufgrund des Mandats einschränken. Insofern kann hier von ei-
ner qualitativen Ausweitung der Abgeordnetenentschädigung gesprochen wer-
den, da bereits ein Schritt in Richtung eines sozialen Netzes für die Ratsmitglie-
der festzustellen ist.
Hinsichtlich der Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen ergab die Ana-
lyse, dass sich die Höhe der Zuwendungen im Vergleich zu den anderen Städten
auf einem mittleren Niveau befindet. Im Vergleich zum Jahr 1984 stiegen die
Zuwendungen an die Fraktionen allerdings um mehr als 210% an. Da die Frak-
tionen jedoch befugt sind, aus diesen Zuwendungen zusätzliche Sitzungsgelder
für fraktionsinterne Sitzungen zu bezahlen, reduziert sich das Budget für die
Fraktionsgeschäftsstellen. Daher sind die diese personell relativ schwach be-
setzt. Dies hat zur Folge, dass die Mandatsträger von den Fraktionsmitarbeitern
in erster Linie nur organisatorisch unterstützt werden. Wie die Praxis der frakti-
onsinternen Sitzungsgelder zudem zeigt, verzichten die Stadträte zugunsten ei-
ner stärkeren Professionalisierung des Amtes bewusst auf eine bessere Ausstat-
tung der Fraktionsgeschäftsstellen und damit auf eine bessere inhaltliche Unter-
stützung. Durch das ‚mobile Büro’ und das elektronische Parlamentssystem sind
die einzelnen Ratsmitglieder technisch allerdings sehr gut ausgestattet.
Insofern kann für die Professionalisierung des politischen Amtes in Stutt-
gart ein hoher Professionalisierungsgrad festgestellt werden. Insgesamt hat sich
das Stadtparlament in Stuttgart mit einem Zuwachs an Zuwendungen von mehr
als 130% im Zeitraum zwischen 1984 und 2002 sehr stark professionalisiert.
Der Professionalisierungsgrad ist dabei im Vergleich zu den anderen Städten am
stärksten angestiegen. Da Stuttgart hinsichtlich der Ressourcen im Jahr 1984
4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten 131
sehr schlecht ausgestattet war, ist trotz des hohen Anstiegs dieser Zuwendungen
nach wie vor eine mitgliederbasierte Professionalisierung festzustellen. Aller-
dings könnte Stuttgart mit seinen enormen Zuwachsraten in beiden Bereichen
für das Konzept einer umfassenden Professionalisierung der Kommunalpolitik
stehen. Für eine endgültige Bewertung ist jedoch der weitere Professionalisie-
rungsprozess abzuwarten.
Nürnberg
Die Analyse ergab, dass in Nürnberg der Zeitaufwand für die Ratstätigkeiten
ebenfalls eher hoch ist, wobei er etwas unter dem Niveau von Stuttgart liegt.
Ähnlich zur Situation in Stuttgart, finden auch in Nürnberg die Sitzungen zu
einem hohen Prozentsatz tagsüber statt und machen daher eine nebenberufliche
Ausübung des Ehrenamtes schwierig. Bezüglich der Aufwandsentschädigung
wurde festgestellt, dass sich diese auf einem relativ hohen Niveau bewegt. So
erhalten normale Stadträte ohne weitere Funktionen 1.475 Euro pro Monat; die
Fraktionsvorsitzenden mit 2.948 Euro sogar das doppelte. Im Vergleich zu den
anderen Stadträten liegen sie damit auf einem hohen Niveau. Auch im Vergleich
zu den Durchschnittseinkommen, reicht die Höhe der Aufwandsentschädigung
bereits mindestens an ein halbes Einkommen heran. Hinzu kommen auch hier
die Entschädigungen für die Aufsichtsratsmandate. Die Fraktionsgeschäftsstel-
len sind hingegen sehr schlecht ausgestattet: So sind die Aufwendungen, die pro
Ratsmitglied 6.000 Euro pro Jahr betragen, im Vergleich zu allen anderen deut-
schen Großstädten mit Abstand am niedrigsten. Dies hat zur Folge, dass die
Fraktionsgeschäftsstellen in Nürnberg personell sehr schwach besetzt sind und
dass daher keine inhaltliche Unterstützung für die einzelnen Fraktionsmitglieder
erfolgen kann. Auch weitere Ressourcen zur Unterstützung der Ratsarbeit, bei-
spielsweise in Form eines elektronischen Ratssystems, gibt es in Nürnberg
nicht. Insofern kann zusammengefasst werden, dass in Nürnberg das Amt relativ
hoch professionalisiert ist, dass aber die Ausstattung mit personellen und sachli-
chen Ressourcen sehr niedrig ist. Daher findet man in Nürnberg ebenfalls eine
mitgliederbasierte Professionalisierung vor, allerdings auf einem niedrigeren
Niveau als in Stuttgart. Der Professionalisierungsgrad hat sich in Nürnberg in
den vergangenen 20 Jahren erhöht, ist jedoch nicht so stark angestiegen wie in
Stuttgart: Im Vergleich zum Jahr 1984 haben sowohl die Aufwandsentschädi-
gungen als auch die Zuwendungen für die Fraktionsgeschäftsstellen inflations-
bereinigt um 20% zugenommen.
Frankfurt
Der Zeitaufwand in Frankfurt liegt auf einem mittleren Niveau im Vergleich zu
den anderen Großstädten. Die Sitzungen finden im Normalfall erst am Nachmit-
132 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
tag oder in den Abendstunden statt, so dass eine Vereinbarkeit von Beruf und
Mandat besser möglich erscheint als in Stuttgart und Nürnberg. Die Aufwands-
entschädigung, die im Zeitraum zwischen 1984 und 2002 mit ca. 40% leicht
überdurchschnittlich anstieg, liegt auf einem mittleren Niveau: So erhalten die
normalen Stadtverordneten im Jahr 2002 knapp 900 Euro, die Fraktionsvorsit-
zenden 1.385 Euro zuzüglich der Entschädigungen durch die Aufsichtsratsman-
date. Dieser Betrag ist eher nicht geeignet, um vom Mandat (teilweise) leben zu
können. Insofern liegt die Professionalisierung des Amtes im Vergleich der
deutschen Großstädte lediglich im mittleren Bereich. Eine Besonderheit liegt
jedoch darin, dass in Frankfurt die Fraktionsvorsitzenden bzw. stellvertretenden
Fraktionsvorsitzenden aller Fraktionen gleichzeitig Fraktionsgeschäftsführer
und somit de-facto professionalisiert sind.
Die Fraktionen sind sehr gut mit sachlichen und personellen Ressourcen
ausgestattet. So sind die Zuwendungen für die Kosten des Kommunalparlaments
im Jahr 2002 mit jährlich 30.000 Euro pro Stadtverordneten genauso hoch wie
jene der Bürgerschaft in Hamburg. Den Stadtverordneten wird sowohl organisa-
torisch als auch inhaltlich sehr viel zugearbeitet. Die Zuwendungen stiegen im
Vergleich zum Jahr 1984 um knapp 90% an. Auch in Frankfurt gibt es ein elekt-
ronisches Parlamentssystem, das es den Stadtverordneten und Fraktionsmitar-
beitern erlaubt, schnell und effizient auf Verwaltungsvorlagen zuzugreifen.
Der Professionalisierungsgrad in Frankfurt ist im Vergleich zu den anderen
deutschen Großstädten sehr hoch. Dabei liegt die Professionalisierung des Am-
tes lediglich auf einem mittleren Niveau, während die Professionalisierung der
Institution sehr hoch ist. Insofern ist in Frankfurt bei einem insgesamt hohen
Professionalisierungsgrad eine ressourcenbasierte Professionalisierung der Insti-
tution festzustellen.
Hannover
Das Kommunalparlament in Hannover hat im Vergleich zu den anderen Unter-
suchungsstädten den niedrigsten Professionalisierungsgrad des Amtes: Der Zeit-
aufwand für die Ratstätigkeit liegt durchschnittlich bei 25 Stunden. Die Sitzun-
gen finden hier im Regelfall am Nachmittag bzw. am Abend statt, so dass eine
Vereinbarkeit mit dem Beruf im Vergleich zu den anderen Städten noch am e-
hesten möglich ist. Die Aufwandsentschädigung für die normalen Ratsmitglie-
der beträgt pauschal 465 Euro pro Monat, für die Fraktionsvorsitzenden 930
Euro. Dies ist die geringste Aufwandsentschädigung in allen zwölf deutschen
Großstädten mit mehr als 400.000 Einwohnern und entspricht in der Höhe tat-
sächlich nur einer reinen Entschädigung für die Aufwendungen für das Mandat.
Hannover ist auch die einzige der zwölf deutschen Großstädte, deren Auf-
wandsentschädigung seit 1984 gesunken ist – um 9%.
4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten 133
Aufwendungen für
Entschädigungen Gesamtaufwendungen
Kommunalparlament
2002 1984 2002 1984 2002 1984 Veränderung
Frankfurt 31 16 11 8 42 24 + 75%
Hannover 18 23 6 6 24 29 - 17%
Nürnberg 6 5 18 15 24 20 + 20%
Stuttgart 1893 6 20 10 38 16 + 138%
Die Analyse der vier Untersuchungsstädte hat also gezeigt, dass der Professio-
nalisierungsgrad von Amt und Institution im Jahr 2002 unterschiedlich hoch ist.
Der Vergleich mit 1984 hat zudem gezeigt, dass sich der Professionalisierungs-
prozess in den Städten unterschiedlich entwickelt hat. Tabelle 4.5 zeigt noch-
mals zusammenfassend für die vier Untersuchungsstädte die Veränderungen
anhand der beiden Indikatoren ‚Entschädigungen’ und ‚Aufwendungen für das
Kommunalparlament’. Dabei lässt sich deutlich erkennen, dass die Institutionen
im Jahr 1984 bereits unterschiedlich stark professionalisiert waren, dass sich
aber aufgrund der unterschiedlichen Professionalisierungsprozesse die Reihen-
folge der Professionalisierungsgrade in diesem Zeitraum verschoben hat. Be-
trachtet man die Gesamtzuwendungen, war der Stadtrat in Hannover im Jahre
93 Die 18.000 Euro in Stuttgart ist der Betrag, den die Fraktionen pro Ratsmitglied zugewiesen
bekommen. Hiervon sind jedoch die oben bereits erläuterten Sitzungsgelder für fraktionsinter-
ne Sitzungen abzuziehen. Da jedoch die einzelnen Fraktionen damit unterschiedlich umgehen,
wurde hier bei der Zusammenstellung auf die formale Zuweisung abgestellt.
134 4. Professionalisierung in deutschen Großstädten
Wie die Analyse der einzelnen Indikatoren, aber auch die Zusammenschau in
Abbildung 4.1 zeigt, sind in allen zwölf deutschen Großstädten unterschiedliche
Professionalisierungsgrade und -arten zu erkennen. Hinsichtlich der Professio-
nalisierungsarten ergab die Untersuchung, dass die drei süddeutschen Großstäd-
te Nürnberg, München und Stuttgart eine mitgliederbasierte Professionalisie-
rung haben, die nordrhein-westfälischen Städte sowie Hannover, Frankfurt und
die beiden ostdeutschen Städte Dresden und Leipzig hingegen eine ressourcen-
basierte Professionalisierung. So ist in jenen Städten, in denen die Aufwands-
entschädigung und der Zeitaufwand der Ratsmitglieder eher hoch ist, die Anzahl
der Mitarbeiter und die Qualität und Quantität der Zuarbeit eher niedrig und
umgekehrt. Daher wird vermutet, dass es sich bei diesen unterschiedlichen Pro-
4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten 135
35000
13
8 6
30000
Dortmund (1)
25000
Dresden (2)
12
Duisburg (3)
4
Düsseldorf (4)
Essen (5)
20000
ressourcenbasierte
Frankfurt (6)
7 12 Hannover (7)
10
Köln (8)
15000 Leipzig (9)
1 9 München (10)
Nürnberg (11)
3 Stuttgart (12)
10000 5 Hamburg (13)
2
11
5000
0
0 500 1000 1500 2000 2500 3000
mitgliederbasierte
Wie der Vergleich mit dem Jahr 1984 zeigt, sind diese unterschiedlichen Profes-
sionalisierungsarten schon seit Jahrzehnten vorhanden. Die Unterschiede haben
sich zudem seither nicht angeglichen. So stellte Kempf (1989:123) in seiner Un-
tersuchung fest:
„Als großzügigste Städte fallen Hannover und München ins Auge, die sich im gesamten Fi-
nanzaufwand kaum unterscheiden, in der Aufteilung der Finanzen jedoch unterschiedliche
Wege gehen: In Hannover werden die Fraktionsgeschäfte höher entgolten als in München, in
München (sind) die ehrenamtlichen Tätigkeiten weitaus besser bezahlt als in Hannover“.
Diese Unterscheide zeigten sich in seiner Analyse auch für die anderen Groß-
städte. Insgesamt fasste Kempf für die Verteilung des Gesamtbudgets im Jahr
1984 zusammen, dass die süddeutschen Städte die Rolle des einzelnen Mandats-
trägers auf Kosten der Fraktion als Gruppe betonen, während bei den norddeut-
schen Städten das Umgekehrte zu beobachten ist (vgl. Kempf 1989:123).
Neben den unterschiedlichen Professionalisierungsarten zeigen sich in den
zwölf Großstädten zudem große Unterschiede im Grad der Professionalisierung:
Während beispielsweise die nordrhein-westfälischen Städte (außer Köln) eher
gering professionalisiert sind, sind München und Frankfurt am stärksten profes-
sionalisiert. Dies zeigt sich auch im Vergleich zum Professionalisierungsgrad
der Bürgerschaft Hamburg. So erhalten Münchner Stadträte eine Aufwandsent-
schädigung, die im Bereich der Diäten der Bürgerschaft Hamburg liegt, wäh-
rend die Kölner und Frankfurter Fraktionsgeschäftsstellen ebenso gut ausgestat-
tet sind, wie jene in Hamburg. Im Vergleich zum Bundestag sind die Kommu-
nalparlamente jedoch lediglich niedrig professionalisiert. In allen deutschen
Großstädten ist – mit der Ausnahme von Hannover – ein Professionalisierungs-
prozess festzustellen. Zuwachs, Grad und Art der Professionalisierung variieren
jedoch zwischen den Städten stark.
Es stellt sich daher die Frage nach den Ursachen dieser überraschend großen
Divergenzen. Diese Fragen können im Rahmen der vorliegenden Untersuchung
nicht abschließend beantwortet werden, da sie nicht ihr zentraler Gegenstand
sind. Allerdings werden im Folgenden mögliche Erklärungsfaktoren diskutiert.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass durch den Föderalismus in
Deutschland die Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern getrennt von-
einander verlaufen und die Ratsmitglieder selbst nicht wissen, wie die Rahmen-
bedingungen des Mandats in den Großstädten anderer Bundesländer sind. Selbst
in den Arbeitskreisen der Großstädte innerhalb des Deutschen Städtetages wer-
4.4 Fazit: Professionalisierung in deutschen Großstädten 137
den die Rahmen- und Arbeitsbedingungen der Ratsmitglieder und damit zu-
sammenhängend die Höhe der Aufwandsentschädigungen und die personellen
Ressourcen in den Fraktionsgeschäftsstellen nicht thematisiert. Dies führt dazu,
dass die Ratsmitglieder ihre eigenen Rahmenbedingungen nur mit anderen, zu-
meist kleineren Städten in ihrem eigenen Bundesland vergleichen und über kei-
ne Informationen bezüglich der Entwicklung in den Kommunalparlamenten in
Großstädten anderer Bundesländer verfügen. Das Beispiel einer Hannoveraner
Ratsfrau soll dies verdeutlichen:
„Ich denke bei der Aufwandsentschädigung, das muss man auch im Vergleich sehen. Und
wenn man es mit den anderen Städten und Kreisen vergleicht, dann sind wir schon weit vorne.
Die staunen einfach immer nur, wenn ich auf irgendwelchen Kreistagen oder in anderen Städ-
ten bin, die sagen immer: ‚Was kriegt ihr, das ist ja viel!’ [...] Wieso, wie viel ist es denn bei
den anderen? (...) Da sind wir ja richtig bescheiden. Da hinken wir dann ja hinterher. Ich ken-
ne es natürlich nur in Niedersachsen“ (H13; ähnlich F2).
die Haushaltslage und die wirtschaftliche Lage eher schlecht ist. Vergleicht man
die Strukturdaten der Großstädte mit der Entwicklung der Aufwendungen, kann
ein Zusammenhang vermutet werden. So liegen beim Großstadtranking (vgl. IW
Consult/Initiative/Wirtschaftswoche 2004) die Städte München, Frankfurt am
Main, Stuttgart und Düsseldorf sowohl beim Niveau-Ranking als auch beim
Dynamik-Ranking auf Spitzenplätzen94. Dies sind jene Städte, bei denen im
Zeitraum zwischen 1984 und 2002 die höchsten Anstiege im Professionalisie-
rungsgrad zu verzeichnen sind. So stiegen die Aufwendungen in Stuttgart um
210%, in Düsseldorf um 124%, in Frankfurt um 89% und in München (jedoch
lediglich) um 32% an. Es lässt sich daher vermuten, dass in diesen Städten eine
Erhöhung zum einen leichter finanzierbar und zum anderen der Bevölkerung
gegenüber einfacher zu vermitteln ist. In Städten mit einer schlechteren Haus-
haltslage und einer geringeren wirtschaftlichen Dynamik hingegen zeigt sich,
dass die Kommunalparlamente dort ihre Ausstattung sogar reduzieren (wie z.B.
in Hannover) oder es nicht verantworten wollen, sich in der derzeitigen wirt-
schaftlichen Lage weitere Ressourcen für den Rat zu genehmigen (vgl. z.B.
Nürnberg). Diese erläuterten Erklärungsfaktoren für die Divergenzen in Profes-
sionalisierungsgrad, -prozess und -art sollen als plausible Vermutungen dienen
und als Grundlage für weitere, zukünftige Analysen verstanden werden.
Notwendigkeit, ihren eigentlichen Beruf weiter auszuüben. Die Frage ist, wel-
che Personen überhaupt noch ein Mandat in deutschen Großstädten ausüben
können. Gibt es nur noch bestimmte Personen- und Berufsgruppen, denen dies
möglich ist und sind andere Gruppen davon ausgeschlossen? Wie vereinbaren
die einzelnen Ratsmitglieder Beruf und Mandat konkret? Welche Gemeinsam-
keiten und Unterschiede lassen sich dabei in den Untersuchungsstädten erken-
nen? Entwickeln sich aufgrund der unterschiedlichen Professionalisierungsgrade
des Amtes – insbesondere hinsichtlich des Einkommens durch die Politik –
dabei bestimmte Handlungsmuster heraus? Inwiefern führen diese zu einer indi-
viduellen Professionalisierung der Ratsmitglieder? Diese Fragen stehen im
Zentrum der folgenden Analyse.
5.2.1 Altersstruktur
Die Analyse zeigt, dass die Altersstruktur der Ratsmitglieder eine Diskrepanz zu
jener der Bevölkerung aufweist. Das Durchschnittsalter in den drei Städten
Hannover, Frankfurt und Nürnberg liegt in der untersuchten Wahlperiode bei
rund 48 Jahren, in Stuttgart mit 52 Jahren dagegen etwas höher. Diesen ver-
gleichsweise hohen Altersdurchschnitt in Stuttgart bestätigt auch die Untersu-
chung von Walter (1997:233), in der für Stuttgart für die Wahlperiode 1989-
1994 ein Altersdurchschnitt von 53 Jahren ermittelt wurde. In den vier Untersu-
chungsstädten gehören 60% der Ratsmitglieder der Altersgruppe zwischen 41
und 60 Jahren an. Allerdings variiert die Verteilung innerhalb dieser Alters-
gruppe in den vier Städten: In Stuttgart ist mit 29% fast ein Drittel der Stadträte
zwischen 56 und 60 Jahre alt; in Hannover weist die Kohorte zwischen 51 und
55 Jahren mit 27% den größten Anteil auf. In Nürnberg und Stuttgart sind die
meisten Ratsmitglieder zwischen 41 und 50 Jahren alt. Auffällig ist jedoch, dass
142 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
Dies deckt sich mit den Ergebnissen anderer Elitestudien in deutschen Groß-
städten (vgl. Walter 1997:233; Gau 1983:67f.; Kaack 1981; Naßmacher 1973).
Als eine Erklärung für die Überrepräsentation der mittleren Alterskohorte in
den Kommunalparlamenten wird hervorgehoben, dass diese Personen am ehes-
ten Beruf und Mandat vereinbaren können. Gerade sie haben im Vergleich zu
jüngeren Jahrgängen bessere Rahmenbedingungen für die Ausübung eines
kommunalpolitischen Mandats, da sie privat und vor allem beruflich bereits
etabliert sind. Die jüngeren Altersgruppen hingegen befinden sich noch in der
Ausbildung oder in den ersten Jahren der Berufstätigkeit. „Zumeist setzt die
politische Karriere erst mit einer abgesicherten beruflichen Tätigkeit ein“ (Be-
cher 1997:222; vgl. auch Naßmacher 1973:555).
95 Die Daten in Klammern beziehen sich auf die Verteilung in der Bevölkerung der jeweiligen
Stadt.
96 Das Durchschnittsalter wurde näherungsweise errechnet. Um die Zusicherung der Anonymität
in der schriftlichen Befragung glaubhafter zu machen, wurden die Ratsmitglieder nicht nach
ihrem genauen Alter befragt, sondern gebeten, ihr Alter anhand der vorgegebenen Kategorien,
die sich in 5-Jahres-Schritten vollzogen, einzuordnen. Vgl. Fragebogen im Anhang.
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 143
40%
31,50%
28,20%
30%
18,20%
20%
14,70%
10% 7,30%
0%
18–30 J a hre 31–40 J a hre 41–50 J a hre 51–60 J a hre übe r 60 J a hre
Alt e r
5.2.2 Geschlecht
97 Der Anteil der Frauen an der Bevölkerung in Stuttgart liegt bei 51% (vgl. Statistisches Lan-
desamt Baden-Württemberg 2003), in Frankfurt bei 51,1% (Stadt Frankfurt am Main
2003:10), in Hannover bei 51,5% (Statistik Stadt Hannover 2003) und in Nürnberg bei 51,9%
(Amt für Stadtforschung und Statistik Nürnberg 2002:36).
144 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
(44,4%) und Nürnberg (48,6%) fast jedes zweite Ratsmitglied weiblich; ledig-
lich in Hannover ist der Anteil mit 36,8% niedriger. Durchschnittlich liegt somit
der Anteil der Frauen in den vier Untersuchungsstädten bei 43,6%.
Bereits die Studie von Walter (1997:230f.) über die Stuttgarter Ratsmit-
glieder zeigt jedoch, dass der Anteil der Frauen im Stadtparlament kontinuier-
lich ansteigt: Während in der Wahlperiode 1989-1994 der Frauenanteil lediglich
bei 26,7% lag, stieg er in der Wahlperiode 1994-1999 bereits auf 36,7% an. Der
Frauenanteil an Ratsmitgliedern variiert zudem nach Parteizugehörigkeit: Dabei
ist der Frauenanteil bei den Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit 70%98
am höchsten, der Anteil in den SPD-Fraktionen liegt bei 41%99, in den Fraktio-
nen von CDU bzw. CSU bei 42%100. Die FDP hat mit 25% den geringsten Frau-
enanteil. Traditionell wird die Unterrepräsentanz der Frauen auf mehrere Fakto-
ren zurückgeführt: Zum einen wird in der Literatur die ‚Abkömmlichkeitsthese’
vertreten. Dabei wird auf die besondere Problematik der familiären Rollenver-
teilung verwiesen (vgl. Hoecker 1987:61; Köser 2000:156). Diese führe dazu,
dass vor allem berufstätige Frauen aufgrund der Doppelbelastung von Beruf und
Familie kaum Zeit für politische Aktivitäten haben. Insbesondere in Großstädten
mit dem ermittelten hohen Zeitaufwand für die Mandatsausübung führe dies
dazu, dass es wenigen Frauen möglich sei, ein Mandat wahrzunehmen.
Zum anderen wird die Unterrepräsentation der Frauen mit der ‚Sozialisati-
onsthese’ begründet. In diesem Zusammenhang wird das traditionelle Rollen-
verständnis angeführt, das ein „ausgeprägtes Desinteresse [der Frauen] an Poli-
tik zur Folge hat“ (Hoecker 1986; Köser 2000:156). Auch seien die Frauen im
vorpolitischen Raum, insbesondere in den Vereinen, wenig präsent. Diese Posi-
tionen stellen aber häufig einen ersten Schritt in die Politik dar (vgl. Herzog
1982, 1975), gleichzeitig führen sie zu einer Steigerung des Bekanntheitsgrades
(vgl. Köser 2000:156; Wehling 1989:55). Dies sind jedoch wichtige Kriterien
bei den Rekrutierungsmechanismen der Parteien und bei den Wahlen zum
Kommunalparlament (vgl. Köser 2000:156f.). Denn insbesondere in personali-
sierten Wahlsystemen mit der Möglichkeit zum Kumulieren und Panaschieren
spielt die Bekanntheit der Personen eine große Rolle, die jedoch häufig auf-
grund der geringen Präsenz im vorpolitischen Raum nicht gegeben sei. In Groß-
städten jedoch sind die parteipolitischen Präferenzen und die vorgegebenen
98 In Hannover liegt der Frauenanteil in der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei 60%, in
Stuttgart und Frankfurt jeweils bei 67% und in Nürnberg bei 75%.
99 Der Anteil der Frauen in den SPD-Fraktionen variiert stark zwischen den vier Untersuchungs-
städten: In Stuttgart liegt er bei 55%, in Nürnberg bei 42%, in Hannover bei 39% und in
Frankfurt lediglich bei 27%.
100 In der CDU-Fraktion in Stuttgart sind 43% weiblich, in der Nürnberger CSU-Fraktion sind es
42%, in der Frankfurter CDU-Fraktion sind es 47%. In Hannover hingegen ist der Anteil der
Frauen in der CDU-Fraktion mit 29% bedeutend niedriger.
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 145
Listenplätze bei der Wahl generell wichtiger als die Bekanntheit (vgl. Wehling
1989:55). So führt der Weg in die Gemeindevertretung heutzutage in der Regel
über die Parteien. Die örtlichen Parteigliederungen, die in der Personalrekrutie-
rung eine ihrer wichtigsten Tätigkeiten sehen, rekrutieren aus dem Kreis der
Aktiven Kandidaten für die Kommunalwahl.
Die Analyse ergab jedoch, dass sich die Gründe, die bisher für die Unterre-
präsentation verantwortlich gemacht wurden, in den letzten Jahren verändert
haben. So haben die Parteien zum einen Frauenquoten für die Listenaufstellung
eingeführt. In den meisten Parteien, so die Ratsmitglieder, liegt die Quote bei
50%, d.h. auf jedem zweiten Listenplatz muss eine Frau stehen. Um jedoch
diese Frauen überhaupt für die Listen rekrutieren zu können, haben die Parteien
in den untersuchten Großstädten ihre Rekrutierungsmechanismen teilweise
geändert. So ist eine längere vorhergehende parteipolitische Aktivität nicht mehr
eine wesentliche Voraussetzung für die Nominierung, und Frauen werden ge-
zielt auch aus dem Kreis passiver Parteimitglieder bzw. aus Nicht-Mitgliedern
rekrutiert. So erläutert beispielsweise eine Stadträtin aus Nürnberg:
„Die CSU hatte Probleme, Frauen zu finden, die schon in der Partei aktiv waren. Deshalb hat
man die Strategie verfolgt, Frauen von außen mit einzubeziehen. Die Frau (...) beispielsweise
ist erst in die CSU eingetreten als man ihr angetragen hatte, sich aufstellen zu lassen. Ich
selbst war schon CSU-Mitglied, war aber überhaupt nicht aktiv in der Politik“ (N16).
kleinen Kindern nur sehr schwer möglich, Kinder und Mandat zu vereinbaren,
sofern sie für die Betreuung zuständig sind.
„Die Frauen, die hier viel machen und im Rat sind, die haben alle solche Typen, die Haus-
männer sind oder sich um die Kinder kümmern. Da gibt es dann ein Spiegelbild, anders geht
das gar nicht“ (H35; vgl. auch N28).
5.2.3 Bildungsgrad
Dies wird zum einen damit erklärt, dass in Großstädten die kommunalpoliti-
schen Aufgaben komplexer sind, und sich Personen mit niedrigerem Bildungs-
abschluss eine Mandatsausübung eventuell nicht zutrauen bzw. es ihnen nicht
zugetraut wird (vgl. Naßmacher 1981:60f.). Dies bestätigen auch die
Ratsmitglieder in den Interviews. So sagt beispielsweise eine Ratsfrau aus
Hannover:
„Arbeiter und Hilfsarbeiter findet man selten. Aber meiner Meinung nach wären die auch zu
schlecht qualifiziert. (...) Denn sonst wird man von der Verwaltung oder von Interessengrup-
pen über den Tisch gezogen. Wer trägt dann die Konsequenzen dieses Handelns? Wer die
Kosten?“ (H23; ähnlich S5).
Zum anderen wird als weiterer Grund für den hohen Bildungsgrad der Mandats-
träger die Abkömmlichkeit im Beruf genannt, da in Berufen, die Personen mit
einem Haupt- bzw. Realschulabschluss überwiegend ausüben, die Flexibilität im
Allgemeinen geringer ist. Darauf wird jedoch im Folgenden noch näher einge-
gangen.
101 Lediglich für Nürnberg liegen für die Stadtbevölkerung nach Abitur und Universitätsabschluss
differenzierte Daten vor. In den Statistiken der anderen Städte wurden alle Abschlüsse ab dem
Abitur zusammengefasst.
102 Für Hannover liegen keine vergleichbaren Daten vor.
148 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
5.2.4 Berufsstruktur
Bei der Analyse der Berufsstruktur wird hinsichtlich der Berufsgruppen zwi-
schen Nicht-Berufstätigen (a), Selbständigen und freiberuflich Tätigen (b) und
abhängig Beschäftigten unterschieden. Die abhängig Beschäftigten werden in
die folgenden drei Hauptgruppen unterteilt: In Beamte und öffentlich Bedienste-
te (c), in Angestellte und Arbeiter in der Privatwirtschaft (d) und in Angestellte
im politischen und politiknahen Bereich (e). Unter Angestellte im politischen
Bereich werden hauptamtliche Abgeordnete, Wahlbeamte und Angestellte von
Fraktionen und Parteien gefasst. Angestellte im politiknahen Bereich sind Mit-
arbeiter von Verbänden, Interessengruppen, karitativen und kulturellen Organi-
sationen (vgl. zu den Berufskategorien Golsch 1998:124; Schindler 1999; Hess
1995:567f.; Kaack 1988:131ff.). In den vier Städten zeigt sich die in Tabelle 5.3
dargestellte Aufteilung.
In Frankfurt gehen lediglich drei Viertel der Stadtverordneten einer Er-
werbstätigkeit nach, etwas mehr als ein Viertel der Stadtverordneten ist somit
nicht berufstätig: Davon sind 15,6% im Ruhestand, 2,2% sind Studierende und
8,9% Hausfrauen. Bei ihrer Erstkandidatur für das Stadtverordnetenmandat
waren allerdings lediglich 17,8% nicht berufstätig; diese Differenz ergibt sich
dadurch, dass lediglich 4,4% der Stadtverordneten bereits im Ruhestand waren,
als sie sich das erste Mal haben aufstellen lassen. Der Anteil der Studierenden
bei der Erstkandidatur war mit 8,9% höher, da einige von ihnen mittlerweile
berufstätig sind. Der öffentliche Sektor ist mit 17,8% im Vergleich zu den ande-
ren Städten und insbesondere auch zu anderen Parlamenten in Frankfurt relativ
gering vertreten. Den höchsten Anteil an öffentlich Bediensteten haben dabei
die CDU-Fraktion mit 26,7% und die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN mit 22,2%, gefolgt von der SPD-Fraktion mit 18,2%. In den anderen
Fraktionen bzw. Gruppierungen gibt es keine Angestellten im öffentlichen
Sektor. Interessant ist hier, dass nur ein Stadtverordneter Lehrer (2,2%) ist.
Allerdings sind 6,6% (N=3) an der Universität, entweder als Hochschul-
professor oder als wissenschaftlicher Mitarbeiter, beschäftigt. Sehr dominant ist
in Frankfurt der politische bzw. politiknahe Bereich mit 28,9%. 8,9% sind An-
gestellte der Fraktion – wie bereits unter 4.3.1.2. erläutert sind in Frankfurt die
Fraktionsgeschäftsführer in allen Fraktionen Stadtverordnete –, der Partei oder
als Mitarbeiter eines Landtagsabgeordneten (MdL). 20% der Stadtverordneten
arbeiten im politiknahen Bereich, insbesondere bei Verbänden, Vereinen, Ge-
werkschaften und Interessengruppen. Dabei sind mit 55,6% mehr als die Hälfte
der Fraktionsmitglieder von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im politischen und
politiknahen Bereich beschäftigt; bei der SPD-Fraktion sind dies 36,4% der
Fraktionsmitglieder und bei der CDU-Fraktion 13,3%. Der private Sektor ist in
Frankfurt hingegen mit 8,9% der Ratsmitglieder, die in diesem Sektor arbeiten,
schwach vertreten. Bei der Aufteilung nach Parteien ergeben sich keine Unter-
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 151
schiede zwischen den einzelnen Fraktionen. Knapp ein Fünftel der Stadtverord-
neten ist selbständig bzw. freiberuflich tätig. Diese sind fast ausschließlich in
der CDU-Fraktion (33,3% der Fraktionsmitglieder) und in der FDP-Fraktion
(50%) zu finden. Hier sind insbesondere die Anwälte zu nennen, die mit 62,5%
den Großteil der Berufsgruppe Selbständige/Freiberufliche ausmachen.
In Hannover ist – vergleichbar mit Frankfurt – knapp ein Viertel der Rats-
mitglieder nicht berufstätig. 10,5% der Ratsmitglieder sind pensioniert, der
Anteil der Hausfrauen und Studierenden beträgt zusammen 7,9%. Das dominan-
te Berufsfeld in Hannover ist der öffentliche Sektor mit einem Anteil von
28,9%, insbesondere in der SPD-Fraktion. Weiter ausdifferenziert sind jedoch
bei den Beamten und öffentlich Bediensteten keine dominierenden Berufe fest-
gestellt worden. Vielmehr sind die Ratsmitglieder in sehr unterschiedlichen
Bereichen des Öffentlichen Dienstes tätig: Wie in Frankfurt ist lediglich ein
Ratsmitglied Lehrer; des Weiteren sind Finanzbeamte oder beispielsweise eine
Fachärztin im Öffentlichen Dienst zu nennen. In Hannover ist der Anteil der
Angestellten im privaten Sektor mit 21,1% im Vergleich zu den anderen drei
Untersuchungsstädten sehr hoch. Mit 42,9% ist der Anteil der Privatbeschäftig-
ten in der CDU sehr hoch, allerdings darf dieser Wert aufgrund des geringen
Rücklaufs der CDU-Fraktion gerade im Abgleich mit den Angaben auf der
Internetpräsenz der Fraktion als nicht repräsentativ gesehen werden. Den Anga-
ben auf der Website zufolge liegt der Anteil in der CDU bei 28%, was jedoch
immer noch ein hoher Anteil ist. In der SPD-Fraktion arbeiten 13% der Frakti-
onsmitglieder im privaten Sektor. Allerdings zeigt sich hierbei, dass dabei zwei
Drittel nicht mehr in ihrem erlernten Beruf arbeiten, sondern entweder als frei-
gestellter Betriebsrat oder als Personalratsvorsitzender. Der Anteil der Beschäf-
tigten im politischen/politiknahen Bereich liegt bei 15,8%. Dieser Bereich ist,
vergleichbar mit den Ergebnissen in Frankfurt, auch für die Fraktion von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Hannover mit einem 40%igen Anteil das do-
minierende Arbeitsfeld. Im politischen Bereich arbeitet lediglich ein SPD-
Fraktionsmitglied als stellvertretender SPD-Bezirksgeschäftsführer. Die weite-
ren Ratsmitglieder sind im politiknahen Bereich tätig, beispielsweise als Ver-
bandsreferent. 13,2% der Ratsmitglieder sind selbständig bzw. freiberuflich
tätig. Bei der SPD sind dabei alle als freiberufliche Rechtsanwälte tätig. In den
anderen Fraktionen kann aufgrund der geringen Fallzahl keine Tendenz festge-
stellt werden.
In Nürnberg ist der Anteil der Nicht-Berufstätigen mit 17,1% geringer als
in Frankfurt und Hannover. 11,4% der Ratsmitglieder sind Pensionäre und 5,7%
Hausfrauen. Zum Zeitpunkt der Übernahme des Ratsmandats war lediglich eine
Person als Hausfrau nicht berufstätig (2,9%); alle weiteren Ratsmitglieder, die
heute pensioniert sind, waren zum Zeitpunkt der ersten Mandatsübernahme
152 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
berufstätig. Mit mehr als einem Drittel der im Öffentlichen Dienst beschäftigten
Ratsmitglieder ist dies die mit Abstand dominierende Berufsgruppe. Innerhalb
der einzelnen Fraktionen gibt es keine Unterschiede in der Verteilung. Auch
hier ist der Anteil der Lehrer mit 5,7% der Ratsmitglieder sehr gering. Ein
Sechstel der Ratsmitglieder arbeitet im politischen/politiknahen Bereich. Dies
ist insbesondere in der SPD-Fraktion das dominante Berufsfeld, da 33,3% der
SPD-Mitglieder in diesem Bereich arbeiten. Die Ratsmitglieder sind zumeist im
politischen Bereich als Fraktions- oder Parteigeschäftsführer der eigenen Partei
beschäftigt. Die Angestellten im politiknahen Bereich sind vor allem bei Inte-
ressengruppen beschäftigt. Zudem gibt es in jeder der beiden großen Fraktionen
(CSU und SPD) einen Stadtrat, der Geschäftsführer in einer stadtnahen Einrich-
tung ist. Die Geschäftsführerposten werden in alter Tradition per Proporz an je
einen Stadtrat der beiden großen Fraktionen CSU und SPD vergeben. Der Anteil
der Angestellten im privaten Sektor liegt mit 11,4% im Durchschnitt der vier
Untersuchungsstädte. In den beiden großen Fraktionen CSU und SPD ist der
Anteil ungefähr gleich hoch, während es in den kleineren Fraktionen keine Pri-
vatbeschäftigten gibt. 20% der Stadträte sind selbständig/freiberuflich. Mit
27,8% ist hierbei der Anteil in der CSU-Fraktion am höchsten. Auch hier sind
die Anwälte die dominierende Gruppe bei den Freiberuflern, gefolgt von Ärzten
und Steuerberatern.
In Stuttgart ist der Anteil der Nicht-Berufstätigen im Vergleich zu den an-
deren Städten mit 9,7% sehr gering. Allerdings haben insbesondere die Inter-
views und auch die Angaben der einzelnen Fraktionen auf den Websites bzw.
den Veröffentlichungen gezeigt, dass dieser Prozentanteil als zu gering betrach-
tet werden muss, da knapp ein Viertel der Stadträte ein erhöhtes Sitzungsgeld
für Haushaltsführung (vgl. 4.2.2) erhält. So gibt es in Stuttgart eine große Grup-
pe von Hausfrauen, die nach der Familienphase nicht in den Beruf zurückge-
kehrt, sondern sich für eine politische Karriere im Rat entschieden haben (vgl.
5.3.2.6).103 Mehr als ein Fünftel der Stadträte ist im öffentlichen Sektor beschäf-
tigt. Dazu zählen vor allem die Lehrer (6,5% der Stadträte sind Lehrer), Profes-
soren (6,5%) und leitende Angestellte in Landesbehörden. Ebenso hoch wie der
Anteil der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst ist mit 22,6% der Anteil der
Angestellten im politischen/politiknahen Bereich. Davon ist die Hälfte direkt im
politischen Bereich beschäftigt, als Parlamentarischer Berater im Landtag, als
persönlicher Referent in der Landtagsfraktion und als politischer Beamter. Die
andere Hälfte arbeitet für Interessengruppen und Verbände. Mit knapp 30% sind
hierbei der Anteil in der CDU-Fraktion und jener in der Fraktion von BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN am höchsten, wobei die CDU-Fraktionsmitglieder insbe-
103 Die Gruppe der ‚Hausfrauen’ hat – mit Ausnahme von zwei Stadträtinnen – nicht an der
schriftlichen Befragung teilgenommen.
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 153
sondere im politischen Bereich tätig sind.104 Der Anteil der Angestellten und
Arbeiter im privaten Sektor ist mit 6,5% sehr gering. 38,7% der Ratsmitglieder
sind selbständig bzw. freiberuflich tätig. Einen hohen Anteil haben hier – nicht
überraschend – insbesondere die CDU-, die FDP-Fraktion und die Freien Wäh-
ler. In diesen Fraktionen haben insbesondere die mittelständischen Unternehmen
traditionsgemäß eine hohe Stellung (vgl. Köser 2000:156). Dieses Ergebnis
bestätigt den von Wehling in Studien festgestellten Honoratiorencharakter der
Stadträte in Baden-Württemberg.
Bei genauerer Betrachtung der Berufsstruktur in den vier Untersuchungs-
städten lässt sich also erkennen, dass die befragten Ratsmitglieder nicht die
Berufsstruktur der Bevölkerung widerspiegeln. Allerdings ist die Berufsstruktur
nicht so verzerrt wie man erwarten würde. So sind nicht nur die klassischen
Personen- und Berufsgruppen repräsentiert. Im Vergleich zu anderen Parlamen-
ten und auch zu den Erwartungen und Einschätzungen in der Literatur lässt sich
ein dominanterer Anteil an öffentlich Bediensteten erwarten. Mit durchschnitt-
lich 25% ist der öffentliche Sektor in den vier Untersuchungsstädten jedoch
nicht so stark überrepräsentiert wie in anderen Parlamenten. Auch spezielle und
sonst für deutsche Parlamente typische Berufe sind nicht so stark vertreten wie
erwartet: Insgesamt sind in den vier Stadtparlamenten nur sechs der befragten
Ratsmitglieder Lehrer; dies ist ein Anteil von lediglich 4%. Zudem haben die
Interviews mit den Stadträten gezeigt, dass öffentlich Bedienstete sich nicht
unbedingt in einem ‚geschützten’ Raum befinden. Viele der Befragten gaben an,
dass gerade die öffentlich Bediensteten häufig große Probleme mit der Verein-
barkeit von Beruf und Mandat haben. Darüber hinaus zeigt sich bei einem Ver-
gleich der vier Städte keine klare Berufsstruktur. Die Anteile der Berufsgruppen
sind in hohem Maße von Stadt zu Stadt unterschiedlich: In jeder Stadt haben
andere Berufsgruppen einen dominanten Anteil. So ist in Stuttgart die Gruppe
der Freiberufler und Selbständigen sehr dominant, während in Nürnberg und
Hannover der öffentliche Sektor einen vergleichbar hohen Anteil einnimmt. In
Frankfurt spielen die Angestellten des politischen/politiknahen Bereiches eine
wichtige Rolle. Diese Differenzen kann man teilweise auch mit den Unterschie-
den zwischen den Wirtschaftsstrukturen erklären, so ist z.B. Stuttgart durch eine
ganz andere wirtschaftliche Struktur geprägt als Hannover (vgl. Statistisches
Landesamt Baden-Württemberg 2003; Stadt Frankfurt am Main 2002; Amt für
Stadtforschung und Statistik Nürnberg 2002).
Die Analyse des Sozialprofils in den vier Untersuchungsstädten hat ge-
zeigt, dass die Ratsmitglieder durchschnittlich zwischen 41 und 60 Jahren alt
sind und somit die mittlere Alterskohorte stark überrepräsentiert ist. Zudem
verfügen die Ratsmitglieder über einen bedeutend höheren Bildungsgrad als die
Bevölkerung. Bei der Untersuchung des Geschlechts zeigte sich, dass die Frau-
en nicht mehr unterrepräsentiert sind: So ist fast jedes zweite Ratsmitglied weib-
lich. Neben dem Einfluss dieser soziodemographischen Daten wird in der Lite-
ratur die These vertreten, dass die Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Beruf und
Mandat insbesondere durch die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufssektoren
bestimmt wird. Die Analyse zeigte jedoch, dass die Berufsstrukturen in den
Untersuchungsstädten stark voneinander abweichen und auch der öffentliche
Sektor nicht so dominant in den Kommunalparlamenten vertreten ist, wie dies
erwartet wird. Insofern widersprechen die Ergebnisse der Sozialstrukturanalyse,
insbesondere der Analyse der Berufsstruktur, in den vier Untersuchungsstädten
deutlich der Abkömmlichkeitsthese. Zusammenfassend kann also festgestellt
werden, dass der Berufssektor alleine nicht erklären kann, wem es möglich ist,
Job und Mandat zu vereinbaren. Es wird vermutet, dass die Hauptkriterien kom-
plexer sind und von mehr als einem Faktor abhängen. So ist die Annahme, dass
zwei Hauptfaktoren die Vereinbarkeit von Beruf und Mandat maßgeblich beein-
flussen:
Berufsposition
Wie erläutert, wird in der Literatur generell argumentiert, dass die unterschiedli-
chen Berufssektoren und -gruppen einen Einfluss auf die Möglichkeit haben,
Job und Mandat zu vereinbaren, und dass insbesondere Beschäftigte des öffent-
lichen Sektors dabei privilegiert sind. Diese Abkömmlichkeitsthese wird durch
die Analyse nicht bestätigt. Deshalb wird hier die These vertreten, dass nicht
alleine der Sektor entscheidend ist, sondern vielmehr die spezifische Berufsposi-
tion des Ratsmitglieds und insbesondere der Grad der Flexibilität und Abkömm-
lichkeit im Beruf. Obwohl die Ratsmitglieder per Gesetz Anspruch auf Freistel-
lung haben, kann dieser in der Praxis nicht immer durchgesetzt werden. Zudem
wird die Freistellung formal nur für die Sitzungen garantiert, nicht jedoch für
Arbeitskreise, Besprechungen der Fraktionen und Repräsentationstermine, die
jedoch auch zwingend zu der Mandatsausübung gehören. So sagt eine Stadträtin
aus Stuttgart beispielsweise:
„Wir haben zwar eine Schieflage in den Berufen, interessanterweise aber gar nicht im Öffent-
lichen Dienst. Es sind aber vor allem Personen, die sich ihre Zeit frei einteilen können und die
abkömmlich sind“ (S4).
5.2 Konsequenzen aus dem Dilemma – Sozialstruktur 155
1. Der Zeitaufwand in der spezifischen Stadt: Wie unter 4.1 gezeigt, haben die
Stadträte in den vier Städten eine unterschiedliche Anzahl von Sitzungen
pro Monat und damit einen unterschiedlich hohen Zeitaufwand.
2. Die zeitliche Verteilung der Mandatsaktivitäten und vor allem der Sitzun-
gen: Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn die Sitzungen tagsüber statt-
finden und damit während der üblichen Arbeitszeiten liegen. Hier sind die
Kriterien Flexibilität und Abkömmlichkeit sogar noch bedeutsamer. Wie
gezeigt, gibt es dabei große Unterschiede zwischen den vier Städten: Wäh-
rend in Hannover und Frankfurt die Sitzungen vor allem am Nachmittag
156 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
Es wird hier argumentiert, dass die Vereinbarkeit beeinflusst wird durch das
Wechselspiel zwischen der konkreten Berufsposition und den Rahmenbedin-
gungen der Mandatsausübung. Dieses Wechselspiel bestimmt, ob bzw. wie ein
Ratsmitglied Beruf und Mandat vereinbaren kann. Am Beispiel des Berufs
‚Lehrer’ soll die Interaktion der Faktoren verdeutlicht werden: Lehrer unterrich-
ten in der Regel vormittags und sind während dieser Zeit kaum abkömmlich und
nicht flexibel in ihrer Zeitplanung. In Hannover und Frankfurt finden die Sit-
zungen fast ausschließlich am Nachmittag und Abend statt, so dass Lehrer die
Berufstätigkeit und das Mandat relativ einfach vereinbaren können. Im Gegen-
satz dazu finden in Stuttgart und Nürnberg viele Sitzungen am Vormittag statt,
so dass eine Vereinbarung für die Lehrer kaum möglich ist. So kann also die
gleiche konkrete Arbeitsplatzposition aufgrund der unterschiedlichen Rahmen-
bedingungen des Mandats für eine Vereinbarung von Beruf und Mandat ideal
sein oder sie nicht ermöglichen.
Trotz der Beeinflussung der Vereinbarkeit durch die spezifische Berufspo-
sition und die Rahmenbedingungen des Mandats wird angenommen, dass die
Situation der Ratsmitglieder jedoch nicht statisch und rein strukturell bedingt ist.
Vielmehr handelt es sich um einen dynamischen Prozess. Die generelle Annah-
me einer statischen Situation in der Literatur greift zu kurz, da hierbei die Ges-
taltungsmöglichkeiten des Individuums nicht berücksichtigt werden. So kann
das Ratsmitglied das Zusammenspiel der beiden Faktoren aktiv verändern, um
Berufstätigkeit und Mandat vereinbaren zu können. Im Folgenden wird das
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 157
Fraglich ist, wie die einzelnen Ratsmitglieder das Dilemma zwischen formal
ehrenamtlicher Arbeit und dem dafür notwendigen Zeitaufwand lösen. Daher
wird untersucht, wie die befragten Ratsmitglieder unter den gegebenen Rah-
menbedingungen individuell mit diesen Interessenskonflikten umgehen. Welche
Strategien wenden sie an, um Beruf und Mandat zu vereinbaren? Wie verändern
sie dadurch das Verhältnis von Beruf und Mandat? Bilden sich dabei bestimmte
Entwicklungsrichtungen in den einzelnen Städten heraus? Welche Auswirkun-
gen haben diese auf den individuellen Professionalisierungsgrad der Ratsmit-
glieder? Diese Fragen stehen im Zentrum der folgenden Analyse.
105 Wie die Analyse der Berufsgruppen gezeigt hat, sind heute ca. 20% der Ratmitglieder nicht
berufstätig. Viele davon sind jedoch schon seit Jahren im Rat und wurden pensioniert, nach-
dem sie viele Jahre Beruf und Mandat vereinbart und damit z.T. auch Probleme hatten. Daher
werden auch diese Ratsmitglieder in die Analyse miteinbezogen.
158 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
den Bürgermeister in seiner Stadt. Ein weiteres Ratsmitglied arbeitet als Mana-
ger in einem kommunalen Unternehmen. Damit kann also zusammengefasst
werden, dass fünf der Ratsmitglieder für ihre eigene Partei arbeiten. Insofern ist
es wenig überraschend, dass ihre Arbeitgeber die Ausübung des Mandats unter-
stützen. Die anderen vier Ratsmitglieder sind während der Hälfte des Tages
flexibel und abkömmlich. Dies ist ausreichend für die Anforderungen des Man-
dats in ihrer Stadt.
Strategien Anteil106
Freistellung 50,9%
Reduzierung der Arbeitszeit 33,5%
Gleitzeit/flexiblere Arbeitszeiten 24,2%
Wechsel des Arbeitsplatzes 14,1%
Nicht-Ausübung des Berufs auf Zeit – Beurlaubung 4,0%
Reduzierung der Mandatsausübung 2,7%
Einstellung zusätzlichen Personals 2,7%
Vorruhestand 1,3%
Arbeitslosigkeit 1,3%
5.3.1.1 Freistellung
50,9% der Ratsmitglieder werden bzw. wurden freigestellt. Damit ist diese die
häufigste Strategie zur Vereinbarkeit von Beruf und Mandat. Betrachtet man
lediglich die abhängig Beschäftigten, da auch nur diese freigestellt werden,
ergibt sich ein Anteil von 78,2%. In den Gemeindeordnungen aller Bundeslän-
der ist festgelegt, dass die Ratsmitglieder für die unmittelbar mit dem Mandat
verbundenen Tätigkeiten vom Arbeitgeber freizustellen sind. Diese Regelungen
sollen ermöglichen, dass die Ratsmitglieder ihr Mandat ehrenamtlich und ne-
benberuflich ausüben können, und dass ihnen beruflich dadurch keine Nachteile
entstehen. So steht beispielsweise in der Niedersächsischen Gemeindeordnung
in §39 III: „Der Ratsfrau oder dem Ratsherrn ist die für ihre oder seine Tätigkeit
notwendige freie Zeit zu gewähren.“ Insofern stellt sich die Frage, ob die Frei-
stellung überhaupt als ‚Strategie’ zur Vereinbarkeit von Beruf und Mandat gel-
ten kann, da sie gesetzlich verankert ist und die Vereinbarkeit für alle Ratsmit-
glieder gewährleisten soll. Jedoch zeigt sich bereits in anderen Studien (vgl.
Ronge 1994:282) und insbesondere auch in den Ergebnissen der vorliegenden
Studie, dass die gesetzlichen Regelungen und ihre Umsetzung in der Realität
häufig nicht übereinstimmen. Dies sollen einige Zitate von Ratsmitgliedern
illustrieren:
„Die rechtliche Situation ist da ja eigentlich völlig klar, aber trotzdem gibt es häufiger Prob-
leme mit dem Arbeitgeber oder den Kollegen“ (S16).
„Formal dürfen die ja auch keine Steine in den Weg legen, wenn man ehrenamtlich tätig ist
und sich für die kommunale Selbstverwaltung einsetzt; aber ich habe gerade bei mir gemerkt,
dass das Verhältnis meiner Chefin mir gegenüber stark abgekühlt ist, seit ich im Rat bin“
(H18).
„Theoretisch ist das ja auch so geregelt, dass man als Stadtverordneter für die Sitzungen vom
Arbeitgeber freigestellt werden muss. Das geht aber nur in Zeiten mit einer guten wirtschaftli-
chen Lage, jetzt in der momentanen Lage, wo jeder um seinen Arbeitsplatz bangt, scheuen
auch viele davor zurück und da würde ich auch davor zurückscheuen, dies wirklich in An-
spruch zu nehmen. Also, von der Theorie her, ist es eigentlich richtig geregelt, dass man sagt,
man wird freigestellt, man bekommt eine Verdienstausfallentschädigung bzw. der Arbeitgeber
erhält diese, nur gilt es einfach nur in Zeiten, wo Arbeitnehmer gesucht werden“ (F18).
Insofern kann also festgestellt werden, dass die Freistellungspraxis von den
gesetzlichen Regelungen abweicht: 75% der Angestellten in Stuttgart, 82% in
Nürnberg, 79% in Hannover und 52% der Angestellten in Frankfurt werden von
ihrem Arbeitgeber freigestellt. Dabei überrascht es nicht, dass jene Ratsmitglie-
der, die nur Teilzeit beschäftigt sind, seltener freigestellt werden müssen als
Vollzeit beschäftigte Angestellte. So werden von den Ratsmitgliedern, die Voll-
zeit beschäftigt sind, 85,9% freigestellt, während es bei den Teilzeitbeschäftig-
ten lediglich 56,5% sind. Da in Frankfurt viele Ratsmitglieder Teilzeit beschäf-
tigt sind, erklärt sich die dortige, vergleichsweise niedrige Freistellungsquote.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie viele Stunden bzw. Tage die
Ratsmitglieder von ihren Arbeitgebern freigestellt werden. Es ist zu vermuten,
dass dies mit dem durchschnittlichen Sitzungsaufwand während der Arbeitszeit
160 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
Dabei ist zu erkennen, dass es in allen vier Städten zwei Gruppen von Freige-
stellten gibt: Auf der einen Seite diejenigen, die von einem halben Tag pro Wo-
che bis zu zwei Tagen pro Woche freigestellt werden, und auf der anderen Seite
diejenigen, die fast vollständig von ihrem Arbeitgeber freigestellt werden. Diese
klare Aufteilung in zwei Gruppen findet sich sowohl bei den Vollzeit- als auch
bei den Teilzeitbeschäftigten: Von den Vollzeitbeschäftigten werden 79,7%
zwischen drei Stunden und 20 Stunden pro Woche freigestellt, wobei 50% der
Vollzeitbeschäftigten zwischen acht und zwölf Stunden pro Woche freigestellt
werden. Die übrigen 20% der Vollzeitbeschäftigten werden entweder komplett
oder zu einem sehr hohen Anteil freigestellt. Bei den Teilzeitbeschäftigten wer-
den 69,3% bis zu 50% ihrer Arbeitszeit freigestellt und 30,7% darüber hinaus.
Wie die Untersuchung des Zeitaufwands unter 4.1 gezeigt hat, ist bereits
die reine Sitzungstätigkeit während der Arbeitszeit sehr hoch – abhängig von
der zeitlichen Lage und der Häufigkeit der Sitzungen, die in den vier Städten
wie erläutert stark variiert. Insofern erfordert die Ratstätigkeit in den Großstäd-
ten eine hohe Anzahl an Stunden während der üblichen Arbeitszeit und ist nicht
zu vergleichen mit der erforderlichen Freistellung in kleineren Städten. Die
Interviews zeigten, dass die Mehrheit der Ratsmitglieder, die eine feste Arbeits-
stelle mit geregelten Arbeitszeiten haben, eine Freistellung im Umfang von
einem Viertel bis zu einem Drittel der Arbeitszeit benötigt, um an den Rats- und
Ausschusssitzungen teilnehmen zu können. Dies deckt sich auch mit der ersten
Gruppe, die identifiziert wurde, bei der die durchschnittliche Freistellung bei 25
bis 30% der Arbeitszeit liegt. Diese Höhe der Freistellung ermöglicht es also
den Ratsmitgliedern, an den Sitzungen teilzunehmen und entspricht dem, was
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 161
107 Eine Ausnahme bilden hierbei die Fraktionsvorsitzenden in Nürnberg, die pauschal eine
Verdienstausfallentschädigung für 125 Stunden pro Monat erhalten.
162 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
keine Freistellung. Auch bezüglich des Anteils der Freistellung an der Arbeits-
zeit gibt es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Berufsgruppen. Des
Weiteren haben viele Ratsmitglieder in den Interviews betont, dass Angestellte
des öffentlichen Sektors häufig mehr Probleme haben als Angestellte des priva-
ten Sektors.
„Beim Öffentlichen Dienst ist es allgemein schwieriger mit den Freistellungen. Aktuell läuft
gerade eine Sache mit einem Kollegen von der SPD, der massive Probleme hat an seiner
Schule, der andere arbeitet beim Bundesgrenzschutz, wo es auch immer Theater gibt; gerade
die öffentlichen Dienstherren stellen sich da viel mehr an als die privaten“ (H19).
Insofern kann also festgestellt werden, dass die Berufsgruppe, der die Ratsmit-
glieder angehören, nicht erklären kann, warum manche Ratsmitglieder sehr
großzügig und über den durch die Verdienstausfallentschädigung gedeckten
Betrag freigestellt werden und warum andere Probleme bei der Freistellung
haben. Daher werden im Folgenden die durch die unterschiedliche Freistel-
lungspraxis identifizierten zwei Gruppen getrennt voneinander analysiert, um
auf die Motive und Probleme der Freistellungspraxis genauer einzugehen. So
lässt die unterschiedliche Freistellungspraxis erwarten, dass gerade bei den zu
einem hohen Grad Freigestellten die Arbeitgeber eine andere Einstellung zur
Freistellung sowie andere Interessen haben. Zunächst wird nun auf die bereits
erwähnten Rahmenbedingungen und Probleme bei den ‚normal’ Freigestellten
eingegangen, bevor anschließend die Gruppe der ‚vollständig Freigestellten’
analysiert wird.
Obwohl der Anspruch gerichtlich durchsetzbar wäre, wird dies jedoch von den
Ratsmitgliedern in den meisten Fällen nicht gemacht. So sagt die Stadtverordne-
te: „Nein, ich habe nicht versucht, das durchzusetzen. Das würde einfach auch
die Atmosphäre vergiften“ (F8). Ratsmitglieder aus anderen Städten bestätigen
dies, indem sie angeben, ihren Anspruch auch aus Angst vor dem Verlust des
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 163
Für die Mandatsnebentätigkeiten (vgl. 4.1.2), die teilweise auch während der
Arbeitszeit wahrgenommen werden müssen bzw. sollen, gibt es keine gesetzli-
che Grundlage und auch keine Verdienstausfallentschädigung für die Ratsmit-
glieder, so dass die Freistellung im Ermessen des Arbeitgebers liegt. Wie bereits
erläutert, erhalten die Arbeitgeber für die freigestellten Stunden eine Ver-
dienstausfallentschädigung (vgl. 4.2.1). Allerdings ist diese Entschädigung für
die meisten Unternehmen kein Ausgleich dafür, dass ihr Arbeitnehmer nicht am
Arbeitsplatz ist und seine Arbeit ausführt.
„Der Arbeitgeber will eben nicht 20 Euro für die Stunden, die der Arbeitnehmer weg ist, son-
dern der will seinen Auftrag erledigen. Die Verdienstausfallentschädigung ändert eben nichts
daran, dass derjenige Arbeitnehmer dann im Betrieb fehlt und dass eine Arbeit gemacht wer-
den muss“ (H35).
Dabei sind nach Einschätzung der Ratsmitglieder für die Freistellung zwei Fak-
toren besonders entscheidend: Zum einen die individuelle Position im Unter-
nehmen, zum anderen die Betriebsgröße. Hinsichtlich der individuellen Position
ist ausschlaggebend, inwiefern das Ratsmitglied in seiner Arbeit von anderen
164 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
Kollegen ersetzt werden kann. Je qualifizierter das Ratsmitglied ist und je mehr
Verantwortung es im Unternehmen trägt, desto schwieriger ist es, eine Vertre-
tung zu finden.
„Wir haben auch einen Diplom-Biologen, der in einer mittelständischen Firma ist, der dort in
einer verantwortlichen Position ist, wo er einfach nicht ersetzbar ist; und seinem Arbeitgeber
bzw. der Firma fehlen eben jene Stunden, und die Entschädigung, die er dafür bekommt, ist in
der Regel kein Ersatz“ (N1).
Eine weitere Schwierigkeit stellt die fehlende Planbarkeit der notwendigen Frei-
stellungen dar. So gibt es zwar Sitzungspläne für die Rats- und Ausschusssit-
zungen, die zu Beginn des Jahres festgelegt werden und die zu einer gewissen
Planbarkeit führen. „Je regelmäßiger die Sachen sind, desto einfacher ist es ja
auch immer für die Arbeitgeber“ (H7). Allerdings finden häufig außerordentli-
che Sitzungen zu aktuellen Themen statt, die zu Planungsproblemen führen:
„Wir wollen nicht sagen, wir haben erst in zwei Wochen unsere nächste Sitzung und vorher
kann hier alles explodieren und wir kümmern uns nicht darum; natürlich wollen wir da flexi-
bel sein“ (H19).
Ein zusätzliches Problem ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass das
Ende der Rats- und Ausschusssitzungen schwer abzusehen ist: „Man kann aber
immer relativ schwer planen, wie lange die gehen, denn es kommt immer auf
die Diskussionen an, die sich entwickeln“ (H33). Daher sei es schwierig, dem
Vorgesetzten eine genaue Angabe zu machen, wann die Einsatzfähigkeit am
Arbeitsplatz wieder gegeben ist. Dies führt dann zu Problemen der Koordination
der inneren Zeitabläufe. Dies gestaltet sich umso schwieriger, je unabkömmli-
cher ein Ratsmitglied ist. So sagt beispielsweise eine Ratsfrau, die als Lehrerin
arbeitet: „Mein Schulleiter muss dann ja einplanen können, ob ich die Schul-
stunde um 13.00 Uhr abhalten kann, um Ersatz zu finden“ (S18). Und eine an-
dere Ratsfrau, die im Verkauf arbeitet, erläutert:
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 165
„Ich arbeite direkt mit Kunden und dann muss ja immer einer meiner Kollegen einspringen,
der dann die Arbeit macht. Und das ist dann auch immer eine sehr unzuverlässige Sache, weil
man das kaum abschätzen kann; man weiß ja auch nie genau, wann die Sitzungen beendet
sind“ (H19).
So sind weniger die finanziellen Nachteile für das Unternehmen oder die zeitli-
che Nicht-Vereinbarkeit entscheidend, sondern vor allem die Nicht-Teamfä-
higkeit der Ratsmitglieder.
„Dann wenn sie in einem Team eingesetzt werden oder in einer Struktur arbeiten, wo sie eben
plötzlich – und das ist eben plötzlich – dann mal montags vormittags gar nicht kommen, und
dann wissen sie auch gar nicht, ob sie diesen Mittwoch können, und dann müssen sie wieder
für zwei Stunden weg, dann sind sie sozusagen nicht teamfähig“ (S13; vgl. auch H19).
Auch bei Ratsmitgliedern, die einen abgegrenzten und selbst bestimmten Ar-
beitsbereich haben, führt die Freistellung zu Problemen am Arbeitsplatz bzw.
konkreter zur Erfüllung ihrer Aufgaben. So haben die meisten dieser Ratsmit-
glieder keinen Anspruch auf Vertretung während ihrer Fehlzeiten. Dies führt
dazu, dass, so eine Stadträtin,
„so viel Arbeit auf meinem Schreibtisch liegen bleibt, dass ich mir eben bei jedem Termin
doppelt und dreifach überlege, ob ich hingehe, weil ich weiß, dass meine Arbeit hier liegen
bleibt“ (N25).
Ein weiteres, sehr wichtiges Kriterium bei der Freistellungspraxis ist nach An-
gaben der Ratsmitglieder die Bewertung der kommunalpolitischen Tätigkeit am
Arbeitsplatz. Am Beispiel eines Ratsherrn, der seit 20 Jahren im Rat der Stadt
Hannover ist, wird im Folgenden gezeigt, wie sehr die Freistellungspraxis und
die Probleme am Arbeitsplatz auch von der Haltung des Vorgesetzen und der
Kollegen abhängig sind, und dass eine Freistellung nicht nur durch konkrete
Berufspositionen der Ratsmitglieder bedingt wird. In den 20 Jahren als Man-
datsträger hatte dieser Ratsherr drei Vorgesetzte, die das Mandat sehr unter-
schiedlich bewertet haben:
166 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
„Mein erster Vorgesetzter hat mich beglückwünscht und dann gesagt, ich solle Bescheid sa-
gen, wann ich gehen muss; das war also eine ganz tolle Geschichte, auch mit den Kollegen,
die haben mir das Gefühl vermittelt, da ist jemand, der in der demokratischen Urzelle mit-
macht, das finden wir ganz toll, und haben mir das Gefühl vermittelt, dass ich kein Fremdkör-
per bei ihnen bin. Sie wollten auch keine Verdienstausfallentschädigung. Dann habe ich einen
neuen Chef bekommen; der hat immer verbal gesagt, er findet das ganz toll, und dann kam
aber das große ‚Aber’. Dem hat es also nicht gepasst, dass ich gehen konnte zu Sitzungen, die
eben stattgefunden haben, ohne dass er entscheiden konnte, ohne dass er das genehmigen
musste. Die Folge war, dass ich gemobbt wurde mit Sätzen wie ‚Ach, sind Sie auch da?’. Bei
meinem dritten Chef ist die Situation dann eskaliert. Er gibt vor, dass er für die Demokratie
und für die Kommunale Selbstverwaltung sei, es soll bloß keiner aus seiner Abteilung sein.
Die aktuelle Situation ist nun so, dass er mir nach einer Grundsatzdiskussion aus dem Weg
geht, und ich auch bei einer Beförderung auf eine Stelle, die mir eigentlich schon versprochen
war, übergangen wurde“ (H33).
In den Interviews erklärten vor allem jene Ratsmitglieder, die schon längere Zeit
im Rat sind, dass die Freistellungspraxis in den vergangenen Jahren problemati-
scher wurde. Die Gründe dafür liegen ihrer Meinung nach einerseits an den
schwieriger gewordenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Andererseits habe es
Veränderungen in der Unternehmensphilosophie gegeben, die dazu führten, dass
ein ehrenamtliches Mandat nicht mehr ein so hohes Ansehen in den Unterneh-
men habe und dadurch das Verständnis geringer wurde. Die erläuterten Proble-
me mit den Vorgesetzen und den Kollegen führen, so die Ratsmitglieder, dazu,
dass sie sich nur noch für die wichtigsten Sitzungen freistellen lassen, um Span-
nungen am Arbeitsplatz zu vermeiden. Daher nehmen sie teilweise nicht an
Ausschusssitzungen teil. Diese Probleme sind auch der Grund dafür, dass die
Ratsmitglieder vermehrt andere Strategien wählen, um die Probleme am Ar-
beitsplatz dadurch zu verringern. Welche Strategien dies sind, wird im Folgen-
den noch erläutert.
Auch in Stuttgart ist diese Art der Freistellung für Funktionsträger üblich:
„Es gibt viele, die auf kommunaler Ebene nicht mehr richtig in ihrem Beruf sind, insbesonde-
re bei Funktionsträgern. Man kann nicht den Fraktionsvorsitz machen und dafür keine Zeit
haben. Das muss man dann mit seinem Arbeitgeber absprechen“ (S22).
Die Ratsmitglieder sehen als Hauptmotivation der Arbeitgeber zwei Gründe an:
Zum einen sei es für die Unternehmen imagefördernd:
„Es gibt große Unternehmen, die Leute ganz bewusst reinschicken, z.B. ein Keramikunter-
nehmen hat einen Grünen in den Kreistag geschickt, denn für die war das ein ganz tolles
Marketing. Solche Fälle gibt es auch im Stadtrat“ (H33).
Zum anderen sind die Informationsflüsse, in die die Ratsmitglieder durch ihre
Ratstätigkeit eingebunden sind, teilweise auch für ihre Arbeitgeber nützlich:
„Dann haben sie natürlich auch noch andere Vorteile, die Informationsflüsse sind besser, wo
gibt es Ausschreibungen, wo werden Flächen ausgewiesen, das glaube ich unbedingt, dass es
so ist, dass es Vorteile gibt. Also vor allem im Bausektor und bei der Zuliefererindustrie“
(H23).
168 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
Beispiele dafür finden sich auch bei sozialen Einrichtungen, die ihre Arbeit-
nehmer sehr großzügig freistellen (vgl. F8 und H18). Neben den Vorteilen durch
bessere Informationsflüsse, handelt es sich bei dieser Vorgehensweise um eine
direkte Form des Lobbying.
„Wenn sie ein politisches Anliegen haben, dann werden sie sich dahin begeben, wo darüber
entschieden wird. Es gibt dann ja die Vorgabe, dass diese dann den Rat verlassen müssen,
wenn über ihre Organisation entschieden wird und dann wird es besonders evident. Aber das
sind wesentliche Bestandteile von Politik, das kann man, glaube ich, nicht verhindern“ (F8;
vgl. auch F19).
Eine weitere häufig angewendete Strategie ist die ‚Reduzierung der Arbeitszeit’.
So haben 33,5% der Ratsmitglieder von einer Vollzeit- auf eine Halbtagsbe-
schäftigung reduziert. Die Ratsmitglieder geben an, dass sie diesen Weg wählen,
um den notwendigen Zeitaufwand für das Mandat aufbringen zu können. Aller-
dings hat die Höhe des Einkommens durch die Politik für die Anwendung dieser
Strategie einen großen Einfluss. So haben vor allem die Ratsmitglieder in Stutt-
gart (45%) und Nürnberg (44%), wo die Aufwandsentschädigungen mit 1.770
Euro bzw. 1.500 Euro monatlich relativ hoch sind, ihre Arbeitszeit reduziert.
Dementsprechend geben die befragten Ratsmitglieder an, dass sie die Arbeits-
zeit auch deshalb verringern können, da sie das reduzierte Einkommen durch die
Aufwandsentschädigung größtenteils kompensieren können (vgl. S18, N31). In
Hannover hingegen haben lediglich 13% ihre Arbeitszeit reduziert, in Frankfurt
24%. Hinsichtlich der Verringerung der Wochenarbeitszeit können zwei Grup-
pen unterschieden werden: Die abhängig Beschäftigten und die selbständi-
gen/freiberuflichen Ratsmitglieder.
Auch die anderen Selbständigen bestätigen, dass sie durchschnittlich zwei Tage
pro Woche nicht im Büro bzw. Unternehmen sind. Dies führt dazu, dass die
Ratsmitglieder, politische Termine in die Terminplanung der Kanzlei oder Pra-
xis miteinbeziehen und somit der eigentlichen beruflichen Tätigkeit nicht mehr
zu Verfügung stehen. „Ich habe mich so organisiert, dass eben bestimmte Ter-
mine geblockt sind, weil da Sitzungen sind. Dadurch arbeite ich weniger als
Anwalt“ (F18). Durch die geringere Arbeitszeit entstehen Umsatz- und Ein-
kommenseinbußen. Die Selbständigen/Freiberufler erhalten – vergleichbar mit
der Freistellung der abhängig Beschäftigten – eine Verdienstausfallentschädi-
gung für die Einkommenseinbußen während der Sitzungen (vgl. 4.2.1). Viele
Ratsmitglieder geben jedoch an, dass diese Entschädigung nicht hoch genug ist,
um den eigentlichen Einkommensverlust zu kompensieren. So erklärt ein Rats-
mitglied:
„Man hat mal ausgerechnet, 90 Euro muss man die Stunde in der Kanzlei einspielen, nur um
das Büro zu halten. Meine Miete und meine Mitarbeiter muss ich bezahlen, egal ob ich im
Rathaus bin oder hier meine Verträge abschließe. Und ich bekomme einen Verdienstausfall
von 31,50 Euro die Stunde; d.h. jede Stunde, die ich im Rathaus bin, mache ich 60 Euro Ver-
lust; und bei meinen Mandanten rechne ich 200 Euro die Stunde ab. (...) Das hat natürlich
gravierende Auswirkungen auf mein Portemonnaie“ (H23).
Diese Aussage bestätigen auch andere Ratsmitglieder, die angeben, dass Selb-
ständige und Freiberufler ihren Beruf und das Mandat nur vereinbaren können,
wenn sie bereits etabliert sind. Ein Selbständiger aus Frankfurt, zum Beispiel,
versuchte eine Kanzlei aufzubauen, wechselt nun aber wieder in eine Arbeit-
nehmerstellung:
„Ich muss feststellen, dass, wenn man das kommunalpolitische Mandat ernst nimmt und so
wahrnehmen will, man mit der Selbständigkeit nicht hinkommt. Die Einbußen sind zu groß“
(F17).
„Da gibt es dann neben den Nachteilen auch Synergieeffekte; die Synergieeffekte sind ganz
deutlich da, man lernt Leute kennen, Bezüge kennen und kann eben auch Sachen gestalten“
(H23; vgl. auch N16).
„Ich habe dann beschlossen, ich möchte Teilzeit machen, um dem ständigen Konflikt in der
Arbeit aus dem Weg zu gehen. Ich konnte immer erst kurz vor knapp gehen (...) Und jetzt ha-
be ich auch nicht mehr das Gefühl, es stört, wenn ich gehe, weil die denken, jetzt geht die
schon wieder“ (N10).
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 171
Der Druck, die Arbeitszeit zu reduzieren, ist dabei in jenen Städten am höchs-
ten, in denen die Sitzungen (fast) ausschließlich während der eigentlichen Ar-
beitszeit stattfinden. Dies ist, wie erläutert, in Stuttgart und Nürnberg der Fall.
So haben beispielsweise die Lehrer in Stuttgart und Nürnberg ihre Arbeitszeit
reduziert, um während der üblichen Unterrichtszeit am Vormittag trotzdem für
das Mandat abkömmlich zu sein. Durch die Arbeitszeitreduzierung ist es ihnen
möglich, ihre Arbeitszeit so zu legen, dass sie im Regelfall vom Arbeitgeber
nicht mehr freigestellt werden müssen. So sagt ein Lehrer aus Nürnberg:
„Für meine Arbeit an der Schule bedeutet dies, dass der Stundenplan so gemacht wurde, dass
ich mittwochs und donnerstags keinen Unterricht habe, da dann viele Termine standardmäßig
anfallen, wie z.B. Stadtratssitzungen“ (N23).
Des Weiteren reduzieren jene Ratsmitglieder die Arbeitszeit, die einen beson-
ders hohen Arbeits- und Zeitaufwand haben. Besonders häufig sind dies Funkti-
onsträger und Mitglieder kleiner Fraktionen. So sagt beispielsweise eine Stadt-
rätin aus Nürnberg: „Bei uns Kleinen arbeitet eigentlich keiner mehr Vollzeit, in
den großen Fraktionen gibt es noch mehr, die Vollzeit arbeiten“ (N3). Der
Grund dafür ist, dass Ratsmitglieder kleinerer Fraktionen im Vergleich zu
Ratsmitgliedern großer Fraktionen eine höhere Anzahl an Ausschüssen und
einen höheren Vorbereitungsaufwand haben. Da die Ratsmitglieder die Fraktio-
nen in den Ausschüssen alleine vertreten, sind nur sie für die politische Ausrich-
tung der Fraktion zuständig, während es bei den großen Fraktionen eine größere
Arbeitsteilung gibt (vgl. 4.1.1.1). Für Funktionsträger wie Ausschusssprecher
gilt dies entsprechend.
Neben diesen Push-Faktoren, ist jedoch vor allem die Attraktivität der in-
dividuellen Professionalisierung und dabei die Höhe der Aufwandsentschädi-
gung das entscheidende Kriterium, ob ein Individuum diese Strategie wählt oder
nicht. Wie die Differenzierung nach Städten zeigt, wird diese Strategie vor al-
lem in jenen Städten angewendet, die eine hohe Aufwandsentschädigung haben,
so dass die Ratsmitglieder zumindest teilweise von ihr leben können. So sagt
eine Stadträtin aus Nürnberg:
172 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
„Um ehrlich zu sein, mein Einkommen durch die Teilzeitbeschäftigung plus die Aufwands-
entschädigung durch die Stadtratstätigkeit ist immer noch mehr, weitaus mehr, als ich hätte,
wenn ich Vollzeit arbeiten würde“ (N31; ähnlich N30).
Dieses Zitat zeigt, dass die Attraktivität der Strategie nicht von der absoluten
Höhe der Aufwandsentschädigung, sondern von der relativen Höhe – somit also
vom Verhältnis der Aufwandsentschädigung zum individuellen, eigentlichen
Einkommen – abhängt. So ist die Aufwandsentschädigung für manche Stadträte
hoch genug, um diese Strategie für sie attraktiv zu machen.
Allerdings spielt nicht nur die Aufwandsentschädigung eine Rolle, ob eine
individuelle Professionalisierung attraktiv erscheint. So geben Ratsmitglieder
an, dass sie sich für eine Reduzierung der Arbeitszeit entschieden haben, ob-
wohl die Aufwandsentschädigung die Einbußen nicht vollkommen aufhebt.
Jedoch, wie unter 2.3.1.1 erläutert, spielen gerade auf kommunaler Ebene Pres-
tige und Ansehen eine große Rolle (vgl. N30), aber auch die Möglichkeit gestal-
terisch zu wirken und etwas ‚in seiner Stadt’ zu bewegen. Dies, so Ratsmitglie-
der, wiege die finanziellen Nachteile auf:
„Nach Abwägung aller Pro- und Contra-Argumente habe ich mir gedacht, wenn ich die Gele-
genheit habe, dann mache ich das, weil es ein Ziel von mir war, gestalterisch in die Ortsteile
einzugreifen. Und diese Gelegenheit ergibt sich kein zweites Mal“ (N23).
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 173
Fast ein Viertel der Ratsmitglieder vereinbart mit seinen Arbeitgebern flexiblere
Arbeitszeiten. Hier ist vor allem die zeitliche Abkömmlichkeit das Ziel. Da die
Sitzungen häufig während der üblichen Arbeitszeiten stattfinden, ist es notwen-
dig, für diese Sitzungszeiten abkömmlich zu sein. Durch die flexibleren Ar-
beitszeiten können sich die Ratsmitglieder ihre Arbeitszeit relativ frei einteilen
und die Arbeit z.B. am Abend oder am Wochenende nachholen. Dies bestätigen
Aussagen wie „Ich kann in den späten Abendstunden und am Wochenende
einen Ausgleich erreichen.“ (H6; ähnlich S22, H31, F36) und „Flexibler Arbeit-
geber. Kann meine Arbeitszeit nach Bedarf einteilen“ (H19; ähnlich H37, S14).
Flexible Arbeitszeiten sind somit eine Grundbedingung für die Ausübung eines
174 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
Mehr als 14% der befragten Ratsmitglieder wechseln aufgrund der Anforderun-
gen des Mandats ihren Arbeitsplatz. Dabei lassen sich drei Hauptgruppen unter-
scheiden: Zu der ersten Gruppe gehören jene Ratsmitglieder, die auf einen Ar-
beitsplatz wechseln, der in engem Bezug zu ihrem eigentlichen Beruf steht.
Dazu zählen der Wechsel innerhalb des Unternehmens auf einen anderen Ar-
beitsplatz, der Wechsel auf einen Arbeitsplatz in einem anderen Unternehmen
und der Wechsel in die Freiberuflichkeit. Ein Beispiel für solche Berufswechsel
ist der eines Ratsmitglieds vom Rechtsanwalt zum Richter mit der Begründung,
dass die „Arbeitszeit nicht vereinbar war. Nun Sondersituation als Richter, da
keine feste Arbeitszeit“ (N20). Auch der Wechsel innerhalb des eigenen Unter-
nehmens hat zum Ziel, zeitlich flexibler zu sein:
„Eine durchschnittliche Freistellung von neun Unterrichtsstunden pro Woche und der Ersatz
durch Kollegen ist auf Dauer nicht durchhaltbar. Daher musste ich meinen Arbeitsplatz wech-
seln. Meine originäre Tätigkeit als Hauptschullehrer übe ich derzeit nicht aus, stattdessen Tä-
tigkeit in der Schülerberatung“ (N7; ähnlich S23).
Durch den Wechsel des Arbeitsplatzes haben die Ratsmitglieder, die diese Stra-
tegie wählten, nun ein abgetrenntes Arbeitsfeld und arbeiten nicht mehr im
Team. Insofern schaffen sie sich durch den Wechsel des Arbeitsplatzes Rah-
menbedingungen, um abkömmlich zu sein und damit auch einfacher freigestellt
werden zu können.
Es stellt sich jedoch die Frage, warum die Ratsmitglieder diese Strategie
wählen und sich nicht für eine andere Lösungsmöglichkeit entscheiden. Im
Rahmen der Analyse der Interviews war auffallend, dass insbesondere diejeni-
gen Ratsmitglieder, die ihren Arbeitsplatz bzw. ihr Arbeitsfeld innerhalb des
Unternehmens gewechselt haben, sich im Vorfeld über die verschiedenen Alter-
nativen ausführlich Gedanken gemacht hatten. Einer der Hauptgründe waren die
oben erläuterten Probleme am Arbeitsplatz. Ein zweiter wichtiger Grund für die
Entscheidung, den Arbeitsplatz zu wechseln, ist, dass andere Strategien aus
unterschiedlichen Gründen nicht möglich oder umsetzbar waren. Gründe, sich
für den Wechsel des Arbeitsplatzes und damit beispielsweise gegen eine Redu-
zierung der Arbeitszeit zu entscheiden, liegen dabei in den hohen Opportuni-
tätskosten, die mit einer Reduzierung der Arbeitszeit verbunden sind. So geben
die Ratsmitglieder an, dass es für sie mit zu hohen finanziellen Einbußen ver-
bunden gewesen wäre und insofern diese Alternative für sie nicht in Frage kam:
„Bei mir würde das finanziell nicht ausreichen, wenn ich nur die Hälfte der
Bezüge erhalten würde, insbesondere hinsichtlich der Pension“ (N25). Insofern
sehen sie den Wechsel des Arbeitsplatzes als eine Lösungsmöglichkeit zur Ent-
spannung der Situation am Arbeitsplatz an, der für sie zwar eine Einschränkung
in der beruflichen Laufbahn darstellt, aber attraktiver als die Anwendung ande-
rer Strategien ist. Somit stellt der Wechsel des Arbeitsplatzes eine Kompromiss-
lösung dar.
Zur zweiten Gruppe zählen solche Ratsmitglieder, die von ihrem eigentli-
chen Beruf in einen politischen oder politiknahen Beruf wechseln, beispielswei-
se als Mitarbeiter bei Interessengruppen, insbesondere aber bei ihrer eigenen
Partei oder Fraktion. Diese Personen sind für ihre eigene Fraktion als Fraktions-
geschäftsführer, -mitarbeiter oder für die eigene Partei auf kommunaler bzw.
Landesebene tätig. Diese Strategie wird vor allem in Frankfurt verfolgt, wo, wie
unter 4.3.1.2 erläutert, Stadtverordnete gleichzeitig als Fraktionsgeschäftsführer
beschäftigt sind. Insofern sind dort hauptamtliche, politische Positionen verfüg-
bar, die von Fraktionsmitgliedern besetzt werden können. Weitere Positionen,
auf die Ratsmitglieder wechseln, sind die der Parteigeschäftsführer. Dabei ist
die Opportunitätsstruktur, d.h. die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Attraktivi-
tät solcher Positionen, entscheidend. Hinsichtlich der Verfügbarkeit kommt es
darauf an, wann und ob solche Positionen frei werden. So erläutert ein Stadtver-
ordneter aus Frankfurt:
176 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
„Als die Stelle [als Parteigeschäftsführer] hier frei geworden ist, hat mich der Parteivorsitzen-
de, der zu dem Zeitpunkt Fraktionsvorsitzender im Römer war, gefragt, ob ich die Stelle über-
nehmen möchte. (...) Und natürlich hatte das damit zu tun, dass er mich und meine Arbeit als
Stadtverordneter kannte und offensichtlich der Ansicht war, dass ich diesen Job ausführen
kann. (...) Er hat jemanden gesucht, der die Partei relativ gut kennt, die Personen in der Partei
und in der Stadtverordnetenfraktion kennt und der die kommunalen Themen kennt. Insofern
habe ich da ganz gut gepasst. Wäre ich nicht Stadtverordneter gewesen, hätte er mich nicht
gekannt, und dann hätte ich den Job wahrscheinlich auch nicht bekommen“ (F24).
Dieses Beispiel zeigt, dass es bei der Strategie des Wechsels des Arbeitsplatzes
in den politischen Bereich somit zum einen darauf ankommt, dass eine Position
verfügbar und der Person auch zugänglich ist. Zum anderen ist es wichtig, dass
die Position zu diesem Zeitpunkt für das Ratsmitglied auch attraktiv ist. Dies
wiederum ist von seiner persönlichen und beruflichen Situation abhängig. Dabei
geben die Ratsmitglieder, die diese Strategie gewählt haben, an, dass diese für
sie vor allem deshalb attraktiv war, weil sie es als Chance ansahen, eine Karriere
im politischen Sektor zu machen. Ein weiterer Grund ist auch hier die Proble-
matik in ihrem eigentlichen Beruf. Durch den Wechsel in die Politik können sie
nun leichter Beruf und Mandat vereinbaren und sich somit ganz auf die Politik
konzentrieren.
„Ich bin ja eigentlich Rechtsanwalt und als ich Stadtverordneter wurde, musste man sich in
der Kanzlei daran gewöhnen, dass ich sehr viel weg war. Und man kann eben immer nur eine
Sache machen und von daher musste mein Beruf schon zurückstecken. Das war auch für mich
nicht einfach, das zu vereinbaren. Und als die Position des Fraktionsgeschäftsführers frei wur-
de, wurde ich von meinen Kollegen gefragt. Ich habe es dann gemacht, weil es auch eine Er-
leichterung für mich war. Denn immer das schlechte Gewissen zu haben, dass man im Büro
nicht da ist, das frisst einen langsam auf“ (F23).
Als dritte Gruppe sind jene Ratsmitglieder zu nennen, bei denen die Wahl zum
Ratsmitglied bereits vor Beginn der Berufstätigkeit war bzw. gleichzeitig erfolg-
te, wie eine Stadtverordnete erläutert: „Ich bin direkt nach meiner mündlichen
Prüfung zur konstituierenden Versammlung gefahren“ (F2). Diese Ratsmitglie-
der geben an, dass sie sehr große Schwierigkeiten haben, einen Arbeitsplatz zu
finden unter der Voraussetzung, „dass er [der Arbeitgeber] sie freistellen muss“
(F2). Insofern ist das Ziel ihrer ‚Strategie’ ebenfalls, einen Arbeitsplatz zu fin-
den, der es ermöglicht, Beruf und Mandat zu vereinbaren. Im Unterschied zu
den anderen beiden Gruppen in der Kategorie ‚Strategie Wechsel des Arbeits-
platzes’ haben diese Ratsmitglieder jedoch eine andere Ausgangssituation: Sie
hatten zuvor noch keinen Arbeitsplatz. Allerdings geben die Ratsmitglieder an,
dass sie in ihrem Beruf, auf den die Ausbildung bzw. das Studium abzielt(e),
keinen Arbeitgeber finden, der bereit ist, sie als Ratsmitglied einzustellen. Das
Ziel ist also, durch einen eventuellen ‚Berufswechsel’ Beruf und Mandat zu
vereinbaren. Das Ergebnis ist mit der zweiten Gruppe ‚Wechsel in einen politi-
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 177
So stellt sich die Situation gerade für die jungen, nicht etablierten Ratsmitglie-
der als sehr schwierig dar. Diese sind jedoch bereit, berufliche Nachteile hinzu-
nehmen, um das Mandat ausüben zu können:
„Bisher denke ich, dass ich das Mandat auf jeden Fall beibehalten möchte. Ich würde dafür
auch weiterhin beruflich zurückstecken. (...) Aber es ist dann wohl im Endeffekt eine finan-
zielle Frage; wenn ich es finanziell nicht schaffe, geht es eben nicht anders“ (F2).
Dies deckt sich auch mit den Angaben, die die Ratsmitglieder im Rahmen der
schriftlichen Befragung zu ihren Karriereabsichten gemacht haben. So streben
12,8% der Ratsmitglieder nach eigenen Aussagen eine hauptamtliche Position
auf kommunaler Ebene an: 4,9% die Position des Oberbürgermeisters und 6,9%
einen Dezernentenposten. 21,6% der Ratsmitglieder wollen für ein professionel-
les Mandat auf einer höheren Ebene des politischen Systems kandidieren: 15%
für ein Landtagsmandat, 3,8% für ein Bundestagsmandat und 2,8% für ein Man-
dat im Europaparlament. Insgesamt strebt also mehr als ein Drittel der Ratsmit-
glieder eine politische Karriere an. Dabei ist der Anteil der Frankfurter Stadtver-
ordneten am höchsten: Hier wollen 39% der Stadtverordneten für ein Mandat
178 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
Es ist bemerkenswert, dass nur 2,7% der Ratsmitglieder angeben, dass bei ihnen
der Beruf Vorrang vor dem Mandat hat und sie versuchen, lediglich ihre Freizeit
für dieses einzusetzen. Alle Ratsmitglieder, die diese Strategie zur Vereinbarkeit
von Beruf und Mandat verfolgen, sind Mitglieder des Stadtrats Hannover. Da
der Zeitaufwand in Hannover der geringste aller vier Städte ist und die Sitzun-
gen hauptsächlich am Nachmittag und am Abend stattfinden, scheint es in Han-
nover noch am ehesten möglich zu sein, das Mandat ohne große Veränderungen
im eigentlichen Beruf auszuüben.
„Ich kann es auch deshalb nicht, weil ich einen Hauptberuf daneben habe – und für mich ist
eben mein Hauptberuf noch etwas anderes – und daneben engagiere ich mich gerne in meiner
Stadt für einige Bereiche. Ich will es mir mit meinem Brötchengeber auch nicht dermaßen
verscherzen, dadurch dass ich ständig im Namen des Mandats unterwegs bin. (...) Daher setze
ich Prioritäten und beschränke mich im Wesentlichen auf Ausschusstermine und abendliche
Veranstaltungen“ (H18).
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 179
Es wird jedoch aus zwei Gründen vermutet, dass der Anteil der Ratsmitglieder,
die die Priorität auf den Beruf legen, höher ist als der in der schriftlichen Befra-
gung ermittelte Anteil: Zum einen ist es sozial nicht erwünscht, ein Mandat
nicht engagiert auszuüben, zum anderen stellt sich die Frage, wie ein Ratsman-
dat ‚richtig’ ausgeübt wird. Wie bei der Diskussion des Zeitaufwands bereits
diskutiert wurde (vgl. 4.1.3), liegt dies – mit Ausnahme der Pflicht zur Sitzungs-
teilnahme – im Ermessen der Ratsmitglieder. Gerade aufgrund des beschränkten
Zeitbudgets der meisten Ratsmitglieder führt dies dann – wie gezeigt – auch zu
einer unterschiedlichen Prioritätensetzung und teilweise auch zur Vernachlässi-
gung bestimmter Ratsaufgaben.
Die weitestgehende Reduzierung der Ratstätigkeit ist die Niederlegung des
Mandats. Es gibt keine genauen Angaben über die Anzahl der Ratsmitglieder,
die ihr Mandat während der Wahlperiode niederlegen. Aber in den Interviews
gaben die befragten Ratsmitglieder an, dass dies relativ selten vorkommt und sie
sich nur an zwei bis drei Ratsmitglieder während der letzten Wahlperioden erin-
nern können. In Nürnberg traten im Jahr 2003, ca. ein Jahr nach der Wahl des
neuen Stadtrats, zwei Ratsmitglieder aus Gründen der Nicht-Vereinbarkeit zu-
rück. Ein Grund für diese geringe Anzahl scheint zu sein, dass das Niederlegen
des Mandats einen hohen Ansehensverlust in der öffentlichen Meinung, in der
Partei und bei den Ratskollegen bedeutet:
„Also, wenn man da nach einem Jahr sagt, das habe ich mir ganz anders vorgestellt, so viel
Zeit habe ich gar nicht, ich trete zurück, dann ist das immer ein sehr schlechtes Zeichen, nicht
nur für die Bevölkerung, sondern auch innerhalb der anderen Mandatsträger. (...) Man kann
ihn eigentlich auch nicht mehr ernst nehmen, auch politisch nicht mehr“ (N23).
Diese Ratsmitglieder lassen sich in der Regel für die nächste Wahl nicht mehr
aufstellen. Diese Angaben werden in der Studie zu Mandatsniederlegungen auf
kommunaler Ebene von Becher bestätigt. „Wie die Ergebnisse (...) zeigen, ka-
men Parlamentsaustritte aus Gründen ‚beruflicher Belastung’ bzw. ‚beruflich
bedingtem Wohnortwechsel’“ (Becher 1997:188) sehr selten vor.
180 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
Da die Aufwandsentschädigung in Stuttgart relativ hoch ist, ist dies zum einen
finanziell attraktiv, zum anderen ist es „gerade auch für Frauen eine ganz große
Chance, es in der Kommunalpolitik zu etwas zu bringen“ (S13).
Vorruhestand
Eine weitere Strategie ist das frühzeitige Ausscheiden aus dem Beruf in den
Vorruhestand. 1,3% der Ratsmitglieder geben an, sich aus Gründen der Verein-
barkeit bewusst für den Vorruhestand entschieden zu haben. Die daraus entste-
henden finanziellen Nachteile können sie durch die Aufwandsentschädigung
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 181
Arbeitslosigkeit
1,3% der Ratsmitglieder nehmen sogar die Arbeitslosigkeit in Kauf, um ihr
Mandat ausüben zu können.
5.3.2 Idealtypen
Wie die Analyse der einzelnen Strategien gezeigt hat, verändern die Ratsmit-
glieder durch die Anwendung der Strategien das Verhältnis von Beruf und Rats-
tätigkeit, um das skizzierte Dilemma zu lösen. Im Folgenden sollen zunächst
theoretisch Idealtypen entwickelt werden, die dieses Dilemma auf unterschiedli-
che Weise lösen. Diese Idealtypen unterscheiden sich danach, welche unter-
schiedlichen beruflichen Rahmenbedingungen die Ratsmitglieder für die Ver-
einbarkeit haben und welche Strategien sie dafür anwenden. In einem zweiten
Schritt werden die von den Ratsmitgliedern angewendeten Strategien den Ideal-
typen zugeordnet, um zu sehen, welche Idealtypen in der Realität am häufigsten
auftreten. Das erste Differenzkriterium zwischen den Idealtypen ist, ob das
einzelne Ratsmitglied aufgrund der Ausübung des Ratsmandats Probleme am
eigentlichen Arbeitsplatz hat. Unter den Idealtypus I fallen jene Ratsmitglieder,
die keine Probleme bei der Vereinbarung von Beruf und Mandat haben, da sie
abkömmlich sind: Darunter fallen zum einen jene, die einen hohen Grad an
zeitlicher Verfügbarkeit und wirtschaftlicher Abkömmlichkeit im Sinne Webers
haben (Weber 1994:43). Dies bedeutet, dass sie finanziell abgesichert und da-
durch nicht auf ein Einkommen aus der Politik angewiesen sind. Darunter fallen
beispielsweise Rentner und Hausfrauen. Zum anderen gehören dazu jene, die in
ihrem Beruf in hohem Grade flexibel und abkömmlich sind und die daher das
Mandat ohne Einschränkungen im Beruf ausüben können.
Falls sich jedoch aufgrund der politischen Aktivität Beruf und Mandat nur
schwer oder nicht vereinbaren lassen, haben jene Personen, so Borchert,
„aufgrund der zeitlichen Beanspruchung, welche die moderne Politik unweigerlich mit sich
bringt, die Alternative, entweder den bisherigen Beruf oder aber das politische Amt auszu-
üben“ (Borchert 2003:7).
weitere berufliche Tätigkeit mehr möglich wäre. Insofern lassen sich theoretisch
drei Möglichkeiten ableiten, wie die Ratsmitglieder das Dilemma lösen können:
Sie können zum einen ihre Prioritäten auf den Beruf setzen, sich zum anderen
für die Politik entscheiden, indem sie ihre Prioritäten dort setzen und sich indi-
viduell professionalisieren, und drittens können sie versuchen, einen Ausgleich
zwischen den beiden Sphären zu finden, der es ihnen erlaubt, beide Tätigkeiten
so gut wie möglich zu erledigen.
Typ I: Vereinbarungsprobleme
Keine Vereinbarungsprobleme Anwendung von Strategien
ten. Es stellt sich somit die Frage, wie diese Personen dies schaffen und welche
Einschnitte sie dabei bei der Ausübung des Mandats hinnehmen. Es ist zu er-
warten, dass es sich bei diesem Idealtypus eher um einen sog. ‚Hinterbänkler’
handelt, der keine besonderen Funktionen ausübt. Zudem gehören zum Idealty-
pus II auch Stadträte, denen es nicht möglich ist oder die nicht Willens sind,
Beruf und Mandat so zu organisieren, dass sie beides miteinander vereinbaren
können und die daher das Mandat während der Wahlperiode niederlegen.
Das Ratsmitglied kann sich idealtypisch um einen Ausgleich zwischen dem
Bereich der Mandatsausübung und jenem des Berufs bemühen, um so beide in
Einklang zu bringen. Der Idealtypus III vereinbart Beruf und Mandat mit dem
Ziel, beide Tätigkeitsbereiche gut zu erfüllen und dabei keinen der Bereiche
stark zu vernachlässigen. Somit soll sowohl der eigentliche Beruf beibehalten
als auch das Mandat gut ausgeführt werden. Dafür gibt es die folgenden Mög-
lichkeiten, mit denen die Ratsmitglieder die Vereinbarkeit erreichen können:
108 Auf die Möglichkeiten der kollektiven Einflussnahme wird unter 6.1.2 näher eingegangen.
184 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
Zuletzt gibt es idealtypisch jene, die sich für das Mandat bzw. für die Politik
entscheiden und sich individuell professionalisieren (Idealtypus IV). Eine indi-
viduelle Professionalisierung kann dabei durch das Kumulieren des Mandats mit
anderen professionalisierten oder semiprofessionalisierten Ämtern erreicht wer-
den. Des Weiteren kann ein Mandatsträger sich durch die gleichzeitige Aus-
übung einer Angestelltenposition in einem Parlament, in Parteien oder Interes-
sengruppen individuell professionalisieren. Wie die Analyse des Professionali-
sierungsgrads des Amtes (vgl. 4.4.1) zeigt, sind die politischen Ämter in den
Großstädten teilweise bereits so hoch professionalisiert, dass die Mandatsträger
zumindest teilweise von der Politik leben können.
lösung empfinden, da sie Beruf und Mandat sonst nicht vereinbaren könnten,
eine Teilprofessionalisierung durch andere Strategien wie insbesondere durch
die Reduzierung der Arbeitszeit für sie jedoch nicht möglich bzw. nicht attraktiv
erscheint. So ist ein Arbeitsplatzwechsel als Abkömmlichkeitsstrategie anzuse-
hen und dem Idealtyp III zuzuordnen.
Der Wechsel in den politischen/politiknahen Bereich hingegen ist klar als
Professionalisierungsstrategie zu deuten und somit dem Idealtypus IV zuzuord-
nen: Die Ratsmitglieder wechseln von ihrem Privatberuf in eine bezahlte politi-
sche Vollzeittätigkeit. Gleichzeitig führt dies zu einer Deprofessionalisierung
von ihrem eigentlichen Beruf. Die wichtigsten Determinanten sind hierbei die
Verfügbarkeit und die Attraktivität solcher Positionen. Die dritte Gruppe, die
unter diese Strategie gefasst wurde, ist die der jungen Ratsmitglieder, die zum
Zeitpunkt der Mandatsübernahme noch keiner Berufstätigkeit nachgingen. Wie
erläutert, sind sie gezwungen, sich einen Arbeitgeber zu suchen, der bereit ist,
ein Ratsmitglied einzustellen – sofern sie nicht ihr Mandat niederlegen wollen.
Nach Angaben der Ratsmitglieder ist dies am ehesten im politi-
schen/politiknahen Bereich möglich. Des Weiteren streben nach Angaben der
Ratsmitglieder insbesondere viele der jungen Ratsmitglieder eine politische
Karriere an – vor allem als Abgeordnete in den Parlamenten der höheren Ebe-
nen und in Wahlämtern auf lokaler Ebene und sehen daher das Ratsmandat als
einen Schritt auf ihrer ‚Ochsentour’ an. Insofern kann dies aus zwei Gründen als
eine Professionalisierungsstrategie und individuelle Professionalisierung be-
trachtet werden: Zum einen leben diese Ratsmitglieder zum jetzigen Zeitpunkt
zumindest teilweise von der Politik, zum anderen ist es gleichzeitig eine Vorbe-
reitungsstrategie zu einer vollständigen Professionalisierung.
Wie die Analyse ergab, spielt die Strategie ‚Reduzierung der Arbeitszeit’
eine große Rolle. Diese Strategie führt zu einer Veränderung des Verhältnisses
von Privatberuf und Politik, das dazu führt, dass die Ratsmitglieder – zumeist
teilweise – von der Politik leben. Dabei wurden zwei Gruppen identifiziert: Zum
einen die abhängig Beschäftigten und zum anderen die Selbständigen/
Freiberufler. Bei den abhängig Beschäftigten zeigt sich, dass die Wahl dieser
Strategie vor allem von der Höhe der Aufwandsentschädigung abhängig ist. Bei
den abhängig Beschäftigten kann somit eindeutig eine Professionalisierung
festgestellt werden – diese Gruppe ist dem Idealtyp IV zuzuordnen.
Bei den Selbständigen gibt es im Vergleich zu den abhängig Beschäftigten
zwei Unterschiede: Erstens können sie ihre Arbeitszeit relativ variabel verrin-
gern, d.h. in Wochen, in denen keine Sitzungen sind, können sie Vollzeit arbei-
ten. Zudem haben sie auch keine Schwierigkeiten, bei einem Ausscheiden durch
Nicht-Aufstellung oder einem schlechten Wahlergebnis ihre Arbeitskraft wieder
voll ihrem Beruf zu widmen. Zweitens scheint hier die Attraktivität nicht so sehr
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 187
(1) Die große Mehrheit der Ratsmitglieder erläutert, dass sie nicht erwartet
haben, dass das Mandat so zeitaufwendig und die Vereinbarkeit mit dem Beruf
so schwierig ist. So haben sich die Ratsmitglieder, wie sie in den Interviews
relativ einheitlich angaben, vor der Kandidatur zwar bereits mit aktiven Rats-
mitgliedern unterhalten und sich dabei vor allem auch nach dem Zeitaufwand
erkundigt. Auch finden z.T. Informationsveranstaltungen der Fraktionen statt,
die darüber informieren. So erläutert beispielsweise der Fraktionsgeschäftsfüh-
rer der SPD in Nürnberg:
„Die SPD-Fraktion hat versucht, die Kandidaten für die Kommunalwahl 2002 sehr intensiv
vorzubereiten, (...) auch über die zeitliche Belastung. (...) Dort haben wir den potenziellen
Kandidaten dargestellt, was es bedeutet, Stadtrat zu sein, also die fachliche und die zeitliche
Belastung. Wir haben ihnen das auch an einer fiktiven Woche eines Stadtrats gezeigt. (...).
Aber das ist keine Sache, die im Kopf stattfindet. Man weiß es eben selbst erst, wenn man es
macht.“
Viele Ratsmitglieder sagen auch, dass sie sich von den Erklärungen und Darstel-
lungen nicht haben abhalten lassen, da sie sich nicht vorstellen konnten, dass es
so zeitaufwendig ist. Beispielsweise sagt eine Stadträtin aus Stuttgart:
„Ich habe es trotzdem gemacht, auch wenn mir gesagt wurde, dass drei Tage in der Woche
futsch sind. Weil man sich dann ja auch immer denkt, na ja, es wird schon irgendwie gehen.
Aber die ganzen Dinge, die es nach sich zieht, die kann man sich gar nicht vorstellen und aus-
rechnen. Man macht es dann ja trotzdem“ (S16).
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 189
(2) Wie auch bei der Analyse der einzelnen Strategien bereits festgestellt wur-
de, bekommen viele Ratsmitglieder Schwierigkeiten mit dem Arbeitgeber, mit
den Vorgesetzten und Kollegen – zumeist aufgrund der vielen Fehlzeiten, der
Teamunfähigkeit und der Freistellungen –, und auf der anderen Seite spüren sie
den Druck und die Erwartungen von Seiten der Fraktion und der Fraktionskolle-
gen, die einen vollen Einsatz für das Mandat erwarten. Daher befinden sich die
Ratsmitglieder in diesem Dilemma und sind gezwungen, entweder durch Strate-
gien Beruf und Mandat aufeinander abzustimmen oder aber ihr Mandat nieder-
zulegen. Wie erläutert, legen sehr wenige Ratsmitglieder ihr Mandat nieder. Die
meisten Ratsmitglieder entscheiden sich für eine Veränderung im eigentlichen
Beruf, um das Mandat so gut wie möglich ausüben zu können. So sagt eine
Stadträtin aus Nürnberg: „Einige wenige hören dann auf, die meisten nehmen
dann aber die beruflichen Konsequenzen in Kauf“ (N28).
„Zuerst vom Arbeitgeber 20% der Arbeitszeit freigestellt, dann Einführung flexiblerer Ar-
beitszeiten und jetzt Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit auf Teilzeit“ (N14).
Wie zuvor gezeigt, sind nur wenige Ratsmitglieder nicht fähig oder willig ihre
konkrete Jobposition zu verändern und entscheiden sich, dem Beruf Vorrang zu
geben und das Mandat niederzulegen. Die große Mehrheit jedoch verändert ihre
konkrete Jobposition durch die Anwendung von Strategien. Während der ersten
beiden Jahre passen sie ihren Beruf den Mandatsanforderungen an und können
dadurch mehr Zeit für die Politik aufwenden. Die Ratsmitglieder sagen durch-
190 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
gängig, dass sie dadurch eine ‚Sondersituation’ erreicht haben, die es ihnen
erlaubt, das Mandat auszuüben. So geben die Ratsmitglieder in den Interviews
an, dass insbesondere jene, die schon länger im Stadtrat sind, Beruf und Mandat
so organisiert haben, dass sie beides vereinbaren können und dass die meisten
dabei eine Entscheidung zugunsten des Mandats gefällt haben.
„Wer länger im Rat ist, muss zwangsläufig irgendwann die Prioritäten zugunsten des einen
oder anderen setzen. Als Ratsmitglied hat man zumeist keine Karrierechancen mehr im eigent-
lichen Beruf, denn wenn man so häufig fehlt, wird man nicht mehr auf Fortbildungen ge-
schickt und bei Beförderungen nicht beachtet. Und sehr viele legen dann auch die Weichen für
das Stadtratsmandat, obwohl das ja eigentlich ‚nur’ ein Ehrenamt ist. Politik macht man ja
nicht, weil man dazu gezwungen wird, das macht man, weil man es will. Und deshalb sind
Klagen auch immer relativ zu sehen. Man macht das ja, weil es Spaß macht, weil man glaubt,
Einfluss zu haben. Und dafür nimmt man eben berufliche Nachteile in Kauf“ (S22).
Dies zeigt sich auch an der hohen Zahl der Ratsmitglieder, die anstreben, in der
nächsten Wahlperiode wieder als Ratsmitglied im Rat vertreten zu sein: So
wollen 89% der Ratsmitglieder wieder für den Rat kandidieren – in Nürnberg
sind es 100%, in Stuttgart 95% und in Hannover und Frankfurt jeweils 83%. Der
Großteil der Ratsmitglieder ohne erneute Kandidaturabsicht gibt an, aus Alters-
gründen nicht mehr antreten zu wollen.
Zum Idealtyp II (Vorrang des Berufs) gehört lediglich die Strategie ‚Reduzie-
rung der Mandatsausübung’. Es wird vermutet, dass die Anzahl der Ratsmit-
glieder, die dies in der schriftlichen Befragung und in den Leitfadeninterviews
angegeben haben, als zu niedrig einzuschätzen ist. Allerdings zeigt sich, dass
alle anderen Strategien zu einer Veränderung im eigentlichen Beruf führen. Dies
ist ein Zeichen dafür, dass ein sehr hoher Anteil der Ratsmitglieder ihr Mandat
so gut wie möglich ausüben will und dafür Veränderungen im eigentlichen Be-
ruf hinnimmt. Die Analyse der einzelnen Strategien machte jedoch deutlich,
dass die Stärke der Prioritätensetzung nicht nur zwischen den Strategien, son-
dern auch innerhalb der Strategien variiert. Dies erschwert es, festzustellen,
inwiefern Ratsmitglieder, die z.B. wenige Stunden pro Woche freigestellt wer-
den, nicht doch dem Beruf den Vorrang geben. Zudem ist es schwierig zu defi-
nieren, was unter guter Mandatsausübung zu verstehen ist. Selbst wenn der reale
Anteil derjenigen, die die Priorität auf den Beruf setzen, eventuell höher ist als
dies die Ratsmitglieder angaben, so kann dennoch festgestellt werden, dass
dieser Idealtypus von geringer Bedeutung ist. Lediglich 3% der Ratsmitglieder
gehören nach den vorliegenden Erkenntnissen zum Idealtypus II.
Zum Idealtypus III zählen jene Ratsmitglieder, die einen Ausgleich zwi-
schen Beruf und Mandat herstellen. Wie die Analyse zeigt, gehören dazu jene
Ratsmitglieder, die von ihrem Arbeitgeber freigestellt werden, die ihren Ar-
beitsplatz innerhalb ihres eigentlichen Berufs wechseln und jene, die mit ihrem
Arbeitgeber eine flexible Arbeitszeit vereinbaren. Hinzu kommen jene selbstän-
digen Ratsmitglieder, die durch die Einstellung von neuen Mitarbeitern Be-
triebsstrukturen schaffen, um beides vereinbaren zu können. Wie jedoch erläu-
tert wurde, wenden viele Ratsmitglieder mehrere Strategien an. Insofern zählen
zum Idealtyp III nur jene, die neben diesen Strategien keine Professionalisie-
rungsstrategien anwenden. Somit gehören in der Realität diesem Typus ca. 23%
der Ratsmitglieder an.
Die Analyse hat ergeben, dass 49% der Ratsmitglieder in den vier Städten
mindestens eine Professionalisierungsstrategie anwenden und sich insofern
individuell professionalisieren. So gehört knapp die Hälfte der Ratsmitglieder
dem Idealtypus IV an. Diese individuelle Professionalisierung wird unter 5.3.3.
genauer analysiert. Zusammenfassend ist an dieser Stelle zu betonen, dass die
Realität eine asymmetrische Verteilung der Idealtypen aufzeigt.
möglich, die Funktion wahrzunehmen. Vergleichbares lässt sich für die Strate-
gie ‚Vorruhestand’ feststellen. Der geringere Grad an individueller Professiona-
lisierung kann also zum einen aufgrund der vergleichsweise niedrigen Auf-
wandsentschädigung erklärt werden. Zum anderen ist der Druck auf die Rats-
mitglieder, sich ‚beruflich’ anzupassen, aufgrund der Lage der Sitzungen am
späten Nachmittag und der geringeren Anzahl an Sitzungen nicht so hoch wie in
den anderen Untersuchungsstädten.
Nürnberg hat, wie unter 4.4.1 gezeigt, einen hohen Professionalisierungs-
grad des Amtes. Bei der Betrachtung der Strategien fällt auf, dass sich die Ab-
kömmlichkeitsstrategien ungefähr im gleichen Rahmen wie in Hannover bewe-
gen. So werden 68,9% aller Ratsmitglieder freigestellt (88% der abhängig Be-
schäftigten), 20% vereinbaren Gleitzeit bzw. flexiblere Arbeitszeiten und 17,1%
wechseln ihren Arbeitsplatz. Einen großen Unterschied gibt es allerdings hin-
sichtlich der Professionalisierungsstrategien. So spielt hier die Reduzierung der
Arbeitszeit eine bedeutende Rolle: 51,4% der Ratsmitglieder reduzieren ihre
Arbeitszeit; betrachtet man nur die abhängig Beschäftigten, sind es 44%. Die
Analyse ergab, dass dies zum einen vor allem weibliche Ratsmitglieder sind,
zum anderen Ratsmitglieder der kleinen Fraktionen. Dabei betonten die weibli-
chen Ratsmitglieder, dass die Aufwandsentschädigung höher ist als ihr ur-
sprüngliches Einkommen. In den kleinen Fraktionen wurde vor allem der hohe
Zeitaufwand als Grund für die individuelle Professionalisierung genannt. Für
diese Ratsmitglieder ist folglich eine individuelle Professionalisierung attraktiv.
Auch die sehr großzügige Freistellung der Ratsmitglieder von über 50% der
Arbeitszeit spielt eine bedeutende Rolle: 20% der Ratsmitglieder werden fast
vollständig von ihrem Arbeitgeber freigestellt.
Stuttgart hat einen noch höheren Grad der Professionalisierung des Amtes
als Nürnberg. Wie bei den Berufen bereits erläutert, hat Stuttgart einen sehr
hohen Anteil an Selbständigen und Freiberuflern. Dies erklärt den hohen Anteil
der Ratsmitglieder, die ihre Arbeitszeit im eigentlichen Beruf reduziert haben:
54,9% der Ratsmitglieder geben an, dass sie ihre Arbeitszeit aufgrund des Man-
dats reduziert haben – 59% dieser Ratsmitglieder, die ihre Arbeitszeit reduzie-
ren, sind selbständig/freiberuflich tätig. Im Vergleich zu den anderen Städten, in
denen in diese Gruppe vor allem die Freiberuflichen – insbesondere die Rechts-
anwälte – fallen, spielt in Stuttgart das mittelständische Gewerbe eine große
Rolle und hat eine lange Tradition. Wie diskutiert, gibt es für die Selbständigen
dabei auch Synergieeffekte, die zum einen in den besseren Informationsflüssen
liegen, aber auch an der wachsenden Bekanntheit und Außenwirkung, die die
Ausübung des Mandats für diese Berufsgruppe attraktiv macht. Die meisten
dieser Unternehmer, so die Ratsmitglieder in den Interviews, sind beruflich
‚gesettelt’ und eigentlich nicht mehr Vollzeit in ihrem Unternehmen tätig, da sie
5.3 Individuelle Strategien zur Vereinbarung von Mandat und Beruf 195
Eine andere Stadträtin sagte: „Außer mir gibt es in der Fraktion keinen, der voll
berufstätig ist“ (S16). Die unterschiedlichen Zeitressourcen durch den Status der
Berufstätigkeit spiegeln sich auch im Verhältnis unter den Stadträten wider. So
zeigt sich, dass insbesondere die Berufstätigen von der Fraktion unter Druck
gesetzt werden, ihr Mandat richtig auszuüben und auch tagsüber einige reprä-
sentative Aufgaben zu übernehmen: „Da kommt häufig der Vorwurf, du be-
kommst dein Gehalt, wir Armen sind nur von der Aufwandsentschädigung ab-
hängig und stürzen uns voll in die Arbeit rein“ (S16). So gebe es karrieremäßig
„Doppelreflexe, da sie im Unternehmen der Politiker sind und hier im Rathaus
sind sie derjenige, der nie da ist“ (S16).
In Frankfurt reduzieren im Vergleich zu den Ratsmitgliedern in Stuttgart
und Nürnberg relativ wenige Ratsmitglieder ihre Arbeitszeit: Insgesamt sind es
28,9% aller Ratsmitglieder. Wie bereits erläutert, spielt hier durch die Verfüg-
barkeit der Ämter des Fraktionsgeschäftsführers, die aus dem Kreis der Stadt-
verordneten gesucht werden, der Wechsel in den politischen Sektor eine ver-
gleichsweise bedeutende Rolle. In Frankfurt sind 26,7% und damit mehr als ein
Viertel der Stadtverordneten nicht berufstätig und insofern per se abkömmlich.
Dies deckt sich auch mit den Angaben der Stadtverordneten: „Ein Drittel der
196 5. Ratsmitglieder zwischen Ehrenamt und Berufspolitik
Stadtverordneten sind Rentner und Hausfrauen, die haben natürlich wenig Prob-
leme“ (F24). 22,2% der Ratsmitglieder waren bereits zu Beginn ihres Mandats
lediglich Teilzeit beschäftigt.
„Wir haben ja in unseren Fraktionen einen nicht unerheblichen Anteil an Frauen, die im Prin-
zip nicht voll berufstätig sind oder einer Teilzeit-Beschäftigung nachgehen. Die können es
hervorragend vereinbaren. Oder die Älteren/die Freiberuflichen: Wir haben viele, die das be-
reits eine lange Zeit machen, die sind fertig mit ihrem Beruf, die sind häufig nur noch halbbe-
ruflich tätig“ (F18).
Allerdings wurde in den Interviews deutlich, dass dies vor allem jene Ratsmit-
glieder sind, die noch nicht so lange im Rat sind und noch nicht die Weichen für
die Politik gelegt haben.
Die Analyse der Strategien zur Vereinbarkeit von Beruf und Mandat hat gezeigt,
dass die Anwendung bestimmter Strategien vor allem von den beiden Faktoren
‚Individuelle Berufsposition’ und ‚Rahmenbedingungen des Mandats’ sowie
dem Wechselspiel zwischen diesen beiden Faktoren abhängig ist. Bei der indi-
viduellen Berufsposition sind dabei zum einen ‚harte Faktoren’ wie die Art der
Tätigkeit und die Rahmenbedingungen der Ausübung entscheidend: So gibt es
5.4 Einflussfaktoren für die Wahl der Strategien 197
Wie die Analyse der Handlungsmuster gezeigt hat, sind sich die Ratsmitglieder
bei der Wahl der einzelnen Strategien über die unterschiedlichen ‚Wahlmög-
lichkeiten’ bewusst. Zunächst prüfen sie, welche Strategien für sie zugänglich
und verfügbar sind. So geben die Ratsmitglieder an, dass bestimmte Strategien
für sie nicht in Frage kommen, weil beispielsweise eine Reduzierung der Ar-
beitszeit bei ihnen nicht möglich ist. So ist beispielsweise beim Öffentlichen
Dienst in Bayern festgelegt, dass nur unter bestimmten Umständen wie bei Kin-
dererziehung oder ab einem bestimmten Alter die Arbeitszeit reduziert werden
kann. Auch ein Arbeitsplatzwechsel innerhalb des gleichen Unternehmens auf
einen Arbeitsplatz, der eine zeitliche Flexibilisierung erlaubt, ist nicht immer
möglich. Bei dem Wechsel in den politischen bzw. politiknahen Bereich stellt
die Verfügbarkeit von Positionen noch ein wichtigeres Kriterium dar. In einem
zweiten Schritt wägen die Ratsmitglieder bewusst zwischen den einzelnen Stra-
tegien ab, die ihnen zugänglich und verfügbar sind, und entscheiden sich für
jene, die für sie am attraktivsten ist.
Resümierend bleibt festzustellen, dass ein Ratsmandat in einer Großstadt
heutzutage schwer ehrenamtlich und nebenberuflich auszuüben ist. Die Ergeb-
nisse der Analyse unterstützen diese Einschätzung deutlich: Über 85% der
Ratsmitglieder setzen individuelle Strategien ein, um eine Vereinbarkeit von
Beruf und Mandat zu realisieren, 49% professionalisieren sich durch die An-
wendung von Professionalisierungsstrategien individuell und befinden sich
damit in einer Situation zwischen Ehrenamt und Berufspolitik.
6 Entwicklungslinien und strategische Optionen in
den Großstädten
6.1 Amateurinstitution
gegen das Neue Steuerungsmodell aus. In den drei Städten Hannover (2,6%),
Frankfurt (4,4%) und Nürnberg (5,7%) sehen sehr wenige Ratsmitglieder die
Reformen als Lösung an, während dies in Stuttgart mit 22,6% mehr als ein Fünf-
tel der Stadträte tut. Signifikante Unterschiede in den Einstellungen zum Neuen
Steuerungsmodell lassen sich hingegen weder beim Geschlecht109, beim Alter110
noch bei der Parteizugehörigkeit111 erkennen. Im Folgenden wird analysiert, wel-
che Reformen die Ratsmitglieder im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells als
positiv betrachten und inwiefern sie es als Lösung gegen den hohen Zeitaufwand
ansehen. Anschließend stehen die Bedenken der Ratsmitglieder gegen das Neue
Steuerungsmodell und die Probleme, die sie bei der Umsetzung sehen, im Mit-
telpunkt.
Wie gezeigt, gibt es in allen vier Städten einige Ratsmitglieder, die in dem Neu-
en Steuerungsmodell eine Lösungsmöglichkeit für die analysierten Probleme des
Rates und der einzelnen Ratsmitglieder sehen. Die Probleme in der aktuellen
Situation der Ratsmitglieder liegen auf der einen Seite in dem hohen Zeitauf-
wand für die Ratstätigkeit und auf der anderen Seite darin, dass die Ratsmitglie-
der angeben, aufgrund des hohen Zeitaufwands und der steigenden Komplexität
die Verwaltung nicht mehr kontrollieren zu können (vgl. dazu 2.1.2.6). Gerade
diese beiden Aspekte sollen durch die Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells
erreicht werden. Dem stimmen auch einige Ratsmitglieder in den Untersu-
chungsstädten zu. So sagt eine Stadträtin aus Stuttgart: „Das Zeitargument ist aus
Sicht des Gemeinderates immer das Hauptargument, diesen Prozess einzuleiten“
(S5). Auch werden Vorteile für die Kontrolle der Verwaltung gesehen, da diese
durch Zielvorgaben besser zu kontrollieren sei als durch die Einzelanträge.
„Ich merke jetzt nach den vier bis fünf Jahren, dass sich die öffentliche Verwaltung über Ein-
zelanträge gar nicht kontrollieren lässt, weil sie viel zu komplex dafür ist, als dass ein ehren-
amtlicher Stadtrat die durchschaut. Von daher ist das eigentlich sowieso eine Farce. Insofern
wäre es eigentlich sinnvoller, Regularien oder mehr in diese Verwaltungsreform zu investieren,
um auch wirklich sagen zu können, hier kann ich einen Wert untersuchen, und das ist für mich
als Abgeordneter transparent“ (S13; ähnlich H23, N7).
109 94% der weiblichen und 91% der männlichen Ratsmitglieder lehnen das Neue Steuerungsmo-
dell ab.
110 90% der 20-35jährigen; 97% der 36-50jährigen und 90% der 51-70jährigen lehnen das Neue
Steuerungsmodell ab.
111 89% der CDU bzw. CSU-Fraktionsmitglieder, 93% der SPD-Mitglieder, 95% von BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN und alle FDP-Fraktionsmitglieder lehnen das Neue Steuerungsmodell ab.
202 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
„Wir machen das im Kulturbereich schon sehr gut; da wird ein Jahresprogramm vorgelegt und
am Ende des Jahres kommt der Jahresbericht; und da kann man dann sehr gut über Grundsätz-
liches diskutieren und das Referat weiß dann Bescheid, was abgesegnet ist und was nicht; und
am Ende dieses Zeitraums gibt es dann die Kontrolle. Das erleichtert die Arbeit sehr, weil es
eben einen guten Überblick bringt und von Einzelheiten, vom Kanaldeckel wegführt. Bei uns
im Kulturausschuss läuft es sehr gut seit 2½ Jahren. Einzelentscheidungen gibt es natürlich
auch noch; denn vieles ist am Anfang des Jahres auch noch nicht absehbar; aber die Linien und
die Etats, innerhalb derer sie sich bewegen können und auch die Personalplanung und die Or-
ganisation sind klar; aber natürlich brauchen die Referate dann während des Jahres Beschlüsse
von uns; es ist nicht so, dass wir dadurch überflüssig wären. Einzelentscheidungen gibt es nach
wie vor und die sind auch notwendig und es gibt ja auch Anträge aus den einzelnen Fraktionen;
es ist daher, glaube ich, keine Arbeitserleichterung, was den Zeitaufwand betrifft, aber die
Qualität der Arbeit wird besser, weil man sich mit den Einzelentscheidungen am Gesamtrah-
men orientiert und man kann es besser einordnen“ (N2; ähnlich F23).
Insofern führt die Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells nach ersten Erfah-
rungen der Ratsmitglieder zu einer Qualitätsverbesserung der Ratsarbeit und zu
besseren Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Verwaltung. Eine zeitliche Ent-
lastung hingegen erkennen sie nicht, da die strategische Steuerung ebenfalls
einen hohen Zeitaufwand erfordert.
6.1 Amateurinstitution 203
112 Im Rahmen der Debatte um die Neuen Steuerungsmodelle ergibt sich die neue Arbeitsteilung
zwischen Rat und Verwaltung vor allem aus der Erkenntnis, „dass eine solche dezentrale Res-
sourcen- und Ergebnisverantwortung nur funktionieren kann, wenn sich niemand in die Ver-
antwortungsbereiche der Fachdienste einmischt“ (Kodolitsch 1996:171).
204 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
verlust darstellt, sondern dass sie einen Qualitätsgewinn für die Kommunalpoli-
tik bedeutet (vgl. Potthast 1996:456). Dazu muss die Verwaltung Vorleistungen
erbringen, insbesondere durch mehr Transparenz im Handeln und durch die
Schaffung von verbesserten Entscheidungsgrundlagen für die Politik (Weiß
2002:121; Andree 1994:42).
Allerdings ist dies in den vier Untersuchungsstädten nicht erfolgt. So wird
die Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells vorrangig als interne Verwaltungs-
reform begriffen. Die Veränderungen im Innenverhältnis zwischen Rat und Ver-
waltung und die Auswirkungen auf die Ratstätigkeit stehen nicht im Mittelpunkt
des Reformprozesses, sondern werden lediglich nachrangig behandelt. Dement-
sprechend sehen die Ratsmitglieder im Neuen Steuerungsmodell vor allem die
Reformierung und Stärkung der Verwaltung und betrachten die angestrebte neue
Arbeitsteilung hauptsächlich als Machtverlust gegenüber der Verwaltung: „Ich
bin strikt dagegen, der Verwaltung noch mehr Macht zu geben, weil sie es eben
so machen, wie sie es wollen“ (N10; vgl. auch F27). In Stuttgart wurde im Rah-
men des sog. Wibera-Gutachtens im Jahre 1996 angeregt, „die Hauptsatzung zu
ändern und gemäß den Leitlinien des Neuen Steuerungsmodells den Rat zu ver-
pflichten, sich auf die strategischen Entscheidungen zu konzentrieren“ (S1). Dies
wurde jedoch vom Gemeinderat abgelehnt, da befürchtet wurde, dass dem Rat
die Gestaltungsmöglichkeiten verloren gehen würden. Vielmehr wirft der Rat der
Verwaltung vor, dass sie eine wirksame Kontrolle dadurch zu verhindern versu-
che, dass sie den Rat mit nebensächlichen Informationen überhäufe und die
wirklich wichtigen vorenthalte.
Auch die in der wissenschaftlichen Literatur geforderten Vorleistungen der
Verwaltung, insbesondere hinsichtlich der Transparenz im Verwaltungshandeln,
wurden nach Angaben der Ratsmitglieder in allen vier Untersuchungsstädten
nicht erbracht. Vielmehr berichten sie, dass das Misstrauen durch das Verhalten
der Verwaltung im Modernisierungsprozess sogar noch erhöht wurde. Die fol-
genden Aussagen der Ratsmitglieder belegen dies:
„Die Verwaltung müsste eine ehrliche Darbietung bringen. Wenn klar und deutlich dastehen
würde, es gibt die Varianten 1, 2 und 3 und das sind die jeweiligen Bedingungen, so dass wir
Ehrenamtlichen uns innerhalb kürzester Zeit kundig machen können; aber die Verwaltung legt
eben häufig Fallstricke“ (N2; vgl. auch F17, S13).
„Wenn wir als Partner verstanden werden würden, dann könnte man ganz anders zusammenar-
beiten; aber durch dieses Gegner-Sein-Verständnis werden die Drucksachen immer dicker und
wir müssen schauen, wo der Haken steckt“ (H19; ähnlich S6).
Dementsprechend halten es viele der Ratsmitglieder nur für möglich, die Ver-
waltung durch das Einbringen von Vorlagen und durch Einzeleingriffe zu kon-
trollieren.
6.1 Amateurinstitution 205
Studien belegen zudem, dass die Bürger in den Ratsmitgliedern ihre direkten
Ansprechpartner sehen und von ihrem Vertreter erwarten, dass er sich persönlich
um ihre Anliegen und Beschwerden kümmert (vgl. Weiß 2002:89; Willke
1992:14; Janning 1996:158). Bei diesen Anliegen handelt es sich jedoch zumeist
um Einzelentscheidungen, wie beispielsweise um den viel beschworenen Kanal-
deckel (vgl. Holler/Naßmacher 1976:142; Lang/Gronbach 1998:164). Dement-
sprechend lehnen die Ratsmitglieder die Konzentration auf strategische Ent-
scheidungen ab, da sie sich dann nicht mehr um diese Einzelentscheidungen
kümmern könnten. Dies dem Bürger zu vermitteln, halten sie für äußerst schwie-
rig. Insofern steht das Neue Steuerungsmodell für sie im Widerspruch zu ihrer
Repräsentationsfunktion:
„Das ist ein Widerspruch an sich, denn der Stadtrat vertritt die Bürger und wenn sich ein Stadt-
rat nur auf Strategiedebatten einlässt und gar nicht mehr drauf schaut, was hinten rauskommt,
dann ist er vom Bürger weg, denn der Bürger erfährt ja schließlich am eigenen Leib das, was
hinten raus kommt. Und dann zu sagen, das tut mir leid, das ist nur Ausfluss der strategischen
Entscheidung, das wäre zu wenig“ (N23; ähnlich S5, N7, S1, F28).
Dieser Punkt ist eng verknüpft mit einem weiteren Problem, das die Ratsmitglie-
der in der Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells sehen: Es steht im Wider-
spruch zu ihrer Rolle als Politiker, insbesondere bezüglich ihres Wiederwahlinte-
resses. Daher sehen es die Ratsmitglieder als notwendig an, sich auch mit Ein-
zelproblemen, die von den Bürgern an sie herangetragen werden, zu beschäfti-
gen: „Ich bin vom Volk gewählt in einer Personalwahl und daher komme ich gar
nicht darum herum, mich ins Detail zu verlieben und den Kanaldeckel, den der
Nachbar schon 25mal angesprochen hat, dann auch tatsächlich aufzugreifen“
206 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
In den Interviews zeigt sich, dass das Argument der Wiederwahl in Hannover
und Frankfurt von den Ratsmitgliedern nicht genannt wird, während es in Stutt-
gart und Nürnberg von allen Ratsmitgliedern als ein wichtiges Argument gegen
das Neue Steuerungsmodell hervorgebracht wurde. Für diese Unterschiede
scheinen die konkrete Ausgestaltung des Wahlsystems und die daraus resultie-
renden Erfahrungen der Ratsmitglieder eine entscheidende Rolle zu spielen.
Während es in Bayern und Baden-Württemberg bereits seit langem das persona-
lisierte Wahlsystem mit den Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens
gibt, wurde es in Niedersachsen erst mit der Reform des Niedersächsischen
Kommunalverfassungsrechts 1996113 eingeführt, in Hessen gibt es die Verhält-
niswahl mit offenen Listen erst seit der Wahl 2001. Zuvor wurde in diesen bei-
den Bundesländern in einer Verhältniswahl mit geschlossenen Listen gewählt,
wodurch für das einzelne Ratsmitglied keine Notwendigkeit bestand, sich auf-
grund des Wiederwahlinteresses persönlich zu profilieren. Insofern ist zu vermu-
ten, dass die Ratsmitglieder in diesen beiden Bundesländern noch keine ausrei-
113 In Niedersachsen hatte es bereits in den Jahren 1968, 1972 und 1976 eine mit Personenwahl
verbundene Listenwahl gegeben.
6.1 Amateurinstitution 207
chenden Erfahrungen mit dem veränderten Wahlsystem gemacht haben und dass
daher die persönliche Profilierung aufgrund des Wiederwahlinteresses noch
keinen zentralen Stellenwert erlangt hat.
In der wissenschaftlichen Debatte werden die oben diskutierten Probleme
ebenfalls erkannt. Allerdings wird es für realistisch gehalten, diese Hindernisse
durch strukturelle Veränderungen zu verringern. Durch die oben bereits erläuter-
te bessere Zusammenarbeit zwischen Rat und Verwaltung lasse sich langfristig
die Konkurrenz zwischen beiden verringern. So wird beispielsweise ein aktives
Beschwerdemanagement als Lösung angesehen, um die Einflussnahme der
Ratsmitglieder in den Verwaltungsvollzug zu verringern. Sofern die Bürger auf
ein funktionierendes Beschwerdesystem zurückgreifen könnten, würden sie sich
voraussichtlich weniger an ihre Vertreter wenden, sondern direkt an die Verwal-
tung (vgl. Arzberger/Murck/Schumacher 1979:189; Janning 1996; Kodolitsch
1996). Die Ratsmitglieder in den vier Untersuchungsstädten glauben jedoch
nicht, dass sich diese Strukturen und Vorstellungen umsetzen lassen. Zusammen-
fassend kann also festgestellt werden, dass lediglich ein kleiner Prozentteil der
Ratsmitglieder das Neue Steuerungsmodell für positiv und umsetzbar hält. Al-
lerdings sehen sie darin in erster Linie Chancen für eine qualitativ bessere Rats-
arbeit und eine einfachere Kontrolle der Verwaltung; eine Reduzierung des Ar-
beitsaufwands hingegen wird selbst von den Befürwortern als unrealistisch be-
trachtet. Die große Mehrheit der Ratsmitglieder lehnt das Neue Steuerungsmo-
dell hingegen ab, da sie dadurch einen (weiteren) Machtverlust gegenüber der
Verwaltung befürchten. Des Weiteren widerspricht es ihren Funktionsvorstel-
lungen, insbesondere hinsichtlich ihrer Repräsentationsfunktion. Daher ist nicht
zu erwarten, dass die Ratsmitglieder ihre Arbeitsweise entsprechend den im
Neuen Steuerungsmodell verankerten Vorstellungen verändern.
Während die Analyse ergab, dass die Ratsmitglieder mehrheitlich in allen vier
Städten nicht zu einer konsequenten Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells
bereit sind, wird im Folgenden untersucht, inwiefern sie eine andere zeitliche
Organisation der Ratsarbeit für sinnvoll und umsetzbar halten. Wie unter 4.1.1.2
gezeigt, finden die Sitzungen in Stuttgart und Nürnberg vor allem tagsüber und
in Frankfurt und Hannover am Nachmittag statt. Durch eine Verschiebung der
Sitzungen auf den späten Nachmittag und Abend könnte erreicht werden, dass
das Mandat wieder leichter nebenberuflich und ehrenamtlich auszuüben ist, da
die Ratsmitglieder seltener für Sitzungen freigestellt werden müssten. Die Ana-
lyse zeigt allerdings, dass selbst diese Verlegung der Sitzungen von den Rats-
208 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
So sei praktisch jeder Abend bereits durch andere Rats- und Parteiaktivitäten
blockiert und damit sei eine Verlegung der Rats- und Ausschusssitzungen auf
den Abend nicht zu koordinieren, da die Termine dann zeitlich miteinander kol-
lidieren würden. Des Weiteren würden sich die Sitzungen mit Repräsentations-
terminen überschneiden:
„Es wurde immer mal wieder angesprochen, die Sitzungen auf abends zu verlegen, aber es gab
nie die Bereitschaft, etwas zu verändern – ob das arbeitnehmerfreundlicher ist, ist eine zweite
Frage, aber es wäre auf alle Fälle bürgerunfreundlicher. Denn die ganzen Bürgertermine finden
am Abend statt, wenn die Leute nicht mehr bei der Arbeit sind. Wenn wir noch einmal zwei
Abende pro Woche im Stadtrat rumhängen müssten, dann hätten wir die Zeit überhaupt nicht
mehr, und dann wären wir von der Bevölkerung weitgehend abgeschnitten. (...) Die Bevölke-
rung würde darunter leiden“ (S22).
In diesem Zitat eines Stadtrats aus Stuttgart zeigt sich bereits der dritte Punkt,
der im Rahmen dieser Diskussion immer wieder angesprochen wird: Die Frage,
ob eine Verlegung der Sitzungen auf den Abend wirklich ‚arbeitnehmerfreundli-
cher’ wäre. Zwar stimmen sehr viele der Ratsmitglieder zu, dass durch die Ver-
legung der Sitzungen auf den Abend die Vereinbarkeit mit dem Beruf verbessert
würde. Allerdings würde dies ihrer Einschätzung nach zu Lasten der Qualität
und Effektivität der Ratsarbeit gehen. Dies war auch der Hauptgrund für die
Ratsmitglieder in Hannover, die Sitzungen um zwei Stunden vorzuverlegen.
6.1 Amateurinstitution 209
„Teilweise waren die Sitzungen früher später, aber die wurden absichtlich nach vorne gerückt.
Die Sitzungen gingen eben teilweise wirklich bis in die Nacht hinein; und dann geht es
manchmal einfach nicht mehr. Wenn man schon seine acht Stunden im normalen Beruf gear-
beitet hat, und dann fängt die Sitzung an und man hat kein Abendbrot, auch keine Pause, und
wenn es dann so spät wird, dann ist das schlecht machbar, da ist keine effektive Arbeit mehr
möglich. Und dann haben wir beschlossen, etwas zu ändern“ (H19; ähnlich N25).
Somit würde eine Verlegung der Sitzungen auf den Abend erstens zu einem
Qualitätsverlust der Ratsarbeit und zweitens zu einer noch höheren zeitlichen
Gesamtbelastung für die Ratsmitglieder führen. In Stuttgart ergaben sich aller-
dings, so die Ratsmitglieder, aus den Diskussionen um das Neue Steuerungsmo-
dell Verbesserungen in der Organisation der Ratstätigkeit, insbesondere hinsicht-
lich zweier Aspekte: Erstens werden nun die Sitzungen in Kooperation mit der
Verwaltung langfristiger geplant, „denn früher kam plötzlich da noch ein Termin
oder es wurde einer gestrichen, und nun setzt die Verwaltung die Termine lang-
fristig“ (S18). Diese langfristige Planung der Sitzungen erlaubt nun eine bessere
Koordination der beruflichen Termine mit den Ratstätigkeiten. Zweitens wurde
mit der Verwaltung eine Höchstdauer von vier Stunden pro Sitzung vereinbart.
Dies führte, so die Ratsmitglieder, zum einen ebenfalls zu einer besseren Pla-
nung am Arbeitsplatz:
„Denn früher waren die Sitzungen morgens um 8.00 Uhr und man wusste nie, komme ich jetzt
um 12.00 Uhr oder um 14.00 Uhr raus, und das war für mich ein Unding, denn ich muss ja an-
geben, ob ich um 13.00 Uhr eine Klasse übernehmen kann oder nicht“ (S18).
Zum anderen habe die Beschränkung der Dauer auf vier Stunden zusätzlich zu
einer Selbstbeschränkung und zu einer strafferen und effizienteren Organisation
der Sitzungen geführt, um die Tagungsordnungspunkte in der vorgegebenen Zeit
diskutieren zu können. Insgesamt zeigt sich folglich, dass es für eine zeitliche
Umorganisation der Ratsarbeit keine Mehrheit in den einzelnen Fraktionen und
im Gemeinderat gibt. Die Gründe hierfür liegen zum einen in den Koordinati-
onsproblemen mit anderen Rats- und Parteitätigkeiten ebenso wie mit Repräsen-
tationsterminen. Zum anderen würde eine Verschiebung der Sitzungen auf den
Abend zwar die Vereinbarkeit von Beruf und Mandat vereinfachen, die zeitliche
Gesamtbelastung der Ratsmitglieder jedoch erhöhen und damit nach Einschät-
zung der Ratsmitglieder die Qualität der Ratsarbeit gleichzeitig verringern. Da-
her ist keine zeitliche Umorganisation der Ratsarbeit zu erwarten.
Wie gezeigt werden konnte, hält die große Mehrheit der Ratsmitglieder eine
Reduzierung des Zeitaufwands durch eine Konzentration auf strategische Ent-
210 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
einem hohen Grad zwischen den einzelnen Städten. Während die Ratsmitglieder
in Frankfurt und in Hannover eine hohe organisatorische und inhaltliche Zuarbeit
gewohnt sind, wird den Stadträten in Nürnberg und Stuttgart lediglich organisa-
torisch zugearbeitet. Insofern ist interessant, ob aufgrund dieser Unterschiede
differierende Einstellungen dahingehend bestehen, ob eine stärkere Zuarbeit für
die Ratsmitglieder eine erstrebenswerte Gestaltungsoption darstellt. So wäre
denkbar, dass in den Städten, in denen die Ratsmitglieder vergleichsweise gerin-
ge personelle Ressourcen und damit auch kaum inhaltliche Unterstützung zur
Verfügung haben, sich diese zu einem größeren Anteil für eine Vergrößerung der
Fraktionsgeschäftsstellen aussprechen als in jenen Städten, in denen diese Zuar-
beit bereits Realität ist.
Durchschnittlich 42% der Ratsmitglieder in den vier Untersuchungsstädten
halten eine bessere personelle Ausstattung für wichtig und wünschenswert. In
Frankfurt sehen lediglich 33% der befragten Stadtverordneten eine Vergrößerung
der Fraktionsgeschäftsstellen als wichtig an, in Nürnberg sind es 40%, in Stutt-
gart 48% und in Hannover 50%. Insofern werden die beiden Extrempositionen
von jenen Städten eingenommen, die bereits vergleichsweise große Fraktionsge-
schäftsstellen haben. Obwohl diese Werte auf keine sehr großen Einstellungsun-
terschiede hinweisen, kristallisierten sich diese im Rahmen der Leitfadeninter-
views jedoch heraus. Aufgrund des unterschiedlich hohen Professionalisierungs-
grades hinsichtlich der Ressourcen muss im Rahmen der Analyse beachtet wer-
den, dass die Ratsmitglieder in den vier Untersuchungsstädten jeweils von einem
anderen Niveau ausgehen. Im Folgenden wird daher nun für die vier Untersu-
chungsstädte jeweils zuerst kurz das aktuelle Niveau der Zuarbeit zusammenge-
fasst, bevor anschließend auf die Erwartungen und Wünsche der Ratsmitglieder
eingegangen wird.
In Frankfurt ist der Anteil der Ratsmitglieder, die sich eine bessere perso-
nelle Ausstattung wünschen, mit 33% am geringsten. Wie die Analyse unter
4.3.1.2 zeigte, sind hier die Fraktionsgeschäftsstellen im Vergleich zu allen ande-
ren deutschen Großstädten personell sehr gut ausgestattet, wodurch die Stadtver-
ordneten ähnliche Rahmenbedingungen haben wie die Abgeordneten in der se-
miprofessionellen Bürgerschaft in Hamburg. Die Fraktionsmitarbeiter arbeiten
ihnen organisatorisch, aber vor allem auch inhaltlich zu (vgl. 4.3.1.2). Dies er-
klärt auch den relativ geringen Anteil an Stadtverordneten, die sich für eine bes-
sere personelle Ausstattung aussprechen. Lediglich die Stadtverordneten der
kleinen Fraktionen und der Einzelvertreter wünschen sich eine stärkere inhaltli-
che Zuarbeit. Insgesamt aber sieht die große Mehrheit der Stadtverordneten ein
Niveau der Zuarbeit erreicht, bei dem eine noch stärkere inhaltliche Zuarbeit die
Stadtverordneten kaum weiter entlasten würde. Jene Aufgaben, die sie momen-
tan in erster Linie ausüben, sind ihrer Meinung nach Tätigkeiten, die sie nicht an
212 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
Eine weitere Entlastung könnten sich einige Stadtverordneten jedoch durch die
Einführung von persönlichen Mitarbeitern vorstellen. „Jeder hätte dann sozusa-
gen seine persönliche Assistentin; ich habe also wen, der mich noch individueller
unterstützt“ (F8). Dies verdeutlicht, warum in Frankfurt der Großteil der Stadt-
verordneten einen weiteren Ausbau der Fraktionsgeschäftsstellen nicht unbedingt
für notwendig erachtet. Die inhaltliche Zuarbeit ist bereits auf einem solch hohen
Niveau, dass ein weiterer Ausbau die Arbeit und den Zeitaufwand der einzelnen
Stadtverordneten nicht mehr verringern würde.
In Hannover liegt der Anteil der Stadträte, die sich eine Vergrößerung der
Fraktionsgeschäftsstellen wünschen, bei 50% und damit im Vergleich zu den
anderen Untersuchungsstädten am höchsten. Die Analyse unter 4.3.1.2 ergab
jedoch, dass auch die Fraktionsgeschäftsstellen in Hannover personell sehr gut
ausgestattet sind und den Ratsmitgliedern sowohl organisatorisch als auch inhalt-
lich zugearbeitet wird. Im Gegensatz zu den Stadtverordneten in Frankfurt sind
jedoch insbesondere die Fraktionsmitglieder der großen Fraktionen mit der Zu-
arbeit der Fraktionsmitarbeitern nicht zufrieden. Dementsprechend liegt das
eigentliche Anliegen der Ratsmitglieder nicht in einer personellen Vergrößerung
der Fraktionsgeschäftsstellen, sondern vor allem in einer qualitativ besseren Zu-
arbeit. Die Ratsmitglieder erhoffen sich dadurch aber weniger eine Reduzierung
des eigenen Zeitaufwands, sondern in erster Linie eine Verbesserung der Qualität
der Politik, wie das folgende Zitat einer Ratsfrau verdeutlicht:
„Durch eine Vergrößerung und bessere Ausstattung, eine bessere Zuarbeit könnte sich das ein-
zelne Ratsmitglied wieder verstärkt auf seine Beschlussvorlagen konzentrieren, das würde die
Qualität sicherlich verbessern, einen geringen Zeitaufwand hätte man aber dadurch nicht“
(H18; vgl. auch H35).
Bürgerversammlung bei jedem zweiten Sachverhalt oder bei jeder dritten Frage sagen, ich habe
hier rechts und links meine Mitarbeiter, die wissen da sicherlich besser Bescheid als ich. Also,
das ergäbe ein schlechtes Bild von einem Politiker. Zuarbeit? Also, ich finde es ausreichend,
wie es hier in Nürnberg ist. Vor allem ist auch damit tatsächlich das Bild eines Politikers ver-
bunden, der sich selbst um die Dinge kümmert“ (N23; vgl. auch N25, N30, N2).
„Die politische Entscheidung muss ich sowieso selbst treffen, und das wäre ja auch nicht gut,
wenn da kein Abstand da wäre oder wenn die mir Entscheidungshilfen geben würden, denn
dann bräuchten wir ja gar nicht den Stadtrat, dann könnten sie es gleich selbst machen“ (N7).
Es gibt lediglich wenige Stadträte, die eine inhaltliche Zuarbeit für erforderlich
halten und darin sowohl einen zeitlichen Entlastungseffekt für die Ratsmitglieder
als auch eine Qualitätsverbesserung für die Ratsarbeit sehen (vgl. N1). Insgesamt
betrachtet, halten die Nürnberger Stadträte somit eine Vergrößerung der Frakti-
onsgeschäftsstellen, insbesondere durch wissenschaftliches Personal, und damit
zusammenhängend eine inhaltliche Zuarbeit für nicht notwendig, da sie ihren
Funktionsvorstellungen eines Stadtrats widerspricht. Eine bessere organisatori-
sche Unterstützung hingegen befürworten 40% der Stadträte.
In Stuttgart sind die Fraktionsgeschäftsstellen ebenfalls eher klein. Wie un-
ter 4.3.1.2 dargestellt, ist daher auch lediglich eine organisatorische Unterstüt-
zung möglich. „Die machen wirklich rein organisatorische Sachen, oder manch-
mal helfen sie bei der Recherche. Also, eigentlich könnte man da schon ein paar
Leute mehr beschäftigen“ (S13). Insgesamt sprechen sich 48,4% der Stadträte in
Stuttgart für eine Vergrößerung der Fraktionsgeschäftsstellen aus. Innerhalb
dieser Befürworter einer erweiterten Zuarbeit sind jedoch zwei Subgruppen zu
identifizieren: Auf der einen Seite steht die weit größere Gruppe der Ratsmit-
glieder, bei der sich der Wunsch nach einem Ausbau der Fraktionsgeschäftsstel-
len lediglich auf Verwaltungsmitarbeiter bezieht. Diese halten eine inhaltliche
Zuarbeit – ähnlich wie in Nürnberg – nicht für wünschenswert und realisierbar
und lehnen daher einen Ausbau der Fraktionsgeschäftsstellen mit wissenschaftli-
chen Fraktionsmitarbeitern ab:
„Aber direkt inhaltlich arbeiten kann man auch nur, wenn man in den Ausschüssen sitzt. Das-
selbe gilt für Pressemitteilungen, ich kann mir immer nicht vorstellen, wie jemand so eine Mit-
teilung schreiben will, der nie die Debatten in einem Ausschuss dazu erlebt hat. Deshalb halte
ich einen Pressereferenten auch nicht für notwendig, die sind dann auch immer so allgemein
gehalten“ (S2).
Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch viele Ratsmitglieder, die durchaus
Vorteile in einer inhaltlichen Zuarbeit sehen:
„Das wäre ja theoretisch möglich, dass man das Budget für die Fraktionsgeschäftsstellen und
Mitarbeiter im Haushalt verdoppelt; da finde ich, da ist die Struktur falsch, die müsste so wie
in anderen Städten sein, dass man fachliche Ansprechpartner hat. Dass man seine Idee, sagen
wir mal, man will einen Antrag machen zum Erhalt der Seilbahn, dass ich nicht den Antrag
6.2 Ressourcenbasierte Professionalisierung der Institution 215
schreibe und vorher telefonieren muss, die Verwaltung erreichen muss, sondern dass das ein
Mitarbeiter tut. So stelle ich mir das auch vor, und das wäre eine enorme Erleichterung“ (S13).
114 41% der CDU- bzw. CSU-Mitglieder, 44% der SPD-Mitglieder, 36% der Mitglieder von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und 50% der FDP-Mitglieder befürworten einen Ausbau der
Fraktionsgeschäftsstellen.
115 39% der weiblichen und 45% der männlichen Ratsmitglieder sprechen sich für größere Frakti-
onsgeschäftsstellen aus.
216 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
sönlich zu profilieren. Dies hat nach Angaben der Ratsmitglieder zur Folge, dass
in den süddeutschen Bundesländern das einzelne Ratsmitglied eine wichtigere
Rolle einnimmt als die Fraktion. Angesichts dessen erscheint es nachvollziehbar,
dass die Ratsmitglieder in Stuttgart und Nürnberg auf ihre eigenständige Vorbe-
reitung pochen und eine inhaltliche Zuarbeit der Fraktionsgeschäftsstellen ableh-
nen. Bei geschlossener Listenwahl – das Wahlsystem bei Kommunalwahlen in
Niedersachsen und Hessen bis 1996 bzw. 2001 – hingegen stehen die Partei- und
Fraktionszugehörigkeit und die Profilierung innerhalb der eigenen Fraktion im
Vordergrund. Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Kempf (1989), der fest-
stellte, dass in jenen Städten und Gemeinden, in denen die Norddeutsche Rats-
verfassung gilt, die Fraktion als Gesamtes im Vordergrund steht, während in den
Städten und Gemeinden mit der Süddeutschen Ratsverfassung das einzelne
Ratsmitglied eine stärkere Stellung habe. Auch wenn sich die Wahlsysteme
durch die Reformen angeglichen haben, scheinen diese grundsätzlichen Einstel-
lungen bisher noch stabil zu sein.
Obwohl den Kommunalparlamenten die Budgetzuteilung für die
Fraktionsgeschäftsstellen unterliegt, und die Stadträte sich somit selbst mehr
Geld für die personelle Ausstattung bewilligen könnten, wird dies in allen vier
Untersuchungsstädten aus den beschriebenen unterschiedlichen Gründen von der
Mehrheit der Ratsmitglieder nicht als eine Entwicklungsoption angesehen.
Neben der personellen Ausstattung liegt eine weitere Möglichkeit der ressour-
cenbasierten Professionalisierung in den sachlichen Ressourcen. Dazu gehört
insbesondere die Infrastruktur wie z.B. Büros und technische Ausstattung. In der
Literatur werden gerade die Informationstechnologien und die elektronischen
Ratsinformationssysteme als Chance gesehen, um zum einen die Qualität der
Parlamentsarbeit zu erhöhen, da dadurch die Informationen schneller und einfa-
cher zugänglich sind als in einem herkömmlichen Archiv. Zum anderen könne
dadurch der Zeitaufwand für die Informationssuche und -verarbeitung sowie die
Entscheidungsvorbereitung verringert werden (vgl. Kempf 1989; Pound
1992:19; Enquete-Kommission Hamburg 1992). Zudem erhöhen die elektroni-
schen Ratsinformationssysteme die zeitliche Flexibilität der Ratsmitglieder. So
können sie dadurch jederzeit und von jedem Ort auf die Informationen zugreifen.
Dies ist insbesondere angesichts der Rahmenbedingungen der Mandatsausübung
wichtig, da die Ratsmitglieder – mit Ausnahme der Fraktionsvorsitzenden – über
keinen eigenen Arbeitsplatz im Rathaus verfügen und sie Mandatstätigkeiten wie
Recherchen und Verwaltungsanfragen in der Regel nach ihrer regulären Arbeit,
218 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
also vor allem abends und am Wochenende, durchführen. Somit könnte eine
Verbesserung der technischen Ausstattung die Ratsmitglieder in ihrer Arbeit
entlasten – entweder direkt, indem sie bei der Informationsbeschaffung zeitliche
Erleichterungen haben oder indirekt, indem die Mitarbeiter die Informationsbe-
schaffung schneller erledigen können und sie daher die Ratsmitglieder noch
stärker, auch bei anderen Ratstätigkeiten, unterstützen können.
In Stuttgart hält mit 19,4% lediglich knapp ein Fünftel der Stadträte eine
bessere technische Ausstattung für notwendig. In den anderen drei Untersu-
chungsstädten sprach sich im Gegensatz dazu jeweils deutlich mehr als die Hälf-
te der Ratsmitglieder für eine bessere technische Ausstattung aus: In Hannover
61%, in Frankfurt 58% und in Nürnberg 66%. Dabei gibt es keine nennenswer-
ten Unterschiede in der Einschätzung hinsichtlich der Variablen Alter116, Partei117,
Berufsgruppen118 und Geschlecht119. Bei der Analyse der Angaben der Ratsmit-
glieder, inwiefern eine bessere Ausstattung zu einem Qualitätsgewinn und einer
Zeitersparnis führen könnte, muss hier – ebenso wie bei der personellen Ausstat-
tung – von dem bereits erreichten Niveau ausgegangen werden. So zeigte die
Untersuchung in 4.3.1.3 einen sehr unterschiedlichen Grad der technischen Aus-
stattung in den vier Städten. Somit wird im Folgenden zunächst jeweils kurz auf
das bereits erreichte Niveau der technischen Ausstattung in den Städten einge-
gangen, um anschließend die Einstellungen der Ratsmitglieder genauer zu
untersuchen.
Hierbei zeigte sich, dass die Stadträte in Stuttgart technisch sehr gut ausge-
stattet sind (vgl. 4.3.1.3). So gibt es seit 2002 das elektronische Kommunale
Rats- und VerwaltungsInformationsSystem (KORVIS), in dem alle zur Ent-
scheidungsfindung notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt werden.
Dadurch sollte eine effizientere Informationsversorgung erreicht werden und
gleichzeitig die Entscheidungsqualität verbessert werden. Auf diesem Portal
können die Stadträte alle Sitzungsunterlagen, Protokolle und das Archiv abrufen.
Zudem verfügt jedes Ratsmitglied über ein sogenanntes ‚mobiles Büro’ durch
von der Stadt zur Verfügung gestellte Laptops und ISDN-Anschlüsse. Insofern
ist die große Mehrheit der Stuttgarter Stadträte mit der technischen Ausstattung
116 53% der Altersgruppe 20-35 Jahre, 55% der 36-50-Jährigen und 51% der 51-70-Jährigen
sprachen sich für eine bessere technische Ausstattung aus.
117 52% der CDU- bzw. CSU-Fraktionsmitglieder, 54% der SPD-Fraktionsmitglieder, 50% der
Mitglieder von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und 50% der FDP-Fraktionsmitglieder halten ei-
ne bessere technische Ausstattung für notwendig.
118 50% der Nicht-Berufstätigen, 47% der öffentlich Bediensteten und Beamten, 53% der Selb-
ständigen/Freiberufler, 57% der Angestellten im politischen/politiknahen Bereich und 53% der
Angestellten in der Privatwirtschaft sprachen sich für eine bessere technische Ausstattung aus.
119 49% der weiblichen und 55% der männlichen Ratsmitglieder erachten eine bessere technische
Ausstattung für notwendig.
6.2 Ressourcenbasierte Professionalisierung der Institution 219
und mit dem Ratsinformationssystem zufrieden, und 85% der Stuttgarter Stadträ-
te halten den bereits erfolgten Ausbau des Ratsinformationssystems für eine
große Erleichterung ihrer Ratstätigkeit. Dies erklärt den geringen Anteil von
19% der Stadträte, die sich eine bessere technische Ausstattung als Arbeitser-
leichterung wünschen.
In Frankfurt gibt es das Parlamentsinformationssystem PARLIS 2000, das
den Stadtverordneten ebenfalls erlaubt, die öffentlichen und nicht-öffentlichen
Vorlagen, Protokolle, Beschlüsse und Niederschriften online aufzurufen und
nach Stichworten zu durchsuchen (vgl. 4.3.1.3). Allerdings handelt es sich dabei
im Gegensatz zu jenem in Stuttgart um ein System, das nach Angaben der Stadt-
verordneten viele technische Probleme aufweist. Daher sehen sie in diesem Be-
reich Verbesserungsbedarf. Trotzdem geben 79% der Stadtverordneten an, dass
die Rahmenbedingungen ihrer Mandatstätigkeit durch das Ratsinformationssys-
tem bereits verbessert wurden. In Frankfurt wurde zudem darüber diskutiert, den
Stadtverordneten, ähnlich wie in Stuttgart, einen Laptop zur Arbeitserleichterung
zur Verfügung zu stellen.
„Wir hatten vor einigen Jahren den Vorschlag, dass wir diesen Riesenberg an Papieren vermin-
dern, indem jeder einen Laptop bekommt, wo er dann übers Internet alles einsehen kann und
damit arbeiten kann“ (F24).
Das Projekt wurde jedoch nach der ersten Haushaltssperre gestoppt, „weil wir
uns nicht mehr getraut haben“ (F2). Die Stadtverordneten halten jedoch ein sol-
ches ‚mobiles Büro’ für die Ratstätigkeit für hilfreich. Daher wünschen sich
knapp 60% der Stadtverordneten eine bessere technische Ausstattung (vgl. F18,
F8, F2, F27).
In Hannover existiert ebenfalls ein Ratsinformationssystem, in dem die
Ratsmitglieder die Vorlagen einsehen und ausdrucken können und nach be-
stimmten Stichworten durchsuchen können (vgl. 4.3.1.3). Auch hier wird es von
79% der Ratsmitglieder als Arbeitserleichterung angesehen, obwohl viele die
Schwächen im System und in der Pflege des Online-Archivs bemängeln (vgl.
H35, N33, H23, H18). Des Weiteren erläutern einige, dass viele der Ratsmitglie-
der das System noch nicht nutzen, „weil da viele noch nicht so klar kommen“
(H23). Aufgrund der Tatsache, dass sich die Ratsmitglieder nun selbst ihre Vor-
lagen ausdrucken und dies nicht mehr von der Fraktionsgeschäftsstelle erledigt
wird, konnte in Hannover eine Arbeitsentlastung des Fraktionspersonals erreicht
werden. Dadurch können die Mitarbeiter den Ratsmitgliedern in anderen Berei-
chen stärker zuarbeiten. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass
ein Großteil der Ratsmitglieder in Hannover durchaus eine Arbeitserleichterung
durch das Ratsinformationssystem erkennt, und dass sich gerade infolgedessen
60% der Ratsmitglieder eine (noch) bessere technische Ausstattung wünschen.
220 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
Insbesondere die neueren Stadträte wissen dann häufig nicht, dass das Thema
bereits vor Jahren im Kommunalparlament auf der Agenda stand und stellen aus
Unwissenheit die gleichen Anträge nochmals. Durch eine einfachere Suche in
einem elektronischen Archiv könnte sich daher die Qualität verbessern (vgl.
N30). Auch verfügen die Stadträte über keine Laptops, da diese nicht finanzier-
bar sind (vgl. 4.3.1.3). Die Stadträte sind der Ansicht, dass sich durch eine besse-
re technische Ausstattung eine Zeitersparnis erzielen lässt. Die Umsetzung schei-
terte jedoch bisher an der Finanzierung. „Es hängt aber nicht am Interesse, son-
dern es fehlt das Geld, das können wir uns momentan nicht leisten“ (vgl. N2).
So lässt sich also insgesamt feststellen, dass die Ratsmitglieder in allen vier
Städten durch eine gute technische Ausstattung und eine schnelle und gebündelte
Informationssuche sowohl Verbesserungen in der Qualität der Ratsarbeit als
auch einen zeitsparenden Effekt erkennen und erwarten. Die Umsetzung dieser
Ausstattung scheitert allerdings in Nürnberg und teilweise auch in Frankfurt an
der Finanzierung. Jedoch zeigt sich, dass im Gegensatz zu einer besseren perso-
nellen Ausstattung der Fraktionsgeschäftsstellen keine Bedenken seitens der
Ratsmitglieder gegen eine bessere technische Ausstattung bestehen. Insofern ist
anzunehmen, dass auch in den Städten mit geringen technischen Ressourcen bei
einer besseren Haushaltslage diese Arbeitserleichterungen eingeführt werden.
Trotzdem zeigt insbesondere das Beispiel von Stuttgart – „eine Umfrage zur
elektronischen Unterstützung der Gemeinderatsarbeit (...) zeigt Stuttgarts Vorrei-
terstellung auf diesem Gebiet“ (GRDrs 1091/2001) – dass eine sehr gute techni-
sche Ausstattung nicht ausreichend ist, um den Zeitaufwand der Ratsmitglieder
so zu verringern, dass eine ehrenamtliche Ausübung wieder problemlos möglich
ist.
6.3 Professionalisierung des Amtes 221
Parallel zu der Entwicklung auf den höheren Ebenen des politischen Systems ist
die Professionalisierung aller Ämter als mögliche Entwicklungsoption plausibel.
Die Ansichten, ob es sich dabei um eine sinnvolle Entwicklung handeln würde,
sind dabei allerdings konträr: So spricht sich mit 52% die Hälfte der Ratsmit-
glieder in den vier Städten für eine Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit aus, wäh-
rend die andere Hälfte für eine formale Statusänderung plädiert: 32% der Rats-
mitglieder halten eine Semiprofessionalisierung und 16% eine vollständige Pro-
fessionalisierung des Amtes für angemessen. Im Folgenden werden zunächst die
Gründe der Ratsmitglieder für diese Einstellung analysiert, um dann in einem
zweiten Schritt genauer auf die Variablen, die diese Einstellungen bedingen,
einzugehen.
In der schriftlichen Befragung nannten die Ratsmitglieder als Gründe für eine
Professionalisierung die ‚zeitliche Belastung’, die ‚Entscheidungsqualität’ und
die ‚soziale Öffnung’. Die Gründe ‚soziale Anbindung’, ‚Vermeidung von Ab-
6.3 Professionalisierung des Amtes 223
Zeitliche Belastung
Drei Viertel aller Ratsmitglieder sehen in der zeitlichen Belastung durch das
Mandat ein Argument für eine Professionalisierung. In den Untersuchungsstäd-
ten Stuttgart (83% der befragten Ratsmitglieder), Frankfurt (83%) und Nürnberg
(74%) wird dabei von der überwiegenden Mehrheit die zeitliche Belastung als
Pro-Argument für eine Professionalisierung der Ratsmitglieder angeführt. In
Hannover liegt der Anteil mit 53% hingegen weit niedriger. Wie bereits unter
2.2.3 erläutert, waren der Arbeitsaufwand und die zeitliche Belastung auch auf
den höheren Ebenen des politischen Systems jeweils das Hauptargument für die
Professionalisierung des Amtes (vgl. Burmeister 1993:45; Borchert/Golsch
1999). Die Analyse ergab, dass der Zeitaufwand in den vier Städten bei mindes-
tens 25 bis 35 Stunden pro Woche liegt (vgl. 4.1.3). Im Rahmen dieser Professi-
onalisierungs’diskussion’ argumentieren die Ratsmitglieder daher mit dem tägli-
chen Arbeitsanfall, der Zahl der Vorlagen und Drucksachen sowie der Anzahl
und Dauer der Sitzungen (N8, S5, N31, N15, F24, S3, F9, F32). Aussagen wie
„Die Ehrenamtlichkeit ist eine große Lüge“ und „Die Belastungen aus der Rats-
tätigkeit lassen kaum noch eine berufliche Tätigkeit zu“ (H6) belegen dies. Als
Gegenargument führen einige Ratsmitglieder das aus ihrer Sicht unnötige Hin-
eindrängen des Rates in die Aufgaben der Verwaltung an. Durch die Umsetzung
des Neuen Steuerungsmodells und einer damit zusammenhängenden Konzentra-
tion auf das Wesentliche (vgl. 6.1.1.1) ließe sich die Belastung reduzieren. Je-
doch zeigte die Analyse der Bewertung des Neuen Steuerungsmodells durch die
Ratsmitglieder, dass dies von der großen Mehrheit der Ratsmitglieder abgelehnt
wird (vgl. 6.1.1.2).
Die Ratsmitglieder vergleichen ihre zeitliche Belastung in allen vier Unter-
suchungsstädten in der Regel mit jener der professionellen Landtagsabgeordne-
ten. Nach Einschätzung der Ratsmitglieder hat ein Ratsmitglied in einer Groß-
stadt mindestens ebenso viel Arbeit wie ein Landtagsabgeordneter:
„Stadträte einer Großstadt leisten zeitlich gesehen ein Vielfaches im Vergleich zu Landtagsab-
geordneten. Vergleichen sie mal den zeitlichen Aufwand, die Entschädigungen und die berufli-
chen Eingriffe; bei einer Belastung von 50 bis 80 Stunden pro Woche ist eine berufliche Tätig-
keit praktisch nicht auszuüben“ (S14).
sionalisierung des Amtes hätten sie die notwendige Zeit, um das Mandat verant-
wortungsbewusst auszuüben.
„Ich glaube, dass der Zeitaufwand, den ein Stadtverordneter hat, um das Mandat wirklich gut
und seriös auszuüben, so hoch ist, dass es sich nicht mit einem normalen Beruf vereinbaren
lässt. Daher kann es meiner Meinung nach nur funktionieren, wenn es professionalisiert wird,
sprich man bekommt ein Gehalt, um die Zeit zu haben, damit man nicht arbeiten muss und sich
richtig darum kümmern kann“ (H35).
Entscheidungsqualität
Eng zusammenhängend mit der zeitlichen Belastung erwarten 59% der Ratsmit-
glieder, wie aus dem Zitat des Hannoveraner Ratsherrn deutlich wird, durch eine
Professionalisierung eine bessere Qualität der Ratsarbeit. Die Grundfunktion
aller demokratischen Parlamente besteht darin, einen wesentlichen Beitrag zur
demokratischen Legitimation zu leisten. Dies setzt jedoch die Fähigkeit zu ver-
antwortlicher Entscheidung voraus, was ein Parlament jedoch nur kann, wenn es
die Verwaltung grundsätzlich zu kontrollieren vermag.
„Kontrollieren bezeichnet den Prozess bzw. die Fähigkeit der Informationsgewinnung, Infor-
mationsverarbeitung und abschließender verbindlicher Stellungnahme (...) bzw. rechtwirksa-
mer Entscheidung“ (Steffani 1984:159).
Die Ratsmitglieder erläutern jedoch, dass sie aufgrund des hohen Zeitaufwands
und der gestiegenen Komplexität der Ratsaufgaben die Entscheidungen nicht
mehr in dieser Weise fällen können. Wie unter 4.1.3. erläutert, setzen die Rats-
mitglieder aufgrund ihres begrenzten Zeitbudgets Prioritäten bei ihren unter-
schiedlichen Aufgaben. Da für die Sitzungen Anwesenheitspflicht besteht, er-
folgt eine Einschränkung insbesondere bei der Vorbereitung für die Sitzungen,
also beispielsweise beim Lesen der Vorlagen und Berichte, bei der Recherche
sowie bei Besprechungen mit Verwaltung und Bürgern (vgl. N18, F31).
„Die zunehmende Komplexität der zu entscheidenden Materien erfordert
eine immer umfangreichere Einarbeitungszeit“ (H17). Diese Einarbeitungszeit
kann jedoch von vielen Ratsmitgliedern nicht mehr geleistet werden. Das Ergeb-
nis ist eine oberflächliche unzureichende Vorbereitung und Ausübung der eigent-
lichen Ratsarbeit (vgl. F32, S13). Die Analyse zeigte zwar, dass daher eine star-
ke Arbeitsteilung und Spezialisierung innerhalb der Fraktionen stattfindet. Aber
selbst bei ihren eigentlichen Fachgebieten fehlt häufig die Zeit zur notwendigen
Einarbeitung, was sich auf die Entscheidungsqualität negativ auswirkt. So erläu-
tert ein Stadtverordneter:
„Denn ich glaube eben nicht, dass man das Mandat wirklich gut machen kann, wenn man einen
Beruf hat. Es gibt manche, die machen das irgendwie, aber die sind nicht wirklich gute Stadt-
verordnete, die nehmen nicht wirklich Einfluss auf die Stadtpolitik, was ja eigentlich ihr Job
6.3 Professionalisierung des Amtes 225
ist, gestalten da nichts, und das kann man eben nur machen, wenn man die entsprechende Zeit
hat“ (F24).
Aufgrund des aktuellen Tagesgeschäfts sei es zudem zeitlich nicht oder nur
schwer möglich, längerfristige, strategische Ziele zu entwickeln. Die Ratsmit-
glieder erläutern somit teilweise selbst, dass sie jene politischen Aufgaben, die
durch das oben diskutierte Neue Steuerungsmodell wieder ins Zentrum der poli-
tischen Arbeit rücken sollen, nicht bzw. in einem nicht ausreichenden Maße
ausüben. So erklärt ein Hannoveraner Ratsherr: „Die Koordinierungsaufgaben
und die Entwicklung strategischer Ziele kommen bei der ehrenamtlichen Tätig-
keit wegen des enormen Tagesgeschäfts zu kurz“ (H34). Da die Mehrheit der
Ratsmitglieder jedoch eine Konzentration auf strategische Entscheidungen ab-
lehnt (vgl. 6.1.1.), halten sie ein höheres Zeitbudget für erforderlich, um neben
dem aktuellen Tagesgeschäft wieder genügend Zeit für strategische Entschei-
dungen zu haben.
Der dritte Bereich, in dem die Ratsmitglieder nach eigenen Angaben Ein-
schränkungen machen müssen, sind die Bürgerkontakte. Auf abendliche Veran-
staltungen könnten sie zwar gehen, aber gerade die Termine tagsüber lassen sich
schwer in ihren Arbeitslauf einrichten.
„Seit ich Rentner bin, fühle ich mich so, als wenn ich Profi-Politiker wäre; ich bin den ganzen
Tag mit Gesprächen und Terminen voll. (...) Man hätte durch eine Professionalisierung auch
viel mehr Zeit, um sich die Projekte vor Ort anzuschauen“ (H35; vgl. auch Simon 1988:66;
Banner 1996:161).
Soziale Anbindung
Die ‚soziale Anbindung’ wird von 53% der Ratsmitglieder als Argument für die
Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit des Amtes genannt, da eine Professionalisie-
rung – wie auf den höheren Ebenen zu erkennen – zum Verlust der „Bodenhaf-
226 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
tung“ (H32) führt und damit zur Abgehobenheit der Politiker. Somit ist das
Hauptargument hierbei das der Entfremdung, die drohende Entfremdung zwi-
schen den Repräsentanten und den Bürgern, die sich häufig in zunehmender
Politikverdrossenheit ausdrücke. Die Anbindung an den Beruf sei dabei ein
wichtiges Korrektiv. „Denn wenn man eben nur Politik macht, dann verleitet das
dazu, gar nicht mehr mit Leuten zu reden, die in anderen Zusammenhängen ar-
beiten und leben“ (H32; vgl. auch F27). Ähnlich äußert sich eine Ratsfrau aus
Hannover:
„Ich glaube, wenn ich nicht berufstätig wäre, dann hätte ich ein Problem: Ich wüsste mit man-
chen Themen nichts so richtig anzufangen. Man muss auch die Rückkopplung haben, um auch
zu wissen, was ist das jetzt überhaupt für ein Thema und warum ist es wichtig und was wollen
wir da bewegen; das erfährt man doch recht häufig aus dem Umfeld des Berufs oder von Kol-
legen“ (H19; ähnlich F16, N13).
„Das wichtigste bei der Ehrenamtlichkeit ist, dass es lebens- und wirklichkeitsorientierter ist.
Ich bin ja in meinem Beruf mit den ganz normalen Lebens- und Wirklichkeitsproblemen kon-
frontiert und muss mich mit denen auseinandersetzen. Und das halte ich schon für wichtig, da
man jetzt dadurch eine andere Sichtweise in den Rat einbringt als Verwaltungsbeamte es tun,
das halte ich für eine große Stärke“ (S1).
Die Ratsmitglieder halten eine Verwurzelung in ihrer Stadt dabei für noch wich-
tiger als auf den höheren Ebenen. „Im Gegensatz zum Landtag und zum Bundes-
tag erfordert eine Stadtratstätigkeit noch viel stärker Erfahrungen vor Ort,
Kenntnis der Lebensverhältnisse der Bürger“ (S29; ähnlich N2). Historisch be-
trachtet, ist die lokale Selbstverwaltung gerade darin begründet, dass „der Rat
das praktische Leben in die Verwaltung einbringt. Das ist eigentlich ja auch das
entscheidende Moment der kommunalen Demokratie“ (H23; vgl. auch H19,
N22). Dabei lebe ehrenamtliche Kommunalpolitik vor allem von den Erfahrun-
gen der verschiedenen Personen- und Berufsgruppen. Vollzeitpolitiker sind dies-
bezüglich zu unflexibel und im ‚normalen’ Leben nicht mehr eingebunden
(N22). Allerdings sehen viele der Ratsmitglieder bereits heutzutage – trotz der
formalen Ehrenamtlichkeit und der zumindest noch teilweisen Verankerung im
Beruf – eine gewisse Abgehobenheit der Ratsmitglieder.
„Denn auch bei dem derzeitigen System verlieren Mandatsträger gelegentlich den ‚Boden unter
den Füßen’, wenn diese sehr lang ihr Mandat innehaben. Eine Professionalisierung würde dies
noch verstärken“ (H25; vgl. auch N30).
So garantiert ihrer Meinung nach die formal ehrenamtliche Ausübung nicht per
se eine soziale Anbindung. So ‚opfern’ die gewählten Mandatsträger in den
Großstädten zumeist ihre gesamte Freizeit für die politische Arbeit und haben
dadurch einen anderen Lebensstil als die normalen Bürger. Dadurch geht, so die
Ratsmitglieder, ein Teil der sozialen Anbindung verloren. Einige Ratsmitglieder
6.3 Professionalisierung des Amtes 227
führen zudem an, dass die soziale Anbindung nicht nur durch eine Berufsaus-
übung, sondern auch außerhalb des Arbeitsplatzes gewonnen werden kann.
„Durch eine Verwurzelung im Wahlkreis und in der Stadt kann man die Abgehobenheit ver-
hindern. (...) Man muss vor Ort wohnen, dort in den Vereinen verwurzelt sein, dass die Bürger
wissen, wer das eigentlich ist. Das ist viel wichtiger als die Verwurzelung im Beruf“ (H35).
Soziale Öffnung
21% der Ratsmitglieder nennen die soziale Öffnung des Mandats als Pro-
Argument für eine Professionalisierung des Amtes. Wie unter 2.2.2.1 erläutert,
muss gemäß dem parlamentarischen Gleichheitssatz die Ausübung des Ehren-
amts so organisiert sein, dass das Mandat neben nahezu jedem Beruf ausgeübt
werden kann. Wie unter 5.2 analysiert, können jedoch aufgrund des hohen Zeit-
aufwands in den deutschen Großstädten nur jene Personen ein Ratsmandat über-
nehmen, deren Beruf zumindest zeitlich flexible Wahrnehmungsmöglichkeiten
zulässt. Dies führt auch dazu, dass sich interessierte Personen nicht für ein Man-
dat aufstellen lassen können, da sie die Mandatsausübung nicht mit ihrem Beruf
vereinbaren könnten.
„Aufgrund des hohen Zeitaufwands können nur noch bestimmte Berufsgruppen ein Mandat
wahrnehmen. Dies ist ein Problem, weil dadurch der Bevölkerungsquerschnitt nicht mehr oder
nur eingeschränkt gespiegelt wird. Dies ist sozusagen die Kehrseite von dem, dass es sich um
ehrenamtliche Stadträte handelt“ (S1; vgl. auch H18).
Ein großer Anteil der Ratsmitglieder bezweifelt allerdings, dass durch eine Pro-
fessionalisierung eine soziale Öffnung erreicht werden kann. Dabei zeigen sich
insbesondere zwei Argumentationsstränge: So wird argumentiert, dass es da-
durch nicht zu einer sozialen Öffnung kommen, sondern dass sich die soziale
228 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
Schließung vielmehr lediglich verschieben würde. Grund dafür sei, dass ein
professionalisiertes Amt für die verschiedenen Berufs- und Personengruppen
unterschiedlich attraktiv sei.
„Eine hauptberufliche Tätigkeit stellt für die verschiedenen Berufsgruppen einen unterschiedli-
chen finanziellen Anreiz dar, für das Parlament zu kandidieren, ich würde mir nicht verspre-
chen, dass dann die Schichten, die Berufe besser in den Parlamenten repräsentiert werden.
Denn wir bekommen weder einen Rechtsanwalt, einen Mediziner oder einen selbständigen In-
genieur, der würde das nur machen, wenn er finanziell ungefähr das gleiche erzielt, was er in
seinem Beruf auch erzielt“ (F17; vgl. auch F17, N7, H23, S13).
Auch Rosenthal zeigte bei seinen Studien zur Professionalisierung der state le-
gislatures in den USA auf, dass durch die Professionalisierung des Amtes neue
Personengruppen in die Parlamente kommen:
„Another difference between the new breed and the old breed relates to occupations. The old
breed (lawyers and businesspeople) are being replaced by career politicians who come from the
ranks of unseasoned lawyers, teachers, preachers, spouses of professionals, single people
which can live on a legislative salary, public organizer, legislatives aides, and others like ilk
(…) Another part of the new breed is made up of the younger, newer members – men and
women alike – who come out of college, graduate school, or law school and go directly into
politics“ (Rosenthal 1998:75).
Die zweite Argumentation der Ratsmitglieder geht noch weiter: So würde eine
Professionalisierung des Amtes nicht nur zu einer Verschiebung, sondern sogar
zu einer weiteren sozialen Schließung führen, da dadurch eine politische Klasse
auf kommunaler Ebene entstehen würde. Somit gäbe es dann nur noch eine ‚Be-
rufsgruppe’ in den Großstädten: Die Berufspolitiker. „Wir würden eine Politiker-
6.3 Professionalisierung des Amtes 229
Kaste in einer Stadt züchten, die eigentlich ihr ganzes Leben nichts anderes
macht als verschiedene politische Funktionen auszuüben“ (S1; vgl. F1, H23). Ein
damit zusammenhängendes Argument der Ratsmitglieder ist, dass es aufgrund
der Schließung durch die Professionalisierung immer schwieriger werde, ein
Mandat in einer Großstadt auszuüben, da diese professionalisierten Ämter um-
kämpft sein würden. Dadurch würde sich der Charakter der Kommunalpolitik als
Schule der Demokratie verändern:
„Und ein weiterer Punkt ist auch der, dass durch die Ehrenamtlichkeit der politische Nach-
wuchs auch eine Möglichkeit hat, reinzukommen, sich das anzuschauen; es als Schule der De-
mokratie zu nutzen, um dann auf höheren Ebenen aktiv zu sein. Wenn das professionell wäre,
wäre der Eintritt nicht so einfach. Politisch Interessierte haben heutzutage hingegen eine Chan-
ce rein zu kommen und zu lernen“ (H32; vgl. auch H39).
Finanzierungsproblem
Ein weiteres Argument, das gegen eine Professionalisierung des Amtes hervor-
gebracht wird, sind die hohen Kosten einer Professionalisierung. Insbesondere
angesichts der aktuellen Haushaltslage sei eine Professionalisierung ausgeschlos-
sen (vgl. F8, S1, N25). Zudem müssten bei einer Professionalisierung des Amtes
die Diäten zumindest so hoch sein, dass sie auch für einen Großteil der Bevölke-
rungsgruppen attraktiv sind, um nicht, wie bereits unter dem Argument ‚Soziale
Öffnung’ diskutiert wurde, eine soziale Schließung herbeizuführen, indem die
Ausübung des Mandats dann für ‚Besserverdienende’ nicht mehr attraktiv wäre.
So erläutert ein Ratsherr:
„Wenn sie jetzt eine Bezahlung ansteuern würden, dann wäre auch die Frage, was angemessen
wäre. Viele sagen, die Arbeit eines Stadtverordneten in Frankfurt ist deutlich mehr als die eines
Landtagsabgeordneten. (...) Es würde auf keinen Fall gehen, dass man sagt, ein Stadtverordne-
ter hat viel weniger zu tun und kann deshalb mit viel weniger bezahlt werden, selbst wenn man
eine gewisse Hierarchie dabei beachten würde. Hinzu kämen neben der Zahlung von Diäten
aber auch die Pensions- und ggf. Übergangsgeldansprüche der Ratsmitglieder“ (H39).
in der Bevölkerung und den Medien auslösen. So halten die Ratsmitglieder die
Notwendigkeit einer Professionalisierung von Kommunalpolitikern für schwer
vermittelbar, was die beiden Zitate der Ratsmitglieder verdeutlichen:
„Bei der Professionalisierungsdebatte darf man auch die öffentliche Meinung wirklich nicht
unterschätzen, (...) denn dann führen sie natürlich die Diätendiskussion in ihrer gesamten Brei-
te. Die müssen sie in der Öffentlichkeit tatsächlich erst einmal vermitteln. Und deshalb führt
die Diskussion eigentlich auch keiner. (...) Ein heikles Thema, das man nicht unberücksichtigt
lassen kann“ (S5; vgl. auch H31, F28, N10).
„Aber solche Veränderungen wurden auch deshalb nie ernsthaft diskutiert, weil es in der Be-
völkerung auf großen Widerstand stoßen würde, weil die Vorurteile gegen Politik und Politiker
groß sind, nach dem Motto, die wollen uns wieder abzocken, die kriegen wieder das große
Geld“ (F24).
Die Diskussion der Ratsmitglieder zum Pro und Contra einer Professionalisie-
rung der Ratsmitglieder spiegelt die Diskussionen wider, die auch bereits bei der
Professionalisierung der Landtage geführt wurden (vgl. 2.2.2.1). Dabei sind sich
die Ratsmitglieder der Vor- und Nachteile einer Professionalisierung des Amtes
bewusst, zu der unterschiedlichen Einstellung für oder gegen eine Professionali-
sierung kommen sie durch eine unterschiedliche Gewichtung dieser Vor- und
Nachteile. Bei der Diskussion ‚Ehrenamt’ versus ‚Professionalisierung’ zeigen
sich dabei zwei Hauptargumentationslinien der Ratsmitglieder: Zum einen gibt
es jene Ratsmitglieder, die sich aufgrund des hohen Zeitaufwands und der ge-
stiegenen Komplexität für eine Professionalisierung aussprechen, um einerseits
durch ein höheres Zeitbudget die Entscheidungsqualität zu verbessern und um
6.3 Professionalisierung des Amtes 231
andererseits eine soziale Öffnung des Mandats zu erreichen. Zum anderen gibt es
jene, die sich gegen eine Professionalisierung aussprechen. Dabei erkennen und
erfahren diese Ratsmitglieder ebenfalls die Schwierigkeiten, die mit dem ehren-
amtlichen Mandat verbunden sind. Jedoch ziehen sie daraus nicht den Schluss,
dass eine Professionalisierung erstrebenswert ist. Vielmehr sprechen sie sich für
die Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit aus, – auch wenn dies beispielsweise zum
Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen führt – da ihrer Ansicht nach die
Vorteile der ehrenamtlichen Ausübung, insbesondere die Verwurzelung im Be-
ruf, überwiegen.
Allerdings zeigte sich in den Interviews, dass viele Ratsmitglieder die Pro-
und Contra-Argumente kennen, aber keine klaren Präferenzen haben bzw. von
ihrer Einstellung zur Professionalisierung nicht völlig überzeugt sind. So erläu-
tert ein Stadtverordneter aus Frankfurt: „Es gibt für beide Seiten der Medaille
Vor- und Nachteile. Es ist die Quadratur des Kreises!“ (F45). Dies ist auch ein
Grund, warum sich viele Ratsmitglieder für eine Semiprofessionalisierung aus-
sprechen, da ihrer Ansicht nach die Nachteile der Professionalisierung – insbe-
sondere die Abgehobenheit und die Abhängigkeit von der Politik – dabei nicht
so stark wirken, sie gleichzeitig aber die notwendige Zeit für das Mandat hätten.
So fasst diese eine Ratsfrau zusammen:
„Eine Teilzeitprofessionalisierung würde ich vom Aufwand her für angemessen halten. Es hät-
te meiner Ansicht nach nur Vorteile. So ist man noch in seinen Beruf verwurzelt und nicht ab-
gehoben; gleichzeitig besteht auch keine Gefahr der Abhängigkeit von der Politik. Der einzelne
hätte weniger Stress und das Vereinbarungsproblem wäre nicht mehr so stark. Gleichzeitig hät-
te man mehr Zeit für die Ratstätigkeit und keine finanziellen Einbußen“ (H32; ähnlich S28,
H19, S16, N10).
Wie erläutert, spricht sich die Hälfte der Ratsmitglieder für eine formale Profes-
sionalisierung aus – entweder in Form einer Teilprofessionalisierung oder einer
Vollprofessionalisierung. Die andere Hälfte plädiert trotz der mehrfach ange-
sprochenen Probleme für die Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit. Daher wird im
Folgenden untersucht, welche Ratsmitglieder sich für eine Professionalisierung
aussprechen. Bei der Differenzierung der Einstellung zur Professionalisierung
nach Städten zeigt sich, dass sich in Stuttgart und Nürnberg jeweils knapp zwei
Drittel der Ratsmitglieder für die Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit ausspre-
chen. Eine Vollprofessionalisierung der Ämter wird in diesen beiden Städten nur
von einem sehr niedrigen Anteil der Stadträte befürwortet. In Hannover spricht
sich knapp die Hälfte der Ratsmitglieder für eine Professionalisierung aus – 26%
für eine Semiprofessionalisierung und 21% für eine Vollprofessionalisierung. In
232 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
Frankfurt ist mit knapp zwei Dritteln die klare Mehrheit der Stadtverordneten für
eine Professionalisierung. Hierbei liegt der Anteil jener, die sich für ein semipro-
fessionelles Mandat aussprechen, bei 40%. 22% halten eine Vollprofessionalisie-
rung für angemessen.
Dieses Ergebnis ist überraschend. So hätte man erwarten können, dass sich in
den beiden Städten Stuttgart und Nürnberg, in denen der (informelle) Grad der
Professionalisierung des Amtes relativ hoch ist, ein höherer Anteil der Ratsmit-
glieder für eine Formalisierung der Professionalisierung ausspricht als in den
beiden anderen Städten mit einem niedrigeren Professionalisierungsgrad.
Gleichzeitig zeigte die Analyse der Strategien unter 5.3.1.2, dass in Stuttgart und
Nürnberg aufgrund dieser informellen Teilprofessionalisierung des Amtes über
40% der Ratsmitglieder ihre Berufstätigkeit reduziert haben und sich somit indi-
viduell professionalisiert haben. So hätte man erwarten können, dass diese Rats-
mitglieder daher eher eine formale Professionalisierung befürworten.
120 Aufgrund der Datenlage werden hier lediglich diese vier Parteien analysiert. Sowohl für die
Freien Wähler als auch für die PDS und weitere Einzelvertreter liegen zu geringe Fallzahlen
vor, um damit aussagekräftige Ergebnisse erzielen zu können.
6.3 Professionalisierung des Amtes 233
glieder und 65% der Parteimitglieder von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine
Professionalisierung. Bei den beiden bürgerlichen Parteien CDU/CSU und FDP
ist das Verhältnis genau umgekehrt: Hier sprechen sich jeweils mehr als zwei
Drittel für eine Beibehaltung der Ehrenamtlichkeit aus, bei der FDP sind es sogar
75% (vgl. Tabelle 6.2). Diese Ergebnisse werden durch Studien zur Professiona-
lisierung der state legislatures in den USA bestätigt. So zeigte sich, dass die
individuelle Einstellung der Ratsmitglieder insbesondere durch die persönliche
Attraktivität einer Professionalisierung bestimmt wird. Generell sprechen sich
daher Mitglieder bürgerlicher Parteien eher für eine Beibehaltung der Ehrenamt-
lichkeit aus, da diese in der Regel Berufe ausüben, in denen sie zum einen über-
durchschnittlich verdienen würden. Zum anderen seien sie in ihrer Berufsaus-
übung zeitlich flexibler und könnten dadurch Beruf und ehrenamtliches Mandat
relativ gut vereinbaren. Ein hauptamtliches Mandat ist für diese Gruppe nicht
attraktiv. Die Demokraten hingegen üben häufig Angestelltenpositionen aus. Für
diese ist eine Vereinbarkeit von Beruf und Mandat schwieriger. Gleichzeitig
verdienen sie im Gegensatz zu den republikanischen Mandatsträgern in der Re-
gel nicht überdurchschnittlich, so dass für sie eine Professionalisierung durchaus
attraktiv ist (vgl. Fiorina 1996:49; 1999:975f.; Moncrief/Squire/Kurtz 1998:5;
Ehrenhalt 1991; Moncrief/Squire/Jewell 2001:21f.). Insofern lässt sich in den
USA eine Einstellungsschere zwischen den Parteilagern feststellen, die durch die
dahinter liegende berufliche Zusammensetzung der Parteien bedingt ist.
sich hier jeweils 50% für und 50% gegen eine Professionalisierung aussprechen.
60% der Selbständigen/Freiberufler befürworten die Beibehaltung der Ehrenamt-
lichkeit, da eine Professionalisierung, wie sie in den Interviews erläuterten, für
sie unattraktiv sei.
Wie erläutert, besteht neben der Option, die Ämter aller Ratsmitglieder zu pro-
fessionalisieren, die Möglichkeit, lediglich einen Teil der Ämter im Kommunal-
parlament zu professionalisieren. Dabei gibt es zwei denkbare Modelle: Zum
einen das Modell, die Fraktionsvorsitzenden jeder Fraktion zu professionalisie-
ren, zum anderen das Modell, neben dem Fraktionsvorsitzenden weitere Ämter
bestimmter Funktionsträger zu professionalisieren. Im Folgenden wird zunächst
auf die Einstellungen zur Professionalisierung der Fraktionsvorsitzenden, in
einem zweiten Schritt auf die Professionalisierung mehrerer Ämter pro Fraktion
eingegangen.
6.3.2.1 Fraktionsvorsitzende
Insgesamt sprechen sich in den vier Untersuchungsstädten 79% für eine Profes-
sionalisierung der Fraktionsvorsitzenden aus: 50% der befragten Ratsmitglieder
halten ein vollprofessionalisiertes, 29% ein semiprofessionelles Amt für ange-
messen. 20% der Ratsmitglieder bevorzugen eine weitere ehrenamtliche Aus-
übung. Dabei zeigen sich lediglich geringe Unterschiede zwischen den vier Un-
tersuchungsstädten (vgl. Tabelle 6.5). So sprechen sich in Hannover 79% für
eine formale Professionalisierung des Fraktionsvorsitzenden aus, während 21%
für die Beibehaltung des ehrenamtlichen Status sind. Auch in Stuttgart ist mit
70% der Ratsmitglieder ein hoher Anteil für eine Professionalisierung des Frak-
tionsvorsitzenden. Im Vergleich zu den anderen drei Städten ist der Anteil hier
jedoch am niedrigsten. Einen hauptberuflichen Fraktionsvorsitzenden halten
lediglich 37% für erstrebenswert. In Frankfurt ist der Anteil der Ratsmitglieder,
die sich für eine Professionalisierung des Fraktionsvorsitzenden aussprechen, mit
mehr als 88% am höchsten. 65% der Stadtverordneten halten eine hauptamtliche
Ausübung des Fraktionsvorsitzes für angemessen. Für Frankfurt muss allerdings
beachtet werden, dass diese Situation aufgrund der erläuterten Doppelfunktion
von Fraktionsvorsitz und Fraktionsgeschäftsführer in den meisten Fraktionen
bereits Realität ist (vgl. 4.3.1.2). Die Doppelfunktion wird dabei von der Mehr-
heit der Stadtverordneten positiv beurteilt, so dass sich lediglich 11% für eine
Beibehaltung des Ehrenamtes aussprechen. In Nürnberg spricht sich mit 77%
ebenfalls die Mehrheit der Stadträte für eine formale Professionalisierung des
Amtes aus, knapp ein Viertel der Ratsmitglieder ist für die Beibehaltung der
Ehrenamtlichkeit.
6.3 Professionalisierung des Amtes 237
wichtig ist. Und das kann man nur machen, wenn man auch Zeit hat, darüber nachzudenken,
wenn man in die Tiefe geht, das kann man nicht oberflächlich machen. Ein Fraktionsvorsitzen-
der muss in allen Gebieten drin sein und er muss die Linie bestimmen können und muss dann
auch mit den Obleuten Kontakt haben, wie denn das Thema in der Gruppe gesehen wird, wo er
dann auch die gegensätzlichen Interessen zusammenführen muss. Das ist die vornehmste Auf-
gabe eines Vorsitzenden. (...) Das kostet viel Zeit und viel Überzeugungsgabe“ (N33; vgl. auch
S25).
12,9% halten eine Professionalisierung auch deshalb für sinnvoll, weil sie zu
einer sozialen Öffnung der Funktion führen würde. Heutzutage ist die Möglich-
keit, den Fraktionsvorsitz zu übernehmen, lediglich einer sehr kleinen Gruppe
von Personen möglich. „Sie brauchen eine Stellung, die das erlaubt. Aber es
kommt immer auf den Arbeitgeber an. Daher können auch nur solche Personen
den Fraktionsvorsitz übernehmen, die solch eine Stellung innehaben“ (S22).
Als Argumente gegen eine Vollprofessionalisierung bringen die Ratsmit-
glieder hier die gleichen Argumente hervor wie bei den ‚normalen’ Ratsmitglie-
dern, jedoch haben sie hier ein weit geringeres Gewicht. Die Bedenken treten bei
einem viel geringeren Prozentsatz der Ratsmitglieder auf als dies bei der Diskus-
sion um eine Professionalisierung der normalen Ratsmitglieder zu beobachten
ist: So befürworten auch hier einige Ratsmitglieder eine soziale Anbindung der
Fraktionsvorsitzenden (13,8%) und sprechen sich daher für eine Teilprofessiona-
lisierung aus. 17,6% befürchten die Abhängigkeit der Fraktionsvorsitzenden von
der Politik. So erläutert beispielsweise ein Stadtrat, der auch Fraktionsvorsitzen-
der ist, seine Befürchtungen wie folgt:
„Wenn ich mich hätte entscheiden müssen, das professionell zu machen, dann hätte ich mich
nicht für dieses Amt zur Verfügung gestellt, weil ich mit 33 Jahren auf eine Schiene gekom-
men wäre, Berufspolitiker zu sein; quasi auch ein Stückweit von der Partei abhängig zu sein,
dass sie mich wieder aufstellt, und natürlich vom Wähler. Ich bin von meinen Fraktionsmit-
gliedern abhängig, dass die mich wieder zum Vorsitzenden wählen, und dies in vergleichswei-
se jungen Jahren, das wäre mir ein zu großes Risiko gewesen“ (S1; ähnlich H24).
3,5% halten die Professionalisierung für nicht finanzierbar, ebenfalls 3,5% sehen
Akzeptanzprobleme in der Öffentlichkeit. Die hohe Zustimmung zur Professio-
nalisierung der Fraktionsvorsitzenden, so gaben viele der Ratsmitglieder in den
Interviews an, resultiert auch daraus, dass die Fraktionsvorsitzenden de facto ihre
Aufgaben bereits heute (fast) Vollzeit ausüben. So ergab die Analyse, dass alle
6.3 Professionalisierung des Amtes 239
Somit sind die Fraktionsvorsitzenden bei ihrer Fraktion angestellt. Diese Vorge-
hensweise ist damit eine informelle Herstellung eines (bezahlten) Berufspoliti-
kers. In Hannover und teilweise auch in Stuttgart werden die Fraktionsvorsitzen-
den der großen Fraktionen fast bzw. komplett von ihrem Arbeitgeber für ihre
Funktion freigestellt sind. Dies bedeutet gleichzeitig aber auch, dass in der aktu-
ellen Situation nur solche Personen diese Funktion wahrnehmen können, die in
der Lage sind, solch ein Arrangement mit dem Arbeitgeber zu treffen. In Nürn-
berg ist die Aufwandsentschädigung mit 3.000 Euro für die Fraktionsvorsitzen-
den bereits auf einem relativ hohen Niveau. Hinzu kommt bei den Nürnberger
Fraktionsvorsitzenden eine Verdienstausfallentschädigung von pauschal 125
Stunden pro Monat. Dies entspricht der monatlichen Arbeitszeit eines Vollzeit-
berufstätigen. Insofern verfügen die Nürnberger Fraktionsvorsitzenden über
Rahmenbedingungen, die es ihnen zum einen ermöglichen, mit dem Arbeitgeber
relativ einfach Arrangements zu vereinbaren, und die zum anderen zu einer Ent-
schädigung führen, die es erlaubt, von ihr zu leben. Insgesamt kann zusammen-
fasst werden, dass es in allen vier Untersuchungsstädten bereits Rahmenbedin-
gungen gibt, die den Fraktionsvorsitzenden erlauben, sich Vollzeit um ihre
Funktion zu kümmern. Die große Mehrheit der Ratsmitglieder spricht sich für
eine Formalisierung dieser – bisher informellen – Professionalisierung der
Fraktionsvorsitzenden aus.
Nachdem sich also eine große Mehrheit der Ratsmitglieder für eine Professiona-
lisierung der Position des Fraktionsvorsitzenden ausspricht, die Professionalisie-
rung aller Ratsmitglieder jedoch sehr umstritten diskutiert wird, könnte eine
240 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
Nachteile liegen im Rollenkonflikt, zum einen muss man den anderen zuarbeiten, obwohl man
selbst Fraktionsmitglied ist, man ist auch Beschäftigter und dadurch weisungsgebunden, aber
als Stadtrat ist man frei, dieser Konflikt ist sehr schwierig“ (N1).
sich fast bzw. vollständig auf die Ausübung ihrer Funktion zu konzentrieren. De
facto sind die Fraktionsvorsitzenden also bereits Berufspolitiker, so dass die
Ratsmitglieder die Professionalisierung der Fraktionsvorsitzenden als die Forma-
lisierung eines existierenden Status’ ansehen. Insofern wird lediglich die Profes-
sionalisierung der Fraktionsvorsitzenden mehrheitlich als Entwicklungsoption
betrachtet.
Eine professionalisierte Institution zeichnet sich zum einen durch eine hohe res-
sourcenbasierte Professionalisierung und zum anderen durch die Professionali-
sierung ihrer Mitglieder aus. Insofern handelt es sich bei dieser Entwicklungsop-
tion um die gleichzeitige ressourcenbasierte und mitgliederbasierte Professiona-
lisierung. Wie erläutert, gibt es jedoch für die jeweiligen Komponenten keine
klaren Präferenzen in den Kommunalparlamenten, so dass eine Entwicklung in
Richtung einer professionalisierten Institution nicht zu erwarten ist.
hingegen bereits ein solches Ausmaß angenommen, dass sich die Stadtverordne-
ten dadurch keine weitere zeitliche Entlastung versprechen. Selbst in Hannover,
wo viele Ratsmitglieder mit der Qualität der Zuarbeit nicht zufrieden sind,
spricht sich mit einem Anteil von 50% keine klare Mehrheit für diese Form der
ressourcenbasierten Professionalisierung aus. Die technische Infrastruktur wird
hingegen von allen Mandatsträgern als sehr wichtig betrachtet. Gerade dies stößt
jedoch häufig an Grenzen, die durch die finanzielle Situation der Kommunen
vorgegeben sind. Allerdings zeigt das Beispiel des Kommunalparlaments in
Stuttgart, welches über eine sehr gute technische Infrastruktur für die Stadträte
verfügt, dass eine ressourcenbasierte Professionalisierung durch den Ausbau von
technischen Ressourcen zwar eine Erleichterung und höhere Flexibilität für die
Ratsmitglieder bedeutet, aber für eine Reduzierung des hohen Arbeits- und Zeit-
aufwands alleine nicht ausreichend ist.
Die dritte Option, die mitgliederbasierte Professionalisierung, wird von den
Ratsmitgliedern in allen vier Untersuchungsstädten kontrovers diskutiert. Hin-
sichtlich der Professionalisierung aller Ratsmitglieder gibt es keine mehrheitliche
Zustimmung, lediglich beim Fraktionsvorsitzenden sprechen sich die Ratsmit-
glieder aller Untersuchungsstädte mehrheitlich für eine Professionalisierung aus.
Es wurde festgestellt, dass es in allen Untersuchungsstädten aufgrund der enor-
men Arbeitsbelastung bereits mehr oder weniger institutionalisierte Arrange-
ments für Fraktionsvorsitzende gibt, so dass diese bereits zum aktuellen Zeit-
punkt de-facto Berufspolitiker sind. Insofern würde eine Professionalisierung
diesen Zustand lediglich formalisieren. Allerdings können die Ratsmitglieder
nicht selbst über eine Professionalisierung der Ämter entscheiden, so dass hin-
sichtlich aller Ämter nicht damit zu rechnen ist. Da es sich bei der vierten Ent-
wicklungsoption um eine gleichzeitig ressourcenbasierte und mitgliederbasierte
Professionalisierung handelt, und es für beide keine klaren Mehrheiten im Rat
gibt, ist diese Entwicklung nicht zu erwarten.
Insofern gibt es in den Untersuchungsstädten keine gemeinsamen Vorstel-
lungen der Ratsmitglieder, wie sich das Ratsmandat und das Kommunalparla-
ment weiterentwickeln sollen. So zeigt sich das Paradox, in dem sich die Rats-
mitglieder befinden: Sie sind weitgehend übereinstimmend der Auffassung, dass
Reformnotwendigkeit besteht; sie sehen aber gleichzeitig keine überzeugende
Alternative für den gesamten Stadtrat mit seinen Mitgliedern. So erläutert auch
ein Stadtrat aus Nürnberg:
„Ich bin der Meinung, dass es so in Zukunft sicherlich nicht mehr gut weitergeht. Es gibt bis
jetzt aber noch keine wirklich guten Lösungen. Im Prinzip gibt es zu dem jetzigen Modell
kaum eine Alternative“ (N1).
244 6. Entwicklungslinien und strategische Optionen in deutschen Großstädten
Daher sucht jedes Ratsmitglied, wie unter 5.3 gezeigt, für sich selbst individuelle
Lösungsmöglichkeiten, um das Mandat ausüben zu können. Aufgrund dieser
individuellen Strategien können viele Ratsmitglieder das existierende Dilemma
individuell für sich lösen und zwar jeweils auf jene Art und Weise, wie es für sie
persönlich am attraktivsten ist. Aufgrund dieser individuellen Lösungen können
die Kommunalparlamente weiterhin ihre Funktionen erfüllen, wodurch in den
Kommunalparlamenten nicht die dringende Notwendigkeit besteht, die Rahmen-
bedingungen für alle Ratsmitglieder einheitlich zu verändern.
7. Diskussion, Fazit und Ausblick:
Professionalisierung auf lokaler Ebene?
Anknüpfend an die bisherigen Erkenntnisse, dass ein Mandat im Rat einer Groß-
stadt mit einem ‚normalen’ Beruf kaum vereinbar ist, wurde geprüft, ob sich
durch diese Probleme eine einseitige Sozialstruktur der Räte hinsichtlich Alter,
Geschlecht, Bildungsgrad oder Berufsstruktur ergeben hat (vgl. 5.2). Bei der
Altersstruktur findet sich eine Überrepräsentation der mittleren Jahrgänge –
ähnlich wie in anderen Parlamenten. Frauen sind mit durchschnittlich 44% der
Ratsmitglieder in den untersuchten Kommunen sehr stark vertreten – eine syste-
matische geschlechtsspezifische Schließung der Kommunalpolitik ist somit nicht
zu erkennen. Die Bildungsabschlüsse der Ratsmitglieder sind genau wie in ande-
ren Parlamenten weit überdurchschnittlich.
Die Analyse der Berufsstruktur widerspricht hingegen der weit verbreiteten
Vorstellung, dass in erster Linie nur Angehörige des Öffentlichen Dienstes (und
hier insbesondere Lehrer) die Zeit für ein kommunalpolitisches Engagement
aufbringen könnten: Lediglich ein Viertel der Ratsmitglieder kommt aus dem
Öffentlichen Dienst. Damit bilden sie eine von vier nahezu gleich großen Grup-
pen, zu denen außerdem die Selbständigen und Freiberufler, die Nichterwerbstä-
tigen und die Angestellten im politischen/politiknahen Sektor gehören. Deutlich
unterrepräsentiert sind hingegen die Beschäftigten im privaten Sektor. Dabei gibt
es jedoch kein einheitliches Muster; vielmehr weichen die Berufsstrukturen in
den Untersuchungsstädten stark voneinander ab und auch der öffentliche Sektor
ist nicht so dominant in den Kommunalparlamenten vertreten wie erwartet. Inso-
fern widersprechen die Ergebnisse der Sozialstrukturanalyse in den vier Untersu-
chungsstädten eindeutig der Abkömmlichkeitsthese, die davon ausgeht, dass der
Berufssektor bzw. die Berufsgruppe darüber entscheidet, wer ein Mandat in einer
Großstadt ausüben kann und wer nicht. Damit sind rein sozialstrukturelle Analy-
sen der Ratspopulation unzureichend.
Vielmehr sind die individuellen Lagen und Strategien entscheidend: 85%
der Ratsmitglieder in den vier Untersuchungsstädten wenden Strategien zur Ver-
einbarkeit von Beruf und Mandat an (vgl. 5.3). Die vier wichtigsten Strategien
sind ‚Freistellung’, ‚Reduzierung der Arbeitszeit’, ‚Gleitzeit/flexiblere Arbeits-
zeiten’ und der ‚Wechsel des Arbeitsplatzes’. Bei der gesetzlich geregelten Frei-
stellung durch den Arbeitsgeber zeigt sich einerseits, dass diese je nach Berufs-
position und Betriebsgröße durchaus nicht für alle Arbeitnehmer praktikabel ist
und die Freistellungen häufig zu Problemen mit Kollegen und Vorgesetzten
führen. Anderseits offenbart die Analyse, dass es in allen Kommunalparlamenten
Ratsmitglieder gibt, die von ihren Arbeitgebern (nahezu) komplett freigestellt
werden. Dabei zeigt sich, dass die komplette Freistellung primär von den Frakti-
onsvorsitzenden in Anspruch genommen wird, die ohne diese vollständige Frei-
stellung ihre Funktion nicht ausüben könnten. Des Weiteren werden die ‚norma-
len’ Ratsmitglieder aus einem gewissen Eigeninteresse der Unternehmen an
250 7. Diskussion, Fazit und Ausblick: Professionalisierung auf lokaler Ebene?
Entscheidung pro Beruf (2), Versuch des Ausgleichs (3) und Entscheidung pro
Mandat (4). Bei der Zuordnung der einzelnen real verfolgten Strategien zeigt
sich, dass für 20% der Ratsmitglieder die Vereinbarkeitsprobleme gering sind;
3% entscheiden sich für den Beruf, 30% versuchen eine Balance herzustellen.
Knapp die Hälfte der Ratsmitglieder legt eine Priorität auf das Mandat und ord-
net die berufliche Tätigkeit der politischen unter. Dadurch professionalisiert sich
die Hälfte der Ratsmitglieder individuell und befindet sich damit in einer Situati-
on zwischen Ehrenamt und Berufspolitik.
Die Ratsmitglieder professionalisieren sich dabei überwiegend dort indivi-
duell, wo der Professionalisierungsdruck durch den Zeitaufwand und die zeitli-
che Lage der Sitzungen am höchsten ist und wo diese individuelle Professionali-
sierung aufgrund der Höhe der Entschädigung im Vergleich zu anderen Optionen
besonders attraktiv ist. Die Stadträte treffen somit eine rationale Auswahl aus
den für sie verfügbaren strategischen Optionen, wobei die politische Tätigkeit für
fast alle eine hohe Priorität hat.
Auch hinsichtlich der Sozialstruktur der Mandatsträger und der eingesetzten
Strategien zur Vereinbarkeit von Beruf und Mandat lassen sich vielfältige Paral-
lelen zwischen der aktuellen Situation in den Großstädten und jener in den Par-
lamenten auf den höheren Ebenen während des informellen Professionalisie-
rungsprozesses erkennen. Die angewendeten Strategien der Ratsmitglieder in den
deutschen Großstädten sind den informellen Kanälen der Professionalisierung
vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik in Art und Ausmaß interessanterweise
sehr ähnlich. Parallelen zeigen sich hinsichtlich der Anstellung von Mandatsträ-
gern bei Parteien, Verbänden und Interessengruppen. Eine Sonderform ist die
Anstellung der Mandatsträger in der eigenen Fraktion. Diese Strategie war auf
den höheren Ebenen immer dann wichtig, wenn das politische Amt niedrig pro-
fessionalisiert war. Mit fortschreitender Professionalisierung des Amtes verlor
sie immer mehr an Bedeutung. Auch in den untersuchten Großstädten spielt
diese Strategie vor allem dort eine Rolle, wo die Aufwandsentschädigung niedrig
ist. Eine weitere Strategie, die in den Professionalisierungsprozessen auftaucht –
sowohl auf den höheren Ebenen als auch im aktuellen Prozess in den Großstäd-
ten –, ist die Reduzierung der Arbeitszeit. Dabei zeigt sich allerdings, dass diese
Strategie erst dann angewendet wird, wenn der Professionalisierungsgrad des
Amtes, d.h. die Höhe der Aufwandsentschädigung, bereits relativ hoch ist – da
erst dann eine solche Professionalisierung für die Mandatsträger im Vergleich zu
ihrem eigentlichen Beruf attraktiv ist.
Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, dass in den deutschen
Großstädten ein Professionalisierungsprozess stattfindet und dass die Kommu-
nalparlamente über einen relativ hohen Professionalisierungsgrad verfügen, der
teilweise sogar an jenen der semiprofessionellen Bürgerschaft in Hamburg her-
252 7. Diskussion, Fazit und Ausblick: Professionalisierung auf lokaler Ebene?
anreicht. Das normative Leitbild auf kommunaler Ebene ist jedoch nach wie vor
jenes des ehrenamtlichen Feierabendpolitikers. Insofern gibt es auch in den deut-
schen Großstädten – ebenso wie während des Professionalisierungsprozesses auf
den höheren Ebenen des politischen Systems (vgl. 2.2.2) – einen Widerspruch
zwischen Leitbild und Realität. Der Professionalisierungsprozess in den deut-
schen Großstädten weist darüber hinaus auf allen Ebenen der Professionalisie-
rung – der Ebene der Institution, des Amtes und auch auf jener des Individuums
– vielfältige Parallelen zu den informellen Professionalisierungsprozessen auf
den höheren Ebenen auf.
121 Die Städte, in denen Fraktionsgeschäftsführer und/oder Fraktionsvorsitzende bzw. Vertreter des
Städtetags interviewt wurden, sind Wiesbaden, Mainz, Karlsruhe, Mannheim und Heidelberg.
Des Weiteren wurde mit Abgeordneten des Landtags Baden-Württemberg gesprochen, die von
Erfahrungen in ihren Wahlkreisen berichteten.
7.2 Professionalisierung auch in mittelgroßen Städten? 253
Auf individueller Ebene lassen sich ebenfalls Strategien zur Vereinbarkeit von
Beruf und Mandat finden, jedoch vor allem bei den Fraktionsvorsitzenden. So
hat beispielsweise ein Fraktionsvorsitzender in Karlsruhe seinen eigentlichen
Beruf auf eine Halbtagstätigkeit reduziert, um für sein Amt und seine Funktion
die notwendige Zeit zu haben. Des Weiteren ist der Vorruhestand nach Angaben
der Interviewten eine häufige Strategie, mit der sich Funktionsträger mittelgroßer
Städte die notwendigen Zeitressourcen schaffen. Ausgehend von diesen Einzel-
fallbeschreibungen kann davon ausgegangen werden, dass die Anwendung von
Abkömmlichkeits- und Professionalisierungsstrategien, wenn auch in geringerem
Maße, auch in mittelgroßen Städten durchaus üblich ist.
Auch in den mittleren und kleineren Städten scheint somit eine Professiona-
lisierung auf den Ebenen des Individuums, des Amtes und der Institution stattzu-
finden. Interessanterweise weisen die Ergebnisse zudem daraufhin, dass sich in
den jeweiligen Bundesländern unabhängig von der Stadtgröße die gleichen Pro-
fessionalisierungsarten herausbilden. Wie erläutert, ist dies auch darauf zurück-
zuführen, dass sich die mittelgroßen Städte bei der Festlegung der Höhe der
Entschädigungen – soweit dies in ihrem Handlungsspielraum liegt – und der
Höhe der Aufwendungen für das Parlament an den Realitäten in den größten
Städten ihres Bundeslandes orientieren. Bundesländerübergreifende Vergleiche
hingegen gibt es, wie erläutert, nicht, so dass die Professionalisierungsprozesse
getrennt verlaufen. Hierbei müssen jedoch zukünftige Analysen diese Annahmen
genauer untersuchen. Insofern ist angesichts dieser Erkenntnisse zu konstatieren,
dass die in der vorliegenden Studie untersuchten deutschen Großstädten mit
mehr als 400.000 Einwohnern im Umfang der Professionalisierung zwar die
Extremposition einnehmen, dass sie jedoch keinen Ausnahmefall darstellen.
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Anhang
A. Persönliche Daten
1. Geschlecht
weiblich männlich
3. Parteizugehörigkeit
CDU SPD BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN FDP
REP PDS Parteilos Sonstiges
B. Politische Daten
9. Welche Position nehmen bzw. nahmen Sie in der Partei auf Landes-, Bezirks- und Kommu-
nalebene ein?
Vorsitz im Landesverband von ________ bis ________
Bezirk von ________ bis ________
Kreisverband von ________ bis ________
Ortsverein/-verband von ________ bis ________
Sonstiges: _______________________________________________________________
10. In welchen Vereinen und Verbänden haben bzw. hatten Sie Funktionen inne?
Keine Funktion
Funktionen im/in Verein/en und Verband/Verbänden
276 Anhang A: Fragebogen
12. In welchem Beruf waren Sie vor Ihrer Wahl zur/zum Stadtverordneten tätig?
Nicht berufstätig
Berufstätig als: _________________________________________________________
13. Haben Sie jemals eine hauptamtliche politische Position (z. B. in einer Partei, Interessen-
gruppe oder als Fraktionsangestellter) innegehabt?
Nein
Ja, von _________ bis _________ in der Position als: __________________________
15. Wie hoch schätzen Sie den durchschnittlichen wöchentlichen Zeitaufwand ein
für Ihre Tätigkeit als Stadtverordnete/-r: _______________ Stunden/Woche
für Ihre Parteitätigkeit: _______________ Stunden/Woche
für Ihre zusätzlichen politischen Funktionen: _______________ Stunden/Woche
Bitte nennen Sie die Funktionen: ________________________________________________
16. Werden Sie von Ihrer Arbeit freigestellt, weil Sitzungen u.ä. während der Arbeitszeit stattfin-
den? Wenn ja, wie viele Stunden durchschnittlich pro Woche?
Nein
Ja, _____________________________ Stunden/Woche
17. Ausgehend von den veränderten Strukturbedingungen der Kommunalpolitik (höhere Arbeits-
belastung, höhere Komplexität etc.), halten Sie es weiterhin für möglich und sinnvoll, in ei-
ner Großstadt wie Frankfurt, das Mandat nebenberuflich und ehrenamtlich auszuüben?
Ja, halte ich ohne Probleme für möglich.
Ja, halte ich für schwierig, aber wünschenswert.
Ja, halte ich für schwierig, sehe aber keine andere Lösung.
Nein, das Mandat ist mit einem normalen Beruf nicht mehr vereinbar.
Nein, es gibt nur noch bestimmte Berufsgruppen wie öffentlich Bedienstete bzw.
Rentner, Studenten, Hausfrauen oder Teilzeitbeschäftigte, denen es zeitlich möglich
ist, sich in Großstädten als Stadtverordnete/-r zu engagieren.
Gründe: ______________________________________________________________
18. Sind Sie der Ansicht, dass die Ausübung eines kommunalen Mandats in einer Großstadt
berufliche Nachteile bringt?
Nein
Ja, aufgrund (Mehrfachnennungen möglich)
Schwierigkeiten am Arbeitsplatz (Unzufriedenheit der Kollegen etc.)
Einschränkung der beruflichen Möglichkeiten
Reduzierung der beruflichen Leistungsfähigkeit
Einkommenseinbußen
Entlassungsgefahr
Sonstiges: ________________________________________________________
19. Wie können Sie trotz des hohen Zeitbedarfs Ihren Beruf und das Mandat zeitlich vereinba-
ren?
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
278 Anhang A: Fragebogen
20. Haben Sie vor Beginn der Tätigkeit als Stadtverordnete/-r besondere Absprachen an Ihrer
Arbeitsstelle getroffen?
Nein
Ja,
Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit
Gleitzeit/flexiblere Arbeitszeiten
vom Arbeitgeber teilweise/ganz freigestellt
Wechsel des Arbeitsplatzes
Vorruhestand
Sonstiges: ________________________________________________________
21. Oft ergeben sich Änderungen im Laufe der Zeit. Hat sich für Sie beruflich etwas während der
Zeit Ihres Mandats verändert? Wenn ja, hing das mit der Tätigkeit als Stadtverordnete/-r bzw.
mit Ihren weiteren politischen Funktionen zusammen?
Nein, beruflich hat sich nichts verändert.
Ja, es hing nicht mit der Tätigkeit als Stadtverordnete/-r zusammen.
Ja, es hing mit der Tätigkeit als Stadtverordnete/-r zusammen
Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit
Gleitzeit/flexiblere Arbeitszeiten
vom Arbeitgeber ganz/teilweise freigestellt
Wechsel des Arbeitsplatzes
Vorruhestand
Sonstiges: ________________________________________________________
Gründe: ___________________________________________________________________
22. Welche Entwicklungen halten Sie für wünschenswert, um die Situation für die ehrenamtli-
chen Kommunalpolitiker in Großstädten zu verbessern? (Mehrfachnennungen möglich)
Einführung hauptamtlicher Fraktionsvorsitzender
Einführung von Diäten für Stadtverordnete
Erhöhung der Aufwandsentschädigung
Verstärkung der Fraktionsgeschäftsstellen
Vermehrte Freistellung durch Arbeitgeber
Mehr Akzeptanz und Verständnis durch Kollegen und Vorgesetzte am Arbeitsplatz
Verringerung der Zuständigkeiten der Stadtverordnetenversammlung
Effizientere Organisation der Tätigkeiten der Stadtverordnetenversammlung
Engere Zusammenarbeit mit der Verwaltung
Bessere technische Ausstattung für die Stadtverordneten
Vermehrte Qualifikationsmöglichkeiten für die Stadtverordneten
Sonstiges: _____________________________________________________________
Anhang A: Fragebogen 279
23. Gibt es bzw. gab es in den letzten Jahren in Frankfurt bereits Erleichterungen bzw. Verbesse-
rungen für die Stadtverordneten. Wenn ja, worin liegen diese?
Nein
Ja, ___________________________________________________________________
24. Sind Sie der Ansicht, dass in Großstädten die Mandatsträger bzw. die Funktionsträger wie
der Fraktionsvorsitzende ihre Aufgaben hauptamtlich ausüben sollten?
Stadtverordnete
Nein, Stadtverordnete sollten weiterhin ehrenamtlich und nebenberuflich tätig sein.
Nein, aber Stadtverordnete sollten Ihre Tätigkeit halbtags beruflich ausüben.
Ja, die Stadtverordneten sollten Ihre Tätigkeit hauptberuflich ausüben.
Funktionsträger
Nein, Fraktionsvorsitzende sollten weiterhin ehrenamtlich und nebenberuflich tätig sein.
Nein, aber Fraktionsvorsitzende sollten die Tätigkeit halbtags beruflich ausüben.
Ja, Fraktionsvorsitzende sollten Ihre Tätigkeit hauptberuflich ausüben.
Gründe: ___________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
25. Wie hoch ist Ihr monatliches Durchschnittseinkommen (brutto) durch Ihre politische Tätig-
keit auf kommunaler Ebene? (Aufwandsentschädigung + Aufsichtsratsmandate etc.)
weniger als 500 Euro/Monat 2001 bis 2500 Euro/Monat
501 bis 1000 Euro/Monat 2501 bis 3000 Euro/Monat
1001 bis 1500 Euro/Monat über 3001 Euro/Monat
1501 bis 2000 Euro/Monat
26. Aufgrund steigender Komplexität wird häufig bezweifelt, dass die Stadtverordnetenver-
sammlung die Verwaltung noch wirksam kontrollieren kann, da Zeit und Sachkenntnis fehlen
würden.
a) Stimmen Sie dem zu?
Ja
Nein
Gründe: _____________________________________________________________
G. Motivation
27. Warum sind Sie politisch aktiv geworden? Welche Gründe und Motivationen sind besonders
wichtig für Sie und charakterisieren Ihren Weg in die Politik? (Mehrfachnennungen möglich)
Wahrnehmung von Mitwirkungs-/Mitgestaltungsmöglichkeiten
Pflichtgefühl gegenüber der Gemeinschaft/Bürgerpflicht
Übereinstimmung mit den Zielen der Partei
Standpunkt festlegen, „wissen, wo man hingehört“
Persönliche Kontakte
Orientierung an Persönlichkeiten
Parteimitgliedschaft der Eltern
Missstände in der Politik
Sonstiges: ___________________________________________________________
28. Warum haben Sie sich für die Stadtverordnetenversammlung aufstellen lassen?
(Mehrfachnennungen möglich)
Weil ich in meiner Stadt etwas bewegen wollte.
Aufgrund aktueller Missstände in der Kommunalpolitik.
Weil ich gebeten wurde, mich aufstellen zu lassen.
Weil es einen Mangel an guten Kandidaten gab.
Weil ich besonderes Interesse an einem Politikfeld hatte.
Weil ich es als einen guten Einstieg für eine politische Karriere ansah.
Sonstiges: ___________________________________________________________
29. Gäbe es andere politische Aufgaben oder Positionen für die Sie sich interessieren könnten?
Nein, ich werde nicht mehr kandidieren.
Ja, ich möchte weiterhin auf kommunaler Ebene aktiv sein
als Stadtverordnete/-r
als Fraktionsvorsitzende/-r
als Stadtverordnetenvorsteher/-in
als ehrenamtliches Magistratsmitglied
als Dezernent/hauptamtliches Magistratsmitglied
als Oberbürgermeister/-in; Bürgermeister/-in
Sonstiges: _________________________________________________________
Ja, ich werde mich für ein Mandat auf einer anderen Ebene bewerben, für den bzw. das
Bundestag
Landtag
Europaparlament
Sonstiges: _________________________________________________________
Anhang A: Fragebogen 281
30. Wie beurteilen Sie diesen Fragebogen? Finden Sie, dass anhand dieser Angaben Sie selbst
und die Situation in der Kommunalpolitik hinreichend beschrieben werden können? Möchten
Sie weitere Angaben und persönliche Einschätzungen zu Ihrer Person, zu Ihrem Weg und zur
Situation in der Kommunalpolitik machen?
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
31. Wären Sie bereit, eventuell in einem Interview ausführlicher auf Fragen zu diesem Themen-
gebiet einzugehen?
Nein
Ja
Anhang B: Tabellen