Professional Documents
Culture Documents
Freiheit, Bindung Und Das Spiel Des Lebens
Freiheit, Bindung Und Das Spiel Des Lebens
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
320 Fernando Rodrigues
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Freiheit, Bindung und das Spiel des Lebens 321
des Lebens und dies kann auch dann noch positiv interpretiert wer
den, wenn Heidegger sich nach dem Jahr 1930 und der Schrift Vom
Wesen der Wahrheit von der Metaphysik und der metaphysischen
Sprache distanziert.
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
322 Fernando Rodrigues
der Zeit als der Wurzel jeder möglichen Begegnung, und damit als
Grund des menschlichen Verhaltens im Allgemeinen. Das ist, grob
gesagt, die Grundidee der Fundamentalontologie. Aber wenn Heid
egger sagt, die Fundamentalontologie erschöpfe nicht den Begriff
der Metaphysik, dann muss das heißen: Es gibt irgendetwas inner
halb der Metaphysik, das über das ontologische Problem hinausgeht.
Da diese Behauptung erst in der Leibniz-Vorlesung ausgesprochen
wird, ist klar, dass sich dieses Problem in Sein und Zeit überhaupt
nicht stellt. In Sein und Zeit identifiziert Heidegger nämlich impli
zit die Metaphysik mit der überlieferten Ontologie und setzt die
vollständige Destruktion der Geschichte der Ontologie (Metaphy
sik) durch die Fundamentalontologie voraus. Im Unterschied dazu
verlangt die Leibniz-Vorlesung umgekehrt den Umschlag der Fun
damentalontologie in Metaphysik. Aber warum?
Obwohl die Fundamentalontologie ursprünglich mit einer be
sonderen Art von Transzendentalphilosophie zusammenhängt –
und dadurch von jeglicher überlieferten Ontik von Eigenschaften
wesentlich zu unterscheiden ist – basiert die Fundamentalontolo
gie immer noch auf dem Problem der Seiendheit des Seienden, das
heißt, Sein wird verstanden als »das, was Seiendes als Seiendes be
stimmt, das, woraufhin Seiendes, mag es wie immer erörtert wer
den, je schon verstanden ist«.7 Das ist das Problem der traditionellen
Ontologie. Allein, der Hinweis Heideggers, die Fundamentalon
tologie erschöpfe nicht den Begriff der Metaphysik, macht auf die
Tatsache aufmerksam, dass die Philosophie sich nicht nur mit dem
ontologischen Problem der Allgemeinheit des Seienden als Seien
den befassen muss, sondern auch mit dem besonderen Problem des
Seienden im Ganzen, dem wesentlichen Zweig der aristotelischen
Metaphysik als θεολογική.
Heidegger setzt sich mit diesem Thema in seiner Leibniz-Vorle
sung auseinander, in der er eine innere Ambivalenz in Aristoteles’
Begriff der πρώτη φιλοσοφία festhält. In der Metaphysik präsentiert
Aristoteles eine Wissenschaft, deren Aufgabe in der Untersuchung
des Seienden als Seienden besteht: ἔστιν ἐπιστήμη τις ἣ θεωρεῖ τὸ ὂν
ᾗ ὄν καὶ τὰ τούτῳ ὑπάρχοντα καθ’ αὑτό.8 Das ist die Philosophie in
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Freiheit, Bindung und das Spiel des Lebens 323
erstem Sinne, φιλοσοφία πρώτη, die erst viel später als »Ontologie«
bezeichnet wird.9 Ebenfalls in der Metaphysik bestimmt Aristoteles
die erste Philosophie andererseits als θεολογική, als die Wissenschaft
des Grundes »des am offensichtlichen Seienden sich bekundenden
Übermächtigen«,10 als αἴτια τοῖς φανεροῖς τῶν θείων.11 Daraus zieht
Heidegger folgenden Schluss: »Philosophie als erste Philosophie hat
also einen zweifachen Charakter, sie ist Wissenschaft vom Sein und
Wissenschaft vom Übermächtigen«. Und dem fügt er in Klammern
hinzu: »Dieser Doppelcharakter entspricht dem Zweifachen von
Existenz und Geworfenheit«.12
Heidegger weist hier nicht nur auf einen inneren Zwiespalt in der
metaphysischen Fragestellung selbst hin, auf den Ausbruch eines
Scheidewegs von großem Einfluss in der gesamten Geschichte der
Philosophie, sondern er schreibt diesen Doppelcharakter der Meta
physik der existenzialen Struktur des Menschen zu. Der metaphysi
sche Umschlag der Fundamentalontologie zeigt sich folglich als sehr
eng verbunden mit der Diagnose einer ontotheologischen Verfas
sung der Metaphysik im Allgemeinen. Daher hat die Metaphysik des
Daseins die Aufgabe, das Problem der Metaphysik zu verdeutlichen.
Dieses Thema hat Heidegger zu dieser Zeit oft durch die Wendung
von der »Grundlegung der Metaphysik« zum Ausdruck gebracht.
Eine solche Grundlegung versteht er – wie eine lapidare Formulie
rung des Kant-Buchs von 1929 bestätigt – als die Erforschung der
»Endlichkeit im Menschen«.13
Es ist merkwürdig, dass Heidegger gerade bei der Entwicklung
seiner Diagnose des zweifachen Charakters der Metaphysik bezie
hungsweise deren Spaltung in Ontologie und Theologie von einer
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
324 Fernando Rodrigues
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Freiheit, Bindung und das Spiel des Lebens 325
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
326 Fernando Rodrigues
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Freiheit, Bindung und das Spiel des Lebens 327
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
328 Fernando Rodrigues
26 Heidegger, Sein und Zeit, GA 2, 117. Vgl. auch 87–88. An dieser Stelle
unterscheidet Heidegger zwischen vier möglichen Bedeutungen des Wortes
Welt und legt fest, dass die Kennzeichnung des vorontologisch-existenziellen
Weltverständnisses, des Verständnisses von Welt als das, »›worin‹ ein fakti
sches Dasein als dieses ›lebt‹« (Welt-Begriff Nr. 3), durch den Ausdruck Welt
(ohne Anführungszeichen) markiert wird. In Anführungszeichen sollte der
Ausdruck »Welt« wiederum auf »das All des Seienden« hinweisen (Welt-
Begriff Nr. 1). Problematisch ist hier, dass Heidegger sich in Sein und Zeit
besonders für das Sein der Welt (Nr. 3), das heißt für die Weltlichkeit (Welt-
Begriff Nr. 4), einen rein ontologisch-existenzialen Begriff interessiert und
dass die Angewiesenheit des Daseins auf die »Welt« nicht ausdrücklich be
handelt wird. Das wurde schon in der Sekundärliteratur diagnostiziert, so
etwa wie bei Pavel Kouba, Der Sinn der Endlichkeit, Würzburg, 2005, 205:
»Als durch die faktische Existenz des Daseins erschlossen ist die Welt nicht
nur ein Verweisungszusammenhang, in den sich das besorgende Dasein ent
wirft, sondern auch das besorgte Seiende; die Welt bedeutet hier den Zusam
menhang des Besorgens selbst wie auch das Besorgte«.
27 Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, GA 3, 228.
28 Heidegger, Was ist Metaphysik?, GA 9, 110.
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Freiheit, Bindung und das Spiel des Lebens 329
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
330 Fernando Rodrigues
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Freiheit, Bindung und das Spiel des Lebens 331
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
332 Fernando Rodrigues
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Freiheit, Bindung und das Spiel des Lebens 333
den ist das Sichbilden des Einbruchspielraums für das jeweilige fak
tische Sichhalten des faktischen Daseins inmitten des Seienden im
Ganzen«.48 Nur aus dieser durch das Seinsverständnis bestimmten
Verbundenheit des Daseins mit dem Seienden kann die metaphy
sische Frage entstehen: »Warum ist überhaupt Seiendes und nicht
vielmehr Nichts?«49
Die Metaphysik des Daseins erhebt den Anspruch, sich als eine
Philosophie der Endlichkeit im radikalsten Sinne zu behaupten. Ihre
Aufgabe ist die Behandlung der menschlichen Verbindlichkeit ge
genüber dem Seienden im Ganzen beziehungsweise die Identifika
tion der Freiheit zur Bindung als Wesen des Menschen. Eine Inter
pretation dieses philosophischen Projektes, die sich durch den in
neren Zusammenhang der Begriffe Freiheit, Bindung und Spiel des
Lebens strukturieren lässt, zeigt ihre Vorteile: Sie holt den positiven
Aspekt der Metaphysik des Daseins nach, nämlich die hermeneuti
sche Phänomenologie der menschlichen Verbindlichkeit mit dem
Seienden im Ganzen. Nur durch eine solche immanente Lektüre
lassen sich die Vorlesungen Heideggers dieser Zeit unmittelbar nach
Sein und Zeit in ein einheitliches Ganzes einordnen, in das Projekt
einer Metaphysik des Daseins. Und auch wenn Heidegger ab Mitte
der 1930er Jahre, nach der philosophischen Kehre, zur expliziten
Verteidigung einer Überwindung der Metaphysik kommt und von
der ganzen Begrifflichkeit seines metaphysischen Projektes Abstand
nimmt, bleibt hier noch vieles über die menschliche Natur zu lernen.
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
https://doi.org/10.5771/9783465141730-319
Generiert durch IP '207.241.231.108', am 05.02.2022, 22:25:50.
Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.