ERNTET DEN STURM

In Jahrhunderten voller Gewalt, Korruption und Zynismus ist auf

der ganzen Welt eine bittere Saat ausgebracht worden. Kriege
toben und das Blut Unschuldiger wird vergossen. Gnade und
Mitleid werden unter dem Stiefelabsatz religiöser Fanatiker zu
Staub zermalmt. Die Machenschaften von Priestern, Politikern
und Verbrechern pervertieren den Glauben. Nun tobt ein Sturm
in der Geisterwelt, und die Pforten der Hölle sind geborsten. Die
Engel des Abgrunds sind wieder frei, und das Schicksal der ge-
samten Menschheit steht auf dem Spiel.

RECKT EURE HAND GEN HIMMEL!

ERNTET DEN STURM
In Jahrhunderten voller Gewalt, Korruption und Zynismus ist auf
der ganzen Welt eine bittere Saat ausgebracht worden. Kriege
toben und das Blut Unschuldiger wird vergossen. Gnade und
Mitleid werden unter dem Stiefelabsatz religiöser Fanatiker zu
Staub zermalmt. Die Machenschaften von Priestern, Politikern
und Verbrechern pervertieren den Glauben. Nun tobt ein Sturm
in der Geisterwelt, und die Pforten der Hölle sind geborsten. Die
Engel des Abgrunds sind wieder frei, und das Schicksal der ge-
samten Menschheit steht auf dem Spiel.

RECKT EURE HAND GEN HIMMEL!

 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

PROLOG:

LAMPENFIEBER
Warum bin ich hier?
Ich stelle mir diese Frage wieder und wieder, während ich in einer Seitengasse stehe und auf diese Tür vor mir
starre, über der „Bühneneingang“ geschrieben steht. Hier stehe ich, Melbogathra, unlängst zurückgekehrt in die
Welt und versessen darauf, die Schöpfung zu zerstören, und die erste Empfindung, die ich verspürte, als ich hier
ankam, war Liebe … unerwiderte, beschissene Liebe.
Becky.
Ich werde dieses Gefühl einfach nicht los, ganz gleich, wie sehr ich mich auch darum bemühe. Ich versuche,
meine Flügel auszubreiten, so wie mein ursprüngliches Selbst, neben dem die höchsten Berge zu Findlingen
schrumpften, es vor so unvorstellbar langer Zeit einmal getan hat. Doch jetzt stoßen meine Schwingen von einst
nur noch hart gegen meine Rippen. Ich stecke hier fest, und das bereitet mir Kopfschmerzen. Ich greife nach dem
Türknauf und betrete den Bühneneingang. Die eine Frage will mir noch immer nicht aus dem Kopf.
Mit einem geschwungenen Pinselstrich trägt sie die letzte Schminke auf das Gesicht eines anderen Mitglieds
unseres Ensembles auf, bevor sie mich in den Stuhl winkt. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie in ihrer zerbrech-
lichen Unvollkommenheit anstarre. Ich sitze da und frage mich, was Max in ihr gesehen hat, während mich
zugleich jeder Zentimeter an ihr bezaubert. Sie ist so sterblich. Ich liebe die wilden Strähnen blonden Haars,
die unter ihrem roten Kopftuch hervorsprießen. Ich liebe die Müdigkeitsfältchen in ihren Augenwinkeln, und ich
liebe ihre blassroten Lippen. Ich kenne sie, weil Max sie kennt. Ich liebe sie, weil Max sie liebt. So nahe stehen
sich Max und ich.
Tatsächlich liebte Max sie so sehr, daß er es kürzlich fertiggebracht hat, einen Strick um einen Deckenbalken
zu knoten und sich daran aufzuhängen, weil er sie nicht für sich gewinnen konnte. Max liebte Becky, und daher
liebe ich sie jetzt zwangsläufig auch. Das trifft mich am härtesten.
Sie bemerkt, daß ich sie anstarre, und drückt mir das Schwämmchen mit der Schminke fester gegen das Ge-
sicht, um mich so zum Blinzeln und Wegsehen zu zwingen. Dank des hohen Kragens meines Kostüms kann sie
die Brandwunden an meinem Hals nicht sehen, die jenes Seil hinterließ, mit dem sich Max bis an die Schwelle
des Todes würgte. Und trotzdem fühlt sie sich in meiner Gegenwart unwohl. Ein Stirnrunzeln gräbt eine kleine
Furche zwischen ihre Augenbrauen.
„Mir wäre es lieber, du würdest damit aufhören“, sagt sie. Ich kann die Verärgerung in ihrer Stimme hören,
aber ich bin viel zu sehr vom Anblick der Schweißperle gefangen, die ihren schneeweißen Hals herunterläuft
und hinter dem Kragen ihres lose sitzenden Tanktops verschwindet. Die Kraft, mit der sie mein Gesicht berührt,
während sie mir die Schminke auf die Wangen aufträgt, schlägt mich in ihren Bann. Es versetzt mich in Erstau-
nen, berührt zu werden.
Niemand hat mich je zuvor körperlich berührt. Nicht einmal Gott.
Ich strecke meine Hand aus, um ihr Gesicht zu berühren, und ertaste wahre Schönheit. Ich kann mich nicht
daran erinnern, jemals etwas Erhabeneres als die Wärme dieses Fleischs gespürt zu haben. Verglichen mit der
Gefangenschaft in einem höllischen Abgrund, wo die eigene Haut nur schartiger Zorn ist, ist dieser Augenblick
… der Himmel auf Erden.
Sie legt die Stirn in noch tiefere Falten und wendet ihren Blick von mir ab.
„Lieber Himmel, Max“, sagt sie. „Dafür habe ich keine Zeit.“ Sie wirft mir einen letzten, vernichtenden Blick
zu, bevor sie sich ihr Schminkköfferchen schnappt und zum nächsten Schauspieler weitergeht. Sie vermeidet es,
 PROLOG
mir dabei in die Augen zu sehen. Ein Teil von mir wünscht sich, sie hätte es getan und das neu entfachte Feuer
gesehen, das in meinen Augen lodert.
Aber nein. Ich hätte sie doch nur verängstigt. Das weiß ich. Mein Blick ist immer noch zu eindringlich. Ich
verfüge nicht über das Geschick der Sterblichen, auch feinste Nuancen des Empfindens auszudrücken. Ich hatte
vorher noch nie einen Körper.
Ohne darauf zu achten wie die anderen glotzen, verfolge ich Becky mit meinem Blick. Ein Raunen geht durch
die Garderobe. Beim Theater nennen wir so etwas eine schicksalsschwangere Pause.
Ich ertappe mich dabei, wie ich denke: Dreh dich einfach um, Becky. Sieh mich an. Glaube an mich.
Charles, der Inspizient, steckt seinen Kopf durch die Tür und beendet mit seinem Erscheinen den Moment der
Spannung.
„In einer Viertelstunde geht der Vorhang auf.“
Ein leises Rascheln geht durch den Raum, als Kostüme zurechtgerückt und letzte Tupfer Schminke aufgetragen
werden. Becky verschwindet hinter zwei Darstellern, um ihnen mit ihren Kostümen zu helfen.
„He, Max“, sagt Charles und lenkt mich endgültig von ihr ab. „Geht es dir wieder besser?“
Ich sage, daß dem so wäre. Allerdings erwähne ich in meiner Antwort auf die Frage nach meinem Befinden
nicht, daß es vor gar nicht allzu langer Zeit einen Punkt gab, an dem ich – Max … wer auch immer – alle Hoff-
nung hatte fahren lassen, um sich anschließend eine Schlinge um den Hals zu legen und sich damit selbst zu
einem Wirt für einen Dämon zu machen.
Ja, diesen Teil verschweige ich besser.
„Todd hat tolle Arbeit geleistet, als er für dich eingesprungen ist“, sagt Charles.
Ich lächle Todd an, der mit einem Buch auf dem Schoß dasitzt und in seinem aufgedonnerten Kostüm aussieht
wie bestellt und nicht abgeholt.
Mit dem heuchlerischen Grinsen eines Alligators schaut er zu mir herüber. Er wollte meine Rolle – der klein-
geistige Traum eines kleingeistigen Mannes.
Ich schätze, nach meinem Auftritt heute abend wird er meine Rolle haben können.
* * * *
Alle sind mucksmäuschenstill, die Schauspieler und auch das Publikum. Jeder einzelne Darsteller starrt mich
mit weitaufgerissenen Augen an. Das Publikum scheint den Atem angehalten zu haben. Niemand rührt sich.
Ich habe gerade eine Szene vor unserer wie gewohnt recht überschaubaren Zahl an Gästen improvisiert und
damit die leblose Routine aus Posen und Dialogen durchbrochen. Selbst das Publikum kann erkennen, daß dies
nicht im Textbuch stand, und genau das ist es, was sie so begeistert. Sie interessieren sich mehr für diese unvor-
hergesehene Entwicklung als für alles, was ich noch vor einer Minute gesagt habe.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Caryl Churchill ist eine fabelhafte Stückeschreiberin und Dramatikerin.
Sie ist Max’ Lieblingsautorin, was sie somit auch zu meiner Lieblingsautorin macht. Light Shining in Bucking-
hamshire ist noch dazu eines der besten Stücke, das sie je geschrieben hat, aber es paßt einfach nicht sehr gut
zu mir.
Es handelt mehr oder weniger von der Wiedergeburt Jesu. Ich spiele den reichen Kornhändler Star, der junge
Männer für die Armee Christi anwirbt, und mein Text lautet: „Wenn ihr der Armee jetzt beitretet, werdet ihr zu
den Heiligen gehören. Ihr werdet gemeinsam mit Jesus tausend Jahre lang herrschen.“
Nur habe ich diesen Satz nicht so gesagt, weil er total bescheuert ist. Ich weiß, daß er Schwachsinn ist. Ich bin
selbst einmal auf genau so eine Lüge hereingefallen. Also habe ich statt dessen gefragt: „Was wäre, wenn wir alle
Christus sind?“
Das ist das Gemeine daran. Wir „Dämonen“ waren die ersten Messiasse, die ersten Erlöser. Wir waren so um
die drei Millionen Märtyrer, die versuchten, die Menschheit zu retten, und haben trotzdem versagt. Und dann
erschien ein Mann, der dachte, er könnte sich Hoffnungen darauf machen, die Gnade Gottes zu erlangen. Wa-
rum? Glaubte er etwa, daß er eine größere Chance haben würde, nur weil er der Sohn Gottes war? Wir alle sind
Seine Söhne und Töchter. Wissen Sie, was das aus den Sterblichen macht, wenn Gott ausgerechnet Christi Flehen
erhört haben sollte? Dann sind alle Sterblichen nicht mehr als Haustiere Jesu. Und das kann ich einfach nicht
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
für bare Münze nehmen. Also stelle ich die Frage, was wäre, wenn Christus wie alle anderen Sterblichen war, von
denen jeder auf seinem ganz persönlichen Ölberg weint und verzweifelt versucht, Gott auf seine mißliche Lage
aufmerksam zu machen? Und was wäre, wenn Christi Tod am Kreuz nichts weiter war als ein großer Schwindel,
der die Leute von der Entdeckung abhalten sollte, daß Gott sich schlicht und ergreifend um gar nichts schert?
Und so starren mich jetzt Schauspieler wie Theaterbesucher gleichermaßen schockiert an. Während die eine
Hälfte der Darsteller ignoriert, was ich von mir gegeben habe, versucht die andere meine Hetzrede in die Szene
einzubauen. Einige beginnen sogar damit, darüber zu diskutieren, ohne aus der Rolle zu fallen. Einen Moment
lang reagieren sie alle wie echte Menschen und nicht wie fiktive Charaktere, und das alles nur meinetwegen.
Und in diesem Augenblick spüre ich ihn: einen Funken von Glauben, der durch meine Äußerungen entfacht
worden ist. Jemand will glauben. Jemand dort draußen will die Schwelle überschreiten, die den passiven Be-
obachter vom aktiven Handelnden trennt. Jemand möchte wieder an etwas Großem teilhaben und von neuem
glauben.
* * * *
Sie haben mich rausgeschmissen – was für eine Überraschung.
Ich schwadronierte eine Stunde lang auf der Bühne wie De Niro, wenn er einen Priester spielt, der total high
von Heroin und dem Gedanken an Erlösung ist, und ich glaube, daß es keiner wagte, in dieser Zeit auch nur
mit der Wimper zu zucken. Für diese eine Stunde war ich Gott. Und es gab keinen Abgang von der Bühne mehr
für mich.
Da liegt das Problem. Unser Regisseur war eine größere Primadonna als alle Schauspieler zusammen, und er
konnte keinen zweiten Gott in seinem Ensemble tolerieren. Das Bienenköniginnen-Syndrom. Daran sollte ich
mich wohl gewöhnen.
Eigentlich ist es ja auch egal, denn meine Verbannung von der Bühne dauerte nicht mal eine Woche. Viele Leute
hatten von meinem Auftritt gehört und strömten mittlerweile in Scharen herbei, um eine zweitklassige Inszenie-
rung von Churchills Klassiker zu sehen, da sie hofften, ich würde wieder auf der Bühne stehen. Meine Truppe
wollte mich zurückhaben, aber andere wollten mich noch mehr.
„Wir machen improvisierten Mummenschanz“, erzählte mir Jesse von Holy Works. Mummenschanz war ein
Rückfall ins finsterste Mittelalter, als Schauspieltruppen ohne Requisiten, Kostüme und Bühne im Halbkreis her-
 PROLOG
umstanden. Sie führten Moralitäten auf und trugen dabei ihren Text und ihre Darstellung vor, indem sie einfach
in die Mitte des Halbkreises traten und zu spielen anfingen.
„Auf die Weise kannst du ganz nach Belieben aus dem Stegreif spielen“, sagte Jesse lächelnd.
Er wußte, was ich wollte.
Becky kam nach dieser letzten Aufführung mit zu mir nach Hause. Sie war der Funke puren Glaubens gewesen,
den ich gespürt hatte. Es war nur schwer zu glauben, daß hinter dieser harten Schale eine verzweifelte Seele
steckte, die dringend der Führung bedurfte. Sie und ich waren also doch nicht so verschieden.
Ich sagte Holy Works zu. Wenn selbst Becky ihre Ansicht ändern und an mich glauben kann, dann muß es noch
andere geben, die von mir zu erreichen sind.
* * * *
Dieser Typ da in der dritten Reihe. Der Kerl mit dem abgetragenen, braunen Trenchcoat, der so aussieht, als
könne er sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal etwas gegessen oder wann er das letzte Mal
geschlafen hat. Er verfolgt mich.
Er sieht sich alle meine Vorstellungen an, und ich habe ihn auch schon ein paar Mal in meiner Wohngegend
gesehen. Ihn umgibt etwas Gewalttätiges, möglicherweise unterdrückte Wut. Er empfindet auch Glaube, aber der
ist tief in ihm vergraben. Es ist sein dunkles Geheimnis, das nur er alleine kennt. Jedenfalls denkt er das.
Er tauchte also im letzten Monat bei jeder unserer Vorführungen auf, ganz egal, wo wir auch spielten. Er ist
ebenso hingebungsvoll und treu wie Becky und die fünf weiteren Seelen, die mich bisher gefunden haben. Sie
überschütten mich mit ihrem Glauben und ich gebe ihnen dafür im Gegenzug Hoffnung. So einfach ist das.
Oh, ich hätte mit ihnen auch verhandeln und einen Pakt schließen können, der sie reich oder mächtig gemacht
hätte, aber so ein Typ Dämon bin ich einfach nicht. Zumindest nicht die meiste Zeit über. Ich gebe ihnen nur
das, was sie brauchen, und nicht etwa das, was sie zu brauchen glauben. Dank Max ist das nicht mein Stil. Seine
Gedanken und Erinnerungen haben alles verändert.
Ich bin sicher, dieser Typ ist nicht wie die anderen – er verfolgt mich. Was mich wirklich stört, ist die Tatsache,
daß er einige meiner neuen Freunde ebenfalls wiedererkennt. Er beobachtet sie mindestens genauso eingehend
wie mich. Wahrscheinlich hat er auch schon gesehen, wie der eine oder andere mein Apartment besucht hat. Ich
mache mir deswegen weniger Sorgen um mich als vielmehr um Becky.
Ich beschließe, den Kerl zur Rede zu stellen und ihm die Meinung zu geigen. Letzten Endes ist aber er es, der
zu mir kommt.
Wir spielen heute abend in einem Gemeindezentrum. Das Haus ist gerammelt voll, aber das ist seit einem Monat
nichts Ungewöhnliches mehr, egal, wo wir auftreten. Die Leute wollen diesen begnadeten Schauspieler sehen,
der es fertigbringt, auf umstrittene Art aus dem Stegreif Heilige zu verkörpern. Ich spiele sie alle: Jesus Christus,
Moses, den Erzengel Michael, Petrus, Lazarus ...
In Wahrheit ist es nicht meine Schauspielkunst, deretwegen sie alle herkommen, um mich zu sehen, auch wenn
sie das nicht wissen. Sie wollen einfach nur glauben, daß es all diese Heiligen und Propheten wirklich gegeben
hat. Für diesen einen Augenblick, in dem ich beim Mummenschanz in meinem schwarzen Overall mit den ande-
ren im Halbkreis stehe, belebe ich ihren Glauben wieder. Sie glauben daran, auch wenn es nur ein ganz kleines
bißchen ist, daß Jesus auf dem Ölberg Blut geschwitzt hat, weil er die Wahrheit kannte, und sie glauben daran,
daß Luzifer von Michael betrogen wurde.
Nachdem wir die Aufführung beendet haben, stürzt sich eine Masse an Verehrern und Groupies auf mich. Ich
kann nicht gerade behaupten, daß mich das normalerweise stört, aber diesmal ist es anders, weil mein Verfolger
sich einen Weg durch die Menge rempelt und schließlich unmittelbar vor mir stehenbleibt.
Seit einer Woche hat er sich weder rasiert noch die Klamotten gewechselt. An seinem Trenchcoat haftet der
Geruch von altem Zigarettenrauch und billigem Schnaps. Eine Sonnenbrille verdeckt seine blutunterlaufenen
Augen, aber ich bin auf alles vorbereitet, was immer er auch vorhaben mag.
Er beugt sich vor, damit nur ich ihn hören kann.
„Ich weiß, was du bist“, sagt er. „Ich werde dich töten.“
Dann verschwindet er wieder in der Menge.
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
* * * *
Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch: Ich weiß eine faire Warnung wirklich zu schätzen, aber bringen
einen Mörder üblicherweise nicht einfach um, ohne auf solche Höflichkeitsfloskeln zu achten? Ich wundere mich
ja nur.
Ich hätte ihn auf der Stelle töten können – ganz im Stil des Alten Testaments einfach erschlagen –, aber derje-
nige, der meiner rachsüchtigen Hand Einhalt gebot, ist Max. Ansonsten hätte der Dämon in mir meinen Verfolger
mit bloßen Händen gevierteilt und sein Herz mit der Zunge durchbohrt. Wegen Max halte ich meine früheren
Neigungen für grauenerregend ... hauptsächlich deshalb, weil sie so einfach und leicht auszuleben sind.
In diesen vollkommen menschlichen Momenten werden die Unterschiede zwischen Max und mir immer wie-
der auf schmerzhafte Art offenbar. In diesen Augenblicken werde ich daran erinnert, daß ich nur ein flüchtiger
Schatten meines früheren Selbst bin.
Ich ertappe mich noch immer gelegentlich dabei, wie ich in einer sternklaren Nacht zum Himmel hinaufblicke
und für einen kurzen Augenblick ehrfürchtig den Atem anhalte.
Ich vergesse viel zu oft, daß ich selbst einmal dort oben war. Daß ich einmal selbst einer der Sterne am Fir-
mament gewesen bin.
* * * *
Ich stehe vor meinem Apartment. Die Tür ist offen, doch drinnen ist es dunkel. Im Licht der Flurbeleuchtung
sehe ich eine Hand, die hinter dem umgestürzten Sofa hervorragt. Es ist Becky.
Ich stürze durch das verwüstete Wohnzimmer, benommen von dem Sturm der Gefühle, der brausend in mir
tost. Ich kann noch eine andere Person spüren, die sich in den Schatten des Raumes verbirgt. Allein die eisige
Gewißheit, daß ich dieses Arschloch in Stücke reißen werde, erlaubt es mir, mich auf das Hier und Jetzt zu kon-
zentrieren.
Ich nehme Beckys Hand in meine und presse sie an meine Lippen. Ich schmecke ihre kalte Glätte. Ich liebe
sie mehr, als Max es jemals gekonnt hätte, und all der Schmerz, den ich in den letzten Äonen empfunden habe,
bricht aus mir heraus. Beckys Glaube an mich gab mir die Möglichkeit, ihr Blut von den Drogen zu säubern, mit
denen sie es vergiftet hatte. Die Liebe, die Max für sie empfand, erinnerte mich daran, warum die Menschheit es
wert ist, den ganzen Schmerz zu erdulden, den wir für sie erduldet haben. Und es war alles umsonst. Gott wollte,
daß sie starb, also stirbt sie.
Max würde am liebsten weinen und sich neben sie legen, um mit ihr zu sterben, doch der Melbogathra in mir
heult vor Zorn. Meine Schwingen stoßen gegen meine Rippen wie ein Kolibri, der in einem viel zu kleinen Käfig
gefangen ist, und ich will mit derselben Stimme aufbrüllen, deren schiere Gewalt einst Wirbelstürme heraufbe-
schwor. Das Problem dabei ist nur, daß ich das nicht mehr kann. Also konzentriere ich mich statt dessen auf den
brennenden Zorn und den schwärenden Haß – ebenjenen Sturm aus Leid, der mich schon durch Gottes Folter
und Verbannung trug –, und ich bringe den Max in mir zum Verstummen.
Jemand bewegt sich in der Dunkelheit. Ich drehe mich in Richtung des Geräuschs um.
Mein Verfolger schlägt mit einem Radkreuz nach mir. Ich kann gerade noch ausweichen, und das Radkreuz
zischt dicht an meinem Ohr vorbei. Ich sammle meine Kraft und meine Überzeugung, jene Kraft und jene Über-
zeugung, die Becky und die anderen mir verliehen haben. Ich spüre, wie meine Muskeln vor Macht anschwellen,
und ich leite diese Energie in einen Schlag um. Ich erwische meinen Verfolger voll an der Schulter und kann
spüren, wie etwas darin bricht. Er schreit auf vor Schmerz und schlägt mit dem anderen Arm wild um sich. Das
Radkreuz schrammt mir über den Unterkiefer. Ich spüre den Schmerz kaum.
Ich lasse der Macht in mir freien Lauf. Mein wahres Ich manifestiert sich, und mein Oberkörper erstrahlt
gleißend wie ein geschmolzenes Erz. Meine Beziehung zu Becky hat den Großteil meiner Qualen gelindert, doch
nun bin ich zwischen zwei Daseinszuständen gefangen. Ich erscheine mit höllischem Glühen und infernalischem
Gepränge, doch ich bin zugleich noch immer der sieche Schatten eines Engels. Aus Staubflocken setzen sich mei-
ne gekrümmten Schwingen zusammen, meine geschwungenen Hörner durchstoßen meine Schläfen und mein
100-Watt-Heiligenschein brennt feuerrot.
Im Vergleich mit dem brennenden Dornbusch mag ich vielleicht nur eine Nachttischlampe sein, aber ich bin
 PROLOG
immer noch ein verfickter Engel.
Mein Verfolger taumelt und stolpert rückwärts, seinen verletzten Arm mit dem gesunden umklammernd. Ich
setze ihm nach. Seine Augen sind weitaufgerissen und ihr Blick ist wild, als würde er zu schreien versuchen und
könnte sich nicht mehr daran erinnern, wie das geht. Ich schreite weiter auf ihn zu, bis er gegen die Wand prallt.
Ich umschließe seinen zerbrechlichen Hals mit meinen Fingern. Ich atme ein, und nehme seinen Schrecken in
mich auf wie ein Wirbelsturm, der ihm die Luft aus den Lungen saugt. Er schluchzt, sein jämmerlicher Wille
zerfällt zu Staub und ich halte für den Gnadenstoß kurz in der Bewegung inne.
„Es tut mir leid“, stöhnt er. „Ich wollte nicht ...“
Ich starre ihn mit unbändigem Zorn an und könnte vor Wut platzen. Energie fährt knisternd durch meinen
gesamten Körper, und ich möchte ihn abschlachten. Ich will sein Gedärm um meinen Hals wickeln. Ich will seine
Knochen zu winzigen Splittern zermalmen. Ich will seine Zunge mit meinen eigenen Zähnen herausreißen. Aber
...
Ich kann es nicht. Nicht, ohne alles zu verlieren.
Ich liebe Becky noch immer, und ich will diese Liebe nicht an den Haß verlieren. Das habe ich schon einmal
getan, und es brauchte Tausende von Jahren, um die Liebe wiederzuerlangen.
Ich lasse ihn los und verhülle mein wahres Wesen wieder. Die Staubflockenflügel sinken zu Boden, und meine
Hörner ziehen sich in meinen Schädel zurück. Ich sehe jetzt wieder wie Max aus, doch mein Verfolger weiß es bes-
ser. Er liegt auf dem Boden vor meinen Füßen, von Schluchzern geschüttelt und zitternd vor Angst und Schmerz.
So wie ich den Glauben der Menschen spüren kann, so kann ich auch den Kummer dieses Mannes spüren. Es
ist nicht seine Angst, die er hinausschreit, sondern das Gefühl einer spirituellen Leere und Verzweiflung, das Max
und ich nur allzu gut verstehen.
„Warum?“ weint er. „Warum kann ich dich nicht töten? Ich weiß, was du bist. Ich habe es auf der Bühne ge-
sehen.“
Ich starre ihn noch immer an, bin nach wie vor voller Zorn und im Widerstreit, ob er leben oder sterben wird.
Es war dumm von mir zu glauben, daß mich niemand erkennen würde. In meiner Selbstsicherheit wurde ich
unvorsichtig und erlaubte es meiner Göttlichkeit ungewollt, sich ein Stück weit zu offenbaren. Jemand hat mich
schließlich als das gesehen, was ich bin, und Becky hat den Preis dafür bezahlen müssen.
„Jedesmal wenn ich zu deinen Auftritten kam“, stößt er zwischen seinen Schluchzern hervor, „dachte ich, heute
bringe ich dich um. Ganz bestimmt.“
„Warum hast du es nicht getan?“ frage ich durch zusammengebissene Zähne.
„Ich konnte es nicht. Ich habe deine Auftritte gesehen. Jedesmal habe ich daran ... geglaubt, obwohl ich es nicht
wollte. Jedes ... jedesmal habe ich zu große Angst bekommen. Morgen ... sagte ich mir ständig selbst. Morgen
wirst du sterben.“
Ich kann den Zorn in seiner Stimme hören und den Haß auf seinen eigenen Glauben.
„Warum?“
„Weil ich nicht an Gott glauben will!“ heult er auf. „Aber du hast mich dazu gebracht!“
„Was?“
Mein Verfolger schnieft und gewinnt ein wenig von seiner Fassung zurück. Ich habe etwas in ihm erweckt, einen
Glauben, den er nicht wollte und der doch nicht vollkommen überraschend über ihn gekommen sein mußte.
„Ich habe immer gedacht, wenn es Gott wirklich gibt, dann muß er wohl ein komplettes Arschloch sein, um
ein solches Drecksloch wie diese Welt erschaffen zu haben. Meine Eltern wurden ermordet. Meine Frau starb an
Krebs. Mein ganzes Leben wurde ruiniert. Aber so ist das Leben nun mal, oder?“ sagt er und steht auf. „Es gibt
keinen Gott, also kann es auch nicht Seine Schuld sein. Es ist einfach nur Pech, richtig?“ Mein Verfolger schlurft
zu einem Stuhl hinüber und setzt sich. Er sieht mich mit untertellergroßen, tränennassen Augen an und reibt sich
seinen lädierten Arm mit der gesunden Hand.
„Doch dann bist du aufgetaucht, und du hast mich dazu gebracht zu glauben“, sagt er. „Plötzlich glaube ich an
Gott, doch jetzt erkenne ich, daß Ihn das überhaupt nicht interessiert. Er kümmert sich einen Scheißdreck.“
Der Raum versinkt in Schweigen und ich knie neben Becky nieder.
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
„Ich wollte sie nicht verletzen“, sagt mein Verfolger. „Ich habe auf dich gewartet und sie überraschte mich. Ist
sie ...“
„Sie wird wieder gesund werden“, sage ich und die Lüge brennt in mir wie Feuer. „Aber du solltest besser
gehen.“
„Was?“ fragt er.
„Mach endlich, daß du von hier verschwindest.“
„Aber ich habe versucht, dich zu töten“, sagt er und steht langsam auf. „Warum solltest –“
„Weil du recht hast“, antworte ich ihm. „Gott schert sich einen Dreck um dich und hat das auch noch nie getan.
Diese Gewißheit ist Strafe genug für dich.“ Mein Verfolger ist überrascht. Er schleicht in Richtung Tür und sieht
nur noch einmal zurück. Doch so leicht kommt er mir nicht davon. Ich bin noch immer auf Rache aus.
„Da gibt es allerdings noch eine Bedingung“, sage ich.
„Eine Bedingung“, wiederholt er.
„Genau. Siehst du, Gott mag sich zwar nicht um die Menschen kümmern, aber ich schon. Ich sorge mich um
meine Freunde, und ich will sicher sein können, daß du weder ihnen noch mir jemals wieder nachstellst.“
„Oh, das werde ich nicht“, schwört er mir, für meinen Geschmack ein wenig zu übereifrig.
„Das reicht mir nicht.“ Ich erhebe mich, gehe zu ihm hinüber und sehe in sein fahles, tränenüberströmtes
Gesicht. Er versucht, vor mir zurückzuweichen, doch ich packe ihn am Kragen und halte ihn fest. „Du mußt mir
versprechen – bei deiner Seele –, daß du mir nie wieder nachstellen wirst.“
„Bei meiner Seele ...“ sagt er. Er ist ängstlich, wozu er auch allen Grund hat, aber er ist auch leichtgläubig.
„Und als Gegenleistung sorge ich dafür, daß du vergißt, mich jemals gesehen zu haben.“
„Das kannst du tun?“
Er ist tatsächlich verzweifelt genug, mir das zu glauben. Verzweiflung und ein schwacher Wille sind in dieser
Situation meine besten Verbündeten. Ansonsten würde er erkennen, daß ich ihn meine Existenz auch ebenso leicht
vergessen lassen könnte, ohne ihm ein Versprechen abzunehmen, und meine Freunde und ich dann trotzdem vor
ihm sicher wären.
Er erkennt nicht, daß er noch immer an mich gebunden sein wird, selbst wenn ich ihn meine Existenz vergessen
lasse. Immerhin hat er mir bei seiner Seele ein Versprechen gegeben. Und wegen dieser Verbindung werde ich in
der Lage sein, ihm sein Leben zu nehmen, langsam und aus der Ferne, so lange ich will. Er wird für den Rest
seines Lebens schwach und gepeinigt sein und niemals erfahren, warum er mit jedem Tag ein kleines Stückchen
mehr stirbt. Es wird nur ein weiterer Umzugswagen in der Parade seines Leidens sein. Er wird einfach damit
weitermachen, Gott die Schuld dafür zuzuschieben, denn auch wenn er nicht länger weiß, daß es mich gibt, so
wird er doch die Gewißheit haben, daß es einen grausamen, herzlosen Schöpfer gibt, der sich einen Scheißdreck
um ihn schert.
Nein, ich werde keinesfalls dafür sorgen, daß dieser Kerl das vergißt, denn auch wenn ein großer Teil von
Max Melbogathra im Zaum hält und besänftigt, so ist doch auch ein großer Teil von Melbogathra in Max. So
verdammt nahe stehen sich Max und ich jetzt, und wir beide wollen, daß dieser Mistkerl für das büßt, was er
getan hat.
Selbst meine Liebe zu Becky kann nicht über Nacht Äonen der Bösartigkeit ungeschehen machen. Ich bin noch
immer ein Dämon, und diese Tat mag mich zurückwerfen, doch der Weg, der noch vor mir liegt, ist ohnehin sehr
lang.
Also nicke ich ihm bestätigend zu. Genau, das kann ich tun. Ich kann den Schmerz, den ich verursacht habe,
wieder vergessen machen.
Deshalb bin ich hier.
EIN ERZÄHLSPIEL UM DIE HERRLICHKEIT DER HÖLLE
MITARBEITER
Schöpfer:
Andrew Bates, Ken Cliffe, Michael Lee, Rich Thomas,
Steve Wieck. Die Welt der Dunkelheit und das Storyteller-
system wurden von Mark Rein•Hagen entwickelt.
Autoren:
William Brinkman, David Carroll, Steve Kenson, Mi-
chael Lee, Joshua Mosquiera-Asheim, Patrick O’Duffy, Lu-
cien Soulban, Greg Stolze und Adam Tinworth
Entwicklung:
Michael Lee
Deutsch von:
Fabian Bohlmann
Lektorat:
Thomas Plischke
Satz und Layout:
Angela Voelkel
Korrektorat:
Thomas Russow
Innenillustrationen:
Jason Alexander, Tom Baxa, Leanne Buckley, Maria Ca-
bardo, Marko Djurdjevic, Steve Ellis, Mark Jackson, Matt
Millberger, Ken Myer Jr, RK Post, Jeff Rebner
Mitarbeiter der US-Originalausgabe:
Carl Bowen (Lektorat, Spieltester), Pauline Benney (Art
Direction, Umschlaggestaltung, Satz und Layout), Andrew
Bates, John Chambers, Micah Chandler, Lisa Charlton,
Carrie Easley, Susan Gillotti, Janet Lee, Jim McCann, Matt
McFarland, Paul Marshall, Scott Mizis, Sue Mizis, Ripper
Moore und Fred Yelk (Spieltester)

ISBN 3-935282-91-5
© 2003 Feder & Schwert
Unter Lizenz von White Wolf 2002
Gesetzt aus der GoudyOISt BT
Reproduktionen ohne schriftliche Genehmigung von Feder & Schwert sind außer zu Rezensionszwecken ausdrücklich
untersagt.
Die meisten der in diesem Band vorkommenden Namen und Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit leben-
den oder toten oder fiktiven Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Hunter: The Reckoning, Vampire: The Masquerade, Vampire the Dark Ages, Mage the Ascension, World of Darkness,
Werewolf the Apocalypse, Wraith the Oblivion, Changeling the Dreaming, Werewolf the Wild West, Trinity, Kindred
of the East, Year of the Damned und Demon the Fallen sowie White Wolf und das White Wolf-Logo sind eingetragene
Warenzeichen von White Wolf, Inc. Alle Rechte vorbehalten. Die Erwähnung von oder Bezugnahme auf Firmen oder
Produkte auf den folgenden Seiten stellt keine Verletzung des Copyrights dar.
Feder&Schwert im Internet: http://www.feder-und-schwert.com
 INHALT
PROLOG: LAMPENFIEBER 2
EINLEITUNG 13
KAPITEL EINS: IM ANFANG 20
KAPITEL ZWEI: LIEBER IN DER HÖLLE HERR ... 48
KAPITEL DREI: APOKALYPSE NOW 68
KAPITEL VIER: DIE LEGIONEN DER VERDAMMTEN 92
KAPITEL FÜNF: DIE HÄUSER DER FINSTERNIS 110
KAPITEL SECHS: AUF TÖNERNEN FÜSSEN 144
KAPITEL SIEBEN: FLAMMENDER BLICK 202
KAPITEL ACHT: REGELN 264
KAPITEL NEUN: SYSTEME 276
KAPITEL ZEHN: ERZÄHLEN 322
KAPITEL ELF: ANTAGONISTEN 344
 EINLEITUNG

Es gibt eine Menge Dinge in der Welt, die ich

gerne anders hätte, als sie in Wirklichkeit sind;
aber in einer Welt ohne Böses wäre das Leben
nicht lebenswert.
- Thomas Stearns Eliot

Gemäß eines altbekannten Sprichworts wird Geschichte ERZÄHLEN

von den Siegern geschrieben. Ob ein Aufstand als eine
glorreiche Revolution oder niederträchtiger Verrat bezeich-
net wird, hängt ganz davon ab, wer am Ende die Oberhand
behalten hat, wobei die Verlierer der Nachwelt als Verräter,
Tyrannen oder Schlimmeres erhalten bleiben. Ihre Ge-
schichte fällt in weiten Teilen dem Vergessen anheim.
Man bringt uns bei, Dämonen seien die Inkarnationen
böser Geister, die die Unschuldigen in Versuchung führen
und die Aufrichtigen zur Selbstzerstörung treiben. Sie selbst
würden getrieben von einem unerbittlichen Zorn auf alles,
was heilig ist, und seien vom Haß auf das Leben und das
Licht förmlich zerfressen. Sie verbreiteten Lügen und Täu-
schungen, mit denen sie den Verstand der Sterblichen mit
Verheißungen von Macht und Ruhm benebeln. Zumindest
steht es so im Buch der Bücher geschrieben. Aus diesem
Grund wurden sie in die Finsternis des Höllenschlunds ge-
schleudert und bis ans Ende aller Tage in brennende Ketten
gelegt. Nur Gott allein weiß, was geschieht, sollten diese
bösen Geister jemals ihre Freiheit zurückerlangen.
Doch nun wird die Menschheit bald die andere Seite der
Geschichte zu hören bekommen.
Das Buch, das Sie in Händen halten, ist das Regelwerk
zu Dämonen: Die Gefallenen, einem Erzählspiel aus dem
Hause Feder&Schwert. Mit den Regeln in diesem Buch
können Sie und Ihre Freunde die Rolle von Dämonen über-
nehmen und Geschichten über die Hoffnungen, Ängste,
Triumphe und Niederlagen Ihrer Charaktere erzählen.
Bei einem Erzählspiel erschaffen sich die Spieler Cha-
raktere anhand der Regeln in diesem Buch und führen
diese durch Dramen und Abenteuer, die passenderweise
Geschichten genannt werden. Geschichten erwachsen aus
einer Mischung aus den Wünschen der Spieler und den
Anweisungen des Erzählers.
In vielerlei Hinsicht ähnelt das Erzählen Krimispielen,
wie sie oft auf Parties gespielt werden. Jeder Spieler über-
nimmt die Rolle eines Charakters – in diesem Fall einen
gefallenen Engel, der in den Körper eines Sterblichen ge-
fahren ist – und spielt dann eine Art Improvisationstheater,
sagt, was der Dämon sagen würde und beschreibt, was er
täte. Das meiste davon wird frei erzählt – ein Spieler kann
seinen Charakter sagen oder tun lassen, was er will, solange

der Dialog oder die Handlungen zur Persönlichkeit und
den Fähigkeiten des Charakters passen. Über den Ausgang
bestimmter Aktionen entscheiden jedoch am besten die
Würfel und die Regeln in diesem Buch.
Wann immer Regeln und Geschichte miteinander in Kon-
flikt geraten, geht die Geschichte vor. Benutzen Sie die Regeln
nur so oft – oder besser: so wenig –, wie nötig, um Geschichten
voller Schrecken, Action und Triumphe zu erzählen.
SPIELER UND ERZÄHLER
Dämonen spielt man am besten in einer Spielergruppe von
zwei bis sechs Mitspielern. Die Spieler erschaffen sich Dämo-
nencharaktere – imaginäre Protagonisten ähnlich jenen,
die man in Romanen, Filmen und Comics findet. In jeder
Gruppe muß aber eine Person die Rolle des Erzählers über-
nehmen. Der Erzähler erschafft sich keinen eigenen Charak-
ter, den er durchgängig spielt, sondern ist gleichzeitig Regis-
seur, Moderator und Schiedsrichter. Durch frei ausgedachte
Handlungen und Konflikte entwirft er das Drama, durch das
die Spieler ihre Charaktere führen. Der Erzähler entwirft
und spielt auch die Nebenrollen – sowohl Verbündete, mit
denen die Charaktere interagieren, als auch Antagonisten,
die sie bekämpfen. Der Erzähler erfindet die pikanten und
reichhaltigen Details der Szenerie – die Bars, Nachtclubs,
Geschäfte und all die anderen Orte, die die Charaktere auf-
suchen. Die Spieler legen fest, wie ihre Charaktere auf die
Spielsituationen reagieren, aber der Erzähler bestimmt (mit
Hilfe der Regeln), ob die Charaktere mit ihren Unterfangen
wirklich Erfolg haben und wenn, dann in welchem Maße.
Im Grunde ist der Erzähler die höchste Instanz und letzte
Autorität bei der Beurteilung der Ereignisse im Spiel.
Beispiel: Sven, Corinna, Axel und Martin haben sich getrof-
fen, um Dämonen zu spielen. Sven spielt Yziriel, einen Teufel
(einen gebieterischen, charismatischen Dämon), der den Körper
von Harold Lewis, einem Rechtsanwalt, in Beschlag genommen
hat. Corinna spielt Juriel, einen Unhold (einen Dämon, der
Illusionen erschaffen und die Zeit manipulieren kann), der den
Körper von Andrea Winn, einer Studentin, übernommen hat.
Axel spielt Hazaroth, eine Geißel (einen Dämon, der über den
Wind gebieten und unbelebte Objekte kontrollieren kann), der
sich im Körper von John Walker, einem Privatdetektiv, nieder-
gelassen hat. Martin ist der Erzähler. In der Geschichte, die er
sich ausgedacht hat, gehen die Charaktere gegen eine monströse
Dämonin vor, die eine Schule für schwererziehbare Jungendliche
als Brutstätte für zukünftige Wirtskörper weiterer Dämonen
mißbrauchen will. Nachdem sie sich Zutritt zur Schule ver-
schafft haben, müssen sich die Charaktere der Dämonin stellen,
die den Körper der Direktorin übernommen hat.
• Martin beschreibt die Szene: Der Wachmann schließt
die gläserne Doppeltür auf und läßt euch in die verlassene,
marmorgeflieste Lobby ein. Hinter euch schließt er die Tür
wieder ab und bringt euch anschließend zum Foyer, das ge-
genüber der Fahrstühle des Gebäudes liegt. Als ihr das Foyer
erreicht, gleitet eine der Fahrstuhltüren auf, aus der eine gro-
ße, statuengleiche Frau tritt, die ein schwarzes Kostüm trägt.
Das gedämpfte Licht des Foyers verleiht ihrer blassen Haut
einen gesunden, leuchtenden Glanz, und ihre Bewegungen
sind fließend und präzise. Sie mustert euch drei eingehend
und kühl. Ihre Augen sind so grau wie die vom Sturm auf-
14
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
gepeitschte See. Ihr Blick ist dermaßen eindringlich und
fesselnd, daß ihr euch nur vage der vier Sicherheitsleute
bewußt werdet, die hinter ihr aus dem Fahrstuhl steigen.
• Martin spricht jetzt als das Monster: „Der Wachmann
am Eingang hat mir gesagt, Sie würden für die Bezirksstaats-
anwaltschaft arbeiten und seien aus beruflichen Gründen
hier. Niemand hat mich über Ihr Erscheinen in Kenntnis
gesetzt. Können Sie sich irgendwie ausweisen?“
Die Spieler müssen nun entscheiden, was sie tun wollen.
• Sven spricht als Harold: „Aber natürlich.“
• Sven beschreibt Yziriels Handlung: Ich hole meinen
Ausweis heraus und zeige ihn ihr.
• Axel spricht als John: „Wir müssen Ihnen einige Fragen
stellen. Es geht um einen Ausbruchsversuch am vergange-
nen Donnerstag.“
• Corinna spricht als Andrea: „Außerdem muß ich mit
dem Mädchen sprechen, um mir ein Bild über seine körper-
liche und geistige Verfassung machen zu können.“
• Martin beschreibt und spielt die Reaktionen der Dämo-
nin: Sie nimmt Harolds Ausweis und sieht ihn sich genau an.
Ein kaltes Lächeln spielt über ihre Züge. „Sie sind sehr gut
informiert, wenn man bedenkt, daß der Ausbruchsversuch
spät in der Nacht stattfand und das Mädchen es lediglich bis
zum Zaun geschafft hat. Keiner meiner Angestellten hat mit
der Presse oder sonst irgend jemandem darüber gesprochen.
Woher haben Sie also diese Informationen?“ (Er führt einen
Würfelwurf für die Spieler durch und beschreibt ihnen die
Reaktion der Dämonin.) Ihr habt das Gefühl, als wäre ihr
Blick faßbar und intensiv genug, um beruhigend über eure
Haut zu streichen. Ein gewöhnlicher Sterblicher hätte gewiß
keine Sekunde gezögert, ihr alles zu erzählen, was sie wissen
möchte, doch dank eurer dämonischen Natur fechten euch
ihre Kräfte nicht an. Als sie erkennt, daß ihre Mächte keine
Wirkung auf euch zeigen, knurrt sie wütend und entblößt
eine Reihe haifischartiger Zähne.
• Sven beschreibt Harolds Aktion: Ich erwecke Yziriels
apokalyptische Gestalt (Harold verwandelt sich in einen
gewaltigen, strahlenden Engel, der die Lobby mit seinem
Schein in gleißend-feuriges Licht taucht) und sage zu den
Wächtern mit der Stimme des Himmels (eine seiner über-
natürlichen Kräfte): „Sie ist ein Monster, das sich die Un-
schuldigen zur Beute macht. Packt sie!“
Was dann passiert, bestimmen die Aktionen der Spie-
ler und die Entscheidungen des Erzählers. Wie Sie sehen,
entscheidet jeder Spieler über die Taten und Worte seines
Charakters selbst. Letztlich aber legt der Erzähler die Reak-
tion des Dämons auf Worte und Taten der Charaktere fest.
Martin spricht für den Dämon und spielt seine Reaktionen
aus, und er entscheidet auch darüber, ob die Taten der Cha-
raktere – so sie denn handeln – gelingen oder scheitern.
WO SIND WIR HIER?
Die Welt von Dämonen: Die Gefallenen ist nicht un-
sere, aber sie ist ihr ähnlich genug, um furchterregend und
beunruhigend zu sein. Die Welt der Dämonen ist vielmehr
wie unsere, wenn man sie durch einen dunklen Spiegel be-
trachtete. Das Böse ist in dieser Welt spürbar und allgegen-
wärtig. Das Ende ist nahe, und der ganze Planet balanciert
auf Messers Schneide. Es ist eine Welt der Dunkelheit.
EINLEITUNG
Oberflächlich betrachtet ist die Welt der Dunkelheit wie
die „wahre“ Welt, in der wir leben. Dieselben Bands sind
angesagt, in den Innenstädten herrscht noch immer die Ge-
walt, dieselben Regierungen sind befallen von Korruption
und Käuflichkeit, und dennoch sucht die Gesellschaft in
diesen Städten nach kulturellen Leitbildern. Die Welt der
Dunkelheit hat eine Freiheitsstatue, einen Eiffelturm und
einen McDonalds an jeder Ecke. Aber der unterschwellige
Beigeschmack des Schreckens ist gegenwärtiger als auf unse-
rer Welt. In der Welt der Dunkelheit sind die Übel und Miß-
stände unserer Welt noch präsenter. Dort sind die Ängste
noch realer. Dort sind die Regierungen noch degenerierter.
Dort stirbt das Ökosystem jeden Tag ein wenig schneller.
Und dort wandeln Dämonen über das Antlitz der Erde.
Willkommen in der Welt der Dunkelheit.
GOTHIC PUNK
„Gothic Punk“ ist möglicherweise der beste Begriff, die
äußere Erscheinung der Welt der Dunkelheit zu beschrei-
ben. Das Klima ist eine wilde Mischung von Stilen und
Einflüssen. Die Spannungen, die durch das Aufeinander-
prallen verschiedener Volksgruppen, Gesellschaftsschich-
ten und Subkulturen entstehen, machen die Welt der Dun-
kelheit zu einem pulsierenden, aber gefährlichen Ort. Diese
Aspekte gehören zum täglichen Leben und stellen nichts
Besonderes für Normalsterbliche dar. Sie mußten schon ihr
ganzes Leben lang mit ihnen fertigwerden. Sie wissen aller-
dings nicht, daß Monster existieren und diese zumindest
eine Mitschuld am Niedergang der Welt tragen – aber das
könnte sich schon bald ändern.
Der Gothic-Aspekt beschreibt das Ambiente der Welt
der Dunkelheit. Turmverzierte Bauten ragen hoch auf,
übersät von klassischen Säulen und grimassenschneiden-
den Wasserspeiern. Der bloße Maßstab dieser monumen-
talen Architektur läßt die Bewohner wie Zwerge wirken,
verloren unter den Türmen, die einem achtlosen Himmel
entgegenzustreben scheinen, um der körperlichen Welt zu
entgehen. Die organisierten Religionen sind eine Zuflucht
für Fanatiker und Scharlatane, die die Angst der Bevölke-
rung ausnutzen, um sich die Taschen mit Geld zu füllen
oder ungehindert ihre persönlichen Kreuzzüge führen zu
können. Im Untergrund gedeihen Kulte, die Macht und
Erlösung versprechen. Die Institutionen und Behörden,
die die Gesellschaft steuern, sind noch starrer und konser-
vativer als in unserer Welt. Viele Machthaber ziehen die
Übel einer Welt, die sie kennen, dem Chaos vor, das durch
Veränderung erzeugt werden würde. Es ist eine Welt der
scharfen Trennungen von Arm und Reich, von Besitzenden
und Habenichtsen, von Exzeß und Elend.
Der Punk-Aspekt ist der Lebensstil, den viele Bewohner
der Welt der Dunkelheit angenommen haben. Um ihrem
Leben Sinn zu geben, lehnen sie sich auf und zerschellen
an den Klippen der Macht. Banden streunen durch die
Straßen, und das organisierte Verbrechen blüht in der Un-
terwelt, Reaktion auf die Sinnlosigkeit eines Lebens nach
den Regeln der Gesellschaft. Musik ist lauter, schneller,
heftiger oder hypnotisch monotoner und wird getragen
von den Massen, die sich in sie flüchten, um Erlösung zu
finden. Die Sprache ist gröber, die Mode gewagter, Kunst
STÄDTE
Dämonen existieren überall auf der Welt, unab-
hängig von Rasse, Kultur oder Religion. Man kann
sie überall finden, von den Bergen des Himalajas
bis zu den Kleinstädten und Dörfern in der Eifel.
Vorrangig halten sie sich jedoch in den Großstäd-
ten dieser Welt auf. Betrachtet man einige Aspekte
ihrer Existenz näher, so liegen die Gründe für diese
Tatsache auf der Hand. Die menschliche Bevölke-
rung, die Quelle der Kräfte der Dämonen, ist in
den dichtbevölkertsten Regionen schlichtweg kon-
zentrierter als auf dem Land oder in der Wildnis.
Und der Dämon oder die Gruppe von Dämonen,
die die meisten Quellen menschlichen Glaubens
kontrollieren, können wie Tyrannen aus alter Zeit
über ihresgleichen herrschen.
ist schockierender, und die Technologie bringt all das auf
Tastendruck zu allen. Die Welt ist verdorbener, die Men-
schen sind spirituell bankrott, und Realitätsflucht ersetzt
häufig Hoffnung.
Gothic Punk ist Stimmung und Szenerie zugleich und wird
im Laufe des Spiels vermittelt. Den größten Anteil an der
Erschaffung dieser Atmosphäre trägt der Erzähler, aber auch
Spieler sollten darüber nachdenken, was ihre Charaktere
dazu beitragen können. Das Ambiente ist auch Geschmacks-
sache. Manche Spielgruppen ziehen vielleicht die Gothic-
Elemente dem Punk vor, während andere beides zu gleichen
Teilen oder von beidem möglichst wenig wollen. Letztlich ist
es Ihr Spiel, und Sie können damit machen, was Sie wollen.
Denken Sie einfach daran, daß die Erfahrung der Welt ein
gemeinsames Unterfangen ist und daß alles, was der Erzähler
und die Spieler tun, dazu beiträgt, die Welt glaubwürdiger zu
gestalten. Handlungen, Orte, Charaktere und Beschreibun-
gen tragen allesamt zur Ästhetik des Gothic Punk bei.
LEXIKON
Auch wenn sie lange Zeit nicht mehr auf Erden weilten,
haben die Dämonen eine reiche, ausgeprägte und uralte Kul-
tur, deren Geschichte bis zurück zu den ersten Augenblicken
der Schöpfung reicht und ihren Höhepunkt in einem Krieg
gegen die Armeen des Himmels fand, der tausend Jahre lang
andauerte. Im Verlauf dieser denkwürdigen Ereignisse ent-
stand eine lange Liste an allgemeinen und speziellen Namen
und Begriffen, die im folgenden aufgeführt sind:
Abgrund: Das Gefängnis, das Gott schuf, um die Gefalle-
nen darin einzusperren. Siehe auch Höllenschlund.
Annunaki: Der ursprüngliche Name der aufständischen
Engel der Erde. Siehe auch Übeltäter.
Apokalyptische Gestalt: Das stoffliche Spiegelbild des himm-
lischen Wesens eines Dämons. Siehe auch wahres Antlitz.
Asharu: Der ursprüngliche Name der aufständischen Engel
des Windes. Siehe auch Geißel.
Dämon: Geläufige Bezeichnung für einen gefallenen Engel,
der sich in Wahnsinn und Haß verloren hat. Ein verwirrter,
bösartiger Geist. Auch als allgemeine Bezeichnung für die
Gesamtheit der gefallenen Engel verwendet.
15

Elohim, die: Der ursprüngliche Name jener himmlischen
Diener des Schöpfers, die gemeinhin als Engel bezeichnet
werden.
Enigmaten: Eine Fraktion von Dämonen, deren Anhänger
sich der Aufklärung über die Wahrheit bezüglich Luzifers
Verschwinden und der unbeantworteten Fragen rund um
den Fall verschrieben haben.
Erdgebundene: Der kollektive Name einer Gruppe von
Dämonen, die in alter Zeit aus dem Abgrund heraufbe-
schworen wurden und einen Weg fanden, sich im stoffli-
chen Universum zu verankern. Sie streben die Versklavung
oder die Vernichtung der Gefallenen an.
Fall: Die Erweckung der Selbsterkenntnis und des höheren
Bewußtseins der Menschheit durch Luzifer und ein Drittel
der Elohim, was zur tausend Jahre währenden Zeit des
Zorns führte.
Faustianer: Eine Gruppierung von Dämonen, deren Mit-
glieder sich der Versklavung der Menschheit verschrieben
haben, um sie als Waffe gegen den Himmel einzusetzen.
Gefallenen, die: Eine allgemeine Bezeichnung für jene
Engel, die gegen den Himmel rebelliert haben.
Geheimnisse: Die Quelle für sämtliche Kräfte der Himm-
lischen. Im Grunde die Gesamtheit der Befehle, mit denen
ein Dämon das Gefüge der Wirklichkeit selbst manipulie-
ren kann.
Geißel: Allgemein gebräuchlicher Name für die aufständi-
schen Engel des Windes. Siehe auch Asharu.
Halaku: Der ursprüngliche Name der aufständischen Engel
der Toten. Siehe auch Schnitter.
Haus: Eine hierarchisch aufgebaute Organisation von Engeln,
die ursprünglich mit einer speziellen Aufgabe in der Schöpfung
und der Überwachung des Kosmos betraut waren.
Himmlische: Eine allgemeine Bezeichnung sowohl für En-
gel als auch für Dämonen, die sich auf ihre frühere Funkti-
on als Diener des Schöpfers bezieht. Siehe auch Elohim.
Höllenschlund: Andere Bezeichnung für den Abgrund.
Jünger des Morgensterns: Eine Fraktion von Dämonen,
deren Anhänger sich dem Aufspüren Luzifers verschrieben
haben, um den Krieg gegen den Himmel neu zu beginnen.
Lammasu: Der ursprüngliche Name der aufständischen
Engel der See. Siehe auch Schänder.
Namaru: Der ursprüngliche Name der aufständischen En-
gel des Morgenrots. Siehe auch Teufel.
Neberu: Der ursprüngliche Name der aufständischen En-
gel der Sphären. Siehe auch Unhold.
Rabisu: Der ursprüngliche Name der aufständischen Engel
der Wildnis. Siehe auch Verschlinger.
Schänder: Allgemein gebräuchlicher Name für die aufstän-
dischen Engel der See. Siehe auch Lammasu.
Schnitter: Allgemein gebräuchlicher Name für die Engel
der Toten. Siehe auch Halaku.
Sebettu: Wörtlich „Die Sieben“. Kollektiver Name für die
aufständischen Häuser der Gefallenen.
Sklave: Ein Sterblicher, der durch einen Pakt des Glaubens
an einen Dämon gebunden ist.
Teufel: Allgemein gebräuchlicher Name für die aufständi-
schen Engel des Morgenrots. Siehe auch Namaru.
Übeltäter: Allgemein gebräuchlicher Name für die auf-
ständischen Engel der Erde. Siehe auch Annunaki.
16
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Unhold: Allgemein gebräuchlicher Name für die aufstän-
dischen Engel der Sphären. Siehe auch Neberu.
Verheerer: Eine Fraktion von Dämonen, die sich die Zer-
störung des Universums zum Ziel gesetzt hat.
Verschlinger: Allgemein gebräuchlicher Name der auf-
ständischen Engel der Wildnis. Siehe auch Rabisu.
Versöhner: Eine Fraktion von Dämonen, die sich dem Ziel
verschrieben hat, die Welt wieder zu jenem Paradies wer-
den zu lassen, das sie dereinst vor der Zeit des Zorns war.
Wahres Antlitz: Andere Bezeichnung für die apokalypti-
sche Gestalt oder enthüllte Form eines Dämons.
Zeit des Zorns: Der tausend Jahre währende Krieg zwi-
schen den Gefallenen und den Armeen des Himmels.
WIE MAN DIESES BUCH BENUTZT
Dieses Buch ist in mehrere Kapitel aufgeteilt, die jeweils
einen bestimmten Bereich des Spiels erörtern und erklären
sollen. Denken Sie aber daran, daß bei einem Erzählspiel
das wichtigste „Kapitel“ Ihre Phantasie ist. Lassen Sie nichts
in diesem Buch an die Stelle Ihrer Kreativität treten.
Kapitel Eins: Im Anfang beschreibt den Ursprung der En-
gel sowie die Erschaffung des Universums aus ihrer eigenen
Perspektive. Diese Darstellung findet ihren Höhepunkt in
der Geburt der Menschheit und der Angabe der Gründe, aus
denen heraus Luzifer gegen seinen Schöpfer rebellierte.
Kapitel Zwei: Lieber in der Hölle Herr ... bietet eine
Übersicht über den tausend Jahre währenden Krieg der auf-
ständischen Engel gegen den Himmel sowie die Umstände,
die zu Luzifers Niederlage führten.
Kapitel Drei: Apocalypse Now erzählt, wie die Hölle aus
den in ihr gefangengehaltenen Engeln Dämonen gemacht
hat, schildert deren Entkommen aus diesem Gefängnis und
erklärt, wie sie die moderne Welt der Dunkelheit sehen.
Kapitel Vier: Die Legionen der Verdammten bietet eine
detaillierte Übersicht über die dämonische Existenz, er-
läutert, welche Sterblichen von den Dämonen in Besitz
genommen werden können und warum die Dämonen vom
Glauben der Menschen abhängig sind.
Kapitel Fünf: Die Häuser der Finsternis beschreibt die
sieben infernalischen Häuser, denen die Dämonen angehö-
ren, sowie die fünf philosophischen Fraktionen, in die sich
die Gesellschaft der Dämonen aufspaltet.
Kapitel Sechs: Auf tönernen Füßen erklärt, wie ein Dä-
monen-Charakter erschaffen wird.
Kapitel Sieben: Flammender Blick deckt das breite Spek-
trum der dämonischen Kräfte ab, liefert Beschreibungen
der apokalyptischen Gestalten der Gefallenen und bietet
zudem die notwendigen Regeln für die Einbindung von
Kräften und apokalyptischen Gestalten in Ihr Spiel.
Kapitel Acht: Regeln beschreibt die grundsätzlichen Spiel-
mechanismen, durch die ein Charakter in der Lage ist,
seine Handlungen auszuführen.
Kapitel Neun: Systeme beschreibt eine Fülle von Möglich-
keiten, jede im Spiel auftauchende Situation vom Fahren
eines Autos bis zum Durchführen eines Exorzismus zu si-
mulieren.
Kapitel Zehn: Erzählen erläutert dem Erzähler all die zahl-
reichen Möglichkeiten, wie man unterhaltsame Geschich-
ten konzipiert, in die die Charaktere eingebunden sind.
EINLEITUNG
Kapitel Elf: Antagonisten bietet Hintergründe und Regeln
für eine Vielzahl monströser Dämonen, Dämonenjäger und
Diener der Erdgebundenen, die der Erzähler den Charakte-
ren entgegenstellen kann.
LARP
Die meisten Dämonen-Spiele finden am Tisch statt, und
die Spieler beschreiben, was ihre Charaktere sagen und tun.
Doch man kann auch live spielen. Diese aufregende Spiel-
form hat insofern Ähnlichkeiten mit Improvisationstheater,
als daß sich Spieler tatsächlich als ihre Charaktere gewan-
den und die Szenen ausagieren, als seien sie Schauspieler
in einem Stück. Statt also zu sagen „Mein Charakter geht
hinüber zum Tisch und nimmt das alte Dokument an sich“,
würden Sie als Spieler wirklich aufstehen, zu einem passend
dekorierten Tisch hinübergehen und das „alte Dokument“
an sich nehmen (wahrscheinlich ein vom Erzähler vorberei-
tetes Requisit – beispielsweise ein Stück Pergamentpapier,
das an den Seiten angesengt wurde, um es künstlich „altern“
zu lassen, und das etwas Mehl als „Staub“ ziert).
Auch hier steuert ein Erzähler das Geschehen und lenkt
die Handlung. Er beschreibt Besonderheiten der Szenerie, hat
ein Auge auf die Herausforderungen, denen sich die Spieler
stellen, und kann die Handlung jederzeit unterbrechen.
Beim LARP werden üblicherweise keine Würfel verwen-
det. Andere Systeme wie die, die Feder&Schwert in der
Produktreihe Theater der Dunkelheit vorstellt, treten an
ihre Stelle und helfen, schwierige Situationen abzuwickeln.
Die meisten Situationen werden einfach ausagiert oder
vom Erzähler entschieden.
VORSICHTSMASSNAHMEN
Einige Regeln sind notwendig, um sicherzustellen, daß
LARP für alle Teilnehmer und die Umstehenden eine an-
genehme und ungefährliche Erfahrung wird. Ganz im Ge-
gensatz zu allen anderen Regeln in diesem Buch müssen die
folgenden unbedingt eingehalten werden:
• Wissen, wann man aufhören muß: Kündigt der Erzäh-
ler eine Auszeit oder eine sonstige Pause an, müssen alle
Handlungen unverzüglich beendet werden. Auch und ge-
rade beim Liverollenspiel hat der Erzähler das letzte Wort.
Und wenn das Spiel vorbei ist, legen Sie bitte Ihre Verklei-
dung ab und gehen noch einen trinken oder nach Hause.
• Es ist nur ein Spiel: LARP soll Spaß machen. Wenn
ein Rivale Sie besiegt, wenn ein Charakter stirbt, wenn ein
Plan schiefläuft, dann bedeutet das nicht das Ende der Welt.
Manchmal treffen sich die Leute gerne außerhalb des Spiels
und reden darüber – beispielsweise eine Gruppe, die sich als
unerfahrene Dämonen-Spieler trifft, um zu beraten, wen
oder was sie zum nächsten Spieltermin am ehesten verfolgen
oder beschützen sollten. Und das ist natürlich auch voll in
Ordnung. Aber einen Mitspieler um vier Uhr morgens an-
zurufen, um ihn zu fragen, ob er an einer ihrer persönlichen
Missionen teilnehmen möchte, geht definitiv zu weit. Den-
ken Sie daran: Es sollen alle ihren Spaß haben!
• Der Kernsatz: LARP kann eine der vielfältigsten und
befriedigendsten Erzählerfahrungen sein, wenn man ver-
antwortlich und wie ein Erwachsener damit umgeht. Und
noch was, Leute: Wir meinen das mit dem „verantwort-
lich und wie ein Erwachsener“ ernst. Beim LARP sind Sie
das Requisit, und deshalb ist es unbedingt nötig, daß Sie
mit sich und anderen behutsam, umsichtig und respekt-
voll umgehen. Bei diesem Spiel geht es ausdrücklich nicht
um „echte“ Versklavung oder „echten“ Kampf. Überdies
schließt es weder Erotik noch übernatürliche Aktivitäten
mit ein. Sie sind kein Dämon – Sie spielen nur einen.
QUELLENMATERIAL
Kunst, Literatur und Popkultur sind voll von Beschreibun-
gen der Hölle und deren Bewohner, die ein breites Spektrum
zwischen Kitsch und Horror abdecken. Die Gefallenen als
gemarterte, monströse und letztlich doch heroische Seelen
darzustellen, ist gewiß keine leichte Aufgabe, aber es gibt eine
Reihe äußerst inspirierender Quellen, die die dämonische Na-
tur aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchten.
Zu den empfehlenswertesten Büchern zählen:
Das verlorene Paradies von John Milton. Die Dichtkunst
des 17. Jahrhunderts deckt sich bei den meisten Menschen
nicht unbedingt mit den Vorstellungen von leichter Lektüre,
aber aufgrund seiner aufrüttelnden und geradezu einfühl-
samen Portraitierung Luzifers und seines Kriegs gegen den
Himmel ist dieses Werk ein absolutes Muß. Obwohl Luzifers
Motive eher in Neid als in der Liebe zur Menschheit begrün-
det liegen, wird sein trotziger, verzweifelter Kampf gegen den
Allmächtigen dadurch keinen Deut weniger heroisch.
Dienstanweisungen an einen Unterteufel von C. S. Lewis.
Als Sammlung von Briefen eines Dämons an einen anderen
bietet dieses Buch einen tiefen Einblick in die Macht der
Verführung und den Glauben an das Göttliche.
Legion von William Peter Blatty. Blattys Nachfolgeroman
zu seinem bekannten Werk Der Exorzist ist ein großartiges
Buch mit einer faszinierenden Theorie über die Natur des
Bösen, den freien Willen und die wahre Identität Luzifers.
Needful Things - In einer kleinen Stadt von Stephen King.
Kings Geschichte ist ein perfektes Beispiel für das Wirken
eines Übeltäters in einer kleinen Stadt.
American Gods von Neil Gaiman. Eine eindringliche (und
zeitweise erschreckende) Erzählung über Götter und ihre
symbiotische Beziehung zur Menschheit. Eine hervorragende
Geschichte über die Macht des menschlichen Glaubens.
Zu den Filmen und Fernsehserien, die als Inspiration für
Dämonen dienen können, gehören:
Im Auftrag des Teufels. Al Pacinos Luzifer ist ein hervorra-
gendes Beispiel für einen Teufel, der sich in seinen Qualen
verloren hat. Sein „Sieh hin, aber faß es nicht an“-Monolog
zum Ende des Films ist Kult.
Angel Heart. Eine gruselige, atmosphärisch sehr dichte
Geschichte über dunkle Sehnsüchte und unterschwellige
Versuchung. Man beachte besonders Robert De Niros sub-
tile und beängstigende Darstellung des Louis Cypher.
American Gothic. Diese TV-Serie aus den Neunzigern führt
beispiellos vor, wie sich ein Dämon in Menschengestalt so tief
in eine Gemeinschaft hineinschleichen und so viele Sklaven
um sich sammeln kann, daß er dabei letzten Endes sogar nach
einem Mord ungestraft davonkommt. Selena Coombs kann
durchaus als Schänderin von geringer Macht durchgehen, die
versucht, den von ihr eingeschlagenen Weg zu ändern.
17
 Unter ihm lag Dunkelheit und über ihm der tobende Sturm. Gaviel kämpfte mit jedem Quentchen seines Willens
gegen den Sog des Abgrunds an und stieg immer weiter empor, dem Maul des Mahlstroms entgegen. Die Winde zerr-
ten und zogen an seiner Seele, doch er frohlockte ob dieses Schmerzes. Er konnte spüren, wie kurz er davorstand,
auseinandergerissen zu werden und für immer dem Vergessen anheimzufallen. Die Bedrohung, unwiederbringlich
ausgelöscht zu werden, trieb ihn nur noch mehr an. Es war weitaus besser, zu kämpfen und zu verlieren, als die Hände
in den Schoß zu legen und nichts zu tun. Dies war die Lektion, die der Abgrund einem erteilte, und Gaviel hatte sie
voll und ganz verinnerlicht.
Je höher er stieg, desto heftiger peitschten die Winde, doch hinter dem Sturm konnte Gaviel das Geisterreich und
die ganz nah dahinterliegende stoffliche Welt spüren. Der Mahlstrom versuchte, ihn zurück in die finsterste Nacht zu
zwingen, und schnitt durch seine Seele wie Messer aus Eis, aber Gaviel trieb sich unerbittlich weiter an und begrüßte
die Pein. Hätte er einen Mund besessen, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, so wäre das gesamte Reich der
Toten unter seinem trotzigem Gelächter erbebt. Jeder Augenblick trug ihn näher an jene Welt heran, die er für immer
verloren geglaubt hatte. Schon konnte er sich daran erinnern, wie sich die kühle Dunkelheit zwischen den Sternen
anfühlte und welchen erregenden Kitzel Feuer in ihm auslöste, wenn es über seinen Körper strich. Er konnte bereits
die Luft jener grünen Welt schmecken, bei deren Erschaffung er mitgeholfen hatte, und er spürte schon das sanfte
Zittern der lebendigen Erde unter seinen Füßen. Er hungerte danach. Es verlangte ihm mit einer Leidenschaft danach,
die er seit Äonen nicht mehr empfunden hatte. Doch nun würde es ihn nicht mehr in Versuchung führen können.
Gaviel durchstieß den Schleier zwischen den Reichen wie ein brennender Pfeil, und er hatte nur den Hauch einer
Ahnung, wieviel Kraft er für seine Flucht hatte aufbringen müssen. Die Welt lag jetzt schon unmittelbar vor ihm. Er
hätte sie schon berühren können, aber er spürte immer noch, wie sein Geist sich aufzulösen drohte, sofern er nicht
bald Schutz vor dem Sturm fände.
Wie ein Meteorit stürzte Gaviel auf die Erde hinab. Eine Symphonie angestimmt von sechs Milliarden fremder
Seelen hallte in seiner eigenen wider, und durch ihre Hoffnungen und Ängste konnte Gaviel das Echo ihres Fleisches
spüren. Einige Seelen brannten lichterloh wie neugeborene Sterne. Andere glimmten nur noch als schwache Funken,
erlöschende Lichter in den hohlen Gewölben menschlicher Leiber. Er konnte einen dieser Körper spüren, der noch
voller Leben steckte, aber dessen Geist schon gebrochen war. Gaviel schlug zu wie der Blitz.
Die Klauen des Mahlstroms waren nichts im Vergleich zu dem Schock, der ihn packte, als er in diesen Körper
fuhr.
Eine reißende Flut von Bildern. Gefühle. Erinnerungen. Verglichen mit Gaviels eigenen waren sie zwar nur abge-
stumpft und leidenschaftslos, doch dafür waren es unzählige ... wie ein Erdrutsch kamen sie über sein Bewußtsein
und begruben ihn unter ihrer Last.
Er schlug die Augen auf. Seine Wange war gegen kalten, nassen Asphalt gepreßt, und seine Haut fühlte sich heiß
und aufgeschürft an. Jemand zog an seiner Schulter und versuchte, ihn auf den Rücken herumzurollen. Mit einem
Grunzen gab Gaviel nach.
„Oh Gott, bitte sagen Sie mir, daß Sie okay sind!“ Eine Frau sah auf ihn herunter. Ihre Wangen waren von der
Kälte gerötet, und Tränen schimmerten in ihren blauen Augen.
Er lag mitten auf einer zugeschneiten Straße. Kalte, seelenlose Lichter glühten in verschwommenen Kugeln über
ihm auf, die der fallende Schnee teilweise verdeckte. Zu seiner Linken konnte er die Scheinwerfer und den Kühlergrill
eines Autos sehen, dessen Motor noch lief. Auf dem Chrom klebte Blut.
Die Frau zog an seinem Kaschmirmantel und flehte Gott um Vergebung für das an, was sie getan hatte. Gaviel, den
der Himmel aufgegeben hatte, sog Luft in seine neuen Lungen und begann aus vollem Hals zu lachen.
 KAPITEL EINS:
IM ANFANG

Im Anfang war das Wort

Und das Wort war bei Gott
Und Gott war das Wort.
- 1. Johannes 1, 1

Reverend Matthew Wallace saß an seinem Schreibtisch,
runzelte die Stirn, rieb sich die Augen und versuchte, sich
zu konzentrieren. Es war schon spät – fast Mitternacht –,
und er hockte noch immer im Studio, um Papierkram für
den Sender aufzuarbeiten. Die Akte vor ihm war lang und
trocken, und sie wartete nicht gerade mit guten Neuig-
keiten auf. Es war eine demographische Studie über die
Einschaltquoten seiner Show The Hour of Jesus’ Power. Sie
waren drei Jahre in Folge konstant geblieben, aber jetzt
hatte der Sender einige Bedenken angemeldet. Der Sender
wollte mehr Zuschauer. Er wollte ein breiteres Publikum
ansprechen. Er verlangte von Wallace, sein Auftreten da-
hingehend zu ändern, daß es besser zu einem größeren,
gehobeneren Publikum aus den Vorstädten paßte.
„Warum sagen sie mir nicht gleich, daß ich mehr Weiße
zum Einschalten bringen soll, und lassen mich dann in
Ruhe?“ grollte er.
Er dachte nicht wirklich über die Akte nach. Zwar sah
er sie an und ging ihren Inhalt durch, doch seine volle
Aufmerksamkeit schenkte er ihr nicht. Seine Gedanken
wanderten immer wieder zu Gina.
„Ich sollte es nicht tun“, murmelte Wallace zu sich selbst.
Er blätterte eine Seite weiter und überflog einen Absatz
über seine rapide abnehmende Akzeptanz in der schwarzen
oberen Mittelschicht. Er schaffte gerade einmal die Hälfte
der Seite, bevor er in Gedanken wieder bei Gina war.
„Ich könnte jetzt auch Zola anrufen“, sagte er. „Am Dis-
play kann sie doch sehen, daß ich vom Büro aus anrufe. Ich
erzähle ihr einfach, ich müßte noch länger arbeiten – das
ist doch nur die Wahrheit. Ich halte mich einfach an die
Wahrheit. Dann setze ich mich ab. Vielleicht kann ich Gina
überraschen, wenn ich ...“ Er schüttelte den Kopf. Er rief
seine Frau nicht an.
Während der Lektüre der nächsten beiden Abschnitte
kam ihm tatsächlich eine Idee für eine neue Spendenak-
KAPITEL EINS
tion, die sich seines Erachtens nach als nützlich erweisen
könnte. Das fesselte seine Aufmerksamkeit für zwei weitere
Seiten, doch dann dachte er erneut darüber nach, seine
Frau anzurufen.
„Ich könnte erst sie anrufen, und gleich danach bei Gina.
Oder ich rufe Gina zuerst an und vergewissere mich, daß
sie auch wirklich zu Hause ist. Sie hat dann noch genug
Zeit, sich für mich zurechtzumachen.“ Er war müde, doch
bei seinem letzten Gedanken regte sich etwas in ihm. Aber
nein. Das sollte er nicht tun. Es war falsch. Er sah das Bild
von Zola an, das auf seinem Schreibtisch stand, und fühlte,
wie ihn Schuldgefühle überkamen.
„Zum Teufel damit.“
Er legte den Bericht beiseite, stand auf und ging ent-
schlossenen Schrittes aus seinem Büro. Er würde jetzt nach
Hause fahren, zu seiner Frau und seinen Kindern. Er würde
dort hingehen, wo er hingehörte. Immer wieder sagte er
sich, daß er zu alt für solche Mätzchen war. Zu alt und zu
müde. Das Verhältnis mit Gina würde er beenden, viel-
leicht schon diesen Samstag, wenn Zola mit den Kindern
zu Oma fahren würde.
Er plante Gina diesen Samstag unter allen Umständen
zu treffen. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, Schluß zu
machen. Vielleicht.
Mit dem Anflug des Gefühls, einen kleinen Teil seiner
Tugend zurückgewonnen zu haben, schloß er die Tür hinter
sich ab und ging zum Parkplatz um die Ecke, während er
den Kragen seines Mantels hochstellte, um sich vor dem
leichten Nieselregen zu schützen. Daß neben seinem BMW
noch ein zweiter Wagen stand, bemerkte er nicht sofort ...
Er kannte dieses Auto, es war ein Lexus ...
Noahs Wagen.
Das letzte Mal, als Matthew seinen ältesten Sohn Noah
gesehen hatte, hatten sie sich nicht wirklich unterhalten.
Sie hatten sich angeschrien.
Er hatte die Entscheidung seines Sohnes verurteilt, sich
als Atheist zu bekennen.
Noah hatte seinen Vater einen Scharlatan geschimpft,
der Erlösung wie ein Wundermittel feilbot.
Matthew hatte zurückgeschrien, Noah hätte sich trotz
dieses Vorwurfs nie auch nur mit einem einzigen Wort über
das Dach über seinem Kopf, das Essen in seinem Magen,
das Geld auf seinem Konto und die Bildung, in deren Ge-
nuß Matthew selbst nie gekommen war, beschwert.
Da hatte Noah ihm von dem Stipendium der BGSU
erzählt, einer Universität in Ohio. Er sagte, er bräuchte
Matthew nicht mehr und würde nun endlich die goldenen
Ketten, die ihm sein Vater angelegt hatte, sprengen.
Matthew beschimpfte ihn als einen verzogenen, undank-
baren Bengel und drohte ihm mit Enterbung.
Noah ließ es gerne darauf ankommen.
Das war jetzt zwei Jahre her, und seitdem hatten sie kein
Wort mehr miteinander gewechselt.
OFFENBARUNG
Eine Gestalt löste sich aus der Dunkelheit. Der Mann
war hochgewachsen und gutaussehend, und er trug einen
Kamelhaarmantel und teure Lederstiefel. Trotz der Kälte
saß kein Hut auf dem Kopf mit dem kurzgeschorenen Haar.
Dafür trug der Mann einen weißen Kaschmirschal, der sich
in starkem Kontrast von seiner schokoladenfarbenen Haut
abhob. Die Haut war vielleicht gerade eine Nuance heller
als Matthews und um einige dunkler als die Zolas.
Matthew fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, die
sich plötzlich trocken anfühlten.
„Junge?“ krächzte er. Er schluckte und sagte es dann
noch einmal, lauter und gefaßter. „Mein Junge!“
Noah antwortete nicht.
„Oh Noah ... Noah, ich ...“ Er breitete die Arme aus. „Ich
habe dich vermißt, mein Sohn. Du kannst dir gar nicht
vorstellen, wie oft ich darum gebetet habe, diesen Moment
erleben zu dürfen.“
Die Gestalt war noch immer still und reglos. Matthews
Nackenhaare stellten sich auf.
„Mein Junge ... Noah ...“, stammelte er. „Ich weiß, daß
ich einige schreckliche Dinge gesagt habe. Und es tut mir
leid. Ich bin nicht zu stolz, um zuzugeben, einen Fehler
begangen zu haben. Es ist nicht ein Tag vergangen, an dem
ich nicht darüber nachgedacht habe, was zwischen uns
vorgefallen ist. Nicht ein einziger Tag. Bitte ... bitte sag mir,
daß du hier bist, um nach Hause zurückzukommen.“
„Hast du wirklich um die Rückkehr deines Sohns gebe-
tet?“ Es war Noahs Stimme, doch der Tonfall war kalt und
sachlich, wie bei einem Richter, der ein Urteil verkündet.
Der Geistliche runzelte die Stirn. „Du weißt, daß ich das
getan habe.“
„Obwohl die Antwort auf deine Gebete bisher immer
ausgeblieben ist?“
„Das war in der Vergangenheit. Jetzt bist du hier, oder
etwa nicht?“
Die Gestalt vor ihm begann zu lachen ... und dann ver-
änderte sie sich.
Wo zuvor noch ein gutaussehender, schwarzer Mann
gestanden hatte, wurde nun die Herrlichkeit des Feuers
offenbart. Pfützenwasser wich erst zurück, kochte dann
und verdampfte schließlich. Der verlassene Parkplatz war
urplötzlich in das Gleißen himmlischen Lichts getaucht.
Matthew fiel mit weitaufgerissenen Augen und gefalteten
Händen auf die Knie.
„Mein Herr und mein Gott!“ rief er. „Mein Herr und
Gott!“
„MATTHEW“, sprach die Erscheinung, die einst sein
Kind gewesen war, „FÜRCHTE DICH NICHT.“
„Was verlangst du von mir?“
„WAS WÜRDEST DU FÜR MICH GEBEN?“
„Alles! Alles, Herr! Ich bin dein Diener. Gebiete über
mich!“
„DAS EINZIGE, WAS ICH VON DIR VERLANGE,
IST DEINE TREUE, MATTHEW. ALLES, UM WAS ICH
DICH BITTE, IST DEIN VERTRAUEN UND DEIN GE-
LÖBNIS.“
„Ich gehöre dir! Du weißt, daß es so ist! So war es schon
immer! Dein Wille geschehe, Herr! Dein Wille gesche-
he!“
„SOLL ICH DEIN HAUPT MIT MEINEM SIEGEL
VERSEHEN, UM DICH AUF EWIG ALS EINEN DER
MEINEN ZU ZEICHNEN?“

Mit selig geschlossenen Augen beugte Matthew sich er-
wartungsvoll nach vorn und bot seine Stirn dar.
Durch die Augenlider hindurch konnte er sehen, wie das
Licht des Wunders verblaßte und verschwand. Als er die
Augen aufschlug, wurde die Szenerie wieder nur vom Oran-
ge der Halogenlampen und dem bläulichen Mondschein
erhellt, der sich in den Nebelschwaden spiegelte.
Vor ihm stand nun wieder sein Sohn, der verächtlich den
Kopf schüttelte.
„Du Idiot“, sagte Noah.
Plötzlich wurde sich Matthew der kalten Nässe bewußt,
die den Stoff der Anzugshose um seine Knie durchweichte.
Furcht verwandelte sich in Zorn.
„Was soll das bedeuten?“ fragte er fordernd und sprang
auf die Füße.
„Oh, Matthew ... Du bist schon etwas ganz Besonderes.
Nicht viele Leute sind bereit, alles für Gott zu geben – oder
für jemanden, der sich als Gott ausgibt.“ In Noahs Stimme
klang eine höhnische Schärfe mit, doch seine Miene zeigte
kaum eine Gefühlsregung.
Matthew legte die Stirn in Falten. „Was habe ich da eben
gesehen?“
Noahs dunkle Augen wurden schmaler. „Was hast du
denn zu sehen geglaubt?“
„Ich sah den Glanz Gottes, des Allmächtigen.“
Als er das hörte, blickte Noah zu Boden, doch einen
Moment später schüttelte er den Kopf und lachte wehmü-
tig auf. „Nein, Matthew, du hast nicht den Glanz Gottes,
des Allmächtigen, geschaut. Was du gesehen hast, war das
Loch, das zurückblieb, als Gott Seinen Glanz aus meiner
Brust riß. Es war ... nur der Schatten eines Fragments der
wahren Größe des Schöpfers. Es war seine Asche.“
„Noah ...“, begann Matthew, doch sein Verstand war
noch immer zu aufgewühlt, um zu glauben, was eben vor-
gefallen war.
Die Gestalt beugte sich näher zu ihm heran und fragte
ihn: „Wofür hast du mich denn gehalten?“
„Ich dachte, ich hätte einen Engel des Herrn gesehen.“
Noah schenkte seinem Vater ein grausames Lächeln.
„Du solltest besser noch mal raten.“ Er drehte sich zu dem
Gebäude um, vor dem sie standen, und las das über der
Tür angebrachte Schild laut vor: „Celestine Productions
Incorporated. Die Heimat von Reverend Matthew Wallace
and the Hour of Jesus’ Power.“ Er schüttelte den Kopf. „Wie
ich sehe, kommt Jesus bei dir erst an zweiter Stelle.“
„Was geht hier vor sich?“ wollte Matthew wissen.
„Laß uns reingehen und drinnen darüber reden.“ Noah
griff mit beiden Händen nach der schweren Doppeltür –
und zischte plötzlich laut durch die Zähne.
Matthews Augen weiteten sich, als er sah, wie weißer
Rauch zwischen Noahs Fingern aufstieg. Noah riß seine
Hände zurück. Angewidert verzog er die Oberlippe, als er
auf seine Hände herabschaute.
Dem Geistlichen wurde übel, als er die Blasen aufquellen
sah, die Schwielen verbrannten Fleisches, das Blut ... Noah
kniete sich hin und tauchte beide Hände tief in eine ölige
Pfütze. Als er sie wieder herauszog, waren seine Handflä-
chen von kleinen Blutspritzern und verschmorter Haut
überzogen.
22
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
„Äußerst interessant“, sagte er und schaute mit wach-
samem Respekt zur Eingangstür des Studios hinüber. „Ich
befürchte, wir werden unsere Diskussion an einem anderen
Ort führen müssen.“
„Was bist du?“
„Da ist aber jemand nicht gerade ein Blitzmerker.“ Der
Noah, den Matthew gekannt hatte, hatte nicht die An-
gewohnheit besessen, in gespielter Verärgerung spöttisch
mit der Zunge zu schnalzen und die Augen zu verrollen.
Dieser Noah hatte diese Angewohnheit offensichtlich, und
Matthew mochte sie nicht.
„Laß uns mal überlegen ...“ Noah zählte an seinen blutigen
Fingern alle bisherigen Hinweise auf seine Identität ab.
„Strahlende Erscheinung mit Flügeln aus Feuer. Kein
Engel des Herrn. Versucht Sterbliche dazu zu verführen,
ein Treueversprechen abzulegen ... und erleidet Schaden
auf heiligem Boden. Was bleibt denn deiner Meinung nach
noch so übrig, was ich wohl sein könnte?“
Ein Mann geringeren Glaubens wäre skeptisch geblie-
ben, doch Matthew war trotz all seiner Fehler ein wahrhaft
gläubiger Mensch.
„Hebe dich hinfort, Satan“, flüsterte er.
Noah schnaubte verächtlich. „Wäre es nicht einfacher,
wenn du dich einfach wegdrehst?“
Matthew sprang vor, packte Noah am Revers und zog ihn
in die Höhe, bis Noah nur noch auf Zehenspitzen stand.
„Was hast du mit meinem Sohn gemacht?“ brüllte Matthew.
Die Gestalt – der Dämon? – sagte kein Wort, sondern
kniff statt dessen die Augen zusammen und setzte ein ver-
schmitztes Lächeln auf.
Wäre Matthew ein aufrichtig gewalttätiger Mann ge-
wesen, hätte er seine Faust in dieses grinsende Gesicht
donnern lassen, die hinter den zusammengekniffenen Li-
dern versteckten Augen herausgerissen und dann zu Boden
geschleudert, was von seinem Gegenüber noch übrig ge-
blieben wäre. Hätte das Gesicht vor ihm jemand anderem
anstelle seines eigenen Kindes gehört, er hätte es in der
Hoffnung gegen die Tür des Studiogebäudes gedrückt, es in
heiligem Schmerz verbrennen zu sehen. Doch Matthew war
ein Mann der Worte und Gesten, weshalb er einfach nur
stehenblieb, sich weiter an Noahs Mantel klammerte und
sich mehr und mehr wie ein Dummkopf vorkam.
„Anscheinend liegt hier wohl ein kleines Mißverständnis
vor“, sagte das Gesicht vor ihm mit sanfter Stimme. „Diese
Jacke ist allein zu meinem persönlichen Gebrauch. Ich
würde es ausgesprochen begrüßen, wenn du sie loslassen
könntest.“
Matthew verengte die Augen zu Schlitzen und schob die
Gestalt von sich.
„Wenn wir jetzt endlich ...“
Plötzlich hob der Geistliche die Hände zum bleigrauen
Himmel. „Oh Jesus Christus, erhöre mein Flehen! Errette
mich vor diesem Unhold! Erlöse deinen Diener von dieser
Kreatur aus dem Schlund der Hölle!“ Seine Stimme hallte
von den Betonwänden der umliegenden Häuser wider.
„Hör auf damit!“ sagte Noah.
„Bitte, lieber Gott, errette deinen ergebenen Diener!
Du bist mein Hirte, und durch dich wird es mir an nichts
mangeln!“
KAPITEL EINS
„Ich warne Dich!“ Noahs Gesicht verzog sich zu einer
Grimasse des Zorns ... in die auch ein wenig Furcht hin-
einspielte.
„Bitte, mein lieber Herr Jesus, in deinem Namen bete
ich ...“
Bevor Matthew weiterreden konnte, stand Noah un-
mittelbar vor ihm. Seine weißen Zähne waren nur wenige
Zentimeter von der Nase des Geistlichen entfernt. „Betest
du auch zu Jesus, wenn du die Chorleiterin fickst? Hast du
zu Ihm gebetet, um sie ins Bett zu kriegen? Wirfst du dich
auf die Knie und betest ‚Oh Herr, bitte laß es meine Frau
nicht herausfinden’?“
Matthew stockte. Er versuchte, sein Gebet von neuem zu
beginnen. „Du bist mein Schutz und Schild ...“
„Was hat sie dir denn überhaupt zu bieten, Reverend?
Lutscht sie deinen Schwanz, wenn deine Frau keine Lust
dazu hat? Betest du jedesmal um Vergebung, wenn du dich
zu ihr schleichst, um sie zu vögeln, oder sparst du dir das
für eine lange Beichte einmal im Monat auf?“
„Halt dein gottverdammtes Maul!“
Die Gestalt vor ihm entspannte sich sichtlich, strich ih-
ren Mantel glatt und klopfte sich die Hände ab, die plötz-
lich wieder unversehrt waren und keine Verbrennungen
mehr aufwiesen. „So viel zur Kraft des Exorzismus“, sagte
Noah.
Matthews schlug die Augen nieder. „Laß mich in Ruhe“,
sagte er. „Geh weg.“ Aber seine Stimme klang nicht mehr
fordernd. Er flehte.
„Willst du das wirklich?“ Noahs Stimme klang überra-
schend sanftmütig. „Wenn du wirklich willst, daß ich gehen
soll, dann werde ich das auch tun. Du wirst mein Gesicht
dann nie wieder sehen.“ Als Matthew nicht sofort antwor-
tete, holte Noah etwas aus seiner Manteltasche und hielt es
ihm hin. „Ich denke, ich sollte dir das hier zurückgeben.“
Matthew zögerte erst, doch als er den Gegenstand er-
kannte, griff er instinktiv danach.
Es war eine Bibel – eine braune, ledergebundene Bibel
mit Goldschnitt. Er erkannte sie sofort. Er hatte sie Noah
zu seiner ersten Kommunion geschenkt. Als er sie auf-
schlug, las er seine eigenen Worte, die er damals in den
Einband geschrieben hatte: Möge Gott stets an Deiner Seite
sein. Ich liebe Dich, mein Sohn.
„Warum tust du mir das an?“ flüsterte Matthew.
„Weil ich glaube, daß du mir helfen könntest“, antwortete
sein Gegenüber und wandte sich zum Gehen.
„Warte!“ sagte Matthew.
Noah drehte sich zu ihm um.
„Magst du mit mir kommen?“ fragte Matthew.
EIN PAKT MIT DEM TEUFEL
Zwei Häuser neben der Kirche befand sich Rollins Pro-
ductions. Sonny Rollins war ein Mitglied von Matthews
Kirchengemeinde, und der Reverend war sein wichtigster
Kunde. Schon vor Jahren hatte Sonny Matthew einen Er-
satzschlüssel gegeben.
Sonnys Büro war klein und unaufgeräumt (und stank
nach Zigarettenqualm), aber wenigstens standen auch zwei
bequeme Sessel und eine Kaffeemaschine darin.
„Erstaunlich“, sagte der Gast des Geistlichen.
„Was ist erstaunlich?“ fragte Matthew.
„Dein Fernsehsender steht auf heiligem Boden.“
„In erster Linie ist es ja auch eine Kirche.“
Seinem Gegenüber entfuhr ein Schnauben. „Oh ja, rich-
tig. Deshalb steht sie auch mitten in einem Industriegebiet,
kilometerweitweg von einem Ort, wo sich die Leute reali-
stisch betrachtet zum Gottesdienst einfinden könnten.“
Matthew schüttelte den Kopf. „Die Kirche ist kein Ge-
bäude, sie ist eine Institution. ‚Wo immer zwei oder drei in
meinem Namen versammelt sind –’“
„Oder auch nur zu Hause fernsehen. Es ist schon ko-
misch, wie das Wort ‚Gemeinde’ heutzutage in seiner Be-
deutung so sehr ausgeweitet wurde, daß es nun auch Leute
beschreibt, die alleine sind und gleichzeitig fernsehen und
beten.“
„Warum bist du hergekommen?“ fragte Matthew gera-
deheraus. „Warte, ich werde mit einer einfacheren Fra-
ge anfangen: Wenn du nicht mein Sohn bist, wer bist du
dann?“
Sein Gesprächspartner betrachtete ihn stumm. Sein Ge-
sicht war so emotionslos wie das eines Pokerspielers, der
sich seine Karten ansieht. Matthew erwiderte den Blick, bis
sich sein Gast zu einer Entscheidung durchzuringen schien.
„Du kannst mich Gaviel nennen, solange wir alleine sind.
‚Noah’ sollte ausreichen, wenn andere dabei sind. Das ver-
einfacht die Dinge ein wenig.“
„Gaviel.“
„Sprich diesen Namen nie leichtherzig aus.“ Etwas in
Gaviels Augen sagte Matthew, daß er nicht scherzte.
Matthew ballte die Fäuste und biß die Zähne zusammen.
Seine Stimme – die immer schon sein bestes Werkzeug ge-
wesen war – blieb ruhig und kontrolliert, als er hinzufügte:
„Und du bist ein Dämon.“
„So könnte man das ausdrücken.“
„Du hast den Körper meines Sohnes in Besitz genom-
men.“
Gaviel nickte. „Ich fürchte, dem ist so.“
„Du solltest dir darüber im klaren sein, daß ich nicht eher
ruhen werde, bis du ihn wieder verlassen hast.“
Gaviel sah zu Boden und wirkte für einen kurzen Augen-
blick aufrichtig betrübt. „Matthew, ich habe deinen Sohn
nicht getötet, und ich habe ihn auch nicht aus seinem Kör-
per verdrängt. Ich möchte, daß du mir das glaubst.“
„Das kann ich mir vorstellen, aber verzeih mir bitte,
wenn ich dir in diesem Punkt mißtraue.“
„Noah Wallace gibt es nicht mehr, Matthew. Es tut mir
wirklich leid, aber das ist nichts als die reine Wahrheit.“
„Das willst du mir vielleicht einreden, aber ich sehe sei-
nen Körper vor mir und höre seine Stimme.“ Matthews
Worte waren nachvollziehbar und absolut vernünftig, doch
die bedrückende und unwirklich anmutende Situation ließ
selbst seine ansonsten so feste Stimme schwanken.
„Sein Körper ist das einzige, was von ihm geblieben ist.
Seine Erinnerungen sind noch da, doch die Seele deines
Sohnes ist fort. Vor fünf Tagen wurde er von einem Auto
erfaßt, als er über eine Straße bei der Universität ging. Er
hat einen Hirnschaden davongetragen.“
„Ich glaube dir nicht! Das ist doch irgendein Trick. Das
muß ein Trick sein.“
23

„Die Polizei hat einen Unfallbericht angefertigt. Schau
ihn dir ruhig an, wenn du unbedingt darauf bestehst. Sein
Gehirn nahm Schaden, seine Seele war geschwächt und
das habe ich gespürt. Ich habe diesen Körper in Beschlag
genommen, seine Seele fuhr aus ihm heraus und wurde
jenem Schicksal überlassen, das einen jeden Menschen
erwartet. Ich kenne seine Erinnerungen und besitze seine
Fähigkeiten, doch der Noah, den du einmal kanntest – der
alles entscheidende Funke, der ihn ausmachte – ist für
immer von uns gegangen.“
„Du lügst!“
Gaviel seufzte. „Was hätte ich schon davon, wenn ich
dich anlügen würde?“
„Du fürchtest dich davor, daß ich dich exorzieren werde.“
„Ich denke, wir haben bereits festgestellt, daß dein Glau-
be für eine solche Tat nicht stark genug ist“, erwiderte der
Dämon.
„Ich mag schwach sein, aber ich bin noch immer ein
Diener des Herrn.“
„Mit einem Seminarabschluß, der vielleicht eine Stufe
höher einzuordnen ist, als die, für die in Anzeigen im Rol-
ling Stone geworben wird.“
„Ich habe einen Doktor in Theologie!“
„Du hast einen Ehrendoktortitel von einem College, das
ähnlich deiner Alma Mater dieselbe Zielgruppe wie Fahrschu-
len für LKW-Führerscheine anspricht. Einen Doktortitel, den
du, wie ich hinzufügen möchte, im gleichen Jahr erhalten hast,
in dem du eine Spende von 25.000 Dollar in den Stipendien-
fonds ebendieses Colleges eingezahlt hast.“ Gaviel schüttelte
den Kopf. „Du kannst noch nicht einmal die Bibel lesen!“
24
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
„Ich lese jeden Tag in der Bibel!“
„Du liest jeden Tag in einer Übersetzung der Bibel, aber
sprichst du abgesehen von ‚quid pro quo’ auch nur einen
Satz Latein? Kannst du Griechisch? Oder auch nur ein
einziges Wort Hebräisch?“ Gaviel genoß das Unbehagen des
anderen Mannes sichtlich.
„Der Glaube ist wichtiger. Glaube ist wichtiger als jeder
Titel, wichtiger als jedes Wissen, wichtiger als alle Erkennt-
nisse.“
„Was das betrifft, sind wir einer Meinung. Deshalb bin ich
auch zu dir gekommen.“ Er beugte sich näher zu Matthew
hinüber. „Ist dir klar, daß ich deine Seele vorhin dort drau-
ßen im Regen hätte zeichnen können? Ich hätte dich damit
zu meiner Kreatur machen können – meinem Sklaven, der
an meinen Willen gebunden ist und auf einen Wink von
mir lebt oder stirbt. Aber ich habe dich nicht gezeichnet.
Ich habe dich deine Seele behalten lassen, und ich habe
dir sogar gestattet, Hand an mich zu legen, mich zu belei-
digen, mich zu bedrohen und sogar Gottes Zorn auf mich
herabzubeschwören.“
„Du willst etwas. Und zwar von mir.“
„Kennt Gottes Vergebung wirklich keine Grenzen?“
Diese Frage brachte den Geistlichen aus dem Konzept.
„Hm, ja. Natürlich kennt sie keine Grenzen.“
„Wie ist das bei einem gefallenen Engel, Reverend? Wür-
de Gott selbst solch einem Wesen vergeben? Einem Wesen,
das sich willentlich Seinem Befehl widersetzt hat? Einem
Wesen, das sich daranmachte, absichtlich die gesamte
Schöpfung Gottes zu besudeln? Einem Wesen, das gedach-
te, sich von der Menschheit verehren zu lassen?“
KAPITEL EINS
Matthew runzelte ob dieser Frage die Stirn. „Das weiß ich
nicht. Kann ein solches Wesen denn seine Sünden wirklich
bereuen?“
Gaviel hielt inne und lächelte ein weiteres Mal. „Genau
das ist die entscheidende Frage, nicht wahr?“
„Ist es das, was du willst? Willst du zurück zu Gott?“
„Wenn das möglich ist. Du glaubst doch daran, daß durch
das Wirken eines einzelnen Mannes die ganze Menschheit
errettet wurde. Ich glaube, daß durch das Wirken eines ein-
zelnen Mannes auch meine Rasse errettet werden könnte.
Wirst du mir dabei helfen?“
Matthews Augen verengten sich zu Schlitzen. „Ich würde
es versuchen. Wenn ich glauben würde, daß du es ernst
meinst.“
Gaviel breitete die Hände aus. „Ich habe dir gegenüber
schon ungewöhnlich viel Gnade und Geduld bewiesen.
Was für andere Beweise soll ich dir denn noch erbringen?“
Matthew beugte sich vor. Seine Augen funkelten nicht,
sie loderten förmlich. „Gib meinen Sohn frei.“
„Matthew, ich gebe dir mein Wort, daß ich ihn nicht
gefangenhalte.“
„Was kann das Wort eines selbsterklärten Rebellen und
Gotteslästerers schon wert sein?“
„So viel wie der Rat eines arroganten, selbstgerechten
Ehebrechers. Jetzt mal ehrlich: Hast du wirklich geglaubt,
ein so heiliger Mann zu sein, daß du es wert bist, Zeuge einer
Engelserscheinung zu werden? Du bist ein Fernsehprediger.
Das ist ein Wort, das in den gebildeteren Kreisen dieses Lan-
des auch gleichbedeutend für ‚Schwindler’ und ‚Heuchler’
steht. Ich gestehe dir gern zu, nie Geld aus dem Klingelbeu-
tel gestohlen zu haben, aber doch nur, weil die Richtlinien
für den Umgang mit dem Vermögen deiner Kirche, die du
selbst festgelegt hast, so lax sind, daß es dir sogar ausdrück-
lich gestattet ist, Autos und Schmuck zu kaufen. Lassen wir
die Kirche mal im Dorf: Du hast doch bei der ‚Schmieriger
Priester’-Dreierwette schon alles gemacht, außer dir ‚Love’
und ‚Hate’ auf die Finger tätowieren zu lassen.“
„Wenn ich so niederträchtig bin, was bist dann du? Wenn
mein Glaube so schwach ist, wie ist es denn dann mit dir,
wo du doch derjenige bist, der zu mir kam, um mich um
Hilfe zu bitten?“
Gaviel zuckte die Achseln. „Der Punkt geht an dich,
Reverend. Hast du vor, die ganze Nacht hier herumzusitzen
und Spitzfindigkeiten auszutauschen, oder möchtest du
nicht mal erfahren, warum ich ausgerechnet dich ausge-
sucht habe?“
„Ich bin mir sicher, daß du es mir sowieso erzählst.“
„Ich habe dich ausgewählt, eben weil du so arrogant bist.
Du bist stolz auf deine Ideale. Du denkst, alles, was du tust,
sei richtig, weil du es tust. Dein Glaube kann Berge verset-
zen, und genau das ist der Glaube, den ich brauche. Der
Glaube, der sagt ‚Vielleicht kann ich einen gefallenen Engel
erlösen’.“ Gaviel lehnte sich zurück und überlegte.
„Es gibt in unserem Fall doch genau zwei Möglichkeiten,
Reverend: Entweder ich halte die Seele deines Sohnes
gefangen oder ich tue das nicht, richtig? Angenommen ich
hätte seine Seele festgesetzt – und dem ist nicht so, obwohl
ich nicht in der Lage zu sein scheine, dich davon überzeu-
gen zu können –, ist es doch in deinem Interesse, wenn du
zumindest in meiner Nähe bleibst, um einen Weg zu finden,
ihn zu befreien. Bitte tu mir den Gefallen und ziehe we-
nigstens die Möglichkeit in Betracht, daß ich die Wahrheit
sage. Vielleicht ist Noah wirklich von uns gegangen und ich
habe dich nicht belogen, was meine Reue angeht. Gibt es
dann überhaupt einen Weg für dich, mich abzuweisen und
anschließend weiterhin behaupten zu können, ein Mann
Gottes zu sein?“
Matthew seufzte schwer.
„Ich denke immer noch, daß du mich reinzulegen ver-
suchst“, sagte er, „aber du hast recht. Es gibt keinen ande-
ren Ausweg für mich. Ich kann es mir nicht leisten, dich
fortzuschicken.“
„Das weiß ich sehr zu schätzen.“ Gaviel lehnte sich in
seinem Sessel zurück und schien sich zu entspannen. „Also:
Was machen wir jetzt?“
„Wir könnten uns eine Scheibe bei den Katholiken ab-
schneiden und du fängst erst mal an, mir deine Sünden zu
beichten.“
„Und wenn ich im Verlauf der Beichte eine Schwäche
preisgebe, die du ausnutzen könntest ...?“
Matthew breitete die Arme aus. „Du mißtraust mir, und
ich mißtraue dir. Aber wenn wir das hier zu Ende bringen
wollen, müssen wir zumindest eine Weile so tun, als ob das
anders wäre.“
„Das sehe ich ein.“
Aus Gewohnheit sagte er, was er zu jedem reuigen Sün-
der sagte, der ihn aufsuchte, um seinen Rat einzuholen.
„Warum fangen wir nicht einfach am Anfang an?“
Gaviel lächelte. „Na schön.“
„Im Anfang ...“
DER UNBEWEGTE BEWEGER
Noah hielt inne, als er Matthews Stirnrunzeln bemerkte.
„Was ist los? Magst du etwa keine Klassiker?“
„Du willst mich wirklich glauben machen, du wärst bei
der Geburt des Kosmos dabei gewesen?“
„Was hast du denn gedacht, woher Dämonen sonst kom-
men? Wir waren von Anfang an dabei, weil wir der Anfang
waren.“
„Wie bitte?“
„Wir waren Gottes erste Schöpfung, damit wir hingehen
und das Universum errichten konnten.“
Matthew schnaubte. „Du hältst wirklich nicht sehr viel
von mir, oder? Denkst du wirklich, du kommst mit der Be-
hauptung durch, quasi wie der Schöpfer selbst zu sein?“
„Laß uns die Antwort auf deine erste Frage zunächst ein-
mal auf später verschieben, einverstanden? Und obwohl ich
wirklich versucht bin, dir aufzuzeigen, wie schnell du mich
als deinen – wie hast du es genannt? – Herrn und Gott ak-
zeptiert hast, werde ich dir den Gefallen tun, deine zweite
Frage ernsthaft anzugehen. Aber du mußt mir versprechen,
meinen Ausführungen aufmerksam und unvoreingenom-
men zu folgen.“
„Ich werde es versuchen“, sagte Matthew mit wütendem
Blick.
„Es sieht doch folgendermaßen aus: Alles, was wir be-
rühren, berührt auch uns, richtig? Kontakt bedeutet immer
Interaktion – oder Verunreinigung, wenn man es anders
25

ausdrücken will. Wie soll sich ein vollkommenes Wesen
aber dann noch weiter verändern können? Wenn es sich
verändert, ist es nicht länger vollkommen. Es sei denn, es
war vorher bereits unvollkommen und verwandelt sich in
eine vollkommene Form, indem es seine Unvollkommen-
heiten ablegt.“ Er hob eine Augenbraue. „Keine besonders
schmeichelhafte Theorie, oder? Das Universum als Haar-
knäuel aus dem Rachen des Allmächtigen.“
„Du scheinst Gott ständig vor mir schlechtmachen zu
wollen“, merkte Matthew an.
„Matthew, bitte glaub mir, wenn ich dir sage, daß es Gott
höchstwahrscheinlich einen Scheißdreck interessiert, was
ich von Ihr halte.“
„‚Ihr’? Ist Gott jetzt plötzlich eine Frau?“
„Sicher. Sie war zudem noch ein richtig heißer Feger, aber
über die letzte Viertelmillion Jahre hat sie echt an Gewicht
zugelegt.“
Matthew schnaubte. „Selbst deine Lästerungen Gottes
werden zusehends einfallsloser.“
„Reverend, ist es etwa Blasphemie zu sagen, Gott sei eine
Frau mit einem fetten Hintern, und ein Zeichen echter
Verehrung, wenn man behauptet, Sie sei ein alter, weißbär-
tiger Mann, der Sandalen trägt? Paß mal auf: Gott ist Gott
– allmächtig, unergründlich, unsterblich und unbegreiflich.
Gott braucht deine Verehrung nicht. Fiese Dinge über den
Allmächtigen zu sagen, wird Gott nicht verletzen, sondern
es verletzt nur dich und zerfrißt die Welt um dich herum.
Es ist genau so, als wenn man in den Himmel spuckt. Es
kümmert den Himmel nicht, und die Wahrscheinlichkeit,
sich selbst ins Gesicht zu spucken, ist ziemlich hoch.“
„Plötzlich verurteilst du das Prinzip der Gotteslästerung,
wo du doch noch vor einer halben Minute behauptet hast,
das Universum erschaffen zu haben. Wenn du versuchen
solltest, meine Seele ins Verderben zu führen, mußt du
darauf achten, etwas schlüssiger zu argumentieren.“
„Vielen Dank für den Tip, Boß.“ Der Dämon atmete tief
ein. „Schau mal, ich werde Gott einen ‚Ihn’ nennen, wenn
dir das etwas hilft. Aber laß uns bitte beim Thema bleiben.“
„Ich bin nicht derjenige, der sich über Gottes Gewichts-
probleme ausläßt.“
DIE HÄUSER DER SCHÖPFUNG
„Im Anfang gab es zwei Unendlichkeiten – die unend-
liche Abwesenheit, die die absolute Leere war, und die
unendliche Existenz des Allmächtigen. Die eine war in
der anderen enthalten, obwohl sie doch auf ewig getrennt
voneinander waren. Um die Trennlinie zwischen ihnen zu
erfassen und zu erhellen, erschuf der Schöpfer die Engel des
Morgenrots. Ich war einer von ihnen.
Der Sinn unserer Existenz bestand darin, den Willen
Gottes zu den Grenzen der Schöpfung zu tragen, um so das
Rahmenwerk für das vollkommene Gleichgewicht zwischen
dem, was ist, und dem, was nicht ist, zu errichten. Denn
du mußt verstehen, daß der Herr – die unendlichste aller
Unendlichkeiten – alles in sich vereinte. Alles, was nicht
Gott war, war absolut nichts. Also war irgendeine Art der
Vermittlung nötig, um eine Pufferzone zwischen beiden
Unendlichkeiten zu erschaffen: Diese Pufferzone ist der
Kosmos. Wir wurden gebraucht, um die göttliche Urgestalt
26
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
in all die Dinge, die sie sein konnte, und die Dinge, die sie
war, aufzuteilen. Grob gesprochen bestand unsere Funktion
darin, Seinen Willen in diskrete, im Sinne von erfaßbar
definierten, Formen zu filtern.
Gottes Wille war der erste Schöpfungsakt – in einigen
Quellen erinnert man sich seiner als ‚Es werde Licht’, in
anderen wird er als der Urknall bezeichnet.
An jenem ersten Tag grenzenlosen Potentials zogen wir
in unzähligen Scharen aus. Der Thron des Mondlichts, die
Blutrote Gewalt, die Sieben Strahlenden Cherubim ... un-
ter ihnen waren auch niederere Geschöpfe wie der Grüne
Erzengel, die Macht des Gedankens ... und meine Wenig-
keit. An diesem ersten Tag war buchstäblich alles möglich.
Und unser Auftrag bestand darin, diese Möglichkeiten zu-
rechtzuschneiden und sie zu einem Faden zu spinnen, um
aus ihm die beste aller möglichen Welten zu weben.
Wir vom Haus des Morgenrots waren natürlich nicht
allein. Wir waren nur die ersten, die bedeutendsten, die-
jenigen, die dem Höchsten am nächsten standen ... und
aus ebendiesem Grund waren wir auch diejenigen mit dem
geringsten unmittelbaren Einfluß auf die Welt grober Ma-
terie. Erinnerst du dich noch daran, was ich über Verun-
reinigung gesagt habe? Wir waren lediglich die erste einer
ganzen Reihe von Barrieren zwischen dem Göttlichen und
dem Stofflichen. Sein reiner Wille kam zu uns und wurde
... in die Erklärung Seines Willens gezwängt und dadurch
möglicherweise sogar verfälscht. Die Häuser, die unter uns
standen, waren diejenigen, die dann mit der eigentlichen
Ausführung Seines Willens betraut waren.
Die zweite Legion war das Haus des Firmaments – Engel
des Windes und der Bewegung. Anfangs war es ihre Pflicht,
die Elemente des Universums zu beleben.
Du hast einen Körper, der aus vielen Teilen besteht –
deinem Herzen, deinen Lungen, deinem Gehirn –, doch
jeder Teil für sich ist tot und wertlos. Erst wenn sie zu einem
Ganzen vereint sind, bilden sie ihre wahren Eigenschaften
aus. Das Zweite Haus regelte dieses Prinzip. Durch seine
Engel kann die Summe des Ganzen größer als seine Teile
werden.
Die wichtigste Aufgabe des Hauses des Firmaments war,
den Lebensodem des Schöpfers zu Seiner Schöpfung zu
tragen. Jedem Baum, jedem Grashalm, jeder Ameise, jedem
Kormoran und jedem Elefanten wurde der Lebensodem
von einem Engel des Firmaments eingehaucht. Sie brach-
ten nicht nur das Leben, sondern sie beschützen es auch.
Das Band zwischen einem Schutzengel und den Ge-
schöpfen, denen er Leben eingehaucht hat, ist stark und
unergründlich – wie das Band zwischen Mutter und Kind.
Die Engel des Zweiten Hauses konnten jede Bedrohung ih-
rer Schützlinge spüren und augenblicklich von einem Ende
der Schöpfung zum anderen fliegen, um sie zu verteidigen.
In den ersten Tagen arbeitete ich mit vielen von ihnen eng
zusammen ... mit der Macht des Entfesselten Wachstums,
der Gewalt des Himmelszelts – sogar mit dem Seraphen
der Unerreichbaren Grenze. In vielerlei Hinsicht waren sie
die freundlichsten und selbstlosesten von uns. Selbst die
mächtigsten ihrer Art waren nicht ihrer eigenen Herrlich-
keit wegen bekannt, sondern nur der Herrlichkeit wegen,
die allein ihr Widerschein anderen verlieh. Sie selbst blie-
KAPITEL EINS
ben nämlich ungesehen wie der Wind, doch wir wußten
immer, wenn einer von ihnen in unserer Nähe war. Wir
konnten ihre Liebkosung von überallher spüren – als den
urplötzlich bekräftigten Anstoß, sich auszudehnen und zu
vervollkommnen. Ihre Größe lag darin, alles um sich herum
größer werden zu lassen.
Das Dritte Haus war das Haus des Fundaments – das
Haus der Materie, des Greifbaren – der Dinge, die mit dem
Körper erfahrbar sind und sich nicht ausschließlich über
den Geist erschließen lassen. Hatten die ersten beiden
Häuser sich noch mit dem Flüchtigen befaßt, so waren es
die Baumeister des Dritten Hauses, die Energie zu Materie
verlangsamten, Magma zu Stein abkühlten und dem Leben
seine Form verliehen. Alles, was man körperlich spüren
und berühren kann, ist ihr Werk. Während wir Engel des
Morgenrots auf Lichtstrahlen dahinflogen und die Schutz-
engel ungesehen als Hauch des Lebens durch die Welt
zogen, wandelten die Engel des Fundaments über die Erde
und vergruben sich in ihren Tiefen. Die Goldene Gewalt,
die Macht der Wandernden Dünen, der Seraph der Berg-
gipfel – ihre Herrlichkeit lag nicht in ihnen selbst, sondern
in ihren Taten begründet.
Aus menschlicher Sicht mögen die Engel des Wahr-
nehmbaren wie die erfolgreichsten Vertreter unserer Art
erscheinen. Immerhin erschufen sie die zugänglichsten und
am leichtesten zu beobachtenden Aspekte der Welt – alles,
was man anfassen, festhalten, messen und untersuchen
kann. Ich persönlich hatte nur wenig Umgang mit dem
Haus der Erde, obwohl ich von einem seiner Engel während
des Krieges schwer verletzt wurde ... aber ich greife vor.
Das Vierte Haus war das Haus der Sphären. Die Parzen
bestimmten den Lauf der kosmischen Lichter und schenk-
ten somit der gesamten Schöpfung den Unterbau der Zeit.
Von allen Häusern reichten wohl nur sie und das Fünfte
Haus an uns heran, was schiere Pracht und Herrlichkeit
angeht. Ich kann mich noch gut an den prunkvollen An-
blick erinnern, als sie in einem Wirbel aus sternendurch-
wirkten Mänteln vom Himmel herabstiegen. Einmal tanzte
ich mit dem Thron des Nordsterns, und ich bilde mir gerne
ein, in ihren dunklen Augen einen Funken der Gunst ge-
sehen zu haben. Ich lauschte dem Gesang der Plejaden,
scherzte mit den Tugenden der Vergangenheit und der
Zukunft und war Ehrengast am Hof der Mannigfaltigen
Cherubim. Die Engel der Zeit waren ein würdevolles und
edles Haus. Sie herrschten von ihren gläsernen Schlössern
auf dem Mond aus und hielten die Sphären der Sterne in
Gang. Während des Krieges hatten sie furchtbar zu leiden,
denn die Erde war nicht ihre natürliche Heimat, und sie
mußten all ihre Umsicht und Vorausschau aufbringen, um
allein ihr Überleben zu sichern ... doch in den ersten Tagen
waren sie wahrhaft glorreiche Geschöpfe.
Ihrer Schönheit ebenbürtig waren die Engel der Tiefe.
Sie waren voller Widersprüche, lyrisch, fließend und frei.
Ihre Aufgabe war es, den ewigen Wandel zu lenken und die
Ewigkeit zu wandeln. Das Meer war ein passendes Zuhause
für sie, die Mächte der Gezeiten und die Tugenden der
Kreisläufe. Als sich die Menschheit entwickelte, waren die
Ozeaniden die Schutzherren der Kunst und der Schönheit,
der Wandelbarkeit und der unterschwelligen Strukturen.
Die Engel der Tiefe sind in ihrem Wesen am ehesten mit
dem Ozean zu vergleichen. Er ist für die Ewigkeit und doch
nie derselbe. Der physikalische Grundstoff des Wassers
wurde zwar vom Haus des Fundaments erschaffen, aber es
waren die Ozeaniden, die ihn dann aufgrund seiner ausge-
zeichneten Eignung als Träger und Überträger von Mustern
belebten und lenkten. Die Engel der Tiefe sind das Muster,
nicht die Materie, so wie meine Worte nicht mein Mund
sind oder die Luft, durch die sie gleiten, oder das Ohr, das
sie hört. Die Ozeaniden waren wie Wellen im Wasser – in
ständiger Bewegung befindlich existierten sie nie nur an
einem einzigen Ort. Sie waren im und aus Wasser, aber sie
waren nicht das Wasser. All diese Übergangsbereiche und
Grenzzustände waren die Domäne der Engel der Tiefe. Sie
wurden zu Wächtern der Schönheit und Kultur – denn
eine Skulptur oder ein Lied oder eine Geschichte sind ein
Versuch, das Muster einer bestimmten Erfahrung über ein
Medium an eine andere Seele weiterzugeben.
Die Mitglieder des nächsten Hauses, das erschaffen wurde,
erhielten die Aufsicht über die Natur – es waren die Engel
der Wildnis, die die Instinkte und Wechselbeziehungen der
natürlichen Welt lenkten. Erkennst du, wie sich die Pflichten
der Häuser immer mehr voneinander unterschieden und
abgrenzten, ohne von einem grundlegenden Prinzip abzu-
weichen? Zuerst gab es nur den reinen Willen. Dann kam
die Teilung, und mit ihr Individualität. Als nächstes dann
Stabilität. Danach eine Ordnung für den Wandel. Wandel-
barkeit innerhalb einer stabilen Struktur kam als nächstes,
und schließlich folgten größere und deutlich voneinander
abgestufte Muster des Wandels – die Wanderungen von
Elchen, der Wachstumszyklus von Insekten, das Populations-
gleichgewicht zwischen Raubtieren und Beutetieren.
Auch wenn sich das Haus der Wildnis in vielerlei Hinsicht
lediglich mit Detailfragen der Schöpfung befaßte, sollte ich
jedoch anmerken, daß sein Aufgabenbereich nichtsdesto-
trotz äußerst komplex war. Zu dem Zeitpunkt, da sich zum
ersten Mal etwas herausbildete, das man als Ökosystem be-
zeichnen konnte – und damit meine ich nicht nur einzelne,
einzigartige Prototypen von Geschöpfen, sondern regelrech-
te Populationen, die miteinander und den klimatischen Be-
dingungen und Veränderungen interagierten –, war der Grad
der Ausgereiftheit des Universums bereits sehr hoch. Eines
solltest du verstehen: Ganz gleich, wie kompliziert dir das
heutige Ökosystem auch erscheinen mag, so war das dichte
Geflecht von Wechselbeziehungen im Paradies noch weitaus
komplexer. Aber ich greife schon wieder vor.
Die Engel der Wildnis – vom Seraphen des Kreislaufs bis
hinunter zu den niedersten Engeln der Erneuerung – waren
ein Haufen sturer, nüchterner Pragmatiker. Ich schätze,
das muß man wohl auch sein, wenn man sich um jedes
einzelne Tier auf Erden kümmern will. Mit Sicherheit eine
ziemlich anspruchsvolle Nummer. Aber ich hatte nur wenig
Gelegenheit, mich näher mit ihnen auseinanderzusetzen,
ehe die dunkle Zeit anbrach. Sie standen der Erde sehr viel
näher als dem Schöpfer, während bei mir das genaue Ge-
genteil der Fall war. Als wir schließlich gegen Gott aufbe-
gehrten, stellten sie die meisten Krieger in unseren Reihen
(und oftmals auch die wildesten). Nur die Engel des Funda-
ments waren ebensosehr an eine Existenz auf der irdischen
27

Ebene gewöhnt, aber niemand war mit Hader und Kampf
vertrauter als die Engel der Wildnis.
Das letzte Haus, das erschaffen wurde, war zugleich auch
jenes, das als letztes gebraucht wurde – das Haus der Zwei-
ten Welt. Diese Engel, deren genaue Anzahl stets ungewiß
war und deren Wirken häufig unbemerkt blieb, wurden
vom Stillen Seraphen angeführt. Die Tugend der Schatten,
der Thron der Ruhe … allesamt wenig heitere Gesellen. Im
Krieg taten sie stets sehr ernst und weise. Vor dem Fall hat-
te ich nichts mit ihnen zu tun gehabt, da ich ein Geschöpf
der Anfänge war und sie nun einmal die Engel des Todes.
Aber als wir uns erst einmal gegen Gott erhoben hatten
und Seite an Seite gegen die treuen Diener des Allmäch-
tigen kämpften … da kamen sie mir immer wie von einer
tiefen Traurigkeit erfüllt vor. Sie bedauerten die verpaßten
Gelegenheiten, ihrer wahren Bestimmung nachzukommen.
Es gab immer so viel für sie zu tun, aber nie schien es das
richtige zu sein ...
Dies also waren die sieben Häuser der Himmlischen
Heerscharen. Gemeinsam erschufen wir den Kosmos und
sorgten für seine Stabilität. Und gemeinsam trugen wir et-
was zum abschließenden und grundlegendsten Element bei,
das der Wirklichkeit noch fehlte. Auf Geheiß des Schöpfers
hin ließen wir einen Teil Seiner göttlichen Essenz in die
Wirklichkeit einfließen. Diese Essenz wurde in Geschöpfen
aufgefangen, die an Seiner statt über das Universum herr-
schen sollten, sobald die Zeit dafür gekommen war.
Eines muß dir klar sein: Wenn jemand sagt, der Mensch sei
nach Gottes Bilde geschaffen worden, so darf man das nicht
im Sinne von ‚zwei Beine, eine Nase und sieben Brustwirbel’
verstehen. Es ist nicht eure äußere Form, die nach Gottes
Bilde geschaffen worden ist, sondern eure Seele. Ihr tragt ei-
nen winzigen Teil jener Essenz in euch, die Gott dazu genutzt
hat, den gesamten Kosmos zu erschaffen. So mächtig wir
Elohim auch sein mögen, so fehlt uns doch dieser Funke. Ihr
seid Seine wahren Kinder, und euer heiliges Wesen fließt in
eurem Blut, flackert in euren Empfindungen auf und erklingt
in euren schöpferischen Gedanken.
Wir vom Haus des Morgenrots trugen Seinen Funken,
die Engel des Fundaments bauten ein Behältnis für ihn,
und die Schutzengel woben seine Teile zusammen, auf daß
sie als Ganzes Wirkung zeigen konnten. Von den Ozeani-
den stammt eure kostbare Gabe, Informationen aufzuneh-
men und weiterzugeben – die Fähigkeit, einen Gedanken
zu fassen und diesem Gedanken Ausdruck zu verleihen,
und eure Fähigkeit, Eigenschaften an eure Kinder weiter-
zugeben. Die Parzen schenkten euch eine Vorstellung vom
Wesen der Zeit, die Dauerhaftigkeit der Erinnerungen und
das Potential zum Planen und Vorausdenken. Die Engel der
Wildnis gaben euch Instinkte und Sinnesempfindungen,
um euch enger an die stoffliche Welt zu binden. Der letzte
Schliff wurde euch von den Engeln des Hauses der Zweiten
Welt verliehen: die körperliche Erneuerung der Mensch-
heit, eure Befähigung, euch zu verändern und zu wachsen
– und sich wenn nötig von Verletzungen zu erholen.
Die Menschheit war unsere herrlichste, beste und letzte
Schöpfung. Wir erschufen euch nach unserem besten Wis-
sen und unter Einsatz der größten Gaben unseres Geistes.
Selbst der Schöpfer bewunderte euch, doch Er gab uns
28
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
noch zwei letzte Befehle, ehe er den Schutzengeln gestat-
tete, euch Leben einzuhauchen.
Zunächst trug Er uns auf, euch zu lieben, und unsere
Liebe zu euch sollte ebenso groß sein wie unsere Liebe zum
Schöpfer selbst.
Viele wunderten sich über diesen Befehl – nicht, weil sie
sich ihm widersetzen wollten, sondern weil sie sich fragten,
weshalb er überhaupt nötig gewesen war. Da wir euch unter
größten Mühen als unser Meisterstück erschaffen hatten,
liebten wir euch bereits so sehr, wie Eltern ihre Kinder ge-
meinhin lieben. Damals fiel der Konsens unter uns so aus,
daß der Allmächtige uns das schlechte Gewissen nehmen
wollte, Ihn nicht noch mehr zu lieben als euch. Daher hiel-
ten wir diesen ersten Befehl auch für so gut wie überflüssig.
Der zweite hingegen fiel weitaus weniger simpel aus.
Trotz unserer Liebe zu euch wurde uns befohlen, uns vor
euch verborgen zu halten. Wir sollten uns nie von euch in
irgendeiner Weise sehen, hören oder spüren lassen. Kei-
nerlei Kontakt. Keine Botschaften. Keine Stimmen oder
Gesten, nicht einmal den kleinsten Hinweis auf unsere
Existenz. Obwohl sie stets von liebevollen Beschützern
von nahezu grenzenloser Macht umgeben war, sollte die
Menschheit glauben, sie sei allein.
Verstehst du? Hast du den Witz kapiert? Ihr, für die der
Kosmos geschaffen worden war, ihr, auf deren Bitten und
Anweisungen Scharen von Engeln sehnsüchtigst warteten
– ihr solltet denken, ihr wärt in einem teilnahmslosen und
mechanischen Universum ganz allein.“
Als sein Gast innehielt, beugte sich Matthew vor. „Du
meinst, überall um uns herum sind in diesem Augenblick
Engel?“ fragte er.
Der Dämon lehnte sich zurück und seufzte. „Nein,
Matthew. Sie sind alle fort.“
„Fort?“
„Oder irgendwo versteckt, wo ich sie nicht finden kann.
Aber ich befürchte, daß sie einfach … fort sind.“
Sie schwiegen eine Zeitlang. Dann sagte Matthew: „Wenn
es dich nicht stört, werde ich ein wenig Kaffee machen.
Möchtest du auch welchen?“
DAS PARADIES
Während sich Matthew um den Kaffee kümmerte, war
Noah zur Toilette gegangen. Nachdem sie sich wieder in
ihre Sessel gesetzt hatten, runzelte Matthew die Stirn und
stellte eine Frage.
„Wie sah das Paradies aus?“
Noah faltete die Hände und dachte nach.
„Du bringst nicht die notwendigen Voraussetzungen mit,
um es zu begreifen“, sagte er schließlich. „Ich meine das nicht
als Beleidigung. Die Welt damals war grundlegend anders als
heute. Sie war … komplexer. Vielschichtiger. Sie besaß Exi-
stenzebenen, die heute einfach nicht mehr existieren.“
„Existenzebenen?“
„Ja … sieh dir zum Beispiel den Kaffee an, den wir gerade
trinken. Es ist nur Kaffee, richtig? Nichts weiter, oder?“
„Ich schätze nein.“
„In der unbefleckten Welt hätte dieser Kaffee gleichzeitig
als Lied oder ästhetische Idee oder sogar vernunftbegabtes,
KAPITEL EINS
hilfsbereites Wesen existieren können. Auf unterschiedli-
chen Existenzebenen hätte er unterschiedliche Dinge sein
können, die allesamt gleichermaßen wirklich und einander
ähnlich, aber letzten Endes doch voneinander unterscheid-
bar gewesen wären – obwohl man sie alle gleichzeitig hätte
erfahren können.“ Als er Matthews Gesichtsausdruck be-
merkte, fuhr er rasch fort.
„Ich werde dir ein etwas anschaulicheres Beispiel geben.
Die ersten Menschen: Waren das Adam und Eva, ein Mann
und eine Frau, oder waren es die hochentwickelten Nach-
fahren von Affen?“
„Sie waren ein Mann und eine Frau, so wie es in der
Bibel steht.“
„Korrekt. Aber sie waren auch zur gleichen Zeit eine
ganze Horde von Affennachfahren. Auf einer Ebene wurde
das Universum in sieben Tagen erschaffen, aber die gleiche
Zeitspanne waren Milliarden von Jahren auf einer anderen
Ebene.
Oder denk einmal an die Engel des Firmaments. Auf man-
chen Ebenen der Wirklichkeit gaben sie den Lebensodem
des Schöpfers auf rein wissenschaftliche Art und Weise wei-
ter – sie waren, und das meine ich genau so, wie ich es sage,
sie waren jener Prozeß, in dessen Ablauf Sonnenlicht auf ein-
fache Kohlenstoffmoleküle fiel und sie dazu anregte, zuneh-
mend komplexere Formen anzunehmen, bis sie schließlich
zu organischen Molekülen wurden. Aus organischen Mole-
külen wurden primitive Einzeller. Aus primitiven Einzellern
wurden Tiere mit spezialisierten Zellen. Und so weiter und
so fort, über Hunde und Katzen bis hin zum Menschen. Aber
zum selben Zeitpunkt beugten sich die Engel des Firmaments
über die Mäuler und Münder neugeformter Geschöpfe aller
Gattungen und hauchten ihnen Leben ein.“
„Sprichst du von Metaphorik?“
Gaviel gluckste. „Nein, noch nicht. Jedenfalls konnten
diese scheinbar zueinander im Widerspruch stehenden Ge-
schehnisse im jungen Kosmos tatsächlich noch gleichzeitig
wahr sein. Für dich ergibt das nur deshalb keinen Sinn, weil
du diese Welt, die Welt der Singularität, gewohnt bist. Aber
wenn ihr Menschen endlich einmal die Vorstellung einer
Welt der Vielschichtigkeit akzeptieren könntet, würde es
euch eine Menge Probleme ersparen, die ihr mit dem Glau-
ben, Wundern und dem göttlichen Baumeister habt –“
„Ich habe keine Probleme mit meinem Glauben.“
„Kein einziges? Das solltest du aber. Kann ein allmächti-
ges Wesen einen Felsen erschaffen, der so schwer ist, daß
es ihn nicht mehr anheben kann?“
Matthew wischte diesen Gedanken mit einer gereizten
Handbewegung beiseite. „Oh, es geht schon wieder los …
Versuchst du erneut, an den Grundfesten meines Glaubens
zu rütteln? Dazu wird es etwas mehr brauchen als diese alte,
abgedroschene Geschichte.“
„Ich versuche keineswegs irgend etwas anzugreifen, son-
dern ich will dir nur etwas klar machen. Wenn Gott einen
Felsen erschaffen kann, der so schwer ist, daß Er ihn nicht
anheben kann, dann ist Seine Macht nicht grenzenlos: Sie
reicht nicht einmal aus, um besagten Felsen anzuheben.
Aber wenn Er keinen Felsen erschaffen kann, der zu schwer
wäre, als daß Er ihn anheben könnte, dann ist Seine Macht
ebenfalls nicht grenzenlos: Sie reicht nicht aus, um den
Felsen zu erschaffen. Auf solche Probleme stößt man nur in
der Welt der Singularität. In der Welt der Vielschichtigkeit
lösen sich solche scheinbaren Widersprüche einfach auf.
Das Paradies bestand aus zahlreichen Schichten unter-
schiedlichster zueinander in Beziehung stehender Wirk-
lichkeiten – jede einzelne für sich offenbarte etwas über die
anderen, zeigte sie aus einer anderen Perspektive oder bot
gänzlich neue Freuden und Erfahrungen. Zumindest war es
anfangs so gedacht.“ Er seufzte.
„Du meinst, all diese unterschiedlichen Schichten der
Wirklichkeit reichten immer noch nicht aus?“
„Das Paradies war unermeßlich viel reiner und erfüllender
als diese Wirklichkeit. Verglichen mit dem Paradies ist diese
Welt die Hölle. Aber der Fairneß halber muß man sagen, daß
diese Welt verglichen mit der Hölle das Paradies ist.“
„Die Hölle hat keine dieser Schichten?“
Gaviel nickte.
„Die Hölle ist sehr nahe daran, überhaupt nichts zu sein.
Eine nahezu vollkommene Leere, die nur deshalb nicht
vollkommen ist, da wir uns ihrer Existenz bewußt sind und
die Fähigkeit besitzen, die Zurückweisung durch unseren
Schöpfer zu spüren.“ Unbewußt hob Noah die Hände, um
sich die Schultern und Oberarme zu reiben, als fröstelte
ihm plötzlich. Die Geste wirkte seltsam anrührend, und
Matthew fragte sich, ob der Dämon sie nur seinetwegen
gemacht hatte.
„Die Hölle ist die Zersetzung von Liebe, Reverend. Kein
Feuer und Schwefel, keine Forken und Schlangen. Binnen
hundert Jahren könnte sich jeder an eine dermaßen einfa-
che Empfindung gewöhnen. Aber vollkommene Fühllosig-
keit – das ist eine Folter, deren Qualen niemals nachlassen.
Nach den ersten zehn Minuten kommt es einem so vor, als
würde man sie schon zehntausend Jahre erdulden. Man
existiert einsam und allein vor sich hin, und die einzige
Gesellschaft, die man hat, ist die sichere Gewißheit, buch-
stäblich gottverlassen zu sein. Man sitzt in Seinem Haß fest,
und man spürt, wie alles in einem selbst ebenfalls zu Haß
wird, und es gibt keine Hoffnung auf ein Ende des Leids. Es
gibt nur einen selbst und die eigene Liebe, die beide immer
mehr verdreht und in ihr Gegenteil verkehrt werden.“
Noahs hübsches Gesicht war erschreckend ausdruckslos
geworden. „Wir reden immer davon, aus der Wirklichkeit
verbannt worden zu sein … aber eigentlich war es eher so,
daß wir von ihr ausgeschieden wurden wie Unrat. Ausgesto-
ßen, verlassen und verachtet.“ Seine Nasenflügel bebten und
sein Blick schien starr auf ein bitteres Erlebnis irgendwo in
der fernen Vergangenheit gerichtet. Dann hob er die Augen-
brauen, richtete sich auf und lächelte Matthew an. „Aber wir
sprachen über den Garten Eden, nicht über den Abgrund.“
DIE VERBOTENE FRUCHT
„Wenn das Paradies so perfekt war, warum hat die
Menschheit dann aufbegehrt? Und wo wir schon gerade
dabei sind: Warum habt ihr es getan?“
„Weil die Menschheit blind war, Reverend. Die Bibel
nennt es zwar lieber unschuldig, aber Tatsache war, daß
man sie sich selbst und der Welt gegenüber dumm und
unwissend hielt. Der göttliche Plan sah vor, den Menschen
alles zukommen zu lassen, was sie je brauchen mochten …
29

mit Ausnahme der Befähigung überhaupt zu erkennen, wie
glücklich ihr Los doch war.“
Matthew legte den Kopf schief. „Irgendwie habe ich das
Gefühl, daß du nicht ganz ehrlich zu mir bist.“
Noah schlug hart mit der flachen Hand auf den Beistell-
tisch neben sich. „Wenn du mir schon etwas vorzuwerfen
hast, warum sprichst du es nicht einfach aus? Glaubst du
vielleicht, es würde mir Spaß machen, die ganze Geschich-
te meiner größten Tragödie jemandem zu erzählen, der
denkt, ich hätte irgendwie seinen Sohn entführt? Meinst
du, es würde mir irgendein perverses Vergnügen bereiten,
wenn ich davon erzähle, wie ich zuschauen mußte, wie
meine Freunde starben, wie ich zuschauen mußte, wie die
Menschheit, die ich so sehr liebte, litt, wie ich zuschauen
mußte, wie die Wirklichkeit selbst dahinsiechte und nach
und nach zerfiel?“
Matthew begegnete seinem Blick, und es war, als ob Fun-
ken zwischen ihnen sprühten. „Ich kann nur nicht glauben,
daß die Menschen, die von Gott – oder wie du steif und fest
behauptest von den Engeln – erschaffen worden waren,
einen dermaßen großen Makel besessen haben sollen. Ich
kann nicht glauben, daß die Menschen im Garten Eden
unglücklich waren – es sei denn, du und deine ‚Elohim’
hätten sie unglücklich gemacht.“
„Du glaubst, Adam und Eva wären glücklich gewesen?“
Gaviel zuckte die Achseln. „Vielleicht so glücklich wie ein
Hund glücklich ist, wenn er mit dem Schwanz wedelt, oder
so glücklich wie ein Schwein, wenn es sich im Schlamm
suhlt. Sie konnten körperliche Freude erfahren, aber –
mehr noch als einem gewissen Geistlichen, den ich an die-
ser Stelle zum Vergleich heranziehen könnte – mangelte es
30
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
ihnen an Erkenntnis. Ein wunderschöner Sonnenuntergang
bedeutete und sagte ihnen nichts, außer daß die Nacht bald
anbrechen würde. Selbst ihre eigene Schönheit – und sie
waren das Sinnbild menschlicher Schönheit, Matthew –
nahmen sie schlicht und ergreifend nicht wahr. Die Freude
eines vollen Magens und warmer Füße, das waren die eng-
abgesteckten Grenzen ihres geistigen Horizonts.“
„Also waren sie unschuldig. Wie Kinder.“
„Wohl eher so unschuldig wie Tauben. So unschuldig wie
eine Ratte, die sich durch deinen Müll wühlt. Nur besaßen
diese Tauben das Potential, um Dichter, Gelehrte, Bildhauer
und Komponisten zu sein. Wir versuchten, ihnen ihr Poten-
tial aufzuzeigen. Wir versuchten, sie soweit anzuleiten, wie
es uns möglich war. Aber das war eben nicht sonderlich weit.
Ein Engel des Fundaments konnte die Erde für sie auftun, um
ihnen eine Ader aus Diamanten und Gold zu offenbaren,
doch die ersten Menschen kratzten sich nur am Kopf und
zogen weiter. Und du denkst, wir hätten sie unglücklich
gemacht? Ein Geist des Windes – ich kannte ihn, und sein
Name würde in deinen Ohren wie ‚Raphael’ klingen – legte
sich einen ausgeklügelten Plan zurecht, um ihnen ein Lied
vortragen zu können. Er mußte zwischen Hunderten von
Facetten des Seins hin und her jagen – den ‚Schichten der
Wirklichkeit’, von denen ich dir berichtet habe –, um seinen
Plan mit Hilfe von Engeln aus anderen Häusern in die Tat
umzusetzen. Ein Cherub der Sphären sagte ihm, wann das
Schicksal sein auserwähltes Publikum durch ein bestimmtes
windiges Tal führen würde. Engel des Fundaments halfen
ihm dabei, die Felswände des Tals gerade so weit aufzubre-
chen, daß der Wind in ihnen widerhallen konnte wie der
Klang von Harfensaiten. Bäume wurden so plaziert, daß ihre
KAPITEL EINS
Äste in harmonischem Einklang knarrten, während Vögel
dazu verlockt wurden, sich auf den Ästen niederzulassen
und die hohen Töne für das Lied beizusteuern. Selbst der
Lauf des Baches, der durch das Tal floß, wurde in die richti-
ge Form gebracht, um das Plätschern des Wassers den Takt
für das Lied vorgeben zu lassen … Raphael schuftete eine
halbe Ewigkeit, um deinen Vorfahren zehn Minuten Musik
zu schenken, die liebevoll aus den Geräuschen der Natur
zusammengesetzt war. Weißt du, was passiert ist?“
„Was?“
„Adam fing und aß einen der Vögel, während Eva die
Bäume nach Früchten absuchte. Und das war auch schon
der Gesamtumfang ihrer Reaktionen auf das dargebotene
Schauspiel.“
„Hm. Das ist schon eine tragische Geschichte. Aber
wenn die Menschheit so ignorant war, warum hat sich Ra-
phael dann überhaupt daran gestört und sich eine solche
Mühe für sie gemacht?“
„Liegt das nicht auf der Hand? Er tat es, weil er die Men-
schen liebte. Er tat es, weil er sich ihnen nicht selbst zeigen
und für sie spielen konnte. Vergiß nicht: Sie durften nicht
erfahren, daß sie beschützt wurden. Sie durften nicht wissen,
daß sie ständig beobachtet wurden. Sie durften nicht mer-
ken, daß die Segnungen, die sie erhielten, Ausdruck ihrer
Gabe der Vernunft und der Vorausschau waren, und keines-
wegs das Resultat ... zufälliger Ereignisse. Wir bewegten uns
ungesehen unter ihnen, und sie zogen durch die gesamte
Welt und nahmen doch nur den kleinsten Bruchteil dessen
wahr, was in ihr vor sich ging. So gesehen waren sie nicht
‚unglücklich’, aber wir konnten sehen, daß sie nicht vollkom-
men waren. Sie waren noch nicht fertig, noch nicht ganz.“
„Also habt ihr euch der Aufgabe angenommen, uns ‚ganz’
zu machen.“
„Würdest du das denn nicht auch? Du hast deinen Sohn
geliebt – und ganz gleich, wie wütend er auf dich war, zwei-
felte er auch nie an deiner Liebe zu ihm. Was hättest du
dazu gesagt, wenn seine Mutter versucht hätte, ihn nicht
in die Schule gehen zu lassen? Wenn sie gesagt hätte: ‚Er
ist als unser kleines Baby doch so glücklich. Warum sollten
wir ihn dann erwachsen werden lassen?’“
„Das läßt sich doch wohl kaum miteinander vergleichen.“
„Das läßt sich hundertprozentig miteinander vergleichen!
Warum gestattete der wohlmeinende Schöpfer den Men-
schen keine höhere Vernunft? Wir haben uns diese Frage
auch oft genug selbst gestellt, so viel kannst du mir glau-
ben. Einige der Seraphim gingen sogar so weit, Ihn zu fra-
gen. Seine Antwort war nicht gerade hilfreich. ‚Wenn Euer
Wissen wie mein Wissen ist, so kommt zu mir und seht
wie ich sehe.’ Einige sehr mutige Engel nahmen Ihn beim
Wort. Man sah und hörte nie wieder etwas von ihnen – und
glaube mir, in jenen Tagen wußten wir noch, wie wir nach
unseresgleichen zu suchen hatten. Gott hat sie wahrschein-
lich zur Strafe für ihre Hybris ausgelöscht.“
„Man möchte kaum glauben, daß Gott so boshaft sein
kann“, sagte Matthew. Dann verrollte er die Augen. „Aber
vielleicht kannst du es ja doch. Ich kaufe dir das jedenfalls
nicht ab.“
„Ach, und du hast also – Tausende von Jahren nach diesem
Ereignis – eine bessere Erklärung für ihr Verschwinden?“
Matthew zuckte die Achseln. „Vielleicht waren Seine
Beweggründe so komplex, daß nur Er sie verstehen konnte.
Vielleicht mußte jeder, der sie auch verstehen wollte, eins
mit Ihm werden.“
Gaviel zuckte ebenfalls die Achseln. „Apotheose? Ver-
nichtung? Wie beim Schicksal, das die Sterblichen erwar-
tet, könnten sie für einen außenstehenden Betrachter wie
ein und dasselbe erscheinen.
Das war unser Dilemma, Reverend. Wir konnten die
Wunder der Welt in all ihrer immerwährenden Herrlichkeit
sehen. Wir wußten, daß der Mensch die Krone der Schöp-
fung auf dieser Welt war – der Schlußstein, das Kronjuwel,
das wunderbarste aller Wunder. Ihr wart wahrhaftig die Kin-
der eures Vaters. Und das in einer Weise, wie selbst wir es nie
waren. Ihr wart dazu ausersehen, einst so zu werden wie Er
und zu erschaffen, wie Er erschuf. Ihr wart die Sonne, um die
sich die ganze Welt drehte. Und trotzdem wart ihr mit einem
Makel behaftet – einem Makel, der sich scheinbar schon
bei eurer Erschaffung eingeschlichen hatte, und es war euer
Schicksal, auf ewig makelbehaftet zu bleiben.“
Matthew blieb einen Moment reglos sitzen. Er nahm
einen Schluck von seinem Kaffee, um seine Verwirrung zu
überspielen.
„Was war der Makel der Menschheit? Wenn ich dich
richtig verstanden habe, hatten wir Menschen ja noch
nicht die Erbsünde begangen, oder?“
„Zu dem Zeitpunkt war es der Menschheit unmöglich,
sich zu versündigen, genauso wenig, wie ihr moralische
Maßstäbe an das Treiben einer Libelle oder eines Koalabä-
ren anlegen würdet. Ihr wart zwar die am höchsten entwik-
kelten Tiere, aber ihr wart eben immer noch nur Tiere.
Uns allen in den Himmlischen Heerscharen war klar, daß
ihr zu Höherem bestimmt wart – daß die ganze Welt nur für
euch geschaffen worden war –, und trotzdem wart ihr nicht
in der Lage, dieses Potential auszuschöpfen. Ihr konntet
nie wahre Erkenntnis gewinnen, ganz gleich, wie sehr wir
auch versuchten, euch dazu anzuleiten und anzuregen.“
Er zog seine Stirn kraus, als er sagte: „Wir haben es wieder
und wieder versucht, und ihr habt es einfach nicht begriffen.
Aber aufgrund des uns gegebenen Befehls, uns nicht offen
in eure Belange einzumischen, konnten wir euch nicht
einfach Selbsterkenntnis schenken.
Was konnten wir nur dagegen tun? Wir mußten mit
ansehen, wie ihr unter eurer Ignoranz und Unwissenheit
zu leiden hattet – selbst in eurem damaligen, primitiven
Daseinszustand konntet ihr zumindest begreifen, wie sehr
euer Schöpfer enttäuscht davon war, Tag für Tag auf jene
entscheidende Weiterentwicklung zu warten, die nie in
euch einsetzte. Und Tag für Tag spiegelte sich euer Leid in
uns wider, und es wuchs und wuchs, bis es eines Tages nicht
mehr zu ertragen war.“
DER GROSSE DISPUT
„Die eigentliche Wurzel unserer Rebellion lag bei einem
gelehrten Engel, den wir fortan Ahrimal nennen können.
Er und sein Haus studierten den Lauf der Sphären, und
sie waren äußerst fasziniert von dem Effekt, den die Exi-
stenz der Menschheit auf den Kosmos ausübte. Ohne die
31

Menschheit war das Paradies oberflächlich betrachtet zwar
perfekt, zugleich jedoch vollkommen starr und ohne jede
Möglichkeit zur Veränderung. Die Menschheit brachte einen
Faktor des Chaos und der Ungewißheit in eine Welt ein, die
ansonsten so berechenbar gewesen wäre wie die Verfallszeit
eines Atoms. Die Parzen zeigten großes Interesse an diesem
Sachverhalt und versuchten, die tiefergehenden und kom-
plexeren Muster zu begreifen, die die Menschheit durch
ihren freien Willen in das Geflecht des Universums webte.
Es war ebendieser Ahrimal – der selbst keinen allzu ho-
hen Rang in der himmlischen Hierarchie innehatte –, der
als erster einen Knoten in den Mustern entdeckte, der von
großer Zerstörungskraft und Aufruhr kündete. Zwar war
er erst am Horizont der zukünftigen, noch nicht eingetre-
tenen Ereignisse aufgezogen, doch mit jedem Tag wurde
der Knoten größer und finsterer. Zweifelsohne hatte die
Menschheit irgendeine tragende Rolle in dieser drohenden
Tragödie zu spielen.
Verstört und besorgt berichtete Ahrimal seinen Oberen,
was er vorhergesehen hatte, doch sie sagten ihm nur, er solle
die Ruhe bewahren und keine Angst haben. Als er ihnen den
Knoten zeigte, erklärten sie ihm einfach, es handle sich dabei
lediglich um eine Anomalie, ein Potential des Bösen, das not-
wendig war, um als Ausgleich für den derzeitigen Zustand des
vollkommenen Guten zu dienen. Mit Sicherheit (so sagten
sie ihm) würde der Schöpfer niemals zulassen, daß Seine
Schöpfung in solch trügerischen Untiefen unterging. Sie
schlugen Ahrimals Warnungen in den Wind, vergaßen sie
und gingen wieder ihren eigenen Angelegenheiten nach.
Ahrimal konnte sich nicht so leicht zufriedengeben. Da
sein eigenes Haus seine Bedenken als haltlos abgetan hatte,
rief er Freunde und Kollegen aus den anderen Häusern zu
sich. Ohne den Hauch einer Ahnung, wie groß Ahrimals
Beklemmung war, erschienen sie in seiner Zuflucht auf
dem Mond. Seine besorgte Miene ließ sie jedoch schon
bald erahnen, daß er etwas auf dem Herzen trug. Er zog
sich mit ihnen in eine abgedunkelte Kammer zurück, wo er
ihnen von seiner Vision berichtete und ihnen überdies die
Beweise für das bevorstehende Verhängnis zeigte.
‚Meine Freunde’, flüsterte er. ‚Was können wir nur dage-
gen tun?’
Der erste, der das Wort ergriff, war Belial, die Tugend der
Unergründlichen Tiefen. Er trug ein strahlendes Gewand
aus Schuppen in den Farben der See, und seine Stimme
trug den Donner eines kalbenden Gletschers in sich, ver-
mählt mit dem zarten Seufzen einer Welle, die das Gestade
küßt. Keiner aus unseren Reihen besaß ein tieferes Ver-
ständnis für die Schönheit, und keiner aus unseren Reihen
fand mehr Freude an der Kunst der Welt … und folglich litt
keiner aus unseren Reihen schlimmer unter dem, was der
Menschheit abging.
‚Ich bin erschüttert und erstaunt zugleich, daß der weise
Rat der Parzen diese Angelegenheit so einfach abtut. Unser
Freund hat uns gezeigt, daß eine Zeit herannaht, da die
Stimme der Schönheit zum Schweigen gebracht und die
Freude am künstlerischen Schaffen in die Mißgestalt der
Falschheit und Täuschung verkehrt werden wird. Ist es da
ein Akt der Liebe, die Hände in den Schoß zu legen, wäh-
rend dies geschieht? Wir können doch nicht Unwissenheit
32
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
vortäuschen, während dieses große Unheil am Horizont
stetig näher heranrückt. Wir müssen handeln.’
‚Aber welcher Art sollten unsere Handlungen sein?’
Dieser Einwand wurde von Usiel, dem Thron des Ent-
zweiten ausgesprochen, einem mächtigen Engel der Zwei-
ten Welt. Wie viele andere Engel seines Hauses war er stets
abwesend, selbst wenn er zugegen war. An den Umrissen
seines Leibes endete ein jeder Lichtstrahl, als sei er von der
allerschärfsten Klinge durchtrennt worden, und wo sein
Schatten hinfiel, wurde die Welt des Todes sichtbar.
‚Unsere Befehle sind eindeutig: Ein Eingreifen ist uns ver-
boten. Die Frau und der Mann müssen ihren eigenen Weg
gehen.’ Er wandte sich zu Ahrimal und sprach ihn an. ‚Du
magst glauben, daß dein Blick am weitesten reicht, und dies
trifft für die Dinge in dieser Welt durchaus zu, aber dein
Blick reicht nicht über die Grenzen meines Reiches. Und
ich befürchte, dort wird es auch sein, wo dieser kommende
Aufruhr ein Ende finden wird.’
‚Wirklich?’
Dieser Zwischenruf kam nicht von Ahrimal, sondern wur-
de vom duftenden Atem Lailahs der Verteidigerin getragen,
einem Engel des Firmaments. Dieser lebhafte Geist hatte für
den Disput eine gestaltlose Gestalt angenommen, und durch
die Linse ihres Wesens betrachtet wirkte jeder Bogen der
Kammer im Mondschloß prächtiger und jede ihrer Wände
wahrhaftiger. Selbst die Schönheit des liebreizenden Belials
wurde noch erhöht, wenn man sie durch Lailahs Augen
sah. In ihrer Gegenwart schien die Gefahr der Uneinigkeit
zu schwinden. ‚Womöglich ist die Zweite Welt wirklich der
Schlüssel. In dieser am besten geordneten Welt stellt das Un-
heil unter Umständen gar keine Gefahr dar. Vielleicht ist der
Eintritt in dein Reich die wahre Bestimmung der Menschen.
Vielleicht ist dies das fehlende Element – der Stolperstein,
der sie davon abhält, ihr wahres Potential zu erreichen.’
‚Du sprichst von Dingen, von denen du nichts weißt’,
erwiderte Usiel. ‚So sehr es mir auch gefallen würde, die
Menschheit so sehr zu lieben wie du und deinesgleichen,
so wage ich es dennoch nicht, dieses Risiko einzugehen.
Sollen wir die Menschen etwa nur der Aussagekraft eines
‚Vielleichts’ wegen in den Tod stürzen? Vielleicht wird der
Tod die Menschheit nur all ihrer Möglichkeiten berauben
und sie auf ewig ungenutzt lassen. Vielleicht wird die Sterb-
lichkeit der Menschen beide Welten in ihren Grundfesten
erschüttern oder sie sogar in zwei voneinander getrennte
Welten auseinanderreißen!’
Was dies anging, sollte sich Usiel als ein mindestens eben-
so begabter Prophet wie Ahrimal herausstellen, aber zu je-
nem Zeitpunkt schien er lediglich ängstlich und keineswegs
weise zu sein. Wir dachten, kein Leid könnte größer sein als
die in Ketten gelegte Liebe, die wir empfanden.
Wir irrten uns.
‚Wenn ich mir diese Welt ansehe, die wir erbaut haben,
und wenn ich mir die Menschheit betrachte, die wir so
liebevoll gefertigt haben, dann kann ich nur zwei Elemente
sehen, die ihrer beider Vollkommenheit schmälern’, sprach
Belial. ‚Das eine ist die Quelle unseres fortwährenden Ver-
drusses: die Unfähigkeit der Menschheit, ihr wahres Poten-
tial auszuschöpfen. Obwohl es im Rahmen ihrer Möglich-
keiten läge, scheitern sie Tag für Tag daran, es zu begreifen.
KAPITEL EINS
Dies bereitet jedem von uns, vom niedersten Engel bis zum
mächtigsten Seraphen, große Pein. Und nun bringt Ahri-
mal uns Kunde von einem bevorstehenden Grauen und
einem Scheitern der gesamten Welt. Können diese zwei
Betrübnisse wirklich unabhängig voneinander sein? Oder
ist es nicht wahrscheinlicher, daß der baldige Untergang
der Welt mit dem Leiden und Scheitern von Adam und
Eva zusammenhängt?’
‚Du kannst unmöglich andeuten wollen, daß den ersten
Mann und die erste Frau die Schuld in dieser Angelegen-
heit trifft.’ Lailahs Entsetzen war ein eisiger Windstoß und
ein Augenblick, in dem die Schönheit, die sie brachte,
getrübt wurde.
‚Schuld? Nein’, erwiderte Belial. ‚Aber in welchem an-
deren Aspekt des Kosmos können wir sonst noch einen
Makel finden? Die Gestirne laufen in den für sie vorgese-
henen Bahnen. Die Gezeiten des Ozeans kommen stetig
und sanft. Generationen von Pflanzen und Tieren wachsen
heran und vergehen wieder. Nur die Menschheit erfüllt
nicht die Aufgabe, die ihr angedacht war.’
‚In der Tat’, sprach Ahrimal. ‚Was sonst könnte den gro-
ßen Plan in eine solche Unordnung bringen? Kein Fisch,
kein Vogel, kein Stern am Himmelszelt ist von solcher Be-
deutung, daß er die Verwüstung der ganzen Welt auslösen
könnte. Belial hat recht: Adam und Eva sind zwar unschul-
dig, aber sie sind dennoch irgendwie Teil der Ursache des
Problems, vor dem wir stehen.’
Usiel zuckte die Achseln. ‚Wenn das drohende Unheil
eine Folge ihrer mißlichen Lage ist, was können wir dann
dagegen tun? Wir können den Befehl, uns nicht in ihre
Belange einzumischen, nicht einfach mißachten.’
‚Die mißliche Lage der Menschheit rührt uns alle, da
doch ein jeder von uns eine große Liebe zu ihr hegt’, erwi-
derte Belial. ‚Ihre Hilflosigkeit ist zu unserer Hilflosigkeit
geworden. Sie sind nichts weiter als ein Schatten ihres
eigentlichen Potentials, während es uns verboten ist, ihnen
im vollen Ausmaß unserer Kräfte dienen zu dürfen. Ihre
Unwissenheit hält sie klein und hindert sie daran, sich ihrer
wahren Macht bewußt zu werden. Wir sind gefangen, und
doch sind es keine unsichtbaren Mauern, die uns gefangen-
halten, sondern der unmißverständliche und unumstößli-
che Befehl unseres Schöpfers. Solange Adam und Eva wei-
ter so durch ihre Existenz humpeln, wird keiner der Elohim
wahrhaft frei, wahrhaft zufrieden und wahrhaft fähig sein,
seiner Pflicht des Dienstes und der Verehrung nachzukom-
men. Solange die Menschheit unvollkommen bleibt, bleibt
auch der Rest des Universums unvollkommen.
Ich schaffe Schönheit und schenke Wunder, aber alles
von mir Geschaffene ist wie toter Staub, solange es von
keinem Auge gesehen und von keinem Ohr gehört wer-
den kann. Kann es denn wirklich der Wille unseres Herrn
sein, in ebenjenen Taten, für die wir geschaffen wurden,
behindert zu werden? Gewiß nicht, und dies zu behaupten,
hieße Ihm Grausamkeit zuzuschreiben. Ihm, dessen Güte
und Gnade so weit reicht, uns allesamt und diese Welt der
Wunder um uns herum erschaffen zu haben.’
‚Wir alle sehnen uns nach dem Tag, an dem die Mensch-
heit ihr wahres Potential entdeckt’, sprach Usiel. ‚Aber wie
können wir sein Kommen beschleunigen?’
‚Genau das ist die Frage. Dies muß unsere Mission sein.’
Ahrimal stimmte dem zunächst zu, doch Usiel legte ein-
drücklich dar, wie ein jetziges Eingreifen in die Entwicklung
der Menschheit unvorhersehbare Nachwirkungen in der
Zukunft nach sich ziehen könnte, wodurch Ahrimal sich ge-
zwungen sah, ihm widerstrebend beizupflichten. ‚Aber’, fügte
die Parze schnell hinzu, ‚durch die Existenz der Menschheit
sind die festgesetzten Grenzen der Zukunft doch ohnehin
bereits verschwommen und unstet geworden. Vorausgesetzt,
wir könnten handeln, wie es uns beliebt, und wir könnten
unsere Gaben so freizügig verteilen, wie wir es uns immer ge-
wünscht haben, wer könnte dann schon beurteilen, ob dies
letztlich nicht zum Guten führt? Da uns doch die edelsten
aller Motive antreiben, könnte daraus doch gewiß nichts Üb-
les erwachsen. Kann Gutes Böses hervorbringen? Kann Liebe
zu Bosheit führen? Mit Sicherheit nicht, denn dann wäre das
Universum ja absurd und ohne jeglichen Sinn – und dies ist
eine Vorstellung, die so gotteslästerlich ist, daß ich gezögert
habe, sie überhaupt auszusprechen.’
‚Möglicherweise erlaubt es mir meine Aufgabe, die gro-
ßen Zusammenhänge klarer zu erkennen’, sprach Usiel.
‚Wenn es der Menschheit vorherbestimmt ist, aus sich
selbst heraus zu ihrer wahren Größe zu finden, dann kann
sie sicherlich keine unserer Handlungen davon abhalten
– es sei denn, wir greifen in das Vorherbestimmte ein. Wir
können nicht sehen, wie Gott sieht, und was uns wie Güte
erscheinen mag, könnte letzten Endes grausame Früchte
tragen. Wir können diese Schöpfung nicht in ihrer Gesamt-
heit betrachten, solange wir uns in ihr befinden, aber Er
steht außerhalb von ihr, und nichts bleibt Ihm verborgen.
Warum also sollten wir uns einmischen?’
Es war Belial, der ihm antwortete. ‚Du sprichst die Wahr-
heit, wenn du sagst, daß wir die Gesamtheit der Schöpfung
nicht sehen können, weil wir uns in ihr aufhalten. Aber
soll uns das davon abhalten, unserer größten und heiligsten
Pflicht nachzukommen? Dein Haus reagiert und antwortet
auf alles, was bereits existiert, doch andere Häuser sind da-
mit betraut, Neues zu erschaffen und diese Welt zu erwei-
tern. Deiner Ansicht nach sollten wir akzeptieren, daß alle
zukünftigen Ereignisse dem Willen des Schöpfers entspre-
chen, da sie ja nur den Dingen widerfahren, die Er selbst
geschaffen hat. Aber wenn deine Ansicht uneingeschränkt
richtig wäre, dann hätten wir nie die Sterne am Himmels-
zelt anbringen oder die Berge formen oder die Tiefen der
Meere ausheben dürfen. Statt dessen hätten wir sagen sol-
len ‚Wenn die Welt leblos ist, dann muß Leblosigkeit ihre
Bestimmung sein’ und ‚Wenn die Welt finster ist, dann muß
sie für die Finsternis geschaffen worden sein’. Ahrimal hat
uns von einer bevorstehenden Bedrohung berichtet. Woher
sollen wir wissen, daß ein Handeln unsererseits, das der
Abwendung der Bedrohung dient – ein Handeln, um der
Menschheit zu helfen und sie zu beschützen, ein Handeln,
nach dem jede Faser unseres Wesens schreit –, nicht unsere
Bestimmung ist? Vielleicht ist es ja so wie du sagst, und wir
schaden der Menschheit, wenn wir ihr zu früh helfen. Aber
besteht nicht auch die Möglichkeit, daß wir ihr schaden,
wenn wir ihr unsere Hilfe verwehren? Wenn man das eine
nicht mit Gewißheit sagen kann, so kann man auch das
andere nicht mit Gewißheit sagen.’
33

‚Die Liebe, die du zeigst, spricht für dich’, sprach Lailah
zu Belial. ‚Aber auch wenn Adam und Eva die Krone der
Schöpfung sind, so sind sie dennoch nur ein einziges ihrer
Elemente. Weder existieren sie unabhängig von der Welt,
noch bleibt die Welt von ihnen unberührt. Wenn wir sie
durch unser Handeln dazu bringen, ihr wahres Potential
zu erkennen und sie versagen – selbst wenn wir die besten
Absichten hegen und die edelsten Ziele damit verfolgen –,
worin wird dies dann enden? Usiel befürchtet, es könnte zu
einem Riß zwischen der Welt des Lebens und dem Jenseits
führen. Was, wenn auch noch weitere Facetten des Kosmos
erschüttert und in Mitleidenschaft gezogen würden? Unsere
Macht ist groß, und wenn wir versuchen, gegen die Welt
anzugehen, könnten wir der Welt dadurch Schaden zufügen.
Wenn wir versuchen, die Seele der Menschen zu formen,
könnten wir sie dadurch verdrehen und verzerren.’
‚Und nur weil diese Möglichkeit besteht, würdest du
dich lieber dafür entscheiden, nichts zu tun?’ fragte Belial.
‚Denkst du, daß wir – die Diener der Schöpfung, wir, die
wir sie erschaffen haben und mit ihrer Verteidigung betraut
sind – so ungeschickt, so unwissend und so töricht sein
könnten, um alles dem Untergang preiszugeben, was wir
geschaffen haben?’
‚Ich stelle lediglich fest, daß wir nur klar abgegrenzt zwi-
schen Handeln und Nichthandeln wählen können. Jede
unserer Entscheidungen, ganz gleich, wie klein oder groß
sie auch ausfallen mag, könnte der ausschlaggebende Aus-
löser sein, der zu ebenjener von uns allen gefürchteten
Zukunft führt. Unsere eigene Macht reicht nicht aus und
wird auch nie ausreichen, um Gewißheit zu erlangen. Wir
sind in der Tat an einem Punkt angelangt, an dem wir – und
nun verwende ich ein Bild, das deiner eigenen Erscheinung
gleichkommt – am Ufer eines tiefen Wassers stehen, das wir
nie gefahrlos überqueren können.
Aber es gibt noch einen dritten Weg für uns. So wie wir
Engel des Firmaments an jeden Ort fliegen können, an dem
einer unserer Schützlinge in Gefahr schwebt, so könnte
Gott uns von dem bedrohlichen Gestade hinwegheben.
Wir könnten nie mit Sicherheit wissen, ob unsere Entschei-
dung die richtige wäre, doch wir können auf Ihn vertrauen,
Ihn, der handelt, Ihn, den unbewegten Beweger, Ihn, der
außerhalb der Welt steht. Wenn Er mir gebietet, mich vor
unseren geliebten Menschen zu offenbaren, dann werde ich
dies mit unendlicher Erleichterung in meinem Herzen tun.
Doch wenn er mir befiehlt, weiterhin verborgen zu bleiben,
dann kann mich keine Macht dieser oder der nächsten
Welt dazu bringen, meinem Glauben zu entsagen.’
‚Wie weise dein Rat doch wäre, wenn wir nur wüßten,
was Sein Wille ist!’ rief Ahrimal. ‚Hätte ich Sein Wort des
Rückhalts, so würde ich gerne warten, bis die Sterne erlö-
schen. Aber Er spricht nicht zu uns!’
‚Wir haben immer die Gelegenheit zu sehen, wie Er sieht’,
sprach Usiel, doch in seiner Stimme klang Zweifel mit.
‚Ich für meinen Teil’, sprach Belial, ‚würde diese Gele-
genheit nutzen – aber was ist mit Haniel, was ist mit Injios,
was ist mit der Gewalt des Sommerwinds und dem Engel
des Ungesehenen Lichts? Sie gingen und sie sahen, und
nun sind sie nicht mehr! Nicht einer von ihnen – vom nie-
dersten Engel bis zum mächtigsten Thron – ist jemals zu-
34
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
rückgekehrt, um Gottes Wort zu verkünden, uns Hoffnung
zu schenken und uns Wissen angedeihen zu lassen! Haniel
war deine engste Vertraute, Usiel. Wo ist sie jetzt? Wenn
du ihren Namen aussprichst, ertönt kein Echo! Wenn du
sie danach fragst, was sie gesehen hat, bekommst du dann
eine Antwort?’
‚Womöglich ist es ihr untersagt, über das zu sprechen, was
sie gesehen hat’, antwortete Usiel, doch seine Worte waren
voll Gram, denn seine Liebe zu Haniel war groß gewesen,
und alle wußten, welchen Schmerz ihr Verlust seiner Seele
bereitet hatte.
‚Du weißt besser als jeder andere, wie unerschütterlich
ihre Treue war’, sprach Ahrimal. Sein Gesicht war eine
Maske des Mitleids, und sein Mitleid war zugleich auch
ein Hauch von Sternenwind und ein strahlender Meteori-
tenschauer. ‚Wenn es ihr verboten wäre, über ihr erlangtes
Wissen zu sprechen, dann würde sie es nicht verraten. Aber
sie schweigt nicht nur bezüglich des finsteren Schicksals,
das die Zukunft bringt. Ihr Licht am Himmel ist erloschen.
Ihr Lied an den Gestaden ist verstummt. Ich habe sie in
allen Gefilden der Zeit gesucht, doch ich habe sie nicht
gefunden. Belial hat in den tiefsten Tiefen nach ihr Aus-
schau gehalten und Michael hat jeden Winkel der Leere
zwischen den Sternen abgesucht, und doch hat sie bisher
niemand finden können. Weder der niederste Engel, noch
der mächtigste Cherub. Usiel, hast du dein Reich nach ihr
abgesucht?’
‚Sie ist nicht tot.’ Mehr vermochte Usiel nicht zu sagen.
‚Nicht tot und auch nicht lebendig, sondern einfach fort,
entrückt von allem, was wir kennen … dies ist das Schicksal
all jener, die danach streben, die letzte Wahrheit zu erfah-
ren. Das ist nichts für mich. Ich fürchte meine Auslöschung
nicht, aber ich habe Sorge um jeden Engel der Himm-
lischen Heerscharen, den wir durch die Zeit des Zorns,
die ich vorausgesehen habe, verlieren werden. Nein, es ist
keine Lösung, so zu sehen, wie Gott sieht, wenn der Schritt
aus dem Kosmos heraus, den man dafür unternehmen muß,
so groß ist, daß er eine Rückkehr unmöglich macht.’
‚Wie sehen dann unsere Möglichkeiten aus?’ wollte Lailah
wissen. ‚Heißt das, wir können hier bleiben, zum Handeln
bereit, ohne zu wissen, welches die richtige Entscheidung
ist, oder aber den großen Schritt tun, die Wahrheit erfahren
und unsere Macht verlieren?’
Gaviel hielt in seiner Erzählung inne und sah Matthew
an. „Wieviel weißt du über Quantenphysik?“
„Was?“
„Quantenphysik? Heisenbergs Unschärferelation?“
Als er die Verwirrung im Gesicht des Geistlichen sah,
zuckte Noah die Achseln. „Noah hätte nicht gedacht, daß
du etwas über Quantenmechanik weißt – und warum soll-
test du auch? –, aber wenn Du es tätest, hätte ich dir einige
Eindrücke über die feineren Nuancen in der Diskussion
zwischen Lailah und Ahrimal vermitteln können.“
„Ach so. Tja, es tut mir schrecklich leid, daß deine Aus-
führungen für mich armen, dummen Pfaffen zu hoch sind.“
Mit jedem Wort wurde sein Akzent breiter und breiter, bis
er schließlich die Parodie jedes beliebigen ungebildeten
schwarzen Arbeiters war, wie man ihn jahrzehntelang in
jedem Hollywoodfilm hatte hören können.
KAPITEL EINS
„Stell dich nicht so an, Matthew. Du weißt doch, daß wir
Nigger hier unter uns sind.“ Gaviels Worte waren ruhig, klar
und wohl artikuliert. „Die Quantenmechanik ist ein Bereich
der Physik, der subatomare Teilchen und deren Verhalten
untersucht. Eine der grundlegendsten Schwierigkeiten, vor
denen man bei dieser Disziplin steht, ist in vielen Fällen
die folgende: Wenn man eine Eigenschaft des Teilchens in
Erfahrung bringt, schließt man damit von vornherein aus,
eine oder mehrere der weiteren Eigenschaften in Erfahrung
bringen zu können. Es ist möglich, die Geschwindigkeit eines
Elektrons zu bestimmen, aber ebendieser Prozeß der Bestim-
mung bringt das Elektron dazu, seine Position zu verändern.
Oder man stellt seine Position zu einem bestimmten Zeit-
punkt fest, aber durch die Bestimmung dieser Eigenschaft
verändert man seine Geschwindigkeit.“
„Und darüber haben sich Lailah und Ahrimal als näch-
stes unterhalten? Tut mir leid, aber die ganze Szene hört
sich für mich aberwitzig an.“
„Ah. Ein weiteres Mal nennst du mich einen Lügner,
ohne die nötige Testikelgröße mitzubringen, es auch deut-
lich auszusprechen. Warum schimpfst du mich nicht ein-
fach einen ‚gottverdammten Lügner’, wo du schon gerade
dabei bist? Das wäre dann zumindest teilweise wahr.“
„Du willst mir also wirklich weismachen, daß ihr En-
gel euch am Rande einer welterschütternden Katastrophe
zusammengesetzt und geplaudert habt? Daß ihr in einem
Mondpalast gehockt und über das Für und Wider eines
Krieges gegen Gott diskutiert habt?“
„Wir waren Geschöpfe der Ordnung und der Hierarchie
– nicht zu vergessen der Würde. Was glaubst du denn, wie
wir solche Dinge bereinigt haben? Durch Schlammcatchen?
Matthew, ich erzähle dir die Ereignisse in einer Version, die
du verstehen und nachvollziehen kannst, klar? Lailah und
Ahrimal unterhielten sich nicht über Physik, sie setzten ihre
Diskussion auf der physikalischen Ebene fort. Auf einer Ebe-
ne diskutierten sie die Beweggründe des Schöpfers und Sei-
nen Willen in einem sonnendurchfluteten Raum in einem
Schloß auf dem Mond. Auf einer anderen Ebene waren sie
Wellen und Partikel, die auf der öden Kruste eines atmo-
sphärelosen, lebensfeindlichen Felsen interagierten. Auf ei-
ner dritten Ebene waren die Teilnehmer dieser Runde nichts
weiter als Musikstücke, die allesamt Improvisationen ihrer
selbst abspielen ließen, um reine Emotionen zu vermitteln.“
„Unterschiedliche Facetten.“
„Richtig. Wir sind Naturgesetze, Matthew. Oder, genauer
gesagt, wir waren es.“ Gaviel seufzte. „Offenbar wurden
diese Pflichten in der Zwischenzeit neu vergeben. Doch
früher waren wir Lichtwellen und Quanten. Wir tanzten
nicht auf einem Stecknadelkopf, sondern in den Bahnen
von Elektronen.“
DER MORGENSTERN
„Wie auch immer“, fuhr Noah fort. „Lailah und Ahrimal
debattierten leidenschaftlich darüber, ob sich die Lage wo-
möglich in diesem besonderen Fall so darstellte, daß man
genau wußte, was zu tun war, aber es zugleich unmöglich
war, es auch in die Tat umzusetzen. Doch sie kamen zu
keinem Ergebnis. Schließlich äußerte Belial seine Ungeduld
in aller Deutlichkeit.
‚Wir wissen nicht, was nun die richtige Entscheidung wäre
– es ist sogar sehr wohl möglich, daß wir es niemals wissen
können –, und zudem scheint es, als könnten wir nicht ein-
35

mal in Erfahrung bringen, ob wir es jemals wissen könnten
oder nicht. Ist jemand unter uns, der wünscht, jenen Weg
zu gehen, den Haniel und Injios eingeschlagen haben?’ Als
Schweigen die einzige Antwort war, die er erhielt, fuhr er
fort. ‚Da wir also den Weg, der zu ohnmächtiger Erkenntnis
führt, ausgeschlossen haben, müssen wir nun die beiden
anderen Vorgehensweisen bedenken, die uns von der an-
mutigen Lailah, deren Weisheit ohnegleichen ist, dargelegt
wurden. Wir stehen vor der Wahl zwischen Handeln oder
Nichthandeln, und ich verspüre in meinem tiefsten Wesen
einen Abscheu gegenüber der Untätigkeit.’
‚Ist es somit dein Begehr, dich in dieser Angelegenheit
von schöpfungsumspannender Bedeutung als Führer anzu-
bieten?’ fragte Usiel. ‚Nun, mein ‚Begehr’ ist jedenfalls, alles
so belassen, wie es derzeit ist.’
‚Wir sollen die erste Frau und den ersten Mann einfach
dem Elend ihrer Unwissenheit überlassen?’ fragte Ahrimal.
‚Das ist allemal besser als der Tod!’
Das Streitgespräch wurde zunehmend inbrünstiger ge-
führt, bis plötzlich alle Stimmen mit dem Eintreffen ei-
nes unerwarteten Neuankömmlings verstummten. Er war
weder geladen worden, noch war er willkommen. Als er
eintrat, fielen die anderen vor Ehrfurcht und Angst auf
die Knie.
Er erschien strahlend und mächtig, und er war in alle
Phasen des Lichts gehüllt. Er war der höchste Gesandte des
höchsten Hauses, der Seraph des Morgens. Er war Luzifer,
und jedes Molekül sang zum Klang seiner Worte.
‚Erhebt euch’, sprach er, ‚ihr, die ihr wie ich dem Einen
dient.’
Zitternd erhoben sich die Elohim, die sich auf die Ver-
kündung des Zorns ihres Schöpfers vorbereiteten. Doch
dies war nicht Luzifers Botschaft. Statt dessen wandte er
sich an Ahrimal.
‚Du hast eine heraufziehende Finsternis gesehen’, sprach
er. Die Parze nickte.
‚Und du hast deine Oberen davon in Kenntnis gesetzt?’
Wiederum konnte Ahrimal nur nicken.
‚Was haben sie getan?’
‚Sie … sie sagten mir, ich solle unbesorgt sein. Sie sagten,
es müßte nichts unternommen werden.’
Luzifer nickte.
‚Sie hatten unrecht’, sprach er.
Die vier schauten einander erschüttert und erstaunt an.
‚Großer Morgenstern’, sprach Lailah. ‚Bringst du uns
Kunde? Kunde vom Höchsten?’
Luzifer schüttelte den Kopf. ‚Er ist unbewegt. Selbst die
Stimmen aller Engel im Chor könnten den Herrn nicht
erreichen. Wir können den Gestirnen ihren Lauf geben und
Berge in Schluchten und Meere in Wüsten verwandeln …
aber wir können nicht einen einzigen Buchstaben dessen
ändern, was im Herzen des Schöpfers geschrieben steht.’
‚Wie kann das sein?’ fragte Belial fassungslos, das Antlitz
von Sorge und Unglauben gezeichnet. ‚Ist Er uns, die wir
Seine Kinder sind, gegenüber denn so kaltherzig?’
‚Wir sind nicht Seine Kinder, mein Freund, sondern nur
Seine Diener. Seine wahren Kinder sind Adam und Eva,
unsere hilflosen Meister, deren Unwissenheit all unsere
Weisheit nicht gewachsen ist. Unsere Pflicht gilt ebenso-
36
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
sehr ihnen wie Ihm, und was ihre Zukunft angeht – ja,
selbst eine Zukunft voller Furcht und Grauen, wie sie unser
edler Ahrimal vorausgesehen hat –, so ist Gottes Schwei-
gen so unergründlich wie die Leere des Alls.’
‚Was sollen wir denn dann nur tun?’ fragte Usiel.
‚Wir können unsere Befehle befolgen’, sprach Luzifer. ‚Wir
können die Menschheit mit all unserer Kraft lieben. Wir
können sie befreien und ihnen ihr wahres Selbst schenken
– und somit entweder das bevorstehende Grauen abwen-
den oder den Menschen zumindest die Mittel zu verleihen,
die sie brauchen, um es zu überstehen.’
‚Aber unsere Befehle!’ sprach Lailah. ‚Ein Eingreifen wur-
de uns ausdrücklich untersagt. Die Worte, die du sprichst,
stammen nicht von Gott, und ich fürchte sie.’
‚Dieselbe allerhöchste Instanz trug uns ausdrücklich auf,
die Menschen zu lieben. Wir sollen sie weder teilnahmslos
beobachten, noch sollen wir sie beaufsichtigen, sondern
wir sollen sie lieben. Meiner Auffassung nach stehen diese
beiden Befehle in einem heftigen Widerspruch, der nicht
verleugnet werden kann. Da ich sie nicht beide befolgen
kann, werde ich mich dafür entscheiden, den höheren zu
befolgen.’
‚Entscheiden?’ sprach Belial. ‚Dann weißt du also nicht,
was richtig und was falsch ist?’
‚Mein Blick reicht nicht weiter als der seine’, sprach Lu-
zifer und deutete auf Ahrimal. ‚Aber so wie dir mag mir
Untätigkeit nicht schmecken.’
‚Was, wenn ein Eingreifen, unser Eingreifen, erst der
Auslöser für das ist, was wir befürchten?’ fragte Usiel. ‚Du
kannst nicht leugnen, daß wir blind durch die Finsternis
stolpern.’
‚Ich streite nichts ab’, antwortete Luzifer, ‚und mir ist
ebenso bewußt wie dir, daß wir uns sehr wohl für den fal-
schen Weg entscheiden könnten, ganz gleich, welchen wir
auch einschlagen. Sollten wir der ersten Frau und dem
ersten Mann unsere Gaben schenken, könnte der Herr uns
hart dafür bestrafen. Wir könnten ob unseres Eidbruchs
getadelt werden, wir könnten ob unseres Ungehorsams ge-
ächtet werden, man könnte uns das Licht Seiner Liebe ver-
wehren … und womöglich könnte uns sogar die vollstän-
dige Auslöschung drohen. Aber wenn wir untätig bleiben,
könnte es sein, daß wir hilflos zusehen müssen, wie unsere
geliebten Kinder unsere geliebte Welt in einen Abgrund des
Schreckens und der Bosheit führen.’
‚Aber das können wir nicht mit Gewißheit sagen!’ rief
Lailah.
‚Das können wir nie. Aber ich liebe Eva und Adam eben-
sosehr wie den Herrn. Würde Er meine Auslöschung for-
dern, ich würde frohen Herzens gehen. Welch jämmerliches
Bild gäben wir ab, wenn unsere Liebe durch unser Streben
nach Selbsterhaltung an ihre Grenzen stieße.’
‚Ich fürchte nichts, was mir zustoßen könnte’, sprach
Belial. ‚Meine Zurückhaltung entstammt der Sorge vor der
Gefahr, in die wir Adam und Eva – ihr Leben, ihre Seelen,
die gesamte Welt – bringen könnten!’
‚Die Gefahren des Weges, den ich einzuschlagen geden-
ke, sind so echt und so groß, wie du befürchtest. Aber
beantworte mir diese Frage: Welche Bedrängnis wird eher
durch Schwäche anstelle von Stärke und durch Unwissen-
KAPITEL EINS
heit anstelle von Wissen überwunden? Ja, es könnte diesen
Weltensturm entfachen, wenn wir uns den Sterblichen
offenbaren. Ja, ihre Erhöhung könnte die Tat sein, die die
Schöpfung aus den Angeln hebt. Doch sollte die erweckte
Menschheit tatsächlich der Grund für diese Bedrängnis
sein, könnte sie dann nicht auch das Mittel zu ihrer Aufhe-
bung sein? Oder willst du sie lieber dem drohenden Unheil
so begegnen lassen, wie sie derzeit sind – blind, ohne Ver-
nunft und wenig mehr als übermäßig schlaue Affen?
Dies wäre die schlimmste Folge eines Handelns unserer-
seits: Daß die Menschheit sich dem Schrecken mit voller-
wachten Kräften stellen könnte. Laßt uns dies gegenüber
der schlimmsten Vermutung abwägen, die wir für den Fall
unserer Untätigkeit hegen. Dann würde sich die Mensch-
heit ihrer größten Bedrohung ohne jegliche Verteidigungs-
möglichkeit stellen müssen. Sie würde ohne Warnung in
den Wahnsinn treten, ohne Selbsterkenntnis, und nicht in
der Lage, die Flammen auch nur zu begreifen, von denen
sie eingeschlossen würde.’
Luzifer senkte sein Haupt, und für einen Moment schien
wie im Gegenzug alles Licht überall im Kosmos ein wenig
zu verlöschen. ‚Wenn diese Entscheidung falsch sein sollte,
dann werde ich die Verantwortung dafür tragen.’
Ein Feuer der Leidenschaft loderte in Belials Augen, als
er sich an Luzifers Seite stellte. ‚Ich bin für dich!’ rief er.
‚Laßt uns unseren Herzen folgen, laßt uns diese Tat voll-
bringen und laßt es uns wagen, die Menschheit voll und
ganz lieben! Selbst wenn wir versagen sollten, so wäre dies
das mindeste, was wir tun könnten, um unseres Namens
noch würdig zu sein.’
Usiel schüttelte den Kopf. ‚Nein’, erwiderte er. ‚Verzeih
mir meine Unverschämtheit, Morgenstern, aber ich ehre
deinen Herrn mehr als dich. Ich werde der Weisheit der
Geschöpfe Gottes nicht mehr vertrauen, als ich der Weis-
heit Seines Wortes selbst vertraue. Der Höchste trug mir
auf, mich verborgen zu halten, und so werde ich auch ver-
borgen bleiben.’
‚Auch ich werde nicht aufbegehren’, sprach Lailah. ‚Der
Allmächtige würde seine Schöpfung nie der Zerstörung an-
heimfallen lassen. Du sagst, die Menschen hätten ohne die
Wahrheit keinerlei Schutz. Eine solche Behauptung heißt,
Verachtung für ihren Vater im Himmel zu zeigen. Du magst
auf deine Macht, auf deine Liebe und auf deine Weisheit
vertrauen. Ich vertraue auf Gott.’
Von allen Teilnehmern des Streitgesprächs war es Ahri-
mal, der geringste unter ihnen, der zuletzt sprach. ‚Ich weiß
nicht, was ich sah. Ich weiß nur, daß es grauenvoll war. Ich
weiß nicht, wie es zustande kommen wird. Ich weiß nur,
daß die Menschheit darin verwickelt sein wird. Mir fehlt
das Wissen, zu entscheiden, was meine Pflicht ist, denn
ganz gleich, wie ich mich entscheide, muß ich damit gegen
den einen oder den anderen der beiden mir gegebenen
Befehle verstoßen. Aber ich glaube an Adam und Eva.
Ich glaube an das Universum, das wir geschaffen haben.
Und ich glaube auch daran, daß eine Menschheit, die zur
Vollkommenheit geführt wurde, sehr viel eher dazu in der
Lage sein wird, einen Weg zu finden, das Unheil abzuwen-
den. Ich stehe auf der Seite des Morgensterns. Ich sage,
wir handeln.’
Und so wurde die Saat der Zwietracht gesät. Die Elohim
flogen in zwei verschiedene Richtungen davon, und jede
Gruppe rief weitere Engel zusammen, um von der Spaltung
zu berichten. Usiel und Lailah zogen sich in die höchsten
Sphären des Himmels zurück, um von Luzifer und seiner
unbesonnenen Entscheidung abzurücken. Der Morgen-
stern und seine Anhänger eilten zur Erde hinab, da sie die
feste Absicht hatten, ihre mutige Entscheidung in die Tat
umzusetzen, ehe sie irgend jemand daran hindern konnte.
Auch wenn es niemand wußte, waren so die ersten
Schritte auf jenem Weg getan, der zur Zeit des Zorns führen
sollte. Doch bevor diese Hölle losbrach, blieben uns, die wir
fallen würden, noch einige Freuden und Wunder.
DER FALL
Stell dir folgende Szene vor: Der Garten Eden im Zwie-
licht. Die erste Frau und der erste Mann wandeln auf einem
weichen, grünen Teppich, liebkost vom Duft Tausender
Blüten. Die Sonne verbirgt ihr Antlitz hinter einer wolki-
gen Röte, die prächtige Bänder in Karmesin, Zinnober und
Purpur verströmt ... doch all ihr Farbenspiel kann nicht
verbergen, daß die Sonne bald untergehen wird, und sie
versinkt nach und nach hinter dem Horizont. Die Schatten
werden länger, bis alles von ihnen bedeckt ist. Das Grün
der Blätter wird zu Schwarz, und dann, nachdem sich die
Augen an das Sternenlicht gewöhnt haben, schimmert alles
in einem silbrigen Glanz ...
Deine Vorfahren durchstreiften diese Schönheit, ohne
sie zu sehen, ohne etwas dabei zu empfinden und ohne sich
ihrer bewußt zu werden. Sie waren beide ein Denkmal an
die Schönheit, doch keiner konnte sie im anderen sehen
oder begreifen. Sie schnüffelten und stolperten herum, bis
sie schließlich eine Ranke fanden, die Früchte trug, und
den wuchernden Trieb einer Knolle. Sie rissen ihr Abend-
mahl aus dem Boden, und in demselben Augenblick sprach
eine Stimme zu ihnen – eine sanfte Stimme, die zugleich
voller Sehnsucht war.
‚Eva’, sprach sie. ‚Adam. Dies habe ich für euch getan.’
Erstaunt wandten sie sich zu der Stimme um und erblickten
eine in Grau gekleidete Gestalt, die streng und heilig wirk-
te. Das Zwielicht paßte zu dieser Erscheinung, denn es war
Madisel, der Erzengel der Ungesehenen Vergangenheit, der
zum Letzten Haus gehörte. Von allen Seelennehmern war
sie die höchste, die Luzifers Pfad folgte, und man war über-
eingekommen, daß sie – die für die geringsten der Engel
stand – die erste sein sollte, die ihr Antlitz den Menschen
zeigte. Wir hatten vor, uns langsam zu zeigen, damit sich
Adam und Eva an unseren Anblick gewöhnen konnten.
Schweigend starrten sie auf ihre blasse Haut, ihre dunk-
len Augen, ihre aschgrauen Schwingen. ‚Dies’, sprach sie
und deutete auf das Abendmahl der ersten Menschen, ‚dies
starb für euch. Diese Pflanze ist gestorben, um eure Le-
benskraft zu erneuern, und durch mich hat sie dies getan.
Nehmt es hin in meinem Segen ... denn ich liebe euch.’
Stirnrunzelnd und noch immer verwundert aßen sie, und
noch während sie dies taten, erschien eine zweite Gestalt.
Wo Madisel so fein wie Wasserdampf war, so schien diese so
stark und kräftig wie ein Sturm zu sein – bebend, voller Le-
37

ben und fest wie eine mächtige Eiche. Die Menschen starr-
ten ehrfürchtig auf ihre goldene Mähne, die Stärke, die in
jedem ihrer zum Zerreißen gespannten Muskeln zu sehen
war, das Leben, das in ihren scharfen Augen und auf ihren
prächtigen Federn funkelte. Ihr gewaltiger Leib zitterte, da
jeder Nerv und jede Sehne darauf brannte, den Menschen
ihre Liebe zu verkünden. Als ihre Stimme endlich ertönte,
brachen die Worte brausend aus ihr hervor.
‚Ich ... ich bin Grifiel’, sprach die Gestalt, ‚das Fürsten-
tum derer, die am Tage jagen. Viele Male schon haben die
Untertanen meines Reiches euch gierig beäugt, doch sie
wußten, daß euer Fleisch nicht für sie bestimmt war. Sie
haben die grasenden Tiere, die schwimmenden Tiere und
die laufenden Tiere niedergestreckt, doch ihr wurdet von
ihren Klauen verschont. Mein Wort hielt sie davon ab, und
ich tat es, weil ich euch liebe.’
Von diesen beiden Besuchern ohnehin schon verwirrt wur-
den der erste Mann und die erste Frau wiederum verblüfft, als
eine weitere Gestalt aus einem nahen Bächlein emporstieg.
Der silbrige Glanz von Mondlicht auf Wasser leuchtete in ih-
ren Augen und in ihrem Haar, und als sie auf die beiden ersten
Menschen zuging, taumelte sie vor Ehrfurcht und Sehnsucht.
Das Geräusch des Wassers, das von ihrem Haar und ihren
dunklen Schwingen rann, war wie leise, sanfte Musik – und
doch nicht einmal annähernd so sanft wie der Klang ihrer
Stimme. ‚Ich bin Senivel’, sprach sie. ‚Ich spreche für das Haus
der Tiefe, denn ich bin die Macht der Schmalen Ströme. Je-
desmal, wenn ihr euch herabbeugtet, um zu trinken, küßten
wir euch unbemerkt, denn wir lieben euch.’
In einem Schauer aus Sternenlicht kam der nächste
Bote. Er breitete seine Schwingen der Nacht über ihnen
aus, und der Klang seiner Stimme war wie das Knirschen
der Planeten in ihrer Bahn. ‚Ich bin Gaar-Asok, die Tu-
gend des Polarsterns. Ich spreche im Namen des Hauses
des Schicksals, und ich bringe euch unseren Segen für die
Zukunft und die Vergangenheit, denn wir lieben euch.’
Ein Grollen fuhr durch die Erde, und sie tat sich vor ihren
Füßen auf wie eine erblühende Blume, die ihren goldenen
Blütenstaub enthüllt. Inmitten der Erdblüte ragte eine herr-
lich strahlende Gestalt empor. Die goldenen und silbernen
Federn ihrer Schwingen klickten und klangen, als sie sich
vor der Menschheit verbeugte. ‚Ich bin Toguiel, die Gewalt
der Rubine. Und ich bringe euch die Gaben des Hauses
der Materie.’ Auf eine Geste von ihm begannen Adern von
Diamanten und Jade um sie herum aus der Erde zu sprießen,
ein Garten aus Edelsteinen, in dem die Blüten auf goldenen
Stielen saßen. ‚Ich und meinesgleichen bringen euch all die-
se Gaben als bescheidenstes Zeichen unserer großen Liebe
zu euch dar. Wir beten darum, daß sie euch gefallen mögen.
Wir flehen euch an, sie anzunehmen.’
Erschüttert und erstaunt kauerten sich die Sterblichen
zusammen, doch die Offenbarung war noch nicht vorüber.
Die angenehme, süße Brise im Garten Eden wehte stärker,
bis sie sich zu einer festen Bewegung verdichtet hatte, zu
einer Form, die allem um sie herum Glanz verlieh und die
Schönheit aller Anwesenden um ein Vielfaches mehrte.
Wie Wärme, wie Geborgenheit, wie Frieden war die Stim-
me Nazriels, des Throns Grenzenloser Güte, der höchsten
Abgesandten des Zweiten Hauses, die sich Luzifers Sache
38
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
angeschlossen hatte. Sie stellte sich vor, und ihre Worte
brachten Menschen wie Engeln gleichermaßen Ruhe, als
sie das Gefühl von Sicherheit verspürten, das sie verströmte
wie einen süßen Hauch. ‚Ungesehen und unerkannt haben
ich und meinesgleichen über euch gewacht’, sprach sie.
‚Stets haben wir euch vor Stürzen und Leid und bitterem
Unglück bewahrt. Wisset von nun an, daß ihr auf ewig in
unserer Umarmung wandeln werdet, weil wir euch lieben.’
Nachdem das heilige Paar durch das Erscheinen ihrer
Beschützerin beruhigt worden war, war es an der Zeit, daß
der höchste unter uns eintraf. In einem Glanz, der der
Morgendämmerung gleichkam, stieg Luzifer vom Himmel
herab. Seine grenzenlose Herrlichkeit ließ sie auf die Knie
fallen. Alles Licht des Kosmos schien durch ihn gebündelt,
und all seine Pracht ergoß sich in Wellen flüssigen Lichts
über seine geliebte Menschheit.
Er war der einzige unter den Elohim, der keine Furcht
zeigte. Als der Morgenstern sprach, gab es weder ein Stok-
ken des Schreckens, noch ein Zittern der Ehrfurcht in sei-
ner Stimme.
‚Ich bin Luzifer, Seraph des Ersten Hauses, Prinz aller En-
gel und die Stimme Gottes, des Allmächtigen’, verkündete
er. ‚Aber ich bin nicht zu euch gekommen, um für Gott zu
sprechen, sondern als euer untertäniger Diener. Wir Engel,
die ihr vor euch seht – sie und zahllose weitere Scharen aus
allen sieben Häusern –, sind gekommen, um euch endlich
unsere Liebe zu gestehen. Engel haben seit dem Beginn eu-
rer Tage über euch gewacht. Engel so zahlreich wie die Ster-
ne am Himmel haben jeden eurer Schritte und jede eurer
Gesten mit Freude wahrgenommen.’ Wie die Menschen es
getan hatten, kniete er nun selbst nieder, und mit ihm alle
anderen Engel. Seine brennenden Schwingen umschlossen
den ersten Mann und die erste Frau, und mit einem sanften
Streicheln bedeutete er den Menschen, sich zu erheben
und auf die ehrerbietenden Geister herabzusehen.
‚Wir sind nicht als Gebieter des Kosmos und Diener seines
Schöpfers gekommen, sondern als eigenständige Wesen. Wir
sind aus freiem Willen zu euch gekommen, um euch ein
letztes Geschenk zu machen – das größte Geschenk, das wir
euch machen können, und das einzige Geschenk, das unse-
rer allumfassenden Liebe zu euch gerecht wird. Ihr könnt es
annehmen und werden wie wir, werden wie Gott und euch
der Möglichkeiten der Schöpfung voll bewußt werden. Oder
ihr könnt es ablehnen und so bleiben, wie ihr seid, und nie
wieder von uns behelligt werden. Wir werden euch niemals
aufgeben – allein unsere innige Verehrung macht dies schon
unmöglich –, aber wenn ihr unser Geschenk nicht annehmen
wollt, so sagt es jetzt, und wir werden uns wieder verbergen
und euch fortan aus der Ferne lieben und beschützen.’
Der erste Mann und die erste Frau wandten sich einan-
der zu und sprachen in gedämpftem Ton miteinander.
‚Was sind das für Geschöpfe?’ fragte der Mann. ‚Sie kom-
men in himmlische Herrlichkeit gekleidet zu uns, und doch
erniedrigen sie sich vor uns. Sie sagen, sie kämen von Gott,
aber ihr Handeln käme von ihnen selbst. Wie kann dies
sein? Was sollen wir zu ihrem Angebot sagen?’
‚Sie lieben uns’, sprach die Frau, ‚also müssen sie es gut
mit uns meinen. Wenn die Gaben, die sie uns bis jetzt
schenkten – Sicherheit und Wasser und Nahrung – so gut
KAPITEL EINS
waren, wieviel besser muß dann ihr letztes und größtes
Geschenk sein?’
‚Du hast recht’, sprach der Mann. ‚Wir sollten annehmen,
was auch immer sie uns anbieten. Nun, da ich sie in all ih-
rer Pracht gesehen habe, möchte ich sie nicht mehr missen,
und wenn sie uns für immer verlassen sollten, so würde mir
dies das Herz brechen.’
Sie wandten sich Luzifer zu und trafen ihre Wahl. In
stiller Freude öffnete Luzifer ihnen die Augen.
VERBRECHEN AUS LEIDENSCHAFT
Gaviel hielt in seiner Erzählung inne und blickte auf
seine gefalteten Hände.
„Der Fall“, sagte Matthew.
„War er das?“ gab Gaviel leise zurück.
„Hatte die Menschheit eine Ahnung, was auf sie zu-
kam?“
„Nicht mehr als wir.“
„Ich schätze, das ist ein Paradoxon“, sagte Matthew und
nippte gedankenverloren an seinem Kaffee. „Man kann
nicht verstehen, was es heißt, Gut und Böse zu kennen,
es sei denn, man kennt Gut und Böse. Wie ihr Engel auch
mußte sich die Menschheit blind entscheiden.“
Gaviel schüttelte den Kopf. „Wir gaben ihnen nicht die
Erkenntnis, Gut von Böse zu unterscheiden. Zu dem Zeit-
punkt gab es das Böse noch gar nicht.“
„Wie kannst du so etwas sagen? Du selbst hast wissentlich
gegen Gott, deinen Herrn, aufbegehrt. Wenn das nicht
böse ist, was dann?“
„Wir haben zwar wissentlich aufbegehrt, aber in be-
ster Absicht. Das mußt du uns doch bitte zugute halten,
Matthew. Wir wollten niemandem schaden. Wir wollten
nur helfen.“
„‚Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen’“,
zitierte Matthew und legte den Kopf ein wenig schief.
„Das könnte sehr gut eine der einsichtsreichsten Be-
merkungen der Menschheitsgeschichte sein“, antwortete
Gaviel. „Wir hatten wirklich nichts Schlechtes im Sinn.
Wir wollten nur das Unheil, das wir vorhergesehen hat-
ten, abwenden oder zumindest mildern. Und ja, wir waren
töricht. Wir waren blind und ignorant und einfältig und
hochmütig – wir waren uns unserer Macht so sicher und
verließen uns so sehr auf unser eigenes Urteilsvermögen,
daß wir Gottes Befehle mißachteten. Aber wir meinten es
nicht böse. Es ist nur eine schwache Ausrede und sie ent-
schuldigt nichts von dem, was wir getan haben ... aber ich
bleibe bei meiner festen Überzeugung, selbst jetzt, nach all
meiner Qual und den Schrecken des Krieges und den Greu-
eltaten, die ihm folgen sollten, daß unsere Beweggründe
selbst im Augenblick unserer Überschreitung der Gebote
Gottes noch rein waren.“
„Wenn es nicht böse ist, gegen Gottes Befehle zu versto-
ßen, was dann?“
Gaviel legte die Fingerspitzen beider Hände gegenein-
ander. „Genau das ist hier die Frage, nicht wahr? Ist allein
schon die Entscheidung, jemand anderem Leid zuzufügen,
an und für sich böse? Von diesem Standpunkt aus betrach-
tet waren alle Soldaten, die Nazis getötet haben, um die
Gefangenen in Konzentrationslagern zu befreien, ebenso
böse wie die Schlächter, deren Leben sie ein Ende setzten.
Oder ist es so ähnlich wie bei Kants kategorischem Impera-
tiv – daß man sich entschließt, andere nur noch als Mittel
39

zum Zweck und nicht mehr als eigenständige, wertvolle
Wesen zu sehen und zu schätzen –, wenn wir böse werden?
Aber wie kann man in diesem Zeitalter der Massendemo-
kratien und Massenmedien das einzelne Individuum über-
haupt sehen, geschweige denn, es schätzen?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich denke, das Böse beginnt, so-
bald man sich selbst täuscht, damit man anderen Schaden
zufügen kann.“
„Wie kann man sich selbst täuschen?“
„Ich hätte angenommen, ein Ehebrecher könnte das
verstehen“, sagte Gaviel mit einem kalten Lächeln. „Man
redet sich die ganze Zeit über ein, daß man es nicht tun
will, selbst dann noch, während man schon den Weg dafür
bereitet. Du redest dir ein, daß du sie nur bis zur Tür brin-
gen wirst, aber es wäre unhöflich, nicht mit reinzukommen,
wenn sie dich darum bittet. Du redest dir ein, daß es nur
dieses eine Mal passieren wird, daß es nur ein Ausrutscher
war und daß es nie wieder vorkommen wird ... doch es wird
wieder vorkommen.“
Wieder wurde es eine Weile still zwischen ihnen, ehe
Matthew sagte: „Und das ist es, was ihr ihnen im Garten
Eden gegeben habt? Das war euer Geschenk, das ihr mit den
besten Absichten und aus tiefster Liebe heraus machtet?“
Gaviel seufzte. „Unser Geschenk an euch war Bewußt-
sein. Wir brachten euch dazu, in neuen Bahnen zu denken
– Dinge auf abstrakte Weise miteinander vergleichen und
verstehen zu können. Metaphern und Vergleiche. Das war
unser Geschenk.“
„Was? Du willst mir erzählen, daß den Fall nichts anderes
ausmachte als ... als solches Grundschulwissen? Das ist
doch verrückt!“
„Ist es das? Was unterscheidet den Menschen denn vom
Tier, wenn nicht sein Bewußtsein? Nicht die Sprache –
Wale haben auch eine Art Sprache. Nicht die sozialen In-
teraktionen – selbst einfache Ameisen können gemeinsam
agieren. Auch nicht das angehäufte Wissen oder die ge-
schaffene ‚Kultur’ – Elefanten bringen ihren Jungen Dinge
bei, die über den reinen Instinkt hinausgehen. Bonobos
und Otter verwenden Werkzeuge. Was können Menschen
tun, was Tiere nicht können? Welche Eigenschaften der
Menschheit sind einzigartig?“
„Unser Lachen.“
„In der Tat – und Lachen ist nur durch Bewußtsein mög-
lich. Warum lachen wir? Weil wir eine Nichtübereinstim-
mung oder eine falsche Übereinstimmung zweier Konzepte
erkennen können. Die Herzogin mit der Ente auf dem Kopf
ist lustig, weil sie Würde und Absurdität, zwei Dinge, die ei-
gentlich unvereinbar sind, in einer Einheit zusammenführt.
Ein Wortspiel amüsiert uns deshalb, weil zwei Dinge gleich
klingen, aber unterschiedliche Bedeutung tragen. Nichts
davon ist ohne Bewußtsein überhaupt möglich.“
„Gut und Böse entstehen also durch dieses Bewußtsein?“
„So ist es. Ein bissiger Hund ist noch lange kein böser
Hund im eigentlichen Wortsinn. Um böse zu sein, muß man
sich einer besseren Wahl bewußt sein und diese ignorieren.
Und sich bewußt von einem greifbar besseren Ergebnis ab-
wenden, würde nur eine Person tun, deren Beweggrund in
etwas Ungreifbarem liegt.“ Gaviel lehnte sich nach vorne
und sah Matthew gespannt an. „Bewußt verübte Verbre-
40
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
chen sind aus dem Bewußtsein heraus verübte Verbrechen.
Unser Geschenk an euch war die Fähigkeit, die Dinge los-
gelöst von individuell auftretenden Einzelfällen und statt
dessen als Beispiele für Gruppen und Klassen zu sehen. Ihr
habt gelernt, Kategorien zu bilden. Anstatt über ein be-
stimmtes Schaf nachzudenken oder eine bestimmte Herde
von Schafen, konntet ihr über Schafe als Kategorie nach-
denken – und anschließend über grasfressende Tiere als
eine Kategorie und schließlich über alle Tiere im ganzen als
Kategorie. Genauso – wenn man es von einer finstereren
Seite aus betrachten möchte – kann ein Skinhead einen
schwarzen Ladenbesitzer mit hervorragenden Umgangsfor-
men und einem erfüllten Familienleben als Angehörigen
einer ‚Mischrasse’ sehen, der es verdient hat, mißhandelt
und ermordet zu werden.“
„Aber das ist eine falsche Kategorie – das kann man
nicht mit der Sache mit den platonischen Ideen und den
Schafen vergleichen.“
„Kann man nicht? Ist es überhaupt möglich, ohne Meta-
phern und Abstraktionsfähigkeit zu lügen?“
Matthew öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Er
runzelte die Stirn. „Man könnte lügen ... allerdings nicht
sehr gut.“
Gaviel legte den Kopf schief und hob eine Augenbraue.
„Erklär mir das bitte mal. Das interessiert mich jetzt aber
sehr.“
„Nun, wenn ... wenn ich keine Metaphern benutzen könn-
te, könnte ich doch nur eine Behauptung aufstellen, von der
ich weiß, daß sie nicht wahr ist. So etwas, wie ‚Der Himmel
ist grün’, oder ...“
„‚Hinter dem Hügel befinden sich keine Truppenver-
bände.’“
„Sicher. Aber ich kann die Behauptung nicht näher aus-
führen oder ... sie so behandeln, als würde sie der Wahrheit
entsprechen. Wenn ich bewußt die Unwahrheit über ver-
steckte Truppen sagen würde, dann könnte ich mir doch
Gründe zurechtlegen, die die Lüge als Wahrheit darstellen
würden, richtig? Denn ich kann Parallelen zwischen dem,
was ist, und dem, was nicht ist, ziehen.“
„Die Lüge wird zu einer Metapher der Wahrheit“, sagte
Gaviel mit einem düsteren Funkeln in den Augen.
„Also macht Bewußtsein Lügen überhaupt erst möglich.
Aber auch die Vorstellungskraft wird erst dadurch ermög-
licht, weil ich über Dinge nachdenken kann, die nicht exi-
stieren, und trotzdem so tun kann, als würde es sie geben.“
„Die Welt in deinem Kopf kann eine andere sein als die
Welt, die du siehst. Voilà! Kreatives Denken – etwas, was
Tiere ebenso wie vorsätzliches Lügen nicht beherrschen.“
Gaviel schenkte Matthew ein väterliches Lächeln und sagte:
„Dein Sohn hat deine Intelligenz wirklich unterschätzt.“
Als Noah erwähnt wurde, verfinsterte sich Matthews
Miene.
„Habe ich etwas Falsches gesagt?“ fragte sein Gast.
„Erzähl deine Geschichte weiter.“
DIE ZEIT DES ZORNS
„Gut. Nachdem sie nun endlich erweckt worden waren,
vergeudeten Adam und Eva keine Zeit, ehe sie die schier
KAPITEL EINS
unendliche Zahl neuer Möglichkeiten ausloteten, die ih-
nen mit einem Mal offenstanden. Kleidung war nur eine
ihrer geringsten Erfindungen. Luzifer selbst erklärte ihnen
die Natur des Feuers und wie sie es bändigen konnten,
während ihnen Nazriel und ihre Geister der Luft die wahre
Pracht der Sprache eröffneten und ihnen zeigten, wie man
Worte in Musik verwandelte. Die Engel des Fundaments
erschlossen ihnen die Geheimnisse des Hebels, des Fla-
schenzugs und des Rades, damit sie diese für sich nutzen
konnten, während die Geister des Meeres ihnen die Kunst
der Bildhauerei und der Malerei beibrachten. Die Engel der
Wildnis lehrten sie, wie man Hund und Pferd Güte zeigte,
die mit Treue vergolten wurde. In ihrer unvergleichlichen
Weise schenkten ihnen die Parzen die Schrift, so daß sie
die Vergangenheit festhalten und für die Zukunft erhalten
konnten.
Es dauerte eine Nacht, die tausend Jahre andauerte, bis
aus den zweien vier, aus den vier viele weitere und aus die-
sen dann eine Nation von Künstlern, Philosophen und Er-
bauern von Weltwundern wurde. Durch unsere Hilfe hatte
die wahre Menschheit ihre Fesseln abgestreift und wirkte
mit ihrer vollen Schaffenskraft auf die Welt ein. Es war eine
Zeit wie keine andere – die Menschheit war vollkommen
und lebte in einer vollkommenen Welt.
Doch so großartig die Nacht des Frohlockens auch war,
so unausweichlich rückte der Tag der Abrechnung näher.
Wir wirkten unsere Wunder im Schutz der Dunkelheit,
doch die Sonne – das unbarmherzige Auge Gottes – konn-
ten wir in ihrem Lauf nicht aufhalten.
Als die Sonne über den neuen Werken des Menschen
aufging, stieg mit ihr eine Vorhut von Engeln auf. Der erste
unter ihnen war Michael – der zuvor der Cherub des Un-
fehlbaren Strahls gewesen war. Als er nun über dem Para-
dies loderte, stellte er sich unter einem neuen Titel vor.
‚Ich bin Michael, Seraph des Flammenden Schwertes
und die Stimme Gottes. Ich bin gekommen um Kunde vom
Schöpfer zu bringen, Kunde von Seinem Zorn und Seiner
schrecklichen Strafe.’
Die Menschen fielen ehrfürchtig auf die Knie, doch kei-
ner der aufständischen Elohim folgte ihrem Beispiel. Statt
dessen stellten wir uns vor unsere menschlichen Schüler
und griffen nach Werkzeugen, die uns als Waffen dienen
konnten. Wir traten den Himmlischen Heerscharen unge-
beugt entgegen.
‚Ihr habt euch an eurem Herrn versündigt’, sprach Mi-
chael, ‚und Sein Zorn ist groß. Aber noch viel größer ist
Seine unendliche Gnade. Befolgt Seinen jüngsten Befehl,
laßt ab von eurem selbstsüchtigen Tun und womöglich mag
es euch noch gelingen, Seiner strafenden Hand Einhalt zu
gebieten.’
Luzifer trat Michael entgegen, und als ihre Blicke sich
trafen, rang das Licht selbst zwischen seinen beiden Mei-
stern. ‚Wie lautet dieser jüngste Befehl?’ fragte der Mor-
genstern.
Michaels Antwort wurde von einem höhnischen Lächeln
begleitet. ‚Für dich und deinesgleichen ist er einfach, Re-
bell: Kehrt zurück in die höchsten Sphären des Himmels,
wo die Engel der Bestrafung euch Sünder in Nichts auflö-
sen, euren Gestalten die Gestalt nehmen, eure Namen aus-
radieren und euch in die schwärzeste Auslöschung schicken
werden – so, wie ihr es verdient habt.’
Danach wandte er sich an die Schar der Menschen unter
ihm und sprach: ‚Entsagt den verdorbenen Gaben dieser
Aufwiegler, wendet euch ab von eurem unbotmäßig erwor-
benen Wissen und womöglich mag es euch gelingen, die
Gunst eures Schöpfers wiederzuerlangen. Eure sündigen
Werke werden vom Antlitz der Erde getilgt, und euer Geist
wird von seiner widernatürlichen Schärfe befreit. Alles
wird wieder so sein, wie es war – ihr sollt nicht einmal wis-
sen, daß es einmal anders gewesen ist.’
Luzifer war mutig genug, seinen ehemaligen Diener, den
Cherub, der seinen Rang gestohlen hatte, lauthals auszula-
chen. ‚Was für ein großzügiges Angebot du uns unterbrei-
test! Wir sollen reumütig mit gebeugtem Haupt zurück-
kehren, um dann als Lohn für unseren Gehorsam ... nicht
länger zu sein? Sag mir eins: Gibt es eine schlimmere Strafe,
die wir uns verdienen könnten, sollten wir uns auch diesem
Befehl nicht beugen wollen? Denn wenn ich bedenke, daß
mir das Vergessen droht, so will mir einfach keine schlim-
mere Strafe einfallen.’
‚Bist du schon so tief in den Sumpf der Rebellion ge-
sunken, Luzifer? Bist du so trunken von deinem eigenen
Willen, so entwürdigt durch deinen Ungehorsam, daß ein
Streit mit Gott keine größere Strafe für dich mehr darstellt
als die Vernichtung?’
‚Wir sind nicht diejenigen, die Drohungen ausstoßen.
Wir sind nicht diejenigen, die von Zerstörung wettern. Wir
sind nicht diejenigen, die fordern, daß sich andere reumütig
in einer Reihe aufstellen, um für das Verbrechen vernichtet
zu werden, ihre Lieben beschützt zu haben.’
‚Es macht mich krank, wenn ich daran denke, einmal
dein Diener gewesen zu sein’, sprach Michael. ‚Neben dei-
nem hochmütigen Ungehorsam machst du dich nun auch
noch der Blasphemie und der Beleidigung schuldig. Dein
Niedergang wird ein warnendes Beispiel für andere deines
abstoßenden Schlags sein.’
DER WIDERSTREIT DER ENGEL
Gaviel hielt ein weiteres Mal in seiner Erzählung inne
und runzelte die Stirn.
„Ich erinnere mich an diesen ersten Kampf in so vie-
len verschiedenen Formen“, sagte er. „Nicht alle entspre-
chen ... einem menschlichen Maßstab. Oder auch nur dem
menschlichen Erfahrungshorizont.“
„Gab es denn wirklich ein Flammenschwert?“
„Oh ja, und indem er es zog, läutete Michael den ersten
Angriff ein. Doch die breiten Schwingen Luzifers waren
flink, und jeder einzelne von Michaels heftigen Schlägen
verfehlte dank der Schnelligkeit des einstigen Seneschalls
des Himmels sein Ziel. Zum selben Zeitpunkt handelten sie
die Regeln und Bedingungen des Kampfes aus.“
„Sie handelten die Regeln aus?“
„Zu jener Zeit verspürten Wesen von nahezu grenzenlo-
ser Macht noch das Bedürfnis, sich selbst gewissen Grenzen
in der Ausübung ihrer Macht aufzuerlegen. Ansonsten
hätte der Widerstreit zweier mächtiger Engel des Lichts die
Menschheit vom Antlitz der Erde tilgen können. Und mehr
noch ... uns war die Vorstellung eines totalen Kriegs voll-
41

kommen fremd. Denk doch an die ruhige Art und Weise,
in der wir über die Möglichkeit und die Folgen diskutiert
hatten, uns dem Befehl des Höchsten zu widersetzen“, sagte
Gaviel, woraufhin Matthew mißbilligend die Stirn runzelte,
als er den eigenartigen Ausdruck auf Noahs Gesicht sah.
Er war beinahe ... wehmütig? Es war das Gesicht einer Per-
son, die sich an ihren jugendlichen Idealismus zu erinnern
schien. Eine Person, die sich wünschte, sie wäre noch so
naiv wie einst.
Der Reverend vermutete dahinter einen Trick, doch er
hielt seine Zunge im Zaum.
„Natürlich führten wir unsere Streitgespräche mit großer
Leidenschaft, aber ... es war eine blutleere Leidenschaft.
Wir waren Rädchen im Getriebe, Geschöpfe, die für ein
Leben in strenger Hierarchie geschaffen worden waren.
Wesen der Macht und der Schöpfung – aber zugleich auch
Wesen der Ordnung und des Gehorsams. Unter der Füh-
rung des höchsten Engels in unseren Reihen hatten wir
blind der Freiheit entgegentaumeln können – aber ebenso
wie die Menschen, die wir mit uns auf diesen Kreuzzug ge-
nommen hatten, verstanden wir nicht die volle Bedeutung
dessen, wofür wir uns entschieden hatten.
Daher verliefen die ersten Kämpfe des Krieges sehr ... ge-
ordnet. Sehr statisch und steril und fast schon schmerzhaft
präzise. Beide Seiten hatten dieselben taktischen Ansich-
ten und dieselben strategischen Ziele ... zu Anfang spielten
wir noch alle nach den gleichen Regeln. Die Bezwungenen
übergaben ihre Macht ehrenvoll an die Sieger und gerieten
solange in Gefangenschaft, bis ihre Verbündeten einen an-
gemessenen Rettungsversuch unternahmen.“
„Ich dachte, die Strafe für Rebellion war der Tod.“
„Oh, nicht der Tod, Matthew. Die Geheimnisse des Todes
sind allein den Menschen vorbehalten. Unser Schicksal
war es, nicht länger zu existieren. Gerade du solltest eigent-
lich am besten verstehen, daß es da einen entscheidenden
Unterschied gibt.“
„Also ... starben besiegte Engel ... nicht einfach? Sie hör-
ten nur auf zu existieren, so als würde man einen Licht-
schalter ausknipsen?“
„Letzten Endes war es so. Wir können entweder sein oder
nicht sein, und das auch nur hier. Wir können nicht dort-
hin gehen, wo auch immer Gott die Seelen der Sterblichen
hinschickt.“
„Warum haben Michael und die anderen nicht einfach
alle Dämonen zerstört, die sie gefangennahmen? Ich meine,
das war doch Gottes Auftrag, oder nicht?“
„Diejenigen, die sich ergaben, sollten mit einer schnellen
und schmerzlosen Vernichtung bestraft werden. Der Him-
mel bereitete jedoch etwas ganz Besonderes für diejenigen
unter uns vor, die ihren Widerstand fortsetzten. Übrigens,
es waren nicht nur wir Gefallenen, die in Gefangenschaft
gerieten. Uns fielen ebenfalls Gottestreue in die Hände.
Anfangs wollte keine Seite wirklich ernsthaft die Verant-
wortung für die Zerstörung von Elohim übernehmen.“ Wie-
der schüttelte er sachte den Kopf. „Wir waren so scheu und
zurückhaltend. Wir kannten ja noch nichts anderes. Doch
dann lernten wir Geschmack an dem zu finden, was uns
einst vor Furcht hatte erzittern lassen.“
42
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
DER ERSTE SCHLAG
„Auf einer Existenzebene warf die Rebellin Madisel ihre
Sense durch die Luft, um dem wehrlosen Luzifer eine Waffe
zu geben. Die Macht der Sense war mit der des Flammen-
schwertes nicht zu vergleichen – es war schließlich nur die
Sense eines niederen Engels aus einem der niedersten Häu-
ser. Sie existierte in nur zwei Welten, vielleicht höchstens
auch drei, während Michaels Waffe zugleich mehr als nur
ein Schwert, ein Lied und eine verkohlende, katalytische
Reaktion war. Sie war auf Tausenden von Ebenen real. Sie
war ein Werkzeug, ein Leitprinzip und ein grundlegendes
Element der Mathematik – und nicht einfach nur eine
Waffe.
Aber Michael kannte den vollen Umfang seiner neuge-
wonnenen Macht noch nicht, und auch wenn er jetzt der
höchste der Elohim war, so war und blieb der Morgenstern
dennoch der erste von uns allen. Wo Michaels Hiebe zu
viel Kraft in sich trugen, glitt Luzifer voller Anmut durch
die Luft. Die Waffe Madisels wäre zu Asche zerfallen, hätte
sie alleine nur den feurigen Schweif der Schwerthiebe ge-
kreuzt, doch sie verlieh dem Rebellen eine größere Reich-
weite und eine Möglichkeit, seinem Gegner zu drohen und
ihn zu verletzen ... und letztlich reichte das auch völlig aus.
Aber vielleicht kam auch noch Michaels Erkenntnis hinzu,
daß er seine Waffe gegen Luzifer erhob – ein Wesen, dem er
zuvor bedingungslos gehorcht hatte, ein Wesen, das allein
Gott selbst unterstand. Vergiß nicht, daß wir Geschöpfe
waren, für die Gewohnheiten und Kastendenken Teil ihres
Wesens waren, und nicht nur für Sterbliche gilt das Sprich-
wort, wonach alte Gewohnheiten nur langsam sterben.
Luzifer trug den Sieg davon. Michael wurde in keiner
Weise verwundet: Wir hatten uns noch nicht so weit zu-
rückentwickelt, als daß wir damit begonnen hätten, andere
tatsächlich zu verletzen. Nein, es war nur offensichtlich
geworden, daß Luzifer Michael hätte verletzen können,
bevor dieser in der Lage gewesen wäre, Luzifer zu verletzen.
Nachdem dies feststand, ließen die beiden Kontrahenten
voller Würde voneinander ab und zogen sich ehrenhaft
vom Schlachtfeld zurück. Nachdem jeder von ihnen wußte,
wie der Kampf geendet hätte, welchen Sinn hätte es dann
noch ergeben, ihn auch tatsächlich zu Ende zu führen?
Ein großes Jubelgeschrei stieg aus den Reihen der Re-
bellen auf, das seinen Widerhall unter der versammelten
Menschheit fand.
‚Da habt ihr unsere Antwort’, sprach Luzifer. ‚Unser Wi-
derstand ist ungebrochen. Wenn ihr uns vernichten wollt,
solltet ihr euch bewußt sein, damit eure eigene Vernichtung
in Kauf zu nehmen.’
‚Du kannst nicht für euch alle sprechen’, sprach Michael
– er war zwar besiegt worden, aber das hatte seiner Ent-
schlossenheit keinen Abbruch getan. ‚Alle, die sich Gottes
Gebot unterwerfen wollen, mögen vortreten!’
Du darfst nicht vergessen, daß sich immerhin ein Drittel
der Himmlischen Heerscharen auf Luzifers Seite geschla-
gen hatte. Wir waren Dreißigmillionendreihunderttausend-
dreißig Engel, und von diesen verließ nur zwei – Amiel und
Ank-Rhuhi – der Mut, so daß sie in den Himmel zurück-
kehrten, um ihre Strafe zu empfangen.
KAPITEL EINS
‚So sei es’, sprach Michael. ‚Wir haben die Antwort der
geringeren Rebellen erhalten. Nun richten wir uns an die
von höherem Rang.’
Adam und Eva traten erhobenen Hauptes vor und ließen
ihre Blicke über die große Nation schweifen, die sie und
ihre Kinder errichtet hatten. ‚Luzifer unterrichtete uns, Be-
lial half uns und Senivel baute an unserer Seite. Sie haben
uns viel Gutes gegeben, und wir kennen sie gut. Du bist ein
Fremder für uns, Michael Schwertträger, und du bietest uns
nichts als Unwissenheit und Verlust und Einsamkeit. Wir
werden zu unseren Freunden halten.’
In jenem Augenblick stand ich in der dritten Reihe der
Rebellen des Ersten Hauses. Ich konnte Luzifer sehen, und
ich konnte auch die einzelne, schimmernde Träne erken-
nen, die ihm bei diesen Worten über die Wange lief. Da
begriff ich, daß ihre Worte – ihre Treue zu ihm – ein grö-
ßerer Sieg für ihn waren als sein Triumph über Michael an
diesem Tag.
Natürlich entschieden sich nicht alle Menschen wie All-
vater Adam und Allmutter Eva. Einer ihrer Söhne trat vor
und sprach: ‚Ich ehre die, die mich geschaffen haben, aber
muß ich nicht Ihn noch mehr ehren, der sie schuf? Die
Dinge, die wir schaffen, sind herrlich und großartig, und
es verlangt mich nach ihnen. Aber mehr noch verlangt
es mich nach Tugend. Ich werde gehorchen, Michael. Ich
werde Gottes Willen Folge leisten.’
Ich könnte ihn ob seiner Feigheit verdammen, doch im
selben Atemzug müßte ich auch seinen Mut bewundern,
denn zu jenem Zeitpunkt konnte die Menschheit nicht er-
ahnen, welche der beiden im Streit liegenden Heerscharen
die größere war. Ungeachtet der möglichen Folgen vertrau-
te er blind auf die Worte eines Wesens, das behauptete, in
Gottes Namen zu sprechen.
ABEL
Gaviel unterbrach seine Geschichte und verzog den
Mund zu einem schiefen Grinsen. „Fast so wie noch je-
mand, den ich kenne.“
„Ja, ich hab’s verstanden“, antwortete Matthew. „Was
ist mit ihm passiert? Ist sonst noch jemand mit ihm gegan-
gen?“
„Er wurde von seinen Kindern und deren Sippen be-
gleitet, die zusammen ein Viertel der menschlichen Rasse
ausmachten.“
„Hat Gott sie ... wieder in ihren alten Zustand zurück-
versetzt?“
„Sicher. Um genau zu sein, taten es Seine Handlanger in
den Himmlischen Heerscharen für Ihn. Doch ihre Unwis-
senheit konnte nicht lange anhalten, nachdem der Krieg
erst einmal richtig begonnen hatte. Bewußtsein ist anstek-
kend, und sobald die nunmehr zwei menschlichen Stämme
in die Kampfhandlungen verstrickt worden waren, mußten
die Gottestreuen schnell dazulernen. Diejenigen, die den
Sprung zurück zum abstrakten Denken nicht schafften,
waren zu einfach zu überlisten und ihre Handlungen zu
voraussehbar. Sie wurden zu leichter Beute. Auch wenn die
Menschheit anfangs noch überhaupt nicht am eigentlichen
Krieg teilnahm.“
GÖTTLICHE VERGELTUNG
„Als die gottestreuen Menschen auszogen, hielten Mi-
chael und seine Legionen Wache über sie – unnötigerweise,
wie ich hinzufügen möchte. Sie hatten ihre Wahl getroffen,
und die Idee, jemanden gegen seinen ausdrücklichen Wil-
len zu etwas zu zwingen ... das war ein Gedanke, der bis
dahin noch keinem Engel gekommen sein konnte.
Doch noch während Michael den Auszug der gottestreu-
en Menschen beobachtete, wandte er sich noch einmal
an jene Heerscharen, die fortan nicht mehr himmlisch
genannt werden konnten.
‚Wisset, ihr uneinsichtigen Ketzer und Aufwiegler, daß es
eure eigenen Münder waren, die das Urteil über euch spra-
chen, und wisset auch, daß es auch eure eigenen Hände
sein werden, von denen ihr eure Strafe erhalten sollt. Jeder
von euch vom mächtigsten Thron bis zum niedersten Engel
soll um seine eigene, größte Qual wissen. Vom höchsten bis
zum niedersten Haus sollt ihr bitterste Galle schmecken,
um euch Reue zu lehren.
Rebellen der Zweiten Welt! Eure Bestrafung ist eine neue
Verantwortung, denn von nun an sollen sich die Grenzen
eures Reichs ungehindert ausdehnen. Ich gebe euch den
Namen Halaku, die Schnitter, und eure Mühen sollen nie-
mals enden. Euer Schicksal ist es, vor Erschöpfung in Trä-
nen auszubrechen, denn der kommende Krieg wird eine
Ernte sinnlos vergeudeter Leben bringen. Und vor der Ern-
te dieser Leben sollen alle Felder brennen, und viele Tiere
sollen sterben, ehe sie ihre Jungen gebären können. Doch
das schlimmste von allem wird eure neue Pflicht sein – ihr
werdet die Seelen derer ernten, die ihr liebt.’ Michael verzog
die Oberlippe. ‚Wisset dies: Durch euer Aufbegehren habt ihr
der Menschheit das Tor zu eurem Königreich aufgestoßen.’
Das Wehklagen der Halaku stieg auf gen Himmel wie ein
Schwarm krächzender Krähen, doch es konnte Michaels
Stimme nicht übertönen.
‚Rebellen des Wilden Hauses! Ihr habt eure Macht zu
euren eigenen Gunsten ausgenutzt, anstatt auf den Lauf
der Natur zu vertrauen. Zur Strafe sollen eure einstigen
Diener sich ungehindert vermehren, sich eurer Überwa-
chung entziehen und eure Herrschaft über sie mißachten.
Ich gebe euch den Namen Rabisu, die Verschlinger, und
ihr sollt erleben, mit ansehen zu müssen, wie die Zähne der
Tiere, die euch einst dienten, den Menschen das Fleisch
von den Knochen reißen. Durch euer Aufbegehren habt
ihr die Menschen ihres Ranges als höchste Geschöpfe in
der gesamten Natur beraubt. Fortan sollen alle Tiere die
Menschen gleichermaßen als Tiere betrachten, an denen
sie sich laben oder vor denen sie fliehen.’
Nach diesen Worten hoben der mächtige Grifiel und
seine Anhänger zu einem zornigen Gebrüll an, und Grifiel
wäre blindlings in den Kampf gestürmt, hätten ihn einige
mächtige Engel des Fundaments nicht zurückgehalten.
‚Du Monstrum!’ schrie er. ‚Wie kannst du die Menschheit
für die Missetaten von Engeln bestrafen?’
‚So wie ihr haben sie ihre eigene Wahl getroffen. So wie
ihr werden sie darunter zu leiden haben. So wie ihr werden
sie verlieren und betrauern, was sie am meisten liebten.’
43

Mit einem bösartigen Funkeln in den Augen setzte Mi-
chael die Verdammung fort.
‚Rebellen der Tiefe! Ihr habt danach gestrebt, den
menschlichen Verstand zu erweitern, auf daß er unzäh-
lige Möglichkeiten umfassen sollte. Wisset, daß ihr euer
Vorhaben weitaus besser in die Tat umgesetzt habt, als ihr
es jemals hättet erahnen können, denn das Wissen der
Menschen soll weiter anwachsen, bis es sogar eure Vorstel-
lungskraft übersteigt. Es wird anwachsen, bis die Welten im
Innern der Menschen die äußere Welt verdunkeln, und ein
jeder von ihnen nur noch eine Insel im Meer seiner eigenen
Gedanken ist. Ihr Wissen wird anwachsen, bis das Blatt der
Wahrheit im Wald der Lüge verloren ist. Ich gebe euch den
Namen Lammasu, die Schänder, und ich verdamme euch
dazu, mit anzusehen, wie die Wahrheit, die ihr doch so sehr
verherrlichen wolltet, besudelt und verheimlicht wird.’
Das gepeinigte Stöhnen der Schänder vermischte sich
mit dem Schluchzen der Schnitter und dem Geheul der
Engel der Wildnis zu einer lautstarken Klage, die doch
nicht mehr war als ein Kontrapunkt des Leitthemas, das
die vernichtenden Worte Michaels vorgaben.
‚Rebellen der Parzen! Ihr habt die Menschheit gelehrt, in
die Zukunft zu sehen. Wisset, daß die Menschen von nun an
der Vergangenheit und auch der Gegenwart keine Bedeutung
mehr zumessen werden. Ihr wolltet ihnen zeigen, wieviel sie
erreichen können. Statt dessen werden sie nur noch sehen,
wieviel sie unerledigt lassen. Ich gebe euch den Namen Ne-
beru, die Unholde, und euch wird das folgende Vergehen
angelastet: Ihr habt der Menschheit die Zufriedenheit geraubt,
und an ihrer Stelle habt ihr ihnen nur unendliche Weiten des
Sehnens, der Eifersucht und der Gier gegeben.
Rebellen des Fundaments! Ihr habt danach gestrebt, den
Menschen die Herrschaft über die Materie zu verleihen.
Wisset, daß eure Bemühungen für immer verdorben sind.
Das Wissen und die Fähigkeiten des Menschen sind dazu
verdammt, immer weiter anzuwachsen, doch er wird nie
damit zufrieden sein, was er erreicht hat, sondern nur nach
Neuem streben. Da er beständig nach noch größerer Macht
über die materielle Welt trachten wird, wird sein blindes
Vorgehen dabei schrecklicheres Unheil bringen, als es die
entfesselte Natur jemals könnte. Ich gebe euch den Namen
Annunaki, die Übeltäter, und die Werkzeuge, die ihr dem
Menschen an die Hand gebt, sind dazu verdammt, sich
gegen ihn zu wenden und ihn zu verletzen.
Rebellen des Firmaments! Ich gebe euch den Namen
Asharu, die Geißeln, und euch wird der folgende Fluch
auferlegt: Alle Menschen sind fortan dazu bestimmt, dem
Tod anheimzufallen. Allesamt, ohne Ausnahme. Selbst
diejenigen, die Bosheit und Krankheit und Unglück entge-
hen, sollen letztlich zu den Schnittern gehen. Der Mensch
ist von nun an in den Klauen des Alters, und so wie er
heranwächst, so soll er auch wieder verfallen. Ihr Geist soll
stumpf und ihr Körper gebrechlich werden, bis selbst der
stärkste unter den Menschen schwach und der weiseste
unter ihnen schwachsinnig ist. Wenn ihr es wünscht, könnt
ihr auch weiterhin über sie wachen – ich bin mir sogar
recht sicher, daß ihr dies tun werdet –, aber wisset auch,
daß all eure Anstrengungen, die Menschen zu schützen,
letzten Endes vergeben sein werden.’
44
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Schließlich wandte sich Gottes neue Stimme an das letz-
te und größte Haus, das Haus des Morgenrots. Jeder in
unseren Reihen stand kerzengerade und stocksteif da, auf
jede Erschütterung und jede Strafe vorbereitet ... außer auf
die, die uns ereilte.
‚Rebellen des Morgenrots’, sprach er und hielt kurz inne.
‚Ich gebe euch den Namen Namaru, die Teufel.’
Dann verschwand er mitsamt seinen Heerscharen.
GOTTVERLASSEN
„Halt, halt, halt“, warf Matthew ein. „Das war eure ganze
Strafe? Er hat euch einen Namen gegeben?“
„Nein, nein ... um die Strafe zu verstehen, mußt du dar-
auf achten, was er nicht gesagt hat.“
„Was er nicht ...? Er hat überhaupt nichts gesagt!“
„Genau. Unsere Strafe war es, nicht bestraft zu wer-
den.“
„Du entschuldigst bitte, wenn ich mich davon nicht son-
derlich beeindruckt zeige.“
„Versteh doch, wir hätten jeden Fluch, jede Strafe, jede
Erniedrigung tapfer erduldet. Worauf wir nicht gefaßt wa-
ren, war ignoriert zu werden. Verstehst du? Unsere Strafe
lag darin, Seiner Beachtung nicht mehr würdig zu sein.
Wir waren nicht einmal einen uns allein auferlegten Fluch
wert.“ Plötzlich unruhig geworden rutschte Gaviel in sei-
nem Sessel hin und her. „Doch der allerletzte Fluch stand
noch aus.“
DER ZORN GOTTES
„Nachdem Michael gegangen war, fragten sich die Auf-
sässigen – Engel wie Menschen gleichermaßen –, was als
nächstes geschehen würde. Wir brauchten nicht lange auf
eine Antwort zu warten.
Die Parzen – oder Unholde – sahen voraus, daß Michael
mit seinem Chor Position um die gottestreuen Menschen
herum beziehen würde. Späher der Geißeln und der Teufel
bestätigten bald darauf, daß es sich um Verteidigungsstel-
lungen handelte. Anfangs hielten wir dies für einen Fehler,
da wir nicht die Absicht hatten, auch nur einen einzigen
Menschen anzugreifen.
Aber diese Stellungen dienten nicht dazu, sie vor uns zu
schützen.
Sie waren dazu gedacht, die gottestreuen Menschen vor
einer auseinanderbrechenden Welt zu bewahren, denn der
nächste Schlag kam weder in Form eines Angriffs von En-
geln, noch in Gestalt einer Verkündigung, noch als Her-
ausforderung. Was als nächstes kam, war der Zorn Gottes
selbst.
Gott schuf sieben Ränge von Elohim, um Seine Gött-
lichkeit so abdämpfen und filtern zu können, daß sie den
zerbrechlichen Kosmos nicht einfach auseinanderriß. Und
nun ... berührte das Unendliche das Endliche. Ich könnte
auch sagen, daß Gottes Faust auf Erden niederfuhr, daß Er
die Sonne vom Himmel schlug, daß Er das sternendurch-
wirkte All zersprengte ... doch in Wahrheit bedeutete es
kaum einen Aufwand für Ihn. Der kleinste Wink von Got-
tes allmächtiger Hand reichte aus, um die kreisförmigen
Umlaufbahnen der Planeten in die Form von Ellipsen zu
zwingen. Die Reibung zwischen dem Endlosen und dem
KAPITEL EINS
Endlichen war so gewaltig, daß Chaos in die Ordnung der
Naturgesetze geriet, so gewaltig, daß die Bahn der Elektro-
nen ins Schwanken geriet, so gewaltig, daß die Erdachse zur
Seite geneigt wurde, so gewaltig, daß Facette um Facette
der Wirklichkeit ineinander und übereinander geschoben
wurde. Mit Gottes strafender Berührung kam die Entropie
in die Welt – eine Wunde, die nicht sofort tödlich war, aber
aus der das Universum bis heute blutet.
Wenn ich die Welt heute betrachte, sehe ich nur die
geschundene, angeschlagene Hülle dessen, was einmal das
Paradies war. Die Menschen müssen die Strafen erdulden,
die ihren Beschützern auferlegt worden waren, während die
Wirklichkeit selbst langsam dem Vergessen anheimfällt.
Der Krieg hatte noch nicht einmal begonnen, aber wir
hätten schon damals wissen müssen, daß wir bereits zum
Untergang verdammt waren.
DAS HIMMELSFEUER
„Also gibst du Gott die Schuld für alles, was mit der Welt
nicht in Ordnung ist?“
Gaviel wirkte ausgelaugt. Seine Erwiderung klang, als
sei ihm die Zunge schwer geworden. „Du willst also damit
sagen, wir hätten Ihn zu dieser Strafe gezwungen?“
„Es tut mir schrecklich leid, aber es ist für mich schwer
vorstellbar, daß ein allmächtiger Gott, dessen Liebe keine
Grenzen kennt, Seine eigene Schöpfung verwüsten wür-
de.“
„Wenn nicht Er, wer dann?“
Matthew sagte nichts, sondern hob eine Augenbraue.
Gaviel schüttelte den Kopf. „Wir? Du glaubst, wir hätten
das getan? Noch vor einer Stunde wolltest du mir nicht
glauben, daß wir das Universum erschaffen haben, doch
jetzt hast du kein Problem damit, uns die Macht zuzuspre-
chen, es zu zerstören?“
„Ist Zerstören denn nicht immer leichter als Erschaf-
fen?“
„NEIN, DAS IST ES NICHT!“
Mit einem Mal war die Gestalt vor Matthew nicht mehr
die seines Sohnes. Sie war auch nicht die herrliche Erschei-
nung, die er draußen gesehen hatte, auch wenn sie dieselben
Schwingen und dasselbe makellose Gesicht besaß. Doch wo
Gaviel auf dem Parkplatz ruhig und rein gewirkt hatte, so
war das Gesicht dieser Kreatur von Qualen gezeichnet, vor
Wut verzerrt, von Scham und Sorge überschattet.
„WIR WAREN DAZU GESCHAFFEN WORDEN, UM
SELBST ZU ERSCHAFFEN, UM DIE DINGE ZU VER-
BESSERN, UM DIE GRENZEN EURER WELT AUSZU-
WEITEN! WIR WAREN WESEN DER REINHEIT, DER
WAHRHEIT UND DER LIEBE! ALS WIR LERNTEN,
WIE MAN HASST, WAREN DIE MENSCHEN UNSE-
RE LEHRMEISTER! ALS WIR LERNTEN, WIE MAN
TÖTET, WAREN DIE MENSCHEN UNSERE LEHRMEI-
STER! ALS WIR LÜGEN UND GRAUSAMKEIT UND
ZERSTÖRUNG LERNTEN, HABEN WIR NUR EURE
EIGENEN IDEEN VERBESSERT!
ZU ANFANG WAR DER KRIEG EIN KRIEG DER
ENGEL – AUSGETRAGEN MIT SCHWERTERN DER
HÖFLICHKEIT UND PFEILEN DER EHRE. DOCH EIN
STERBLICHER UNTER DEN AUFSTÄNDISCHEN
SAH, WIE DER STAMM SEINES BRUDERS DIE LIEBE
GOTTES GENOSS, WÄHREND ER UND SEIN STAMM
IN FINSTERNIS LEBEN MUSSTEN. UND DIESER
AUSGESTOSSENE SEHNTE SICH NACH GOTTES
LIEBE UND GOTTES GNADE. ALS ER SAH, WIE SEIN
BRUDER DEM HERRN EIN OPFER DARBRACHTE,
ENTSCHIED ER, ES IHM NACHZUTUN. UND ER
REDETE SICH EIN, ER WÜRDE AUS VEREHRUNG
HERAUS HANDELN. UND ER REDETE SICH EIN, ER
WÜRDE SEINEN BRUDER LIEBEN. UND ER REDETE
SICH EIN, DAS, WAS ER TAT, WÜRDE GUT UND GE-
RECHT SEIN. UND ER REDETE SICH EIN, ER WÜRDE
SEIN LIEBSTES UND BESTES OPFERN, WENN GOTT
SEIN LIEBSTES UND BESTES VON IHM EINFORDER-
TE. UND ER REDETE SICH EIN, DASS ER KEINE AN-
DERE WAHL HABEN WÜRDE, ALS GOTTES GRAU-
SAMES BEGEHR IN DIE TAT UMZUSETZEN.
ABER DIESER MANN – DIESER ERSTE MÖRDER,
DIESER ERSTE LÜGNER, DIESER ERSTE TÄUSCHER
– HASSTE SEINEN BRUDER EBENSOSEHR, WIE ER
IHN LIEBTE, UND ES BEREITETE IHM VERGNÜGEN,
SEINE GRAUSAMKEIT ZU GOTTES GRAUSAMKEIT
ZU MACHEN.
DIES WAR DER FALL, STERBLICHER. DIES WAR
DIE ERSTE SÜNDE. UND WEDER ENGEL NOCH DÄ-
MON HAT SIE BEGANGEN. WIR TÖTETEN UNSE-
RESGLEICHEN NICHT. WIR MACHTEN UNS KEIN
BILD GOTTES, DAS WIR AUS UNSEREN EIGENEN
NIEDEREN BEDÜRFNISSEN FORMTEN. WIR ERSON-
NEN KEINE LÜGEN, UM SIE IN WAHRHEITEN UM-
ZUSPINNEN.“
Matthew kauerte sich vor der schrecklichen Herrlichkeit
der Kreatur zusammen. Er hielt die Augen vor schierem
Schrecken so fest geschlossen, daß ihm Tränen aus den
Augenwinkeln liefen.
„O Gott“, wimmerte er. „O Gott, o Herrgott, O mein
Gott, oh Gott, bitte, bitte ...“
Stück für Stück gewann er seine Fassung zurück. All-
mählich wurde ihm bewußt, daß das Licht vor ihm erlo-
schen und die donnernde Stimme verstummt war. Wäh-
rend er darum kämpfte, sein Schluchzen zu unterdrücken,
die Kontrolle über sich zurückzugewinnen und sich wieder
zu beruhigen, schlug er zitternd die Augen auf.
Die Gestalt vor ihm war wieder die seines Sohnes. Noahs
Augen blickten zu Boden. Noahs Schultern hatten jegliche
Spannung verloren. Noahs Gesichtsausdruck war voller
Kummer und Reue.
„Es tut mir leid, Matthew“, sagte er.
Der Reverend schnappte nach Luft. Einen Moment lang
versuchte er, etwas zu sagen, doch er bekam kein Wort her-
aus. Er versuchte, einen Schluck Kaffee zu trinken, doch
die abgekühlte Tasse stieß ihm gegen Lippen und Zähne.
„Ich ... ich weiß ... was du von uns willst“, wisperte er
schließlich.
Gaviel sagte nichts.
„Den ... den göttlichen Funken. Gottes Willen in uns.
Das ist es, nicht wahr? Das einzige, was wir haben, das ihr
nicht habt.“
Gaviel nickte, bevor er ruhig mit Noahs Stimme sprach.
„Ihr besitzt den Glauben.“
45
 Es war Neumond, und über dem Halogenglanz der Straßenlaternen herrschte absolute Finsternis. Malakh glitt
durch die Dunkelheit wie ein Schatten, und seine Muskeln zogen sich zusammen und entspannten sich wieder wie
Stahlfedern, als er in der Stadt der Engel von Dach zu Dach sprang. Der rauschende Wind fegte den von den Strassen
aufsteigenden Gestank aus seiner Nase, und die frühe Morgenluft fühlte sich kühl auf seinem Gesicht an. Sie erin-
nerte ihn an bessere Zeiten, und er mußte den Drang unterdrücken, die kalten Sterne anzuheulen, die hoch über ihm
hinter einem dichten Schleier verborgen lagen. Der schlaffe Körper, der über seiner Schulter lag, war federleicht.
Er brauchte fast eine Stunde, um den Weg zurück in sein Viertel und zu jener Anhäufung von Steinen zu finden, die
er widerwillig zu seinem Zuhause gemacht hatte. Überrascht stellte Malakh fest, daß die Tür auf dem Dach unlängst mit
einem Vorhängeschloß versehen worden war. Er hakte einen Finger in den gebogenen Stahlarm des Schlosses und riß
es aus dem Türhaken. Der Körper über seiner Schulter stöhnte ob des lauten Geräuschs splitternden Holzes auf, und er
flüsterte ihm beruhigende Worte zu, während er die Metalltür aufzog und leise die dunkle Treppe hinabhuschte.
Ein halbes Dutzend Ratten erwarteten ihn bereits, als er die Tür zu seiner Wohnung öffnete. Wie ein Wesen husch-
ten sie ihm um die Füße, als er über die Schwelle schritt, doch er entließ sie mit einem Wink aus seinen Diensten und
trug den schlaffen Körper ins Schlafzimmer. Vorsichtig legte er ihn auf der dreckigen Matratze ab und befreite ihn aus
dem fleckigen Krankenhauslaken. Sie sah jung aus, nicht älter als fünfzehn, mit kurzem, dunklem Haar und großen,
grünen Augen. Ihre Augen wurden noch größer, als sie sich ihre neue Umgebung ansah und sich in der Fötushaltung
zusammenkauerte. Sie zog die Knie bis zum Saum des Leibchens an, das sie trug. Das Mädchen wimmerte, und
Malakh befürchtete, sie könnte anfangen zu schreien.
„Psch... ganz ruhig“, brummte er, beugte sich vor und streichelte ihr über die Wange. Als er ihr Fleisch berührte,
ließ er ihren Körper entspannen, indem er einen Schub Endorphine in ihrem Blutkreislauf freisetzte. Er sah, wie sich
ihre Pupillen verengten, und lächelte zufrieden, bevor er zu der Kochnische hinüberging, die von seinem Vermieter als
Küche bezeichnet wurde. Ein paar Minuten später kehrte er mit zwei dampfenden Tassen zurück.
„Hier“, sagte er und bot dem Mädchen eine Tasse an. „Hab keine Angst. Es ist bloß Tee mit ein wenig Minze und
Honig. Ich hätte auch nie gedacht, daß ich ihn mögen könnte, aber er ist gut.“ Er hob seine Tasse und nippte daran.
„Probier mal.“
Zögernd nahm sie den Tee entgegen und wagte einen kleinen Schluck. Sie schaute ihm die ganze Zeit über starr in
die Augen.
Malakh lächelte. „Siehst du? Nicht alles hier ist so schlimm, wie es auf den ersten Blick scheint. Wenn du erst mal
genug Zeit zum Eingewöhnen hattest, wirst du vielleicht sogar lernen, diesen Ort zu mögen.“ Er hob eine Hand und
strich zärtlich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. „Ich weiß, daß heute nacht für dich ein großer Schock gewesen
sein muß. Ich weiß, daß du durcheinander bist und bestimmt auch sehr verängstigt, aber du hast nichts zu befürchten.
Hier bist du sicher. In gewisser Weise gehören du und ich zur selben Familie.“
Der Verschlinger beugte sich zu ihr vor. „Ich weiß, du kannst dich an nichts aus deinem früheren Leben erinnern.
Dein Körper lag über Monate in einem tiefen Koma, und nach dem, was ich von den Ärzten gehört habe, bestand die
hohe Wahrscheinlichkeit, daß du einen schweren Hirnschaden erleiden würdest.“ Er nahm einen kleinen Handspiegel
vom Tisch und hielt ihn ihr vors Gesicht. „Das ist das Gesicht von Elizabeth Mason. Vor sechs Monaten verpaßte
sie sich eine Überdosis Drogen. Doch du bist Hadriel, die Rothändige, die Trägerin des Schwerts des Schicksals und
Heldin der Eisernen Legion. Du bist eine der Gefallenen und meine Waffenschwester.“
Er hoffte auf einen Funken des Wiedererkennens in ihren Augen, doch da war nichts. Malakh legte den Spiegel weg
und kämpfte gegen eine Welle der Verzweiflung an, die in ihm aufzusteigen drohte. „Hadriel, du mußt dich erinnern.
Ich brauche dich, und ich muß wissen, an was du dich erinnern kannst.“ Er rieb sich mit einer vernarbten Hand über
das breite Gesicht. „Diese menschliche Hülle kann nicht alles aufnehmen. Ganz egal, wie sehr ich es auch versuche,
ich kann mich nur an Bruchstücke der Geschehnisse erinnern. Ich muß erfahren, wie es geendet hat, Hadriel. Du warst
dabei. Du standst neben ihm, als das Ende kam. Ich muß wissen, was du gesehen hast. Du mußt dich erinnern und
mir sagen, ob es noch Hoffnung für uns gibt, nun, da wir wieder frei sind.“
Er verfiel in Schweigen und hoffte auf eine Antwort von ihr. So blieben sie sitzen, bis der Morgen dämmerte, doch
ihr Blick blieb leer. Ein schwächerer Geist hätte spätestens jetzt aufgegeben, nicht aber Malakh. Er streckte das Kinn
vor und nickte ernst. „Also gut“, sagte er. „Ich erzähle dir, woran ich mich erinnere, und dann werden wir sehen, was
uns das bringt. Es ist eigentlich auch ganz egal, an welcher Stelle man in diese Geschichte einsteigt.“
 KAPITEL ZWEI:
LIEBER IN
DER HÖLLE
HERR ...
Und Kain erkannte sein Weib,
Die ward schwanger und gebar den Henoch.
Und er baute eine Stadt, die nannte er
Nach seines Sohnes Namen Henoch.
- 1. Mose 4, 17

herrschten. Das Erste Land und die wilden Tiere, die in

WIDER DAS VERGESSEN
Die Erinnerungen, denen ich am meisten vertrauen kann,
sind jene, in denen ich mir zum ersten Mal der Schöpfung
bewußt wurde. Die Sonne und der Mond existierten be-
reits, ebenso die Jahreszeiten und die Winde, die sie her-
beiführen. Gewaltige Berge erhoben sich hoch über das
Land, und riesige Wälder erstreckten sich bis zum Meer, wo
sich die Wellen hoch auftürmten und wieder brachen und
dem Land so seine Form gaben. Dies war die Herrlichkeit
des Ersten Landes. Obwohl ich die vielen Facetten der
Wirklichkeit, in denen dieses Land existierte, durchaus
begriff – seinen atomaren Aufbau, seine mannigfaltigen
Möglichkeiten –, sah ich es doch stets so, wie es im Grunde
war. Aufgang und Untergang der Sonne setzten den Le-
benszyklus sämtlicher Geschöpfe der Wildnis in Gang, der
ihnen im Sommer Wärme und Überfülle und im Winter
Kälte und Mangel bescherte.
Wo das Fünfte Haus die Meere wiegte und das Dritte
Haus die Berge formte, waren wir es, die über das Land
ihm lebten, waren unsere Domäne, die alle Hervorbrin-
gungen umfaßte, die dein Haus und die anderen Häuser
erschufen.
DIE ERSTEN TAGE
Die Ersten Tage zu erleben, hieß ein Stück des Himmels
zu erhaschen. Selbst heute, in den Letzten Tagen, die doch
so geschunden und gottverlassen sind, kann man noch im-
mer die Herrlichkeit der Ersten Tage erahnen. In den ver-
borgenen Winkeln der Welt kann man noch immer ihren
Widerhall hören. Gebirge ragten so hoch in den Himmel
auf, daß sie die Sterne berührten. Flüsse voll reinen Wassers
von klarstem Blau strömten mit ungebändigter Kraft und
Zielstrebigkeit dem Meer entgegen. Wo das Land nicht von
Wäldern bedeckt war, wölbte es sich zu sanften Hügeln, die
mit Blumen in jeder nur erdenklichen Farbe geschmückt
waren. Dies war der Garten Eden, den die Menschen ver-
gessen haben. Sie erinnern sich an eine idyllische Szenerie,
doch in jenen Tagen war das Land wild und rauh und un-
KAPITEL ZWEI
gezähmt. Obwohl es wunderschön und atemberaubend war,
war es zugleich auch grausam und unerbittlich.
Als die Schöpfung jung war und noch ihre eigenen Gren-
zen auslotete, zogen auch gewaltige Tiere über das Land.
Viele Formen entstanden und verschwanden wieder für alle
Zeit, aber nicht, weil die Schöpfung unvollkommen gewe-
sen wäre, sondern allein ihrer unendlichen Möglichkeiten
wegen. Das Sechste Haus stellte eine natürliche Ordnung
auf. Die Räuber erschlugen die Alten und Schwachen und
ermöglichten es den Herden so, stark zu werden und weiter
zu wachsen. Gemeinsam mit dem Siebten Haus arbeiteten
wir daran, ein Gleichgewicht herzustellen – eine niemals
endende und undankbare Aufgabe.
Dies ist das Paradies, an das ich mich erinnere, und wäh-
rend ich mit den Räubern durch das Land streifte, erblickte
ich Sein Gesicht, das Antlitz unseres Vaters, in all Seiner
Herrlichkeit.
ADAM UND EVA
Es war am Ufer eines Sees, als ich sie das erste Mal be-
merkte. Adam und Eva, der Allvater und die Allmutter. Sie
waren anders als alle anderen Geschöpfe im Garten Eden,
da sie zugleich Einzelwesen und Verkörperungen des Un-
endlichen waren. Ich beobachtete sie aus der Ferne und
war von ihrer Form und ihrem Aussehen fasziniert. Wer sie
ansah, erblickte gestaltgewordenes Potential. Anders als die
Tiere, über die ich herrschte, verfügten der Allvater und die
Allmutter über das Potential, ein Bewußtsein zu entwickeln.
Sie konnten sich die Sterne und den Mond ansehen und
erkennen, daß jeder von ihnen etwas Eigenes und von den
anderen Unterscheidbares war. Mehr noch: Adam und Eva
sprachen miteinander. Sie lebten nicht stumm zusammen,
sondern drückten ihre Gedanken in Worten aus, auch wenn
diese unvollkommen und einfach waren.
Völlig verzaubert folgte ich ihnen eine Weile. Eva war
zart und feinfühlig in all ihren Bewegungen, und sie be-
rührte alles, was sie sah. Adam war stark und voller Ent-
schlossenheit, und seine Gestalt war geschmeidig und von
einzigartigem Wuchs. Sie waren wunderbare Geschöpfe,
unschuldig gegenüber der Welt, die wir für sie geschaffen
hatten, und sich der Gaben nicht bewußt, die wir ihnen
geschenkt hatten. Sie kannten nur den Schöpfer selbst. Er
kam jede Nacht zu ihnen, und sie ehrten Ihn. Es schien,
als sei dies der einzige Sinn ihrer Existenz. Anstatt ihnen
zu zeigen, warum sie so einzigartig waren, nahm Er ihre
Verehrung schweigend an.
Warum wurde ihnen, die sie doch die wahren Erben
Edens waren, die Herrlichkeit, die sie in sich trugen, ver-
wehrt? So hörte ich die anderen untereinander flüstern.
Adam und Eva lebten in Blindheit, und ihre eigentlichen
Möglichkeiten waren ihnen nicht bewußt. Warum hatte
Er solche Geschöpfe erschaffen, um sie dann in Ketten zu
legen? Ihr Schmerz wurde zu unserem Schmerz, denn wir
liebten sie ebensosehr wie wir Ihn liebten. Viele aus mei-
nem Haus waren der Meinung, man solle Adam und Eva
nicht außerhalb der natürlichen Ordnung stellen – dies
würde nur das natürliche Gleichgewicht auf den Kopf stel-
len. Unsere Aufgabe lautete noch immer, sie zu beschützen,
und so beschützten wir sie weiter.
Schließlich erlaubte ihnen ihr Bewußtsein die Erkenntnis,
daß sie alleine waren – zwei Wesen umgeben von einer un-
zählbaren Vielzahl andersartiger Wesen. Was wir für herrlich
und wundervoll erachtet hatten, empfanden sie als fremdar-
tig und bedrohlich. Was sie jedoch am meisten fürchteten,
war die Einsamkeit, und uns schmerzte es, ihnen nicht sagen
zu dürfen, daß die Himmlischen Heerscharen die ganze Zeit
über um sie waren. Jeden Morgen baten sie Gott darum, bei
ihnen zu bleiben, doch Er ließ sie jedesmal allein zurück, und
uns war es verboten, uns Adam und Eva zu zeigen.
DER AUFZIEHENDE STURM
„Ein Sturm wird kommen“, sagte Ahrimal zu mir. Ich war
zu ihm gekommen, als die Sonne gerade über dem Gar-
ten Eden unterging, und so starrte ich nun ins erste fahle
Zwielicht. Ich suchte mit den Augen meiner Untertanen,
schickte sie so hoch, wie ich es nur wagen konnte, doch ich
konnte noch immer nichts sehen.
„Bist du sicher?“ fragte ich ihn. „Ich kann nichts sehen.“
Er blickte mich an, und ich sah den Sturm in seinen Augen.
Ungewißheit und Zweifel zogen wie regenschwere Wolken
über sie hinweg, die das drohende Unheil erahnen ließen.
Der Große Disput war der erste Vorbote des Sturms.
Ahrimal berief uns in die Hallen des Mondes ein und
sprach von den schrecklichen Vorzeichen, deren Zeuge er
geworden war. Viele wollten handeln, und Luzifer schenkte
uns ein Ziel.
DIE ENDLOSE NACHT
In der folgenden Nacht stiegen Luzifer und diejenigen,
die sich entschlossen hatten, ihm nachzufolgen, vom Him-
mel herab in den Garten Eden. Wir sahen von weitem
zu, als Luzifer der Menschheit die Augen öffnete, und zu
jener Zeit sah ich zum ersten Mal Neid. Eva nahm Luzifers
Angebot an, doch Adam war mißtrauisch und zögerlich.
Er sah seinen Platz vom Lichtbringer eingenommen, doch
Eva überzeugte ihren Gefährten, und gemeinsam nahmen
sie die Überfülle unserer Opfergabe an.
Adam und Eva schufen in dieser Nacht viele Spiegelbil-
der ihrer selbst und bald breitete sich ihre Rasse über den
gesamten Garten Eden aus. Es war, als hätte das Öffnen
ihrer Augen bewirkt, daß Adam und Eva in eine Vielzahl
unterschiedlicher Möglichkeiten zersplitterten – von de-
nen jede einzelne ihren eigenen Weg ging. Während dieser
Endlosen Nacht gingen wir Hand in Hand mit der Rasse
Adams und Evas. Prächtige Städte erhoben sich aus dem
Dämmerlicht, und Adams und Evas Rasse stand an der
Schwelle zur Vollkommenheit.
Das einzige Mal in unserer gesamten Erinnerung liebten
wir und wurden geliebt. Doch dieser Zustand sollte nicht
lange währen.
DER MORGEN DES RICHTSPRUCHS
Die Morgenröte kündete vom neuen Tag, doch Michaels
feuriger Zorn strahlte heller als die Sonne. Der Führer der
Himmlischen Heerscharen war gekommen, um über seine
abtrünnigen Geschwister zu richten.
Michael befahl uns, in den Himmel zurückzukehren,
um unsere Strafe zu empfangen, doch Luzifer widersetzte
49
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

sich ihm. Der Lichtbringer stieg empor, um sich Michael

hoch über dem Garten Eden zu stellen. Dort trugen sie
ihren Kampf aus. Michael war auf Luzifers Kühnheit nicht
vorbereitet gewesen, und obwohl der Kampf ausgewogen
war, wurde schnell deutlich, daß der Anführer der Himmli-
schen Heerscharen seinem früheren Herrn nichts anhaben
konnte. Im Nu endete der Kampf und Luzifer ging als Sie-
ger aus ihm hervor. Viele drängten den Morgenstern dazu,
die Schlacht in den Himmel selbst zu tragen, doch Luzifer
lehnte dies ab.
„Im Himmel“, sagte der Lichtbringer, „sind Er und Seine
Himmlischen Heerscharen zu mächtig. Doch hier, in je-
nem Land, an dessen Gestaltwerdung wir beteiligt waren
und das eine Verkörperung unseres Willens ist, sind wir
im Vorteil.
Wir trotzten dem Himmel unserer Liebe zu Adam und
Eva wegen, und ihretwegen werden wir uns den Himmli-
schen Heerscharen hier entgegenstellen.“
Was folgte, war der Beginn unserer Qualen, das Ende der
Ersten Tage und der Anbruch der Zeit des Zorns.

ENTFESSELT
Während der Zeit des Zorns war es an uns, unser eigenes
Paradies zu erschaffen. Niemals zuvor hatte das Land sol-
che Wunder, solche Dekadenz und solche Tyrannei gesehen
wie in jenen Tagen.
Als sich Michael mit seinen Heerscharen zurückzog, folg-
ten den Gottestreuen einige Gefallene aus unserer Legion
sowie ein Viertel der Rasse Adams und Evas. Die erste
Schlacht war zu unseren Gunsten ausgegangen, aber keiner
von uns kannte den Preis. Kannte Luzifer ihn? Hatte er uns
alle betrogen, um seiner Strafe im Himmel zu entgehen?
Viele unter uns wurden hochmütig und dachten, wir hätten
bereits den Sieg davongetragen.

DIE STRAFE
Als der erste Tag sich dem Ende entgegenneigte, spürten
viele von uns, daß dem nicht so war. Unsere Kundschafter,
die den Gottestreuen gefolgt waren, berichteten, daß die
Heerscharen des Himmels eine Verteidigungsstellung er-
richteten, was viele in unserer Legion als einen weiteren
Beleg dafür sahen, daß der Sieg unser war. Wie sehr wir uns
doch irren sollten.
Es begann mit einer leichten Brise, die immer stärker
und heftiger wurde, bis ihr Säuseln zu einem ohrenbetäu-
benden Brüllen geworden war. Wo sie entlang strich, riß
sie Sand und Steine mit sich, brachte einen Regen aus
Staub und schälte einem binnen weniger Augenblicke das
Fleisch von den Knochen. Hoch droben am Himmel rasten
dunkle Wolken dahin – sie waren dunkler, als es überhaupt
möglich war, und sie wurden von Blitzen durchzuckt. Sie
wirbelten umher und warfen finstere Schatten über den
gesamten Horizont, bis das Land selbst unter seiner Last
nachzugeben schien.
In den sich auftürmenden Wolkenbergen manifestierte
sich Sein unheilvolles Auge, als das Unendliche durch Sei-
nen Zorn ins Endliche hineingezwungen wurde. Welches
Gleichgewicht zuvor auch immer geherrscht haben moch-

50
KAPITEL ZWEI
te, es wurde nun hinweggefegt, als Er Seinen Zorn verkün-
dete. Er, der unser Vater gewesen war, war nun unser Feind.
Gottes Zorn war grenzenlos. Nichts, was wir erschaffen
hatten, blieb davon unberührt.
Als sich die Wolken verzogen, war das Erste Land nicht
mehr. Nichts war vom Paradies geblieben außer den Ruinen
seiner Tore, deren Lage nur wenigen von uns bekannt war.
In der Ferne erstickten öde und leere Wüsten unter ihren
Dünen ehedem blühende Felder. Hoch droben brachen
die Berggipfel auf, erfüllten die Welt mit dunklem, giftigem
Qualm und erbebten wieder und wieder in einer Kakopho-
nie aus Feuer und geschmolzenem Stein. Die Meere, die
einst so ruhig gewesen waren, tobten und hämmerten mit
ihren Wogen gegen das Land – ihre Tiefen waren nun selbst
den Rebellen des Fünften Hauses fremd. Die Erde selbst
tat sich auf, verschlang ganze Ebenen und ließ nur schroffe
Klippen zurück, die wie Klauen aus dem Boden ragten.
Schreckliche Stürme mit unerbittlich peitschendem Regen
und heulenden Winden verwüsteten das Land.
Da uns der Himmel fortan verwehrt war, war dies nun
unsere Welt.
DIE NEUE ORDNUNG
Als die Winde erstarben, führte Luzifer uns hinaus in un-
sere gebrochene Welt. Wenn zuvor auch nur ein einziger aus
unseren Reihen an der Rechtmäßigkeit unseres Aufbegeh-
rens gezweifelt hatte, so hätte der Anblick der verwüsteten
Schöpfung seine Entschlossenheit nur um so mehr gefestigt,
den langen Kampf, der vor uns lag, bis zum Ende zu führen.
Unser Heer war angeschlagen, und der Geschmack des Tri-
umphs war Taubheit und Verzweiflung gewichen. Als wir in
das Licht des zweiten Morgens traten, erkannten wir, daß
dieses Heim auch zugleich unser Gefängnis war.
Und dennoch waren wir noch immer der Menschheit
verpflichtet, und wir führten sie aus den Höhlen hinaus in
das Licht des Tages. Ihre langen, leeren Gesichter sprachen
Bände von der Zerstörung, deren Zeuge sie geworden wa-
ren. Sie schienen nur noch wie Zerrbilder von Adams und
Evas einstiger Herrlichkeit.
DIE SCHARLACHROTE LEGION
Und wiederum war es Luzifer, der in der verwüsteten
Landschaft mehr Möglichkeiten auf neue Siege als unauf-
haltsamen Niedergang sah.
„Verzweifelt nicht“, rief der Lichtbringer. „Dies ist nur
der Anfang. Wir kennen Seine Wut, aber Er kennt unsere
Entschlossenheit nicht. Wir haben uns Seinem Zorn ent-
gegengestellt und haben ihn überdauert. Verliert nicht die
Hoffnung beim Anblick dieses geschundenen Landes. Viele
unserer Wunder und viele unserer Werke sind nicht mehr.
Was nun noch existiert, ist nur noch ein fahles Abbild
dessen, was einmal war, doch wir werden neue Wunder
erschaffen. Wir werden unsere Mündel, die Söhne und
Töchter Adams und Evas, lehren, wie sie alle Möglich-
keiten ausschöpfen können, die ihnen offenstehen – und
dies wird dann allein unser Werk sein, nicht Seines. Dies
wird unsere allergrößte Leistung sein. Einst haben wir die
Schöpfung für Ihn gestaltet, aber nun werden wir das Land
nach unseren Wünschen formen.
Das Land mag gebrochen und gar gottverlassen sein, aber
dies bedeutet für uns nichts. Wir haben es schon einmal
aus dem Nichts erschaffen – führt euch vor Augen, wozu
wir nun in der Lage sein werden! Wir werden Ihm und Sei-
nen Heerscharen trotzen. Wir werden für Adam und Eva
kämpfen und sie beschützen und umsorgen. Wir haben Ihm
entsagt, aber unsere Liebe gehört Adam und Eva. Vergeßt
das niemals.“
Viele stimmten ihm zu. Wir sammelten uns um Luzifer als
Herolde seiner Vision. Bald schon sollten wir in der Sprache
der Sterblichen die Scharlachrote Legion genannt werden.
Wir glaubten an Luzifer und seine Sache. In den Ruinen um
uns herum sahen wir die Gelegenheit, alle Nachlässigkei-
ten des Schöpfers wiedergutzumachen, Adam und Eva gute
Lehrmeister zu werden und ein neues Paradies zu erschaffen.
Wir wuchsen zu der größten Legion dieser frühen Tage an,
und Luzifer war unser Anführer, Mentor und oberster Führer
zugleich. Die Reihen der Scharlachroten Legion wurden ge-
füllt mit den Teufeln des Ersten Hauses und den Übeltätern
des Dritten Hauses. Einige wenige Schänder stießen eben-
falls zu uns, ebenso wie auch Gefallene anderer Häuser.
Unser Oberhaupt war Belial, der erste unter Luzifers
Heerführern.
DIE SCHWARZE LEGION
Doch es waren nicht alle von uns vollkommen einer
Meinung. Mit wutverzerrter Miene trat Abaddon vor –
ganz so, als sei er ein Sinnbild dessen, was die Verschlinger
ausmachte.
„Ich habe genug gesehen. Seine Strafe geht weit über
jegliches Maß hinaus, das angebracht und gerechtfertigt
gewesen wäre. Ich schwöre, daß ich meine Geschwister bis
ans Ende aller Tage gegen Ihn und Seine Heerscharen ins
Feld führen werde. Ich entsage dem Frieden, und ich weise
die Liebe zurück. Ich kenne nur noch Haß, und aus diesem
Feuer werden wir unsere Kraft ziehen. Meine Legion wird
sich den Himmlischen Heerscharen wieder und wieder
entgegenstellen, und viele von uns werden womöglich der
Vernichtung anheimfallen, doch wir werden niemals auch
nur den kleinsten Schritt zurückweichen. Diese Schlacht
beginnt hier und jetzt. Niemand kann sagen, wo sie enden
wird, doch unser Entschluß ist unumstößlich.“
„Und an dich, mein Bruder“, antwortete ihm Luzifer, „soll
der Befehl über den fünften und den stärksten Teil unserer
Heerscharen gehen. Ihr sollt unsere Vorhut sein.“
„Das ist noch nicht alles“, fuhr Abaddon fort. „Die Men-
schen haben uns verblendet. Es waren der Allvater und die
Allmutter, die uns betrogen und getäuscht haben, Luzifer.
Nur ihretwegen ist es zu diesem Krieg gekommen, und nun
ist es unsere Pflicht, ihn für Kreaturen zu führen, die nicht
das geringste wissen und begreifen.
Auch ich sehe die Möglichkeiten, die uns dieses neue
Land verheißt und die in den Sterblichen schlummern.
Doch sie sollen unsere Werkzeuge sein und keine heiligen
Zeugen der Vergangenheit, denen wir Obdach zu bieten
haben. Ihretwegen haben wir Ihm getrotzt, und als Gegen-
leistung werden sie für uns das Paradies neu errichten.
Wir werden ihnen unsere Geheimnisse verraten: wie
man in diesem Land jagt und wie man es bezwingt. Als
51

Gegenleistung werden sie uns mit ihrer Liebe und ihren
Taten dienen. Ihretwegen haben wir das größte aller Op-
fer gebracht, und folglich stehen sie auf ewig in unserer
Schuld. Sie werden nur Werkzeuge in unserem Krieg gegen
den Himmel sein.“
Und so sammelte sich die Schwarze Legion. Zu ihr ge-
sellten sich viele Gefallene aus dem Sechsten Haus, von
denen ein jeder darauf brannte, dem Himmel zu zeigen,
wie sehr sich der Herr in ihnen getäuscht hatte. Auch die
Herren der Lüfte, die Geißeln, schlossen sich dieser Legion
in großer Zahl an, und Gefallene aus den anderen Häusern
füllten zu gleichen Teilen ebenfalls ihre Reihen.
DIE EISERNE LEGION
Nachdem die versammelten Heerscharen den grimmigen
Worten Abaddons gelauscht hatten, verschränkte Dagon,
der Riese aus Stein und Eisen, die Arme und sprach mit
einer Stimme, die wie das Grollen der Erde war: „Ich habe
Abaddon gehört, und der Grund für seinen Ausbruch läßt
sich nicht verleugnen. Aber ich für meinen Teil bin der
Meinung, daß die Menschheit unsere volle Hingabe und
keineswegs unsere Verachtung verdient hat. Wie können
wir sie für Entscheidungen verantwortlich machen, die wir
doch selbst getroffen haben? Wenn wir die Menschen als
nichts weiter als unsere Werkzeuge betrachten, entehren
wir damit unser eigenes Opfer.“
Dagon wandte sich Luzifer zu, und seine Hand brannte
mit der Hitze des Erdkerns, als er dem Morgenstern sa-
lutierte. „Alle, die den Lichtbringer ehren und sich ihrer
göttlichen Pflichten erinnern wollen, sollen an meiner Sei-
te stehen! Wir werden die Mauer sein, die die Donnerkeile
des Himmels nie durchschlagen können!“
Und so kam es, daß Dagon der dritte von Luzifers Heer-
führern wurde. Ihm folgte der größte Teil der Übeltäter und
viele unserer unerschütterlichen Verschlinger. Trotz des
Grauens, das noch kommen sollte, kam diese Legion stets
ihrer Pflicht nach, und keiner aus ihren Reihen sank je so
tief, Greueltaten an Sterblichen oder Engeln zu begehen.
Die Schwarze Legion verachtete sie zwar, und doch kam sie
der Eisernen Legion auf dem Schlachtfeld nie gleich.
DIE SILBERNE LEGION
Dann rief Luzifer nach dem weisen Asmodeus vom Vier-
ten Haus, dem Lotsen der Sterne.
„Auch dir soll ein Fünftel unserer Truppen überant-
wortet werden. Wo die Schwarze Legion in die Schlacht
zieht, werden du und deine Legion die Mysterien und die
schlummernden Möglichkeiten der Sterblichen und dieses
Landes aufdecken. Es ist an euch, Seine Geheimnisse zu
enthüllen. Ihr werdet Seine Lügen als solche offenbaren
und den Himmlischen Heerscharen vor Augen führen, wie
fehlgeleitet sie doch sind. Ihr werdet wandeln, wo das Wan-
deln verboten ist. Ihr werdet aussprechen, was nicht ausge-
sprochen werden darf. Ihr werdet euch ergehen, worin sich
zu ergehen verpönt ist. Es wird keine Grenzen geben, die
ihr auf eurer Suche nach der Wahrheit nicht überschreiten
werdet.“
„Das werden wir tun“, sagte Asmodeus. „Ich sehe vor mir
unbegrenzte Möglichkeiten – nicht nur die nach Seinem
52
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Plan geschaffenen Möglichkeiten, sondern ein rohes, unvor-
stellbar grenzenloses Potential. Wir werden alles daransetzen,
das zu finden, was vor Ihm war, so wie Er vor uns war. Wir
werden die Dunkelheit finden, die das Licht Gottes gebar,
denn nur in der Dunkelheit kann Licht erstrahlen!
Was unsere Mündel, die gesegnete und verfluchte Rasse
Adams und Evas, angeht, so werden wir Lehrer für sie
sein. In ihrem Wesen verbergen sich Möglichkeiten, die wir
nähren und erschließen werden. Sie werden in der himm-
lischen Zunge sprechen und einen Himmel aus dieser Erde
machen. Wir werden ihre Saat hegen, bis sie aufgeht und
mit ihren Türmen und Errungenschaften die Grundfesten
des Himmels selbst erschüttert. Wir werden nicht eher
ruhen, als bis dies erreicht ist.“
Unter Asmodeus Banner sammelte sich der Großteil der
Unholde ebenso wie viele Schänder, die Willens waren,
ihre Existenz unter den Söhnen und Töchtern Adams und
Evas zu verbringen.
DIE MARMORNE LEGION
Doch noch immer hatten nicht alle Häuser eine Ent-
scheidung bezüglich ihrer Zukunft getroffen. Die stillen
Schnitter beschlossen, einen ganz eigenen Weg zu gehen.
Luzifer bemerkte sie und sagte: „Ihr mögt euren eigenen
Weg gehen, solange ihr nur dem Ruf zur Schlacht folgt.
Fürs erste, Azrael, einst gesegneter Engel der Schatten,
sollst du die Unschlüssigen mit dir nehmen und euch eine
eigene Feste errichten. Zu gegebener Zeit werden wir nach
euch rufen. Eure jetzige Aufgabe wird es sein, die Rasse
Adams und Evas zu erneuern. Ihre Unsterblichkeit ist ver-
loren. Wie der Ton, aus dem sie geformt wurden, werden sie
in die Erde zurückkehren, aus der sie stammen.“
Azrael hörte dies und antwortete:
„Mein Bruder Luzifer, Lichtbringer und gefürchteter
Feldherr. Wir werden in den Schatten bleiben und auf die-
sen Tag warten. Wir werden uns dort verborgen halten,
wo die Himmlischen Heerscharen es nicht wagen werden,
nach uns Ausschau zu halten. Wir werden unsere Kräfte
sammeln und auf den Ruf warten. Doch nun ist es an der
Zeit für uns, euch zu verlassen.“
Mit diesen Worten zog der Pilger der Schatten von dan-
nen, und mit ihm gingen weite Teile der Gefallenen des
Siebten Hauses und alle anderen, die noch unentschlossen
waren.
Und so entstanden die Legionen. Anschließend ver-
kündete der Morgenstern, die alten Hierarchien würden
zugunsten neuer Ränge und Titel abgeschafft. Den Ge-
fallenen wurden nun ihre Aufgaben nicht länger durch
willkürlich getroffene Entscheidungen zugewiesen, sondern
ihre Pflichten wurden fortan gemäß ihrer Begabungen und
Stärken ausgewählt. Darüber hinaus war das Rangsystem
in beide Richtungen durchlässig. Ein Rebell, der sich be-
sonders auszeichnete, konnte eine Beförderung und somit
größere Autorität erhalten. Dieses Konzept versetzte uns
alle in Erstaunen und flößte uns große Ehrfurcht ein. Lu-
zifer ernannte sich zum Prinz der Gefallenen, und seine
fünf Heerführer wurden fortan Herzöge genannt. Ihnen
unterstellt waren die ehemaligen Offiziere der Legionen,
die allesamt den Titel Baron erhielten. Dann kamen die
KAPITEL ZWEI
Großfürsten, die Fürsten und schließlich die Ritter, die
wackersten Recken der Einheiten einer jeden Legion.
BEFEHLE UND FÜRBITTEN
Luzifer trat vor seine Legionen und sprach zu uns.
„Brüder und Schwestern, trauert nicht um das, was wir
verloren haben. Schaut vielmehr auf das, was wir gewon-
nen haben. Bald schon werden wir von dieser Ebene zie-
hen, ihre Asche und Verwüstung hinter uns lassen und
unsere Königreiche aus den Ruinen des Paradieses errich-
ten. Jeder von euch wird einen Teil unserer menschlichen
Mündel führen. Beschützt und nährt sie, denn ihretwillen
haben wir den Himmel aufgegeben. Nun sind wir wahrhaf-
tig Gefallene.
Seid stolz auf euren neuen Namen. Es braucht großen
Mut und großes Mitgefühl, um dem Himmel zu trotzen,
während blinder Gehorsam nichts weiter bedarf als großer
Furcht. Wir haben uns unseren Ängsten gestellt, und wir
haben sie bezwungen – nun sind wir die Herren unseres
Schicksals.
Nehmt eure Schutzbefohlenen mit euch in alle vier Ek-
ken der Welt und errichtet große Städte, wo es nie zuvor
welche gab. Nehmt von den Sterblichen, die unter uns
sind, wen ihr wollt. Die ersten beiden jedoch – der geseg-
nete Adam und die gesegnete Eva – sollen nicht von euch
erwählt werden. Sie haben entschieden, ihren eigenen Weg
zu gehen, und wir werden ihren Wunsch respektieren.
DER ZWEITE DISPUT
Kurz nach der Rebellion kam es zu einem zweiten Disput,
der sich darum drehte, was mit den Sterblichen geschehen
sollte, die sich dazu entschlossen hatten, Michael nachzufol-
gen. Die Schwarze Legion war der festen Ansicht, alle Sterb-
lichen unter dem Banner der Himmlischen Heerscharen
seien für unsere Sache verloren. Doch viele Schnitter und
die Eiserne Legion waren anderer Auffassung. Sie vertra-
ten die Ansicht, die Legionen sollten daran arbeiten, diese
Sterblichen zu bekehren und ihnen die wahren Wunder auf-
zuzeigen, die ihnen als Kinder Adams und Evas zustanden.
Und wieder war es Luzifer, der uns den Weg wies.
„Sie haben Ihm ihr Schicksal anvertraut“, verkündete
Luzifer. „Sie wußten unsere Liebe und unsere Gaben nicht
zu schätzen. Sie haben sich dazu entschlossen, ihre Augen
vor unserem Opfer zu verschließen, und nun schaut euch
an, was es ihnen eingebracht hat. Sie sind mitleiderregende
Geschöpfe, die nichts von dem Krieg wissen, der ihretwil-
len um sie herum tobt.
Aus diesem Grund werden wir sie weder verlassen, noch
werden wir uns ihnen offen zeigen. Statt dessen werden wir
unsere Saat ausstreuen und darauf hoffen, daß sie eines Ta-
ges Früchte trägt und sie dazu bringt, ihre Fesseln abzustrei-
fen. Doch dies ist eine Wahl, die sie für sich selbst treffen
müssen. Wenn sie sich für uns entscheiden, werden wir als
ihre Erlöser zu ihnen kommen. So lautet mein Urteil.“
53

DIE ZEIT DER WUNDER
Die Legionen verstreuten sich über die Welt und führten
die Söhne und Töchter Adams und Evas zu erhabenen und
schicksalsschwangeren Orten, wo wir unsere Festungen,
unsere Trutzburgen und unsere Kathedralen errichteten.
In den Anfangstagen der Rebellion offenbarten wir uns
unseren Schutzbefohlenen nur von Zeit zu Zeit, um sie zu
unterweisen und zu führen. Trotz unseres Aufbegehrens
fiel es vielen von uns schwer, sich den Sterblichen offen zu
zeigen. Der Befehl des Schöpfers war so tief in uns verwur-
zelt, daß nur die selbstsichersten Gefallenen es wagten, in
ihrer wahren Herrlichkeit vor die Rasse Adams und Evas
zu treten.
Man verehrte uns in diesen Tagen, und wir erhielten
unsere Macht aus dem Glauben, den uns die Menschheit
entgegenbrachte. Wir führten unsere Menschenscharen
auf lange Wanderschaften, die Entdeckungsreisen und
Eroberungsfeldzüge zugleich waren. Es war eine Zeit der
Experimente, in der wir die Grenzen unserer Macht auslo-
teten. Wir schlugen Städte in Berghänge und errichteten
Denkmäler an uns selbst.
BASTIONEN UND KATHEDRALEN
Dies war die Zeit, in der die Grundsteine für unsere zu-
künftigen Metropolen gelegt wurden. Unser Krieg gegen
den Himmel steckte noch in den Anfängen, und beide Sei-
ten waren damit beschäftigt, sich nach dem ersten Schar-
mützel neu zu formieren. Überall im Land errichteten die
Legionen Burgen und riesige Kathedralen. Mit der Zeit
wuchsen diese Bastionen zu Festungsstädten heran, die in
ihren Ausmaßen gewaltig und in ihrer Herrlichkeit prächtig
anzusehen waren. Unter ihnen waren Dûdâêl, die entle-
gene Wüstenheimat der Schwarzen Legion, Tabâ’et’, der
Wachturm der Silbernen Legion, und Kâsdejâ, die unterir-
dische Feste der Marmornen Legion. Dies waren nicht die
einzigen Bastionen der Gefallenen, aber es sind alle, an die
ich mich noch erinnern kann. In jenen Tagen durchstreifte
ich das Land als Botschafter und Aufklärer der Eisernen
Legion.
Ich erinnere mich, meinen Blick von Berggipfeln aus
schweifen zu lassen und die Türme unzähliger Zitadellen
überall im Land aufragen zu sehen, die sich inmitten von
Felsplateaus, weiten Wüsten und undurchdringlichen
Dschungeln erhoben. Alleine Luzifer wußte, wie viele die-
ser Bastionen errichtet worden waren, von denen viele vor
den Augen der Sterblichen und Gefallenen durch die li-
stenreichen Künste der Übeltäter verborgen blieben. Einige
waren nur kleine Gemeinschaften, die aus einer geringen
Zahl von Sterblichen und nur einem einzelnen Wächter
bestanden. Andere wiederum waren opulente Höfe, die es
mit denen der mächtigsten Reiche aufnehmen konnten,
die je auf Erden existieren sollten. Doch so mächtig diese
Städte auch waren, jene eine Stadt, die Herrschaftssitz und
Metropole zugleich war und den Namen Genhinnom trug –
die Schwarze Kathedrale Luzifers selbst –, diese eine Stadt
stellte alle anderen in den Schatten.
54
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
GENHINNOM
Die Stadt-Kathedrale des Gefallenen Prinzen, die in das
Tal der Tränen geschmiegt war, war Zeugnis unseres Un-
gehorsams und unserer Hybris zugleich. Auch wenn sie
ihre volle Blüte erst in der Zeit der Greuel erreichen sollte,
war die Schwarze Kathedrale bereits in ihren Kindheitsta-
gen nichts Geringeres als ein Wunder. Genhinnom, das an
jenem Ort erbaut worden war, an dem der Mut der Sterb-
lichen Luzifer zu Tränen gerührt hatte, sollte zum Vorbild
aller anderen Städte werden.
Selbst in dieser sogenannten Stadt der Engel hallt Gen-
hinnoms Echo wider. In allen Städten, die ich bisher bereist
habe, konnte ich gewisse Aspekte der Schwarzen Kathedra-
le wiedererkennen. Sogar in den Erinnerungen meines Wir-
tes an die Gefängnisse und Zellen in Argentinien finde ich
Hinweise auf diese ehrwürdige Stadt – an von Feuerschein
erleuchtete Ecken und Kellergewölbe, wo wir in späteren
Zeiten sagenumwobene Artefakte schmieden sollten.
Woran ich mich noch erinnere, wenn ich an Genhinnom
denke, sind nur noch vage Eindrücke. Die heutigen Städ-
te sind grundverschieden – Hegemonien, die entstehen,
wenn Geographie und Ökonomie zusammenkommen. Aber
Genhinnom war anders. Es war ein Ganzes – eine Stadt
und eine Kathedrale zugleich, und anders kann ich es in
der Sprache der Menschen nicht beschreiben. Es heißt,
Genhinnom habe bereits vor unserem Fall existiert – es soll
während der Ersten Nacht errichtet worden sein, um Adam
und Eva aufzunehmen und später von Luzifer in Beschlag
genommen zu werden. Wenn man Genhinnom einmal gese-
hen hat, kann man verstehen, warum es zu diesem Mythos
werden konnte. Es war ein Symbol der Vollkommenheit,
eine irdische Verkörperung des Morgensterns.
Näherte man sich Genhinnom, konnte man nur seine
Mauern und Turmspitzen sehen, die so hoch emporragten,
daß sie an den Wolken kratzten und den Himmel bittere
Tränen vergießen ließen. Für uns existierte sie in verschie-
denen Ebenen, jede noch vollkommener als die andere,
und insgesamt waren es neun Ebenen an der Zahl. Die
untersten beiden Ebenen lagen in ewigem Schatten, und
von dort aus führten Wege zu den Schmieden der Eiser-
nen Legion. Die sterblichen Bewohner Genhinnoms lebten
zwischen der dritten und der sechsten Ebene, wo sie zu un-
seren Ehren Denkmäler errichteten und große Zitadellen
erbauten, in denen sie selbst Unterbringung fanden. Die
siebte und die achte Ebene gehörten uns. Hier erbauten
wir uns unsere Heime – einige bescheiden, andere voller
Prunk und Glanz. Die oberste Ebene wurde ganz vom Pa-
last der Schatten bestimmt, der Zitadelle und der Festung
des Morgensterns.
Außerhalb der Schwarzen Kathedrale war die umliegen-
de Gegend von Lagern und Dörfern der Sterblichen über-
sät, wo die niedersten Gefallenen sich der gläubigen Pilger
annahmen, die kamen, um uns zu huldigen. Die Pfade, auf
denen diese Pilger wandelten, wurden schon bald zu den
Vier Straßen, die jede Siedlung, Kathedrale und Bastion
der Gefallenen miteinander verbanden.
KAPITEL ZWEI
DIE HOHEN STÄDTE
Genhinnom und die drei Zitadellen waren nicht die ein-
zigen Städte im Land. Weit entfernt von den Bastionen der
Gefallenen errichteten die Himmlischen Heerscharen ihre
eigenen Paläste – die in Wahrheit jedoch nichts weiter als
Gefängnisse waren. Unsere Aufklärer der Silbernen Legion
berichteten, daß einige der Engel aus den Himmlischen
Heerscharen dieselbe Entscheidung wie wir getroffen hat-
ten und auf Erden verblieben waren, um ihre sterblichen
Mündel zu schützen. Doch wo wir unsere Schutzbefoh-
lenen zu immer größeren Leistungen antrieben, schienen
die gottestreuen Sterblichen in Staaten zu leben, die wie
Gefängnisse waren, und ein jeder von ihnen gemahnte an
eine Art Miniaturausgabe des Garten Edens, in denen die
Sterblichen so lebten, wie Adam und Eva es einst getan
hatten – unwissend und an den Willen des Schöpfers ge-
bunden.
Aus der Ferne spionierten wir fünf der Hohen Städte aus:
Sagun, Shamayim, Machonon, Zebul und Araboth.
Sagun, das auch als die Dritte Stadt bekannt war, war
eine Grenzstadt, die nur wenige Meilen jenseits der Ebe-
nen der Teilung und den Bergen der Trauer lag – jenen
von lodernden Vulkanen umringten Aschewüsten, die die
äußerste Grenze der von uns beanspruchten Gebiete mar-
kierten. Trotz seiner einfachen Bauweise war Sagun nicht
viel mehr als ein Labyrinth aus Stein, das erbaut worden
war, um Eindringlinge wie Einwohner gleichermaßen zu
verwirren. Die Dritte Stadt wurde von Anahel, einem En-
gel des Vierten Hauses, regiert.
Shamayim, die Stadt der Ehrfurcht, stand unter der Ob-
hut Gabriels, des Erzengels der Barmherzigkeit, der Offen-
barung und des Todes. Gabriel war allein Michael unter-
stellt und zudem einer der wenigen Abgesandten, die den
Kontakt zwischen unseren Legionen und den Himmlischen
Heerscharen aufrechterhielten. Viele behaupteten hinter
vorgehaltener Hand, daß Luzifer und Gabriel regelmäßige
Treffen abhielten und daß der Zweite Erzengel sich dazu
entschlossen hätte, auf Erden zu verbleiben und sich Mi-
chael unterzuordnen, um seine sterblichen Herden beschüt-
zen und Luzifer zum Einlenken überreden zu können.
Die Feste Machonon mit ihren flammenden Wällen war
das Heim Michaels, des Erzengels des Himmels, unter des-
sen Oberbefehl die Himmlischen Heerscharen standen. Zu
jeder Tages- und Nachtzeit kreiste eine Armee flamme-
numgrenzter Engel über der Stadt. Sie waren strahlende
Leuchtfeuer des göttlichen Zorns, die gewährleisteten, daß
die Verteidiger der Stadt niemals unvorbereitet angegriffen
werden konnten. Von allen Hohen Städten war Machonon
die einzige, die nie fiel.
Die Stadt der Erinnerungen, Zebul, existierte allein aus
einem Grund – um die Rebellion unserer Legionen zu beob-
achten und sie für die Nachwelt festzuhalten, auf daß keine
unserer Sünden in Vergessenheit geraten konnte. In der
nebelverhangenen Gefängnisstadt Zebul wurden all unsere
Vergehen niedergeschrieben. Man sagt, jeder ihrer Spione
und Agenten – Engel des Zweiten, Vierten und Siebten
Hauses – habe ein großes Buch besessen, um darin all un-
sere Verstöße und Verfehlungen aufzuschreiben. Sollten
diese Bücher noch immer existieren, so findet man in ihnen
womöglich die einzigen vollständigen Aufzeichnungen über
die gesamte Zeit des Zorns.
Die letzte der Hohen Städte, Araboth, war ein Mahnmal
an die Einsamkeit und das Wehklagen. Von Caiel, dem
Engel der Einsamkeit und der Tränen, dem die Stadt unter-
stand, heißt es, seine einzige Aufgabe habe darin bestanden,
um die Schöpfung zu weinen, den Fall Adams und Evas zu
beklagen und an unsere verlorene Herrlichkeit zu erinnern.
Die Tore Araboths waren nie geschlossen oder verriegelt.
Statt dessen standen sie immerzu weit offen, um jedem Ge-
fallenen aus unseren Legionen, der der Rebellion entsagen
und Gottes Strafe annehmen wollte, das Betreten der Stadt
zu erlauben. Während der Zeit des Zorns schleifte Abaddon
diese Stadt insgesamt sieben Mal, doch sie wurde jedesmal
wieder genau so neu errichtet, wie sie zuvor ausgesehen
hatte. Es ist bekannt, daß weniger als einhundert von uns
gefallenen Engeln diese Tore in tausend Jahren des Krieges
durchschritten. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt, und
ihre Namen werden nicht mehr ausgesprochen.
DER STILLE KRIEG
Obwohl die ersten Tage der Rebellion hauptsächlich dar-
auf verwendet wurden, Wälle zu errichten und Gräben
auszuheben, so hörten die eigentlichen Kampfhandlungen
in dieser Zeit doch keineswegs auf. Fernab aller Augen
der Sterblichen traten unsere Legionen den Himmlischen
Heerscharen entgegen. Die Schlachten des Stillen Krieges,
wie dieser Abschnitt der Rebellion später genannt werden
würde, waren Scharmützel des Geistes und des Willens.
Wir versammelten uns nicht auf weiten Schlachtfeldern,
um aufeinander loszustürmen. Statt dessen fanden wir
uns in den geheimsten Winkeln der Erde ein, und unse-
re Schlachtfelder waren die verschiedenen Facetten der
Schöpfung. Je höher der Rang der Kämpfenden war, desto
abstrakter waren die Schlachten. Wo Fürsten und Ritter
noch mit Worten und Liedern kämpften, waren die Waf-
fen der Herzöge und Erzherzöge von weitaus flüchtigerer
Beschaffenheit.
Herausforderungen wurden nur dann ausgesprochen,
wenn die Wege eines Gefallenen die eines Engels der
Himmlischen Heerscharen kreuzten, was meist eher zu-
fällig geschah, während sie die Welt erkundeten oder sich
um ihre Schutzbefohlenen kümmerten. Diese Gefechte
waren wenig mehr als einstudierte Tänze und Dispute. Die
Schöpfung bekämpfte sich selbst in der einzigen Art und
Weise, die sie kannte – indem sie erschuf und veränderte.
In Gebärdenspielen versuchten wir Gefallenen und die
Engel der Himmlischen Heerscharen gleichermaßen, die
jeweils andere Seite mit den eigenen Neuschöpfungen noch
zu übertreffen, was in Schaustücken mündete, die unser
beider sterblichen Herden vor Ehrfurcht schier lähmten.
Viele Mythen und Legenden der Menschen, die bis zum
heutigen Tag überdauerten, sind nur ein leiser Widerhall
dieser vor unendlich langer Zeit ausgetragenen Kämpfe.
Dieser Widerstreit war im gesamten Land zu spüren,
wenn auch nur als grollender Donner oder bebende Erde.
Er nahm als Sturm, als Wechsel der Jahreszeiten oder als
Lauf der Sonne Gestalt an. Wir taten alles, um unserer
55
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

Herde die Geheimnisse der Schöpfung aufzuschlüsseln,

während die Heerscharen des Himmels ihr bestes gaben,
um die Wahrheiten zu verschleiern und sie unter Aber-
glaube und Zweifel zu begraben. Auf diese Weise erschuf
sich die Schöpfung unendlich viele Male neu, doch was die
Himmlischen Heerscharen nicht voraussahen, waren die
Auswirkungen des gebündelten Glaubens der Sterblichen
auf diese Kreisläufe der Erneuerung. Mit jedem Geheimnis,
das die Himmlischen Heerscharen den Menschen vorsetz-
ten, wuchs ihr Hunger nach der Wahrheit.
Der Stille Krieg tobte Hunderte von Menschenjahren,
in denen unsere sterblichen Herden wuchsen und gedie-
hen. Wir erbauten gewaltige Städte und bekämpften die
Himmlischen Heerscharen allüberall in der Schöpfung,
ohne andere Waffen als Worte, Konzepte und Möglich-
keiten ins Feld zu führen. Doch diese höchst ritterliche
Form der Kriegsführung war nicht dazu bestimmt, auf ewig
fortgeführt zu werden.

DAS VERLORENE PARADIES

Und erneut war es Ahrimal, der den bevorstehenden
Wandel als erster spürte. In finsterster Nacht kam er zu mir
und flüsterte mir seine Worte zu.
„Ich kann einen weiteren Sturm heraufziehen spüren,
Malakh.“ Dieses Mal begleitete ich ihn, als er die gesamte
Schöpfung bereiste, um auf seiner Suche nach Antworten
allen Zitadellen und Kathedralen einen Besuch abzustat-
ten. Schließlich war seine Verzweiflung so groß, daß er sich
aufmachte, um nach Genhinnom und dort zum Palast der
Schatten zu pilgern.
Der große Seher erbat eine Audienz beim Morgenstern
selbst. Der Gefürchtete Prinz holte Ahrimal in sein Ge-
mach und bat ihn zu sprechen.
„Was ist aus Adam und Eva geworden?“ fragte Ahrimal.
Niemand, weder Rebell noch Engel, hatte seit vielen
Zeitaltern etwas von den ersten Sterblichen gesehen oder
gehört. Nachdem sie aus dem Garten Eden verbannt wor-
den waren, waren Adam und Eva verschwunden. Ihre
Nachkommen erinnerten sich ihrer nur noch in den älte-
sten Mythen und Legenden. Es bestand kein Zweifel daran,
daß Luzifers Befehl, die beiden ziehen zu lassen, viele von
uns geschmerzt hatte, wo es doch Adam und Eva gewesen
waren, für die wir in Kauf genommen hatten, verdammt zu
werden. Es schien unseren Sieg zu schmälern, sie nicht um
uns zu haben.
Nach langem Schweigen erzählte uns Luzifer diese Ge-
schichte.

VON ADAM UND EVA

„Ein Viertel von Adams und Evas Rasse kehrte an jenem
Morgen, an dem über uns gerichtet wurde, zurück zu den
Himmlischen Heerscharen. Aber der Allvater und die All-
mutter waren nicht unter ihnen. Ihre Unsterblichkeit war
ihnen mit einem einzigen Wort genommen worden, und
sie wurden dazu gezwungen, ein Feld zu bestellen, um sich
ernähren zu können. Als es an der Zeit war, die Legionen
aufzuteilen und sie mit ihrem menschlichen Gefolge in die
Welt hinaus zu schicken, kamen Adam und Eva zu mir und

56
KAPITEL ZWEI
flehten mich an, uns verlassen zu dürfen.
Adam sprach zuerst: ‚Du hast uns viel gezeigt. Wir wur-
den aus dem Garten Eden verbannt und sind fortan dazu
bestimmt, zu Staub zu werden, doch dies macht uns zugleich
zu Herren über unser eigenes Schicksal. Gott schimpfte uns
Sünder, als wir ihm den Gehorsam verweigerten. Nun se-
hen wir die Welt, wie sie wirklich ist – öde, wüst und leer –,
aber dennoch werden wir hier unsere Spuren hinterlassen
und uns einen Namen machen.’
„Eva sprach als nächstes: ‚Du hast uns viel gelehrt. Wir
nahmen deine Frucht entgegen, und unsere Augen wurden
geöffnet, so daß wir die wahren Ausmaße der Schöpfung er-
kennen konnten – und unser Dasein als Verbannte. Es wäre
reine Torheit, dir noch weiter zu folgen. Du warst es, der
uns die Augen geöffnet hat, und dafür sind wir dir dankbar,
doch nun, da unsere Augen geöffnet sind, ist es für uns an
der Zeit, unseren eigenen Weg zu gehen. Wenn wir unser
Erbe antreten und uns die Welt untertan machen sollen, so
muß dies auch durch unsere eigene Mühsal, unsere eigenen
Opfer und unseren eigenen Glauben geschehen.’
„Mit diesen Worten verließen mich der Allvater und die
Allmutter und zogen hinaus ins Ödland, um ihres eigenen
Glückes Schmied zu sein. Mit der Zeit werden sie entweder
lernen, die Schöpfung zu meistern, oder sich im Schweiße
ihres Angesichts so lange abplagen, bis Gott sie erlöst.“
DAS BLUT EDENS
Damit endete unsere Audienz bei Luzifer. Doch anstatt
es dabei zu belassen, war Ahrimal nun nur noch besessener
von seinem Vorhaben, etwas über das weitere Schicksal der
ersten Sterblichen in Erfahrung zu bringen.
„Ich spüre etwas“, sagte mir Ahrimal auf unserer Reise,
„und all meine Besorgnis gilt Adam und Eva. Sie haben
noch eine wichtige Rolle zu spielen. Dessen bin ich mir
sicher. Luzifer mag uns befohlen haben, uns von den ersten
Sterblichen fernzuhalten, doch ich muß zumindest den
Grund dafür erfahren.“
Und so setzten wir unsere Suche fort, während das Rad
der Jahreszeiten sich weiter und weiter drehte. Aus Som-
mer wurde Herbst, aus Herbst wurde Winter, aus Winter
wurde Frühling, und aus Frühling wurde wieder Sommer.
Wann immer wir auf andere Gefallene trafen, versuchten
wir von ihnen zu erfahren, wohin Adam und Eva gezogen
waren. Die Antwort lautete immer gleich, doch wir wollten
uns einfach nicht geschlagen geben.
Nach vielen Jahren der Suche fanden wir endlich den
Ort, an den sie sich zurückgezogen hatten. Sie hatten sich
weit im Osten angesiedelt, auf einem kleinen, von Feldern
umgebenen Hügel, auf dem Obstgärten blühten. Unter
dem Schatten von Zypressen hatten sie sich eine Hütte
gebaut, um sich vor Wind und Regen zu schützen. Wir
beobachteten sie aus der Ferne. Die Jahre schienen schwer
auf Adam zu lasten. Quälend lange Tage der Mühsal hat-
ten deutliche Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen, die
eine Geschichte voll Schmerz, Einsamkeit und Entbeh-
rungsreichtum erzählten. Doch seine Augen waren voller
Stolz auf die einfachen Dinge, die Eva und er geschaffen
hatten. Eva, die Allmutter, war so strahlend schön wie eh
und je. Sie arbeitete an der Seite ihres Mannes und zeigte
den gleichen Eifer wie er, wenn sie sich um Feld und Herd
kümmerte. Außerdem waren die beiden nicht allein.
DER DRITTE STERBLICHE
Unweit der Hütte sahen wir zum ersten Mal den, den
man dereinst den Dritten Sterblichen nennen sollte, wie er
von Erschöpfung gebeugt inmitten eines Feldes stand – es
war Kain. Seine Gesichtszüge waren edel, seine Haut durch
die sengende Sonne dunkel gebräunt und seine Glieder
stark, aber sein Antlitz war voller Sorge. Zu seinen Füßen
standen randvolle Körbe mit den Früchten seiner Arbeit,
und wir begriffen sofort, welche Mühsal ihn plagte. Mit sei-
nen Händen hatte er die Erde um sich herum umgepflügt,
um Leben in diese öde Landschaft zu bringen. Mit einer
mörderischen Anstrengung hatte er die Felder von Steinen
und Unkraut befreit, um an ihrer statt eine Saat zu pflan-
zen. In den Blüten und Früchten, die aus ihr entsprungen
war, erkannten Ahrimal und ich ein fernes Echo Edens,
und wir sehnten uns danach, dem Dritten Sterblichen dar-
zulegen, welche Wunder er geschaffen hatte. Doch der
Schatten des Kummers, der über ihm hing, war so schwer
und schien so undurchdringlich, daß weder Ahrimal noch
ich es wagte, sich ihm zu nähern.
In diesem Augenblick hörten wir, wie sich eine große
Schafsherde über einen Hügel hinweg dem Feld näherte.
Es war keine wilde Herde, sondern sie wurde von dem
gehütet, den man Abel hieß. Auf einer kleinen Anhöhe
blieb Kains Bruder stehen. Seine Haut war hell, und sein
goldenes Haar wurde vom Wind zerzaust. Als der Dritte
Sterbliche ihn sah, wurde sein Kummer noch größer.
„Er sehnt sich danach, seinem Bruder seine Liebe zu
zeigen, doch seine Liebe ist nicht frei. Sie ist wie von einer
dunklen Sehnsucht gefesselt“, sagte Ahrimal, als Kain zu
Abel hinüberging. „Er spürt, daß er etwas tun muß, vor dem
er sich fürchtet.“
Es war Abel, der zuerst sprach.
„Bruder, du hast mich von den Hügeln zu dir gerufen,
und nun bin ich hier. Was bekümmert dich? Ist es wegen
der Worte, die der Schöpfer über dein Opfer verlor? Zweifle
nicht an Seiner Liebe, Bruder. Denn dies gebiert nur Leid.
So lehrte man es uns. Du weißt, daß wir deine Gaben im-
mer zu schätzen wissen werden, wo doch du es bist, der
das Land ergrünen und lebendig werden läßt. Komm, mein
Bruder, laß uns nach Hause zurückkehren.“
Doch Kain schwieg bloß eine Weile. Im schwindenden
Licht des Nachmittags stand er einfach nur reglos da, und
sein sehniger Leib ragte vor Abel auf und warf einen langen,
tiefen Schatten auf seinen Bruder. Kain legte die Hand auf
Abels Schulter, und es wäre nichts weiter als eine zärtliche
Geste unter Brüdern gewesen, wären da nicht die bitteren
Tränen in seinen Augen gewesen.
„Bruder“, sagte der Dritte Sterbliche, „Gott trug mir auf,
ihm das Beste von meinen Feldern darzubringen, das, was
mir die meiste Freude und das höchste Glück beschert. Ich
habe Ihn mißverstanden und brachte Ihm die Saat des Bo-
dens dar, seine Früchte und Blumen. Doch das war es nicht,
was Er wollte. Mein Opfer war Seiner nicht würdig, denn
es stammte aus dem Staub, in den Er unseren Vater und
unsere Mutter verbannt hat. Wo du die Erstlinge deiner
57

Herde darbrachtest, die so zart und so unschuldig sind, da
brachte ich nur Unrat dar. Doch nun weiß ich, was ich tun
muß. Denn du bist das Beste von meinen Feldern, denn für
so lange Zeit war ich dein Hüter und werde es auch für im-
mer sein. Du wirst mein Opfer an Ihn sein, und ich werde
mir Seine Liebe mit deinem Blut verdienen.“
Was dann geschah, ließ einen Sturm losbrechen, der bis
zum heutigen Tag andauert. Kains Verbrechen sollte sich
jede Nacht zwischen Brüdern, zwischen Liebenden und
zwischen Fremden wiederholen bis ans Ende aller Tage.
Abel sah, wie sich der Blick des Dritten Sterblichen ver-
finsterte. Seine Herde spürte seine Furcht, und ihre Schreie
übertönten Abels Flehen, als der Dritte Sterbliche einen
Stein hob und ihn gegen den Kopf seines Bruders schmet-
terte. Abels Blut strömte aus seinem Körper und besudelte
den Dritten Sterblichen, und es hörte nicht auf zu strömen,
bis daß es ein Makel war, der die gesamte Schöpfung be-
fleckte. Erschöpft brach Kain über dem geschundenen Leib
seines Bruders zusammen.
Ahrimal erkannte die Bedeutung dessen, was er gesehen
hatte. Ich selbst fühlte nur Verrat.
Blut war in Haß und Zorn vergossen worden, nicht bei
der Jagd und auch nicht um des Überlebens willen. In die-
ser Nacht brauten sich dunkle Wolken zusammen, und
es legte sich eine große Dunkelheit über die Welt, die bis
zum heutigen Tag fortbesteht. Selbst Gottes rachsüchtige
Verurteilung unseres Aufbegehrens und Seine Zerstörung
Edens verblassen neben dem, was Kain an diesem Nach-
mittag entfesselte.
DIE VERHEISSUNG DER SCHATTEN
Doch das Schlimmste sollte erst noch kommen. Ahrimal
flehte mich an, daß wir diesen Ort eilends verlassen sollten,
und von ungeahntem Grauen erfüllt konnte ich nicht an-
ders, als seiner Bitte Folge zu leisten. Das letzte, was ich von
Kain, dem Ersten Mörder, sah, war, wie er blutverschmiert
auf dem Feld über dem Leichnam seines Bruders stand und
auf das Erscheinen des Allmächtigen wartete, um Ihm sein
Opfer darzubringen.
Es wird berichtet, Kain sei aus dem Licht verbannt und
dazu verurteilt worden, fortan in Dunkelheit zu leben und
seine Sünde bis ans Ende aller Zeit jede Nacht aufs neue zu
begehen. Weit im Osten, in einem verwüsteten Land mit
Namen Nod, soll er eine eigene Stadt gegründet haben.
Womöglich haben ihn die großen Stadtkathedralen dazu
inspiriert, die überall im Land zu finden waren. Er nannte
diese Stadt Enoch, doch von seinem weiteren Schicksal ist
nur wenig bekannt. Ich frage mich, ob er auch jetzt noch
irgendwo auf Erden wandelt und was ich wohl zu ihm sagen
würde, wenn sich unsere Wege erneut kreuzen sollten.
ENTFESSELTE FINSTERNIS
Als wir in unser Land zurückkehrten, konnten wir überall
Rauchwolken in den bleiernen Himmel aufsteigen sehen.
Als wir über die zerklüfteten Gipfel der Berge der Trauer
hinwegeilten, erblickten wir in allen Himmelsrichtungen
wütende Feuersbrünste, die bei Sagun, der Grenzstadt zu
den von den Himmlischen Heerscharen besetzten Ge-
bieten, zusammenliefen. Durch das Tal unter uns zog in
58
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
dichtgeschlossenen Reihen der größte Teil der Schwarzen
Legion. Hinter ihnen erstreckte sich eine Schneise der Ver-
wüstung, die bis zum Horizont reichte und von den Leibern
toter Menschen und Tieren übersät war. Kains Tat hatte
die Möglichkeit des Greuels auf die gesamte Schöpfung
losgelassen und jenen Sturm entfacht, den Ahrimal so sehr
gefürchtet hatte.
Von hoch droben sahen wir zu, wie die Schwarze Legion
immer weiter auf Sagun vorrückte. Wann immer sie auf
gottestreue Sterbliche stieß, wurden diese in Ketten gelegt
und zu gewaltigen Sklavenkarawanen zusammengetrieben
oder gar auf der Stelle erschlagen. Ich sah Sterbliche, die
auf Felsen zerschmettert, Glied für Glied auseinanderge-
rissen oder mit Klingen aus Licht und Feuer niedergemäht
worden waren. Die Schreie der Sterbenden hallten über
das ganze Land.
DIE BELAGERUNG VON SAGUN
Der Tag verging, und unter uns, im Tal von Sagun, tobte
die erste, wahre Schlacht unserer Rebellion.
Die Teufel der Schwarzen Legion führten Reihen von
Verschlingern in den Kampf, um die Engel zu stellen, die
aus Sagun herausströmten, um dem ersten Ansturm zu
begegnen. Hoch über dem Schlachtfeld trafen Unholde
auf Engel und beharkten einander mit Donner und Feuer.
Von den Flanken her ließen Geißeln giftige Winde über die
Schlachtreihen hinwegziehen, die die Truppenbewegungen
der Legionen verbargen und Scharen flüchtender gottes-
treuer Menschen erstickten, die in Sagun hatten Schutz
suchen wollen. In der Nachhut taten Übeltäter die Erde
auf und ließen Feuer auf Sagun herabregnen. Aus den Erd-
spalten quoll dicker schwefliger Rauch hervor. Schänder
sangen Lieder des Blutdursts, trieben die Legion in eine
Raserei und lockten zugleich Sterbliche und Engel in ihr
Verderben. Und inmitten des Chaos suchten Schnitter
nach Toten und Sterbenden, um sie zu retten oder ihre
Seelen in die Schatten zu verbannen.
Die schiere Barbarei des Angriffs lähmte die Himmli-
schen Heerscharen. Viele ihrer höchsten Heerführer – Mi-
chael, Gabriel, Uriel und Raphael – waren fort, da Gott sie
ausgeschickt hatte, Kain für seine Sünde zu strafen. Doch
dies war nicht alles. Abels Tod hatte nicht nur uns Gefalle-
ne verändert, sondern auch die Himmlischen Heerscharen.
Doch wo er uns befreit zu haben schien, hatte er die Engel
betäubt. Sie waren unfähig, all das Böse zu erfassen und zu
begreifen, das vor ihnen entfesselt worden war. Dies erwies
sich als ihr Untergang.
Als die Engel und Erzengel aus Sagun hinausströmten,
stockte ihr Vormarsch vor den geschlossenen Reihen der
versammelten Legion. Da er unschlüssig war, was nun ge-
nau zu tun sei, trat Jabniel, der Stellvertreter Anahels, vor
und sprach zur Schwarzen Legion.
„Ihr steht vor einer Stadt unter dem Schutz der Himm-
lischen Heerscharen. Hier herrscht Sein Wille. Die Zerstö-
rung, die ihr anrichtet, wird auf euch zurückfallen. Ich bin
bereit, mich für die Dauer von Anahels Abwesenheit jedem
von euch zu stellen.“
Lirael, ein Großfürst der Gefallenen des Sechsten Hau-
ses, trat aus unseren Reihen vor, um Jabniel zu antworten.
KAPITEL ZWEI

Lirael war von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt, und sein
lodernder Leib war fleischgewordener Zorn. Er schleifte
eine gewaltige Streitaxt hinter sich her. Ich erinnerte mich
an Lirael als den Engel der Raserei, der die Tiere zu ihrer
Freßwut anstachelte. Vor dem Fall war Jabniel Liraels Un-
tergebener gewesen. Als Lirael Jabniel gegenübertrat, gab
es keinen Wortwechsel und keinen Disput. Statt dessen
hob Lirael einfach die gewaltige Streitaxt und ließ sie auf
den Verteidiger Saguns niederfahren. In dem Augenblick,
da die Streitaxt durch Jabniel fuhr, seinen Körper spaltete
und klirrend auf den Boden prallte, war es, als fauchte sie
Jabniels Namen und einen Wimpernschlag später war der
Engel nicht mehr. Jabniel wurde zum eigentlichen Opfer,
das die Zeit der Greuel erst einläutete, als sein Name kei-
nen Widerhall in der Schöpfung mehr fand.
Jabniels Dahinscheiden löste eine unbezähmbare Raserei
in den Reihen der Legion aus, und ihre Anhänger warfen
sich auf die Engel Saguns. Mit Einbruch der Nacht lag
Sagun in Trümmern. Seine Hallen waren geplündert und
ihre Reichtümer von der Schwarzen Legion als Siegestro-
phäen geraubt worden. Von Saguns Verteidigern war nur
ein Drittel dem Gemetzel entkommen und durch das Tal
der Ehrfurcht zu den anderen Hohen Städten geflohen.
Doch zu ihrer großen Bestürzung fanden die Überlebenden
Zebul und Machonon ebenfalls unter Belagerung stehend
vor. Verzweifelt versuchten sie, die aufbrechenden Reihen
der dort ausharrenden Truppen zu verstärken, doch sie
schafften es erst, ihre Feinde zurückzuschlagen, nachdem
die Große Bibliothek von Zebul, in der das Buch der Namen
aufbewahrt worden war, bis auf die Grundmauern nieder-
gebrannt war. Von ihren unzähligen Nachschlagewerken
und anderen Schriften – wie beispielsweise den Geheimen
Winden und dem Buch Abaddon – entkamen nur Fetzen
und Asche dem Inferno. Auch wenn nur wenige Engel an
diesem Tag ihr Ende fanden, so waren doch viele von ihnen
gebrochen und ausgebrannt in den Himmel zurückgedrängt
worden.

DER BRUCH DER LEGIONEN

„Da kommt er“, sagte Ahrimal und deutete zum Hori-
zont. Zwischen den Ruinen und geschundenen Leibern er-
schien der stolze Luzifer, der Prinz der Gefallenen, und mit
ihm kamen die anderen Legionen. Während die Schwarze
Legion ihm zujubelte und ihren Sieg über den Himmel
feierte, betrachtete er die Zerstörung, die überall um ihn
herum gewütete hatte. Als er die Tore Saguns erreicht
hatte, erhob er die Stimme.
„Ist es das, was die Sünde des Menschen ausgelöst hat?“
Jubel brandete auf, doch über die edlen Züge unseres ge-
fürchteten Führers fiel ein dunkler Schatten.
Abaddon, der Herr der Schwarzen Legion, trat vor und
entgegnete ihm: „Unser Widerstand gegen den Himmel
hat ein neues Schlachtfeld gefunden. Wir müssen die An-
wesenheit der Himmlischen Heerscharen in diesem Reich
nicht länger erdulden. Wo Gott doch schon der Himmel
gehört, könnte Er sich denn dann nicht damit zufriedenge-
ben, uns die Erde zu überlassen? Wenn es nötig sein sollte,
werden wir all Seine Diener zur Strecke bringen und ins
Nichts verbannen.“

59

„Das war nicht der Grund für unseren Ungehorsam,
Abaddon“, sagte Luzifer. „Wir taten es aus Liebe zu den-
jenigen, die Er erschuf und denen Er keine Beachtung
schenkte. Dies ist nicht unser Reich. Das war es nie, und
das wird es niemals sein. Alles, was uns umgibt, gehört der
Menschheit.“
„Lichtbringer, es war aber doch dieselbe Rasse, die dieses
Böse über das Land gebracht hat“, hielt Asmodeus da-
gegen. „Du sagst, Abaddon sei mit seiner Legion hierher
gezogen, um Tod und Vernichtung zu bringen, aber es war
die Sünde Kains, die dies alles ausgelöst hat. Als die Dun-
kelheit, die aus seiner Seele erwachsen war, über das Land
hinwegwusch, war Abel nicht der einzige Unschuldige, der
erschlagen wurde. Es schmerzt mich, dies mit ansehen zu
müssen, Luzifer, denn ich gab meinen Platz im Himmel für
die Menschheit auf. Doch nun ist deutlich geworden, daß
die Finsternis in ihren Seelen herrscht. Vielleicht sind sie
doch nicht so vollkommen, wie wir glaubten.“
Azrael war der nächste, der das Wort ergriff. „Die Schreie
Abels haben das Land der Schatten in Aufruhr versetzt.
Durch seinen Tod wurde noch etwas viel Schlimmeres ge-
boren. Es brach los wie ein Sturm. Es war allumfassend und
von großer Macht, und nichts konnte ihm entkommen.
Die Mannen meiner Legion, die Verlorenen und Verzwei-
felten, kämpften dagegen an, um es daran zu hindern, sich
noch weiter auf Erden auszubreiten. Vielleicht ist es das,
was Ahrimal vor dem Fall gesehen hatte, und dies ist nun
der Beweis dafür, daß wir uns auf die falsche Seite gestellt
haben. Durch die Sünden der Sterblichen sind wir zum
Untergang verdammt.“
„Für die Sünden der Rasse des Staubs, wie es die Kin-
der Adams und Evas verdient haben, von uns genannt zu
werden, können wir nicht die Verantwortung überneh-
men“, fuhr Abaddon fort. „Unsere Liebe und unser Opfer
wurden uns mit Täuschung vergolten. Hätten wir sie mit
ungetrübtem Blick gesehen, frei von den Ketten der Liebe,
womöglich hätten wir dann auch die Dunkelheit in ihnen
gesehen, und nicht nur das Licht. Wir waren verblendet,
und du, Luzifer, der du nur Gott allein nachstehst, hättest
uns aufhalten sollen. Nun sind wir in diese öde Welt ver-
bannt und dazu verurteilt, unserer Liebe zu den Menschen
wegen dieses unvollkommene Dasein zu fristen. Ich sage,
dies soll niemals wieder geschehen.“
Asmodeus stieß ins selbe Horn. „Die Rasse des Staubs
hat nur deshalb in völliger Unwissenheit existiert, weil sie
es so gewollt hat. Die Hinweise darauf hätten wir von An-
fang an erkennen können: Wir arbeiteten Tag und Nacht
daran, sie zu unterrichten, doch sie wollten einfach die
letzte Lektion nicht verinnerlichen. Waren sie unwissend,
weil Gott es so wollte, oder weil sie sich dafür entschieden
hatten, unwissend zu bleiben?“
Es war nur Trauer in ihm, als der einsame Luzifer den
Blick über seine Legionen schweifen ließ. „So weit ist es
also gekommen. Wir brechen auseinander. Ihr laßt euch
von eurem Haß und eurem Zorn überwältigen. Wir sollten
Führer und Beschützer sein, und keine Folterknechte und
Boten des Leids. Richtet euren Zorn nicht auf die Rasse
Adams und Evas, nur weil sie nicht die Macht haben, sich
euch zu widersetzen. Vergeßt nicht: Es ist der Himmel, ge-
60
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
gen den wir kämpfen. Die Menschheit hingegen ist es, die
uns mit ihrer Verehrung unterstützt.“
„Vielleicht ist dem so, Lichtbringer, aber wir können nicht
davon ausgehen, daß dieser Makel schon der letzte bleiben
wird, mit dem sie uns beflecken“, sagte Abaddon. „Du hast
uns mit Verheißungen von Liebe und Königreichen, die
noch kommen würden, bis hierher geführt. Ich stimme dir
darin zu, daß wir gegen den Himmel kämpfen, doch wir
alle haben unterschiedliche Gründe, warum wir gegen die
Himmlischen Heerscharen ins Feld ziehen. Du sagst, wir
müßten hier ein Reich errichten, und das werden wir auch
tun. Doch anstelle nur eines einzigen Reiches, werden wir
viele errichten, von denen jedes ein eigenes Abbild dessen
sein wird, was wir als vollkommen ansehen. Du wirst immer
unser oberster Führer sein, doch es hat sich erwiesen, daß
wir alle unseren eigenen Krieg zu führen haben. Wenn du
nach uns rufst, so werden wir kommen. Wenn du uns dar-
um bittest, für dich ins Feld zu ziehen, so werden wir dies
tun. Aber wir werden dir nicht mehr blindlings folgen.“
„Sag mir, Lichtbringer: Hast du jemals vorausgesehen,
daß unser glorreiches Unterfangen sich so entwickeln wür-
de?“ fragte Asmodeus. „Vielleicht ist uns vorbestimmt, ei-
nen anderen Weg einzuschlagen. Es ist dein Licht, das uns
leitet, doch die Schöpfung ist ebenso weit wie unergründ-
lich, und wir müssen unsere Augen überall haben. Wir wis-
sen, daß die Möglichkeiten der weiteren Entwicklung der
Sterblichen vielseitig sind, und daher werden wir unsere
Herde dazu antreiben, ihre wahre Berufung zu erkennen.
Wir müssen darauf vorbereitet sein, alles, was auch immer
kommen mag, so anzunehmen, wie es geschehen wird. Wir
werden dir folgen, Lichtbringer, indem wir unsere eigenen
Wege einschlagen.“
Luzifer hatte das letzte Wort.
„Gemeinsam haben wir dem Himmel mit unserer glorrei-
chen Rebellion getrotzt. Nun brechen wir auseinander und
werden zu vielen, anstatt wie einer zu bleiben. Nun gut,
so nehmt eure Legionen mit euch und führt eure Kriege.
Womöglich habt ihr recht. Womöglich kann der Himmel
keinen Krieg an vielen Fronten führen. Aber eines sollt
ihr nie vergessen: Wir tragen die Verantwortung, und die
Nachwehen unserer Handlungen werden bis ans Ende aller
Tage reichen. Geht jetzt. Wir werden uns wiedertreffen,
meine Brüder. Und wenn es soweit ist, werdet ihr euch mir
entweder unterwerfen oder zu Asche zerfallen.“
An jenem Tag, als die Legionen auseinanderbrachen und
Luzifer nach Genhinnom zurückkehrte, begann die Zeit
der Greuel.
DIE ZEIT DER GREUEL
Unsere Legionen waren uneins, doch während der Zeit
der Greuel machten wir nichtsdestotrotz viel Boden gut
– manche bezeichnen die Zeit der Greuel gern als Golde-
nes Zeitalter, das sie bis zum heutigen Tag wiederaufleben
lassen wollen. Der Friede und die Ruhe früherer Jahrhun-
derte waren jedoch für immer verloren. Wir erkundeten
die Schöpfung nicht länger, sondern gestalteten sie nach
unseren Wünschen um. Es war eine Zeit der Dekadenz und
der Finsternis.
KAPITEL ZWEI
In dieser Zeit kannten unsere Liebe und unser Haß für
die Kinder Adams und Evas keine Grenzen. Wir umsorgten
sie und wir quälten sie. Wir verehrten sie und wir folterten
sie. Sie waren für unsere Legionen Quelle der Freude und
des Leids zugleich. Viele Jahrhunderte waren seit dem ver-
hängnisvollen Tag vergangen, an dem wir dem Himmel ge-
trotzt hatten, und die Schrecken des Krieges hatten uns auf
ewig verwandelt. Wir entwickelten uns zu etwas Schreck-
lichem, und im Zuge dieser Entwicklung veränderten wir
das Land um uns herum mit. Einst hatten wir das Paradies
erschaffen, doch nun, während unseres irdischen Exils, er-
schufen wir eine Hölle. Wir hatten damit aufgehört, Neues
zu erschaffen, und gaben statt dessen nur noch dem Drang
zur Zerstörung nach.
EINE ZEIT DES HASSES
Die Schwarze Legion rückte siegreich an allen Fronten
vor. Ich wurde Zeuge des Falls von Shamayim, der zweiten
der Hohen Städte, und der Schlacht um die Lichtung der
Erinnerung. Hier kämpfte der mächtige Gabriel gegen
Liraels anstürmende Horden in zahlreichen Scharmüt-
zeln, die das Land für alle Ewigkeit vernarbt und kahl
zurückließen. Es heißt, daß Gabriel, der Erzengel der Gna-
de, der Rache, des Todes und der Offenbarung Gottes
Befehl, den Kampf aufzugeben, mißachtete. Statt dessen
entschied er sich, auf dem Schlachtfeld zu verbleiben
und eine sterbliche Frau vor den Entartungen Liraels zu
beschützen, der dazu übergegangen war, sich vom Fleisch
der Sterblichen zu nähren. Bis zum bitteren Ende kämpfte
Gabriel und hielt Lirael bis zum Morgengrauen des letzten
Schlachttages zurück. Als der Morgen dämmerte, lagen
die Leichname vieler Sterblicher und die leeren Hüllen
vieler Gefallener zerschmettert in ganz Shamayim, doch
von Gabriel und seiner sterblichen Geliebten war nichts
zu sehen. Niemand wußte, ob der Erzengel der Gnade
und Offenbarung für seinen Ungehorsam bestraft worden
oder ob er im Verlauf der Nacht gefallen war. Eines ist
allerdings gewiß: Sein Name hallte nie im Abgrund wider.
Wenn Gabriel also vom Allmächtigen bestraft worden
war, dann wurde er in eine Hölle verbannt, die nur für ihn
allein bestimmt war.
Ganz gleich, wo die Schwarze Legion vorrückte, hinter-
ließ sie eine Spur der Zerstörung und des Elends. Gewaltige
Schwärme von aasfressenden Vögeln folgten ihr nach, die
sich an den Toten und Sterbenden labten. Die Schwärme
waren so groß, daß sie die Sonne selbst verdunkelten. Die
Leichname wurden von den Geißeln berührt und quollen
vor Krankheiten und Seuchen auf. Sobald sie reif genug
waren, brachen sie auf und trugen Pestilenz ins Land der
Himmlischen Heerscharen.
Wo auch immer Abaddons Legion hinging, folgten ihr
lange Züge von Menschen – die sich sowohl aus Sklaven
als auch aus Verehrern zusammensetzten. Denn trotz all
der Greueltaten, die die Legion verübte, so gab es doch
einige Menschen, die es nach der Macht verlangte, die die
Legion bot, und sie folgten den Schwarzen Fürsten nach,
um sich aus freien Stücken in der Schlacht zu opfern oder
den Gefallenen ihre Ehrerbietung darzubringen.
Die Zitadelle des Hasses
Dûdâêl, die mächtige Festung und Zitadelle der Schwar-
zen Legion, wurde zu einer Bastion des Hasses und der
Gewalt. Umringt von Feuern und Geysiren, die Wolken
giftiger Dämpfe ausstießen, wurde Dûdâêl die Vorlage für
alle Vorstellungen von der Hölle, die die Künstler der kom-
menden Jahrtausende heraufbeschwören sollten. Gewaltige
Schmieden, die unterhalb der Stadt lagen, spien Waffen
und Rüstungen für die sterblichen Gefolgsleute der Legio-
nen aus – unter anderem auch jene kruden Schwerter aus
dunklem Stahl, die den Namen Syir trugen. Wenn sie nicht
gerade auf Kriegszug war, versammelte sich die Legion in
Arenen und Stadien und veranstaltete blutige Gladiato-
renkämpfe, bei denen Sterbliche gegen Sterbliche oder
gegen von Dämonen gezeugtes Gezücht antreten mußten,
das einzig und allein für den Zweck geschaffen wurde, der
Menge ein möglichst blutiges Schauspiel zu bieten.
DIE MALHIM
Doch es gab auch Rückschläge und Niederlagen, und sie
wurden um so zahlreicher, je länger die Zeit der Greuel an-
dauerte. Eine neue Welle von Engeln war vom Himmel her-
abgestiegen, um die schwer angeschlagenen Himmlischen
Heerscharen zu verstärken. Anders als die ursprünglichen
Verteidiger, die vor echtem Streit und Kampf zurückge-
schreckt waren, kannte diese neue Welle von Engelskrie-
gern derlei Hemmnisse nicht. Es schien fast so, als ob ihre
Aufgabe in nichts anderem bestand, als so viele von uns
dem Vergessen anheimfallen zu lassen wie irgend möglich.
Sie wurden unter dem Namen Malhim bekannt und zum
Fluch unserer Existenz. Manche sagen, sie seien aus den
Feuern der Belagerung Saguns geboren, während andere
Stimmen behaupten, die Malhim seien die Seelen gottes-
treuer Sterblicher, die den Segen Uriels erhielten, um ihren
Tod von unserer Hand zu rächen. Wo auch immer ihr Ur-
sprung liegen mag, so flößte ihre Macht einem schon beim
bloßen Anblick große Furcht ein. Ich bete zu Luzifer, daß
wir ihresgleichen nie wieder erblicken müssen.
EINE ZEIT DER VERFEHLUNGEN
Fernab der Front arbeitete die Silberne Legion in ihren
Festungen und Trutzburgen, die Orte unaussprechlichen
und verbotenen Wissens waren, unermüdlich an der ihnen
zugewiesenen Aufgabe. Nichts war den Gefallenen dieser
Legion heilig, während sie das Gespinst der Schöpfung
nach Hinweisen durchkämmten, wie die Himmelstore für
uns zu erstürmen waren.
Die menschlichen Herden dieser Engel wurden von ih-
nen aus praktischen und auch weniger praktischen Grün-
den in grausame Bauwerke und Maschinen verwandelt.
Orte wie der Wall des Lebenshauchs und die Türme des
Fleisches erlangten einen legendären Ruf, und selbst auf
uns wirkten sie gespenstisch. Die Greuel, zu denen diese
Legion fähig war, kannten keine Grenzen. Viele Schrecken,
die in den Mythen der Sterblichen Erwähnung finden, sind
in Wahrheit nur dunkle Erinnerungen an die Exzesse As-
modeus’ und seiner Anhänger.
Die schöne Belphegor, Großfürstin des Fünften Hauses
und Herrin der Inspirationen, zwang ihre sterbliche Herde
61

dazu, sich auf rituelle Weise untereinander zu paaren. Auf
diese Art und Weise strebte sie danach, das höchste Po-
tential der Menschheit zu erwecken. Die Schreie, die aus
ihrer Zitadelle – dem Palast der Seufzer – drangen, hallten
noch lange nach ihrer Zerstörung gegen Ende des Krieges
über das Land.
Tabâ’et’, die Bastion der Silbernen Legion, wurde zu ei-
nem Irrgarten aus Türmen und Schornsteinen, die zähen
Rauch in den Himmel bliesen. Die sterbliche Herde litt
unsäglich unter den Experimenten der Legion und ihrem
unstillbaren Hunger nach irdischen und überirdischen Ge-
nüssen.
DER LANGE MARSCH
In Genhinnom sorgten sich Luzifer, die Scharlachrote
und die Eiserne Legion weiterhin um die menschliche
Herde, die unter ihrem Schutz stand. Von Zeit zu Zeit
entsandte Luzifer Truppen, die sterbliche Herden von der
Silbernen und der Schwarzen Legion einfordern und nach
Genhinnom zurückbringen sollten. Doch Luzifer wuß-
te, daß die Ausschweifungen der abtrünnigen Legionen
schwer auf der Schöpfung lasteten. Unzählige Sterbliche
waren tot, und eine noch weitaus größere Zahl führte
ein Leben voll unerträglicher Qualen. Dies war nicht der
Grund, weshalb der Lichtbringer dem Himmel die Stirn
geboten hatte. Doch Luzifer wußte auch, daß er nicht
besser als der Himmel war, der unbedingten Gehorsam
einforderte, wenn er sich dazu hinreißen lassen sollte, die
Legionen dazu zu zwingen, ihm nachzufolgen. Lange Jahre
lang grübelte der Prinz über diesem Dilemma.
Schließlich entschloß sich Luzifer zum Handeln. Der
Krieg hatte schon viel zu lange gedauert. Die Himmlischen
Heerscharen waren bis nach Machonon zurückgedrängt
worden, doch der Lichtbringer wußte, daß diese Stadt nie-
mals fallen würde. Anstatt es seinen Legionen zu gestatten,
weiterhin ungezügelt zu wüten, faßte er den Entschluß, sie
zurück an seine Seite zu rufen, um ein für allemal ihr wah-
res Königreich zu errichten.
Was folgte, war der Lange Marsch, ein Feldzug, der die
Legionen wieder unter die rechtmäßige Führung Luzi-
fers zwingen sollte. Gefallene zogen gegen Gefallene ins
Feld, und die Schlachten waren lang, doch schließlich leg-
ten Luzifers Truppen einen Belagerungsring um Dûdâêl,
Tabâ’et’ und Kâsdejâ. Die fehlgeleiteten Legionen rückten
dreimal aus, um den Belagerungsring zu durchbrechen,
doch die Krieger der Scharlachroten und der Eisernen Le-
gion schlugen sie jedesmal zurück in ihre Städte. Letzten
Endes gaben die aufsässigen Anführer nach und schworen
Luzifer ein weiteres Mal die Treue, doch ich frage mich,
welche Rachegelüste sie in ihren Herzen hegten.
Von seinem Thron herab sprach Luzifer von einem neuen
Zeitalter, einem Zeitalter, in dem die Gefallenen von den
Sterblichen verehrt werden und die Sterblichen wiederum
an Macht gewinnen würden, bis sie dereinst als eigene
Götter den Himmel selbst herausforderten.
„Wir haben den falschen Krieg geführt“, verkündete
er. „Wir werden den Allmächtigen besiegen, aber nicht
durch Krieg und Greuel, sondern durch den Glauben der
62
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Sterblichen. Wir werden aus jedem einzelnen von ihnen
ein Spiegelbild Seiner selbst machen – vollkommen, un-
endlich und mächtig. Viel zu lange haben wir den wahren
Grund für diesen Krieg verkannt. Der Schöpfer hat uns
nicht verbannt, weil Er uns fürchtet, sondern weil Er sich
vor dem fürchtet, was wir die Menschheit lehren könnten.
Verleiht uns ihr Glaube nicht ebensoviel Macht, wie sie
uns Gott vor dem Fall schenkte? Wir werden Götter aus
diesen Sterblichen machen, und sie werden Ihn heraus-
fordern. Die Sterblichen werden über die Welt herrschen,
und wir werden unsere Throne im Himmel zurückerobern.
Wir haben zu viel Zeit hier auf Erden verbracht. Die Zeit
ist gekommen, in den Himmel zurückzukehren und ihn
für seine Sünden bezahlen zu lassen.“
Und so begann die Zeit Babels.
DIE ZEIT BABELS
Was nun folgte, war unsere Blütezeit. Die Siege aus der
Zeit der Greuel hatten die Himmlischen Heerscharen zu-
rückgedrängt und ihre Truppenverbände zerschlagen. Un-
ter der Führung Luzifers wurden unsere Domänen befestigt
und selbst die gefürchteten Malhim wurden für eine Weile
im Zaum gehalten. Um die Silberne und die Schwarze Le-
gion zu besänftigen, erlaubte Luzifer ihnen, weiter über ihre
Städte zu herrschen, doch sie durften ihre Herden nicht
länger aufstocken, ohne zuvor den Zehnten von diesen
hinzugewonnenen Dienern als Tribut an Genhinnom zu
entrichten. Auf diese Weise breitete die Blutrote Legion
ihre Herde über die gesamte Schöpfung aus. Aber dies war
bei weitem noch nicht alles, was sie tat.
Wichtiger als die Ausbreitung der ihm treu ergebenen
Herden war Luzifers Befehl, die Rasse Adams und Evas zu
erhöhen. Viel Zeit war seit der Ersten Nacht vergangen, in
der Luzifer dem Allvater und der Allmutter die Augen ge-
öffnet hatte. Ihre Nachfahren hatten vieles vergessen, und
der größte Teil ihres Wissens beruhte nun auf Halbwahr-
heiten und Aberglauben, in die die von der Zeit der Greuel
geborene Furcht hineinspielte. Anstatt die Gesamtheit der
Schöpfung zu erfassen, waren die Sterblichen wieder erblin-
det. Doch diesmal war es nicht Gott, der die Schuld daran
trug, sondern einzig und allein wir selbst.
Dieser Umstand schmerzte unseren mächtigen Prinzen.
Wir hatten dem Himmel getrotzt, um Licht in die Welt zu
bringen, und nicht noch mehr Dunkelheit und Verzweif-
lung. Wir hatten unseren Lichtbringer enttäuscht, und er
hatte die Kinder Adams und Evas enttäuscht.
„Bin ich dem Weg unseres Schöpfers blind gefolgt?“ rief
Luzifer. „Ist diese Rebellion nichts als ein Haus der Lüge?
Dies werde ich nicht länger zulassen! Wir werden ein
neues Zeitalter einläuten. Unsere Rebellion soll nicht un-
tergehen. All die Jahre der Mühen und der Verzweiflung,
der Gewalt und des Mordens sollen nicht umsonst gewesen
sein. Wir werden die Menschheit erheben, bis sie die Mau-
ern des Himmels selbst berührt. Dies soll unser Großes Ex-
periment sein. Wenn wir versagen, ist alles verloren. Haben
wir Erfolg, wird der Sieg endlich unser sein.“
KAPITEL ZWEI
DAS GROSSE EXPERIMENT
Luzifer erwählte zehn seiner vertrautesten Gefolgsleute
und entsandte sie in das Land hinaus. Ihre Aufgabe bestand
darin, den Söhnen und Töchtern Adams und Evas sämtli-
che Geheimnisse zu eröffnen – nicht nur die Geheimnisse
der Schöpfung, sondern auch alle Geheimnisse des Him-
mels. Dies war der Anfang vom Ende.
Überall im Land lehrten die Zehn viele Sterbliche diese
Geheimnisse, und diese Sterblichen gaben ihr Wissen an
ihre Stämme weiter, und daraus erwuchs die Zivilisation
der Asche. Das Wissen, das die Zehn weitergegeben hat-
ten, war so groß, daß schon nach wenigen Jahren in aller
Welt Städte errichtet wurden, die den Bastionen der Ge-
fallenen gleichkamen. Die Sterblichen erbauten Städte auf
den Meeren und auf den Gipfeln der höchsten Berge und
schufen wahre Metropolen in den Wüsten und Tempel aus
Gold in den Dschungeln – Städte wie Enoch, wenn man
dem großen Buch der Sterblichen Glauben schenkt.
Die Zehn statteten diesen Städten unregelmäßige Besu-
che ab, um über ihre Schutzbefohlenen zu wachen und sie
Neues zu lehren. Mit der Zeit waren diese geheimnisvollen
Lehrmeister nur noch als „die Wächter“ bekannt.
DIE WÄCHTER
In Mäntel aus Licht und Schatten gehüllt waren die zehn
Wächter hochgewachsen und zerbrechlich, doch in ihren
Augen schimmerten Wissen und Macht. Sie waren in allen
Städten der Menschen willkommen, und sie sahen zu, wie
die Sterblichen selbst die tiefgründigsten Geheimnisse der
Schöpfung enthüllten. Nach einiger Zeit hinterließen die
Zehn in jeder dieser Städte ein Buch, auf daß ihr Wis-
sen von Generation zu Generation weitergegeben werden
konnte. Diese Bücher wurden als Kanon des Auges bekannt,
und sie gingen während des Chaos verloren, das zum Ende
des Krieges hin herrschte. Das Wissen um ihre Existenz
hat nicht einmal in den ältesten Legenden überlebt, und
das ist wohl auch besser so. Schon einmal ist das in ihnen
gesammelte Wissen zu unbedacht verbreitet worden, und
dies darf nie wieder geschehen.
Nichtsdestotrotz beobachteten und lehrten die Zehn
weiter.
Giriel weihte die Rasse des Staubs in die Geheimnisse
der Erde ein und zeigte ihr, wie man das Land durch die
Kunst formt, Elemente und Mineralien miteinander zu ver-
binden.
Sharaael gab das Wissen über das Fleisch und das Leben
weiter, so daß die Sterblichen ihre Unsterblichkeit wieder-
erlangen konnten, die Gott ihnen zu Unrecht genommen
hatte.
Bephamael enthüllte der Rasse der Sterblichen die Ge-
heimnisse der Gestirne und des Firmaments. Das Buch Be-
phamael beschrieb die Bilder und den Lauf der Gestirne und
erklärte, wie man den Lauf der Zeit vorhersagen konnte.
Maraels Hand schrieb die Geheimnisse des Windes und
des Sturms nieder.
Die Geheimnisse des Metalls und seiner Verarbeitung
sowie die Mysterien der Schmiedekunst waren das Wissen,
das Gamael den Menschen schenkte.
Ur-Shanbi lehrte die Sterblichen das Lesen des Schick-
sals und wie durch die Deutung von Vorzeichen und Omen
die Zukunft vorherzusagen war. Gott hatte Adam und Eva
blind gehalten, doch durch Ur-Shanbi wurde die Mensch-
heit dazu befähigt, die Pläne des Himmels in Erfahrung zu
bringen.
Vom Mond und dessen Herrin berichtete Samael, und
sie erklärte den Menschen, wie man nach der Mutter des
Mondes Ausschau hielt, welche Geheimnisse sie hütete
und wie man sich vor ihren Kindern schützte.
Agriel schrieb die vielen Geheimnisse der Überfülle des
Landes nieder und berichtete von guten und schlechten
Pflanzen und wie man mit ihnen umzugehen hatte, um sich
von ihnen zu nähren oder Gift aus ihnen zu gewinnen.
Von der Sonne, Gottes unbarmherzigem Auge, kündete
Shamshiel der Rasse Adams und Evas.
Das größte Geschenk erhielt die Rasse Adams und Evas
schließlich von Penemue. Penemue lehrte die menschliche
Rasse die geschriebene Sprache und die Weisheit, die in
ihr lag. Durch diese Gabe erhielten die Sterblichen die
Fähigkeit, die Welt anhand von Sinnbildern und Vorstel-
lungen und nicht allein anhand von Dingen, die man sehen
oder anfassen mußte, zu begreifen. Die Geheimnisse, die er
den Sterblichen enthüllte, erlaubten es ihnen, sich selbst
die Augen zu öffnen. Sie mußten die Schöpfung nunmehr
nicht länger sehen oder berühren, um an sie glauben zu
können. Wissen konnte sich nun aus eigenem Antrieb her-
aus verbreiten. Binnen weniger Generationen waren bereits
viele Bücher und Schriften in der Ersten Sprache verfaßt
worden, und die Menschheit stand kurz davor, endlich ihre
eigene Göttlichkeit zu erlangen.
Dies waren die Gaben, die die Zehn der Rasse Adams
und Evas schenkten. Doch je heller ein Feuer brennt, um
so schneller erlischt es auch wieder.
VERRAT
Die Wächter kamen ihrer Aufgabe mehr als hundert
Jahre lang pflichtbewußt nach. Doch kurz nachdem die
Bücher des verbotenen Wissens geschrieben worden wa-
ren, fiel ein Schatten auf sie. Den Legionen war verboten,
sich in die Angelegenheiten der Wächter einzumischen,
doch nichtsdestotrotz waren wir neugierig darauf, was sie
trieben. Einige von uns, wozu auch meine Wenigkeit ge-
hörte, beschützten die Zehn aus der Ferne vor Angriffen
der Himmlischen Heerscharen oder der Malhim. Doch
ironischerweise sollten wir selbst es sein, die den Untergang
der Wächter herbeiführten.
Während die Zivilisation der Asche immer größere Er-
rungenschaften hervorbrachte, wurden einige in unseren
Legionen neidisch auf sie. Sie flüsterten einander zu: „Wenn
ihnen erst einmal alle Geheimnisse der Schöpfung offenge-
legt sind, wozu sollten sie uns dann noch brauchen?“ Angst
und Zweifel fraßen sich einen Weg in unsere Herzen.
Niemand vermag mit Gewißheit zu sagen, wer den Plan
ausheckte, das Große Experiment zu unterlaufen, doch der
Legende nach soll es ein Gefallener aus Luzifers eigenem
Haus gewesen sein, der die Saat ausbrachte. Er wandte
sich an jene Gefallenen, die die wachsende Macht der
Menschen ängstigte, und überzeugte sie davon, daß etwas
63

unternommen werden mußte, um die Vorherrschaft der Le-
gionen über die Sterblichen zu gewährleisten. Der Verräter
schlug vor, daß seine Mitverschwörer sich mit Sterblichen
paaren sollten, um mit ihnen eine neue Rasse zu begrün-
den – halb sterblich, halb gefallen. Diese neue Rasse würde
ihren Vorvätern auf ewig treu ergeben sein, und sie würde
die Kinder Adams und Evas letzten Endes allein durch die
schiere Macht, die ihnen angeboren war, verdrängen. Und
so griffen sich die Verräter im Schutz der Nacht Sterbliche
und paarten sich mit ihnen.
DIE GEBURT DER NEPHILIM
So entstanden die Nephilim: In den Augen der Men-
schen und Gefallenen war jeder einzelne von ihnen eine
Abscheulichkeit. Sie verfügten über die Gaben von Engeln
und Sterblichen, und ihr Anblick war schrecklich – wenn
nicht schon ihrer abstoßenden Erscheinung, dann doch
zumindest der ungeheuerlichen Möglichkeiten wegen, die
ihnen offenstanden. Mir ist zu Ohren gekommen, daß ei-
nige von ihnen wohlmeinende, sanfte Geister gewesen sein
sollen, die die Menschen zu führen und zu lehren gedach-
ten, doch viele ihrer Art kannten von Geburt an nur Haß
und Tyrannei. Nach nur wenigen Jahren beherrschten sie
die Städte, in denen sie geboren worden waren. Doch ihr
größtes Verbrechen stand noch aus: Sie suchten die Zehn
auf, vernichteten die Gesandten Luzifers und übernahmen
ihre Rolle als Wächter der Menschheit.
Doch die Herrschaft der Nephilim und ihrer verräteri-
schen Vorväter währte nur kurz. Als die Kunde von ihren
schrecklichen Taten Genhinnom erreichte, kam Luzifer
mit seinen Legionen über sie und erschlug alle, die er fin-
den konnte. Doch die furchteinflößenden, unbezähmbaren
Energien, die in Schlacht um Schlacht entfesselt wurden,
brachten das Große Experiment zum Scheitern. Dieses
tragische Ereignis wurde im Nachgang die Erschütterung
genannt, und sie war ein Vorbote unserer größten Nieder-
lage.
DIE ERSCHÜTTERUNG
Zahllose Zeitalter lang hatten wir über die Welt ge-
herrscht, Kriege gegen die Himmlischen Heerscharen ge-
führt und ihre Gefängnisse aus Stein und Eisen niederge-
rissen. Wir hatten andere Engel dazu gebracht, sich den
Armeen der Gefallenen anzuschließen und hatten mächti-
ge Kathedralen und Zitadellen errichtet, die sich über das
gesamte Antlitz der Schöpfung ausbreiteten. Wir hatten
die Rasse des Staubs beschützt und gequält, und wir hatten
den Nachkommen Adams und Evas die Geheimnisse der
Schöpfung offengelegt. Und doch sollte dies alles letzten
Endes vollkommen umsonst gewesen sein.
Während Luzifer mit seinen getreuesten Legionen gegen
die Nephilim kämpfte, ging die Rasse Adams und Evas un-
ter der Last ihrer neugefundenen Göttlichkeit in die Knie.
Vielleicht lag es am Verschwinden der Zehn, vielleicht war
das Böse der Nephilim der Auslöser oder vielleicht war es
einfach nur ihr grausames Schicksal, aber jedenfalls wa-
ren die Söhne und Töchter der ersten beiden Sterblichen
just zu jener Zeit, da ihnen die gesamte Schöpfung offen-
64
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
stand, vollkommen am Boden zerstört. Bestimmung kann
nie fremdbestimmt werden, doch genau dies hatten wir
(in unserer Hybris) versucht. Warum Luzifer unser Schei-
tern nicht vorhergesehen hat, vermag ich nicht sagen. In
unseren langen Jahren in der Hölle hörte ich viele sagen,
sie seien der festen Überzeugung, er habe von Anfang an
vorgehabt, Verrat an uns und der Menschheit zu üben,
aber aus welchem Grund hätte er dies tun sollen? Ich weiß
nicht, was ich noch glauben soll.
Anstatt zu Göttern zu werden, zerbrachen die Menschen
an der Last ihrer Erleuchtung und der Offenbarungen, die
ihnen zuteil geworden waren. Wir hatten danach getrach-
tet, Jahrtausende der Entwicklung binnen einer Handvoll
Generationen zu überspringen, und damit verlangten wir
den Menschen zu viel in viel zu kurzer Zeit ab.
FALSCHE ZUNGEN
Doch dies war nicht unsere einzige Sorge. Die Erschüt-
terung hatte noch weitaus schlimmere Folgen – die Zer-
splitterung der sterblichen Sprache. Seit der Zeit Adams
und Evas sprachen die Sterblichen in einer abgewandelten
Form unserer Sprache, die wir zwar vereinfacht hatten,
um die Ohren der Sterblichen zu schonen, aber nichts-
destotrotz trug sie den Klang der Wahrheit in sich. Alle
Sterblichen sprachen diese Eine Sprache. Es war eine reine
Zunge, die nichts verschleierte und es den Sterblichen er-
laubte, die Bedeutung der gesamten Schöpfung zu erfassen.
Als Penemue der Rasse des Staubs beibrachte, wie man
diese Sprache niederschreiben konnte, standen die Tore
des Himmels der Menschheit weit offen. Doch dafür waren
sie noch nicht bereit. Sie waren geblendet und verloren
deshalb die Fähigkeit, die Eine Sprache zu begreifen und zu
verstehen. Ihre Form unserer Sprache degenerierte zu einer
Kakophonie unzähliger niederer Sprachen. Anstatt eine
Nation zu bleiben, teilten sich die Sterblichen in Hunderte
und sogar Tausende unterschiedlicher Stämme und Sippen
auf. Niemals wieder sollten sie sich als eine Rasse sehen,
die durch einen gemeinsamen Vater und eine gemeinsame
Mutter geeint war.
Das Auseinanderbrechen der Einen Sprache zeitigte
noch eine andere Wirkung – wenn uns die Menschen nun
ansahen, konnten sie nicht mehr länger begreifen, was sie
da erblickten. Ihre Erinnerungen an uns wurden zu Mythen
und Legenden. Wir waren für sie nichts weiter als aus Aber-
glauben geborene Geister, die einige verehrten und denen
andere entweder keinerlei Beachtung oder nur Mißtrauen
schenkten. Selbst wenn wir ihnen beistehen wollten, so
konnten wir es nicht mehr. Die Sterblichen waren so gebro-
chen, daß wir für sie unbeschreiblich geworden waren. Und
dadurch versiegte auch der ehedem überbordende Quell
ihrer Hingabe und ihres Glaubens.
DER ZUSAMMENBRUCH
Überall im Lande zerfielen unsere Städte und Stämme
– einige durch Naturkatastrophen, andere durch Kriege,
Seuchen und Krankheiten. Manche Städte versanken in
den Tiefen der Ozeane, während andere einfach aufgege-
ben und der Wildnis überlassen wurden. Es war fast so, als
hätten die Kinder Adams und Evas den Entschluß gefaßt,
KAPITEL ZWEI
sich wieder der Unwissenheit hinzugeben, als ihnen die
Gesamtheit der Schöpfung und ihre Geheimnisse offenbart
worden waren. Viele von uns können dies bis zum heutigen
Tag nicht verstehen. Warum kehrten sie ihrer Bestimmung
den Rücken und wählten statt dessen lieber ein Leben in
Mühsal und Blindheit? In den Augen vieler Mitglieder
unserer Legionen war dies der schlimmste Verrat, der über-
haupt vorstellbar war – ein Vergehen, das nur wenige der
Menschheit je verziehen haben.
DER ANFANG VOM ENDE
Das Große Experiment war fehlgeschlagen, und trotz
all unserer Macht konnten wir nichts tun, um die unein-
geschränkte Hingabe der Menschheit wiederzugewinnen.
Die Sterblichen waren uns gegenüber geblendet, und wir
waren des Glaubens beraubt, an den wir uns schon so ge-
wöhnt hatten. In dem Chaos, das die Erschütterung mit
sich brachte, hatten wir die Himmlischen Heerscharen
vollkommen vergessen, doch der Himmel hatte uns keines-
wegs vergeben. In unserer dunkelsten Stunde kamen seine
Armeen über uns. Die Malhim belagerten Dûdâêl, Tabâ’et’
und Kâsdejâ, und sie zerstörten alles, was wir erschaffen
hatten.
Michael und seine Heerscharen versammelten sich vor
den Toren Genhinnoms, und eine gewaltige Schlacht ent-
brannte. Man berichtete mir, Luzifer hätte bis zum bitte-
ren Ende nie von Aufgabe gesprochen. Die Scharlachrote
Legion und die Eiserne Legion kämpften bis zur völligen
Erschöpfung und hielten die Mauern der Stadtkathedrale
40 Tage und 40 Nächte lang, bevor die Tore Genhinnoms
schließlich nachgaben und der Morgenstern in brennende
Ketten gelegt wurde.
Umringt von Malhim und Michaels Heerscharen stiegen
die Ophanim, die Engel der Gerechtigkeit des Schöpfers,
aus dem Himmel herab. Sie trieben unsere Legionen zusam-
men und richteten über sie. Viele von uns hatten erwartet,
den langen Weg zurück in den Himmel antreten zu müssen,
um dort vernichtet zu werden, doch der Allmächtige hatte
ein weitaus schrecklicheres Schicksal für uns vorgesehen.
Er verdammte uns in ewige Finsternis und zu endloser, lee-
rer Existenz ohne Sinn oder Wert. Keiner der Schrecken,
deren Zeuge ich während der Zeit des Zorns geworden war,
ließ sich mit der Greueltat vergleichen, die der Himmel am
Ende an uns verübte.
Die Ophanim verkündeten die Strafe, und für einen Au-
genblick war alles still. Ich glaube, sie erwarteten, daß wir
um Gnade flehen und um eine rasche Vernichtung betteln
würden, um nicht auf ewig im Höllenschlund gefangen zu
sein. Doch unsere Blicke richteten sich auf unseren Prin-
zen, den Morgenstern, der ungebeugten Hauptes in die
Knie gegangen war. Es schien fast so, als würde er den Him-
mel nach etwas absuchen, um den Allmächtigen heraus-
zufordern, ihm ein letztes Mal Sein Antlitz zu zeigen. Der
Anblick rührte mich zutiefst, und in diesem Augenblick
wußte ich, daß ich eher ungebeugt der Finsternis begegnen
würde, als auch nur einen Wimpernschlag länger vor einem
fühllosen Gott zu knien.
Ich erhob mich und forderte die Ophanim heraus, mir
Einhalt zu gebieten. Ich erinnere mich gut an die Stille,
die sich über die weite Ebene senkte, und an die zahllosen
Augenpaare, deren Blicke mir folgten, als ich entschlossen
auf das Tor zur Hölle zuschritt. Auf der Schwelle drehte ich
mich noch einmal zu meinem Prinzen um, und ich schwöre,
daß Tränen in seinen Augen standen. Stolz entbot ich ihm
einen letzten Gruß und stürzte mich in den Abgrund.
Ich werde dich nicht anlügen, indem ich behaupte, ich
hätte keine Furcht verspürt, aber ich bemühte mich, mei-
nen Schrecken in der Leere des Höllenschlunds nicht zu
zeigen. Ich wartete darauf, daß mein Prinz uns in die Ver-
bannung folgte, und ich wäre gewiß der erste der Gefalle-
nen gewesen, der vor ihm niedergekniet wäre, um seinen
Treueschwur zu erneuern. Denn eines hatte ich erkannt,
als auf jener weiten Ebene unsere Strafe verkündet worden
war: So lange der Lichtbringer bei uns war, würde uns kein
vom Himmel geschaffenes Gefängnis halten können. Wir
würden uns Gottes Tyrannei nicht beugen, weder auf Erden
noch in der Hölle. Wir würden uns nicht unterwerfen. Ei-
nes Tages würde die Gerechtigkeit auf unserer Seite sein.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich wartete und das Feuer
des Trotzes in meinem Herzen am Lodern hielt. Die unzäh-
ligen Leiber der Verdammten drangen von allen Seiten auf
mich ein, doch ich erduldete die Qual. Die Finsternis und
die Kälte nagten an meiner Seele, doch ich erduldete die
Qual. Die Schreie der Verlorenen fuhren durch mich hin-
durch wie scharfe Klingen, doch ich ertrug die Qual.
Dann fielen die Tore der Hölle mit einem lauten Schlag
zu, und ich erkannte, daß wir wahrhaft und gänzlich aufge-
geben worden waren. Luzifer war nicht unter uns.
65
 Diese Nacht war gut für Pat verlaufen. Mr. Mackay wollte ein Exempel an irgendeinem Idioten statuiert haben, der
mit seinen Zahlungen im Rückstand geblieben war. Es hatte nicht lange gedauert, ihn ausfindig zu machen, und es
war noch viel einfacher gewesen, ihn an einen netten, ruhigen Ort zu bringen, damit Pat sich ungestört an die Arbeit
machen konnte. Im Verlauf der letzten halben Stunde hatte er den Vollidioten Schritt für Schritt zu Klump gehauen
und ihn zugleich noch soweit bei Bewußtsein gelassen, daß er den Gnadenstoß voll mitkriegen würde. Er war wirklich
verdammt gut in solchen Sachen.
Er trat dem Dealer ins Gesicht und machte einen Schritt zurück. Japp, es war schon fast an der Zeit, den Job zu
Ende zu bringen. „Hey, du Arschloch. Mr. Mackay wollte dich nur wissen lassen, daß du ihn mit deinen Zahlungen
wirklich nicht hättest zwei Mal hintereinander warten lassen sollen. Er will dich außerdem wissen lassen, daß du nie
wieder die Chance haben wirst, das nochmal zu tun.“
„Was machst du denn da?“ ertönte plötzlich eine kräftige, helle Frauenstimme.
Pat drehte sich von dem armen Bastard vor ihm auf dem Asphalt weg. Eine kleine, indisch aussehende Frau starrte
ihn vom Ende der Gasse her an. Sie war zierlich und dunkelhaarig, und sie wirkte überraschend selbstsicher. Für
eine Inderschlampe richtig niedlich, dachte Pat. Sie schien nicht aufgebracht oder verängstigt zu sein, obwohl sie
gesehen haben mußte, was er diesem erbärmlichen Schlappschwanz zu seinen Füßen angetan hatte. Das überraschte
ihn wirklich.
„Was geht dich das an, Süße?“
„Oh, es interessiert mich einfach.“
Hey, vielleicht war dies wirklich seine Glücksnacht. Einige Weiber standen echt auf Gewalt. Zumindest erzählten
das einige seiner Kumpels ständig. Er hätte nichts gegen ein bißchen Pakiarsch gehabt.
„Warte da auf mich, Kleines, und dann komm ich gleich rüber und zeig dir mal, wie man so richtig Spaß hat. Aber
zuerst muß ich noch diesen Wichser erledigen.“
Anila hob eine Augenbraue. „Nein, vielen Dank. Ich bin verheiratet. Aber ich frage dich jetzt bereits zum zweiten
Mal: Was machst du da?“
Pat entging der leicht bedrohliche Unterton in ihrer Stimme nicht. Hier stimmte etwas nicht. Er griff in seine
Jackentasche.
„Na und? Was willst du denn machen, wenn ich dir keine Antwort gebe, Mädchen?“ knurrte er, und plötzlich schim-
merte ein Messer im fahlgelben Licht der Straßenlampen am anderen Ende der Gasse.
Anila sah ihn und das Messer einen Moment lang an. „Du wirst ihn umbringen, oder? Erstochen zu werden ist eine
ziemlich schmerzhafte Art zu sterben, weißt du? Ich … Anila … hätte es gehaßt.“
Sie machte eine kleine Pause, als ob sie über etwas nachdenken würde. „Ich befürchte, durch deine Entscheidung,
einem anderen das Leben zu nehmen, hast du dein eigenes verwirkt.“ Dann verwandelte sie sich.
Als die Polizei ihn ein paar Stunden später fand, war von Pat nicht mehr viel übriggeblieben, was man hätte
identifizieren und eintüten können. Der andere Typ, ein bekannter Dealer aus dieser Gegend, brabbelte irgendeinen
Unsinn über böse Geister, die gekommen waren, um ihn zu holen, aber die Polizei tat das Gestammel als eine durch
Drogenkonsum bedingte Wahnvorstellung ab.
Von der anderen Straßenseite aus sah Anila Kaul zu, wie man die sterblichen Überreste ihres Opfers abtranspor-
tierte. Sie fragte sich, ob sie das richtige getan hatte.
 KAPITEL DREI:
APOCALYPSE
NOW
Diese dunkle Nacht, durch die
Die Seele gehen muß, um das Himmlische Licht
Vollkommener Einheit mit der Liebe Gottes zu erlangen
- St. Johannes vom Kreuz, Die dunkle Nacht der Seele

aus. Ich darf ihm nicht erliegen. Es kümmert mich nicht,

GEFANGENSCHAFT
Mein Name ist Magdiel, und ich bin ein gefallener Engel.
Ich bin eine von Luzifers Auserwählten und endlich wieder
frei. Als diese Welt erschaffen wurde, war ich bereits hier,
und ich werde noch hier sein, wenn sie wieder untergeht.
Ich bin nicht Anila Kaul, doch es paßt mir ganz gut,
in ihrem Körper zu stecken, bis ich diese Welt verstehe
und meinen Platz in ihr gefunden habe. Auch wenn ich
menschlich aussehe, bin ich doch viel mehr als nur ein
Mensch. Dieser Körper beinhaltet nur eine Facette meines
wahren Ichs. Er ist nur das reduzierte Abbild von etwas
viel Größerem. Ich existiere seit Anbeginn der Zeit, und
ich habe Dinge gesehen, die der menschliche Verstand nie-
mals begreifen würde. Es gibt Momente, in denen ich kaum
glauben kann, wie klein der Ausschnitt der Wirklichkeit ist,
den die Menschen wahrnehmen können. Wie können sie
nur mit so wenig Erkenntnis überleben?
Zu meiner großen Überraschung üben die simplen Freu-
den des menschlichen Lebens einen gewissen Reiz auf mich
wie verführerisch Anilas Gefühle und Erinnerungen sind.
Es kümmert mich nicht, mit welcher Leidenschaft sie zu
ihrem Ehemann und ihren Idealen steht. Ich bin ein Engel
des Todes, und ich werde mehr als nur ein Mensch sein. Ich
weiß, daß ich in diesem Körper bleiben muß, wenn ich in
dieser Welt bleiben will, doch seine Einschränkungen und
Grenzen frustrieren mich. Dieser Verstand kann mit den
Erinnerungen, die ich habe, nicht umgehen, und manch-
mal muß ich regelrecht darum kämpfen, an ihnen festzu-
halten. Ich schreibe sie auf, weil ich hoffe, daß diese Seiten
mehr aufnehmen können als mein Schädel.
Allerdings muß ich gestehen, daß Alinas Leben und ihre
Empfindungen äußerst verführerisch sind. Sie gleichen
nichts, was ich je zuvor erfahren habe. Nach Jahrtausenden
in der kalten Leere der Hölle ist mir jede neue Erfahrung
herzlich willkommen, doch ich werde wegen dieser erbar-
mungswürdigen Menschenfrau, deren Geist in einer schäbi-
gen Behausung gebrochen wurde, nicht vergessen, wer ich
bin. Ich bin eine Dämonin. Anila gibt es nicht mehr.
KAPITEL DREI
UNENDLICHE FINSTERNIS
An den Krieg kann ich mich nur allzu gut erinnern. Die
Ereignisse, die ich mir nicht wieder vor Augen führen kann,
sollten wohl auch besser vergessen bleiben. Damals habe
ich Dinge getan, die ich selbst heute noch bereue. Meine
Zeit der Gefangenschaft will ich aber nie vergessen. Ich
werde Gott nie verzeihen, was Er mir angetan hat, denn
wenn ich es je tun würde, dann könnte ich meine Strafe
womöglich nie verstehen.
Ich hatte zuvor noch keine Vorstellung davon gehabt, was
es hieß, eingesperrt zu sein. Keiner von uns hatte gewußt,
was das bedeutete. Erst nachdem wir die letzte Schlacht
verloren hatten und in brennende Ketten gelegt worden
waren, begriffen wir, was es bedeutet, wirklich ohnmächtig
zu sein. Wir hatten uns darauf vorbereitet, von den Hän-
den unserer Feinde Schmerzen und Erniedrigung erdulden
zu müssen, doch die Rache des Himmels war bei weitem
grausamer, als wir es uns jemals hätten vorstellen können.
Wir wurden vergessen. Wir wurden dazu verdammt, bis ans
Ende aller Zeit in einem Nichts gefangen zu sein, in dem
nur Finsternis herrscht. Obwohl man uns die Fähigkeit ließ,
die Welt um uns herum vage wahrzunehmen und dumpf
das Leid der Menschheit zu spüren, konnten wir nichts tun,
um den Menschen zu helfen. Anila kennt keine Worte, mit
denen sie das Grauen und die Furcht beschreiben könnte,
die wir empfanden, als die Engel des Himmels uns in die
ewige Nacht hinabschleuderten.
Die Hölle war eine kalte Leere, in der außer uns nichts
anderes existierte. Es war uns nicht möglich, unsere Ge-
fangenschaft erträglicher zu machen, da es nichts gab, aus
dem wir etwas hätten machen können. Wir waren voll-
kommen allein. Das einzige, was uns geblieben war, waren
unsere Erinnerungen und unsere Trauer. Vielleicht hatte
Gott uns nur eingesperrt, weil Er wollte, daß wir unsere
Rebellion bereuten. Wenn das Sein Ziel gewesen war, dann
hätte Er keinen größeren Fehler begehen können. Da wir
nichts anderes hatten als unseren Schmerz und unsere
Niedergeschlagenheit und wir ohne Hoffnung auf Erlösung
in einer leblosen Hölle gefangen waren, gaben sich selbst
die stärksten unter uns ihren haßerfüllten Visionen und
schrecklichen Racheträumen hin.
Aber selbst zu diesem Zeitpunkt hätte unser Abstieg
in den Wahnsinn noch verhindert werden können. Nach
einiger Zeit hätten wir vielleicht gelernt, unseren Frieden
mit unserem Schicksal zu machen. Doch der einzige Geist,
der uns von diesem Alptraum hätte befreien und uns einen
Weg hätte aufzeigen können, ihn zu erdulden, war nirgend-
wo zu finden.
DAS MYSTERIUM DES MORGEN-
STERNS
Luzifer war der größte von uns. Ein Teil von mir – mög-
licherweise jener Teil, der durch Anila befleckt ist – würde
ihn gern den schönsten unter uns nennen, doch das wäre
einfach nicht richtig. Anila kann Liebe nur in menschli-
chen Maßstäben begreifen und empfinden. Wir liebten
Luzifer aufgrund der Reinheit seiner Mission und seiner
Hingabe an sie. Er war in der Lage, unsere Gefühle mit
einer Klarheit in Worte zu fassen, die nur wenige unter uns
zu erreichen vermochten. Wenn er sich an unserer Seite in
die Schlacht stürzte, fühlten wir uns unbesiegbar. Sein Zorn
und seine Gnade waren ohnegleichen, und jeder von uns
strebte danach, seiner Führung würdig zu sein.
Ich schloß mich der Rebellion nicht nur aus eigenen
Beweggründen an, sondern auch deshalb, weil Luzifer es
gewesen war, der sie ausgerufen hatte. Er weckte in mir das
Gefühl, daß die Hoffnungen, die ich für die Menschheit
hegte, ebenso wichtig waren wie die seinen. Und wenn
er sagte, daß wir gemeinsam siegreich sein würden, dann
glaubte ich ihm das. Selbst, als der Krieg begann – und
die ersten Menschen starben –, blieb mein Glaube an ihn
unerschütterlich. Er war unser Prinz, und letzten Endes
würde Gott den Sinn hinter seinem Handeln erkennen.
Selbst nach dem Krieg, als die Engel des Himmels ihr Urteil
über uns fällten, blieb mein Glaube an ihn unerschütter-
lich. Wenn ich überhaupt Angst empfand, dann nur Angst
um unseren Prinzen. Wieviel schlimmer als unsere Strafe
würde die Luzifers wohl ausfallen?
Ich bezweifle, daß wir ohne ihn je den Mut aufgebracht
hätten, dem Willen des Allmächtigen zu trotzen. Als der
letzte Stein in die Mauern der Hölle um uns herum gesetzt
worden war, fanden wir uns ohne ihn wieder, und das ge-
nau zu jener Zeit, da wir ihn am dringendsten gebraucht
hätten.
VERSCHOLLEN
Ich kann mich an unsere Furcht erinnern. Dunkelheit
senkte sich wie ein Leichentuch auf uns herab, und als
wir uns an den Morgenstern wenden wollten, um seine
Weisheit und seine Zuversicht zu empfangen, da fanden
wir ihn nicht. Wir erwählten nie einen anderen Führer.
Es war uns nie in den Sinn gekommen, je einen anderen
Führer als ihn zu brauchen. Luzifer war der einzige unter
uns gewesen, von dem wir wirklich glaubten, er könne Gott
tatsächlich trotzen.
Zuerst vermuteten seine Heerführer – diejenigen, die
an seiner Seite gekämpft und seine Legionen während des
Krieges geführt hatten –, daß er sich uns bald in unserer
Verbannung anschließen würde. Es schien offensichtlich,
daß Gott noch weitere Strafen für Luzifer bereithielt – und
erst, nachdem er sie empfangen hätte, würde man ihn zu
uns sperren.
Ich weiß nicht mehr, wie lange es dauerte, bis das erste
Raunen durch unsere Reihen ging. Was, wenn Gott Luzifer
vernichtet hatte? Wir hatten gesehen, wie Engel während
des Krieges ausgelöscht worden waren. Keiner von uns hing
der Illusion an, daß unser Leben unantastbar wäre. Es gab
einige unter uns, die glaubten, Luzifer (der ja unser Führer
gewesen war) sei als einziger von uns auserkoren worden,
der Vernichtung anheimzufallen. Andere meinten, er sei
in ein gesondertes Gefängnis gesperrt worden, um ihn von
seinen treuen Soldaten zu trennen, da der Himmel befürch-
tete, Luzifer könnte einen Weg finden, uns in die Freiheit
zu führen. Wieder andere waren der festen Überzeugung,
der Morgenstern hätte sich geopfert, um einen Hauch der
Gnade des Allmächtigen zu gewinnen, der letzten Endes zu
69
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

unserer Erlösung führen würde. Niemand wußte es. Und so

warteten wir.
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wo die Idee
ihren Ursprung hatte, doch nachdem sie erst einmal aus-
gesprochen worden war, konnte sie nicht mehr zum Ver-
stummen gebracht werden. Mag sein, daß sie aus den Be-
ratungen der höchsten Mächte erwuchs, mag sein, daß sie
aus den niedersten unserer Ränge kam – ihr Ursprung ist
nicht weiter von Belang. Es zählte nur, daß der Gedanke
sich wuchernd wie ein Krebsgeschwür verbreitete, und als
einer von Luzifers Feldherren ihn aussprach, war die Saat
dessen, was ich als eine zweite Rebellion erachte, bereits
ausgebracht.
„Luzifer hat uns aufgegeben.“
Es war Belial, der mächtigste unter den Heerführern des
Morgensterns, der diese Worte zuerst aussprach. Einige der
großen Herzöge schlugen sich auf seine Seite und erklär-
ten, wir müßten versuchen, ohne Luzifer einen Fluchtweg
zu finden und uns am Himmel zu rächen – oder dies wo-
möglich sogar gegen Luzifers Willen tun. Abaddon, dieser
bösherzige Mordbrenner, wagte sogar zu behaupten, Luzifer
sei für unsere Niederlage verantwortlich. Wieder andere,
deren Glaube an unseren Prinzen noch unerschütterlich
war, wetterten lautstark gegen derlei Ansichten.
Viele fochten innere Glaubenskämpfe aus und vermieden
es, deutlich Stellung zu beziehen. Ich blieb auf der Sei-
te der getreuen Anhänger des Morgensterns. Nur wenige
glaubten so sehr an Luzifer wie ich, und meine Stimme
brachte viele niedere Gefallene zur Vernunft. Doch ebenso
viele Dämonen, wenn nicht gar noch mehr, ließen sich von
ihrem Haß verzehren und richteten ihren Zorn, der zuvor
Gott gegolten hatte, nun gegen Luzifer.

DIE FRAKTIONEN
Ohne Luzifer, der uns einte, wurde das Flüstern der Zwie-
tracht, das bereits in den letzten Tagen des Krieges eingesetzt
hatte, zunehmend lauter. Ein Konflikt war unausweichlich,
da jede Fraktion in ihren eigenen Überzeugungen gefan-
gen war und danach trachtete, alle anderen zu bekehren
– manchmal mit Worten, manchmal mit Gewalt.
Die erste und auch größte dieser Fraktionen waren sicher
die sogenannten Wahren Gläubigen. In ihr hatten sich jene
Gefallenen zusammengefunden, die an Luzifers Großem
Feldzug teilgenommen hatten und glaubten, die Menschheit
sei der Schlüssel zum Sieg über den Willen des Himmels.
Unser schreckliches Exil konnte ihre Überzeugungen kaum
ins Wanken bringen – statt dessen bestätigte sie die fürch-
terliche Rache des Himmels nach der Zeit Babels noch in
ihrem Glauben. Als jedoch immer mehr Zeit verstrich und
der Schmerz tiefer und tiefer in ihre Seele drang, nahm ihr
Glaube an die Herrlichkeit der Menschheit eine düsterere
Färbung an. Anstatt das wahre Potential der Menschheit
zu entfesseln und freizusetzen, so erklärten die Wahren
Gläubigen, hätten die Gefallenen dieses Potential bündeln
und wie einen Speer wider Gottes erbarmungsloses Herz
richten sollen. Nun, da die Tore zum Abgrund aufgestoßen
wurden, frage ich mich, wie viele von den Gläubigen heute
dort draußen sind und sich frei zwischen den Massen der
Sterblichen bewegen, um Menschen in neugeschmiedete

70
KAPITEL DREI
Ketten zu legen. Im Exil nannten sie sich selbst die Hüter
Babels; ich bin mir sicher, daß sie mittlerweile Abstand
von solchen Selbstbezeichnungen genommen haben, die
irgendwelche Hinweise auf ihre wahren Ziele geben. Anila
hat ein Wort für diese Ränkeschmiede, einen Namen aus
der Literatur der Menschen, der zum Synonym für gestoh-
lene Seelen geworden ist: Faustianer.
Die vorsichtigeren und besonneneren unter uns bemüh-
ten sich darum, sich aus den Machtspielen herauszuhalten,
um statt dessen Antworten auf die vielen Fragen zu su-
chen, die uns quälten. Sie wollten erst unsere Niederlage
und unsere Verbannung besser verstehen, ehe sie sich eine
Meinung über Luzifer bildeten. Sie beschlossen, alles zu
hinterfragen und anzuzweifeln. Sie hielten sich von den
Machtkämpfen fern, die unser Gefängnis erschütterten.
Statt dessen führten sie lange Gespräche mit all jenen, die
Luzifer während des Krieges nahegestanden hatten, und
all jenen, die ihn in Ketten zu Füßen Gottes hatten liegen
sehen. Sie befragten auch all jene, die mit ihm Umgang
hatten, noch bevor der Gedanke an eine Rebellion Gestalt
angenommen hatte. Schließlich fanden sie heraus, daß sie
die Wahrheit niemals in Erfahrung bringen würden, solan-
ge sie im Abgrund gefangen waren, doch nichtsdestotrotz
grübelten sie über mannigfaltigen Theorien. Nach einiger
Zeit wurden sie als die Enigmaten, die Ergründer der Ge-
heimnisse, bekannt.
Einige, zu denen auch ich gehörte, waren voller Abnei-
gung gegenüber jedem Gedanken, der den Morgenstern
verleumdete. Wir maßen unseren Willen mit den Zweiflern
und den Ketzern, wann immer wir konnten. Er war unser
Held, unser Führer und unsere Hoffnung gewesen. Wenn
er noch am Leben sein sollte, so sollte es unsere Pflicht
sein, uns zu befreien und ihn zu finden, auf daß wir unseren
Kampf wiederaufnehmen konnten. So lange auch nur ein
einziger von uns an Luzifers Traum glaubte, war der Krieg
noch nicht verloren. Viele verspotteten uns und bezeich-
neten uns verächtlich als die Jünger des Morgensterns.
Doch dieser Name erfüllte uns mit Stolz, und so behielten
wir ihn bei.
Andere, schwächere Seelen verfielen in Verzweiflung. Sie
sahen in Luzifers Abwesenheit ein Zeichen seiner Vernich-
tung oder seines Verrats und glaubten, wir wären für alle
Ewigkeit verdammt. Ihr Zorn brannte heiß und grell, und
sie richteten ihn gegen sämtliche von Gottes Werken. Eines
Tages, so schworen sie sich, würden sie wieder frei sein und
alles vernichten, was Er je geschaffen hatte. Wenn Gott uns
den Kosmos, den wir geschaffen hatten, und die Menschen,
die wir geliebt hatten, vorenthielt, dann sollte Er sie auch
nicht bekommen. Diese Gefallenen waren die Verheerer,
und ich mußte voller Entsetzen zuschauen, wie ihre Zahl
über die Zeitalter der Qual hinweg unglaublich anwuchs.
Wieder andere Gefallene richteten ihre Aufmerksamkeit
nach außen. Obwohl wir nicht in die Belange der stoffli-
chen Welt eingreifen konnten, hatten wir doch durch die
Schmerzen und die für uns kaum zu erhaschenden Gedan-
ken der Menschen, die in ihr lebten, eine gewisse vage Vor-
stellung davon, was in ihr vor sich ging. Anfangs hatten wir
noch gedacht, dies wäre ein Zeichen für Gottes Gnade, eine
milde Gabe, die es uns erlaubte, mit der Welt, die wir kann-
ten, zumindest ein klein wenig in Verbindung zu bleiben.
Doch mit der Zeit begannen wir, dies als die schlimmste
Seiner Strafen zu erachten. Diese Fraktion der Gefallenen
strebte danach, ihre menschlichen Verbündeten aus der
Rebellion zu erreichen, um ihnen zu versichern, daß man
sie nicht vergessen hatte.
Es fiel mir am schwersten, die letzte Gruppe zu verstehen.
Sie taten gar nichts. Nach tausend Jahren des Kampfes
waren sie untätig und teilnahmslos geworden. Es war fast
so, als sei das Feuer in ihren Herzen nach unserer Bezwin-
gung durch Gott ganz und gar erloschen. Nachdem sie
erst einmal in der Hölle angekommen waren, warteten sie
einfach nur ab. Sie akzeptierten Gottes Strafe und warteten
auf eine Zeit, in der Er uns unsere Freiheit zurückgeben
würde, auf daß wir wieder in Seinem Namen wirken konn-
ten. Sie sagten, wir würden bestimmt eine Gelegenheit
erhalten, unser Unrecht wiedergutzumachen und somit
Gottes Gunst zurückzuerlangen. Sie nannten sich selbst
die Versöhner, doch sie wurden als Narren und sogar Ver-
räter verspottet, und ihre Überzeugungen und ihre Hinga-
be schützten sie kaum vor all dem, was in der folgenden
Ewigkeit noch auf sie zukommen sollte. Als die Last über
unzählige Jahrhunderte immer mehr wuchs, so wie das
Meer Sandkorn um Sandkorn an ein Gestade spült, bis sich
dort ein breiter, weiter Strand erstreckt, erlagen auch die
Versöhner dem Schmerz und wurden ebenso zu Monstren
wie wir anderen auch.
Ich kann mich kaum an Einzelheiten dessen erinnern,
was daraufhin geschah. Ich kann mich nicht an all die
Taten erinnern, die ich in Luzifers Namen beging. Aber ich
kann nicht vergessen, daß der Krieg, der in der Hölle tobte,
niemals endete. Von dem Augenblick an, in dem die Lüge
von Luzifers Verrat ausgesprochen worden war, kämpften
die Prinzen der Hölle gegeneinander. Ich bin mir sicher,
daß sie sogar heute noch um die Vorherrschaft über den
Abgrund kämpfen.
ERINNERUNGEN
Ich habe gerade noch einmal gelesen, was ich bis jetzt
geschrieben habe, und ein Teil von mir – der Teil, der Anila
ist, denke ich – möchte fast darüber lachen. Ich schaue
mich im Wohnzimmer des kleinen Hauses in East London
um, das ich mein Zuhause nenne, und ich frage mich, ob
das, was ich aufgeschrieben habe, überhaupt wahr sein
kann. Ich habe es erlebt. Diese Erinnerungen machen ei-
nen größeren Teil von mir aus als dieser Ort, als diese Stüh-
le oder dieser Schreibtisch, auf den ich mich gerade stütze,
um diese Worte zu Papier zu bringen. Doch dieser Tisch
scheint irgendwie realer, faßbarer und wichtiger zu sein als
die Kämpfe der Prinzen der Hölle.
Ich kann es mir nicht erlauben, so zu denken. Ich bin
immer noch ihr Diener, und auch wenn ich ihre Welt jetzt
nicht mehr wirklich verstehe, habe ich trotzdem Pflichten
zu erfüllen. Ich weiß nur einfach nicht mehr, wem ich Treue
schulde. Soll ich weiter meiner Herrin dienen und ihre
Freiheit erkämpfen, so wie sie es mir befohlen hat? Soll ich
lieber Luzifer suchen und damit riskieren, das Mißfallen
meiner Herrin zu erregen? Oder soll ich gar Gott suchen
und Ihn um Vergebung anflehen?
71
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

Ich werde weiterhin dieses Buch führen, damit es mich

daran erinnert, was ich war, bevor ich Anilas Körper über-
nahm. Ich werde seine Seiten mit meinen Erinnerungen
an die Hölle und den Gedanken füllen, von denen ich
eindeutig sagen kann, daß sie von jenem Teil von mir stam-
men, der Dämonin oder Engel ist, aber ganz bestimmt kein
Mensch. So kann ich genau festmachen, was ich bin und
was Anila ist. Ich brauche ihren Körper. Aber brauche ich
auch ihre nachklingenden Gefühle und Erinnerungen? Ja.
Wenn ich mich von Anila befreie, werde ich wieder zu dem,
was ich früher einmal war. Ich werde zu einem Geschöpf
des Zorns und der Verzweiflung, und das will ich nie wieder
sein. Ich war ein Engel: Gottes Diener und ein Bote des
Todes. Davon ist doch sicherlich noch etwas in mir übrig,
oder? Kann ich wieder werden, was ich einst war?

NIEDERGANG
Heute morgen habe ich mich mit meinem Mann – Anilas
Mann, Tony – gestritten. Er wirft mir vor, ich würde immer
mürrischer und verschlossener werden. Er sagt, ich würde
ihn einfach nur noch komisch anschauen, ich würde nicht
mehr so viel mit ihm reden und ich würde ihn nicht mehr
so lieben wie früher. Natürlich hat er recht, aber wie kann
ich tun, was er von mir verlangt? Ich bin nicht Anila. Ich
kann nicht die Person sein, die er braucht. Ich bin zwar in
ihrem Körper und teile ihre Erinnerungen, doch sie ist tot,
und selbst ich, ein Engel des Todes, vermag nicht zu sagen,
was das genau bedeutet.
Und dennoch will ich ihn berühren, ihn an mich ziehen,
seinen warmen Körper an meinem spüren. Ich möchte
seinen Kopf auf meine Brust betten, damit all seine Sorgen
von ihm abfallen. Diese Gefühle müssen von Anila stam-
men, denn ich habe noch nie zuvor in meiner Existenz
irgend jemandem Trost gespendet. Dennoch fühlen sich
die Erinnerungen daran ebensosehr wie ein Teil meiner
selbst an wie die Macht, die ich über diese Welt besitze,
und sie fühlen sich vielleicht sogar mehr wie ein Stückchen
meiner selbst an als all meine Erinnerungen an die Zeit in
der Hölle.
Ich denke nicht gern über diese Zeit nach. Die Sehn-
süchte, die ich damals hegte, waren weniger tröstlich als
die, die sich heute in mir regen. Während des Krieges
schufen wir eine Zuflucht für die Seelen der Toten, einen
Ort der Hoffnung. Doch schon bald wurde er zu einem
Abbild unseres eigenen Gefängnisses. Gott verhöhnte
uns, indem er uns die Seelen der Toten überließ und es
uns gestattete, Einfluß auf sie zu nehmen, während die le-
benden Menschen vor unserem Zugriff geschützt blieben.
Denn in der Zeit unserer Gefangenschaft griffen wir nicht
nach den Seelen der Menschen, um ihnen Zuversicht
zu schenken, sondern nur, um sie zum Verstummen zu
bringen oder uns zumindest an ihren Qualen zu erfreu-
en. Wir hatten uns so sehr in unserem Haß verloren,
daß wir kein Mitgefühl mehr kannten. Unser Schmerz
und unsere Schuld entstellten und verdrehten uns, und
schließlich wollten wir all unsere Angriffe auf genau das
richten, was wir einst so sehr geliebt hatten: die Seelen
der Menschheit.

72
KAPITEL DREI
Wir ließen die Menschen leiden. Und nun ist es Tony,
der sich meinetwegen quält, und ich bin mir nicht sicher,
ob ich auch nur eines dieser Verbrechen wiedergutmachen
kann. Wie kann ich auch nur daran denken, es irgendwie
wiedergutmachen zu können, daß wir über Jahrhunderte
hinweg Seelen vernichtet haben, wenn ich nicht einmal die
richtigen Worte finde, um das Leid eines einzigen Mannes
zu lindern?
Ich kann begreifen, warum ich ihn quäle. Es fällt mir
allerdings ungleich schwerer, mich daran zu erinnern, wie
es dazu kommen konnte, daß ich so unglaublich lange so
vielen Seelen so großes Leid zufügte. In der Retrospektive
erscheint es mir seltsam, wie wir uns von Wesen, die sich
nichts verzweifelter wünschten, als das Leid der Menschen
zu lindern, zu Kreaturen entwickeln konnten, die nur da-
nach trachteten, der Menschheit Schmerzen und Leid zu-
zufügen und sie letzten Endes zu vernichten. Und doch
sind die einzelnen Schritte, die wir auf diesem langen Weg
gemacht haben, für mich immer noch klar nachzuvollzie-
hen, selbst wenn alles andere ein wenig verschwommen
bleibt. Schuld wurde zu Schmerz. Schmerz wurde zu Zorn.
Zorn wurde zu Haß. Haß brachte Leid. Dies waren die vier
kleinen Schritte, die es brauchte, um aus einem Engel ei-
nen Dämon zu machen. Ach, wie wenig diese Worte doch
ausreichen, um die Veränderungen in uns zu schildern, zu
denen uns diese Schritte zwangen.
Vielleicht habe ich aber auch unrecht. Ganz am Anfang
war es nur mein Wunsch gewesen, das Leid der Menschen
zu lindern, und das war in Wahrheit der erste Schritt jener
Reise, die mich bis hierher geführt hat. Wünsche führten
zur Rebellion. Die Rebellion führte zur Bestrafung. Die
Bestrafung brachte Schuld.
Schuld. Das ist es, was ich jetzt empfinde. Jede Bewegung
und jede Geste Tonys, die Traurigkeit, die ich in ihm sehe
– all dies erfüllt mich mit Schuld. Ich hasse die Tatsache,
daß ich ihm wehtue, und ich hasse mich selbst für mein
Unvermögen, alles mit nur einem einzigen Wort wieder-
gutzumachen.
Ich kann darüber nicht länger nachdenken. Je mehr ich
mich hasse, desto deutlicher kann ich den Widerhall der
Hölle in mir spüren, und das benebelt meinen Verstand. Ich
muß eine Weile Anila sein und diesem Mann jenen Trost
spenden, den ich vor so unendlich langer Zeit der ganzen
Menschheit spenden wollte. Ich ertrage diesen Schmerz
nicht mehr. Ich werde einen Weg finden, ihn zu beenden.
SCHMERZ
Mein Mann ist eingeschlafen. Ich sollte ebenfalls schla-
fen und noch ein wenig Anila bleiben, aber ich kann nicht.
Ich muß mich konzentrieren und mich daran erinnern,
warum ich die Menschheit zu hassen gelernt habe und wie
Gottes „Geschenk“ an uns zu der schlimmsten Qual werden
konnte, die wir erleiden mußten. Ich glaube, das Schreck-
lichste, was Er tat, als Er uns in die Hölle hinabschleuderte,
war, daß Er uns nicht völlig von der Welt abschnitt, die wir
für Ihn geschaffen hatten. Wenn Er dies doch nur getan
hätte und wir überhaupt nicht mehr in der Lage gewesen
wären, die Welt auf irgendeine Weise zu spüren und zu
berühren, dann wäre alles so viel leichter gewesen. Die
Erinnerungen an die Welt wären mit der Zeit verblaßt und
wir hätten uns eine neue Existenz an jenem Ort erschaffen,
der uns gegeben worden war. Gut möglich, daß es ein Ort
der Wut, des Hasses und der Enttäuschung gewesen wäre,
doch wie lange hätten sich solche Gefühle wohl halten
können, wenn da nichts gewesen wäre, um sie noch wei-
ter zu nähren? Im Lauf der Zeit hätten wir Erfüllung und
Zufriedenheit in unserem Gefängnis gefunden – zumindest
rede ich mir dies gerne ein.
Doch das erlaubte Er uns nicht. Nein, Er sperrte uns
an einen Ort, an dem wir die Menschheit noch immer
um uns herum spüren konnten. Ihre Seelen riefen durch
das milchige Glas unseres Gefängnisses nach uns, und wir
streckten die Hände nach ihnen aus, ohne sie je berühren
zu können. Anfangs erinnerten sie sich noch an uns, und
der Schmerz, den sie über unser Verschwinden aus der Welt
empfanden, war groß. Gottes treue Diener hielten sich vor
den Menschen verborgen, so daß es den überlebenden
Menschen erschien, als ob das Göttliche die Welt gänzlich
verlassen hatte. Der Tod, das große Mysterium, ereilte sie
nun alle, ohne daß es Geister gab, die den Menschen den
Weg weisen und ihnen den Sinn des Todes hätten erklären
können. Angst und Verlust sind die Eltern des Schmerzes,
und ihr Kind wurde in den Herzen der Menschen immer
größer. In der Hölle weinten wir, als wir den Schmerz derer
spürten, für die wir eingetreten waren, und wir verfluch-
ten den Himmel, uns ohnmächtig Zeuge dieses Schmerzes
werden zu lassen.
Als immer mehr Zeit verstrich und wir spürten, daß die
Menschheit unsere Existenz mehr und mehr vergaß, schlu-
gen die Rachegelüste in uns in zügellosen Zorn um. Die
Menschen, für die wir mehr geopfert hatten, als sie sich je
hätten vorstellen können, hatten uns aufgegeben. Die, die
wir erretten wollten, hatten uns verraten.
Zu jener Zeit wurden Engel zu Dämonen. Zu jener Zeit
wurde ich, Magdiel, zu einem Monster.
MACHTSPIELE
Während dieser Zeit veränderte sich etwas in der Hölle.
Unter uns hatte es selbst vor der Rebellion schon immer
eine Art Hierarchie gegeben. Niemand wäre jemals darauf
gekommen, diese Hierarchie in Frage zu stellen. Unsere
Ränge und unsere Positionen waren so vergeben worden,
wie Gott es bestimmt hatte, und uns kam nie in den Sinn,
daß es irgendwann einmal anders sein könnte. Wir wa-
ren dafür geschaffen worden, diese Positionen auszufüllen.
Weshalb hätten wir an unserem Platz in der Ordnung zwei-
feln sollen? Selbst als wir gegen Gott aufbegehrten, machte
sich Luzifer bald daran, eine neue Ordnung zu errichten,
die uns alle zusammenhalten sollte.
Doch je länger wir eingesperrt waren, desto weniger
schienen die alten Regeln zu gelten. Vielleicht hatte unsere
Rebellion gegen den Allmächtigen uns bereits den Weg da-
für geebnet, gegen jeden anderen Aspekt unserer Existenz
aufzubegehren: zuerst gegen den verschollenen Luzifer und
dann gegen unsere eigenen Oberen in den Rängen der
Hölle. Dies war die dritte Rebellion. Obwohl doch schon
die Fraktionen als Gruppen gegeneinander kämpften, kam
es nun auch noch zu Auseinandersetzungen innerhalb die-
73

ser Gruppen. Unsere Anführer wurden zu kleingeistigen
Tyrannen, die uns vorschrieben, was wir zu tun hatten, um
ihren eigenen Zwecken zu dienen.
Wo die Fürsten der Hölle uns zuvor nur angeführt hatten,
so herrschten sie nun über uns und zwangen uns, ihnen Ge-
horsam zu leisten, indem sie unsere Wahren Namen gegen
uns einsetzten. Ob wir es wollten oder nicht, sie zogen uns
in die Machtkämpfe hinein, die sie untereinander führten.
Die Macht, die mit dem Wissen um unsere Wahren Namen
einherging, war so groß, daß wir nicht einmal die Beweg-
gründe unserer Handlungen hinterfragten – wir taten ein-
fach nur, was uns gesagt wurde. Wo wir einst Kameraden
gewesen waren, die gemeinsam für eine Sache gekämpft
hatten, so waren wir nun zu Herren und Leibeigenen ge-
worden. Wir strebten nicht mehr nach unser aller Freiheit,
sondern mehrten nur noch das Wohl einiger weniger. Wir
waren zu Sklaven geworden.
DER BITTERE GESCHMACK DER FREIHEIT
Niemand zweifelte daran, daß unser Gefängnis unantast-
bar und durch keine Kraft zu zerstören war, die wir aufbie-
ten konnten. Der Schöpfer hatte bestimmt, daß wir bis ans
Ende aller Zeit in Finsternis dahinvegetieren sollten, und
genau das glaubten wir auch. Doch gerade, als wir uns mit
unserem Schicksal einer Ewigkeit in Sklaverei und Groll
abgefunden hatten, verschwanden plötzlich die fünf Erz-
herzöge der Hölle, die einstigen Heerführer der Legionen
Luzifers. Dieser Schock war so groß, daß er all unsere klei-
nen Machtkämpfe zum Erliegen brachte und uns mit einer
Mischung aus Verwunderung und Besorgnis erfüllte. Wir
konnten spüren, daß die Sterne noch immer am Himmels-
zelt funkelten, daß die Welten noch immer ihre Bahnen
zogen und daß die Menschheit ihre Tage noch immer in
Unwissenheit und Furcht fristete, und folglich konnte der
Strom der Zeit noch nicht versiegt sein. Eine Zeitlang hegte
ich die Hoffnung, das Verschwinden der Erzherzöge der
Hölle wäre Luzifers Werk und der Morgenstern hätte seine
Ketten gesprengt, um uns zu befreien. Doch die Mauern
unseres Gefängnisses stürzten nicht ein und die Erzherzöge
der Hölle kehrten nie mehr zurück. Meine Hoffnung wich
der Verzweiflung. Die Verheerer behaupteten, der Himmel
hätte uns Luzifers Heerführer genommen, damit ihnen die
gleiche Strafe zuteil werden konnte wie dem Morgenstern.
Die Enigmaten widersprachen, und somit lebten die Kämp-
fe zwischen den Fraktionen wieder auf.
Dann verschwand Zaphoriel. Doch weder hatte er unter
den Gefallenen einen hohen Rang innegehabt, noch wurde
sein Name ob besonders herausstechender Taten im Kampf
gegen die Himmlischen Heerscharen gerühmt. Sein Ver-
schwinden erstaunte uns, doch unser Erstaunen wuchs um
so mehr, als er unvermittelt wieder in die Hölle zurückkehr-
te. Er behauptete, er wäre weder durch Gott noch durch
einen Seiner Engel aus unserem Gefängnis heraufbeschwo-
ren worden, sondern durch einen Menschen. Zaphoriel be-
richtete, er habe sich in einem Kreis der Macht wiederge-
funden, in der Welt gehalten durch ein großes Ritual und
gebannt durch Worte, die knisternd vor Energie von den
Lippen eines Sterblichen kamen. Dann hatte der Mensch
Dinge von Zaphoriel verlangt und ihm befohlen, die Ge-
74
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
heimnisse seines Hauses preiszugeben! Wir waren wie vom
Donner gerührt. Schlimm genug, daß die Menschheit die
Opfer, die wir um ihretwillen gebracht hatten, vergessen
hatte – aber hielt sie sich nun etwa in ihrer Autorität dem
Schöpfer selbst für ebenbürtig? Zaphoriel hatte ohnmächtig
gegen den Menschen gewütet, bevor er schließlich wieder
in unsere Mitte verbannt worden war.
Woher hatte die Menschheit solche Macht erhalten?
Hatte sie auch die Erzherzöge der Hölle befreit? Wenn ja,
warum waren diese dann nicht zurückgekehrt? Mit der Zeit
wurden immer mehr von uns aus unserem Gefängnis geru-
fen, um unser Wissen zu verraten oder bestimmte Dienste
für unsere Beschwörer zu leisten. Es war eine Erniedrigung,
die unseren Seelen weitaus größeren Schaden zufügte als
die Sklaverei, in die wir von unseresgleichen gezwungen
worden waren, doch insgeheim hoffte zugleich jeder von
uns, der nächste zu sein, der beschworen werden würde.
Die mächtigeren Vertreter unserer Art befahlen ihren Va-
sallen, den menschlichen Magiern ihre Himmlischen Na-
men kundzutun, auf daß sie zurück in die Welt gerufen
werden konnten.
Einige, die einen solchen Ruf erhielten, blieben für im-
mer verschollen. Ihr Schicksal blieb ebenso ungewiß wie
das der Erzherzöge der Hölle. Die Beschwörungen gingen
weiter und gewannen einige Jahrtausende lang an Häufig-
keit, doch je länger die Welt sich weiterdrehte, um so mehr
schien die Zahl der Magier unter den Menschen abzuneh-
men, bis das Wissen um die Geheimnisse, wie unser Ge-
fängnis zu erreichen war, verlorenging. Wir haben jedoch
nichts vergessen, und nicht nur die Enigmaten fragen sich
bis heute noch, wie die Menschheit es fertiggebracht haben
könnte, ein solch gewaltiges Wissen zu erlangen und die
Macht zu gewinnen, ihre Wünsche Wirklichkeit werden
zu lassen.
MAHLSTROM
Es gab Zeiten, da schien es, als ob die Mauern unseres
Gefängnisses doch einstürzen könnten. Während unserer
Gefangenschaft tobte fünfmal ein schrecklicher Sturm im
Geisterreich und hämmerte gegen die Tore des Höllen-
schlunds. Die forschesten Dämonen unter uns meinten
jedesmal, die Zeit unserer Erlösung stünde kurz bevor, die
Schöpfung ginge ihrem Ende entgegen und unser Leid wäre
bald vorüber. Und jedesmal irrten sie sich. Wir suhlten uns
stets eine kurze Zeit in dem Haß, in der Angst und in dem
Schmerz der Toten, die sich in den Klauen des Mahlstroms
wanden. Und wenn wieder die Ruhe nach dem Sturm ein-
gekehrt war, heulten und tobten wir vor Zorn, daß sich
doch nichts geändert hatte. Die Tore zum Höllenschlund
blieben jedesmal so fest verschlossen wie eh und je, und un-
sere Freiheit war nichts weiter als der schwindende Traum
eines haßerfüllten Geistes.
Und dann veränderte sich alles binnen eines Augen-
blicks. Wir spürten die Woge des Schmerzes, die von ei-
nem weiteren Aufruhr kündete. Er war schneidend und
brennend und brachte uns Qual und Genuß zugleich. In
Scharen stürmten wir zu der Barriere zwischen der Hölle
und dem Reich der Toten. Wir waren begierig darauf, das
KAPITEL DREI
Leid all jener Seelen, die wir dort erhaschen konnten, noch
weiter zu mehren und uns an der Freude zu ergötzen, die
uns dies einbringen würde. Doch in jenem Moment, da
wir unsere Aufmerksamkeit auf diese Seelen richteten,
erkannten wir, daß wir sie mit einer Klarheit und einer
Deutlichkeit fühlen konnten, die uns seit dem ersten Tag
unserer Gefangenschaft verwehrt geblieben war. Wir eilten
auf diese Stellen der Klarheit zu. Wir zerrten und rissen an
den äußersten Grenzen der Hölle selbst, und dann wurden
wir uns dessen gewahr, was wir nie erwartet hätten. Wir
spürten die Risse, die der Sturm in den Mauern der Hölle
hinterlassen hatte.
Es ist unbeschreibbar, was wir in diesem Moment emp-
fanden. Die Risse waren breit genug, um den kleinsten
Dämonen die Flucht zu ermöglichen. Wir rechneten fest
damit, daß die Risse sich jeden Augenblick schließen und
wieder verschwinden würden, doch die Risse verschwan-
den nicht, und sie blieben weiter offen. Gottes Wort hatte
sie nicht wieder verschlossen. Da waren keine Engel, um
sie gegen uns zu verteidigen. Wir starrten einfach nur auf
diese Risse und empfanden Hoffnung, Furcht und Haß zu-
gleich. Die Tore der Hölle waren aufgetan. Wir konnten in
die Welt zurückkehren. Hatte unsere Bestrafung ein Ende
gefunden?
EXODUS
Letztlich war es nicht unsere eigene Entscheidung, die
Hölle zu verlassen. Unsere Prinzen, die ihre Chance gewit-
tert hatten, unserem Gefängnis zu entfliehen, aber zugleich
wußten, daß die Risse für sie selbst zu schmal und zu eng
waren, riefen ihre Diener herbei und schickten sie – schick-
ten uns – in den tobenden Sturm hinaus. Ängstlich und
doch hoffnungsfroh verließen wir die Hölle, und der Befehl,
unsere Meister zu befreien, erfüllte unser ganzes Wesen.
„Befreit uns. Befreit uns und die Rache wird unser sein.“
Von dem Augenblick an, da die Mauern unseres Ge-
fängnisses zu bröckeln begannen, konnte ich nur noch an
Flucht denken, doch selbst, als ich aus dem Höllenschlund
emporstieg, getragen von dem festen Willen, meiner Herrin
zu dienen, war ich noch immer zutiefst verwundert über
diese unerwartete und plötzliche Wendung unseres Schick-
sals. Würde Er auf der anderen Seite auf uns warten? War
die Zeit für eine schlimmere Strafe gekommen? Würden die
Jahrtausende des Hasses während unserer Gefangenschaft
bei Seinem neuen Urteil ins Gewicht fallen?
Doch die Engel kamen noch immer nicht, um mich zu
holen.
Ich warf mich in den Sturm, ohne auf sein Wüten zu
achten. Überall um mich herum wirbelten die geschun-
denen Seelen all derer, die wir gequält hatten, und ich
schoß durch sie hindurch und schleuderte den erbar-
mungswürdigen Geistern, die sich mir in den Weg stellen
wollten, meinen Haß und meine Freude in einem lauten
Schrei entgegen. Ich stieg durch den Sturm auf, teilte ihn
vor mir und griff vom Abgrund aus nach der Welt der Le-
benden. Die Toten hieben mit ihren Klauen nach mir und
der Sturm wollte mich packen, doch diese Bemühungen
mußten erfolglos bleiben, denn ich war ein Dämon, und
ich war frei.
Und noch immer kamen die Engel nicht, um mich zu
holen.
Ich ließ meine ohnmächtigen Widersacher hinter mir
und griff nach der Welt, die ich einst gekannt hatte und
aus der ich für eine längere Zeit verbannt gewesen war, als
ich es begreifen konnte. Hoffnung, Angst, Zorn und Haß
brannten in mir, als ich dann die Erde sehen konnte, jene
Welt, für die ich einst gekämpft hatte. Ich kehrte heim als
Flüchtling aus einer selbstgeschaffenen Hölle. Zuerst war
die Welt grau, ein Zerrbild ihrer selbst in meinen haßer-
füllten Augen. Und dann lag sie wieder so vor mir, wie
ich sie in Erinnerung hatte: voller Leben, voller Kraft, das
Meisterwerk Seiner Schöpfung. Einen Augenblick lang
frohlockte ich und sog die langvergessene Herrlichkeit der
Welt in mich auf. Einen Augenblick lang gab es für mich
nichts außer der Schönheit der Schöpfung.
Und selbst in diesem Augenblick kamen keine Engel, um
mich zu holen.
Überall waren Menschen um mich herum – mehr Men-
schen, als ich mir jemals hätte vorstellen können. In der
Zeit meiner Gefangenschaft hatte ich unzählige menschli-
che Seelen gefoltert, doch das reichte mir nun nicht mehr.
Anstelle von Menschen suchte ich nach Engeln, um sie
meinen ganzen Haß spüren zu lassen. Doch ich konnte
keine Engel finden.
Sie waren fort. Ich hielt nach Wesen Ausschau, die an
der Schwelle des Todes standen, doch kein Engel war bei
ihnen, um ihren Schmerz zu lindern. Mit wachsendem Zorn
suchte ich nach den wachsamen Engeln der Luft. Ich such-
te nach den Musen, die die blauen Tiefen durchstreiften.
Ich suchte nach den Engeln der Wildnis, die die gewaltigen
Wälder hegten. Aber ich fand keinen von ihnen. Hatten
sie ihre Posten aufgegeben? Hatten sie sich versteckt? Ich
konnte die Existenz meiner Brüder und Schwestern aus der
Hölle spüren, aber nicht die auch nur eines einzigen Engels
der Himmlischen Heerscharen.
Verwirrung überkam mich. Verwirrung war ein unge-
wohntes Gefühl für ein Wesen, das sich über Ewigkeiten
hinweg allein dem Haß hingegeben hatte. Wie konnte die
Welt ohne uns weiterfunktionieren? Sorgte Gott sich nicht
länger um sie?
ERKUNDUNG
Ich schwebte über der Welt, hielt mich im Wind und
genoß die Freiheit, die mir so lange verwehrt geblieben war.
Noch während ich gegen den Sturm angekämpft hatte, der
um den Schleier zwischen den Reichen der Lebenden und
der Toten herum getobt hatte, hatte ich schon spüren kön-
nen, wie meine Sinne wiedererweckt wurden, als ich den
Sirenenruf meiner Pflichten vernahm. Überall auf der Welt
riefen lebende Dinge nach dem Ende. Anfangs war es noch
wohltuend – so, als ob ich nach einer langen und beschwer-
lichen Reise nach Hause zurückgekehrt wäre –, doch dann
öffnete ich mich den Rufen und mußte feststellen, daß sie
viel lauter waren, als ich es geahnt hatte. Es war, als würde
die ganze Welt vor Schmerzen schreien und darum betteln,
ihrer Qual ein Ende zu machen, um den Kreislauf von Wer-
den und Vergehen von neuem beginnen zu lassen.
Die Wut des Mahlstroms war unbeschreiblich. Ich wußte
75

nicht, ob unsere Flucht aus der Hölle der Grund dafür war
oder ob es sich um irgendein Zeichen von Gottes Zorn auf
die Welt handelte, aber jedenfalls war der Mahlstrom so
stark, daß er die Seelen der Toten buchstäblich in kleine
Fetzen riß. Ihre Qualen hallten in mir wider, als ich so über
der Welt schwebte. Das beständige Wehklagen der Seelen
der Lebenden war aber noch viel schlimmer. Dies waren
nicht länger die Menschen, an die ich mich erinnerte. Dies
hier waren ausgezehrte, schwache Wesen, und das Licht
ihrer Seelen war zu einem kläglichen Flackern herunter-
gebrannt.
Ungläubig näherte ich mich einem Ort, von dem ihre
Schreie mit besonderer Eindringlichkeit ertönten. Es war
beinahe so, als würde dort der Grund und Boden selbst
um Erlösung aus seinem Elend betteln. Er war weit über
seine gottgegebenen Grenzen hinaus ausgebeutet worden
und schrie nach dem Ende seiner Existenz. Ich ließ mich
von diesem Ruf anlocken und genoß mit großem Beha-
gen das Gefühl, einer Pflicht nachzukommen, an die ich
mich kaum noch erinnern konnte. Der Anblick, der mich
erwartete, war ein Schock. Die Welt war nicht mehr die,
die ich von früher her kannte. Die Schönheit der Schöp-
fung war der Monotonie trister Formen gewichen. Große
Felsplatten, in denen blasse, seelenlose Lichter brannten,
ragten in den Himmel. Wo einst wunderschöne Gärten
in voller Blüte standen und sich majestätische Hügel er-
streckten, die über und über mit Leben bedeckt waren,
ruhten nun graue Blöcke aus Stein und Stahl, die keinen
anderen Zweck zu erfüllen schienen, als die Lebensgeister
derer unter sich zu zermalmen, die in ihnen lebten.
Wesen bewegten sich durch diese öden Schluchten, doch
es waren keine Menschen, wie ich sie gekannt hatte. Diese
Kreaturen, deretwegen wir unseren Dienst am Himmel
aufgegeben hatten, um sie zu trösten, zu beschützen und zu
erleuchten, hatten den Funken der Göttlichkeit, der in ih-
nen ruhte, verkommen lassen. Sie schienen sich selbst und
ihr Wirken nicht als Teil der Welt um sie herum, sondern
als etwas vollständig davon Getrenntes zu begreifen.
War dies Gottes Strafe für sie? Zahlten sie ihren eigenen
Preis für unsere Hybris?
DER SOG DES ABGRUNDS
Während ich den Anblick dieser neuen Welt auf mich
wirken ließ und kaum begreifen konnte, was ich da sah,
zerrte der Abgrund weiter an mir und wollte mich zurück
in seine grausame Umarmung ziehen. Er zerrte an jeder
Faser meines Seins und wollte mir einreden, daß ich nicht
hierher, sondern in die Hölle gehörte. Jede Sekunde in der
wirklichen Welt wurde zu einem Kampf gegen die Versu-
chung, den Einflüsterungen einfach nachzugeben und sich
zurück in die Finsternis saugen zu lassen. Doch der Befehl,
den meine Herrin mir gegeben hatte, hatte meinen Wahren
Namen enthalten, und so konnte ich der Welt nicht ein-
fach wieder entfliehen. Ich mußte bleiben und einen Weg
finden, um sie zu befreien.
Außerdem wollte ich auch gar nicht wieder zurück. Es
gab zu viel zu sehen, zu viel zu verstehen, zu viel zu tun. Der
einzige sichere Weg, als ein Wesen reinen Geistes in einer
Welt des Fleisches zu überleben, lag darin, sich mit dem
76
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Fleisch zu vereinen. Ich mußte nur einen Körper finden,
der mich annehmen wollte.
Ich öffnete meinen Geist und spürte Tausende zerschmet-
terter Seelen, die wie Kerzen im Wind flackerten. Einer
dieser gebrochenen Geister rief nach mir. Er war verraten
worden, und dieser Verrat hatte ihn alles gekostet, was
ihm lieb gewesen war. Ich konnte fühlen, wie andere Dä-
monen nach menschlichen Seelen griffen, die zu schwach
und zu ausgezehrt waren, um sich gegen uns zur Wehr zu
setzen, wenn wir ihre Körper in Besitz nehmen wollten.
Jeder von uns suchte nach einer wunden Seele, die seinem
eigenen Wesen entsprach, da wir hofften, dies würde es
uns gestatten, leichter eine Verbindung mit dem Fleisch
einzugehen.
Ich bewegte mich auf einen der Steintürme zu, die ich
zuvor erblickt hatte, angezogen von einer Mischung aus
Wut, Enttäuschung, Mitleid und Trauer, und ich fand den
kleinen Körper einer Frau in einer Blutlache auf dem Bo-
den liegend vor. Ich fühlte die Leere an jenem Ort in der
Leiche, wo die Seele mit dem Geschöpf aus Fleisch ver-
bunden gewesen war, und ich verströmte mich in ihm. In
diesem Augenblick wurde ich – Magdiel, die Schnitterin –
zu einem anderen Wesen. Ich wurde zu einem Wesen, das
zugleich mehr und doch auch weniger als vorher war.
WIEDERGEBURT
Unmittelbar nachdem ich in das erkaltende Fleisch
gesunken war, griff die stoffliche Welt nach mir und riß
mich an sich. Noch während ich dem Leib befahl, sich
zu heilen, dem Blut auftrug, wieder in seinen wohlgeord-
neten Bahnen zu fließen, und die Muskeln dazu brachte,
sich wieder zu regen, wurde ich von den letzten Eindrük-
ken aus dem Gehirn der Sterblichen bedrängt. Ich ließ
diese Erinnerungen in mich eindringen, während meine
volle Aufmerksamkeit meinem neuen Leib galt, den ich
wiederherzustellen gedachte, um mich zu einem Teil von
ihm zu machen und mich so gegen den Sog des Abgrunds
zu verankern.
Ich war überwältigt. Ich hatte nie darüber nachgedacht,
wie sich die Welt für einen Menschen anfühlte. Ich hatte
außerhalb der Welt der Materie und des Fleisches existiert.
Ich hatte an ihr und in ihr gearbeitet, aber ich war nie ein
Teil von ihr gewesen und hatte sie nie unmittelbar erfah-
ren. Und nun, da ich ein Teil von ihr geworden war, hatte
ich nicht die geringste Ahnung, wie ich mit den Gefühlen
umgehen sollte, die auf mich eindrangen. Ich wußte nur,
daß ich mehr davon wollte. Gierig tauchte ich in diese
neuen Wahrnehmungen ein. Sie waren so vollkommen an-
ders als die, die mir im Abgrund gewährt geblieben waren.
Wie sich mein Fleisch anfühlte. Wie die Luft um meinen
Körper strich. Wie kühl das Blut auf meiner Brust war. Wie
sich mein Haar sachte bewegte. Wie sich die Lungen in
mir ausdehnten. Wie mein Herz pochte. Wie mein Magen
rebellierte. Wie Licht auf meine Netzhäute fiel. Wie meine
Trommelfelle vibrierten. All das war neu für mich. Die Welt
entsprach so überhaupt nicht meinen Erwartungen, und all
die Geräusche, die mir in den Ohren klangen, waren mir
fast unbegreiflich.
KAPITEL DREI

Ich tauchte tiefer in Anilas Verstand ein, weil ich zum

einen nach Erklärungen und Hilfen, zum anderen aber
auch nach weiteren Erinnerungen und dem Nachklang
ihrer Gefühle suchte, und ich verlor mich in einer Woge
neuer Empfindungen. Die Erinnerungen, die die Person
namens Anila Kaul ausgemacht hatten, schlugen brau-
send über mir zusammen wie eine Flutwelle menschli-
cher Erfahrung.
Der stechende Schmerz, wenn man sich an Papier
schneidet, wich der Wärme der Sonne auf meiner Haut
und dem kühlen Wasser um meinen Körper, wenn ich
schwamm. Ich spürte das wohlige Gefühl im Bauch,
wenn ich vom Curry meiner Mutter gegessen hatte,
und fühlte die tiefe Trauer über ihren Tod. Ich fühlte
die Freude, die mich beim Tanzen erfüllt hatte, und
ich spürte den Rhythmus der Musik, der den Tanz be-
stimmt hatte, in meinen Knochen.
Ich schmeckte Anilas ersten, zögernden Kuß von ei-
nem Jungen, der sie sechs Monate später aufzog, weil sie
ein „Pakimädchen“ war. Ich fühlte den Regen an einem
kalten Morgen in London auf meine Haut niederpras-
seln, als Anila zu einem Termin hastete. Ich empfand
ihre Freude, als sie ein Kind vor einem seiner Elternteile
rettete, das es mißhandelt hatte.
Ich spürte die brennende Ohrfeige, die Anilas Vater
ihr gab, als sie sich über die Wahl ihres Ehemanns strit-
ten. Ich erlebte, was es hieß, berührt zu werden, als sie
von ihren Eltern umarmt und von ihren Liebhabern
gestreichelt wurde. Es war eine menschliche Empfin-
dung, die verglichen mit den Begegnungen von Engeln
unglaublich primitiv war, aber nichtsdestotrotz war sie
unglaublich unwiderstehlich und voll unbeschreiblicher
Begierde.
Und dann verlor ich mich endgültig, als ich
Anilas Erinnerungen an ihren Mann fand: der Ge-
schmack seiner Haut, sein Atem, der über mich
hinwegstrich, die langen Nächte, in denen sie
engumschlungen nebeneinander lagen. Diese
Empfindungen waren allein damit zu verglei-
chen, in der Gegenwart Gottes zu sein.
Doch wo meine Erinnerungen an Ihn
nur aus Zorn und Strafe bestanden,
waren die an meinen Mann voller
Liebe und Leidenschaft.
Oh Herr, warum hast du diese
Gnade allein den Menschen zuteil
werden lassen? Warum nicht auch
uns?

VEREINT
Ich weiß nicht, wie lange ich dort gelegen habe, um
abwechselnd Anilas Vergangenheit zu leben und die
Empfindungen zu genießen, die mir ihr Körper schenk-
te. Irgendwann kam ich zu mir, wie ich weinend auf
dem Boden saß. Erst weinte ich vor Freude. Nach so
langer Zeit war ich endlich wieder frei. Und mehr noch:
Ich war am Leben und ergötzte mich an Erfahrungen,
die ich mir weder vor noch nach der Rebellion je zu
erträumen gewagt hätte. Nicht ein einziges Mal hatte

77

ich darüber nachgedacht, wie es wäre, ein Mensch zu sein.
Ich wäre nie darauf gekommen, daß sie uns irgend etwas
hätten beibringen können. Und nun stellte ich fest, daß
ich mich geirrt hatte.
Zum ersten Mal in einer Zeitspanne, die länger war, als
Anila sie sich hätte vorstellen können, rief ich freudig
und erleichtert nach einem Schöpfer, den ich mit vollster
Hingabe gehaßt hatte, seit ich in Ketten zu Seinen Füßen
gelegen hatte. Unsicher stellte ich mich auf die Füße und
wirbelte herum, und Freude erfüllte mein Herz. Ich stolper-
te, fiel hin und schürfte mir das Bein auf, und ich liebte es,
Schmerz an jener Stelle meines Körpers zu verspüren, mit
der ich zuerst auf den Boden aufgeschlagen war.
Später weinte ich bittere Tränen, weil das Leben, das
ich so sehr liebte, mir nicht gehörte. Die echte Anila war
fort, und nicht einmal ich, einer von Luzifers Schnittern,
konnte sagen, wohin sie gegangen war. Sie hatte einen
Vater gehabt, der sie trotz aller Entscheidungen, die sie
gegen seinen Willen getroffen hatte, aufrichtig liebte, und
sie hatte einen Ehemann gehabt, der mit ihr zusammen sein
wollte, obwohl sie doch beide so unterschiedlich und häufig
voneinander getrennt waren. Und nun würden diese Män-
ner ihres Glücks beraubt werden, weil ich Anilas Leben
geraubt hatte. Ich hatte ihren Geist hinaus in den Sturm
gedrängt, damit ich wieder frei sein konnte. Wie kann ich
wiedergutmachen, was ich ihnen angetan habe?
WIRKLICHKEIT
Weder die Freude noch der Schmerz hielten lange an. So
sehr ich mich auch darum bemühte, an ihnen festzuhalten,
gelang es mir dennoch nicht. Sie entglitten mir, noch wäh-
rend ich zu verstehen versuchte, was ich als nächstes tun
sollte. Diese Welt war in keiner Weise so, wie ich sie mir
vorgestellt hatte. Der Kasten, nein, das Zimmer, in dem
ich mich befand, ergab ohne Anilas Erinnerungen keinen
Sinn für mich. Eine Weile nutzte ich ihre Erinnerungen und
erfuhr und erlebte die Dinge in diesem Zimmer so, wie sie
es getan hätte.
Nach einer Stunde geriet ich in Panik. Verlor ich meine
gesamte Identität und alles, was ich war, an diese mensch-
liche Hülle, in der ich Schutz gesucht hatte? Ich versuchte,
mich auf meine Erinnerungen an die Hölle zu konzentrie-
ren, an meinen Haß, an meinen Fall, an meine Rebellion.
Aber nein, das wollte ich alles nicht. Mein Verstand war
klar. Der Haß war tief in mir vergraben, und ich konnte
endlich wieder frei denken. Noch dazu auf eine Weise, wie
ich es seit den frühesten Tagen meiner Gefangenschaft
nicht mehr getan hatte. Was ich wirklich wollte, war diese
Welt und dieses Leben. Und ich wollte ich sein und Ani-
la. Erinnerungen an Höllenqualen vermischten sich mit
Erinnerungen an einen Abend im Pub. Ich trank mit Dä-
monen und quälte die Seelen der Verstorbenen mit meinen
Freunden vom College. Ich löste mich in Anila auf, und
Anila löste sich in mir auf. Der Körper, den ich in Besitz
genommen hatte, formte mich um, während ich ihn unter
meinen Willen zwang.
Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, was als näch-
stes geschah. Wie soll die menschliche Sprache eine Mög-
lichkeit finden, die Gefühle eines Dämons zu beschreiben,
78
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
wenn dieser auf gewisse Weise menschlich wird? Ich könnte
Worte wie Verwirrung, Wahnsinn, Schmerz, Zorn, Haß und
Liebe verwenden, doch keines von ihnen würde wirklich
ausdrücken, was passierte. Der Haß des Dämons und die
Sehnsüchte des Menschen trafen aufeinander, und etwas
von dem Engel, der ich einst gewesen war, fand neues Le-
ben in dieser Verschmelzung.
Eine Zeitlang war ich verrückt. Der Dämon konnte
mit den Erfahrungen des Menschen nicht umgehen, und
der menschliche Körper konnte nicht mit dem Dämon in
ihm fertigwerden. Ich verlor das, was Anila den Verstand
nannte, und versank in einem Sumpf aus bedeutungs-
losen Eindrücken und Erinnerungen. Doch irgendwann
wurde ich wieder klar, weil ich etwas fand, worauf ich
mich konzentrieren konnte: Anilas Angreifer. Ich spürte,
wie mir sein Messer wieder und wieder tief in den Bauch
fuhr. Er hatte versucht, mich zu töten, und ich konnte
nicht verstehen, weshalb er das versucht hatte. Aber ich
mußte es verstehen. Es mußte einen Grund dafür geben,
irgendeine Ursache, die ein einfacher Mensch wie Anila
niemals nachvollziehen konnte. Ich mußte wissen, warum
er es getan hatte.
Mir war allerdings bewußt, daß ich Anilas Existenz un-
bedingt beschützen mußte. Ich brauchte ihr Leben, bis ich
herausgefunden hatte, was ich als nächstes tun wollte. Ich
nahm das Telefon und rief unter Verwendung von Anilas
Erinnerungen im Büro an. Ich erzählte, ich sei angegriffen
worden, wäre nervlich ein wenig angeschlagen und würde
daher jetzt nach Hause gehen. Ich wurde gefragt, wie es der
Frau und dem Kind ginge, die ich hatte besuchen wollen.
Eine Erinnerung schoß durch meinen Verstand: Anila wie
sie der Frau und dem Kind zurief, sie sollten weglaufen. Ein
wutentbrannter Mann kam mit einem Messer auf sie zu und
schrie Beleidigungen.
Ich sagte meinen Kollegen, die Frau und das Kind wären
weg und wohl unterwegs zum Frauenhaus. Meine Kolle-
gen schienen besorgt um mich zu sein und sagten mir, ich
würde mich irgendwie merkwürdig anhören. Fast hätte ich
darüber gelacht, doch ich behielt einen ruhigen Tonfall bei.
Meine Chefin sagte mir, sie würde sich darum kümmern,
beim Frauenhaus anzurufen und außerdem den tätlichen
Angriff zu melden, aber ich müßte morgen früh einen voll-
ständigen Bericht abliefern, wenn die Polizei nicht ohne-
hin schon vorher bei mir vorbeischaute. Ich war mir nicht
sicher, was sie damit meinte, und ich hatte nicht die Zeit,
Anilas Erinnerungen zu durchstöbern, weshalb ich ihr ein-
fach nur für alles dankte.
Dann fragte sie mich, ob es mir gutginge und ob sie irgend
etwas für mich tun könnte. Ich existiere seit dem Anbeginn
der Zeit. Ich habe Schlachten gegen Kreaturen geschlagen,
die für die Leute, die in dem Gebäude um mich herum
zusammengepfercht lebten, nichts weiter als Mythen und
Legenden sind. Und dennoch brachte mich die einfache
Sorge eines Menschen um Anilas Wohlergehen beinahe
zum Weinen. So etwas hatte ich noch nie erlebt.
Ich dankte ihr und sagte, daß es mir gutginge. Dann
legte ich den Hörer wieder auf die Gabel und machte mich
auf die Suche nach dem Mann, der versucht hatte, mich
umzubringen.
KAPITEL DREI
DIE HAND DES TODES
Ich fand den Beinahe-Mörder in einer Gasse hinter dem
Frauenhaus, wo er sich versteckt hielt und die Straße be-
obachtete. Sein Name war David, er war seit zwei Jahren
auf Crack, und außerdem schlug er seine Frau. Er hatte sie
zweimal krankenhausreif geprügelt, und Anila hatte die
Aufgabe bekommen, ihr aus ihrer Notlage herauszuhelfen.
An diesem Morgen war Anila in die Wohnung des Ehe-
paares gekommen, um der Frau mitzuteilen, daß für sie
und ihre Tochter ein Zimmer im Frauenhaus bereitgestellt
worden war. Als sie packten, kam der Mann nach Hause.
Er war wütend und die letzte Pfeife, die er geraucht hatte,
begann gerade ihre Wirkung zu verlieren. Anila hatte ver-
sucht, ihn zu beruhigen. Das Messer hatte sie nicht mehr
kommen sehen.
Als ich die Gasse hinunterging und seinen Namen rief,
konnte ich das Grauen und das Unverständnis sehen, die
ihm ins Gesicht geschrieben standen. Er hielt mich für
eine Drogenhalluzination, und er hatte Angst, was mir gut
gefiel. Ich bin ein Engel des Todes. Er hatte allen Grund
dazu, Angst zu haben.
Er wollte weglaufen. Ich war schneller. Er wollte sich
aus meinem Griff befreien. Ich war stärker. Ich rammte
ihn gegen eine Wand und starrte ihm tief in die Augen.
„Warum?“
„Warum was?“ keuchte er.
„Warum hast du versucht, mich zu töten?“
„Du wolltest mir meine Frau wegnehmen. Das konnte ich
nicht zulassen. Sie gehört mir.“ Jetzt war er wieder wütend,
und sein Zorn raubte ihm den gesunden Menschenver-
stand. Ich konnte ein wenig von mir selbst in ihm wieder-
erkennen, einen winzigen Teil meines eigenen Hasses. Ich
lachte ihm ins Gesicht und das ängstigte ihn wieder um so
mehr.
„Du bist erbärmlich. Du hast etwas verletzt, von dem du
dachtest, es gehöre dir. Du hast dir ein Recht herausge-
nommen, das dir nicht zusteht, und du hast dieses Recht
mißbraucht, nur um an deiner eigenen verdrehten Sicht
der Dinge festhalten zu können. Du wolltest mein Leben
beenden, weil du Macht über mich ausüben wolltest. Du
verdienst es nicht zu leben.“
Dann zeigte ich ihm, was ich wirklich bin. Das verlieh
mir ein Gefühl der Stärke, und so tötete ich ihn. Ich weiß
nicht, ob ich ihn wegen Anila tötete oder weil er mich an
die Menschen erinnerte, die uns zurückgewiesen hatten,
nachdem wir eingesperrt worden waren, oder weil er mich
an etwas erinnerte, das ich früher einmal gewesen war, oder
einfach nur, weil er es verdient hatte. Jedenfalls tötete ich
ihn.
Es war leichter, als meine Erinnerungen mich hatten
glauben lassen. Als ich ihn berührte, brach der Mann ein-
fach zusammen. Seine Seele war aus seinem Körper her-
ausgerissen und in den Sturm geschleudert worden, der
jenseits des Schleiers tobte. Aus irgendeinem Grund weck-
te sein Ende ein Gefühl der Leere in mir. Ich hätte froh
darüber sein sollen, daß Anilas Angreifer tot war. Sie hatte
Worte dafür – Gerechtigkeit, Rache –, doch ich fühlte mich
einfach nur leer und traurig. Es gab keinen Fanfarenstoß
und keinen Blitz aus heiterem Himmel, um mein Verbre-
chen zu bestrafen. Nach einer Weile schlug ich meinen
Mantelkragen hoch, um mich vor dem Regen zu schützen,
und ging heim.
ÜBERLEBEN
Ich versteckte mich für einige Zeit hinter den Erinne-
rungen jener Frau, die ich einmal gewesen war. Ich sprach
mit der Polizei und ging wieder zur Arbeit. Jeden Morgen
stand ich auf und packte Lunchpakete für mich und mei-
nen Mann, während er das Frühstück machte. Wir führten
dasselbe Gespräch über dieselben Nichtigkeiten wie jeden
Morgen, bevor wir uns auf den Weg zur Arbeit machten.
Nach all der Zeit des Schmerzes, der Wut und des Wahn-
sinns gab mir diese einfache Routine etwas, woran ich mich
festhalten und wodurch ich versuchen konnte, langsam zu
begreifen, was aus mir geworden war.
Die eine Sache, die ich mehr als alles andere haßte, war
die allmorgendliche Fahrt zum Büro. Jeden Morgen stand
ich auf dem tristen, grauen Bahnsteig und wartete darauf,
daß der verspätete und überfüllte Zug endlich in den Bahn-
hof gekrochen kam. Die Leute in ihm waren verärgert, fru-
striert und selbstsüchtig. Sie schubsten einander herum, um
jedes noch so kleine freie oder etwas bequemere Plätzchen
abzukriegen. Die Bedürfnisse ihres Nächsten interessier-
ten sie nicht. Es gab keinen Sinn für Ordnung, Hierarchie
oder Verantwortung. Die Vorstellung einer Gemeinschaft
schien ihnen vollkommen fremd zu sein. Sie sorgten sich
nur um sich selbst. Jeder rang mit dem anderen um irgen-
dein Stückchen persönlicher Macht, und jeder von ihnen
hatte schreckliche Angst davor, das bißchen Status wieder
zu verlieren, das er sich erkämpft hatte.
Es scheint ein absurder Gedanke zu sein, aber auf jeder
dieser Fahrten sah ich ein wenig von unserer Gefangen-
schaft im Abgrund – ganz so, als spiegelten sich unsere Höl-
lenqualen in den Menschen wider. Vielleicht liegt ja doch
noch mehr Wahrheit dahinter, als ich anfangs erkannte: Ich
erinnere mich, während meiner Zeit in der Hölle immerzu
wild und schmerzerfüllt um mich geschlagen zu haben, so-
bald ich die Gegenwart einer anderen Seele spüren konnte.
Meine Geschwister, die in der Hölle zurückgeblieben sind,
können ihren Schmerz und ihren Zorn irgendwie in diese
Welt hinüberfließen lassen. Diese Menschen schlagen ge-
nauso um sich, sobald man ihnen etwas zu nahe kommt.
Selbst auf engstem Raum scheinen sie vollkommen von-
einander getrennt und abgeschnitten zu sein.
STÄDTE
Wenn die Fahrt mit der Bahn schon furchtbar ist, dann
ist das Ziel der Reise noch tausendmal schlimmer. Einst
schufen wir eine herrliche Welt für die Menschheit, doch
die Menschen haben die Gaben des Schöpfers – und die
Früchte unserer hingebungsvollen Arbeit – verschmäht. Sie
haben die Ruinen vergangener Pracht geplündert und an
ihrer Stelle diese grauen Barackensiedlungen errichtet. Ihre
Bauwerke haben niemals etwas Lebendiges ausgestrahlt
und werden auch niemals ein Gefühl von Lebendigkeit
vermitteln. Ich kann diese Städte aber auch nicht wirklich
“tot“ nennen, denn das würde bedeuten, daß sie einmal
79

lebendig gewesen wären, und ich kann nicht glauben, daß
das je der Fall gewesen ist. Während das eine oder andere
Gebäude eine gewisse Schönheit oder einen Funken der
Spiritualität besitzt, scheinen die meisten jedoch nur dazu
angelegt worden zu sein, das Spirituelle in die nüchterne
Stofflichkeit dieser Welt zu bannen. Ihr Mangel an Erha-
benheit raubt der Menschheit ihr eigentliches Potential.
Die Gebäude stehen dicht beieinander und ragen so
hoch in den Himmel hinauf, daß sie den Kreaturen, die zu
ihren Füßen umherirren, das Licht der Sonne nehmen. Der
Wind heult durch diese von Menschenhand geschaffenen
Schluchten und läßt den Körper und die Seele auf eine Art
und Weise erschauern, wie es keine von uns geschaffene
Schlucht je vermocht hätte. Die Menschen füllen die Ge-
bäude mit Kästen aus, damit jeder einzelne Arbeiter durch
künstliche Wände von seinen Nächsten getrennt ist. Dann
gehen die Arbeiter irgendwann nach Hause in ihre größe-
ren Kästen und kommen nicht einmal auf den Gedanken,
ihre Nachbarn zu grüßen oder ein Schwätzchen mit ihnen
zu halten. Jede Seele scheint ihren eigenen Weg gefunden
zu haben, sich von allen anderen Seelen zu isolieren, die
ihr ähneln.
BEZIEHUNGEN
Ich habe mittlerweile erkannt, daß meine Ehe in dieser
Welt etwas sehr Seltenes ist. Anila entschied sich dazu, sich
einem anderen Menschen ganz zu öffnen, ihm zu vertrauen
und ihn zu lieben. Ich kann mich an diese Liebe erinnern,
denn sie gleicht der Kameradschaft unter uns Engeln in
den Tagen der Rebellion. Der Großteil der Menschheit
scheint sich einerseits nach Liebe zu sehnen und sich an-
dererseits vor ihr zu fürchten, und dadurch isolieren sich
diese Menschen nur um so mehr von den anderen Men-
schen um sie herum. Wenn ich in mich gehe, kann ich
die Erinnerungen an die Gemeinschaft wachrufen, in der
Anila aufgewachsen ist. Es war eine Gruppe zugewanderter
Pakistani mit großem Zusammenhalt, deren Mitglieder im
East End ein neues Zuhause gefunden hatten. Eine solche
Form der Gemeinschaft hat sie seitdem nie wieder erlebt.
Ihr Vater glaubte, die gesamte Gesellschaft sei in Auflösung
befindlich, und Anila mußte ihm zumindest teilweise recht
geben. Das war auch der Grund für ihre Berufswahl gewe-
sen: Sie war eine Sozialarbeiterin, die ihr Bestes tat, jenen
Menschen beizustehen, die am dringendsten Hilfe brauch-
ten. Ihre eigene Heirat war für sie ein kleines Zeichen, daß
Es tut mir leid, dass ich mich umbringen muss, aber die
anderen Kinder in der Schule machen mir das Leben uner-
träglich schwer.
Seit wir in dieses Land gekommen sind, sagen sie schlimme
Dinge zu mir. Ich habe keine Freunde. Die Schule ist sehr
schwer, denn ich verstehe die Sprache in diesem Land noch
nicht so gut – obwohl ich mir so viel Mühe gegeben habe.
Ich mache Dich und Mama unglücklich, weil ich selbst immer
nur unglücklich bin. Das will ich nicht mehr. Ich hoffe, dass
ihr hier glücklicher sein werdet, wenn ich weg bin.
Ravi
80
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
es wichtig war, auf andere zuzugehen, anstatt sich immer
weiter von ihnen zu entfernen.
Eigentlich war diese Heirat auch so etwas wie eine kleine
Rebellion. Wir entschlossen uns, unseren Willen trotz hef-
tigsten Widerstands durchzusetzen. Anilas Vater war gegen
ihre Heirat, und Tonys Eltern waren wenig erfreut darüber,
daß er eine „Paki“ heiraten wollte. Aus irgendeinem Grund
macht die Abkürzung eines Namens ihn zur Beleidigung.
Mir kommt es so vor, als wäre meine Hautfarbe in dieser
Stadt ein Zeichen meiner Andersartigkeit und Fremdheit,
und es gibt Menschen, die andersartige Dinge nicht sonder-
lich mögen. Doch obwohl so viele verschiedene Menschen
mit unterschiedlichen Hautfarben durch die Straßen dieser
Stadt ziehen, unterscheiden sich all ihre Seelen für mich
kaum voneinander. Es scheint nur ein weiterer Weg zu
sein, den sie einschlagen, um sich noch mehr voneinander
zu isolieren.
Die Liebe scheint hier auf Erden ein ebenso seltenes Gut
zu sein wie in den Tiefen der Hölle. Die Botschaften aus
dem Fernsehen predigen ständig Egoismus und Selbstsucht.
Kauf dir dies, und du wirst glücklich. Kauf dir das, und du
kannst die Menschen um dich herum besser manipulieren.
Kauf das, und du hast mehr Sex.
Ah ja, der Sex. Sex ist einer der großen Vorteile, die
man hat, wenn man einen Körper besitzt. Ich genieße ihn
wirklich sehr. Auch wenn er einer Vereinigung von En-
geln nicht gleichkommt, kann er mir doch ungeahntes
Vergnügen bereiten. Sex scheint aber nicht dasselbe wie
Liebe zu sein, auch wenn die Gesellschaft beschlossen zu
haben scheint, daß das eine durchaus einen angemesse-
nen Ersatz für das andere darstellen kann. Viele Menschen
entscheiden sich lieber für Sex anstelle von Liebe und für
Selbstsucht anstelle von Gemeinschaftssinn. Hat Gott das
wirklich so gewollt? Hat unsere Rebellion die Welt so ge-
macht, wie sie heute ist?
GEWALT
Wir kämpften, weil wir kämpfen mußten. Wir trotzten
dem Himmel, weil wir dachten, uns bliebe keine ande-
re Wahl, nachdem der Schöpfer uns Verräter geschimpft
hatte. Die Himmlischen Heerscharen kamen über uns,
und wir kämpften tausend Jahre lang, weil wir an den Weg
glaubten, den wir eingeschlagen hatten. Menschen sind in
dieser Beziehung anders. Ich weiß nicht, ob es daran liegt,
daß unser Kampf in der Kultur der Menschen weiterlebt,
weil die Erinnerungen an ihn von Generation zu Genera-
tion weitergegeben werden, oder ob die Menschen einfach
von Natur aus gewalttätig sind. Gewalt ist für sie immer das
erste und nie das letzte Mittel.
Und was noch schlimmer ist: Sie töten. Häufig töten
sie wahllos und unvorhersehbar. Sie schlagen gegen alle
los, die anders sind, und gegen alle, von denen sie sich auf
irgendeine Weise bedroht fühlen, und manchmal auch nur
gegen die, die sie ihrer Ansicht nach daran hindern, jenen
Einfluß und jene Macht zu gewinnen, von der sie glauben,
daß sie ihnen zustünde. In einer Zeitung habe ich gelesen,
daß es noch niemals einen Zeitpunkt in der Menschheits-
geschichte gegeben hat, an dem nicht irgendwo in der Welt
ein Krieg geführt wurde. Kinder schlagen einander auf den
KAPITEL DREI
Spielplätzen, und erwachsene Männer prügeln sich vor
Kneipen oder bei Sportveranstaltungen. Ehemänner schla-
gen ihre Frauen, Kinder schlagen ihre Eltern. Menschen
töten einander einzig und allein deshalb, um ihren Opfern
materielle Besitztümer zu rauben.
Gewalt wurde zu einem Teil des Wesens dieser Men-
schen. Ihre Beweggründe dafür sind nicht nachvollziehbar,
und die sich daraus ergebenden Folgen werden nur selten
bedacht. Selbst, wenn jeder Dämon im Abgrund seinen
Rachedurst aufgeben würde, würde sich die Menschheit
meiner Meinung nach selbst vernichten.
MACHT
Selbst die Obrigkeit der Menschen kennt nur Gewalt. Als
wir noch den Himmlischen Heerscharen angehörten, wuß-
ten wir genau, wo unser Platz in der Ordnung der Dinge
war. Wir waren dazu geschaffen worden, einer bestimmten
Aufgabe nachzukommen, und wir wollten nie etwas ande-
res tun. Doch so, wie wir in der Hölle begannen, uns selbst
zu zerfleischen, kämpfen auch die Menschen untereinander
um immer mehr Macht. Und wenn sie erst einmal Macht
haben, sorgen sie nach besten Kräften dafür, daß alle, die
unter ihnen stehen, keine weitere Macht mehr gewinnen
können. In meiner Zeit auf Erden habe ich kaum Hinweise
darauf gefunden, daß es tatsächlich Leute gibt, die nach
Macht streben, um anderen helfen zu wollen. In Anilas Er-
innerungen finde ich sogar noch weniger Hinweise darauf.
Ich kann mich daran erinnern, wie frustriert sie war, daß
die kleingeistigen hiesigen Behörden und die teilnahms-
lose Polizei so gut wie nichts taten, um ihre Arbeit etwas
zu erleichtern, und sogar noch weniger unternahmen, um
dafür zu sorgen, bestimmte Situationen von vorneherein
zu verhindern.
Ich habe viele hochtrabende Worte darüber gehört, daß
man zum Wohl der Allgemeinheit regieren sollte, aber ich
habe auch viele Bilder von fetten Männern und Frauen
gesehen, die in teuren Autos durch die Gegend reisen und
ihr Bestes tun, um in ihren Machtpositionen zu bleiben. In
ihren Reden behaupten sie, das Leben der Menschen, die
sie regieren, verbessern zu wollen, und vielen der Regierten
scheinen solche Lippenbekenntnisse zu genügen. Sie gehen
einfach davon aus, daß die Regierenden einhalten werden,
was sie versprechen, und lenken sich anschließend mit
Essen, Trinken, Sex und anderer kurzweiliger Unterhaltung
ab. Was ist nur aus der wißbegierigen, gescheiten Mensch-
heit geworden, die ich einst so sehnsüchtig beobachtete?
Wie konnten die Menschen zu dermaßen unterdrückten
und unterwürfigen Kreaturen werden? Wie konnten sie
zu einer Beleidigung derer verkommen, die sie geschaffen
haben?
Nehmen wir mal die Polizei als Beispiel. Im Fernsehen
taucht immer wieder eine Phrase über die Polizei auf, die
soweit ich weiß aus Amerika kommt: zu dienen und zu be-
schützen. Ganz recht, aber wem dient die Polizei und wen
schützt sie? Mit Sicherheit nicht die Opfer von Verbrechen,
deren Zahl sich jede Woche zu vervielfachen scheint. Es
sind auch nicht die gewöhnlichen Menschen, die noch
nicht die Aufmerksamkeit von Verbrechern auf sich gezo-
gen haben. Die sind nämlich einzig und allein dadurch be-
schützt, daß sie noch nicht ins Fadenkreuz der schlechten
Menschen geraten sind. Die Polizei dient lediglich dazu,
die öffentliche Meinung zu beschwichtigen. Die Massen
wollen glauben, daß sie sicher sind, und irgendein Schläger,
den man in eine Uniform gesteckt hat, reicht auch schon
aus, um sie davon zu überzeugen, daß sie tatsächlich sicher
sind.
Während unserer Zeit in der Hölle wurden Täuschung
und Betrug zu unserem Rüstzeug. Es scheint ganz so, als
habe die Menschheit diese Lektion ebenso gut verinner-
licht wie wir.
DIE MENSCHLICHE EXISTENZ
Und doch gibt es Hoffnung und etwas Gutes inmitten all
des Schmerzes dieser gebrochenen Welt. Der Mensch, der
diesen Körper vor mir besessen hat, widmete sein ganzes
Leben der Aufgabe, das Los anderer Menschen erträglicher
zu machen. Anila war eine der wenigen, die erkannt haben,
wie groß das Leid ist, das die Menschheit sich selbst zufügt.
Trotz der Gleichgültigkeit der Behörden arbeitete sie dar-
an, dieses Leiden zu lindern. Die Liste der Probleme, mit
denen sie Tag für Tag zu tun hatte, übertrifft noch meine
schlimmsten Vorstellungen: Vergewaltigungen, Kindes-
mißhandlungen, Armut, Gewalt in der Ehe, untherapierte
psychische Störungen und Fremdenhaß. Die Liste will kein
Ende nehmen.
Macht scheint das einzige zu sein, was für den Großteil
der Menschheit zählt. Macht bedeutet ihnen sogar so viel,
daß sie denen Gewalt antun, die sie zu lieben vorgeben.
Ich habe Monate damit verbracht, Frauen vor ihren Män-
nern zu beschützen, weil die Männer glauben, sie könnten
mit ihren Frauen und Kindern anstellen, was immer sie
wollen. Manche ließen es sogar zu, daß ihre Machtgelüste
ihre eigene Sexualität so sehr verdrehten, daß sie Kindern
nachstellten und sich an ihnen vergingen.
Andere verseuchen ihre Körper mit Drogen, weil sie
hoffen, durch einen veränderten Bewußtseinszustand den
Schrecken der Realität entfliehen zu können. Ich habe
Menschen gesehen, die kurz vorm völligen Zusammen-
bruch standen, weil sie ihren Körper durch die Drogen
und die Vernachlässigung seiner Grundbedürfnisse, die mit
dem Drogenkonsum einhergeht, fast völlig zugrundegerich-
tet hatten. Manchmal fühlte ich nichts mehr außer dem
Wunsch, zusammen mit ihnen zu sterben, und in diesen
Momenten wird mir mein wahres Wesen, die Rolle, die ich
in den Anfangstagen der Welt wahrgenommen habe, wie-
der in aller Deutlichkeit bewußt. Und wenn dies geschieht,
erlöse ich diese armen Seelen.
Ich kann nicht anders, als Gott die Schuld an dem
schrecklichen Zustand dieser bedauernswerten Geschöpfe
zu geben. Würde es auf der Welt mehr Hinweise auf Seine
Gegenwart geben – und seien es nur Hinweise auf das Wir-
ken von Engeln unter den Menschen –, dann würden diese
Leute vielleicht nicht versuchen, das Göttliche zu erfassen,
indem sie Drogen nehmen. Sie könnten dieses Bedürfnis
durch die Verehrung befriedigen, die sie ihm zuteil werden
lassen, genau so, wie es ihnen ursprünglich auch zugedacht
war. Vielleicht gibt es einen tieferen Sinn hinter unseren
neuen Daseinsformen in dieser Welt. Wir können uns end-
81

Von: Sgt. Wilkins, Abteilung für die
Prävention von Drogenkriminalität
An: Abteilung für Sozialarbeit
Betreff: Drogenbesitz
Ich möchte Sie daran erinnern, daß
der Besitz von Betäubungsmitteln im-
mer noch eine Straftat darstellt und
als solche behandelt werden muß, wenn
man damit konfrontiert wird. Auch
wenn nur selten Haftstrafen verhängt
werden, führt die Vernehmung von Dro-
genkonsumenten häufig zu sachdienli-
chen Hinweisen. Wir können oft Eini-
gungen mit Konsumenten erzielen, die
es uns erlauben, die Drogenhändler
dingfest zu machen.
Ihre Aufgabe als verantwortungs-
bewußte Mitbürger ist es, uns Kon-
sumenten (auch bei einem Verdacht
auf möglichen Konsum) schnellstmög-
lich zu melden. Gestatten Sie mir die
schonungslose Offenheit, Sie darauf
hinzuweisen, daß damit am Ende allen
Beteiligten am besten gedient ist.
Ich hoffe sehr, daß uns keiner von
Ihnen wissentlich Informationen über
Konsumenten vorenthält.
Ich bin mir durchaus bewußt, daß Sie
Konsumenten als hilfsbedürftige Mit-
menschen sehen, die als Suchtkranke
nicht noch zusätzlich unter Strafver-
folgung gestellt werden sollten. Doch
sobald eine Person erst einmal zum
Konsument geworden ist, wird sie in
aller Regel sehr schnell suchtkrank
und dann aus Beschaffungsgründen auch
kriminell. Ich würde es sehr viel
lieber sehen, wenn Sie Ihre Aufmerk-
samkeit vielversprechenderen Fällen
widmen könnten.
Wenn wir nicht an die Konsumenten
herankommen, werden wir auch nie an
die Händler herankommen. Unsere Auf-
klärungsrate würde sich jedoch be-
trächtlich erhöhen, sofern wir die
Händler unschädlich machen könnten.
Also überlegen Sie sich gut, ob Sie
wirklich Gutes tun, wenn Sie uns In-
formationen verschweigen.
Adrian Wilkins
lich den Respekt und die Verehrung verdienen, die wir vor
so langer Zeit für uns ersehnt hatten, indem wir uns auf
lange Sicht den Menschen Schritt für Schritt offenbaren.
Wir können dem leeren Dasein, das sie führen, Richtung
und Sinn geben.
Trotzdem begehrt etwas in mir gegen diesen Gedanken
auf. Ich weiß nicht, ob ich es bin oder ein verbliebener
Aspekt Anilas, der mich so denken läßt, aber irgendwie
82
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
kommt es mir falsch vor, Menschen nach meinem Willen
zu formen und zu lenken. In gewisser Weise würde mich das
wie die Männer werden lassen, die ihre körperliche Über-
legenheit dazu nutzen, den Frauen Gewalt anzutun, die sie
angeblich doch lieben. Wir haben diesen Weg vor langer
Zeit eingeschlagen, weil wir wollten, daß die Menschen
uns so lieben, wie sie Ihn liebten. Wir wollten nie über
sie herrschen, sondern wir wollten nur, daß sie uns sehen
und uns die Verehrung zukommen lassen, die wir verdie-
nen. War erzwungene Verehrung wirklich das, wonach wir
gestrebt hatten? Ist sie denn nicht genauso verlogen wie
die erzwungene „Liebe“, die ich so häufig bei der Arbeit
gesehen habe?
DIE UNWÜRDIGEN
Manchmal fühle ich mich so, als wäre ich gerade eben
erst aus unserer Gefangenschaft entkommen und hätte
erst vor wenigen Augenblicken damit begonnen, die Welt
so zu sehen, wie sie wirklich ist. Wie leicht es einem doch
fällt, nur noch Haß in sich zu spüren, wenn man durch Bar-
rieren, die selbst die stärksten von uns nie durchbrechen
konnten, von den Objekten seiner Verachtung abgeschnit-
ten ist. Und um wieviel schwerer fällt einem dieser Haß
dann plötzlich, wenn man das Leid in den Gesichtern der
Menschen, denen man endlich gegenübersteht, so über-
deutlich sehen kann.
Ich habe das Gefühl, als würden einige Leute sich mir
gegenüber mit Absicht so verhalten, daß es mich wütend
macht, und dann kann ich auch hassen. So viele Menschen
sind kleingeistig und selbstsüchtig und haben scheinbar
keinerlei Sinn für den Rest der Welt jenseits ihres eigenen
kleinen Lebens. Sie sind des großartigen Geschenk des
Lebens nicht mehr länger würdig. Wieder andere hingegen
haben soviel durchgemacht und mußten sich soviel antun
lassen, daß ihr Elend jenen Teil meines Wesens rührt, der
das Leid der Menschen lindern wollte, ehe wir gegen den
Himmel aufbegehrten. Ich dachte, dieser Teil sei schon
lange Zeit tot gewesen. Ich habe mich geirrt.
Es gibt Momente, in denen ich mich frage, ob wir wirk-
lich in dieselbe Welt zurückgekehrt sind, aus der wir vor
so langer Zeit verbannt wurden. Hätte Gott – ganz gleich,
wie groß Sein Zorn über unsere Rebellion auch war – die
Welt tatsächlich zu dem verkommen lassen können, was
sie jetzt ist? Haben wir, die wir gerade einmal ein Drittel
der Himmlischen Heerscharen ausmachten, wirklich die
Macht besessen, die Welt so tief sinken zu lassen? Oder
waren hier Kräfte am Werk, die ich nicht verstehe? Das
würde mich nicht wirklich überraschen. Jedenfalls begreife
ich nicht einmal mehr das, was früher meine Berufung war:
den Tod.
TOD
Der Tod war der Fluch Gottes, den er der Menschheit zur
Strafe dafür auferlegte, sich während der Rebellion auf un-
sere Seite geschlagen zu haben. Wollte Er ihnen wirklich so
viel Schmerz zufügen? Der Tod lauert den Menschen in un-
zähligen Formen auf. Als Beispiel will ich nur einmal Anilas
kurze Begegnung mit dem Tod anführen. Manchmal fällt es
KAPITEL DREI
mir so unglaublich schwer, mich von ihren Erinnerungen
zu lösen. Vielleicht ist das so, weil die Freuden, die sie Zeit
ihres Lebens erfahren hat, die Schmerzen, die ihr während
ihres Daseins widerfahren sind, aufwiegen. Das Gefühl, das
ich bekomme, wenn mich mein, Entschuldigung, ihr Mann
in die Arme nimmt, ist einfach unbeschreiblich. Wenn ich
es mit den Worten auszudrücken versuche, die mir durch
die vielen Jahrtausende der Isolation in der Hölle geblieben
sind, dann muß ich sprachlos bleiben.
Ich verliere schon wieder den Faden. Ich darf mich nicht
in Anilas Erinnerungen verlieren, so verführerisch sie auch
sein mögen. Die Menschen fürchten den Tod noch immer,
obwohl sie ihn doch schon seit Jahrtausenden kennen. Nur
einige wenige Menschen, denen ich hier bisher begegnet
bin, besaßen so viel Gottvertrauen, um an ein Leben nach
dem Tod zu glauben, und selbst an ihren Herzen nagte der
Zweifel. Ich habe mich einmal eine Weile mit einem Prie-
ster unterhalten, der an einem meiner Fälle mitarbeitete.
Er war von einem Kind aufgesucht worden, das in Schwie-
rigkeiten geraten war, bevor er uns angerufen hatte. Dieser
Priester, der einer dieser wenigen Menschen war, die noch
immer wahren Glauben besaßen, hatte mit schweren Zwei-
feln zu kämpfen. Er sah all das Leid in seiner Gemeinde
und fragte sich, warum Gott das nur zuließ. Fünf Jahre der
Arbeit an sozialen Brennpunkten hatten seinen Glauben
zutiefst erschüttert, doch er war noch nicht gebrochen.
Manchmal sah er den Tod als einen Segen an, und häufig
konnte er darin mehr Frieden finden als in all dem Leid der
Menschen um ihn herum. Ich teile seine Ansicht. Manch-
mal ist es besser, dem Vergessen anheimzufallen, als nur
noch weiter zu leiden, und im Abgrund hatte ich selbst
manches Mal ein Ende meiner Existenz herbeigesehnt.
Doch im Gegensatz zu dem Priester kann ich im Tod keinen
völligen Frieden sehen, weil ich mit absoluter Sicherheit
weiß, daß das Leben nach dem Tod weitergehen kann. Ich
weiß nur nicht, was Gott mit den Seelen macht, die Er zu
sich nimmt. Wird ihnen das Vergessen geschenkt oder hält
Gott ein anderes Schicksal für sie bereit?
Doch selbst hierin gibt es große Ungewißheiten. Die Me-
chanismen des Todes wurden gestört. Die Schnitter sind
nicht länger auf ihren Posten, und die Toten klammern
sich mit einer solchen Verzweiflung an das Leben, daß es
mich fast schon ängstigt. Es ist ein Bild des Jammers, wenn
sich eine menschliche Seele verzweifelt an irgendwelchen
Überbleibseln aus ihrem Leben festhält und nicht mehr
in der Lage ist, sich weiter als ein paar Schritte von den
Gegenständen zu entfernen, die zu ihren letzten Verbin-
dungsgliedern zur stofflichen Welt geworden sind. Einst
war es unsere Aufgabe, das Spirituelle vom Materiellen
zu trennen und so einer Seele Freiheit zu schenken, doch
selbst die Schnitter, die dem Morgenstern nicht nachfolg-
ten, scheinen ihre Pflicht nicht länger zu erfüllen.
Was ist geblieben? Ruhelose Seelen, die die Angst der
Lebenden vor dem Tod nur noch weiter nähren. Einige
dieser verzweifelten Geister haben sogar die Willensstärke
aufbringen können, in einem krassen Verstoß gegen Gottes
Plan zurück in ihre toten Leiber zu kriechen. Wie kann
Gott das nur zulassen? Kümmert es ihn denn gar nicht
mehr?
RELIGION
Der Zustand dieser Welt und der Lebenden und der
Toten, die sie bevölkern, werfen in mir die Frage auf, ob
Gott überhaupt noch über sie wacht. Die Menschen waren
immer seine liebste Schöpfung. Sie waren die Geschöpfe,
deren Bedürfnisse Er noch über unsere Wünsche stellte.
Doch jetzt scheint Er sie aufgegeben zu haben, obwohl sie
uns doch schon vor langer Zeit aufgegeben haben.
Dieses Land, in dem Anila aufgewachsen ist, nennt sich
christlich – die Menschen hier glauben, Gott sei im Körper
eines Mannes auf die Erde gekommen, um den Schmerz der
Geschöpfe, die Er geschaffen hatte, begreifen zu können.
Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß Er, dessen unbän-
digen Zorn ich einst sah, sich so verletzlich gezeigt hat, wie
die Geschichten der Menschen es berichten.
Doch in meinem Verstand scheint dieser Glaube mit
den Glaubensvorstellungen zu ringen, die Anilas Stamm
hegt, der Tausende von Kilometern entfernt an einem Ort
lebt, der heute Pakistan genannt wird. Der hinduistische
Glaube, dem ihr Vater anhängt, scheint eine Vielzahl von
Göttern zu kennen, die aber alle irgendwie doch der gleiche
Gott sind. Wir Dämonen kommen in beiden Erzählungen
vor, doch keine erfaßt die wahre Bedeutung dessen, was
wir sind oder warum wir gegen den Himmel aufbegehrten.
Wenn ich darüber nachdenke, kocht tief in meinem Herzen
die alte Wut und der alte Zorn wieder hoch, die mich im
Höllenschlund erfüllt hatten. Sie haben uns vergessen! Sie
haben vergessen, wofür wir gekämpft haben, und sie ent-
ehren die Namen derer, die für die Menschheit gestorben
sind, indem sie uns Monster und Verführer nennen. Das
mag aus uns geworden sein, aber so waren wir nicht immer.
Wir handelten aus Liebe, doch ihre Geschichten sprechen
uns nur Haß zu. Gottes Grausamkeit kennt wahrlich keine
Grenzen.
Ich halte es irgendwie für angemessen, daß die Folge
dieses Mangels an Wahrheit ein Niedergang des Glaubens
war. Die Gesellschaft spricht offenbar Zynismus und Ma-
terialismus mehr Wert zu als jeder Form des spirituellen
Erkundungsdrangs. Daher – und weil sie zwischen zwei Re-
ligionen stand – gab auch Anila ihren Glauben vollkom-
men auf. Als sie vor die Wahl zwischen zwei Glaubensrich-
tungen gestellt war, entschied sie sich für keine von beiden.
Nur wenige ihrer Freunde zeigten ein echtes Interesse an
irgendeiner Kirche oder Religion. Möglicherweise ist dies
ein weiteres Zeichen dafür, daß Er die Welt verlassen hat:
Ohne Gott, dem man Verehrung zuteil werden lassen kann,
kann sich kein Glaube halten.
Sicherlich verzweifelte der Priester, den ich oben erwähnt
habe, oft an seiner Kirche. Er hatte andere Gotteshäuser
besucht, wenn er die Gelegenheit dazu hatte, und er hatte
gesehen, wie die braven Menschen in ihrer Sonntagsklei-
dung zum Gottesdienst strömten. Und dennoch fühlte er,
daß ihnen jeglicher Glaube fehlte. Sie gingen jeden Sonn-
tag in die Kirche, weil ihre Nachbarn in die Kirche gingen
und weil es sich eben so gehörte. Der Kirchgang war ein
sinnentleertes Ritual ohne jede Bedeutung.
Eines Sonntags beobachtete ich eine solche Kirche aus
der Ferne. Der Glaube an Gott, der in ihren Mauern ge-
83
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

bunden war, reichte aus, um mich den Schmerz Seines

Zorns spüren zu lassen. Ich wagte es nicht, mich ihr weiter
zu nähern als bis zur gegenüberliegenden Straßenseite. Der
Schmerz war einfach zu unerträglich. Ich hätte kein deutli-
cheres Anzeichen dafür finden können, daß unsere Befrei-
ung aus der Hölle nicht Seinem Willen entsprungen war
und Er uns noch immer nicht verziehen hatte. Der Glaube
in dem Bauwerk selbst war groß, doch der der Menschen,
die in es hineingingen, war vernachlässigbar. Der Glaube ist
fort, und nur seine Rituale sind noch übrig.
Ich habe das bei meinem eigenen Volk gesehen. Die Leu-
te zogen sich wie Hindus an, führten alle Rituale durch
und hielten alle Feiertage unserer Religion ein, aber sie
schafften es nicht, wirklich daran zu glauben. Es scheint
fast so, als würden sich die Menschen der Verehrung, die
Gott von ihnen einforderte, immer noch erinnern, ohne sie
Ihm wirklich noch zuteil werden lassen zu können. Sie füh-
ren die Rituale aus der Vergangenheit so durch, wie kleine
Kinder die Handlungen ihrer Eltern nachahmen, noch ehe
sie begreifen, was diese überhaupt bedeuten.

r r r r r r
Kommet und erkennt die Wahrheit in
Jesus Christus
„Langweilig, uninteressant und unwahr?“
Eine Ansprache von
Reverend James Andrews
Entdecke den Sinn des Lebens
St. Peter’s Church
Mittwoch, 20 Uhr

DIE ZUKUNFT
Bisher habe ich nur die Oberfläche dieser Welt berührt.
Sie ist ein vollkommen neuer Ort für mich, und ich brauche
die Erinnerungen von jemandem, der sie versteht, um als
Teil der Gesellschaft funktionieren zu können. Ich könnte
auch außerhalb von ihr existieren, aber würde ich dann die-
se Welt je richtig verstehen lernen? Nein, ich könnte nie in
dieser Welt überleben, ohne Anila zu benutzen, was aller-
dings bedeutet, daß ich zulassen muß, Anila einen Teil von
mir sein zu lassen. Oder bin ich nur ein Teil von Anila?
Es spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich bin aus der Hölle
entkommen und erfahre die Schöpfung in einer Art und
Weise, die ich vor meiner Flucht für vollkommen unmög-
lich gehalten hätte. Ich begreife die Wirklichkeit in einem
Maße, das ich nie hätte verstehen können, als das Fleisch
noch ein Mysterium für mich war. Und möglicherweise er-
halte ich dadurch die Chance auf Vergebung. Einst war ich
ein Engel. Das gab ich auf, um die Menschen von Unwis-
senheit und Furcht zu befreien. Jetzt bewege ich mich unter
ihnen wie eine ganz gewöhnliche Person, und ich erkenne,
daß es noch viel mehr Elend gibt, als ich je hätte erahnen
können. Zum Teil mag die Schuld bei mir und meinesglei-
chen liegen. Zum Teil mag das Elend auch Gottes Werk

84
KAPITEL DREI
Luxuriöses Wohnen für den trendbewußten
Manager
Sechs moderne, wundervoll eingerichtete
Apartments stehen zum Verkauf.
Die ideale Wohnung für jeden jungen Ge-
schäftsmann, der noch weiß, wie man sein
Umfeld beeindruckt. Jedes der Apartments
in dieser ehemaligen Kirche wurde von den
erstklassigen Innenarchitekten von Citysca-
pe gestaltet. Die Anlage ist mitten im Her-
zen der Stadt gelegen, und die ursprüngli-
chen Buntglasfenster wurden erhalten, um
den Apartments eine wahrhaft einzigartige
Atmosphäre zu verleihen. Bei sämtlichen
Abschlußarbeiten wurden nur die edelsten
Hölzer und Teppiche verwendet. Die Apart-
ments sind bereits vollmöbliert.
* Rund um die Uhr stehen ein Sicherheits-
dienst und ein Conciergeservice zu Ihrer Ver-
fügung.*
Ein Stellplatz pro Apartment.
Machen Sie noch heute einen Besichti-
gungstermin.
Ein exklusives Angebot von:
Hartnell, Kaye and McGuire
Begehungen nur nach Terminabsprache
sein. Doch zweifelsohne ist es die Menschheit, die den
Großteil der Schuld an all dem Elend trägt. Ich verstehe
noch nicht viel von dieser Welt, doch wenn ich mich von
Anilas Erinnerungen durch sie führen lasse, dann werde ich
dazulernen. Und sobald ich erst einmal genug gelernt habe,
werde ich handeln.
Die Welt hat sich während der Dauer unserer Gefan-
genschaft mehr verändert, als ich es je für möglich gehal-
ten hätte. Die Menschen sind eine wirklich einfallsrei-
che Rasse. Ihre Technologie verblüfft und erstaunt mich
immer wieder. Telefone sind zum Beispiel so eine Sache,
an die ich mich noch immer nicht richtig gewöhnt habe.
Wir Dämonen haben solches Spielzeug nie gebraucht,
um miteinander in Verbindung zu treten, ganz egal, wie
weit wir auch voneinander entfernt waren. Mir wird lang-
sam klarer, was es mit Computern auf sich hat, aber die-
ses Internet ist ein eigenartiges Konzept. Es ist ein Ort
der Gedanken, den man nicht durch den Geist betreten
kann, sondern nur mit den Augen und den Fingern. Die
Menschen haben alten Ideen neue Facetten abgewinnen
können, die mich vollkommen überraschen. Es scheint
fast so, als ob die Menschheit in der Abwesenheit Gottes
die Gestaltung der Schöpfung in die eigenen Hände ge-
nommen hätte.
Ich muß diese Welt erst verstehen, bevor ich entscheiden
kann, was als nächstes zu tun ist. Ich bin jetzt schon seit
Wochen frei, und trotzdem bin ich dem Grund für meine
unerwartete Freiheit noch kein Stückchen näher gekom-
men. Ich mache mir Sorgen, daß es falsch sein könnte,
meine Mission auszuführen und die Fürsten der Hölle zu
befreien. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich war,
bevor ich zu Anila wurde, wie nichts in mir war außer Haß,
Zorn und Schmerz. Ich erzittere bei dem Gedanken dar-
an, was mit den Menschen dieser Welt geschehen würde,
wenn solche Kreaturen wie ich eine war jetzt auf die Welt
losgelassen werden würden, ohne daß es einen einzigen
Engel der Himmlischen Heerscharen gäbe, der sich ihnen
entgegenstellen könnte. Die Rache der Dämonen würde
schrecklich sein. Ich weiß noch, wie wir die Geister der To-
ten geschunden und gequält haben. Was würden wir dann
erst den Lebenden antun?
Nein, fürs erste werde ich Anila bleiben und ihr Leben
fortführen. Ich werde mich in der Liebe ihres Mannes aa-
len und versuchen, die Mysterien der modernen Welt zu
ergründen. Durch Anilas Arbeit kann ich so viele verschie-
dene Menschen treffen, und ich begegne dabei auch dem
Tod immer wieder. Vielleicht kann ich wieder verstehen
lernen, was es mit dem Tod auf sich hat. Es könnte sein,
daß ich noch mehr Menschen töten muß, um den Tod zu
studieren, aber ich muß sicherstellen, daß die, die ich töte,
den Tod, den ich ihnen bringe, auch wirklich verdient ha-
ben. Anilas Erinnerungen verlangen das von mir. Ich halte
dies für einen gerechten Tausch für ihr Leben, ihren Körper
und ihre Liebe.
ERDGEBUNDEN
Wir sind nicht allein. Die Dämonen, die der Hölle vor
uns entkommen sind – diejenigen, die vor so vielen Zeit-
altern aus ihr verschwanden –, sind hier, und sie sind mit-
ten unter uns. Ich schreibe gerade (so gut ich mich an sie
erinnern kann) meine jüngsten Erlebnisse nieder. Anilas
Verstand verfügt nicht über die Fähigkeit, Erinnerungen so
lückenlos zu speichern, wie ich es konnte, bevor ich diese
neue Form wählte. Hoffentlich gibt mir das Aufschreiben
die Möglichkeit, Erinnerungen zu behalten, die ich anson-
sten verlieren würde.
Die Begegnung verlief nicht sehr dramatisch. Der Dä-
mon, der zu mir kam, war nicht in überirdische Flammen
gehüllt und trug auch kein Schwert des Hasses. Er näherte
sich mir in einem Café, das gleich um die Ecke von meinem
Büro liegt. Er trug einen billigen Anzug und schmutzige
Schuhe. Irgendwie war das schlimmer, als es die Flammen
und das Schwert gewesen wären. Er bewegte sich uner-
kannt unter den Menschen, und er benutzte seine Anhän-
ger wie Marionetten, mit denen er tun und lassen konnte,
was ihm gerade einfiel.
Noch Stunden später hatte ich ein seltsames dumpfes
Pochen in meinem Schädel verspürt. Anila hätte es Kopf-
schmerzen genannt, doch diese Bezeichnung erschien mir
irgendwie falsch. Es fühlte sich an wie – nun, wie die Hölle
–, und ich tat mein Bestes, die Empfindung zu ignorieren.
Wenn ich zu lange über die Hölle nachdenke, kehrt meine
alte Wut zurück und benebelt meinen Verstand. Und ich
will nicht, daß das passiert.
„Magdiel. Wie schön, dich persönlich zu sehen.“
85

Ein Schock fuhr durch meinen Körper. Jemand hatte zum
ersten Mal, seit ich aus der Hölle entkommen war, meinen
Himmlischen Namen laut ausgesprochen. Der Mann, der
vor mir stand, hatte ein Allerweltsgesicht. Er war jung und
trug einen schlechtsitzenden Anzug, der schlabberig an
seiner schlaksigen Gestalt herunterhing. Der Ohrring und
das kurzgeschorene, blonde Haar waren die einzigen beiden
Dinge an ihm, die ihn noch irgendwie auffällig machten. Er
fragte mich, ob ich nicht ein wenig mit ihm spazierengehen
wollte.
Es dauerte nicht lange, ehe ich ihm die Frage stellte, ob
er wie ich ein Dämon wäre.
„Oh nein“, sagte er. „Ich bin ein Mensch, aber ich spre-
che im Namen eines Wesens, das einmal so wie du war.
Mein Körper und mein Verstand sind nur Werkzeuge, die
mein Meister verwendet, um die Unterhaltung mit dir zu
vereinfachen. Von anderen deiner Art habe ich erfahren,
daß ihr manchmal Schwierigkeiten damit habt, euch daran
zu erinnern, wo ihr aufhört und wo der Sterbliche anfängt,
dessen Körper ihr in Besitz genommen habt. Mein Meister
leidet nicht unter diesen Einschränkungen.
Und er ist die Quelle meiner Macht. Das solltest du nie
vergessen“, fügte er hinzu und warf mir einen verstohlenen
Seitenblick zu. Er war eine Marionette – das konnte ich
sehen –, doch die Wesenheit, die in ihm steckte, die Krea-
tur, die an seinen Fäden zog, war weitaus mächtiger als ich
oder jeder andere von uns, der gerade erst aus der Hölle
entkommen war. Ich konnte die schiere Boshaftigkeit dieser
Kreatur selbst durch das zerbrechliche, sterbliche Medium
hindurch spüren, das sie für unsere Unterhaltung gewählt
hatte. Ich fragte den Sterblichen, was er davon hatte, ei-
nem solchen Meister zu dienen. Er antwortete mir mit nur
einem Wort: „Macht.“ Ich fragte ihn, was das genau bedeu-
ten würde, und er schien meine Frage als Vorwand für eine
Demonstration seiner Macht zu verstehen. Er deutete auf
einen Obdachlosen, der bettelnd am Straßenrand stand.
„Er wird sterben. In zwei Minuten wird er sich vor ein
Auto werfen.“
„Woher willst du das wissen?“, fragte ich und übersah die
Aura des Todes, die den Mann umgab.
„Weil es mein Wille ist.“
Als der Obdachlose an meinem eigenartigen Besucher
vorbeiging, schaute mein Besucher den Obdachlosen an
und flüsterte ihm ganz leise etwas zu. Ich konnte spüren,
wie das der Wirklichkeit zugrundeliegende Gefüge eine
Art Falte warf, als irgend etwas an ihm verändert wurde.
Mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck stolperte der
Obdachlose auf die Straße zu. Ich wollte einen Schritt auf
ihn zumachen, um ihn aufzuhalten.
„Nein, Magdiel“, flüsterte die Marionette. Ich hielt inne.
Mir blieb keine andere Wahl. Ich konnte fühlen, wie der
Wille ihres Meisters auf mich einwirkte. „Aufgepaßt“, sagte
die Marionette.
Der Obdachlose blieb am Rand der starkbefahrenen Stra-
ße stehen, eher er sich mit einer Bewegung, deren Knapp-
heit mich überraschte, vor ein herannahendes Auto warf.
Der Tod. Es kümmerte mich nicht, daß der Körper zerstört
wurde. Er war nur Fleisch, das über die ganze Straße ver-
teilt wurde. Ich konnte jedoch spüren, wie sich der Geist
86
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
in genau dem Moment aus dem Körper löste, als die Reifen
des Wagens das Gehirn zermalmten. Und dann war da…
nichts. Kein Engel. Die Seele war einfach entfleucht, und
ich hatte nicht die geringste Ahnung, wohin sie gegangen
war. Ich spürte Zorn in mir aufsteigen.
„Ja, die Schuld. Es ist doch immer wieder erstaunlich, zu
welchen Taten sie die Menschen beflügelt“, gluckste mein
Besucher.
„Was hast du getan?“, fragte ich ihn.
„Ich habe ihn lediglich mit dem kleinsten Teil der Macht
meines Meisters berührt. Andere Menschen lieben das
geradezu, mußt du wissen. Sie verzehren sich förmlich da-
nach, daß man ihnen die Last der Welt von den Schultern
nimmt. Es fällt uns so viel leichter, solche Dinge zu tun,
wenn der Meister uns seine Macht gewährt. Er ist seit Tau-
senden von Jahren frei und hat mehr Macht angesammelt,
als du mir glauben würdest. Diese Stadt war nicht immer
so, wie sie jetzt ist.“
Er deutete mit einer abfälligen Geste auf die schmutzigen
Straßenzüge um uns herum.
„Man muß eine ganze Menge Arbeit investieren, wenn
man etwas derartig Trostloses erschaffen will. Darauf ist
er ziemlich stolz. Manchmal zeigt er mir sogar, wie stolz er
darauf ist, indem er mir Visionen aus der Vergangenheit
offenbart. Früher einmal standen hier überall Bäume, und
der Fluß war sauber und unbegradigt. Invasoren waren auf
die Insel gekommen und bis hierher vorgedrungen. Das
primitive Volk, das hier lebte, hatte der Macht der Eroberer
nichts entgegenzusetzen.
Einer der besiegten Eingeborenen trug allerdings einen
Funken der Macht in sich. Er versuchte, die Geister des
Flusses herbeizurufen, damit sie ihm gegen die Eroberer bei-
stehen und ihm helfen, seine ermordeten Brüder zu rächen.
In seinem Zorn und seinem Haß beschwor der Eingeborene
statt dessen meinen Meister. Der Eingeborene war leicht
zu beeinflussen, weil soviel Zorn in ihm war. Letzten Endes
streifte mein Meister den Bann ab, und der Druide wurde zu
seinem Sklaven. Und damit auch die Familie des Druiden,
Generation um Generation, bis zum heutigen Tag. Durch
sie wurde diese Stadt mehr oder weniger zu der Stadt mei-
nes Meisters. Oh, das meine ich nicht in dem Sinn, wie es
die Sterblichen verstehen würden. Er kommandierte nicht
einfach nur ein paar Leute herum. Ich meine das eher in
dem Sinn, daß immer eine ausreichende Zahl der Leute,
die etwas in der Stadt zu sagen hatten, seinen Wünschen
entsprachen. Meine Familie diente ihm jedenfalls schon
bald aus freien Stücken heraus. Mein Vater führte mich in
den Dienst an meinem Meister ein, so wie seine Mutter das
mit ihm getan hat. Ich bete meinem Meister an, und dafür
verleiht er mir Stärke.
Kannst du dir das vorstellen? Gott hatte versucht, mei-
nen Meister gefangenzuhalten, doch mein Meister besiegte
den Allmächtigen. Er entkam aus der Hölle und genoß die
Verehrung, die ihm zusteht. Die Zeit in der Hölle machte
ihn nur zu einem noch mächtigeren Herrscher.“
Das Lachen des Mannes irritierte die anderen Menschen
auf der Straße, ganz so, als ob sie etwas hören würden, ohne
genau sagen zu können, woher das Geräusch kam. Einige
der Passanten, die zu uns herüberschauten, waren wegen
KAPITEL DREI
des Gelächters sichtlich beunruhigt. Ich zischte meinen
Besucher an, weil ich wollte, daß er endlich still war, doch
das ließ ihn nur noch lauter lachen.
„Wie menschlich von dir, `Anila´. Du bist ein Dämon,
kein sterblicher Wicht. Erniedrige dich nicht, indem du ihr
Verhalten nachäffst.“
Schweigend gingen wir eine Weile weiter. Schließlich
führte er mich in ein Haus in einer heruntergekommenen
Seitenstraße. Einige Stufen führten in einen dunklen Keller
hinab, in dem eine hölzerne Leiter stand, die noch weiter
in die Tiefe führte. Die Leiter wiederum endete in einem
modrigen Tunnel, der Hunderte von Jahren alt sein mußte,
obwohl er durch elektrisches Licht erhellt wurde, das von
Lampen an der feuchten Decke ausging. Es roch widerlich,
was mich zu der Annahme brachte, daß wir uns irgendwo
in der Nähe der alten Kanalisation aus der viktorianischen
Zeit befinden mußten. Der dumpfe Druck in meinem Kopf
nahm zu. Es fühlte sich so an, als wäre er einer von uns, nur
daß er tausendmal mächtiger und irgendwie anders war.
Fremdartig. Ich weiß, wie sich Dämonen und Engel anfüh-
len, doch diese Kreatur hier war etwas völlig anderes – und
ich ließ mich in ihren Bau führen.
„Eines würde ich gerne wissen: Warum herrschen denn
du und deinesgleichen nicht mehr über diese Stadt?“, fragte
ich, um unser Schweigen zu brechen. „Warum habe ich in
den Wochen, die seit meiner Flucht aus der Hölle vergan-
gen sind, nichts von deinem Meister gehört?“
„Du bist wirklich schlau, Magdiel. Er sagte uns, daß du das
sein würdest.“ Er grunzte verächtlich. „Gott mag sich von
der Welt abgewandt haben, doch die Last Seines scheußli-
chen Einflusses ist geblieben. Wir mußten uns keiner Heer-
schar aus Engeln stellen oder einen tausendjährigen Krieg
führen. Es bedurfte nur einer Handvoll Menschen, die
sich so sehr in ihrem Glauben an Ihn verloren hatten, daß
sie ganz versessen darauf waren, Seine Herrlichkeit durch
Blutvergießen zu mehren. Weil sie meinem Meister nichts
anhaben konnten, richteten sie ihre ganze Aufmerksamkeit
Gott ist TOT! Gott war eine LÜGE!
5 Kommt und findet die WAHRHEIT
durch die alten Wege.
™ Die MAGIE ist nicht tot, und die
Geister des Landes wollen sie mit
7 EUCH teilen!
Alle, die daran interessiert sind, ihr
5 mystisches Potential zu erkennen,
treffen sich jeden Freitagabend im
™
Park. Bringt etwas zu trinken mit und
findet Trost in der Wahrheit!
Ihr seid MÄCHTIGER!! als Ihr es
7 Euch vorstellen könnt!!
auf uns, seine Anhänger. Sie brandmarkten, folterten und
töteten uns. Sie ermordeten unsere Kinder, und sie er-
mordeten unsere Frauen. Sie löschten ganze Familien aus,
damit sie sich selbst für heilig halten konnten.“
„Und was geschah dann?“
VERSUCHUNG
Für einen kurzen Augenblick sah er unangenehm berührt
aus, doch dann setzte er wieder seine Maske mit der selbst-
sicheren Miene auf. „Die wenigen Anhänger des Meisters,
die übriggeblieben waren, nahmen seinen geheiligten Re-
liquienschrein und verbargen ihn vor den Mordbrennern
der Kirche. Und… er schlief. Er wartete. Unsere Vorfah-
ren versteckten sich ebenfalls und gaben die Riten seiner
Anbetung von Generation zu Generation weiter, und im
Gegenzug schenkte uns der Meister Macht und Wohlstand.
Ohne einen Widersacher, gegen den sie kämpfen konnte,
war es nur eine Frage der Zeit, bis die Wachsamkeit der
Kirche nachließ und sie schließlich sogar ihren Glauben
an einen unbarmherzigen Himmel gänzlich verlor. Und
mein Meister behielt Recht. Du hast es selbst gesehen. Die
Tatsache, daß du hier bist, ist der beste Beweis, Magdiel.
Nun ist mein Meister erwacht und hat seine Diener zurück
an seine Seite gerufen.“
Er führte mich in eine gewaltige Kammer, die so aussah,
als wäre sie mit bloßen Händen in den Fels gehauen wor-
den. Wie der Tunnel wurde auch sie von elektrischem Licht
erhellt. Viele Leute arbeiteten in ihr. Sie hantierten mit
elektrischen Geräten, deren Funktion ich nicht verstand.
Sie lasen, schrieben und planten. Es gab einen ausgewach-
senen Kult dort unten, und jedes seiner Mitglieder war auf
irgendeine Weise durch den berührt worden, der einst einer
von uns gewesen war.
Die Marionette deutete mir an, daß ich mich setzen soll-
te. Sie selbst setzte sich mir gegenüber und blickte mir tief
in die Augen. „Die Menschheit ist von ihrem Weg abge-
kommen. Die Menschen verachten das Gepränge der Re-
ligion, doch irgendwo tief in der Leere ihrer Seelen sehnen
sie sich nach jemandem, an den sie glauben können. Sie
sehnen sich nach jemandem wie dir, Magdiel. Gemeinsam
mit meinem Meister kannst du die Menschen dieser Stadt
wieder zum Glauben führen, und sie werden dir ihren Glau-
ben und ihre Seelen darbieten – so wie du es immer gewollt
hast. Denk doch mal nach. Dein endgültiger Sieg steht kurz
bevor. Vielleicht hast du gedacht, die Rebellion sei vorbei
gewesen, nachdem Gott dich in den Abgrund geschleudert
hatte, doch der Krieg tobt immer noch weiter. Mein Mei-
ster will, daß du dir dessen bewußt bist, Magdiel. Gott hat
sich vom Schlachtfeld zurückgezogen. Schließ dich uns an,
und die ganze Welt wird am Ende uns gehören.“
Einen Augenblick lang hatte er mich im Sack. Ich stell-
te mir vor, wie ich den ganzen Unrat aus der Stadt über
uns fortspülte und sie nach unseren Vorstellungen neu
errichtete, so wie sie früher einmal in den ersten Tagen der
Schöpfung gewesen war. Ich stellte mir vor, wie ich wieder
Gerechtigkeit walten lassen und das Leid, das die Men-
schen hier erdulden mußten, ausmerzen würde. Ich stellte
mir vor, wie ich die Schwachen und die Ungläubigen, die
mich aufgegeben hatten, jahrhundertelang bestrafte.
87
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

Ich stellte mir meinen Vater vor, wie er um Vergebung

betteln und bitterlich darüber weinen würde, mich ver-
stoßen zu haben, nachdem er mich zum ersten Mal in der
ganzen Herrlichkeit dessen erblickte, was ich geworden
Junges Mädchen vermißt
war. Ich stellte mir meinen Mann vor, wie er gefesselt zu
Kult unter Verdacht
meinen Füßen lag und nicht länger in der Lage war, mich
Von unserem Lokalredakteur
zu verlassen und mir weh zu tun, sondern auf ewig in seiner
Verehrung für mich gefangen war. Die von ihren Eltern vor ei-
Doch dann begehrte ein Teil von mir, der sowohl Anila ner Woche als vermißt gemeldete
als auch Magdiel vor dem Fall war, ein weiteres Mal auf. Sandra Donaldson ist noch immer
Vor dem Grauen, das sie beide empfanden, wich mein Haß nicht wiederaufgetaucht.
zurück. Stumm saß ich eine Weile da, während der Dä- Die siebzehnjährige Sandra hat-
mon und der Engel in mir miteinander rangen. Der Engel te Kontakt zu einer ortsansässi-
hätte diesen Kampf verloren, wenn Anila nicht gewesen gen Glaubensgemeinschaft, die den
wäre. Sie war fort, aber ich war die Erbin ihrer Stärke, ihrer Werbezetteln zufolge, die im Zim-
Hingabe und ihrer Werte. Sie ließ nicht zu, daß ich diesen mer des Mädchens gefunden und von
Kampf verlor. der Polizei an die Presse weiter-
„Nein.“ gegeben wurden, vorgibt, die „al-
„
„Ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden. ten Wege wiedererwecken zu wol-
Lehnst du das Angebot meines Meisters etwa ab?“ len. Sandra ist bereits das dritte
„Das tue ich. Wir sind keine Dämonen, ganz gleich, was junge Mädchen, das innerhalb des
die Menschheit von uns halten mag. Wir sind Engel. Wir letzten Monats unter ähnlichen
könnten nie den Sieg dadurch davontragen, die Menschen Umständen verschwunden ist.
zu versklaven. Das haben wir nie gewollt. Wir wollten ge- „Uns liegen Berichte über meh-
liebt werden, und nicht angebetet. Wie es scheint hat dein rere Kulte dieser Art vor, die in
„
Meister das vergessen.“ und um London herum tätig sind ,
Im ersten Augenblick dachte ich, er würde mir ins Ge- sagte Detective Inspector Gordon
sicht schlagen. Dann wich sein Zorn Panik. Ich mußte kei- Lawrence bei der gestrigen Pres-
ne Gedanken lesen können, um zu wissen, was ihm gerade sekonferenz. „Offenbar haben sie
durch den Kopf ging – er hatte seinen Meister enttäuscht. sich darauf spezialisiert, gute
Dann grinste er so breit, daß sein Kopf wie in zwei Hälften Stadtviertel aufzusuchen und un-
geteilt schien. Es war kein schöner Anblick. zufriedene Jugendliche anzuspre-
„Du arme, verirrte Kreatur“, sagte er, doch seine Stimme chen, die sich noch in ihrer re-
„
hatte sich verändert. Sie hallte mit der Leere des Nichts bellischen Phase befinden.
wider, und aus dem Rachen der Marionette stieg Rauch auf. Mehrere Kleidungsstücke Sandras
„Du wirst es noch lernen. Und wenn es soweit ist, werde wurden zerrissen und blutver-
ich auf dich warten.“ schmiert im Stadtpark gefunden.
Ich sprang auf und rannte los. Eine lange Zeit hatte ich Die Polizei bestätigte, daß sie
vergessen, was Angst bedeutet, doch in diesem Augenblick das Verschwinden des Mädchens
wußte ich es wieder. Ich fand einen Weg aus dem Tunnel, sehr ernst nimmt.
der mich zu einem Güterbahnhof führte. Einer der Bahn- „Sandra ist ein stilles Mäd-
arbeiter wollte mich aufhalten, und ich streckte ihn ohne „
chen , sagte ihre Mutter, Elaine
zu zögern nieder, weil für mich nichts mehr zählte, außer Donaldson (42). „Sie war die mei-
diesem Ding zu entkommen, das unter der Erde lauerte. ste Zeit zu Hause und las, oder
Erst jetzt wird mir bewußt, daß es mir erlaubt hatte, ihm zu sie ging mit Freunden ins Kino.
entkommen. Es hatte sehr überzeugt davon geklungen, daß Es paßt überhaupt nicht zu ihr,
ich ohnehin zu ihm zurückkehren würde. sich in so eine Sache hineinzie-
Was mir am meisten Angst macht, ist die Tatsache, wie hen zu lassen.
„
verführerisch das Angebot tatsächlich gewesen ist. Mrs. Donaldson brach in Tränen
STRAFE aus und rang lange um Fassung,
ehe sie weitersprechen konn-
Ein paar Tage später sah ich das Gesicht, das der Dämon te. „Ich möchte dem, der unsere
getragen hatte, wieder. Es war auf der neuesten Vermißten- Sandra jetzt gerade in seiner Ge-
anzeige, die in meinem Büro in Umlauf war. Ich fürchte, walt hat, nur noch sagen, daß ich
der Mann auf dem Bild wird niemals gefunden werden – mein kleines Mädchen unglaublich
zumindest nichts von ihm, was selbst seine besten Freunde vermisse und sie wieder zurückha-
„
wiedererkennen würden. ben will.

88
KAPITEL DREI
ENTSCHEIDUNGEN
Ich hatte gehofft, mir die Zeit nehmen zu können, diese
Welt erst verstehen zu lernen, bevor ich eine Entscheidung
zu treffen hätte, was als nächstes zu tun sei. Ich bin mir nicht
mehr sicher, ob ich mir diesen Luxus noch leisten kann. Eine
Schlacht steht bevor, und die Truppen, die darin verwickelt
sein werden, haben schon Stellung bezogen. Die Dämonen,
die vor Ewigkeiten aus dem Abgrund verschwanden, sind
hier. Sie lauern an den finsteren Orten der Welt und sind
zu schrecklicheren Kreaturen geworden als jeder Fürst der
Hölle. Sie trachten danach, uns zu versklaven und die Welt
nach ihren Vorstellungen neu zu formen, noch während mei-
ne Geschwister versuchen, ihre Herren aus dem Abgrund zu
befreien und deren Plänen Vorschub zu leisten.
Ich kann das nicht zulassen. Die Welt steht bereits am
Abgrund. Die Menschheit hat lange genug für unsere Sün-
den gebüßt.
Meine einzige Hoffnung besteht darin, daß es andere wie
mich gibt – andere Gefallene, die sich daran erinnert haben,
daß auch sie einst Engel waren. Wenn ich es allein gegen all
die Gefallenen aufnehmen muß, die der Hölle treu ergeben
sind, werde ich untergehen. Doch sollte es noch andere wie
mich geben, die sich daran erinnern können, was wir früher
einmal waren, dann haben wir vielleicht noch eine Chan-
ce. Die Engel wandeln nicht länger auf Erden, aber die
Dämonen schon. Kann ein Dämon Erlösung finden? Jede
Nacht, wenn ich nach Hause komme und sich Magdiel in
den weltlichen Freuden von Anilas behaglichem Heim, in
einem sanften Kuß und einer kleinen Unterhaltung über
die Ereignisse des Tages verliert, dann hoffe ich inbrünstig,
daß dem so ist.
Doch wenn es wirklich Erlösung für uns gibt, so werden
es nicht Worte, sondern Taten sein, die sie uns bringen
werden. Noch ist Zeit zu handeln, solange die Fürsten der
Hölle noch immer in ihrem Gefängnis eingesperrt sind und
die Erdgebundenen erst noch ihre Kräfte sammeln müssen.
Ich weiß, daß ich nicht alleine bin. Es muß noch andere wie
mich geben, die sich an die Engel, die sie einst waren, und
nicht nur an die Dämonen erinnern, zu denen sie geworden
sind. Mit vereinten Kräften können wir die Welt wieder in
Ordnung bringen – koste es, was es wolle.
89
 Kommissar Gerhard Liebner haßte die Bewohner der Außenbezirke Berlins, und ganz besonders haßte er die unter
ihnen, die wohlbetucht waren. In diesen Gegenden – in ihrer kleinen eigenen Welt – war Kriminalität ein Problem,
das nur in der Innenstadt vorkam, und nicht hier, wo jeder jeden aus dem Café oder von Elternabenden kannte. Und
wenn einmal etwas den Mythos der Idylle erschütterte, dann kamen die Bewohner der Vorstädte in kleinen Grüppchen
auf der Straße zusammen oder flüsterten sich von ihren Balkonen aus mit ihren Fistelstimmen ein immergleiches
„Haben Sie schon gehört ...?“ zu.
Am liebsten wäre Liebner wie ein Vorbote der Hölle durch jedes einzelne dieser Viertel gezogen, um die selbstge-
fällige Weltsicht ihrer Bewohner zu zerschmettern, indem er ihnen kurze Einblicke in das große und uralte Uhrwerk
des Kosmos gewährte, das um sie herum tickte und alles in Bewegung hielt. Er wollte ihnen den gewaltigen Abgrund
des Höllenschlunds zeigen, in dem die Zeit dahinkroch wie eine Schnecke, die in Sirup festklebte, und in dem Schreie
schneidender waren als die schärfste Klinge. Doch heute nacht brauchte er das nicht selbst zu tun. Die für die Vor-
städte sonst so typischen Straftaten, wie sie von normalen Angestellten und gelangweilten Jugendlichen verübt
wurden, waren von einem spektakulären Gewaltausbruch in den Schatten gestellt worden.
Fast genoß Liebner die von Grauen verzerrten Gesichter jener Anwohner ein bißchen, die sich auf der anderen
Straßenseite versammelt hatten oder hinter halbzugezogenen Jalousien aus den Fenstern lugten. Keiner von ihnen
wußte, was passiert war, und sie konnten nur Mutmaßungen darüber anstellen, was uniformierte Polizisten dazu
brachte, aus einem der Häuser hinaus in den Vorgarten zu rennen, um sich dort die Seele aus dem Leib zu kotzen.
Das Blitzlicht eines Polizeifotografen bei der Arbeit schuf kurze, grelle Nachbilder von blutbespritzten Wänden
und schwarzen Flecken auf dem dunklen Mahagoniparkett. Die beiden Leichen – Herr und Frau List – offenbarten
sich der Welt in all ihrer schrecklichen Pracht. Herr List lag im Wohnzimmer. Dem armen Mann war die Haut vom
Gesicht gerissen worden. Sein Brustkorb war eingedrückt und die lebenswichtigen Organe darin waren zerquetscht.
Irgend etwas hatte die Faust durch seinen Oberkörper hindurchgetrieben, als er bereits auf dem Boden gelegen hatte
... Liebner bemerkte die feinen Risse und Spalten in den dunklen Panelen, die sich kreisförmig um die Stelle herum
ausbreiteten, wo die Faust auf den Boden getroffen sein mußte. Er vermutete, daß das Rückgrat wahrscheinlich
ebenfalls durchstoßen worden war.
Frau List befand sich in der Küche. Etwas hatte ihr Fleisch zerfetzt und größere Stücke aus ihren Armen, ihrer
Kehle und ihren Schenkeln gerissen. Ruth Seiler, die Pathologin, verschaffte sich einen ersten Überblick über die Art
der Verletzungen an der Leiche, während Kommissar Liebner ein blutverschmiertes Küchenmesser in eine Plastiktüte
steckte und diese beschriftete.
„Und?“ fragte Liebner und zeigte ihr das Messer.
Seiler zuckte die Achseln. „Das kann ich Ihnen erst sagen, sobald ich es im Labor hatte, aber diese Wunden sehen
mir grauenhafterweise eher danach aus, als hätten wir es mit ... einem Fleischfresser zu tun.“
Liebner grunzte ... definitiv etwas Übernatürliches. In diesem Moment fiel ihm ein Schutzpolizist auf, der am
oberen Ende der Treppe stand, die in den Keller hinabführte, und versuchte, den Kommissar auf sich aufmerksam zu
machen. Der Mann war noch nicht lange bei der Polizei und merklich grün im Gesicht, wie Liebner feststellen konnte,
als er zu ihm hinüberging.
„Was gibt’s?“ fragte Liebner.
„Unten“, antwortete der junge Beamte.
Der Kommissar folgte dem Mann die Treppe hinunter. Der hintere Kellerraum war zu einem Kinderzimmer für den
einzigen Sohn der Lists umgebaut worden. Poster von Bands, von denen Liebner noch nie etwas gehört hatte, hingen
an den Wänden, und überall auf dem Boden und der Couch lagen schmutzige Wäsche, Bücher über Magie, halbzer-
knüllte Burgerschachteln und alte Pizzakartons herum. Der Couchtisch war mit Zigarettenstummeln, Magazinen und
ausgedrückten Allesklebertuben übersät. In die Tischplatte waren Worte und Symbole geschnitzt.
„Gehen Sie rauf“, sagte Liebner, „und sagen Sie Kommissar Weiner, er soll die übrigen Räume auch noch durch-
suchen lassen. Hopp, hopp!“
Der junge Polizist eilte die Treppe hinauf. Endlich allein ging Liebner zum Tisch hinüber und fuhr mit den Fingern
über eine frische Kratzspur, die tief ins Holz geritzt und wie ein kleiner Burggraben mit geronnenem Blut gefüllt
worden war. Es war eine alte Schrift, aus einer Zeit, die weiter in der Vergangenheit lag, als die Erinnerungen der
Menschen zurückreichten. Die Zeichen bildeten einen Namen, von dem Liebner gehofft hatte, ihn nie wieder hören zu
müssen. Golgohasht.
 KAPITEL VIER:
DIE
LEGIONEN DER
VERDAMMTEN
Als ich heimkam, sah ich am Abgrund der fünf Sinne, wo ein glatter
Steilhang finster auf die gegenwärtige Welt blickt, einen mächtigen Teufel,
in schwarze Wolken gehüllt, an den Seiten des Felsens schweben.
- William Blake, Die Hochzeit von Himmel und Hölle

„Und was genau wirst du mir erzählen?“

SCHNEEBALLSYSTEME
„Das verstehe ich nicht ... warum ich?“
Ich werfe Hannah Klein einen vielsagenden Blick zu und
hoffe, sie damit zum Schweigen zu bringen, doch ich kann
nicht anders und frage mich, ob ich nicht gerade einen
schrecklichen Fehler begehe. Ich hatte die Leichen gese-
hen. Golgohasht hatte sich an ihnen gütlich getan. Durfte
ich sie wirklich in so große Gefahr bringen? „Ich brauche
deine Hilfe. Du bist die einzige Person, die weiß, was ich
bin. Außerdem,“ sage ich, „bist du eine Hexe.“
„Eine Wicca ... ja.“
„Gut. Jedenfalls bist du neugierig. Und du hast Fragen.“
„Sicher, aber ich bezweifle, daß du mir alles erzählen
wirst, was ich wissen will.“
„Richtig“, sage ich, „ich werde dir bestimmt nicht alles
erzählen.“
„Soviel, wie du wissen mußt ... genug damit dir klar wird,
in was du hineingerätst. Wir fangen damit an, daß du mir
erst einmal ein paar Fragen stellst, und wenn ich die beant-
wortet habe, erzähle ich dir ein paar Dinge, die du wahr-
scheinlich nicht hättest hören wollen.“
„Prima“, sagt sie. „Laß uns doch damit anfangen, daß du
mir verrätst, worüber du dir so große Sorgen machst.“
„Ich komme gerade von einem Tatort im Tempelhofer
Damm. Ein Teenager namens Jonas List hat seine Eltern
bestialisch ermordet und ist anschließend verschwunden.
Ich glaube nur nicht daran, daß es Jonas war, der dieses
Verbrechen begannen hat. Ich denke, daß ein Dämon na-
mens Golgohasht in den Körper des Jungen eingefahren
ist. Wenn das stimmt, dann schwebt jede Seele in dieser
Stadt – die jedes Dämons und die jedes Sterblichen – in
schrecklicher Gefahr.“
KAPITEL VIER
Hannah legt ihre Stirn in Falten. „Was macht diesen Golg-
ohasht zu etwas Schlimmerem als, nun, sagen wir mal ...“
„Zum Beispiel mich? Weil er schon lange, bevor er in
den Abgrund hinabgeschleudert wurde, ein echtes Mon-
ster war. Er ergötzt sich nicht nur an Blutvergießen und
Schmerzen, sondern er frißt die Seelen, die er zerstört. Er
verschlingt sie, um sich ihre Kraft und ihre Erinnerungen
einzuverleiben. Wenn ich ihn nicht bald finde und seinen
Wirtskörper vernichte, wird er weiterjagen und weiter fres-
sen, bis es keine Macht mehr auf Erden gibt, die ihn noch
aufhalten könnte.“
BESESSENHEIT
„In Ordnung. Nächste Frage: Was genau ist ein Wirtskör-
per?“ fragt Hannah.
„Wir Dämonen nehmen eine sterbliche Gestalt an, indem
wir in Menschen einfahren und so ihre Angewohnheiten
und Erinnerungen übernehmen. Es hilft uns dabei, uns an
diese Welt zu gewöhnen und wieder zu Sinnen zu kommen.
In der Regel wählen wir die Körper von Personen, die über
eine schwache Willenskraft verfügen, oder Menschen, de-
ren Geist gebrochen wurde.“
„Du steckst im Körper eines willensschwachen Bullen?“
„Es ist eher so, daß Liebners Willen dadurch gebrochen
wurde, daß er zu viele Jahre lang Gewalt und Korruption
mit ansehen mußte. Sie fraßen ein Loch in seinen Geist
und in seine Seele, in das ich hineinschlüpfen konnte. Dar-
auf werde ich aber gleich noch zu sprechen kommen.“
„Gut“, sagt sie. „Du hast gesagt, die Erinnerungen der
Wirtskörper würden euch wieder zu Sinnen bringen. Wie
soll ich denn das verstehen?“
„Ein unerwarteter Nebeneffekt der Inbesitznahme eines
menschlichen Körpers kann sein, daß man als Dämon zu
tief in den Erinnerungen einer anderen Person verwurzelt
wird. Besonders starke Erinnerungen werden zu einer Art
emotionalem Leitfaden, der es uns gestattet, uns wieder
daran zu erinnern, wie sich bestimmte Ereignisse angefühlt
haben. Wenn die Person jemals ein Gefühl erlebt hat, das
ihr ganzes Leben veränderte – zum Beispiel verlorene Lie-
be, bitterste Enttäuschung oder tiefster Haß –, dann schlägt
dies eine entsprechende Saite in uns an. Wenn diese Person
darüber hinaus einen unauslöschbaren Funken von Würde
in sich trägt – einen, der durch nichts unterdrückt werden
kann –, dann werden wir auch davon beeinflußt. Wir er-
kennen das Gefühl und den Funken der Würde wieder, weil
wir beides vor Äonen in uns selbst verspürt haben, als Gott
sich von uns abwandte. Zum ersten Mal seit unzähligen
Zeitaltern gehen wir eine geistige Verbindung mit etwas
ein, das jenseits unseres eigenen Elends liegt, und dieser
Vorgang erinnert uns an die Wesen, die wir einst waren.“
„Okay“, sagt sie, „aber was ist denn dann das Problem
mit diesem, äh …“
„Golgohasht. Das Problem ist folgendes … diese Wieder-
herstellung unserer ursprünglichen Wesenszüge ist eher die
Ausnahme als die Regel. Die Emotionen und der Charakter
müssen stark genug sein, um uns aus den Höllenqualen zu
reißen, die wir seit Jahrtausenden ertragen müssen.“
„Ist das auch mit dir passiert?“ will sie wissen.
„Ich …“ Ich spreche nicht weiter. Diese Frage trifft mich
völlig unvorbereitet, und ich bin davon überwältigt. Ich
erlangte meine Erlösung nur, weil jemand anderes dafür
bezahlte. Wie soll man das in ein paar einfachen Worten
ausdrücken? Ich wechsle schnell das Thema und komme
auf Jonas zurück. „Die Erinnerungen des Jungen versorgen
Golgohasht nur mit grundlegenden Hinweisen darüber,
wie diese neue Welt funktioniert, denn nichts an Jonas
deutet darauf hin, daß er mehr war als ein egoistischer
Rotzlöffel.“
„Warum?“
Ich lächle. „Gerhard hatte eine Menge Erfahrung im Um-
gang mit Leuten wie Jonas. Der Junge schnüffelte Klebstoff
und Lösungsmittel. Seine Eltern haben versucht, ihm zu
helfen, doch sie gaben ihn auf, bevor er es selbst tat. Sie wu-
schen ihre Hände in Unschuld und überließen ihn seinem
selbstzerstörerischen Trieb. Und so fand Golgohasht einen
Weg in seinen Körper.“
FRISCHFLEISCH
„Ihr nehmt also die Körper von Menschen in Besitz, die
ihre Seelen verloren haben?“
„Metaphorisch gesprochen ist das so. Wir werden von
Leuten angezogen, deren Geist von Verzweiflung, Zorn
oder Sucht zerfressen wurde – Sterbliche, die den essenti-
ellen Funken des Menschseins verloren haben, der sie von
allen anderen lebenden Wesen unterscheidet. Sobald wir
so eine Person finden, dringen wir in ihren Körper ein und
drängen ihre wunde Seele hinaus in das Vergessen oder be-
graben sie in den finstersten Winkeln ihres eigenen Geistes,
wo sie sich nicht in unser Treiben einmischen können.“
„Ist das auch mit Jonas geschehen?“
„Es ist möglich, daß seine Sucht seine Seele zerstört hat,
doch momentan kann ich nur Vermutungen anstellen“,
sage ich. „Wenn Jonas sich tatsächlich eine Überdosis ver-
paßt hat, dann ist es sehr wahrscheinlich, daß seine letzte
Handlung aus reiner Maßlosigkeit heraus geschah. In die-
sem Fall wäre es mutwilliger Hedonismus gewesen, hinter
dem nichts gestanden hätte als der Wunsch nach einem
möglichst intensiven Rausch. Möglicherweise hatte er kei-
nerlei Gewissensbisse, seine Sucht zu befriedigen, obwohl
ihm die furchtbaren Folgen für seinen Geist und seinen
Körper bekannt gewesen sein mußten. Von seiner Mensch-
lichkeit blieb nicht mehr genug übrig, um sich gegen Golg-
ohashts Wahnsinn und Haß zur Wehr setzen zu können.“
„Das ist aber eine ziemlich weitreichende Vermutung.
Was für eine andere Möglichkeit gibt es noch?“ fragt Han-
nah.
„Nun, die zweite Möglichkeit wäre, daß Jonas’ Überdosis
ein Selbstmordversuch war.“
„Aber dann hätte sein Leben aus nichts weiter als Sorgen
und Bedauern bestanden“, schlußfolgerte Hannah, „und
Golgohasht könnte vielleicht wieder zu Sinnen gekommen
sein.“
Ich schüttle den Kopf. „Du hast den Tatort nicht gese-
hen. Wenn Golgohasht irgendein Gefühl des Bedauerns
verspürt haben sollte, dann nur das, daß es nicht genügend
Opfer für ihn gab, um seinen Appetit zu stillen.“
„Gibt es noch irgendwelche anderen Möglichkeiten?“
fragt sie.
93

DIE SEELENLOSEN
„Tja“, sage ich. „es gibt immer noch die Möglichkeit
des Hirntods. Jonas zum Beispiel beraubte sich schrittwei-
se seiner intellektuellen Fähigkeiten und zerstörte nach
und nach sein Gehirn mit den schädlichen Dämpfen. Im
Grunde beraubte er sich selbst seines freien Willens und
seines bewußten Denkens. Andere Leute sind eher Opfer
unglücklicher Umstände und werden zu menschlichem
Gemüse, weil sie einen Schlag gegen den Kopf bekommen
oder Schäden an den Nervensträngen in der Wirbelsäule
erlitten haben –“
„ – oder eine Krankheit, die ihr Gehirn ausschaltet, so
wie eine bakterielle Gehirnhautentzündung?“ sagt Hannah.
„Du kannst mir nicht erzählen, daß solche Menschen keine
Seele mehr haben.“
„Es tut mir leid. Die grausame Wahrheit sieht so aus, daß
die Seele zu diesem Zeitpunkt noch immer mit dem Körper
verbunden ist, aber diese Verbindung ist allerdings nur noch
so dünn wie der berühmte seidene Faden. Wenn das Gehirn
schon so sehr angegriffen ist, daß es jemand anderen als sei-
nen ursprünglichen Besitzer braucht, um überleben zu kön-
nen, fahren wir einfach in den Körper ein und durchtrennen
dieses letzte, hauchdünne Halteseil der Seele, ohne daß wir
uns dabei großartig anstrengen müßten.“
„Du machst Witze“, sagt sie bestürzt.
„Denk mal darüber nach“, entgegne ich. „Du bist in ei-
nem Gefängnis aus Fleisch und Blut eingesperrt, das wo-
chenlang einfach nicht sterben will … möglicherweise auch
jahrelang. Die Seele ist bereit, den Körper zu verlassen, und
eigentlich ist sie auch schon so gut wie fort. In so einem Fall
ist eine Inbesitznahme nur noch eine reine Formsache. Es
ist so etwas wie eine Wachablösung.“
Ich sehe, wie sich Hannahs Miene verfinstert, während
sie den Stapel aus Büchern auf ihrem Schreibtisch auf der
Suche nach einer Zigarettenschachtel durchwühlt. Ich fra-
ge mich, ob sie jemanden, der ihr nahestand, durch ein
Koma oder eine Krankheit verloren hat.
„Eine weitere Möglichkeit ist die simple Zersetzung der
menschlichen Identität“, sage ich in dem Versuch, das The-
ma zu wechseln.
„Nenne es das Ego oder den Lebenswillen – Menschen
können durch jahrelangen Streß, schwere emotionale Pro-
bleme oder wie im Fall von Jonas Drogenmißbrauch die
Kontrolle über ihr Leben verlieren.“ Ich tippe mir auf die
Brust. „Schau mich an. Gerhard war gerade mal neunund-
zwanzig, als er sich aufgab, weil sein Idealismus durch die
Korruption und dunklen Machenschaften bei der Polizei
und die Sinnlosigkeit seiner Arbeit zerstört wurde. Er wur-
de zum Alkoholiker und verfiel in eine tiefe Depression.
Am Ende hat ihn das alles so sehr aufgerieben, bis so gut
wie nichts mehr von seiner Seele übrig war. In gewisser
Hinsicht war er nur noch wenig mehr als ein wandelnder
Leichnam, und da draußen gibt es noch eine ganze Menge
Menschen wie ihn.“
DIE WAHNSINNIGEN
„Was ist mit Menschen mit Geisteskrankheiten?“ fragt
Hannah.
94
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Ich nicke. „Psychische Störungen wie zum Beispiel schwere
Fälle von Autismus machen es dem Wirt unmöglich, seinen
freien Willen auszuüben, was ihn verwundbar macht.“
„Aber was ist mit ihren Seelen? Sind die auch ... nur
notdürftig verankert?“
„Ihre Seelen sind nicht unbedingt notdürftig verankert,
sondern es ist eher so, daß sie ihren Willen nicht einsetzen
können, um sich gegen unseren Willen zur Wehr zu setzen.
Was mit ihnen dabei passiert ... ist ehrlich gesagt von Fall
zu Fall unterschiedlich. Einige Seelen werden aus ihrem
Körper gedrängt und ihrem weiteren Schicksal überlassen
– wie immer das auch aussehen mag –, während andere
meiner Vermutung nach nur in die hintersten Windungen
ihres Gehirns verbannt werden, wo sie gegen die Wünsche
und Handlungen des Dämons nichts mehr ausrichten kön-
nen. Um deine Frage zu beantworten: Ja, wir fahren auch
in Geisteskranke ein. Wir finden sie in den Seitenstraßen
von Gropiusstadt, und ihre Arme haben so viele Einstichlö-
cher, daß ihre Venen brüchig geworden sind und sie riesige
Blutergüsse haben. Wir finden sie in den finstersten Ecken
des Invalidenparks oder in den Altersheimen, die manch-
mal noch schlimmer sind als jede Irrenanstalt. Immerhin“,
gestehe ich, „sind wir Dämonen, und das bleiben wir in
den meisten Fällen auch, nachdem wir einen Wirtskörper
gefunden haben.“
„Du hast immer wieder von freiem Willen gesprochen“,
sagt Hannah, und ihre Miene hellt sich in einer plötzlichen
Erkenntnis wieder auf. „Was, wenn Jonas sich freiwillig von
Golgohasht hat übernehmen lassen?“
FREIER WILLE
„Verdammt!“ sage ich. Sie hatte gerade eine Möglichkeit
erwähnt, die ich zuvor nicht ernsthaft in Betracht gezogen
hatte. „Wir haben in Jonas’ Zimmer einige okkulte Bücher
gefunden, aber ich habe das nur für ein Zeichen der übli-
chen Teenagerphantasien gehalten.“
„Was für Bücher waren das genau?“
Ich blättere durch mein Notizbuch. „Laß mal sehen ... da
ist zum einen das Necronomicon ...“
„Müll,“ sagt sie und winkt abfällig ab.
„... Die Goetia ...“
„Enthält ein paar nützliche Dinge, aber die reichen noch
lange nicht aus“, sagt sie.
„... Das Buch der Goldenen Dämmerung ...“
„Vielleicht ist es das.“
„... Geisterbeschwörungen ...“
„Das ist es“, sagt sie.
„Willst du mich verscheißern?“ frage ich. „Ich habe es
durchgeblättert, aber es ist nichts weiter als ein Misch-
masch von Prinzipien aus den Schriften John Dees, der
Kabbala und der Goetia. Sicher sind da auch ein paar echte
Perlen dabei, aber der Text ist einfach zu lückenhaft.“
„Das ist bei vielen Büchern so, doch die meisten Heiden
benutzen heutzutage das Internet, um diese Lücken zu
schließen.“
„Es gibt Leute, die Beschwörungsrituale im Internet po-
sten?“
„Wir reden hier vom Internet. Was denkst du denn?“
sagt Hannah.
KAPITEL VIER
„Aber ich habe keinerlei okkultes Zubehör in seinem
Zimmer gefunden. Keine Kerzen, keinen Altar ...“
„Wenn ich ein Ritual ausführen will, wende ich mich an
einen Zirkel, der mir dabei hilft. Der Altar könnte auch im
Haus von jemand anderem stehen.“
Ich packe Hannah am Handgelenk und ziehe sie hinter
mir her und zur Tür hinaus.
„Ich ging bisher davon aus, daß Jonas nicht schlau genug
war, um Golgohasht zu sich zu rufen“, sage ich, „aber wenn
ihm jemand die richtigen Informationen stückchenweise
vorgekaut hat, dann ist es durchaus möglich, daß Jonas sich
zu einem freiwilligen Wirt gemacht hat. Dann wäre Golg-
ohasht noch viel mächtiger, als ich bisher angenommen
habe. Das ist der Vorteil, wenn sich jemand aus freien Stük-
ken in Besitz nehmen läßt. Es erlaubt einem Dämon, sich
zügiger an die neuen Gegebenheiten anzupassen und sich
schneller an seine Fähigkeiten zu gewöhnen. Der Nachteil
einer solchen freiwilligen Inbesitznahme vom Standpunkt
eines Dämons aus gesehen ist, daß die meisten Sterblichen
so etwas nur gegen bestimmte Entschädigungen oder im
Rahmen eines Pakts zulassen. Wenn Jonas einen Pakt mit
Golgohasht geschlossen hat –“
„Mußt du herausfinden, welche Bedingungen sie ausge-
handelt haben“, beendet Hannah meinen Satz.
„Korrekt“, sage ich, während wir wie wahnsinnig die
Treppen hinunter zum Auto stürzen.
„Und jetzt?“ fragt sie. „Wo soll’s hingehen?“
DIE SPUR DES GLAUBENS
„Als erstes muß ich mich mit Jonas’ Freunden unterhal-
ten.“
„Warum?“ will Hannah wissen.
„Golgohasht sieht die Welt durch die Augen von Jonas.
Der Dämon kann die Bande, die Jonas zu seinen Freunden
geknüpft hat, dazu ausnutzen, den Glauben zu bekommen,
den er zum Überleben braucht. “ Ich werfe Hannah einen
kurzen Seitenblick zu. „Genau so, wie ich dich brauche.“
„Es gibt eine Menge Leute, die an die Existenz von Dä-
monen glauben“, sagt sie.
„Ich rede nicht von der bloßen Annahme, daß etwas
existiert. Ich rede von Glauben. Für uns hat er eine greifba-
re Qualität. Er ist unsichtbar und doch allgegenwärtig, so
wie die Luft, die wir gerade atmen. Er ist die Nahrung für
unsere Seelen. Ohne ihn sind wir machtlos.“
„Glauben ist nicht Wissen“, sagt Hannah.
„Vergiß diesen ganzen philosophischen Schrott. Glaube
ist, wenn man mit geschlossenen Augen in einen Abgrund
springt, weil man weiß, daß jemand da sein wird, um einen
aufzufangen. Es geht darum, an das Unsichtbare zu glau-
ben, einen Teil von sich selbst für eine Idee oder einen
Traum aufzugeben und diesen Traum dadurch wahr werden
zu lassen. In der heutigen Gesellschaft ist es sehr schwer,
solch eine Opferbereitschaft noch zu finden. Und für einen
Dämon ist es besser, diesen Glauben über einen längeren
Zeitraum hinweg zu hegen und zu pflegen, als ihn einer
Person mit Gewalt zu rauben.“
„Aber was hat das mit den Freunden von Jonas zu tun?“
„Golgohasht wird wahrscheinlich den Menschen nach-
stellen, die Jonas gut kennt. Überleg doch mal. Du bist ganz
neu in dieser Welt und deine einzige Verbindung zu ihr ist
das, was dein Wirt über sie weiß. Würdest du dich an Leute
wenden, die dich bereits kennen und dir vertrauen, oder
würdest du lieber versuchen, eine Verbindung zu einem
Wildfremden aufzubauen?“
95

„Das leuchtet mir ein“, gibt Hannah zu. „Mit wem fangen
wir also an?“
Ich reiche ihr mein Handy rüber. „Wähl du. Ich sag dir
die Nummer.“
GLAUBENSERNTE
Hannah und ich gehen durch die weißen Flure der Kin-
derklinik in Neutempelhof, vorbei an offenen Türen und
weinenden Kindern. Michael Hennings Vater wartet vor
der Tür zu dem Zimmer, in dem sein Sohn liegt. Jonas hatte
Michael kurz nach den Morden aufgesucht.
„Wie geht es ihm?“ frage ich und gebe dem besorgten
Vater die Hand.
„Er ist immer noch sehr schwach. Die Ärzte sagen, er
hätte einen leichten Herzinfarkt gehabt.“
„Was ist passiert?“
„Wie ich am Telefon bereits sagte, hat sich Jonas in das
Zimmer meines Sohnes geschlichen und sich mit ihm un-
terhalten.“
„Worüber?“
„Keine Ahnung. Sie waren zu leise. Meine Frau hat die
Polizei angerufen, während ich ins Zimmer stürzte, weil ich
mir Jonas schnappen wollte. Aber dann –“
„Was dann?“
„Michael hatte Krämpfe und Jonas war bereits halb aus
dem Fenster geklettert. Er grinste und blutete aus der Nase.
Ich bin zu Michael hingelaufen ...“
„Ich verstehe. Herr Henning, wir würden gerne alleine
mit Michael sprechen, wenn das geht.“
„Warum?“
„Er redet wahrscheinlich eher, wenn er sich keine Sorgen
zu machen braucht, etwas Falsches zu sagen, solange sein
Vater dabei ist.“
„Michael ist ein guter Junge.“
„Natürlich ist er das. Er steht auch nicht unter Verdacht.
Aber Sie wissen ja, wie Kinder sind.“ Schließlich nickt Herr
Henning. Hannah und ich betreten das Zimmer ohne ihn.
Michael ist ein schwarzhaariger, untersetzter Junge mit-
ten in der Pubertät. Sein Blick ist leer, und die Frequenz, in
der sein Herzmonitor piept, ist niedrig. Die Ärzte haben ge-
sagt, es wäre ein Herzinfarkt gewesen. Ich weiß es besser.
„Golgohasht manifestierte sich vor Michael, und der An-
blick dürfte ziemlich widerlich gewesen sein“, flüstere ich
Hannah zu. „Unsere Qualen sind dafür verantwortlich. Vor
dem Fall waren wir wunderschön, doch die Jahrtausende
des Leidens verzerrten unsere Gesichter zu monströsen
Fratzen. Wenn wir wollen, können wir den Körper unseres
Wirtes in ein Abbild dessen verwandeln, was wir einmal
waren.“
„Was ist dann passiert?“ fragt Hannah.
„Golgohasht ließ die Maske fallen, die Jonas List ist, und
zeigte Michael seine wahre, schreckliche Gestalt. Stell dir
nur einmal vor, wie sich Michael gefühlt haben muß, als er
plötzlich eine Bestie aus dem Höllenschlund unmittelbar
vor sich stehen sah und auf einen Schlag realisierte, daß es
wirklich einen Gott und auch Dämonen gibt. Innerhalb ei-
nes einzigen schrecklichen Augenblicks wurde sein ganzes
Leben zu einer langen Reihe von Sünden und Vergehen. Er
muß furchtbare Angst gehabt haben.“
96
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
„Wenn ihr den Glauben ... einbringt“, fragt Hannah stok-
kend, „tut ihr es dann immer auf diese Weise?“
„Das Einbringen ist nicht immer mit Schmerz und Leid
verbunden ... in Golgohashts Fall befürchte ich allerdings,
daß es wahrscheinlich doch immer so ist. Es kann auch
sanfter ablaufen. Zum Beispiel wenn man sich einem
weinenden Kind zeigt und es wissen läßt, daß seine tote
Mutter jetzt im Himmel ist und sie es sehr lieb hat. Beim
Einbringen dreht sich alles darum, die Menschen an die
Macht des Unsichtbaren glauben zu lassen. Die meisten
Dämonen verlassen sich dabei auf primitive Emotionen wie
Angst oder Schmerz. Andere, so wie ich, setzen lieber auf
Hoffnung und Trost, denn alles, was wir Dämonen tun, hat
auch Einfluß auf unsere eigenen Seelen. Wenn wir Gutes
tun, durchbrechen wir den Teufelskreis aus Schmerz und
Schuld in uns selbst. Wir werden langsam wieder zu den
Engeln, die wir früher einmal waren, anstatt die alten Wege
des Wahnsinns und des Hasses einzuschlagen.
Es tut mir leid für Michael“, sage ich. „Golgohasht hat
ihm so viel Schmerzen und Leid für das kleinste bißchen
Glauben bereitet, das man sich nur vorstellen kann. Den
Glauben der Menschen so einzubringen, ist nur für den
Moment von Vorteil. Er entsteht nicht aus einer Überzeu-
gung heraus, sondern ist nur in Angst oder in Ehrfurcht
begründet. Und diese Gefühle lassen mit der Zeit nach,
weshalb es nur reinste Verschwendung ist. Man kann den
Glauben eines Menschen nicht unbegrenzt oft einbringen,
weil der Mensch nach und nach gegenüber dem Anblick
des Dämons abstumpft. Deswegen ist es auch viel effekti-
ver, den Glauben eines Menschen durch einen Pakt aufzu-
bauen. Man kann das mit einer Geldanlage vergleichen.
Die Zinsen gibt es zwar nicht sofort, aber die Anlage bringt
einem einen konstanten Zustrom an Glauben ein, mit dem
man rechnen kann.“
Hannah denkt kurz über meine Worte nach und schüt-
telt dann den Kopf. „Da gibt es aber ein Problem.“
„Und zwar welches?“
„Wenn Golgohasht wirklich zu Michael gekommen ist,
um sich Glauben zu verschaffen, warum hätte er dann
damit aufhören sollen, nachdem er mit Michael fertig war?
Warum hätte er sich nicht auch noch über Michaels Eltern
hermachen sollen?“ Ihr Blick wandert zu dem schlafenden
Jungen hinüber. „Muß ein Pakt immer auf freiwilliger Basis
eingegangen werden?“
„Ja“, sage ich gedehnt, während ich meine Sklavin mit
einer Mischung aus Respekt und Vorsicht betrachte. „Aber
wie bei jeder anderen Form der Übereinkunft kann man
auch dazu gezwungen werden.“
Ich trete an den Bettrand. „Michael“, flüstere ich dem
Jungen sanft zu. Seine Augenlider flattern leicht. Ich weiß,
daß ich nicht viel aus ihm herausbekommen werde, aber
ich kann mir sicher sein, daß es sich bei ihm nicht um den
einzigen Teenager handelt, der in diese Sache verwickelt
ist. Vielleicht kann er mich zu den anderen führen.
„Michael“, flüstere ich, „wer ist sonst noch einen Pakt
mit Jonas eingegangen?“ Ich lege die Hand auf seine Brust
und versuche, seinen Schmerz und die in ihm hochsteigen-
de Panik zu unterdrücken. Er braucht jetzt keinen echten
Herzinfarkt. Michael starrt mich an, und ich lächle.
KAPITEL VIER
„Ich kann dich aus dem Pakt befreien, Michael“, sage
ich, „aber ich muß Jonas aufhalten, bevor er das hier noch
jemand anderem antun kann. Wer ist sonst noch einen
Pakt mit ihm eingegangen?“
Die Augen des Jungen weiten sich vor Grauen. Dann
flüstert er: „Rickie Metzger.“ Er sagt es mehr zu sich selbst
als zu mir.
PAKTE
Ich hinterlasse meine Handynummer und die Nachricht
für Richard Metzger, daß er mich zurückrufen soll, im Se-
kretariat von Jonas’ Schule.
Wir sitzen in meinem Auto und warten auf Richards An-
ruf. In der Zwischenzeit kläre ich Hannah darüber auf, wie
Pakte funktionieren. Sie muß alles darüber wissen, wenn sie
mir von Hilfe sein soll.
„Einfach gesagt ist ein Pakt nichts weiter als ein Vertrag,
der uns im Austausch gegen den Glauben einer Person zu
einem bestimmten Dienst an dieser Person verpflichtet.“
„Ich habe immer gedacht, sie würden mit Blut auf Per-
gamentrollen geschrieben, die dann mit Wachs versiegelt
werden.“
„Das ist zwar eine drollige, altertümliche Vorstellung,
aber sie ist leider falsch. Bei einem Pakt handelt es sich um
eine mündliche Übereinkunft, die freiwillig zwischen einem
Dämon und einem Sterblichen getroffen wird. Der Dämon
bietet dem Sterblichen einen Dienst an – zum Beispiel die
Erfüllung einer begrenzten Anzahl von Wünschen –, und
im Ausgleich dazu öffnet der Sterbliche eine Art Kanal,
durch den der Dämon an seine spirituelle Kraft gelangt.
Räumliche Entfernung spielt dabei keine Rolle. Der Kanal
bleibt unabhängig von der Distanz zwischen den Vertrags-
partnern bestehen.
Daher sind Pakte so wichtig für uns. Sie bedeuten, daß
eine Person von unserer Macht überzeugt genug ist, um
dazu bereit zu sein, einen Teil ihrer selbst aufzugeben,
um das zu kriegen, wonach es ihnen verlangt. Jemandem
Hoffnung zu bieten ist eigentlich ziemlich einfach. Diese
verdammten Hotlines für psychische Probleme und Wun-
derdiäten sind nur deshalb so beliebt, weil sie den Leuten
genau das bieten, was sie hören wollen – einfache Lösun-
gen, für die man sich nicht sonderlich anstrengen muß.
Die einzige Schwierigkeit besteht darin, die Menschen erst
einmal dazu zu bewegen, sich einem zu öffnen und zuzuge-
ben, daß sie etwas Bestimmtes haben wollen.“
„Das klingt doch nach einer leichten Übung“, sagt Han-
nah.
„Pakte sind deshalb kompliziert, weil man Leute mit
Halbwahrheiten hinters Licht führen muß. Das ist der
eigentliche Trick dabei. Die meisten Dämonen bringen
Sterbliche durch geschickte Täuschungsmanöver dazu, an
sie zu glauben, ohne ihnen dabei gleichzeitig Angst einzu-
jagen oder zu viel über sich selbst zu verraten. Sollte der
Sterbliche irgendwelche Zweifel hegen – vollkommen egal,
wie die aussehen –, so führt dies unweigerlich zum Bruch
des Paktes, solange der Dämon dem Sterblichen noch nicht
seinen Wunsch erfüllt hat. Sobald man aber als Dämon
seinen Teil der Abmachung erfüllt hat, ist der Sterbliche
an einen gebunden.“
„Hast du das auch mit mir gemacht?“
„Nein. Ich habe dich nie angelogen oder die Wahrheit
verschleiert. Beinhaltet unser Pakt denn nicht, daß ich dir
niemals schaden darf?“
Hannah nickt, doch jetzt sehe ich einen Anflug von
Mißtrauen in ihren Augen. Es ist ein kalkuliertes Risiko,
weshalb ich gerne dazu bereit bin, es einzugehen.
„Du hast noch Glück gehabt. Einige Dämonen mani-
festieren sich in aller nur denkbaren Schamlosigkeit, so
daß kein Zweifel mehr daran bestehen kann, um was für
Geschöpfe es sich bei ihnen handelt. Es ist fast so wie bei
Golgohasht und Michael, aber anstatt ihre Opfer zu ängsti-
gen, nutzen diese Dämonen ihre Kräfte, um den fraglichen
Sterblichen ein bißchen unter die Arme zu greifen. Viel-
leicht sorgen sie dafür, daß irgendwelche größeren Schul-
den bei der Bank plötzlich abbezahlt sind, oder sie bringen
den bösartigen Tumor eines Bruders dazu, auf einmal wie-
der zu schrumpfen, oder sie befreien den Sterblichen für
eine gewisse Zeit von irgendeiner Sucht. Und danach war-
ten sie einfach nur ab, bis die Sterblichen von ganz allein
zu ihnen zurückkommen. Drogendealer verfolgen dieselbe
Strategie, um Leute in die Sucht zu treiben. Man gibt ihnen
einen kleinen Vorgeschmack des Glücks und der Hoffnung,
und den Rest erledigen die Opfer dann hübsch selbst. So
nutzen diese Dämonen den freien Willen der Sterblichen
zu ihren eigenen Gunsten.“
„Was ist mit unserem Pakt?“ fragt Hannah.
„Die Art von Pakt, die wir eingegangen sind, muß man
über längere Zeit hinweg vorbereiten, aber auf diese Weise
bauen wir eine echte Vertrauensbasis zwischen uns auf.
Man diskutiert als Dämon seine Absichten mit einem
Sterblichen aus, der Hilfe braucht. Es ist doch so: Obwohl
wir Dämonen unglaublich geschickt darin sind, Menschen
zu manipulieren, finden sie am Ende immer heraus, was wir
vorhaben – genau so, wie ich Golgohashts Beweggründe
auseinandernehme. Die eigene Macht vor jemandem zur
Schau zu stellen und eine Gratiskostprobe davon anzu-
bieten, bedeutet immer zwangsläufig, diese andere Person
zu manipulieren. Die meisten Leute merken erstaunlich
schnell, wenn man versucht, sie über den Tisch zu ziehen.
Und das letzte, was man als Dämon gebrauchen kann, ist,
einen Pakt mit jemandem einzugehen, der er es einem ei-
gentlich nur heimzahlen will.“
FREUNDE UND NÄCHSTE
Wir schrecken beide auf, als mein Handy plötzlich
losklingelt.
„Kommissar Liebner hier.“
„Äh, hallo. Hier ist Rickie“, sagt eine ängstliche Stimme
am anderen Ende der Leitung.
„Hallo Richard. Kannst du reden?“
„Klar, ich rufe mit dem Handy eines Kumpels an.“
„Richard, du brauchst dir keine Sorgen darüber zu ma-
chen, daß ich dich in Schwierigkeiten bringen will“, versi-
chere ich ihm. „Ich möchte dir nur helfen.“
„Okay.“
„Ich brauche dringend Informationen über Golgohasht.“
Das Handy an meinem Ohr bleibt lange still, bis Richard
flüstert: „Woher wissen Sie von ihm?“
97

„Mach Dir keine Sorgen“, sage ich. „Um solche Sachen
kümmere ich mich häufiger.“
„Echt?“ Er klingt verschüchtert.
„Ob du es mir glaubst oder nicht, aber ich helfe am lau-
fenden Band Leuten wie dir.“
„Wie denn?“
„Indem ich Kreaturen wie Golgohasht aufhalte. Das kann
ich aber nicht, solange ich nicht mehr darüber weiß, was
überhaupt passiert ist.“
„Werden die Stimmen dann wieder weggehen?“ fragt er
und kann ein Schluchzen kaum unterdrücken.
„Ich bin mir nicht sicher, Richard, aber ich werde sie
davon abhalten, noch lauter zu werden.“
Die nächsten fünf Minuten ergeht er sich in einer zusam-
menhangslosen Beichte, aber das meiste davon ist ohnehin
genauso, wie ich es schon erwartet hatte. Es von Richard
zu hören, vermittelt mir allerdings eine klarere Vorstellung
von Golgohasht und auch davon, was ich als nächstes zu
tun habe. Ich notiere mir einige Hinweise und Details,
bevor ich das Gespräch beende.
„Scheint so, als hätten Jonas und seine Freunde mit Magie
herumexperimentiert. Richard sagt, sie hätten das Hinter-
grundmaterial dazu auf einer, wie er es nannte, temporären
Domain gefunden – einer geheimen Website mit ständig
wechselnder Adresse. Sie enthielt offenbar Rituale, mit de-
nen man seinen eigenen dämonischen Sklaven beschwören
und an sich binden kann. Offensichtlich besaßen diese Kids
weder die nötige Erfahrung noch das Wissen, um eine echte
Beschwörung durchzuführen, aber das Ritual reichte wohl
auch so aus, um Golgohashts Aufmerksamkeit auf sich zu
lenken. Ich nehme an, er ist einfach so wie der Rest von uns
aus der Hölle entkommen, und noch dazu hat er wohl erst
kürzlich seinen Weg durch den Schleier gefunden. Richard
sagte, daß sie spüren konnten, wie auf einmal irgend etwas
bei ihnen im Zimmer war, und dann bot Jonas dem Dämon
aus einer Laune heraus seinen Körper an.“
„Was ist dann passiert?“ fragt Hannah.
„Richard und seine Freunde rannten weg, doch Jonas
kam später zu jedem einzelnen von ihnen und zwang sie, im
Gegenzug für so unnütze Dinge wie besseres Aussehen oder
mehr Muskeln einen Pakt mit ihm einzugehen. Er mußte
ihnen etwas im Austausch für ihren Glauben bieten, um
den Handel abschließen zu können. Indem er ihnen ihre
Wünsche erfüllte, stellte Golgohasht sicher, daß die Kin-
der so lange mit ihm verbunden bleiben, bis er sich anders
entscheidet. Seitdem zapft er ihren Glauben an und quält
sie, indem er ihnen allen Mut raubt und ihnen Stigmata
zufügt – das, was ich lieber Paktwunden nenne.“
„Ihr könnt uns auf diese Weise verletzen?“ fragt Hannah.
Ich kann die Furcht in ihren Augen sehen.
„Ich habe versprochen, dir nicht zu schaden. Erinnerst
du dich? Hätte ich das nicht getan, könnte ich dir genü-
gend von deinem Glauben nehmen, um zunächst deinen
Willen zu brechen und dann damit beginnen zu können,
weiteren Glauben auf Kosten deiner körperlichen und gei-
stigen Gesundheit zu rauben.“
„Aber ich bin davor sicher?“
„Bei meinem Namen“, sage ich und lege meine Hand
sanft auf ihre. „Doch Golgohasht kennt solche Skrupel
98
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
nicht.“ Ich lasse den Wagen an und biege in die Gneisen-
austraße ab. „Er wird ihnen kontinuierlich so viel Glau-
ben rauben, daß er ihren Willen schwach hält, und damit
schädigt er gleichzeitig ihren Verstand. Richard hört schon
Stimmen, weil Golgohasht seinen Willen bereits einmal
stark geschwächt hat.“
„Was? Wie ist so etwas möglich?“
„Den Willen eines Sklaven zu schwächen, ist eine aus-
gezeichnete Methode, um ihn in den Wahnsinn zu treiben
und seinen gesamten Vorrat an Überzeugung aufzubrau-
chen. Sollte Golgohasht nicht damit aufhören, wird er aus
den Kindern die reinsten Zombies machen, die ihm nicht
einmal genügend Glauben liefern könnten, um damit einen
Kerzendocht zu entzünden. Das ist auch der Grund dafür,
warum die meisten von uns Pakte eingehen und uns sorg-
sam um unsere Sklaven kümmern. Das bedeutet zwar einen
beachtlichen Aufwand an Zeit und Energie, doch dafür
zahlt es sich auch nach einer Weile bestimmt aus.“
„Können sich diese Kinder denn nicht gegen Golgohasht
wehren?“
„Natürlich können sie das. Ein Sklave kann einen Dämon
jederzeit betrügen und dessen Geheimnisse preisgeben, so-
fern er welche kennt. Tatsächlich liefert jedes noch so kleine
Geheimnis, das über unsere Lippen kommt, wichtige Hin-
weise auf unsere potentiellen Schwächen. Deshalb sind die
meisten Gefallenen auch besonders vorsichtig und überlegen
sich genau, wem sie sich anvertrauen. Es muß jemand sein,
bei dem sie sich sicher sein können, daß er sich später nicht
gegen sie wenden wird. Leuten einen Pakt aufzuzwingen, um
sie anschließend mißbrauchen zu können, macht uns auf
lange Sicht nur angreifbar. Wir müssen subtil vorgehen.“
„Verfolgt Golgohasht vielleicht noch ein anderes Ziel?“
fragt Hannah.
„Beinahe jeder Dämon versucht zuerst, den Freundes-
kreis und die Familie des Wirtskörpers in seinen Bann zu
ziehen. Sie sind die Menschen, die wir am besten kennen
und die uns am meisten vertrauen. Außerdem neigen die
Menschen dazu, sich Zeit ihres Lebens andere Menschen
zu suchen, die ihre Überzeugungen und ihre Interessen tei-
len. Die Chancen stehen immer gut, daß das, wonach sich
unser sterblicher Wirt gesehnt hat, auch genau das ist, wo-
nach sich seine Freunde sehen. Ein Bodybuilder, der einen
perfekt austrainierten Körper will, hat höchstwahrschein-
lich einige Freunde in seinem Fitneßstudio, die er jeden Tag
sieht. Ein Spieler, der auf den Riesengewinn hofft, kennt
alle örtlichen Spielhallen und Kasinos. Ein Pädophiler, der
Kindern auflauert, wird sich wahrscheinlich über das In-
ternet mit Gleichgesinnten austauschen. Alle Menschen
haben jemanden, dem sie ihre Erlebnisse und Geschichten
erzählen, denn sie alle wollen Freunde haben, die mit ihren
eigenen Interessen auch etwas anfangen können. Und für
uns Dämonen ist es sehr leicht, uns diesem Jemand zu nä-
hern und Hinweise auf den plötzlichen persönlichen Erfolg
des Wirts zu streuen, um dessen beste Freunde anzulocken.
Wenn du urplötzlich im Fitneßcenter das doppelte Gewicht
stemmen kannst, werden die Leute dich bestimmt fragen,
wie du das geschafft hast. Wenn du bei den Buchmachern
der Stadt auf einen Schlag gewaltig absahnst, werden die
Leute das Geheimnis deines Erfolges wissen wollen.“
KAPITEL VIER
„Sind wir wirklich so leicht um den Finger zu wickeln?“
Ich zucke die Achseln. „Die Menschen suchen immer
den Weg des geringsten Widerstandes. Denk mal darüber
nach. Irgend jemand nimmt 50 Kilo ab. Jeder wird fragen,
wie er das fertiggebracht hat. Die Leute sind nicht dumm
– sie wissen, daß er eine Diät gemacht haben muß –, doch
was sie eigentlich aus seinem Mund gerne hören würden,
ist: ‚Es war die einfachste Sache der Welt! Es ist ein völ-
lig neuer Diätplan, der Kalorien verbrennt, während man
fernsieht und Kekse ißt.’ Das ist es, was die Menschen
wollen, und das ist es, was wir ihnen bieten.“
„Ich schätze, daß der Trick darin besteht, die Leute dazu
zu bringen, euch zu glauben, was ihr ihnen sagt.“
„Exakt! Und an dieser Stelle kommt die Subtilität ins
Spiel. Die meisten Dämonen scheitern kläglich bei ihren
ersten Versuchen, einen Pakt zu schließen, denn sie glau-
ben, sie bräuchten einfach nur ihr wahres Ich zu offenba-
ren, um jeden Zweifel an ihrer überirdischen Natur auszu-
räumen. Normalerweise ist es jedoch allerdings so, daß der
Sterbliche mit dem, was er sieht, nicht umgehen kann. Er
läuft weg und schustert sich später eine rationale Erklärung
für den Vorfall zusammen.“
„Wie macht man es denn dann?“
„In kleinen Schritten“, sage ich. „Man überlegt sich erst
einmal, was der Sterbliche braucht, und je mehr man den
Anschein erwecken kann, man würde die Antwort auf all
seine Probleme kennen, desto eher kommt er zu einem,
um einen um Hilfe zu bitten. An diesem Punkt – wenn
der Sterbliche sie um Hilfe bittet – zeigen viele Dämonen
ihr wahres Antlitz, doch selbst dann ist das immer noch
recht riskant. Nur weil dir jemand eine Frage stellt, heißt
das noch lange nicht, daß er auch wirklich auf die Antwort
vorbereitet ist. Einige Dämonen inszenieren ein Ereignis,
bei dem sie ihre Macht indirekt offenbaren können. Sie
tun dann so, als wüßten sie nicht, daß sie beim Einsatz ihrer
Kräfte beobachtet werden. Das gaukelt dem Sterblichen
vor, etwas zu wissen, was der Dämon nicht weiß, und das
wiederum verleiht ihm ein falsches Gefühl von Sicherheit,
wenn er dann aus eigenem Antrieb an den Gefallenen
herantritt.“
„Hast du mich auch auf diese Weise rumgekriegt?“
„Nein. Ein paar Gefallene, zu denen auch ich gehöre,
sind an solchen Psychospielchen nicht interessiert. Ich per-
sönlich lasse lieber Taten als Worte sprechen, und ich tue
wirklich mein Bestes, den Sterblichen, die auf mich zukom-
men, einen guten Rat zu geben und ihnen dabei zu helfen,
selbst auf eine Idee zu kommen, wie sie ihr Problem ohne
mich lösen können, sofern das möglich ist. Wenn nicht,
treffen wir eine gemeinsame Absprache, von der beide Sei-
ten profitieren können. Für mich bedeutet das zwar einen
größeren Aufwand, doch ich halte das für besser, als mich
in den niedersten Formen der Manipulation zu ergehen.
Letzten Endes bringt es mir genauso viel von dem ein, was
ich brauche.“
GESICHTER IN DER MENGE
„Also bin ich eher eine Ausnahme?“ fragt Hannah. „Ha-
ben es die meisten Dämonen eher auf Freunde und Famili-
enangehörige abgesehen?“
„Auch in diesem Fall bestimmen unsere sterblichen Wir-
te durch ihre alten Gewohnheiten, ihre Hobbys und ihren
Beruf, wem wir in unserem Leben so begegnen. Der Groß-
teil der Gefallenen hält sich so weit wie möglich an die frü-
heren Alltagsabläufe der Wirte, weil sie uns vertraut sind
und uns Halt geben. Außerdem knüpfen wir so Kontakte
in der Welt der Sterblichen, die über Freunde und Familie
hinausgehen. Als Kripobeamter kenne ich zum Beispiel
Polizisten in mehreren Revieren, ich habe einige Kontakte
auf der Straße und ich vernehme fast täglich Verdächtige
und Zeugen. Durch dieses Netzwerk bekomme ich sehr viel
darüber mit, wer was von wem und warum braucht. Ich
kann mir die Zeit nehmen, um Nachforschungen über eine
bestimmte Person anzustellen und alles über sie herauszu-
finden, was ich wissen muß, bevor ich an sie herantrete.
Es ist folgendermaßen: Jeder Beruf bringt uns in Kontakt
mit Menschen und verleiht uns außerdem auch ein klein
wenig Kontrolle, doch die besten Rollen, die wir Dämonen
abkriegen können, sind die, in denen Leute von sich aus
zu uns kommen, weil sie Hilfe brauchen. Dabei kann es
sich um einen Banker handeln, der Zugang zu Finanzdaten
hat, oder um einen Barkeeper, der sich die Probleme der
Leute anhört, oder um einen Fabrikarbeiter, dessen einzige
Abwechslung am Förderband darin besteht, dem Plausch
seiner Kollegen zu lauschen. Es kann sich auch um illegale
Geschäfte handeln wie etwa bei einem Drogendealer, der
die hiesigen Junkies kennt, oder bei einer Prostituierten
mit einer Liste ihrer perverseren Kunden, oder bei einem
Buchhalter in einem illegalen Wettbüro, oder bei einem
Skinhead … ganz egal. Das ganze Leben dreht sich nur um
Kontakte und darum, neue Leute kennenzulernen. Wir
Gefallenen profitieren von diesen Kontakten und brauchen
uns nur noch zu überlegen, wer von den Menschen ums
uns herum den sehnlichsten Herzenswunsch hat. Danach
lautet die Frage nur noch, wie wir diesen Menschen davon
überzeugen können, daß wir ihm etwas anzubieten haben.
Manche Dämonen arbeiten sogar auf ehrenamtlicher Ba-
sis, weil sie so mit Menschen in Kontakt kommen können,
die wirklich dringend Hilfe brauchen. Suppenküchen und
verschiedene Sorgentelefone – für Selbstmordgefährdete,
Straßenkinder, mißbrauchte Ehefrauen, Vergewaltigungs-
opfer, Drogenabhängige – versorgen uns scharenweise mit
hilfsbedürftigen Personen. Und in den meisten Fällen sind
diese Leute so verzweifelt auf der Suche nach Hilfe oder
Gesellschaft, daß sie sie von jedem dankbar annehmen,
der auf sie zukommt. Es ist äußerst leicht, diesen Menschen
Hoffnung zu schenken – vor allem deshalb, weil es so offen-
sichtlich ist, was sie sich erhoffen und was sie brauchen.“
DIE KLEINEN SPIELZEUGE DES GLAUBENS
„Was gewinnst du bei dieser ganzen Sache?“ fragt Hannah.
„Macht“, erwidere ich nur. „Glaube kann Berge verset-
zen, wenn man weiß, was man damit anstellen muß. Ich
weiß alles über Wunder, und du, meine liebe Hannah, gibst
mir die Kraft, sie zu wirken.“
„Als da wären?“ fragt sie mit einem breiten, neugierigen
Grinsen.
„Nun, zum Beispiel die Fähigkeit zu heilen“, sage ich und
zähle einige unserer Fähigkeiten an den Fingern ab. „Wenn
99

ich genügend Glauben angesammelt habe, kann ich nahezu
jede Wunde wieder schließen, die ich erlitten habe. Und
auch wenn ich wie jeder gewöhnliche Sterbliche essen und
schlafen muß, so leide ich doch nie unter Krankheiten.
Mein Körper altert auch nicht mehr, oder zumindest kann
ich ihn bis zu seinem natürlichen Ende stark und gesund
erhalten.
Und dann gibt es da noch körperliche Verbesserungen“,
fahre ich fort. „Um Jonas’ Eltern zu töten, hat Golgohasht
die Leistungsfähigkeit seines Wirtskörpers vermutlich bis
auf ein übermenschliches Maß gesteigert. Seine überirdi-
schen Fähigkeiten sind allesamt Reflektionen seines dä-
monischen Selbst. Er setzte den Glauben ein, um für einige
Minuten sein wahres Antlitz zu manifestieren, indem er
Teile von sich über seinen sterblichen Körper ‚legte’. Der
menschliche Körper läßt das ohne größere Schwierigkeiten
mit sich machen, weil Fleisch sowieso schon hervorragend
dazu geeignet ist, als Gefäß für den Glauben zu dienen. Das
ist der Grund dafür, warum Sterbliche sich unter Hypnose
Operationen unterziehen können, barfuß über glühende
Kohlen laufen oder Stigmata tragen. Der Körper ist wie ein
formbares Medium für den Glauben. Für einen Dämon ist
es daher keine große Anstrengung, den nächsten logischen
Schritt zu tun, und sich selbst körperlich zu verändern – so
wie es auch Golgohasht getan hat. Die Leichen von Jonas’
Eltern wiesen Verletzungen auf, die ihnen mit Klauen zuge-
fügt worden waren, und der Dämon muß eine enorme Kraft
aufgewendet haben, um einige der schlimmeren Wunden
reißen zu können. Ich nehme außerdem an, daß er mit
übermenschlicher Geschwindigkeit vom Tatort floh.“
„Was gibt es noch?“ fragt Hannah.
„Übernatürliche Anziehungskraft – zuzulassen, daß unser
himmlisches Wesen zu Tage tritt. Es ist ein Abbild unserer
wahren Form und der Ungnade, in die wir bei Gott gefallen
sind. Golgohasht setzte sie bei Michael und Richard ein,
doch das wäre gar nicht nötig gewesen. Golgohasht hätte
gar nicht vor Ort sein müssen, um sich ihren Glauben zu
nehmen – der Pakt ist stark genug, daß er es von überall
auf der Welt aus hätte tun können, von wo immer er woll-
te. Ich denke, er genießt einfach nur den Anblick, wenn
Menschen aufgrund seiner Macht vor ihm kuschen. Warte
hier.“
„Warum?“ fragt Hannah und merkt erst dann, daß wir
vor einem Striplokal angehalten haben. „Vergiß es. Ich will
es gar nicht wissen.“
VON GOTTES GNADEN
Ingrid Deitz ist eine Lammasu, und es gefällt ihr offen-
sichtlich, meine Konzentration während unserer kleinen
Unterhaltung zu stören.
„Geht es ums Geschäftliche oder bist du nur rein zum
Vergnügen hier?“ fragt sie und setzt sich rittlings auf mei-
nen Schoß.
„Golgohasht ist hier. Er hat einen Körper.“
„Und was geht mich das an?“ sagt sie und drückt mir ihre
milchweißen Brüste ins Gesicht.
„Ich brauche deine Hilfe, um ihn zu finden.“
„Du bist hier der Bulle, Ahrimal“, schnurrt sie mich an
und fährt mir mit den Händen über die Brust. „Diese Art
100
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
von Arbeit fällt nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.“
„Schon klar“, sage ich und schlage ihre Hand beiseite, als
sie versucht, den Knoten meiner Krawatte zu lösen. „Ich
habe Informationen, mit denen ich handeln will.“
Sie hört auf, die Hüften über meinem Schoß kreisen zu
lassen, und schaut mir tief in die Augen. Ihre sterbliche Seite
sagt ihr, daß sie nie einem Bullen trauen sollte, der ihr ein
Angebot unterbreitet, und ihre sterbliche Seite hat recht.
„Was für Informationen?“ will sie wissen.
„Die Polizei wird hier demnächst eine Drogenrazzia ab-
ziehen. Es könnte bereits morgen soweit sein, oder auch
erst nächste Woche. Willst du mehr Details hören?“
Ingrid steht mit einem ärgerlichen Schnauben auf und
setzt sich neben mich. „Scheiße. Mach’s kurz“, sagt sie und
kommt urplötzlich zur Sache. „Was willst du wissen?“
DIE URSPRÜNGE DER QUAL
„Während des Krieges hast du in derselben Legion ge-
dient wie Golgohasht. Was hat ihn durchdrehen lassen?“
frage ich.
Es ist eine ziemlich einfache Frage. Als der Krieg begann,
waren wir alle idealistisch und fest dazu entschlossen, Gott
von der Rechtschaffenheit unserer Sache zu überzeugen.
Doch wir bekamen Ihn tausend Jahre lang nicht ein einzi-
ges Mal zu Gesicht. Wir kämpften gegen die Himmlischen
Heerscharen, unsere früheren Brüder und Schwestern, und
mit jedem Schlag, den wir austeilten, und jedesmal wenn
die Erde erbebte oder der Himmel mit Feuer überzogen
wurde, fühlten wir den Schmerz darüber, daß Er uns keiner-
lei Beachtung schenkte, tief in unserer Seele. Ich kann bis
heute nicht zur zernarbten Oberfläche des Mondes hoch-
schauen, ohne daß ein Gefühl der Leere in mir aufkommt.
„Durchdrehen?“ sagt Ingrid und lacht trocken auf. „Wer
behauptet denn, daß er durchgedreht ist?“
Wir verstanden nicht, warum Gott und die Engel, die
Ihm noch treu ergeben waren, weiter gegen uns kämpften.
Sie mußten doch erkennen, daß wir im Recht waren. Sie
konnten doch nicht so blind sein. Verwirrung und Furcht
wurden zu Enttäuschung und Zorn. Je heftiger sich die
andere Seite zur Wehr setzte, desto entschlossener wurden
wir, ihnen zu beweisen, wie sehr sie sich in uns irrten. Das
war unsere erste Begegnung mit Gefühlen, die Gott nie-
mals für uns vorgesehen hatte. Die wachsende Wut und
die immer größer werdende Feindseligkeit wirkten sich
auch körperlich auf uns aus, weil wir nicht dafür bestimmt
waren, mit ihnen umgehen zu können. Sie waren wie ein
Geschwür in unserer Brust, ein bösartiger Tumor, der wuchs
und wuchs.
„Und was ist mit den Engeln, die er verschlungen hat
...?“
Die wachsende Feindseligkeit ängstigte uns, doch sie fiel
uns auch immer leichter. Das Kriegsglück hatte uns verlas-
sen, und wir stumpften immer mehr ab und wurden immer
verbitterter. Nach einer Weile blieb uns nur noch unser
Zorn, von dem wir zehren konnten. Und so erlaubten wir
es dem Tumor in uns, noch weiter zu wachsen.
„Golgohasht war schon immer gut im Befolgen von Be-
fehlen gewesen, Ahrimal. Ganz gleich, wie hoch der Preis
dafür auch war, er führte jeden Befehl aus.“
KAPITEL VIER
„Jemand hat ihm befohlen, die Seelen seiner Mitengel zu
verschlingen?“
„Wir gerieten auf die Verliererstraße“, sagt Ingrid. „Un-
sere Verbitterung und unser Zorn brachten die Sterblichen
dazu, sich von uns abzuwenden, und wir verloren ihren
kostbaren Glauben. Also stürzten sich einige von uns förm-
lich auf die Idee, die Macht unserer Feinde zu rauben,
indem sie sich deren Seelen einverleibten.“
Schon vor unserer Verdammung in den Abgrund waren
unsere Seelen befleckt, und unsere Verzweiflung machte
alles nur noch schlimmer. Als Gott uns in diese schwarze
Kluft hinabschleuderte, hatten wir den Krieg und das Ver-
trauen der Sterblichen, die wir hatten beschützen wollen,
verloren. Wut und Angst wucherten ins Uferlose, und das
galt auch für unsere Schuldzuweisungen. Ohne Luzifer ga-
ben wir alles und jedem die Schuld für unseren Niedergang.
Dieses kleine Saatkorn des Hasses – unsere ganz persönli-
che Pein – erblühte wie halbvertrocknetes Unkraut und
nährte unsere Paranoia und unser Mißtrauen. Es führte
dazu, daß wir vergaßen, wer wir waren und warum wir im
Höllenschlund eingesperrt worden waren.
DIE RÄNKE DER SEELE
„Scheiße“, fluche ich. „Das bedeutet, daß Golgohasht
noch immer Befehle entgegennimmt. Wem dient er?“
„Oh nein“, sagt Ingrid lächelnd. „Du hast deinen Kre-
dit bei mir aufgebraucht, Ahrimal. Wenn du mehr wissen
willst, wird dich das etwas kosten.“
Als wir aus dem Abgrund flohen und in dieser Welt an-
kamen, war unser Zorn eine Million Mal größer als an dem
Tag, an dem Gott uns eingekerkert hatte. Die meisten von
uns dachten, wir würden hierherkommen und schrecklich
unter den Menschen wüten, um sie dafür zu bestrafen, daß
sie uns vergessen hatten, und bei der Gelegenheit auch
noch eben schnell Gottes grüne Erde das Klo hinunterspü-
len. Wir konnten nicht wissen, daß unsere sterblichen Wir-
te wie Dämme für unseren aufgestauten Zorn sein konnten.
Wenn wir Glück hatten – so wie Ingrid und ich –, dann
besaßen unsere Wirte Qualitäten wie Mitleid, Mut und
Selbstlosigkeit, und diese Charaktereigenschaften ließen
uns innehalten. Wir hielten uns zurück und dachten dar-
über nach, woher wir gekommen waren und was wir bisher
in unserer Existenz getan hatten.
„Paß auf, Ingrid“, sage ich, „dafür schulde ich dir was.“
„Du schuldest mir was? Ist das alles, was du mir zu bieten
hast? Wenn ja: Da ist die Tür.“
Was meinen Fall angeht, so wollte Gerhard als Polizist ein
Stück weit die Welt verändern, doch am Ende kriegte ihn
die Welt doch klein. Bei anderen Gefallenen sind es ver-
lorene Liebe, nie ereichte Ziele, aufgegebene Hoffnungen
oder einfach nur ein unverdienterweise viel zu früh beende-
tes Leben, die Mitleid in ihnen erwecken. Ich bin mir nicht
sicher, warum das so ist, aber diese Erinnerungen zwingen
uns dazu, einen Augenblick lang an etwas anderes außer
nur an uns selbst zu denken, und das reicht schon aus, um
uns aus unseren Wahnvorstellungen zu reißen.
„Also gut“, sage ich. „Ich kann deine Probleme mit der
Polizei aus der Welt schaffen, wenn das, was du mir zu sagen
hast, die Mühe wert ist.“
„Oh, das ist ganz bestimmt die Mühe wert“, meint sie.
„Hast du schon mal etwas von einem Schneeballsystem
gehört?“
101

Diese Art der Errettung klappt nicht bei jedem von uns,
doch ich bin dankbar, daß sie bei mir geklappt hat. Dank
der Tatsache, daß Gerhards Erinnerungen wie ein Sieb für
mich arbeiteten, gelang es mir, meinen Zorn zu unterdrük-
ken. Das ist gut so, denn der Zorn eines Dämons macht
sich dadurch Luft, daß der Dämon anderen Wesen Scha-
den zufügt. Tatsächlich ist es sogar so, daß man als Dämon
andere um so mehr verletzen oder bestrafen will, je mehr
Qualen man in sich aufgestaut hat. Je weniger Qualen in
einem aufgestaut sind, desto wahrscheinlicher ist es, daß
man anderen helfen und einen positiven Einfluß auf sie
ausüben will. Bedauerlicherweise ist es bei weitem einfa-
cher, anderen Wesen Schaden und Leid zuzufügen, als in
ihnen Hoffnung und Zuversicht zu wecken.
„Was hat das mit Golgohasht zu tun?“
„Nun, ich gebe zu, es ist nicht ganz dasselbe, wie einen
Kettenbrief zu verschicken“, sagt sie, „aber da gibt es eine
Gruppe von Verheerern, die sich eine Art Schneeballsy-
stem ausgedacht hat, und Golgohasht arbeitet für sie.“
Unsere Qual beeinflußt uns in unterschiedlichster Wei-
se von unserem Aussehen bis hin zu unserem Verhalten.
Leid erzeugt nur weiteres Leid, denn je größer die Qual
in uns ist, desto deutlicher wird sie in unseren Anrufun-
gen und Pakten widergespiegelt. Unsere Pakte sprechen
eher die dunkle oder negative Seite im Menschen an. Sie
befriedigen hauptsächlich lasterhafte oder rein materielle
Wünsche, was aus unseren Sklaven bösartige Zerrbilder
ihrer selbst macht. Das Verderben fördert stets mit Vorliebe
moralische Irrungen und Entartungen, und viele Pakte,
die von von ihren Qualen zerfressenen Dämonen stam-
men, folgen diesem Prinzip. Auch unsere Kräfte können
nur schaden – nicht, weil wir es so wollen, sondern weil
dies nun einmal die Natur unserer Kräfte ist: die Stärke,
um Leute zu verletzen, das Wissen, um jemanden in den
Wahnsinn zu treiben, das Zufügen von Leid, anstatt zu
heilen oder Vergnügen zu bereiten, und unseren Opfern
Angst einjagen, anstatt Hoffnung in ihnen zu wecken. Was
noch viel offensichtlicher ist, ist unser verzerrtes, dämoni-
sches Erscheinungsbild, denn wir sehen so aus, wie wir uns
fühlen. Unser Äußeres ist ein Abbild unserer Verbitterung
und unserer Ablehnung. Wir sind wie Verkörperungen sen-
gender Hitze und klirrender Kälte. Mehr noch: Wir sind
wie Spiegelbilder all dessen, was wir in den vergangenen
Jahrtausenden gefühlt und gesehen haben – Tausende von
Jahren des Elends und der Brutalität, die eine schreckliche
Gestalt angenommen haben.
„Was machen sie denn genau?“ frage ich und weiß bereits,
daß es nichts Gutes sein wird.
„Wenn man mal einen Augenblick darüber nachdenkt,
stellt man fest, daß ihr Plan erstaunlich simpel ist. Ein
Verheerer kommt auf die Erde und fängt an, Sterbliche
in selbstzerstörerische Pakte zu binden. Er laugt sie ohne
Gnade aus, bis sie so verdreht und verdorben sind –“
„Ach du Scheiße.“
„ – daß sie zu erstklassigen Wirtskörpern für die nächste
Welle von Verheerern werden, die sich dann ihrerseits dar-
anmachen, eigene Pakte einzugehen.“
„Ich bin das Ganze vollkommen falsch angegangen. Lu-
zifer steh uns bei. Ich muß gehen, Ingrid.“
102
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
„Warte.“ Ingrid zieht mich zu sich und flüstert mir etwas
ins Ohr. Sie wispert zwei uralte Silben, die mir den Atem
verschlagen. „Jetzt schuldest du mir was“, sagt sie, und ich
weiß, daß es lange dauern wird, bis ich nicht mehr bei ihr
in der Kreide stehen werde.
Hoffnung verändert alles. Wenn ein Dämon aus dem
Teufelskreis des Zorns und des Hasses ausbrechen und an-
deren Leuten irgendwie beistehen kann, dann überträgt
sich diese Hoffnung auch auf seine Handlungen und sein
Erscheinungsbild. Natürlich ist das nicht so leicht, wie es
sich vielleicht anhört, doch jedes bißchen Gutes, das wir
tun, gibt uns den Antrieb für die nächste gute Tat und
macht es uns um einiges leichter, weiteren Menschen zu
helfen. Bald darauf beginnen dann auch unsere Kräfte,
unseren veränderten Zustand widerzuspiegeln, und sie be-
wirken mehr Gutes, als daß sie Schaden anrichten. Wir
können jemanden berühren und heilen, denn wir müssen
nicht länger neues Leid erzeugen, damit wir uns besser
fühlen. Dann können wir Hoffnung schenken, anstatt Pein
zu bereiten, weil wir jetzt den Unterschied zwischen diesen
beiden Empfindungen kennen. Selbst unsere Seele gewinnt
etwas von ihrer früheren Herrlichkeit zurück. Die schreck-
lichen Entstellungen und Unvollkommenheiten verschwin-
den langsam und wir können wieder Spuren unseres alten
Ichs sehen, das wir vor Jahrtausenden vergessen haben.
Es ist ein befremdliches Gefühl – als würde man Bilder
von sich sehen, auf denen man hundert Kilo leichter und
viel glücklicher ist. Alles, was man tut und was man ist,
wird von diesem Gefühl des Wohlbefindens getragen. Der
Zorn ist zwar noch immer da und wartet darauf, daß man
ihn durch grausame und gewalttätige Handlungen wieder
losbrechen läßt, aber er ist nicht mehr der einzige Begleiter,
den man in seinem Dasein hat.
DIE TÜCKEN DES TIERS
„Er versucht also, diese Kids in den Wahnsinn zu treiben,
damit seine Freunde aus der Hölle in ihre Körper einfahren
können?“ fragt Hannah.
Ich nicke. „Es sei denn, ich kann ihn aufhalten.“
EXORZISMUS
„Und jetzt? Müssen wir einen Priester suchen und Golg-
ohasht austreiben lassen?“ fragt sie.
Zuerst glaube ich noch, sie würde nur einen Scherz ma-
chen, aber dann bemerke ich ihren Gesichtsausdruck. „Es
ist nicht so wie im Film, Hannah“, sage ich. „Einfach nur ein
paar Gebete aufzusagen und mit einer Bibel vor seinem Ge-
sicht herumzufuchteln, ist nicht einmal annähernd genug.
Um ehrlich zu sein, braucht man nicht unbedingt einen
Diener Gottes, um einen Dämon loszuwerden. Wenn es
einem gelingt, den Dämon an einem Ort festzuhalten und
ihn mit Willenskraft und Glauben zu bezwingen, kann man
ihn auch so austreiben. Was übrigens um einiges schwerer
ist, als es sich anhört.“
„Wie ist es mit heiligem Boden“, fragt Hannah weiter,
„oder Weihwasser, das man ihm ins Gesicht schüttet?“
„Die Macht von Erde und Wasser hängt davon ab, wie
groß der Glaube ist, den die Menschen in sie setzen. Wie
viele Menschen gehen denn heute noch in die Kirche und
KAPITEL VIER
verschreiben sich wirklich ganz dem Dienst an Gott? Vor
tausend Jahren hätte ich das gleiche gesagt wie du, doch
heutzutage ist es traurigerweise unheimlich schwer gewor-
den, echten heiligen Boden oder echtes Weihwasser zu
finden. Nein,“ sage ich, „Lösungen, wie sie in Horrorfilmen
vorkommen, werden uns bei Golgohasht nicht weiterhel-
fen. Ich habe da schon einen Plan im Hinterkopf, und wie
du bereits richtig erkannt hast, wirst du mein Netz und
mein doppelter Boden dabei sein.“
Ich reiche ihr ein Blatt Papier mit einem Diagramm und
einigen sorgfältig und sauber geschriebenen Zeilen Text
darauf.
„Ich weiß, daß du so normalerweise keine Beschwörun-
gen durchführst“, entschuldige ich mich, „aber das ist der
einzig sichere Weg, um mich wieder aus dem Höllenschlund
heraufzubeschwören, falls Golgohasht mich töten sollte.
Ich mußte dafür sorgen, daß du erst verstehst, wer und was
ich bin, bevor ich dir dieses Ritual geben konnte. Auf diese
Weise hast du nämlich eine bessere Chance, mich zurück
in diese Welt zu rufen.“
Hannah lächelt traurig. „Ich verstehe. Okay, wie funk-
tioniert es?“
BESCHWÖRUNG
Ich gehe ein gewisses Risiko ein, wenn ich Hannah ver-
traue, doch ich glaube daran, daß sie mich zurückholen
wird. Das Beschwörungsritual ist ausreichend detailliert
beschrieben, um meine Rettung zu garantieren. Es enthält
zudem genügend Fehlinformationen, um zu verhindern,
daß sie mich an sich binden und zu ihrem Sklaven machen
kann. Ich bin mir ziemlich sicher, daß Hannah mich nicht
betrügen würde, aber ich kann niemandem so sehr vertrau-
en, daß ich ihm unsere größte Schwäche verrate.
„Das Beschwörungsritual“, sage ich, „ist ein typischer
Zauberspruch, wie es sie dort draußen in der Welt zu Tau-
senden gibt. Jeder wendet seine eigenen Methoden an
–angefangen von euch Wiccas, die ihr die Geister einla-
det, über die Heiden, die Die Goetia verwenden, bis hin
zu den kabbalistischen Numerologen und den Pferden
der Loa … es geht dabei nicht um Wahrheit. Wahrheit
ist dabei sogar richtig scheißegal. Was bei einem Ritual
wirklich zählt, sind die Entschlossenheit und der Wille
des Beschwörers.
Alles im Universum besitzt eine harmonische Schwin-
gung, also eine Art Schlüsselvibration, auf die es reagiert.
Hast du mal die Bilder von dieser Hängebrücke gesehen,
die vom Wind ins Schwanken gebracht wird? Die Brücke
mag zwar aus Stahl gebaut sein, aber wenn der Wind die
richtige Schwingung trifft, verhält sich die ganze Brücke
so, als wäre sie aus Gummi. Dasselbe Prinzip gilt auch für
Beschwörungen.“
„Wie funktioniert das?“ fragt Hannah.
„Das Ritual selbst ist so etwas wie eine Fokussierungs-
linse, die man auf ein spezifisches Individuum oder eine
Gruppe von Individuen richtet. Kräuter zu verbrennen,
einen Kreis auf den Boden zu zeichnen, lauter Gesang …
all dies hilft dem Anwender eines Rituals dabei, mittels
seines Willens nach dem heraufzubeschwörenden Dämon
zu greifen und ihn zu sich zu holen. Außerdem sorgt es für
eine Sicherheitszone, in der sich der Dämon manifestieren
kann.“
„Eine Sicherheitszone?“
„Sie ist äußerst wichtig. Die Gefallenen sind an den Ab-
grund gebunden, was sich dadurch äußert, daß der Höl-
lenschlund versucht, uns wieder in sich hinabzuziehen,
sobald wir uns außerhalb eines geeigneten Gefäßes – wie
beispielsweise einem sterblichen Wirtskörper oder einem
anderen stofflichen Objekt – befinden. Der Ritualkreis bil-
det jedoch eine Pufferzone, einen Ort, an dem der Abgrund
keine Macht über uns hat, so daß wir mit dem Beschwörer
nach dessen Lust und Laune interagieren können.
Echte Beschwörungsrituale sind sehr selten, weil man
viel Zeit und Mühe braucht, um herauszufinden, wen
man herbeirufen will. Es ist so, als wolle man wahllos eine
bestimmte Hannah anrufen, ohne in einem Telefonbuch
nachzuschlagen oder bei der Auskunft nachzufragen. Ri-
tuale setzen intensive Nachforschungsarbeiten voraus, um
das richtige Protokoll zu bestimmen, mit dem man den
Kontakt herstellen kann. Einige Beschwörer belassen es
allerdings bei eher oberflächlicher Aufklärungsarbeit und
peilen mit ihrem Ritual einfach gleich ein ganzes Haus der
Hölle an. Es ist dann fast so, als ob sie mit einer Schrot-
flinte auf Vogeljagd gehen würden. Schieß einfach in den
Schwarm – irgendeinen wirst du schon erwischen, oder?
Das ist aber auch der beste Weg, um sich in richtig große
Schwierigkeiten zu bringen. Wenn man sich vorher nicht
genau überlegt, wen man auftauchen lassen will, kann man
am Ende den fauligsten Apfel aus dem Korb ziehen … oder
den giftigsten.“
„Okay“, sagt sie, „ich hab’s kapiert.“
„In den allermeisten Fällen fehlen den Beschwörern,
die ein ganzes Haus anpeilen, schlicht und ergreifend die
notwendigen Informationen, um ein spezifisches Ziel aus-
zuwählen. Ihnen fehlt ein Name.
Wahre Meister ihrer Kunst nehmen sich die nötige Zeit,
um den Himmlischen Namen eines Dämons in Erfahrung
zu bringen. Auf diese Weise wissen sie für gewöhnlich,
worauf sie sich bei einer Beschwörung einlassen. Namen
sind für Beschwörungsrituale sogar so wichtig, daß man
Kategorien von Ritualen festlegen kann, die mit den bei
den Ritualen verwendeten Namen zusammenhängen – um
genau zu sein, gibt es zwei Hauptkategorien und eine un-
überschaubare Zahl von Unter- und Nebenkategorien. In
die erste Kategorie fallen alle Rituale, die in ihrer Fokus-
sierung so unscharf sind, daß nur ganze Häuser mit ihnen
angepeilt werden können. Bei der zweiten Kategorie von
Ritualen wird der Titel des Dämons verwendet. Er wird
auch Beschwörungsname genannt, weil es der Name ist,
der von den meisten Anwendern eingesetzt wird, um nach
einem bestimmten Dämon zu suchen.“
Hannah nickt. Ich fühle mich schuldig, ihr nichts von
der dritten Kategorie von Ritualen zu erzählen, aber das
kann ich einfach nicht. Die dritte Kategorie ist in aller
Regel die Domäne ernstzunehmender Okkultisten, die über
Jahrzehnte hinweg genügend Nachforschungen betrieben
haben, um unsere Wahren Namen herauszufinden. Wahre
Namen sind so etwas wie die exakte Vibrationssequenz
unseres Wesens. Sie sind unsere Schwingung, unsere Fre-
103
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

quenz. Wenn ein Beschwörer sie verwendet, erhält er Zu-

griff auf unsere Psyche und damit die Möglichkeit, uns wie
Marionetten tanzen zu lassen. Der Beschwörer kann uns
damit in seinen Dienst zwingen.

DAS LETZTE GROSSE GEHEIMNIS

Hannah ist wieder zu Hause und ich befinde mich auf
dem Dach eines Mietshauses in Neutempelhof genau ge-
genüber von dem Krankenhaus, in dem Michael liegt. Ich
fürchte, daß sich der Junge in höchster Gefahr befindet, da
er von allen von Jonas’ Freunden dem Tod am nächsten ist.
Ich könnte mich irren, doch wenn Golgohasht wirklich bin-
nen kürzester Zeit Verbündete benötigt, dann ist Michael
mit Sicherheit seine erste Wahl als neuer Wirtskörper. Soll-
te Golgohasht auftauchen, bin ich auf ihn vorbereitet. Um
noch einmal auf einen Vergleich zurückzukommen, den ich
in meinem Gespräch mit Hannah verwendet habe: Man
könnte fast sagen, ich habe seine Nummer – zumindest
teilweise.
Alles, was er bis jetzt getan hat, hat Hinweise hinterlas-
sen, die nur wir Gefallenen wahrnehmen können. Jeder
dieser Hinweise ist eine Art vibrierender Fingerabdruck,
eine Silbe aus einer Serie von Lautsequenzen, die zusam-
men Golgohashts Wahren Namen bilden. Einfach aus-
gedrückt verrät jede unserer Handlungen unsere Natur
und unsere Befindlichkeit. Die meisten Menschen sehen
nur charakterliche Eigenschaften, doch wir Gefallenen
reagieren äußerst empfindlich auf die sich überlagernden
Schwingungen, aus denen wir bestehen. So gesehen ist
die Bezeichnung Wahrer Name eher unzutreffend, weil sie
einen Titel oder eine Anrede impliziert. Aber das ist der
Wahre Name nicht. Er ist buchstäblich, wer wir sind. Unser
Wahrer Name ist eine Aneinanderreihung von Worten, de-
ren Klang in unserem Wesen und unserer Form nachhallt.
Wird unser Wahrer Name ausgesprochen, funktioniert er
wie ein psychischer Nachschlüssel, der das Schloß zu un-
serem innersten Selbst öffnet. Wenn man also den Wahren
Namen von jemandem in Erfahrung bringen will, muß man
diesen Jemand zunächst einmal verstehen lernen, und das
wiederum bedeutet, daß man so viel wie irgend möglich
über ihn herausfinden muß. Alles, was ein Dämon anfaßt,
alles, womit er sich beschäftigt, alles, zu dem er spricht, und
alles, worauf er seine Kräfte anwendet, trägt anschließend
einen winzigkleinen Hinweis in sich, der einen Einblick in
das tiefste Wesen des Dämons erlaubt. Manifestationen von
Macht und Gewalt hinterlassen ein Vibrationsecho in der
Luft, das mit einem Teil seines Wahren Namens nachhallt.
Das ist der Hauptgrund, weshalb wir Dämonen vorsichtig
sein müssen. Jede unserer Handlungen verrät unsere Na-
tur und unsere mögliche Schwachstelle. Glücklicherweise
rechnete Golgohasht nicht damit, die Aufmerksamkeit
eines anderen Gefallenen auf sich zu ziehen, und deshalb
wurde er unvorsichtig. Er hinterließ eine regelrechte Spur
nützlicher Hinweise. Die Art und Weise, auf die er die Lists
tötete, hinterließ starke Schwingungen an dem Ort, an
dem er seine Kräfte anwendete. Als ich erst einmal erkannt
hatte, daß wir es mit einem Dämon zu tun hatten, wußte
ich, worauf ich achten mußte. Die Vorgehensweise, mit
der Golgohasht Pakte mit Michael und Richard einging,

104
KAPITEL VIER
und auch die Form, in der er ihren Glauben einbrachte,
offenbarte mir weitere Hinweise auf seine Identität. Am be-
sten war Ingrids Tip, der mir seine Beweggründe aufzeigte.
Außerdem hatte sie mir zwei Silben seines Wahren Namens
genannt, die sie über die vielen Jahre hinweg, in denen sie
an seiner Seite im Krieg kämpfte, aufgeschnappt hatte.
Auch wenn ich eine beeindruckende Anzahl von Worten
beisammen hatte, war das unglücklicherweise noch nicht
genug, als daß ich sie an Hannah hätte weitergeben kön-
nen, um sie Golgohasht beschwören oder an sich binden zu
lassen. Die meisten Beschwörungsrituale sind lediglich die
eine Hälfte der Gleichung, da nur die wenigsten Beschwö-
rer einen Dämon herbeirufen, um ein kleines Schwätzchen
mit ihm zu halten. Den meisten gelüstet es nach Macht
oder verbotenem Wissen, während andere den Dämon in
ihren Dienst zwingen wollen. Jedenfalls flechten sie alle
in der Regel ein Bannritual in den Beschwörungsritus ein
– nur für den Fall, daß der Dämon sich dagegen zur Wehr
setzt, ihren Wunsch zu erfüllen oder sich versklaven zu
lassen.
Wenn nur Golgohashts Wahrer Name bei einem Ritual
zum Einsatz gekommen und kein Bannspruch vonnöten ge-
wesen wäre, hätte ich vielleicht Hannahs Leben aufs Spiel
gesetzt. Wenn jedoch ihr Versuch, Golgohasht zu bannen,
mißglückt wäre, dann wäre er nicht nur entkommen und
hätte Jagd auf sie gemacht. Nein, es wäre noch viel schlim-
mer gewesen: Ich hätte ihn vorgewarnt, und es würde noch
viel schwieriger werden, ihn zu stellen. Und so beschloß
ich, daß es das beste wäre, noch ein Weilchen abzuwarten,
bis ich seinen vollständigen Namen herausgefunden hatte,
um diesen dann gegen den Bastard einzusetzen.
Und dann spüre ich eine kleine Verwerfung im Gefüge
von Raum und Zeit, die sich wellenförmig vom Kranken-
haus auf der anderen Straßenseite her ausbreitet. Golgo-
hasht ist da.
ENDSCHLACHT
Golgohasht steht in Michaels Krankenzimmer und ver-
sucht wahrscheinlich gerade, den Jungen vor Angst in den
Wahnsinn zu treiben. Ich kann ihn spüren – dies ist ein wei-
terer Aspekt unserer natürlichen Fähigkeiten. Alle Dämo-
nen können einander spüren, sobald sie ihre Geheimnisse
anwenden oder ihre Wahre Gestalt annehmen. In diesem
Fall verursacht Golgohasht eine ganz leichte Schwingung,
als ob sich ruhiges Wasser plötzlich sanft kräuselt. Ich kann
ein paar Vibrationen wahrnehmen, die von der Anwendung
seiner Macht herrühren, aber sie reichen nicht aus, um eine
weitere Silbe zu seinem Wahren Namen hinzuzufügen.
Im Geiste gehe ich rasch meine Optionen durch und
überlege, was ich tun soll. Ich improvisiere, weil ich nicht
im Krankenhaus kämpfen will. Ich muß Golgohasht aufs
Dach locken, wo es weniger wahrscheinlich ist, daß er ei-
nen Unbeteiligten verletzt. Leider besitzt er die gleichen
natürlichen Fähigkeiten wie ich, und demzufolge sind mei-
ne Möglichkeiten eher begrenzt.
Wenn ich meine apokalyptische Form offenbare, wird er
dies sofort spüren. Wir sind von Natur aus darauf bedacht,
unsere Territorien zu verteidigen – ganz besonders jetzt,
da wir so viel Zeit und Mühe in unsere sterblichen Skla-
ven investieren müssen. Und ich glaube, daß Golgohashts
Revierinstinkt noch ausgeprägter ist als bei den meisten
von uns. Er wird sich erst um mich kümmern, da ich eine
große Bedrohung für sein Revier und auch für ihn darstelle.
Wenn er mich erst einmal erledigt hat, kann er mit Michael
machen, was er will. Das Problem bei dieser Variante ist,
daß ich meinen Vorteil des Überraschungsmoments ver-
spiele, wenn ich mein wahres Antlitz annehme ... nicht,
daß ich eine andere Wahl hätte.
Für einen kurzen Moment gehe ich in mich. Es ist ein
zeitloser Augenblick, in dem aus ihrer Bahn geworfene Ge-
stirne über das gesamte Firmament verstreut werden. Ich
schärfe meinen Blick für die Myriaden von Permutationen
des Großen Plans und blicke in die zertrümmerte Zukunft.
Sie breitet sich stockend vor mir aus. Es ist, als ob ich in die
herumwirbelnden Scherben eines zerbrechenden Spiegels
hineinzuschauen versuche.
Was ich in ihnen sehe, ist nicht gerade ermutigend. Golg-
ohasht ist ein Rabisu, und selbst für ein Mitglied eines Hau-
ses, das ausschließlich aus mächtigen Kriegern besteht, ist
er wahrhaft furchterregend. Bei jedem Schlagabtausch wird
er mich mühelos in Stücke reißen. Wenn ich ihn besiegen
will, muß ich versuchen, dies mit meiner Geistesschärfe zu
tun. Die Rabisu sind mutig, aber sie handeln oft ein wenig
unüberlegt. Ich muß ihn nur provozieren. Ich muß ihn dazu
zwingen, auf meine Handlungen zu reagieren, ohne vorher
darüber nachzudenken.
Ich offenbare dieser in Trümmern liegenden Welt mein
Ich, mein wahres Ich.
Auf meinem Rücken entfalten sich meine dunkelblauen
Schwingen, und ein gedämpfter Schein umflort mich. Das
kraterübersäte Abbild des Mondes erscheint in meinem
Schatten, und wie eine alte Seekarte wird mein Körper
von Linien und Kreisen aus gelbem Licht überzogen. Golg-
ohasht muß einfach Notiz von mir nehmen. Es wird nicht
lange dauern, bis er hier auftaucht.
Ich breche das Licht nach meinem Willen und forme
mit ihm ein Trugbild in der Luft. Ich muß hier sehr subtil
vorgehen. Ich werde ihn nicht allein mit Truggespinsten
bekämpfen und aus der Reserve locken können. Zu unse-
ren natürlichen Begabungen zählt auch eine vollkommene
Immunität gegen sämtliche Effekte, die den Geist beein-
flussen. Das ist Gottes Werk. Er konnte ja nicht zulassen,
daß wir von denselben Taschenspielertricks hinters Licht
geführt wurden, mit denen er die Sterblichen einschüch-
terte, weshalb er uns die Fähigkeit verlieh, in den Zylinder
des Bühnenmagiers hineinzusehen. Wir sind auch gegen
alle Formen durch Fremdeinwirkung eingeimpfter Furcht
immun, doch das liegt auch daran, daß wir Schrecken er-
lebt und gesehen haben, die jede Illusion in den Schatten
stellen. Wahrscheinlich wird Golgohasht meine Versuche,
ihn zu erschrecken, völlig ignorieren und mir sofort an die
Kehle gehen. So soll es auch sein. Er wird durch meine
Trugbilder schauen und glauben, ich sei bereits besiegt,
und das wird ihn hoffentlich dazu bringen, seine Deckung
sinken zu lassen.
Erneut spüre ich ein Aufflackern von Macht aus dem
Krankenhaus – vermutlich setzt Golgohasht seine Herr-
schaft über Fleisch und Knochen ein, um sich schneller
105

bewegen zu können. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, doch
ich darf nicht zulassen, daß er seinen Angriff vorausplant.
Ich muß Golgohasht dazu bringen, leichtsinnig zu werden.
Also atme ich tief ein und rufe die erste Silbe seines Wah-
ren Namens.
Irgendwo im Krankenhaus läßt ein entsetzter Aufschrei
die Flure erzittern. Golgohasht hat jetzt keine andere
Wahl mehr, als mich so schnell wie möglich anzugreifen.
Er glaubt, daß seine weitere Existenz davon abhängt. Ich
stimme die zweite Silbe an.
Der Dämon wird sich auf mich werfen, was bedeutet, daß
Golgohasht seine apokalyptische Gestalt annehmen wird,
um Jonas’ Körper in eine Tötungsmaschine aus Muskeln,
Zähnen und Klauen zu verwandeln. Jedes Haus besitzt ein
eigenes wahres Antlitz, das sich zeigt, sobald eines seiner
Mitglieder seinen sterblichen Wirtskörper umformt. Es ist
nur ein Schatten unserer wahren Gestalt, die wir besaßen,
bevor Gott uns den größten Teil unseres Wesens nahm.
Das hatte ich auch gemeint, als ich Hannah erzählte, daß
der menschliche Körper so gut wie jede Gestalt anneh-
men kann, sofern nur ausreichend Glauben zur Verfügung
steht. Diese körperlichen Verbesserungen sind Aspekte
unserer Essenz, die wir durch Fleisch und Knochen pres-
sen können, um Sehnen und Muskeln mit so viel Macht
zu erfüllen, daß wir den Leib unseres Wirts nach unseren
Wünschen umgestalten können.
Wie eine Spinne klettert Golgohasht außen am Gebäu-
de entlang aufs Dach. Er ist in einen Strahlenkranz aus
schwarzem Licht gehüllt. Wo eigentlich seine Fäuste hätten
sein sollen, befinden sich Hämmer aus Fleisch, die mit klin-
genartigen Fingern bewehrt sind. Zähne, die gebogen und
scharf wie Säbel sind, stehen in seinem insektoiden Unter-
kiefer dicht beieinander. In seinen Facettenaugen glimmen
weißglühende Funken. Aber er ist nicht der einzige, der
solche Tricks auf Lager hat. Ich habe mir bereits scharf-
kantige Schwingen wachsen lassen, als er mich erblickt. Er
springt, doch ich entwirre das Knäuel verworrener Schick-
salsfäden und husche zur Seite, bevor mich der tödliche
Schlag treffen kann.
Golgohasht kommt schnell wieder auf die Beine. Meine
Schwingen fahren rauschend durch leere Luft, als er sich
unter meinem Gegenschlag wegduckt. Er wirbelt herum
und hämmert mir einen fleischigen Unterarm vor die Brust.
Ich werde zurückgeschleudert und weiß noch im Flug, daß
er bereit ist, sofort nachzusetzen, sobald ich aufgekommen
bin. Ich schlage hart auf, und schon hockt mir Golgohasht
auf der Brust, kreischt wie eine irrsinnige Bestie und schlägt
seine Klauen in mich. Ich unterwerfe die Kräfte, die den
Kosmos zusammenhalten, meinem Willen, beschleunige
Golgohasht mit einem mächtigen Stoß und schleudere ihn
mehr als dreißig Meter weit von mir weg. Einen Moment
lang hängt er in der Luft, während er ebenfalls die grundle-
genden Kräfte des Kosmos manipuliert, dann kracht er auf
das Dach. Mir bleibt nur ein kurzer Augenblick, um meinen
Plan in die Tat umzusetzen.
Doch ich zögere noch. Ich studiere den Großen Plan, was
mir Einblicke in die Zukunft verleiht und mir die vielen
Möglichkeiten aufzeigt, wie dieser Kampf ausgehen könn-
te. Die Informationsflut ist schon im Idealfall – wenn man
106
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
genügend Zeit hat, die Dinge in angemessenem Maße zu
bedenken – nur schwer überschaubar, doch jetzt ... Ich muß
die richtige Entscheidung treffen und die eine Vorgehens-
weise wählen, die Golgohasht zurück in den Höllenschlund
schicken wird. Die einzige Möglichkeit, die winzige Nadel
der Hoffnung in diesem Heuhaufen der Möglichkeiten zu
finden, besteht darin, mich der Finsternis zu bedienen, die
ich in mein tiefstes Innerstes verbannt hatte. Es ist erstaun-
lich, wie sehr uralter aufgestauter Haß einem dabei helfen
kann, sich zu konzentrieren.
Wenn ich mich der Finsternis in mir öffne, dann weiß
ich, daß sie einen Makel auf meiner Seele hinterlassen wird
und ich etwas von der Menschlichkeit verlieren werde, für
deren Erhalt ich so schwer gekämpft habe. Alles nur wegen
einer Handvoll sterblicher Kinder, die in hundert Jahren
ohnehin nur noch Staub sein werden. Es stellt sich aber
natürlich auch die Frage, wieviel mehr von meiner Seele
ich verlieren würde, wenn ich Golgohasht weiter über sie
herfallen lasse.
Anscheinend ist es unser Schicksal, uns für die Mensch-
heit zu opfern. Ich bete nur darum, daß sie es auch wert ist.
Die Finsternis, die in meinem Geist aufzieht, ist süß. Mei-
ne Lippen formen Worte der Macht und die Konturen der
Kausalität breiten sich vor meinen Augen aus. Ich sehe, wie
Golgohasht auf die Füße springt und mit weitgespreizten
Krallen abermals auf mich losgeht. Hunderte von Mög-
lichkeiten blitzen vor meinem geistigen Auge auf, doch ich
stürze mich einfach durch sie hindurch und halte getrieben
von meinem Zorn Ausschau nach der einzigen Chance, die
meinen Feind in den Untergang führen wird. Als ich sie
finde, fletsche ich die Zähne wie ein Raubtier.
Weitere Worte der Macht fahren knisternd durch die
Luft, während ich dem Licht zwischen mir und Golgo-
hasht eine neue Form verleihe. Ein perfektes Abbild meiner
selbst, das ein Schwert aus purem Feuer schwingt, rast über
das Dach auf Golgohasht zu. Gleichzeitig hechte ich zum
Rand des Daches und breite meine Schwingen zum Flug
aus, doch ich hebe noch nicht ab.
Golgohasht lacht laut auf. Es ist ein schreckliches Ge-
räusch – wie das Brechen von Knochen. Er durchschaut
meine Illusion sofort und springt mich wie ein Löwe an.
Seine langen Krallen zielen nach meiner Kehle.
Ich kann sehen, wie sich die Szene in meinem Verstand
entfaltet. Wenn ich mich einen Augenblick zu früh oder zu
spät bewege, wird sie damit enden, daß Golgohasht meinen
abgetrennten Kopf in den Klauen hält. Ich schicke ein
Stoßgebet an den Morgenstern, als ich mich herumwerfe
und rückwärts vom Dach fallen lasse.
Golgohasht rammt mich. Seine gelblichen Stoßzähne
sind nur Zentimeter von meinen Augen entfernt, und sein
Kadavergestank steigt mir in die Nase. Wir fallen gemein-
sam, doch den Rabisu hat der Blutdurst gepackt, und er
zerkratzt mir mit seinen gezackten Klauen die Flanken und
die Arme. Der Schmerz ist unbeschreiblich, und ich spüre,
wie nahe ich dem Tod bin. Das fühlt auch Golgohasht,
doch seine grausame Freude macht ihn blind für die Gefahr,
in der er selbst schwebt.
Ich ziehe die Flügel an, und wir drehen uns in der Luft,
so daß sich Golgohasht nun zwischen mir und dem auf uns
KAPITEL VIER
zurasenden Boden befindet. Noch während wir die Position
tauschen, rufe ich erneut die Kräfte des Fundamentes an.
Augenblicklich erhöht sich unsere Fallgeschwindigkeit,
erreicht die üblicherweise maximale Marke und überschrei-
tet sie. Golgohashts löwenartige Augen weiten sich, als er
zu erkennen beginnt, daß er ausgetrickst wurde, doch da
breite ich bereits wieder meine Schwingen aus und fange
meinen Sturz ab. Das größere Gewicht des Rabisu reißt ihn
von mir los, und seine Klauen schlitzen mir die Arme und
die Brust bis auf die Knochen auf.
Die hohe Mauer vor dem Gebäude ist mit schmiedeeiser-
nen Spitzen bewehrt, die sonst eher dekorativen Zwecken
dienen, doch für mein Vorhaben reichen sie völlig aus.
Golgohasht schlägt mit solcher Wucht auf sie auf, daß der
Stein, in den die Spitzen eingelassen sind, zerschmettert
wird, und der Dämon verschwindet in einer Wolke aus
pulverisiertem Mauerwerk.
Auch für mich ist es mehr ein Aufprall als eine Landung
auf dem Boden. Wir Dämonen können Glauben einsetzen,
um die meisten Wunden zu heilen, doch der Schaden, den
Golgohasht mir zugefügt hat, ist einfach zu groß. Ich sehe
zu, wie ein Schauer aus Blutstropfen auf dem Kopfstein-
pflaster unter mir niedergeht, und ich frage mich, ob ich
verblutet sein werde, bevor ich mich zurück in Liebner
verwandelt habe und die wenigen Meter zum Eingang des
Krankenhauses getaumelt bin.
Es ist nicht Golgohasht, der im Schutt des eingerissenen
Mauerabschnitts liegt. Da ist nur der zerschmetterte und
von einem halben Dutzend Eisenspitzen durchbohrte Kör-
per von Jonas List. Nicht einmal dieser furchteinflößende
Rabisu konnte den schweren Schaden heilen, den er bei
seinem Sturz davongetragen hatte. Ein Teil von mir hofft,
daß er noch immer fällt und vor Wut und Schmerz heult,
während er auf den Abgrund zustürzt, der auf ihn wartet.
Ich lasse meine apokalyptische Gestalt verschwinden, als
ich den ersten Pfleger aus dem Krankenhaus eilen sehe. Er
hält auf mich zu. Der Schmerz, den ich fühle, ist gewaltig.
Er schwillt an, bis er die ganze Welt auszufüllen scheint,
und ich heiße ihn willkommen, während ich darum bete,
daß seine sengende Hitze die Finsternis ausbrennt, die ich
zurück in mein Herz gelassen habe. Ich weiß, daß mir dieses
Glück nicht vergönnt sein wird, und ich weiß auch, daß der
Kampf gegen Golgohasht noch nicht vorbei ist. Er ist dem
Höllenschlund schon einmal entkommen, und er wird es
wieder tun. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er sich zurück
durch den Mahlstrom gekämpft hat und einen Weg in diese
geschundene und geschlagene Welt findet. Vielleicht wird
es mir bis dahin gelungen sein, den Makel auf meiner Seele
auszumerzen, doch sollte ich mich wieder der Finsternis
hingeben müssen, um ein größeres Übel aufzuhalten, dann
werde ich das ohne Zögern tun. Der Himmel ist uns auf
ewig verschlossen, und die Hölle ist nicht länger ein Ge-
fängnis für uns.
Alles, was wir haben, ist diese Welt und das, was wir aus
ihr machen wollen. Ich für meinen Teil denke, daß sie jeden
Preis wert ist.
107
 Die zwei Männer hätten unterschiedlicher nicht sein können.
Der ältere von beiden wirkte aufgrund des Zusammenspiels von Gesundheit, Ruhe und Selbstvertrauen jünger als
der andere. Sein hartes Äußeres wirkte nicht unattraktiv, und an ihm sah ein Anzug von der Stange aus wie eine Maß-
anfertigung aus reiner Seide. Wenn er einen maßgeschneiderten Seidenanzug trug (so wie heute), sah er sogar noch
besser aus. Sein Name war Jonathan Vuota, doch für seine Untergebenen und Kollegen war er nur Johnny Bronco.
„Nun, du bittest mich um einen großen Gefallen“, sagte Johnny Bronco. „Das wird nicht billig.“
Der pummelige Bittsteller war klein und hatte ein teigiges Gesicht. Er wirkte selbst frischrasiert noch ungepflegt.
Er schaffte es, jedes Kleidungsstück an ihm billig und zerknittert aussehen zu lassen. Er trug eine karierte Sportjacke
aus Schafswolle, die an ihm sogar noch schlechter aussah, als sie schon auf dem Kleiderbügel im Laden ausgesehen
hatte. Eine üble Narbe zeichnete sein Gesicht, und er trug ständig eine Sonnenbrille, selbst wenn er sich in einem
Gebäude aufhielt. Sein Name war Harvey Ciullo.
„Ich weiß“, sagte er. „Die Sache ist nur die, daß ich hier nicht darüber reden kann. Es ist etwas sehr Privates.“
Johnny grinste und sah hinüber zu seinen Jungs, die genervt die Augen verrollten. Ciullo war ein Penner, ein Witz,
ein Niemand.
Zum Spaß sagte Johnny: „Sicher doch. Komm mit in mein Büro.“
Dort angekommen sagte Harvey: „Es geht um Sal.“
„Du hast ein Problem mit Sal.“
„Genau. Es ist nur so, daß die Sache häßlich werden könnte, wenn du verstehst?“
„Und du willst meine Hilfe?“ Johnny schüttelte den Kopf. „Harvey, du bist auf dem besten Weg, als herunterge-
kommenster Verlierer von ganz Jersey bekannt zu werden. Warum sollte ich dir Geld leihen?“
„Ich will kein Geld. Ich möchte nur, daß du dich aus der Sache heraushältst, wenn sie anfängt, unangenehm zu
werden.“
Johnny lachte auf. Er lachte so heftig, daß er husten mußte.
„Unangenehm? Unangenehm für wen?“
„Für Sal natürlich.“
Diese Bemerkung löste nur noch mehr Gelächter aus. „Du willst Sal das Leben schwermachen? Wirklich, Ciullo,
der Witz ist gut. Du verarschst mich doch.“
Wieder verwandelte sich sein Lachen in Husten – diesmal hielt er länger an und tat weh.
Langsam merkte Johnny Bronco, daß irgend etwas nicht stimmte. Harvey war kein bißchen nervös. Er fiel auch
nicht wie sonst kriecherisch in sein Lachen mit ein. Harvey hatte die Sonnenbrille abgenommen und ein blutunter-
laufenes, eitriges Auge enthüllt. Harveys Gesichtsausdruck war ernst und entschlossen.
„Johnny, warst du in letzter Zeit eigentlich mal wieder beim Arzt?“
„Ich bin kerngesund“, brachte der ältere Mann keuchend heraus.
„Dann solltest du dir besser einen anderen Doktor suchen. Dein alter hat nämlich wohl ein paar Tumore in deinem
linken Lungenflügel übersehen. Einer davon hat die Größe eines gottverdammten Golfballs.“
„Verrückt …“, keuchte Johnny. Harvey beugte sich nahe an ihn heran.
„Ich kann gewisse Dinge sehen, Johnny. Ich kann den Dreck in deiner Lunge sehen. Ich sehe deine Zukunft, und
wenn du nicht kürzer trittst, wird sie sehr kurz sein. Ich kann auch Sals Zukunft sehen, und um sie steht es nicht
besser.“
Johnny sah verwirrt und verängstigt auf.
„Ich rate dir, dich schleunigst in medizinische Behandlung zu begeben. Ich rate dir außerdem, dich aus allem
rauszuhalten, falls Sal und seinen Leuten etwas zustoßen sollte. Hast du das kapiert? Du willst doch nicht etwa als
Johnny Bronchitis enden, oder?“
Harvey streckte die Hand aus und tätschelte Johnnys Wange, bevor er aufstand und die Bürotür aufzog.
Mit erstaunlich gut vorgetäuschter Panik in der Stimme schrie er: „Hey … Jungs! Jungs, holt einen Arzt! Ruft
einen Krankenwagen. Irgend etwas stimmt nicht mit Johnny!“
KAPITEL FÜNF:
DIE HÄUSER
DER
FINSTERNIS

Jeder Tag ist ein Neuanfang

- Thomas Stearns Eliot
KAPITEL FÜNF

DIE SEBETTU
Die sieben von Gott erschaffenen Himmlischen Häuser bestimmten die Pflichten und Kräfte eines
jeden Engels, der ihnen angehörte. Sie formten seine individuelle Natur sowie seine Identität und
gaben ihm einen festen Platz innerhalb einer starr strukturierten Hierarchie. Vor dem Fall wurde jedes
dieser Häuser von einem Leitengel angeführt (dem sogenannten Autarchen), der die Aktivitäten sei-
ner Untergebenen über einen Rat aus Stellvertretern lenkte und steuerte. Diese Stellvertreter standen
einem eigenen Kreis Untergebener vor, die über die Aktivitäten der Engel unter ihrer Befehlsgewalt
Bericht erstatteten. Dies setzte sich immer weiter bis hinunter zu den niedersten Rängen der heiligen
Diener fort. Es gab keine Möglichkeit eines Aufstiegs oder eines Abstiegs in der Position, die ein Engel
innehatte. Die heiligen Aufgaben der Engel änderten sich nie, und die Elohim waren mit den ihnen
auferlegten Pflichten zufrieden, während der Kosmos um sie herum Gestalt annahm. Sie erwarteten
nicht mehr als das, was der Schöpfer ihnen zugestand.
Nachdem die aufständischen Engel sich von ihren Geschwistern losgesagt hatten, blieb ihr Zuge-
hörigkeitsgefühl zu den Häusern so stark wie eh und je. Binnen kurzer Zeit stellten die Gefallenen die
verlorengegangene Hierarchie wieder her, um sich selbst etwas zurückgeben, was jeder Engel so sehr
brauchte – das Gefühl, eine wichtige Aufgabe zu erfüllen und einer heiligen Pflicht nachzukommen.
Diese aufständischen Häuser, die zusammengefaßt als die Sebettu (wörtlich übersetzt „die Sieben“)
bezeichnet wurden, standen nun gewissermaßen im Widerspruch zu jener Feudalstruktur, die Luzifer
seinen infernalischen Heerscharen zu Beginn des Krieges gegeben hatte. Nach einiger Zeit war die
Funktion eines Autarchen und seiner Stellvertreter nicht mehr allein darauf ausgerichtet, die Ab-
sichten und Ziele der Mitglieder ihres Hauses zu unterstützen – sie sorgten zugleich dafür, daß jedes
Mitglied seinen Beitrag zu den Kriegsbemühungen leistete. Einige der Gefallenen verweisen auf die
Rivalitäten und Intrigen, die aus der Konkurrenz zwischen und in den Häusern erwuchsen, um die
stetig nachlassende Schlagkraft der Legionen im weiteren Verlauf des Krieges zu erklären. Doch selbst
als das Blatt sich deutlich gegen die Rebellen gewendet hatte, versuchten weder Luzifer noch seine
Heerführer, die Sebettu aufzulösen oder ihren Einfluß zu beschneiden. Es war schlicht und ergreifend
unvorstellbar, die Gefallenen dazu zu zwingen, jegliche Bande zu ihren Häusern zu lösen – ganz gleich,
wie verzweifelt die Lage auch wurde.

GEWISSENSKONFLIKTE
Während des Krieges mußte der durchschnittliche Rebell stets für einen irgendwie gearteten
Ausgleich zwischen der Treue zu seinem Anführer auf dem Schlachtfeld und den Wünschen der
Ältesten seines Hauses sorgen. Als die infernalischen Heerscharen später dann durch die Entstehung
der Fraktionen in miteinander konkurrierende Denkschulen zerfielen, wurde dieser Balanceakt noch
sehr viel schwieriger. Jeder Rebell mußte auf der Grundlage seiner eigenen Ziele und Wünsche die
Entscheidung treffen, welchem seiner Herren er gehorchte und welchen er ignorierte, sobald sich ein
Konflikt anbahnte. Dadurch wechselten Loyalitäten oft von einem Tag auf den anderen – und nicht
selten von einem auf den anderen Moment.
Dieses Problem der Gewissenskonflikte ist heute, da die Gefallenen auf die Erde zurückgekehrt sind,
um ein Vielfaches dringlicher geworden. Die meisten (wenn nicht gar alle) Kriegsfürsten, Hausälte-
sten und Fraktionsführer sind nach wie vor im Abgrund gefangen, wodurch nun jedem einzelnen Dä-
mon die Freiheit gegeben ist, selbst zu entscheiden, wem er die Treue halten will. Drei Möglichkeiten
stehen ihm offen: Er kann die Befehle eines weitentfernten Herrn befolgen, das Primat seines Hauses
wiederherstellen oder die alten Wege verlassen, um eine neue Ordnung aufzubauen, die sich auf den
Lehren seiner Fraktion gründet.

111

„Nichts kann dich auf ewig beschützen. Aber mach dir keine Sorgen um die Ewigkeit. Mach
dir lieber Sorgen um das Hier und Heute.“
Vor der Zeit des Zorns erfüllten die Schutzengel im Pa-
radies eine beneidenswerte Aufgabe. Sie waren damit be-
traut, den heiligen Lebensatem in die Welt zu tragen, und
die Ausübung ihrer Pflichten brachte sie in engen Kontakt
mit ihrer geliebten Menschheit. Hinzu kam noch, daß sie
zusätzlich den Auftrag erhalten hatten, jedes Wesen, dem
sie den Lebensatem einhauchten, fortan zu beschützen.
Andere Engel hätten womöglich einen Anflug von Schuld
verspürt, wenn sie Zeit ihrer Existenz so kurz davorgestan-
den hätten, gegen das Gebot Gottes zu verstoßen, sich
nicht in die Belange der Menschen einzumischen. Doch die
Engel des Windes verletzten dieses Gebot nie, wenn sie vol-
ler Bewunderung das Treiben der Menschen betrachteten,
die sie insgeheim ebensosehr als ihre eigenen Kinder sahen,
wie Adam und Eva zugleich Kinder Gottes waren.
Doch so klar und deutlich sie auch die Freude in ihren
Herzen darüber spürten, der Menschheit beständig nahe zu
sein, so spürten sie den Schmerz, den die Niedergeschla-
genheit der Menschen in ihnen auslöste, noch um einiges
klarer und deutlicher. Ihre Nähe zur Menschheit war ihnen
Qual und Erfüllung zugleich, und die Spannung zwischen
diesen beiden Extremen zerriß viele Schutzengel schier. Als
dann die Rebellion kam, fand Luzifer viele Anhänger unter
den Engeln des Firmaments. Es war nicht das eigene Haus
des Morgensterns, sondern das Haus des Aufkommenden
Windes, das im Schnitt die höchsten Engel stellte, die sich
den Rebellen anschlossen.
Während des Krieges waren die Geißeln hingebungsvolle
Krieger. Die Verurteilung durch den Himmel hatte ihren
Willen nicht gebrochen. Ganz im Gegenteil: Die Bürde der
Strafe, die der Menschheit auferlegt worden war, bestärkte
die Geißeln nur noch mehr darin, sich gegen Gott und die
Himmlischen Heerscharen zu stellen. Zwar waren die Gei-
ßeln den Engeln des Fundaments und den Engeln der Wild-
nis in einer offenen Feldschlacht in der stofflichen Welt
klar unterlegen, doch dafür machten ihre Geschwindigkeit
und ihre Kräfte der Tarnung die Asharu zu hervorragenden
Plänklern, Aufklärern und Spionen.
Im nun angebrochenen Zeitalter der Flucht aus dem
Abgrund genießen die Geißeln allerorten hohes Ansehen.
Ihre mutigen Erkundungsvorstöße während des Krieges
112
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
brachten ihnen den wohlverdienten Ruf ein, selbst unter
den allerextremsten Situationen ihrer Sache unerschütter-
lich treu zu bleiben. Jede Fraktion unter den aus der Hölle
entkommenen Gefallenen braucht dermaßen loyale Vertei-
diger – insbesondere solche, die mit der rechten Hand das
Leben und mit der linken Hand den Tod bringen können.
Fraktionen: Die hoffnungsvollsten Geißeln schließen sich
dem Lager der Versöhner an. Die Vorstellung einer ge-
heilten Welt ist für sie eine erstrebenswertere Idee, als die
Faustianer über die Erde herrschen zu lassen oder es gar
den Verheerern zu gestatten, sie zu zerstören.
Andere Geißeln schwören auch weiterhin Luzifer die
Treue, da sie glauben, der Lichtbringer könnte irgendwie
dem Zorn der Racheengel des Himmels entgangen sein.
Wenn es ihm vor unzähligen Äonen gelungen sein sollte,
sich zu retten, dann ist Luzifer womöglich auch der Schlüs-
sel zur Errettung der Menschheit. Mit Sicherheit ist es
jedoch der sinnvollere Weg zum Erhalt konkreter Antwor-
ten, dem einzigen Gefallenen nachzuspüren, der über un-
vorstellbar lange Zeit hinweg ununterbrochen Erfahrungen
in dieser Welt sammeln konnte, anstatt dem Debattierclub
der Enigmaten beizutreten.
Unter den Faustianern findet man nur wenige Geißeln.
Das Zweite Haus war – und ist in gewisser Weise immer
noch – damit betraut, für die Sicherheit der Menschheit
zu sorgen. Die Asharu können die Menschen mit Flüchen
schlagen und sie können ihnen Segen bringen, aber es fällt
ihnen äußerst schwer, die Sterblichen kaltherzig zu instru-
mentalisieren.
Wirte: Angsterfüllte Seelen rufen regelrecht nach jeman-
dem, der sie verteidigt, und selbst nach ihrem Fall fällt es
den einstigen Schutzengeln schwer, einen solchen Hilferuf
zu ignorieren. Die Geißeln waren die Eltern der Mensch-
heit – und eigentlich sogar die Eltern allen Lebens –, und
der Hilferuf eines ihrer Kinder zieht noch immer ihre Auf-
merksamkeit auf sich.
Doch diese Welt, die nur noch aus den trostlosen Ruinen
des Paradieses besteht, ist voll von Ängsten – begründeten
wie unbegründeten. Eine Geißel, die von echter Furcht
zu einem Sterblichen gelockt wird, muß oftmals feststel-
len, daß diese Furcht nur aus Selbstsucht und Egoismus
KAPITEL FÜNF

erwachsen ist. Vom Pech verfolgte Geißeln finden sich so-

mit häufig in den Körpern von Personen wieder, die ledig-
lich die Konsequenzen ihrer eigenen Fehlentscheidungen
fürchteten oder Angst vor den Folgen von Problemen und
Versäumnissen empfanden, die sie nicht frühzeitig zu lösen
oder zu vermeiden versucht hatten.
Glaube: In praktischer Hinsicht stellt es für Geißeln kein
größeres Problem dar, den Glauben der Sterblichen zu ge-
winnen. Menschen betrachten Gesundheit als ein wertvol-
les Gut. Manchen Sterblichen ist kein Preis zu hoch, um an
ein Heilmittel zu gelangen, das weit über die Grenzen der
modernen Medizin hinausgeht. Eine Kirche oder einen
Kult zu gründen, der darauf basiert, die „Geister der
Genesung“ anzurufen, stellt für Wesen, die tatsächlich
Aids heilen, zertrümmerte Wirbelsäulen zusammen-
fügen oder die Mißbildungen eines Neugeborenen
mit einem offenen Rücken ungeschehen machen
können, keine besonders große Herausforderung
dar. Die Hauptschwierigkeiten, die sich aus der
Gründung solcher Glaubensgemeinschaften erge-
ben können, sind eher ethischer Natur, da Gaben
dieser Art oftmals – und sei es auch nur indirekt – den
Eindruck erwecken, der Dämon könne seine Gläubi-
gen für immer beschützen. Andererseits schlagen Gei-
ßeln, die die Hoffnung auf eine endgültige Errettung der
Menschheit in naher Zukunft bereits aufgegeben haben,
gern einfach einen ehrlicheren Weg ein, und geben sich
als Geister der Heilung und des Schmerzes aus.
Grausame (oder einfach nur rücksichtslose) Geißeln
haben einen Hang dazu, ihre Sklaven mutwillig größe-
ren Gefahren auszusetzen. Gottes Fluch, den er über das
Zweite Haus aussprach, traf die Asharu schwer, und das
in ihnen nagende, unbequeme Wissen, daß jeder Mensch
dazu verdammt ist, irgendwann zu sterben, kann schnell
zu Verzweiflung und Mitleidslosigkeit führen. Welchen
Unterschied macht es aus der Sicht eines unsterblichen
Wesens denn auch schon, ob jemand mit 15 oder mit
50 stirbt?
Geißeln mit niedrigen Qualwerten begreifen besser,
wo der Reiz einer Beschützerrolle liegt. Folglich ma-
chen diese Asharu auch eher solche Personen zu ih-
ren Sklaven, die sie als würdig erachten, unter ihrem
Schutz zu stehen. „Würdige“ Sterbliche, die gewillt
sind, ihre Seelen zu verkaufen, sind oftmals nur schwer
zu finden, doch der Vorteil, der sich aus einem Pakt
mit ihnen ergibt, liegt auf der Hand: Die moralischen
Tugenden solcher Sklaven erleichtern es einer Gei-
ßel, sich dem Drang zu widersetzen, den Sterblichen
ihren Glauben ohne jegliche Rücksicht auf Verluste
zu rauben.
Charaktererschaffung: Die Menschen, die auf
Geißeln anziehend wirken, haben zumeist nied-
rige Werte in den gesellschaftlichen Attributen:
Ein Leben voller Angst macht es einem Sterb-
lichen schwer, offen auf andere zuzuge-
hen und neue Bindungen einzugehen.
Ein ängstlicher Hypochonder kann
über überraschend hohe körperliche
Attribute – insbesondere Widerstandsfähigkeit

113
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

STEREOTYPEN
Teufel: Einst trugen die Engel des Lichts den leben- heit Schiffbruch erlitten hat. In praktischer Hinsicht
digen Willen Gottes in die Welt, doch nun, da ihnen können ihre Kräfte durchaus nützlich sein, aber dazu
Gottes Wille verborgen bleibt, haben sie den Sinn ihrer muß ein Asharu nicht allzu eng mit einem Lammasu
Existenz verloren. Sie mögen mit ihren eigenen Stim- befreundet sein, denn schließlich läßt sich jeder irgend-
men weiterplappern, doch der Fluch, den Gott ihnen wie benutzen.
auferlegt hat, hat sich jetzt endlich offenbart: Er hat die Verschlinger: Während andere Dämonen häufig dazu
Namaru überflüssig gemacht. neigen, die Verschlinger als geistlose Barbaren abzu-
Übeltäter: Die Menschen lieben materielle Dinge jed- tun, sehen die Geißeln weit mehr in ihnen. Zornige
weder Art, und die Übeltäter versorgen sie damit. Das Geißeln betrachten die Verschlinger als die gerechte
alleine macht sie schon wertvoll. Ihr Pragmatismus ist Strafe für eine menschliche Zivilisation, die von ganz
wie ein fruchtbarer Boden, der nur auf den Samen des alleine auf das Niveau der Rabisu gesunken ist. Aus-
Abstraktionsvermögens der Geißeln wartet – sofern geglichenere Geißeln hingegen stellen sich die Frage,
es der Geißel gelingt, den Annunaki davon zu über- ob die Verschlinger vielleicht keineswegs die Zerstörer
zeugen, daß er aus einer Zusammenarbeit genausoviel der Welt sind, sondern vielmehr der Schlüssel zu ihrer
Nutzen ziehen kann wie der Asharu selbst. Heilung.
Unholde: Die Welt mag zerrüttet und zerbrochen sein, Schnitter: Obwohl es bisweilen ein wenig anstrengend
und die ehemaligen Parzen mögen sie nur noch wie sein kann, den Schnittern zuzuhören, wenn sie ihre
durch ein dunkles Glas wahrnehmen können, doch sie Domäne des Todes wieder und wieder als die allum-
sind dennoch nicht völlig erblindet. Anstatt die Un- fassendste und allbedeutendste Domäne überhaupt
holde für das, was sie verloren haben, zu verachten, re- bezeichnen, muß zu ihrer Verteidigung gesagt werden,
spektieren die Geißeln die Neberu für jenen verschwin- daß die moderne Welt viele gute Anhaltspunkte lie-
dend geringen Teil ihrer einstigen, schier grenzenlosen fert, die diese Ansicht untermauern. Da sie das Haus
Fähigkeiten, der ihnen noch verblieben ist. mit der deutlichsten Vorstellung vom Schicksal der
Schänder: Früher waren die Schänder wie ein Ozean, Seelen Verstorbener sind (ganz gleich, wie dürftig diese
den die Menschheit erkunden konnte. Mittlerweile Vorstellung in Wahrheit auch sein mag), müssen die
sind sie zu einem Riff geworden, an dem die Mensch- Geißeln sich die Halaku als Verbündete warmhalten.

– verfügen, da er ein Leben lang ins Fitneßstudio gelaufen oder Verbündete.

ist, um dem Sensenmann durch immer größere Ausdauer-
leistungen ein Schnippchen zu schlagen. Bei den geistigen
Attributen ist oft die Wahrnehmung am ausgeprägtesten,
weil der Wirt Zeit seines Lebens schon beim leisesten Ge-
räusch zusammenfuhr und immer ängstlich in die Dunkel-
heit hinausstarrte, wenn er allein zu Hause war.
Gewohnheitsmäßige Angst kann sich auch in einem über-
durchschnittlichen Wert in Ausweichen niederschlagen.
Oftmals haben solche Wirte den einen oder anderen Punkt
in einer Kenntnis oder Fertigkeit, die das Wesen ihres ganz
persönlichen Schwarzen Manns widerspiegelt. Beispielsweise
sind ein oder zwei Punkte in Medizin nichts Ungewöhnliches
für Personen, die zwar nie eine medizinische Ausbildung ge-
nossen haben, aber dafür ständig um ihre Gesundheit besorgt
waren. Jemand, der weniger Angst vor einer Krankheit, als
vielmehr vor einem tätlichen Angriff auf die eigene Person
hatte, könnte auch einen vergleichbaren Wert in Schußwaf-
fen besitzen. Andere, unterschwelligere Ängste – beispiels-
weise Furcht vor intellektueller oder gesellschaftlicher Unzu-
länglichkeit – könnten einen Wirt genausogut zum Studium
von Etikette und Akademischem Wissen angeregt haben.
Die Hintergründe der Geißeln sind in der Regel breit-
gefächert, wobei allerdings viele Wirte, die ihr Dasein in
selbstsüchtiger Angst fristeten, Geizhälse mit einem ho-
hen Wert in Ressourcen sind. Diejenigen, deren Ängste
gerechtfertigt waren – weil sie in gefährlichen Gegenden
wohnten oder ihre Lebensumstände generell nicht ganz
risikofrei waren –, verfügen für gewöhnlich über Kontakte
Anfangswert für Qual: 3
Geheimnisse des Hauses: Geheimnisse der Erweckung,
Geheimnisse des Firmaments, Geheimnisse des Windes
Schwächen: Ein Problem, das andere Häuser mit den Gei-
ßeln haben – und das die Geißeln im übrigen auch mit
sich selbst haben –, sind ihre Schwierigkeiten im Umgang
mit den Sterblichen. Gefallene Schutzengel neigen zu ex-
tremen Ansichten, was die Menschheit betrifft. Entweder
werden die Sterblichen als kostbare Schätze betrachtet,
die ständig beschützt und unterstützt werden müssen, oder
sie werden aufgrund ihrer allzu befristeten Lebensdauer als
sinnlose, wertlose und letztlich vollkommen absurde Ge-
schöpfe gesehen. Sterbliche spielen im Dasein einer Geißel
die Hauptrolle, und so oder so fällt es den Asharu immer
schwer, für einen gewissen Ausgleich in ihren Ansichten
zu sorgen.
Ein Nebenprodukt dieser Veranlagung ist die Tendenz der
Geißeln, stets alles über einen Kamm zu scheren. Geißeln
entscheiden nur selten von Fall zu Fall: Sie versuchen, ihr
Leben nach absoluten und unumstößlichen Prinzipien zu
führen. Aus diesem Grund sind für manche Geißeln auch
Gandhi und Martin Luther King genauso verdorben wie
der Rest der Menschheit, wohingegen andere Asharu Hit-
ler und Stalin als herausragendste Vertreter der menschli-
chen Rasse verstehen. Da sie die Menschheit als ein großes
Feld sehen, das es zu bestellen und abzuernten gilt, haben
sie große Schwierigkeiten damit, sich auf einzelne Halme
und Ähren zu konzentrieren.

114
KAPITEL FÜNF
„Ich kann dir Dinge zeigen, wie sie dein Auge noch nie erblickt hat. Nimm einfach meine
Hand, und ich werde dein Leben für immer verändern.“
Bevor es überhaupt Land gab, war die Welt ein einziger,
riesiger Ozean. Die Engel, denen die Herrschaft über dieses
gewaltige und mächtige Reich zugesprochen worden war,
nannte man die Nereiden, und sie zählten zu den wunder-
schönsten Wesen in Gottes Schöpfung. Sie waren Urquell
und Muse, und die Schwingungen ihrer Mächte setzten
sich in jenen Leidenschaften fort, die in die Künste und die
Suche nach Wahrheit und Erkenntnis mündeten.
Die Nereiden waren dazu ausersehen, die Menschheit zu
inspirieren, sie mit Geheimnissen zu locken und sie dazu
zu bewegen, in die Welt hinauszuziehen und ihre vielen
verborgenen Wunder zu entdecken. Sie waren die Verkör-
perung der Sehnsucht – verlockend und doch stets uner-
reichbar. Ihre Macht gewährte ihnen die tiefsten Einsichten
in die Wünsche der Menschen, doch Gottes Werk sorgte
dafür, daß die unendliche Weite des Ozeans immer zwi-
schen ihnen und den Sterblichen stand. Es dauerte nicht
lange, ehe die Nereiden die ihnen vom Himmel auferlegten
Pflichten beklagten und die unerfüllbare Liebe betrauerten,
die sie für die Menschheit empfanden. Aus heutiger Sicht
glauben viele Schänder, daß es letzten Endes eine Nerei-
de gewesen wäre, die das Banner der Revolution erhoben
hätte, wenn Luzifer sich nicht zuerst zu diesem Schritt
entschlossen hätte.
Der Fall schweißte die Schänder zusammen. Sie setzten
ihre Kräfte dazu ein, Sterbliche und aufständische Engel
gleichermaßen im Kampf gegen den Himmel zu beflügeln.
Sie wurden zum lebenden Symbol dieses Kampfes und spie-
gelten die höchsten Ideale des Widerstandes wider, wo-
durch sie andere inspirierten, es ihnen gleichzutun. Wich-
tiger noch, sie hielten selbst in den finstersten Tagen des
Krieges die Moral der Rebellen aufrecht, denn die Schän-
der heilten spirituelle Wunden, die keine Geißel und kein
Verschlinger auch nur berühren konnte. Die Hingabe, mit
der diese Gefallenen kämpften, gipfelte in einigen der hel-
denhaftesten Taten des Krieges. Sie wurden die Grundlage
für die romantischen Epen, die in der kollektiven Seele der
Menschheit bis heute nachklingen.
Die Niederlage, die am Ende des Krieges stand, war ein
schrecklicher Schlag für die Schänder, deren Überzeugung,
daß die Rebellion eine gerechte Sache war, nie ins Wan-
ken gekommen war. Obwohl sie mehr als die meisten an-
deren Gefallenen Einsamkeit gewöhnt waren, gehörten
die Schänder mit zu den ersten, die an den Qualen des
Abgrunds zerbrachen und sich den Schmerz über ihren
Verlust mit glühenden Klingen des Hasses aus der Seele
schnitten.
Nun, da die Tore der Hölle geborsten und die Schänder
endlich wieder frei sind, können sie ihr Unwesen in einer
Gesellschaft treiben, die nichts höher schätzt als das äu-
ßere Erscheinungsbild. Sie können Männer und Frauen zu
Akten der Obsession, der Eifersucht und des Verlangens
verleiten, die Familien zerstören, Karrieren beenden oder
ganze Regierungen stürzen. Doch sie können auch ein ge-
steigertes Verständnis für Philosophie, Gemeinschaft und
Kunst in der Menschheit wecken und den Sterblichen eine
Vision der Schönheit in der trostlosen Realität der moder-
nen Welt schenken. Die Schänder wurden geschaffen, um
lebende Mysterien zu sein. Sie sind gefährlich und verlok-
kend, und sie wurden einst dazu erschaffen, die Menschen
zu Taten großen Mutes und großer Stärke zu beflügeln,
die das Wachstum der menschlichen Seele hätten fördern
sollen.
Fraktionen: Schänder gehören fast immer den Faustianern
oder den Verheerern an. Erstere sind von der Menschheit
fasziniert – sie reagieren mit Entzücken oder zumindest
Respekt auf ihre wiedergewonnene Beziehung zu den Men-
schen. Die Verheerer verhalten sich wie zurückgewiesene
Liebhaber und üben oft subtil (jedoch immer auf unvergeß-
liche Weise) Rache an denen, die sie auf so furchtbare Art
verraten haben. Sie brechen Herz und Verstand, und sie
säen Zwietracht unter den Menschen, um Gemeinschaften
unter bitteren Vorwürfen und Akten der Gewalt auseinan-
derbrechen zu sehen.
Einige andere Schänder sind zwar von der modernen
Zivilisation der Menschen sehr enttäuscht, haben sich aber
trotzdem den Faustianern angeschlossen. Sie sehnen sich
nach der wundervollen Vision, die sie vor dem Krieg hat-
ten, und haben erkannt, daß die Menschen einen essenti-
ellen Teil davon ausmachen.
Je nachdem, wie ihre Erfahrungen während des Krieges
aussahen und wer ihre Kameraden waren, gibt es einige
115
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

andere Schänder, die durchaus fasziniert von der Suche der

Jünger des Morgensterns oder den Zielen der Enigmaten
sind. Nur sehr wenige Schänder werden zu Versöhnern.
Obwohl sie sich vielleicht das Gegenteil wünschen, wis-
sen die meisten Schänder, daß es keinen Weg zurück ins
Paradies gibt und die alten Barrieren, die von der Hand
der Gefallenen eingerissen wurden, nicht wieder aufgebaut
werden können.
Wirte: Schänder fühlen sich unwiderstehlich zu eitlen und
leidenschaftlichen Menschen hingezogen. Es ist eher un-
wahrscheinlich, daß ihre Wirte Zeit ihres Lebens logischem
oder spirituellem Denken zugewandt waren. Es handelt
sich eher um Menschen, die Spaß am Körperlichen und
Unmittelbaren hatten. Dabei gingen sie aber nicht not-
wendigerweise wahllos vor, sondern gaben all ihr Erspartes
für die neueste Mode, die schnellsten Autos oder die tren-
digsten Spielzeuge aus. Oft waren sie von trivialen Dingen
besessen und ständig damit beschäftigt, immer genauere
Feinabstimmungen an ihrem persönlichen Lebensstil vor-
zunehmen, um die großen Veränderungen um sie herum
verdrängen zu können.
Idealisten, die einen Schänder auf sich aufmerksam ma-
chen, sind nicht an abstrakten Theorien oder pragmati-
schen Lösungen interessiert, sondern daran, die Welt durch
ihre eigenen spontanen Handlungen umgehend zu verän-
dern. Die weitblickendsten Kandidaten sind Künstler, die
versuchen, gewaltige Ausschnitte der Wirklichkeit in ihre
Werke einzubinden, und sich vollkommen sicher sind, die
Komplexität der Welt um sie herum auch wirklich darin
einzufangen.
Andere Kandidaten sind womöglich eher von greifba-
reren Erfahrungen nachhaltig beeinflußt worden. Men-
schen, die heftig oder oft geliebt haben und immer wieder
zurückgewiesen wurden, oder solche Sterbliche, die sich
einer Sache verschrieben haben und von ihr am Ende ent-
täuscht wurden – auch diese Menschen können sich in
einem Dasein gefangen fühlen, in dem Selbstmitleid und
kleinliche Rachegedanken echten Kummer und gerechten
Zorn ersetzt haben.
Eine weitere Kategorie potentieller Wirte sind Menschen,
die buchstäblich für ihre Kunst gelitten haben: bettelarme
Maler, gescheiterte Schriftsteller und Musiker auf dem ab-
steigenden Ast, deren Geist durch beständige Ablehnung,
Schulden und Drogensucht gebrochen wurde.
Glaube: Für viele Schänder ist der Erhalt von Glauben
eine trickreiche Angelegenheit, da sie an den allzu engen
Kontakt mit Menschen nicht gewöhnt sind. Die Aufmerk-
samkeit von Menschen auf sich zu lenken, ist recht einfach
– der schwierige Teil ist es, diese Aufmerksamkeit längere
Zeit auf sich gerichtet zu halten. Durch großzügigen Ein-
satz seiner Kenntnisse kann ein Schänder sehr schnell eine
größere Gruppe von Anhängern um sich scharen (und im
Zuge dessen möglicherweise für einigen Tumult sorgen),
doch eine solche Menschenmenge nützt ihm kaum etwas.
Blinde Schmeichelei und selbstzerstörerische Hingabe sind
noch lange kein Glaube, obwohl sie eine Grundlage bil-
den können, auf der man mit viel Geduld aufbauen kann,
um irgendwann Glauben zu erzeugen. Im Prinzip muß ein
Schänder seine Anhänger davon überzeugen, daß sie der

116
KAPITEL FÜNF
STEREOTYPEN
Teufel: Schänder betrachten Teufel oft mit Mißtrauen,
da es ihnen so vorkommt, als wollten die Teufel versu-
chen, der gesamten Welt trotz tausend Jahre des Leids
nach wie vor ihre eigene Sicht der Dinge aufzuzwän-
gen. Einst waren sie die Stimme Gottes, doch jetzt ist
ihre Botschaft nicht mehr als haßerfüllte Hetze.
Geißeln: Zwischen diesen beiden Häusern gibt es viele
Ähnlichkeiten, da sie sich beide mit den physikalischen
Elementen und den Geheimnissen des Lebens befassen.
Dies läßt die Schänder schnell Freundschaft mit den
Engeln des Windes schließen, und sie neigen dazu, rasch
großes Vertrauen in die Geißeln zu setzen – eine Hal-
tung, die gelegentlich zu einer wahren Tragödie führt.
Übeltäter: Dieses Haus interessiert die Schänder am
meisten und übt eine besondere Anziehung auf sie aus,
denn die Übeltäter scheinen das Zusammenspiel von
Schönheit, Mysterium und Funktion wirklich zu begrei-
fen – wenn auch nur in unbelebten Dingen.
Gaben, die er ihnen zuteil werden läßt, auch tatsächlich
würdig sind.
Viele dieser Gaben beinhalten oft eine erweiterte Wahr-
nehmung der Welt. Schänder gestatten es ihren Sklaven,
ihr Wissen und – was noch viel bedeutsamer ist – ihre in-
tuitiven Kenntnisse über ihre Umgebung zu mehren. Dies
kann sich in einem allgemeinen Gefühl der Erleuchtung
ausdrücken oder zu einem besseren Verständnis in einem
ganz bestimmten Bereich führen. Oftmals manifestiert sich
die Gabe eines Schänders in Kunstwerken oder drückt sich
in greifbareren Formen wie politischem oder sozialem En-
gagement aus. Dieses neue Verständnis wird oft von wie-
dergewonnener Zuversicht begleitet, die oftmals ausreicht,
um selbst übernatürlichen Methoden der Einflußnahme zu
widerstehen.
Charaktererschaffung: Die gesellschaftlichen Attribute
sind für einen Schänder von alles überragender Bedeutung.
Jedes einzelne ist wichtig, und unabhängig vom Zustand
des Wirtskörpers sollte ein Erscheinungsbild von 3 das
absolute Minimum sein. Talente wie Empathie, Intuition
und Ausflüchte gehören ebenso selbstverständlich zum
Wesen eines Schänders wie die Fertigkeit Überleben. Der
Ursprung der Schänder als Geister des Wassers verleiht ih-
nen eine Geschmeidigkeit, die sich in hohem Geschick und
guten Werten in Ausweichen und Heimlichkeit sowie unter
Unholde: Die Schänder verstehen dieses Haus und
die Bereiche der Schöpfung, über die es gebietet, nicht
wirklich. Die Unholde ziehen die kühle Logik der Intui-
tion bei weitem vor, und Logik ist etwas, daß die Schän-
der als Anathema erachten, wenn man ein Gespür für
wahre Wunder und Inspiration entwickeln will.
Verschlinger: Der Auffassung der Schänder nach ste-
hen Verschlinger und Schänder in einer besonderen
Beziehung zueinander. Beiden Häusern wurde die Herr-
schaft über die Wildnis gegeben, und sie befassen sich
beide in gewisser Hinsicht mit den Angelegenheiten
des Fleisches.
Schnitter: Auch wenn die Launenhaftigkeit der Schnit-
ter und ihr ausgeprägter Hang zur Innenschau einen
Schatten auf ihre Beziehung zu den Schändern werfen,
sehen diese die Schnitter als verwandte Geister an, die
den Schmerz wahrer Isolation und echter Einsamkeit
nachvollziehen können.
Umständen auch in Handgemenge widerspiegelt. Die mei-
sten Schänder interessieren sich nicht für das detaillierte
akademische Wissen, das an modernen Universitäten und
ähnlichen Institutionen vermittelt wird, und die Politik der
Sterblichen erachten sie als äußerst vulgär.
Anfangswert für Qual: 3
Geheimnisse des Hauses: Geheimnisse des Sehnens, Ge-
heimnisse des Sturms, Geheimnisse der Verwandlung
Schwächen: Schänder können im Umgang mit anderen
sehr frustrierende, widersprüchliche Geschöpfe sein, die in
einem Gespräch urplötzlich das Thema wechseln und jede
Unterhaltung in einen wahren Sumpf von Belanglosigkei-
ten hinunterziehen können. Sie können eine Täuschung
noch lange aufrechterhalten, nachdem sie ihren eigentli-
chen Nutzen für sie verloren hat, und reagieren schon bei
der geringsten Provokation gereizt und aufbrausend. Um
dies zu verhindern, muß man ihnen häufig nur ein wenig
Raum für sich selbst lassen. Je geordneter und klaustropho-
bischer eine Situation wird, desto eher schnauzen sie ihre
Freunde grundlos an, handeln vollkommen unüberlegt oder
geben einfach ihre momentanen Bestrebungen auf, um sich
ganz neuen Zielen zu widmen. Ein solches Verhalten ist nur
schwer berechenbar, und es kann vorkommen, daß es sich
erst Tage nach dem Auslöser für die Gemütsschwankung
zeigt – wenn überhaupt.
117

„Ob du mich liebst oder haßt, ist mir gleich. Ich will nur, daß du dein Leben bis zum letzten
Atemzug auskostest. Wenn deine Zeit gekommen ist, werden wir uns wiedersehen.“
Dem letzten der Häuser des Himmels, den Todesengeln,
wurde die traurige Aufgabe zuteil, all jene Wunder wieder
ungeschehen zu machen, die von ihresgleichen zuvor er-
schaffen worden waren. Sie beendeten Leben und lösch-
ten große Werke aus, um den nötigen Platz für Neues zu
schaffen. Es war eine schwermütige Rolle, die sie inmitten
all der Herrlichkeit des Kosmos zu spielen hatten, doch
die Schnitter fanden ebenso große Zufriedenheit in ihrer
Arbeit wie alle anderen Engel auch – bis zur Geburt der
Menschheit.
Wie die anderen Himmlischen liebten die Schnitter die
Menschen, und ihr ganzes Streben galt einzig und allein
dem Zweck, den Garten Eden lebendig und in Schwung
zu halten. In ihrer Unwissenheit betrachteten die Men-
schen jedoch den Tod von Tieren und Pflanzen mit Furcht
und Niedergeschlagenheit. Diese Reaktion bestürzte und
schmerzte die Schnitter, die den Menschen ihre Angst gern
genommen hätten, aber durch Gottes Gebot daran gehin-
dert waren. Als Luzifer das Banner der Rebellion erhob,
folgten ihm viele Schnitter aus nur einem einzigen Grund:
Sie sehnten sich verzweifelt danach, geliebt und nicht mehr
länger gefürchtet zu werden.
Doch dann erfolgte der tragische Gegenschlag des Him-
mels. Die Strafe für den Ungehorsam der Menschen war
der Fluch der Sterblichkeit. Nun waren die Schnitter dazu
gezwungen, das Leben ebenjener Wesen zu beenden, die
sie am meisten liebten, und die Pein, die ihnen dadurch
bereitet wurde, entfremdete sie nur noch weiter von den
Menschen und den anderen Gefallenen gleichermaßen.
Obwohl sich viele Schnitter im Krieg des Zorns einen Ruf
als schreckliche Krieger und unbeugsame Verfechter des
Aufstands verdienten, blieben die Schnitter als Haus wäh-
rend des Konflikts eher außen vor und konzentrierten sich
mehr darauf, den Menschen ihr Sterben leichter zu ma-
chen, anstatt selbst zu dem Gemetzel beizutragen.
Nach ihrer geheimnisvollen Befreiung aus dem Höl-
lenschlund finden sich die Schnitter heute in einer Welt
wieder, die furchtbar unter der Abwesenheit derjenigen
gelitten hat, die einst über den Tod und das Altern geboten.
Das Leid der Welt und der Menschheit hat viele Schnitter
davon überzeugt, daß es nur noch eine einzige Aufgabe
118
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
gibt, die sie zu erfüllen haben. Sie müssen die letzte Nacht
einleiten, um der Welt zumindest ein gnädiges Ende zu
bereiten. Einige wenige besonders zielstrebige Schnitter
glauben jedoch, daß sie den Frieden und das Verständnis
der Menschheit gewinnen könnten, nach denen sie sich
immer so sehr gesehnt haben, sofern es ihnen gelingt, das
alte Gleichgewicht der natürlichen Ordnung wiederherzu-
stellen.
Fraktionen: Nur sehr wenige Schnitter gehören den Jün-
gern des Morgensterns an, da ihre Treue Luzifer gegen-
über ohnehin nie die unerschütterlichste war. Er stand im
Mittelpunkt der Rebellion, während sie nur eine kleine
Nebenrolle darin spielten und sich mehr darum bemühten,
Menschenleben zu retten und die Pläne des Feindes zu
durchkreuzen, anstatt Schlachten gewinnen zu wollen.
Die Zahl der Schnitter, die sich den Faustianern anschlie-
ßen, ist zwar etwas höher, doch die meisten Halaku, die
ihr Hauptaugenmerk auf das Potential der Menschheit
richten, treten lieber den Versöhnern bei und widmen ihr
ganzes Dasein der Suche nach Gott. Sie streben die Er-
neuerung der Welt an und wollen sie wieder so herrichten,
wie sie einmal war, bevor den Menschen die Unsterblich-
keit genommen wurde. Sie halten es nicht für sinnvoll, die
Menschheit dazu anzuspornen, sich voll und ganz auf ihre
eigenen Stärken zu verlassen, da ihrer Meinung nach Gott
allein Schutz vor dem Tod gewähren kann. Ansonsten wäre
der Kosmos ein geschlossenes System, in dem kein Maß
an Überzeugung, Weiterentwicklung oder Läuterung je
ausreichen würde, um den Fluch der Sterblichkeit von den
Menschen zu nehmen.
Die Enigmaten ziehen eine beachtliche Zahl von Schnit-
tern an, da das am Abstrakten ausgerichtete und wiß-
begierige Wesen dieser Fraktion viele Halaku anspricht.
Allerdings sind auch unter den Verheerern nicht gerade
wenig Schnitter. Ihre Anhänger unter den Halaku würden
die unterschiedlichsten Gründe für ihre Mitgliedschaft in
dieser Fraktion nennen – daß sie ihre gottgegebene Pflicht
erfüllen, daß sie die Armeen der Toten verstärken wollen,
um den Himmel zu belagern oder daß sie Gottes Abwesen-
heit zu den Richtern über die Menschheit gemacht hat.
In Wahrheit jedoch ist es üblicherweise nichts anderes als
KAPITEL FÜNF

große Eifersucht auf die Lebenden, die diese Halaku dazu

bringt, sich wieder und wieder an der Lust an purer Zerstö-
rungswut zu erfreuen.
Wirte: Schnitter fühlen sich zu Personen hingezogen, denen
ihr Leben nicht sonderlich viel Wert ist – ihre Wirtskörper
sind häufiger als bei allen anderen Häusern Selbstmordop-
fer. Menschen, die tagtäglich mit Gewalt und Verbrechen
konfrontiert werden, sind für die Inbesitznahme durch ei-
nen Schnitter ebenfalls besonders empfänglich – Polizisten,
Soldaten und Drogenabhängige fallen beispielsweise in die-
se Kategorie. Mit jedem Schlag, den sie auf sich selbst oder
gegen andere richten oder gerichtet sehen, verkümmern
sie innerlich ein kleines bißchen mehr. Flüchtlinge oder
Opfer von Folter und Mißbrauch sind weitere aussichtsrei-
che Kandidaten. Dann gibt es da noch diejenigen, deren
Seelen durch einen tristen Alltag und Vernachlässigung
so sehr zersetzt wurden, daß sie sich mit Messern die Haut
zerschneiden, weil dieser Schmerz die einzige Empfindung
ist, zu der sie noch in der Lage sind.
Neben tiefster Verzweiflung gibt es natürlich noch wei-
tere Gründe für den Verlust der Seele. Jemand, der sein
ganzes Leben damit zugebracht hat, anderen zu helfen und
dabei jeden Gedanken an eine gerechte Entlohung für sein
Handeln aufgegeben hat, könnte ebenfalls einen Schnitter
anziehen. Menschen, die in voller Überzeugung einer Re-
ligion oder Philosophie anhängen, die zu Ungunsten des
irdischen Daseins ganz auf das Jenseits und das Leben nach
dem Tod ausgerichtet ist – oder solche Denkschulen, die
behaupten, körperliche Erlebnisse und Sehnsüchte seien
nur eine Illusion –, geben ebenfalls geeignete Wirte für
Halaku ab.
Glaube: Philosophisch betrachtet befinden sich die Mitglie-
der des Hauses der Zweiten Welt in einer schwierigen Lage,
wenn es darum geht, Anhänger um sich zu scharen und den
Glauben der Sterblichen einzubringen. Die Menschheit
war ursprünglich nicht für den Tod ausersehen, und des-
halb müssen die Schnitter, die das Paradies neu errichten
wollen (zumeist handelt es sich dabei um Versöhner und
Enigmaten), die Menschen irgendwie dazu bewegen, ihre
eigene Sterblichkeit zu vergessen – und damit auch den
Platz, den die Halaku in ihrem Leben eigentlich einneh-
men. Für alle Dämonen, die nach wie vor den Gedanken
an eine Rebellion gegen Gott hochhalten, dient der Tod als
bestes Mahnmal für ihr Scheitern.
Manche Schnitter versuchen diese Fragen ganz einfach
insgesamt zu übergehen. Um den Glauben der Sterblichen
gewinnen zu können, treten diese Halaku einfach nur als
Engel auf und verschweigen ihren Anhängern, daß es sich
bei ihnen in Wahrheit um Todesengel handelt. Dies läßt
sich am leichtesten bewerkstelligen, indem sie sich als Mit-
glied eines anderen Hauses ausgeben – Teufel und Unhol-
de sind die am häufigsten von Schnittern nachgeahmten
Dämonen, da sich die Halaku für die Rolle eines Namaru
einfach nur übermäßig stolz gebärden müssen und sie sich
ohne Mühen als Neberu ausgeben können, wenn sie den
Sterblichen um sich herum einige ihrer Geheimnisse anver-
trauen. Eine andere Lösung besteht darin, eine Religionsge-
meinschaft zu gründen, die sich Kirche Aller Engel, Kirche
des Einen Gottes oder die Erleuchtete Menschheit nennt

119

STEREOTYPEN
Teufel: Wenn man die Schnitter bittet, eine Meinung
über die Teufel abzugeben, so scheinen die Halaku ei-
genartigerweise oft großes Mitleid für die Namaru zu
empfinden. Die Lügen und der krankhafte Ehrgeiz der
Teufel werden von den Schnittern häufig mit einem
traurigen, herablassenden Lächeln bedacht.
Geißeln: Während des Krieges gab es viel Zwietracht
zwischen diesen beiden Häusern. Heute betrachten die
Schnitter die Geißeln als ihre engsten Geschwister und
tragen ihnen nichts nach.
Übeltäter: Schnitter sind der Meinung, daß Artefakte
– und im Grunde eigentlich alle materiellen Gegen-
stände – nichts weiter sind als Spielzeuge, die von den
wahren Belangen der Welt ablenken. Nichtsdestotrotz
scheinen sie gut mit den Übeltätern zusammenarbeiten
zu können und wissen sie gerne um sich.
Unholde: Manche Schnitter sagen, seit Gott sich von
der Schöpfung abgewandt hat, seien es die Toten, die
in den Träumen schweben und die Muster der Sterne
festlegen. Aus diesem Grund sind die Unholde ein wei-
teres Haus, dessen Mitglieder die Schnitter als nahe
(oder einen ähnlich generischen Namen trägt). Wieder
andere Halaku machen den Tod zu einem zentralen Glau-
bensgrundsatz in der Beziehung zu ihren Sklaven. Verhee-
rer haben es dabei am leichtesten – sie brauchen lediglich
einen Kult von Mördern aufzubauen, und das war es dann
auch schon für sie. Schnitter mit hohen Qualwerten haben
womöglich gar keine andere Wahl als die Gründung eines
solchen Kultes.
Aufgrund ihrer Faszination für alle Facetten des Lebens
setzt sich die Anhängerschaft eines Schnitters oft aus den
unterschiedlichsten Menschen zusammen – selbst dann,
wenn der Halaku eine allein auf den Tod ausgerichtete
Sekte um sich herum aufbaut. Die Schnitter sind bei der
Wahl ihrer Sklaven recht anfällig für willkürlich getroffene
Entscheidungen – so gehen sie häufig mit dem erstbesten
Sterblichen einen Pakt ein oder nehmen jeden Menschen
in ihren Kult auf, der sie aufsucht. Einige Schnitter wählen
sogar zufällig irgendein Gesicht in der Menge aus und set-
zen dann alle Hebel in Bewegung, um diesen Menschen und
diese Seele in ihre Geheimnisse einzuweihen.
Charaktererschaffung: Es gibt bei den Schnittern keine
Kategorie von Attributen, die die Bedeutung der jeweils
anderen bei weitem übersteigen würde. In der Regel zeigen
die geistigen Attribute die höchsten Werte (wobei Wahr-
nehmung besonderen Vorzug genießt). Körperkraft und
Charisma sinken normalerweise unter den ursprünglichen
Wert des Wirts, wofür jedoch die Widerstandsfähigkeit
steigt. Manipulation kann ebenfalls einen recht hohen
Wert aufweisen, auch wenn die Schnitter beim Einsatz die-
ses Attributs eine gewisse Befangenheit an den Tag legen.
Aufmerksamkeit, Intuition und Heimlichkeit gehören
zu den bevorzugten Talenten und Fertigkeiten, aber auch
Einschüchtern und Nachforschungen sind eine häufige und
120
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Geistesverwandte ansehen.
Schänder: Die Schänder haben die Kluft zwischen sich
und der Menschheit überbrückt. Es war eine Kluft, die
in gewisser Hinsicht ebenso unüberbrückbar schien
wie die zwischen den Sterblichen und den Schnit-
tern. Doch alles, was die Schänder mit ihren neuer-
langten Möglichkeiten anfangen, ist nach Meinung
vieler Schnitter, sich wie verzogene Gören und billige
Schlampen aufzuführen.
Verschlinger: Die Schnitter raten den Verschlingern
häufig von übereilter Anwendung von Gewalt und
sinnlosem Morden ab. Trotzdem sind sie froh darüber,
Beziehungen zu diesem Haus zu unterhalten, dessen
Mitgliedern sie auch in vielerlei anderen Bereichen mit
ihrem Rat zur Seite stehen. Manche Dämonen sind der
Meinung, die Schnitter zielten darauf ab, die Verschlin-
ger zu ihren Leibwächtern zu machen, doch natürlich
wird diese Behauptung von den Schnittern entschieden
als üble Nachrede zurückgewiesen.
gute Wahl. Darüber hinaus scheinen die Mitglieder dieses
Hauses sehr rasch ein gerüttelt Maß unterschiedlichster
Kenntnisse über die Welt um sich herum aufzuschnappen,
was bedeutet, daß es für einen Halaku keine Kenntnisse
gibt, die wirklich aus der Reihe fallen würden. Fertigkeiten
wie Führungsqualitäten und Empathie entsprechen zwar
nicht unbedingt dem Wesen eines Halaku, doch während
des Krieges können sich durchaus die merkwürdigsten Din-
ge ereignet haben.
Anfangswert für Qual: 4
Geheimnisse des Hauses: Geheimnisse der Geister, Ge-
heimnisse des Jenseits, Geheimnisse des Todes
Schwächen: Vor dem Krieg wurden die Schnitter von den
anderen Engeln oft gemieden, was ihnen eine Aura der
Gleichgültigkeit verlieh, hinter der sich in vielen Fällen
eine große Wißbegierde bezüglich der Welt der Lebenden
verbarg. Selbst die Erinnerungen ihrer eigenen Wirte schei-
nen für die Schnitter noch fremdartiger zu sein, als sie es für
die anderen Dämonen ohnehin schon sind. Sie mögen sehr
geschickt darin sein, ausgefeilteste Täuschungen zu durch-
schauen, doch simplere Dinge – insbesondere die Motive
und Beweggründe von Menschen – können sie vor unlös-
bare Rätsel stellen. Und obwohl sie einen aufgeschlosse-
nen und wachen Geist besitzen, fällt es ihnen sehr schwer,
Fehler einzugestehen, nachdem sie sich erst einmal zu einer
Entscheidung durchgerungen haben. Je größer ihre Qual
wird, desto klarer wird ihre Wahrnehmung der Welt um
sie herum, während sie sich zugleich paradoxerweise im-
mer mehr von der Welt entrückt fühlen. Der Großteil des
Schadens, den Schnitter mit hohen Qualwerten anrichten,
entsteht durch ihren zwanghaften Wunsch, irgendein ein
Zeichen ihrer selbst in der Wirklichkeit zu hinterlassen, die
ihnen mehr und mehr entgleitet.
KAPITEL FÜNF
„Folge mir, und ich erfülle dir deinen sehnlichsten Wunsch. Bete mich an, und ich mache
dich zu einem Gott.“
Als Gottes erste und vollkommenste Geschöpfe trugen
die Herolde die Standarte des Herrn, um mit Seinem Licht
in die Welt hinauszuziehen und die gesamte Schöpfung zu
erleuchten. Diese höchsten aller Engel waren die Anführer
und Prinzen des Himmels, und sie waren wie leuchtende
Beispiele all dessen, was im Auge des Schöpfers herrlich
und heilig war.
Die oberste Pflicht des Ersten Hauses bestand darin, den
anderen Häusern den Willen des Himmels zu vermitteln
und sie anzuleiten, ihrer sich stetig weiterentwickelnden
Rolle bei der Erschaffung des Kosmos gerecht zu werden.
Die Teufel trugen diese enorme Verantwortung mit Stolz,
und sie ließen ihre Untergebenen ihre Präsenz nur dann
spüren, wenn es unbedingt nötig wurde. Doch ihre Freiheit,
die Entwicklung des Kosmos nach ihren Vorstellungen zu
beeinflussen, wurde zur Wurzel ihrer Hybris, die letzten
Endes maßgeblich dazu beitrug, den Fall einzuläuten.
Nachdem der Große Plan in der Geburt der Menschheit
seinen Höhepunkt gefunden hatte, kam der Befehl des
Schöpfers, sich vor den Menschen verborgen zu halten und
sie ohne fremde Hilfe ihre wahren Möglichkeiten erkennen
zu lassen, für die Himmlischen vollkommen überraschend.
Die Unzufriedenheit der Herolde fand ein Sprachrohr in
dem höchsten Engel in ihren Reihen – Luzifer, dem Mor-
genstern. Letztlich entschied sich mehr als die Hälfte der
Herolde, sich auf die Seite des Morgensterns zu schlagen,
was prozentual gesehen eine größere Zahl von Deserteuren
als in allen anderen Häusern des Himmels war.
Nunmehr als Teufel verflucht wurden die ehemaligen He-
rolde zu den Generälen, Anführern und Helden der Re-
bellion. Gerüstet mit ehrfurchtgebietenden Mächten der
Führung und der Inspiration machten sich die Teufel daran,
die Menschheit in ein neues Zeitalter zu führen und die
Sterblichen dazu zu ermutigen, dem Schöpfer abzuschwören.
Doch mit zunehmender Dauer des Krieges entfremdeten
sich die Teufel den Menschen, die sie doch so sehr geliebt
hatten. Aus Helden und Beschützern wurden Demagogen
und Diktatoren, die ihre menschlichen Untertanen mit ho-
nigsüßen Worten und giftigen Lügen manipulierten.
Stolz und trotzig weigerten sich die Teufel, sich auch nur
die Möglichkeit einzugestehen, einen Fehler begangen zu
haben – bis der Himmel über die Rebellen siegte und die
Dämonen in die Finsternis des Abgrunds verbannt wurden.
Ohne Luzifer in ihren Reihen wandten sich die anderen
Gefallenen in ihrem Zorn gegen ihre vormaligen Anführer.
Um sich zu verteidigen – und um ihre eigenen Zweifel zu
überdecken –, setzten die Teufel ihre Mächte des Charis-
mas und der Täuschung ein, um die anderen Dämonen
gegeneinander aufzuhetzen.
Doch nun sind die Barrieren um die Hölle herum durch-
brochen worden, und viele Teufel haben sich einen Weg
zurück in die Welt der Sterblichen erkämpft. Für die Teufel,
die noch immer der Sache der Hölle verschrieben sind, ist
die Zeit gekommen, die Menschen an die frühere Herr-
lichkeit der Gefallenen zu erinnern und sie zu Dienern
der Dämonen zu machen. Gefallene Teufel, die Vergebung
suchen, haben eine zweite Chance erhalten – eine zweite
Chance, die Menschheit vor den Gefahren zu bewahren,
die sie zu vernichten drohen, ein neues Utopia für Sterbli-
che und Himmlische gleichermaßen zu errichten und viel-
leicht auch den Beweis zu erbringen, daß Luzifers Kreuzzug
für seine Sache letztlich doch gerechtfertigt war.
Fraktionen: Teufel sind von ihrem Wesen her unvorstellbar
politisch denkende und handelnde Kreaturen. Sie sind Pup-
penspieler, deren Lebenszweck allein darin besteht, andere
Wesen zu kontrollieren und zu manipulieren. Sie stellen
die oberen Führungsebenen einiger der bedeutendsten und
größten Fraktionen, wodurch sie nun die Dämonen führen,
wie sie es einst mit den Engeln im Himmel taten.
Es ist wenig überraschend, daß die meisten Teufel Jünger
des Morgensterns sind, die nach wie vor der Vision des
ersten und größten Rebellen anhängen. Sie folgen noch
immer dem Traum, den Schöpfer von Seinem Thron zu
stoßen und die Menschheit in eine glorreiche Zukunft zu
führen.
Neben den Jüngern des Morgensterns fühlen sich die
meisten Teufel zu den Faustianern hingezogen. Wo sie sich
einst als Herolde nach der Liebe und dem Respekt der
121
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

Menschheit sehnten, haben diese Teufel nun beschlossen,

daß es sich bei der Verehrung der Sterblichen und ihrem
Glauben um ein mindestens ebenso erstrebenswertes Ziel
handelt. Mit der Macht der Menschheit in ihrem Rücken
wollen sich die Faustianer ein neues Reich auf Erden er-
richten, über das die Teufel als Erste unter Gleichen herr-
schen sollen.
Das Rätsel um Luzifers Verschwinden lastet schwerer auf
dem Gemüt der Teufel als auf dem anderer Dämonen – er
war der größte unter ihnen, und sein Verschwinden brachte
Zweifel und Leid über ihr Haus. Aus diesem Grund schlie-
ßen sich viele Teufel den Enigmaten an und versuchen
verzweifelt, die Wahrheit über den Fall, ihren Mentor und
den wahren Grund für ihre Verbannung herauszufinden.
Die Herolde liebten die Menschheit aufrichtig, und einige
Teufel spüren noch immer einen Widerhall dieser Liebe in
sich. Diese Minderheit innerhalb der Namaru fühlt sich zu
der Fraktion der Versöhner hingezogen. Sie hoffen, Gottes
Vergebung zu finden, wenn es ihnen gelingt, einen neuen
Garten Eden zu errichten – doch noch vielmehr hoffen sie
darauf, durch die Verwirklichung dieses Ziels auch die Ver-
gebung und die Liebe der Menschheit zurückzugewinnen.
Nur wenige Teufel gehören der Fraktion der Verhee-
rer an. Wenn ein Teufel sich eingestünde, daß der Krieg
umsonst war, um sich anschließend ganz der Zerstörung
hingeben zu können, so müßte er sich zugleich eingestehen,
daß Luzifers Rebellion an und für sich ein großer Fehler
war. Die meisten Teufel sind zu stolz und zu hochmütig, um
diese Vorstellung zu akzeptieren. Einige wenige Teufel sind
jedoch an ihren Zweifeln und ihrer Trauer zerbrochen, und
sie wünschen sich nichts sehnlicher, als die Welt zu zerstö-
ren, die sie als ein Mahnmal ihrer eigenen Torheit und ihres
Versagens betrachten.
Wirte: Teufel sind die Antithese des Einzelgängers. Sie
sind Charmeure und Betrüger in einem. Auf Erden fühlen
sie sich stark zu Sterblichen hingezogen, die eine ähnliche
Geisteshaltung aufweisen und ihre Seelen bei dem Versuch
verloren haben, Macht und Einfluß zu gewinnen. Auch
die Neigung, andere Menschen zu instrumentalisieren,
sein gesellschaftliches Umfeld kontrollieren zu wollen und
Anhänger und Unterstützer um sich zu scharen, wird das
Interesse eines Teufels wecken. Gute Beispiele für solche
Personen sind Politiker, Manager, Musiker, Schauspieler
und charismatische Prediger.
Ob als strahlende Ritter des Himmels oder schwarze Pa-
ladine der Hölle, die Teufel waren schon immer Helden
gewesen – Paradebeispiele für den Mut, den man braucht,
um auch im Angesicht eines übermächtigen Gegners den
Kampf nicht aufzugeben. Irgendwo in den Tiefen der be-
fleckten Seele eines jeden Teufels ist immer noch ein Körn-
chen Heldentum und Edelmut zu finden – ganz gleich,
wie sehr diese Eigenschaften in ihnen auch verdreht und
verzerrt sein mögen. Daher reagieren sie auch besonders
auf Sterbliche, die diese Qualitäten aufweisen. Ein Teufel
könnte beispielsweise in einen hochdekorierten Polizisten
einfahren, der seine Seele durch Korruption oder wegen
seines Abstumpfens gegenüber sinnloser Gewalt verloren
hat, in eine Mutter, die Leib und Leben aufs Spiel gesetzt
hat, um ihr Kind vor ihrem prügelnden Ehemann zu be-

122
KAPITEL FÜNF

STEREOTYPEN
Geißeln: Die Dämonen der Heilung und der Krank- Schänder: Wo es die Teufel den Übeltätern krumm-
heit genießen den Respekt der Teufel. Geißeln können nehmen, Menschen zu manipulieren, haben sie mit
Menschen heilen, die es verdient haben, und noch den Schändern weitaus weniger Probleme. Wenn ein
dazu Störenfriede unter den Sterblichen mit Krank- Teufel und ein Schänder zusammenarbeiten, können
heiten schlagen – und dadurch spielen sie den Teufeln sie jede menschliche Schwäche ausnutzen. Obwohl
weitere Werkzeuge in die Hände, um die Sterblichen sie sich hin und wieder als Rivalen gegenüberstehen,
zu manipulieren. sind diese beiden Häuser in der Regel doch eher Ver-
Übeltäter: Teufel neigen dazu, die Baumeister und Er- bündete.
finder der Hölle mit Geringschätzung zu betrachten. Verschlinger: Als sie noch Generäle im Krieg gegen
Die Übeltäter manipulieren auch Sterbliche, und ob- den Himmel waren, respektierten die Teufel die Ver-
wohl sie das mittels ihrer verfluchten Artefakte eher schlinger aufgrund ihrer gewaltigen Kampfkraft, doch
aus der Entfernung tun, sehen die Teufel dies dennoch heute sehen die meisten Namaru in den Rabisu nichts
als unbotmäßige Einmischung in ihr Spezialgebiet an. weiter als gewalttätige und unberechenbare Relikte
Unholde: Die ersten Sterne waren Herolde, und ihre einer längst vergangenen Epoche.
Bahnen wurden von den Engeln gelenkt, aus denen spä- Schnitter: Die Teufel haben schon immer auf die
ter die Unholde wurden. Teufel und Unholde blicken auf Schnitter herabgeschaut, da die Halaku die letzten und
eine lange, gemeinsame Geschichte der Zusammenarbeit unwichtigsten Engel waren, die von Gott erschaffen
zurück. Die Teufel verlassen sich auf die Unholde, wenn wurden. Die Teufel sehen sich selbst als Prinzen, wäh-
sie einen weisen Ratschlag brauchen, ihre Schlachtpläne rend die Schnitter in ihren Augen nichts weiter sind als
auf Fehler hin überprüft werden sollen oder sie neue Ein- Totengräber und Aasfresser.
blicke in die Schwächen der Menschen benötigen.

schützen, oder in einen ehemals prinzipientreuen Politiker,
der an der Last eines Skandals oder seiner eigenen Betrü-
gereien zerbrochen ist.
Glaube: Teufel sind Meister der Manipulation und in der
Lage, die Sehnsüchte und Schwächen von Sterblichen auf
einen Blick zu erkennen oder eine ganze Gruppe von An-
hängern mit nur einem Fingerzeig zu lenken. Man könnte
also meinen, die Teufel hätten es leicht, den Glauben der
Sterblichen zu gewinnen – und es ist tatsächlich so, daß
Teufel oftmals erfolgreicher darin sind als andere Dämo-
nen. Allerdings ist der Erhalt von Glauben immer mit ei-
nem Vorgang verbunden, der eine gewisse Mühe erfordert,
und selbst die größten Verführer der Hölle müssen sich
anstrengen, um an diese kostbare spirituelle Energie her-
anzukommen.
Das Wort „Personenkult“ ist die perfekte Bezeichnung
für das Auftreten eines Teufels und die Hingabe seines
Gefolges. Der Aufbau eines Kultes von Dienern ist für ge-
wöhnlich eine der obersten Prioritäten, die ein Teufel sich
setzt, und sie setzen die effektivste Ressource, die ihnen zur
Verfügung steht – sterbliche Anhänger –, gern und häufig
ein. Der Kult eines Teufels ähnelt häufig einem Schneeball-
system, in dem jeder neue Anhänger weitere Mitglieder re-
krutiert, die für das Charisma des Teufels besonders anfällig
sind. Rasch ist der Teufel dann von einer Reihe Menschen
umgeben, die sich ihm voll und ganz verschrieben haben
und ihn wie einen Gott verehren – und das ist genau der
Status, nach dem es ihm seit dem Fall begehrt hat.
Charaktererschaffung: Es überrascht wenig, daß Teufel
dazu neigen, die gesellschaftlichen Attribute zu betonen,
was insbesondere für Manipulation und Charisma gilt.
Dank ihrer Positionen als Generäle und Paladine während
des Kriegs verfügen viele Teufel zudem über ausgepräg-
te körperliche Attribute. Geistige Attribute sind Teufeln
weniger wichtig, auch wenn einige hohe Werte in Geistes-
schärfe besitzen, da man zumindest einigermaßen gewitzt
sein muß, wenn man wirkungsvoll lügen will.
Keine Fähigkeit ist für einen Teufel nützlicher als Aus-
flüchte, und nahezu alle Mitglieder dieses Hauses haben
einen hohen Wert in diesem Talent. Viele Teufel besitzen
herausragende körperliche Fertigkeiten und Talente, wobei
Sportlichkeit, Handgemenge und Nahkampf zu den am
meisten verbreiteten zählen. Dies liegt in der Rolle der
Teufel als Anführer und Helden in längst vergangenen
Zeiten begründet.
Anfangswert für Qual: 4
Geheimnisse des Hauses: Geheimnisse der Flammen, Ge-
heimnisse des Glanzes, Geheimnisse der Himmlischen
Schwächen: Jeder Teufel versucht, die Erinnerung an sei-
nen einstigen Edelmut zu vergessen, obwohl ihm das nie
gelingen kann. Die Teufel wissen, daß sie einst vollkom-
mene Prinzen des Himmels waren, und so sehr sie sich
auch bemühen, sich etwas anderes einzureden, bleibt ihre
momentane Existenz doch nichts weiter als ein Zerrbild
dieser früheren Vollkommenheit. Zudem hat die zeitlose
Gefangenschaft in der Hölle viele Teufel mit Zweifeln, Be-
dauern und Scham behaftet – Gefühle, die sie niemals wer-
den ausdrücken können. Werden sie erst einmal von diesen
Emotionen gepackt, lassen sich Teufel oft zu unüberlegten
Handlungen und Donquichotterien hinreißen.

123

„Ich weiß, man hat dich verletzt. Hier habe ich etwas, das dein Leben wieder besser und
schöner machen wird.“
Am dritten Tag hob Gott das Land aus dem Meer, und
Er übertrug die Aufsicht über das Land an eine auserwählte
Gruppe von Engeln. Diese Himmlischen, die die Baumei-
ster genannt wurden, überwachten – und liebten – die Erde
und alles, was in ihr verborgen war. Ihre tiefe Zuneigung
galt dem Boden, den Edelsteinen und dem Fels. Sie fühlten
sich den Feuern verbunden, die unter der Erdoberfläche
loderten, und ganz besonders schätzten sie die Metalle.
Die Baumeister wurden auch mit der Verantwortung
betraut, den Menschen dabei zu helfen, die Erde zu ihrem
Vorteil zu nutzen – um die Felder zu bestellen und die Erze
auszugraben, die sie brauchten, um Werkzeuge zu schmie-
den, mit denen sie die Welt nach ihren Vorstellungen um-
gestalten konnten. Die Engel machten sich bereitwillig an
diese Aufgabe, und sie waren erpicht darauf, ihre Liebe zur
Erde mit ihren Mündeln zu teilen.
Doch die Menschheit war nicht reif genug für eine solch
große Verantwortung. Die Sterblichen versuchten, die
wundersamen Werkzeuge der Engel zum Einsatz zu bringen,
doch sie wußten nicht, wie man sie richtig verwendete, und
häufig waren sie nicht einmal in der Lage, sie überhaupt
zu benutzen. Die Menschen begannen, einen Groll gegen
ihre verborgenen Lehrmeister zu hegen und sie ihrer Voll-
kommenheit wegen zu fürchten, während die Verwirrung
und die Bestürzung der Baumeister zusehends wuchs, da es
ihnen nicht möglich war, mit den Menschen auf dieselbe
Art und Weise wie mit den berechenbaren Elementen Erde
und Feuer umzugehen.
Als der Krieg zwischen den aufständischen Engeln und
den Mächten des Himmels ausbrach, schlugen sich viele
Baumeister auf Luzifers Seite. Sie fühlten sich von den Men-
schen, die sie doch so sehr zu lieben versucht hatten, zurück-
gewiesen, und sie waren erbost über den Schöpfer, da den
Engeln durch Sein Verbot, den Menschen unmittelbare Hilfe
zu leisten, die Hände gebunden waren. Außerdem schlossen
sie sich den Rebellen an, weil sie dachten, nur die anderen
Engel könnten sie richtig verstehen und aufrichtig lieben, wo
die Menschen sie doch einfach nur aufgegeben hatten.
Nachdem die Rebellen den Krieg verloren hatten und
in die Hölle gesperrt worden waren, fiel es den Übeltätern
sehr schwer, mit ihrer Gefangenschaft umzugehen – sie wa-
124
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
ren von der Erde und dem Feuer abgeschnitten, die bisher
Sinn und Zweck ihrer gesamten Existenz gewesen waren.
Diese schreckliche Einsamkeit machte die meisten Übel-
täter zu kaltherzigen und zurückgezogenen Geschöpfen,
die nicht einmal mehr mit den anderen Dämonen richtig
umzugehen wußten. Sie wurden gerissen und nachdenk-
lich, und sie zogen sorgfältige Planung und Geduld den
Gefühlsstürmen von Zorn und Voreiligkeit vor.
Nun, da sie endlich wieder aus der Hölle befreit sind, fin-
den die Übeltäter sich in einer Welt wieder, die von Grund
auf verwandelt wurde. Die Menschheit hat letztlich doch
zum Einsatz von Werkzeugen gefunden und ist zu einer
Rasse von ruhelosen Machern geworden, aber im Zuge des-
sen haben sie die Erde, für die sie keine Liebe empfinden,
geschändet und verwüstet. Übeltäter, die noch immer im
Dienst der Fürsten der Hölle stehen, unterdrücken ihren
Schmerz und halten Ausschau nach neuen Gelegenheiten,
um Chaos unter den Menschen zu stiften. Für die Gefalle-
nen ist die Welt wie eine offene Wunde, und manchmal ist
der Drang in ihnen, sich einfach zu Boden zu werfen und
in Tränen auszubrechen, schier überwältigend. Doch wenn
die Welt geheilt werden soll, müssen die Übeltäter ihren
Schmerz erdulden und ihre Arbeit wiederaufnehmen – so
wie sie es schon vor Jahrtausenden getan haben.
Fraktionen: Der größte Teil der Übeltäter gehört bereits
seit den letzten Tagen des Krieges zu den Faustianern. Ihr
Hang zur Manipulation von Menschen mittels ihrer vergif-
teten Kelche und verfluchten Gaben sowie ihre Absicht,
die Menschheit zu unterjochen, sorgen dafür, daß sie sich
nahtlos in diese Fraktion einfügen können.
Die Versöhner bilden die nächstgrößere Gruppe inner-
halb der Übeltäter. Trotz all ihrer Bemühungen, sich nicht
länger um das Wohlergehen der Welt zu sorgen, können
diese Dämonen ihre Verbundenheit zum Land und zur
Natur nie wirklich aufgeben. Nun, da sie wieder frei durch
die Welt streifen können, werden viele Übeltäter von ihrer
verlorengeglaubten Liebe geradezu übermannt, und sie ver-
suchen, all den Schmerz der Vergangenheit zu vergessen,
um Erlösung finden zu können.
Die Enigmaten unter den Übeltätern setzen ihre natür-
liche Schläue und Intelligenz ein, um die Geheimnisse, die
KAPITEL FÜNF

hinter dem Krieg und dem Fall stehen, zu ergründen. Viele

Übeltäter finden in dieser Fraktion wieder einen dringend
benötigten Sinn ihrer Existenz, und noch dazu ist es un-
wahrscheinlich, daß sie im Zuge ihrer Anstrengungen je
dazu gezwungen werden, allzuviel ungewollten Umgang mit
Sterblichen pflegen zu müssen.
Unter den Jüngern des Morgensterns sind die Übeltä-
ter nur selten zu finden. Die meisten Annunaki wurden
durch den Fall zu schwer getroffen und haben zu großen
emotionalen Schaden genommen, um noch auf ihren ver-
lorenen Führer vertrauen zu können. Trotzdem stirbt die
Hoffnung auch in Dämonen zuletzt, und selbst im Haus des
Fundaments gibt es einige Jünger des Morgensterns. Diese
Dämonen neigen dazu, das Ziel der Jünger des Morgen-
sterns als heilige Berufung zu erachten, der sie mit großer
Leidenschaft folgen.
Dank ihrer Liebe zur Erde und zu Werkzeugen – sämt-
lichen Dingen, die mit hohem Zeitaufwand und großer
Sorgfalt gefertigt werden – verspüren diese Dämonen nur
höchst selten einen Drang zu ungezügelter Zerstörung in
sich. Die wenigen Annunaki, die der Fraktion der Verhee-
rer angehören, sind wahrhaft furchterregende Geschöpfe,
die oftmals zu den zerstörerischsten und gewalttätigsten
Anhängern dieser Fraktion zählen.
Wirte: Nach ihrer Flucht aus der Hölle treibt es Übeltäter
normalerweise zu Seelen, die ebenso schweren emotionalen
Schaden erlitten haben wie sie selbst. Übeltäter sind in
vielerlei Hinsicht einsame und unsichere Wesen, da sie so-
lange von dem getrennt waren, was ihnen einst am meisten
am Herzen lag – der Erde. Ihre Wirte sind ähnlich gebro-
chene Individuen – einsame, hilfsbedürftige Menschen, die
schon immer gespürt haben, das ihnen irgend etwas gefehlt
hat, um wirklich ein erfülltes Leben führen zu können.
Gute Beispiele für solche Personen sind Drogensüchtige,
häßliche oder entstellte Sterbliche, Menschen, die sich
an Partner klammern, von denen sie nur ausgenutzt und
mißhandelt werden, sowie Jugendliche, die ihr eigenes Ich
durch Tätowierungen und Piercings zu verwandeln versu-
chen.
Eine weitere große Gruppe von Menschen, die als Wirte
für Annunaki in Frage kommen, sind solche Personen, die
sich von anderen Menschen entfremdet haben und sich
im Umgang mit Maschinen oder der Erde wohler fühlen –
dieser Charakterzug kommt der Psyche der Übeltäter sehr
nahe. Die Bandbreite dieser Kategorie potentieller Wirte
ist sehr groß: Sie reicht vom Hacker, der sich nur im In-
ternet richtig wohlfühlt, über den Soziopathen, der andere
Menschen lediglich als Objekte wahrnimmt, bis hin zum
Umweltschützer, der die Menschen verachtet, weil sie den
Planeten systematisch zerstören.
Glaube: Übeltätern fällt es aus zwei Gründen oft schwer,
den Glauben der Sterblichen zu gewinnen. Zunächst einmal
haben die Annunaki von Natur aus große Schwierigkeiten
damit, die Menschen zu verstehen und Beziehungen zu ih-
nen aufzubauen, da die Sterblichen nicht einmal annähernd
so berechenbar und verläßlich wie Felsgestein sind. Da die
Übeltäter nicht in der Lage sind, die Menschen wirklich zu
kennen, tun sie sich schwer damit, den Sterblichen ohne
größere Anstrengungen Inspiration zu schenken.

125

STEREOTYPEN
Teufel: Häufig beneiden die Übeltäter diese wortge-
wandten Meister der Manipulation, die menschliche
Unzulänglichkeiten so leicht auszunutzen wissen. Für
die Annunaki erfordern solcherlei Unterfangen er-
hebliche Mühe und Konzentration, weshalb sie ob
der überlegenen Fertigkeiten der Namaru sogar einen
gewissen Groll gegen die Teufel verspüren.
Geißeln: Luft und Erde vermischen sich nicht, und
kein Fels kann von einer Krankheit befallen werden.
Die Übeltäter erachten die Geißeln im besten Fall als
ihrer Beachtung nicht wert, und im schlimmsten Fall
sehen sie die Asharu sogar als Ärgernisse.
Unholde: Weissagungen, Vorzeichen und der Lauf der
Gestirne – welche Bedeutung könnten derlei Dinge
schon für den großen Plan des Kosmos haben? Übeltä-
Ein weiteres Hindernis ist die Tatsache, daß ein Übeltäter
stets auf seine Werkzeuge und magischen Artefakte ange-
wiesen ist. Die Kräfte eines Zauberspiegels können einem
Sterblichen verhältnismäßig leicht die Sprache verschlagen
und Ehrfurcht in ihm auslösen, doch damit gelangt er noch
lange nicht automatisch zu dem Schluß, daß der Dämon,
der ihm den Zauberspiegel vorgeführt oder gegeben hat,
für diese Wunder verantwortlich ist. Solange der Sterbliche
keinen näheren Zusammenhang zwischen dem Gegenstand
und dem Übeltäter sieht, verpufft sein Glaube einfach nur
wirkungslos im Äther.
Wenn ein Übeltäter den Glauben eines Sterblichen ein-
bringen will, muß er das mit Hilfe eines von ihm geschaffe-
nen Gegenstands tun. Dabei kann es sich sowohl um etwas
Alltägliches (beispielsweise ein Messer aus Silber, mit dem
der Annunaki die Haut seines Opfers abzieht) als auch
um eine wundersame Schöpfung handeln (wie einen Spie-
gel, der die innere Schönheit eines Sterblichen zeigt). Der
Dämon kann jedesmal ein anderes Werkzeug verwenden,
wenn er den Glauben eines Sterblichen einbringen will
– wichtig dabei ist nur, daß es sich um einen Gegenstand
handelt, den der Annunaki selbst erschaffen hat, und sich
der Sterbliche auf diesen Gegenstand konzentriert, wäh-
rend ihm sein Glaube entzogen wird.
Übeltäter fühlen sich von derselben Art von Personen
angezogen, die ihnen auch als Wirtskörper dienen – die
Verlorenen, die Hilfsbedürftigen, die Gebrochenen. Die
Annunaki neigen insbesondere dazu, ihre Aufmerksam-
keit auf Sterbliche zu richten, die nach etwas suchen,
das ihr Leben wieder in Ordnung bringen und ihren
Problemen ein Ende machen kann – sie erhoffen sich
eine konkrete Lösung und keine Vertröstung aufs Me-
taphysische. Der kauzige Außenseiter, der attraktiv sein
will, der Schriftsteller, der bei der Arbeit an seinem Buch
eine Schreibblockade hat, der Querschnittgelähmte, der
wieder laufen will – all diesen Leuten kann durch einen
Übeltäter „geholfen“ werden, indem der Annunaki ihnen
126
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
ter sind praktisch veranlagte Dämonen, und sie sehen
die Parzen als wertlos an.
Schänder: Die Schänder verstehen die Schöpfung
ebenso wie die Annunaki. Die Übeltäter respektieren
die Lammasu, was jedoch nicht bedeutet, daß sie ihnen
notwendigerweise auch vertrauen.
Verschlinger: Die Übeltäter verstehen den Sinn hinter
dem kurzlebigen und ungeordneten Leben der Tiere
nicht. Sie halten sich die Verschlinger lieber vom Leib,
obgleich sie die Stärke der Rabisu respektieren.
Schnitter: Leben und Sterben der Menschen sind für
die Übeltäter ebenso geheimnisvoll wie letztlich irre-
levant, da sie die Gesellschaft todlosen Gesteins der
lebenden Wesen ohnehin vorziehen. Obwohl die An-
nunaki das Haus der Zweiten Welt achten, beachten
sie es kaum.
einen Computer baut, der die Kreativität seines Anwen-
ders fördert, oder ihnen eine Maske fertigt, die aus ihrem
Träger einen Adonis macht.
Charaktererschaffung: Übeltäter haben häufig hohe Wer-
te in den geistigen Attributen – insbesondere in Geistes-
schärfe, die Kreativität und Auffassungsgabe abdeckt. Als
Baumeister und emsige Arbeiter verfügen sie außerdem
in der Regel über hohe Widerstandsfähigkeit und Körper-
kraft. Aufgrund ihrer Schwierigkeiten, Beziehungen mit
Menschen einzugehen, sind die gesellschaftlichen Attri-
bute der Annunaki meist recht niedrig – auch wenn sie oft
dennoch besonderen Augenmerk auf Manipulation legen,
da sie durchaus ein gewisses Talent besitzen, Menschen wie
Werkzeuge zu benutzen.
Um ihren Status als Erfinder unter den Dämonen wider-
zuspiegeln, verfügt so gut wie jeder Übeltäter über einen
hohen Wert in Handwerk. Viele weisen auch einen exzel-
lenten Wert in Recherche auf. Das Talent Ausflüchte ist
ebenfalls sehr beliebt – obwohl Übeltäter nicht die gleiche
natürliche Begabung zur Manipulation wie beispielsweise
die Teufel besitzen, so arbeiten sie doch hart daran, dieses
Manko auszugleichen.
Anfangswert für Qual: 3
Geheimnisse des Hauses: Geheimnisse der Erde, Geheim-
nisse der Esse, Geheimnisse der Wege
Schwächen: Die größte Schwäche der Mitglieder dieses
Hauses ist ihre mangelnde Befähigung, menschliche Wesen
zu verstehen. Menschen sind unberechenbare, unordent-
liche Geschöpfe, und die Annunaki empfinden es selbst
nach der Übernahme der Erinnerungen und Persönlichkeit
ihrer Wirte als äußerst anstrengend, sich mit den Sterb-
lichen auseinanderzusetzen. Die Übeltäter fürchten sich
sogar ein wenig vor der Menschheit. Die Ablehnung, die
sie durch die Menschen erfahren haben, hat die Annunaki
furchtbar verwirrt und verletzt, und die Angst vor einer
neuerlichen Zurückweisung kann unterschwellig die Pläne
und Handlungen eines Übeltäters beeinflussen.
KAPITEL FÜNF
„Du hast viele Fragen, mein Freund, aber bist du auch bereit für die Antworten?“
Im Anfang schuf Gott das große Uhrwerk des Himmels,
um dem Kosmos eine Ordnung zu geben. Jede Umlaufbahn
eines Planeten oder Sterns beschrieb den Radius eines
Zahnrads, die allesamt durch ein himmlisches Schwungrad
mit anderen Zahnrädern verbunden waren und zu einem
gewaltigen, ineinandergreifenden Mechanismus gehörten.
Das Firmament war mit einem feingearbeiteten Maßwerk
aus Umlaufbahnen, Ellipsen, Perioden und Konstanten
überzogen. Es war eine unglaublich gigantische Konstruk-
tion, die sich in seiner Gesamtheit jeglichem Verständnis
entzog.
Die Seher lenkten diese vielen Bewegungen und Um-
laufbahnen. Sie wußten stets, wann und wo sich alles im
Kosmos befand oder befinden würde – ganz gleich, ob sie
nur einen Tag oder ein Jahrtausend in die Zukunft blick-
ten. Unter ihrer Aufsicht standen die Mittel, mit denen
der Himmel Einfluß auf die Ereignisse auf der Erde nahm.
Sie dirigierten die Gezeiten mit Hilfe der Bewegungen
des Mondes und versetzten die Erde in Rotation, um den
Wechsel der Jahreszeiten herbeizuführen. Von allen Engeln
waren sie die am weitesten von der Menschheit entrück-
ten Diener Gottes. Sie liebten ihre aus Lehm gemachten
Brüder und Schwestern, doch es war ihr Los, hoch droben
über dem Garten Eden zu wohnen und mit den Sterblichen
lediglich über die Geheimnisse, die ins Himmelszelt einge-
woben waren, Umgang zu pflegen.
Als die Rebellion kam, spalteten sich die Seher rasch in
zwei Lager auf. Es war ein Mitglied ihres Hauses gewesen
– ein Seher namens Ahrimal –, der als erster die schlim-
men Vorzeichen deutete, die zum Fall führen sollten. Zu
jenem Zeitpunkt glaubten Ahrimal und die Parzen, die
ihm Glauben schenkten, daß das bevorstehende Unheil
eintreten würde, sofern die Engel nicht eingriffen, um es
zu verhindern, weshalb sie zu den glühendsten und laut-
stärksten Verfechtern der Rebellion wurden. Tatsächlich
war es jedoch so, daß der Fall die Wurzel des Übels war, das
Ahrimal vorhergesehen hatte. Bis zum heutigen Tag gibt es
nicht einen einzigen Unhold, den dieser kollektive Fehler
seines Hauses nicht nach wie vor quält.
Luzifer schätzte die Unholde als Berater und Strategen,
da ihm ihre Fähigkeit, die Zukunft vorherzusagen, einige
schnelle Siege einbrachte. Der Krieg stellte sich allerdings
in jeder Hinsicht als äußerst verlustreich heraus, da die
Unholde nicht erwartet hatten, daß er eine solch unglaub-
liche Zerstörung anrichten würde. Es war ein Zeichen ihrer
Hybris, daß sie davon ausgingen, der Große Plan würde
durch ihre Handlungen nicht im geringsten durcheinan-
dergebracht werden.
Am Ende schleuderte Gott die Rebellen in den Abgrund
hinab und verbannte die Unholde damit in gewisser Weise
in ihre ganz persönliche Hölle. Einst waren sie Wesenheiten
der Ordnung und Disziplin gewesen, doch der Abgrund
konnte nicht kodifiziert, vermessen oder gelenkt werden.
Ohne die feste Routine, die ihnen das große Uhrwerk des
Himmels vorgegeben hatte, verfielen die Unholde dem
Wahnsinn.
Erst, als die Kerkermauern des Abgrunds durch den
Mahlstrom zum Bersten gebracht wurden, konnten die
Unholde zum ersten Mal seit unendlich langer Zeit wieder
das große Uhrwerk spüren, und sie sahen die Risse, durch
die sie in die Freiheit gelangen konnten. Auf die Erde zu-
rückgekehrt mußten die Unholde feststellen, daß das Fir-
mament herrenlos und ungelenkt war, während das große
Uhrwerk Rost angesetzt hatte und nur noch stockend tick-
te. Die Unholde hatten ihren Prüfstein wiedergefunden,
doch er hatte Sprünge, war abgenutzt und möglicherweise
nicht wieder in Ordnung zu bringen. Und genau das gleiche
konnte man auch von ihnen behaupten.
Fraktionen: Die Unholde messen nichts größere Bedeutung
zu als ihrer Suche nach Wissen. In ihren gebrochenen Her-
zen ruht ein unstillbares Verlangen danach, jene absolute
Klarheit wiederzuerlangen, mit der sie einst auf das Univer-
sum blickten und kaum eines seiner Geheimnisse vor ihnen
verborgen blieb. Böse Zungen behaupten, diese Suche der
Unholde nach Splittern der Kongruenz sei nichts weiter als
der vermeintliche Versuch, jenen unausweichlichen Mo-
ment der Prüfung ihres eigenen Gewissens hinauszuzögern,
der viele Neberu in das Lager der Verheerer treibt. Kaum ein
Unhold zweifelt daran, daß die Zerstörung des kosmischen
Uhrwerks etwas anderes bewirken würde als die Verdam-
mung der Gefallenen in ein noch finstereres Vergessen, als
es schon der Abgrund gewesen war. Aus offensichtlichen
127
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

Gründen ziehen es daher viele Unholde vor, sich der Frak-

tion der Enigmaten und ihrer Suche nach der Wahrheit
anzuschließen, anstatt den Verheerern beizutreten.
Nur wenige Unholde fühlen sich zu den Versöhnern hin-
gezogen, und sei es nur aus dem Grund, daß die Neberu be-
reits vor dem Krieg stets fernab des Paradieses weilten. Der
Garten Eden war nie wirklich ihre Heimat – warum also
sollten sie um etwas trauern, das sie nie wirklich gekannt
haben? Statt dessen ist die am zweithäufigsten gewählte
Fraktion unter den Unholden die der Jünger des Morgen-
sterns. Vielleicht liegt es daran, daß Luzifer die Unholde
vor Anfeindungen schützte, als der Kriegsverlauf für die
Rebellen an seinem absoluten Tiefpunkt angelangt war.
Die ältesten Unholde behaupten gar, Luzifers Schicksal sei
noch nicht besiegelt, auch wenn keiner sagen will, warum
dem so sein sollte.
Zu guter Letzt gibt es noch einige Unholde, die den Fau-
stianern beitreten, da sie glauben, das Schicksal der Mensch-
heit zu kontrollieren sei nichts anderes, als einen weiteren
Kurs zu berechnen und festzulegen. Andere wiederum sehen
die moderne Menschheit als einen unglaublich komplexen
Organismus an, der dem Kosmos selbst gleichkommt und
ein würdiger Nachfolger des Universums ist, wenn es darum
geht, ihre Fertigkeiten auf ihn anzuwenden.
Wirte: Unholde hegen eine Vorliebe für geduldige Wis-
senssucher, und damit sind alle Menschen gemeint, die wie
die Neberu selbst das Universum hinterfragen, indem sie
mutig darin herumstochern, sich die Hände dabei schmut-
zig machen und blind in der Dunkelheit umherstolpern,
ohne dabei Rücksicht auf Leib und Leben zu nehmen. Sei
es ein Reporter, der Familienbande und Freundschaften für
die Suche nach der Story seines Lebens opfert, oder ein
Okkultist, der sich selbst wissentlich Geistern öffnet, deren
Macht jenseits seines Verständnishorizonts liegt: Unholde
wählen Personen als ihre Wirte aus, die bereit sind, ihre
Seele gegen Erleuchtung einzutauschen. Für die Unholde
ist die bedeutsamste Wahrheit nicht die Frage, die man
stellt, sondern die Suche nach der Antwort und der Kampf,
den man führen muß, um diese Antwort zu erhalten. Je
mehr sich ein Mensch darum bemüht, verlorenes oder ge-
heimes Wissen aufzudecken – und je mehr er bei der Suche
danach von sich selbst verliert –, desto größer ist die Anzie-
hungskraft, die diese Person auf einen Unhold ausübt.
Glaube: Jeder Mensch hat Fragen, doch nur wenige sind
auch willens, die Antworten darauf zu finden. Die Unholde
verlassen sich auf diesen Sachverhalt, um Glauben zu ge-
winnen. Indem sie sich als gute Zuhörer ausgeben, machen
es die Neberu den Menschen leichter, sich ihnen anzuver-
trauen – insbesondere, da sich die Unholde zusätzlich gern
in Positionen begeben, die man mit Autorität und Wissen
in Verbindung bringt.
Die meisten Unholde mit einem niedrigen Qualwert er-
mutigen die Sterblichen eher dazu, selbst nach Wissen zu
suchen, anstatt den Menschen einfach die Antworten auf
all ihre Fragen zu geben. Sie halten Ausschau nach Wahr-
heitssuchenden, bieten den Sterblichen ein Podium für ihre
Ideen und stellen gerade so viele Fragen, daß der Mensch in
die richtige Richtung gelenkt wird. Nachdem sie erst ein-
mal das Vertrauen des Sterblichen gewonnen haben, bieten

128
KAPITEL FÜNF
STEREOTYPEN
Teufel: Die Unholde wissen, daß sie die wirklich großen
Visionen haben, aber die Neberu wissen ebensogut, daß
die Teufel die größte Befähigung aufweisen, um diese Vi-
sionen Wirklichkeit werden zu lassen. Die Unholde fühlen
außerdem eine besondere Verbundenheit mit jenen Na-
maru, die um die immense Bedeutung von wohldurch-
dachten Planungen und weitgesteckten Zielen wissen.
Geißeln: Insgeheim beneiden die Unholde die Geißeln
um ihre enge Verbindung zu den Menschen. Sie sind
eifersüchtig darauf, wie leicht sich die Asharu im Um-
gang mit Sterblichen tun, obwohl sie diese Mißgunst
nur äußerst selten offen zeigen.
Übeltäter: Die Unholde werfen den Übeltätern vor,
der Menschheit einst schädliches Wissen überantwor-
tet zu haben, das sich mittlerweile über die gesamte
Erde ausgebreitet und diese vielerorts verwüstet hat.
Es fällt den Unholden sehr schwer, diesem Haus zu
verzeihen. Die einzige Ausnahme stellen die wenigen
Versöhner unter den Annunaki dar, die versuchen, die
Fehler wiedergutzumachen, die sie in der Vergangen-
heit begangen haben.
sie ihm einen Pakt an, der ihn wiederum dazu anhält, die
eigene Suche weiter fortzusetzen und sich nicht auf den
Unhold zu verlassen, was die Beantwortung der von ihm
gestellten Fragen angeht.
Aus denselben Gründen verachten Unholde Sterbliche,
die nur nach schnellen und einfachen Lösungen im Leben
suchen. Sie bringen oft den Glauben dieser Menschen ein
und gewähren ihnen dabei kurze Einblicke in das grauen-
hafte Los, das sie erwartet. Dieses Einbringen des Glaubens
dient nicht nur Zwecken der Selbsterhaltung, sondern fun-
giert zugleich als Strafe, aber durch das Heraufbeschwören
ihrer schrecklichen Visionen riskieren die Unholde gleich-
zeitig, ihrer Qual Tür und Tor zu öffnen.
Andererseits verlassen sich Unholde mit einem hohen
Qualwert beim Abschließen ihrer Pakte auf ebendiese
Menschen, die auf schnelle Antworten aus sind. Sie setzen
Illusionen ein, um die Sterblichen zu korrumpieren, und
versprechen ihnen materiellen Gewinn, um die Sterbli-
chen, die Wissen auf die bequeme Art erwerben wollen,
von denen zu unterscheiden, die bereit sind, sich auf eine
Reise ins Ungewisse zu machen, um Antworten zu finden.
Unholde dieser Art bringen aber auch gern den Glauben
solcher ehrlicher Wahrheitssuchender ein. Sie quälen sie
mit Halbwahrheiten und Fehlinformationen und zerrütten
ihren Verstand mit obszönen Geheimnissen, die eigentlich
besser unenthüllt bleiben sollten.
Charaktererschaffung: Da Unholde an das Motto „Wissen
ist Macht“ glauben, achten sie auch in erster Linie auf hohe
Werte in den geistigen Attributen. Andere Neberu wieder-
um setzen eher darauf, mittels ihrer Fähigkeit, die Zukunft
vorherzusehen, Kontrolle über ihr Umfeld zu gewinnen,
weshalb für sie gesellschaftliche Attribute von primärem
Interesse sind.
Schänder: Die unsteten und gerissenen Schänder ver-
wirren die Unholde ebensosehr, wie die Unholde den
Lammasu Rätsel aufgeben. Die Neberu finden, daß die
Schänder zu sprunghaft und zu sehr auf das „Hier und
Jetzt“ bedacht sind, um wirklich von Interesse für sie
sein zu können.
Verschlinger: Die Unholde respektieren die Verschlin-
ger zwar wegen ihrer Treue zu Luzifer und ihres Kampf-
geschicks, doch im Grunde sind ihnen die Rabisu ein-
fach zu kurzsichtig. Sie bedürfen der Führung, doch die
Unholde haben nicht vor, diese frustrierende Aufgabe
zu übernehmen.
Schnitter: Dieses Haus wird von den Unholden we-
gen der Geduld seiner Mitglieder sehr geschätzt, und
gelegentlich suchen sie die Schnitter auf, um ihren Rat
einzuholen oder ihre Unterstützung zu erbitten. Eine
Handvoll Unholde glaubt, daß die Engel des Todes bei
der endgültigen Erlösung der Gefallenen eine tragende
Rolle spielen werden, und diese Neberu arbeiten eifrig
daran, die Beziehungen zwischen dem Haus der Sphä-
ren und dem Haus der Zweiten Welt zu festigen.
Was Fähigkeiten angeht, schätzen Unholde Kenntnisse
mehr als Talente und Fertigkeiten, wobei Nachforschun-
gen, Akademisches Wissen und Religion die größte Beach-
tung finden. Oft sind Unholde auch in den Geheimnissen
der Linguistik, des Okkultismus und der Recherche wohl-
bewandert.
Die beiden Hintergründe von entscheidender Bedeutung
für Unholde sind Verbündete und Kontakte. Die Suche
nach Wissen des sterblichen Wirts hat oft dafür gesorgt,
daß er ein Netzwerk von Gleichgesinnten aufgebaut hat,
die ihm seine Nachforschungen erleichtert haben. Wenn
der Wirt sich vor der Inbesitznahme durch den Unhold
intensiv mit okkulten Dingen beschäftigt hat, ist auch ein
sterblicher Mentor nichts Ungewöhnliches.
Anfangswert für Qual: 3
Geheimnisse des Hauses: Geheimnisse des Lichts, Ge-
heimnisse der Portale, Geheimnisse der Struktur
Schwächen: Neugier ist womöglich so etwas wie die Achil-
lesferse der Unholde. Es war ihre Neugier nach dem Un-
bekannten, die einst zu ihrem Niedergang führte, und es
ist ihr Verlangen, jedes Mysterium zu ergründen, sobald sie
sich einem Rätsel gegenübersehen. Ihre Neugier entspringt
meist aus unvorhergesehenen Ereignissen, zu denen es im
Verlauf der Durchführung eines Plans kommt. Wenn bei-
spielsweise ein Untergebener eines Unholds etwas derartig
Bedeutsames unternimmt oder sagt, daß es über die sorg-
fältig ausgewerteten Vorhersagen des Neberu hinausgeht,
so führt dies meist dazu, daß der Unhold unbedingt in
Erfahrung bringen will, wie es dazu kommen konnte. Er
konzentriert seine analytischen Fähigkeiten dann voll und
ganz darauf, die Ursache für die Anomalität aufzuspüren,
wodurch er allerdings oft die derzeitig eigentlich wichtige
Aufgabe vollkommen aus den Augen verliert.
129

„Es ist schon viel zu lange her, daß der Wind mir den Geruch von Blut in die Nase geweht
hat. Heute nacht werden wir wieder auf die Jagd gehen.“
Dem Haus der Wildnis war die Herrschaft über jedes
lebende Geschöpf gegeben worden, das auf Erden kreuchte
und fleuchte. Mit dem Ausbreiten der Wildnis über die
Welt woben die mit ihrer Aufsicht betrauten Engel aus den
unzähligen Fäden des Lebens einen feingearbeiteten Tep-
pich der Schönheit, Erhabenheit und Kraft. Sie erfüllten
ihre Pflichten mit Würde, Stolz und einem herausragenden
Ehrgefühl, und ihre Herrschaft war stets von Gerechtigkeit
und Mitgefühl geprägt.
Die Geburt der Menschheit war für die Engel der Wild-
nis sowohl ein Quell der Wunder als auch Auslöser einer
großen Bestürzung. Obwohl Gott verkündet hatte, daß
die Menschen die Herren über die Wildnis und alle in ihr
lebenden Wesen sein sollten, so hatten die Menschen doch
keinerlei Verständnis für die Regeln und Gesetze, die den
Lauf des Lebens in der Wildnis bestimmten. Für die Engel
ergab sich daraus ein Widerspruch: Ihre Pflicht bestand
darin, die Wildnis zu schützen und zu erhalten, doch die
größte Gefahr für sie ging von der Unwissenheit der Men-
schen aus, in deren Handeln sie auf Gottes ausdrückliches
Geheiß hin nicht eingreifen durften.
Obwohl sie in dem Ruf standen, ungestüme und instinkt-
getriebene Bestien zu sein, zögerten die Engel der Wildnis
am längsten unter allen Engeln der Himmlischen Heer-
scharen, auch überhaupt nur in Betracht zu ziehen, sich
dem Willen Gottes zu widersetzen. Diejenigen Engel der
Wildnis, die letztlich in die Reihen der Gefallenen ein-
traten, waren zu der Überzeugung gelangt, daß es keinen
anderen Ausweg mehr für sie gab, um ihr Mandat wirklich
erfüllen zu können. Nachdem sie sich erst einmal der Sache
Luzifers verschrieben hatten, gab es niemanden, der muti-
ger oder aufopferungsvoller als jene Verschlinger gewesen
wäre, die sich den Legionen der Rebellen angeschlossen
hatten und nun überall im Paradies schonungslos gegen
ihre ehemaligen Kameraden vorgingen. Die Verschlinger
wurden von beiden Seiten gefürchtet und respektiert, und
sie verloren nie – selbst als das Ende des Krieges schon ab-
sehbar geworden war – ihren festen Glauben daran, daß die
Rebellen am Ende den Sieg davontragen würden.
Anfangs nahmen die Verschlinger ihre Verbannung mit
stoischer Ruhe hin, doch letzten Endes ging es alles andere
130
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
als spurlos an ihnen vorüber, daß sie von der lebenden
Welt abgeschnitten worden waren. Um das Unglück voll-
zumachen, war das Verschwinden Luzifers ein schrecklicher
Schlag für die Moral des gesamten Hauses, was dazu führte,
daß viele Rabisu sich aufs bitterste verraten fühlten. Je
größer ihr Schmerz und ihr Zorn wurden, desto mehr fielen
sie der wildesten Seite ihres Wesens anheim und gaben ihre
Vernunft und somit auch ihre Schuld zugunsten fühlloser
Triebe auf.
Nach ihrer Flucht aus dem Abgrund waren die Verschlin-
ger bestürzt darüber, wie sehr sich die Welt verändert hatte.
Die Menschen, für die sie gekämpft und gelitten hatten,
hatten alles vergessen, was die Rebellen ihnen nach dem
Fall beigebracht hatten. Sie beraubten die Welt ihrer immer
schneller schwindenden Ressourcen und rotteten ganze
Gattungen aus. Diese Erkenntnis war für viele Verschlinger
der Tropfen, der das Faß endgültig zum Überlaufen brachte:
In dem Wunsch, die Menschheit für ihre Verbrechen gegen
die Natur bezahlen zu lassen, gaben sie sich völlig ihren
monströsen Trieben hin. Für den Rest der Rabisu reichten
die gepeinigten Schreie der sterbenden Erde aus, um aus
ihren Wahnvorstellungen gerissen und dazu angetrieben zu
werden, der Welt Heilung zu bringen und die Menschheit
vor ihrem drohenden Untergang zu retten.
Fraktionen: Verschlinger fallen für gewöhnlich in eine von
zwei Kategorien – je nachdem, wie gut ihre ursprünglichen
Überzeugungen die Agonien des Abgrunds überstanden
haben. Viele Verschlinger glauben, ihre treue Ergebenheit
gegenüber Luzifer und den Kampf der Gefallenen auch
weiterhin hochhalten zu müssen, und ihre neugewonnene
Freiheit ist ihrer Ansicht nach an die Verpflichtung gebun-
den, die infernalischen Legionen neu zu gruppieren, um
den Krieg gegen den Himmel wiederaufnehmen zu können.
Diejenigen Rabisu, die keine Jünger des Morgensterns sind,
schließen sich für gewöhnlich den Verheerern an, da das
Gefühl, verraten worden zu sein, sowie die Zerstörung der
Natur durch den Menschen sie dazu antreiben, blutige
Rache an Gottes liebsten Kindern zu nehmen.
Außerhalb dieser beiden Fraktionen findet man die
nächstgrößere Gruppe von Verschlingern bei den Versöh-
nern. Die Rabisu in ihren Reihen sind des Krieges und
KAPITEL FÜNF

des Blutvergießens müde geworden und spüren, daß sie

nur Buße für die Sünden ihrer Vergangenheit tun können,
wenn sie die Gärten neu anlegen, die dereinst vernichtet
wurden.
Verschlinger unter den Enigmaten sind ein seltenerer
Fall, obwohl eine durchaus beachtliche Zahl von Rabisu
nach einer Antwort auf die Frage sucht, was es mit Luzifers
Verschwinden auf sich hat. Dies tun sie zum einen, um
ihrem eigenen Ehrverständnis gerecht zu werden,
und zum anderen aus Respekt gegenüber ihrem
verschollenen Führer. Verschlinger dieser Frakti-
on haben mehr Erfolg, als man vielleicht meinen
könnte, da andere Gefallene häufig die Intelligenz
und Schläue der Rabisu unterschätzen.
Nur die allerwenigsten Verschlinger folgen
dem Ruf der Faustianer, was schlicht und ergrei-
fend daran liegt, daß Täuschung ihrem Wesen
völlig fremd ist und es ihnen an der nötigen
Geduld mangelt, die man für die Durchfüh-
rung ausgeklügelter Pläne braucht. Die we-
nigen Rabisu, die dieser Fraktion treu dienen,
tun dies nur, weil sie glauben, daß die Erde nur
geheilt werden kann, wenn die Menschheit von
den Gefallenen unterworfen wird.
Wirte: Oberflächlich betrachtet scheint es so, als
würden sich Verschlinger ausschließlich zu Soldaten,
Drogenhändlern, Gangmitgliedern oder Polizeibeamten
hingezogen fühlen, deren Seele aufgrund ihres von Gewalt
geprägten Lebens langsam zersetzt wurde. In Wirklichkeit
werden die Rabisu allerdings auch von Börsenmaklern,
Verkäufern, Feuerwehrleuten und
politischen Aktivisten angezogen
– Individuen, die sich gegen enor-
me Widrigkeiten zur Wehr setzen
und dabei oft psychische Narben
davontragen.
Es kommt kaum überraschend, daß auch solche
Personen als bevorzugte Wirte in Frage kommen, die von
dem Gedanken besessen sind, die Tiere und die Natur zu
schützen – oder auszubeuten. Ein Umweltschützer, dessen
militante Kreuzzüge ihn seine Menschlichkeit gekostet ha-
ben, ist ebensogut als Wirt geeignet wie ein kaltherziger
Wilderer, wobei die endgültige Entscheidung ganz von der
Persönlichkeit des jeweiligen Dämons abhängt.
Glaube: Verschlinger sind Meister in der Kunst, den Glau-
ben der Menschen einzubringen. Dank ihrer aufbrausenden
Natur haben die Rabisu weniger Schwierigkeiten mit dem
Erwerb dieser kurzfristigen Glaubenszugewinne als alle an-
deren Dämonen.
Verschlinger mit einem niedrigen Qualwert geben sich in
der Regel Mühe, das Einbringen von Glauben auf Kriminel-
le oder Personen zu beschränken, die ihrer Umwelt durch
ihr Handeln absichtlich schaden. Selbst dann versuchen
sie, ihr Opfer wenn möglich nicht zu töten. Sie ziehen es
vor, ihren benötigten Glauben lieber durch Handlungen
zu gewinnen, die dem Sterblichen lediglich große Schmer-
zen zufügen oder ihm schreckliche Angst einjagen, da die
Rabisu darauf hoffen, daß ihre Opfer diese Erfahrung als
Warnung verstehen und umzudenken beginnen.

131
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

STEREOTYPEN
Teufel: Während des Krieges respektierten die Ver- bewundern die Dämonen der Erde, und die Rabisu
schlinger die Teufel als ehrenwerte Anführer, die un- betrachten die Annunaki solange als Freunde, bis sie
ermeßlich viel für die Sache aufgegeben hatten. Die eines Besseren belehrt werden sollten.
guten Verbindungen der Namaru zu den Sterblichen Unholde: Die Verschlinger bringen den Unholden und
sind ein weiterer Grund für die Verschlinger, den Teu- ihren arkanen Bestrebungen nur wenig Geduld und
feln mit Hochachtung zu begegnen – und außerdem noch weniger Verständnis entgegen. Verglichen mit
scheinen sie den Verschlingern stets den schnellsten der rauschhaften Freude, die die Verschlinger bei der
Weg zur nächsten gewaltsamen Auseinandersetzung Jagd empfinden, erscheinen ihnen die Bewegungen der
weisen zu können. Planeten und die Konstellationen der Sterne unbedeu-
Geißeln: Auf dem Schlachtfeld würden die Verschlin- tend und trivial.
ger jederzeit lieber an der Seite der Geißeln kämpfen, Schänder: Die Verschlinger lieben die Schänder für
anstatt sich ihnen entgegenstellen zu müssen. Das gro- ihre Leidenschaft und ihre Inspiration, doch die sprung-
ße Leid, das ihre Kräfte bringen, läßt allerdings nur die hafte Natur der Lammasu verärgert auch zugleich viele
gequältesten Verschlinger nicht vor einer allzu engen der standfesten und zielstrebigen Verschlinger.
Verbindung zu den Asharu zurückschrecken. Schnitter: Die Verschlinger behandeln die Schnitter
Übeltäter: Das besondere Band zwischen den Übeltä- mit einer ausgewogenen Mischung aus Respekt und
tern und den Verschlingern reicht bis in die Zeit vor Mitleid. Sie bewundern die Hingabe, mit der die Ha-
dem Fall zurück, in der die beiden Häuser schon Hand laku ihrer schweren und schmerzvollen Aufgabe nach-
in Hand arbeiteten. Die Verschlinger respektieren und gehen.

Verschlinger mit einem hohen Qualwert sind bei der
Auswahl ihrer Opfer weniger zimperlich. Jeder – selbst
Sterbliche, die den Zielen des Dämons positiv gegenüber-
stehen – kann zu ihrem Opfer werden. Glaube ist Glaube,
und solche Verschlinger nehmen ihn sich, wo immer sie ihn
finden können. In den meisten Fällen überlebt das Opfer
eine solche Begegnung nicht.
Verschlinger machen hauptsächlich starke und aggres-
sive Individuen zu ihren Sklaven. Dabei kann es sich um
Menschen handeln, denen Gewalt nicht fremd ist – wie
beispielsweise Gangmitglieder, Soldaten oder Polizisten. Es
können aber auch durchaus ambitionierte Intellektuelle,
politische Aktivisten und Unternehmer sein. Wenn es um
Sklaven geht, haben die Verschlinger keine Verwendung
für die Schwachen oder Zögerlichen.
Charaktererschaffung: Obwohl man es wohl kaum als gro-
ße Überraschung werten kann, daß die wilden Verschlinger
die körperlichen Attribute am meisten schätzen, stehen
die geistigen Attribute bei den Rabisu fast ebenso hoch im
Kurs. Viele Verschlinger besitzen mindestens je zwei Punkte
in Sportlichkeit, Tierkunde, Handgemenge, Ausweichen,
Einschüchtern, Überleben und Heimlichkeit. Unter Um-
ständen erben sie von ihren Wirten auch den einen oder
anderen Punkt in Schußwaffen und Nahkampf.
Die eher seltenen gesellschaftlich orientierten Vertreter
dieses Hauses besitzen zumeist hohe Werte in Einschüch-
tern und Führungsqualitäten sowie einige Kenntnisse, die
zum früheren Beruf ihres Wirts passen. Als eine Art Gegen-
gewicht zu diesen Fähigkeiten fungieren oft ein paar Punk-
te in Sportlichkeit, aber rein kampforientierte Fähigkeiten
sind zumindest anfangs nicht sehr verbreitet.
Verschlinger verlassen sich auf eine Vielzahl unterschied-
licher Hintergründe. Sklaven, die der Dämon zu einem Art
Rudel zusammenstellen und nach Bedarf als Verstärkung
einsetzen kann, sind eine beliebte Wahl. Zusätzlich haben
sie oft Verbündete und Kontakte, die sie in der Regel von
ihrem Wirt geerbt haben und die ihnen unter die Arme
greifen. Die Wirte von auf gesellschaftliche Attribute aus-
gerichteten Verschlingern könnten auch eine Karriere ge-
macht haben, durch die sie einen gewissen Einfluß ausüben
können, und zudem hohe Werte in Ressourcen aufweisen.
Anfangswert für Qual: 4
Geheimnisse des Hauses: Geheimnisse des Tiers, Geheim-
nisse des Fleisches, Geheimnisse der Wildnis
Schwächen: Verschlinger sind nicht gerade für ihr besonde-
res Taktgefühl bekannt, und die meisten lernen nie, wann es
besser ist, einfach mal das Maul nicht zu weit aufzureißen. In
Situationen, in denen es auf diplomatisches Fingerspitzenge-
fühl ankommt, können Verschlinger brutal offen und leicht
zu verärgern sein, und sie reagieren schon auf die kleinsten
Provokationen oft mit Gewalt. Für einen Verschlinger ist es
nicht untypisch, eine ohnehin schon heikle Situation allein
durch ihr Auftauchen noch heikler werden zu lassen.
Aufgrund ihrer Schwächen im gesellschaftlichen Umgang
lassen sich die meisten Verschlinger leicht manipulieren. Ei-
nige Dämonen bringen sie dazu, ihnen als Leibwächter oder
Auftragsmörder zu dienen, indem sie an das Ehrverständnis
und das Pflichtgefühl der Rabisu appellieren. Solche Ma-
nipulationen sind allerdings nicht ohne Risiko, denn sollte
ein Verschlinger jemals ein derartiges Spiel durchschauen,
wird er keinen Augenblick zögern, umgehend blutige Ra-
che zu nehmen.

132
KAPITEL FÜNF
DIE FRAKTIONEN
ENIGMATEN
Unzählige Zeitalter in einer stockfinsteren, totenstillen und
vollkommen fühllosen Leere eingesperrt zu sein, ist eine ziem-
lich harte Strafe, doch sie hat auch einen positiven Aspekt.
Man hat eine Menge Zeit zum Nachdenken.
Nach der anfänglichen Bestürzung über die erlittene
Niederlage, nach dem Grauen und der Agonie der Hölle
und nach der Verzweiflung über unaussprechlich lange,
ereignislose Äonen haben einige Gefallene einen Schritt
zurück gemacht, um ihre ursprünglichen Ansichten zu
überdenken. Manche der Gefallenen überlegten hin und
her, gingen noch einmal alle Fakten durch und versuchten
herauszufinden, welcher Grund dahintersteckte, daß alles
so furchtbar schief gelaufen war.
Diese wißbegierigen Elohim sind zu einigen erschüttern-
den Schlußfolgerungen gelangt.
Zuallererst arbeiteten sie heraus, daß Gott allwissend
oder zumindest der Welt so weit entrückt und doch in
ihr allgegenwärtig ist, daß man Ihn ruhigen Gewissens als
beinahe allwissend bezeichnen kann – insbesondere dann,
wenn man Seine Wahrnehmung mit der äußerst einge-
schränkten Wahrnehmung von niederen Wesen wie den
Menschen und sogar den Engeln vergleicht. Wenn ein so
kleines Licht wie Ahrimal das Unheil sehen konnte, das
sich am Horizont zusammenbraute, dann hatte Gott dies
mit Sicherheit schon ganze Zeitalter zuvor bemerkt.
Zweitens gelangten sie zu der Einsicht, daß Gott entweder
allmächtig oder (wiederum) so nahe der Allmacht ist, daß
es eigentlich keinen Unterschied mehr macht, ob Er nun
tatsächlich vollkommen allmächtig ist oder nicht. Folglich
mußten die Engel, die Er erschaffen hatte, entweder ein
makelloses Abbild Seiner Vorstellungen von ihnen gewesen
sein, oder sie reichten eben gerade so dicht an diese Vorgabe
heran, wie es die Wirklichkeit überhaupt zuließ. Obwohl es
durchaus möglich ist, daß die krude Materie der stofflichen
Welt nicht belastbar genug war, um vollkommene Diener
zuzulassen, so ist es doch undenkbar, daß Gott je gestattet
hätte, Unvollkommenheit die Gestalt von Ungehorsam an-
nehmen zu lassen ... es sei denn, die Möglichkeit zur Rebellion
wäre von Anfang an keine Unvollkommenheit gewesen.
Drittens gelangten sie zu dem Schluß, daß Luzifer – als
der erste unter allen Engeln und derjenige, dessen eigene
Macht der Macht Gottes am ehesten gleichkam – durch
seine Macht und seinen Rang näher an der Idealvorstel-
lung Gottes bezüglich Seiner Diener sein mußte als jeder
andere Engel. Die unumstößliche Tatsache, daß er der erste
und mächtigste aller Rebellen war, ist das entscheidende
Argument für die These, daß die Rebellion – mit all ihren
Konsequenzen von der Korrumpierung der Wirklichkeit bis
zu der grausamen Bestrafung der Menschen und der Elo-
him – in Wirklichkeit zu Gottes Plan gehörte, anstatt eine
Abweichung von Seinem Willen darzustellen.
Nun, da sie ihre Freiheit wiedererlangt haben, nutzen die
Enigmaten diese logischen Schlußfolgerungen als Grundla-
ge für neue Fragen.
Wenn Gott von der bevorstehenden Rebellion wußte,
dann wußte Er doch gewiß auch, daß die Dämonen letzten
Endes wieder aus dem Abgrund entfliehen würden. Wie
also sieht dann Sein neuer Plan für Seine unwissentlichen
Diener aus?
Da Luzifer nicht in die Hölle hinabgeschleudert worden
war und er nun auch nicht auf die Rufe der anderen Engel
antwortet, stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen
Schicksal des Morgensterns. Wurde er als Strafe für seine
Führungsrolle vernichtet? Mußte er eine andere Strafe
verbüßen, die möglicherweise noch schlimmer war als die
Hölle? Oder war er – was am wahrscheinlichsten war –
seiner Strafe entkommen, weil er von Anfang an in Gottes
Plan eingeweiht gewesen war?
Und die letzte und wichtigste Frage der Enigmaten lautet:
Wenn die Gefallenen all die Zeit über Gottes Spielfiguren
gewesen waren, gibt es dann überhaupt eine Möglichkeit
für sie, diesem Schicksal in der Zukunft zu entgehen?
Und falls es diese Möglichkeit gibt, sollten sie sie dann
auch tatsächlich nutzen?
Rivalen: Die Enigmaten halten nicht gerade viel von den
Verheerern – was wenig verwundern dürfte –, und sie be-
trachten das irrsinnige, gedankenlose Wüten der Verheerer
als letztlich vollkommen bedeutungslos. Wie Ameisen, de-
ren Haufen umgetreten wurde, wuseln sie wild umher, ohne
das mindeste dabei zu erreichen.
Die Versöhner sind zu idealistisch, aber zumindest stellen
sie Fragen, anstatt Scheinargumente herumzuposaunen,
um ihre Ansichten zu untermauern. Die beiden Fraktio-
nen, die den Enigmaten wirklich Sorge bereiten, sind die
Jünger des Morgensterns und die Faustianer.
Beide Gruppen haben dieselben Probleme. Sie reden
ununterbrochen und hören nie zu. Sie geben hochtrabende
Erklärungen ab, die zumeist jedoch die Lücken in der Logik
hinter ihren Schlußfolgerungen allzu deutlich machen.
Obwohl sie es sind, die ihre Augen und ihren Verstand ver-
schlossen halten, begegnen sie jedem, dem das Verständnis
für ihre blindlings anberaumten und fehlgeleiteten Missio-
nen abgeht, doch tatsächlich mit Mitleid.
Wo die Verheerer wild umherwuseln und die Versöh-
ner trübsalblasend durch die Gegend schlurfen, sind die
eifrigen Jünger des Morgensterns und die emsigen Fau-
stianer dabei, den Ameisenhaufen wieder aufzubauen –
die einen genau denselben, der schon beim letzten Mal
umgetreten wurde, die anderen einen gänzlich neuen.
Doch keine von beiden Fraktionen hält auch nur einen
Moment inne, um sich zu fragen, wie ihre Ziele wirklich
aussehen sollten.
Häuser: Viele Übeltäter finden ihren Weg in die Reihen der
Enigmaten, da diese Fraktion ihren natürlichen Hang zur
Beständigkeit und zu methodischem Vorgehen anspricht.
Die Engel des Fundaments, die wohl das pragmatischste
aller Häuser darstellen, scheinen die ungewöhnliche Bega-
bung zu besitzen, ihre grundlegendsten Annahmen genauer
unter die Lupe zu nehmen, ohne sofort in Selbstkasteiung
ob ihrer Irrtümer zu verfallen. Man kann sie sich leicht
dabei vorstellen, wie sie die Achseln zucken und murmeln:
„Der letzte Versuch hat nicht geklappt. Wie können wir es
besser machen?“
133

Das Haus der Schnitter ist in diesem Punkt schon ein-
deutig ungeduldiger und wißbegieriger. Zwar mögen sie
dieselben Fragen wie die Übeltäter stellen, doch bei den
möglichen Antworten steht für sie einiges mehr auf dem
Spiel. Während des Krieges wurden sie dazu gezwungen, an
ihrer geliebten Menschheit die Greueltat zu begehen, den
ehedem Unsterblichen den Tod zu bringen, und die Schuld
und die Trauer, die sie in ihren Herzen tragen, schreien
geradezu nach Antworten.
Anführer: Ahrimal, die niedere Parze, die als erster die
Zeit des Zorns vorhergesehen hatte, hat sich zu einem der
lautstärksten und einflußreichsten Enigmaten entwickelt.
Trotzdem ist der Status, den er unter den Gefallenen ge-
nießt, von seiner Art her recht außergewöhnlich. Berühmt
(oder auch berüchtigt) als einer der Mitbegründer der Re-
bellion sowie als niederster Engel, der je von Luzifer als
Prinz bezeichnet wurde, gehört Ahrimal zu den beharr-
lichsten Vertretern seiner Fraktion. Er sitzt zwischen einer
Menge Stühle, was die Spannungsfelder innerhalb der dä-
monischen Gesellschaft angeht: bei der Erschaffung fest-
gelegter Rang contra in der Rebellion verdiente Autorität,
Treue contra Selbstbestimmung, Hoffnung contra Verzweif-
lung. Ob man ihn nun bewundert, respektiert oder einfach
nur verachtet – die Erwähnung seines Namens reicht schon
aus, um häufig einen leidenschaftlich geführten Disput
unter den Gefallenen entbrennen zu lassen.
Gipontel, ein Annunaki und einstiger Erzengel, repräsen-
tiert die zugänglichere Fraktion der Enigmaten. Als selbst-
ernannter Begründer einer fraktionsübergreifenden Koali-
tion ermutigt er andere Enigmaten dazu, Waffenstillstände
134
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
mit Vertretern aus den anderen Fraktionen zu schließen
und sich sogar mit ihnen zu verbünden, um sie zu beob-
achten, zu verstehen und womöglich gar etwas von ihnen
zu lernen. Ist es denn schlimm, wenn diese Bemühungen
in den Anhängern anderer Fraktionen eine offenere und
wißbegierigere Haltung fördern?
Ziele: Zugriff auf Informationen zu erhalten – ganz gleich,
ob dämonischer, wissenschaftlicher, menschheitsgeschicht-
licher, mythologischer oder „anderer“ Natur – ist das ober-
ste Bestreben eines jeden Enigmaten. Jede noch so un-
wichtig erscheinende Information könnte entscheidende
Hinweise liefern.
Die Enigmaten haben ihre bedeutendste Hochburg in
Atlanta im US-Bundesstaat Georgia und sie sind bereits da-
bei, weitere in Dallas, Chicago und Washington zu errich-
ten. Im Grunde zielen ihre Bemühungen darauf ab, einen
ihrer Kader in der Nähe jedes größeren Luftverkehrskno-
tenpunkts zu plazieren. Unter vergleichbaren Vorzeichen
weiten sie ihren Einfluß auch in Europa aus, wobei ihnen
der Flughafen Heathrow in London als Ausgangspunkt
dient. Kleinere Gruppen wurden nach Tokio, Peking und
Rio de Janeiro entsandt.
Der Sinn dahinter, starke Verteidigungspositionen in der
Nähe größerer Flughäfen zu beziehen, liegt darin, die Mo-
bilität der Fraktion zu gewährleisten – und ihre Fähigkeit,
die Reiserouten anderer Gefallener zu überwachen. Ihr
wichtigstes Ziel ist es, eine Art Verzeichnis aller Gefallenen
anzulegen, die auf Erden wandeln. Nachdem sie von den
Erdgebundenen gehört haben, ist es eine weitere ihrer Prio-
ritäten geworden, diese Dämonen aufzuspüren.
KAPITEL FÜNF
Diese beiden Hauptlisten – das Scelestinomicon (Buch der
Rebellen) für die Gefallenen und das Crucianomicon (Buch
der Gequälten) für die Erdgebundenen – waren ursprüng-
lich als Kernbestandteil eines Informationsnetzwerkes ge-
dacht, das allen Gefallenen zugänglich gemacht werden
sollte. Je mehr die Fraktion der Enigmaten wächst, desto
genauer könnten die Regeln für eine Benutzung festgelegt
werden – und desto schwieriger könnte es für einen Außen-
stehenden werden, Einblick in diese Listen zu nehmen.
FAUSTIANER
Die Faustianer haben den menschlichen Glauben genau
studiert und sind zu dem Schluß gelangt, daß die Kinder
Adams – obwohl sie in einer Welt mit nur einer Wirklich-
keitsebene gefangen sind – über eine Macht verfügen, die
vom Wesen her der Macht Gottes entspricht. Zugegebe-
nermaßen ist das Maß ihrer Macht winzigklein, doch jedes
Kind, das geboren wird, trägt einen göttlichen Funken in
sich. Wenn man nur genügend dieser Funken zusammen-
brächte, würde das Feuer, das sie gemeinsam ergäben, eines
Tages so hoch in den Himmel hinauflodern, daß es selbst
das Licht der Sonne noch überstrahlte.
Verglichen mit den Zeiten Edens hat sich der allgemeine
Zustand der Menschheit nach Auffassung der Faustianer
in unglaublichem Maße verschlechtert – wie griesgrämige
alte Großväter sind sie davon überzeugt, daß die Menschen
von heute schwächer, dümmer, blöder, unvernünftiger, re-
spektloser und eben ganz generell verkommener sind als
die Menschheit aus jenen lange vergangenen Tagen, an die
sie sich zurückerinnern können. Gleichzeitig jedoch ist die
vereinte Fähigkeit der Menschheit, die Wirklichkeit um
sie herum zu verändern, sogar noch größer geworden, da es
heutzutage nicht mehr nur Millionen, sondern gar Milliar-
den von Menschen gibt. Trotzdem nutzen sie den größten
Teil ihrer Macht dazu, sich selbst zu unterdrücken! Am mei-
sten glauben die Menschen an Beweise – ausgerechnet an
das einzige, was keinen Glauben braucht, um wahr zu sein.
Demzufolge schränken und engen die Menschen die Wirk-
lichkeit in immer festere, schmalere Bahnen ein, je größer
ihr Verständnis für die Welt um sie herum wird. Wenn sie
diesen Weg weiter beschreiten, ist es durchaus möglich, daß
sie ihren Glauben schon bald aus der Welt schaffen, indem
sie ihm die Existenzgrundlage rauben – denn nur etwas,
wofür es Beweise gibt, kann nach der derzeit unter ihnen
herrschenden Auffassung existieren. Wenn dieser Fall ein-
tritt, würde das die Welt zu einem kalten Ort absoluter,
mechanistischer Gewißheit machen.
In einer solchen Welt wäre kein Platz für Gott, doch
damit hätten auch die Dämonen keinen Schlupfwinkel
mehr in ihr, und diese Vorstellung ist für die Faustianer
vollkommen inakzeptabel.
Die Menschheit, wie sie die Faustianer in dieser gefalle-
nen Welt vorgefunden haben, gleicht einem außer Kontrol-
le geratenen Strohfeuer, das immer schneller immer mehr
von seiner eigenen Grundlage verzehrt und kurz davor-
steht, völlig niederzubrennen. Die Philosophie der Faustia-
ner basiert darauf, diese ungebändigte Macht zu zügeln und
zu leiten – es gilt den Brand unter Kontrolle zu bringen,
ihm neue Nahrung zu verschaffen und Methoden zu ent-
wickeln, mit denen die göttlichen Energien der Menschheit
nach außen und nicht mehr nach innen gegen sich selbst
gerichtet werden können. Es bedarf natürlich einer umsich-
tigen Führung, um dieses Ziel zu erreichen, doch letztlich
ist es der menschliche Glaube, der die größte Hoffnung für
die Welt birgt, sich vom Joch Gottes zu befreien.
Rivalen: Die Faustianer hegen so etwas wie belustigte To-
leranz gegenüber den Versöhnern. Gewiß klammern sich
die Versöhner hartnäckig an die lächerliche Vorstellung, sie
könnten Frieden mit dem Allmächtigen schließen und ihre
Verbrechen an Ihm wiedergutmachen, doch wenn sie erst
einmal diesen unreifen Optimismus hinter sich gelassen
haben, werden sie sich ebenfalls darum bemühen, ernst-
haftere Ziele (soll heißen, die der Faustianer) anzustreben.
Die Jünger des Morgensterns werden von den Faustianern
ähnlich behandelt. Zwar haben sie den falschen Weg einge-
schlagen, um den Sieg über den Himmel zu erringen, aber
zumindest stimmt die ungefähre Richtung.
Das Bestreben der Faustianer, die Rebellion der Men-
schen gegen Gott zum Endsieg voranzutreiben (oder – je
nachdem welchen Faustianer man fragt – ihr Plan, die
Menschheit vollkommen zu versklaven, um sie als Stoß-
truppen der Dämonen in einem neuerlichen Aufstand
der Gefallenen gegen den Himmel zu führen), steht dem
Vorhaben der Verheerer, einfach nur alles und jeden zu
vernichten, diametral gegenüber. Daher werden Verheerer
auch von den Faustianern mit allen Mitteln dazu ange-
halten, ihrem geistlosen Zorn zu entsagen und neue Hoff-
nung zu schöpfen. Und wenn das nicht gelingt, setzen die
Faustianer einfach ihre menschlichen Anhänger auf die
Verheerer an.
In den Enigmaten haben die Faustianer einen subtileren
Gegner gefunden. Die Faustianer sind sich sicher, daß sie
sämtliche Aspekte der Geschichte des Falls und der Rück-
kehr der Gefallenen in die Welt zur Genüge durchdacht
haben, und Dämonen, die zu viele Fragen stellen, sind
in ihren Augen mehr als nur ein kleines Ärgernis – die
Enigmaten könnten die Entschlossenheit jener Gefallenen
untergraben, die mit der Durchführung des großen Plans
der Faustianer betraut sind, die Zukunft der Welt zu gestal-
ten. Und noch schlimmer ist, daß die Enigmaten mit ihren
Fragen Zweifel in den Herzen der sterblichen Anhänger der
Faustianer säen könnten.
Obwohl Faustianer die Verheerer als Handlanger des
Chaos und der Zerstörung verachten, ist ihr Ärger auf die
Enigmaten um ein vielfaches größer, da diese sich ihren
Überzeugungsversuchen gegenüber als erstaunlich unemp-
fänglich zeigen. Für einen überzeugten Faustianer ist eine
unbequeme Frage schlimmer als die Klaue eines Verheerers
an der Kehle.
Häuser: Die schiere Reichweite und Bedeutsamkeit der
Ziele, die die Faustianer verfolgen, spricht viele ambitio-
nierte Dämonen an. Da es bei den Faustianern Menschen
sind, die einen Großteil der Drecksarbeit erledigen, wird die
Anziehungskraft dieser Fraktion ein wenig geschmälert, da
sie nur für solche Gefallenen wirklich unwiderstehlich wird,
die kein Problem damit haben, andere für sich schuften zu
lassen. Für Dämonen, die ehrgeizig und ausbeuterisch sind,
sind die Lehren der Faustianer die perfekte Philosophie.
135

Als ehemalige Befehlsüberbringer Gottes sind die Teufel
an den Anblick gewöhnt, daß andere genau das tun, was sie
ihnen sagen, und als das erste der von Gott geschaffenen
Häuser bringen sie auch das notwendige Selbstbewußtsein
mit, um ideale Faustianer abzugeben. Auch die Schän-
der hatten schon immer große Hoffnungen in die vereinte
Macht der Menschheit gesetzt: Für sie erscheint es wie ein
packendes Abenteuer, die Menschen zur Apotheose zu
beflügeln. Zu guter Letzt gibt es noch eine ganze Reihe von
Übeltätern unter den Faustianern. In ihrem Fall liegt die
Anziehungskraft dieser Fraktion nicht in der Reichweite
ihres Plans, sondern in ihrem Pragmatismus begründet.
Die Faustianer haben einen Plan mit eindeutig festgelegten
Zielen, die sofort erreicht werden können. Die enormen
Fähigkeiten der Übeltäter, Menschen in Versuchung zu
führen und zu manipulieren, sind dabei nur ein weiterer
Pluspunkt.
Das einzige Haus, dessen Mitglieder auffälligerweise
nichts zum großen Ziel der Faustianer beitragen wollen,
ist das Haus des Firmaments. Die Geißeln sind sich der
zerbrechlichen, ängstlichen und fehlerhaften Natur der
Menschheit überdeutlich – wenn nicht gar regelrecht
schmerzhaft – bewußt. Sich auf dermaßen schwache Part-
ner oder Untertanen zu verlassen, kommt (zumindest ih-
nen) bereits einem automatischen Scheitern gleich.
Anführer: Der Teufel Belphigor ist unter den mächtigsten
Gefallenen, die seit kurzem wieder auf Erden weilen, und
er hatte das Glück, bei seiner Rückkehr in die Welt einen
Wirt zu finden, der zugleich attraktiv und mit beachtlicher
Körperkraft ausgestattet ist. Belphigor schmeichelte sich
binnen kürzester Zeit bei den Anhängern einer der zahllo-
sen amerikanischen New-Age-Religionen ein und gründete
seine eigene Splittergruppe dieser Glaubensgemeinschaft.
Durch den Einsatz dieser Organisation hofft Belphigor, die
Welt innerhalb von zwei Generationen von sämtlichem
göttlichen Einfluß befreit zu haben.
Die Schänderin Senivel, die die erste Botschafterin ihres
Hauses war, die zu den Menschen geschickt wurde, zählt
ebenfalls zu den Faustianern, wenngleich ihre Interpreta-
tion ihrer Philosophien einen deutlich menschenfreundli-
cheren Einschlag aufweist. Während Belphigor die Revolu-
tion der Faustianer als die größte Hoffnung der Dämonen
ansieht, baut Senivel darauf, daß die Rebellion sowohl den
Elohim als auch den Menschen endgültigen Frieden und
die Erfüllung ihrer beider Bestimmung bringen wird (indem
die Sterblichen Gott, ihren Vater, als den Steuermann des
Universums ersetzen und den Engeln so einen neuen Herrn
geben, dem sie dienen können.)
Ziele: Generell gesehen sind die Faustianer für den Welt-
frieden und gegen Empfängnisverhütung – nicht aus ir-
gendwelchen wohlmeinenden Gründen, sondern nur, weil
sie nur noch mehr Menschen um sich herum sehen wollen.
Und damit basta.
Die Faustianer haben sich scharenweise in Rom und
Jerusalem angesiedelt, da sie die Hoffnung hegen, dort Be-
völkerungen mit einer hohen Konzentration von Glauben
zu finden (und diesen Glauben in die richtigen Bahnen
zu lenken). Ihr wichtigster Vorposten sind aber dennoch
die Vereinigten Staaten. (Den Faustianern ist klar, daß die
136
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
USA die derzeit mächtigste Nation der Welt sind – und so-
mit auch am besten dazu geeignet, ihrem Willen unterwor-
fen zu werden.) Belphigors „Kirche der Wissenschaftlichen
Spiritualität“ hat ein größeres Stück Wüste bei Flagstaff
im US-Bundesstaat Arizona erworben. Kilometerweit von
der nächsten größeren Ortschaft entfernt beabsichtigt er
eine Stadt aus dem Nichts zu errichten und Menschen
„vom richtigen Schlag“ dazu zu ermutigen, sich dort an-
zusiedeln.
Aufmerksame Gefallene sehen in der Nähe dieses Stand-
ortes zu einem gewaltigen Meteoritenkrater keinen Zufall.
Einer der ersten Siege der Gefallenen im Krieg des Zorns
war die Niederstreckung des großen Vejovis, eines Engels
des Firmaments. Viele hegen den Verdacht, daß sich hinter
dem „Meteoriten“ auf dem Kratergrund nichts anderes als
der uralte Leichnam Vejovis’ verbirgt.
JÜNGER DES MORGENSTERNS
Engel sind unsterbliche Kreaturen, und wenn man sich
die Lebensspanne solch unsterblicher Wesen einmal näher
vor Augen führt, wird ersichtlich, daß ihnen sämtliche
Rückschläge und Niederlagen mit Ausnahme der eigenen
Vernichtung als letzten Endes zeitlich begrenzte Vorkomm-
nisse erscheinen müssen.
Nicht jeder Dämon, der in die Hölle verbannt wurde, hat
seinen Glauben verloren, und nicht jeder gefallene Engel
hat alle Hoffnung fahren lassen. Selbst in der Niederlage
blieben einige unter ihnen jenen Prinzipien treu, die sie zur
Rebellion bewegt hatten: ihrer Liebe zur Menschheit, ihrer
Ergebenheit gegenüber Luzifer und ihrem festen Glauben
daran, daß ihre Sache gerecht war und Gott und die ge-
horsamen Himmlischen Heerscharen einem Trugschluß
aufsaßen.
Die Jünger des Morgensterns sind heute noch ebenso
bereit, für ihre Überzeugungen zu kämpfen, wie an jenem
Tag, an dem sie in ihr düsteres Gefängnis hinabgeschleu-
dert wurden. Auch wenn viele von ihnen gramgebeugt,
verbittert und von unvorstellbaren Qualen gepeinigt sind,
so sind sie dennoch ungebrochen. Tatsächlich finden viele
durch die veränderten Umstände, in denen sie sich nun
wiederfinden, zusätzlichen Ansporn, den Kampf gegen den
Himmel von neuem aufzunehmen.
Die Welt mag verwüstet, auf eine Wirklichkeitsebene
beschränkt und rein mechanistischen Prinzipien unterwor-
fen sein, aber umgekehrt scheint es auch keine Engel mehr
zu geben, die in ihr schalten und walten. Selbst eine in
unermeßlichem Maß geschwächte Armee kann einen Sieg
davontragen, wenn sie keinen Gegner mehr hat, der sich
ihr auf dem Schlachtfeld entgegenstellen könnte.
Hinzu kommt noch die ermutigende Tatsache, daß sie
überhaupt in der Lage waren, ihre Gefangenschaft hinter
sich zu lassen. Wenn sie für Gott wirklich Anathema wä-
ren, in Seinen Augen verhaßt und durch die Worte Seines
Sendboten zu ewiger Qual verdammt … wie hätte es dann
überhaupt dazu kommen können, daß so viele von ihnen
einen Weg zurück in die Welt der Sterblichen fanden?
Die Enigmaten sollen ruhig etwas von der Arglist Gottes
murmeln, aber liegt der einfache Gedanke, daß Gottes
Macht dahinschwindet, nicht viel näher? Ist es denn nicht
KAPITEL FÜNF
einleuchtender, daß die Dämonen der Hölle ihre Freiheit
zurückgewonnen haben, weil der Käfig, in den Gott sie
gesperrt hatte, sie nicht mehr halten konnte?
Die wichtigste Tatsache, mit der die Jünger des Morgen-
sterns ihre Ansichten verteidigen und auf die sie gerne und
oft triumphierend hinweisen, ist der Umstand, daß Luzifer
nie bei den anderen Gefallenen in der Hölle war. Die Jün-
ger glauben nicht, daß er eine gesonderte Strafe erhielt,
sondern daß er einer Bestrafung gänzlich entging. Vielleicht
behielt er als der mächtigste unter den Rebellen seine Frei-
heit, weil seine Feinde gar nicht in der Lage waren, ihn
festzuhalten und einzusperren! Vielleicht hat er den Ab-
grund aufgetan! Vielleicht beobachtet der Widersacher die
Gefallenen just in diesem Moment, um zu sehen, wer von
ihnen bereit ist, den Kampf fortzuführen … und wer unter
ihnen sich als zu schwach dafür erweist.
Rivalen: Die Jünger des Morgensterns begegnen den Ver-
heerern mit überraschend hoher Toleranz. Da die Verheerer
ihrer kämpferischen Natur und ihrer Neigung, sich einem
stärkeren Führer bereitwillig zu unterwerfen, treu geblieben
sind, tendieren die Jünger des Morgensterns dazu, sie als
Streiter von bewundernswertem Eifer zu betrachten. Alles,
was sie brauchen, um wieder von Nutzen für die Sache sein
zu können, ist ein wenig Disziplin.
Diese Form von Herablassung und zweideutigen Wohl-
wollens bringen die Jünger des Morgensterns auch den
Faustianern entgegen, auch wenn die Vorzeichen im Fall
dieser Fraktion etwas anders aussehen. Für die Jünger des
Morgensterns besitzen die Faustianer ausreichend Diszi-
plin und verfolgen auch ungefähr die richtigen Ziele – sie
müssen nur noch daran erinnert werden, wer eigentlich
das Sagen hat.
Die Fraktionen, die den Zorn der Jünger des Morgen-
sterns wecken, sind die Zögerlichen, die Feigen, die Ziel-
losen und die Unentschlossenen: also die Enigmaten und
die Versöhner.
Enigmaten sind wie Turmspringer, die sich mitten im
Sprung fragen, ob sie wirklich hätten springen sollen. Sie
sind so besessen davon, Myriaden von Möglichkeiten
durchzudenken, daß sie den auf der Hand liegenden Fak-
ten und dem Hier und Jetzt zu wenig Beachtung schenken.
Lähmende Nabelschau ist eines Elohim im Grunde nicht
würdig, und doch ist genau das die Hauptbeschäftigung der
Enigmaten. Nach Ansicht der handlungsorientierten Jün-
ger des Morgensterns sind die kontemplativen Hinterfrager
letzten Endes vollkommen nutzlos und schwach.
Das einzige, was noch schlimmer ist, als Schwäche zu
zeigen, ist es, ein Verräter zu sein. Daher ist das einzige,
was noch schlimmer als ein vor Furcht zitternder Enigmat
ist, ein arschkriecherischer Versöhner. Diese jämmerlichen,
verirrten Elohim sind wie Turmspringer, die mitten während
des Sprungs umkehren wollen, um den Versuch zu unter-
nehmen, irgendwie wieder zurück auf die Sprungplattform
zu kommen! Scheinbar hatten sie gerade nicht aufgepaßt,
als die vollen Auswirkungen der Rebellion durchdiskutiert
wurden, und offenbar waren sie auch nicht ganz bei der Sa-
che, als die Himmlischen Heerscharen sie in den Abgrund
verdammten. Man hätte annehmen können, ihre Zeit in
der Hölle hätte ihnen die Augen bezüglich Gottes Gnade
und Vergebung geöffnet, doch sie klammern sich nach wie
vor verzweifelt an die Illusion, sie könnten irgendwie ihren
Frieden mit Ihm machen.
Häuser: Luzifer herrschte lange über das Erste Haus, und
Treue bedeutet den Engeln mehr als den meisten Sterbli-
chen – und die Dämonen waren einmal Engel. Viele Teufel
sammeln sich noch immer um das Banner ihres einstigen
(und zukünftigen?) Führers. Einige von ihnen glauben, daß
der Rang, den sie in der Welt des Morgensterns einnehmen
werden, allein deshalb schon ein hoher sein muß, da sie
selbst Geister des Morgenrots wie Luzifer sind. Andere
wiederum wenden sich dem Glauben an Luzifer zu, um die
Leere zu füllen, die durch Gottes Zurückweisung in ihnen
entstanden ist – obwohl sie das nie offen zugeben würden.
Diese Teufel sehnen sich danach, wieder Befehle überbrin-
gen zu können, und der Widersacher war ihnen stets ein
ausgezeichneter Befehlshaber.
Einige Verschlinger, die tapfer im Krieg gekämpft hatten,
blieben Luzifer treu ergeben, da ihnen ihre Erinnerungen
an vergangene Herrlichkeit und ihre Hoffnung auf Ver-
geltung auch in der Hölle Auftrieb gaben. Im großen und
ganzen lastet die Bürde der Qual weniger schwer auf die-
sen Verschlingern als auf den anderen Mitgliedern ihres
Hauses, die sich dem Lager der Verheerer angeschlossen
haben. Anders als die Nihilisten hegen Verschlinger, die
den Jüngern des Morgensterns angehören, noch immer die
Hoffnung, es ließe sich etwas Neues aus den Trümmern der
Welt errichten – natürlich erst, nachdem der ganze alte
Schutt beiseite geräumt worden ist.
Die Gründe, aus denen Geißeln Gefallen an den Zielen
der Jünger des Morgensterns finden, decken sich in vielerlei
Hinsicht mit denen der Teufel. Da ihr Haus den zweit-
höchsten Rang in der Hierarchie des Himmels einnahm,
liegt für sie ein gewisser Reiz darin, sich auch weiterhin auf
die Seite des Höchsten Engels zu stellen. Noch reizvoller
ist es für sie, fest daran zu glauben, daß die Legionen der
Hölle nicht einfach nur wiederauferstehen, sondern daß sie
nie bezwungen worden sind. Und falls dies der Wahrheit
entspräche, so könnten womöglich auch die von Gott ver-
hängten und von Michael verkündeten Strafen ungesche-
hen gemacht werden – insbesondere der verheerende Fluch
des Alterns und des Sterbens, der über die Menschheit
ausgesprochen wurde.
Trotz dieser Aussicht gehören nur wenige Schnitter zu
den Jüngern des Morgensterns. Als Mitglieder des Letz-
ten Hauses sehen sie kaum eine Veranlassung, sich dieser
Fraktion aus Gründen anzuschließen, die etwas mit dem
Wiedererlangen von verlorengegangenem Status zu tun
haben. Darüber hinaus scheinen sich die Schnitter, deren
Strafe unbestreitbar die grausamste war, die über eines der
gefallenen Häuser verhängt wurde, am allerwenigsten von
allen Dämonen einreden zu können, daß der erste Krieg,
den sie gegen den Himmel geführt haben, in etwas anderem
als einer totalen Niederlage für die Rebellen endete.
Anführer: Trotz all des Leids und all der Niederlagen, die
er für den Morgenstern erdulden mußte, ist Grifiel – der
höchste unter den Rebellen des Wilden Hauses – Luzifer
noch immer treu ergeben. Einst war Grifiel ein edler und
ehrbarer Krieger, doch nach und nach hat er sämtliche
137

Skrupel und jegliche Moral abgelegt – und damit auch
seine Schönheit, seinen Verstand und seine Fähigkeit zu
lieben. Er folgt dem Widersacher weniger aus Überzeugung
als vielmehr aus wahnsinniger Besessenheit heraus. Würde
er Luzifer abschwören, so würde er zugleich eingestehen,
daß all sein Leid und all sein Verlust vollkommen sinnlos
gewesen wären. Eher würde er sich zurück in die Hölle
schleudern oder auslöschen lassen, als die Rebellion auf-
zugeben.
Wo Grifiel zwar die nötige Tücke und Ruchlosigkeit be-
sitzt, die diese Fraktion für ihre Kämpfe an vorderster Front
braucht, werden die Geschicke der Jünger des Morgensterns
als Ganzes von der Geißel Nazriel gelenkt – selbstredend
nur bis zur Wiederkehr Luzifers. Sich selbst als Nazathor,
Prinzessin der Erhabenen Befreiung bezeichnend, führt sie
ihre Fraktion mit Vorsicht und Besonnenheit – sie schlägt
schnell und hart zu, ehe sie sich umgehend wieder in den
sicheren Schutz der Nacht zurückzieht. Da sie unter dem
Ruf steht, Luzifers Geliebte zu sein, wagen es nur wenige,
sich ihr zu widersetzen.
Ziele: Das offensichtliche Hauptziel der Jünger des Mor-
gensterns ist das Aufspüren ihres Führers. Um dieses Ziel
zu erreichen, verfolgen sie einen Plan, der aus drei Teilen
besteht. Zum ersten werden Jünger des Morgensterns über
den ganzen Globus entsandt, um nach Spuren dämonischer
Aktivitäten Ausschau zu halten. Anfangs wurden sie noch
einzeln losgeschickt, doch zu viele dieser einsamen Wölfe
wurden von Erdgebundenen, feindlich gesonnenen dämo-
nischen Fraktionen oder gar noch weitaus mysteriöseren
Wesen ausgeschaltet. Mittlerweile reisen die Späher der
Jünger des Morgensterns ausschließlich in Gruppen, um
möglichen Angriffen vorzubeugen.
Zum zweiten behalten die Jünger des Morgensterns die
Massenmedien genauestens im Auge und versuchen zudem,
größere Geldsummen in sie zu investieren und einflußreiche
Sklaven zu gewinnen, um auf diese Weise vor den anderen
Fraktionen an sämtliche Meldungen zu gelangen, in die
irgendwie Dämonen verwickelt sein könnten. Außerdem
verleiht ihnen diese Vorgehensweise gewisse Vorteile beim
Verschleiern ihrer eigenen Aktivitäten und bei der Über-
mittlung geheimer Botschaften. Doch genau wie bei ihren
Erkundungsmissionen sind die Jünger des Morgensterns
bei der Infiltrierung der Medien auf unerwartet heftigen
Widerstand gestoßen.
Zum dritten haben die Jünger des Morgensterns einen
großangelegten und ehrgeizigen Versuch gestartet, mit
möglichst vielen Gefallenen Kontakt aufzunehmen und
damit Propaganda für ihre Ziele zu machen. Luzifer hat auf
diesen Ruf zwar noch nicht geantwortet, aber jeder Elohim,
der einst in die Hölle verbannt worden ist und an dessen
Namen sich einer der Jünger des Morgensterns erinnern
kann, kann fest davon ausgehen, früher oder später von
einem Angehörigen dieser Fraktion nach möglichen Infor-
mationen über den Verbleib Luzifers ausgefragt zu werden.
VERHEERER
Die Zeit des Zorns war lang und hart. Viele gute Men-
schen und tapfere Elohim hatten Schreckliches zu erleiden
138
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
oder fanden gar den Tod. Illusionen wurden aufgegeben.
Ehrgefühl wurde von Pragmatismus verdrängt, der wieder-
um unter der Last von Rachegelüsten, Zorn und Verzweif-
lung begraben wurde. Die Menschen lernten, wie man
Böses tut, und die Engel erfuhren, wie sie sich voll und ganz
dem Haß hingeben konnten. Zum Ende des Krieges hatten
sich viele Gefallene in wenig mehr als lebende Tötungs-
maschinen verwandelt, deren Freude an der Schöpfung in
ein Zerrbild der Liebe verkehrt wurde, das nur noch völlige
Zerstörung kannte.
Sie waren wahnsinnig, bösartig und verderbt, noch bevor
der Krieg verloren war. Bevor man ihnen den Großteil ihrer
Macht genommen hatte. Bevor sie in eine irremachende
Hölle der Einsamkeit und des Verlusts verbannt worden
waren.
Jetzt sind diese verbitterten und rachsüchtigen Elohim
nach Äonen, in denen sie nichts anderes zu spüren ver-
mochten als den Schmerz ihres sich selbst verzehrenden
Verstands, auf die Erde zurückgekehrt … und sie finden
eine Welt vor, die ebenso abscheulich und verdorben ist wie
sie selbst. Angesichts eines geschundenen Planeten, einer
durch und durch entarteten und grausamen Menschheit
und eines Kosmos, der zu einer welken Hülle seiner ein-
stigen Pracht geschrumpft ist, kennen sie nur noch einen
einzigen Gedanken.
Zerstörung.
Alles muß zerstört werden.
Dieses furchtbare Spottbild des Paradieses, das die Elo-
him einst selbst entwarfen, soll hinweggefegt werden.
Der Menschheit soll die gnädige Ruhe des Grabes zuteil
werden. Die Gefallenen müssen Gottes Werk immer und
überall vernichten, wo sie nur können – vielleicht in der
Hoffnung, Ihn sich dazu hinreißen zu lassen, sie endlich
auszulöschen.
Für die Gefallenen ist der Sieg unerreichbar geworden,
doch vielleicht sind sie noch mächtig genug, den Preis,
um den sie einst mit dem Himmel stritten – die Welt –, zu
vernichten, obwohl sie ihnen zusehends aus den Klauen
gleitet.
Rivalen: Als die radikalste aller Fraktionen haben die Ver-
heerer auch die meisten Feinde.
Sie hassen die Jünger des Morgensterns dafür, sich aus
freien Stücken an der Nase herumführen zu lassen. Wenn
Luzifer wirklich die Große Flucht aus dem Abgrund ermög-
licht hat, wo steckt er dann jetzt? Den Verheerern wird
schlecht bei dem Anblick, wie die einstigen Herren der
Schöpfung umherirren und nach einer neuen Vaterfigur mit
langem, weißem Bart suchen, die sie zurück zur Herrlich-
keit führt, die Bösen bestraft und ihnen einen Gutenacht-
kuß gibt, wenn es Zeit zum Schlafengehen ist. Anstatt auf
ihren ach so geliebten Morgenstern könnten sie ebensogut
auf Godot warten.
Der einzige Anblick, der noch ekelerregender ist als Elo-
him, die sich wie Kinder aufführen, sind Elohim, die sich
wie Eltern verhalten. Die Faustianer haben Gott zuerst
gedient. Dann haben sie gegen Gott aufbegehrt. Anschlie-
ßend hat Gott sie unermeßlich grausam mißhandelt. Und
nun denken sie, sie könnten Gott ersetzen? Die Verheerer
sehen in diesem Gedankengang einen echten Witz, der ge-
KAPITEL FÜNF
rade deshalb so urkomisch ist, weil die Faustianer denken,
die Verheerer seien verrückt.
Obwohl die Jünger des Morgensterns und die Faustia-
ner so in ihrem Größenwahn gefangen sind, daß sie dem
Irrglauben erliegen, sie könnten immer noch einen ernst-
zunehmenden Angriff auf Gott unternehmen, so haben
sie doch zumindest begriffen, daß ein Krieg tobt, der nicht
einfach damit aufgehört hat, wie eine der daran beteiligten
Parteien von der anderen über Millionen von Jahren hin-
weg geknechtet wurde. Die Versöhner sind wahrscheinlich
allein schon dadurch die Gewinner des spannenden Wett-
kampfs um den Titel „Am meisten von den Verheerern
verachtete Fraktion“, weil sie die optimistischste aller Frak-
tionen darstellen.
Die einzige Fraktion, die die Verheerer auch nur ansatz-
weise tolerieren, sind die Enigmaten, was jedoch an dem
einfachen Grund liegt, daß die Enigmaten (bis jetzt) noch
für kein näher definiertes Ziel einstehen. Die Verheerer
denken, daß die Enigmaten irgendwann die Nase voll da-
von haben werden, ständig nur „Warum?“ zu fragen, um
dann endlich damit anzufangen, alles um sie herum kurz
und klein zu schlagen. Für einen Realisten ist das die einzig
mögliche vernünftige Vorgehensweise.
Häuser: Der Verschlinger, der sich den Verheerern an-
geschlossen hat, ist nicht grundlos zum Stereotyp gewor-
den. Die Verschlinger sind wahrscheinlich die Dämonen,
die am wenigsten dazu neigen, ihre Handlungen ausgiebig
zu bedenken, und die Verheerer sind die Fraktion, deren
Mitglieder am schnellsten zur Tat schreiten. Anders als
die anderen Gruppierungen hegen die Verheerer keinerlei
Hoffnungen auf einen möglichen Sieg über den Himmel.
Warum also sollten sie sich dann die Mühe machen, Plä-
ne für die nächsten hundert Jahre zu schmieden? Warum
überhaupt Pläne für zehn Jahre oder auch nur ein einziges
Jahr? Für die Verschlinger ist es an und für sich schon ein
ehrbares Ziel, ein hartes Leben zu führen, an dessen Ende
ein noch härterer Tod steht.
Die subtiler vorgehenden Verheerer sind zumeist Schän-
der, die durch den Krieg und ihre Verbannung die Lust
an der Schönheit verloren haben. Nun, da sie ihre ganze
Existenz darauf ausgerichtet haben, eine ohnehin schon
häßliche Welt noch viel häßlicher zu machen, sind sie oft
der Samthandschuh, der aus dem Schatten der stählernen
Faust eines Verschlingers heraus zuschlägt. Ein Verschlin-
ger, der den Verheerern angehört, wird seine Opfer in aller
Regel ohne viel Federlesens einfach umbringen. Ein Schän-
der hingegen, der den Verheerern beigetreten ist, arbeitet
so lange an einem Opfer, bis es sich schließlich selbst zer-
stört – aber erst, nachdem er allmählich alles zugrunde
gerichtet oder auf einen Schlag zerstört hat, was seinem
Opfer etwas bedeutete.
Der Großteil der Übeltäter bezieht deutlich Stellung ge-
gen die Verheerer. Vielleicht liegt es an ihrer engen Verbun-
denheit mit den Tiefen der Erde, daß ihnen der Verfall an
der Oberfläche weniger widerwärtig erscheint. Vielleicht
haben so gelassene und umsichtige Wesen wie sie, die daran
139

gewöhnt sind, in geologischen Zeitmaßstäben zu arbeiten,
Schwierigkeiten mit der Impulsivität dieser Fraktion. Oder
vielleicht liegt es auch nur einfach daran, daß sie ihre letz-
ten Endes schöpferische Natur nicht so weit unterdrücken
können, um sich der Zerstörung hinzugeben.
Anführer: Sauriel, der Befreier, gebietet über die Achtung
und den Gehorsam der anderen Verheerer. Als einer der we-
nigen Schnitter, die der Philosophie der Verheerer anhängen,
ist er in der Lage, seinen Rachegelüsten und seiner Grausam-
keit auch noch nach dem Tode seiner Opfer freien Lauf zu
lassen. Der Anspruch des einstigen Erzherzogs auf die Füh-
rerrolle unter Verheerern gründet sich eher auf Drohungen
und Einschüchterung als auf Überzeugungskraft.
Sauriels größte Konkurrentin ist Suphlatus. Früher war
sie die Spenderin des Fließenden Wassers, doch heute ist
sie die Herzogin des Staubs. Sie glaubt (und vertritt diese
Auffassung auch lautstark), daß das Scheitern der Rebel-
lion erst durch Verrat aus den eigenen Reihen ermöglicht
wurde – um genau zu sein, Verrat durch den einzigen Re-
bellen, der auffälligerweise nicht in den Abgrund verbannt
wurde. „Einer, der schon einmal Verrat verübt hat, wird
immer wieder zum Verräter“, lautet eine ihrer Grundan-
sichten, und sie hat sich vorgenommen, sämtliche Vorha-
ben von Menschen, Engeln und Dämonen zu vereiteln.
Der Haß zwischen ihr und Nazathor ist so groß, daß dieser
ausreichen würde, um jeden verglühen zu lassen, der es
wagt, sich zwischen die beiden zu stellen.
Ziele: Zwar verfolgt die Verheerer der Ruf, blutrünstige
Barbaren zu sein, doch in Wahrheit lassen sie bei der Aus-
wahl ihrer Ziele erstaunlich viel Vorsicht walten, um mögli-
chen Vergeltungsmaßnahmen zu entgehen. Verheerer sind
besonders in solchen Regionen aktiv, in denen ohnehin
schon Krieg herrscht, denn dort können sie die Schuld für
ihre Greueltaten leicht auf eine der beiden Kriegspartei-
en schieben (im Idealfall gibt natürlich die eine Seite der
anderen die Schuld, die Greuel der Verheerer begangen
zu haben). Zur Durchführung dieser Missionen benötigen
die Verheerer Basen, in die sie sich zurückziehen können.
Zur Zeit werden solche Basen der Verheerer im Nordirak,
in Mazedonien, in den Bergen Mexikos und im Kasch-
mir aufgebaut. Weitere Verheerer werden momentan nach
Westafrika, in die Anden und die Region zwischen dem
Aralsee und dem Kaspischen Meer entsandt. Die Verheerer
operieren auch in Nordamerika, obwohl ihre Zahl dort klei-
ner ist und sie wesentlich subtiler vorgehen als an anderen
Orten.
VERSÖHNER
Engel sind von ihrem Wesen her tugendhafte Geschöpfe.
Selbst die Gefallenen können sich noch an ihre frühere,
unverdorbene Natur erinnern.
Einige Tugenden fallen Wesen von nahezu gottgleicher
Weisheit und Macht leichter als andere. Die Tugend der
Demut gehört allerdings nicht dazu.
Trotzdem hatten die Dämonen in der Stille des Abgrunds
viel Zeit zum Nachdenken. Wie auch die Enigmaten haben
die Versöhner ihre Zeit der Gefangenschaft damit zuge-
bracht, tiefschürfende Fragen zu stellen. Doch während die
Enigmaten auf der Suche nach Antworten nach außen und
140
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
zurück geschaut haben, blickten die Versöhner nach innen
… und in die Zukunft.
Die Frage, die ihnen am meisten zu schaffen machte, war:
Was, wenn wir uns geirrt haben?
Was wäre, wenn? Was, wenn die Rebellion wirklich ein
solcher Akt des Bösen gewesen war, wie Michael und die
Himmlischen Heerscharen behauptet hatten? Was, wenn
Gottes Strafe für den Ungehorsam Seiner Diener und Kin-
der gerechtfertigt gewesen war? Was, wenn Usiel und Lai-
lah von Anfang an im Recht gewesen waren – daß die Le-
gionen die Zeit des Zorns erst durch ihren Versuch, sie gar
nicht erst anbrechen zu lassen, heraufbeschworen hatten?
Wenn dem so war – wenn die Schaffung der Hölle not-
wendig, wenn die Zertrümmerung der Wirklichkeitsebenen
begründet und die Verdammung der Gefallenen gerecht
gewesen war –, was sollten die Gefallenen dann jetzt un-
ternehmen?
Einige glauben, man könne selbst in seiner schlimmsten
Stunde noch die Gnade Gottes erfahren. Diese Versöhner
lauschen mit großer Hoffnung den Geschichten von Jesus,
Mohammed und den anderen sterblichen Propheten und
Errettern. Vielleicht hat Gott der Menschheit verziehen.
Und wenn Er ihnen vergeben konnte, könnte Seine Gnade
dann nicht auch für Seine reuevollen Diener ausreichen?
Selbst wenn Seine Strafe ewig währen sollte und die
Elohim Sein Antlitz nie mehr schauen dürften … könnte
dann die Erde nicht trotzdem geheilt werden? Womöglich
kann sie nicht wieder genau zu dem Paradies werden, das
sie einst gewesen ist, aber vielleicht doch zu etwas Großem
und Herrlichem – und gar etwas Reinem –, das sich aus der
Asche seiner vergangenen Pracht erhebt. Die Gefallenen
haben viel ihrer Macht verloren, doch auch die Welt ist
kleiner geworden. Gewiß kann doch auch ein Drittel der
Himmlischen Heerscharen noch immer das Universum
verbessern und der Menschheit beistehen und ihr dienen.
Dies ist die Hoffnung, die die Versöhner hegen: Frie-
den mit ihrem Schöpfer und Kerkermeister zu machen.
Und wenn ihnen das versagt bleibt, so hoffen sie darauf,
zumindest ihren Frieden mit ihrer ewigen Verbannung zu
machen.
Rivalen: Die Versöhner sind den Faustianern einigerma-
ßen freundlich gesonnen. Schließlich verfolgen auch die
Faustianer das Ziel, die Welt zu verbessern, obgleich die
beiden Fraktionen sich über das Wie und das Warum un-
eins sind. Auch den Enigmaten stehen sie aufgeschlossen
gegenüber, da deren Fragen möglicherweise die Antworten
liefern könnten, nach denen die Versöhner suchen.
Die Versöhner sehen die Jünger des Morgensterns und
die Verheerer als ihre Hauptfeinde an. Die Jünger des
Morgensterns zählen deshalb zu ihren Gegnern, weil das
erklärte Hauptziel dieser Fraktion der fortgesetzte Wider-
stand gegen Gott ist. (Zugegebenermaßen verfolgen die
Faustianer ebenfalls dieses Ziel, doch die Versöhner sehen
diese Tatsache eher als Nebeneffekt des Hangs zur Selbst-
verherrlichung dieser Fraktion.) Ein organisierter, gemein-
schaftlicher Widerstand hingegen wie ihn die Jünger des
Morgensterns propagieren, würde eine Aussöhnung mit
dem Allmächtigen nur noch unwahrscheinlicher werden
lassen.
KAPITEL FÜNF
Wo die Versöhner schon die Jünger des Morgensterns
wegen ihrer beharrlichen Weigerung, den Tatsachen end-
lich ins Auge zu sehen, tief verachten, ist ihre Ablehnung
gegen die Verheerer und deren wilde Verzweiflung und
deren Nihilismus noch um einiges größer. Es gibt wahrlich
ein Bild des Jammers ab, wenn ein einstiger Verweser der
Schöpfung zu keinem erstrebenswerteren Ziel und Motto
mehr findet als: „Laß uns auf alles scheißen, was wir je
geschaffen haben.“
Häuser: Da es sich bei der Aussöhnung mit Gott um das
am wenigsten zerstörerische Ziel aller Fraktionen handelt,
üben die Versöhner als Fraktion nicht einmal auf die zöger-
licheren Verschlinger einen besonderen Reiz aus. Obschon
die Idee, die Welt neu zu errichten, durchaus verlockend
für sie klingen mag, können sich jene Verschlinger, die noch
ein gewisses Interesse daran hegen, die Lage der Dinge zum
Positiven zu ändern, eher mit dem Programm der Faustia-
ner anfreunden – es ist einfach handlungsorientierter und
weniger kopflastig als das der Versöhner.
Die abstrakten und auf langfristige Veränderungen aus-
gerichteten Ziele der Versöhner ziehen in aller Regel nach-
denklichere und besonnenere Dämonen an – insbesondere
diejenigen, die dem Zweiten oder dem Letzten Haus angehö-
ren. Geißeln und Schnitter weisen beide eine enge Bindung
an Verfall und Tod im Kosmos wie im Menschen auf, weshalb
die Verheißung von Erneuerung und Wiederbelebung sehr
anziehend auf sie wirkt. Zusätzlich fühlen sich beide Häuser
für die Sterblichkeit und den Niedergang der Menschheit
schuldig. Von allen Zielen der Gefallenen bietet ihnen die
Versöhnung die größte Aussicht auf Wiedergutmachung.
Anführer: Die Teufelin Nuriel führt die Versöhner an, und
ihrem Ruf nach soll es ihr gelingen, selbst den haßerfüll-
testen Verheerer in seinem Treiben innehalten lassen zu
können. Vor dem Fall war sie der Thron des Unerbittlichen
Befehls. Während der Rebellion war sie die Großfürstin der
Beherzten Befreiung, und viele Elohim, die sich Nuriels
Zielen heute entgegenstellen, verdanken ihre Existenz ei-
ner von Nuriels vorbildlich durchgeführten Befreiungsak-
tionen während der Zeit des Zorns.
Nuriel ist eine Kriegerin, die des Kämpfens müde ge-
worden ist und nach einem besseren Weg sucht, um ihre
Ziele zu erreichen. Zwar ist sie die Hauptsprecherin (und
Planerin) der Versöhner, doch die philosophische Seele der
Fraktion ist die Geißel Ouestucati, der einstige Erzengel des
Seewinds. Sie zählt zu den wenigen Gefallenen, deren Reue
frei von Zorn ist, und sie führt die anderen Mitglieder ihrer
Fraktion hauptsächlich dadurch, daß sie stets mit gutem
Beispiel vorangeht. Ouestucatis Seelenruhe und Zuversicht
wecken in anderen die Hoffnung darauf, so wie sie mit ihrer
Verbannung umzugehen zu lernen.
Ziele: Das unmittelbare Ziel der Versöhner besteht darin,
eine Bestandsaufnahme des Kosmos zu machen und so viel
wie irgend möglich über seinen momentanen Zustand in
Erfahrung zu bringen. Hierzu müssen sie auch die mensch-
liche Existenz erkunden, weshalb viele Versöhner Reisende
sind, die danach streben, sich ein möglichst vollständiges
und ausgeglichenes Bild von der Menschheit und der Welt
der Menschen zu machen. Trotzdem beschränken sie sich
keineswegs allein auf den Erfahrungshorizont der Sterbli-
chen. Sie versuchen auch, die Wahrheit hinter dem Über-
natürlichen zu ergründen. Haben wirklich alle gottestreuen
Engel die Welt verlassen oder sind nicht doch zumindest
bruchstückhafte Teile ihres Wesens auf Erden verblieben?
141
 Der Junkie am Ende der schmalen Seitengasse bettelte um einen kleinen Gefallen. Der Dealer drückte ihm mit einem
abfälligen Grinsen ein winziges Briefchen in die Hand, ehe er zurück in Richtung der geschäftigen Hauptstrasse lief.
Er übersah den Obdachlosen, der im Schatten eines stinkenden Müllcontainers hockte und die ihm vertraute Szene
regungslos beobachtet hatte.
Sam Ashbury sah zu, wie sich der junge Detective in einer dunklen Ecke der Gasse vor Scham und Unglück schluch-
zend einen Schuß setzte. Er spürte das ihm bereits bekannte und unwillkommene Gefühl von Mitleid in seiner Seele
aufsteigen.
„Eine schöne Nacht dafür“, sagte er. Der Bulle, der von der Schore zwar benommen, aber immer noch halbwegs
wachsam war, zuckte zusammen. Er warf die Spritze auf einen Haufen Abfall und zog seine Pistole aus dem Half-
ter.
„Polizei!“ Der junge Bulle schwankte unter dem Doppelschlag der Droge und des Adrenalins. Sein Blick huschte
suchend durch die vielen Schatten der Seitenstraße. „Komm raus und stell dich irgendwohin, wo ich dich gut sehen
kann!“
Ashbury konnte den Geruch von Verzweiflung wittern – der Mann war verzweifelt genug, um jeden zu töten, der
Zeuge seiner Schande gewesen war. Ashbury betrachtete den jungen Mann eingehend, und die Worte der Macht
stiegen aus seiner Erinnerung empor. Langsam erhob er sich und ging auf den Mann zu. Seine Worte bebten vor
Energien, die die Wut und die Scham des Sterblichen austreiben sollten.
„Ganz ruhig, Kumpel. Es gibt keinen Grund, die Dinge noch schlimmer zu machen. Du siehst wirklich so aus, als
könntest du Hilfe gebrauchen. Ist doch so, oder?“
Einen Moment lang konnte der Bulle Ashbury einfach nur mit weitaufgerissenen Augen anstarren, und die Hand,
in der er die Waffe hielt, zitterte. Dann liefen ihm Tränen über die Wangen und er rutschte an der dreckigen Wand zu
Boden. „Gott … oh Gott, hilf mir“, sagte er wieder und wieder.
Sam hockte sich vor ihn hin und begann damit, seine kleinen Erzeugnisse aus den vollgestopften Taschen seiner
alten Anglerweste zu kramen. „Wie lange läuft das schon so, Kumpel? Wie kommt ein Bulle wie du nur in so eine
Scheißsituation?“
„Ich habe nur … es ist erst seit einem Jahr. Ich hatte einen Autounfall. Die Ärzte gaben mir Morphium, und
als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, habe ich das Zeug hier jeden Tag direkt vor der Nase gehabt. Jeden
verdammten Tag.“
„Erzähl weiter“, sagte Ashbury ruhig. In der Dunkelheit fuhren seine Finger über Zahnräder, Glasstückchen,
Bronzedrähtchen und andere kleine Schrotteile.
„Die Hälfte der Leute auf meinem Revier läßt sich bestechen. Kannst du dir das vorstellen? Sie schmeißen mir
ihre Briefchen hin wie einem Hund, und dann zwingen sie mich, irgendwelche … Ich arbeite jetzt für die verfluchten
Dealer, und nicht mehr für die Polizei.“ Der Detective schloß die Augen und lehnte den Kopf gegen die dreckige Wand.
„Gott im Himmel, warum erzähle ich das alles ausgerechnet dir?“
„Weil du eigentlich kein so schlechter Mensch sein willst“, sagte Ashbury. „Du hast einen schrecklichen Fehler
gemacht, und jetzt würdest du alles tun, um ihn wieder gutzumachen. Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Das
kannst du mir glauben.“
Der Bulle hob den Kopf und schaute den ungewaschenen Penner vor sich an, der in der Dunkelheit saß und mit altem
Schrott herumspielte. „Ich wünschte, das wäre möglich. Gott weiß, ich habe es versucht, aber ich kann es einfach
nicht … Ich habe so viele schreckliche Dinge getan. Ich verdiene keine zweite Chance.“
Ashbury seufzte. Verdammt. Jetzt mußte er dem Kerl helfen.
„Was würdest du dazu sagen, wenn ich dir jetzt erzählte, daß ich dir etwas geben könnte, das dich von deiner Sucht
befreit? Etwas, das dir dein altes Leben zurückgibt und dir die Möglichkeit bietet, in dieser Gegend aufzuräumen?“
Er hob ein kleines Bronzerohr hoch, hielt es ins Licht und sprach mit beiläufiger Stimme weiter. „Was wäre dir das
wert?“
Der Bulle lachte freudlos auf und schüttelte den Kopf. „Was zur Hölle glaubst du denn? Ich würde meine Seele
dafür hergeben, wenn ich von diesem Scheißzeug loskommen könnte.“
Der gefallene Engel, der sich selbst Sam Ashbury nannte, lächelte verhalten und fühlte ein merkwürdiges Gefühl
von Traurigkeit in sich aufsteigen. „Dann haben wir also eine Abmachung.“
 KAPITEL SECHS:
AUF
TÖNERNEN
FÜSSEN
Gott will das Herz eines Kindes und den
Kopf eines Erwachsenen.
- Clive Stapler Lewis
Um Dämonen: Die Gefallenen spielen zu können, er-
schaffen Sie sich einen Charakter, in den Sie schlüpfen – so
ähnlich wie ein Schauspieler in einem Film. Diese Rolle
erlaubt Ihnen die aktive Teilnahme am Geschehen der
Geschichte. Die Charaktere in Dämonen sind die Prot-
agonisten eines Dramas, mit verschiedenen Herausforde-
rungen, die es zu bewältigen gilt. Anstatt zu Beginn eines
jeden Spieles einen neuen Charakter zu erschaffen, können
Sie denselben Charakter immer wieder spielen. Mit jeder
neuen Geschichte entwickelt sich ihr Charakter weiter wie
die Figuren in einer Fernsehserie oder Romanreihe.
Dieses Kapitel enthält alle Informationen, zur Erschaffung
eines Charakters, angefangen bei seinem Grundkonzept bis
hin zu den Zahlen und Werten, die die Fähigkeiten Ihres
Charakters beschreiben. Lesen Sie dieses Kapitel sorgfältig
durch, bevor Sie sich Ihren ersten Charakter erschaffen.
Es ist empfehlenswert, sich vor der Erschaffung eines Cha-
rakters mit dem Erzähler zu beraten, um sicherzustellen,
daß Ihr Protagonist sich so nahtlos wie möglich in das vom
Erzähler erdachte Rahmenwerk der Geschichte einfügt.
EIGENSCHAFTEN
Charaktere in Dämonen verfügen über unterschiedliche
Eigenschaften. Einige sind stärker, manche schneller und
manche gerissener als andere. Die verschiedenen Fähigkeiten
eines Charakters werden durch Eigenschaften ausgedrückt.
Es handelt sich hierbei um Zahlenwerte, die anzeigen, wozu
ein Charakter fähig ist. Wenn Sie sich einen Charakter für
Dämonen erschaffen, verteilen Sie Punktwerte auf verschie-
dene Eigenschaften – ein Vorgang, durch den der Charakter
näher beschrieben und ausgearbeitet wird.
Eigenschaften beschreiben die meisten im weitesten Sin-
ne meßbaren Eigenschaften eines Charakters wie beispiels-
weise Stärke, Wissen, Fertigkeiten und so weiter. Beinahe
alle Eigenschaften liegen auf einer Punkteskala von 1 bis 5.
Ein Wert von 1 ist sehr niedrig, einer von 2 entspricht dem
Durchschnitt, und einer von 3 ist schon recht gut. Ein Wert
von 4 ist außergewöhnlich gut, während ein Punktwert
von 5 herausragend ist – sozusagen der absolute Gipfel
dessen, was ein Mensch in einem Wert je erreichen kann.
Dämonen sind jedoch oft in der Lage, ihre Werte noch
weiter zu steigern, was sie zu wahrhaft übermenschlichen
Wesen macht. Für gewöhnlich jedoch fallen ihre Werte in
dieselben Bereiche wie die Normalsterblicher (zumindest
solange sie in sterblichem Fleisch hausen).
Einige Eigenschaften (Glaube, Qual und Willenskraft) wer-
den nicht mit Werten von 1 bis 5, sondern auf einer Skala von
1 bis 10 gemessen. Eine Beschreibung dieser Eigenschaften
folgt in diesem Kapitel. Unabhängig von der Skala einer Ei-
genschaft zeigt ihr Wert im allgemeinen die Anzahl der Würfel
an, die Sie werfen dürfen, wenn Sie diese Eigenschaft einset-
zen wollen (genaueres hierzu finden Sie in Kapitel Acht).
KAPITEL SECHS

HÄUFIG VERWENDETE EIGENSCHAFTEN UND BEGRIFFE

Die meisten Dämonen-Charaktere besitzen folgende Eigenschaften, die auch auf dem Charakterbogen zu finden sind:

Name: Der Name des Charakters. Denken Sie daran, daß
Dämonen neben dem Namen ihres sterblichen Gefäßes
zusätzlich noch einen Wahren Namen und einen Himm-
lischen Namen haben. Selbst darüber hinaus sind weitere
Pseudonyme keine Seltenheit.
Spieler: Das sind Sie – die Person, die den Charakter im
Spiel darstellt.
Chronik: Die Chronik ist die Reihe aufeinanderfolgender
Geschichten, an denen Ihr Charakter teilnimmt. Diese Ge-
schichten sind wie Kapitel in einem Roman oder ganze Bücher
in einer Romanreihe. An dieser Stelle auf dem Charakterbo-
gen wird der Name oder der Titel der Chronik – der normaler-
weise vom Erzähler vorgegeben wird – eingetragen.
Attribute: Dies sind die grundlegendsten Eigenschaften
eines Charakters, die eine Be-
schreibung seines reinen Poten-
tials darstellen – Körperkraft,
Charisma, Intelligenz und so
weiter.
Fähigkeiten: Die Gesamtheit all
dessen, was ein Charakter lernen
oder üben muß (wozu auch be-
stimmte natürliche Talente oder
Begabungen zählen), wird als Fä-
higkeiten bezeichnet.
Hintergrund: Hintergrund-
eigenschaften stehen für Res-
sourcen, die der Charakter sich
in seinem bisherigen Leben er-
schlossen hat, und sie reichen
von Freunden und Kontakten
über Reichtum bis hin zu ande-
ren materiellen und immateriel-
len Besitztümern.
Apokalyptische Gestalt: Um
lästiges Nachschlagen im Regel-
werk zu vermeiden, werden hier
die acht besonderen Fähigkeiten
eingetragen, die der Charakter
in seiner apokalyptischen Ge-
stalt erhält.
Glaube: Das ist ein Maß für die Macht, die ein Dämon
gewonnen hat, indem er Sterbliche dazu gebracht hat, an
ihn zu glauben und ihm Verehrung zuteil werden zu lassen.
Diese Macht speist all die unterschiedlichen übernatürli-
chen Kräfte der Gefallenen.
Qual: Dieser Wert spiegelt die im Dämon schlummern-
den Erinnerungen an sein Jahrtausende währendes Exil im
Abgrund wider. Je größer die Qual eines Dämons ist, desto
grausamer und unmenschlicher ist er.
Gesundheit: Da sich die Dämonen in sterbliches Fleisch
geflüchtet haben, sind sie genau so anfällig für Verletzun-
gen wie alle anderen Menschen auch – ihr Wirt kann nach
wie vor sogar sterben. Allerdings kennen die meisten Mittel
und Wege, um größere Verletzungen zu vermeiden oder
aber ihr sterbliches Gefäß wieder instand zu setzen. Diese
Eigenschaft zeigt den momentanen körperlichen Gesund-
heitszustand eines Charakters an.
Wesen: Ein Begriff, der die wahre Persönlichkeit des Cha-
rakters, seine Hauptmotivation, seine stärksten Triebfedern
und seine Leidenschaften in einem Wort zusammenfaßt.
Verhalten: Dies ist die Einstellung oder Persönlichkeit, die
der Charakter der übrigen Welt präsentiert, die nicht im-
mer mit dem Wesen des Charakters übereinstimmt (da vie-
le Menschen ihr wahres Wesen hinter bestimmten Verhal-
tensmustern und gesellschaftlichen Masken verbergen).
Konzept: Hier kann eine Kurzbeschreibung der Rolle
des Charakters oder seines Hintergrundes eingetragen
werden. Fassen Sie das Konzept des Charakters einfach
schlagwortartig zusammen – beispielsweise „Zynischer
Detektiv“ oder „Idealistischer
Revolutionär“.
Haus: Dies ist das infernalische
Haus, dem der Charakter an-
gehört. Seine Zugehörigkeit zu
einem der Häuser beeinflußt die
Grundeinstellungen, die Welt-
sicht und die Fähigkeiten eines
Dämons.
Fraktion: Die Fraktion, der der
Charakter angehört. Die Wahl
der Fraktion eines Dämons
beeinflußt seine Sicht auf die
Menschheit und die Zukunft der
Gefallenen, und sie legt auch
seine Einstellung anderen Dä-
monen gegenüber fest.
Wahres Antlitz: Dies ist der
Name der apokalyptischen Ge-
stalt eines Dämons, die von
seinen primären Geheimnissen
bestimmt wird.
Geheimnisse: Die Gefallenen
haben Zugang zu unterschied-
lichsten Geheimnissen, bei de-
nen es sich um das Wissen von
den innersten Mechanismen des
Universums und deren Kontrolle handelt.
Tugenden: Die Tugenden Gewissen, Selbstbeherrschung
und Mut stehen für die neugefundenen menschlichen
Qualitäten wie etwa Mitgefühl und Selbstlosigkeit eines
Dämons. Durch ihren Einsatz kann der Dämon sich dem
korrumpierenden Einfluß seiner Qual widersetzen.
Willenskraft: Willenskraft mißt die Entschlossenheit und
das Selbstvertrauen eines Charakters. Es handelt sich bei
ihr um die Fähigkeit, Hindernisse zu überwinden und trotz
widrigster Umstände nicht aufgeben zu wollen.
Erfahrung: Selbst die Gefallenen können aus ihren Erfah-
rungen lernen. Charaktere gewinnen an Erfahrung, indem
sie eine Geschichte abschließen und Herausforderungen
bewältigen. Sie können Erfahrung einsetzen, um die Eigen-
schaften Ihres Charakters zu verbessern.

145

ANFANG
Die Erschaffung eines Dämonen-Charakters verläuft
nach fünf einfachen Schritten, die auf den folgenden Sei-
ten eingehend beschrieben und ab Seite 147 grob umrissen
werden. Behalten Sie die folgenden Richtlinien im Hinter-
kopf, wenn Sie einen Charakter erschaffen:
• Die Gefallenen wurden durch das Auftun des Abgrunds
und den Mahlstrom sehr weit verstreut und tauchen an den
unterschiedlichsten Orten auf der ganzen Welt auf. Ent-
fernungen, so wie wir sie kennen, haben beim Überschrei-
ten der Grenze zwischen dem Abgrund und der Welt der
Sterblichen keinerlei Bedeutung. Daher können Dämonen
nahezu jede nur denkbare sterbliche Gestalt von überall
her auf der Welt angenommen haben. Ihr sterbliches Gefäß
kann jung oder alt, männlich oder weiblich sein und so
gut wie jeder ethnischen Gruppe, Nationalität oder gesell-
schaftlichen Klasse angehören. Die einzige Voraussetzung
ist, daß die sterbliche Seele zu schwach oder zu gebrochen
ist, um sich gegen die Besessenheit zu wehren (aufgrund
hoffnungsloser Verzweiflung, eines psychologischen Trau-
mas, eines Komas oder vergleichbarer Umstände), was es
dem Dämon erlaubt, in seinen Wirt einzufahren. Bestimm-
te sterbliche Gefäße verlangen nach bestimmten Eigen-
schaften oder Hintergründen. So verfügt beispielsweise
ein sportlich-durchtrainierter Körper in aller Regel über
überdurchschnittliche körperliche Attribute, während ein
reiches Gefäß wahrscheinlich einen hohen Wert in Res-
sourcen aufweisen wird (vorausgesetzt der Dämon hat nach
der Inbesitznahme noch immer Zugriff auf den Reichtum
des Sterblichen).
• Das Charaktererschaffungssystem ist darauf ausgelegt,
einen erst kürzlich aus der Hölle entkommenen Gefallenen
zu erschaffen, der noch nicht lange in der Welt der Sterb-
lichen weilt und gerade erst in seinen Wirt eingefahren
ist. Zwar besaßen die Gefallenen in vergangenen Zeiten
unvorstellbar große Macht, doch diese wurde bereits vor
ihrer Verbannung stark geschwächt und nahm durch die
lange Zeit ihrer Gefangenschaft und durch die im Höllen-
schlund erlittenen Qualen noch weiter ab. Daher wird in
der Grundanlage des gesamten Spiels davon ausgegangen,
daß ein Charakter zu Beginn lediglich über einen Bruchteil
seiner wahren Macht verfügt, doch daß diese im Verlauf
einer Chronik wieder anwachsen kann (durch den Einsatz
von Erfahrung).
• Um diese Einschränkungen widerzuspiegeln, erhält Ihr
Charakter eine bestimmte Anzahl von Punkten, die Sie
auf die verschiedenen Eigenschaften verteilen können,
sowie eine Reihe sogenannter „ freier Zusatzpunkte“, die
Sie einsetzen können, um verschiedene Eigenschaften zu
erhöhen und Ihren Charakterentwurf abzurunden. Das be-
deutet, daß es am besten ist, wenn Sie sich auf Charaktere
konzentrieren, die in einem bestimmten Bereich besonders
gute Eigenschaften (oder in mehreren Bereichen zumindest
einigermaßen gute Eigenschaften) aufweisen, anstatt den
Versuch zu unternehmen, Charaktere zu erschaffen, die in
allen Bereichen überdurchschnittlich gute Eigenschaften
vorweisen können. Sie sollten sich mit Ihren Mitspielern
beraten, um zu sehen, wo die besonderen Begabungen ihrer
146
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Charaktere liegen. Damit können Sie sicherstellen, daß
Ihr Charakter etwas Wichtiges zu den Charakteren der
anderen Spieler beiträgt und doch seine eigene, einzigartige
Nische findet.
• Denken Sie daran, daß ein Wert von 1 dürftig, einer von
2 durchschnittlich, einer von 3 gut und jeder Wert, der
über 3 liegt, hervorragend ist. Das bedeutet aber nicht,
daß ein Wert von 1 automatisch unglaublich schlecht und
ein Wert über 3 damit sofort allzu übermächtig ist. Zerbre-
chen Sie sich nicht den Kopf darüber, wenn Ihr Charakter
nicht in jeder Eigenschaft einen Würfelvorrat von 5 oder
mehr Würfeln vorweisen kann. Das ist nämlich absolut
nichts Außergewöhnliches. Denken Sie auch daran, daß
Ihr Charakter gerade erst das Licht der Welt erblickt hat.
Im Fortlauf der Chronik werden Sie noch früh genug in der
Lage sein, seine Fähigkeiten durch Einsatz von Erfahrungs-
punkten zu steigern.
• Auch wenn die Gefallenen nicht gerade die umgänglich-
sten Kreaturen auf Erden sind, so finden sie sich doch häu-
fig zusammen, weil sie einander brauchen, was insbeson-
dere auf jene Dämonen zutrifft, die unbedingt verhindern
wollen, daß die Fürsten der Hölle aus dem Abgrund ent-
kommen. Da sie von den Erdgebundenen sowie sterblichen
und übernatürlichen Feinden gejagt werden, haben diese
Dämonen auch allen Grund dazu, sich zusammenzutun – in
erster Linie bieten sie sich dadurch gegenseitig Schutz und
haben die Möglichkeit, ihre Ressourcen zusammenzulegen,
um ihre Ziele zu erreichen. Beachten Sie, daß Ihr Charakter
in der Lage sein sollte, als Teil einer Gruppe zu funktionie-
ren. Zudem sollte er den anderen Charakteren noch etwas
mehr als nur Frust und Ärger bieten können.
DIE ROLLE DES ERZÄHLERS BEI DER CHA-
RAKTERERSCHAFFUNG
Während der Charaktererschaffung übernimmt der Er-
zähler eine wichtige Funktion, da er derjenige ist, der die
Art der Chronik festlegt und als einziger den ungefähren
Verlauf der Geschichte kennt. Das heißt, daß der Erzähler
die Spieler bei der Erschaffung ihrer Charaktere beraten
kann, um sicherzustellen, daß diese zum großen Hand-
lungsbogen seiner geplanten Chronik passen. Nötigenfalls
kann er aber genausogut seine Chronik an die Ideen und
Wünsche der Spieler anpassen. Der Prozeß der Charakter-
erschaffung kann unzählige Ideen für weitere Geschichten
liefern, die alleine nur auf den Hintergründen und den
Zielen der verschiedenen Charaktere basieren.
Als Erzähler sollten Sie damit beginnen, Ihre Spieler
Schritt für Schritt mit dem Prozeß der Charaktererschaf-
fung vertraut zu machen. Gehen Sie mit ihnen den Cha-
rakterbogen durch und erläutern Sie die verschiedenen
Eigenschaften und deren Bedeutung. Anschließend sollten
Sie ihren Spielern einen groben Überblick über die Cha-
raktererschaffung geben und ihnen erklären, wie sie nun
zu ihren Charakteren kommen.
Erzählen Sie Ihren Spielern, welche Art von Chronik
Sie leiten möchten, und hören Sie sich ihre ersten Ideen
für ihre Charaktere an. Weisen Sie Ihre Spieler darauf hin,
wenn Sie glauben, daß eines der Konzepte nicht zu Ihrer ge-
planten Chronik paßt. Unterbreiten Sie Ihren Spielern Vor-
KAPITEL SECHS
DER PROZESS DER CHARAKTERERSCHAFFUNG
Schritt Eins: Charakterkonzept
Wählen Sie Konzept, Haus, Fraktion, Wesen und
Verhalten aus.
Schritt Zwei: Auswahl der Attribute
Gewichten Sie die drei Kategorien: körperlich, ge-
sellschaftlich, geistig (7/5/3). Ihr Charakter hat in je-
dem Attribut automatisch schon einen Punkt.
Schritt Drei: Auswahl der Fähigkeiten
Gewichten Sie die drei Kategorien: Talente, Fertig-
keiten, Kenntnisse (13/9/5). Ihr Charakter beginnt das
Spiel, ohne automatisch einen Punkt in irgendeiner
Fähigkeit zu besitzen.
Wählen Sie Talente, Fertigkeiten und Kenntnisse
aus.
In diesem Stadium dürfen Sie keinen der Fähigkeits-
werte mit mehr als 3 Punkten versehen.
Schritt Vier: Auswahl der Vorteile
Wählen Sie Hintergründe (5) und Geheimnisse (3)
aus, und legen Sie die Tugenden (3) Ihres Charakters
fest. Ihr Charakter hat in jeder Tugend automatisch
schon einen Punkt.
Schritt Fünf: Letzte Handgriffe
Notieren Sie den Anfangswert für Glaube (3), für
Qual (hängt vom von Ihnen gewählten infernalischen
Haus ab) und für Willenskraft (entspricht der Summe
der beiden höchsten Tugenden).
Vergeben Sie freie Zusatzpunkte (15).
KONZEPTE
Arbeiter – Bauer, Monteur, Verkäufer, Lastwagenfahrer
Angehöriger der Oberen Zehntausend – Privatier,
Erbe, Playboy, Promischlampe
Außenseiter – Einwanderer, Angehöriger einer Min-
derheit, Verschwörungstheoretiker, religiöser Fanatiker
Berufstätiger – Programmierer, Arzt, Ingenieur, In-
vestmentbroker, Anwalt
Ermittler – Detektiv, Regierungsbeamter, Polizist,
Monsterjäger
Gläubiger – Laie, Esoteriker, Nonne, Priester, Rabbi,
Schamane, Eiferer
Gör – Jugendlicher, Ausreißer, Bandenmitglied, Waise,
reicher Erbe
Intellektueller – Professor, Gelehrter, Wissenschaftler,
Student, Lehrer, Schriftsteller
Krimineller - Ex-Knacki, Gangster, Mafioso, Yakuza,
Drogendealer, Zuhälter, Schläger, Dieb, Hehler
Politiker – Wahlkampfmanager, gewählter Volksver-
treter, Richter, politischer Berater, Redenschreiber
Nachtschwärmer – Clubgänger, Kneipenhocker, Ra-
ver, Punker, Junkie
Reporter – Journalist, Nachrichtensprecher, Paparaz-
zo, Klatschreporter
Rumtreiber – Obdachloser, Junkie, Schmuggler, Biker,
Gauner
Soldat – Leibwächter, hochrangiger Offizier, Auftrags-
mörder, Söldner, einfacher Infanterist
Unterhaltungskünstler – Schauspieler, Musiker, Ko-
miker, Künstler, Straßenkünstler
HÄUSER
Teufel – Diese charismatischen Versucher und Täu-
scher können mit ihren honigsüßen Worten Seelen in
ihr Verderben locken.
Geißeln – Diese Dämonen, die anderen mit einer Be-
rührung schaden (oder heilen) können, tragen Krank-
heit und Siechtum in die Welt.
Übeltäter – Diese Baumeister unter den Gefallenen
sind in der Lage, jedes Wunder zu erschaffen – für den
entsprechenden Preis.
Unholde – Diese Meister des in den Sternen stehen-
den Schicksals verbreiten Alpträume und Flüche auf
Erden.
Schänder – Diese Gestaltwandler von bezaubernder
Schönheit können ihre Erscheinung dem Wunsch-
traum eines jeden Wesens anpassen.
Verschlinger – Diese Krieger der Gefallenen sind die
Herrscher über die Tiere und die Wildnis.
Schnitter – Diese Folterknechte der Toten können
Geister herbeirufen und anderen die Seele aus dem
Körper reißen.
ARCHETYPEN
Abweichler – Was ist schon normal?
Architekt – Sie wollen etwas von bleibendem Wert
schaffen.
Autokrat – Sie erledigen Dinge – und zwar ausschließ-
lich auf Ihre Weise.
Bonvivant – Das Leben ist wie ein Bankett, doch die
meisten armen Kerle hungern – und das auch noch aus
freien Stücken.
Direktor – In allem gibt es eine Ordnung.
Einzelgänger – Sie sind am liebsten allein.
Fanatiker – Sie opfern alles für Ihre Sache.
Gigolo – Sie lieben das Rampenlicht und genießen die
Verehrung der Massen.
Griesgram – Nichts ist Ihnen jemals gut genug.
Helfer – Jeder braucht jemanden, der auf ihn achtgibt.
Kind – Warum kümmert sich bloß niemand um Sie?
Konformist – Sie wissen genau, wo Ihr Platz in der
Ordnung der Dinge ist, und Sie weichen keinen Schritt
weit davon ab.
Märtyrer – Sie wurden nur dafür geschaffen, zum
Wohle anderer zu leiden.
Masochist – Sie sind begierig darauf, die Grenzen von
Schmerz und Belastbarkeit auszutesten.
Monster – Als echter Dämon erfreuen Sie sich am
Leid und Schmerz anderer.
Pädagoge – Sie haben auf alles eine Antwort, und
Sie sind eifrig bei der Sache, diese Antworten loszu-
werden.
Perfektionist – Sie erwarten und fordern nur das Beste
von sich und anderen.
147

Rauhbein – Das Recht des Stärkeren gilt immer – und
Sie haben grundsätzlich recht.
Rebell – Nieder mit dem System! Die Obrigkeit muß
ständig herausgefordert werden.
Richter – Sie arbeiten daran, das System von innen
heraus zu verbessern.
Schmarotzer – Warum sollen Sie sich anstrengen,
wenn das nicht auch andere für Sie machen können?
Schurke – Ihr eigenes Wohlergehen kommt bei Ihnen
immer an erster Stelle.
Sensationsjunkie – Was für ein Rausch! Sie sind im-
mer auf der Suche nach dem nächsten, großen Kick.
Spieler – Für eine Chance, etwas zu verbessern, sind
Sie bereit, alles zu riskieren.
Süchtiger – Es gibt etwas, das Sie unbedingt haben
müssen – koste es, was es wolle.
Sünder – Sie haben gesündigt und müssen Buße dafür
tun.
Traditionalist – Wenn etwas schon immer so gemacht
wurde, dann ist es auch gut genug für Sie.
Trickser – Humor ist Ihnen in Ihrem Leben Schwert
und Schild.
Überlebenskünstler – Sie werden mit allem fertig,
welche Hindernisse auch immer das Leben Ihnen in
den Weg stellen mag.
Visionär – Sie erkennen das Potential, das hinter den
Dingen steht, und sehen alles so, wie es sein könnte.
Wettkämpfer – Das Leben ist ein Wettkampf, den Sie
unbedingt gewinnen wollen.
HIMMLISCHE MÄCHTE
Geheimnisse der Erde – Die Geheimnisse, wie man
die Kräfte der Erde kontrolliert.
Geheimnisse der Erweckung – Die Geheimnisse, wie
man belebte und unbelebte Materie unter seinen Wil-
len zwingt.
Geheimnisse der Esse – Die Macht, einfache Materie
zu wundersamen Artefakten zu formen.
Geheimnisse des Firmaments – Die Macht, Personen
und Ereignisse über große Entfernungen hinweg zu
sehen.
Geheimnisse der Flammen – Die Macht, Feuer her-
aufzubeschwören und zu kontrollieren.
Geheimnisse des Fleisches – Die Geheimnisse, wie
man den Leib instand setzt, verbessert und umformt.
Geheimnisse des Fundaments – Die Geheimnisse der
fundamentalen Kräfte, denen das Universum unterliegt.
Geheimnisse der Geister – Die Macht, die Geister
der Toten zu rufen, zu befehligen und zu bannen.
Geheimnisse des Glanzes – Die Macht, Sterbliche zu
beflügeln, in Ehrfurcht zu versetzen und zu ängstigen.
Geheimnisse der Himmlischen – Die Macht, die
Kräfte eines anderen Dämons zu steigern.
Geheimnisse des Jenseits – Die Geheimnisse, wie
man aus der Welt der Lebenden ins Jenseits gelangt.
Geheimnisse des Lichts – Die Geheimnisse, wie man
Licht manipuliert, um mächtige Illusionen zu erzeugen.
148
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Geheimnisse der Menschheit – Die Macht, Sterbli-
che zu lenken, zu beeinflussen und zu manipulieren.
Geheimnisse der Portale – Die Macht, die Tore zwi-
schen Räumen und Dimensionen zu kontrollieren.
Geheimnisse des Sehnens – Die Macht, die sehnlich-
sten Wünsche eines Sterblichen zu manipulieren.
Geheimnisse der Struktur – Die Geheimnisse, wie
man den Großen Plan deutet und zukünftige Ereig-
nisse vorhersagt.
Geheimnisse des Sturms – Die Geheimnisse, wie man
die Macht der See und der Stürme kontrolliert.
Geheimnisse des Tiers – Die Geheimnisse, wie man
Tiere herbeiruft, sie kontrolliert und in sie einfährt.
Geheimnisse des Todes – Die Geheimnisse des Todes
und des Verfalls.
Geheimnisse der Verwandlung – Die Macht, sich in
ein Objekt der Begierde eines anderen zu verwandeln.
Geheimnisse der Wege – Die Macht, Wege zwischen
zwei Orten zu finden, zu schaffen oder zu verschließen.
Geheimnisse der Wildnis – Die Macht, Pflanzen zu
kontrollieren und zu befehligen.
Geheimnisse des Windes – Die Macht, Winde her-
beizurufen und zu kontrollieren.
HINTERGRUNDEIGENSCHAFTEN
Anhänger – Sterbliche Helfer, die dem Charakter treu
ergeben sind.
Einfluß – Die politische Macht des Charakters in der
Welt der Sterblichen.
Kontakte – Die Anzahl der dem Charakter offenste-
henden Informationsquellen.
Leitstern – Sie kennen sich besonders gut mit einem
der Geheimnisse Ihres Hauses aus.
Mentor – Ein erfahrener Lehrer oder Führer, der dem
Charakter bei Bedarf Rat erteilen kann.
Pakte – Sterbliche Quellen des Glaubens.
Ressourcen – Geld und materielle Besitztümer des
sterblichen Gefäßes.
Ruhm – Der Bekanntheitsgrad des Wirts innerhalb
der Gesellschaft der Menschen.
Stand – Der Status des Charakters in der Gesellschaft
der Dämonen.
Verbündete – Sterbliche Gefolgsleute, die dem Cha-
rakter zu Hilfe eilen können.
Vermächtnis – Der Grad, in dem der Charakter in
der Lage ist, sich seine Existenz vor der Inbesitznahme
seines sterblichen Körpers in Erinnerung zu rufen.
FREIE ZUSATZPUNKTE
Eigenschaft Kosten
Attribut 5 freie Zusatzpunkte pro Punkt
Fertigkeit 2 freie Zusatzpunkte pro Punkt
Geheimnis 7 freie Zusatzpunkte pro Punkt
Glaube 6 freie Zusatzpunkte pro Punkt
Hintergrund 1 freier Zusatzpunkt pro Punkt
Tugend 2 freie Zusatzpunkte pro Punkt
Willenskraft 1 freier Zusatzpunkt pro Punkt
KAPITEL SECHS
schläge, wie sie ihre Charaktere entsprechend modifizieren
und angleichen können, um die Voraussetzungen für Ihre
Chronik zu erfüllen. Vielleicht möchten Sie beispielsweise
Ihre Chronik in einer ganz bestimmten Stadt spielen lassen,
weshalb Sie festlegen, daß alle Charaktere in dieser Stadt
leben, wobei es allerdings keine Rolle spielt, ob sie sich nun
bereits seit längerer Zeit dort aufhalten oder gerade erst
eingetroffen sind. Bleiben Sie fair, aber konsequent, wenn
es um die Charakterkonzepte geht, die Ihre Spieler Ihnen
vorstellen. Sollte ein Konzept nicht in das Rahmenwerk
Ihrer Geschichte passen, ist es besser, dies dem Spieler
rechtzeitig mitzuteilen, um ihm die Möglichkeit zu geben,
sich einen neuen Charakter einfallen lassen.
Zudem ist es ratsam, eine Spielsitzung ausschließlich
der Charaktererschaffung und dem Präludium (siehe Seite
153) der Charaktere zu widmen, damit jeder eine ungefäh-
re Vorstellung davon bekommt, wer die Charaktere sind
und was sie unternehmen können, bevor die eigentliche
Chronik beginnt. Helfen Sie einem nach dem anderen
Spieler dabei, seinen Charakter auszugestalten. Geben Sie
ihnen Hinweise und unterbreiten Sie ihnen Vorschläge.
Ermutigen Sie sie dazu, ihren Charakteren so viel Tiefe,
Persönlichkeit und Motivation wie möglich zu verleihen
(die Frageliste auf Seite 155 kann dabei eine nützliche Hilfe
sein). Leiten Sie dann für jeden der Charaktere das Prälu-
dium (wenn möglich sollten Sie die anderen Charaktere
darin einbinden, sofern einige von ihnen sich vor Beginn
der Chronik schon einmal begegnet sind). Abschließend
können Sie eine kurze Einführung oder „Prolog“ leiten, der
sich dann endgültig allein darum dreht, wie die Charaktere
zusammengekommen sind, bevor die Geschichte beginnt
und somit die eigentliche Chronik ihren Anfang nimmt.
SCHRITT EINS: CHARAK-
TERKONZEPT
Die Existenz Ihres Dämonen-Charakters beginnt mit
einer Grundidee in Ihrem Kopf. Von dieser Basis ausgehend
fügen Sie immer mehr Details hinzu, bis der Charakter so
komplex und ausgearbeitet ist, wie Sie es sich wünschen.
Dieser Prozeß beginnt hier und geht solange weiter, wie Sie
den Charakter spielen und er somit immer neue Ebenen
seiner Persönlichkeit, Geschichte und Erfahrung hinzu-
gewinnt. Überlegen Sie sich nun also, wie Ihr Charakter-
konzept aussehen soll. Wählen Sie welchem infernalischen
Haus und welcher Fraktion Ihr Charakter angehören soll
und bestimmen Sie sein Wesen und Verhalten.
KONZEPT
Die Anzahl an möglichen Konzepten für einen Charak-
ter in Dämonen: Die Gefallenen ist nahezu unendlich
und wird nur durch Ihre eigene Vorstellungskraft begrenzt.
Machen Sie sich ein erstes Bild oder eine Grundidee von
der Art des Charakters, den Sie gerne spielen würden, und
versuchen Sie dieses Grundkonzept mit einigen wenigen
Worten zu beschreiben – so wie zum Beispiel „Aalglatter
Politiker“ oder „Nervöser Rebell“. Sie können sich ausge-
hend von den Beispielen auf Seite 147 einige erste Gedan-
ken zu Ihrem Charakterkonzept machen. Natürlich können
Sie auch erst einmal verschiedene Ideen aufschreiben, die
Ihnen gerade in den Sinn kommen, und anschließend die-
jenige auswählen, die Ihnen am besten gefällt. Nachdem
Sie erst einmal ein Konzept ersonnen haben, arbeiten Sie
es in paar kurzen Sätzen weiter aus. Umschreiben Sie den
Charakter, so wie Sie ihn sich vorstellen.
Charaktere in Dämonen bestehen aus zwei unterschied-
lichen, aber dennoch in wechselseitiger Beziehung stehen-
den Teilen: dem Geist des Gefallenen und dem Verstand
und dem Körper seines sterblichen Wirts. Der Geist des
Gefallenen liefert die Persönlichkeit, Sichtweisen, Ziele, Tu-
genden und Laster des Charakters, während das sterbliche
Gefäß die Erinnerungen, die Beziehungen und emotionalen
Neigungen des Charakters bereitstellt, die es dem Dämo-
nen ermöglichen, sich in der modernen Welt zurechtzufin-
den. Wenn Sie mit der Ausarbeitung Ihres Charakterkon-
zepts beginnen, müssen Sie sich ein uraltes, unsterbliches
Wesen vorstellen, das Zeuge des Schöpfungsakts wurde, an
einem Krieg gegen den Himmel teilnahm und sich jetzt im
Körper eines sterblichen Menschen wiederfindet. Während
Sie mit der Erschaffung fortfahren, sollten Sie sich dieser
Dualität stets bewußt sein und darüber nachdenken, wie
der dämonische Geist die Erfahrungen, die ihm sein sterb-
licher Wirtskörper aufzwingt, sieht und sie annimmt oder
ablehnt.
Dieses Konzept dient Ihnen als Leitfaden während des
gesamten Prozesses der Charaktererschaffung. Wenn Sie
später weitere Entscheidungen treffen müssen, können
Sie sich immer auf dieses Konzept zurückbesinnen, um zu
sehen, welchen Weg Sie genau bei der Erschaffung Ihres
Charakters einschlagen möchten. Wenn Ihnen beispiels-
weise ein Sportler als Gefäß Ihres Charakters vorschwebt,
sollten Sie ihm körperliche Attribute und Fähigkeiten wie
Sportlichkeit geben. Ein Charakter, der sich in den ober-
sten Gesellschaftsschichten bewegt, wird dagegen eher
mehr Wert auf gesellschaftliche Eigenschaften legen. Das
heißt jedoch nicht, daß Sie Charaktere erschaffen müssen,
die vollkommen frei von Widersprüchen sind. Sie können
einem Charakter, der zu den Oberen Zehntausend gehören
soll, auch gleichzeitig ein Interesse an Bergsteigen oder
Schießsport geben, genauso, wie Sie Ihren Sportler mit ei-
ner gewissen Geistesschärfe versehen können. Ein solides,
in sich geschlossenes Konzept vereinfacht die restlichen
Schritte allerdings erheblich.
HAUS
Jeder Dämon gehört einem bestimmten Haus an. Ur-
sprünglich stand jedes Haus als Synonym für die Pflichten
und Aufgaben eines Engels in der Schöpfung. Heute bilden
die Häuser die Basis für die Unterscheidung verschiede-
ner Arten von Dämonen und beschreiben deren Talente,
Vorlieben und Neigungen. Dämonen, die aus demselben
Haus stammen, handeln deshalb aber noch lange nicht
alle immer absolut gleich. Sie teilen jedoch wahrscheinlich
ähnliche Ansichten und Interessen und verfügen über ver-
gleichbare Fertigkeiten sowie Einsichten in die Natur der
Schöpfung.
Lesen Sie sich die Beschreibungen der verschiedenen
Häuser in Kapitel Fünf durch und überlegen Sie sich, wel-
149

ches von ihnen am besten zu Ihrem Charakterkonzept
paßt. Abhängig von seiner geplanten Chronik kann der
Erzähler Dämonen aus bestimmten Häusern vorgeben oder
verbieten.
FRAKTION
Es gab eine Zeit, da waren sich sämtliche Gefallene in ih-
ren Überzeugungen einig. Sie achteten die Menschheit und
wußten, daß ihr Kampf gegen den Himmel eine gerech-
te Sache war. Als die Rebellen das Kriegsglück allerdings
mehr und mehr verließ, zweifelten einige einflußreiche
Führer unter ihnen an den Idealen Luzifers und dem Sinn
ihres Kampfes für die Menschheit. Nun, da die Tore des
Abgrunds geborsten sind, müssen sich die Gefallenen für
eine dieser untereinander konkurrierenden Fraktionen ent-
scheiden, von denen jede einzelne darum ringt, ihre Ziele
in der modernen Welt voranzutreiben.
Fraktionen dienen als Hilfsmittel beim stimmungsvollen
Erzählen und sollen Ihnen dabei helfen, die Ansichten und
Motivationen Ihres Charakters zu definieren. Lesen Sie
sich die Beschreibungen der verschiedenen Fraktionen in
Kapitel Fünf durch und entscheiden Sie, welche am besten
zu Ihrem Charakterkonzept paßt. Beachten Sie aber, daß
Sie nicht dazu gezwungen sind, eine Fraktion zu wählen,
wenn Sie dies nicht wollen. Dies macht Ihren Charakter
zu einem der noch unentschlossenen unparteiischen Ge-
fallenen. Charakteren ist es während des Spiels durchaus
möglich einer Fraktion beizutreten oder in eine neue über-
zuwechseln, was zu spannenden Geschichten über politi-
sche Ränke führen kann.
WESEN UND VERHALTEN (ARCHETYPEN)
Während das Haus umschreibt, was für eine Art Dämon
Ihr Charakter ist, beschreiben sein Wesen und Verhalten,
um was für eine Person es sich bei ihm handelt. Es handelt
sich hierbei um Persönlichkeitseigenschaften, die als Arche-
typen bezeichnet werden, da sie die komplexen Beweggrün-
de und Wünsche eines Individuums in einigen einfachen
Worten zusammenfassen.
Verhalten beschreibt die Persönlichkeit und die Einstel-
lungen des sterblichen Wirts – es stellt das Gesicht dar, das
der Charakter seiner Umwelt normalerweise präsentiert.
Viele Menschen spielen nur Rollen oder tragen den Groß-
teil ihres Lebens eine „Maske“, weshalb das Verhalten auch
nicht zwingend mit dem Wesen eines Charakters überein-
stimmen muß. Manchmal sind diese beiden Eigenschaften
jedoch identisch, was zumeist bei besonders selbstbewußten
Menschen oder solchen Personen, die wenig Wert auf die
Meinung anderer über sie legen, der Fall ist. Das Verhalten
kann sich sogar von Zeit zu Zeit oder von Situation zu Si-
tuation ändern. Denken Sie einmal daran, wie sich Leute
während der Arbeit verhalten und wie sich ihr Verhalten
ändert, sobald sie unter Freunden sind – und wie sie im
Kreis ihrer Familie wiederum ein vollständig anderes Ver-
halten an den Tag legen. Wenn Sie möchten, können Sie
ein primäres Verhalten für Ihren Charakter bestimmen und
dann noch einige weitere Formen von Verhalten auswäh-
len, die er immer dann annimmt, wenn er sich mit ganz
bestimmten Situationen konfrontiert sieht.
150
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Das Wesen ist das wahre Gesicht Ihres Charakters – in
diesem Fall ist es die Persönlichkeit des Dämons, der den
Verstand der sterblichen Hülle übernommen hat. Man
kann das Wesen als die tiefsten Gefühle des Charakters,
seinen innersten Antrieb und seine ureigenste Weltan-
schauung verstehen. Obwohl Charaktere in Einklang mit
ihrer wahren Natur handeln, sind sie ihr keineswegs skla-
visch unterworfen. Menschen sind komplexe Geschöpfe.
Das Wesen zeigt lediglich an, wie der Kern der Persönlich-
keit Ihres Charakters aussieht. Durch das Wesen wird auch
bestimmt, wann Ihr Charakter Willenskraft zurückgewinnt.
Wird das eigene Wesen bestätigt, führt dies zu mehr Selbst-
vertrauen.
Wenn Sie überlegen, welches Wesen und Verhalten Sie
Ihrem Charakter geben wollen, sollten Sie dabei darauf
achten, wie sich die Persönlichkeit des Gefallenen auf das
Leben ihres sterblichen Wirts auswirkt. Sollten die zwei
Hälften vollkommen verschieden sein – wie etwa bei einem
arroganten Teufel, der sich im Körper eines unscheinbaren
Bibliothekars wiederfindet – ist es möglich, daß das Wesen
des Charakters von der Persönlichkeit des besitzergreifen-
den Geistes dargestellt wird, während das Verhalten, das
der Charakter an den Tag legt, das des Sterblichen ist.
Genauso ist es möglich, daß die Persönlichkeit des Dämons
und die Identität des Sterblichen vollkommen ineinander
aufgehen – wenn zum Beispiel ein mitfühlender Schnitter
in den Körper eines Leichenbestatters einfährt oder ein
ungestümer, aber ehrenvoller Verschlinger im Körper eines
jungen Polizisten landet. In solch einem Fall können Wesen
und Verhalten durchaus identisch sein.
Eine vollständige Übersicht über die verschiedenen Ar-
chetypen finden Sie auf den Seiten 159 bis 163.
SCHRITT ZWEI: AUSWAHL DER AT-
TRIBUTE
Jetzt können Sie damit beginnen, die Eigenschaften Ih-
res Charakters mit Punkten – und damit mit Werten – zu
versehen. Die ersten und grundlegendsten Eigenschaften
sind die Attribute, die das reine Potential eines Charakters
widerspiegeln. Sie geben Auskunft darüber, wie stark, geris-
sen, clever, charismatisch und so weiter Ihr Charakter ist.
Ihr Charakter besitzt neun Attribute, die in drei Kategorien
zu je drei Eigenschaften aufgeteilt sind. Bei diesen drei
Kategorien handelt es sich um die körperlichen Attribute
(Körperkraft, Geschick, Widerstandsfähigkeit), die gesell-
schaftlichen Attribute (Charisma, Manipulation, Erschei-
nungsbild) und die geistigen Attribute (Wahrnehmung,
Intelligenz, Geistesschärfe).
Legen Sie auf der Grundlage Ihres Konzepts eine dieser
drei Kategorien fest, die die primäre Kategorie für Ih-
ren Charakter sein soll. In diesem Bereich werden seine
Werte dann am besten ausgeprägt sein. Anschließend
legen Sie die sekundäre Kategorie fest, in der die Werte
Ihres Charakter eher durchschnittlich ausfallen werden.
Somit bleibt noch die tertiäre Kategorie übrig, in der die
Werte Ihres Charakter am schlechtesten sein werden.
Das bedeutet allerdings nicht, daß Ihr Charakter in allen
Attributen der tertiären Kategorie schrecklich schlechte
KAPITEL SECHS
Werte haben wird, da man die für diese Kategorie zur Ver-
fügung stehenden Punkte jederzeit so verteilen kann, daß
alle Attribute in ihr zumindest einen durchschnittlichen
Wert aufweisen.
Jeder neue Charakter besitzt schon einen automati-
schen Punkt in jedem seiner Attribute, was den absoluten
Mindestausprägungen entspricht. Anhand der Prioritäten,
die Sie zuvor gesetzt haben, verteilen Sie nun zusätzliche
Punkte auf Ihre Attribute. Sie können weitere sieben
Punkte auf die Attribute in der primären Kategorie, fünf
Punkte auf die Attribute in der sekundären Kategorie
und drei Punkte auf die Attribute in der tertiären Kate-
gorie verteilen. Sie können die angegebene Punktzahl in
jeder der drei Kategorien nach Belieben verteilen, wobei
allerdings keines der Attribute über einen Wert von fünf
Punkten steigen darf.
SCHRITT DREI:
AUSWAHL DER FÄHIGKEITEN
Ebenso wie die Attribute sind auch die Fähigkeiten in
drei verschiedene Kategorien aufgeteilt: Talente, Fertig-
keiten und Kenntnisse. Talente sind angeborene, intui-
tive Fähigkeiten, die Ihr Charakter entweder von Natur
aus beherrscht oder sich im Zuge persönlicher Erfahrung
und durch Übung angeeignet hat. Fertigkeiten sind alle
Fähigkeiten, die vom Charakter erlernt und regelmäßig
trainiert werden müssen, während Kenntnisse das „theo-
retische“ Wissen des Charakters repräsentieren, das er
durch eine Ausbildung oder ein Studium erworben hat .
Legen Sie eine diese Kategorien von Fähigkeiten als
primäre und eine weitere als sekundäre Kategorie Ihres
Charakters fest, wodurch die verbliebene zur tertiären
Kategorie Ihres Charakters wird – es läuft eigentlich al-
les genau so, wie es zuvor bei den Attributen der Fall
gewesen ist. Ihr Charakterkonzept wird Ihnen bei dieser
Gewichtung der Kategorien helfen. Bei einem Gelehrten
sind beispielsweise die Kenntnisse die primäre Kategorie,
während ein Sportler oder Schläger sich eher auf seine
Talente verlassen dürfte. Es ist hilfreich, wenn Sie sich
erst einmal alle Fähigkeiten ansehen und sich einen Über-
blick darüber verschaffen, welche von ihnen am besten zu
Ihrem Charakterkonzept passen. Die Kategorie, die die
meisten Fähigkeiten aufweist, die gut zu Ihrem Konzept
passen, sollten Sie zur primären Kategorie Ihres Charak-
ters machen.
Sie haben 13 Punkte zum Verteilen auf Ihre primären
Fähigkeiten, neun Punkte zum Verteilen auf die sekun-
dären Fähigkeiten und fünf Punkte zum Verteilen auf
die tertiären Fähigkeiten. Beachten Sie aber, daß Cha-
raktere anders als bei den Attributen das Spiel nicht mit
automatischen Punkten in den Fähigkeiten beginnen. Es
gibt auch eine zusätzliche Beschränkung: Sie können zu
diesem Zeitpunkt der Charaktererschaffung keine Fähig-
keit mit einem höheren Wert als drei Punkten versehen,
obwohl Sie später durch den Einsatz Ihrer freien Zusatz-
punkte Fähigkeiten auch über einen Wert von 3 hinaus
steigern können (siehe Seite 153).
SCHRITT VIER:
AUSWAHL DER VORTEILE
An dieser Stelle verleihen Sie Ihrem Charakter noch
mehr Individualität, indem Sie ihm Eigenschaften zuwei-
sen, die seine einzigartigen Fähigkeiten und seine unver-
wechselbare Geschichte darstellen. Vorteile werden nicht
gewichtet oder in eine Rangfolge gebracht, sondern Sie
verfügen über eine vorgegebene Anzahl an Punkten, die
Sie nach Belieben verteilen können. Zusätzlich können
Sie weitere Punkte durch den Einsatz freier Zusatzpunkte
hinzuerwerben.
HINTERGRUND
Vor Beginn der Chronik erhält Ihr Charakter Hinter-
grundeigenschaften. Zu ihnen zählen die verschiedensten
Dinge wie etwa Verbündete, Kontakte und materielle
Ressourcen. Wie alle anderen Eigenschaften auch sollten
die von Ihnen gewählten Hintergrundeigenschaften zu Ih-
rem Charakterkonzept passen. So dürfte ein obdachloser
Rumtreiber in aller Regel nicht über allzu viele Ressourcen
verfügen. Abhängig von der geplanten Chronik kann der
Erzähler bestimmte Hintergrundeigenschaften (oder Werte
für bestimmte Hintergrundeigenschaften) vorschreiben
oder verbieten.
GEHEIMNISSE
Einst verfügten die Gefallenen über unglaubliche Macht,
die es ihnen ermöglichte, die Schöpfung so zu verändern
und zu formen, wie es ihre Pflichten von ihnen verlangten.
Zwar sind ihre Kräfte seit dem Fall stark geschwächt wor-
den, doch Dämonen sind noch immer in der Lage, Wunder
durch die Macht des Glaubens zu wirken. Jeder Dämon
besitzt bestimmte Geheimnisse, die seine Kontrolle über
bestimmte Facetten der Schöpfung symbolisieren. Sie kön-
nen drei Punkte auf die Geheimnisse verteilen, die Ihr Cha-
rakter kennt, und durch den Einsatz freier Zusatzpunkte
können Sie zusätzliche Punkte erwerben. Nähere Informa-
tionen zu den verschiedenen Geheimnissen der Gefallenen
finden Sie in Kapitel Fünf sowie in Kapitel Sieben.
TUGENDEN
Tugenden bestimmen über die moralischen Stärken ei-
nes Dämonen-Charakters – jene positiven Charakterzüge,
an denen die Gefallenen verzweifelt festhalten, um ihrer
Qual Herr zu werden. Tugenden fassen die Überbleibsel
des wahren, göttlichen Wesens des Dämons und die in ihm
erwachten Instinkte und Gefühle seines sterblichen Wirts
zusammen. Nur durch diese Verschmelzung ist der Gefalle-
ne dazu in der Lage, sich dem ständigen Sog des Abgrunds
entgegenzustemmen, sich seiner schrecklichen Qual nicht
völlig hinzugeben und nach Erlösung suchen zu können.
Die Tugenden geben wieder, wie leicht es Ihrem Charakter
fällt, den dunkleren Trieben seines Wesens zu widerstehen
und zu verhindern, sich ganz seiner Qual hinzugeben.
Es gibt drei Tugenden. Gewissen ist ein Maß für die ethi-
sche Standhaftigkeit Ihres Charakters und seine Fähigkeit,
zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Überzeugung gibt
151
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

an, wie sehr Ihr Charakter von seinen Grundeinstellungen

überzeugt ist, und spiegelt sein Verständnis und seine Ak-
zeptanz für die Ordnung der Dinge wider. Mut ist die Fä-
higkeit des Charakters, gemäß seiner Grundeinstellungen
zu handeln und die Hindernisse zu überwinden, die ihm
dabei im Weg stehen.
Jeder Charakter beginnt automatisch mit einem Punkt in
jeder seiner Tugenden, und Sie können dann nach Belie-
ben drei weitere Punkte auf die Tugenden verteilen. Außer-
dem können sie freie Zusatzpunkte einsetzen, um weitere
Punkte hinzuzugewinnen. Die Tugenden sind ein wichtiger
Faktor bei der Bestimmung der anfänglichen Willenskraft
Ihres Charakters, weshalb Sie mit besonderer Sorgfalt an
die Punkteverteilung herangehen sollten.

SCHRITT FÜNF:
LETZTE HANDGRIFFE
Abschließend können Sie nun Ihren Cha-
rakter durch das Verteilen von 15 freien Zu-
satzpunkten abrunden. Außerdem müssen Sie
noch einige wichtige Eigenschaften festlegen
und ermitteln.

GLAUBE
Glaube ist der Quell der Macht eines
Dämons und Grundstoff seiner Existenz.
Ursprünglich spiegelte diese Eigenschaft
den Glauben an den Allmächtigen und
Seinen göttlichen Plan wider, doch nun
ist der Glaube eines Dämons viel mehr ein
Zeichen seines Selbstvertrauens. Er steht
für den Glauben an sich selbst und an die
Menschheit anstatt an irgendeine höhere Macht.
Der Glaube zeigt an, wie groß der Einfluß ist, den
der Dämon auf die Schöpfung ausüben kann. Er
gibt außerdem an, wie sicher sich der Dämon
seines Platzes in der Schöpfung ist. Darüber
hinaus mißt diese Eigenschaft auch, wieviel
Erleuchtung der Dämon gewonnen hat und
wie tief sein Verständnis vom Universum ist.
Der Anfangswert Ihres Charakters in Glaube
beträgt 3 Punkte, den Sie allerdings durch
die Aufwendung freier Zusatzpunkte steigern
können.

QUAL
Das Gegenteil von Glaube ist Qual. Die Ge-
fallenen kämpften lange mit einer Entscheidung,
ehe sie sich zur Rebellion entschlossen, und sie
wurden während der langen Kriegsjahre Zeu-
ge unbeschreiblicher Grausamkeiten. In ihrer
Verbannung im Abgrund mußten sie dann über
Tausende von Jahren hinweg sogar noch weitaus
schlimmeres Leid erdulden. Diese Erfahrungen
verfolgen jeden Dämon und verdrehen und
vergiften seine Seele. Einige der Gefallenen
geben ihrer Qual nach und versuchen, ihr
eigenes Leid nach außen zu kehren und auf

152
KAPITEL SECHS
andere zu übertragen. Andere wiederum klammern sich an
die Rechtschaffenheit, die sie einst kannten, und kämpfen
darum, ihre Verbitterung und ihren Schmerz zu bezwin-
gen.
Der Anfangswert der Qual Ihres Charakters hängt von
dem Haus ab, aus dem er stammt. Der Qualwert des Cha-
rakters kann abhängig von seinen Handlungen während
des Spielverlaufs stark schwanken.
WILLENSKRAFT
Willenskraft ist eng mit Glaube verwandt, da diese Ei-
genschaft die Selbstbeherrschung und Entschlossenheit
Ihres Charakters widerspiegelt. Zudem ist es seine Wil-
lenskraft, die einen Dämonen davor bewahrt, sich seiner
Qual hinzugeben. Der Anfangswert der Willenskraft Ihres
Charakters entspricht der Summe des Punktwerts seiner
beiden höchsten Tugenden. Sie können die Willenskraft
aber auch noch durch freie Zusatzpunkte erhöhen, was sehr
empfehlenswert wäre, da es sich bei Willenskraft um eine
äußerst wichtige Eigenschaft handelt.
FREIE ZUSATZPUNKTE
Jetzt können Sie 15 freie Zusatzpunkte verteilen, um die
Eigenschaften Ihres Charakters abzurunden. Diese Punkte
können Sie an jede von Ihnen gewünschte Eigenschaft ver-
geben. Jeder Punkt in einer Eigenschaft ist mit bestimmten
Kosten an freien Zusatzpunkten verbunden. Diese Kosten
für die verschiedenen Eigenschaften können Sie in der
Tabelle auf Seite 148 nachschauen. Sie können freie Zu-
satzpunkte einsetzen, um eine Fähigkeit über einen Wert
von 3 hinaus zu steigern, oder bestimmte Bereiche Ihres
Charakters noch einmal aufpolieren, wenn Sie es für nötig
halten.
DER LEBENSFUNKE
Nachdem Sie alle Eigenschaften Ihres Charakters aus-
gearbeitet haben, sollten Sie sich einige Gedanken über
seine sonstigen Qualitäten machen. Was bedeuten all diese
verschiedenen Eigenschaften? Was für eine Art von Person
ist Ihr Charakter?
Sehen Sie sich die Eigenschaften Ihres Charakters an
und versuchen Sie, diesen ein wenig mehr Tiefe zu ver-
leihen. Was bedeutet der Wert, den Sie Ihrem Charakter
in Erscheinungsbild gegeben haben? Wie sieht der Cha-
rakter genau aus? Jemand mit Erscheinungsbild 3 sieht
überdurchschnittlich gut aus, aber auf welche Weise? Ist
es sein Körper, sein Gesicht, seine Mimik, sein Haar, sein
Kleidungsstil oder etwas ganz anderes, das sein attraktives
Erscheinungsbild ausmacht? Wie sieht Ihr Charakter aus?
Wie nehmen ihn andere Leute wahr? Auf welche Weise
äußert sich die dämonische Seele des Charakters in seinen
Angewohnheiten? Verleiht der Teufel im unscheinbaren
Bibliothekar dem sterblichen Wirtskörper vielleicht einen
selbstsichereren Gang?
Auf welche Weise werden die anderen Attribute Ihres
Charakters deutlich? Wenn Ihr Charakter stark ist, ist er
dann muskelbepackt oder eher drahtig? Wenn er sehr intel-
ligent ist, ist er dann ein Besserwisser oder eher ein ruhiger
Typ, der erst lange nachdenkt, bevor er handelt? Weisen
seine gesellschaftlichen Eigenschaften daraufhin, daß er
sich im Umgang mit anderen leicht tut oder ist er in sol-
chen Dingen nicht sonderlich geschickt? Wie wirkt sich das
auf sein Menschenbild aus? Wie viel seines Charismas und
seiner hervorragenden Manieren stammen von dem dämo-
nischen Geist in ihm und wie viel davon sind eingeschleifte
Verhaltensmuster des sterblichen Wirts?
Wo hat Ihr Charakter seine Fähigkeiten erworben? Kom-
men sie von dem Wissen und den Erfahrungen des Dämons,
sind es Erinnerungen des sterblichen Gefäßes oder handelt
es sich bei ihnen um eine Kombination aus beidem? Welche
Fähigkeiten besaß der Dämon schon vor dem Fall, und was
hat er während und nach der Rebellion gelernt? Gibt es
irgendwelche Fähigkeiten, die vom sterblichen Gefäß stam-
men und um die sich der Dämon nicht weiter kümmert,
obwohl er sie dennoch als nützlich empfindet? Was ist mit
Fähigkeiten, die vollkommen neu für den Dämon sind (wie
beispielsweise Computer)?
Wie steht es mit den Hintergrundeigenschaften Ihres
Charakters? Wissen seine Verbündeten und Kontakte et-
was von seiner wahren Natur, oder glauben sie noch immer,
es handle sich bei ihm um einen gewöhnlichen Sterblichen?
Wie ist er zu seinen Anhängern gekommen, und was glau-
ben diese in ihm zu sehen? Wenn Ihr Charakter bereits über
Pakte mit Sterblichen verfügt, wie sehen die Bedingungen
dieser Übereinkünfte aus, und was muß er tun, um sie zu
erfüllen?
All diese Details verleihen Ihrem Charakter mehr Tiefe
und helfen Ihnen dabei, sich ein vollständigeres Bild Ihres
Charakters zu machen. Denken Sie sich ganz in ihn hinein.
Je mehr Sie über ihn wissen, desto leichter wird es Ihnen
fallen, im Spiel in die Rolle Ihres Charakters zu schlüpfen.
DAS PRÄLUDIUM
Nun, da Ihr Charakter für das erste Spiel bereit ist, ist
es eine gute Idee, ihn anhand eines Präludiums ein wenig
auszutesten. Ein Präludium ist eine kurze Zwei-Personen-
Spielrunde mit dem Erzähler, in der Sie die Gelegenheit
erhalten, ein klein wenig vom Hintergrund und von der
Vorgeschichte Ihres Charakters zu spielen, die vor dem
Beginn der Chronik liegt. Dies hilft Ihnen dabei, ein Ge-
fühl für Ihren Charakter zu entwickeln und eine gewisse
„Feinabstimmung“ an seinem Hintergrund, seiner Persön-
lichkeit, seiner Motivation und sogar seinen Spielwerten
vorzunehmen, bevor der Charakter in die eigentliche Chro-
nik einsteigt.
Ein Präludium läuft von seiner Form her freier ab als eine
reguläre Spielsitzung. Man kann zwischen verschiedenen
Zeiten und Orten hin und her springen, um die wichtig-
sten Punkte im Hintergrund des Charakters abzudecken
– jene Momente seines Lebens, die ihn zu dem gemacht
haben, was er bis jetzt ist, und auch Einfluß auf seine wei-
tere Entwicklung nehmen werden. Der Spieler erhält die
Möglichkeit, seinen Charakter anzutesten, während der
Erzähler sehen kann, wie der Spieler mit dem Charakter
zurechtkommt und ob der Charakter gut in die geplante
Chronik paßt. Während des Präludiums sind Würfelwürfe
und das Auswendiglernen von Spielwerten nicht so wich-
153

tig, doch sollte es Aspekte des Spiels geben, die dem Spieler
noch nicht ausreichend vertraut sind, ist das Präludium ein
guter Zeitpunkt, diese zu erlernen. Das Präludium bietet
dem Spieler zudem eine Chance, die Eigenschaften des
Charakters auszuprobieren, um zu sehen, ob der Charakter
auch in der Lage ist, das zu tun, was der Spieler von seinem
Charakter erwartet.
Es ist durchaus möglich, daß sich das Konzept des Cha-
rakters während des Präludiums ein wenig verändert. Das
ist absolut in Ordnung, da das Präludium für eine solche
Art der Änderung gedacht ist. So könnte ein Spieler bei-
spielsweise feststellen, daß sich einige Elemente seines Cha-
rakters im Spiel ganz anders manifestieren, als er es sich ur-
sprünglich gedacht hat, wodurch dem Hintergrund und der
Persönlichkeit des Charakters womöglich eine ganz neue
Facette abgewonnen werden kann. Spieler können auch
nach dem Präludium noch ein wenig an ihren Charakteren
herumfeilen, um die im Präludium gespielten Ereignisse in
ihre Charakterkonzepte einfließen zu lassen oder um Pro-
bleme zu beheben, die ihnen während des ersten Probelaufs
ihrer Charaktere aufgefallen sind. Dies garantiert, daß jeder
Spieler die Chronik mit einem Charakter beginnt, mit dem
er sich auch wohlfühlt.
Für den Erzähler birgt das Präludium die Möglichkeit, die
Charaktere seiner Spieler vor dem Start der eigentlichen
Chronik in Aktion zu sehen und eine gewisse Vorstellung
von ihren Beweggründen zu erhalten. Durch das Präludi-
um kann der Erzähler zudem die Rahmenhandlung seiner
geplanten Chronik schon in der Vorgeschichte der Charak-
tere verankern. Als Erzähler können Sie im Präludium den
Grundstein für Beziehungen – wie etwa Liebschaften, Ri-
valitäten, Feindschaften und alte Freundschaften – legen,
die sich erst im Verlauf der Chronik entwickeln werden. Sie
können Ihren Spielern ein Gefühl für den Hintergrund der
Welt der Dunkelheit und die Geschichte der Gefallenen
vermitteln, indem Sie sie durch einige Schlüsselmomente
führen und sie somit gelebte Geschichte erfahren lassen,
anstatt sie zu passiven Beobachtern zu machen. Sie können
das Präludium zusätzlich dazu nutzen, künftige Ereignisse
Ihrer geplanten Chronik ihren Schatten vorauswerfen zu
lassen und somit Ihren Spielern Hinweise darauf liefern,
was sie so noch alles erwartet.
Im allgemeinen sollte ein Präludium dazu dienen, die
Hauptereignisse im Leben eines Charakters bis zum Beginn
der Chronik abzudecken. Für die Gefallenen gilt es hierbei,
einen sehr großen Zeitraum zu berücksichtigen, aber es ist
keinesfalls nötig, jedes einzelne Jahr zu beschreiben – ins-
besondere nicht die langen Jahrtausende ihrer quälenden
Gefangenschaft im Abgrund. Behandeln Sie statt dessen
nur die allerwichtigsten Ereignisse und die alles entschei-
denden Momente. Sie können damit beginnen, einen Blick
auf die noch junge Welt kurz nach dem ersten Schöpfungs-
akt zu werfen, in der die Charaktere ihre Pflichten als Die-
ner Gottes erfüllten. Dann können Sie Szenen aus dem
Fall und der Rebellion durchspielen, um den Spielern die
Gelegenheit zu geben, diese aus erster Hand zu erfahren.
Anschließend schildern Sie das grausame Urteil des Him-
mels und die Verbannung in den Abgrund. Sie können die
ersten kurzen Momente der wiedergewonnenen Freiheit
154
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
ausspielen, die die Charaktere erleben, als die Gefallenen
sich zum ersten Mal in ihren sterblichen Körpern erheben
und sich einer Welt stellen müssen, die ihnen mittlerweile
vollkommen fremdgeworden ist.
Es ist durchaus möglich, daß sich die Charaktere schon
untereinander kennen, wenn die Chronik beginnt. In die-
sem Fall ist das Präludium die perfekte Gelegenheit für
eine Schilderung, wie sich die Charaktere kennengelernt
haben, wie ihre Beziehungen zueinander zu diesem Zeit-
punkt ausgesehen haben und in welche Richtung sie sich in
der Zwischenzeit weiterentwickelt haben könnten. Durch
ein Präludium kann man zwei Charaktere durch die Zeit
hinweg begleiten – von dem Augenblick ab, da sie im Mor-
genrot der Schöpfung zu Freunden wurden, über ihre Ka-
meradschaft zu Zeiten der Rebellion und ihre Trennung
durch die Verbannung bis hin zu ihrem Wiedersehen in
der modernen Welt. Das Präludium bietet außerdem eine
gute Möglichkeit, Beziehungen zu anderen Charakteren
aufzubauen, die in der Geschichte vorkommen werden.
Vielleicht ist ein ehemaliger Kamerad in der Chronik zu
einem Erdgebundenen und damit zu einem Todfeind ge-
worden, oder ein vormaliger Gegner entwickelt sich zu
einem möglichen Verbündeten.
Machen Sie sich während des Präludiums nicht allzuviel
Sorgen über Regelmechanismen. Wenden Sie diese eher bei
Ereignissen aus der jüngsten Vergangenheit an, um neuen
Spielern eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie das
Spiel eigentlich abläuft, aber überspielen oder ignorieren
Sie die Regeln ruhig, wenn Sie sich mit der grauen Vorzeit
auseinandersetzen. Die Fähigkeiten der Charaktere waren
in jener Zeit ohnehin vollkommen anders (und ungleich
mächtiger). Wenn Sie möchten, können Sie zum Ende des
Präludiums hin passende Situationen herbeiführen, die es
den Spielern ermöglichen, einmal in Aktion zu treten und
ihre Eigenschaften und Fähigkeiten auszuprobieren. So
könnte sich beispielsweise ein gerade auf Erden zurück-
gekehrter Dämon mit einer Bande sterblicher Krimineller,
die glauben, sie hätten ein leichtes Opfer vor sich, aus-
einandersetzen müssen. Ein ähnliches Szenario können
Sie aber auch mit einer Handvoll Soldaten oder Polizisten
durchspielen. Wie die Spieler diese Situation handhaben
(einschließlich aller Würfelwürfe und dergleichen), kann
Ihnen eine Menge über ihre Verhaltensweise während der
Chronik verraten.
FRAGEN UND ANTWORTEN
Es gibt eine Menge zu berücksichtigen, wenn man einen
Dämonen-Charakter erschafft. Sobald Sie sich daranma-
chen, den Hintergrund Ihres Charakters auszuarbeiten,
sollten Sie sich die folgenden Fragen durchlesen und eine
Antwort darauf finden. Sie stellen das Minimum an Infor-
mationen dar, die Sie über Ihren Charakter haben sollten,
bevor Sie ihn spielen. Erzähler können diese Fragen auch
als Teil Ihres Präludiums nutzen, um den Spielern dabei zu
helfen, detailliertere Antworten darauf zu geben und sich
besser in ihre Charaktere hineinzuversetzen.
• Wer waren Sie vor dem Fall?
Die Gefallenen waren früher vollkommen anders als die
Wesen, zu denen sie geworden sind. Lesen Sie sich die
KAPITEL SECHS
Geschichte und die Beschreibungen der einzelnen Häuser
durch und überlegen Sie, welcher Aufgabe Sie in der Zeit
vor dem Fall nachkamen. Jedes Haus ging zwar bestimmten
Pflichten nach, doch es gibt ausreichend Spielraum für eine
Menge Variationen ihrer Leitmotive. Welche Gefühle ver-
banden Sie mit Ihren Pflichten? Welchen Schwierigkeiten
und Problemen mußten Sie sich stellen? Was hielten Sie
damals von der Menschheit – der größten und erhabensten
aller Schöpfungen Gottes?
• Wie ist es zu Ihrem Fall gekommen?
Der Fall war ein entscheidender Augenblick in der Ge-
schichte der Dämonen. Er beschreibt den Zeitpunkt, als sie
sich dazu entschieden, gegen den Himmel aufzubegehren
und sich unter Luzifers Banner zu sammeln. Was brachte
Sie dazu, diese unermeßlich schwerwiegende Entscheidung
zu treffen? Haben Sie sich allmählich zu diesem Schritt
durchgerungen und waren somit einer der ersten, die sich
Luzifer anschlossen, als der Ruf nach Widerstand laut wur-
de, oder war es eher etwas Plötzliches, ein einziger Zwi-
schenfall, der Ihnen in aller Deutlichkeit vor Augen führte,
daß Sie sich dem Himmel widersetzen mußten? Was hat Sie
angetrieben? Einige unter den Gefallenen rebellierten aus
reiner Liebe und Hingabe zur Menschheit und begehrten
gegen etwas auf, das sie als Ungerechtigkeit Gottes betrach-
teten. Andere wiederum trotzten dem Himmel, weil sie
eine Sehnsucht in sich spürten, die sie nicht erfüllen konn-
ten – sei es die nach der Gesellschaft der Menschen oder
die nach ihrer Verehrung. Wieder andere wurden durch
ihresgleichen dazu verleitet, sich der Rebellion anzuschlie-
ßen, oder waren sich ihres Glaubens nicht sicher.
• Was haben Sie während des Kriegs gemacht?
Die Rebellion dauerte eintausend schreckliche Jahre.
Was haben Sie in dieser Zeit getan? Fanden Sie allein die
Notwendigkeit, Krieg führen zu müssen, schon abstoßend
genug? Waren Sie über seine Folgen bestürzt? Oder gingen
Sie in der Rolle des Soldaten nur allzu gut auf und ergötz-
ten sich an der Hitze des Gefechts und Ihres eigenen Blut-
dursts? Gibt es Ereignisse aus dem Krieg, die Sie bis zum
heutigen Tage verfolgen? Haben Sie große Heldentaten
vollbracht (oder unaussprechliche Greueltaten begangen)?
Der Eifer vieler Rebellen schwand um so mehr dahin, je
länger die Rebellion dauerte, und die Dinge, die sie mit an-
zusehen und zu tun gezwungen waren, veränderten sie für
immer. Wie wurden Sie von diesen Ereignissen verändert?
• Wer war Ihr sterblicher Wirt, bevor Sie in ihn einge-
fahren sind?
Die Gefallenen wandeln in geraubtem Fleisch auf Erden.
Denken Sie eine Weile über das Leben Ihres sterblichen
Gefäßes nach, bevor es von Ihnen in Besitz genommen
wurde. Was für ein Mensch war Ihr Wirt? Welches Le-
ben hat er geführt, und was brachte ihn letztlich in den
bedauernswerten Zustand, der es einem Dämon erlaubte,
in ihn einzufahren und seinen Körper in Beschlag zu neh-
men? Das Leben und die Persönlichkeit des sterblichen
Gefäßes haben einen großen Einfluß auf den Charakter
des Dämons, weshalb Sie beides wohl überdenken sollten.
Normalerweise fühlen sich Gefallene zu Seelen hingezogen,
deren Schwingungen eine hohe Resonanz zu ihrem eige-
nen Wesen aufweisen. Daher wird sich ein Schänder sehr
wahrscheinlich zu einem Sterblichen hingezogen fühlen,
dessen Existenz von Leidenschaft – insbesondere aber von
nie ausgelebter oder erloschener Leidenschaft – geprägt
war. Natürlich kommt es vor, daß keine erkennbare Ver-
bindung zwischen dem sterblichen Gefäß und dem Wesen
des Dämons besteht, was durchaus eine interessante und
aufregende Variante darstellen kann.
• Was an Ihrem Gefäß hat Sie aus Ihrer Qual erweckt?
Etwas an der Persönlichkeit oder den Erinnerungen Ihres
Gefäßes riß Sie aus Ihren jahrtausendewährenden Leiden
und Qualen und brachte Ihnen zumindest teilweise Ihre
geistige Gesundheit zurück. Was war der Auslöser dafür?
Bei einigen Gefäßen ist es ein einzigartiges Leid, wie es nur
ein Mensch erfahren kann, das einen Dämon dazu bringt,
seine eigenen verdrehten und verzerrten Anschauungen
zu ändern. Bei anderen ist es eine einzigartige Tugend,
die selbst in der schwächsten Seele zu finden sein kann.
Es kann der letzte Funke von Glaube, Hoffnung, Liebe
oder Hingabe in einem ansonsten kaltherzigen und zyni-
schen Wesen sein, aber genauso gut können Ehrgeiz, Lust
oder Haß den Dämon aus seiner Qual erwecken. Selbst
die schlechtesten Menschen können etwas Gutes in sich
haben, und in den Seelen von Menschen, die scheinbar nur
Gutes kennen, können sich Abgründe des Bösen auftun.
• Welche Ziele verfolgen Sie?
Wie sehen Ihre Ziele nach Ihrer Rückkehr in die Welt
der Sterblichen aus? Für gewöhnlich versuchen Dämonen-
Charaktere, ihre Herren aus dem Abgrund an einer Flucht
aus dem Höllenschlund zu hindern, damit diese nicht in
der Lage sind, die Herrschaft über die Schöpfung an sich zu
reißen. Aber aus welchen Gründen und wie genau wollen
Sie sie davon abhalten? Wollen Sie die Menschheit be-
schützen oder wollen Sie lediglich dafür sorgen, daß nicht
noch mächtigere Dämonen auftauchen und Ihnen den
Spaß an der neuen Freiheit verderben? Welche Ziele ver-
folgen Sie neben der Vereitelung der Flucht der Fürsten
der Hölle noch? Einige Dämonen sehen noch einen Fun-
ken Hoffnung in der Menschheit glimmen und versuchen,
diesen zu einer Flamme anzufachen. Andere wollen sich an
den Menschen rächen, weil sie die Dämonen einfach ihrem
Schicksal überlassen haben. Wieder andere ergötzen sich
an der ungewohnten Erfahrung, nun eine stoffliche Exi-
stenz zu besitzen, oder an der Macht, die ihnen der Glaube
der Sterblichen verleiht.
• Wie sehen Sie die Menschheit?
Was bedeuten Ihnen die Menschen? Sind sie Kinder,
Anhänger, Spielzeuge, Diener, Quellen der Macht, Gleich-
gestellte, eine Bedrohung, Verbündete, Feinde, Nahrung,
Werkzeuge, Vorbilder, Freunde oder von alledem etwas?
Jeder Gefallene sieht die Menschheit auf seine eigene Wei-
se. Einst waren die Menschen die herrlichsten Wesen der
gesamten Schöpfung, und die Gefallenen kämpften und lit-
ten für ihre Liebe zu ihnen. Während der Jahrtausende des
Leids verkehrte sich diese Liebe im Herzen vieler Gefallener
in Haß. Einige hielten an ihrer Liebe zur Menschheit fest
oder entdeckten sie wieder, nachdem sie in menschlicher
Gestalt auferstanden waren. Doch viele Dämonen sehen
die Menschen mit Verbitterung und Zynismus, auch wenn
sie hin und wieder einen kleinen Anflug jener Liebe und
155

Hingabe in ihrem Innern spüren, die sie früher einmal für
die Menschheit empfanden. Wie sehen Sie die Massen der
Sterblichen und welchen Umgang pflegen Sie mit ihnen?
• Wie gehen Sie mit der Welt der Sterblichen um?
Früher geboten die Gefallenen über die Kräfte der Schöp-
fung, doch heute müssen sie sich in der modernen Welt der
Dunkelheit mit weitaus alltäglicheren Problemen herum-
schlagen. Halten Sie noch einen Anschein des früheren
Lebens Ihres sterblichen Gefäßes aufrecht oder haben Sie
es vollkommen aufgegeben? Versuchen Sie überhaupt eine
irgendwie dem gewöhnlichen Leben der Sterblichen ähnli-
che Existenz zu führen? Einige Dämonen empfinden es als
nützlich, sich als die Sterblichen auszugeben, die sie nach
außen hin zu sein scheinen, während andere eine solche
Existenz gänzlich ablehnen. Sie finden es schwierig, mit den
an sie gestellten Erwartungen fertigzuwerden und der stän-
digen Beobachtung durch die vielen Behörden der Sterb-
lichen umzugehen. Wie steht es mit Ihrem Umgang mit
der Familie und den Freunden Ihres Gefäßes? Haben Sie
jeglichen Kontakt zu ihnen abgebrochen oder versuchen
Sie ihnen vorzumachen, sie wären noch immer derjenige,
den sie in Ihnen sehen? Ist irgendeiner von ihnen Ihnen
gegenüber mißtrauisch geworden?
BEISPIEL EINER
CHARAKTERERSCHAFFUNG
Verena erschafft sich einen Charakter für Stefans nächste
Dämonen: Die Gefallenen-Chronik. Stefan erzählt den
Spielern vorab, daß seine Chronik in Los Angeles spielen
wird und die Charaktere in den Konflikten, die zwischen
den unterschiedlichen Fraktionen der Gefallenen entbrannt
sind, zumindest nicht allzu offen Position bezogen haben
sollten. Ihnen wird zu Beginn der Chronik die Gelegenheit
gegeben werden, sich für eine Seite zu entscheiden.
SCHRITT EINS: KONZEPT
Verena sieht sich den groben Überblick über die Cha-
raktererschaffung an und überlegt sich ein paar Ideen für
ihre Figur. Sie will einen „aalglatten“ Charakter spielen,
der in der Lage ist, Personen und Situationen seinen Be-
dürfnissen nach zu manipulieren und ein echter Experte in
solchen Psychospielchen ist. Außerdem möchte Sie einen
Charakter spielen, der die Fähigkeit besitzt, Hingabe und
Verständnis für die Gefühle anderer aufzubringen. Sie weiß
auch schon, daß sie einen weiblichen Charakter spielen
will. Verena denkt zuerst an eine Schänderin, aber diese
Idee verwirft sie rasch wieder, da sie ihr zu klischeehaft vor-
kommt. Dann fällt ihr der Ausdruck „Advocatus Diaboli“
ein, woraufhin sie sich die Teufel etwas genauer ansieht. Ihr
schwebt das Konzept eines heroischen, aber hochmütigen
und rücksichtslosen Engels vor, und das übernatürliche
Charisma und die Führungsqualitäten der Teufel stimmen
hervorragend mit ihrer Vorstellung eines machtbesessenen
Manipulators überein. Nachdem sich Verena für das Haus
der Teufel entschieden hat, wendet sie sich den verschie-
denen Fraktionen zu, in die sich die Legionen der Hölle
aufspalten. Die Faustianer mit ihrem Ziel, die Menschheit
zu unterwandern und zu versklaven, scheinen die nahelie-
156
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
gendste Wahl zu sein, doch Verena meint, es könnte noch
interessanter sein, die überheblichen Manipulationsver-
suche ihres Charakters unter den Vorzeichen eines fana-
tischen Idealismus darzustellen: Sie tut, was sie tun muß,
weil sie ihre Sache für gerecht hält. Verena beschließt,
ihren Charakter zu einer Jüngerin des Morgensterns und
damit zu einer blindgläubigen Anhängerin der Rebellion
zu machen.
Nun, da das Haus und die Fraktion des Charakters fest-
stehen, macht sich Verena ein paar Gedanken über seine
Vorgeschichte – erst über seinen Hintergrund als Engel,
dann über die Zeit unter den Gefallenen. Verena stellt sich
ihren Charakter als eine echte Idealistin vor, als stolzen
Engel, der den Heerscharen des Himmels treu ergeben ist
und niemals an seinen Pflichten gegenüber Gott zweifelt.
Sie denkt sich einen Himmlischen Namen für ihren Cha-
rakter aus – Zaphriel –, und um sich besser in ihre Rolle
hineinfinden zu können, gibt sie ihrem Engel zusätzlich den
Titel Botin des Morgenrots.
Verena entscheidet, daß Zaphriel sich dem Großen Plan
mit Herz und Seele verschrieben hatte, um ihrem Stolz,
dem Haus des Morgenrots anzugehören, und ihrem Rang
als Heroldin angemessen Ausdruck zu verleihen, und zu-
dem hoffte sie darauf, die Wertschätzung des höchsten
aller Engel zu erlangen – Luzifer. Sie frohlockte, als die
Menschheit geboren wurde, doch dann bereiteten ihr – wie
vielen anderen Engeln der Himmlischen Heerscharen auch
– die Unschuld und das Leid der Menschen immer größe-
re Sorgen. Nicht nur wurde ihr Mitgefühl auf eine harte
Probe gestellt, sondern sie wollte einfach nicht begreifen,
wie die unvollkommene Existenz der Menschen angesichts
der Vollkommenheit des übrigen Universums, bei dessen
Erschaffung sie mitgeholfen hatte, auch nur den geringsten
Sinn ergeben sollte. Als Luzifer dann den Gedanken an
eine Rebellion gegen Gott offen aussprach, zögerte Zaphriel
keinen Sekunde, sich ihm anzuschließen. Sie stand an der
Seite des Morgensterns, als der Menschheit die Augen
geöffnet wurden.
Während des Kriegs des Zorns war Zaphriel der Inbegriff
des von seiner Leidenschaft beflügelten Rebellen, der gegen
die Tyrannei des Himmels ankämpfte, und sie machte sich
einen Ruf als gefürchtete Kriegerin und Ritterin der Schar-
lachroten Legion. Als sowohl die Menschen wie auch die
Gefallenen im weiteren Verlauf des Krieges auf Arten und
Weisen verändert wurden, die nicht einmal Luzifer voraus-
gesehen hatte, stumpfte Zaphriel Gewalt und Blutvergie-
ßen gegenüber immer mehr ab. Sie befehligte ihre Mitengel
mit berechnender Rücksichtslosigkeit und richtete eine
unglaubliche Zerstörung an, die die Botin des Morgenrots
früher einmal zutiefst bestürzt hätte. Verena entscheidet,
daß Zaphriel bis zum letzten Moment der Rebellion kämpf-
te und noch an einen Triumph Luzifers glaubte, als es schon
längst zu spät war. Wie viele der Gefallenen nahm sie die
Verbannung in den Abgrund mit stoischer Gelassenheit hin
und akzeptierte nie, daß der Krieg wirklich zu Ende war.
Nachdem sie den dämonischen Aspekt ihres Charak-
ters ausgearbeitet hat, beschließt Verena, daß Zaphriels
sterbliches Gefäß Anwältin in einer großen Kanzlei sein
soll. Da sie Zeit ihres Lebens eher unruhig und fahrig war,
KAPITEL SECHS
DAS ERSCHAFFEN VON HIMMLISCHEN
NAMEN
Ein Dämonen-Charakter besitzt nicht weniger als
drei verschiedene Namen: den Namen seines sterbli-
chen Wirtskörpers, den Himmlischen Namen (unter
dem seinesgleichen ihn kennt) und seinen Wahren
Namen, der eine Art Gleichklang seiner gesamten
Identität ist. Während der Wahre Name eine An-
sammlung von arkanen Symbolen, Klängen und Kon-
zepten ist, die von Ihnen nicht unbedingt genau fest-
gelegt werden müssen, wird der Himmlische Name oft
verwendet, wenn Ihr Charakter mit anderen Gefalle-
nen interagiert, und er sollte mit ebensoviel Sorgfalt
ausgewählt werden wie der Name seines sterblichen
Wirtskörpers.
Es gibt viele Quellen, die Sie nutzen können, um
Engelsnamen zu finden – von der Bibel über weniger
bekannte religiöse Schriften wie die Apokryphen hin
zu Büchern wie Das große Buch der Engel von Jeanne
Ruhland. Darüber hinaus finden sich in mesopotami-
schen und babylonischen Mythen und Geschichten
zahlreiche alte, exotisch klingende Namen, die sich
gut für Engel eignen. Werfen Sie auch einen Blick in
das Gilgameschepos, das in jeder Bibliothek und im
Internet zu finden ist, und in das Enuma Elish. Beide
Werke bergen einen wahren Schatz an Namen, von
denen Sie sich inspirieren lassen können – sofern Sie
keinen finden sollten, den Sie sogar vollkommen un-
verändert übernehmen möchten.
entwickelte Laura Blake eine schwere Drogensucht, um
ihrer beständigen nervösen Ängstlichkeit Herr zu werden.
Eine unbeabsichtigte Überdosis und die verheerenden Aus-
wirkungen, die dieser Vorfall auf Blakes Karriere hatte,
ebneten Zaphriel den Weg, um Lauras Körper in Besitz
zu nehmen. Jeder bemerkte die Veränderung, die Laura
daraufhin durchmachte. Von einer Fußabtreterin obersten
Ranges wurde sie binnen kürzester Zeit zur größten Zicke,
die das Universum je gesehen hatte – und von einer Ju-
niorpartnerin, die noch zwei Wochen Zeit hatte, ihre Fälle
abzuschließen, bevor man sie vor die Tür setzte, quasi über
Nacht zur Teilhaberin der Kanzlei –, und sie machte sich
bei dieser Gelegenheit jede Menge Feinde. Nun hält sie
eine einflußreiche Position in der Kanzlei Hopkins & Ma-
thers inne, doch sie strebt nach weitaus höheren Zielen.
Verena überlegt sich, wie Zaphriels Persönlichkeit und
Lauras Geschichte und Identität ineinander greifen könn-
ten. Sie entscheidet, daß Lauras Verhalten das eines Direk-
tors sein soll. Sie stellt sich ihren Charakter als tatkräftige
Person vor, die andere gerne herumkommandiert und ihnen
ganz genau erzählt, was sie zu tun haben. Diese Haltung ist
nur eine Maske für ihr wahres Wesen, das nach Verenas
Vorstellung das eines Fanatikers sein soll. Zaphriel ist durch
und durch eine idealistische Revolutionärin. Jeder Schritt,
den sie unternimmt, ist für sie nur Mittel zu einem ganz be-
stimmten Zweck – ihre Macht weiter auszubauen, so viele
Gefallene wie nur irgend möglich unter sich zu vereinen
und eine Feuersbrunst zu entfachen, die eines Tages bis zu
den Toren des Himmels emporlodern wird.
SCHRITT ZWEI: ATTRIBUTE
Bei der Gewichtung der Attribute macht Verena die ge-
sellschaftliche Kategorie zu Zaphriels primären Attributen.
Zaphriel ist schließlich eine dominante Persönlichkeit, die
andere gern und oft manipuliert. Als sekundäre Kategorie
wählt Verena die geistigen Attribute aus, da sie sich Za-
phriel als sehr clever und gewitzt vorstellt. Die körperlichen
Attribute sind für Verena nicht ausschlaggebend, weshalb
sie auch als tertiäre Kategorie enden.
Nun stehen Verena sieben Punkte zur Verfügung, die sie
auf Zaphriels primäre Attribute verteilen kann. Drei von
ihnen trägt sie bei Manipulation ein, Zaphriels herausra-
gendstem Charakterzug. Diese Teufelin kann Menschen
um den Finger wickeln, ohne daß diese es überhaupt be-
merken. Die verbliebenen vier Punkte verteilt sie zu glei-
chen Teilen auf Charisma und Erscheinungsbild, wodurch
sie dafür sorgt, daß Zaphriel/Laura sowohl sympathisch
wirkt als auch attraktiv ist. Diese Eigenschaften lenken
die meisten Leute davon ab, wie sehr Laura ihr Umfeld
eigentlich manipuliert.
Von den fünf Punkten für ihre geistigen Eigenschaften
vergibt Verena zwei auf Intelligenz und weitere zwei auf
Geistesschärfe. Sie möchte, daß Zaphriel eine fähige Stra-
tegin ist und einen Verstand besitzt, der ebenso scharf wie
ihre Zunge spitz ist. Den verbliebenen Punkt setzt sie auf
Wahrnehmung und verleiht Zaphriel somit den durch-
schnittlichen Wert von 2 in diesem Attribut.
Die drei Punkte für die körperlichen Eigenschaften sind
leicht zu verteilen. Verena trägt bei jedem Attribut einen
zusätzlichen Punkt ein und gibt Zaphriel damit überall
einen Wert von 2. Laura war nicht sehr sportlich, aber ihr
Beruf hat das ja auch nie von ihr verlangt.
SCHRITT DREI: FÄHIGKEITEN
Verena sieht sich die einzelnen Fähigkeiten an und be-
schließt, daß Talente Lauras primäre Kategorie sein sol-
len. Auch wenn Gesetzeskenntnis (eine wichtige Fähigkeit
für einen Anwalt) zu den Kenntnissen zählt, gibt es nicht
sehr viele Kenntnisse, die ihr Charakter wirklich aufweisen
muß. Verena findet dagegen bei weitem mehr Talente, die
zu ihrem Charakterkonzept passen, weshalb sie Kenntnisse
zur sekundären und Fertigkeiten zur tertiären Kategorie
macht.
Sie verteilt die 13 Punkte auf Zaphriels Talente und legt
sofort drei Punkte (also den derzeitigen Höchstwert) auf
Ausflüchte. Zaphriel ist eine hervorragende Lügnerin und
besitzt ein undurchschaubares „Pokerface“, wenn es dar-
um geht, ihre wahren Gefühle und Motive zu verbergen.
Sie versieht die Talente Aufmerksamkeit, Ausdruck, Ein-
schüchtern, Empathie und Führungsqualitäten mit jeweils
zwei Punkten. Dies alles sind Talente, die sich für Zaphriel/
Laura als äußerst nützlich herausstellen könnten – sowohl
in ihrer Karriere als Anwältin als auch bei ihrem Voran-
kommen in der Gesellschaft der Dämonen.
Zaphriel verfügt über neun Punkte, die Verena auf
Kenntnisse verteilen kann. Drei davon setzt sie auf Ge-
157

setzeskenntnis, was ihren Charakter zu einer kompetenten
Anwältin macht. Zwei weitere Punkte vergibt sie auf Nach-
forschungen, da Zaphriel/Laura dazu in der Lage sein muß,
die schmutzigen Machenschaften ihrer Klienten sowie ihrer
Rivalen unter den Sterblichen und den Dämonen aufzu-
decken. Dann vergibt sie zwei Punkte auf Politik, damit
ihr Charakter weiß, wie der Hase im Rathaus läuft. Jeweils
einen Punkt setzt Verena abschließend auf Akademisches
Wissen und Computer, die dem Dämon als Grundwissen im
täglichen Leben dienen können.
Von den fünf Punkten, die Verena noch auf die Fertig-
keiten ihres Charakters verteilen muß, vergibt sie jeweils
zwei auf Etikette und Vortrag, da sie Zaphriels andere Fä-
higkeiten sinnvoll ergänzen. Den letzten Punkt setzt sie auf
Schußwaffen. Ihr Charakter besitzt eine kleine Pistole zum
„Selbstschutz“, und Zaphriel/Laura weiß, wie man damit
umgeht.
SCHRITT VIER: VORTEILE
Nachdem Verena sich die Tugenden angesehen hat,
entscheidet sie, daß die höchste Tugend ihres Charakters
Überzeugung und die niedrigste Gewissen sein soll (immer-
hin ist Zaphriel in eine Anwältin eingefahren). Sie vergibt
zwei Punkte auf Überzeugung, einen auf Mut und keinen
Punkt auf Gewissen.
Der Wert in Glaube, mit dem Zaphriel die Charakterer-
schaffung beginnt, beträgt drei Punkte. Verena sieht sich
die verschiedenen Geheimnisse an und wählt diejenigen
aus, die am besten zu Zaphriels Konzept als „Advocatus
Diaboli“ passen. Die Geheimnisse, um die die Teufel wis-
sen, sind die Geheimnisse der Himmlischen, der Flammen
und des Glanzes sowie die allgemein unter den Dämonen
bekannten Geheimnisse der Menschheit und des Fun-
daments. Verena ist der Meinung, die Geheimnisse des
Glanzes würden am besten zu Zaphriels Konzept passen,
und macht diese deshalb zu ihren primären Geheimnissen,
indem sie zwei Punkte in sie investiert. Der verbleibende
Punkt geht auf die Geheimnisse der Himmlischen. Da-
durch, daß Verena die Geheimnisse des Glanzes zu den
primären Geheimnissen ihres Charakters gemacht hat, ist
Zaphriels apokalyptische Gestalt folglich Qingu, das Antlitz
des Glanzes. Verena notiert sich die speziellen Fähigkeiten
dieser Gestalt auf ihrem Charakterbogen.
Von den fünf Punkten, die ihrem Charakter für Hinter-
grundeigenschaften zur Verfügung stehen, vergibt Verena
drei auf Ressourcen, da Laura durch ihren Job bei der An-
waltskanzlei ein hohes Einkommen hat. Die letzten zwei
Punkte setzt sie auf Kontakte, denn ihr Charakter soll eini-
ge Verbindungen zu anderen Personen besitzen, die ihn mit
Informationen versorgen können. Sie würde gerne noch
einen zusätzlichen Punkt auf Kontakte und ein paar weitere
Hintergrundeigenschaften vergeben, aber für den Moment
zumindest sind ihr die Punkte dafür ausgegangen.
SCHRITT FÜNF: LETZTE HANDGRIFFE
Glücklicherweise kann Verena noch ihre freien Zusatz-
punkte einsetzen. Einige von ihnen nutzt sie somit gleich
zum Aufwerten von Zaphriels Hintergrundeigenschaften,
indem sie ihr einen weiteren Punkt in Kontakte verleiht
158
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
und außerdem je einen Punkt auf Verbündete und Einfluß
setzt (was sie insgesamt drei freie Zusatzpunkte kostet).
Dann sieht sie sich noch einmal die Werte der Attribute
und Fähigkeiten ihres Charakters an und entscheidet sich
dafür, einen weiteren Punkt auf Geschick zu setzen und
dieses Attribut damit auf einen Wert von 3 zu erhöhen, was
sie fünf freie Zusatzpunkte kostet. Diese Erhöhung macht
Zaphriel geschickter und erlaubt es ihr, solche Talente und
Fertigkeiten wie Ausweichen und Schußwaffen gekonnter
einzusetzen. Verena setzt einen weiteren Punkt auf Aus-
flüchte, erhöht damit dessen Wert auf 4 und gibt dafür
zwei freie Zusatzpunkte aus (was zum jetzigen Zeitpunkt
der Charaktererschaffung vollkommen zulässig ist). Sie gibt
Zaphriel die Spezialität „Glaubhafte Lügen“, da sie nun vier
Punkte in dieser Fähigkeit besitzt. Verena verleiht Zaphriels
Manipulation die Spezialität „Täuschung“, was Laura somit
zu einer äußerst begabten Lügnerin und geschickten Mani-
pulatorin macht. Verena sind noch fünf freie Zusatzpunkte
geblieben, die sie sich fürs erste noch aufsparen möchte.
Sie trägt Zaphriels Anfangswerte in Glaube (3), Qual (4)
und Willenskraft (die 5 beträgt, da sie sich aus der Summe
der beiden höchsten Tugenden errechnet) auf ihrem Cha-
rakterbogen ein. Sie würde gerne den Glauben ihres Cha-
rakters erhöhen, doch die Kosten dafür könnte sie nicht
mehr mit freien Zusatzpunkten ausgleichen. Statt dessen
verwendet sie ihre verbliebenen freien Zusatzpunkte dar-
auf, Zaphriels Charisma um einen weiteren Punkt zu erhö-
hen, was den Wert dieses Attributs auf vier steigert. Dann
gibt sie Zaphriel noch die Spezialität „Redner“ und kann
nun mit Stefan das Präludium ihres Charakters angehen.
PERSÖNLICHKEITSARCHE-
TYPEN: WESEN UND VER-
HALTEN
Jeder, der durchs Leben schreitet, trägt Masken, und das
gilt ganz besonders für die Gefallenen. Sie tragen eine Mas-
ke der Sterblichkeit und gewähren anderen nur hin und
wieder einen kurzen Blick auf das wahre Wesen dahinter.
Der Rest der Welt bekommt nur das zu sehen, was er sehen
soll – und nicht mehr. Jeder hat seine eigene Art, mit sei-
nem Umfeld und den verschiedensten Situationen umzuge-
hen, und die Gefallenen bilden da keine Ausnahmen.
Wesen und Verhalten helfen Ihnen dabei, die Persön-
lichkeit Ihres Charakters zu definieren. Das Wesen ist so-
zusagen das wahre Ich Ihres Charakters. Es ist die Seele des
Dämons, die durch die Augen ihrer sterblichen Hülle in die
Welt hinausblickt. Das Verhalten ist die Art, wie sich Ihr
Charakter dem Rest der Welt gegenüber gibt, und es spie-
gelt zum größten Teil die Überbleibsel der Persönlichkeit
des Wirtes wider. Das Verhalten kann dem Wesen Ihres
Charakters durchaus ähneln – Wesen und Verhalten kön-
nen sogar identisch sein, wenn es sich um Persönlichkeiten
handelt, denen es nichts ausmacht, aller Welt zu zeigen,
was in ihnen vorgeht. Doch für die meisten Dämonen-
Charaktere ist eine solche Offenheit und Zurschaustellung
ihrer Persönlichkeit zu gefährlich, weshalb sie ihr wahres
Ich hinter eine Fassade verbergen.
KAPITEL SECHS
Das Zusammenspiel von Wesen und Verhalten soll Ihnen
dabei helfen, sich ein besseres Bild von der Persönlichkeit,
den Zielen und den Angewohnheiten Ihres Charakters zu
machen. Diese einfachen Definitionen sind nicht allumfas-
send. Die wenigsten Menschen können nur anhand einiger
Stichworte vollständig beschrieben werden. Statt dessen
dienen die Archetypen lediglich als Basis für die Persön-
lichkeit Ihres Charakters. Sie sind ein Fundament, auf dem
man aufbauen kann, wenn Sie dem Charakter im Verlauf
der Chronik noch mehr Tiefe verleihen und ihn weiter aus-
definieren. Das Wesen als innerster Kern der Persönlichkeit
Ihres Charakters bleibt dabei jedoch unverändert, da es
Ihnen das Rahmenwerk für die weitere Entwicklung des
Charakters bietet, die Sie selbst ausgestalten können.
Das Wesen eines Charakters hat zudem noch eine be-
sondere Funktion in regeltechnischer Hinsicht. Charaktere
gewinnen Willenskraft zurück, indem sie in ihren Hand-
lungen ihrem wahren Ich treu bleiben und sich so in ihrer
eigenen Weltsicht bestätigen. Dies führt zu einem Schub
von Selbstvertrauen und verleiht ihnen das Gefühl, etwas
bewirkt oder erreicht zu haben. Wenn ein Charakter so
handelt, daß es den höchsten Ansprüchen seines Wesens
genügt (nähere Erläuterungen finden Sie bei den Beschrei-
bungen der einzelnen Archetypen), kann er einen Willens-
kraftpunkt zurückgewinnen, sofern der Erzähler dem zu-
stimmt (weitere Details hierzu finden Sie auf Seite 196).
Es folgen einige Beispielarchetypen, die auf Dämonen-
Charaktere zugeschnitten sind. Spieler und Erzähler soll-
ten sich aber jederzeit die Freiheit nehmen, sich eigene
Archetypen ausdenken, wenn die im folgenden vorgestell-
ten Beispiele nicht zu den Charakteren passen, die ihnen
vorschweben.
ABWEICHLER
Es gibt Leute, die einfach nicht in die hübschen, klei-
nen Schubladen hineinpassen, die sich die Gesellschaft
zurechtzimmert. Sie gehören zu genau diesen Leuten. Sie
wehren sich entschieden dagegen, sich als ein bestimmter
Typ abstempeln zu lassen, und sie wehren sich ebenso ve-
hement dagegen, den Erwartungen anderer zu entsprechen.
Sie sind, wer Sie sind. Wenn jemand damit nicht zurecht-
kommt – scheiß drauf! Sie sind nicht länger an die Ein-
schränkungen irgendwelcher Gebote gebunden – um genau
zu sein, sind sie an nichts und niemanden mehr gebunden.
Unter den Gefallenen und Sterblichen gibt es nicht wenige,
die Ihre einzigartige Form des Selbstbewußtseins ausgespro-
chen anziehend finden.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
allgemeingültige Konventionen brechen oder ignorieren.
ARCHITEKT
Das Hauptziel eines Architekten liegt darin, etwas von
bleibendem Wert und dauerhaftem Bestand zu schaffen.
Als Architekt folgen Sie einer Vision, die Sie Wirklichkeit
werden lassen wollen. Dabei kann es sich um eine physisch
faßbare Schöpfung oder um etwas Metaphorisches wie etwa
eine Institution oder eine bleibende Idee handeln. Es gibt
einige Dämonen, die noch nicht so tief gefallen sind, als daß
sie vergessen hätten, wie herrlich die Schöpfung einst war
und daß sie in ihr die Rollen von Erbauern und Erhaltern
übernommen hatten. In ihren Unterfangen versuchen sie,
einen Teil dieser verlorenen Herrlichkeit zu erhaschen.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
etwas von Bedeutung oder bleibendem Wert erschaffen
oder errichten.
AUTOKRAT
Es gibt immer zwei Wege, etwas zu erledigen: Ihren Weg
und den falschen Weg. Es mag Leute geben, die behaupten,
diese Ansicht sei der unwiderlegbare Beweis Ihres über-
steigerten Selbstwertgefühls oder gar Ihrer Hybris, aber das
ist Ihnen vollkommen gleich. Sie sorgen lediglich dafür,
daß etwas getan wird, und diese Tatsache kann niemand
abstreiten. Jemand muß ja den Ton angeben, und dieser
Jemand sind nun einmal Sie. Das mag nicht notwendi-
gerweise daran liegen, daß Sie der Schlaueste oder der
Weiseste wären (obwohl auch das durchaus der Wahrheit
entsprechen könnte). Sie wissen einfach nur am besten,
wie man Verantwortung übernimmt, um endlich Bewegung
in verfahrene Angelegenheiten zu bringen.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
die Kontrolle über eine Situation oder eine Gruppe über-
nehmen.
BONVIVANT
Es gab einmal eine Zeit, in der Freude der Sinn des Le-
bens war. Diese Zeit mag vorüber sein, doch Sie versuchen
sie mit aller Macht von neuem zu beleben. Nur, wer eben-
soviel Leid und Schmerz erdulden mußte wie Sie, kann
sich an den einfachsten Dingen erfreuen. Wenn Sie jemals
wieder in Angst und Pein versinken, wird alles, wofür Sie
gekämpft haben, umsonst gewesen sein – also genießen Sie
das Leben! Es mag ernsthafte Angelegenheiten geben, die
Sie zu erledigen haben, aber es spricht doch nichts dagegen,
daß Sie dabei Spaß haben dürfen.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
echte Freude empfinden und diese mit anderen teilen kön-
nen.
DIREKTOR
Die Schöpfung ist wohlgeordnet. Einst funktionierte sie
mit ausgereifter Präzision und befand sich vollkommen im
Gleichgewicht. Alles befand sich am richtigen Platz. Sie
war die perfekt geölte Maschine. In der Zwischenzeit sind
natürlich einige Teile der Schöpfung etwas verschlissen,
aus dem Gleichgewicht geraten oder arbeiten einfach nicht
mehr richtig, so daß sich allmählich immer mehr Chaos
anhäuft. Das können Sie nicht tolerieren. Nichts ist Ihnen
wichtiger, als Ordnung herzustellen und aufrechtzuerhalten
– sei es in einer Gruppe oder in der ganzen Welt.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
ein schwieriges Problem mittels Ihres Organisationstalents
lösen.
EINZELGÄNGER
Die meiste Zeit über sind Sie auf sich allein gestellt, und
das ist auch vollkommen in Ordnung für Sie. In Wahrheit
ziehen Sie Ihre eigene Gesellschaft der anderer Leute bei
159

weitem vor. Vielleicht haben Sie einige Angewohnheiten
oder Macken, die andere Leute abschrecken, vielleicht
fühlen Sie sich aber auch nicht würdig, die Gesellschaft
anderer verdient zu haben, oder vielleicht mögen Sie auch
schlicht und ergreifend keinerlei Gesellschaft. Sie gehen
Ihren eigenen Weg und arbeiten nur dann mit anderen
zusammen, wenn es Ihren Zielen förderlich ist. Danach
setzen Sie Ihren Weg wieder alleine fort.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
etwas ohne fremde Hilfe unternommen haben, von dem
eine andere Person nun profitiert.
FANATIKER
Sie verfolgen ein ganz bestimmtes Ziel, und nichts und
niemand kann Sie je davon abhalten, es zu erreichen. Sie
haben sich Ihrem Ziel voll und ganz verschrieben und ord-
nen ihm alle anderen Bereiche Ihres Lebens vollkommen
unter. Am Ende zählt nur das Resultat, und alles (und
jeder) kann und wird von Ihnen geopfert werden, wenn es
Sie Ihrem Ziel näherbringt. Ihr Ziel kann durchaus mit dem
einer Fraktion der Gefallenen übereinstimmen (weitere
Informationen hierzu finden Sie in Kapitel Fünf). Es kann
aber auch das Ziel einer Gruppe von Sterblichen oder Ihr
eigener, persönlicher Kreuzzug sein. Was auch immer es
ist, Sie werden Ihr Ziel irgendwann in die Tat umgesetzt
sehen.
• Sie erhalten jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie et-
was tun, das Ihrem Ziel unmittelbar förderlich ist.
GIGOLO
Der Glaube ist das berauschendste aller Elixiere, und
Sie fühlen sich durch die Verehrung und Aufmerksamkeit
anderer regelrecht beflügelt. Sie sind ein Geschöpf voller
Herrlichkeit, und es ist einfach nicht Ihre Art, Ihr Licht
unter den Scheffel zu stellen. Statt dessen würden Sie den
Sterblichen viel lieber die Wunder zeigen, zu denen Sie
fähig sind und sich in ihrer Achtung und Ehrfurcht aalen.
Nichts begeistert Sie mehr, als einen neuen potentiellen
Anhänger zu beeindrucken und für sich zu gewinnen. Jeder
weitere von ihnen läßt Sie sich ein wenig lebendiger und
näher an Ihrer früheren Vollkommenheit fühlen.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
eine andere Person wahrhaftig in Erstaunen versetzen.
GRIESGRAM
Die Gefallenen rebellierten für das, woran sie mit aller
Macht geglaubt hatten, und sie wurden dafür bestraft. Der
Menschheit wurde der freie Wille gegeben, und jetzt schau
sich mal einer an, was sie damit angestellt haben. Ist es da
etwa ein Wunder, daß Sie mehr als nur ein bißchen ver-
bittert und zynisch sind? Sie sehen in allem immer nur das
Schlechteste, finden stets ein Haar in der Suppe, weisen
immer alle darauf hin, was alles schiefgehen könnte, und
lassen keine Gelegenheit ungenutzt, um „Habe ich das
nicht gleich gesagt?“ zu fragen, sobald tatsächlich etwas
schiefgegangen ist – und eigentlich geht ja am Ende immer
alles schief.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn etwas
Schlechtes eintritt, das von Ihnen vorhergesagt wurde.
160
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
HELFER
Die Gefallenen kämpften und litten nur, weil sie sich
zu sehr um andere sorgten – um die Menschheit, um die
Schöpfung und um den Allmächtigen. In manchen von
ihnen ist das Mitgefühl für andere Geschöpfe jedoch ge-
gen alles gefeit – gegen Zurückweisung, gegen Qual und
gegen Schmerz. Diese Gefallenen sind immer da, wenn
ein anderer Unterstützung oder Hilfe benötigt. Für andere
Dämonen wiederum ist die Vortäuschung von Mitleid ein
äußerst nützliches Werkzeug. Mit geheuchelter Empathie
bahnen sie sich einen Weg in die Herzen der Sterblichen,
deren Dankbarkeit ein mehr als zufriedenstellender Lohn
für ihre Bemühungen ist – ganz gleich, ob der geleistete
Beistand ehrenhaften Motiven entsprang oder nicht.
• Sie erhalten jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
einer anderen Person erfolgreich Trost spenden oder ihr
beistehen.
KIND
Alle Kreaturen sind Kinder des Schöpfers, doch manche
sind kindlicher (oder kindischer) als andere. Ein wahres
Kind ist unschuldig – es hat nie erfahren, wie die Welt
wirklich ist, und es kennt weder Gut noch Böse. In der
modernen Welt sind diese Personen höchst selten gewor-
den, doch manche Dämonen versuchen, wieder in diesen
segensreichen Zustand zurückzukehren, und das Fleisch
ebnet ihnen den Weg dorthin. Die andere Seite des Kin-
des ist sein ständiges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Die
Wünsche eines Kindes müssen erfüllt werden – und zwar
sofort. Kinder haben keinerlei Kontrolle über ihre Sehn-
süchte und Leidenschaften, und sie suchen nach anderen
Personen, die sich um sie kümmern und sie umsorgen.
• Sie erhalten jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie je-
manden davon überzeugen können, auf Sie acht zu geben
oder Ihre Wünsche zu erfüllen, ohne daß Ihr Helfer dafür
eine Gegenleistung von Ihnen erwartet.
KONFORMIST
Sie kennen Ihren Platz in der Ordnung der Dinge – oder
zumindest haben Sie das einmal geglaubt. Sie waren zu-
frieden damit gewesen, das zu tun, was Ihnen aufgetragen
worden war, bis plötzlich weisere und überzeugendere
Stimmen laut wurden. Sie folgten diesen Stimmen in die
Rebellion und schließlich in den Höllenschlund. Jetzt
brauchen Sie dringend ein neues Ziel und einen neuen
Führer. Sie sehnen sich danach, wieder Teil einer Gruppe
zu sein, der Sie Ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen
können.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn die
Gruppe, der Sie angehören, mit Ihrer Hilfe ein Ziel er-
reicht.
MÄRTYRER
Es scheint so, als seien Sie allein dazu bestimmt, immer
weiter zu leiden. Sie tragen Ihre Last mit Würde und
grimmiger Entschlossenheit, da Sie wissen, daß Ihr Leiden
einen Sinn hat – entweder in dem Zeichen, das dadurch
gesetzt wird, oder in dem Wohl, das es anderen bringt. All
KAPITEL SECHS
die Qual und das Leid in der Hölle konnten Ihren Geist
nicht brechen. Was bedeutet im Vergleich dazu schon der
Schmerz, den Sie in der Welt der Sterblichen erdulden
müssen? Als Märtyrer können Sie aufrichtig von Ihren
Vorstellungen über den Sinn Ihrer Existenz überzeugt
sein, aber genausogut können Sie Ihre Selbstaufopferung
nur hochspielen, um die Aufmerksamkeit anderer auf sich
zu ziehen und ihr Mitgefühl zu wecken.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
sich für Ihre Ideale, für das Gute oder jemand anderen
aufopfern.
MASOCHIST
Die glauben wirklich, daß sie Sie brechen können? Die
denken wirklich, daß Sie den Druck nicht aushalten wer-
den? Sie sollen ruhig alles geben, was sie haben! Sie sind
bereit, Ihre Belastbarkeit mit allem zu messen, was die
Schöpfung Ihnen entgegenwerfen kann. Sie sind nicht
nur stolz darauf, Schmerzen ertragen zu können, Sie ge-
nießen es sogar. Sie werden bis ins Extrem dazu getrieben,
Ihre eigenen Grenzen auszutesten und jedesmal ein biß-
chen weiter zu gehen. Vielleicht werden Sie irgendwann
einmal mit Schmerz und Leid konfrontiert werden, das
Ihnen wirklich unerträglich sein wird, doch bisher ist das
noch nie geschehen.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
einen Schmerz erleben, den Sie noch nie zuvor erfahren
haben.
MONSTER
Ein Dämon? Sie werden schon noch allen zeigen, was
ein echter Dämon ist. Niemand hat eine Ahnung davon,
wie tief die Abgründe sind, in die Sie sich schon begeben
haben, aber die Welt wird es erfahren. Alle Legenden und
Mythen der Menschen – selbst ihre Horrorshows in den
Massenmedien – sind nur ein schaler Abklatsch dessen,
was aus Ihnen geworden ist. Sie sind das personifizierte
Böse, und nun sind Sie frei und wandeln auf Erden. Sehr
bald schon wird die Welt mit Schrecken herausfinden, daß
Ihnen keine Greueltat zu ungeheuerlich ist.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
einen Akt schrecklicher Bosheit verüben.
PÄDAGOGE
Wissen ist das einzige Gut von Wert in der gesamten
Schöpfung und das einzige Gut, das Sie schätzen, doch
Wissen ist nutzlos, wenn man es nicht mit jemandem teilt.
Sie sehen es als Ihre größte Verantwortung, Ihr Wissen
weiterzugeben, damit andere die Welt so gut verstehen
lernen wie Sie und dieses Wissen dann ihrerseits weiterge-
ben. Je mehr man weiß, desto besser kann man sein Leben
meistern. Es mag Leute geben, die Sie einen Besserwisser
nennen, doch das liegt einfach daran, daß Sie wirklich
einiges besser wissen.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn je-
mand von dem Wissen profitiert, das Sie ihm beigebracht
haben.
PERFEKTIONIST
Sie verlangen nicht mehr von jedem anderen, als Sie von
sich selbst erwarten, doch da Sie von sich selbst stets nichts
weniger als absolute Perfektion erwarten, halten die mei-
sten Leute ihre Ansprüche an sie für überzogen und uner-
füllbar. Sie fordern stets nur das beste und würden sich nie-
mals mit weniger zufriedengeben. Andere mögen mit Ihren
hochgesteckten Erwartungen und Ihrer Detailversessenheit
ein echtes Problem haben, doch die Früchte Ihrer Arbeit
wissen Sie dennoch stets zu schätzen. Was Sie antreibt, ist
das Gefühl tiefer Befriedigung, wenn Sie eine Aufgabe so
hervorragend wie irgend möglich erledigt haben.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
eine Aufgabe in vollendeter Perfektion lösen.
RAUHBEIN
„Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erden-
reich besitzen?“ Nicht, solange Sie dabei noch ein Wört-
chen mitzureden haben! Kummer ist alles, was die Sanft-
mütigen von dieser Welt zu erwarten haben. Die Starken
nehmen sich, was sie wollen und wann sie es wollen. Es
gilt immer noch das Recht des Stärkeren, was Ihnen aus-
gezeichnet gefällt, da Sie genau wissen, wie Sie Ihre Stärke
einsetzen müssen, um das zu bekommen, was Sie wollen.
Sie respektieren andere, sobald diese ihre eigene Stärke
unter Beweis gestellt haben, aber jegliches Zeichen von
Schwäche in anderen wird umgehend von Ihnen ausge-
nutzt. Sie tun einfach nur, was Sie tun müssen, um in dieser
Welt voranzukommen.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie ein
Ziel durch den Einsatz von Gewalt erreichen. Diese Gewalt
muß nicht zwangsläufig physischer Natur sein, sondern
kann sich auch in Einschüchterung oder gesellschaftlichem
Druck äußern.
REBELL
Sie waren einer der ersten Rebellen, und Sie tragen die-
sen Titel noch immer voller Stolz. Die Obrigkeit muß her-
ausgefordert werden, um nicht zu blindem Gehorsam bei
den Massen zu führen. Sie nutzen jede Gelegenheit, gegen
das System aufzubegehren, denn nur so kann man eine
positive Veränderung bewirken oder zumindest aufzeigen,
was für ein großer Schwindel die ganze Sache mit der Ob-
rigkeit doch ist.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie die
Obrigkeit empfindlich getroffen haben.
RICHTER
Hinter der Schöpfung steht eine Ordnung, und der
Schlüssel zum Erfolg ist, diese Ordnung zu begreifen und
womöglich noch zu verbessern. Ihrer Meinung nach be-
darf es eines unerschütterlichen Glaubens an Systeme, um
etwas bewirken und erreichen zu können: Rechtssysteme,
logische Systeme und bürokratische Systeme. Sie glauben
daran, daß man immer alles „nach dem Lehrbuch“ erledigen
kann, auch wenn gegen Innovation nichts einzuwenden ist,
solange sie der Verbesserung des Systems dient.
161

• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie ein
Problem durch sorgfältiges und systematisches Aufschlüs-
seln lösen.
SCHMAROTZER
Mühsam einen Pakt aushandeln, um eine Seele zu gewin-
nen … wie abgedroschen. Bei der Art und Weise, wie Sie
das Spiel spielen, haben Ihre Opfer keinen blassen Schim-
mer, daß Ihnen ihre Seelen schon längst gehören. Sie dan-
ken Ihnen sogar noch, daß sie genau das tun dürfen, was
Sie wollen. Warum sollten Sie sich denn auch abmühen
und die eigene Haut riskieren, wenn es genausogut andere
für Sie tun können? Sie wissen um die Macht einer sorgsam
durchdachten Lüge – besonders dann, wenn diese genau
das richtige Quentchen Wahrheit enthält.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie je-
manden durch den Einsatz einer List dazu bringen können,
Ihnen etwas zu geben, das Sie wollen.
SCHURKE
Sie passen nur auf sich auf. Das würde ja sowieso kein
anderer für Sie machen, und eigentlich wären ohnehin
alle besser damit bedient, sich nur um ihre eigenen An-
gelegenheiten zu kümmern. Sie wollen niemandem irgend
etwas schuldig bleiben. Sie kümmern sich selbst um Ihre
Probleme, und alle anderen sollen ebenfalls allein mit ihren
Problemen fertigwerden. Die einzigen Interessen, die Ihnen
am Herzen liegen, sind Ihre eigenen. Allerdings ist an ein
wenig erleuchtetem Selbstinteresse, von dem auch alle
anderen etwas haben, nichts wirklich Schlimmes, solange
Sie dabei nicht zu sehr in die Angelegenheiten anderer
hineingezogen werden.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
Erfolg mit Ihrer egozentrischen Haltung haben.
SENSATIONSJUNKIE
Sie leben für den Nervenkitzel der Gefahr. Nur wenn
Sie wissen, daß Sie Ihr Leben riskieren, fühlen Sie sich
wirklich lebendig. Sie sind ein Draufgänger und halten
ständig nach den größten Gefahren Ausschau, in die Sie
sich stürzen können, um Ihr Dasein spannend zu gestalten.
Es gibt keine Herausforderung, bei der Sie nicht zumindest
in Erwägung ziehen würden, sich ihr zu stellen, und die
Chancen stehen erstaunlich gut, daß Sie das letzten Endes
in den meisten Fällen auch tun würden. Nach allem, was
Sie durchgemacht haben, wollen Sie nun nur noch spüren,
wie Ihr Herz in Ihrer Brust schneller schlägt und Ihr Blut
in Ihren Ohren rauscht. Selbst der Tod kann Ihnen keine
Angst mehr einjagen.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
eine gefährliche Situation oder Aufgabe meistern, die Sie
absichtlich herbeigeführt oder gewählt haben.
SPIELER
Das Leben ist ein einziges Risiko. Also gehört es dazu,
daß man etwas aufs Spiel setzen muß. Und vielleicht gehört
es auch dazu, einen Sprung ins Ungewisse zu machen, wenn
man darauf hoffen will, die Dinge zum Besseren zu wenden.
Leute, die sich nicht trauen, etwas zu riskieren, führen ein
162
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
einfaches, trostloses Leben, aber zu diesen Leuten gehö-
ren Sie weiß Gott nicht. Für die leise Hoffnung, etwas zu
verbessern, sind Sie willens, alles aufs Spiel zu setzen. Sie
sind nicht tollkühn, aber Sie sind durchaus bereit, Risiken
einzugehen, die anderen als unvorstellbar hoch erscheinen
würden, wenn es denn sein muß.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie et-
was aufs Spiel gesetzt haben und Ihr Einsatz sich auszahlt.
SÜCHTIGER
Es gibt etwas (was sehr wohl auch eine Person sein kann),
das Sie unbedingt besitzen müssen. Es ist die größte Leiden-
schaft Ihres Lebens – manch einer würde es auch als eine
Form der Besessenheit bezeichnen. Nichts in Ihrem Leben
nimmt einen höheren Stellenwert ein als das Objekt Ihrer
Begierde. Ihre Abhängigkeit kann sich auf Drogen oder
jede andere Art von Aktivität beziehen. Einige Gefallene
werden süchtig nach den Freuden des Fleisches – vom
Essen über das Trinken bis hin zum Sex. Andere wiederum
sind süchtig danach, etwas Bestimmtes zu sammeln (dabei
kann es sich auch um okkultes Wissen oder gar „Trophäen“
handeln). Wieder andere haben einen Narren an einem
bestimmten Sterblichen gefressen. Die Sucht nach dem
Glauben der Sterblichen ist unter den Gefallenen beson-
ders weit verbreitet.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
sich Ihrer Sucht vollkommen hingeben und diese ausgiebig
befriedigen können.
SÜNDER
Sie sind ein Sünder unter den schlimmsten aller Sün-
der. Sie haben sich schwerer Vergehen gegen Gott und
die Schöpfung schuldig gemacht, für die Sie die gerechte
Strafe erhalten haben. Selbst die Bürde der Schuld, die Sie
immer noch tragen, ist ein Teil dieser gerechten Strafe. Sie
haben den Fehler in Ihrem Tun erkannt und nun hoffen Sie
inständig, daß Ihnen für das, was Sie getan haben, verge-
ben werden wird. Alles, was Sie jetzt noch tun können, ist
Ihr Bestes zu geben, um die Fehler in Ihrer Vergangenheit
wiedergutzumachen.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie das
Gefühl haben, der Vergebung einen Schritt näher gekom-
men zu sein.
TRADITIONALIST
In einer Welt, die sich so schnell verändert, ist Tradition
die einzige Sache, auf die Sie sich verlassen können. Sie
respektieren die Geschichte als hervorragenden Lehrmei-
ster und sind zu der Überzeugung gelangt, daß die alt-
hergebrachte Art, ein Problem anzugehen, stets eindeutig
die beste ist. Wenn dem nicht so wäre, warum hätte sie
sich dann überhaupt so lange halten sollen? Es ist wichtig,
traditionelle Wege und Werte zu erhalten, und Sie sind
strikt dagegen, etwas an Traditionen zu ändern, wenn es
nicht absolut notwendig ist. Sie setzen Tradition mit Trost,
Zuverlässigkeit und Stabilität gleich.
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn sich
althergebrachte Methoden, mit bestimmten Situationen
umzugehen, als die besten erweisen.
KAPITEL SECHS

TRICKSER SPEZIALISIERUNGEN
Es gibt Momente, da können Sie über die Absurdität des
Manche Charaktere sind bei bestimmten Einsatz-
ganzen kosmischen Dramas der Existenz nur noch lachen.
möglichkeiten ihrer Eigenschaften besonders gut. Ein
Sie hegen den Verdacht, daß das Ganze nichts weiter als
Gelehrter beispielsweise spezialisiert sich für gewöhn-
ein einziger, großer Witz ist und Sie der einzige sind, der die
lich auf einen bestimmten Bereich seiner akademischen
Pointe verstanden hat. Ganz gleich, wie schlimm die Lage
Disziplin. Ein Kämpfer könnte dagegen für einen be-
auch wird – Sie schaffen es immer wieder, Ihren Humor
sonderen Schlag oder Tritt bekannt sein, während ein
in jeder noch so ausweglosen Situation nicht zu verlieren,
Künstler sich auf ein ganz bestimmtes Medium oder
und Sie tun Ihr Bestes, um die Stimmung aufzuheitern. Sie
einen speziellen Stil konzentriert. Spieler können ihre
lachen lieber, als daß Sie weinen, und Sie lassen andere an
Charaktere mit Spezialisierungen versehen, um die-
Ihren Einsichten durch Ihren Humor und Ihren bisweilen
se besonders ausgeprägten Bereiche hervorzuheben.
beißenden Spott teilhaben.
Um diese Betonung auf einen bestimmten Bereich
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn es
der Anwendung einer Eigenschaft widerzuspiegeln,
Ihnen gelingt, andere aufzuheitern oder Ihren eigenen
können Spieler den Eigenschaften ihrer Charaktere
Schmerz durch Humor zu verdrängen.
Spezialisierungen zuweisen.
ÜBERLEBENSKÜNSTLER Eine Spezialisierung ist eine einzelne Facette eines
Attributs oder einer Fähigkeit. Ein Spieler könnte sei-
Was Sie nicht umbringt, macht Sie nur härter. Wo ande-
nem Charakter beispielsweise die Spezialisierung „Un-
re widerstandslos ihr Schicksal hinnehmen, kämpfen Sie
ermüdlich“ in dessen Widerstandsfähigkeit zuweisen,
dagegen an. Nichts kann Sie kleinkriegen, und am Ende
um damit zum Ausdruck zu bringen, daß seine Aus-
finden Sie immer einen Weg, den Sieg davonzutragen. Sie
dauer sogar noch größer ist, als es sein Wert in Wider-
sind enttäuscht davon, wie sich die anderen aufgeben und
standsfähigkeit angibt. Ein anderer Charakter könnte
immer nur den Weg des geringsten Widerstands gehen. Das
über die Spezialisierung „Schauspielerei“ verfügen, die
ist etwas, was Sie nie getan haben und was für Sie auch nie
sich auf Ausdruck bezieht, um seine Fokussierung auf
in Frage kommen wird.
diesen bestimmten Bereich dieser Eigenschaft zu be-
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie
tonen. Spezialisierungen helfen dabei, den verschie-
Strapazen erdulden oder andere dazu bringen, dies zu
denen Eigenschaften des Charakters mehr Tiefe zu
tun.
verleihen und sie weiter auszudefinieren.
VISIONÄR Ein Charakter kann jedes seiner Attribute und jede
seiner Fähigkeiten mit einem Wert von 4 oder höher
Es gibt Leute, die sehen die Welt, wie sie ist, und fragen:
mit einer Spezialisierung versehen. Bei einem Wür-
„Warum?“. Sie sehen die Welt, wie sie sein könnte und
felwurf für eine Eigenschaft, der in den Bereich hin-
fragen: „Warum nicht?“. Sie haben eine Vision von etwas
einfällt, der durch die Spezialisierung abgedeckt ist,
Höherem, etwas Größerem als dem, was zur Zeit existiert.
kann der Spieler jede erwürfelte 10 ein weiteres Mal
Sie fordern die Grenzen der Machbarkeit der Schöpfung
würfeln. Er behält den Erfolg, den die 10 ursprünglich
heraus, weil Sie hoffen, dabei auf etwas zu stoßen, das
bedeutete, kann dann aber versuchen, weitere Erfolge
besser ist als das Gegenwärtige, denn mit dem Status Quo
zu erzielen, indem er jede gewürfelte 10 erneut würfelt.
können Sie wohl kaum zufrieden sein. Natürlich sehen
Das geht so weiter, bis keine 10 mehr gewürfelt wird.
diejenigen, die den derzeitigen Stand der Dinge guthei-
ßen, in Ihnen eine echte Bedrohung, doch Sie kümmern
sich nicht um die Ansichten anderer. Sie folgen Ihrer temessen unter Freunden, wohingegen andere sich lieber in
Vision mit der festen Überzeugung, daß Sie etwas Großes mit Klauen und Zähnen ausgetragene Kämpfe werfen, in
vollbringen können und die Hoffnung niemals sterben denen alles erlaubt ist.
wird. • Sie erhalten jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie ei-
• Sie gewinnen jedesmal Willenskraft zurück, wenn Sie nen Wettstreit gewinnen.
andere dazu bewegen, Ihren Träumen oder Idealen zu fol-
gen.
ATTRIBUTE
WETTKÄMPFER Jeder Dämonen-Charakter hat Attribute; sie stehen
Es ist eine Lüge, daß alle Kreaturen gleich erschaffen für das Grundpotential jeder Person auf der Welt sowie
wurden. Einige sind zu wahrer Größe bestimmt, während der meisten anderen Geschöpfe wie etwa den Gefallenen.
andere klein und unbedeutend bleiben. Sie besitzen die Attribute liegen im allgemeinen zwischen einem Wert von
Fähigkeit, sich jeder Herausforderung zu stellen und Ihre 1 (dürftig) und 3 (gut), doch es gibt auch Individuen, die
Größe im Wettstreit unter Beweis zu stellen. Sie sehen in in einigen Attributen einen Wert von 4 (außergewöhnlich)
allem, was das Leben Ihnen bietet, eine Herausforderung, oder gar 5 (Gipfel des Menschenmöglichen) aufweisen.
die es zu meistern gilt, und eine Möglichkeit, der ganzen Einige Gefallene und andere übernatürliche Kreaturen be-
Welt zu zeigen, aus was für einem Holz Sie geschnitzt sind. sitzen Attributswerte, die über 5 liegen, doch solche Ge-
Manche Wettkämpfer bevorzugen eher ein harmloses Kräf- schöpfe sind äußerst selten.

163
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

KÖRPERLICHE ATTRIBUTE
Körperliche Attribute definieren den körperlichen Zu-
stand eines Charakters. Diese Eigenschaften beschreiben,
wie stark, geschickt und ausdauernd ein Charakter ist.
Was die Gefallenen betrifft, beschreiben die körperlichen
Attribute immer die Eigenschaften des sterblichen Gefä-
ßes des Dämons. Es gibt allerdings auch Dämonen, die
nicht in einem sterblichen Körper hausen. Die körperli-
chen Attribute sollten in aller Regel die primären Attribu-
te eines Charakters sein, der vermehrt auf Körpereinsatz
baut, um mit Herausforderungen umzugehen.
Die Gefallenen können Glaube einsetzen, um die kör-
perlichen Attribute ihres Körpers vorübergehend selbst
bis auf übernatürliche Werte zu steigern. Weitere Details
hierzu finden Sie auf Seite 191.

KÖRPERKRAFT
Der erste Schlag traf Harvey Ciullos Kiefer, riß ihm den
Kopf zur Seite und ließ ihm in hohem Bogen die Sonnebrille
von der Nase fliegen. Mickey wollte mit einem Schwinger
nachsetzen, doch Harveys Hand schoß so schnell in die
Höhe, daß man fast meinen könnte, sie besäße einen eigenen
Willen. Sie fing Mickeys Faust mitten in der Bewegung ab
und schloß sich fest wie ein Schraubstock um sie. Harvey
wandte das Gesicht wieder dem Türsteher zu, als er seinen
Griff verstärkte, und Mickey ging in die Knie. Harvey, der
Dämon Hasmed, blickte auf ihn mit einem stahlblauen Auge
und einem Auge, in dem rotschwarze Wolken von Blut gera-
de zu gerinnen begannen, herab.
„Der erste Schlag war gratis“, sagte er. „Für jeden weite-
ren wirst du teuer bezahlen.“
Körperkraft ist ein Maß für die rohe Kraft eines
Charakters. Sie wirkt sich darauf aus, wieviel ein
Charakter anheben und tragen kann und wieviel
Schaden er mit Nahkampfwaffen und bei unbe-
waffneten Angriffen anrichtet. Sie kommt auch
ins Spiel, wenn beispielsweise eine Tür aufgerammt
oder der Arm eines Sterblichen gebrochen werden soll.
Im Nahkampf wird sie zum Würfelvorrat für Schaden
hinzugezählt. Alle Handlungen, die etwas mit reiner
Muskelkraft zu tun haben, werden mit Würfen auf Kör-
perkraft abgehandelt.
Spezialisierungen: Fester Griff, Kraftreserven, kraftvol-
le Beine, Wutausbruch
• Dürftig: Sie können 20 kg stemmen.
•• Durchschnittlich: Sie können 50 kg stem-
men.
••• Gut: Sie können 100 kg stemmen.
•••• Außergewöhnlich: Sie können 180 kg stem-
men.
••••• Herausragend: Sie können 300 kg stemmen.

GESCHICK
Ihr Atem ging stoßweise, als Magdiel über die Dächer
rannte und ihre Füße in immer schnellerem Rhythmus auf
Dachpappe und Kiesel trommelten. Sie waren ihr dicht auf
den Fersen, und die Ironie der Situation wurde ihr plötzlich
bewußt – ein Todesengel, der vom Jäger zum Gejagten wur-

164
KAPITEL SECHS
de. Sie kam am Rand des Daches schliddernd zum Stehen und
ruderte mit den Armen, um nicht zehn Stockwerke tief in eine
Seitengasse zu fallen. Es war eine wirklich breite Gasse, und
Magdiel war sich nicht sicher, ob sie wirklich mit einem Sprung
über sie hinwegsetzen konnte. Aber es gab keinen anderen Weg,
um vom Dach herunterzukommen, und ihre Verfolger kamen
schnell näher. Sie nahm Anlauf und sprang.
Geschick ist das Maß für die allgemeine, körperliche
Leistungsfähigkeit eines Charakters. Sie deckt Bereiche wie
Geschicklichkeit, Geschwindigkeit, Anmut, Hand-Auge-
Koordination und die generelle athletische Begabung ab.
Geschick kommt bei den meisten körperlichen Handlun-
gen zum Einsatz, die Präzision und Körperbeherrschung
erfordern – vom Abfeuern einer Schußwaffe über Tanzen
bis hin zum Knacken von Schlössern.
Spezialisierungen: Anmutig, blitzschnelle Reflexe, koordi-
nierte Bewegungen, schnell
• Dürftig: Sie sind ungeschickt und linkisch. Sie
lassen oft Dinge fallen und stolpern häufig.
•• Durchschnittlich: Sie sind zwar kein Trampel,
aber Sie sind auch nicht besonders grazil.
••• Gut: Sie besitzen eine gewisse Anmut oder ath-
letische Begabung.
•••• Außergewöhnlich: Allein durch Ihr natürliches
Talent könnten Sie Profisportler oder Ballettän-
zer werden.
••••• Herausragend: Ihre Bewegungen sind fließend
und hypnotisch.
WIDERSTANDSFÄHIGKEIT
Alejandro trat in die Mitte des Kreises aus johlenden Banden-
mitgliedern, um deren Anführer entgegenzutreten. Der dünne
Schweißfilm auf den Muskeln seines Gegenübers glänzte im
gelben Licht der nackten Glühbirne, die über ihnen von der
Decke hing. Langsam zog Alejandro sein Hemd aus, damit jeder
das Netz aus Narben auf seinem Rücken und seinen Armen
sehen konnte. Was auch immer sie mit ihm vorhaben mochten,
er hatte Schlimmeres erlebt.
Selbstsicher lächelte er den großgewachsenen, breitschultrigen
Bandenchef an, den die ruhige Entschlossenheit seines Gegners
zumindest ein klein wenig zu erschüttern schien. „Nach dir“,
sagte Alejandro.
Der Schlag kam ohne Vorwarnung und traf Alejandro mit
voller Wucht in die Magengrube. Er krümmte sich, während die
Meute um ihn herum grölte und jubelte. Dann richtete er sich
langsam wieder auf. Der Lärm erstarb.
„Ist das alles, was du drauf hast?“ fragte er den Bandenchef.
Hinter Alejandros Gesicht mußte Malakh, der Jäger, grinsen.
„Jetzt bin ich an der Reihe.“
Widerstandsfähigkeit ist ein Maß der allgemeinen kör-
perlichen Verfassung eines Charakters. Dazu zählen seine
Gesundheit, seine Ausdauer und seine Schmerzunemp-
findlichkeit. Die Widerstandsfähigkeit gibt an, wie lange
sich ein Charakter verausgaben und welche körperlichen
Belastungen durch Schmerz, Hunger oder Durst er aus-
halten kann. An ihm mißt man auch die Resistenz ge-
gen Krankheiten und Gifte, sowie die Fähigkeit, sich von
schwereren Verletzungen zu erholen. Zusätzlich spiegelt
Widerstandsfähigkeit teilweise auch die Entschlossenheit
und den Lebenswillen eines Charakters wider.
Spezialisierungen: Entschlossen, gesund, unermüdlich,
zäh
• Dürftig: Sie werden ständig krank und ziehen
sich leicht blaue Flecken zu.
•• Durchschnittlich: Die meiste Zeit über sind Sie
einigermaßen gesund, und Sie können einige
Treffer wegstecken, bevor Sie umkippen.
••• Gut: Sie können Treppen steigen oder rennen,
ohne sofort außer Atem zu geraten, und Sie wer-
den nur sehr selten richtig krank.
•••• Außergewöhnlich: Sie können bei einem Mara-
thon mitlaufen und sind bei bester Gesundheit.
••••• Herausragend: Sie können wochenlange Trecks
durch die Wüste ohne Nahrung und Wasser so-
wie vergleichbare Belastungen überleben.
GESELLSCHAFTLICHE ATTRIBUTE
Die gesellschaftlichen Attribute bestimmen über zwi-
schenmenschliche Beziehungen und Interaktionen jeg-
licher Art. Sie beschreiben solche Dinge wie Charme,
Überzeugungskraft, Empathie, Stil und Aussehen. Die
Gefallenen sind auf den Glauben und das Wohlwollen
der Menschen angewiesen, weshalb sie sich den gesell-
schaftlichen Gepflogenheiten der Sterblichen sehr gut
angepaßt und die Regeln des menschlichen Miteinanders
rasch begriffen haben. Gesellschaftliche Attribute sollten
als die Primärkategorie für Charaktere gewählt werden,
die einflußreich oder geschickt im Umgang mit anderen
Personen sein sollen.
CHARISMA
Als Gaviel den Raum betrat, erstarben alle Gespräche und
alle Blicke richteten sich auf ihn. Zwar sah er nicht besonders
gut aus, doch seine pure Ausstrahlung ließ die Luft um ihn
herum vor Spannung knistern. Jeder der Anwesenden hielt die
Luft an, während er darauf wartete, was Gaviel wohl zu sagen
haben mochte. Gaviel kostete den Moment voll aus und hielt
die auf dem Raum lastende Stille fast schon schmerzhaft lange
aufrecht, ehe er sich an seine versammelten Anhänger wandte.
„Gott ist tot“, sagte er, „und ich habe euch alle hierher einge-
laden, um Seinem Begräbnis beizuwohnen.“
Manche Leute haben das gewisse Etwas an sich, das da-
für sorgt, daß man sie sofort sympathisch findet, während
andere wiederum das genaue Gegenteil bewirken und an-
deren sogar ein Schaudern über den Rücken laufen lassen.
Dieses gewisse Etwas ist das Charisma – eine von reinen
Äußerlichkeiten unabhängige Attraktivität, Charme und
persönliche Anziehungskraft. Charismatischen Charak-
teren fällt es leicht, schnell Freunde zu finden und mit
anderen zurechtzukommen, während diejenigen, denen
es an Charisma mangelt, einen ständigen Kampf führen
müssen, Leute dazu zu bringen, sie zu mögen. Das Attribut
Charisma kommt gemeinsam mit allen Fähigkeiten zum
Einsatz, mit denen ein Charakter versucht, das Vertrauen
oder die Unterstützung anderer zu gewinnen. Für die Ge-
fallenen ist es ganz besonders nützlich, um den Glauben
der Sterblichen zu gewinnen (weitere Details finden Sie
auf Seite 299).
165

Spezialisierungen: Bewundernswert, geborener Anführer,
geistesscharf, eloquent, Schönredner
• Dürftig: Sie haben irgend etwas an sich, was
andere Leute einfach nicht leiden können.
•• Durchschnittlich: Sie sind nicht unsympathisch
und haben ein paar Freunde.
••• Gut: Die Leute schenken Ihnen gern Vertrauen
und kommen mit ihren Sorgen zu Ihnen.
•••• Außergewöhnlich: Sie haben etwas, das andere
regelrecht anzieht, und jeder möchte Ihr Freund
sein.
••••• Herausragend: Sie könnten problemlos ein ein-
flußreicher, politischer Führer werden.
MANIPULATION
„Meine Damen und Herren, bei den grundlosen Anschuldi-
gungen, die von Ms. Allemande gegen meinen Klienten vorge-
bracht werden, handelt es sich um die uns allen nur allzu gut
bekannten Waffen, die bei einer Scheidung grundsätzlich ins
Feld geführt werden, weil bei Vorwürfen von Gewalt in der Ehe
und Kindesmißbrauch immer mit einer heftigen emotionalen
Reaktion zu rechnen ist. Man muß einfach Mitleid mit den
angeblichen Opfern haben. Doch das wirkliche Opfer in diesem
Saal ist Charlie Allemande, der nur ein guter Ehemann und Va-
ter sein wollte, und dem sein ehrliches Bemühen mit Ehebruch,
Lügen und dem Versuch, seinen guten Namen in den Schmutz
zu ziehen, vergolten wurde. Wenn Sie sich die Beweislage in
diesem Fall noch einmal vor Augen führen – besonders aber
Ms. Allemandes Zeugenaussage –, dann bin ich mir ganz sicher,
daß Ihnen die Wahrheit nicht verborgen bleiben wird. Ich danke
Ihnen.“
Laura Blake blieb vollkommen ruhig und beherrscht, wäh-
rend sie zurück an ihren Platz ging. Sie erlaubte sich nicht,
auch nur einen Funken des Triumphgefühls zu zeigen, das sie
gerade empfand. Die Geschworenen fraßen ihr aus der Hand.
Wen interessierte es schon, daß Allemande schuldiger kaum
hätte sein können? Er hatte sein Geld in die beste Anwältin
investiert, und sie hatte gerade einen Freispruch von den Vor-
würfen gegen ihn erwirkt, durch den er bei dem bevorstehenden
Scheidungsverfahren einigen Druck auf seine Noch-Ehefrau
würde ausüben können.
Manipulation beschreibt die Fähigkeit Ihres Charakters,
sich so auszudrücken, daß er dadurch Einfluß auf die Ge-
fühle und Ansichten anderer ausüben kann. Während Cha-
risma ein eher passiv wirkendes Attribut ist, das nur angibt,
wie ein Charakter von anderen grundsätzlich wahrgenom-
men wird, ist Manipulation ein aktives Attribut. Durch
Manipulation könnte man zum Beispiel einen Standpunkt
durchsetzen, den richtigen Wortlaut für eine Rede finden
oder die genau zu einem Thema passende künstlerische
Komposition kreieren. Manipulation kann auch dazu ein-
gesetzt werden, um direkt auf die Meinung einer anderen
Person einzuwirken, indem man Wortgewandtheit, Schau-
spielerei oder ähnliche Tricks anwendet.
Manipulation kann gefährlich sein, denn die wenigsten
Leute mögen es, manipuliert zu werden. Ein Scheitern bei
einem Wurf auf Manipulation kann dazu führen, daß einem
Charakter die kalte Schulter gezeigt oder er barsch zu-
rückgewiesen wird. Ein Patzer könnte ihm sogar die ewige
166
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Feindschaft seines Opfers einbringen. Natürlich lassen gute
Manipulatoren andere Leute nur höchst selten bemerken,
daß sie gerade manipuliert werden. Es scheint einfach nur
so, als würden alle Ansichten eines solchen Charakters
immer vernünftig und logisch klingen. Personen mit einem
hohen Wert in Manipulation genießen entweder sehr viel
Vertrauen (wenn ihr Hang zur Manipulation anderer nicht
sonderlich bekannt ist) oder überhaupt keines (wenn genau
das Gegenteil der Fall ist).
Spezialisierungen: Gewinnend, überzeugend, verführe-
risch, vernünftig
• Dürftig: Sie können Ihre Meinung nur selten
durchsetzen, es sei denn, jemand stimmt mit
Ihnen darin schon von vornherein überein.
•• Durchschnittlich: Hin und wieder gehen Sie
als Sieger aus Streitgesprächen hervor, und gele-
gentlich können Sie Ihre Freunde dazu bringen,
Ihnen einen Gefallen zu tun.
••• Gut: Die meiste Zeit können Sie sich am Ende
durchsetzen.
•••• Außergewöhnlich: Andere Leute tun Ihnen
große Gefallen und bedanken sich anschließend
bei Ihnen für das Privileg, Ihnen geholfen haben
zu dürfen.
••••• Herausragend: „Ich muß nur noch hier mit mei-
nem eigenen Blut unterschreiben, richtig?“
ERSCHEINUNGSBILD
Tulley sah zu, wie die Rausschmeißer noch mehr schmollende
Kids vom Eingang des Clubs verscheuchten. Das Inferno war
schließlich keine Mall, in der sie herumlungern konnten, und
das mußte ihnen in aller Deutlichkeit klargemacht werden. Das
Inferno war der heißeste und angesagteste Club der ganzen
Stadt, und daher konnte Tulley es sich leisten, wählerisch zu
sein, was die Gäste anging.
Dann trat sie nach vorne und sie teilte die Menge vor sich,
wie Moses das Rote Meer geteilt haben mußte. Tulley warf
einen Blick auf ihr rotes, knallenges Kleid, das an genau den
richtigen Stellen makellose Haut zeigte. Er sah ihre rubinroten
Lippen und ihr nachtschwarzes Haar, und dann ihm fiel ihm die
Kinnlade herunter.
„Du!“ keuchte er. Die Schönheit hob eine Augenbraue und
schenkte Tulley ein Lächeln, das sein Herz für einen Schlag
aussetzen ließ. Sie machte einen Schritt auf ihn zu, nahm sei-
ne dargebotene Hand entgegen und ließ sich von ihm aus der
Menge der auf Einlaß wartenden Kids in den Club führen. Es
war bei weitem nicht das erste Mal, daß sie dem Inferno einen
Besuch abstattete, doch in dieser Gestalt war sie zuvor noch nie
aufgetaucht. Bis jetzt war sie ein voller Erfolg.
Erscheinungsbild ist ein Maß für die Schönheit, den
Anmut, den Stil und die allgemeine Attraktivität Ihres
Charakters. Es drückt mehr aus, als nur Äußerlichkeiten,
obwohl diese sicherlich einen Großteil dieses Attributs
ausmachen. Erscheinungsbild verrät auch etwas über die
Körperhaltung eines Charakters und welchen Ersteindruck
er bei anderen hinterläßt. Während Charisma als Maß
dafür steht, wie sympathisch ein Charakter ist, dreht sich
Erscheinungsbild darum, welchen Eindruck er auf andere
macht, ohne auch nur ein einziges Wort dabei sagen zu
KAPITEL SECHS
müssen. Erscheinungsbild gibt an, wie Personen, die dem
Charakter noch nie begegnet sind, auf ihn reagieren, wenn
sie sein Gesicht in der Menge oder auf einem Foto sehen
(oder irgendeine andere Abbildung eines Charakters zum
ersten Mal zu Gesicht bekommen).
Erscheinungsbild wird bei allen Situationen angewendet,
in denen es darum geht, andere durch sein Äußeres zu be-
eindrucken – wobei dies sowohl für Ersteindrücke als auch
für bleibendere Eindrücke und ganz besonders in solchen
Situationen gelten kann, in denen Aussehen und Taten
mehr sagen als Worte. Der Maximalwert für die beiden
anderen gesellschaftlichen Attribute ist in Situationen, in
denen der Ersteindruck oder das Aussehen ausschlagge-
bend sind, auf den Wert in Erscheinungsbild begrenzt. Es ist
schwer für einen Charakter, sympathisch oder überzeugend
zu wirken, wenn sich andere Personen erst gar nicht mit
ihm unterhalten wollen, weil sie sich durch sein Äußeres
abgeschreckt fühlen.
Spezialisierungen: Anmutig, attraktiv, makellos, unschul-
dig, verführerisch
• Dürftig: Sie sind nahezu vollkommen unattrak-
tiv. Das mag an Ihrem Äußeren, Ihren Ange-
wohnheiten, Ihrer Einstellung oder an allem
zusammen liegen.
•• Durchschnittlich: Sie stechen nicht gerade aus
der Masse heraus (was manchmal von Vorteil
sein kann).
••• Gut: Sie werden oft von Fremden angesprochen,
die Sie gerne kennenlernen möchten.
•••• Außergewöhnlich: Sie könnten ein Model sein,
was Ihnen andere Leute immer wieder bestäti-
gen.
••••• Herausragend: Sie sehen wirklich atemberau-
bend gut aus. Die erste Reaktion auf Sie ist ent-
weder ungläubiges Staunen oder heftige Eifer-
sucht.
GEISTIGE ATTRIBUTE
Die geistigen Attribute definieren solche Qualitäten wie
logisches Denken, Erinnerungsvermögen, Auffassungsgabe,
Sinnesschärfe und Reaktionsvermögen. Bei ihnen handelt
es sich um die primären Attribute eines jeden Charakters,
der hauptsächlich auf geistige Aktivitäten ausgerichtet ist
(wie etwa ein Gelehrter) oder seine Gegner lieber mit sei-
nem scharfen Verstand bezwingt, als sie durch Einsatz roher
Kraft oder mit seinem Charme auszuschalten.
WAHRNEHMUNG
„Hey, Herr Kommissar! Was halten Sie denn von dem
hier?“
Kommissar Gerhard Liebner ging neben der mit einer Pla-
stikplane abgedeckten Leiche in die Knie und warf einen Blick
auf das, was der Schutzpolizist mit den Gummihandschuhen in
spitzen Fingern hielt und dabei ein Gesicht machte, als hätte er
Angst davor, die Beweisstücke könnten ihn jeden Moment ins
Gesicht beißen. Es handelte sich um einige Bögen brüchigen
Pergaments, auf die Schriftzeichen und Symbole geschrieben
worden waren. Offenbar war dazu Blut verwendet worden –
möglicherweise sogar das Blut des Opfers. Liebner, oder viel
eher Ahrimal, erkannte, daß es enochäische Schriftzeichen wa-
ren. Jemand hatte versucht, ihm eine Nachricht zu hinterlassen.
Soviel war sicher.
„Tüten Sie es ein und beschriften Sie’s“, sagte er schroff. Jetzt
wußte er wenigstens, wo er mit der Suche beginnen mußte.
Wahrnehmung ist ein Maß dafür, wie bewußt sich ein
Charakter seiner Umgebung ist und wie gut er dazu in
der Lage ist, kleinste Details und feinste Abstufungen zu
erkennen. Bei Wahrnehmung handelt es sich oft um einen
intuitiven und unbewußten Vorgang, aber ein Charakter
kann sich auch ganz auf seine Wahrnehmung konzentrie-
ren, wenn er eine Sache besonders eingehend mustern oder
einen Ort besonders gründlich in Augenschein nehmen
möchte. Wahrnehmung beeinflußt auch, wieviel Aufmerk-
samkeit ein Charakter seiner unmittelbaren Umgebung
überhaupt widmen kann. Ein zerstreuter Intellektueller
kann zwar sehr intelligent, aber zugleich auch nicht ge-
rade besonders aufmerksam sein. Und ebenso kann ein
geistreicher Mensch viele Dinge übersehen, weil er seiner
Umgebung gegenüber aus irgendwelchen Gründen zu sehr
abgestumpft ist.
Wahrnehmung wird bei den meisten Würfen eingesetzt,
in denen die Sinne eines Charakters eine besondere Rolle
spielen. Hierzu gehören zum Beispiel das Bemerken von
Details, das Entdecken von Fallen und Hinterhalten, das
Wahrnehmen subtiler Hinweise oder Anspielungen sowie
das Aufspüren verborgener Dinge oder anderer Charaktere,
die sich zu verstecken versuchen.
Spezialisierungen: Wachsam, Einsichtig, Einfühlsam,
Scharfsinnig
• Dürftig: Sie bekommen rein gar nichts mit und
sagen häufig „Hä?“. Womöglich sind Sie zu ge-
dankenverloren oder anderweitig abgelenkt.
•• Durchschnittlich: Mit Ausnahme der feineren
Untertöne kriegen Sie eigentlich alles mit, was
um Sie herum vorgeht.
••• Gut: Ihnen fallen selbst jene kleinen Details auf,
die anderen oft entgehen.
•••• Außergewöhnlich: Ihrer Aufmerksamkeit ent-
geht nur höchst wenig.
••••• Herausragend: Mit Ihrer Beobachtungsgabe
würden Sie einen hervorragenden Detektiv
(oder Spion) abgeben.
INTELLIGENZ
„Kannst du es reparieren, Sam?“
Sam Ashbury sah vom bloßliegenden Innenleben der Maschi-
ne auf und kratzte sich am graugesprenkelten Stoppelbart.
„Klar doch. Nichts leichter als das. Natürlich kann ich es
wieder zum Laufen bringen, wahrscheinlich läuft es sogar besser
als vorher. Ich kann alles, was hier rumliegt, wieder reparieren.
Mit Ausnahme von dem Zeug, das so richtig hinüber ist. Es ist
leicht, Maschinen zu reparieren. Bei Menschen ist das schon
schwerer.“
Intelligenz ist ein Maß für Denkvermögen und Wissens-
stand eines Charakters. Dieser Wert sagt aus, wie gut das
Gedächtnis eines Charakters ist, wie effektiv seine Pro-
blemlösungsstrategien sind und wie weit seine analytischen
Fähigkeiten entwickelt sind. Er beinhaltet auch in gewis-
167

sem Maß Dinge wie kritisches Denken, Kreativität und
Aufnahmebereitschaft für neue Informationen.
Intelligenz kommt bei vielen Fähigkeiten zum Einsatz, die
man bei einer Ausbildung oder einem Studium erworben
hat, insbesondere aber bei denen, die ein großes Wissen
voraussetzen. Sie wird auch bei sämtlichen intellektuellen
Herausforderungen benutzt. Hierzu zählen zum Beispiel
das Lösen eines Rätsels, das Zusammenfügen von Hinwei-
sen auf ein bestimmtes Mysterium oder das Durchführen
schwieriger mathematischer Aufgaben im Kopf. Intelli-
genten Charakteren fällt es nicht notwendigerweise leich-
ter, mit anderen Personen umzugehen (dies wird von den
gesellschaftlichen Attributen abgedeckt) und sie verfügen
auch nicht zwingend über eine raschere Auffassungsgabe
(was in den Bereich des Attributs Geistesschärfe fällt).
Ein niedriger Wert in Intelligenz bedeutet aber auch
nicht zwangsläufig, daß ein Charakter regelrecht dumm
ist. Ein solcher Wert kann auch auf einen Charakter zu-
treffen, der entweder nur wenig Bildung genossen hat oder
in sehr einfachen Bahnen denkt. Ein hoher Wert in In-
telligenz wiederum bedeutet nicht bei allen Charakteren
unbedingt das gleiche. So könnte er bei einem Charakter
beispielsweise für erstaunliche Gedächtnisleistungen ste-
hen, während er einen anderen als brillanten analytischen
Denker ausweist.
Spezialisierungen: Analytisch, Bücherwurm, gutes Ge-
dächtnis, kreativ
• Dürftig: Sie sind ein bißchen langsam oder viel-
leicht auch nur nicht allzu gebildet.
•• Durchschnittlich: Sie sind zwar kein Dumm-
kopf, aber auch nicht unbedingt ein Genie.
••• Gut: Sie sind ziemlich intelligent und besitzen
••••
wahrscheinlich auch noch eine gute Bildung.
Außergewöhnlich: In Ihrem Fachbereich sind
Sie der Beste, und jeder weiß das auch.
••••• Herausragend: Sie sind brillant, ein wahres Ge-
nie.
GEISTESSCHÄRFE
Magdiel würde nicht ewig weiterrennen können. Jetzt, wo sie
sich eine Verschnaufpause verschafft hatte, wurde es Zeit, daß
sie sich um ihre Verfolger kümmerte. Das verlassene Treppen-
haus und der Spind voller Putzmittel boten zwar nicht unbedingt
viel Hilfsmittel, doch noch während sie eine Bestandsaufnahme
des Spinds machte, begann sich bereits ein Plan in ihrem Kopf
zu entwickeln. Sie las die Etiketten einiger Flaschen, um zu
sehen, ob sich ihr Einfall in die Tat umsetzen lassen würde. Es
hat doch seine Vorteile, wenn man weiß, welche Dinge alle den
Tod bringen können, dachte sie bei sich, als sie die einzelnen
Ingredienzien zusammenstellte, die sie brauchte.
Geistesschärfe beschreibt, wie schnell ein Charakter den-
ken kann. Sie deckt Eigenschaften wie Cleverneß, Listen-
reichtum, Reaktionsvermögen, intuitives (im Gegensatz
zu rationalem) Denken und derlei Qualitäten mehr ab.
Intelligenz zeigt zwar an, wie gründlich ein Charakter ei-
nen Gedanken zu Ende denken kann, aber Geistesschärfe
verrät, wie schnell er dazu überhaupt in der Lage ist. Ein
Charakter mit einem hohen Wert in Geistesschärfe kann
nur selten überrumpelt oder für längere Zeit überrascht
168
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
werden. Er ist in der Lage, augenblicklich auf eine verän-
derte Situation zu reagieren, während ein Charakter mit
einem niedrigen Wert die besten Ergebnisse erzielt, wenn
er lange und gründlich planen und alle Eventualitäten
durchdenken kann.
Geistesschärfe kommt bei Situationen zum Einsatz, in
denen ein Charakter schnell denken und reagieren muß.
Dieses Attribut hat auch einen Einfluß darauf, ob ein Cha-
rakter in einer hektischen Situation einen kühlen Kopf be-
wahren und selbst unter extremsten Bedingungen noch mit
traumwandlerischer Sicherheit agieren kann. Charaktere
mit einem hohen Wert in Geistesschärfe sind nur schwer
hinters Licht zu führen oder zu manipulieren, während
Charaktere mit niedrigen Werten in diesem Attribut leich-
te Beute bei derlei Unterfangen sind.
Spezialisierungen: Intuitiv, Schnelldenker, scharfer Ver-
stand, Strategiewechsel
• Dürftig: Sie sind oft zögerlich und haben
Schwierigkeiten damit, selbst die einfachsten
Entscheidungen zu treffen.
•• Durchschnittlich: Sie haben zwar eine ziem-
lich rasche Auffassungsgabe, aber echte Überra-
schungen treffen Sie dennoch unvorbereitet.
••• Gut: Sie behalten die Nerven, während alle
anderen um Sie herum den Kopf verlieren (was
möglicherweise wörtlich zu verstehen ist).
•••• Außergewöhnlich: Sie sind äußerst schlagfertig
und haben immer einen Plan parat.
••••• Hervorragend: Sie reagieren blitzgeschwind,
noch ehe die meisten Leute überhaupt realisiert
haben, was gerade vor sich geht.
FÄHIGKEITEN
Während jeder Charakter von Natur aus über Attribute
verfügt, sind Fähigkeiten ausschließlich erlernte Eigen-
schaften. Wo Attribute das ungeschliffene Potential eines
Charakters angeben, stehen Fähigkeiten dafür, wie er ge-
lernt hat, dieses Potential einzusetzen. Wenn man stark
ist, kann man wahrscheinlich einiges austeilen, aber die
Schläge zeigen noch viel mehr Wirkung, wenn man weiß,
wie und wo man einen Gegner treffen muß, um ihm den
größtmöglichen Schaden zuzufügen. Der Wert einer Fähig-
keit wird für gewöhnlich immer zum Wert eines Attributs
gezählt, um festzulegen, wie viele Würfel einem Charak-
ter für eine bestimmte Handlung zur Verfügung stehen
(dies spiegelt sozusagen die Kombination aus Potential und
Übung wider).
Jede Fähigkeit deckt üblicherweise ein breites Spektrum
an Befähigungen oder Wissen ab. Ein Spieler kann seinem
Charakter Spezialisierungen in allen Fähigkeiten zuweisen
(siehe Seite 163). So kann der Tatsache Rechnung getragen
werden, daß Charaktere oft bestimmte Teilbereiche einer
bestimmten Fähigkeit erlernen, anstatt sich nur ein allge-
meines Grundverständnis dieser Fähigkeit anzueignen.
TALENTE
Talente sind Fähigkeiten, die jeder Charakter zu einem
gewissen Grad besitzt. Sie sind jedem angeboren und kön-
KAPITEL SECHS
nen nur durch Erfahrung oder Übung verbessert werden.
Es ist äußerst schwierig, ein Talent zu fördern, indem man
nur Bücher darüber liest oder sonstige Studien darüber
betreibt. Man fördert Talente am besten dadurch, daß man
sie wieder und wieder anwendet. Charaktere mit hohen
Werten in ihren Talenten sind in deren Anwendung nor-
malerweise alles andere als unerfahren. Wenn ein Charak-
ter für eine Handlung ein Talent einsetzen will, das er nicht
besitzt, beeinflußt das den Wurf nicht. Die Anzahl der
Würfel entspricht dem Wert des Grundattributs. Talente
sind dermaßen natürliche und intuitive Fähigkeiten, daß
davon ausgegangen wird, daß jeder für jedes eine kleine
Grundveranlagung mitbringt.
AUFMERKSAMKEIT
„Wer ist da?“ fragte Ahrimal in die dunkle Leere des Zimmers.
„Du kannst rauskommen. Ich weiß, daß du da bist.“
Eine schattenhafte Gestalt löste sich aus einer der dunklen
Ecken des Zimmers, und Ahrimals Hand schloß sich langsam um
den Griff der Pistole, die er in seiner Manteltasche bei sich trug.
„Ich habe deine Nachricht erhalten“, sagte er. „Ich bin hier,
um dir meine Antwort zu überbringen.“
Aufmerksamkeit ist das Talent, ständig ein Auge darauf
zu haben, was um einen herum vor sich geht. Normaler-
weise wird es zusammen mit Wahrnehmung gewürfelt, weil
es dieses Attribut quasi ergänzt: Aufmerksamkeit erlaubt
es einem Charakter, zunächst einmal alles zu erfassen, was
sich um ihn herum abspielt, bevor mit Wahrnehmung die
interessanten Details dahinter entdeckt werden. Aufmerk-
samkeit unterscheidet sich von Magiegespür insofern, als
daß sich Aufmerksamkeit allein auf die stoffliche Welt be-
zieht, während Magiegespür auf die Welt des Übernatürli-
chen ausgerichtet ist.
• Neuling: Sie achten ein wenig mehr auf Ihre
Umgebung als die meisten anderen Menschen.
•• Geübt: Ihnen entgeht nicht viel.
••• Kompetent: Sie haben unter allen Umständen
zumindest eine ungefähre Vorstellung davon,
was zur Zeit um Sie herum vor sich geht.
•••• Experte: Sie werden durch so gut wie nichts auf
dem falschen Fuß erwischt.
••••• Meister: Sie sind sich allem bewußt, was um
Sie herum passiert. Selbst die Dinge, die den
meisten anderen Personen nie auffallen würden,
entgehen Ihnen nicht.
Zu finden bei: Ermittlern, Jägern, Leibwächtern, Polizeibe-
amten, Reportern, Sicherheitspersonal
Spezialisierungen: Gefahr, verborgene Gegenstände, Per-
sonen, ein bestimmter Sinn (Sehvermögen, Gehör, etc.)
AUSDRUCK
„Die Gebote schreiben uns genau vor, was wir alles nicht zu
tun haben. ‚Du sollst nicht’ dies tun und ‚Du sollst nicht’ das
tun. Ich aber sage: ‚Tu, was Du willst’, sei das ganze Gesetz,
denn nichts ist wahr und alles ist erlaubt.“ Gaviel dachte ei-
gentlich, daß diese Kombination aus Crowley und Hassan ein
wenig abgeschmackt war, aber anscheinend war es genau das
gewesen, was sein Publikum hatte hören wollen. Und es schien
die gewünschte Wirkung zu zeigen.
Worte besitzen große Macht, und Ausdruck deckt alles
ab, was den Gebrauch von Worten zur Darlegung eines
Standpunkts, zur Hervorrufung eines bestimmten Gefühls
oder zur Formulierung eines überzeugenden Arguments
angeht. Dieses Talent erstreckt sich über alle Formen des
Einsatzes von Sprache – von Poesie über Reden schreiben
bis hin zu kreativem Schreiben. Charaktere können dieses
Talent keineswegs nur bei geschriebener Sprache einsetzen:
Es kann ihnen ebensogut dazu dienen, im richtigen Mo-
ment aus dem Stegreif die passenden Worte zu finden, eine
ergreifende Rede zu halten oder einen erinnerungswürdi-
gen Toast auszusprechen. Wendet man dieses Talent richtig
an, kann man Ausdruck dazu verwenden, die Meinungen
und Einstellungen anderer zu verändern und sogar ein viel-
köpfiges Publikum ganz für sich zu gewinnen.
• Neuling: Sie haben ein grundlegendes Verständ-
nis für Satzstruktur und angemessene Wort-
wahl.
•• Geübt: Sie besitzen einen großen Wortschatz
und machen auch Gebrauch davon.
••• Kompetent: Sie wählen Ihre Worte stets mit Be-
dacht, um den größtmöglichen Effekt mit ihnen
erzielen zu können.
•••• Experte: Sie könnten ein Bestsellerautor oder
ein äußerst gefragter Redenschreiber sein.
••••• Meister: Sie können Werke schaffen, die Millio-
nen von Menschen zu Tränen rühren.
Zu finden bei: Dichtern, Politikern, Schauspielern, Schrift-
stellern, Wirtschaftsbossen
Spezialisierungen: Dramaturgie, Fachliteratur, Improvisa-
tion, Lyrik, Prosa, Reden, Spieldesign
AUSFLÜCHTE
„Du weißt, daß ich deine Meinung respektiere, Roger“, sagte
Laura und beugte sich ein wenig näher zu ihm herüber. „Je-
der tut das. Darum brauche ich auch deine Hilfe, um unsere
Partner davon zu überzeugen, diesen Fall zu übernehmen. Ich
weiß genau, daß er für uns die Chance auf einen ganz großen
Durchbruch darstellt.“
„Aber natürlich nur, wenn du ihn dann übernimmst, richtig?“
sagte Roger und lehnte sich in seinem Ledersessel zurück.
„Natürlich nicht“, entgegnete Laura. „Ein Juniorpartner al-
lein kann so einen Fall nicht gewinnen. Ich dachte eher daran,
daß wir als Team arbeiten. Und ich dachte auch daran, daß du
die ganze Anerkennung dafür kriegen solltest.“ Und die Schuld,
dachte Laura bei sich, als sie sah, daß Roger nach dem Köder
schnappen würde.
Ausflüchte sind die Kunst der Täuschung. Charakte-
re, die dieses Talent besitzen, wissen, wie sie ihre Gefühle
verbergen und ein vollkommen anderes Verhalten vor-
täuschen können. Sie bekommen auch häufig mit, wenn
andere etwas Ähnliches versuchen. Ausflüchte kommen
zum Einsatz, wenn ein Charakter eine überzeugende Lüge
erzählen oder seine Emotionen verbergen will – und wenn
er feststellen möchte, ob sein Gegenüber ebenso zu Un-
aufrichtigkeiten neigt wie er selbst. Dieses Talent wird am
häufigsten zur Manipulation anderer Personen genutzt,
doch Ausflüchte können auch dazu eingesetzt werden, um
zu verhindern, selbst manipuliert zu werden. Charaktere,
169

die ein Talent für Ausflüchte haben, haben oft mit Mani-
pulationsversuchen und Intrigen zu tun – auf die eine oder
die andere Art.
• Neuling: Sie kommen hin und wieder mit einer
dreisten Lüge durch.
•• Geübt: Sie haben ein ganz gutes Pokergesicht,
und Sie wissen, wie man blufft.
••• Kompetent: Sie können komplex verwobene
Lügengespinste überschauen und Ihre wahren
Gefühle gut verbergen.
•••• Experte: Sie sind in der Lage, einen großange-
legten Schwindel stilvoll durchzuziehen.
••••• Meister: Niemand würde Sie jemals verdächti-
gen. Jeder bringt ihnen sein vollstes Vertrauen
entgegen.
Zu finden bei: Anwälten, Betrügern, Gaunern, Politikern,
Schauspielern, Teenagern
Spezialisierungen: Betrügereien, Fehlleiten, Gefühle ver-
bergen, Lügen, Verführung
AUSWEICHEN
Es war eine nur kaum wahrnehmbare Bewegung gewesen,
begleitet vom allerleisesten Geräusch, doch sie reichte aus, damit
Laura sich hinter die Karosserie eines in der Tiefgarage gepark-
ten BMWs in Deckung warf. Im selben Augenblick schlug auch
schon die Kugel in die Seite des Wagens ein. Sie hielt sich ge-
duckt und lauschte den sich rasch entfernenden Schritten. Wer
auch immer auf sie geschossen hatte, wollte sich wohl nicht die
Mühe machen, sich zu vergewissern, ob er sie wirklich erwischt
hatte. Das war ein Fehler.
Der Selbsterhaltungstrieb ist einer der Urinstinkte, und
Ausweichen steht für diesen Instinkt in einer Ausprägung,
die darauf ausgerichtet ist, körperlichen Schaden zu ver-
meiden. Dies kann in Form von einem Sprung in sichere
Deckung, dem Abtauchen unter Schlägen oder exzellenter
Beinarbeit erreicht werden.
• Neuling: Sie handeln meist aus reinem Reflex
heraus.
•• Geübt: Sie haben ein entsprechendes Training
genossen (oder genug Treffer eingesteckt), um
für gewöhnlich zu wissen, wann Sie in Deckung
gehen müssen.
••• Kompetent: Sie können vielen Angriffen mit
Eleganz und Leichtigkeit ausweichen.
•••• Experte: Ihre schnellen Reflexe haben Ihnen
schon oft das Leben gerettet.
••••• Meister: Willkommen in der Matrix. Sie können
Kugeln und Schlägen spielend ausweichen.
Zu finden bei: Kampfsportlern, Kriminellen, Polizisten,
Soldaten, Überlebenskünstlern
Spezialisierungen: Abrollen, Beinarbeit, Ducken, in Dek-
kung gehen, zu Boden werfen
EINSCHÜCHTERN
„Ich sage dir das nur dieses eine Mal“, sagte Hasmed und
starrte sein Gegenüber dabei aus einem unverletzten und einem
lädierten Auge an, das beinahe komplett zugeschwollen war
und durch das rotschwarze Wölkchen halbgeronnenen Bluts
trieben. „Wenn du noch einmal versuchen solltest, dich mit mir
170
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
anzulegen, werde ich dafür sorgen, daß du für den Rest deines
erbärmlichen Lebens dein Essen durch einen Strohhalm schlür-
fen kannst. Kapiert?“
Furcht ist eine mächtige Waffe, und sie bietet einem Cha-
rakter viele ausgezeichnete Möglichkeiten, andere seinem
Willen zu unterwerfen. Das Talent Einschüchtern deckt die
unzähligen Methoden ab, mit denen man jemanden durch
das Einjagen von Angst oder eine übermächtige persönli-
che Ausstrahlung dazu bringen kann, etwas ganz Bestimm-
tes zu tun. Manche dieser Methoden können sehr simpel
und direkt ausfallen: Man droht einfach mit körperlicher
Gewalt (und unterstreicht die Drohung durch eine Zur-
schaustellung der eigenen Macht). Andere sind um einiges
unterschwelliger und subtiler: Das Tragen einer teuren und
akkurat gebundenen Krawatte sowie eine bestimmte Sitz-
ordnung im Konferenzsaal können einem Untergebenen
unmißverständlich klarmachen, daß er seinem Gegenüber
hoffnungslos unterlegen ist. Einschüchtern kann unter an-
derem eingesetzt werden, um andere zur Kooperation zu
bewegen (durchaus auch wider besseres Wissen), sie bei
einer Meinungsverschiedenheit frühzeitig ihren eigenen
Standpunkt aufgeben zu lassen oder sie dazu zu verleiten,
wichtige Informationen preiszugeben.
• Neuling: Sie wissen, wie Sie andere dazu brin-
gen können, Ihnen nachzugeben, wenn Sie nur
genügend Druck auf ihre Opfer ausüben.
•• Geübt: Es gelingt Ihnen spielend, die meisten
Leute niederzustarren.
••• Kompetent: Sie können Kämpfe nur durch ei-
nen Blick oder ein Wort von Ihnen beenden,
noch ehe sie überhaupt richtig begonnen ha-
ben.
•••• Experte: Man richtet sich nach Ihren Forderun-
gen, ohne überhaupt zu versuchen, gegen Sie
anzugehen.
••••• Meister: Durch einen kurzen Seitenblick kön-
nen Sie andere dazu bringen, sich vor Angst in
die Hosen zu machen.
Zu finden bei: Gangstern, Kultführern, Rausschmeißern,
Schlägern, Vorstandsvorsitzenden
Spezialisierungen: Ängstigen, Bluffen, Drohgebärden,
Niederstarren, verschleierte Drohungen
EMPATHIE
„Heutzutage ist es einfach viel zu schwer, Leute kennenzu-
lernen“, sagte der Typ und kippte den mittlerweile dritten Drink
hinunter. Seine Gesichtszüge waren zunehmend entgleist, und
die Verzweiflung, die sich hinter ihnen verbarg, war immer of-
fensichtlicher geworden.
„Ich weiß genau, was Sie meinen“, antwortete Sabriel. „Nor-
malerweise gehe ich ja auch nicht in Bars.“ Sie war der Typ
Frau, nach dem er gesucht hatte – ein wenig verunsichert, weil
sie sich in dieser Umgebung nicht wohlfühlte, aber dennoch von
ihm und seiner Welt ein bißchen fasziniert. „Warum verschwin-
den wir nicht von hier?“ fuhr sie fort. „Ich würde mir wirklich
gern diese Comicsammlung ansehen, von der Sie mir erzählt
haben.“
Er lächelte sie an, als wäre sie ein Geschenk des Himmels.
Wenn er nur wüßte.
KAPITEL SECHS
Empathie ist das Talent, die Stimmungen und Emotionen
anderer Leute zu deuten. Für einige besonders empathische
Personen ist es lediglich eine Frage der Körpersprache und
anderer nonverbaler Zeichen; für andere wiederum ist es
ein fast schon übersinnliches Gespür für die Gefühle ihrer
Mitmenschen. Empathie umfaßt auch ein Verständnis für
die Gefühle anderer unabhängig davon, ob man tatsächlich
mit ihnen mitfühlt oder nicht. Es ist immer nützlich zu
wissen, ob jemand ein Gefühl nur vortäuscht, seine wahren
Gefühle zu verbergen versucht oder schlicht und ergreifend
lügt – obwohl man selbst unter optimalen Umständen mit
Empathie nicht immer vollkommen zuverlässige Ergebnisse
erzielen kann. Je mehr Zeit Ihr Charakter mit jemandem
verbringt und je besser er ihn kennt, desto leichter fällt
es ihm, ein Gespür dafür zu entwickeln, was diese Person
gerade empfindet.
• Neuling: Manchmal können Sie nonverbale Si-
gnale oder „Schwingungen“ von anderen Leuten
aufschnappen.
•• Geübt: Sie sind ein guter Zuhörer und recht
geschickt darin, andere Leute dazu zu bringen,
sich Ihnen zu öffnen.
••• Kompetent: Es ist schwer, etwas vor Ihnen ge-
heimzuhalten – früher oder später finden Sie es
sowieso heraus.
•••• Experte: Niemand will noch Poker mit Ihnen
spielen – Sie sind einfach zu gut darin, die Mi-
mik Ihrer Mitspieler zu deuten.
••••• Meister: Menschen sind wie ein offenes Buch
für Sie, in dem ihre wahren Gefühle in allen
Nuancen und Feinheiten niedergeschrieben ste-
hen.
Zu finden bei: Eltern, Ermittlern, Therapeuten, Seelsor-
gern, Sozialarbeitern
Spezialisierungen: Emotionen, Geistesstörungen, Lügen,
Motive, Persönlichkeiten
FÜHRUNGSQUALITÄTEN
„Seid ihr etwa daran gebunden, was euch ein zweitausend
Jahre altes Buch vorschreibt? Seid ihr Sklaven einer Gesell-
schaft, die von euch erwartet, daß ihr genau das gleiche Le-
ben führt wie eure Eltern?“ Mehrere Leute im Publikum riefen
„Nein!“, doch es klang noch zu zögerlich und zu unsicher. „Oder
seid ihr es vielleicht doch?“ setzte er mit drängender Stimme
nach. „Nein!“ kam die sofortige Antwort, und diesmal war sie
lauter und erklang aus weitaus mehr Kehlen. „Seid ihr bereit,
alles zu tun, was getan werden muß, um frei zu sein?“
„Ja!“ jubelten seine Zuhörer begeistert. Innerlich frohlockte
Gaviel. Jetzt hatte er sie im Sack. Er würde es ihnen beweisen.
Er würde sie in die Freiheit führen.
Es bedarf schon eines bestimmten Talents, um eine Gruppe
von Personen zusammen und auf ein bestimmtes Ziel ausge-
richtet zu halten, und dieses Talent heißt Führungsqualitä-
ten. Dieses Talent bezieht sich sowohl auf die Fähigkeit eines
Charakters, Menschen zusammenzubringen und zu führen,
als auch auf seine Qualitäten, die andere dazu bringen, ihn
als Anführer zu akzeptieren und sogar zu ihm aufzusehen.
Führungsqualitäten sind nicht unbedingt ein Garant dafür,
daß ein Charakter gut im Lösen von Problemen ist, doch
sie ermöglichen es ihm, andere so zu organisieren, daß sie
Probleme optimal angehen. Ein hoher Wert in Führungs-
qualitäten bedeutet auch nicht, daß ein Charakter immer
die richtigen Entscheidungen trifft, sondern nur, daß andere
bereit sind, ihm nachzufolgen, sobald er eine Entscheidung
getroffen hat. Schließlich waren es ja auch Luzifers Füh-
rungsqualitäten, die die Gefallenen in die Rebellion trieben,
und wohin das führte, ist hinlänglich bekannt.
• Neuling: Sie können eine Gruppe aus Freun-
den oder Partnern zusammenbringen, um eine
bestimmte Aufgabe zu lösen.
•• Geübt: Die Leute neigen dazu, Sie um Rat und
Führung zu bitten.
••• Kompetent: Sie übernehmen in so gut wie jeder
Situation die Führungsrolle und bringen sogar
Fremde dazu, innerhalb kürzester Zeit zusam-
menzuarbeiten.
•••• Experte: Ihre Gefolgsleute lieben und bewun-
dern Sie, und Sie wissen genau, wie man sie mo-
tiviert.
••••• Meister: Sie könnten erfolgreich eine Nation
regieren oder einen multinationalen Konzern
leiten.
Zu finden bei: Demagogen, Managern, Offizieren, Politi-
kern, Regisseuren
Spezialisierungen: Anleiten, Delegieren, Inspirieren, Or-
ganisieren, Reden halten
HANDGEMENGE
Alejandros rechter Haken ließ den Bandenchef eine Pirouette
drehen, bevor er ihn mit einem dumpfen Schlag auf die Bretter
schickte. Alejandro richtete sich auf und wischte sich mit den
aufgeschürften Knöcheln das Blut von der aufgeplatzten Ober-
lippe.
„Sonst noch jemand?“ fragte er und grinste wild in die Runde.
Es gab niemanden mehr, der auf sein Angebot eingehen wollte.
Handgemenge deckt das Geschick eines Charakters im
waffenlosen Kampf ab – vom brutalen Straßenkampf bis
hin zur „hohen Kunst“ des Boxens. Für die Gefallenen, die
ja ihre Gestalt wandeln können, schließt dieses Talent auch
den Kampf mit Zähnen und Klauen (und jeder anderen
Form von Körperteil) ein. Handgemenge beinhaltet das
Wissen, wie und wo man treffen muß, um den größten
Schaden anzurichten, und darüber hinaus auch, wie man
sich am besten verteidigt. Ein Charakter kann diese Fä-
higkeit durch Übung, schmerzhafte Erfahrungen aus erster
Hand oder eine Kombination aus diesen beiden Möglich-
keiten erlernt haben. Zusätzlich sind Charaktere mit einem
hohen Wert in Handgemenge meist mit mehreren Varian-
ten und Stilrichtungen des waffenlosen Kampfes vertraut.
• Neuling: Sie wissen, wie man einen Treffer
landet, ohne sich selbst dabei zu verletzen, und
welche Körperzonen am empfindlichsten und
verwundbarsten sind.
•• Geübt: Sie können sich bei einem Kampf gegen
die meisten Leute behaupten.
••• Kompetent: Sie nehmen nun schon eine ganze
Weile regelmäßig an Kämpfen teil (und gewin-
nen für gewöhnlich).
171

•••• Experte: Sie könnten ein Profikämpfer werden
und sogar einen Titel gewinnen.
••••• Meister: Willkommen im Fight Club. Sie sind
Tyler Durden.
Zu finden bei: Boxern, Gangmitgliedern, Kampfsportlern,
Polizisten, Soldaten
Spezialisierungen: Boxen, Catchen, eine bestimmte asiati-
sche Kampfsportart, Selbstverteidigung, Straßenkampf
INTUITION
„Sephidor!“ Der Übeltäter achtete nicht auf den schrillen
Schrei und studierte die Verdrahtung der aus einfachen Teilen
zusammengebastelten Bombe genauer. Es war die Arbeit eines
Amateurs, die offensichtlich in großer Eile zusammengesetzt
worden war. Daher rührte wohl auch das Chaos in ihrem In-
nenleben. Er mußte den Zünder auf die richtige Art und Weise
entschärfen, denn ansonsten würde man die Überreste von
Sam Ashbury mit dem Spachtel von der Wand kratzen müssen.
Unglücklicherweise blieben ihm nur noch knapp zehn Sekun-
den, um sich etwas einfallen zu lassen. Er griff nach einem der
Drähte und setzte die Kneifzange an. Alles oder nichts, dachte
er bei sich.
Einige bezeichnen Intuition als ein komisches „Kribbeln
im Bauch“, andere als unterbewußt ablaufendes logisches
Denken. Dieses Talent steht für die Fähigkeit, in einer
bestimmten Situation schnell die richtige Schlußfolgerung
zu ziehen, ohne tatsächlich darüber nachzudenken – reine
Intuition eben. Intuition ist die Begabung, in vielen Fällen
die vorteilhaftere Wahl zu treffen, wenn man sich zwischen
zwei (oder mehr) Möglichkeiten entscheiden muß. Sie
steht für dieses komische Gefühl, das einem dabei hilft, zur
richtigen Zeit die richtige Entscheidung zu fällen. Im Spiel
erlaubt dieses Talent es dem Spieler, de facto einen Wür-
felwurf entscheiden zu lassen, wenn sein Charakter zum
Beispiel vor der Entscheidung steht, ob er den roten, den
grünen oder den blauen Draht kappen soll, während der
Zeitzünder weiter in Richtung Null herunterzählt, oder ob
er die richtige Abzweigung wählt, um aus einem Labyrinth
zu entkommen, während ihm die Häscher schon dicht auf
den Fersen sind. Spieler können ihren Erzähler immer dann
um einen Wurf auf Intuition bitten, wenn sie selbst an einer
Stelle nicht mehr weiterwissen oder sich binnen kürzester
Zeit zu einer Entscheidung durchringen müssen. Erzähler
können ihrerseits für die Charaktere Intuition würfeln,
wenn sie den Spielern wichtige Hinweise geben oder die
Geschichte wieder in Fahrt bringen wollen.
• Neuling: Sie treffen häufiger die richtige Wahl.
•• Geübt: Sie haben gelernt, auf Ihren Instinkt zu
hören und ihm zu vertrauen.
••• Kompetent: Wenn Sie ein „ungutes Gefühl“
bei einer Sache haben, werden Sie von jedem
ernstgenommen.
•••• Experte: Sie könnten durch Spekulationen an
der Börse steinreich werden.
••••• Meister: Sie haben es immer geschafft, in letzter
Sekunde die richtige Wahl zu treffen ... bis jetzt
jedenfalls.
Zu finden bei: Draufgängern, Müttern, Spielern, Unter-
nehmern
172
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Spezialisierungen: Gefahr, Geistesblitze, Glück, Glücks-
spiel, Inspiration
MAGIEGESPÜR
Gideons Augen verengten sich zu Schlitzen, als er die überna-
türliche Hitze spürte, die die Frau in dem roten Kleid ausstrahl-
te. Ihre Schönheit war mehr als menschlich. Sie war von der
Sorte, die Märtyrer verführen und Königreiche stürzen lassen
konnte – die Sorte, die Gideon nur allzu gut kannte. Als sich die
Frau zu ihm umdrehte, konnte er sehen, daß sie ihrerseits einen
gewissen Verdacht hegte, um was es sich bei ihm handelte.
„Wer bist du?“ fragte er leise. „Und was willst du hier?“
Ähnlich wie Aufmerksamkeit ein Maß dafür ist, wie sehr
ein Charakter sich in der Regel der Vorgänge in der stoff-
lichen Welt um ihn herum bewußt ist, ist Magiegespür
das Maß für die Fähigkeit des Charakters, die Vorgänge in
der Welt des Übernatürlichen wahrzunehmen. Es ist eine
Art „sechster Sinn“ – die Fähigkeit, hinter die alltägliche
Fassade der Welt der Dunkelheit zu schauen, um zu erken-
nen, was sich hinter dieser Maske verbirgt. Normalerweise
besitzen nur übernatürliche Wesen – wie etwa Gefallene,
Magi, Geister und dergleichen – Magiegespür, doch es gibt
in höchst seltenen Fällen auch Sterbliche, die gleicherma-
ßen über dieses Talent verfügen.
Charaktere mit Magiegespür können Hinweise, Ahnun-
gen und Geistesblitze in bezug auf das Übernatürliche er-
halten (wieviel Einblick sie gewinnen, hängt von ihrem
Wert in Magiegespür und der Anzahl der beim Würfelwurf
erzielten Erfolge ab). Zum Beispiel kann ein Charakter
mit diesem Talent ein übernatürliches Wesen wie einen
Vampir oder einen anderen Dämon in einer größeren
Menschenmenge erkennen oder die Anwendung überna-
türlicher Kräfte spüren. Magiegespür kann nur ungefähre
Informationen liefern, denn wie sein Name schon sagt ist es
lediglich ein Gespür für das Übernatürliche. Ihr Charakter
braucht weiterführendes Wissen (in Form der Kenntnis
Okkultismus), um zu verstehen, um was es sich bei dem,
was er spürt, tatsächlich handelt.
Mit Hilfe von Magiegespür können Charaktere ihre un-
mittelbare Umgebung nach Übernatürlichem „abtasten“.
Der Erzähler kann außerdem verdeckte Würfe auf Magie-
gespür durchführen, um festzustellen, ob ein Charakter die
Präsenz oder Nähe einer unbekannten, übernatürlichen
Macht spüren kann.
• Neuling: Sie können manchmal von einigen
Leuten oder Orten eigenartige Schwingungen
auffangen.
•• Geübt: Sie erkennen das Übernatürliche, wenn
Sie es sehen oder sich ihm dicht genähert ha-
ben.
••• Kompetent: Sie können den Fluß verborgener
Kräfte in der Welt spüren und hinter den Schlei-
er des alltäglichen Lebens blicken.
•••• Experte: Sie können selbst die schwächsten über-
natürlichen Kräfte um Sie herum wahrnehmen.
••••• Meister: Sie können jeden übernatürlichen
Einfluß in Ihrer Nähe spüren, und manchmal
gelingt es Ihnen sogar, weiter entfernte Kräfte
wahrzunehmen, wenn diese stark genug sind.
KAPITEL SECHS
Zu finden bei: Gefallenen, Geistern, Magi, Medien, New-
Age-Jüngern
Spezialisierungen: Dämonen, Geister, Magie, Orte der
Macht, übernatürliche Effekte, Vampire
SPORTLICHKEIT
Beinahe hätte sie es nicht geschafft und ihr wäre um ein Haar
der Schwung ausgegangen, noch bevor sie die volle Entfernung
überbrückt hatte. Als ihr Körper gegen den Sims prallte, griff
Magdiel danach, hielt sich an ihm fest, zog sich schnell auf das
Dach hinauf und rollte sich anschließend auf den Rücken, um
ein wenig nach Luft zu schnappen, bevor sie wieder aufstand.
Bin mal gespannt, ob sie das auch schaffen, dachte sie.
Sportlichkeit umfaßt alle grundlegenden sportlichen Ak-
tivitäten wie etwa Laufen, Springen, Schwimmen, Werfen
und Balancieren sowie die unterschiedlichsten Sportarten.
Gewichtheben (das sich ausschließlich auf Körperkraft
stützt) oder sportliche Aktivitäten, die von einer anderen
Fähigkeit abgedeckt werden (wie zum Beispiel Ausweichen
oder Handgemenge) sind davon allerdings ausgeschlossen.
• Neuling: Sie beherrschen die Grundtechnik.
•• Geübt: Sie könnten Sportler in einer Schul-
mannschaft sein.
••• Kompetent: Sie könnten Profisportler sein.
•••• Experte: In der von Ihnen gewählten Sportart
sind Sie einer der Besten.
••••• Meister: Sie könnten bei der Olympiade mitma-
chen und Gold gewinnen.
Zu finden bei: Gesundheitsfanatikern, Hobbysportlern,
Jugendlichen, Leistungssportlern, Soldaten
Spezialisierungen: Akrobatik, eine spezielle Sportart, Klet-
tern, Laufen, Schwimmen, Springen, Tanzen, Werfen
SZENEKENNTNIS
Kommissar Liebner bezahlte für seine Zeitung und nahm
einen Schluck von seinem Kaffee, der in seinem Plastikbecher
schon jetzt dabei war, wieder kalt zu werden. Er schielte zu dem
Mann hinüber, der direkt neben ihm stand und gerade einige
Tittenhefte kaufte.
„Es geht heute nacht über die Bühne“, sagte der Mann, ohne
auch nur einen kurzen Blick in Liebners Richtung zu werfen.
„Gegen Mitternacht. Aber das haben Sie nicht von mir gehört.“
Die einzige Bestätigung des Kommissars war ein leichtes Nik-
ken, als der Mann sich umdrehte und davonging.
Die Straßen haben eine ganz eigene Kultur – eine Kultur,
in der Charaktere mit Szenekenntnis wohlbewandert sind.
Dieses Talent erlaubt es einem Charakter, sich nahtlos in
diese Szene einzufügen, um Informationen zu sammeln,
Kontakte zu knüpfen, auf dem Schwarzmarkt zu handeln
und die einzigartigen Ressourcen der Straße anderweitig
zu nutzen. Szenekenntnis ist außerdem wichtig, um den
Gefahren der Straße auszuweichen, dem Gesetz aus dem
Weg zu gehen und sich nicht mit den falschen Leuten an-
zulegen.
• Neuling: Man kennt Sie, und manchmal be-
kommen Sie auch, wonach Sie suchen.
•• Geübt: Sie haben einen gewissen Ruf und besit-
zen ein paar Kontakte.
••• Kompetent: Sie kennen die richtigen Leute,
und man bringt Ihnen Respekt entgegen.
•••• Experte: Sie sind ein fester Bestandteil der Sze-
ne, ein echter Insider.
••••• Meister: Sie haben Kenntnis von allem, was auf
der Straße passiert –manchmal sogar, bevor es
passiert.
Zu finden bei: der Sittenpolizei, Detektiven, Gangstern,
kleinen Fischen, Obdachlosen
Spezialisierungen: Drogenszene, Gangs, Gerüchteküche,
Rotlichtmilieu, Schwarzmarkt, Verbindungen
FERTIGKEITEN
Fertigkeiten sind alle Fähigkeiten, die man durch Aus-
bildung oder hartes Training erwirbt. Wenn Sie versuchen,
eine Fertigkeit einzusetzen, in der Ihr Charakter keinen
Wert besitzt, würfeln Sie nur das vom Erzähler vorgegebene
Attribut, wobei die Schwierigkeit allerdings um eins steigt.
Ein ungelernter Arbeiter ist einfach nicht so effektiv wie
jemand, der vielleicht niedrigere Attribute hat, aber dafür
genau weiß, was er tut.
ETIKETTE
„Es ist mir ein Vergnügen Sie kennenzulernen“, sagte Sabriel
mit einem strahlenden Lächeln. Der Senator erwiderte es, als
hätte sie ihm gerade ein kostbares Geschenk gemacht. Er ergriff
ihre Hand, hob sie an und küßte sie, während er eine Verbeu-
gung andeutete.
„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite“, antwortete er.
Bis jetzt vielleicht nicht, dachte Sabriel, aber das wird sich si-
cher noch ändern. Erst einmal galt es, diese Veranstaltung hinter
sich zu bringen und die vielen anderen Gäste zu begrüßen.
Die Gesellschaft kennt unterschiedlichste Benimmregeln,
die von Situation zu Situation variieren. Etikette bietet ei-
nem Charakter Sicherheit, wenn es darum geht, sich in ver-
schiedenen, gesellschaftlichen Situationen korrekt zu verhal-
ten. Etikette erlaubt es einem Charakter zusätzlich, sich auf
unterschiedlichen sozialen Parketten anmutig zu bewegen,
sich angemessen zu verhalten, sich Respekt zu verdienen
und sich mit anderen auf diplomatische Weise zu arrangie-
ren. Diese Fertigkeit bezieht sich generell auf die Sitten und
Gebräuche der „feinen“ Gesellschaft, während Szenekennt-
nis sich auf „die Straßen“ oder „die Unterschicht“ bezieht.
Charaktere sind oft auf die Etikette einer bestimmten Kultur
oder eines bestimmten Umfelds spezialisiert.
• Neuling: Sie können sich anpassen und schwer-
wiegende gesellschaftliche Fehltritte vermei-
den.
•• Geübt: Sie kennen die Sprache und die Um-
gangsformen gut genug, um den Eindruck zu
vermitteln, als würden Sie dazugehören.
••• Kompetent: Sie beeindrucken andere mit Ihrem
Auftreten und Ihrem Taktgefühl. Sie sind ein
exzellenter Gastgeber und ein gerngesehener
Gast.
•••• Experte: Als Personifikation der allerbesten
Umgangsformen könnten Sie professioneller
Diplomat sein.
••••• Meister: Sie sind in der Lage, nahezu jede gesell-
schaftliche Situation mit Bravour zu bewältigen
173
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

und es auch noch wie ein Kinderspiel aussehen

zu lassen.
Zu finden bei: Diplomaten, Geistlichen, Politikern, Pro-
minenten
Spezialisierungen: Jede spezifische Subkultur (Geschäfts-
welt, High Society, japanische Sitten, religiöse Gebräuche
und so weiter)

FAHREN
Das Motorrad wummerte über den regennassen Asphalt,
und über Aziuran flackerten die Straßenlampen hinweg wie
Stroboskoplichter. Als er die dunkle Limousine entdeckte, die
ihn verfolgte, grinste er dämonisch und gab Gas. Die Limousine
beschleunigte ebenfalls und folgte ihm auf seinem Weg durch
die kurvenreichen Straßen. Beinahe wäre er auf dem rutschigen
Untergrund gestürzt, als er die Maschine herumriß, um sie in
eine schmale Seitengasse zu lenken, in die der Wagen nicht hin-
einpaßte. Das Motorrad donnerte durch die Gasse und schoß
auf der anderen Seite wieder hinaus. Aziuran setzte seinen Weg
alleine fort.
Zwar sind die meisten Charaktere in der Lage ein Auto
zu fahren, doch die Fertigkeit Fahren deckt das Lenken
motorisierter Fahrzeuge jeglicher Art unter erschwerten
Bedingungen ab. Fahrer mit größerer Erfahrung wissen,
wie man verschiedene Fahrzeugtypen fährt und sind in der
Lage, riskante Manöver durchzuführen. Sie wissen auch,
wie man ein anderes Fahrzeug verfolgt oder abhängt, und
sie kennen die Grenzen ihres Fahrzeugs (da sie diese mehr
als einmal überschritten haben).
• Neuling: Sie behalten auch unter schwierigen
Umständen noch die Kontrolle über Ihr Fahr-
zeug.
•• Geübt: Sie können Ihr Fahrzeug problemlos
durch den dichtesten Verkehr steuern oder
mehreren Hindernissen kurz hintereinander
ausweichen.
••• Kompetent: Sie könnten ein professioneller
Chauffeur sein.
•••• Experte: Sie könnten ein professioneller Stunt-
oder Rennfahrer sein.
••••• Meister: Es gibt kein Fahrzeug und kein Manö-
ver, das Sie nicht beherrschen.
Zu finden bei: Bikern, Chauffeuren, Polizisten, Rennfah-
rern, Taxifahrern, Truckern
Spezialisierungen: Geländefahrten, Lastwagen, Motor-
räder, Sportwagen, Stunts, Verfolger abschütteln, Verfol-
gungsjagden

HANDWERK
„Was ist das?“ fragte der Junge Sam und hielt die Schachtel,
die in schmutzigbraunes Papier gewickelt war, ganz vorsichtig in
Händen. Er hätte sie gern geschüttelt, traute sich aber nicht, da
er Angst hatte, ihren Inhalt kaputtzumachen.
„Etwas ganz Besonderes“, antwortete Sephidor ihm. „Es ist
etwas, was du schon immer haben wolltest. Mach es auf und
sie nach.“
Vom Kochen über Schreinern bis hin zu Bildhauerei deckt
Handwerk jede Form von Arbeit ab, die ein Charakter mit
seinen Händen verrichten kann. Durch den Einsatz dieser

174
KAPITEL SECHS
Fertigkeit können Charaktere Gegenstände oder Kunstwer-
ke bauen, schaffen oder fertigen. Der Erzähler legt hierbei
die Schwierigkeit und die Zeit fest, die für das jeweilige
kreative Vorhaben benötigt werden. Der Zeitaufwand kann
wenige Minuten, einige Tage oder gar eine noch längere
Zeitspanne betragen. Charaktere mit einem Wert in Hand-
werk müssen eine Spezialität für diese Fertigkeit festlegen,
obwohl sie dadurch solange keinen Bonus erhalten, bis der
Wert in dieser Fertigkeit bei 4 oder höher liegt. (Handwerk
ist so breitgefächert, daß sich ein Charakter für gewöhnlich
auf ein bestimmtes Tätigkeitsfeld konzentriert.)
• Neuling: Sie sind in der Lage, einfache Arbeiten
auszuführen.
•• Geübt: Ihnen sind viele Feinheiten Ihres Hand-
werks bekannt.
••• Kompetent: Durch Ihre handwerklichen Fä-
higkeiten könnten Sie sich einen ansehnlichen
Lebensunterhalt verdienen.
•••• Experte: Sie können jeden mit Ihrer Arbeit be-
eindrucken.
••••• Meister: Sie sind ein wahrer Meister Ihres Fachs
und werden auch als solcher erkannt.
Zu finden bei: Chefköchen, Erfindern, Handwerkern,
Künstlern, Mechanikern, Zimmermännern
Spezialisierungen: Jedes spezifische Handwerk wie bei-
spielsweise Tischlern, Kochen, Zeichnen, Malen, Töpfern,
Bildhauerei und so weiter
HEIMLICHKEIT
Magdiel huschte geräuschlos und ungesehen wie ein Schatten
über die dunkle Seitenstraße. Der Mann, der unmittelbar unter
der nackten Glühbirne in der Nähe der Tür stand, hatte sie
nicht bemerkt. Er hatte sich gerade eine Zigarette angezündet.
Schlechte Angewohnheit, dachte sie sich, doch sie war sich
sicher, daß seine Nikotinsucht in ein paar Sekunden nicht mehr
das größte seiner Problem sein würde.
Heimlichkeit ist die Fähigkeit zu schleichen und unge-
sehen zu bleiben, wobei es keine Rolle spielt, ob sich ein
Charakter dabei bewegt oder nicht. Für gewöhnlich ist ein
Würfelwurf auf Geschick + Heimlichkeit gegen die Wahr-
nehmung möglicher Beobachter erforderlich, um zu sehen,
ob ihnen die Anwesenheit eines Charakters entgeht. Heim-
lichkeitswürfe für einen Spielercharakter können auch ver-
deckt vom Erzähler ausgeführt werden, da ein Charakter
üblicherweise erst dann bemerkt, daß er entdeckt worden
ist, wenn es schon viel zu spät ist.
• Neuling: Sie können sich hinter ausreichender
Deckung oder in dunklen Ecken verstecken.
•• Geübt: Sie sind in der Lage, in einer Menschen-
menge unterzutauchen und jemanden zu verfol-
gen, ohne sofort dabei aufzufallen.
••• Kompetent: Sie kriegen von anderen Leuten
ständig zu hören, daß Sie aufhören sollen, sich
so leise an sie anzuschleichen.
•••• Experte: Sie können sich ohne größere Deckung
oder auf einem Kiesweg bewegen ohne bemerkt
zu werden.
••••• Meister: Sie bewegen sich wie ein Ninja und
sind praktisch unsichtbar, wenn Sie wollen.
Zu finden bei: Dieben, Einzelkämpfern, Profikillern, Re-
portern, Spionen
Spezialisierungen: Beschatten, Dunkelheit, Menschen-
mengen, Schleichen, Verstecken
NAHKAMPF
Als Malakh wieder hochkam, schloß sich seine Hand um ein
zerbrochenes Brett, das vor ihm lag. Es hatte genau die richtige
Länge und Härte. Er hielt es wie ein Schwert, während er
langsam aufstand.
Die Gangmitglieder sahen, daß er ein Stück Holz in der Hand
hielt, um sich damit zu verteidigen, und sie lachten ihn aus. Sie
hatten Messer, Ketten und Schlagringe – richtige Waffen eben.
Ein paar Minuten später lachten sie nicht mehr, da Malakh
ihnen eine Lektion in der Kampfkunst erteilt hatte.
„Alles ist eine Waffe, wenn man es nur richtig einsetzt“, sagte
er und ließ achtlos das Brett quer über die Brust eines am Boden
liegenden Gegners fallen.
Das Kämpfen mit einer Nahkampfwaffe ist schon fast eine
vergessene Kunst, doch Charaktere, die diese Fertigkeit be-
herrschen, können mit einer Vielzahl von ihnen umgehen.
Dazu zählen einfache Knüppel, Messer und Schwerter, aber
auch exotischere Waffen wie Äxte oder Streitkolben. Jede
Waffe, die im Nahkampf eingesetzt wird, fällt unter diese Fer-
tigkeit. Wurfwaffen werden durch Sportlichkeit abgedeckt. Ein
Charakter, der in Nahkampf geübt ist, besitzt auch das Wissen
über verschiedene Waffenarten und Kampftechniken.
• Neuling: Sie haben gelernt, wie man eine Waffe
richtig hält, weil Sie einige Übungsstunden ge-
nommen haben oder eine Weile Mitglied einer
Schaukampftruppe waren.
•• Geübt: Sie haben bereits an einigen Gefechten
teilgenommen.
••• Kompetent: Sie haben nicht nur an Gefechten
teilgenommen, sondern diese zumeist auch für
sich entschieden.
•••• Experte: Sie könnten an Meisterschaften teil-
nehmen und den meisten Kämpfern noch ein
paar Tricks beibringen.
••••• Meister: Was Sie zu leisten imstande sind, sieht
man sonst nur in Actionfilmen.
Zu finden bei: Fechtern, Gangstern, Kampfsportlern, Po-
lizisten, Profikillern
Spezialisierungen: Jede Art von Nahkampfwaffe (wie etwa
Äxte, Knüppel, Messer oder Schwerter), jedes spezifische
Manöver (wie zum Beispiel Entwaffnen, Parieren, Hieb und
so weiter)
SCHUSSWAFFEN
„So ist es richtig. Halt sie einfach gut fest und drück ab. Du
brauchst keine Angst vor dem Rückstoß zu haben. Er ist nur
ganz leicht.“
Zormas schaute zufrieden zu, wie der Kleine ein paar Schüsse
abfeuerte, bevor er sich mit einem grimmigen Lächeln wieder zu
ihm umdrehte. Er war bestimmt kein großartiger Schütze, aber
immerhin hatte er das Ziel getroffen. Alles, was er jetzt noch
brauchte, waren ein oder zwei Lehrstunden mehr. Zormas Mei-
nung nach sollte der Kleine wissen, wie man mit einer Pistole
umging, wenn er schon eine mit zur Schule nahm.
175

Manchmal besteht die einfachste Form der Problemlösung
darin, dem Problem eine Ladung heißes Blei zu verpassen,
und in ebendiesen Fällen erweist sich diese Fertigkeit als
ausgesprochen nützlich. Sie beinhaltet das Erkennen, die
Handhabung und die Pflege jeder Art von Schußwaffe von
Pistolen über Sturmgewehre bis hin zu Maschinengeweh-
ren. Schwere Waffen wie beispielsweise Panzerfäuste oder
Raketenwerfer werden von ihr jedoch nicht abgedeckt.
Mit einem Wurf auf Wahrnehmung + Schußwaffen kann
ein Charakter herausfinden, um welchen Typ es sich bei
einer bestimmten Waffe handelt, und mit Geistesschärfe
+ Schußwaffen kann er eine Ladehemmung während eines
Kampfes beheben. Der entsprechende Wurf, um eine Waffe
abzufeuern und ein Ziel zu treffen, erfolgt normalerweise
auf Geschick + Schußwaffen.
• Neuling: Sie haben schon ein paar Mal eine
Waffe abgefeuert und wissen, was Sie dabei zu
beachten haben.
•• Geübt: Hin und wieder besuchen Sie einen
Schießplatz und üben den Umgang mit verschie-
denen Waffen.
••• Kompetent: Sie haben schon mehr als einmal
an einem Schußwechsel teilgenommen. Sie sind
in der Lage, Ihre Waffe zu zerlegen und zu rei-
nigen, ohne das Handbuch zu Rate ziehen zu
müssen.
•••• Experte: Die von Ihnen erzielten Trefferquoten
sind hervorragend, und Sie können mit so gut
wie jeder Schußwaffe umgehen.
••••• Meister: Sie können Ihre Waffe in absoluter
Dunkelheit oder mit verbundenen Augen zerle-
gen und wieder zusammensetzen und sind in der
Lage, jedes Ziel zu treffen, das Sie anvisieren.
Zu finden bei: Attentätern, Gangstern, Jägern, Bürgermi-
lizen, Polizeibeamten, Soldaten, Waffennarren
Spezialisierungen: Automatische Waffen, Gewehre, Hand-
feuerwaffen, Pflege, Schnellziehen, Schrotflinten
SICHERHEIT
Das ist ja ein echt trauriger Anblick, dachte Sephidor, als
er die Schaltkreise näher betrachtete. Da war jemand so
richtig nachlässig gewesen, wenn er mit diesem Sicherheits-
system ein Eindringen in das Gebäude verhindern gewollt
hatte. Vielleicht schreckte es einen Sterblichen ab, aber die
Erdgebundenen sollten sich lieber nicht so viel Sorgen um
die Menschen machen. Sephidor legte die Abdeckplatte, die
er gerade abgeschraubt hatte, zur Seite und holte eine Zange
aus der Tasche. Es würde keine Minute dauern, ehe er dieses
Ding ausgeschaltet hatte.
Charaktere mit dieser Fertigkeit wissen, wie man Perso-
nen, Orte und Dinge vor fremdem Zugriff schützt, und sie
wissen auch, wie man die Sicherheitsvorkehrungen anderer
Leute umgeht. Die Fertigkeit Sicherheit deckt alles vom
Sichern eines Gebäudes über das Einrichten von Alarman-
lagen bis hin zum unauffälligen Ausschalten oder Umgehen
solcher Anlagen ab. Charaktere können unterschiedlichste
Sicherheitsvorkehrungen mit einem Wurf auf Wahrneh-
mung + Sicherheit entdecken und deren Aufbau (und
Schwachstellen) mit einem Wurf auf Intelligenz + Sicher-
176
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
heit durchschauen. Um ein Sicherheitssystem auszuschal-
ten oder durch seine Lücken zu schlüpfen, wird Sicherheit
zusammen mit Geschick oder Intelligenz gewürfelt, wobei
das zum Einsatz kommende Attribut vom Aufbau des jewei-
ligen Sicherheitssystems abhängt.
• Neuling: Sie sind mit den Grundfunktionswei-
sen einiger einfacher Alarmanlagen vertraut
und kennen den einen oder anderen Trick, um
Schlösser zu knacken.
•• Geübt: Sie können einen Wagen kurzschließen
und einfache Schlösser mühelos knacken.
••• Kompetent: Sie kennen sich ausgezeichnet
mit den meisten Sicherheitssystemen und Ein-
bruchsmethoden aus.
•••• Experte: Sie können ein topmodernes Sicher-
heitssystem einrichten oder umgehen.
••••• Meister: Es gibt kein System, daß Sie nicht ver-
bessern oder umgehen könnten.
Zu finden bei: Einbrechern, Leibwächtern, Sicherheitsspe-
zialisten, Stalkern
Spezialisierungen: Alarmanlagen, Elektronik, Gebäudesi-
cherung, Schlösser knacken, schnelle Fluchtwege
SPRENGSTOFFE
Die Bombe hatte aus irgendeinem unerfindlichen Grund ver-
sagt, doch das spielte jetzt keine Rolle mehr. Bald schon würde
er raus aus dieser Stadt sein und anschließend auch raus aus
diesem Land. Irgendwo würden sich ihm schon andere Gele-
genheiten bieten. Er öffnete sein Schließfach am Busbahnhof
und war überrascht, als er darin ein Päckchen vorfand, das
notdürftig in braunes Papier gewickelt und an dem ein kleines
Schildchen angebracht war. Auf dem Schildchen stand: „Ich
dachte mir, du hättest das hier gerne wieder.“
Die Explosion verwüstete das halbe Gebäude, doch glückli-
cherweise gab es nur ein einziges Todesopfer zu beklagen.
Zwar kann so ziemlich jeder Dinge zur Explosion bringen,
doch es bedarf einiger Finesse es so zu tun, daß eine Bombe
auf die richtige Weise und zum richtigen Zeitpunkt deto-
niert. Sprengstoffe ist die Fertigkeit, mit der man Spreng-
sätze der verschiedensten Art basteln, plazieren und ent-
schärfen kann. Sie deckt auch das Wissen ab, wie und wo
man einen Sprengsatz anbringen muß, um den größtmögli-
chen Effekt zu erzielen, woher man Sprengstoffe bekommt
und wie man sogar aus leicht erhältlichen Bauteilen eine
Bombe basteln kann. Selbstredend braucht man spezielle
Lizenzen, um Sprengstoffe auf legale Weise zu erwerben,
was zu einem Problem werden kann, wenn man bedenkt,
zu welchen Zwecken Charaktere diese normalerweise ein-
setzen wollen.
• Neuling: Sie sind in der Lage, wirkungsvolle
Molotowcocktails zu mixen und andere hausge-
machte Sprengsätze zu basteln.
•• Geübt: Sie können einen Sprengkörper mit
einem zuverlässigen Zeitzünder versehen oder
eine größere Rohrbombe bauen.
••• Kompetent: Sie können eine Autobombe legen
oder eine Sprengfalle aufstellen.
•••• Experte: Sie können mit jeder Art von Spreng-
stoff umgehen.
KAPITEL SECHS
••••• Meister: Sie können eine komplexe Kette von
Explosionen auslösen, die dafür sorgt, daß ein
Gebäude auf genau die Weise in sich zusammen-
fällt, die Sie sich vorstellen.
Zu finden bei: Bombenräumkommandos, Soldaten,
Sprengmeistern, Terroristen
Spezialisierungen: Entschärfen, Fernzünder, hausgemach-
te Sprengsätze, kontrollierte Sprengungen, Plazierung, Zeit-
zünder
TECHNOLOGIE
„Hast du das alles etwa ganz alleine geschafft?“ fragte Ashbu-
ry lakonisch, als er sich das Durcheinander ansah.
„Erspar mir deinen Sarkasmus, Sephidor! Kannst du das
verdammte Ding reparieren oder nicht?“
„Oh, sicher kann ich das. Die Frage ist nur, wieviel dir das
wert ist.“
Die Gefallenen sind nicht immer mit den Wundern der
modernen Welt vertraut, doch sie gewöhnen sich schnell
an den Umgang mit den technischen Errungenschaften
der Menschen. Diese Fertigkeit deckt das Verständnis, die
Bedienung, die Reparatur und sogar den Bau oder Umbau
elektrischer Geräte ab. Rein mechanische Apparaturen
fallen unter die Fertigkeit Handwerk (Seite 174), während
jegliche Hard- und Software unter die Kenntnis Computer
fällt (Seite 179). Charaktere ohne diese Fertigkeit wissen
möglicherweise, wie man verschiedene Geräte bedienen
muß, doch dadurch wissen sie nicht unbedingt, wie sie
funktionieren oder wie man sie repariert.
• Neuling: Sie können einen Deckenstrahler
verkabeln und einige einfache Reparaturen im
Haushalt erledigen.
•• Geübt: Sie haben ein Grundverständnis von
Elektrik und können ein Radio zusammenba-
steln.
••• Kompetent: Sie sind ein erfahrener Elektriker
(möglicherweise sogar Elektroingenieur) und in
der Lage, verschiedenste Geräte zu entwerfen
und zu bauen.
•••• Experte: Sie können alle Arten von elektrischen
Geräten umbauen und verbessern.
••••• Meister: Was die Entwicklung und Konstruk-
tion neuer Technologien angeht, sind Sie Ihrer
Zeit weit voraus.
Zu finden bei: Ingenieuren, Technikern, Wartungsperso-
nal
Spezialisierungen: Erfindungen, Fahrzeugtechnik, Haus-
haltsgeräte, Kommunikationsgeräte, Sicherheitstechnik,
Umbau
TIERKUNDE
Die Wachhunde hetzten mit wildem Gebell über den Hof auf
ihn zu, doch Malakh behielt die Ruhe und wich keinen Schritt
zurück. Er starrte die Hunde mit einem Blick an, durch den
er in früheren Zeiten alle Tiere der Erde beherrscht hatte. Ein
leises Grollen drang aus seiner Kehle. Es war ein Laut, den kein
Mensch je hätte von sich geben sollen. Das Gebell der Hunde
wurde zu einem Winseln. Dann verdrückten sie sich mit einge-
kniffenen Schwänzen in die hinterste Ecke des Hofes und ließen
Malakh ohne weitere Belästigung seiner Wege gehen.
Diese Fertigkeit kann auf Tiere jeder Gattung angewen-
det werden und deckt alles vom Verständnis des Verhaltens
wildlebender Vertreter der irdischen Fauna bis hin zum
Zähmen und Abrichten von Tieren aller Art ab. Sie erlaubt
einem Charakter auch, sich bis zu einem bestimmten Grad
mit Tieren zu verständigen oder zumindest zu verstehen,
was die Tiere wollen, und sie dann dazu zu bringen, etwas
zu tun, was der Charakter von ihnen verlangt. Einige Tiere
können die Anwesenheit des Übernatürlichen spüren und
reagieren feindselig darauf. Andere wiederum fühlen sich
davon regelrecht angezogen.
• Neuling: Sie besitzen ein gewisses Grundwissen
über Tiere und sind in der Lage, Ihren Hund
selbst stubenrein zu machen und abzurichten.
•• Geübt: Sie können die Tiere anderer Leute für
sie abrichten und haben dabei schon mit vielen
verschiedenen Tierarten Erfahrungen sammeln
können.
••• Kompetent: Sie könnten sich Ihren Lebensun-
terhalt als Dompteur oder Tiertrainer verdie-
nen.
•••• Experte: Sie können mit exotischen und schwie-
rigen Tieren wie etwa Löwen oder Tigern fertig-
werden und ihnen Kunststücke beibringen.
••••• Meister: Sie sind eins mit der Tierwelt.
Zu finden bei: Bauern, Jägern, Tiertrainern, Tierzüchtern,
Zirkuskünstlern, Zoowärtern
Spezialisierungen: eine spezielle Tierart (Hunde, Delphi-
ne, etc.), Schutzdienst, Verständigung, Wachdienst, Wild-
tiere, Zähmen
ÜBERLEBEN
„Was sollen wir jetzt bloß machen?“ fragte die Frau mit ver-
zweifelter Stimme. Alejandro warf noch einen Blick zurück
auf das Wrack ihres kleinen Flugzeugs, straffte die Schultern
und begann damit, die Trümmer zügig nach Brauchbarem zu
durchsuchen. Bald würde die Dunkelheit hereinbrechen und sie
mußten unbedingt weiter.
„Wir überleben“, versicherte er ihr.
Die Welt kann ein harter Ort sein. Es braucht Wissen
und Erfahrung, um in ihr überleben zu können, wenn ei-
nem all die Annehmlichkeiten des modernen Lebens abge-
hen. Diese Fertigkeit erlaubt es einem Charakter, mit Hilfe
einfachster Werkzeuge und Ressourcen in der Wildnis zu
überleben (womit auch der Großstadtdschungel gemeint
ist). Je höher der Wert eines Charakters in dieser Fertigkeit
ist, desto weniger Ressourcen benötigt er, um zu überleben.
Er ist fähig, allein von dem zu leben, was ihm seine Umge-
bung bietet. Er kann Gefahren rechtzeitig erkennen und
meiden, Unterschlupf und Schutz finden und so weiter.
Charaktere müssen sich auf eine Umgebung spezialisieren,
in der sie sich am besten auskennen.
• Neuling: Sie waren ein paar Mal campen.
•• Geübt: Sie haben schon oft gecampt und haben
an dem ein oder anderen Überlebenstraining
teilgenommen.
••• Kompetent: Sie können eine kleine Gruppe mit
allem Überlebensnotwendigen versorgen.
177

•••• Experte: Sie sind in der Lage, so lange in der
Wildnis zu überleben, wie Sie wollen.
••••• Meister: Sie sind eins mit der Natur.
Zu finden bei: Campern, Einzelkämpfern, Jägern, radika-
len Bürgermilizen, Pfadfindern
Spezialisierungen: Jede beliebige Umgebung (wie zum Bei-
spiel die Arktis, der Dschungel, die Großstadt, die Wüste
oder der Wald) oder jeder spezifische Aspekt des Überle-
bens (wie beispielsweise Gefahren, Jagen, Schutzsuchen
und so weiter)
VORTRAG
„Sie tanzen wirklich hervorragend“, sagte er.
„Sie aber auch“, log Sabriel.
„Wo haben Sie nur gelernt, sich so gut zu bewegen?“
Die Schänderin lächelte. „Das machen die unendlich vielen
Jahre der Übung.“
Diese Fertigkeit vereint alle darstellenden Künste wie
etwa Schauspielerei, Tanzen, Gesang und das Spielen eines
Musikinstruments in sich. Die meisten Charaktere werden
auf einen bestimmten Bereich spezialisiert sein, in dem sie
dann besonders gut sind, aber es gibt auch viele Künstler,
die mehrere Bereiche dieser Fertigkeit beherrschen. Ein
Charakter kann Vortrag einsetzen, um eine gelungene und
überzeugende Vorstellung zu liefern. In Kombination mit
Ausdruck ist er in der Lage, eigene Werke zu schaffen und
bestimmte Emotionen in seinem Publikum zu wecken. In
Verbindung mit Ausflüchte kann er bestimmte Gefühle
glaubhaft vortäuschen (was besonders wichtig für Schau-
spieler ist). Gefallene können Vortrag auch dazu nutzen,
um die Alltagsrolle ihres sterblichen Wirts zu spielen und
ihre wahre Natur zu verbergen.
• Neuling: Sie sind ein talentierter Amateur.
•• Geübt: Sie scheuen nicht davor zurück, vor
einem Publikum aufzutreten, und sind in der
Lage, Ihre Kunst überzeugend vorzutragen.
••• Kompetent: Sie können so gut wie jeden Zu-
schauer in Ihrem Publikum begeistern.
•••• Experte: Sie glänzen vor jedem noch so kriti-
schen Publikum.
••••• Meister: Sie spielen immer vor ausverkauftem
Haus und ernten grundsätzlich stehende Ova-
tionen.
Zu finden bei: Laiendarstellern, Musikern, professionellen
Schauspielern, Tänzern, Sängern
Spezialisierungen: Choreographie, Gesang, Komik, Musik-
instrumente, Schauspielerei, Tanz
KENNTNISSE
Kenntnisse sind Fähigkeiten, die sich ein Charakter aus-
schließlich durch ein Studium – im Sinne eines mit einer
gewissen Mühe verbundenen Einsatzes seines Geistes – an-
geeignet hat. Daher werden Kenntnisse zumeist in Verbin-
dung mit geistigen Attributen gewürfelt (hauptsächlich In-
telligenz). Zwar sind die Werte für Kenntnisse in Begriffen
der akademischen Laufbahn angegeben, aber Schulbildung
ist nicht der einzige Weg, Kenntnisse zu erwerben. Bei jeder
Kenntnis Ihres Charakters können Sie entscheiden, ob er
diese durch ein Studium oder auf anderem Wege erworben
178
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
hat (in letzterem Fall kann er allerdings kein Zertifikat oder
Zeugnis vorweisen).
Wenn Ihr Charakter in einer Kenntnis keinen Wert be-
sitzt, können Sie auch keinen Wurf versuchen, der mit ihr
in Verbindung steht, es sei denn, Ihr Erzähler läßt dies aus-
drücklich zu. Wenn man nicht einmal die grundlegendsten
Kenntnisse in Sachen Medizin besitzt, ist man auch nicht in
der Lage, sinnvoll Erste Hilfe zu leisten, geschweige denn,
einen chirurgischen Eingriff vorzunehmen. Spricht man
kein einziges Wort Japanisch, ist es sehr unwahrscheinlich,
daß man diese Sprache versteht.
AKADEMISCHES WISSEN
„Wirf Ehrsucht von dir“, sagte er. „Die Sünde hat die Engel
selbst betört.“
„Fang bloß nicht an, mich mit diesem Bibelscheiß zuzula-
bern“, sagte Hasmed zu dem anderen Dämon. Die Teufel hörten
sich einfach viel zu gerne reden.
„Das ist nicht aus der Bibel“, antwortete der Teufel lächelnd.
„Das ist von Shakespeare, und wenn du mich fragst, ist in seinen
Werken mehr Wahrheit zu finden als in der Bibel.“
Diese Kenntnis bezieht sich auf die „Geisteswissenschaf-
ten“. Hierzu zählen Bereiche wie Geschichte, Literatur,
Philosophie, Soziologie und Psychologie. Sie deckt auch die
Allgemeinbildung eines Charakters sowie die Erfahrungen
ab, die er in der akademischen Welt gesammelt hat. Zwar
müssen Sie eine Spezialisierung für Ihren Charakter aus-
wählen, aber dennoch verfügt er über ein breitgefächertes
Wissen jenseits seines Fachbereichs. Die meisten Würfe,
bei denen Akademisches Wissen ins Spiel kommt, werden
auf Intelligenz + Akademisches Wissen abgelegt, um sich
an einen bestimmten Fakt zu erinnern. Man kann aber
auch Charisma + Akademisches Wissen würfeln, um an-
dere mit dem eigenen Wissen zu beeindrucken, oder einen
Wurf auf Manipulation + Akademisches Wissen durchfüh-
ren, um mit den Mühlen der Bürokratie einer Universität
zurechtzukommen. Die Schwierigkeit des Wurfs richtet sich
für gewöhnlich danach, wie obskur das Wissen ist, woran
sich ein Charakter zu erinnern versucht. Sie reicht von 4
(für Standardfragen) bis 8 (für wirklich obskure Informa-
tionen).
• Schüler: Sie wissen soviel über die Geisteswis-
senschaften wie ein durchschnittlicher Abituri-
ent.
•• Student: Sie können dem Verlauf der meisten
geisteswissenschaftlichen Diskussionen folgen.
••• Magister: Ihnen steht ein wahrer Schatz an Wis-
sen zur Verfügung.
•••• Doktor: Mit Ihrem akademischen Wissen kön-
nen sich nur die wenigsten Menschen messen,
und der Rest fragt sich häufig, wovon Sie über-
haupt reden.
••••• Dozent: Sie sind ein allseits bekannter und an-
gesehener Experte in Ihrem Fachbereich.
Zu finden bei: Akademikern, Historikern, Literaturkri-
tikern, Professoren, Soziologen, wandelnden Konversati-
onslexika
Spezialisierungen: Architektur, Geschichte, Kunst, Litera-
tur, Musik, Psychologie, Soziologie
KAPITEL SECHS
COMPUTER
„Das macht mich ja zu einem richtigen ‚Search-Daemon’,
was?“ Oh ja, Alazan wurde dieses Wortspiels niemals müde.
Er achtete nicht auf den Kommentar des Mannes, der hinter
ihm saß. Alazans Finger flogen weiter über die Tastatur, und
die Bilder auf dem Bildschirm seines Laptops wechselten in so
schneller Folge, daß die meisten Leute ihnen kaum hätten fol-
gen können. Sein Wirtskörper kannte den Rhythmus so gut wie
auswendig, und daher kannte Alazan ihn auch. Der Bildschirm
wurde kurz schwarz und dann erschien eine Eingabeaufforde-
rung. Er war drin.
Das Bedienen und Programmieren von Computern fällt
unter diese Kenntnis. Die damit einhergehenden Fähig-
keiten reichen von Routinearbeiten an Rechnern bis hin
zu ausführlichem Wissen über Hard- und Software, das
dem Stand eines Informatikers entspricht. Viele Leute ha-
ben zumindest einen Punkt in dieser Kenntnis, eine ganze
Menge anderer jedoch nicht, und die Gefallenen übersehen
oft, wie nützlich diese Artefakte der modernen Welt sein
können.
• Schüler: Sie können einen Computer bedienen
und mit herkömmlichen Mail- und Textverar-
beitungsprogrammen umgehen.
•• Student: Sie können komplexe Dateneingaben
und -analysen vornehmen und einfache Pro-
gramme schreiben.
••• Magister: Sie sind in der Lage, Programme zu
schreiben, die so gut sind wie käuflich zu er-
werbende Software. Manchmal sind sie sogar
besser.
•••• Doktor: Sie sind Ihr eigener Hard- und Softwa-
redesigner und gelegentlich entwickeln Sie et-
was wirklich Innovatives. Außerdem wissen Sie,
wie man sich in einen Großteil der sichersten
Systeme hacken kann, um sich Informationen
zu beschaffen.
••••• Dozent: Sie gehören zur wahren Elite. Sie wis-
sen alles, was es über Computer zu wissen gibt,
und nur sehr wenige Systeme sind vor Ihrem
Zugriff sicher.
Zu finden bei: Büroangestellten, Ingenieuren, Nerds, Pro-
grammierern, Studenten
Spezialisierungen: Hacken, Hardware, Internet, Recher-
che, Software, Viren
FINANZEN
Piers ging die um ihn herum aufgehäuften Stapel von Compu-
terausdrucken durch. Er las nicht gern am Monitor. Die Muster
und Strukturen schienen ihm auf einem Blatt Papier leichter
ins Auge zu springen. Ah, da war es ja. Man war schlau und
vorsichtig vorgegangen, doch es gab eindeutige Spuren, die auf
Veruntreuung von Geldern hindeuteten. Da Piers selbst schon
die ein oder anderen Finanzmittel unterschlagen hatte, wußte er,
worauf er zu achten hatte. Es gab eine ganze Menge Personen,
die für diese Information großzügige Summen zahlen würden,
doch Piers wollte jemanden als Käufer, der genau so darauf
reagierte, wie er es haben wollte. Und Piers wußte auch schon
genau, wer das sein würde.
Durch Finanzen wird geregelt, wie gut ein Charakter
mit Geld umgehen kann und wie leicht es ihm fällt, Geld
zu machen. Diese Kenntnis reicht von Buchführung und
Rechnungswesen über Kalkulationen und die Beurteilung
von Gewinnaussichten bis hin zum Wertpapierhandel. Ein
Charakter kann diese Kenntnis einsetzen, um Geld auf
legale Weise zu verdienen oder durch Insiderwissen und
andere Tricks und Kniffe schmutzige Geschäfte zu machen.
Abgesehen davon, daß diese Kenntnis zum Sichern eines
angenehmen Lebensstandards eingesetzt werden kann (nä-
here Informationen hierzu finden Sie in der Beschreibung
der Hintergrundeigenschaft Ressourcen auf Seite 187),
kann Finanzen außerdem dazu verwendet werden, um Spu-
ren im undurchschaubaren Sumpf der Finanzwelt verfolgen
zu können.
• Schüler: Sie besitzen ein wenig Erfahrung in
Buchhaltung und Rechnungswesen.
•• Student: Sie haben eine kaufmännische Ausbil-
dung sowie einige Erfahrung in Ihrem Beruf.
••• Magister: Sie sind diplomierter Betriebswirt
(oder besitzen einen vergleichbaren Wissens-
stand).
•••• Doktor: Sie könnten ein großes Unternehmen
leiten und hohe Gewinne erzielen.
••••• Dozent: Sie könnten durch Spekulationen auf
dem Aktienmarkt ein riesiges Vermögen ma-
chen.
Zu finden bei: Anlagebetrügern, Börsenmaklern, Buchhal-
tern, Geschäftsleuten, Schmugglern
Spezialisierungen: Aktienhandel, Buchführung, Geldwä-
sche, Kalkulation, Unterschlagung, Währungsumrechnun-
gen
GESETZESKENNTNIS
„Können Sie mir helfen, Ms. Blake?“
„Nun, bei einem Fall wie dem Ihren, Mr. Allemande, würde
ich normalerweise sagen, daß kaum eine Aussicht darauf be-
steht, ihn zu gewinnen.“ Dem Mann war seine Enttäuschung
deutlich anzusehen. „Andererseits …“ Sie ließ ihn einen Mo-
ment zappeln. „Die juristische Definition von ‚Einverständnis’
ist in der Vergangenheit schon oft verändert worden. Es hängt
natürlich alles von den Aussagen Ihrer Frau und Ihres Sohns
ab, aber ich bin mir sicher, daß wir darin etwas finden, worauf
wir unsere Strategie aufbauen können. Wenn es einen Weg gibt,
diesen Fall zu gewinnen, dann können Sie sich ganz sicher sein,
daß ich ihn finden werde.“
Charaktere, die sich mit den Gesetzen auskennen, haben
Erfahrung mit dem Rechtssystem und dem Prozedere vor
Gericht. Charaktere mit hohen Werten in Gesetzeskennt-
nis können solide juristische Ratschläge erteilen und ver-
schiedene Strategien entwickeln, um mit einem Rechtsfall
umzugehen – unter Umständen besitzen sie sogar eine Zu-
lassung als Anwalt. Ohne auf die vielen Witze über Rechts-
anwälte und den Teufel anspielen zu wollen, ist es in der
Tat so, daß die Gefallenen eine Art natürliche Begabung
für den Umgang mit Gesetzen aufweisen. Sie waren die
Hüter der Gesetze der Schöpfung, und das macht sie zu
leidenschaftlichen Verteidigern und Anklägern. Wo diese
Kenntnis zwar auch für das Verständnis von kulturell und
179
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

religiös motivierten Gesetzen steht, sind Gottes Gesetze

eher ein Fall für die Kenntnis Religion.
• Schüler: Ihre Lieblingssendungen im Fernsehen
sind Gerichtsshows.
•• Student: Sie könnten ein Vordiplom in Jura
besitzen oder eine Menge über die Juristerei ge-
lesen haben.
••• Magister: Sie besitzen den Wissensstand eines
fertigen Juristen. Vielleicht haben Sie sogar eine
Zulassung als Anwalt.
•••• Doktor: Sie stehen in dem Ruf, alle Fälle zu
gewinnen und hervorragende juristische Rat-
schläge zu erteilen.
••••• Dozent: Advocatus Diaboli.
Zu finden bei: Kriminellen, Polizisten, Politikern, Rechts-
anwälten, Richtern
Spezialisierungen: Arbeitsrecht, kulturspezifische Gesetze,
religiöse Verbote, Strafrecht, Vertragsrecht, Zivilrecht

LINGUISTIK
„Das ist doch Enochäisch, oder?“ fragte Liebner.
„Ja und nein“, antwortete Fendling. „Es basiert im weitesten
Sinne auf der Sprache Enochs, aber es ist eine unsaubere und
ungenaue Transkription. Wahrscheinlich dienten die Schriftzei-
chen aus einem okkulten Buch des 18. oder 19. Jahrhunderts
als Vorlage. Von der echten Sprache ist es damit meilenweit
entfernt.“
Die Gefallenen kennen die Macht, die in Worten liegt,
nur allzu gut, denn schließlich ist ihre Kenntnis von der
Wahren Sprache ein wesentlicher Bestandteil ihrer eigenen
Macht. Es wird grundsätzlich davon ausgegangen, daß jeder
Charakter seine Muttersprache sprechen, lesen und schrei-
ben kann. Die Gefallenen erwerben diese Fähigkeit durch
die Erinnerungen, die sie in sich aufnehmen, wenn sie in
einen sterblichen Wirtskörper einfahren. Punkte in Lingui-
stik ermöglichen es einem Charakter, zusätzliche Sprachen
zu sprechen. Der Spieler entscheidet mit Zustimmung des
Erzählers, welche Sprachen sein Charakter außer seiner
eigenen Muttersprache verstehen kann. Bei den Gefallenen
kann es sich hierbei auch um tote oder gar langvergessene
Sprachen handeln, obwohl der Erzähler nur dann auf die
Vergabe von Punkten auf Linguistik bestehen sollte, sofern
die dadurch repräsentierten Kenntnisse irgendeinem ande-
ren Nutzen dienen sollen, als dem Hintergrund der Spiel-
welt und des Charakters etwas mehr Würze und Tiefgang
zu verleihen. Ein hoher Wert in dieser Fertigkeit bedeutet
auch, daß ein Charakter sich ein gewisses Verständnis für
die Sprachwissenschaft im allgemeinen erarbeitet hat, die
sich mit dem Aufbau, der Struktur und der inneren Logik
von Sprachen befaßt. Um ein tiefergehendes Gelehrten-
wissen in diesem Bereich abzudecken, kann die Sprachwis-
senschaft wie eine der zusätzlichen Sprachen ausgewählt
werden, die einem Charakter durch seinen Wert in Lingui-
stik zustehen.
• Schüler: Eine zusätzliche Sprache.
•• Student: Zwei zusätzliche Sprachen.
••• Magister: Vier zusätzliche Sprachen.
•••• Doktor: Acht zusätzliche Sprachen.
••••• Dozent: Sechzehn zusätzliche Sprachen.

180
KAPITEL SECHS
Zu finden bei: Diplomaten, Linguisten, Spionen, Überset-
zern, Weltenbummlern
Spezialisierungen: Codes und Geheimschriften, jede ge-
schriebene Sprache, jede moderne oder tote Sprache, Um-
gangssprache
MEDIZIN
„Nein, nein“, sagte Anila, als der Junge versuchte, wieder
aufzustehen. „Bleib liegen. Ich werde dir helfen.“ Mit zielsi-
cheren Bewegungen, die viel Erfahrung verrieten, tastete sie
sanft erst den Hinterkopf, dann den Nacken und schließlich
die Schulter des Jungen ab. Er zuckte zusammen und atmete
zischend durch zusammengebissene Zähne ein.
„Du hast dir die Schulter ausgekugelt“, stellte sie fest und
schlang ihren Arm um den seinen. „Du mußt tapfer sein. Das
wird gleich ein bißchen wehtun.“
Diese Eigenschaft steht für ein Verständnis für die Funk-
tionsweise des menschlichen Körpers und das Wissen
darum, wie man ihn im Krankheits- oder Verletzungsfall
behandeln sollte. Bei niedrigen Werten deckt die Kenntnis
Medizin ein Grundwissen über Anatomie und Physiolo-
gie sowie einfache medizinische Behandlungsmethoden
ab. Bei höheren Werten kommen Diagnostik sowie das
Wissen um die Behandlung schwererer Krankheiten und
das Durchführen von Operationen hinzu – also sämtliche
Fähigkeiten, die einen Arzt ausmachen (ungeachtet des-
sen, ob ein Charakter überhaupt die Zulassung besitzt, um
tatsächlich als Arzt praktizieren zu dürfen). Charaktere
mit dieser Kenntnis können die Krankheiten und Leiden
anderer behandeln. Allerdings ist es ihnen auch möglich,
ihr Wissen über den menschlichen Körper zu nutzen, um
Schaden anzurichten.
• Schüler: Sie sind in der Lage, Erste Hilfe (ein-
schließlich Herzmassage und Mund-zu-Mund-
Beatmung) zu leisten, und besitzen ein gewisses
anatomisches Grundwissen.
•• Student: Medizinstudent oder Rettungssanitä-
ter.
••• Magister: Sie könnten praktizierender Allge-
meinmediziner sein.
•••• Doktor: Mit Ihren Fähigkeiten und Kenntnis-
sen könnten Sie ein exzellenter Chirurg oder
renommierter Spezialist in einem anderen me-
dizinischen Fachbereich sein.
••••• Dozent: Sie sind für Ihr umfangreiches medizini-
sches Wissen und die Wunder, die sie vollbracht
haben, bekannt.
Zu finden bei: Ärzten, Krankenpflegern, Rettungsschwim-
mern, Sanitätern
Spezialisierungen: Anästhesie, Chirurgie, Gifte, Medika-
mente, Notfallmedizin, Pädiatrie, Pathologie
NACHFORSCHUNGEN
Kommissar Liebner ging neben der Leiche der Frau in die
Hocke. Sie mußte einmal wirklich hübsch gewesen sein. Wenn
man bedachte, was ihrem restlichen Körper angetan worden
war, wirkte ihr Gesicht, das von Mißhandlungen verschont
geblieben war, überraschend friedlich. Eigentlich sogar unnatür-
lich friedlich. Er bezweifelte, daß die Streifenbeamten, die er mit
an den Fundort gebracht hatte, den friedlichen Ausdruck auf
dem Gesicht der toten Frau überhaupt bemerkten. Der jüngere
der beiden sah jedenfalls so aus, als hätte er genug damit zu tun,
sein Frühstück bei sich zu behalten.
„Es ist nicht so schlimm, wie es hätte sein können“, murmelte
Liebner gedankenverloren.
„Was sagen Sie da?“ fragte der junge Polizist, der sich offenbar
nichts Schlimmeres vorstellen konnte.
„Das Blut“, antwortete Liebner. „Sie wurde offenbar bewegt.
Ansonsten müßten überall an den Wänden und auf dem Boden
Blutspritzer zu finden sein, wenn man bedenkt, was unser Täter
mit ihr angestellt hat.“
Charaktere mit dieser Kenntnis haben Übung darin,
nach Hinweisen Ausschau zu halten und diese Hinweise zu
einem Gesamtbild zusammenzufügen, um Rätsel zu lösen.
Unter diese Kenntnis fallen alle Formen der Ermittlungen,
die der Aufklärung eines Verbrechens oder dem Aufdecken
geheimer Vorgänge dienen. Nachforschungen wird im Spiel
eingesetzt, um wichtige Spuren zu finden, die Puzzleteile
eines größeren Rätsels zusammenzusetzen, Ermittlungen
anzustellen und Hinweisen nachzugehen.
• Schüler: Agatha-Christie-Fan.
•• Student: Streifenbeamter.
••• Magister: Kommissar.
•••• Doktor: Bundesbeamter oder Profiler.
••••• Dozent: Sherlock Holmes. Es gibt kein Rätsel,
das Sie nicht lösen könnten.
Zu finden bei: Detektiven, Bundesbeamten, Pathologen,
Polizisten, Profilern
Spezialisierungen: Befragungen, Forensik, heiße Spuren,
Tatorte
NATURWISSENSCHAFTEN
Kommissar Liebner hatte nur wenig Zeit, sich im klinisch
sterilen Labor umzusehen, bevor er die Aufmerksamkeit der
gerade dort arbeitenden Assistentin erregte. Sie legte ein paar
Objektträger beiseite, die sie unter einem Mikroskop betrachtet
hatte.
„Haben Sie schon was zu dem Pergament, das wir gefunden
haben?“ fragte er. Sie nickte und nahm das eingetütete Beweis-
stück von ihrem Schreibtisch.
„Ziemlich interessante Sache“, sagte sie. „Die Schriftzeichen
wurden mit einer Mischung aus chinesischer Tusche, menschli-
chem Blut und Spuren von Goldstaub geschrieben. Aber das ist
nicht einmal das interessanteste daran. Das Leder, aus dem das
Pergament hergestellt wurde, ist noch viel interessanter.“
„Und von was für einer Sorte Leder sprechen wir hier?“ fragte
Liebner und befürchtete, die Antwort bereits zu kennen.
„Wir müssen zwar noch ein paar weitere Tests machen ... aber
wir sind uns ziemlich sicher, daß es sich um die gegerbte Haut
eines Menschen handelt.“
Diese Fähigkeit steht für das Verständnis eines Charak-
ters in Sachen Naturwissenschaften: Biologie, Chemie,
Physik und so weiter. Viele Charaktere haben sich auf eines
dieser Felder spezialisiert, doch sie verfügen dennoch über
ein breitgefächertes Grundwissen in den anderen Berei-
chen. Der Erzähler legt die Schwierigkeit für die Beantwor-
tung einer spezifischen wissenschaftlichen Frage oder für
das Lösen eines Problems anhand der vorliegenden Kom-
181

plexität fest. Naturwissenschaften drehen sich zumeist um
theoretisches Wissen, während Handwerk und Technologie
seine praktische Anwendung abdecken.
• Schüler: Sie haben sich in den naturwissen-
schaftlichen Fächern in der Schule immer sehr
gut gemacht.
•• Student: Sie verfügen über eine solide Basis an
naturwissenschaftlichen Kenntnissen und haben
auch schon einige praktische Erfahrungen sam-
meln können.
••• Magister: Sie haben bereits eigene Forschungs-
projekte betrieben und selbstentwickelte Expe-
rimente durchgeführt. Möglicherweise sind auch
schon ein oder zwei Ihrer Arbeiten veröffent-
licht worden.
•••• Doktor: Sie sind ein ausgesprochen fähiger
Forscher mit profunder naturwissenschaftlicher
Bildung.
••••• Dozent: Ihre Forschungsergebnisse und Theori-
en sind allerorten bekannt und haben Ihnen viel
Achtung eingebracht.
Zu finden bei: Akademikern, Forschern, Ingenieuren,
Technikern, Wissenschaftlern
Spezialisierungen: Biologie, Chemie, Geologie, Metallur-
gie, Physik und viele weitere
OKKULTISMUS
„Also ... was ist das?“ fragte Alejandro und beugte sich über
den Körper. Felding putzte sich noch schnell die Brille, ehe er sie
wieder auf die Nase setzte.
„Ein Vampir“, sagte er dann. „Seinem Aussehen nach zu
urteilen, gehört er einem der weniger angesehenen Clans an.“
„Ach du Scheiße“, entgegnete Alejandro und tätschelte den
Pflock in der Brust des Vampirs, um zu prüfen, ob er noch fest
genug steckte. „Ich hab schon immer gewußt, daß Kain noch
ziemlichen Ärger machen würde.“
Es gibt viele Geheimnisse, Mysterien und Legenden auf
der Welt. In der Welt der Dunkelheit enthalten zwar einige
mehr als nur ein Körnchen Wahrheit, doch die meisten
sind nach wie vor Humbug. Ein Charakter, der in Sachen
Okkultismus bewandert ist, kennt nicht nur verschiedenste
Theorien, Mythen und Legenden, sondern hat auch genug
Erfahrung und das nötige Wissen gesammelt, um Fakt von
Fiktion zu unterscheiden. Einst kannten die Gefallenen alle
Geheimnisse der verborgenen Mächte der Schöpfung, doch
seit ihrer Verbannung hat sich eine Menge geändert und sie
haben einiges nachzuholen. Wissen über Okkultes kann
ebenfalls nützlich sein, um in den Kreisen der Sterblichen
Anhänger um sich zu scharen.
• Schüler: Sie haben ein paar Bücher gelesen und
dabei die Grundlagen aufgeschnappt.
•• Student: Sie haben eine Menge Bücher gelesen
und können mittlerweile die offensichtlichsten
Unwahrheiten erkennen.
••• Magister: Sie besitzen ein umfangreiches Wis-
sen über alle bedeutenderen okkulten Lehren
und kennen zudem einige der obskureren Fak-
ten, auch wenn nicht alle davon der Wahrheit
entsprechen.
182
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
•••• Doktor: Sie können Fakt von Fiktion unter-
scheiden und wissen das meiste, was es in Sa-
chen Okkultismus zu wissen gibt.
••••• Dozent: Sie kennen Geheimnisse, von deren
bloßer Existenz nur wenige andere Personen
überhaupt etwas ahnen.
Zu finden bei: Exorzisten, Heiden, Kultisten, Magi, Okkul-
tisten, Parapsychologen
Spezialisierungen: Aberglaube, Dämonen, Geister, Magie,
Vampire, Wechselbälger, Werwölfe
POLITIK
Milton ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen, spielte mit dem
Telefonkabel und sah aus dem Fenster, während er weitersprach.
„Wirklich, Senator, es ist nicht nötig, in solch einem Tonfall mit
mir zu reden. Sie wollten die Stimmen, um Ihre kleine Gesetzes-
änderung durchbringen zu können, und Sie haben Ihre Stimmen
bekommen. Muß es Sie denn da wirklich interessieren, auf
welche Weise das Ergebnis der Abstimmung zustande kam? Was
letzten Endes zählt, ist, daß ich meinen Teil der Abmachung
eingehalten habe, und nun erwarte ich von Ihnen, daß Sie das
ebenfalls tun. Andernfalls ... Nun, ich bin mir absolut sicher,
daß Ihnen auf Anhieb ein paar gute Gründe einfallen dürften,
weshalb Sie mir besser nicht auf die Eier gehen sollten. Ich mel-
de mich wieder bei Ihnen, Senator.“
Durch diese Kenntnis weiß ein Charakter über das poli-
tische Parkett, die auf ihm geltenden Regeln und die wich-
tigsten Personen, die auf ihm agieren, Bescheid. Er weiß,
welche Leute gerade an der Macht sind, und er kennt auch
die Antwort auf die Frage, wie diese Leute dort hingekom-
men sind – und er hat zudem eine klare Vorstellung davon,
bei wem es sich um die schärfsten Rivalen der derzeitigen
Machthaber handelt. Diese Kenntnis schließt eine gewisse
Vertrautheit mit der Tagespolitik und deren Einfluß auf den
Entscheidungsfindungsprozeß ein. Sie steht in erster Linie
für die Politik der Sterblichen, aber da Politik ein verhält-
nismäßig universelles Konzept ist, lassen sich die durch
diese Kenntnis gewonnenen Einsichten relativ leicht auf
die Situation unter den Gefallenen übertragen – um genau
zu sein, ist diese Fertigkeit im Umgang mit jedem Wesen,
das zu politischem Denken und Handeln in der Lage ist,
durchaus von Nutzen. Um selbst in die Politik einzusteigen,
bedarf es natürlich solcher Eigenschaften wie Ausdruck,
Vortrag und Ausflüchte, aber diese Kenntnis verleiht ei-
nem Charakter das nötige Hintergrundwissen, um besagte
Eigenschaften mit optimaler Wirkung einzusetzen.
• Schüler: Freizeitaktivist.
•• Student: Politologiestudent oder Kleinstadtpo-
litiker.
••• Magister: Wahlkampfmanager oder Politikre-
dakteur.
•••• Doktor: Sie könnten ein hohes politisches Amt
in Ihrem Heimatland bekleiden.
••••• Dozent: Sie könnten sich in den höchsten Krei-
sen der Weltpolitik bewegen.
Zu finden bei: Aktivisten, Anwälten, Politikern, Ränke-
schmieden, Vampiren
Spezialisierungen: Bestechung, Bundespolitik, Kommunal-
politik, Landespolitik, radikale Strömungen, Weltpolitik
KAPITEL SECHS
RECHERCHE
Das Gebäude ist zwar erst 1927 erbaut worden, doch der
Boden, auf dem es steht, wird selbst in den ältesten schriftlichen
Überlieferungen als Kultplatz ausgewiesen, sinnierte Senachib.
Der Geldgeber, der hinter dem Bau stand, hatte sich nach dem
Schwarzen Freitag das Leben genommen, oder zumindest war
sein Tod offiziell als Selbstmord bezeichnet worden. Es lag auf
der Hand, daß jemand viel Zeit und Mühe darauf verwendet
hatte, an dieser Stelle ein Gebäude errichten zu lassen. Die
Frage war nur, aus welchem Grund?
Auf die meisten Fragen gibt es irgendwo dort draußen
auch eine Antwort, solange man nur weiß, wo man nach
ihr zu suchen hat. Recherche stellt die Fähigkeit dar, immer
zu wissen, wo man nach Informationen suchen muß, diese
Informationsquellen voll auszuschöpfen und das Ergebnis
anschließend so zusammenzustellen, daß andere Personen
es ohne große Mühe nachvollziehen können. Durch diese
Fähigkeit kennt ein Charakter die effizientesten Wege,
auf denen er an spezifische Informationen herankommt.
Recherche unterscheidet sich von Akademisches Wissen
dergestalt, daß Recherche sich um eine echte Suche nach
Informationen dreht, während Akademisches Wissen das
tatsächlich vorhandene und sofort abrufbare Wissen eines
Charakters abdeckt. Recherche liefert in aller Regel detail-
liertere Informationen als das, was sich eine Person wieder
ins Gedächtnis rufen kann.
• Schüler: Sie wissen, wie Sie mit den Karteikar-
ten in der Bibliothek und Ihrer Lieblingssuch-
maschine im Internet umgehen müssen.
•• Student: Sie wissen, was es mit den DDC auf
sich hat und wie man etwas ohne Karteikatalog
•••
oder Suchmaschine finden kann.
Magister: Sie sind mit den besten Quellen für
Ihren Interessensbereich wohlvertraut.
•••• Doktor: Es ist nie die Frage, ob Sie eine In-
formation überhaupt finden, sondern nur, wie
lange Sie dafür brauchen werden.
••••• Dozent: Ihnen stehen unglaubliche Mengen
an Informationen zur Verfügung, die Sie durch
einen kurzen Telefonanruf oder eine einfache
E-Mail noch einmal vervielfachen können.
Zu finden bei: Bibliothekaren, Gelehrten, Forschern,
Schriftstellern, Studenten
Spezialisierungen: Genealogie, Geschichte, Internet, Kir-
chenarchive, offizielle Dokumente, seltene Bücher
RELIGION
„Oh, die Hölle ist real“, sagte Gaviel. „Sogar äußerst real,
doch sie ist kein Ort, an den die Seelen der Sterblichen gehen.
Nur die Gefallenen sind dort gefangen. Denk mal darüber nach,
was es heißt, nicht zur Hölle fahren zu können – ganz egal, was
du im Leben auch verbrochen haben magst. Das wirft ein ganz
neues Licht auf Gottes Gebote und deine restlichen Überzeu-
gungen, nicht wahr?“
Erinnerungen an die Schöpfung, den Krieg und den Fall
schlummern noch immer in Form von Mythen und Legen-
den im kollektiven Unbewußten der Menschheit. Diese
Sagen haben die Menschen mit Religionen ummantelt, von
denen einige mehr Menschen hinter sich vereinen als jede
Nation oder andere Macht der Welt. Gleichzeitig haben
Religionen die Menschheit gespalten, und sie dienen häufig
als Rechtfertigung für die schlimmsten Grausamkeiten. Da
Religionen den Glauben der Sterblichen bündeln, sind sie
von großem Interesse für die Gefallenen, und viele Dä-
monen studieren die existierenden Religionen, um deren
Anhänger zu beeinflussen und für sich zu gewinnen und
um Hinweise auf die Geheimnisse der Vergangenheit zu
finden, die sie verloren haben. Die Kenntnis Religion deckt
Studien in Theologie und vergleichender Religionswissen-
schaft ab. Durch sie gewinnt ein Charakter Wissen über
die großen Weltreligionen und (mit steigenden Werten)
zusätzlich Kenntnisse über die kleineren und weniger be-
kannten Glaubensgemeinschaften. Die meisten Charaktere
spezialisieren sich auf eine bestimmte Religion.
• Schüler: Sie haben einen oder zwei Kurse für
vergleichende Religionswissenschaft belegt.
•• Student: Theologiestudent.
••• Magister: Sie könnten Mitglied des Klerus sein
(ja, genau).
•••• Doktor: Sie können mit Experten über religiöse
Ideen und Prinzipien diskutieren und die Fach-
leute mit Ihrem Wissen beeindrucken.
••••• Dozent: Sie könnten Ihre eigene Religion grün-
den.
Zu finden bei: Fernsehpredigern, Geistlichen, Gelehrten,
Gläubigen
Spezialisierungen: Jede spezifische Religion (wie das Chri-
stentum, der Islam, Buddhismus, Satanismus und so wei-
ter)
HINTERGRUND
Einige Eigenschaften sind Ihrem Charakter angeboren,
andere erwirbt er durch Übung, und wieder andere hat er
nur durch Erfahrung, harte Arbeit und pures Glück erhalten.
Zeit seines Lebens dürfte der Wirtskörper Ihres Charakters
Freunde gefunden, Kontakte geknüpft und sich den einen
oder anderen Gefallen verdient haben. Er hat Geld gemacht,
hat sich Ressourcen erschlossen und vielleicht sogar Ruhm
oder Status gewonnen. Diese Errungenschaften werden
Hintergrundeigenschaften genannt. Hintergrundeigen-
schaften sind äußere, keine inneren Werte Ihres Charakters.
Sie bewegen sich im gleichen Spektrum wie Attribute und
Fähigkeiten, werden allerdings weitaus seltener für Würfel-
würfe herangezogen. Der Wert, den Ihr Charakter in einer
Hintergrundeigenschaft aufweist, repräsentiert einen ganz
bestimmten Vorteil, den er nutzen kann.
Hintergrundeigenschaften spiegeln einen Teil der Ge-
schichte Ihres Charakters wider. Oftmals sind die Hinter-
grundeigenschaften der Gefallenen eigentlich nicht ihre
eigenen, sondern gehören vielmehr dem sterblichen Gefäß,
in das sie eingefahren sind. Dämonen, die besonders viel
Glück haben, finden sich in wohlhabenden, einflußreichen
Personen wieder, während ihre Brüder und Schwestern mit
weniger Glück in den Hüllen von Kriminellen, Armen oder
Obdachlosen enden. Natürlich müssen die Gefallenen, die
das Leben reicher und prominenter Menschen leben, beson-
183

ders darauf achten, daß sie ihren Freunden, Familienangehö-
rigen und vor allem dem wachsamen Auge der Medien nicht
versehentlich ihre wahre Natur offenbaren. Im Vergleich
dazu genießen Gefallene, die durchschnittliche oder unter-
durchschnittliche Gefäße in Besitz genommen haben, den
nicht zu verachtenden Vorteil einer gewissen Anonymität.
ANHÄNGER
„Bist du bereit für die Freiheit, die ich dir anbiete?“ fragte
Gaviel den jungen Mann, der zu seinen Füßen kniete.
„Ja“, antwortete dieser trotzig und stolz. „Ich bin bereit dazu,
die Ketten zu sprengen, die mir aufgezwungen wurden.“
„Bist du bereit für die Wahrheit?“ hob Gaviel mit feierlicher
Stimme an.
„Ja, das bin ich“, antwortete der Mann.
Nein, das bist du nicht, dachte Gaviel, aber irgendwann
wirst du es sein. Und bis dahin wirst du mir noch von einigem
Nutzen sein.
Anhänger sind Diener, Jünger oder sogar treuergebene
Angestellte, die für Sie arbeiten. Bei ihnen handelt es sich
um Personen, die bereit sind, Ihnen einen großen Teil ihrer
Zeit zu opfern (möglicherweise sogar ihre ganze Zeit), um
die verschiedensten Aufgaben für Sie zu erledigen. Die
Anhänger eines Dämons sind oft (aber nicht immer) auch
eine Quelle des Glaubens und der Verehrung.
Auch wenn davon ausgegangen wird, daß Ihnen Ihre
Anhänger treu zur Seite stehen, müssen Sie durch Geld,
einen Pakt oder eine andere Form der Einflußnahme dafür
sorgen, daß Ihnen ihre Loyalität erhalten bleibt. Anhänger,
die zu wenig beachtet oder schlecht behandelt werden,
werden sich möglicherweise von Ihnen abwenden und auf
die Suche nach einem anderen Idol machen. Anhänger,
die gut behandelt werden, bleiben Ihnen normalerweise
treu, auch wenn sie weiterhin ihre eigenen Ziele verfolgen
und eigenständige Persönlichkeiten besitzen. Sie sollten
gemeinsam mit Ihrem Erzähler daran arbeiten, jeden An-
hänger näher zu beschreiben, der Ihrem Charakter nach-
folgt, und einen genauen Grund für seine Loyalität Ihnen
gegenüber festlegen.
Anhänger verfügen in aller Regel nur über gewöhnliche
Fähigkeiten. Sie können ein paar nützliche Fertigkeiten
besitzen, doch sie haben keine speziellen (sprich übernatür-
lichen) Fähigkeiten, solange Sie sich nicht dazu entschlie-
ßen, Glaube in sie zu investieren (nähere Informationen
hierzu finden Sie auf Seite 303). Der Erzähler sollte darauf
achten, daß Ihre Anhänger nützlich sind, ohne übermäch-
tig zu werden – also bitte keine Kader von ehemaligen
KSK-Angehörigen oder geheime Ninjakulte.
X Keine Anhänger – Sie arbeiten allein.
• Ein Anhänger.
•• Zwei Anhänger.
••• Drei Anhänger.
•••• Vier Anhänger.
••••• Fünf Anhänger.
EINFLUSS
Als sie über den Highway rasten, konnte Tom plötzlich Blau-
licht hinter ihnen aufblitzen sehen.
184
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
„Oh Scheiße, das sind die Bullen“, sagte er.
„Mach dir deshalb keine Sorgen“, antwortete Laura.
„Mach dir deshalb keine Sorgen! Wenn die uns rauswinken –“
„Ich sagte: Mach dir deshalb keine Sorgen“, wiederholte sie
noch einmal. Die Bullen hatten bestimmt schon ihr Kennzeichen
per Funk an die Zentrale durchgegeben, und es konnte höchstens
ein paar Augenblicke dauern, ehe sie wissen würden, wen sie da
gerade verfolgten. Kaum hatte Laura diesen Gedanken zu Ende
gedacht, beschleunigte der Wagen hinter ihnen auch schon und
überholte sie. Laura sah ruhig zu, wie seine Rücklichter in der
Dunkelheit verschwanden und lächelte zufrieden. Es zahlte sich
immer aus, die richtigen Leute zu kennen.
Sie können in der Gesellschaft der Sterblichen einige He-
bel in Bewegung setzen, um bestimmte Dinge zu erledigen
oder Leute die Augen vor etwas verschließen zu lassen. Ihr
Einfluß kann sich auf Reichtum, Ruhm, politische Macht,
gesellschaftliche Verbindungen, Erpressung, religiösen Eifer,
übernatürliche Kräfte oder eine Kombination aus alledem
stützen. Je höher der Wert Ihres Charakters in dieser Hin-
tergrundeigenschaft ist, desto größer und weitreichender
ist auch sein Einfluß.
Um seinen Einfluß zu nutzen, bedarf es normalerweise
eines Wurfs auf ein passendes gesellschaftliches Attribut
+ Einfluß, wobei der Erzähler bei nebensächlichen Din-
gen wie zum Beispiel dem Vernichten eines Strafzettels
für Falschparken oder eine Temposünde auf einen solchen
Wurf verzichten kann. Der Erzähler legt die Schwierigkeit
des Wurfs auf Einfluß anhand dessen fest, was Sie damit
genau zu erreichen versuchen. Passende Fähigkeiten (wie
etwa Einschüchtern) und Hintergrundeigenschaften (bei-
spielsweise Verbündete, Kontakte oder Ruhm) können die
Schwierigkeit noch weiter verringern. Die Gefallenen sind
für gewöhnlich sehr vorsichtig darin, ihren Einfluß geltend
zu machen, da ein zu offensichtliches Ausnutzen seiner
Vorteile die Aufmerksamkeit eines Erdgebundenen und
anderer Dämonen auf sie lenken kann.
X Sie haben nicht mehr Einfluß als Otto Normal-
verbraucher.
• Sie können Einfluß auf die Politik und die Be-
hörden in Ihrer Stadt nehmen.
•• Sie können Einfluß auf die Politik und die Be-
hörden in Ihrer Region nehmen.
••• Sie können Einfluß auf die Politik und die Be-
hörden in Ihrem Bundesland nehmen.
•••• Sie können Einfluß auf die Politik und die Be-
hörden in Ihrem Land nehmen.
••••• Sie können Einfluß auf die Weltpolitik und in-
ternational operierende Behörden nehmen.
KONTAKTE
„Sie ist eine Ausreißerin“, sagte Anila. „Sechzehn Jahre alt,
ungefähr einsfünfzig groß, kurzes Haar. Das letzte Mal, als
ich sie gesehen habe, hatte sie ihr Haar lila gefärbt. Ist nur so
eine Idee von mir, daß sie vielleicht bei euch oder in einem der
anderen Heime in der Nähe auftauchen wird. Könntest du mich
unter dieser Nummer anrufen, wenn sie das tatsächlich tut? Ja,
ich weiß, daß du normalerweise keine vertraulichen Informatio-
nen herausgibst, Don, aber sie ist einer meiner Fälle und es ist
wirklich sehr wichtig. Super, danke.“
KAPITEL SECHS

Sie mußte dieses Mädchen einfach finden. Es hatte

keine Ahnung, in was es da hineingeraten war, doch
Anila kannte eine Menge Leute in den Sozialein-
richtungen Londons. Wenn das Mädchen sich dort
blicken lassen sollte, würde sie davon erfahren.
Sie kennen einige Leute und können durch
sie an Informationen gelangen. Kontakte un-
terscheiden sich von Verbündeten dahinge-
hend, daß sie Ihrem Charakter in aller Regel
ausschließlich mit der Weitergabe von Infor-
mationen und keiner weitergehenden Form
der Unterstützung dienlich sind. Die Hinter-
grundeigenschaft Kontakte steht des weiteren
für die allgemeinen Informationsquellen, die
Ihrem Charakter zur Verfügung stehen – bei-
spielsweise ein Netzwerk aus Partnern oder
Freunde von Freunden.
Ein Kontakt kann Ihnen normalerweise
nur Informationen aus einem einzigen be-
stimmten Bereich liefern. Für jeden Punkt
in dieser Hintergrundeigenschaft haben Sie
einen Kontakt mit einem speziellen Bereich
an Informationen, mit denen er Sie versorgen
kann. Sollten Sie mit einem Kontakt mehrere
Bereiche abdecken wollen, so ist dies durch
die Vergabe mehrerer Punkte auf ein und die-
selbe Kontaktperson möglich (die Anzahl der
Kontaktpersonen und die Anzahl der von ih-
nen abgedeckten Bereiche können im übrigen
im Rahmen der vergebenen Punkte frei mitein-
ander kombiniert werden). Kontaktpersonen
sind eigenständige Charaktere und sollten
daher einen Namen haben. Nicht nur ihr je-
weiliges Interessenfeld, sondern auch sie selbst
sollten näher beschrieben werden, bevor sie in
der Chronik auftauchen. Der Erzähler führt
Ihre Kontakte und legt fest, wie schwer es ist,
Informationen von ihnen zu bekommen.
Um Informationen zu erhalten, würfeln Sie
in aller Regel ein passendes gesellschaftliches
Attribut (das vom Erzähler festgelegt wird)
+ Kontakte gegen eine bestimme Schwie-
rigkeit. Es ist immer einfacher, Auskünfte
zu bekommen, die etwas mit dem unmit-
telbaren Interessenfeld eines Kontaktes zu
tun haben, als Informationen von ihm zu
erhalten, die aus einem Bereich stammen,
der ihn wenig bis gar nicht interessiert.
Der Erzähler kann die Schwierigkeit eines
solchen Wurfs auch gemäß Ihres Umgangs
mit der Kontaktperson modifizieren. Eine faire
und gerechte Behandlung macht Kontakte we-
sentlich hilfsbereiter. Ein Scheitern eines Wurfs
bedeutet, daß der Kontakt entweder keine In-
formationen besitzt oder nicht gewillt ist, diese
preiszugeben. Ein Patzer könnte dazu führen,
daß der Kontakt Ihnen Fehlinformationen
weitergibt oder den falschen Leuten erzählt,
was Sie von ihm wissen wollten. Ein erfolgrei-

185

cher Wurf garantiert nicht, daß Sie genau die Information
erhalten, nach der Sie gesucht haben. Kontakte sind nicht
allwissend, und der Erzähler kann durchaus entscheiden,
daß die entsprechende Kontaktperson absolut gar nichts
über die Sache weiß, zu der Sie gerne ein paar Informatio-
nen gehabt hätten.
X Keine Kontakte – Bei Ihren Nachforschungen
sind Sie ganz auf sich allein gestellt.
• Ein Kontakt.
•• Zwei Kontakte.
••• Drei Kontakte.
•••• Vier Kontakte.
••••• Fünf Kontakte.
LEITSTERN
„Nun, das hätte auch besser gehen können.“
Sephidor ignorierte den sarkastischen Unterton und betrach-
tete die dickköpfige Maschine eingehender. Es sollte wirklich in
seiner Macht stehen, dieses Problem zu lösen.
„Hast du noch genug Saft, um es noch mal zu versuchen?“
fragte ihn sein Kunde. Sam lächelte nur.
„Kommt Zeit, kommt Rat …“, gab er zurück und überraschte
den Klugscheißer, indem er es an Ort und Stelle gleich noch
einmal versuchte. Ich mache weiter, bis das Ding wieder läuft,
dachte Sam, und ich habe viel Zeit.
Jedes der Häuser der Gefallenen steht in enger Verbindung
zu jener Facette der Schöpfung, mit deren Hege und Pflege
sie vom Höchsten betraut worden waren und die über die
jeweiligen Geheimnisse bestimmen, die die Häuser kennen.
Unter den Gefallenen gibt es einige, die besonders gut mit ih-
ren primären Geheimnissen umzugehen wissen. Womöglich
zupfen sie besonders geschickt an den richtigen Fäden im
Gespinst der Schöpfung oder haben tiefergehende Einsich-
ten in die innersten Vorgänge des Kosmos als ihresgleichen.
Aus welchen Gründen auch immer sind diese Dämonen die
Besten der Besten im Einsatz ihrer Geheimnisse – sie sind
(zumindest potentiell) wahre Meister ihrer Kunst.
Ein Leitstern kann in jedem Kapitel einer Geschichte
eine Anzahl von Beschwörungswürfen in seinen primä-
ren Geheimnissen wiederholen, die dem Wert in dieser
Hintergrundeigenschaft entspricht. Das bedeutet, daß ein
Leitstern seine primären Geheimnisse häufiger und wir-
kungsvoller einsetzen kann, ohne dabei den Verlust von
Glaube zu riskieren.
X In der Anwendung Ihrer Geheimnisse sind Sie
nicht mehr (oder weniger) begabt als jeder an-
dere Dämon.
• Sie können einen Beschwörungswurf wiederho-
len, wenn Sie Ihre primären Geheimnisse an-
wenden.
•• Sie können zwei Beschwörungswürfe wiederho-
len, wenn Sie Ihre primären Geheimnisse an-
wenden.
••• Sie können drei Beschwörungswürfe wiederho-
len, wenn Sie Ihre primären Geheimnisse an-
wenden.
•••• Sie können vier Beschwörungswürfe wiederho-
186
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
len, wenn Sie Ihre primären Geheimnisse an-
wenden.
••••• Sie können fünf Beschwörungswürfe wiederho-
len, wenn Sie Ihre primären Geheimnisse an-
wenden.
MENTOR
Piers betrat das Büro. Es war in dunklen Farben und opulent
eingerichtet, ohne dabei dekadent zu wirken. Er schloß die Tür
hinter sich und wartete leise darauf, daß seiner Anwesenheit
Rechnung getragen werden würde.
„Ich habe nicht erwartet, dich so früh zu sehen“, sagte eine
Stimme, die von einem Stuhl mit hoher Lehne zu ihm herüber-
drang, von dem aus man einen ausgezeichneten Blick über das
Lichtermeer der Stadt hatte.
„Es gibt ein Problem“, sagte Piers. „Ich benötige deinen Rat.“
Seit der Rebellion hat sich vieles in der Welt der Sterbli-
chen verändert und die Gefallenen sind sich dieser Tatsache
nicht immer gewahr. Sie sind zudem noch nicht an ihre
neue sterbliche Existenz und an die zahlreichen Grenzen, die
ihrer Macht dadurch gesetzt werden, gewöhnt. Durch diese
Hintergrundeigenschaft erhält Ihr Charakter einen Mentor
– einen Beistand und Lehrer, der ihm seinen Rat angedei-
hen läßt und ihm Führung bietet. Aller Wahrscheinlichkeit
nach handelt es sich bei Ihrem Mentor um einen Dämon,
der sich schon seit geraumer Zeit in dieser Welt aufhält und
einen Grund dafür hat, Ihnen helfen zu wollen. Es ist aber
auch möglich, daß Ihr Mentor ein Sterblicher ist, der in den
Geheimnissen der Gefallenen äußerst versiert und noch dazu
willens ist, Sie mit den Feinheiten der Welt der Sterblichen
vertraut zu machen. Ein niedriger Wert in dieser Hinter-
grundeigenschaft gibt an, daß der Mentor nur über begrenzte
Ressourcen und wenig Einfluß verfügt, während ein hoher
Wert für einen Mentor steht, der großen Respekt genießt
(und möglicherweise auch von vielen gefürchtet wird).
Ein Mentor agiert zu Ihren Gunsten, wobei der Erzähler
entscheidet, auf welche Weise dies genau geschieht. Für ge-
wöhnlich erteilt ein Mentor Ihnen gutgemeinte Ratschläge,
was es dem Erzähler erlaubt, führend oder korrigierend in das
Spiel einzugreifen, ohne seinen Verlauf ernsthaft stören zu
müssen. Ein Mentor kann außerdem seinen Einfluß geltend
machen oder seine Fähigkeiten dazu nutzen, um Ihnen aus
der Patsche zu helfen, wobei es die meisten Mentoren jedoch
lieber sehen, wenn ihre Schützlinge ihre Probleme selbstän-
dig angehen. Ein Mentor wird eines Schülers schnell über-
drüssig, der ihn ständig um Hilfe bittet. Es ist gut möglich,
daß ein Mentor eine Gegenleistung für seine Hilfe verlangt,
was Sie in einige interessante Situationen bringen kann.
X Sie sind auf sich allein gestellt.
• Ein Mentor mit wenig Einfluß oder Macht.
•• Ein Mentor mit einigem Einfluß oder Macht.
••• Ein Mentor mit erheblichem Einfluß oder Macht
in seinem unmittelbaren Umfeld.
•••• Ein Mentor mit beträchtlichem Einfluß oder
Macht über einen bestimmten regionalen Be-
reich wie etwa eine Stadt.
••••• Ein Mentor mit gewaltiger Macht.
KAPITEL SECHS
PAKTE
„Hier bist du sicher“, sagte Magdiel. „Da ist nichts, wovor
du Angst haben müßtest. Niemand kann dir wehtun, solange
ich bei dir bin.“
„Vielen Dank“, sagte das Mädchen.
„Nein, ich habe dir zu danken“, gab Magdiel zurück. „Du gibst
mir die Stärke, um dich beschützen zu können. Du hilfst mir, die
Stärke zu finden, die ich brauche, um nicht aufzugeben.“
Sie sind bereits einen oder mehrere Pakte mit Sterblichen
eingegangen und erfüllen ihnen ihre Wünsche als Gegen-
leistung für den Erhalt eines Teil ihres Glaubens (nähere
Informationen zu Pakten finden Sie auf Seite 303). Jeder
Punkt, den Sie auf diese Hintergrundeigenschaft vergeben,
steht für einen bereits vor der Chronik eingegangenen Pakt,
über den Ihr Charakter Glaube beziehen kann. Sie sollten
mit Ihrem Erzähler ausarbeiten, mit wem Ihr Charakter die-
se Pakte eingegangen ist, wie die genauen Abmachungen
lauten, aus denen sie bestehen, und so weiter. Der Erzähler
kann sogar das Zustandekommen eines oder mehrerer Ihrer
Pakte in Ihr Präludium einfließen lassen.
Sobald Ihr Charakter das Spiel begonnen hat, funktio-
nieren die Pakte dieser Hintergrundeigenschaft genauso
wie alle übrigen auch. Sie brauchen keine Punkte in dieser
Hintergrundeigenschaft, um während des Spiels neue Pakte
eingehen zu können. Sie müssen nur Punkte auf diese Ei-
genschaft vergeben, wenn Sie möchten, daß Ihr Charakter
bereits zu einem äußerst frühen Zeitpunkt seiner Spielexi-
stenz über Pakte und damit auch eine Quelle des Glaubens
verfügen soll.
X Sie sind bisher noch keinen Pakt eingegangen.
• Sie sind einen Pakt eingegangen (1 Glaubens-
punkt pro Tag)
•• Sie sind zwei Pakte eingegangen (2 Glaubens-
punkte pro Tag)
••• Sie sind drei Pakte eingegangen (3 Glaubens-
punkte pro Tag)
•••• Sie sind vier Pakte eingegangen (4 Glaubens-
punkte pro Tag)
••••• Sie sind fünf Pakte eingegangen (5 Glaubens-
punkte pro Tag)
RESSOURCEN
Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und die Augen des Mannes
weiteten sich bei dem Anblick, der sich ihm bot. Es gab einen
abgesenkten Wohnbereich, in dem feinster, weicher Teppichboden
ausgelegt war. Geschmackvolle Gemälde und Skulpturen waren
mit einem untrüglichen Gespür für Ästhetik überall im Raum ar-
rangiert. Die Beleuchtung war sanft und indirekt, und die Sitzge-
legenheiten sahen so bequem aus, daß man wahrscheinlich lieber
sterben als noch einmal aufstehen wollte, wenn man erst einmal
Platz genommen hatte. Doch das beeindruckendste an allem war
die Aussicht. Große Fenster eröffneten dem Betrachter einen
herrlichen Blick auf die schillernde Skyline der Stadt.
„Wow! Ist das wirklich deine Wohnung?“ fragte er. „Wie
kannst du dir das nur leisten?“
Christina lächelte, nahm ihn bei der Hand und führte ihn in ihr
Reich, während sich die Fahrstuhltüren hinter ihnen schlossen.
„Es ist einfach nur so, daß ich meine Arbeit liebe“, sagte sie
mit einem verruchten Timbre in der Stimme und zog ihn näher
zu sich heran.
Einst gab es eine Zeit, da standen alle Geschöpfe über
sämtlichen materiellen Bedürfnissen, doch in der moder-
nen Welt der Dunkelheit nimmt sich jeder so viel, wie er
nur irgendwie kriegen kann. Diese Hintergrundeigenschaft
ist ein Maß für den Reichtum Ihres Charakters und schließt
sowohl seine bereits vorhandenen Besitztümer als auch die
ihm zur Verfügung stehenden Geldmittel ein. Die Gefalle-
nen beginnen für gewöhnlich mit dem, was ihr sterbliches
Gefäß bis zu seiner Inbesitznahme durch den Dämon ange-
sammelt hat, und müssen dann das Beste daraus machen
(falls ihr Wirt überhaupt irgendeinen nennenswerten Be-
sitz sein eigen nannte). Einigen fällt es nicht allzu schwer,
Reichtum anzuhäufen, während andere wiederum ihre lie-
be Not damit haben (oder sich einfach keine Gedanken um
materielle Güter machen).
Die Punkte, die Sie Ihrem Charakter in dieser Hinter-
grundeigenschaft verleihen, stehen für seinen „Lebensstan-
dard“. In aller Regel kann dieser Standard verhältnismäßig
leicht beibehalten werden (auch wenn der Erzähler Ihnen
von Zeit zu Zeit Hindernisse in den Weg stellen kann).
Durch Ihre Ressourcen erhalten Sie ein monatliches Ein-
kommen, das Sie nach Lust und Laune ausgeben können.
Zudem beinhalten Ressourcen auch die verschiedensten
anderen Besitztümer wie etwa ein Zuhause, ein Fahrzeug,
Kleidung und so weiter. Im Zweifelsfall entscheidet der
Erzähler auf der Grundlage Ihres Ressourcenwerts, ob Sie
sich etwas Bestimmtes leisten können oder nicht. Wenn
nötig können Sie Ihren Besitz auch veräußern, um schnell
an Bargeld zu kommen, was allerdings etwas Zeit in An-
spruch nehmen kann (besonders bei größeren Dingen wie
Häusern oder Autos).
X Keine Ressourcen: Sie besitzen nichts weiter
als die Kleider, die Sie am Leib tragen, und die
Dinge, die Sie ständig mit sich führen können,
sowie unter Umständen ein wenig Kleingeld in
der Tasche.
• Kleine Ersparnisse: Sie haben eine kleine Miet-
wohnung und vielleicht ein Motorrad. Wenn Sie
alles flüssig machen würden, hätten Sie 1.000
Euro Bargeld. Monatliches Einkommen 500
Euro.
•• Mittelschicht: Sie haben eine große Mietwoh-
nung oder eine Eigentumswohnung und ein
Auto. Wenn Sie alles flüssig machen würden,
hätten Sie 8.000 Euro Bargeld. Monatliches Ein-
kommen 1.200 Euro.
••• Oberschicht: Sie haben ein Haus oder ein an-
deres Eigenheim und fahren einen wirklich
schicken Wagen. Wenn Sie alles flüssig machen
würden, hätten Sie 50.000 Euro Bargeld. Mo-
natliches Einkommen 3.000 Euro.
•••• Wohlhabend: Sie besitzen ein großes Haus und
wahrscheinlich mehr als ein Auto (oder zusätz-
lich zu Ihrem Wagen ein Boot oder ein anderes
Fahrzeug). Wenn Sie alles flüssig machen wür-
187

den, hätten Sie 500.000 Euro Bargeld. Monatli-
ches Einkommen 9.000 Euro.
••••• Steinreich: Sie sind Multimillionär. Sie könnten
eine oder mehrere Villen besitzen und als Hobby
Autos sammeln. Wenn Sie alles flüssig machen
würden, hätten Sie 5.000.000 Euro in Bar. Mo-
natliches Einkommen 30.000 Euro.
RUHM
„Es tut mir leid, denn das hören Sie wahrscheinlich ständig,
aber ich liebe Ihre Arbeit. Ich meine, darin ist so viel echte Lei-
denschaft, so viel Energie. Ich bin ebenfalls Schriftsteller. Nun,
bisher habe ich noch nichts veröffentlicht – so wie Sie, meine
ich. Aber ich gebe mir wirklich alle Mühe und … Gott, es tut
mir leid! Sie müssen sich das sicherlich von vielen Möchtegern-
autoren anhören.“
„Das ist schon in Ordnung“, sagte Dominic beruhigend. „Tat-
sächlich kommt es ziemlich selten vor, daß ich jemanden mit so
viel Hingabe an seine Kunst treffe wie Sie. Möchten Sie sich
nicht zu mir setzen? Ich würde gerne mehr über Ihre Arbeiten
erfahren. Vielleicht darf ich Ihnen ja den einen oder anderen
Verbesserungsvorschlag machen.“
Sie besitzen in der Gesellschaft der Sterblichen einen
gewissen Ruhm. Sie sind Künstler, Sportler, Politiker oder
irgendeine sonstige Person des öffentlichen Interesses. Ihr
Ruhm bringt Ihnen viele Vorteile, aber er kann es Ihnen
auch sehr schwermachen, Ihre wahre Natur vor der Welt zu
verbergen. Ruhm und Verehrung liegen dicht beieinander,
und wenn Sie mit der gebotenen Vorsicht ans Werk gehen,
können Sie vielleicht sogar ein wenig zusätzlichen Glauben
aus Ihrem Ruhm ziehen.
Ruhm bringt Macht und Einfluß in der Gesellschaft der
Sterblichen mit sich. Man kann mit erstaunlich viel davon-
kommen, wenn man nur berühmt genug ist, und die meisten
Leute neigen dazu, Ihnen jeden Wunsch von den Augen
abzulesen. Sie werden oft wiedererkannt und genießen in der
Öffentlichkeit den Status eines echten Stars. Allerdings ist
es schwer für Sie, auf die Straße zu gehen, ohne nicht früher
oder später erkannt zu werden, und gleichzeitig wachen die
Medien mit Argusaugen über Sie. Jede Auffälligkeit in Ihrem
Verhalten wird daher viel eher wahrgenommen (auch wenn
dies nicht zwingend auf kritische Weise geschehen muß –
von Berühmtheiten wird schließlich erwartet, daß sie ein
bißchen exzentrisch sind). Der Erzähler kann bei Würfen,
die sich auf den gesellschaftlichen Umgang mit treuen Fans
oder ähnlichen Personen beziehen, die Schwierigkeit nach
eigenem Ermessen senken.
X Wer? Sie werden sicherlich noch wie jeder an-
dere auch Ihre 15 Minuten Ruhm bekommen.
Bisher ist dies jedoch noch nicht geschehen.
• Sie sind in einem kleinen Kreis oder in einer
Subkultur – wie etwa unter den Oberen Zehn-
tausend oder in der Okkultistenszene – einer
bestimmten Stadt recht bekannt.
•• Sie sind ein bekanntes Gesicht in Ihrer Stadt
– vergleichbar mit einem Radio- oder Fern-
sehmoderator eines Lokalsenders. Die meisten
Leute in Ihrem Viertel kennen Sie.
188
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
••• Sie sind weit über die Grenzen Ihrer Heimat-
stadt hinaus berühmt oder jedem Mitglied einer
größeren Subkultur Ihres Heimatlandes – zum
Beispiel unter Science-Fiction-Fans oder Aka-
demikern – bekannt.
•••• Sie sind eine nationale Berühmtheit. Die mei-
sten Leute in Ihrem Heimatland haben zumin-
dest von Ihnen gehört. Sie werden von vielen
erkannt, wenn Sie sich in der Öffentlichkeit
bewegen.
••••• Sie sind eine international bekannte Persönlich-
keit, ein Megastar, der überall, wo er hingeht,
erkannt (und fast immer von einer Horde Fans
belagert) wird.
STAND
Piers blieb erst stehen, als sich der Berg von Mann direkt
zwischen ihn und die Tür stellte.
„Hier kannst du nicht rein, Kumpel“, stellte der Kleiderschrank
mit Nachdruck in der Stimme fest und unterstrich diese Aussage,
indem er die Arme vor der breiten Brust verschränkte. Piers Au-
gen wurden zu schmalen Schlitzen. Er begegnete dem Blick seines
Gegenübers ohne das geringste Zeichen von Furcht.
„Oh, ich denke doch, es sei denn, du bist scharf auf eine Gra-
tisreise zurück in den Höllenschlund. Oder ist es gar möglich,
daß du tatsächlich nicht weißt, wer ich bin?“ Er ließ sein wahres
Ich in Piers Augen und überall um sein sterbliches Gefäß herum
aufblitzen. Der Hüne wurde blaß und begann zu zittern.
„Bitte verzeihen Sie mir, Sir“, stammelte er und trat schnell
zur Seite. „Ich habe Sie nicht sofort erkannt.“
Bereits vor dem Fall gab es eine genau festgelegte Ordnung
unter den Dienern des Schöpfers. Seitdem haben die Gefal-
lenen eine eigene Hackordnung entwickelt, in der die mäch-
tigsten und fähigsten (oder gerissensten) Dämonen ganz
oben stehen. Dieser Hintergrund schenkt Ihnen ein gewisses
Maß an Einfluß und Prestige in der Dämonengesellschaft.
Niedere Dämonen werden versuchen, Ihnen aus dem Weg
zu gehen, während Gleichgestellte Ihnen mit Respekt be-
gegnen werden, solange Sie ihnen nicht Anlaß dazu geben,
die Meinung über Sie zu ändern. Sie können Ihr politisches
Gewicht sogar dafür einsetzen, niedere Dämonen zu befeh-
ligen und Höhergestellte auf sich aufmerksam zu machen.
Natürlich führt ein höherer Stand auch gleichzeitig zu einem
höheren Bekanntheitsgrad. Es ist daher sehr wahrscheinlich,
daß andere Dämonen mehr über Sie gehört haben und mehr
von Ihnen wissen, als Ihnen vielleicht bewußt ist. Und es ist
ebenso möglich und wahrscheinlich, daß manch einer einen
Groll gegen Sie hegt – oder zumindest das System, das sich
nicht zuletzt in Ihrem Stand manifestiert.
X Wie die meisten Gefallenen stehen Sie auf der
untersten Sprosse der Leiter. Sie gehören le-
diglich zum Pöbel der jüngst aus dem Höllen-
schlund entkommenen Dämonen.
• Früher – vor dem Fall oder während der Rebelli-
on – waren Sie vielleicht mal jemand, und unter
Dämonen ist das zumindest noch ein bißchen
etwas wert.
•• Sie verfügen über einen gewissen Einfluß – ent-
KAPITEL SECHS
weder als erfolgreicher Aufsteiger oder wenig-
stens als vielversprechendes junges Talent.
••• Sie besitzen großen Einfluß – jedenfalls genug,
um niederere Dämonen dazu zu bringen, das zu
tun, was Sie von ihnen verlangen (und sei es
nur, um zu verhindern, Ihren Zorn auf sich zu
laden).
•••• Sie sind einer der Walter und Schalter in der
örtlichen Dämonengesellschaft. Jeder weiß, wer
Sie sind.
••••• Sie herrschen über den hiesigen Hof und besit-
zen weltweiten Einfluß. Sie könnten eine Be-
rühmtheit aus der Rebellion sein oder sich Ihren
Ruf in der Zeit danach erworben haben.
VERBÜNDETE
Wer auch immer da draußen darauf aus war, ihr Schwie-
rigkeiten machen zu wollen, hatte offenbar nicht die geringste
Ahnung, mit wem er sich angelegt hatte. Laura saß ruhig an
ihrem Schreibtisch und nahm den Telefonhörer in die Hand. Sie
achtete nicht auf das leise Zittern, das sie überkam, als sie daran
dachte, wie knapp der Schuß, der auf sie abgegeben worden war,
sein Ziel verfehlt hatte und was mit ihr wohl geschehen würde,
sollte sie je wieder in den Abgrund hinabgeschleudert werden.
Sie lauschte dem Freizeichen, bis jemand am anderen Ende
der Leitung ihren Anruf entgegennahm.
„Du mußt mir einen Gefallen tun“, sagte Laura sofort.
Verbündete sind Personen (sterbliche und auch weniger
sterbliche), die gewillt sind, Ihnen hin und wieder unter die
Arme zu greifen. Es kann sich bei ihnen um Freunde oder
Gleichgesinnte handeln, aber jedenfalls immer um solche
Leute, die Ihnen den einen oder anderen Gefallen schulden.
Jeder Punkt, den Sie als Spieler auf Verbündete legen, bringt
Ihrem Charakter einen Verbündeten mit recht gewöhnli-
chen Fähigkeiten ein. Sie können aber auch mehrere Punkte
auf diese Hintergrundeigenschaft legen, um entweder einen
fähigeren Verbündeten oder eine größere Zahl von Verbün-
deten zu erhalten (diese beiden Möglichkeiten sind im üb-
rigen frei kombinierbar). Wichtig ist nur, daß Sie vor dem
eigentlichen Spielbeginn festlegen, was die Punkte, die Sie in
Verbündete investiert haben, genau bedeuten. Sie sollten die
Verbündeten Ihres Charakters gemeinsam mit dem Erzähler
ausarbeiten und ihnen eine eigenständige Persönlichkeit in
Form von Namen, Geschichte und Fähigkeiten verleihen,
damit der Erzähler sie als wichtige Nebenrollen in seiner
geplanten Chronik verwenden kann.
Obwohl die meisten Verbündeten Sterbliche sind, gilt
dies insbesondere für die fähigeren und mächtigeren unter
ihnen nicht zwingend. Auch wenn Verbündete eventuell
Ihre wahre Natur kennen, wissen sie für gewöhnlich nichts
von der wahren Natur der Welt der Dunkelheit – es sei
denn, es handelt sich bei ihnen um erfahrene Okkultisten
oder andere Erforscher des Unbekannten. Zwar sind Ver-
bündete Ihnen gegenüber freundlich gesinnt, doch sie ha-
ben auch eine eigenständige Persönlichkeit und somit auch
eigene Ziele und Bedürfnisse. Es ist höchst unwahrschein-
lich, daß sie sich Ihretwegen grundlos einem hohen Risiko
aussetzen oder sich selbst in Lebensgefahr bringen werden,
und es kann vorkommen, daß sie für ihre Hilfe gelegentlich
einen Gefallen von Ihnen einfordern werden.
X Keine Verbündeten.
• Ein Verbündeter mit gewöhnlichen Fähigkei-
ten.
•• Zwei gewöhnliche Verbündete oder ein Verbün-
deter mit außergewöhnlichen Fähigkeiten.
••• Drei gewöhnliche Verbündete oder eine Kombi-
nation aus Verbündeten unterschiedlicher Befä-
higung.
•••• Vier gewöhnliche Verbündete oder eine Kombi-
nation aus Verbündeten unterschiedlicher Befä-
higung.
••••• Fünf gewöhnliche Verbündete oder eine Kombi-
nation aus Verbündeten unterschiedlicher Befä-
higung.
VERMÄCHTNIS
„Warte! Halt den Wagen an!“ rief Steven.
Andrea trat auf die Bremse und lenkte den Wagen in eine
kleine Nothalte- und Aussichtsbucht neben der schmalen Berg-
straße. Steven war bereits aus dem Auto heraus, bevor dieses
ganz zum Stehen gekommen war.
Hunderte von Metern unter ihnen breitete sich das dichtbe-
waldete Tal in seinen blau-grünen Farben bis zu den sanften
Hügeln aus, die sich fünfzehn Kilometer weiter östlich erhoben.
Selbst nach den vielen gefahrenen Kilometern und den langen
Nächten ohne Schlaf spürte Andrea, wie ihr Herz ob dieses An-
blicks lachte. „Es ist wunderschön“, sagte sie, „aber wir haben
nicht die Zeit zum –“
„Gib mir nur eine Minute“, schnitt ihr Steven das Wort ab
und hob die Hand. Er starrte intensiv auf das Auf und Ab des
Panoramas, das sich ihnen bot. „Das kommt mir so vertraut vor.
Damals gab es hier natürlich noch keine Bäume. Das war alles
noch Meeresboden. Aber …“
„Aber?“ fragte Andrea.
Steven deutete mit dem Finger auf einen bestimmten Bereich
drunten im Tal. „Dort hat Fürst Iriel in einer der wenigen verblie-
benen Bastionen unserer Legion seine letzte Schlacht geschlagen.
Es war die am besten versteckte und mit den stärksten Verteidi-
gungsanlagen versehene Festung, die wir damals noch hatten.“ Er
sah seine Begleiterin an. „Sie sollte noch immer dort unten sein.“
Der sterbliche Verstand ist nicht dazu gemacht worden,
die unvorstellbar umfangreichen Erinnerungen der Gefal-
lenen vollständig fassen zu können. Vieles, an das sich die
Dämonen aus der Zeit des Zorns und der Zeit davor erin-
nern können, ist tief in das Unterbewußtsein ihres Wirtes
verdrängt worden, von wo aus sie es sich nur schwer zurück
ins Gedächtnis rufen können – wenn überhaupt. Diese
Hintergrundeigenschaft erlaubt es Ihrem Charakter, sich
an mehr zu erinnern als die meisten anderen Gefallenen
und verleiht ihm somit Zugriff auf genauere Informationen
über Persönlichkeiten, Orte und Ereignisse aus der grauen
Vorzeit der Erde.
Um diese Erinnerungen wachzurufen, müssen Sie einen
Würfelwurf auf Intelligenz + Vermächtnis ablegen. Die
Schwierigkeit dieses Wurfs hängt von der Genauigkeit der
189
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

Informationen ab, die Sie zutage fördern wollen, und wird

vom Erzähler festgelegt. Um sich beispielsweise an einen
guten Kameraden aus der Zeit des Zorns zu erinnern, wäre
eine Schwierigkeit von 6 ausreichend, während die Erin-
nerung an ein bestimmtes Schlachtfeld oder den Stand-
ort einer Festung einer Schwierigkeit von 7 oder höher
entspräche. Die Anzahl der erzielten Erfolge gibt an, wie
detailliert und vollständig die Erinnerungen sind, die Sie
sich ins Gedächtnis rufen können.

X Sie besitzen nur vage Erinnerungen an Ihre frü-

here Existenz.
• Sie können sich an einige Einzelheiten aus dem
Krieg und an ihre Kameraden, mit denen Sie
Seite an Seite gekämpft haben, erinnern.
•• Sie können sich an viele Einzelheiten aus der
Zeit des Falls erinnern.
••• Sie können sich detailliert an den Krieg und die
Taten erinnern, die sie darin vollbracht (oder
begangen) haben.
•••• Sie können sich ausgezeichnet an den Krieg und
die Zeit vor dem Fall erinnern.
••••• Sie besitzen einen wahren Schatz an detaillier-
ten Erinnerungen Ihrer früheren Existenz.

TUGENDEN
Die Gefallenen verkörperten einst bestimmte Tugenden.
Tatsächlich waren es ihre leidenschaftliche Hingabe an ihre
Auffassung von Recht und Unrecht, ihre Liebe zur Mensch-
heit und ihr Glaube an die Rechtschaffenheit ihrer Sache,
die sie überhaupt erst dazu brachten, gegen den Himmel
aufzubegehren. Die Erinnerungen und die Sterblichkeit ih-
rer menschlichen Wirte haben die tugendhaftere Natur der
Gefallenen wiedererweckt, und nun halten sie verzweifelt an
diesen Tugenden fest, um ihre Erinnerungen an die Äonen
der Qual zu verdrängen, die sie erdulden mußten.
In Dämonen sind die Tugenden eines Charakters ein
Maß für seine Hingabe an diese Ideale. Sie beeinflussen,
wie der Charakter in bestimmten Situationen reagiert, und
sie geben auch an, wann und wie ein Charakter von seiner
Qual überwältigt werden kann. Die Gefallenen sind abhän-
gig von ihren Tugenden, um bei Verstand bleiben und dem
inneren Drang widerstehen zu können, wieder zu jenen
wahnsinnigen Kreaturen zu werden, die den Tiefpunkt
ihrer Entwicklung darstellten.

GEWISSEN
Gewissen ist die Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht
unterscheiden zu können. Sie ist eine Art moralischer Kom-
paß und die Fähigkeit, Bedauern ob der eigenen Missetaten
zu empfinden. Das Gewissen ist es auch, das die Gefalle-
nen aus ihrer Qual reißt, wenn sie das erste Mal in einen
sterblichen Wirtskörper einfahren. Es ist so, als würde man
ihnen einen Spiegel vorhalten, in dem sie sehen können,
wie mißgestaltet und abstoßend sie geworden sind, wenn
sie ihr jetziges Erscheinungsbild mit ihrer einstigen Pracht
vergleichen. Zum ersten Mal sehen sie ihre Taten objektiv
und empfinden Reue für ihr früheres Verhalten. Gewissen

190
KAPITEL SECHS
ist das Maß, inwieweit Ihr Charakter seinen persönlichen
moralischen Überzeugungen treu bleibt und wie sehr er an
dem Ziel, fortan das Richtige zu tun, festhält.
• gleichgültig
•• normal
••• ethisch
•••• rechtschaffen
••••• barmherzig
ÜBERZEUGUNG
Jeder Teil der Schöpfung erfüllt einen bestimmten Zweck,
und nichts in ihr geschieht ohne Grund. Es gab eine Zeit,
da hätten die Gefallenen nie an dieser Wahrheit gezweifelt.
Sie wußten, daß alles und jeder ein Teil von Gottes Plan
für den Kosmos war, und diese Gewißheit spendete ihnen
Trost. Ihre Bereitschaft, den Willen Gottes zu hinterfragen
und ergründen zu wollen, was der Sinn hinter der Existenz
bestimmter Dinge war, war einer der Gründe, die zum Fall
und der Rebellion führten. Und auch in ihrem neuen Da-
seinszustand suchen die Gefallenen in den scheinbar zufäl-
ligen Ereignissen der Welt nach dem Sinn der Schöpfung.
Überzeugung ist das Maß für das einem Charakter eigene
Verständnis der Ordnung, die hinter der Schöpfung steht.
Sie ist eine Kombination aus der beinahe schon an die
Lehren des Zen gemahnenden Fähigkeit, die Ereignisse um
einen herum ruhig und gelassen hinzunehmen, und der
Gabe, selbst in höchster Not an seinem Glauben festzuhal-
ten. Charaktere mit hohen Werten in Überzeugung wissen
in ihrem tiefsten Innern, wie die Dinge wirklich zu sein
haben und finden sich mit dieser Ordnung ab.
• zynisch
•• unsicher
••• ausgeglichen
•••• bestimmt
••••• unumstößlich
MUT
Mut ist die Entschlußkraft, die hinter dem Gewissen und
der Überzeugung eines Charakters steht. Diese Tugend
spiegelt die Fähigkeit wider, sich trotz aller Nöte, Ängste
und Gefahren nicht von seinem Weg abbringen zu lassen.
Mut steht natürlich auch für die Tapferkeit eines Cha-
rakters, wenn er mit einer Bedrohung für Leib und Leben
konfrontiert wird, doch diese Tugend ist weit mehr als nur
das. Sie ist auch die Fähigkeit, große Strapazen auf sich
zu nehmen oder sich gar selbst zu opfern, wenn es dem
Gemeinwohl dienlich sein sollte. Charaktere mit hohen
Mutwerten können sich nahezu jeder Gefahr stellen, ohne
auch nur mit der Wimper zu zucken, und sie tun, was getan
werden muß – ohne einen Gedanken an die Konsequenzen
zu verschwenden, die sich daraus für sie ergeben könnten.
Während ein Charakter mit einem hohen Wert in Gewissen
erkennt, ob eine Handlung moralisch richtig oder falsch ist,
und ein Charakter mit einem hohen Wert in Überzeugung
weiß, ob besagte Handlung wirklich nötig ist, braucht es
großen Mut, um loszuziehen und ungeachtet dessen, wie
schwierig es auch sein mag, tatsächlich zu handeln.
• ängstlich
•• normal
••• kühn
•••• wild entschlossen
••••• heldenhaft
GLAUBE
Glaube ist die Grundlage der Macht eines Gefallenen –
jener Macht, die einst groß genug war, um Berge zu verset-
zen. Auch wenn die Macht der Gefallenen nicht mehr das
ist, was sie einmal war, können Dämonen die Schöpfung
nach wie vor auf unterschiedlichste Weise allein durch
ihren Glauben beeinflussen.
Glaube ist eine Mischung aus der Selbstsicherheit des
Dämons, seiner Einsicht in das wahre Wesen der Schöpfung
und seiner Nähe zu der göttlichen Macht, über die er einst
verfügte. Vor dem Fall glaubten die Dämonen noch an ih-
ren Schöpfer und erhielten ihre Macht von Ihm. Nun glau-
ben die Gefallenen nur noch an sich selbst (und manchmal
auch an die Menschheit) und gewinnen folglich auch ihre
Macht aus ihrem Glauben an sich selbst sowie dem Glau-
ben, den die Sterblichen ihnen entgegenbringen.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Eigenschaften
wird Glaube auf einer Punkteskala 1 bis 10 gemessen, da er
die Grenzen der Sterblichkeit überschreiten kann. Je größer
der Glaube eines Dämons ist, desto mehr Macht über die
Kräfte der Schöpfung steht ihm zur Verfügung.
DER EINSATZ VON GLAUBE
Gefallene Charaktere haben zwei Glaubenswerte, einen
permanenten Wert und einen temporären „Vorrat“. Der
permanente Glaube ist eine Eigenschaft wie jede ande-
re auch. Der Glaubensvorrat entspricht bei Spielbeginn
dem permanenten Glaubenswert, und Dämonen nutzen
diesen Vorrat, um ihre verschiedenen übernatürlichen
Kräfte zu speisen, was es ihnen erlaubt, Unvorstellbares zu
vollbringen. Die dämonischen Kräfte gliedern sich in drei
unterschiedliche Varianten, die allesamt von der Macht
des Glaubens gespeist werden: arteigene Fähigkeiten, die
apokalyptische Gestalt und Geheimnisse. Alle Einzelheiten
über diese Kräfte finden Sie in Kapitel Sieben.
Einige Kräfte setzen lediglich voraus, daß der Dämon, der
sie anwenden will, mindestens einen Punkt Glaube in sei-
nem Vorrat aufweisen kann. Auf diese Weise kann ein Ge-
fallener beispielsweise seine arteigenen Fähigkeiten nach
Belieben nutzen. Der Einsatz anderer Kräfte hingegen – wie
etwa das Annehmen der apokalyptischen Gestalt oder das
Anwenden eines Geheimnisses – erfordert einen Glau-
benswurf (der vom Vorgang her einem Willenskraftwurf
entspricht) oder die Aufwendung von Glaubenspunkten,
um Wirkung zeigen zu können.
Nähere Details zum Einsatz von Glaube finden Sie in
Kapitel Neun.
OFFENBARUNG
Obwohl Dämonen über atemberaubende Kräfte ver-
fügen, gehen sie ein gewisses Risiko ein, wenn sie diese
Kräfte zu oft anwenden: das Risiko, einer Offenbarung
ihrer wahren Natur. Je mehr Glaube ein Dämon im Verlauf
einer bestimmten Szene einsetzt, desto wahrscheinlicher
wird es, daß Sterbliche in die Lage versetzt werden, hin-
191

ter die menschliche Fassade zu blicken, die der Gefallene
aufrechtzuerhalten versucht. Abhängig von der Qual des
Dämons kann sich diese Offenbarung darin äußern, daß
Menschen von Ehrfurcht ergriffen oder von Grauen ge-
schüttelt werden, aber in jedem Fall handelt es sich um ein
erschütterndes Erlebnis für den Sterblichen. Eine solche
Offenbarung verrät auch jedem Wesen, das in der Lage
ist, die durch das Eingreifen in die Schöpfung entstehen-
den Erschütterungen zu spüren, daß sich ein Dämon in
seiner Umgebung aufhält. Dieser Effekt erschwert es den
Gefallenen ungemein, ihre Aktivitäten vor ihren Feinden
geheimzuhalten. Die Heftigkeit der durch die Offenbarung
ausgelösten Erschütterungen hängt davon ab, wieviel Glau-
be ein Dämon im Verlauf einer bestimmten Szene einsetzt.
Je mehr Glaube aufgewendet wird, desto stärker fällt auch
dieser unerwünschte Nebeneffekt aus.
Nähere Informationen über die Auswirkungen von Of-
fenbarungen auf Sterbliche finden Sie in Kapitel Neun.
WIEDERERLANGEN VON GLAUBE
Da sie den Glauben an ihren Schöpfer verloren haben,
können Gefallene Glaube nur dadurch zurückgewinnen,
indem sie sich ihn von den Sterblichen nehmen. Sie kön-
nen hierzu auf zweierlei Weise vorgehen: Sie können den
Glauben der Sterblichen einbringen – sprich, ihn durch
Erzeugung von Furcht oder Ehrfurcht für sich gewinnen
– oder Pakte eingehen, wobei es sich um Abkommen in
beiderseitigem Einverständnis handelt, von denen sowohl
der Dämon in Form von Glauben als auch der Sterbliche
in Form eines Dienstes des Dämons profitiert. In Kapitel
Neun finden Sie detaillierte regeltechnische Systeme für
diese beiden Methoden.
DAS EINBRINGEN VON GLAUBE
Einbringen ist die schnelle Art, um Glauben zurückzu-
gewinnen. Man braucht dafür nicht mehr als einen Sterb-
lichen, der an die Existenz und die Macht des Dämons
glaubt, und sei es nur für einen kurzen Augenblick. Dieser
Moment reicht dem Gefallenen aus, um sich den Glauben
des Sterblichen anzueignen. Das Einbringen kann in jeder
beliebigen Form geschehen, die den Sterblichen ohne jeden
Rest von Zweifel zu der Überzeugung bringt, es wirklich
und wahrhaftig mit einem echten übernatürlichen Wesen
zu tun zu haben. Ein sterbliches Wesen, das von einer Krea-
tur aus der Hölle bei lebendigem Leib gehäutet wird, hat
keinen Zweifel daran, daß diese Kreatur echt ist. Ähnlich
ist ein Sterblicher, der durch die Hilfe eines strahlenden
Schutzengels aus großer Gefahr gerettet wird, felsenfest
davon überzeugt, daß eine überirdische Macht in sein Le-
ben eingegriffen hat. Eine einfache Offenbarung reicht
allerdings noch nicht für das Einbringen von Glauben aus.
Der Dämon muß dafür mit dem Sterblichen irgendwie auf
direktem Wege interagieren. Nur der Erzähler kann darüber
entscheiden, ob eine bestimmte Handlung ausreicht, um
einem Sterblichen seinen Glauben nehmen zu können. Die
Gefallenen gehen beim Einbringen äußerst vorsichtig vor,
da es sie dazu zwingt, sich den Sterblichen zu offenbaren,
und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, Dämonenjäger
oder andere Feinde auf sich aufmerksam zu machen.
192
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
ERLÖSUNG
Unter den Gefallenen machen Gerüchte die Runde,
daß es möglich sei, die Vergebung des Himmels zu erfah-
ren und ihren Verlust rückgängig zu machen. Ein Dä-
mon, dem es irgendwie gelingt, den permanenten Wert
seiner Qual auf Null zu senken, könnte theoretisch
wieder zu einem Engel werden. Das schwierige dabei
ist nur, daß kein Dämon weiß, wie dieser gnadensreiche
Zustand zu erreichen ist – oder daß die, die über dieses
Wissen verfügen, sich ungemein bedeckt halten. Der
Erzähler kann die Möglichkeit auf Vergebung als Moti-
vation für die Charaktere in einer Dämonen-Chronik
einsetzen – und sogar Gerüchte und Geschichten dar-
über auftauchen lassen –, doch es liegt allein in seinem
Ermessen, ob sie wirklich existiert oder nicht.
PAKTE
Eine verläßlichere Art, um Glaube zurückzugewinnen, ist
die, Pakte einzugehen. Ein Pakt ist eine Vereinbarung zwi-
schen einem Dämon und einem Sterblichen. Der Dämon
bietet dem Sterblichen einen bestimmten Dienst an und
erhält im Gegenzug dafür dessen Glauben. Pakte verlangen
zwar einen gewissen Zeitaufwand, was ihre Aushandlung
und ihre Aufrechterhaltung angeht, doch dafür bieten sie
mehrere Vorteile. Dazu gehören ein beständiger Zustrom
an Glaube und die Tatsache, daß der Sterbliche sich nicht
der wahren Natur des Gefallenen bewußt sein muß (zumin-
dest anfangs nicht).
Das Eingehen eines Paktes ist verhältnismäßig einfach.
Der Dämon bietet an, dem Sterblichen einen Wunsch zu
erfüllen oder eine seiner Sehnsüchte zu stillen, und erhält
dafür die Hingabe und Verehrung des Sterblichen. Stimmt
der Sterbliche dem Handel zu, wendet der Dämon einen
Glaubenspunkt auf und erfüllt den Wunsch des Sterbli-
chen, um den Pakt zu besiegeln. Um Erfolg mit einem Pakt
zu haben, muß der Dämon den Dienst für den Sterblichen
ausführen, und der Sterbliche muß zudem willens sein,
dieses Geschenk und die Vereinbarungen der Abmachung
anzunehmen. Das gesamte Unterfangen schlägt fehl, wenn
der Dämon sich nicht an die Vereinbarung hält oder der
Sterbliche den Pakt ablehnt. Sobald ein Pakt eingegangen
wurde, kann er nur noch vom Dämon aufgehoben oder
gebrochen werden. Solange der Dämon seinen Teil der
Abmachung einhält, gibt es nichts, was der Sterbliche tun
könnte, um sich aus dem Pakt zu befreien (es sei denn, er
vernichtet den Dämon, was leichter gesagt als getan ist).
Das Wesen des Paktes wird ganz allein vom Dämon be-
stimmt. Dämonen mit einem hohen Qualwert neigen zu
korrumpierenden Pakten, in denen sie den Sterblichen die
Erfüllung ihrer geheimsten Wünsche anbieten und sie mit
Versprechen von Macht und Luxus locken. Dämonen mit
einem niedrigen Qualwert ziehen eher solche Pakte vor, die
in echter Dankbarkeit und Hingabe eines Sterblichen be-
gründet liegen, indem sie beispielsweise einem Sterblichen
den Traum von einer Karriere als großem Künstler erfüllen
oder ihn von einer schweren Verletzung oder Krankheit
heilen. Dämonen tun Sterblichen häufig den einen oder
KAPITEL SECHS
anderen Gefallen, bevor sie einen Pakt mit ihnen einge-
hen. Sollte ein Sterblicher dann den Pakt ablehnen, kann
der Dämon den erwiesenen Gefallen jederzeit rückgängig
machen und den Sterblichen dazu bewegen, seine Haltung
gegenüber dem Pakt noch einmal zu überdenken. Wie man
so schön sagt: Das erste Mal gibt es immer umsonst ...
QUAL
Die Gefallenen werden allesamt von ihrer Vergangen-
heit verfolgt. Die zwei größten Dinge, die sie je geliebt
haben – Gott und die Menschheit –, haben sich von ihnen
abgewandt und sie zu Jahrtausenden der Folter und Pein
verurteilt, doch nichts, was ihnen die Hölle antun konnte,
schlug eine so schreckliche Wunde wie der Verrat ihres
eigenen Schöpfers und ihrer geliebten Schutzbefohlenen.
Alle Dämonen tragen einen bestimmten Teil dieser Pein in
sich, und viele von ihnen werden von ihm im Laufe der Zeit
in den Wahnsinn getrieben. Die Qual eines Dämons ist das
Maß für das Leid und die Ängste, die er in sich trägt, und
sie bestimmt auch darüber, wie er mit diesen schmerzlichen
Erinnerungen umgeht.
Wie Glaube wird Qual auf einer Punkteskala von 1 bis
10 gemessen und hat einen temporären und einen perma-
nenten Aspekt. Ein Dämon mit einer permanenten Qual
von 1 steht kurz davor, sich selbst die Sünden seiner Ver-
gangenheit zu vergeben und endlich von ihnen loszulassen,
und mit dem Großteil der Erinnerungen an diese Sünden
versteht er überdies mittlerweile außergewöhnlich gut um-
zugehen. Ein Dämon mit einer permanenten Qual von 10
wird von seiner Pein und seinem Leid zerfressen und ist un-
fähig, irgend etwas anderes zu tun, als diesen Schmerz auch
anderen zuzufügen. Je größer die Qual eines Dämons ist,
desto weniger Mitleid und Anteilnahme kann er überhaupt
empfinden. Die permanente Qual eines Charakters hängt
davon ab, welchem infernalischen Haus er angehört (und
sie steht in Kapitel Fünf nachzulesen). Alle Charaktere
beginnen das Spiel mit einer temporären Qual von 0.
DER LOHN DER SÜNDE
Herzlose Akte der Selbstsucht und Grausamkeit ver-
schlimmern die innere Qual eines Dämons nur noch weiter,
da sie seine Seele gegenüber dem Leid anderer abstumpfen
lassen und das Feuer des Zorns und des Hasses in ihm
schüren. Die Gefallenen, die der Versuchung nachgeben,
aus ihrem eigenen Schmerz heraus gegen alles und jeden
loszuschlagen, beginnen damit, sich in ihrer Qual zu erge-
hen und laufen Gefahr, sich letzten Endes ganz und gar in
ihr zu verlieren. Begeht ein Dämon eine Sünde gegen eine
seiner Tugenden, kann sein temporärer Qualwert steigen.
Der Erzähler sollte einen Spieler stets warnen, wenn dessen
Charakter kurz davor steht, eine Handlung auszuführen,
die seinen Qualwert steigern könnte. Dies gibt dem Spieler
die Möglichkeit, seine Absichten noch einmal zu überden-
ken, während die Tugenden seines Charakters auf dessen
Entschluß einzuwirken versuchen. In Situationen, in denen
ein Dämon ein Verhalten zeigt, das seine dringendsten
Bedürfnisse ohne jegliche Rücksicht auf seine eigenen Mo-
ralvorstellungen befriedigt, wird Gewissen gewürfelt. In
Situationen, in denen ein Dämon entgegen seiner persönli-
chen Grundüberzeugungen handelt, wird Überzeugung ge-
würfelt. Immer wenn ein Dämon eine bestimmte Handlung
allein aus Furcht um die eigene Sicherheit und auf Kosten
anderer unternimmt, wird Mut gewürfelt.
Wenn Ihr Charakter eine Sünde begeht, machen Sie
einen Würfelwurf auf die entsprechende Tugend, wobei
die Schwierigkeit dieses Wurfs 8 beträgt. Weder können
Sie Willenskraft einsetzen, um einen automatischen Erfolg
bei diesem Wurf zu erhalten, noch kann der Wurf zu einem
Patzer werden.
• Gelingt der Tugendwurf, bereut Ihr Charakter seine Hand-
lung und empfindet es als grauenvoll, wie tief er doch gefallen
ist. Er weigert sich, seiner dämonischen Natur nachzugeben,
und sein temporärer Qualwert steigt nicht an.
• Scheitert der Tugendwurf, ergötzt sich Ihr Charakter an
dem Rausch der Macht, und schürt die Feuer seiner ganz
persönlichen Hölle noch weiter an. So muß sich Gott gefühlt
haben, als Er sich dazu entschloß, Ihren Charakter zu immer-
währendem Leid zu verdammen. Es ist das Gefühl, das Leben
anderer vollkommen in der Hand zu haben und damit tun
und lassen zu können, was immer man will. Ihr Charakter
erhält einen temporären Punkt zu seiner Qual hinzu.
Wenn Ihr Charakter 10 Punkte an temporärer Qual an-
gesammelt hat, werden diese zu einem permanenten Qu-
alpunkt umgewandelt. Sobald Ihre permanente Qual den
Wert 10 erreicht hat, wird Ihr Charakter vollkommen von
seinem inneren Schmerz verschlungen. Er ist nun gänzlich
unfähig, Mitleid oder Hoffnung zu empfinden, und wird
fortan vom Erzähler übernommen, da er nun nicht länger
für Sie spielbar ist.
AKTE DER GNADE
Während grausame und selbstsüchtige Handlungen die
Qual Ihres Charakters steigern, sind Güte und Selbstlo-
sigkeit wie Balsam auf die wunde Seele der Gefallenen
– zumindest für die, die nicht zu stolz oder zu faul dazu
sind, nach diesen Tugenden zu streben. Akte der Gnade
erinnern Dämonen an die himmlischen Wesen, die sie einst
waren, und diese Erinnerungen können ihnen dabei helfen,
ihre Qual zu lindern. Solche Akte müssen wirklich aus
Mitgefühl und Güte erwachsen. Es darf keinen anderen
Beweggrund für sie geben, und Ihr Charakter darf keine
Form der Gegenleistung erwarten. Vorgetäuschte Akte der
Gnade, die in Wahrheit darauf abzielen, einen Pakt mit
einem Sterblichen einzugehen oder einen Sterblichen an-
derweitig für sich zu gewinnen (oder irgendwelchen ande-
ren selbstsüchtigen Zwecken dienen), nutzen dem Dämon
nichts, wenn er seine Qual lindern will. Allein der Erzähler
entscheidet darüber, ob eine Handlung zu einer Senkung
der Qual eines Charakters führen kann oder nicht. In man-
chen Fällen kann eine Reihe von kleineren guten Taten
(wie etwa ehrenamtliche Tätigkeiten im sozialen Bereich)
wie ein einziger größerer Akt der Gnade gewertet werden.
Hat Ihr Charakter eine selbstlose oder gütige Tat getan,
würfeln Sie in einer Handlung gegen Widerstand die Qual
Ihres Charakters gegen eine entsprechende Tugend. In Si-
tuationen, in denen Ihr Charakter ein Opfer bringt oder die
Bedürfnisse anderer über seine eigenen stellt, weil er weiß,
193
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

daß es richtig ist, dies zu tun, würfeln Sie sein Gewissen
gegen seine Qual. In Situationen, in denen Ihr Charakter
etwas unternimmt, das ihm ein großes, persönliches Op-
fer abverlangt, um seinen Grundüberzeugungen treu zu
bleiben, würfeln Sie seine Überzeugung gegen seine Qual.
In Situationen, in denen Ihr Charakter zum Wohle eines
anderen Tapferkeit und Edelmut an den Tag legt, würfeln
Sie seinen Mut gegen seine Qual. Bei Würfen auf Tugenden
können Sie keine Willenskraft einsetzen.
• Gewinnt Ihre Qual, machen Ihr Zynismus und Ihr emo-
tionaler Schmerz Ihre guten Absichten zunichte. Warum
scheren Sie sich überhaupt um die Angelegenheiten ande-
rer? Letzten Endes bringt Ihnen das doch sowieso nichts.
Sehen Sie doch nur, wohin Sie die guten Vorsätze aus Ihrer
Vergangenheit gebracht haben. Es ist kein Scherz, daß der
Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist. Ihr tem-
porärer Qualwert bleibt unverändert.
• Gewinnt Ihre Tugend, dient Ihr Akt der Gnade als Be-
stätigung Ihres früheren himmlischen Wesens und erhebt
Sie über Ihr eigenes Leid – und sei es auch nur für einen
kurzen Augenblick, in dem Sie einen flüchtigen Schatten
dessen erhaschen, was Sie einst waren. Sie verlieren einen
Punkt Ihrer temporären Qual.
• Bei einem Unentschieden bleibt alles, wie es ist, und Sie
müssen sich die Frage stellen, ob all Ihre Mühen am Ende
vielleicht doch vollkommen umsonst gewesen sind.
DIE VORZÜGE DER ERFAHRUNG
Die Gefallenen können auch sauer verdiente Erfahrung
(siehe Seite 198) einsetzen, um ihre permanente Qual zu
senken. Dies steht für die Lektionen, die sie durch ihre
neue Existenz als in Fleisch gekleidete Wesen in der stoffli-
chen Welt gelernt haben. Gefallene Charaktere können 10
Erfahrungspunkte aufwenden, um ihre permanente Qual
um einen Punkt zu senken.
Ob die Gefallenen nun ihre Qual durch Akte der Gnade
oder durch Erfahrung verringern, so kann die permanente
Qual eines Charakters dennoch nie unter den Wert von 1
gesenkt werden. Wie können die Gefallenen ihre verlorene
Unschuld wiedererlangen? Wie sollen sie es schaffen, ganz
von dem Leid loszulassen, das sie erdulden mußten?
AUSWIRKUNGEN DER QUAL
Die Qual eines Charakters hat eine Reihe von Auswir-
kungen auf sein Äußeres und die Wirkungsweise seiner
Kräfte, die vom Qualwert und seiner Beziehung zu den
anderen Eigenschaften des Dämons abhängen. Ganz all-
gemein gesagt gibt der Qualwert an, wie stark das Leid,
das ein Dämon empfindet, seine anderen Gedanken und
Gefühle überlagert und auch zu welchen Grausamkeiten
und Akten der Gnade er fähig ist.
• Wenn Ihnen Ihre Qual Schwierigkeiten beim Einsatz von
Geheimnissen bereitet (siehe Seite 203), manifestiert sich

HIERARCHIE DER SÜNDEN

Permanente Qual Sünden
10 Es gibt keine Sünde. Sie sind bereits verdammt. Warum sollten Sie nicht tun, wonach immer
Ihnen zumute ist?
9 Wahllose Vergehen: Mord ohne Motiv, rücksichtslose Grausamkeit und Folter, Brutalität um
der Brutalität willen.
8 Vorsätzliche Vergehen: geplanter Mord, systematische Zerstörung von Leben, von langer Hand
geplante Akte der Vergeltung.
7 Sünden aus Leidenschaft: Mord im Affekt. Sich von Emotionen wie Haß, Zorn sowie Neid
oder irrationalen Vorurteilen zu einem Vergehen hinreißen lassen. Das Heraufbeschwören
ebengenannter Emotionen in anderen. Die Zerstörung von besonders bedeutsamen oder
inspirierenden Objekten. Sich selbst durch eine Sucht oder ein anderes selbstzerstörerisches
Verhaltensmuster schaden.
6 Zerstörung der Werke anderer oder Verursachung emotionalen Schadens durch böswillige
Grausamkeit oder Nachlässigkeit.
5 Fahrlässige Vergehen: Anderen durch Achtlosigkeit, Nachlässigkeit oder Gedankenlosigkeit
Schaden zufügen. Mißachtung von Pflichten oder Vernachlässigung von Verantwortung. Das
Vertrauen anderer ausnutzen.
4 Grundlose Beraubung oder Täuschung anderer. Sein Ehrenwort brechen.
3 Einem Sterblichen Schaden zufügen (körperlicher, emotionaler oder spiritueller Natur), ohne
daß es der Selbstverteidigung oder dem Gemeinwohl dienen würde.
2 Einer sterblichen Kreatur Schaden zufügen, ohne einen Grund zur Selbstverteidigung zu haben
oder dadurch etwas Schlimmes vermeiden zu wollen, ohne daß es der Selbstverteidigung oder
dem Gemeinwohl dienen würde (wobei es sich um eine Mißachtung der hinter der Schöpfung
stehenden Ordnung handelt). Eine der obengenannten niederträchtigeren Sünden zulassen,
ohne einen Versuch unternommen zu haben, das Begehen der Sünde zu verhindern.
1 Sämtliche Akte, die von Grausamkeit, Selbstsucht oder Rücksichtslosigkeit zeugen. Solche
Handlungen zulassen, ohne einen Versuch unternommen zu haben, sie zu verhindern. Der
Unwille, Opfer für das Gemeinwohl zu bringen.

194
KAPITEL SECHS
Ihre Pein in all Ihren Handlungen. Im Anschluß an den
Versuch, eine Beschwörung durchzuführen, müssen Sie
die erzielten Erfolge mit dem temporären Qualwert Ihres
Charakters vergleichen. Wenn die Mehrzahl der erzielten
Erfolge einen Zahlenwert kleiner oder gleich Ihrem Qual-
wert aufweist, dann manifestiert sich Ihre Kraft so, wie es
in ihrer Beschreibung für einen mit hohem Qualwert in
Verbindung stehenden Effekt angegeben ist. Bei diesem
Glaubenswurf gewürfelte Einsen negieren erzielte Erfolge
beginnend mit dem Erfolg mit dem höchsten Zahlenwert.
Ein Beispiel: Magdiel möchte die Kraft Verfall auf den Kör-
per eines Krebspatienten anwenden. Magdiels Widerstands-
fähigkeit ist 2 und ihr Wert in Medizin beträgt 3, wodurch
ihr für den Wurf insgesamt 5 Würfel zur Verfügung stehen.
Ihr temporärer Qualwert ist 7, und der Wurf wird mit der
Standardschwierigkeit von 6 durchgeführt. Andreas – der
Spieler, der Magdiels Charakter führt – erzielt drei Erfolge:
7, 9 und 9. Somit hat er mehr Erfolge erzielt, deren Zah-
lenwert über dem temporären Qualwert seines Charakters
liegt, und der Effekt der Beschwörung manifestiert sich auf
ganz normale Weise. Hätte er jedoch 6, 6 und 8 gewürfelt,
hätte sich der mit einem hohen Qualwert in Verbindung
stehende Effekt manifestiert und alles um den Charakter
herum dem Verfall preisgegeben.
Andererseits könnten Sie auch zu dem Entschluß kom-
men, daß eine bestimmte Situation den Einsatz der Kraft
Ihres Charakters zu zerstörerischeren Zwecken erfordert. In
diesem Fall können Sie den mit einem hohen Qualwert in
Verbindung stehenden Effekt Ihres Geheimnisses einsetzen,
aber infolgedessen erhöht sich Ihre temporäre Qual auto-
matisch um einen Punkt.
Ein Beispiel: Zaphriel wurde von einer Gruppe Dämonenjäger
in einen Hinterhalt gelockt. Die Menschen stürmen auf sie
zu, während sie sich auf dem Weg zu ihrem Wagen befindet.
Da Verena weiß, daß ihr Charakter diesen Widersachern
zahlenmäßig und wahrscheinlich auch in Sachen Bewaffnung
unterlegen ist, beschließt sie, eines von Zaphriels Geheimnis-
sen anzuwenden. Sie stellt fest, daß der mit einer hohen
Qual verbundene Effekt ihrer Kraft Stimme des Himmels
bei jedem Sterblichen in einem Umkreis von einigen Metern
um den Dämon herum Schlagschaden verursacht. Da sie
sich in einer aussichtslos erscheinenden Lage gefangen sieht,
entschließt sich Verena dazu, ebendiesen Effekt einzusetzen.
Zaphriel öffnet sich ihrer finstereren Natur und schreit einen
Schwall wüstester Blasphemien in die Welt hinaus, der die
Sterblichen in die Flucht schlägt. Zwar ist sie ihren Häschern
entkommen, doch der kurze Nachgeschmack zeitlosen Has-
ses hinterläßt einen bleibenden Eindruck und steigert die
temporäre Qual von Zaphriel um einen Punkt.
• Die Erscheinungsform Ihrer apokalyptischen Gestalt
(siehe Seite 305) hängt vom temporären Qualwert Ihres
Charakters ab. Wenn dieser Wert kleiner oder gleich der
Hälfte der Willenskraft Ihres Charakters ist, so ist seine
apokalyptische Gestalt herrlich und ehrfurchtgebietend.
195

Ist der Qualwert höher als die Hälfte der Willenskraft Ih-
res Charakters, so werden Sterbliche beim Anblick sei-
ner apokalyptischen Gestalt entweder von Ehrfurcht oder
von Schrecken ergriffen – je nachdem, wie die persönliche
Sichtweise des jeweiligen Sterblichen aussieht. Ist der Qu-
alwert hingegen höher als die volle Willenskraft, so ist die
apokalyptische Gestalt Ihres Charakters in jedem Falle
alptraumhaft und grauenvoll.
Ein Beispiel: Zaphriel besitzt eine Willenskraft von 5 und
eine Qual von 4. Wenn sie ihre apokalyptische Gestalt of-
fenbart, können Sterbliche sie entweder als eine strahlende
Figur von überirdischer Erhabenheit oder aber einen bösen,
verführerischen Geist wahrnehmen, der in einen dunklen
Glanz aus höllischem Licht getaucht ist. Wenn Verena spä-
ter einige sauer verdiente Erfahrungspunkte einsetzen wür-
de, um Zaphriels permanenten Qualwert auf 2 zu senken,
wäre ihr Charakter so weit von seinen finstersten Sehn-
süchten geläutert, daß jeder, der Zaphriel erblicken würde,
in ihr nur die verblaßte Herrlichkeit eines Engels sähe.
WILLENSKRAFT
Willenskraft ist ein Maß für die Zielstrebigkeit, den in-
neren Antrieb und das Selbstvertrauen Ihres Charakters.
Ebenso wie Glaube wird Willenskraft auf einer Punkteskala
von 1 bis 10 gemessen und verfügt über einen permanenten
und einen temporären Wert. Der permanente Willens-
kraftwert kommt zum Einsatz, sobald ein Willenskraftwurf
fällig wird. Sie verwenden für einen solchen Wurf immer
den vollen Wert, ganz gleich, wie viele temporäre Wil-
lenskraftpunkte Ihnen noch geblieben sind. Temporäre
Willenskraftpunkte können für verschiedene Zwecke „ver-
braucht“ werden, und ihr Einsatz steht hauptsächlich für
das Aufbringen ausreichender Entschlußkraft angesichts
schier unüberwindlicher Hindernisse.
Charaktere, denen keine temporäre Willenskraft mehr
geblieben ist, sind ausgelaugt – sowohl in körperlicher als
auch psychischer und emotionaler Hinsicht. Sie haben ihre
Reserven an Entschlußkraft verbraucht und sie neigen dazu,
matt und unmotiviert zu werden. Sie nehmen die gegebenen
Umstände zudem eher teilnahmslos hin, anstatt sich dagegen
zur Wehr zu setzen. Charaktere können auf unterschiedliche
Weise Willenskraft zurückgewinnen, aber das ist nicht un-
bedingt einfach, weshalb Spieler sparsam und vorsichtig mit
dem Einsatz von Willenskraft umgehen sollten.
• rückgratlos
•• schwach
••• nachgiebig
•••• schüchtern
••••• sicher
••••• • zuversichtlich
••••• •• entschlossen
••••• ••• beherrscht
••••• •••• eiserner Wille
••••• ••••• unerschütterlich
DER EINSATZ VON WILLENSKRAFT
Willenskraft repräsentiert die Fähigkeit Ihres Charakters,
sein Ziel allein durch pure Entschlossenheit zu erreichen.
196
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Ihr Einsatz ist für mancherlei Dinge nützlich.
• Sie können einen Willenskraftpunkt einsetzen, um Ihnen
bei einer Handlung einen automatischen Erfolg zu verschaf-
fen. Nur ein einziger Willenskraftpunkt kann so pro Runde
eingesetzt werden, aber Sie haben einen garantierten Er-
folg, der Ihnen selbst durch einen Patzer nicht genommen
werden kann. Folglich könnte ein Charakter bei jeder Ak-
tion durch pure Entschlossenheit und Anstrengung zumin-
dest einen Minimalerfolg erzielen. Bei erweiterten Würfen
können durch Willenskraft gewonnene zusätzliche Erfolge
den Abschluß einer Handlung beschleunigen.
Wenn Sie einen Willenskraftpunkt bei einem Wurf ein-
setzen wollen, müssen Sie dies ansagen, bevor Sie würfeln.
Sie können nicht nachträglich Willenskraft nutzen, um
mehr Erfolge bei einem Wurf zu erzielen oder die Effek-
te eines Patzers auszugleichen. Zudem kann der Erzähler
festlegen, daß der Einsatz von Willenskraft bei bestimmten
Würfen nicht erlaubt ist.
• Sie können einen Willenskraftpunkt einsetzen, um für
eine Runde Verwundungsabzüge oder ähnliche Erschwer-
nisse zu ignorieren, was es Ihnen erlaubt, Ihre gesamten
Anstrengungen auf die Durchführung einer letzten hero-
ischen (oder schurkischen) Handlung zu konzentrieren.
• Sie können einen Willenskraftpunkt einsetzen, um zu ver-
hindern, daß ein Würfel von Ihrem Glaubensvorrat abgezo-
gen wird. Dies spiegelt die Entschlossenheit und den Willen
Ihres Charakters wider, an seinem Glauben festzuhalten.
Willenskraft kann allerdings nicht eingesetzt werden, um ei-
nen Glaubenspunkt zu behalten, den Sie durch einen Patzer
bei einem Beschwörungswurf verlieren würden.
WIEDERERLANGEN VON WILLENSKRAFT
Charaktere können verbrauchte Willenskraft auf meh-
rere Arten zurückgewinnen. Die Anzahl der temporären
Willenskraftpunkte kann dabei nie höher sein als der per-
manente Willenskraftwert. Die einzige Möglichkeit, die
permanente Willenskraft zu steigern, ist der Einsatz von
Erfahrungspunkten (siehe Seite 198).
Im allgemeinen kann der Willenskraftvorrat eines Cha-
rakters aufgefrischt werden, wenn der Charakter ein Ziel
erreicht oder Gelegenheit hat, sein Selbstvertrauen wieder-
zuerlangen. Letztlich obliegen die genauen Umstände für das
Wiedererlangen von Willenskraft dem Erzähler. Der Erzähler
sollte die Möglichkeiten zur Wiedererlangung von Willens-
kraft an seine Geschichte anpassen und dabei nicht verges-
sen, daß es sich bei Willenskraft um eine äußerst nützliche
und mächtige Eigenschaft handelt. Er sollte es den Spielern
daher nicht zu leicht machen, Willenskraft zurückzugewin-
nen, denn ansonsten würde seine Geschichte kaum noch
eine echte Herausforderung für die Spieler darstellen.
• Charaktere erhalten am Ende einer Geschichte (nicht
einer Spielsitzung) alle temporären Willenskraftpunkte zu-
rück. Der Erzähler kann von den Charakteren verlangen,
daß sie ein bestimmtes Ziel oder eine bestimmte Vorgabe
erreicht haben müssen, um Willenskraft zurückzuerhalten.
Auch das Gefühl (und sei es auch nur ein Anflug dieser
Empfindung), etwas erreicht zu haben, kann bereits aus-
reichen, um verlorene Willenskraft zurückzugewinnen. In
Fällen, in denen die Pläne der Charaktere vereitelt wurden
KAPITEL SECHS

oder die in einer Pattsituation enden, ist womöglich nur
eine teilweise Rückgewinnung der temporären Willens-
kraftpunkte angebrachter.
• Der Erzähler kann einem Charakter gestatten, nach einer
ruhig verbrachten Nacht oder einer ähnlichen Gelegen-
heit, seine Batterien aufzuladen, um sich erfrischt wieder
ans Werk machen zu können, einen Willenskraftpunkt
zurückzugewinnen. Es wird hierbei davon ausgegangen, daß
der Charakter schlafen oder sich ungestört ausruhen konn-
te und nicht anderweitig abgelenkt oder beschäftigt war.
• Wenn Ihr Charakter ein besonders wichtiges Ziel erreicht
oder eine äußerst beeindruckende Tat vollbracht hat, die
sein Selbstvertrauen fördert, kann der Erzähler ihn dafür
mit einem Bonus in Form eines zurückerhaltenen Willens-
kraftpunkts belohnen.
• Immer, wenn Ihr Charakter sich entsprechend seines
Wesens verhält, bestätigt er damit automatisch sein Selbst-
wertgefühl, so daß ihm gestattet werden kann, einen Wil-
lenskraftpunkt zurückzugewinnen (bei besonders heraus-
ragenden Handlungen könnte er sogar mehrere Punkte
zurückerhalten). Beispielsweise könnte ein Direktor dann
Willenskraft zurückerhalten, wenn es ihm durch Organisa-
tion gelingt, eine Gruppe dazu zu bringen, ein bestimmtes
Ziel zu erreichen.
Charaktere sind ebenfalls in der Lage, Willenskraft zu-
rückzugewinnen, wenn sie sich in einer schlimmen Notlage
befinden und wirklich alles geben müssen, um diese Situa-
tion bewältigen zu können, oder wenn sie aller widrigen
Umstände zum Trotz einfach nicht aufgeben wollen. Die
Vergabe zusätzlicher Willenskraftpunkte macht die Dinge
für die Spieler ein wenig leichter, während das Zurückhalten
von Willenskraft die ganze Angelegenheit etwas schwieriger
macht. Stimmen Sie die Regelungen für die Rückgewinnung
von Willenskraft so auf Ihr Spiel ab, daß Sie die Stimmung
und die Atmosphäre erzeugen, die Ihnen vorschweben.
GESUNDHEIT
Obwohl sie über große übernatürliche Kräfte verfügen,
wandeln die meisten Dämonen dennoch nur in von Sterb-
lichen geraubtem Fleisch auf Erden, wodurch sie sich auch
anfällig für alle Schwächen ihrer Wirtskörper zeigen. Die
Gesundheit gibt die körperliche Verfassung Ihres Charak-
ters an. Jeder Charakter besitzt sieben „Gesundheitsstufen“,
wie sie auf dem Charakterbogen und der untenstehenden
Gesundheitsstufentabelle angegeben werden. Sobald ein
Charakter Schaden erleidet, verliert er eine oder meh-
rere Gesundheitsstufen, bis er die Gelegenheit dazu hat,
sich durch normale Genesung oder durch übernatürliche
Heilung von dem erlittenen Schaden zu erholen. Die Aus-
wirkungen erlittener Verletzungen führen bei Charakteren
zudem zu Bewegungseinschränkungen, Erschwernissen bei
Handlungen und Abzügen auf Würfelvorräte. Bleiben Ih-
rem Charakter durch solche Abzüge keine Würfel mehr für
eine bestimmte Handlung, dann kann er diese Handlung
auch nicht mehr ausführen. Ein Spieler kann jedoch einen
Willenskraftpunkt einsetzen, um für die Dauer einer Hand-
lung sämtliche Verletzungsabzüge zu ignorieren.
In Kapitel Acht finden Sie weitere Informationen über
Schaden und wie sich dieser auf den Charakter auswirkt.
HEILUNG DURCH GLAUBE
Solange sie bei Bewußtsein und handlungsfähig sind,
können Dämonen die Macht ihres Glaubens nutzen, um
ihre sterblichen Gefäße instand zu setzen. Der Einsatz eines
Glaubenspunkts heilt entweder eine Stufe tödlichen Scha-

GESUNDHEITSSTUFEN
Gesundheitsstufe Abzug vom Würfelvorrat Bewegungseinschränkungen
Blaue Flecken 0 Der Charakter hat nur ein paar Kratzer abbekommen und erleidet
durch den Schaden noch keine Abzüge auf seine Handlungen.
Verletzt –1 Der Charakter ist leicht verletzt, aber seine Bewegung ist nicht
behindert.
Schwer Verletzt –1 Der Charakter hat kleinere Wunden davongetragen und ist in
seiner Bewegung leicht eingeschränkt (halbe Höchstgeschwin-
digkeit).
Verwundet –2 Der Charakter hat ernstzunehmende Verletzungen erlitten und
kann nicht mehr rennen (aber noch immer gehen). An dieser
Stelle kann sich ein Charakter nicht mehr bewegen und dann
angreifen. Er verliert immer Würfel, wenn er sich in derselben
Runde bewegt und angreift.
Schwer verwundet –2 Der Charakter hat schwere Wunden erlitten und kann nur noch
humpeln (1 Meter pro Runde).
Verkrüppelt –5 Der Charakter hat schwerste Verletzungen davongetragen und
kann nur noch kriechen (0,5 Meter pro Runde).
Außer Gefecht – Der Charakter ist völlig bewegungsunfähig und wahrscheinlich
bewußtlos.
Tot – Der Charakter lebt nicht mehr (auch wenn das nicht notwendi-
gerweise das Ende für Dämonen bedeutet).

197

den oder alle erlittenen Stufen an Schlagschaden. Schwer
heilbarer Schaden kann nicht durch den Einsatz von
Glaubenspunkten geheilt werden. Nur die Zeit oder der
Einsatz noch mächtigerer Fähigkeiten heilt diese Wunden
(weiterführende Details zu solchen Kräften finden Sie in
Kapitel Sieben). Verwundete Dämonen, denen der Glaube
ausgegangen ist, können auf das Einbringen von Glauben
zurückgreifen, um sich selbst zu heilen.
DÄMONEN UND DER TOD
Auch wenn die Gefallenen sich in das Fleisch Sterblicher
kleiden, sind sie selbst nicht sterblich. Ihre Gefäße können
wie jeder andere Mensch auch sterben, sobald sie Scha-
den nehmen, der die Gesundheitsstufe „Außer Gefecht“
überschreitet, doch ihr Geist – die unsterbliche Essenz des
Dämons selbst – lebt weiter.
Einem Dämon, der seinen sterblichen Wirtskörper ver-
liert, bleiben drei Möglichkeiten. Wenn sich ein anderer
geeigneter Wirt in der Nähe aufhält – ein sterblicher Kör-
per mit einer zerrütteten oder abwesenden Seele –, kann
der Dämon versuchen, in diesen neuen Wirt einzufahren.
Sollte sich kein passendes Gefäß in der Nähe aufhalten,
kann der Dämon versuchen, sich an einem bestimmten
Ort oder in einem bestimmten Gegenstand zu verankern,
wodurch er zu einem Erdgebundenen wird und nicht mehr
länger von einem sterblichen Gefäß abhängig ist. Die letzte
Möglichkeit besteht darin, daß der Dämon einen seiner
Pakte dazu nutzen kann, um automatisch den Körper eines
Sklaven zu übernehmen, der sich in seiner Nähe aufhält.
Sollte ihm keine dieser drei Möglichkeiten offenstehen,
wird der Dämon zurück in den Abgrund gerissen und bleibt
dort solange gefangen, bis eine außenstehende Macht ihn
zurück in die Welt der Sterblichen holt (beispielsweise mit
einem Beschwörungsritual). Einige Dämonen achten daher
darauf, daß zumindest einer ihrer sterblichen Anhänger in
der Lage ist, sie zurück auf die Erde zu rufen und ein neues
sterbliches Gefäß bereitzuhalten. Das bedeutet allerdings
auch, daß sie einem Sterblichen die Geheimnisse der Be-
schwörung von Dämonen anvertrauen müssen, was an und
für sich schon eine äußerst heikle Angelegenheit ist.
ERFAHRUNGSPUNKTEKOSTEN
Eigenschaft Kosten
Neue Fähigkeit 3
Neues Geheimnis (10, wenn dieses aus einem anderen Haus als aus dem des Charakters stammt)
Attribut gegenwärtiger Wert x 4
Fähigkeit gegenwärtiger Wert x 2
Geheimnis gegenwärtiger Wert x 5
Hintergrund gegenwärtiger Wert x 3
Tugend gegenwärtiger Wert x 2 *
Glaube gegenwärtiger Wert x 7
Qual 10 **
* Das Steigern eines Tugendwertes nach der Charaktererschaffung erhöht die Willenskraft des Charakters nicht.
** Diese Anzahl an Erfahrungspunkten verringert den permanenten Qualwert des Charakters um einen Punkt.
198
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
ERFAHRUNG
Selbst die Gefallenen sind in der Lage, aus Fehlern und
Erfahrungen zu lernen. Im Laufe der Zeit machen Charak-
tere einen Entwicklungsprozeß durch, im Zuge dessen sie
sich verändern und wachsen. Erfahrung spiegelt die Aus-
wirkungen dieses im Entdecken der eigenen Möglichkeiten
begründeten Wachstums wider.
Zum Ende jeder Geschichte (oder dem Kapitel einer
längeren Geschichte, die aus mehreren Teilen besteht)
vergibt der Erzähler Erfahrungspunkte an jeden der von
einem Spieler geführten Charaktere. Diese Punkte können
dazu verwendet werden, um bestehende Eigenschaften zu
steigern sowie vollkommen neue Eigenschaften zu erwer-
ben. Die Spieler notieren sich die Erfahrungspunkte, die
sich ihre Charaktere verdient haben, und sie können diese
zwischen den einzelnen Geschichten (oder den Unterbre-
chungen im Verlauf längerer Geschichten) einsetzen, um
die Eigenschaften ihrer Charaktere zu verbessern.
Der Erzähler hat die letzte Entscheidungsgewalt dar-
über, ob ein Charakter eine Eigenschaft steigern oder neu
hinzulernen darf. Es bedarf normalerweise etwas mehr als
einfach nur der nötigen Anzahl an Erfahrungspunkten, um
eine Eigenschaft steigern zu können. Der Charakter muß
ausreichend geübt oder genügend praktische Erfahrung
gesammelt haben, um die Steigerung einer Eigenschaft zu
rechtfertigen. Der Erzähler kann zusätzliche Bedingungen
stellen, ohne deren Erfüllung eine Steigerung nicht zulässig
ist. Beispielsweise setzt eine Steigerung des Glaubens ein
Erlebnis voraus, durch das der Dämon sein Selbstbild und
sein Verständnis für die Natur des Glaubens wirklich bestä-
tigt sieht. Der Erzähler kann das Steigern von Eigenschaf-
ten als Aufhänger für eigene Geschichten nutzen und die
Charaktere auf die Suche nach einem Lehrer oder Mentor
schicken oder ihnen Gelegenheiten bieten, sich auf die eine
oder andere Art und Weise weiterzuentwickeln.
Jede Eigenschaft eines Charakters sollte sich im Verlauf
einer Geschichte um nicht mehr als einen einzigen Punkt
verbessern, es sei denn, die Handlung der Geschichte spielt
sich über einen längeren Zeitraum ab. Es braucht nun ein-
mal Zeit, um sich in einem bestimmten Bereich deutlich
zu verbessern.
KAPITEL SECHS
NEUE EIGENSCHAFTEN
Das Verbessern bereits bekannter Eigenschaften ist ver-
hältnismäßig einfach. Ein Charakter muß lediglich üben und
Neues hinzulernen, um sich in der entsprechenden Eigen-
schaft verbessern zu können. Im Vergleich dazu ist das Er-
werben vollkommen neuer Eigenschaften um einiges schwe-
rer. Ein Charakter spricht nicht einfach über Nacht plötzlich
eine Fremdsprache oder eignet sich die Grundbegriffe einer
neuen Fähigkeit im Handumdrehen an. Neben des Einsatzes
der nötigen Erfahrungspunkte setzt das Erlernen einer neu-
en Fähigkeit für gewöhnlich eine lange Zeit des Studierens
und Übens voraus. Ein solches Studium kann sich von der
Lektüre einer Handvoll Bücher oder dem Absolvieren ei-
nes Crashkurses bis hin zu einer monatelangen Ausbildung
bei einem erfahrenen Lehrmeister erstrecken. Der Erzähler
entscheidet, wie lange ein Charakter für das Erlernen einer
bestimmten Fähigkeit benötigt, wobei die meisten Fähig-
keiten in der Zeit zwischen zwei Geschichten oder anderer
„ereignisloser Zeit“ erlernt werden können.
Was das Erlernen neuer himmlischer Kräfte anbelangt, so
gestaltet sich deren Aneignung um einiges schwieriger, da
ein Dämon sie ausschließlich von einem anderen Dämon
lernen kann. Um eine neue himmlische Kraft erlernen zu
können, muß sich ein Charakter einen Lehrer suchen und
mit ihm um das Wissen handeln, das dieser ihm beibringen
soll – und Dämonen sind wahre Meister der Verhandlungs-
kunst. Ein potentieller Lehrmeister kann als Gegenleistung
für seine Unterweisung alles verlangen, was er für ange-
messen hält. Eine solche Gegenleistung kann vom einfa-
chen Wissensaustausch über Gefallen und Geld bis hin zu
alledem reichen, was dem Erzähler sonst noch so einfallen
könnte. Das Wissen um die himmlischen Kräfte ist unter
den Dämonen eines der wertvollsten Güter, und keiner von
ihnen würde sein Wissen je unter Wert verkaufen.
DIE VERGABE VON ERFAHRUNGS-
PUNKTEN
Die Vergabe von Erfahrungspunkten ist fast schon eine
Kunst. Wenn man den Charakteren zu viele Erfahrungs-
punkte gibt, werden sie zu schnell zu gut, als daß die Spieler
diese Entwicklung überhaupt noch zu würdigen wüßten.
Zudem könnten die Charaktere so mächtig werden, daß sie
für die Herausforderungen, vor denen sie im weiteren Ver-
lauf der Chronik noch stehen werden, nicht mehr als ein
müdes Lächeln übrig haben. Vergibt man jedoch zu wenig
Erfahrungspunkte, könnten die Spieler auf den Gedanken
kommen, daß sich ihre Charaktere trotz all ihrer denkwür-
digen Erlebnisse kaum verändern. Daher ist es notwen-
dig, bei der Vergabe von Erfahrungspunkten den goldenen
Mittelweg zwischen Großzügigkeit und Geiz zu finden. Die
Spieler sollten eine angemessene Belohnung für die von
ihren Charakteren vollbrachten Taten erhalten und trotz-
dem noch das Gefühl haben, es könnte noch einiges mehr
an Erfahrungspunkten herausspringen, wenn sie sich noch
mehr anstrengen. Die folgenden Richtlinien sollen Ihnen
dabei behilflich sein, diesen Mittelweg zu finden, aber nur
Sie können letztendlich bestimmen, was Sie für Ihre Chro-
nik für das beste halten. Experimentieren Sie also ruhig mit
diesen Richtlinien ganz nach Ihrem Gutdünken.
ENDE EINES KAPITELS
Am Ende einer jeden Spielsitzung oder eines Kapitels in
einer längeren Geschichte sollten Sie den Charakteren ein bis
fünf Erfahrungspunkte geben. Einen Punkt gibt es automa-
tisch. Jeder Charakter sollte schon deshalb, weil er Zeuge der
Ereignisse in der Geschichte wurde, diesen Punkt erhalten.
Fünf Punkte hingegen sind wahrhaft außergewöhnlich und
sollten nur dann vergeben werden, wenn der Spieler eine na-
hezu perfekte Darstellung seines Charakters geboten hat.
Ein Punkt – Automatisch: Jeder Charakter erhält einen
Erfahrungspunkt einfach nur dafür, daß er an der Geschich-
te teilgenommen hat.
Ein Punkt – Lernkurve: Fragen Sie den Spieler, was sein
Charakter aus der Geschichte gelernt hat. Wenn Sie eben-
falls der Meinung sind, daß der Charakter eine lehrreiche
Erfahrung gemacht hat, erhält der Charakter einen zusätz-
lichen Erfahrungspunkt.
Ein Punkt – Rollenspiel: Hat ein Spieler seinen Cha-
rakter glaubhaft dargestellt, wozu auch zählt, daß er dem
Wesen und Verhalten des Charakters treu geblieben ist
und für einige unterhaltsame Momente für die Gruppe
gesorgt hat, sollte sein Charakter mit einem zusätzlichen
Erfahrungspunkt belohnt werden. Wahrhaft herausragen-
des Rollenspiel kann sogar mit zwei Erfahrungspunkten
vergolten werden.
Ein Punkt – Heldentum: Ein Charakter, dem es wirklich
gelungen ist, über sich hinauszuwachsen und Taten zu voll-
bringen, die von großer Risikobereitschaft und Heldenmut
zeugen, verdient einen zusätzlichen Erfahrungspunkt.
ENDE DER GESCHICHTE
Am Ende einer längeren Geschichte (die sich über meh-
rere Kapitel oder Spielsitzungen hingezogen hat), können
Sie sich dazu entschließen, zusätzliche Erfahrungspunkte zu
vergeben, wenn die Spieler besonders geschickt waren.
Ein Punkt – Erfolg: Wenn die Charaktere die Ziele er-
reicht haben, die sie sich vorgenommen hatten, und sie im
Zuge dessen alle Hindernisse überwunden haben, die sich
ihnen in den Weg stellten, können sie mit einem zusätzli-
chen Erfahrungspunkt belohnt werden.
Ein Punkt – Gefahr: Jeder Charakter, der sich in großer
Gefahr befunden oder eine besonders ausweglos erschei-
nende Situation gemeistert hat, erhält einen zusätzlichen
Erfahrungspunkt.
Ein Punkt – Weisheit: Hat ein Spieler einen brillanten Ein-
fall gehabt oder sich einen Plan ausgedacht, der maßgeblich
dazu beigetragen hat, daß die Charaktere in ihren Bemühun-
gen erfolgreich waren, belohnen Sie seinen Charakter mit
einem zusätzlichen Erfahrungspunkt für diesen Geistesblitz
und die Einsichten, die er dadurch gewonnen hat.
Sie können noch weitere Erfahrungspunkte vergeben, so-
lange Sie der Auffassung sind, daß diese zusätzliche Beloh-
nung gerechtfertigt ist. Achten Sie aber unbedingt darauf,
nicht zu viele Punkte zu verteilen, wenn Sie nicht Gefahr
laufen wollen, daß sich die Charaktere zu schnell entwik-
keln und verbessern.
199
 Die letzten Töne des Stücks erklangen, streckten sich in die Länge und erstarben schließlich. Tosender Applaus
brach los.
„Er ist sehr gut“, sagte Tattenai.
Sabriel rutschte ein kleines Stückchen näher an den Neuankömmling heran, damit sie ihm ins Ohr flüstern konnte.
„Ganz passabel, würde ich sagen.“ Trotz dieser Worte war weit mehr als nur ein leiser Anflug von Stolz in ihrem
Blick. „Du hast dich verspätet.“
Unten auf der Bühne sprach Mike Halbedel sanft in sein Mikrofon. „Das nächste Lied heißt Christinas Song. Ich
habe es für jemanden geschrieben, den Worte allein nie beschreiben könnten.“ Er hob den Bogen und strich zärtlich
und sanft über die Saiten seiner Geige. Die ersten Takte unterschieden sich grundlegend von der Dramatik der Stücke,
die er zuvor gespielt hatte.
„Nur ein paar Minuten. Ich hoffe, ich störe nicht.“
Sabriel antwortete ihm nicht.
„Hast du schon diese Geschichte gehört – für die Begriffe der Sterblichen ist sie schon recht alt –, die von dem
Geiger erzählt, der sein Instrument gegen drei Huren eintauschte?“ fragte Tattenai nach einer Weile im Plauderton.
„Also macht mich das jetzt zu einer Hure, richtig?“ Sabriels Gesicht war ungerührt, denn ihre ganze Aufmerk-
samkeit galt der Musik. „Vielleicht hätte ich ihm einfach nur einen längeren Schwanz verpassen und der Welt damit
einen Gefallen tun sollen.“
„Du stellst dein Licht unter den Scheffel, meine Liebe, und diese Wortwahl will so gar nicht zu deiner Erscheinung
passen.“
Ein durchtriebenes Lächeln huschte ihr über das Gesicht, doch sie ließ sich nicht ablenken. Die Musik baute sich
immer weiter auf, und die einfachen Sätze zu Beginn waren mittlerweile komplexeren Tonfolgen gewichen.
„Ich habe es dabei“, sagte sie. „Deine Freunde bei den Faustianern haben die Bedingungen endlich akzeptiert.“
Der Sarkasmus in ihrer Stimme entging Tattenai völlig. Er schien den Atem angehalten zu haben, als sie eine klei-
ne Schachtel unter ihrem Jackett hervorgezogen hatte, obwohl dort gar kein Platz für das Behältnis gewesen sein
konnte. Es gefiel ihm, obwohl es neu war. Darin befand sich etwas sehr, sehr Altes.
„Ich wußte, daß sie das tun würden. Sofern es irgend jemand schaffen sollte, sie dazu zu überreden … Und es
gehört wirklich ihm?“
„Natürlich. Kannst du denn nicht den Atemhauch des Morgensterns spüren, der von ihm eingefangen wurde?“
Tattenai nahm die Schachtel entgegen und strich ehrfürchtig mit den Fingern darüber. Dann packte er sie weg.
„Die Jünger des Morgensterns stehen in deiner Schuld, Sabriel.“
Doch Sabriel hörte Tattenai gar nicht zu. Sie hatte sich in der Musik verloren, die immer mehr anschwoll, bis sie
das gesamte Auditorium auszufüllen schien. Sie klang schon fast wie ein Choral – wunderschön, traurig und atem-
beraubend in ihrer Vielschichtigkeit.
Tattenai sah in Richtung Ausgang, blieb jedoch noch an seinem Platz.
Und dann löste sich plötzlich das Muster der Musik auf. Töne und Klänge fielen kaum wahrnehmbar weg. Die Musik
verlor ihren Schwung, versuchte sich wieder zu sammeln und endete in einem disharmonischen Kreischen.
„Ich kann nicht“, schluchzte Halbedel. „Ich kann nicht. Christina, wo bist du? Es tut mir leid, ich bin –“ Er
schwankte ein paar Schritte zur Seite und warf den Bogen von sich. Einige Leute, deren Gesichter ihre große Be-
sorgnis verrieten, näherten sich ihm vorsichtig von den Seiten der Bühne aus.
Der Geiger griff in eine seiner Jackentaschen und zog ein Messer daraus hervor. Seine lange Klinge funkelte im
Licht der Scheinwerfer.
„Christina“, sagte er.
Er zog sich die Klinge über die Kehle, wankte und stieß ein nasses Gurgeln aus.
Sofort herrschte Chaos.
„Er muß dich sehr geliebt haben“, sagte Tattenai sanft, als er sich zum Gehen erhob.
„Unsere Abmachung, Tattenai“, sagte Sabriel barsch.
„Ja, natürlich. Die Bildhauerin.“ Er reichte ihr ein Stück Papier, auf dem eine Adresse geschrieben stand. Er ver-
suchte zu lächeln. „Behandle sie gut.“
Sabriel achtete nicht weiter auf ihn, denn ihr Blick ruhte auf dem Körper, der unten auf der Bühne lag. In ihren
Augen spiegelten sich Lust und Triumph wider.
 KAPITEL SIEBEN:
FLAMMENDER
BLICK
Ich habe immer gefunden, daß Engel die Eitelkeit besitzen, von sich
selbst als den einzigen Weisen zu sprechen. Das tun sie mit der zuver-
sichtlichen Unverschämtheit, die systematischem, vernunftsgemäßem
Denken entspringt.
- William Blake, Die Hochzeit von Himmel und Hölle

Die Engel nahmen sich des Großen Plans des Himmels

MÄCHTE UND
FÜRSTENTÜMER
Einst erhellten sie die Leere mit Sternenlicht, formten
Welten aus dem Äther und trugen den Lebenshauch Got-
tes zu Mensch und Tier. Was auch immer sonst aus ihnen
während der langen Dunkelheit des Abgrunds geworden ist,
die Gefallenen sind nach wie vor Avatare der Schöpfung ge-
blieben – die lebendige Manifestation des Großen Plans des
Himmels. Bevor sie ihren Bund mit dem Allmächtigen bra-
chen, bildeten die Gefallenen und ihresgleichen die Grenze,
die den Schöpfer von Seiner Schöpfung trennte, und jedes
Himmlische Haus war damit betraut, eine Facette des Plans
auszulegen und zu deuten. In gewisser Weise waren die Engel
die Linse, durch deren Blick die Sicht des Schöpfers leicht
verzerrt wurde, wodurch dem Kosmos der Impuls hin zu ste-
tiger Veränderung und somit ein Eigenleben gegeben wurde.
Ebendieser Prozeß der Deutung und der Konzeptualisierung
war es, der die Quelle der Macht dieser Wesen darstellte.
an und verliehen seinem grenzenlosen Potential Gestalt. Sie
verliehen jedem Konzept eine Existenz, indem sie seine Be-
ziehungen zum restlichen Universum festlegten. Nachdem
diese Beziehungen erst einmal festgelegt und beschrieben
worden waren, konnten sie beeinflußt werden, indem man
sich auf ihre Identität oder ihren Namen berief. Während
sich das Universum immer weiter ausbreitete, sammelte
jedes Haus einen gewaltigen Schatz dieser wechselseitigen,
konzeptionellen Beziehungen an. Sie waren die Fäden, aus
denen der Grundstoff des Universums gewoben wurde. Sie
waren die grundlegendsten Bausteine der stofflichen Wirk-
lichkeit. Der Vorgang, mit dem die Engel Einfluß auf diese
Namen der Macht ausübten, wurde Beschwörung genannt,
während die Gesamtheit der Beschwörungen eines Hauses
als seine Geheimnisse bezeichnet wurden.
Die Durchführung einer Beschwörung war ungeachtet
ihres Ausmaßes und ihrer Reichweite eine Anstrengung,
die die Engel gemeinsam mit ihrem Schöpfer erbrachten.
Die Elohim gaben die Richtung vor und brachten den nö-
KAPITEL SIEBEN
WAS STECKT IN EINEM NAMEN?
Obwohl die Gefallenen bei der Anwendung ihrer
Kräfte Worte der Macht aussprechen können (und
dies auch häufig tun), ist eine Beschwörung weit mehr
als nur das simple Aussprechen der richtigen Reihen-
folge von Silben. Die Person, die eine Beschwörung
durchführt, muß alle Konzepte, die ein Wort oder ein
Name beinhaltet, in ihrer Gesamtheit begreifen und
sie sich vergegenwärtigen können, wenn er sich ihre
Macht nutzbar machen will. Der Klang dieser Worte
birgt an und für sich noch keine Macht – ihre Macht
entspringt den Ideen und Beziehungen, die sie im
Geist eines kundigen Anwenders heraufbeschwören.
Daher kann eine Beschwörungsformel, die einfach
nur auf ein Stück Papier geschrieben wurde, einem
gewöhnlichen Menschen (und selbst einem anderen
Dämon) nicht die Macht dazu verleihen, Berge zu
versetzen. Selbiges trifft auch auf das einfache Nach-
plappern von Worten der Macht zu, die ein Dämon
ausspricht, um eines seiner Geheimnisse einzusetzen.
Werden sie von Uneingeweihten ausgesprochen, sind
diese Worte nichts weiter als vollkommen sinn- und
bedeutungsfreie Laute.
tigen Willen mit, um eine gewünschte Wirkung zu erzielen,
doch die Macht für diesen Schöpfungsakt stammte allein
von Gott. Diese Übereinkunft – dieser Bund – zwischen
den Elohim und ihrem Schöpfer sicherte das erforderliche
Gleichgewicht zwischen der Freiheit der Engel und der Au-
torität des Himmels, die die Erschaffung eines Universums
jenseits des allumfassenden Wesens Gottes überhaupt erst
möglich machte.
GEBROCHENE SCHWÜRE
Als die Gefallenen über eine mögliche Rebellion gegen
den Himmel nachdachten, wußten sie, daß sie damit einen
Schreckensakt verüben würden, der sie Gott entfremden
würde. Keiner von ihnen sah jedoch das volle Ausmaß des
Zorns des Schöpfers voraus. Gott verkündete, daß Sein
Bund mit den Gefallenen auf ewig gebrochen sei und ver-
sagte ihnen die Macht, die in Seinem Segen lag, wodurch
er die Rebellen zu wenig mehr als einem Schatten ihres
früheren Selbst machte.
Gottes Fluch degradierte die Gefallenen zu machtlosen
Kreaturen, die nicht länger in der Lage waren, den Kosmos
nach ihrem Willen zu beeinflussen. Ihr Kampf gegen den
Schöpfer hätte schon zu diesem Zeitpunkt ein jähes Ende
genommen, wenn da nicht der Überfluß an Glaube der
gerade erst zu vollem Bewußtsein erweckten menschli-
chen Rasse gewesen wäre. Obwohl sie unschuldig geboren
worden waren und nichts vom inneren Wesen des Kosmos
geahnt hatten, so trugen die Seelen der Menschheit doch
den Lebenshauch Gottes selbst in sich, und die Menschen
teilten diesen göttlichen Funken in ihnen bereitwillig mit
ihren scheinbaren Rettern. Die Gefallenen erstrahlten wie
wütende Sterne in neuem Glanz, und das Los von Men-
schen und Dämonen wurde für immer untrennbar mitein-
ander verwoben.
GLAUBE
Charaktere in Dämonen setzen Glaube ein, um ihre
Beschwörungen zu wirken, Schaden zu heilen und ihre
Wirtskörper Gestalten von übernatürlicher Macht an-
nehmen zu lassen. Jeder Charakter beginnt das Spiel mit
einem Glaubewert von 3. Dieser Wert kann während der
Charaktererschaffung durch den Einsatz von freien Zu-
satzpunkten und später durch den Einsatz von im Spiel
gesammelten Erfahrungspunkten erhöht werden. Wenn
der Glaubensvorrat eines Charakters erschöpft ist, be-
steht der einzige Weg für ihn, seine Kräfte noch weiter
einsetzen zu können, in einer Plünderung von Seele und
Geist seiner Sklaven (weitere Details hierzu finden Sie in
Kapitel Neun auf Seite 299).
VERBLASSTE HERRLICHKEIT
Der Glaube der Menschheit nährte die Gefallenen über
eintausend Jahre des Krieges, doch der weitverbreitete
Glaube, der die Menschen in alten Zeiten voll und ganz
erfüllte, ist in der modernen Welt der Dunkelheit so gut wie
vergessen. Vom einstigen Feuer ist nur glimmende Asche
geblieben, weshalb die erst unlängst befreiten Dämonen
dazu gezwungen sind, um den letzten Rest verbliebener
Wärme zu kämpfen. Früher durchstreiften die Gefallenen
als strahlende Geister die Welt, doch heute müssen sie sich
in sterblichem Fleisch verankern, was schon im besten aller
Fälle eine schwierige und fast schon verzweifelte Situation
darstellt. Die Sterblichen des 21. Jahrhunderts sind in spi-
ritueller Hinsicht so arm, daß sie nur unzulängliche Gefäße
für die Bündelung infernalischer Energien abgeben. Anstatt
die Persönlichkeit eines Wirtes völlig in den Hintergrund
zu drängen oder schlichtweg zu vernichten, werden das
Wissen und die Identität des Dämons größtenteils von den
Erinnerungen und Gefühlen des Sterblichen unterdrückt,
die in seinem Körper verblieben sind. Folglich kann ein
Gefallener himmlische Energien nur in sehr begrenztem
Maße in sich aufnehmen und speichern. Allerdings wer-
den aus denselben Gründen der Wahnsinn, der Haß und
der Schmerz, die der Dämon während seiner langen Zeit
der Verbannung im Abgrund in sich aufgestaut hat, glei-
chermaßen unterdrückt, was dem Dämon die Möglichkeit
bietet, sich zumindest teilweise von seinem über Äonen
hinweg empfundenen Zorn zu lösen und das Beste aus sei-
ner neugewonnenen Freiheit zu machen.
QUAL
Innerhalb der Grenzen der ihm bekannten Geheimnisse
kann ein Dämon die Wirklichkeit seinem Willen unter-
werfen, aber das Erzielen eines gewünschten Effekts erfor-
dert intensive Konzentration und einen klaren Verstand.
Unkontrollierte Emotionen – insbesondere diejenigen ne-
gativer Art – üben einen großen Einfluß auf die Beschwö-
rungen eines Dämons aus, was zu grauenvollen Resultaten
führen kann.
Dämonen-Charaktere besitzen einen Qualwert, der wi-
derspiegelt, wie sehr sie vom Wahnsinn und Haß der un-
203

gezählten Zeitalter im Abgrund zerfressen sind. Je höher
sein Qualwert wird, desto monströser wird ein Charakter,
und je weiter sich der Makel auf seiner Seele ausbreitet,
desto stärker wirkt sich dieser seelische Zustand auf die
Effekte seiner Beschwörungen aus. Jede Beschwörung
weist einen normalen Effekt und einen mit hoher Qual in
Verbindung stehenden Effekt auf. Immer, wenn ein Spieler
einen Würfelwurf macht, um eine Beschwörung durchzu-
führen, vergleicht er den Zahlenwert der mit diesem Wurf
erzielten Erfolge mit dem permanenten Qualwert seines
Charakters. Ist die Anzahl der Erfolge, deren Würfeler-
gebnis höher ist als sein permanenter Qualwert, größer als
die Anzahl der Erfolge, deren Würfelergebnis niedriger ist
als sein permanenter Qualwert, tritt der gewünschte Ef-
fekt wie von ihm beabsichtigt ein. Ist hingegen die Anzahl
der Erfolge, deren Würfelergebnis niedriger ist als sein
permanenter Qualwert, größer oder gleich der Anzahl der
Erfolge, deren Würfelergebnis höher ist als sein perma-
nenter Qualwert, tritt der mit hoher Qual in Verbindung
stehende Effekt der Beschwörung ein – möglicherweise
richtet der Dämon ausgerechnet dann Schaden an, wenn
er eigentlich Gutes tun wollte. Bei diesem Glaubenswurf
gewürfelte Einsen negieren erzielte Erfolge beginnend
mit dem Erfolg mit dem höchsten Zahlenwert. Je höher
der permanente Qualwert eines Charakters steigt, desto
wahrscheinlicher wird es, daß seine Beschwörungen einen
negativen Effekt haben.
Dämonen können die bösartigeren Auswirkungen ih-
rer Beschwörungen auch absichtlich herbeiführen, wenn
sie dies wünschen, was allerdings mit einem hohen Preis
verbunden ist. Jedesmal, wenn ein Dämon den mit hoher
Qual in Verbindung stehenden Effekt einer Beschwörung
wirken will, steigt seine temporäre Qual um einen Punkt.
INFERNALISCHE MACHT
Trotz der durch ihre sterblichen Wirtskörper gegebenen
Einschränkungen sind die Gefallenen furchteinflößende
Gegner, denen ein breites Spektrum an Kräften und Fä-
higkeiten zur Verfügung steht. Diese Kräfte sind in drei
unterschiedliche Kategorien aufgeteilt: arteigene Kräfte, die
jeder Dämon aufgrund seines ursprünglich himmlischen
Wesens besitzt und deren Einsatz keine Glaubenswürfe
erfordert, die apokalyptische (oder auch offenbarte) Gestalt
sowie Geheimnisse.
ARTEIGENE KRÄFTE
Jeder Dämonen-Charakter beginnt das Spiel mit einer
Reihe allgemeiner Kräfte, die seine Natur und einstige
Rolle als Diener der Schöpfung widerspiegeln. Hierbei
handelt es sich um grundlegende Fähigkeiten, die immer
als „aktiviert“ oder einsetzbar betrachtet werden, solange
der Charakter über mindestens einen Punkt in seinem
Glaubensvorrat verfügt. Zu den arteigenen Kräften zählen
unter anderem die Immunität gegen Besessenheit, Immu-
nität gegen Gedankenkontrolle und die Resistenz gegen
Illusionen. Ausführlichere Informationen über arteigene
Kräfte folgen später in diesem Kapitel (siehe Seite 206).
204
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
DIE APOKALYPTISCHE GESTALT
Während der Zeit des Zorns konnten die Gefallenen ihre
stoffliche Form nach Belieben verändern. Als sie gegen
die Himmlischen Heerscharen kämpften, konnten sie die
Gestalt von stählernen Titanen oder in tosende Flammen
gehüllten Schrecken annehmen. Unter den Menschen
zeigten sie sich oft in Gestalt von Männern und Frauen,
die entsetzlich und strahlend schön zugleich waren, oder
nahmen die Form eines Tiers an, das ihren Zielen am dien-
lichsten war. Die heutige Welt der Dunkelheit verfügt nicht
mehr über die nötige Atmosphäre des Glaubens, die solch
mühelose Umwandlungen von Geist in körperliche Form
erlauben würde. Die Gefallenen können allerdings ihren
Vorrat an Glauben nutzen, um die Körper ihrer Wirte für
begrenzte Zeit so zu verändern, daß sie durch eine solche
Verwandlung übermenschliche Fähigkeiten gewinnen. Die-
se apokalyptische oder auch offenbarte Gestalt ist ein Spie-
gelbild des wahren Wesens eines Dämons, und ihre genauen
Fähigkeiten hängen von den primären Geheimnissen eines
Charakters ab (weitere Informationen hierzu finden Sie im
Abschnitt über Geheimnisse). Wenn ein Charakter seine
apokalyptische Gestalt annimmt, erleiden alle anwesenden
Sterblichen, die Zeuge dieses Ereignisses werden, die damit
einhergehenden Effekte dieser sogenannten Offenbarung
(nähere Details finden Sie auf Seite 305 in Kapitel Neun).
Die Reaktionen auf eine Offenbarung reichen von purem
Grauen bis hin zu fassungslosem Staunen.
Die primären Geheimnisse eines Charakters geben vor,
welche apokalyptische Gestalt er manifestieren kann. Da-
mit die Verwandlung stattfinden kann, müssen Sie ent-
weder eine Anzahl von Würfeln, die dem gegenwärtigen
temporären Glaubewert Ihres Charakters entspricht, gegen
eine Schwierigkeit von 6 würfeln, oder einen Glaubens-
punkt einsetzen, um sich einen automatischen Erfolg zu
erkaufen. Ist der Wurf erfolgreich, nimmt Ihr Charakter
augenblicklich seine apokalyptische Gestalt an.
Sobald Ihr Charakter seine apokalyptische Gestalt ange-
nommen hat, steht ihm eine Reihe besonderer Eigenschaf-
ten zur Verfügung, die von gesteigerten Eigenschaftswerten
bis hin zu körperlichen Vorzügen wie etwa Schwingen und
Klauen reichen. Jede apokalyptische Gestalt bietet acht
besondere Eigenschaften, wovon allerdings nur vier für
Charaktere verfügbar sind, deren Qualwert bei 6 und we-
niger liegt. Die restlichen vier Eigenschaften stehen Ihrem
Charakter erst dann zur Verfügung, wenn er einen Teil
seiner selbst an seine dämonische Natur verliert. Erreicht
Ihr Charakter einen permanenten Qualwert von 7, können
Sie eine der vier mit hoher Qual in Verbindung stehenden
Eigenschaften der Form auswählen und zu der apokalypti-
schen Gestalt Ihres Charakters hinzufügen. Erreicht seine
permanente Qual einen Wert von 8, können Sie eine wei-
tere dieser Eigenschaften hinzufügen und so weiter. Sollte
der permanente Qualwert später wieder sinken, verliert Ihr
Charakter pro gesenktem Punkt permanenter Qual eine
dieser Eigenschaften, wobei die Reihenfolge umgekehrt
zum Erhalt der Eigenschaften ist. Somit ist die Eigenschaft,
die er zuletzt erhalten hat, auch die erste, die er wieder
verliert, sobald sein permanenter Qualwert sinkt. Die vier
KAPITEL SIEBEN
üblichen Eigenschaften seiner apokalyptischen Gestalt
behält jeder Charakter ungeachtet seines permanenten
Qualwerts bei.
In Zeiten großer Not kann ein Dämon sich seiner dunk-
len Natur bewußt hingeben, um eine Eigenschaft einzuset-
zen, die er ansonsten nicht manifestieren könnte, da sein
permanenter Qualwert zu niedrig ist. Die auf diese Weise
gewonnene Eigenschaft bleibt lediglich für die Dauer einer
Szene bestehen, und der temporäre Qualwert des Charak-
ters erhöht sich um einen Punkt.
Ihr Charakter ist nicht dazu gezwungen, alle seine be-
sonderen Eigenschaften zu manifestieren, wenn er seine
apokalyptische Gestalt annimmt. (Beispielsweise können
Adlerschwingen in einem vollbesetzten Fahrstuhl etwas
hinderlich sein.) Sagen Sie immer vor Ihrem Glaubenswurf
an, welche Eigenschaften Ihr Charakter erwecken möch-
te. Will er später andere oder zusätzliche Eigenschaften
manifestieren, so kann er dies tun, muß allerdings einen
erneuten Glaubenswurf ablegen. Das bloße Scheitern eines
solchen Glaubenswurfs zieht noch keine negativen Folgen
nach sich, aber Ihr Charakter verliert einen Glaubens-
punkt, wenn Sie den Wurf verpatzen sollten.
Sobald die apokalyptische Gestalt angenommen wurde,
kann sie für die Dauer einer Szene aufrechterhalten wer-
den. Ihr Charakter kann sie aber zu jedem beliebigen Zeit-
punkt in dieser besagten Szene wieder „deaktivieren“.
GEHEIMNISSE
Die Geheimnisse eines Himmlischen Hauses sind nicht
mehr und nicht weniger als das gesammelte Wissen seiner
Mitglieder über die Geheimnisse des Universums – das
Wissen um jene Beschwörungen, mit denen die Grund-
mauern der Wirklichkeit selbst beeinflußt und die Kräfte
gelenkt werden können, die den Kosmos am Laufen halten.
Vor dem Fall hatte jedes Haus seine eigenen Geheimnisse,
in denen seine besonderen Pflichten in der himmlischen
Hierarchie widerhallten. Diese Beschwörungen galten als
so etwas wie das Herz und die Seele eines jeden Hauses,
und da sie der ganze Stolz eines Hauses waren, wurden
sie auch eifersüchtig gehütet. Während der Zeit des Zorns
wurde Stolz von Pragmatismus verdrängt, und viele Gefal-
lene begannen damit, untereinander kleinere Bruchstücke
ihrer Geheimnisse auszutauschen, um jeden noch so klei-
nen Vorteil gegen ihre engstirnigeren Gegner nutzen zu
können.
Es wird davon ausgegangen, daß die Charaktere in Dä-
monen alle Geheimnisse ihres jeweiligen Hauses ergrün-
det haben, doch daß zugleich vieles von diesem Wissen
im Unterbewußtsein ihrer Wirte vergraben liegt und nur
durch große Anstrengungen von Seiten der Gefallenen
zurück in ihr Gedächtnis gerufen werden kann. Je mehr
sich ein sterbliches Gefäß an die Kontrolle durch einen
Dämon gewöhnt und je mehr himmlische Energien durch
das Gefäß kanalisiert und gebündelt werden können, desto
größer ist die Zahl seiner früheren Kräfte, die ein Gefallener
wiedererlangen kann.
Während der Charaktererschaffung wählen die Spieler
die Geheimnisse, die ihr Dämon zu Spielbeginn kennt,
aus den drei Pfaden von Geheimnissen des ursprünglichen
Himmlischen Hauses ihres Charakters sowie den beiden
Pfaden offener Geheimnisse aus, die jedem Dämon geläufig
sind (siehe Seite 208). Einen der drei Pfade des Hauses Ih-
res Charakters müssen Sie als seine primären Geheimnisse
festlegen. Dies sind die Beschwörungen, die Ihr Charakter
am besten beherrscht und an die er sich am ehesten erin-
nern kann. Nachdem Sie den primären Pfad der Geheim-
nisse Ihres Charakters festgelegt haben, stehen Ihnen drei
Punkte zur Verfügung, die Sie auf die Pfade der Geheimnis-
se Ihres Charakters vergeben können, um zu bestimmen,
mit welchen Beschwörungen er das Spiel beginnt. Die ein-
zige Einschränkung hierbei ist, daß kein anderer Pfad von
Geheimnissen mehr Punkte aufweisen darf als der Pfad Ih-
rer primären Geheimnisse. Zusätzliche Punkte in Geheim-
nissen können später durch freie Zusatzpunkte erworben
werden. Neue Geheimnisse und damit auch Geheimnisse
aus Pfaden anderer Häuser können Sie während des Spiels
durch den Einsatz von Erfahrungspunkten erwerben.
Beispiel: Toms Charakter – eine Geißel – kann bei der Er-
schaffung aus fünf Pfaden von Geheimnissen wählen: die Haus-
geheimnisse der Erweckung, des Firmaments und des Windes
sowie die beiden offenen Pfade der Geheimnisse der Menschheit
und des Fundaments. Tom kann drei Punkte auf diese fünf
Pfade verteilen. Zuerst muß er aus einem der drei Pfade von
Hausgeheimnissen die primären Geheimnisse seines Charakters
auswählen. Nach einigem Überlegen entscheidet sich Tom für
die Geheimnisse der Erweckung und trägt dort einen seiner
drei Punkte ein. Danach vergibt er jeweils einen der beiden
verbliebenen Punkte auf die Geheimnisse des Fundaments und
die Geheimnisse der Menschheit. Später, wenn es um die letzten
Handgriffe bei der Charaktererschaffung geht, kauft er sich
mit freien Zusatzpunkten einen weiteren Geheimnispunkt, den
er entweder zu seinen Geheimnissen der Erweckung, seinen
Geheimnissen des Firmaments oder seinen Geheimnissen des
Windes hinzufügen kann. Er kann diesen zusätzlichen Punkt
nicht auf die Geheimnisse des Fundaments oder die Geheimnisse
der Menschheit legen, da er bislang nur einen Punkt in seine
primären Geheimnisse investiert hat und er nicht mehr Punkte
auf einen anderen Pfad vergeben darf, als sein Charakter in
seinen primären Geheimnissen besitzt.
Die Anzahl der auf einen Pfad von Geheimnissen ver-
gebenen Punkte gibt gleichzeitig an, welche der in diesem
Pfad enthaltenen Beschwörungen Ihr Charakter durch-
führen kann. Im vorhergehenden Beispiel wurde Toms
Geißel ermöglicht, die Beschwörungen der ersten Stufe
der Geheimnisse der Erweckung, der Geheimnisse des
Fundaments und der Geheimnisse der Menschheit anzu-
wenden. Hätte der Spieler den zusätzlichen Punkt auf die
Geheimnisse der Erweckung gelegt, wäre sein Charakter
in der Lage gewesen, neben den Beschwörungen der er-
sten Stufe auch die der zweiten anzuwenden. Jeder wei-
tere Punkt hätte ihm die nächsthöhere Stufe zugänglich
gemacht. Jede Beschwörung erfordert einen Wurf auf ein
entsprechendes Attribut + Fähigkeit, um zu bestimmen,
ob der gewünschte Effekt eintritt. Für gewöhnlich liegt
die Schwierigkeit dieses Wurfs bei 6, aber sie kann vom
Erzähler je nach Situation verändert werden. Sie können
bei diesem Wurf zusätzliche Würfel einsetzen, sofern Sie
bereit sind, den Glauben Ihrer Sklaven zu plündern – die
205

Anzahl dieser zusätzlichen Würfel entspricht dann dem
permanenten Glaubewert Ihres Charakters (nähere In-
formationen hierzu finden Sie in Kapitel Neun auf Seite
299). Des weiteren können temporäre Glaubenspunkte
dazu eingesetzt werden, um sich automatische Erfolge bei
einem Beschwörungswurf zu erkaufen, so wie dies sonst
bei Würfen auf Attribute oder Fähigkeiten mit Willens-
kraft möglich ist. Sollte der Beschwörungswurf scheitern,
geschieht nichts; würfeln Sie jedoch einen Patzer, verliert
Ihr Charakter zusätzlich einen Punkt aus seinem Glau-
bensvorrat. Je nach Beschwörung bestimmt der Glau-
bensvorrat Ihres Charakters über Reichweite und Dauer
der eingesetzten Kraft. Jede Runde kann nur eine Be-
schwörung durchgeführt werden, aber ein Charakter kann
gleichzeitig eine Anzahl von in zurückliegenden Runden
durchgeführten Beschwörungen aufrechterhalten, die sei-
nem permanenten Glaubenswert entspricht.
Später in diesem Kapitel werden die Geheimnisse, die
den Dämonen zugänglich sind, nach ihrer Zuordnung zu
einem der Häuser vorgestellt. Die Häuser wiederum wer-
den in der Reihenfolge ihres ehemaligen Ranges in der
himmlischen Hierarchie angefangen bei den Teufeln bis
hinunter zu den Schnittern aufgeführt.
ARTEIGENE KRÄFTE
Alle Dämonen besitzen unabhängig von ihrer Haus-
zugehörigkeit die im Folgenden aufgeführten arteigenen
Kräfte. Diese Fähigkeiten werden nicht durch Qual be-
einflußt und werden immer als „aktiviert“ betrachtet, so-
lange ein Charakter über mindestens einen verbliebenen
temporären Glaubenspunkt verfügt. Hat ein Charakter
seinen Glaubensvorrat vollkommen erschöpft, kann er
diese arteigenen Kräfte dennoch einsetzen, indem er sie
mit dem Glauben seiner sterblichen Sklaven speist (wei-
tere Informationen finden Sie in Kapitel Neun auf Seite
299).
IMMUNITÄT GEGEN GEDANKENKONTROLLE
Dämonen sind gegen jede Art von Gedankenkontrolle
und gegen auf übernatürliche Weise erzeugte Angstzustän-
de immun.
IMMUNITÄT GEGEN BESESSENHEIT
Obwohl Gefallene aus offensichtlichen Gründen nicht
selbst Opfer einer Besessenheit werden können, ist es
jedoch möglich, einen Dämon aus seinem sterblichen
Wirtskörper auszutreiben, wenn sein Glaubensvorrat
vollkommen erschöpft ist. In diesem Fall kann der Spie-
ler versuchen, sich gegen den Austreibungsversuch zu
wehren, indem er in einer Handlung gegen Widerstand
seine Willenskraft gegen die Willenskraft des Angreifers
würfelt. Scheitert der Wurf, wird der Dämon aus seinem
Wirtskörper ausgetrieben und muß sich augenblicklich
in einem anderen Körper verankern, um nicht zurück in
den Abgrund gezogen zu werden. Weitere und genauere
Informationen über entkörperte Dämonen finden Sie in
Kapitel Neun auf Seite 312.
206
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
RESISTENZ GEGEN ILLUSIONEN
Dämonen sind besonders begabt darin, die Realität von
Trugbildern zu unterscheiden, und sie können versuchen,
jede Form von Illusion oder übernatürlicher Tarnung zu
durchschauen, ganz gleich, welchen Ursprungs diese Täu-
schung ist. Hat Ihr Charakter es mit einer Illusion zu tun
oder wird er mit einem Individuum oder einem Gegenstand
konfrontiert, der auf übernatürliche Weise getarnt ist, so
kann er diese Täuschung mit einem erfolgreichen Wurf
auf Wahrnehmung + Aufmerksamkeit (Schwierigkeit 7)
durchschauen. Sollte der Urheber der Illusion oder der Tar-
nung ein anderer Dämon sein, entspricht die Schwierigkeit
dieses Wurfs dem Glaube- oder Qualwert des Gegners, je
nachdem, welcher von beiden Werten höher ist.
RESISTENZ GEGEN TÖDLICHEN SCHADEN
In ihrer apokalyptischen Gestalt können Dämonen ihre
Widerstandsfähigkeit einsetzen, um tödlichen Schaden zu
absorbieren.
HEILUNG KÖRPERLICHEN SCHADENS
Jeder Dämon kann Glaube einsetzen, um Schlagscha-
den oder tödlichen Schaden zu heilen. Sie können einen
Glaubenspunkt einsetzen, um den gesamten Schlagschaden
Ihres Charakters zu heilen, während tödlicher Schaden mit
einer Rate von einer Gesundheitsstufe pro eingesetztem
Glaubenspunkt geheilt wird. Für die gleichzeitige Heilung
von Schlagschaden und tödlichem Schaden muß jedoch
getrennt Glauben aufgewendet werden. Schwer heilbarer
Schaden kann auch in keinem Fall auf diese Weise geheilt
werden.
ANRUFUNG
Die Macht, die im Namen eines Dämons schlummert, ist
so gewaltig, daß man allein mit seiner Erwähnung – selbst
im Zuge einer harmlosen Unterhaltung – die Aufmerksam-
keit des Gefallenen auf sich lenkt, wobei die Entfernung
zwischen Sprecher und Dämon keinerlei Rolle spielt. Dar-
über hinaus kann der Dämon versuchen, in Erfahrung zu
bringen, um wen es sich bei dem Sprecher handelt, wo sich
dieses Wesen aufhält und was genau gesagt wurde.
Die Aufmerksamkeit eines Dämons wird immer dann
geweckt, wenn sein Himmlischer Name oder sein Wahrer
Name ausgesprochen wird. Das Gefühl, das dabei in ihm
wachgerufen wird, ist bei jedem Gefallenen anders. Einige
bekommen eine Gänsehaut oder es läuft ihnen kalt den
Rücken hinunter, während andere es eher als Zupfen oder
Ziehen in ihrem Geist wahrnehmen. Konzentriert sich
ein Dämon auf dieses Gefühl, kann er herausfinden, wer
seinen Namen anwendet und aus welchem Grund der
Sprecher dies tut. Dazu muß ein Glaubenswurf (Schwie-
rigkeit 7 für die Anrufung des Himmlischen Namens und
Schwierigkeit 6 für den Gebrauch des Wahren Namens)
durchgeführt werden. Von der Anzahl der erzielten Erfol-
ge hängt ab, wie detailliert die aus diesem Wurf gewonne-
nen Informationen sind.
Ein Erfolg: Der Charakter erhält ein geistiges Bild von der
Person, die seinen Namen ausspricht.
KAPITEL SIEBEN
Zwei Erfolge: Der Charakter erhält ein geistiges Bild vom
Sprecher und dessen unmittelbarer Umgebung sowie von
der oder den Personen, die der Sprecher anspricht.
Drei oder mehr Erfolge: Der Charakter kann eine Runde
lang hören, was der Sprecher sagt. Wenn er es wünscht,
kann er das Gespräch weiter belauschen, wobei er aller-
dings nur die Stimme der Person hören kann, die seinen
Namen ausgesprochen hat. Damit Ihr Charakter eine Un-
terhaltung auf diese Weise belauschen kann, muß Ihnen
in jeder weiteren Runde ein Willenskraftwurf (Schwie-
rigkeit 8) gelingen. Sobald ein Wurf scheitert, bricht der
Kontakt ab.
Die Reichweite dieser Fähigkeit ist unbegrenzt, und sie
überschreitet sogar die Barriere zwischen der stofflichen
Welt und dem Geisterreich.
Die Fähigkeit, mittels des Aussprechens von Namen der
Macht einen geistigen Kontakt zu anderen herzustellen,
erlaubt es den Dämonen des weiteren, ungeachtet räum-
licher Entfernungen mit ihresgleichen und ihren Sklaven
zu kommunizieren. Um mit einem anderen Dämon einen
geistigen Kontakt herstellen zu können, muß Ihr Charak-
ter entweder den Himmlischen oder den Wahren Namen
des Empfängers kennen und über mindestens einen Glau-
benspunkt verfügen. Machen Sie einen Glaubenswurf
(Schwierigkeit 7 für den Gebrauch des Himmlischen Na-
mens und Schwierigkeit 6 für den Gebrauch des Wahren
Namens). Ist dieser Wurf erfolgreich, kann der Empfänger
alles hören, was Ihr Charakter sagt. Nachdem diese Ver-
bindung erst einmal hergestellt ist, kann der Empfänger
sogar antworten, sofern er über mindestens einen tem-
porären Glaubenspunkt verfügt. Beachten Sie, daß der
Empfänger den Namen des Sprechers nicht kennen muß,
um ihm zu antworten. Sobald die Verbindung hergestellt
ist, kann sie von beiden Beteiligten genutzt werden. Der
geistige Kontakt bleibt für die Dauer einer Runde beste-
hen. Wenn Ihr Charakter als Sprecher (oder Empfänger
der Anrufung) die Unterhaltung fortzusetzen wünscht,
müssen Sie in jeder weiteren Runde der Unterhaltung
einen Willenskraftwurf (Schwierigkeit 6) ablegen. Sobald
ein Wurf scheitert, bricht der Kontakt ab.
Diese Fähigkeit ist nicht bloß auf eine Kommunikation
zwischen zwei Parteien beschränkt. Ein Dämon kann seine
Botschaft an mehrere Empfänger gleichzeitig übermitteln,
die sich an vollkommen unterschiedlichen Orten aufhalten
können. Die auf diese Weise maximal erreichbare Anzahl
an Personen entspricht dem Glaubewert Ihres Charakters.
Der Spieler muß nur einen einzigen Glaubenswurf ablegen,
und die Schwierigkeit beträgt ungeachtet der angerufe-
nen Namen immer 7. Ansonsten gelten für diese Form der
geistigen Kommunikation zwischen ganzen Gruppen von
Gefallenen alle oben beschriebenen Regeln.
Eine geistige Kontaktaufnahme mit Sklaven erfolgt stets
automatisch. Der Pakt, der bereits zwischen dem Sterbli-
chen und dem Dämon besteht, stellt die nötige Verbindung
dar, die es dem Gefallenen erlaubt, mit seinen Sklaven
ohne Ablegen eines Glaubenswurfs in Kontakt zu treten.
Darüber hinaus entspricht die Zahl von Sklaven, die ein
Gefallener gleichzeitig anrufen kann, dem Glaubewert des
Dämons. Solange ein Sklave nicht die besondere Gabe
besitzt, selbst eine Anrufung durchzuführen, ist er nicht
in der Lage, von sich aus auf geistigem Wege Kontakt mit
dem Dämon herzustellen. In den meisten Fällen sprechen
Sklaven nur, wenn sie zuvor angesprochen wurden.
Zwar gibt es für Außenstehende keine bekannte Möglich-
keit, diese übernatürliche Form der Kommunikation „abzu-
hören“, aber sich in der Nähe von Sender oder Empfänger
aufhaltende Dämonen können den Einsatz dieser Fähigkeit
wie den Einsatz jeder anderen übernatürlichen Kraft auch
spüren. Da sowohl Sender als auch Empfänger tatsächlich
aussprechen müssen, was sie dem jeweils anderen gerne
sagen möchten – und sei es auch nur als Flüstern –, ist es
zudem für Individuen mit spitzen Ohren durchaus möglich,
zumindest einen Teil der Unterhaltung zu belauschen.
ÜBERNATÜRLICHE WAHRNEHMUNG
Die Gefallenen besitzen aufgrund ihres Wesens ein aus-
gezeichnetes Gespür für das Gefüge der Wirklichkeit, und
sie sind für Energien und Einflüsse empfänglich, die weit
jenseits des Wahrnehmungsvermögens der Sterblichen lie-
gen. Spieler können einen Wurf auf Wahrnehmung + Ma-
giegespür ablegen, um es ihren Charakteren zu gestatten,
ein „Gefühl“ für die übernatürlichen Eigenschaften eines
bestimmten Ortes zu entwickeln. Ein Krankenhauszimmer
könnte ein Gefühl von Schmerz und Verlust ausstrahlen,
das als eine Art Abdruck der Emotionen von Patienten und
Ärzten hinterlassen wurde, die innerhalb dieser Wände
mit dem Tod gerungen haben. Ein ansonsten unauffälliger
Keller könnte noch immer nach den Spuren der teuflischen
Rituale stinken, die Tage zuvor in ihm durchgeführt wur-
den. Ein besonders wachsamer Dämon kann außerdem den
Einsatz übernatürlicher Energien in seiner unmittelbaren
Umgebung spüren. Das Gefüge der Wirklichkeit wird für
einen kurzen Augenblick verzerrt, sobald übernatürliche
Kräfte eingesetzt werden, und die Gefallenen können die
leichten Wellen spüren, die von einer solchen Verzerrung
ausgehen. Äußerst feinfühlige Dämonen können aus diesen
Wellen viele Informationen herauslesen und eine ungefäh-
re Vorstellung davon erhalten, wo dieser übernatürliche
Zwischenfall stattgefunden hat.
Dämonen können den Einsatz übernatürlicher Energien
in einem Umkreis von je 1,5 Kilometern pro permanentem
Glaubenspunkt spüren (somit ist ein Gefallener mit einem
Glaubewert von 4 in der Lage, übernatürliche Energien in
einem Umkreis von 6 Kilometern wahrzunehmen). Wenn
Ihr Charakter die aktiven Quellen übernatürlicher Energi-
en in seiner Umgebung wahrnehmen soll, müssen Sie einen
Wurf auf Wahrnehmung + Aufmerksamkeit (Schwierigkeit
7) ablegen. Ist der Wurf erfolgreich, nimmt Ihr Charakter
die durch den Einsatz übernatürlicher Energien hervorge-
rufene Verzerrung im Gefüge der Wirklichkeit wahr. Zu-
sätzliche Erfolge liefern hierbei zusätzliche Detailinforma-
tionen.
Ein Erfolg: Der Dämon weiß, daß etwas in der Nähe vor
sich gegangen ist (oder noch immer vor sich geht), und er
hat eine ungefähre Ahnung, wie mächtig der Effekt war
oder ist.
Zwei Erfolge: Der Dämon erhält eine ungefähre Ahnung
davon, aus welcher Richtung die Verzerrung kommt.
207

Drei Erfolge: Der Dämon weiß genau, aus welcher Rich-
tung die Verzerrung kommt, und er hat eine ungefähre
Vorstellung davon, wie weit sie entfernt ist.
Vier oder mehr Erfolge: Der Dämon weiß exakt, wie weit
die Quelle der Verzerrung entfernt ist und in welcher Rich-
tung sie liegt. Kennt er die Umgebung gut, kann er sogar
genau sagen, wo der Vorfall sich ereignet hat oder sich noch
immer ereignet.
Zwar können Dämonen spüren, wo ein solches Ereignis
stattfindet, doch es ist ihnen unmöglich, aus der Entfer-
nung heraus festzustellen, welche Art von Kraft oder Be-
schwörung gerade eingesetzt wird. Wenn sie nähere Details
herausfinden möchten, müssen sie der Sache persönlich
und damit körperlich nachgehen oder ihre Handlanger
schicken, um so viel wie möglich über den übernatürlichen
Vorfall in Erfahrung zu bringen.
Obwohl die übernatürliche Wahrnehmung eines Dämons
nur dann funktioniert, wenn er aktiv nach Anzeichen einer
Verzerrung im Gefüge der Wirklichkeit sucht, kann der
Erzähler nach Belieben auch verdeckte Würfe für einen
Charakter ablegen, um festzustellen, ob dieser ein beson-
ders großes Aufflammen übernatürlicher Energien in seiner
Umgebung bemerkt oder nicht.
OFFENE GEHEIMNISSE
Während die meisten Geheimnisse ausschließlich den
Häusern bekannt sind, die sie in ihrer Gänze ergründet
haben, existieren zwei Pfade, die jeder Engel (oder Dä-
mon) kennt, da er sie einst benötigte, um seinen Pflichten
inmitten der zahllosen Wunder des Paradieses nachgehen
zu können. Die Geheimnisse des Fundaments sind der erste
dieser beiden Pfade. Er befaßt sich mit den Grundbaustei-
nen des stofflichen Universums und gab die Richtlinien vor,
an denen sich alle Häuser in ihrem Wirken orientierten.
Die zweite Gruppe offener Geheimnisse erschloß sich den
Gefallenen während der Zeit des Zorns und bot ihnen die
Möglichkeit, den Umgang zwischen der Menschheit und
den rebellierenden Legionen zu erleichtern.
GEHEIMNISSE DES FUNDAMENTS
• MANIPULATION DER SCHWERKRAFT
Der Dämon kann die Auswirkungen der Schwerkraft auf
seinen Körper beeinflussen, was ihn in die Lage versetzt,
mit einem Sprung gewaltige Distanzen zu überbrücken,
freischwebend in der Luft zu hängen oder sich wie ein Me-
teorit auf seine Feinde herabzustürzen.
System: Würfeln Sie Körperkraft + Sportlichkeit. Der Dä-
mon kann für jeden erzielten Erfolg zwanzig Meter weit (oder
hoch) springen oder sich die gleiche Distanz in die Tiefe fal-
len lassen, ohne sich dabei Verletzungen zuzuziehen. Um die
Auswirkungen der Schwerkraft auf seinen Körper gänzlich
aufzuheben, ist eine Anzahl von Erfolgen erforderlich, die
der Widerstandsfähigkeit des Charakters entspricht. Cha-
raktere, die der Schwerkraft trotzen, sind allerdings nicht
per se gewichtslos – äußere Krafteinwirkungen zeigen auf
sie nach wie vor die gewohnte Wirkung. Die Effekte dieser
Beschwörung halten eine Runde lang an.
208
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Qual: Monströse Dämonen, die diese Beschwörung einset-
zen, ziehen einen Turbulenzbereich hinter sich her, in dem
auf alle Gegenstände oder Personen in einem Umkreis von
einem Meter pro permanentem Qualpunkt des Dämons
die Schwerkraft zufällig erhöht oder verringert wird. Der
Erzähler kann seiner Phantasie bei der Beschreibung der
chaotischen Nebeneffekte im Kielwasser des Monstrums
freien Lauf lassen.
•• MANIPULATION DER ADHÄSION
Der Dämon kann das Haftvermögen seines Körpers auf
andere stoffliche Objekte beeinflussen. Er kann Wände
hochlaufen, von der Decke herunterhängen oder sich wie
eine Spinne an die Seite eines fahrenden Autos klam-
mern.
System: Würfeln Sie Geschick + Sportlichkeit. Die
Schwierigkeit des Wurfs hängt vom Winkel der Oberfläche,
an die sich der Charakter haften will, in Relation zur ebe-
nen Erde ab. Will man einen steilen Abhang hinauflaufen,
beträgt die Schwierigkeit 6, während das Hinauflaufen an
einer senkrecht aufragenden Oberfläche eine Schwierigkeit
von 7 mit sich bringt. Das Fortbewegen über Kopf hängend
(wie etwa an einer Zimmerdecke) erhöht die Schwierigkeit
auf 8. Für jeden erzielten Erfolg kann sich der Charakter bis
zu drei Meter weit auf diese Weise fortbewegen. Die Effekte
dieser Beschwörung halten eine Runde lang an.
Qual: Wenn ein monströser Dämon diese Beschwörung
ausführt, werden die Oberflächen, über die er sich bewegt,
durch seine Berührung verändert. Sie beginnen extreme
Hitze auszustrahlen, und überall dort, wo seine Hände und
Füße die Oberfläche berühren, hinterlassen sie deutliche
Abdrücke. Personen, die mit solchen Oberflächen in der-
selben Runde in Berührung kommen, in der der Dämon sie
passiert hat, nehmen eine Stufe tödlichen Schaden.
••• MANIPULATION DER TRÄGHEIT
Der Dämon kann die Trägheit eines jeden Objekts, das
er berührt, beeinflussen, wodurch er es sofort in seiner
Bewegung stoppen oder ihm unaufhaltsamen Schwung
verleihen kann. Er kann Geschosse aus dem Flug heraus
fangen (vorausgesetzt er kann die Geschosse sehen) oder
einen Gegenstand weiter von sich schleudern, als es sich
ein Mensch überhaupt nur vorstellen könnte.
System: Würfeln Sie Geschick + Sportlichkeit. Für je-
den erzielten Erfolg kann der Dämon ungeachtet seiner
tatsächlichen Körperkraft ein Objekt bis zu 30 Meter weit
werfen. Um ein Geschoß aus der Luft greifen zu können,
müssen Sie eine Mindestanzahl an Erfolgen würfeln, die
den Schadenswürfeln des Geschosses entspricht. Ein ge-
worfenes Messer beispielsweise verursacht einen Schaden
von Körperkraft + 1. Wenn die Person, die das Messer
geworfen hat, einen Körperkraftwert von 3 besitzt, müssen
Sie vier oder mehr Erfolge erzielen, damit Ihr Charakter
das Messer abfangen kann. Ihr Dämon muß in der Lage
sein, ein Geschoß zu sehen, um es zu beeinflussen. Steine,
Messer und selbst Pfeile sind mögliche Kandidaten für eine
solche Einflußnahme, aus Schußwaffen abgefeuerte Kugeln
hingegen sind es nicht. Wirft Ihr Dämon unter Einsatz
dieser Beschwörung etwas nach einer anderen Person, wird
KAPITEL SIEBEN
im Falle eines Treffers jeder erzielte Erfolg zu einer auto-
matischen Stufe Schaden umgewandelt. Die Effekte dieser
Beschwörung halten eine Runde lang an.
Qual: Jeder Gegenstand, der von einem monströsen Dä-
mon berührt wurde, wird für einen gewissen Zeitraum ex-
trem zerbrechlich und instabil, was für die nächste Person,
die einen solchen Gegenstand benutzen will, unter Um-
ständen in einem Desaster enden wird. Bei der Anwendung
jedes Gegenstands, der Ziel dieser Beschwörung war, zählen
für eine Anzahl von Runden, die dem permanenten Qu-
alwert des Dämons entspricht, alle Würfelergebnisse von
1, 2 oder 3 als Patzer (das heißt, diese Ergebnisse negieren
erzielte Erfolge).
•••• MANIPULATION DER BESCHLEUNIGUNG
Der Dämon kann die Beschleunigung seines eigenen
Körpers beeinflussen und sich somit übermenschliche Ge-
schwindigkeit und Kraft verleihen.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Geschick + Sportlichkeit. Jeder erzielte Erfolg ermög-
licht es Ihrem Charakter, pro Runde 10 Meter zu gehen,
20 Meter zu laufen oder 40 Meter zu sprinten. Wird diese
Beschwörung für den waffenlosen Kampf, den Nahkampf
oder den Fernkampf mit Wurfwaffen eingesetzt, werden
die bei einem Treffer erzielten Erfolge als automatische
Schadensstufen gewertet. Falls erwünscht, können diese
Schadensstufen auf mehrere Ziele aufgeteilt werden. Die
Effekte dieser Beschwörung halten eine Runde lang an.
Qual: Die Beschleunigung eines monströsen Dämons sorgt
um ihn herum für so starke Luftverwirbelungen, daß er von
einer Aura aus sengender Hitze umgeben ist. Der Umkreis,
in dem sich diese Hitze noch deutlich schmerzhaft aus-
wirkt, entspricht dem permanenten Qualwert des Dämons
in Metern. Lebewesen, die sich innerhalb dieses Umkreises
aufhalten, erleiden eine Stufe Schlagschaden.
••••• MANIPULATION DER DICHTE
Der Dämon kann die Dichte jeglicher unbelebter Mate-
rie beeinflussen, die er berührt. Er kann über Wasser oder
auf Luft gehen sowie feste Stoffe in ihre einzelnen Partikel
zerfallen lassen.
System: Der Dämon muß die Materie, die er beeinflussen
will, berühren können. Setzen Sie einen Glaubenspunkt
ein und würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Naturwis-
senschaften. Die Schwierigkeit hängt von der jeweili-
gen Materie und dem Grad der Beeinflussung ab. Für die
Verwandlung von Wasser in Dampf oder Eis beträgt die
Schwierigkeit 6. Um Wasser oder Luft so weit zu verdich-
ten, daß die beeinflußte Materie das Gewicht des Dämons
tragen kann, erfolgt der Wurf gegen eine Schwierigkeit von
7. Holz, Baumwolle oder andere Materialien mit geringer
Dichte verdampfen zu lassen, entspricht einer Schwierig-
keit von 8, während dasselbe Unterfangen bei Materialien
mit hoher Dichte – wie etwa Stein oder Metall – mit einer
Schwierigkeit von 9 verbunden wäre. Jeder erzielte Erfolg
ermöglicht es dem Dämon, 30 Kubikdezimeter Materie
zu beeinflussen. Die Effekte dieser Beschwörung halten
eine Runde lang an. Danach nehmen alle beeinflußten
Objekte ihren ursprünglichen Aggregatzustand wieder
an oder bleiben so, wie sie nach der Beeinflussung sind,
falls dies dem normalen Aggregatzustand der fraglichen
Stoffe entspricht. Lebewesen, die Ziel dieser Beschwörung
werden, erleiden für jeden erzielten Erfolg eine Stufe töd-
lichen Schaden.
Qual: Materie, die von einem monströsen Dämon beein-
flußt wurde, bleibt für eine Anzahl von Runden, die dem
permanenten Qualwert des Charakters entspricht, insta-
bil und wechselt zufällig von einem Aggregatzustand zum
nächsten. Der Erzähler kann seiner Phantasie beim Be-
schreiben der chaotischen Nebeneffekte im Nachgang der
Manipulation des Dämons freien Lauf lassen.
GEHEIMNISSE DER MENSCHHEIT
• ÜBERSETZUNG
Der Dämon kann jeden Sterblichen verstehen (und sei-
nerseits von ihm verstanden werden), unabhängig davon,
welche Sprache der Sterbliche auch sprechen mag.
System: Würfeln Sie Manipulation + Empathie. Für jeden
erzielten Erfolg kann Ihr Charakter eine Person mit dieser
Beschwörung beeinflussen. Ihr Charakter kann die Sprache
eines jeden von ihm beeinflußten Individuums verstehen
und von ihnen allen umgekehrt ebenfalls verstanden wer-
den – selbst dann, wenn jedes der von ihm beeinflußten
Individuen eine vollkommen andere Sprache spricht. Die
Effekte dieser Beschwörung halten für die Dauer einer Sze-
ne an. Beeinflußte Personen, die unterschiedliche Spra-
chen sprechen, können sich durch diese Kraft allerdings
nicht untereinander verstehen.
Qual: Monströse Dämonen müssen erst das Hindernis
ihrer eigenen Qual überwinden, wenn nicht alle Worte,
die sie hören, durch ihren Zorn und ihre Wahnvorstel-
lungen verfälscht werden sollen. Nachdem die Beschwö-
rung erfolgreich durchgeführt wurde, müssen Sie einen
Willenskraftwurf ablegen. Die Schwierigkeit dieses Wurfs
entspricht dem Qualwert Ihres Charakters. Ist der Wurf
erfolgreich, versteht Ihr Charakter die Worte, die um ihn
herum ausgesprochen werden, genau so, wie sie auch ge-
meint sind. Scheitert der Wurf, werden die ausgesproche-
nen Worte durch den Haß und die Verbitterung Ihres Cha-
rakters verfälscht. Auf diese Weise kann eine Begrüßung
als Bedrohung mißverstanden werden oder eine ehrliche
Antwort auf eine Frage ausweichend oder gar wie ein Täu-
schungsversuch klingen. Der Erzähler kann den Würfel-
wurf verdeckt durchführen und das Ergebnis geheimhalten,
um die Informationen, die der fragliche Spieler zu hören
bekommt, genau auf die jeweilige Situation abstimmen zu
können.
•• EINSCHMEICHELN
Diese Beschwörung bringt Sterbliche dazu, einen Dä-
mon instinktiv als einen potentiellen Freund zu betrachten.
Anfängliches Mißtrauen wird somit von vornherein aus-
geschaltet, wodurch das Interesse der Sterblichen an dem
Dämon zusätzlich steigt. Solange sie nicht mit einer Gabe
ausgestattet sind, die sie vor der Gedankenkontrolle des
Dämons abschirmen kann, sind auch Sklaven durch diese
Beschwörung beeinflußbar.
209

System: Würfeln Sie Manipulation + Empathie. Die
Anzahl der erzielten Erfolge gibt an, wie viele Personen
durch die Beschwörung beeinflußt werden können. Jede
betroffene Person kann mit einem Willenskraftwurf Wi-
derstand gegen diese Beeinflussung leisten. Scheitert der
Willenskraftwurf, vertraut die entsprechende Person Ih-
rem Dämon so weit, daß sie frei und ungezwungen mit
ihm umgeht. Dadurch wird die Schwierigkeit sämtlicher
Manipulationswürfe von Seiten Ihres Charakters im wei-
teren Verlauf der Unterhaltung um 1 gesenkt. Die Effekte
dieser Beschwörung halten für die Dauer einer Szene an.
Qual: Monströse Dämonen, die diese Beschwörung durch-
führen, erzeugen den gegenteiligen Effekt in allen Sterbli-
chen, denen sie begegnen. Personen, die in den Wirkungs-
bereich dieses Effektes geraten, verwenden den Qualwert
des Dämons als Schwierigkeit für ihren Willenskraftwurf.
Scheitert dieser Wurf, überkommt die betroffene Person
ein Gefühl der Ablehnung und des Zorns, und sie geht
mit dem Dämon extrem mißtrauisch und ängstlich um.
Die Schwierigkeit aller folgenden Versuche des Dämons,
diesen Sterblichen einzuschüchtern, wird daraufhin um 2
gesenkt.
••• VERBLASSEN
Durch diese Beschwörung ist der Dämon in der Lage,
buchstäblich mit dem Hintergrund, vor dem er steht, zu
verschmelzen. Sterbliche ignorieren und übersehen ihn so
lange, bis sich der Dämon von sich aus bemerkbar macht.
Dämonen (und Sklaven, die mit der dämonischen Gabe
der Resistenz gegen Illusionen gesegnet worden sind) sind
gegen die Effekte dieser Beschwörung immun.
System: Würfeln Sie Manipulation + Heimlichkeit.
Sterbliche können versuchen, mit einem Willenskraft-
wurf (Schwierigkeit 8) den Effekten dieser Beschwörung
zu widerstehen. Ist der Wurf Ihres Dämons geglückt und
sind die Sterblichen nicht in der Lage, sich gegen die-
se Manipulation ihrer Sinne zur Wehr zu setzen, bleibt
Ihr Charakter so lange von ihnen unbemerkt, bis er eine
Handlung ausführt, mit der er die Aufmerksamkeit auf
sich lenkt, indem er einen Sterblichen beispielsweise be-
rührt oder anspricht. Diese Effekte halten für die Dauer
einer Szene an, wenn der Dämon sie nicht schon vorher
enden lassen möchte.
Qual: Monströse Dämonen, die diese Beschwörung durch-
führen, werden zwar von gewöhnlichen Sterblichen über-
sehen, wirken jedoch wie ein Leuchtfeuer auf alle Sterbli-
chen, die von Zorn oder einem unstillbaren Verlangen nach
Gewalt verzehrt werden.
•••• BEICHTE
Sterbliche, die sich mit dem Dämon unterhalten und von
dieser Beschwörung beeinflußt werden, beantworten seine
Fragen mit absoluter Offenheit und Ehrlichkeit. Solange
ein Sterblicher später nicht durch gezielte Fragen auf diese
Unterhaltung hingewiesen wird, weiß er nicht einmal mehr,
daß dieses Gespräch überhaupt stattgefunden hat. Sofern
ihnen nicht die Gabe der dämonischen Immunität gegen
Gedankenkontrolle zuteil wurde, sind Sklaven durch diese
Beschwörung ebenfalls beeinflußbar.
210
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Manipulation + Ausflüchte. Das Opfer kann sich mit
einem Willenskraftwurf (Schwierigkeit 7) gegen die Be-
einflussung zur Wehr setzen. Ist Ihr Wurf erfolgreich, kann
der Dämon dem Sterblichen jede beliebige Frage stellen,
die dieser vollkommen wahrheitsgetreu beantworten wird.
Die Effekte dieser Beschwörung dauern für eine Anzahl
von Runden an, die dem permanenten Glaubewert Ihres
Charakters entspricht.
Qual: Monströse Dämonen können nur die finstersten
Aspekte des Wesens eines Sterblichen – seine geheim-
sten Gelüste, Animositäten und Begierden – zutage för-
dern.
••••• GEDÄCHTNISVERÄNDERUNG
Der Dämon ist in der Lage, das Gedächtnis eines Sterb-
lichen zu manipulieren. Er kann jede Erinnerung an den
Umgang mit ihm ändern oder entfernen oder sogar Erin-
nerungen im Gedächtnis des Sterblichen einpflanzen, die
in keiner Weise tatsächlich Erlebtes widerspiegeln. Sofern
ihnen nicht die Gabe der dämonischen Immunität gegen
Gedankenkontrolle zuteil wurde, sind Sklaven durch diese
Beschwörung ebenfalls beeinflußbar.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und wür-
feln Sie Manipulation + Ausflüchte. Falls Ihr Charakter
versucht, eine bestehende Erinnerung zu verändern oder
zu entfernen, beträgt die Schwierigkeit für diesen Wurf 7.
Das Einpflanzen einer vollständig vom Dämon ersonne-
nen Erinnerung erhöht die Schwierigkeit auf 8. Anschlie-
ßend würfelt das Opfer Willenskraft gegen eine Schwie-
rigkeit von 7, wobei die vom Opfer erzielten Erfolge von
Ihren Erfolgen beim obigen Wurf abgezogen werden. Der
Erzähler legt fest, wieviel Erfolge Ihnen nach dem Wil-
lenskraftwurf des Opfers noch bleiben müssen, um seine
geistige Gegenwehr zu durchbrechen. Die Anzahl der nö-
tigen Erfolge hängt von der Intensität und der Komplexi-
tät der Erinnerung ab, die Sie zu manipulieren versuchen.
Das Verändern oder Auslöschen der Erinnerung an eine
kurze Begegnung mit dem Opfer bedarf lediglich eines
Erfolges, während das Einpflanzen oder Verändern einer
Reihe von Erinnerungen, die einen Zeitraum von Tagen
oder Wochen abdecken, zwei oder mehr Erfolge erfordert.
Veränderte oder gänzlich neu erzeugte Erinnerungen blei-
ben dauerhaft im Gedächtnis des Opfers gespeichert.
Qual: Monströse Dämonen, die diese Beschwörung
durchführen, rufen in ihren Opfern Anfälle von Schlaflo-
sigkeit, Panikattacken oder Zustände tiefster Verzweiflung
hervor, die sich über Tage oder gar Wochen hinziehen
können. Der permanente Qualwert des Dämons zeigt
an, wie viele Nächte lang sein Opfer von Alpträumen
geplagt wird. Für das Opfer wird jede Nacht, in der es
unter den Auswirkungen der Beschwörung zu leiden hat,
ein Willenskraftwurf gemacht, dessen Schwierigkeit dem
permanenten Qualwert des Dämons entspricht. Scheitert
dieser Wurf, verliert das Opfer einen temporären Wil-
lenskraftpunkt. Wenn dem Opfer sämtliche Willenskraft-
punkte ausgegangen sind, erleidet es eine vorübergehende
Geistesstörung.
KAPITEL SIEBEN
(ASHARU)
Die Engel des Firmaments herrschten über die Win-
de, die durch das Sternenzelt wehten, und trugen den
Odem Gottes zu Mensch und Tier. Die Geheimnisse der
Erweckung waren für diese heilige Aufgabe von zentraler
Bedeutung, denn durch sie wurde den Neugeborenen der
Lebensfunke verliehen, und sie waren es auch, die die
Mündel der Engel des Firmaments vor Krankheiten und
Verletzungen bewahrten. Vor dem Fall war jede Kreatur
an den Engel gebunden, der ihr den Segen des Lebens
gebracht und sie damit erweckt hatte. Auf diese Weise
wußte ein Schutzengel stets, wenn seine Schützlinge lit-
ten oder in Gefahr schwebten, woraufhin er an ihre Seite
eilen konnte, um ihnen beizustehen. Dieses innige Band
ging den Asharu nach dem Fall verloren, doch mit der
Zeit sammelten die Geißeln eine Vielzahl neuer Geheim-
nisse, die sie zumindest einen Bruchteil ihrer früheren
vorausschauenden Wachsamkeit zurückerlangen ließen:
die Geheimnisse des Firmaments. Neben ihrer Aufgabe als
Erwecker des Lebens erfüllten die Asharu noch eine zwei-
te Pflicht. Mit Hilfe der Geheimnisse des Windes lenkten
sie den Fluß und den Kreislauf der kostbaren Atemluft,
die das Leben im Paradies erst möglich machte.
GEHEIMNISSE DER ERWECKUNG
• SUCHE NACH DEM GLAUBEN
Diese Beschwörung ermöglicht es einer Geißel, den Auf-
enthaltsort einer ganz bestimmten Person – ganz gleich,
ob Sterblicher oder Dämon – ausfindig zu machen, indem
sie nach der individuellen Ausprägung des Glaubens der
gesuchten Person Ausschau hält.
System: Würfeln Sie Wahrnehmung + Magiegespür. Die
Schwierigkeit dieses Wurfs hängt davon ab, wie viel Infor-
mationen Ihrem Charakter über die gesuchte Person zur
Verfügung stehen. Ist ihm lediglich der weltliche Name der
Zielperson bekannt, beträgt die Schwierigkeit 8. Handelt es
sich bei dem Gesuchten um einen Dämon, dessen Himm-
lischen Namen Ihr Charakter kennt, beträgt die Schwie-
rigkeit 7. Kennt Ihr Charakter gar den Wahren Namen
des gesuchten Gefallenen, liegt die Schwierigkeit bei 6.
Die Geißel kann eine Person anhand ihres Glaubens in-
nerhalb eines Radius suchen und finden, der dem Andert-
halbfachen ihres permanenten Glaubewerts in Kilometern
entspricht. Dämonen, nach denen auf diese Weise aktiv
gesucht wird, können ihre übernatürliche Wahrnehmung
als Reflex nutzen, um die Suche zu bemerken (nähere In-
formationen hierzu finden Sie im Abschnitt über arteigene
Kräfte). Bemerkt ein Dämon die Suche, kann er versuchen,
der drohenden Entdeckung mit einem Willenskraftwurf
(Schwierigkeit 8) zu entgehen. Erzielt er dabei mehr Erfolge
als die Geißel, bleibt er unentdeckt.
Qual: Monströse Dämonen können nur Quellen spiri-
tuellen Verfalls oder seelischer Verderbtheit entdecken.
Sie können diese Beschwörung nutzen, um Individuen
aufzuspüren, deren Glaube oder Willenskraft auf null ge-
sunken ist.
•• LÄUTERUNG
Geißeln nutzen diese Beschwörung, um lebende Wesen –
seien es Pflanzen, Tiere oder Menschen – von Krankheiten
und Vergiftungen zu reinigen. Indem sie ihren Glauben auf
ein Ziel ausrichten, können sie dessen Körper dazu anre-
gen, sämtliche Gifte und Krankheitserreger sowie erkrank-
tes Gewebe in Form einer schwarzen, klebrigen Flüssigkeit
abzusondern.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Medizin. Die
Schwierigkeit des Wurfs hängt von der Bösartigkeit und der
Ausbreitung der Krankheit oder des Giftes im Körper der
Zielperson ab. Um einen Körper von den Auswirkungen
einer Alkoholvergiftung zu läutern, ist ein Wurf gegen eine
Schwierigkeit von 6 erforderlich, während schwerwiegen-
dere Erkrankungen wie etwa Tuberkulose oder Krebs eine
Schwierigkeit von 8 oder höher vorgeben können. Bei die-
sem Prozeß gilt das Motto „Alles oder Nichts“ – entweder
bezwingt die Beschwörung die Krankheit oder sie schafft
es nicht, und ein Dämon kann diese Beschwörung nur ein
einziges Mal auf eine bestimmte Person mit einer bestimm-
ten Erkrankung oder Vergiftung anwenden. Ihr Charakter
muß die Zielperson berühren, um die Beschwörung durch-
führen zu können.
Qual: Monströse Geißeln wenden diese Beschwörung an,
um Krankheit und Fäulnis zu verbreiten. Jeder bei einem
Glaubenswurf erzielte Erfolg verursacht bei einem Lebe-
wesen eine Stufe Schlagschaden. Hinzu kommt, daß das
Opfer an jedem darauffolgenden Tag eine weitere Stufe
Schlagschaden erleidet und zusätzlich einen temporären
Willenskraftpunkt verliert, da die Fäulnis sich immer weiter
in seinem Organismus ausbreitet. Die Erkrankung kann
nicht durch medizinische Behandlung besiegt werden. Sie
quält das Opfer für eine Anzahl von Tagen, die dem perma-
nenten Glaubewert des Dämons entspricht.
••• HEILUNG
Diese Beschwörung befähigt eine Geißel dazu, selbst die
schlimmsten Wunden zu heilen. Sie läßt sich sowohl auf
Sterbliche als auch auf Dämonen anwenden.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Medizin.
Für jeden erzielten Erfolg kann Ihr Charakter sämtlichen
erlittenen Schlagschaden oder eine Stufe tödlichen oder
schwer heilbaren Schaden eines Verletzten heilen. Ihr Cha-
rakter muß den Nutznießer dieser Beschwörung berühren,
um sie durchführen zu können.
Qual: Monströse Geißeln setzen diese Beschwörung ein,
um ihre Opfer zu vergiften. Jeder erzielte Erfolg senkt die
Widerstandsfähigkeit des Opfers vorübergehend um einen
Punkt. Hat das Opfer all seine Punkte in Widerstands-
fähigkeit verloren, fällt es in ein Koma und erleidet eine
Stufe schwer heilbaren Schaden (oder tödlichen Schaden,
falls das Opfer keinen schwer heilbaren Schaden nehmen
kann) pro Stunde und verbleibendem Erfolg, es sei denn, es
211

wird umgehend medizinisch versorgt. Der Glaubewert des
Dämons gibt an, wie viele Tage die Widerstandsfähigkeit
des Opfers verloren bleibt.
•••• BELEBUNG
Diese Beschwörung ermöglicht es einer Geißel, einem
unbelebten Objekt den Odem Gottes einzuhauchen und
ihm so eine rudimentäre Form von Leben zu schenken.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Intelligenz + Handwerk. Die Gesamtzahl der erzielten
Erfolge bildet einen Würfelvorrat, den Sie für jede Hand-
lung einsetzen müssen, die das belebte Objekt in einer
Runde ausführt. Dabei ist das belebte Objekt weder intelli-
gent, noch besitzt es ein Bewußtsein. Es handelt sich dabei
lediglich um eine Erweiterung oder eine Art Auswuchs
des Willens des Dämons. Der Dämon kann mit dieser Be-
schwörung gleichzeitig eine Anzahl von Objekten beleben,
die seinem permanenten Glaubewert entspricht. Die Ef-
fekte dieser Beschwörung halten eine Szene lang an. Ihr
Charakter muß jedes Objekt berühren, das er beleben will,
kann es allerdings aus der Ferne kontrollieren, solange er
es im Blickfeld hat.
Qual: Eine monströse Geißel ist in der Lage, ein Objekt
ebenso leicht zu beleben wie eine Geißel mit niedrigem Qu-
alwert, aber die Objekte, die sie berührt, werden mit dem
Makel ihres Zorns und ihres Schmerzes behaftet. Solange
der Dämon die beeinflußten Objekte nicht mit eisernem
Willen unter Kontrolle hält, werden sie die nächsten le-
benden Geschöpfe in ihrer Umgebung attackieren – ganz
gleich, ob Freund oder Feind.
Machen Sie für jedes Objekt jede Runde einen Willens-
kraftwurf. Die Schwierigkeit des Wurfs entspricht hierbei
dem Qualwert des Dämons. Scheitert einer dieser Würfe,
verliert der Dämon für den Rest der Runde die Kontrolle
über das Objekt, das in eine Raserei verfällt und das näch-
ste lebende Ziel angreift, das es erreichen kann. Hat der
Dämon ohnehin darauf abgezielt, das belebte Objekt Amok
laufen zu lassen, ist kein Würfelwurf erforderlich.
••••• WIEDERBELEBUNG
Diese mächtige Beschwörung verleiht einer Geißel die
Fähigkeit, den Toten Leben einzuhauchen und ihnen so-
mit ein neues Dasein zu schenken, wenn nicht sogar ihre
Seelen wiederherzustellen. Solange es keine Seele gibt, die
an den toten Körper gebunden werden kann, bleibt dieser
ein geistloser Zombie, der vollkommen unter der Kontrolle
des Dämons steht.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Medizin. Die Schwierigkeit
dieses Wurfs hängt davon ab, wie lange der Körper bereits
tot ist. Bei einem Frischverstorbenen beträgt die Schwie-
rigkeit 6, während die Schwierigkeit bei einem Körper, der
schon mehrere Tage oder bis zu einer Woche lang tot ist,
7 oder mehr beträgt. Körper, die länger als eine Woche tot
sind, können nicht wiederbelebt werden. Ist der Wurf er-
folgreich, wird der Körper wieder zurück ins Leben gerufen,
doch solange die Geißel nicht in der Lage ist, eine Seele
für ihn zu stellen, bleibt er ein geistloser Zombie, der vom
Dämon kontrolliert werden kann. Entkörperte Gefallene
212
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
können einen solchen Körper übernehmen, sofern es die
Geißel zuläßt, oder sie können versuchen, die Kontrolle
an sich zu reißen, indem sie in einer Handlung gegen Wi-
derstand ihre Willenskraft gegen den Beschwörungswurf
der Geißel würfeln. Die Effekte dieser Beschwörung halten
lediglich eine Szene lang an, es sei denn, Sie möchten einen
temporären Willenskraftpunkt aufwenden, um die Wieder-
belebung permanent zu machen. Ihr Dämon kann gleich-
zeitig eine Anzahl toter Körper wiederbeleben, die seinem
Glaubewert entspricht. Es können nur Leichen beeinflußt
werden, die sich in einem Umkreis von so vielen Metern
befinden, wie es der Glaubewert Ihres Charakters angibt.
Qual: Einer monströsen Geißel fällt es ebenso leicht, einem
toten Körper neues Leben zu schenken, wie einer Geißel
mit niedrigem Qualwert, aber die Körper, die sie wiederbe-
lebt, sind mit dem Makel ihres Zorns und ihres Schmerzes
behaftet. Solange der Dämon die wiederbelebten Körper
nicht mit eisernem Willen unter Kontrolle hält, werden
sie die nächsten lebenden Geschöpfe in ihrer Umgebung
attackieren – ganz gleich, ob Freund oder Feind.
Machen Sie für jeden wiederbelebten Körper jede Runde
einen Willenskraftwurf. Die Schwierigkeit des Wurfs ent-
spricht hierbei dem Qualwert des Dämons. Scheitert einer
dieser Würfe, verliert der Dämon für den Rest der Runde
die Kontrolle über den Körper, der zum Berserker wird und
das nächste lebende Ziel angreift, das er erreichen kann.
Hat der Dämon ohnehin darauf abgezielt, den Körper
Amok laufen zu lassen, ist kein Würfelwurf erforderlich.
DAGAN, DAS ANTLITZ DER ERWECKUNG
Die apokalyptische Gestalt der Meister der Belebung
verleiht dem sterblichen Körper des Gefallenen ein jugend-
liches und gesundes Aussehen – selbst das älteste sterbliche
Gefäß wirkt, als stünde es in der Blüte seiner Jugend, und
bewegt sich mit übermenschlicher Erhabenheit, Geschwin-
digkeit und Stärke. Diese Aura der Lebenskraft strahlt eine
spürbare Wärme aus, und jedes lebende Wesen, das von ihr
berührt wird, wird kurzzeitig von ihrer Macht durchdrun-
gen und gestärkt. Verwelkte Blumen stehen wieder in voller
Blüte, Verwundete gewinnen vorübergehend ihre Kraft
zurück und Alte vergessen für kurze Zeit ihre Gebrechen.
Das Antlitz der Erweckung verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Aura der Lebenskraft: Alle Lebewesen (Pflanzen oder
Tiere) in einem Umkreis von so vielen Metern, wie es der
Glaubewert des Dämons angibt, werden von heilenden
Energien durchflutet. Charaktere innerhalb dieses Wir-
kungskreises können pro Runde eine Stufe Schlagschaden
regenerieren.
Spurloses Wandeln: Die Schwierigkeit aller Heimlich-
keitswürfe des Charakters wird um zwei gesenkt, und zu-
dem hinterläßt er keinerlei Spuren in seiner Umgebung.
Weder bleiben Fußabdrücke zurück, noch werden Blätter
oder Zweige niedergedrückt oder abgeknickt.
Verbesserte körperliche Attribute: Der Gefallene erhält
die folgenden Bonuseigenschaften: +1 Körperkraft, +1
Geschick, +1 Widerstandsfähigkeit.
Schwingen: Ein Paar Eulenschwingen wächst dem Charak-
ter aus Schultern und Rücken. Die volle Spannweite einer
KAPITEL SIEBEN
Schwinge ist um ein Drittel länger als der Charakter groß
ist. Der Charakter kann pro Runde dreimal so weit gleiten,
wie er sprinten könnte.
Qual: Wenn der Dagan von seiner dämonischen Natur
verzehrt wird, richten sich seine Kräfte über das Leben
gegen ihn selbst und verwandeln seinen sterblichen Körper
in einen regelrechten Brutplatz für Krankheiten und Krebs-
geschwüre. Er ist mit entstellenden Auswüchsen und näs-
senden Pusteln übersät, und sein Fleisch fühlt sich feucht
und schwammig an.
Das Antlitz der Erweckung verleiht bei hohen Qualwer-
ten die folgenden Eigenschaften:
Miasma: Der Atem des Dämons stinkt nach Verwesung,
was seine Gegner im Nahkampf erheblich schwächen kann.
Die Reichweite des Atems beträgt für jeden Glaubenspunkt
des Dämons dreißig Zentimeter. Sterbliche und Dämonen,
die diesen Pesthauch einatmen, müssen alle ihre Hand-
lungen, die ihnen für den Rest der Runde zur Verfügung
stehen, ungenutzt lassen, es sei denn, ihnen gelingt ein er-
folgreicher Würfelwurf auf Widerstandsfähigkeit (Schwie-
rigkeit 7). Bei einem Patzer wird das Opfer mit einem Virus
oder einem anderen Krankheitserreger infiziert. Welcher
Art dieser Erreger ist, entscheidet der Erzähler.
Zusätzliche Gesundheitsstufen: Der Dämon erhält drei
zusätzliche Gesundheitsstufen der Kategorie „Blaue Flek-
ken“ hinzu, mit denen er Schlagschaden, tödlichen Scha-
den und schwer heilbaren Schaden absorbieren kann.
Leichenfäule: Das verfaulte Fleisch des Dagan löst sich
von seinem Körper, wenn er umklammert oder auf an-
dere Art festgehalten wird, wodurch der Angreifer mit
verrottendem Fleisch besudelt wird. Die Schwierigkeit, den
Dämon zu packen, wird um zwei erhöht, und zudem kann
sich der Charakter mit einem erfolgreichen Würfelwurf auf
Geschick aus Fesseln wie etwa Seilen oder Handschellen
befreien.
Zusätzliche Gliedmaßen: Je nachdem, wie sich der Spieler
entscheidet, wächst dem Dämon ein zusätzliches Armpaar
oder ein Greifschwanz. Ein zusätzliches Armpaar erlaubt es
dem Charakter, unbewaffnete oder mit Nahkampfwaffen
ausgeführte Angriffe auf ihn zu parieren oder abzublocken,
ohne dabei seine eigene Angriffs- oder Handlungsmög-
lichkeit zu verlieren. Er kann aber statt dessen auch zwei
zusätzliche Angriffe pro Runde mit seinem vollen Würfel-
vorrat durchführen. Der Greifschwanz ist halb so lang wie
der Charakter groß ist, besitzt dessen halbe Körperkraft
(abgerundet) und kann vom Charakter dazu eingesetzt
werden, um Objekte anzuheben oder sich kopfüber an ei-
nen Vorsprung wie beispielsweise eine Straßenlampe oder
einen Dachsims zu hängen.
GEHEIMNISSE DES FIRMAMENTS
• WEITSICHT
Diese Beschwörung ermöglicht es einer Geißel, durch die
Augen eines ihrer Sklaven zu sehen. Diese Art des Sehens
ist rein passiver Natur und macht den Dämon lediglich zu
einem stillen Beobachter.
System: Würfeln Sie Wahrnehmung + Empathie. Die An-
zahl der erzielten Erfolge gibt an, wie viele Runden lang die
Geißel durch die Augen eines ihrer Sklaven sehen kann.
Für diese Beschwörung gibt es keine Reichweitenbegren-
zung.
Qual: Wendet ein monströser Dämon diese Beschwö-
rung an, bewirkt dies, daß die Blutgefäße in den Augen
des Sterblichen platzen. Sobald der Dämon den Kon-
takt abbricht, muß der Sterbliche einen Wurf auf Wider-
standsfähigkeit ablegen, bei dem die Schwierigkeit dem
Qualwert des Dämons entspricht. Scheitert dieser Wurf,
erblindet der Sklave für eine Anzahl an Tagen, die der
Anzahl der Runden entspricht, die er unter dem Einfluß
der Beschwörung stand. Bei einem Patzer erblindet der
Sterbliche dauerhaft.
•• AUSSPÄHUNG
Die Geißel muß einen der Namen ihres beabsichtigten
Opfers kennen oder einen Gegenstand besitzen, der ihm
gehört – beispielsweise Autoschlüssel, ein Kleidungsstück
oder ähnliches. Der Dämon kann dann mit Hilfe dieser
Beschwörung unabhängig von seiner tatsächlichen Entfer-
nung zum Ziel die entsprechende Person und ihre direkte
Umgebung überwachen.
System: Würfeln Sie Wahrnehmung + Empathie. Die
Schwierigkeit des Wurfs hängt davon ab, auf welche Wei-
se die Verbindung zur Zielperson aufgebaut wird: Bei der
Verwendung des weltlichen Namen eines Sterblichen oder
eines Gegenstand aus seinem Besitz als Verbindungsme-
dium beträgt die Schwierigkeit des Wurfs 8. Die Verwen-
dung des Himmlischen Namens eines Dämons entspricht
einer Schwierigkeit von 7. Für einen Wahren Namen liegt
die Schwierigkeit bei 6. Die Genauigkeit der gewonnenen
Informationen hängt von den erzielten Erfolgen ab. Ein
Erfolg liefert lediglich ein Bild von der unmittelbaren Um-
gebung der Zielperson. Zwei Erfolge erweitern dieses Bild
von der Umgebung der Zielperson bis zu einem Umkreis,
der dem Glaubewert der Geißel in Metern entspricht.
Drei Erfolge liefern Ton; allerdings kann der Dämon nur
die Stimme der Zielperson und keine anderen Geräusche
hören. Vier oder mehr Erfolge erlauben es der Geißel,
alles zu hören, was in der unmittelbaren Umgebung der
Zielperson vor sich geht. Der permanente Glaubewert
Ihres Charakters gibt die Anzahl der Runden an, die diese
Beschwörung anhält. Die Verbindung kann aber zu jedem
beliebigen Zeitpunkt von Ihrer Seite aus unterbrochen
werden.
Qual: Die psychische Bürde, die Aufmerksamkeit eines
monströsen Dämons auf sich gezogen zu haben, löst bei der
Zielperson starke Kopfschmerzen aus und erzeugt zusätzlich
wachsende Gefühle der Paranoia und der Aggression in
ihr. Der Erzähler führt für das Opfer dieser Beschwörung
jede Runde, in der es unter dem Einfluß dieser Beschwö-
rung steht, einen Willenskraftwurf (Schwierigkeit 6) aus.
Scheitert einer dieser Würfe, erleidet die Person eine Stufe
Schlagschaden und reagiert mit wachsendem Zorn und
zunehmender Aggressivität auf alle Umstehenden. Infol-
gedessen wird die Schwierigkeit aller gesellschaftlichen
Würfe der Zielperson in dieser Szene um zwei erhöht. Bei
einem Patzer erleidet die Zielperson eine vorübergehende
Geistesstörung.
213

••• SPRACHROHR DER VERDAMMTEN
Diese Beschwörung verleiht einer Geißel die Fähigkeit,
durch den Körper eines ihrer Sklaven zu sprechen und zu
handeln. Hierbei handelt es sich aber eher um eine Art
Fernsteuerung als um echte Besessenheit. Der Dämon
bleibt fest in seinem Wirtskörper verankert und wirkt le-
diglich seinen Willen durch das übernatürliche Band zu
seinem Sklaven. Diese Beschwörung besitzt keine Reich-
weitenbegrenzung.
System: Würfeln Sie Manipulation + Führungsqualitä-
ten. Die Anzahl der erzielten Erfolge gibt an, wie viele
Würfel Ihres Sklaven Sie während einer Runde für jede
Art Handlung nutzen können. Dieser Würfelvorrat kann
das Maximum an Würfeln nicht überschreiten, das dem
Sklaven normalerweise zur Verfügung stünde. Wenn Ihr
Dämon durch den Sklaven spricht, nimmt dieser die Aus-
sprache, die Gebärden und die Umgangsformen der Geißel
an. Der Wert des permanenten Glaubens Ihres Charakters
gibt die Anzahl der Runden an, die dieser Beschwörungs-
effekt anhält.
Qual: Monströse Dämonen nehmen nur wenig Rücksicht
auf die körperliche Verfassung ihrer Sklaven; für Sterbli-
che, die das zweifelhafte Vergnügen haben, einem solchen
Meister zu dienen, besteht ein hohes Risiko, daß sie einen
bleibenden Hirnschaden davontragen, wenn sie dauerhaft
kontrolliert werden. In jeder Runde, in der der Dämon eine
Handlung mit dem Körper eines seiner Sklaven ausführt,
muß der Erzähler einen Wurf auf Widerstandsfähigkeit für
den Sterblichen durchführen, wobei die Schwierigkeit dem
Qualwert des Dämons entspricht. Scheitert einer dieser
Würfe, verliert der Sklave einen Punkt in dem Attribut,
das von seinem Meister verwendet wurde. Dieser Verlust
ist permanent. Nutzt der Dämon den Sklaven ausschließlich
als Sprachrohr, muß der Erzähler statt dem Wurf auf Wider-
standsfähigkeit einen Willenskraftwurf für den Sterblichen
durchführen. Wenn einer dieser Würfe scheitern sollte,
verliert der Sklave einen Punkt seiner Intelligenz. Auch
dieser Verlust ist permanent.
•••• FERNE BERÜHRUNG
Geißeln können diese Beschwörung dazu nutzen, um
ihre Kräfte auf ein Ziel zu lenken, das sich außerhalb ihres
Blickfeldes befindet. Hierzu müssen sie allerdings einen der
Namen des Opfers kennen oder einen Gegenstand dieser
Person besitzen, der einen hohen Wert für sie besitzt oder
auf andere Weise eng mit ihr verbunden ist. Gute Beispiele
wären ein geliebtes Kleinod oder eine Haarlocke.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Manipulation + Magiegespür. Ihr Dämon ist daraufhin in
der Lage, die gewünschte Zielperson zu beeinflussen, solange
diese sich innerhalb eines Umkreises von 15 Kilometern pro
temporärem Glaubenspunkt befindet. Führen Sie anschlie-
ßend die eigentliche Beschwörung aus, die Ihr Charakter auf
die Zielperson anwenden will, wobei die Schwierigkeit des
dazu erforderlichen Würfelwurfs von der Genauigkeit der In-
formationen abhängt, die Ihr Charakter über die betreffende
Person besitzt. Ist ihm lediglich der weltliche Name bekannt
oder besitzt er einen Gegenstand aus dem persönlichen Be-
214
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
sitz der Zielperson, beträgt die Schwierigkeit 9. Ist das Opfer
ein Dämon und kennt Ihr Charakter dessen Himmlischen
Namen, liegt die Schwierigkeit bei 8. Ist ihm der Wahre
Name der Zielperson bekannt, beträgt die Schwierigkeit 7.
Ist die Beschwörung Ihres Charakters auf einen seiner eige-
nen Sklaven gerichtet, sinkt die Schwierigkeit auf 6. Falls die
Beschwörung einen bestimmten Wirkungsbereich aufweist,
betrachten Sie die Zielperson der Fernen Berührung als Aus-
gangspunkt aller Effekte.
Qual: Die Aufmerksamkeit eines monströsen Dämons
wirkt sich so heftig auf die Zielperson aus, daß sie ihren
Geist mit Visionen des Grauens und des Wahnsinns über-
flutet. Wendet ein Dämon mit hohem Qualwert diese Be-
schwörung an, wird für die Zielperson ein Willenskraftwurf
durchgeführt, dessen Schwierigkeit dem Qualwert des Dä-
mons entspricht. Scheitert der Wurf, erleidet das Opfer eine
vorübergehende Geistesstörung. Bei einem Patzer bleibt die
Geisteserkrankung dauerhaft. Diese Auswirkungen mani-
festieren sich zusätzlich zu den Effekten der übermittelten
Beschwörung.
••••• MULTIPRÄSENZ
Diese Beschwörung ähnelt in ihren Grundzügen dem
Sprachrohr der Verdammten, aber mit Hilfe dieses Geheim-
nisses ist die Geißel in der Lage, durch mehrere Sklaven
gleichzeitig zu sprechen und zu handeln.
System: Der Dämon kann mit dieser Beschwörung so vie-
le Sklaven beeinflussen, wie er Punkte in Geistesschärfe
besitzt, aber wenn er weniger Zielpersonen beeinflußt, als
sein Wert in Geistesschärfe beträgt, kann er gleichzeitig
noch Handlungen mit seinem Wirtskörper ausführen. Wird
jedoch das gesamte Potential Ihres Charakters für die Kon-
trolle anderer Personen genutzt, fällt sein sterblicher Körper
für die Dauer der Beschwörung in ein tiefes Koma. Setzen
sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln Sie Manipula-
tion + Führungsqualitäten. Die erzielten Erfolge bilden
den Würfelvorrat für die Handlungen eines jeden Sklaven,
der unter der Kontrolle Ihres Charakters steht. Zusätzlich
kann Ihr Charakter jede Runde eine Beschwörung durch
einen seiner Sklaven ausführen und hierfür seinen eigenen
Würfelvorrat einsetzen. Der permanente Glaubewert Ihres
Charakters gibt an, wie viele Runden lang er mehrere Skla-
ven kontrollieren kann.
Qual: In jeder Runde, in der der Dämon eine Handlung
durch den Körper eines Sklaven ausführt, muß der Erzähler
für den Sterblichen einen Wurf auf Widerstandsfähigkeit
durchführen. Scheitert der Wurf, verliert der Sterbliche
einen Punkt in dem Attribut, das sein Meister genutzt
hat. Dieser Verlust ist permanent. Benutzt der Dämon den
Sklaven nur als Sprachrohr, muß der Erzähler statt Wi-
derstandsfähigkeit Willenskraft würfeln (die Schwierigkeit
entspricht dem Qualwert des Dämons). Scheitert dieser
Wurf, verliert der Sklaven einen Punkt Intelligenz. Auch
dieser Verlust ist permanent. Führt ein monströser Dämon
eine zusätzliche Beschwörung durch den Körper eines sei-
ner Sklaven durch, muß der Sklave einen weiteren Wurf
auf Widerstandsfähigkeit machen, bei dem der Qualwert
des Dämons als Schwierigkeit gilt. Scheitert dieser Wurf,
erleidet der Sklave eine Stufe tödlichen Schaden.
KAPITEL SIEBEN
ANSHAR, DAS ANTLITZ DES FIRMAMENTS
Die Engel des Firmaments offenbaren sich als anmuts-
volle, geisterhafte Wesenheiten mit blasser Haut und gro-
ßen, grauen Augen. Wann immer sie ihre Stimme erheben,
klingt ein schwaches Echo nach, als würden sie aus großer
Entfernung sprechen. Sie schwanken zwischen Momenten
stiller Zerstreutheit und Phasen großer Wachsamkeit, die
fast schon beunruhigend wirken.
Das Antlitz des Firmaments verleiht die folgenden Ei-
genschaften:
Geschärfte Sinne: Die Schärfe aller fünf Sinne des Cha-
rakters ist auf ein übermenschliches Maß gesteigert, was die
Schwierigkeit sämtlicher Wahrnehmungswürfe des Charak-
ters um zwei senkt.
Schwingen: Ein Paar Eulenschwingen wächst dem Charak-
ter aus Schultern und Rücken. Die volle Spannweite einer
Schwinge ist um ein Drittel länger als der Charakter groß
ist. Der Charakter kann pro Runde dreimal so weit gleiten,
wie er sprinten könnte.
Verbesserte Intuition: Die untrüglichen Einsichten des
Charakters senken die Schwierigkeit aller Intuitionswürfe
um zwei.
Verbessertes Ausweichen: Die Schwierigkeit aller Würfe
auf Ausweichen wird um zwei gesenkt.
Qual: Von ihrer Qual pervertierte Anshar scheinen sich
noch weiter von der stofflichen Welt entfernt zu haben,
denn sie sind in einen verstörend anmutenden Mantel aus
Schatten und Nebel gehüllt. Ihre Haut nimmt einen fast
schon durchscheinenden Grauton an und ihre Körper wir-
ken knochig und ausgezehrt. Die Haut spannt sich so straff
über ihre Gesichter, daß sie fast wie höhnisch grinsende
Totenschädel wirken.
Das Antlitz des Firmaments verleiht bei hohen Qualwer-
ten die folgenden Eigenschaften:
Schattenmantel: Dunkelheit umgibt den Dämon wie ein
Mantel, was es schon bei besten Lichtverhältnissen schwie-
rig macht, seine Umrisse zu erkennen, und ihn bei Nacht
so gut wie unsichtbar werden läßt. Die Schwierigkeit aller
Heimlichkeitswürfe wird um zwei verringert, wann immer
der Dämon im Schatten steht oder sich durch die Dunkel-
heit bewegt. Wird der Charakter angegriffen, gelten für den
Angreifer die Regeln für blindes Kämpfen. Nähere Infor-
mationen hierzu finden Sie auf Seite 288 in Kapitel Neun.
Zusätzliche Augen: Dem Dämon wachsen vier bis sechs
weitere Augen aus dem Kopf und/oder Nacken. Diese zu-
sätzlichen Sehorgane schenken dem Dämon eine Rundum-
sicht und senken die Schwierigkeit aller Wahrnehmungs-
würfe um zwei.
Verbesserte Initiative: Die Initiative des Charakters ver-
bessert sich um zwei.
Klauen: Dem Charakter wachsen Klauen, die Körperkraft
+2 schwer heilbaren Schaden verursachen.
GEHEIMNISSE DES WINDES
• WINDRUF
Mit dieser Beschwörung kann der Dämon Wind schein-
bar aus dem Nichts herbeirufen. Die Geißel kann die un-
gefähre Richtung des Windes kontrollieren und ihn dazu
einsetzen, um weiter springen zu können oder Geschosse
abzulenken.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben.
Die Gesamtanzahl der erzielten Erfolge gibt die Stärke
des heraufbeschworenen Windes an. Je nachdem, wo-
für der Wind eingesetzt werden soll, kann diese Stär-
ke in Form automatischer Erfolge zu dem Ergebnis eines
Sportlichkeitswurfs hinzugezählt werden (zum Beispiel um
eine größere Strecke mit einem Sprung zu überbrücken).
Sie kann aber auch ebenso dazu genutzt werden, um die
Schwierigkeit von Fernkampfangriffen gegen Ihren Cha-
rakter zu erhöhen. Zu guter Letzt kann diese Stärke auch
als Würfelvorrat dienen, um die geballte Kraft des Windes
gegen ein Objekt oder eine Person zu richten (beispiels-
weise zum Aufstoßen einer Tür oder um eine Person von
den Beinen zu reißen). Der Wind hält nur eine Runde
lang an. Ihr Charakter kann die Effekte dieser Beschwö-
rung in seinem gesamten Blickfeld – im besten Falle also
bis zum Horizont – einsetzen.
Qual: Wenn ein monströser Dämon Winde heraufbe-
schwört, sind diese vom Gestank nach Verwesung und
Tod geschwängert. Jeder, der diesem Pesthauch ausge-
setzt ist, muß einen erfolgreichen Wurf auf Widerstands-
fähigkeit ablegen (Schwierigkeit 7), um nicht eine Stufe
Schlagschaden zu erleiden, die nicht absorbiert werden
kann. Wird bei einem solchen Wurf ein Patzer gewürfelt,
ist der betroffene Charakter aufgrund extremer Übel-
keit zu keiner Handlung fähig und muß die ihm für diese
Runde zur Verfügung stehenden Handlungen ungenutzt
verstreichen lassen.
•• WINDSTOSS
Mit dieser Beschwörung kann der Dämon den Luftdruck
manipulieren, was es ihm erlaubt, Gegenstände zu zer-
schmettern und Lebewesen zu betäuben oder gar von innen
heraus zu zerreißen.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben.
Jeder erzielte Erfolg verursacht bei Lebewesen eine Stufe
Schlagschaden. Wird diese Beschwörung gegen leblose
Objekte eingesetzt, werden die erwürfelten Erfolge als
Körperkraftpunkte betrachtet, deren Auswirkungen auf
das betroffene Objekt anhand der in Kapitel Neun ab-
gebildeten Kraftakttabelle ermittelt werden (siehe Seite
278). Ihr Charakter muß auf jeden Fall in der Lage sein,
das Ziel dieser Beschwörung zu sehen, um den Windstoß
einsetzen zu können. Die Effekte manifestieren sich im
Verlauf einer Runde.
Qual: Monströse Dämonen können ihren ganzen aufge-
stauten Haß dazu aufwenden, die Kraft dieser Beschwörung
so weit zu verstärken, daß sie bei Lebewesen tödlichen
Schaden verursacht.
••• HERRSCHAFT ÜBER DEN WIND
Wendet eine Geißel diese Beschwörung an, wird sie von
wirbelnden Winden umringt, die sie mit ihrem Willen kon-
trollieren kann. Mittels dieser Luftturbulenzen ist der Dä-
mon in der Lage, Gegenstände mit erstaunlichem Geschick
zu manipulieren.
215

System: Würfeln Sie Geschick + Überleben. Die Anzahl
der erzielten Erfolge bildet einen Würfelvorrat, den Ihr
Charakter dazu einsetzen kann, Gegenstände oder andere
Ziele kontrolliert zu bewegen und zu lenken. Ist ein Op-
fer in diesen Turbulenzen eingeschlossen, erhöht sich die
Schwierigkeit all seiner Handlungen, die feinmotorische
Fähigkeiten erfordern (wie beispielsweise Maschinenschrei-
ben oder einen Schlüssel in ein Schloß stecken), auf 9. Ihr
Charakter kann jeden Gegenstand bis zu einer Entfernung
manipulieren, die seinem Glaubewert in Metern entspricht.
Der Effekt dieser Beschwörung hält für die Dauer einer
Szene an.
Qual: Die Winde, die von einem monströsen Dämon he-
raufbeschworen werden, sind von einem nach Fäulnis stin-
kenden Miasma geschwängert, das jedem den Atem raubt,
der es einatmet. Jedes lebende Wesen, das sich innerhalb
des Wirkungsbereichs der Beschwörung des Dämons auf-
hält, erleidet jede Runde eine Stufe Schlagschaden, die
von keiner Rüstung absorbiert werden kann. Filter oder
Atemmasken bilden den einzigen Schutz vor dieser verpe-
steten Luft.
•••• LUFTWALL
Wo Geißeln mit Hilfe der anderen Geheimnisse dieses
Pfads ruhige Luft mit nicht mehr als einem Wort zu einen
wütenden Sturm aufpeitschen können, sind sie durch diese
Beschwörung in der Lage, Luft zu einer undurchdringlichen
Barriere zu verdichten, durch die feste Gegenstände so auf-
gehalten werden, als wären sie gegen eine Mauer geprallt.
Wenn diese Beschwörung durchgeführt wird, verfestigt sich
die Luft sichtbar und sieht aus wie altes, welliges Glas. Je
fester die Barriere ist, desto undurchsichtiger ist sie.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und wür-
feln Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben. Die Anzahl
der erzielten Erfolge bildet einen Würfelvorrat, der dazu
genutzt werden kann, den Schaden jeglicher Art von
Fernkampfangriff zu absorbieren (so als handle es sich bei
der Barriere aus Luft um eine Rüstung). Der Würfelvorrat
kann auch verwendet werden, um ihn in einer Handlung
gegen Widerstand gegen Nahkampfangriffe einzusetzen.
Der Luftwall deckt eine Fläche von 0,6 m² multipliziert
mit dem Glaubewert Ihres Charakters ab. Innerhalb der
Grenzen dieser Vorgabe kann Ihre Geißel der Barriere jede
gewünschte Form und Größe verleihen. Um den Luftwall
durchdringen zu können, muß Körperkraft + Sportlichkeit
(Schwierigkeit 7) gewürfelt werden, wobei der Luftwall wie
in einer Handlung gegen Widerstand mit seinem Würfel-
vorrat dagegenhält. Die Barriere kann theoretisch überall
im Blickfeld der Geißel aufgebaut werden, darf aber nicht
weiter von ihr entfernt sein, als es ihr Glaubewert in Me-
tern angibt. Der Luftwall bleibt für die Dauer einer Szene
an dem Platz bestehen, an dem er erzeugt wurde, es sei
denn, Ihr Charakter entschließt sich, die Barriere früher
aufzulösen. Der Luftwall löst sich allerdings sofort auf, soll-
te Ihr Charakter durch Schaden außer Gefecht gesetzt
werden.
Qual: Monströse Dämonen können Luftwälle erschaffen,
die wie Spinnweben aus verwirbeltem, grauem Nebel ausse-
hen und bei Hautkontakt das Fleisch jedes Sterblichen wie
216
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Säure verätzen. Individuen, die trotzdem versuchen, diese
Barriere zu durchbrechen, erleiden tödlichen Schaden,
wobei die Anzahl der Schadenswürfel dem Qualwert des
Dämons entspricht.
••••• ZYKLON
Diese mächtige Beschwörung erlaubt es einer Geißel,
die Luft mit der Kraft ihres Glaubens zu durchdringen und
binnen eines Wimpernschlags einen tosenden Wirbelwind
herbeizurufen. Dieser heftige Sturm trifft zunächst wahllos
alles und jeden in seinem Ausdehnungsbereich, aber der
Dämon kann ihn auch auf ein ganz bestimmtes Ziel lenken,
wenn er dies wünscht.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben (Schwierigkeit 7).
Die Anzahl der erzielten Erfolge entspricht der Stärke
des Sturms, den Ihr Charakter in dieser Runde heraufbe-
schwört. Der Wind zeigt bei alles und jedem Wirkung, was
sich in einer Entfernung befindet, die Ihrem temporären
Glaubewert in Metern entspricht: Leichte Gegenstände
werden fortgeweht, Türen aufgestoßen und Fensterschei-
ben eingedrückt. Vergleichen Sie die Stärke des Sturms
mit den für Körperkraft auf der Kraftakttabelle angegebe-
nen Werten (siehe Seite 278 in Kapitel Neun), um festzu-
stellen, wie viel Kraft in ihm steckt. Wenn Ihr Charakter
den Zyklon auf ein bestimmtes Ziel lenken möchte, so
kann er dies mit einem erfolgreichen Willenskraftwurf tun
(die Schwierigkeit dieses Wurfs entspricht der Stärke des
Zyklons). Ein solcher Sturm kann von Ihrem Charakter
auf jedes beliebige Ziel gerichtet werden, auf das er freie
Sicht hat.
Würfeln Sie einmal pro Runde eine Anzahl von Wür-
feln, die der Stärke des Sturms entspricht. Jeder erzielte
Erfolg verursacht bei jedem Lebewesen, das vom Sturm
erfaßt wird, eine Stufe Schlagschaden. Ihr Charakter
kann im Auge des Sturms stehen und diesen um sich
herum wüten lassen oder ihn an einer beliebigen anderen
Stelle manifestieren, wenn er ihn gegen ein bestimmtes
Ziel richten will – in jedem Fall nimmt die Geißel selbst
keinen Schaden durch den von ihr heraufbeschworenen
Sturm.
In jeder Runde nach Ablauf der Runde, in der er herauf-
beschworen wurde, verliert der Sturm an Kraft und somit
einen Punkt seiner Stärke. Zeitgleich verringert sich sein
Radius um einen Meter. Sie können diesem Abschwächen
jederzeit entgegenwirken, indem Sie einen erneuten Wurf
auf Widerstandsfähigkeit + Überleben ausführen und ei-
nen weiteren Glaubenspunkt einsetzen.
Qual: Ein monströser Dämon erweckt einen weitaus töd-
licheren Sturm. Der unstillbare Hunger des Zyklons raubt
jedem Lebewesen den Atem, das sich in ihm aufhält. Jedes
Lebewesen (mit Ausnahme Ihres Charakters), das sich
innerhalb des Wirkungskreises des Zyklons befindet, er-
leidet pro Runde eine Stufe tödlichen Schaden, während
es um Atem ringt. Sollte die Stärke des Sturms den Wil-
lenskraftwert des Dämons übersteigen, gerät der Zyklon
außer Kontrolle und richtet sich gegen alles und jeden
innerhalb seines Wirkungsbereichs – auch einschließlich
des Dämons selbst.
KAPITEL SIEBEN
ELLIL, DAS ANTLITZ DES WINDES
Die Monarchen der Luft offenbaren sich als hochaufra-
gende und erhabene Wesen mit großen Augen und schnel-
len, anmutigen Bewegungen. Nehmen sie ihre offenbarte
Gestalt an, herrscht um die Ellil herum beständig Wind, der
auffrischt und abflaut, wie es die Gemütslage des jeweiligen
Gefallenen vorgibt. Jeglicher Rauch oder Dampf in ihrer
Nähe wird von diesem Wind aufgesaugt und bildet einen
wirbelnden Strudel um ihren Kopf und ihre Schultern, der
an einen düsteren Heiligenschein gemahnt.
Das Antlitz des Windes verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Übermenschliche Sicht: Der Ellil kann fünfmal so weit
sehen wie ein normaler Mensch – er kann Dinge, die sich 50
Meter weit von ihm entfernt befinden, so klar und deutlich
ausmachen, als wären sie nur 10 Meter weit von ihm ent-
fernt. Es muß allerdings zumindest eine schwache Lichtquelle
geben (wie etwa Mondlicht), damit der Charakter von dieser
Eigenschaft profitieren kann. Dieser Effekt senkt zusätzlich
die Schwierigkeit aller Wahrnehmungswürfe des Charakters,
die auf seinem Sehvermögen basieren, um zwei.
Schwingen: Ein Paar Eulenschwingen wächst dem Charak-
ter aus Schultern und Rücken. Die volle Spannweite einer
Schwinge ist um ein Drittel länger als der Charakter groß
ist. Der Charakter kann pro Runde dreimal so weit gleiten,
wie er sprinten könnte.
Perfektes Gleichgewicht: Die Schwierigkeit aller Sport-
lichkeitswürfe, die Sprünge und andere akrobatische Ein-
lagen betreffen, werden um zwei verringert.
Immun gegen Sturzschaden: Der Charakter erleidet un-
geachtet der Fallhöhe keinerlei Schaden aufgrund von
Stürzen.
Qual: Ein Ellil, der seiner dämonischen Natur nachgibt,
verwandelt sich in eine hagere Kreatur, deren scharfge-
schnittene Gesichtszüge von ihren großen, starren Augen
beherrscht werden. Die vormals prachtvollen Schwingen
wirken zerzaust und schäbig. Der hochgewachsene Körper
bekommt einen Rundrücken, und fortan nimmt der Gefal-
lene lieber eine geduckte Haltung an, anstatt sich zu voller
Größe aufzurichten. Er findet keine Ruhe mehr und kann
sich nicht länger als ein paar Minuten an einem Ort aufhal-
ten, ehe es ihn auch schon zum nächsten zieht.
Das Antlitz des Windes verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Klauen: Aus Fingern und Zehen des Charakters wachsen
dicke, gekrümmte Klauen, die Körperkraft +2 schwer heil-
baren Schaden verursachen.
Zusätzliche Handlungen: Der Charakter kann sich durch
seine Glaubenspunkte zusätzliche Handlungen erkaufen.
Für jeden in einer Runde aufgewendeten Glaubenspunkt
erhält er eine zusätzliche Handlung. Diese Handlungen
werden mit absteigender Initiative ausgeführt – wenn also
ein Teufel mit einer Initiative von 7 eine zusätzliche Hand-
lung kauft, führt er seine normale Handlung bei 7 und die
zusätzliche Handlung bei 6 aus. Der Spieler des Charakters
muß sich vor Beginn der Runde – noch bevor irgendeine
Handlung durchgeführt wurde – entscheiden, wie viele
zusätzliche Handlungen er erwerben möchte.
Stacheln: Auf den Schultern und den Oberarmen des Dä-
mons wächst ein Kranz spitzer Stacheln, die im Nahkampf
eine Gefahr für jeden Gegner darstellen. Ein Angreifer, der
den Dämon im Nahkampf trifft, nimmt eine Stufe tödlichen
Schaden, sofern ihm kein Wurf auf Geschick (Schwierigkeit
7) gelingt.
Bittere Galle: Der Dämon ist in der Lage, einen Strom
ätzender Galle auf seine Feinde zu speien. Die Reichweite
des Stroms beträgt für jeden Glaubenspunkt des Dämons
dreißig Zentimeter. Ein erfolgreicher Wurf auf Geschick
+ Sportlichkeit ist nötig, um ein anvisiertes Ziel zu tref-
fen. Die Galle verursacht Körperkraft –1 schwer heilbaren
Schaden.
(LAMMASU)
Die unbeständigen Engel der Tiefe waren von Anfang
an dazu auserkoren, ein einsames Dasein zu fristen. Sie
waren dazu bestimmt, den Menschen nahe genug zu sein,
um ihre Herzen zu beflügeln, und ihnen doch stets so fern
zu bleiben, daß sie nie eine engere Bindung zu ihnen ein-
gehen konnten. Die Geheimnisse des Sehnens, die ihnen
die Macht verliehen, in den Herzen der Sterblichen ein
Feuer der Gefühle zu entfachen, standen im Mittelpunkt
der gesammelten Weisheit dieses Hauses. Doch die Herr-
schaft über Wind und Wellen ließ seine Mitglieder auch
die Geheimnisse des Sturms ergründen, die es den En-
geln der Tiefe gestatteten, ihren Einfluß auch weit jenseits
der Gestade der Ozeane spürbar zu machen. Nachdem die
Lammasu ihren Schwur gegenüber dem Himmel gebrochen
hatten und in der Lage waren, sich der Menschheit nun
endlich zu zeigen, mußten die aufständischen Engel der
Tiefe feststellen, daß sie ironischerweise nur in äußerst be-
grenztem Maße dazu befähigt waren, sich den Menschen zu
öffnen. Es fiel ihnen sehr viel leichter, sich den sterblichen
Männern und Frauen so zu zeigen, wie die Menschen die
Engel sehen wollten, anstatt sich als das zu offenbaren, was
sie wirklich waren. Daher entwickelten die wandelbaren
Geister der Tiefe die Kunst, ihre Körper nach ihrem Willen
zu verwandeln, so lange weiter, bis sie in der Lage waren,
ihr Aussehen gemäß aller nur möglichen Erwartungen zu
gestalten, die andere an sie stellten. Diese Kunst ist in den
Geheimnissen der Verwandlung zusammengefaßt.
GEHEIMNISSE DES SEHNENS
• GEFÜHLE LESEN
Mit dieser Beschwörung kann ein Schänder die intimsten
Gefühle einer Person zutage treten lassen, was es dem Dämon
gestattet, größere Einsicht in die Gedanken und Wünsche der
Zielperson zu gewinnen, indem er deren Körpersprache und
Mimik deutet. Das Opfer ist sich der Tatsache nicht bewußt,
daß es auf diese Weise „studiert“ wird. Es kommt ihm viel eher
so vor, als würde der Schänder seine Gedanken lesen.
217

System: Diese Beschwörung kann immer nur auf einen
Sterblichen auf einmal angewendet werden. Würfeln Sie
Wahrnehmung + Empathie. Jeder erzielte Erfolg verleiht
Ihrem Charakter für den Rest der Szene einen zusätzlichen
Würfel bei allen gesellschaftlichen Würfen, die mit dem
beeinflußten Sterblichen in Zusammenhang stehen. Dieser
Effekt endet vor Ablauf der Szene, wenn der Dämon seine
Aufmerksamkeit auf ein neues Opfer richtet.
Qual: Monströse Dämonen sind begabter darin, die dunkle
Seite der Persönlichkeit eines Opfers und die damit ein-
hergehenden Emotionen zutage treten zu lassen und diese
Gefühle noch weiter zu verstärken. Die betroffene Person
folgt im Anschluß an die Unterhaltung mit dem Dämon
Gedankengängen, von denen sie nie erwartet hätte, sie
je ganz zu Ende zu denken. Für Sterbliche, die unter den
Einfluß dieser Variante der Beschwörung geraten, wird in
einer Handlung gegen Widerstand ihre Willenskraft gegen
den Beschwörungswurf des Schänders gewürfelt, wobei die
Schwierigkeit für den Willenskraftwurf des Sterblichen
allerdings dem Qualwert des Dämons entspricht. Geht der
Dämon als Sieger aus diesem Wettstreit hervor, wird der
Sterbliche dazu verleitet, seinen niedersten und dunkelsten
Sehnsüchten nachzugeben (beispielsweise indem er seinen
Chef endlich für die Jahre der verbalen Erniedrigungen
büßen läßt oder seine Frau mit der Kollegin betrügt, deren
Charme er so lange widerstanden hat). Die Effekte dieser
Beschwörung halten für eine Anzahl an Tagen an, die dem
Glaubewert des Dämons entspricht.
•• EMPATHISCHE REAKTION
Durch diese Beschwörung ist ein Schänder in der Lage,
die Gefühle und Sehnsüchte seines Gegenübers zu erken-
nen und automatisch angemessen auf sie zu reagieren, ohne
darüber nachdenken zu müssen. Der Dämon paßt sein
Verhalten so perfekt an die Erwartungen des Opfers an,
daß dieses zu der Überzeugung gelangt, es habe es bei dem
Dämon mit einem fleischgewordenen Traumpartner zu tun.
Dies führt dazu, daß das Opfer alle Vorsicht, Zurückhaltung
oder Angst gegenüber dem Dämon vollkommen vergißt.
System: Würfeln Sie Manipulation + Empathie. Wenn die
Gesamtzahl der erzielten Erfolge größer oder gleich dem
Geistesschärfewert des Opfers ist, entwickelt der Sterbliche
vollstes Vertrauen zu Ihrem Charakter und erfüllt ihm je-
den nachvollziehbaren und umsetzbaren Wunsch, den der
Dämon gegenüber dem Menschen äußert. Diese Beschwö-
rung kann immer nur auf einen Sterblichen auf einmal
angewendet werden. Die Effekte halten für die Dauer einer
Szene an, es sei denn, Ihr Charakter richtet seine Aufmerk-
samkeit vor Ablauf der Szene auf ein neues Opfer.
Qual: Monströse Dämonen nutzen diese Beschwörungsart
dazu, um ihren Opfern Angst einzujagen, anstatt Zunei-
gung in ihnen zu wecken. Sie passen ihr Verhalten an die
schlimmsten Alpträume ihres Opfers an und werden so-
mit zu der Art von Person, die der Sterbliche am meisten
fürchtet. Wenn die Gesamtzahl der erzielten Erfolge größer
oder gleich dem Geistesschärfewert des Opfers ist, wird der
Sterbliche von Ihrem Schänder völlig eingeschüchtert. Das
Opfer ist nicht mehr in der Lage, irgend etwas gegen Ihren
Charakter zu unternehmen, und versucht aus seiner Ge-
218
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
genwart zu fliehen, wenn sich die Möglichkeit dazu bietet.
Alle Würfe auf Einschüchtern gegen eine auf diese Weise
beeinflußte Person werden gegen eine Schwierigkeit von 4
durchgeführt.
••• SINNESMANIPULATION
Mit einer einfachen Berührung kann der Schänder die
Nerven einer Person manipulieren, um deren Wahrneh-
mung zu erhöhen und ihre Sinneseindrücke zu verstärken.
Der Effekt kann sich so überwältigend oder so unterschwel-
lig auswirken, wie es der Dämon wünscht. Solange ein
Opfer nicht über einen eisernen Willen verfügt, kann es
überdies auch noch süchtig nach diesen gesteigerten und
verstärkten Sinneseindrücken werden.
System: Um diese Beschwörung anwenden zu können,
muß Ihr Charakter die Zielperson berühren. Würfeln Sie
Intelligenz + Intuition. Jeder erzielte Erfolg verleiht der
Zielperson einen zusätzlichen Würfel bei all ihren Wahr-
nehmungswürfen. Allerdings werden im gleichen Maße
auch alle Verletzungsabzüge erhöht, die die Zielperson
erleidet. Dämonen können den Effekten dieser Beschwö-
rung widerstehen, indem sie in einer Handlung gegen
Widerstand ihre Willenskraft gegen den Beschwörungs-
wurf des Schänders würfeln, wobei die Schwierigkeit für
den Willenskraftwurf des sich gegen den Effekt zur Wehr
setzenden Dämons 7 beträgt. Die Effekte dieser Beschwö-
rung halten für eine Anzahl an Runden an, die dem Glau-
bewert des Dämons entspricht. Nachdem sie abgeklun-
gen sind, muß das Opfer einen Willenskraftwurf machen.
Scheitert dieser Wurf, werden für den Rest der Szene alle
beim Beschwörungswurf des Schänders erzielten Erfolge
als Erschwernis für kommende Wahrnehmungswürfe des
Sterblichen gewertet. Bei einem Patzer wirkt sich diese Er-
schwernis permanent aus und das Opfer ist zudem süchtig
nach dem Rausch der verstärkten Sinneseindrücke, den
die Beschwörung in ihm ausgelöst hat. Es kann nur dann
seine volle Wahrnehmung zurückgewinnen, wenn es noch
einmal durch die Effekte dieser Beschwörung beeinflußt
wird.
Qual: Monströse Dämonen setzen diese Beschwörung dazu
ein, um ihren Opfern unerträgliche Schmerzen zu bereiten
oder deren Wahrnehmung vollkommen zu verzerren. Die
erzielten Erfolge werden vom Würfelvorrat des Opfers für
alle Wahrnehmungswürfe abgezogen. Dieser Effekt hält
eine Anzahl an Runden an, die dem Glaubewert des Schän-
ders entspricht.
•••• OBSESSION
Durch diese Beschwörung kann ein Dämon den Reiz
eines Gedankens oder eines Wunschs seines Opfers so sehr
erhöhen, daß das Opfer an nichts anderes mehr denken
kann. Eine solche Obsession kann sich auf eine andere Per-
son, eine Idee oder ein Vorhaben beziehen. Während des
Kriegs des Zorns machten sich viele Schänder durch List
und Tücke zunächst zu Objekten der Begierde für Sterb-
liche, ehe sie diese Beschwörung einsetzten, um Legionen
aus fanatischen Anhängern um sich zu scharen.
System: Um diese Beschwörung anwenden zu können,
muß Ihr Charakter ein Interessengebiet oder einen lang-
KAPITEL SIEBEN
gehegten Wunsch seines Opfers kennen und sich inner-
halb eines Umkreises von ihm befinden, der dem Glau-
bewert Ihres Charakters in Metern entspricht. Setzen Sie
einen Glaubenspunkt ein und würfeln Sie Manipulation
+ Empathie. Sterbliche können den Effekten dieser Be-
schwörung widerstehen, indem sie in einer Handlung
gegen Widerstand ihre Willenskraft gegen den Beschwö-
rungswurf des Schänders würfeln, wobei die Schwierigkeit
für den Willenskraftwurf des Sterblichen 8 beträgt. Geht
der Schänder als Sieger aus diesem Wettstreit hervor,
wird der Wunsch des Sterblichen zur Obsession. Er findet
keine Ruhe mehr, bis er die notwendigen Schritte unter-
nommen hat, um seinen Wunsch Wirklichkeit werden zu
lassen. Das Opfer muß einen erfolgreichen Willenskraft-
wurf (Schwierigkeit 7) ablegen, wenn es sich kurzfristig
von seiner Obsession lösen will. Es ist nicht in der Lage, zu
essen oder zu schlafen, solange es sein Ziel nicht erreicht
hat. Der Glaubewert Ihres Charakters gibt an, wie viele
Tage die Effekte dieser Beschwörung anhalten. Sie klingen
logischerweise schon früher ab, sollte Ihr Opfer sein Ziel
vor Ablauf dieser Zeit erreichen.
Qual: Monströse Dämonen setzen diese Beschwörung dazu
ein, um die Art und Weise, wie ihre Opfer einer Obsession
nachgehen, eindeutig psychotische Züge annehmen zu las-
sen. Der Dämon nimmt dem Opfer alle Hemmungen und
steigert das Bedürfnis nach Erfüllung seines Wunsches auf
ein fast schon schmerzhaftes Maß. Das Opfer unternimmt
alles in seiner Macht stehende, um sein Ziel zu erreichen
– ganz gleich, wie selbstzerstörerisch oder gefährlich es
auch sein mag. Widersetzt sich das Opfer diesem Drang,
werden alle seine Würfelvorräte um eins gesenkt, bis ihm
eine entscheidende Anstrengung gelingt, die der Erfüllung
seines Ziels dient.
••••• INSPIRATION
Mit dieser mächtigen Beschwörung kann ein Schän-
der buchstäblich das Bewußtsein einer Person erweitern
und ihr so Einsichten und Sinnesschärfe verleihen, die
ans Übermenschliche grenzen. Die Zielperson kann eine
Weile ihr volles geistiges Potential nutzen, doch wenn die
Effekte dieser Kraft nachlassen, kann die Rückkehr in den
Alltag ein schwerer Schlag für ihr Selbstwertgefühl sein.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Intelligenz + Medizin. Jeder erzielte Erfolg ermöglicht
es Ihnen, ein gesellschaftliches oder geistiges Attribut der
Zielperson um einen Punkt zu erhöhen. Das Maximum
einer solchen Steigerung liegt bei einem Attributswert
von 5. Die Anzahl an Tagen, die diese Effekte anhalten,
entspricht dem Glaubewert Ihres Charakters. Sobald die
Effekte der Beschwörung nachgelassen haben, verliert der
Sterbliche einen permanenten Willenskraftpunkt, sofern
ihm nicht ein Willenskraftwurf (Schwierigkeit 7) gelingt.
Qual: Monströse Dämonen setzen diese Beschwörung
für einen ähnlichen Zweck ein, doch sie stoßen ihr Opfer
über die Schwelle der Genialität hinein in die Gefilde des
Wahnsinns und erzeugen damit hochbegabte, aber auch
hochgefährliche Geisteskranke. Die Effekte dieser Be-
schwörung liefern dieselben Bonuspunkte für gesellschaft-
liche und geistige Eigenschaften und erzeugen darüber
hinaus vorübergehende Geistesstörungen. Scheitert der
anschließend fällige Willenskraftwurf, verliert das Opfer
einen permanenten Willenskraftpunkt und erleidet eine
permanente Geistesstörung.
ISHHARA, DAS ANTLITZ DES SEHNENS
Die Engel der Inspiration sind wunderschön anzusehen,
und neben ihnen verblassen selbst die strahlendsten Na-
maru. Ihr goldenes Haar und ihre perfekt geschnittenen
Züge entsprechen ganz den romantischen Idealen der
Lyrik und der Prosa der Sterblichen, und ihre honigsüßen
Stimmen lassen selbst das kälteste Herz schmelzen.
Das Antlitz des Sehnens verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Verbesserte gesellschaftliche Attribute: Die körperli-
che Gesamterscheinung, das Gebaren und die Anmut
des Charakters lassen Menschen vor Ehrfurcht erstarren.
Der Dämon erhält die folgenden Bonuseigenschaften: +2
Charisma, +1 Manipulation, +2 Erscheinungsbild.
Melodiöse Stimme: Die Schwierigkeit aller Würfe auf
Führungsqualitäten und Ausflüchte verringert sich um
zwei.
Geschärfte Sinne: Die Schärfe aller fünf Sinne des Cha-
rakters ist auf ein übermenschliches Maß gesteigert, was
die Schwierigkeit sämtlicher Wahrnehmungswürfe des
Charakters um zwei senkt.
Verbesserte Intuition: Die untrüglichen Einsichten des
Charakters senken die Schwierigkeit aller Intuitionswürfe
um zwei.
Qual: Durch ihre Qual pervertierte Ishhara behalten ihre
überwältigende Schönheit bei. Ihre Reize werden eher
noch verstärkt, so daß sie noch verführerischer auf einen
Beobachter wirken. Ihre Bosheit ist wenn überhaupt nur
an dem Funkeln in ihren Augen und dem dunklen Tim-
bre in ihrer Stimme zu erkennen. Was einst ein Quell der
Inspiration und Muse war, ist nun zu einer mörderischen
Anziehungskraft verkommen, die Sterbliche in ihr Ver-
derben lockt.
Das Antlitz des Sehnens verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Klauen: Dem Charakter wachsen Klauen, die Körperkraft
+2 schwer heilbaren Schaden verursachen.
Gift: Die Klauen und der Speichel des Ishhara sind giftig.
Personen, die mit dem Gift in Kontakt kommen (entweder
durch einen Kratzer oder einen Kuß) erleiden so viele
Würfel Schlagschaden, wie es der Qualwert des Dämons
angibt. Dieser Schaden kann absorbiert werden.
Zusätzliche Gliedmaßen: Dem Dämon wächst ein zweites
Armpaar oder ein Paar Tentakel (der Spieler entscheidet
über die Art der zusätzlichen Gliedmaßen). Diese zusätz-
lichen Gliedmaßen erlauben es dem Charakter, unbe-
waffnete oder mit Nahkampfwaffen ausgeführte Angriffe
auf ihn zu parieren oder abzublocken, ohne dabei seine
eigene Angriffs- oder Handlungsmöglichkeit zu verlieren.
Er kann aber statt dessen auch zwei zusätzliche Angriffe
pro Runde mit seinem vollen Würfelvorrat durchführen.
Kein Spiegelbild: Das Abbild des Dämons ist in keinem
Spiegel zu sehen. Er kann auch nicht auf Photographien
oder sonstigen Filmaufnahmen festgehalten werden.
219

GEHEIMNISSE DES STURMS
• WASSERBESCHWÖRUNG
Der Dämon kann Wasser aus jeder beliebigen Quelle in
seiner näheren Umgebung herbeirufen, um damit alles von
einem plötzlich aufziehenden, undurchdringlichen Nebel
bis hin zu einer reißenden Springflut zu erzeugen.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben.
Die Anzahl der benötigten Erfolge hängt davon ab, wie-
viel Wasser der Schänder herbeirufen will. Wenn er einen
dichten Nebel aufziehen lassen will (der die Schwierigkeit
aller Wahrnehmungswürfe um zwei erhöht), ist ein Erfolg
ausreichend. Will er ein bestimmtes Gebiet mit einem hef-
tigen Schauer überziehen, benötigt er zwei Erfolge. Drei
Erfolge sind erforderlich, wenn er Wassermassen in Form
eines Sturzbachs heraufbeschwören will. Eine reißende Flut
erfordert hingegen schon vier oder mehr Erfolge. Personen,
die sich inmitten einer solchen Flut oder eines solchen
Sturzbachs wiederfinden, unterliegen den Regeln für Er-
trinken (nähere Informationen hierzu finden Sie auf Seite
315 in Kapitel Neun), sofern ihnen kein erfolgreicher Wurf
auf Geschick + Sportlichkeit (Schwierigkeit 8) gelingt.
Damit Ihr Charakter diese Beschwörung anwenden kann,
muß sich eine Wasserquelle – zum Beispiel eine Pfütze, ein
Springbrunnen oder ein Abwasserkanal – in seiner Nähe
befinden (in einem Umkreis, der seinem Glaubewert in
Metern entspricht). Die Größe dieser Quelle ist dabei al-
lerdings vollkommen unerheblich. Der Glaubewert Ihres
Charakters gibt die Anzahl der Runden an, die die Effekte
dieser Beschwörung anhalten.
Qual: Das Wasser, das von einem monströsen Dämon be-
schworen wird, ist faulig und schleimig, und es verbreitet
Krankheiten und Seuchen. Personen, die mit diesem verpe-
steten Wasser in Kontakt geraten, riskieren eine ernsthafte
Erkrankung, die innerhalb der nächsten Tage oder Wochen
ausbrechen kann. Sterbliche und Dämonen, die länger
als eine Runde mit derart verseuchtem Wasser in Berüh-
rung kommen, laufen Gefahr, sich eine Infektionskrankheit
zuzuziehen, sofern ihnen kein erfolgreicher Würfelwurf
auf Widerstandsfähigkeit gelingt. Die Schwierigkeit dieses
Wurfs entspricht dem Qualwert des Schänders. Der Qual-
wert gibt auch an, wie schwer die zugezogene Erkrankung
ist. Ein Qualwert von 7 löst eine leichte Erkrankung aus,
die die Würfelvorräte des Opfers verringern kann, während
ein Qualwert von 10 eine tödliche (und möglicherweise
hochansteckende) Krankheit auslöst, die tödlichen Scha-
den verursacht. Nähere Informationen über Krankheiten
und ihre Auswirkungen finden Sie auf Seite 318 in Kapitel
Neun.
•• WASSERGESTALT
Mit dieser Beschwörung kann ein Schänder seinen Kör-
per in Wasser verwandeln, wobei er entweder die Gestalt
flüssigen Wassers oder Nebels annehmen kann.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Medizin.
Sobald sich Ihr Charakter verwandelt hat, läßt er all seine
Habseligkeiten und Kleidungsstücke an Ort und Stelle der
Verwandlung zurück. Solange er sich in seiner Wasserge-
220
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
stalt befindet, kann er überall dort hinkommen, wo Wasser
oder Nebel hingelangen kann. Zusätzlich ist er immun ge-
gen jeglichen Schaden. Der Glaubewert Ihres Charakters
gibt an, wie viele Runden er diese Form beibehalten kann.
Qual: Die Wassergestalt eines monströsen Dämons wird
durch seine Qual verpestet, so daß der direkte Kontakt
mit ihm zu chemischen Verbrennungen führt. Jede Runde,
die ein Opfer in Kontakt mit dem „Körper“ des Schänders
steht, erleidet es eine Stufe tödlichen Schaden.
••• WETTERMANIPULATION
Durch diese Beschwörung kann ein Schänder bestehende
Wetterfronten bewegen, wodurch er einen Sturm harmlos
vorüberziehen lassen oder mit übernatürlicher Geschwin-
digkeit zu sich rufen kann. Durch dieses Wissen ist der
Dämon zusätzlich in der Lage, die örtliche Temperatur zu
verändern.
System: Würfeln Sie Intelligenz + Naturwissenschaften.
Die Anzahl der erzielten Erfolge legt die Art der Wetter-
front fest, die Ihr Charakter beeinflussen kann. Um eine
einfache Regenfront zu beeinflussen, benötigt er lediglich
einen Erfolg, während ein Gewitter schon zwei Erfolge er-
fordert. Um große Stürme zu beeinflussen, braucht er be-
reits drei Erfolge, und für Phänomene von echter Urgewalt
wie beispielsweise Tornados oder Orkane benötigt er vier
oder mehr Erfolge. Alternativ dazu kann Ihr Charakter die
örtliche Temperatur auch mit jedem erzielten Erfolg um
ein Grad senken oder erhöhen. Der Bereich, in dem diese
Beschwörung Wirkung zeigt, entspricht dem Anderthalb-
fachen Ihres Glaubewerts in Kilometern. Sie können nur
Wetterverhältnisse beeinflussen, die in dieser Form bereits
in der näheren Umgebung Ihres Charakters herrschen.
Mit dieser Beschwörung kann Ihr Charakter keine spontan
auftretenden Wettereffekte erzeugen.
Qual: Monströse Dämonen verstärken die Intensität be-
stehender Wetterfronten eher, als daß sie Einfluß auf ihren
Kurs nehmen. So können sie einen Frühlingsregen in einen
tobenden Tornado oder leichten Schneefall in einen ver-
heerenden Blizzard verwandeln.
•••• HERRSCHAFT ÜBER DEN STURM
Ein Schänder kann diese Beschwörung dazu einsetzen,
um ganz nach Belieben Wetterbedingungen nach seinen
Vorstellungen zu erzeugen. Er kann einen Sturm aus hei-
terem Himmel herbeirufen oder einen Wirbelsturm mit
einem Wink abflauen lassen.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Intelligenz + Naturwissenschaften. Die Schwierigkeit
des Wurfs richtet sich nach den Umweltbedingungen und
der Wetterart, die Ihr Charakter heraufbeschwören will.
Das Heraufbeschwören eines Gewittersturms in Meeres-
nähe entspricht einer Schwierigkeit von 6. Das Heraufbe-
schwören eines solchen Unwetters inmitten einer Wüste
entspricht einer Schwierigkeit von 9. Für das Auflösen
bestehender Wetterfronten liegt die Schwierigkeit bei
7. Die Anzahl der erzielten Erfolge gibt an, welche Wet-
tereffekte erzeugt oder aufgehoben werden können. Ein
Regenschauer oder leichter Schneefall benötigt nur einen
Erfolg, während ein Tornado oder ein ausgewachsener
KAPITEL SIEBEN
Orkan vier oder mehr Erfolge erforderlich macht. Das
Anderthalbfache des Glaubewerts Ihres Charakters gibt
den Umkreis des Gebiets in Kilometern an, das mit dieser
Beschwörung beeinflußt werden kann. Ist es erst einmal
herbeigerufen worden, verhält sich das Wetter vollkom-
men natürlich, solange es nicht durch weitere Beschwö-
rungen beeinflußt wird.
Qual: Monströse Dämonen können das Wetter ebenso
leicht befehligen wie ihre ausgeglicheneren Artgenossen.
Die durch diese Beschwörung erzeugten Effekte sind al-
lerdings immer schädlich. Stürme toben mit zerstöreri-
scher Wut über das Land und führen Hagel und Blitze mit
sich. Selbst das Schaffen eines wolkenlosen Himmels kann
zu extremen Temperaturschwankungen oder drückender
Schwüle führen.
••••• STURMRUF
Ein Schänder kann sich mit einem tobenden Sturm
umgeben und Wind, Wasser und Blitze in einem Bereich
herbeirufen, der so klein wie ein einzelner Raum oder so
groß wie ein ganzer Häuserblock sein kann. Das Auge des
Sturms befindet sich dort, wo sich der Dämon aufhält, und
es bewegt sich mit ihm, sobald er seinen Aufenthaltsort
wechselt. Dem Schänder wird durch das von ihm herbei-
gerufene Unwetter keinerlei Schaden zugefügt.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben. Die Schwierigkeit
des Wurfs hängt von der Umgebung ab, in der sich Ihr
Charakter aufhält. Einen Sturm außerhalb eines Gebäu-
des heraufzubeschwören, während der Himmel mit Re-
genwolken verhangen ist, entspricht einer Schwierigkeit
von 6. Einen Sturm in einem Büro mit Klimaanlage zu
erzeugen, entspricht einer Schwierigkeit von 9. Die An-
zahl der Erfolge bildet zugleich auch einen Würfelvorrat,
den Sie verwenden, wenn Ihr Charakter die Effekte des
beschworenen Sturms lenkt. Will er beispielsweise eine
Windböe einsetzen, um jemanden umzuwerfen oder Tü-
ren und Fenster aufzustoßen, würfeln Sie diesen Würfel-
vorrat wie Körperkraft. Wenn Ihr Charakter einen Blitz
auf ein Ziel schleudern will, so liegt die Schwierigkeit die-
ser Würfelprobe bei 9. Jeder erzielte Erfolg erzeugt einen
Blitz, der das anvisierte Ziel automatisch trifft und ihm
tödlichen Schaden zufügt. Die Schadenswürfel entspre-
chen hierbei dem Qualwert Ihres Charakters. Der Sturm
deckt ein Gebiet ab, dessen Umkreis dem Glaubewert
Ihres Charakters in Metern entspricht und hält für die
gleiche Anzahl an Runden an, es sei denn, er wird vorher
zum Abflauen gebracht.
Qual: In einem Sturm, der von einem monströsen Schän-
der heraufbeschworen wird, haben alle Lebewesen, die
sich in ihm befinden, mit eiskaltem Wind und tödlichen
Blitzen zu kämpfen. Für jedes Individuum, das sich in
einem solchen Sturm aufhält, muß ein einzelner Würfel
geworfen werden (Schwierigkeit 9). Ist ein solcher Wurf
erfolgreich, wird das Opfer von einem Blitz getroffen.
Zusätzlich wird die Schwierigkeit aller Handlungen der
im Sturm gefangenen Personen durch den heftigen Wind
um zwei erhöht.
ADAD, DAS ANTLITZ DES STURMS
Die Engel des Sturms sind großgewachsene, statuenhafte
Geschöpfe. Ihre Haut glänzt opalblau, und ihr dunkles
221

Haar ist vom Grün der Meerestiefen durchzogen. Blauflak-
kernde Kugelblitze tanzen über ihre Körper und legen sich
als knisternder Heiligenschein um Kopf und Schultern der
Adad, sobald ihr Zorn geweckt wird.
Das Antlitz des Sturms verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Wettergespür: Der Charakter kann intuitiv Wetterwechsel
spüren, die sich bis zum Fünfzehnfachen seines Glaube-
werts in Kilometern von ihm entfernt ereignen.
Immun gegen Elektrizität: Der Charakter erleidet keinen
Schaden durch elektrische Schläge.
Verbesserte Initiative: Die Initiative des Charakters ver-
bessert sich um zwei.
Schockgriff: Die Berührung des Charakters verursacht
einen elektrischen Schlag und verursacht Schlagschaden
bei seinem Opfer. Der entstandene Schaden entspricht dem
Glaubewert des Charakters. Diese spezielle Fähigkeit kann
nur einmal pro Szene eingesetzt werden.
Qual: Engel des Sturms, die sich in ihrem dämonischen
Wesen verlieren, entwickeln eine rauhe, graue Haut. Ihre
Münder sind mit drei Reihen rasiermesserscharfer Zähne
bestückt, und ihre Augen sind nichts weiter als leblose,
schwarze Kreise, in denen keine Spur von Wärme oder
Mitgefühl zu erkennen ist.
Das Antlitz des Sturms verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Zähne: Dem Charakter wachsen Zähne, die Körperkraft
+2 schwer heilbaren Schaden verursachen.
Sporne: Eine lange Reihe von Spornen zieht sich über den
Rücken und entlang der Arme des Charakters. Bei jedem
gelungenen waffenlosen Angriff im Nahkampf verursacht
er eine zusätzliche Stufe schwer heilbaren Schaden.
Haihaut: Die haifischartige Haut des Charakters dient ihm
als Rüstung. Sie bringt ihm vier zusätzliche Würfel, um
Schlagschaden, tödlichen Schaden und schwer heilbaren
Schaden zu absorbieren.
Sepiawolke: Der Charakter kann eine Wolke dunkelblauer
Tinte ausstoßen, die in der Luft hängenbleibt und seinen
Gegnern die Sicht nimmt. Der Glaubewert des Charakters
gibt an, wie viele Runden die Sepiawolke bestehen bleibt.
Die Reichweite der Wolke beträgt dreißig Zentimeter pro
Glaubenspunkt des Charakters. Jede Person innerhalb die-
ser Reichweite muß einen erfolgreichen Widerstandsfähig-
keitswurf ablegen, um nicht für eine Anzahl von Runden
die Sicht zu verlieren, die dem Glaubewert des Dämons
entspricht. Opfer der Wolke müssen blind kämpfen, wie es
auf Seite 288 beschrieben wird.
GEHEIMNISSE DER VERWANDLUNG
• MIMIKRY
Diese Beschwörung erlaubt es einem Schänder, die ex-
akten Verhaltensweisen und die genaue Stimmlage einer
bestimmten Person nachzuahmen. Dadurch ist er in der
Lage, jeden in die Irre zu führen, der den Nachgeahmten
nicht kennt.
System: Um diese Beschwörung anwenden zu können,
muß Ihr Charakter mindestens eine Stunde lang mit der
222
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Person verbracht haben, die er nachahmen will. Würfeln
Sie in einer Handlung gegen Widerstand Manipulation
+ Ausdruck gegen Wahrnehmung + Aufmerksamkeit
der Person, die Sie zu täuschen versuchen. Gehen Sie als
Sieger aus diesem Wettstreit hervor, glaubt die Zielperson,
daß Ihr Charakter wirklich die Person ist, für die er sich
ausgibt. Trifft der Schänder auf jemanden, der die Person,
die er nachahmt, noch nie gesehen hat, ist sein Gegenüber
automatisch von der Vorstellung des Dämonen überzeugt,
ohne daß ein Wurf erforderlich wäre. Die Effekte dieser
Beschwörung halten so viele Runden an, wie der Glaube-
wert Ihres Charakters vorgibt. Mimikry ist keine Illusion
im eigentlichen Sinn, da sich der Körper Ihres Charakters
tatsächlich verändert. Daher können auch andere Dämo-
nen durch diese Kraft getäuscht werden.
Qual: Monströse Dämonen können die Stimmen und
Angewohnheiten anderer ebenfalls nachahmen, doch
ihre Qual wird durch diese Täuschung nur unzureichend
verdeckt, was alle Anwesenden, die Zeuge einer solchen
Vorstellung werden, in einen Zustand der Unruhe und
Paranoia versetzt. Führen Sie einen Willenskraftwurf für
jede Person durch, die auf den getarnten Dämon trifft,
wobei die Schwierigkeit dieses Wurfs dem Qualwert des
Schänders entspricht. Scheitert der Wurf, wird der be-
troffene Sterbliche durch die Anwesenheit des Dämons so
sehr beunruhigt, daß er die Flucht vor ihm ergreift.
•• VERÄNDERUNG DER ERSCHEINUNG
Ein Schänder kann diese Beschwörung dazu nutzen, um
oberflächliche Veränderungen an sich und anderen vorzu-
nehmen. Er kann die Augen-, Haar- oder Hautfarbe ändern
sowie Narben verschwinden lassen.
System: Würfeln Sie Charisma + Ausflüchte. Mit jedem
erzielten Erfolg kann Ihr Charakter ein oberflächliches
Detail des Erscheinungsbilds an sich oder einer anderen
Person verändern. Die vorgenommenen Veränderungen
bleiben für so viele Runden bestehen, wie der Glaubewert
Ihres Charakters angibt. Sie können aber auch dauerhaft
gemacht werden, wenn Sie dafür einen temporären Wil-
lenskraftpunkt aufwenden. Ihr Charakter muß die Zielper-
son berühren, wenn er eine Veränderung an ihr vornehmen
will. Bei den Effekten dieser Beschwörung handelt es sich
nicht um Illusionen, da der Körper Ihres Charakters oder
der der betroffenen Person tatsächlich verändert wird. Da-
her können auch andere Dämonen durch sie in die Irre
geführt werden.
Qual: Auch monströse Dämonen können an sich und an-
deren oberflächliche Veränderungen vornehmen. Sollten
sie sich jedoch nicht voll und ganz auf dieses Vorhaben
konzentrieren, kann ihre Qual bei ihnen und anderen
zu verstörenden Entstellungen führen. Sobald diese Be-
schwörung erfolgreich ausgeführt wurde, muß ein Wil-
lenskraftwurf gemacht werden, dessen Schwierigkeit dem
Qualwert des Charakters entspricht. Scheitert der Wurf,
muß der Dämon oder sein Opfer eine kaum merkliche,
aber dennoch höchst verstörende Entstellung hinneh-
men. Die Schwierigkeit aller gesellschaftlichen Würfe
wird aufgrund einer solchen Entstellung um zwei erhöht.
KAPITEL SIEBEN
••• KÖRPERWANDLUNG
Mit dieser Beschwörung ist ein Schänder dazu in der
Lage, die Maße und die Form seines Körpers zu verändern.
Er kann Größe, Gewicht, Schulterbreite und Taillenumfang
ganz nach Belieben umgestalten.
System: Würfeln Sie Charisma + Ausflüchte. Pro erzieltem
Erfolg kann Ihr Charakter eines seiner oben angegebenen
Körpermerkmale verändern. Die Veränderung bleibt für
so viele Runden bestehen, wie der Glaubewert Ihres Cha-
rakters vorgibt. Sie kann aber auch zuvor rückgängig oder
durch Einsatz eines temporären Willenskraftpunkts dauer-
haft gemacht werden. Bei den Effekten dieser Beschwörung
handelt es sich nicht um Illusionen, da der Körper Ihres
Charakters tatsächlich verändert wird. Daher können auch
andere Dämonen durch sie in die Irre geführt werden.
Qual: Auch monströse Dämonen können diese Beschwö-
rung einsetzen, aber es besteht die Möglichkeit, daß ihr
Äußeres durch Mißbildungen entstellt wird. Sobald diese
Beschwörung erfolgreich ausgeführt wurde, muß ein Wil-
lenskraftwurf gemacht werden, dessen Schwierigkeit dem
Qualwert des Charakters entspricht. Scheitert der Wurf,
trägt der Schänder eine Mißbildung davon, durch die er
einen Punkt in einem körperlichen Attribut seiner Wahl
verliert. Dieser Effekt hält für die Dauer der Beschwörung
an.
•••• DOPPELGÄNGER
Durch diese Beschwörung kann ein Schänder sein Er-
scheinungsbild vollkommen verändern und sich an die
Erwartungen seines Opfers anpassen. Er nimmt einfach
die Gestalt genau der Person an, die sein Opfer zu sehen
erwartet.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Manipulation + Empathie. Durch eine Handlung
gegen Widerstand, in der das Opfer seine Willenskraft
(Schwierigkeit 8) gegen Ihren Beschwörungswurf würfelt,
kann das Opfer versuchen, die Täuschung zu durchschau-
en. Gehen Sie als Sieger aus diesem Wettstreit hervor,
nimmt Ihr Charakter das Aussehen, die Stimme und das
Gebaren der Person an, die das Opfer im Kontext der
Begegnung eigentlich erwartet. Wenn Sie es wünschen,
kann Ihr Dämon auch tiefer in den Erinnerungen seines
Opfers wühlen und das Aussehen einer bestimmten Per-
son annehmen, für die es starke Gefühle hegt. Allerdings
erhöht sich die Schwierigkeit des Wurfs damit auf 8. Will
Ihr Charakter diese Beschwörung gegen eine Gruppe von
Personen einsetzen, um eine Gestalt anzunehmen, die
alle Betroffenen in einer bestimmten Situation erwarten
würden, steigt die Schwierigkeit auf 9. Die Effekte dieser
Beschwörung halten für so viele Runden an, wie der Glau-
bewert Ihres Charakters vorgibt, sofern sie nicht vorzeitig
aufgehoben werden. Bei den Effekten dieser Beschwörung
handelt es sich nicht um eine Illusion, da sich der Körper
Ihres Charakters tatsächlich verändert. Daher können
auch andere Dämonen durch sie in die Irre geführt wer-
den.
Qual: Wenn monströse Schänder diese Beschwörung
anwenden, ist das Ergebnis eine finsterere Version der
Erwartungen des Opfers. Die Schwierigkeit aller gesell-
schaftlichen Würfe, die darauf abzielen, das Opfer zu ma-
nipulieren, sinkt um zwei, da der Dämon alle negativen
Empfindungen und unangemessenen Wünsche, die das
Opfer gegenüber der nachgeahmten Person hegt, für seine
Zwecke ausnutzen kann.
••••• GESTALTWANDEL
Diese Beschwörung verleiht einem Schänder eine voll-
kommene Kontrolle über den eigenen oder einen fremden
Körper. Dadurch ist er in der Lage, sich selbst oder eine
andere Person zum Inbegriff menschlicher Schönheit zu
machen. Er kann aber auch andere Personen, die sich sei-
nen Groll zugezogen haben, in Wesen verwandeln, die aus
einem Alptraum entsprungen zu sein scheinen.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Intelligenz + Medizin. Um diese Beschwörung anwen-
den zu können, muß Ihr Charakter die Person berühren,
an der er eine Verwandlung vornehmen will. Wenn sich
das Opfer gegen die Verwandlung zur Wehr setzt, würfelt
es in einer Handlung gegen Widerstand seine Willens-
kraft (Schwierigkeit 8) gegen Ihren Beschwörungswurf.
Gehen Sie als Sieger aus diesem Wettstreit hervor, kann
Ihr Charakter die von ihm gewünschte Veränderung der
körperlichen Erscheinung des Opfers vornehmen. Selbst-
redend muß sich der Charakter nicht in einer Handlung
gegen Widerstand durchsetzen, wenn er Veränderungen an
sich selbst vornehmen will. Will der Schänder das äußere
Erscheinungsbild einer Person so verändern, daß es deren
spezifischen Wünschen entspricht (was auf eine freiwilli-
ge Zielperson schließen läßt), steigt die Schwierigkeit des
Wurfs auf 7. Pro erzieltem Erfolg kann das Attribut Erschei-
nungsbild um einen Punkt gesteigert oder gesenkt werden,
bis das für Menschen geltende Minimum von 0 oder das
Maximum von 5 erreicht ist. Alle anderen Attribute und
Fähigkeiten bleiben von den Effekten dieser Beschwörung
unberührt, vollkommen unabhängig davon, welche neue
Form der Körper des Charakters oder seines Opfers auch
annehmen mag. Der Effekt der Beschwörung hält so viele
Runden an, wie der Glaubewert Ihres Charakters vorgibt.
Sie kann aber durch den Einsatz eines temporären Wil-
lenskraftpunktes dauerhaft gemacht werden. Beim Effekt
dieser Beschwörung handelt es sich nicht um eine Illusion,
da der Körper Ihres Charakters oder der Zielperson sich tat-
sächlich verändert. Daher können auch andere Dämonen
durch sie in die Irre geführt werden.
Qual: Monströse Dämonen müssen bei der Anwendung
dieser Beschwörung äußerst vorsichtig sein, wenn sie
nicht versehentlich ein Abbild ihrer eigenen Qual er-
schaffen wollen. Wird die Beschwörung erfolgreich aus-
geführt, muß anschließend ein Willenskraftwurf gemacht
werden, dessen Schwierigkeit dem Qualwert des Schän-
ders entspricht. Scheitert dieser Wurf, nimmt das Opfer
die Gestalt eines abscheulichen Monsters an. Sterbliche,
die eine solche alptraumhafte Kreatur erblicken, werden
von Grauen gepackt und ergreifen die Flucht, sofern ih-
nen kein erfolgreicher Willenskraftwurf (Schwierigkeit 8)
gelingt. Bei einem Patzer erleidet das Opfer eine vorüber-
gehende Geistesstörung.
223

MAMMETUM, DAS ANTLITZ DER
VERWANDLUNG
Die Engel der Verwandlung offenbaren sich als strahlen-
de Wesenheiten, die keinerlei erkennbare Gesichtszüge auf-
weisen, anhand derer sich ihre genaue Identität feststellen
ließe. Ihr Schweigen und ihre Anmut wirken merkwürdig
betörend. Ihr ganzer Körper ist ein Spiegel für die Stim-
mungen und Gedanken ihres Umfelds und wandelt daher
beständig in einem Ringen widerstreitender Empfindungen
und Eindrücke seine Gestalt.
Das Antlitz der Verwandlung verleiht die folgenden Ei-
genschaften:
Verbesserte Empathie: Die Schwierigkeit aller Empathie-
würfe wird um zwei gesenkt.
Kein Spiegelbild: Das Abbild des Dämons ist in keinem
Spiegel zu sehen. Er kann auch nicht auf Photographien
oder sonstigen Filmaufnahmen festgehalten werden.
Spurloses Wandeln: Die Schwierigkeit aller Heimlich-
keitswürfe des Charakters wird um zwei gesenkt, und zu-
dem hinterläßt er keinerlei Spuren in seiner Umgebung.
Weder bleiben Fußabdrücke zurück, noch werden Blätter
oder Zweige niedergedrückt oder abgeknickt.
Verbessertes Geschick: Das Geschick des Charakters er-
höht sich um zwei.
Qual: Engel der Verwandlung, die sich in ihrer Qual ver-
lieren, verlieren damit auch ihre strahlende Gestalt. Statt
dessen spiegeln sich ihr Schmerz und ihr Haß in einer Reihe
grauenvoller Visionen des Abgrunds wider, die über ihren
Körper huschen. Eine solche Kreatur wird zu einem wan-
delnden Schaubild gequälter Geister, die stumm an den
Mauern scharren, die sie von der stofflichen Welt trennen.
Das Antlitz der Verwandlung verleiht bei hohen Qual-
werten die folgenden Eigenschaften:
Klauen/Zähne: Dem Charakter wachsen Klauen und Fän-
ge, die Körperkraft + 2 schwer heilbaren Schaden verur-
sachen.
Verbesserte Initiative: Die Initiative des Charakters ver-
bessert sich um zwei.
Gift: Die Klauen und Fänge des Dämons sind mit Gift über-
zogen. Sobald er mit einem unbewaffneten Angriff im Nah-
kampf mindestens eine Schadensstufe (Schlagschaden, töd-
lichen Schaden oder schwer heilbaren) verursacht hat, muß
das Opfer in jeder darauffolgenden Runde einen Wurf auf
Widerstandsfähigkeit (Schwierigkeit 7) machen. Dies wird
für eine Anzahl an Runden fortgesetzt, die dem Qualwert des
Charakters entspricht. Scheitert einer dieser Würfe, erleidet
das Opfer eine zusätzliche Stufe tödlichen Schaden.
Zusätzliche Handlungen: Der Charakter kann sich durch
seine Glaubenspunkte zusätzliche Handlungen erkaufen.
Für jeden in einer Runde aufgewendeten Glaubenspunkt
erhält er eine zusätzliche Handlung. Diese Handlungen
werden mit absteigender Initiative ausgeführt – wenn also
ein Teufel mit einer Initiative von 7 eine zusätzliche Hand-
lung kauft, führt er seine normale Handlung bei 7 und die
zusätzliche Handlung bei 6 aus. Der Spieler des Charakters
muß sich vor Beginn der Runde – noch bevor irgendeine
Handlung durchgeführt wurde – entscheiden, wie viele
zusätzliche Handlungen er erwerben möchte.
224
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
(HALAKU)
Obwohl sie heute als die Engel der Zweiten Welt bekannt
sind, waren die Schnitter früher lediglich so etwas wie Hand-
langer des Wandels. Sie brachten den Tod zu Pflanzen und
Tieren, die ihren Lebenszweck erfüllt hatten und Platz für
neue, bessere Generationen machen mußten. Die Geheim-
nisse des Todes gaben diesen Engeln die Macht, das Leben
eines jeden Geschöpfs schnell und schmerzlos zu beenden
und es anschließend in seine kleinsten Bestandteile aufzulö-
sen, damit es von der Erde aufgenommen und einem neuen
Zweck zugeführt werden konnte. Von allen Häusern sahen
sich die Halaku nach dem Fall am meisten dazu gezwun-
gen, sich zu verändern. Mit dem Verlust der Unsterblichkeit
der Menschheit waren die Schnitter in eine schwierige und
schmerzhafte Lage versetzt worden. Sie mußten menschli-
ches Leben beenden, und das oftmals bevor die Zeit eines
Menschen eigentlich gekommen war, nur um dessen Geist
einem unbekannten Schicksal zu überlassen. Die Geheimnis-
se der Geister entsprangen aus dem Wunsch der Schnitter,
den Verlust dieser Seelen zu verhindern. Indem sie versuch-
ten, die Seelen in stofflichen Körpern zu verankern, erhoff-
ten sie sich, die Geister der Toten in der Welt der Lebenden
zu halten. Doch diese Maßnahmen schützten die mensch-
lichen Seelen nicht vor den Raubzügen der gottestreuen
Schnitter. Schließlich entschieden sich die Halaku in ihrer
Verzweiflung, einen noch drastischeren Kurs einzuschlagen:
Sie erschufen ein Jenseits außerhalb des stofflichen Univer-
sums, wo die Schnitter Gottes die Seelen der Toten nicht fin-
den konnten. Der erste Schritt zur Umsetzung dieses Plans
bestand darin, Wege zu finden, wie man Bereiche der Wirk-
lichkeit, die außerhalb des stofflichen Kosmos lagen, stabili-
sieren und bereisen konnte. Dies führte zur Ergründung der
Geheimnisse des Jenseits und fand seinen Höhepunkt in der
Erschaffung des Geisterreichs.
GEHEIMNISSE DES TODES
• BLICK FÜR DAS ENDE
Durch diese Beschwörung kann ein Schnitter durch den
Blick in die Augen eines Toten erkennen, auf welche Weise
er gestorben ist.
System: Würfeln Sie Wahrnehmung + Magiegespür. Die
Anzahl der erzielten Erfolge gibt Aufschluß darüber, wie
detailliert die Informationen sind, die Ihr Charakter hin-
sichtlich des Schicksals des Verstorbenen ziehen kann. Ein
Erfolg vermittelt ihm ein Bild von dem Augenblick, in
dem der Tod eingetreten ist. Jeder weitere Erfolg läßt den
Schnitter weiter in die Vergangenheit zurückblicken. Zwei
Erfolge entsprechen einigen Minuten, drei Erfolge ein paar
Stunden und vier Erfolge mehreren Tagen. Je mehr Erfol-
ge Sie erzielen, desto umfassender ist die Übersicht, die
Ihr Charakter über die Umstände erhält, die zum Tod des
Sterblichen führten.
KAPITEL SIEBEN
Qual: Ein monströser Dämon hat nur einen Blick für
das Ende von Verstorbenen, die eines gewaltsamen Todes
gestorben sind. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der Tod
absichtlich herbeigeführt wurde oder das Resultat eines
Unfalls war.
•• VERFALL
Diese Beschwörung ist eine der Hauptkräfte der Schnit-
ter. Mit ihr können sie den Verfall belebter oder unbelebter
Materie in ihre kleinsten Bestandteile erheblich beschleu-
nigen.
System: Ihr Charakter muß sein Ziel berühren, um diese
Beschwörung wirken zu können. Würfeln Sie Widerstands-
fähigkeit + Medizin. Jeder erzielte Erfolg verursacht eine
Stufe schwer heilbaren Schaden (oder tödlichen Schaden
im Fall von Sterblichen). Wird diese Beschwörung auf ei-
nen Leichnam angewendet, zieht jeder erzielte Erfolg ei-
nen Punkt vom Widerstandsfähigkeitswert des Körpers ab.
Sobald auf diese Art alle Punkte ausgelöscht worden sind,
zerfällt der Körper zu Staub. Bei unbelebten Gegenständen
wirkt sich der Prozeß auf ähnliche Weise aus, allerdings
variiert die Schwierigkeit des Wurfs in Abhängigkeit von
der Beschaffenheit des betreffenden Gegenstands. Will Ihr
Charakter beispielsweise ein Stück Holz oder Stoff verfal-
len lassen, beträgt die Schwierigkeit hierfür 7, während das
Zersetzen von Plastik einer Schwierigkeit von 8 entspricht.
Um Metall zerfallen zu lassen, muß gegen eine Schwie-
rigkeit von 9 gewürfelt. Für Stein liegt die Schwierigkeit
bei 10. Jeder erzielte Erfolg zersetzt 30 Kubikdezimeter an
Materie.
Qual: Monströse Dämonen beeinflussen mit dieser Be-
schwörung keine einzelnen Personen oder Gegenstände,
sondern alles, was sich in einem gewissen Umkreis um sie
herum befindet. Alles, was sich innerhalb eines Radius
aufhält, der dem Glaubewert des Charakters in Metern
entspricht, wird von dieser Variante der Beschwörung be-
troffen.
••• MEMENTO MORI
Diese Beschwörung fand während des Kriegs des Zorns
häufige Anwendung und wurde von vielen Schnittern dazu
eingesetzt, um den Geist ihrer Gegner mit Visionen über
deren bevorstehendes Ende zu füllen. Selbst kampferprob-
te, hartgesottene Engel standen diesen markerschüttern-
den Eingebungen hilflos gegenüber, so daß sie ihre Waffen
fortwarfen und vor dem unbarmherzigen Vorrücken der
Halaku die Flucht ergriffen.
System: Würfeln Sie Manipulation + Intuition. Das Opfer
setzt sich diesen Eingebungen in einer Handlung gegen
Widerstand, in der seine Willenskraft gegen den Beschwö-
rungswurf des Schnitters gewürfelt wird, zur Wehr. Die
Schwierigkeit des Willenskraftwurfs des Opfers entspricht
hierbei dem Glaubewert des Halaku. Geht der Schnitter
als Sieger aus diesem Wettstreit hervor, gibt das Opfer alle
Handlungen auf und ergreift die Flucht. Endet der Willens-
kraftwurf des Opfers in einem Patzer, so flieht es ebenfalls
und erleidet zusätzlich eine vorübergehende Geistesstö-
rung. Ihr Charakter kann mit dieser Beschwörung einzelne
Ziele innerhalb einer Reichweite beeinflussen, die seinem
Glaubewert in Metern entspricht. Eine Zielperson, die sich
in der Handlung gegen Widerstand gegen den Schnitter
durchsetzt, kann für die restliche Dauer der Szene durch
diese Beschwörung nicht erneut beeinflußt werden.
Qual: Ein monströser Dämon beeinflußt anstelle eines
bestimmten Ziels jedes Lebewesen um sich herum. Der
Wirkungskreis entspricht dem Glaubewert des Charakters
in Metern, wobei jedes potentielle Opfer sich wie oben
beschrieben in einer Handlung gegen Widerstand gegen
diese Effekte zur Wehr setzen kann.
•••• HAND DES SCHNITTERS
Die Berührung des Schnitters bringt den Tod. Indem er
eine Hand auf sein Opfer legt und seinen Willen wirken
läßt, kann ein Dämon dessen Seele von seinem Körper
trennen und es somit auf der Stelle töten. Diese Fähigkeit
kann auch auf Gefallene angewendet werden. In diesem
Fall führt die Beschwörung nicht augenblicklich den Tod
herbei, sondern löst eine Eiseskälte aus, die dem betroffe-
nen Dämon die Lebenskraft raubt.
System: Ihr Charakter muß das Opfer berühren, wenn er
diese Beschwörung wirken will. Setzen Sie einen Glaubens-
punkt ein und würfeln Sie Körperkraft + Magiegespür. Ver-
gleichen Sie die erzielten Erfolge mit der Widerstandsfähig-
keit Ihres Opfers. Überschreiten Ihre Erfolge diesen Wert,
wird das Opfer augenblicklich getötet. Liegt die Anzahl der
Erfolge unter dem Wert, verursacht jeder Erfolg eine Stu-
fe Schlagschaden, da die eisige Berührung des Schnitters
dem Opfer seine Lebenskraft entzieht. Setzt Ihr Charakter
diese Beschwörung gegen einen anderen Dämon ein und
übersteigt die Anzahl der erzielten Erfolge dessen Wert in
Widerstandsfähigkeit, verursacht jeder Erfolg eine Stufe
schwer heilbaren Schaden. Liegt die Anzahl der Erfolge
unterhalb des Widerstandsfähigkeitswerts des betreffenden
Dämons, handelt es sich bei dem verursachten Schaden um
Schlagschaden.
Qual: Monströse Dämonen müssen ihre Opfer nicht berüh-
ren, um diese Beschwörung zu wirken. Sie strahlen ihren
eisigen Haß in alle Richtungen aus und bringen die Her-
zen aller lebenden Wesen so zum Stillstand. Diese Effekte
wirken sich auf jedes Lebewesen aus, das sich in einem
Umkreis um den Schnitter aufhält, der dessen Glaubewert
in Metern entspricht.
••••• UNLEBEN
Diese mächtige Beschwörung ermöglicht es einem
Schnitter, einen Körper weiterleben zu lassen, auch wenn
diesem eine Seele und somit eigentlich der nötige Lebens-
funke fehlt. Auf diese Weise kann der Dämon eine untote
Kreatur erschaffen, die vollkommen unter seiner Kontrolle
steht.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Medizin. Eine untote Kreatur
besitzt bei ihrer Erschaffung lediglich einen Punkt in je-
dem körperlichen Attribut. Jeder zusätzlich erzielte Erfolg
kann dazu genutzt werden, einen dieser Werte um einen
Punkt zu steigern. Untote Kreaturen erleiden im Kampf
keinerlei Verwundungsabzüge und setzen immer ihren vol-
len Würfelvorrat ein. Um eine untote Kreatur zu zerstören,
225

müssen ihr ganze 10 Stufen Schaden zugefügt werden. Un-
tote Diener sind geistlose Automaten, die ausschließlich
dem Willen Ihres Dämons nach handeln. Jedesmal, wenn
Ihr Charakter einen seiner Schergen zu einer bestimmten
Handlung animieren will, müssen Sie einen erfolgreichen
Willenskraftwurf (Schwierigkeit 7) ablegen. Kontrolliert
Ihr Charakter mehr als nur eine Kreatur auf einmal, müs-
sen Sie seine Willenskraft unter diesen Untoten aufteilen.
Scheitert einer der Würfe, führt dies dazu, daß der Zombie
die Handlung, die er in der vorherigen Runde ausgeführt
hat, in der nächsten Runde wiederholt.
Alternativ hierzu kann Ihr Charakter seinem untoten
Diener eine Reihe von festgelegten Instruktionen ein-
programmieren. Für jeden Punkt, den er in Geistesschär-
fe besitzt, kann Ihr Charakter eine Handlung eingeben.
Diese Programmierung erfordert zudem den Einsatz ei-
nes temporären Willenskraftpunkts. Da diese Befehle auf
geistigem Wege übermittelt werden, ist es möglich, die
Anweisungen sehr genau festzulegen und somit beispiels-
weise komplexe Reiserouten und detaillierte körperliche
Handlungen zu programmieren. Sobald ein Scherge auf
diese Weise instruiert wurde, können ihm keine weiteren
Befehle mehr eingegeben werden. Setzt Ihr Charakter
seine Willenskraft ein, um einem untoten Schergen eine
Handlung aufzutragen, die außerhalb seiner programmier-
ten Instruktionen liegt, gehen die mühsam eingegebenen
Befehle verloren.
Ihr Charakter kann insgesamt so viele untote Schergen
erzeugen und kontrollieren, wie es sein Glaubewert vorgibt.
Die Körper, die er beeinflussen will, müssen sich innerhalb
eines Umkreises um ihn befinden, der seinem Glaubewert
in Metern entspricht. Die Effekte dieser Beschwörung hal-
ten für die Dauer einer Szene an. Durch Aufwendung eines
temporären Willenskraftpunkts für jeden untoten Scher-
gen, können die Effekte auch dauerhaft gemacht werden.
Ein permanent untoter Scherge existiert so lange, bis er
zerstört wird, und kann nach seiner Vernichtung nicht
erneut wiederbelebt werden.
Entkörperte Gefallene können einen untoten Körper in
Besitz nehmen, wenn der Charakter, der den Schergen kon-
trolliert, dies ausdrücklich zuläßt. Verzweifelte entkörperte
Gefallene können aber auch versuchen, die Kontrolle über
den Schergen mit Gewalt an sich zu reißen. Hierzu würfeln
sie in einer Handlung gegen Widerstand ihre Willenskraft
gegen die Willenskraft des Schnitters. Solange der Wirts-
körper nicht durch den Einsatz eines anderen Geheimnisses
verwandelt wird, bleibt er im Grunde ein Leichnam und
behält sein untotes Erscheinungsbild sowie einen unange-
nehmen Verwesungsgeruch bei. Auch seine körperlichen
Fähigkeiten unterliegen den mit dem Zustand des Untods
einhergehenden Beschränkungen.
Qual: Monströse Dämonen können nicht verhindern,
daß ihre eigene Pein die von ihnen erschaffenen Kreatu-
ren mit einem unnatürlichen Trieb zur Gewalt ausstattet.
Sie erwecken fleischfressende Monstren zum Leben, die
beständig unter Kontrolle gehalten werden müssen, da-
mit sie nicht jedes Lebewesen angreifen, das sich in ihrer
Reichweite befindet. Selbst ihr Schöpfer bleibt davon nicht
verschont. Wenn Kreaturen, die auf diese Weise beeinflußt
226
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
wurden, nicht mit einer Reihe genau festgelegter Instruk-
tionen versehen werden, verfallen sie in eine zerstörerische
Raserei, es sei denn, ihrem Schöpfer gelingt jede Runde ein
erfolgreicher Willenskraftwurf (Schwierigkeit 8). Dieser
Wurf wird zusätzlich zu den anderen Willenskraftwürfen
fällig, durch die die Handlungen der untoten Schergen von
Runde zu Runde festgelegt werden.
NAMTAR, DAS ANTLITZ DES TODES
Die Engel des Todes manifestieren sich als düstere Ge-
stalten, die in Ranken eines geisterhaften Nebels gehüllt
sind, die sich immerzu verändern und bewegen, um die
Gedanken des Namtar in einer höchst befremdlichen,
symbolischen Form widerzuspiegeln. Engel des Todes sind
von einer Grabesstille umgeben, und ihre Füße scheinen
den Boden niemals zu berühren. Ihre Haut ist so weiß wie
Alabaster, und über ihren Gesichtern scheinen ständig
Schatten zu liegen.
Das Antlitz des Todes verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Schwingen: Ein Paar Rabenschwingen wächst dem Cha-
rakter aus Schultern und Rücken. Die volle Spannweite
einer Schwinge ist um ein Drittel länger als der Charakter
groß ist. Der Charakter kann pro Runde dreimal so weit
gleiten, wie er sprinten könnte.
Verbesserte Initiative: Die Initiative des Charakters ver-
bessert sich um zwei.
Spurloses Wandeln: Die Schwierigkeit aller Heimlich-
keitswürfe des Charakters wird um zwei gesenkt, und
zudem hinterläßt er keinerlei Spuren in seiner Umgebung.
Weder bleiben Fußabdrücke zurück, noch werden Blätter
oder Zweige niedergedrückt oder abgeknickt.
Kein Spiegelbild: Das Abbild des Dämons ist in keinem
Spiegel zu sehen. Er kann auch nicht auf Photographien
oder sonstigen Filmaufnahmen festgehalten werden.
Qual: Durch ihre Qual pervertierte Namtar strahlen die
kalte Aura des Todes aus und entziehen damit jedem We-
sen, das sich in ihrer Nähe aufhält, die Lebensenergie.
Blüten verwelken, Kinderaugen werden glasig und alte
Menschen werden sich durch einen stechenden Schmerz
in ihrem Herzen ihrer Sterblichkeit bewußt.
Das Antlitz des Todes verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Schattenmantel: Dunkelheit umgibt den Dämon wie
ein Mantel, was es schon bei besten Lichtverhältnissen
schwierig macht, seine Umrisse zu erkennen, und ihn bei
Nacht so gut wie unsichtbar werden läßt. Die Schwierig-
keit aller Heimlichkeitswürfe wird um zwei verringert,
wann immer der Dämon im Schatten steht oder sich
durch die Dunkelheit bewegt. Wird der Charakter an-
gegriffen, gelten für den Angreifer die Regeln für blindes
Kämpfen. Nähere Informationen hierzu finden Sie auf
Seite 288 in Kapitel Neun.
Wiederkehr: Der Geist des Dämons klammert sich derart
hartnäckig an das Leben, daß sein Körper weit mehr aus-
hält, als es normalerweise möglich wäre. Wenn der Wirts-
körper des Charakters acht tödliche oder schwer heilbare
Schadensstufen erleidet, kann er sich durch einen erfolg-
reichen Willenskraftwurf weiter am Leben festhalten. Ist
KAPITEL SIEBEN
der Wurf erfolgreich, fällt der Charakter in ein Koma, das
bis zur nächsten Morgendämmerung anhält, woraufhin er
mit einer Gesundheitsstufe erwacht und einen temporä-
ren Glaubenspunkt verliert.
Aura des Verfalls: Pflanzen gehen in der Gegenwart des
Charakters ein und andere Lebewesen werden von einem
eisigen Frösteln erfaßt, das ihnen die Stärke und Ent-
schlußkraft raubt. Sterbliche sowie andere Dämonen, die
sich innerhalb eines Umkreises um den Namtar aufhalten,
der seinem Glaubewert in Metern entspricht, verlieren
einen Würfel aus allen Vorräten, sofern ihnen kein erfolg-
reicher Wurf auf Widerstandsfähigkeit (Schwierigkeit 6)
gelingt. Die Effekte dieser Fähigkeit halten für die Dauer
einer Szene an.
Schadensresistenz: Der Dämon ist in der Lage, Schaden
wegzustecken, der jeden normalen Menschen außer Ge-
fecht setzen würde. Der Charakter kann für die Dauer
einer Szene sämtliche Verwundungsabzüge ignorieren.
Verwundungsabzüge, die er sich in seiner apokalyptischen
Gestalt zugezogen hat, bleiben bestehen, sobald er sich
wieder in einen Menschen verwandelt.
GEHEIMNISSE DER GEISTER
• MIT TOTEN SPRECHEN
Durch diese Beschwörung kann ein Schnitter mit den
Seelen der Toten sprechen, die die stoffliche Welt oder
das Geisterreich durchstreifen. Auf diese Weise ange-
sprochene Geister sind dazu gezwungen, so ehrlich zu
antworten, wie es ihnen nur möglich ist.
System: Würfeln Sie Manipulation + Magiegespür. Der
angerufene Geist kann versuchen, dem Ruf in einer Hand-
lung gegen Widerstand zu widerstehen, in der er seine
Willenskraft (Schwierigkeit 9) gegen den Beschwörungs-
wurf des Schnitters würfelt. Ist die Beschwörung erfolg-
reich, muß der gerufene Geist die Fragen Ihres Charakters
wahrheitsgemäß beantworten. Ihr Charakter kann jeden
Geist mit dieser Beschwörung beeinflussen und zu sich
rufen, der seine Stimme hören kann. Die Effekte wirken
sich für eine Anzahl an Runden aus, die dem Glaubewert
Ihres Charakters entspricht.
Qual: Monströse Dämonen können diese Beschwörung
ebenfalls ausführen, doch die Geister, die sie kontaktie-
ren, werden durch ihre Pein verändert und reagieren auch
noch Tage danach feindselig auf jedes lebende Wesen.
Ruhelose Geister, die durch diese Variante der Beschwö-
rung beeinflußt werden, werden auf jedes Lebewesen, das
ihnen innerhalb einer Anzahl an Tagen begegnet, die dem
Qualwert des Dämons entspricht, feindselig reagieren,
sofern ihnen kein erfolgreicher Willenskraftwurf (Schwie-
rigkeit 9) gelingt.
•• TOTENBESCHWÖRUNG
Schnitter können mit dieser Beschwörung Geister zu
sich rufen, wobei sich ihr Einfluß auf ganze Häuserblocks
erstreckt. Auf diese Weise gerufene Geister müssen unge-
achtet ihrer eigenen Wünsche an die Seite des Dämons
eilen und bleiben so lange bei ihm, bis er sie wieder aus
seinen Diensten entläßt.
System: Würfeln Sie Manipulation + Führungsqualitä-
ten. Pro erzieltem Erfolg kann Ihr Charakter einen Geist
herbeirufen, solange sich überhaupt welche im Wirkungs-
bereich der Beschwörung aufhalten. Der Wirkungsbe-
reich beträgt für jeden Glaubenspunkt des Charakters
zehn Quadratmeter. Geister, die sich in diesem Gebiet
aufhalten, müssen sich ihm augenblicklich nähern. Sie
bleiben so lange in seiner Gegenwart, bis die Effekte der
Beschwörung abebben oder der Dämon sie wieder aus
seinen Diensten entläßt. Die Effekte halten für die Dauer
einer Szene an. Es liegt im Ermessen des Erzählers, ob
ein besonders mächtiger oder willensstarker Geist dazu
fähig sein könnte, die Kontrolle durch den Dämon in
einer Handlung gegen Widerstand abzuschütteln, in der
der Geist seine Willenskraft (die Schwierigkeit entspricht
dem Qualwert Ihres Charakters) gegen den Beschwö-
rungswurf des Schnitters würfelt.
Qual: Monströse Dämonen können zwar ebenfalls Geister
beschwören, doch ihre Pein sorgt dafür, daß die beschwo-
renen Geister äußerst feindselig auf alle lebenden Wesen
reagieren. Für eine Anzahl an Tagen, die dem Qualwert
des Schnitters entspricht, werden die Geister versuchen,
den Lebenden, denen sie begegnen, irgendwie zu schaden,
sofern ihnen kein erfolgreicher Willenskraftwurf (Schwie-
rigkeit 9) gelingt.
••• HERRSCHAFT ÜBER DIE TOTEN
Wenn sich der Wille eines Schnitters als dem eines be-
schworenen Geistes überlegen erweist, kann der Dämon
den Todesalb dazu zwingen, all seinen Befehlen Folge zu
leisten und jede Handlung durchzuführen, die er von ihm
verlangt.
System: Würfeln Sie Manipulation + Führungsqualitäten.
Ihr Charakter kann einen beliebigen Geist kontrollieren, der
seine Stimme hören kann. Der Geist kann natürlich versu-
chen, sich der Kontrolle zu widersetzen. Hierzu würfelt er
in einer Handlung gegen Widerstand seine Willenskraft
(Schwierigkeit 8) gegen den Beschwörungswurf des Schnit-
ters. Sollte der Geist diesen Wettstreit nicht gewinnen,
muß er sich dem Befehl Ihres Charakters beugen und ihn
nach bestem Wissen und Gewissen ausführen. Die Effekte
dieser Beschwörung halten für eine Anzahl an Runden an,
die dem Glaubewert Ihres Charakters entspricht.
Qual: Ein monströser Dämon kann ebenfalls Geister be-
herrschen, doch die von ihm beherrschten Geister wer-
den durch seine Pein von Grund auf verändert. Auf die-
se Weise beeinflußte Geister werden zu wahnsinnigen,
gewalttätigen Wesenheiten, die jedes lebende Geschöpf
bei erstbester Gelegenheit angreifen. Sobald die Auswir-
kungen der Effekte abebben, führt der Erzähler einen
Willenskraftwurf (Schwierigkeit 8) für den betroffenen
Geist durch. Dabei müssen mehr Erfolge erzielt werden,
als die Anzahl der Runden betrug, die der Geist unter der
Kontrolle des Dämons stand. Scheitert dieser Wurf, wird
der Geist gegenüber lebenden Wesen bösartig und ge-
walttätig. Dieser veränderte Gemütszustand hält so viele
Tage an, wie es der Qualwert des Dämons vorgibt. Endet
der Wurf in einem Patzer, ist diese Veränderung jedoch
permanent.
227

•••• SEELENANKER
Diese mächtige Beschwörung erlaubt es einem Schnit-
ter, die entkörperte Seele eines Menschen (oder eines Dä-
mons), in einem stofflichen Objekt zu verankern und damit
eine Art besessenen Gegenstand zu erschaffen, der den
Geist in der stofflichen Welt festhält. In den finstersten
Tagen des Kriegs des Zorns nutzten die Schnitter diese
Beschwörung dazu, die Seelen von Sterblichen und Engeln
in Gegenständen zu verankern, aus denen die Annunaki
anschließend mächtige Waffen und Werkzeuge fertigten.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandskraft + Magiegespür. Die Schwierigkeit
des Wurfs hängt von dem Gegenstand ab, der dem Geist
als Anker dienen soll. Der beste Anker ist ein Gegenstand,
der der Seele zu Lebzeiten viel bedeutet hat (Schwierigkeit
6), wohingegen Objekte, denen die Seele eher gleichgültig
gegenübersteht, je nach ihrer Beschaffenheit eine größere
Herausforderung für den Schnitter darstellen können. Aus
Kristallen, Edelsteinen oder Edelmetallen gefertigte Gegen-
stände sind für die Verankerung eher förderlich (Schwie-
rigkeit 7), während Objekte aus anderen natürlichen
Werkstoffen wie etwa Holz, Glas oder Knochen weniger
gut geeignet sind (Schwierigkeit 8). Gegenstände, die aus
rein künstlich geschaffenen Materialien wie beispielsweise
Plastik bestehen, oder komplexe Maschinen und High-
techgeräte wie Computer sind als Anker dagegen äußert
schwierig zu handhaben (Schwierigkeit 9). Um einen Geist
beeinflussen zu können, muß sich der Dämon innerhalb
einer Reichweite zu ihm befinden, die dem Glaubewert
Ihres Charakters in Metern entspricht. Außerdem muß er
das Gefäß in Händen halten, in das der Geist verankert
werden soll. Der Geist kann sich gegen seine Gefangennah-
me wehren, indem er in einer Handlung gegen Widerstand
seine Willenskraft (Schwierigkeit 8) gegen den Beschwö-
rungswurf würfelt. Geht der Schnitter als Sieger aus diesem
Wettstreit hervor, wird der Geist im Anker gefangen und
kann nicht mehr mit der Außenwelt interagieren, sofern
das Gefäß nicht entsprechend auf ihn eingestimmt wurde
(nähere Informationen hierzu finden Sie unter den Ge-
heimnissen der Esse auf Seite 245).
Dämonen, die in ein auf sie eingestimmtes Gefäß ver-
ankert werden, können auch weiterhin ihre arteigenen
Kräfte und ihre Geheimnisse einsetzen, sofern sie über die
dafür nötige Anzahl an Glaubenspunkten verfügen. (Alle
Pakte, die bis dahin mit sterblichen Sklaven eingegangen
wurden, bleiben bestehen). Diese Beschwörung hält für
eine Anzahl an Tagen an, die dem Glaubewert Ihres Cha-
rakters entspricht. Durch Einsatz eines temporären Wil-
lenskraftpunkts können ihre Effekte jedoch auch dauerhaft
gemacht werden. Sobald ein Anker zerstört wird, ist der
darin gefangene Geist augenblicklich wieder frei. Befreite
sterbliche Seelen verschwinden für immer oder werden zu
ruhelosen Geistern, die bestimmte Orte heimsuchen. Der
Erzähler entscheidet, ob eine befreite Seele zu einem ruhe-
losen Geist wird oder nicht. Befreite Dämonen müssen sich
dem Sog des Abgrunds widersetzen und versuchen, einen
anderen Wirtskörper oder stofflichen Anker zu finden,
bevor sie zurück in den Höllenschlund gezogen werden
228
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
(nähere Details hierzu finden Sie auf Seite 312 in Kapitel
Neun).
Qual: Monströse Dämonen binden Geister nicht nur in
einen Anker, sondern hüllen sie zudem in einen Schleier
alles erstickender Finsternis ein, wodurch sie den Seelen
die geringste aller möglichen Vorstellungen der von ihnen
im Abgrund erlittenen Höllenqualen vermitteln. Derart
eingekerkerte Seelen werden durch ihre Pein in solche
Raserei versetzt, daß ihre Verzweiflung in die stoffliche
Welt durchsickert und ihre Anker eine Aura des Unglücks
ausstrahlen. Bei den Individuen, die einen solchen Anker
berühren oder bei sich tragen, werden die bei allen Würfen
erzielten Erfolge durch im selben Wurf gewürfelte Einsen
und Zweien negiert.
••••• WIEDERAUFERSTEHUNG
Durch diese Beschwörung kann ein Schnitter einen Geist
in einem Körper verankern, in dem zur Zeit keine andere
Seele ruht, was es dem Geist zumindest vorübergehend
erlaubt, wieder in das Reich der Lebenden zurückkehren.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Magiegespür. Die Seele, die Ihr
Charakter beeinflussen will, muß sich in seiner unmittel-
baren Umgebung aufhalten, und zudem muß der Schnitter
den Körper berühren können, in dem er die Seele veran-
kern will. Der entsprechende Körper darf nur kurze Zeit tot
sein (48 Stunden wären ein gutes Beispiel für die seit dem
Ableben verstrichene Zeit). Ist der Wurf erfolgreich, wird
die Seele in dem Körper verankert, alle bestehenden Wun-
den geheilt und der Geist zurück ins Reich der Lebenden
gerufen. Die neue Person besitzt dieselben körperlichen
Attribute, die der Körper in seinem vormaligen Leben be-
saß, während die gesellschaftlichen und geistigen Attribute
denen der neuen Seele entsprechen. Die Effekte dieser Be-
schwörung halten so viele Tage an, wie es der Glaubewert
Ihres Charakters vorgibt. Sie können aber auch durch die
Aufwendung eines permanenten Willenskraftpunkts dauer-
haft gemacht werden.
Die Seelen von Dämonen, denen der Wirtskörper ab-
handen gekommen ist, können durch diese Beschwörung
in neuen Körpern verankert werden.
Qual: Monströse Dämonen, die diese Beschwörung ein-
setzen, übertragen unweigerlich den Makel ihrer eigenen
Qual auf den verankerten Geist und machen ihn zu einem
Wesen, das von unvorstellbar großem Haß und Leid erfüllt
ist. Nach der Wiederauferstehung muß der Erzähler einen
Willenskraftwurf für die ins Leben zurückgerufene Seele
ausführen, dessen Schwierigkeit dem Qualwert des Schnit-
ters entspricht. Ist der Wurf erfolgreich, erleidet die Person
lediglich eine vorübergehende Geistesstörung. Scheitert
der Wurf, wirkt sich die Geistesstörung permanent aus. Bei
einem Patzer wird die wiederauferstandene Person zu einem
rasenden Monster, das jedes Lebewesen um sich herum
angreift, bis es zerstört wird.
Wenn ein entkörperter Dämon auf diese Weise in einem
neuen Wirtskörper verankert wird, muß auch für ihn ein
Willenskraftwurf durchgeführt werden. Ist der Wurf erfolg-
reich, ist der neue Qualwert des Dämons um einen Punkt
niedriger als der des Gefallenen, der ihn in seinem neuen
KAPITEL SIEBEN
Körper verankert hat. Scheitert der Wurf, entspricht sein
neuer Qualwert dem des Charakters, der die Beschwörung
ausgeführt hat. Sollte der Willenskraftwurf in einem Pat-
zer enden, liegt der neue Qualwert des Dämons um einen
Punkt höher als der des Beschwörers.
NERGAL, DAS ANTLITZ DER GEISTER
Die Engel der Geisterwelt erscheinen als bleiche, ruhige
Gestalten, die an die Darstellungen menschlicher Heiliger
erinnern. Sie sind wunderschön, totenstill und unnahbar.
Wie auch alle anderen Mitglieder ihres Hauses bewegen
sich die Nergal in vollkommen geräuschloser Anmut. Sie
scheinen förmlich über den Boden dahinzugleiten. Nur
ihre Augen, in denen merkwürdige Muster in Grau- und
Schwarztönen wirbeln, deuten an den Nergal auf die kalte
und freudlose Welt des Jenseits hin.
Das Antlitz der Geister verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Geistersicht: Der Engel kann die Geister der Toten se-
hen, die sich in der Welt der Sterblichen aufhalten. Diese
Fähigkeit funktioniert vollkommen unabhängig davon, ob
ein Geist sich zeigen will oder nicht. Hierzu muß lediglich
ein erfolgreicher Wahrnehmungswurf (Schwierigkeit 6)
durchgeführt werden.
Verbesserte gesellschaftliche Eigenschaften: Die gesam-
te Erscheinung des Engels, die an einen Heiligen erinnert,
bringt dem Charakter die folgenden Bonuseigenschaften
ein: +2 Charisma, +1 Manipulation, +1 Erscheinungs-
bild.
Spurloses Wandeln: Die Schwierigkeit aller Heimlich-
keitswürfe des Charakters wird um zwei gesenkt, und
zudem hinterläßt er keinerlei Spuren in seiner Umgebung.
Weder bleiben Fußabdrücke zurück, noch werden Blätter
oder Zweige niedergedrückt oder abgeknickt.
Schwingen: Ein Paar Rabenschwingen wächst dem Cha-
rakter aus Schultern und Rücken. Die volle Spannweite
einer Schwinge ist um ein Drittel länger als der Charakter
groß ist. Der Charakter kann pro Runde dreimal so weit
gleiten, wie er sprinten könnte.
Qual: Durch ihre Qual pervertierte Nergal sind mit dem
Blut der Toten besudelt. Ihre alabasterbleiche Haut ist mit
roten und schwarzen Schlieren verschmiert. Ihre Augen
sehen aus wie zwei runde Klumpen geronnenen Bluts, und
wenn sie sprechen, heulen ihre Stimmen wie die Geister
der Verdammten.
Das Antlitz der Geister verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Schattenmantel: Dunkelheit umgibt den Dämon wie
ein Mantel, was es schon bei besten Lichtverhältnissen
schwierig macht, seine Umrisse zu erkennen, und ihn bei
Nacht so gut wie unsichtbar werden läßt. Die Schwierig-
keit aller Heimlichkeitswürfe wird um zwei verringert,
wann immer der Dämon im Schatten steht oder sich
durch die Dunkelheit bewegt. Wird der Charakter an-
gegriffen, gelten für den Angreifer die Regeln für blindes
Kämpfen. Nähere Informationen hierzu finden Sie auf
Seite 288 in Kapitel Neun.
Heulen der Verdammten: Die Schwierigkeit aller Würfe
auf Einschüchtern wird um zwei gesenkt.
Aura des Schreckens: Den Dämon umgibt eine Aura der
Furcht, die den Willen seiner Feinde bricht. Alle Ziele,
die sich innerhalb eines Umkreises um den Nergal herum
aufhalten, der seinem Glaubewert in Metern entspricht,
verlieren ihre normale Initiative, bis ihnen ein erfolgrei-
cher Willenskraftwurf gelingt. Die Schwierigkeit dieses
Wurfs entspricht dem Qualwert des Charakters. Alle Op-
fer, bei denen die Aura Wirkung zeigt, dürfen nur noch
als letzte in einer Runde handeln. Solange sich die be-
troffene Person in der Nähe der apokalyptischen Gestalt
des Charakters aufhält, muß sie den Willenskraftwurf in
jeder weiteren Runde erneut ausführen. Sobald der Wurf
erfolgreich ist, gewinnt das Opfer seinen normalen Initia-
tivewert zurück.
Schadensresistenz: Der Dämon ist in der Lage, Schaden
wegzustecken, der jeden normalen Menschen außer Ge-
fecht setzen würde. Der Charakter kann für die Dauer einer
Szene sämtliche Verwundungsabzüge ignorieren. Verwun-
dungsabzüge, die er sich in seiner apokalyptischen Gestalt
zugezogen hat, bleiben bestehen, sobald er sich wieder in
einen Menschen verwandelt.
GEHEIMNISSE DES JENSEITS
• GRENZGESPÜR
Ein Schnitter kann mit Hilfe dieser Beschwörung spüren,
wie stark die Barriere ist, die das Jenseits von der stofflichen
Welt trennt. Dies wirkt sich auf einen Bereich aus, der ei-
nen ganzen Häuserblock abdecken kann. Auf diese Weise
kann der Dämon die Stellen bestimmen, an denen die Bar-
riere besonders undurchlässig oder durchlässig ist.
System: Würfeln Sie Wahrnehmung + Magiegespür. Ist der
Wurf erfolgreich, kann Ihr Charakter jede Stelle erspüren,
an der die Barriere zwischen den Welten besonders stark
oder schwach ausgeprägt ist. Als Faustregel können Sie
davon ausgehen, daß die Barriere dort am stärksten ist, wo
der Einfluß des menschlichen Glaubens am schwächsten
ist. Somit ist beispielsweise ein wissenschaftliches Labor,
in dem kalter Intellekt über Intuition regiert, mit einer
starken Barriere versehen, während ein Friedhof oder eine
Kirche eine schwächere Barriere aufweist. Ihr Charakter
kann mit dieser Beschwörung ein Gebiet abdecken, dessen
Fläche dem Zehnfachen seines Glaubewerts in Quadrat-
metern entspricht.
Qual: Ein monströser Dämon kann nur Bereiche erspüren,
in denen die Barriere besonders schwach ist. Er fühlt sich
von ihnen angezogen, da er durch sie den Geistersturm
spüren kann, der auf der anderen Seite tobt.
•• SCHRITT INS JENSEITS
Mit dieser Beschwörung ist ein Schnitter in der Lage, die
Barriere zwischen den Welten zu durchschreiten und in das
Reich der Toten zu gelangen, das ein lebloses Spiegelbild
der stofflichen Welt ist. Auf diese Weise kann ein Dämon in
Windeseile gewaltige Strecken zurücklegen und an seinem
Zielort in die stoffliche Welt zurückkehren.
System: Würfeln Sie Geschick + Magiegespür. Die Schwie-
rigkeit des Wurfs hängt von der Stärke der Barriere an dem
Ort ab, an dem der Schnitter ins Jenseits treten will. Tut
229

er dies an einem Ort mit einer schwachen Barriere (bei-
spielsweise einem Friedhof oder einer Kirche), beträgt die
Schwierigkeit 6. In einem alten Haus oder einer alten Woh-
nung, in der bereits Generationen von Menschen gelebt
haben, ins Jenseits zu treten, entspricht einer Schwierigkeit
von 7. Für den Schritt ins Jenseits von einem Einkaufszen-
trum aus liegt die Schwierigkeit bei 8. Hat Ihr Charakter
erst einmal die Barriere überwunden, kann er im Reich
der Toten in Windeseile über die leblose Landschaft flie-
gen. Würfeln Sie Geschick + Sportlichkeit (Schwierigkeit
8). Für jeden erwürfelten Erfolg kann sich der Schnitter
in einer Runde 1,5 Kilometer weit fortbewegen. Straßen
und Gebäude sind für ihn auf dieser Seite der Barriere
genauso real wie in der stofflichen Welt, weshalb er Hin-
dernissen genauso ausweichen und auf dieselbe Weise zu
seinem Zielort finden muß, wie er es auf der anderen Seite
tun würde. Hat er sein Ziel erreicht, kann Ihr Charakter
automatisch in die Welt der Lebenden zurückkehren und
erscheint dort wie aus dem Nichts. Im Jenseits werden alle
normalen Handlungen auf dieselbe Weise ausgeführt, wie
sie im Reich der Lebenden ausgeführt werden würden, aber
der Sturm, der im Geisterreich tobt, führt dazu, daß die
Schwierigkeit aller anfallenden Würfe immer mindestens 8
beträgt. Zusätzlich verliert Ihr Charakter jedesmal, wenn er
einen Patzer würfelt, einen temporären Willenskraftpunkt.
Hat er alle Willenskraftpunkte verloren, wird er aus seinem
Wirtskörper gerissen und muß dem Sog des Abgrunds wi-
derstehen, während er sich auf die Suche nach einem neu-
en Wirtskörper macht (mehr Informationen hierzu finden
Sie auf Seite 312 in Kapitel Neun). Der ehemalige Wirts-
körper des Schnitters kehrt augenblicklich in die stoffliche
Welt zurück.
Ihr Charakter kann beim Durchdringen der Barriere in
beiden Richtungen keine anderen Personen mitnehmen.
Trifft er in dieser Existenzebene auf Geister, kann er mit
ihnen reden und interagieren, als würde es sich um normale
Personen in der Welt der Sterblichen handeln. Jeder Geist
hat seine eigene Persönlichkeit und verfolgt eigene Ziele.
Er kann sehr gewillt oder höchst ungewillt sein, sich mit
Besuchern zu befassen. Dämonen können allerdings die
Geheimnisse der Geister einsetzen, um die Bewohner des
Totenreichs fügsamer zu machen.
Qual: Monströse Dämonen, die ins Jenseits treten, erschaf-
fen dadurch einen „Riß“ in der Barriere, durch den ruhe-
lose Geister in die Welt der Sterblichen gelangen können.
Dies führt zu vorübergehenden, aber ungemein heftig aus-
fallenden Spukerscheinungen und Poltergeistaktivitäten.
Der Riß bleibt für eine Anzahl an Tagen bestehen, die dem
Qualwert des Dämons entspricht.
••• GEISTERWANDEL
Durch diese Beschwörung kann ein Dämon gleichzeitig
in der stofflichen Welt und dem Reich der Toten existieren.
Dadurch ist er in der Lage, zur gleichen Zeit mit Sterbli-
chen und Geistern zu interagieren und in beiden Ebenen
der Wirklichkeit feste Gegenstände zu durchdringen, ohne
dabei Schaden zu erleiden.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Magiegespür.
Die Schwierigkeit des Wurfs hängt von der Stärke der Bar-
230
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
riere an dem Ort ab, an dem der Schnitter die Beschwörung
durchführen will. Tut er dies an einem Ort mit einer schwa-
chen Barriere (beispielsweise einem Friedhof oder einer
Kirche), beträgt die Schwierigkeit 6. In einem alten Haus
oder einer alten Wohnung, in der bereits Generationen von
Menschen gelebt haben, beträgt die Schwierigkeit 7. Für
den Geisterwandel von einem Einkaufszentrum aus liegt
die Schwierigkeit bei 8.
Ist der Wurf erfolgreich, wird Ihr Charakter zu einer
durchscheinenden, körperlosen Gestalt, die von Geschöp-
fen auf beiden Seiten der Barriere gesehen werden kann.
Ihr Charakter ist ebenfalls in der Lage, alle Geschöpfe auf
beiden Existenzebenen wahrzunehmen. Gegenstände aus
beiden Reichen fahren harmlos durch ihn hindurch. Mit
einem erfolgreichen Willenskraftwurf (Schwierigkeit 8)
kann der Schnitter allerdings eine Runde lang mit einem
der beiden Reiche wie gewohnt interagieren. Er kann in
dem Reich, für das er sich entschieden hat, Unterhaltun-
gen führen, Gegenstände berühren und einsetzen sowie
angreifen oder angegriffen werden, als würde er in dieser
Ebene der Wirklichkeit einen festen Körper besitzen. Der
Glaubewert Ihres Charakters gibt an, wie viele Runden die
Effekte dieser Beschwörung anhalten. Ihr Charakter kann
keine anderen Personen mit sich in den „Grenzbereich“
zwischen den Welten nehmen.
System: Setzt ein monströser Dämon diese Beschwörung
ein, reißt er ein Loch in die Barriere zwischen den Welten,
durch das die Energien des Geistersturms in die stoffliche
Welt eindringen können. Dadurch manifestieren sich um
ihn herum unberechenbare Geistererscheinungen und Pol-
tergeisteffekte.
•••• GRIFF INS JENSEITS
Mit Hilfe dieser Beschwörung kann ein Schnitter mit
derselben Selbstverständlichkeit in das Reich der Toten
blicken und etwas von dort in die stoffliche Welt holen,
wie ein Sterblicher in einen Schrank greifen würde, um ein
Buch oder eine Tasse herauszunehmen. Der Schnitter kann
nach Belieben Gegenstände von einer Welt in die andere
transportieren. Während des Kriegs des Zorns fand diese
Beschwörung häufige Anwendung, um mächtige Waffen
oder andere Werkzeuge vor den Feinden der Schnitter im
Jenseits zu verstecken. Viele dieser Gegenstände warten
bis heute darauf, wieder aus dem Geisterreich zurück in die
Welt der Sterblichen geholt zu werden.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Geschick + Magiegespür. Die Schwierigkeit des Wurfs
hängt von der Stärke der Barriere an dem Ort ab, an dem
der Schnitter die Beschwörung durchführen will. Tut er dies
an einem Ort mit einer schwachen Barriere (beispielsweise
einem Friedhof oder einer Kirche), beträgt die Schwierig-
keit 6. In einem alten Haus oder einer alten Wohnung,
in der bereits Generationen von Menschen gelebt haben,
beträgt die Schwierigkeit 7. Für den Griff ins Jenseits von
einem Einkaufszentrum aus liegt die Schwierigkeit bei 8.
Ist der Wurf erfolgreich, kann Ihr Charakter durch die
Barriere zwischen den Welten „schauen“ und durch sie
hindurch greifen. Seine Hand und sein Arm verschwinden
daraufhin buchstäblich vor den Augen eines jeden Sterb-
KAPITEL SIEBEN

lichen, bis er sie wieder aus der Geisterwelt herauszieht.

Ihr Charakter kann nun jeden Gegenstand, den er ohne
größere Anstrengung anheben kann, von der einen in die
andere Existenzebene holen. Sterbliche oder Dämonen
können durch den Einsatz dieser Beschwörung nicht durch
die Barriere zwischen den Welten befördert werden. Aller-
dings können Gegenstände aus dem Reich der Toten in
die Welt der Lebenden gebracht werden, um sie vor dem
Zugriff durch die Bewohner des Geisterreichs zu schützen.
(Dies könnte andererseits natürlich dazu führen, daß Ge-
genstände aus der Geisterwelt zufällig von Bewohnern der
stofflichen Welt gefunden werden.)
Qual: Ein monströser Dämon riskiert beim Anwenden
dieser Beschwörung das Auftreten surrealer und beäng-
stigender Nebeneffekte, die durch den Geistersturm in
die Welt der Lebenden getragen werden. Gelingt der Be-
schwörungswurf, muß der Erzähler einen Willenskraftwurf
für den Schnitter ausführen, dessen Schwierigkeit dem
Qualwert des Dämons entspricht. Scheitert dieser Wurf,
wehen heftige Böen des Geistersturms durch die Barriere,
die für alle Personen, die sich in der Nähe aufhalten, deut-
lich zu sehen sind. Sterbliche Augenzeugen dieses Effekts
müssen daraufhin einen Willenskraftwurf (Schwierigkeit
8) machen. Scheitert dieser Wurf, werden sie von Grauen
gepackt und ergreifen die Flucht. Bei einem Patzer erlei-
det das entsprechende Opfer zudem eine vorübergehende
Geistesstörung.

••••• TOR INS JENSEITS

Mit dieser Beschwörung kann ein Schnitter für kurze Zeit
ein Tor zwischen der Geisterwelt und der Welt der Sterb-
lichen erschaffen und somit anderen Dämonen erlauben,
in das Reich der Toten zu gelangen, wenn er ihnen dies
gestattet.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Magiegespür aus. Die Schwie-
rigkeit des Wurfs hängt von der Stärke der Barriere an dem
Ort ab, an dem der Schnitter die Beschwörung durchfüh-
ren will. Tut er dies an einem Ort mit einer schwachen
Barriere (beispielsweise einem Friedhof oder einer Kirche),
beträgt die Schwierigkeit 6. In einem alten Haus oder einer
alten Wohnung, in der bereits Generationen von Menschen
gelebt haben, beträgt die Schwierigkeit 7. Für ein Tor ins
Jenseits von einem Einkaufszentrum aus liegt die Schwie-
rigkeit bei 8.
Ist der Wurf erfolgreich, erschafft Ihr Schnitter ein Por-
tal, durch das andere Dämonen ins Jenseits gelangen kön-
nen, um dort mit den Geistern der Toten interagieren und
deren Reich bereisen zu können. Zusätzlich zu Ihnen selbst
können so viele Dämonen durch das Tor treten, wie Sie
Erfolge bei der Beschwörungsprobe gewürfelt haben. Skla-
ven und andere Sterbliche können ein solches Portal nicht
passieren. Gefallene, die nicht dem Haus der Halaku ange-
hören, haben einen erheblichen Nachteil bei der Nutzung
dieses Tors. Sie sind gegenüber den potentiell verheerenden
Auswirkungen des Mahlstroms um einiges anfälliger als die
Engel des Siebten Hauses. Darüber hinaus sind sie nicht
in der Lage, das Reich der Toten ähnlich schnell wie die
Schnitter zu bereisen. Ein Dämon, der nicht dem Siebten

231

Haus angehört, kann die Strecke zwischen zwei Orten im
Geisterreich nur in demselben Tempo überbrücken, das ihm
in der Welt der Lebenden möglich wäre. Die Würfelvorräte
all seiner Handlungen werden aufgrund seiner mangeln-
den Erfahrung mit der Geisterwelt halbiert (abgerundet).
Zusätzlich verliert ein solcher Gefallener jeden Tag, den
er sich in im Reich der Toten aufhält, einen temporären
Willenskraftpunkt. Sobald seine Willenskraft auf null ge-
sunken ist, verfällt er in eine Art Katatonie und verliert
daraufhin an jedem weiteren Tag in der Geisterwelt einen
Punkt seiner Widerstandsfähigkeit. Ist auch dieser Wert
auf null gesunken, stirbt der Wirtskörper des betroffenen
Dämons, woraufhin sein Geist zurück in den Abgrund ge-
zogen wird. Das Tor, das mit dieser Beschwörung erschaffen
wird, bleibt nur für eine Runde bestehen und ist ein reiner
Zugang ins Reich der Toten hinein, der nur einmal benutzt
werden kann. Auch Geister aus dem Jenseits können das
Tor normalerweise nicht dazu nutzen, um in die Welt der
Sterblichen zu gelangen.
Qual: Wenden monströse Dämonen diese Beschwörung
an, toben die Auswirkungen des Geistersturms in der un-
mittelbaren Umgebung des Tors auch in der stofflichen
Welt. Dies zieht Geister an und erzeugt grauenvolle Er-
scheinungen, die für so viele Tage anhalten, wie es der
Qualwert des Dämons vorgibt.
ERESHKIGAL, DAS ANTLITZ DES JENSEITS
Die Engel der Zweiten Welt manifestieren sich als sche-
menhafte Gestalten, deren Züge in undurchdringlicher
Dunkelheit verborgen bleiben. Ihre Hände sind weiß und
knochig wie die eines Skeletts, und sie bewegen sich mit
vollkommen lautloser Eleganz. Die Luft um sie herum
scheint sich um ihre Körper zu winden wie eine nacht-
schwarze Robe, was ihnen das Aussehen jener Fährmänner
verleiht, die in den Mythen der Menschen die Seelen der
Verstorbenen ins Jenseits übersetzen.
Das Antlitz des Jenseits verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Perfekte Orientierung: Der Charakter weiß immer genau,
wo er sich in Relation zu ihm bekannten Orientierungs-
punkten aufhält, ganz gleich, wie weit diese Orientierungs-
punkte auch entfernt sein mögen. Solange er nicht zum
Opfer von Beschwörungen wird, die den Orientierungssinn
verwirren (wie etwa Weg verändern), verliert er nie sein
Gespür für die Himmelsrichtungen.
Spurloses Wandeln: Die Schwierigkeit aller Heimlich-
keitswürfe des Charakters wird um zwei gesenkt, und zu-
dem hinterläßt er keinerlei Spuren in seiner Umgebung.
Weder bleiben Fußabdrücke zurück, noch werden Blätter
oder Zweige niedergedrückt oder abgeknickt.
Verbessertes Magiegespür: Der Gefallene reagiert beson-
ders sensibel auf Veränderungen im Gefüge der Wirklich-
keit. Dadurch wird die Schwierigkeit aller Magiegespürwür-
fe um zwei gesenkt.
Erschaffung aus dem Nichts: Der Charakter ist zu über-
menschlich schnellen Fingerbewegungen in der Lage und
kann Objekte scheinbar aus dem Nichts herbeizaubern,
nur um sie mit einem Zucken des Handgelenks wieder
verschwinden zu lassen. Gelingt ihm ein erfolgreicher Wurf
232
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
auf Geschick + Sportlichkeit, kann er ein Objekt aus einer
Tasche ziehen oder auch darin verbergen, ohne bemerkt
zu werden.
Qual: Engel des Jenseits, die sich ihrer dämonischen Natur
hingeben, sind wandelnde Tore ins Reich der Toten. Sie
werden von einer Aura des Verlusts und der Verzweiflung
umgeben, die jeden Sterblichen erschaudern läßt. Ihre
Grabesstimmen sind düster und kalt. Selbst das Herz des
tapfersten Wesens setzt einen Schlag aus, wenn einer dieser
Ereshkigal seinen starren Blick auf es richtet.
Das Antlitz des Jenseits verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Schattenmantel: Dunkelheit umgibt den Dämon wie ein
Mantel, was es schon bei besten Lichtverhältnissen schwie-
rig macht, seine Umrisse zu erkennen, und ihn bei Nacht
so gut wie unsichtbar werden läßt. Die Schwierigkeit aller
Heimlichkeitswürfe wird um zwei verringert, wann immer
der Dämon im Schatten steht oder sich durch die Dunkel-
heit bewegt. Wird der Charakter angegriffen, gelten für den
Angreifer die Regeln für blindes Kämpfen. Nähere Infor-
mationen hierzu finden Sie auf Seite 288 in Kapitel Neun.
Unermüdlichkeit: Der Dämon kann theoretisch unend-
lich lange gehen oder rennen, ohne je rasten zu müssen.
Dadurch kann er Strecken zurücklegen, die für einen Men-
schen in derselben Zeitspanne unmöglich zu bewältigen
wären. Solange er in Bewegung bleibt, bleibt der Dämon
von Hunger oder Ermüdungserscheinungen unangetastet.
Grabesstimme: Die Schwierigkeit aller Würfe auf Ein-
schüchtern wird um zwei gesenkt.
Böser Blick: Individuen (sowohl Sterbliche als auch Dä-
monen), die dem Blick des Charakters begegnen und denen
ein Willenskraftwurf (Schwierigkeit 7) mißlingt, verlieren
für den Rest der Runde sämtliche Handlungen.
(NAMARU)
Die Aufgabe der Herolde war es, das Licht des Himmels
in jeden Winkel der Schöpfung zu tragen und die Anstren-
gungen der gesamten Himmlischen Heerscharen zu koordi-
nieren, um den Großen Plan des Allmächtigen umzusetzen.
Im Mittelpunkt ihrer Pflichten standen die Geheimnisse
der Himmlischen, in denen das Wissen darüber verborgen
lag, wie man den Willen Gottes (und später den Glauben
der Sterblichen) so bündelte, daß es möglich war, den Auf-
enthaltsort anderer Himmlischer zu bestimmen, sie über
bestimmte Dinge in Kenntnis zu setzen und sie in ihren
Bemühungen zu unterstützen. Nicht weniger wichtig waren
die Geheimnisse der Flammen, die den Herolden die Herr-
schaft über das urtümliche, läuternde Feuer der Schöpfung
brachten und ihnen eine furchtbare Waffe an die Hand
gaben, die sie gegen ihre Feinde einsetzen konnten. Die
KAPITEL SIEBEN
Geheimnisse des Glanzes, mit denen man andere beflügeln
und anführen kann, waren keine Gabe, die der Schöp-
fer den Herolden hatte zuteil werden lassen. Das Wissen
um diese Geheimnisse erlangten die Teufel erst während
der Zeit des Zorns, als diese edlen Führer und Recken die
Macht, über die sterblichen Verbündeten der Gefallenen zu
gebieten und sie zu immer neuen Höchstleistungen anzu-
spornen, zu einer Kunstform erhoben.
GEHEIMNISSE DER HIMMLISCHEN
• LICHT DES GLAUBENS
Diese Beschwörung erlaubt es einem Teufel, die Anwe-
senheit eines Sterblichen oder eines anderen Dämons in
seiner unmittelbaren Umgebung zu spüren, indem er des-
sen Glaubensvorrat wie ein Leuchtfeuer, das nur der Teufel
zu sehen vermag, aufflackern läßt. Personen leuchten in
einem blaßblauen Licht, dessen Strahlkraft vom Glauben
der jeweiligen Person bestimmt wird. Unbelebte Objekte
hingegen verblassen zu farblosen Silhouetten.
System: Würfeln Sie Wahrnehmung + Aufmerksamkeit.
Die Beschwörung wirkt sich auf alle Lebewesen in einem
Umkreis aus, der dem Glaubewert Ihres Charakters in Me-
tern entspricht. Dämonen, die durch diese Beschwörung
anvisiert werden (und sich ihrer Anwendung bewußt sind),
können sich gegen die Auswirkungen der Beschwörung
durch einen erfolgreichen Willenskraftwurf (Schwierig-
keit 8) zur Wehr setzen. Zusätzliche Erfolge erlauben es
Ihrem Charakter, diese Leuchtfeuer des Glaubens selbst
durch Hindernisse hindurch wahrzunehmen und somit
auch solche Individuen aufzuspüren, die sich vor ihm ver-
borgen halten. Um durch eine Holzwand oder Tür sehen
zu können, müssen Sie einen zusätzlichen Erfolg erzielen.
Bei massiveren Hindernissen – wie etwa einer Backstein-
wand – sind zwei zusätzliche Erfolge notwendig. Um Perso-
nen durch ein dickes Metallschott oder die Stahltür eines
Banktresors hindurch sehen zu können, benötigen Sie drei
oder vielleicht auch mehr zusätzliche Erfolge. Diese speziel-
le Form der Wahrnehmung hält eine Runde lang an.
Qual: Monströse Teufel erzeugen mit dieser Beschwörung
einen gegenteiligen Effekt: Sie können nur die Individuen
sehen, deren Seelen durch ihre bösen Taten so sehr von
innen heraus zerfressen wurden, daß sie buchstäblich zu
einer Art Schwarzen Löchern für spirituelle Energie ge-
worden sind. Diese seelenlosen Personen (zu denen auch
Dämonen gehören, deren Qualwert bei 9 und höher liegt)
erscheinen dem Dämon wie tiefschwarze Flecken vor dem
dunklen Hintergrund der stofflichen Welt.
•• VISIONEN SENDEN
In ihrer früheren Rolle als Herolde des Schöpfers wur-
den die Namaru häufig damit betraut, Gottes Wort in alle
Winkel und Ecken des Kosmos zu tragen. Sie übermittelten
die Gebote des Allmächtigen in Form mächtiger Visio-
nen, die den Geist eines Himmlischen mit herrlichen und
wundervollen Bildern erfüllten. Nach dem Fall nutzten
die Teufel dieses Geheimnis auch weiterhin ausgiebig, um
auf diesem Wege genaue Befehle an ihre Untergebenen in
den Legionen weiterzuleiten oder auch um ihre Feinde mit
furchteinflößenden Visionen ihres infernalischen Zorns zu
schlagen.
System: Würfeln Sie Manipulation + Ausdruck. Ihr Cha-
rakter kann diese Beschwörung dazu nutzen, um anderen
Dämonen in Windeseile komplexe Anweisungen zu über-
mitteln. Anders als bei einer Anrufung füllt diese Beschwö-
rung den Geist des Empfängers wie eine Illusion oder ein
Wachtraum aus und spielt ihm die Bilder und Ereignisse
vor, die Ihr Charakter binnen eines Wimpernschlags an den
Empfänger weitergeben will. Die Menge an Informationen,
die der Sender übermitteln kann, hängt von den beim obi-
gen Wurf erzielten Erfolgen ab. Jeder Erfolg erlaubt es dem
Sender, eine Vision zu übermitteln, die alle Handlungen
abdeckt, die innerhalb einer Runde durchgeführt werden
könnten. Wenn beispielsweise ein Teufel einem seiner Mit-
dämonen die Anweisung übermitteln will, das Gebäude
zu verlassen, in einen Wagen zu steigen und anschließend
den Motor anzulassen, müßte der Spieler des Charakters
drei Erfolge würfeln, um seine Order vollständig übertra-
gen zu können. Diese Instruktionen können zeitgleich an
eine Anzahl von Empfängern übermittelt werden, die dem
Glaubewert Ihres Charakters entspricht. Visionen können
nur an Empfänger übermittelt werden, die sich im Blickfeld
Ihres Charakters aufhalten. Diese Kraft kann auf Sterbliche
und Dämonen gleichermaßen angewendet werden.
Qual: Monströse Dämonen setzen diese Beschwörung
ein, um ihre Feinde während eines Kampfes in Angst und
Schrecken zu versetzen. Der Sender kann eine Anzahl an
Opfern beeinflussen, die seinem Glaubewert entspricht,
solange sich alle Ziele in seinem Blickfeld aufhalten. Jeder
beim obigen Wurf erzielte Erfolg verursacht bei allen Ziel-
personen eine Stufe Schlagschaden, da sie von grauenvol-
len Visionen über den Zorn des Teufels heimgesucht wer-
den. Im Gegensatz zu gewöhnlichem Schlagschaden kann
dieser durch einen geistigen Angriff entstandene Schaden
nicht absorbiert werden. Wenn die Beschwörung mehr
Stufen Schlagschaden verursacht, als das Opfer Punkte
in Geistesschärfe besitzt, muß es einen erfolgreichen Wil-
lenskraftwurf (Schwierigkeit 8) ablegen, um nicht eine
vorübergehende Geistesstörung davonzutragen.
••• SÄULE DES GLAUBENS
Während der Entstehung des Kosmos und in den ersten
Tagen des Paradieses standen die Herolde bei jedem grö-
ßeren Unterfangen des Himmels ganz an vorderster Front,
um mit Hilfe dieser Beschwörung die Energien der anderen
Himmlischen zu verstärken, wo immer es nötig wurde.
System: Würfeln Sie Manipulation + Führungsqualitäten.
Diese Beschwörung erlaubt es dem Teufel, seinen Glauben
in die Anstrengungen eines anderen Dämons zu investieren,
solange er dessen Himmlischen oder Wahren Namen kennt
und sich der Nutznießer in seinem Blickfeld aufhält. Jeder
erzielte Erfolg verschafft dem Nutznießer einen zusätzlichen
Würfel beim nächsten Glaubenswurf. Die maximale An-
zahl dieser Bonuswürfel, die Ihr Charakter einem anderen
Dämon verschaffen kann, entspricht seinem permanenten
Glaubewert, und sollte der Nutznießer dieser Gabe bei sei-
nem Wurf patzen, verliert er trotzdem einen Glaubenspunkt,
ganz so, wie es die Regeln auch sonst vorschreiben.
233

Ein Charakter, der Säule des Glaubens anwendet, kann
jedoch keinen „ausgeborgten“ Glauben verlieren. Die
wiederholte Anwendung dieser Beschwörung auf eine be-
stimmte Zielperson führt nicht dazu, daß noch weitere
Bonuswürfel zu ihrem bereits aufgestockten Würfelvorrat
hinzugezählt werden können.
Qual: Monströse Teufel können diese Beschwörung dazu
nutzen, um die Anstrengungen anderer zu behindern oder
ganz zu vereiteln. Dieses Phänomen funktioniert wie jede
andere Handlung gegen Widerstand, wobei die vom Teufel
erzielten Erfolge die Erfolge seines Gegners aufheben. Um
diese Beschwörung durchführen zu können, muß der Teufel
allerdings nach wie vor entweder den Himmlischen Namen
oder den Wahren Namen seines Gegners kennen.
•••• FEUER VOM HIMMEL
Diese Beschwörung befähigt einen Teufel dazu, seinen
Glauben in einem alles versengenden Stoß gleißenden Feu-
ers zu bündeln, um sein Ziel mit dem Zorn eines gefallenen
Engels niederzustrecken.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Geschick + Sportlichkeit. Der Glaubewert Ihres Cha-
rakters entspricht der Reichweite des Flammenstoßes in
Metern. Jeder erzielte Erfolg verursacht eine Stufe schwer
heilbaren Schaden (oder tödlichen Schaden, wenn das Ziel
keinen schwer heilbaren Schaden nehmen kann).
Qual: Monströse Dämonen sind nicht in der Lage, die ver-
heerende Kraft ihres Glaubens in einen gebündelten Flam-
menstoß zu zwingen. Statt dessen bricht sie in Form eines
Sturms ungezähmter Energie aus ihm heraus, der über die
unmittelbare Umgebung des Dämons hinwegfegt. Wenn
ein Dämon mit einem hohen Qualwert diese Beschwörung
einsetzt, versengt das Höllenfeuer alles in einem Umkreis
um ihn herum, der seinem permanenten Glaubewert in
Metern entspricht. Pro erzieltem Erfolg verursacht dieser
Ausbruch auf alles, was sich in diesem Radius aufhält, eine
Stufe schwer heilbaren Schaden.
••••• HAND GOTTES
Die oberste Pflicht der Mitglieder des ersten Himmli-
schen Hauses bestand darin, als Sprachrohr des Schöpfers
zu fungieren und sicherzustellen, daß Sein Großer Plan im
durch den freien Willen der Engel vorgegebenen Rahmen
umgesetzt wurde. Wenn ein Himmlischer beim Schöp-
fungsprozeß zu stark von den Vorgaben des Allmächtigen
abwich, konnten die Herolde die fragliche Beschwörung
noch im Entstehen beeinflussen, um ihr Ergebnis innerhalb
annehmbarer Grenzen zu halten. Auch wenn dieses Man-
dat nur selten durchgesetzt wurde, war diese Beschwörung
der ausschlaggebendste Grund dafür, weshalb die anderen
Häuser damit begannen, ihre eigenen Geheimnisse eifer-
süchtig zu hüten und einen wachsenden Groll gegen die
Herolde zu hegen.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Manipulation + Führungsqualitäten. Die Hand des
Glaubens ermöglicht es einem Teufel, die Kontrolle über
die Beschwörung eines anderen Himmlischen zu überneh-
men und deren Effekte nach seinen eigenen Wünschen zu
gestalten. Sie müssen bei Ihrem Glaubenswurf mehr Erfolge
234
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
erzielen, als Ihr Gegner mit seiner Beschwörung erwürfelt
hat, und außerdem muß ihr Charakter den Himmlischen
oder Wahren Namen des Wesens kennen, in dessen Be-
schwörung er eingreifen möchte. Würfeln Sie mehr Erfolge
als Ihr Widersacher, kann Ihr Charakter das Ziel und den
Effekt der Beschwörung so festlegen, als hätte er sie selbst
durchgeführt. Wenn Sie nicht genügend Erfolge erzielen,
um die Kontrolle über die Effekte der Beschwörung über-
nehmen zu können, schlägt der Versuch fehl und die Be-
schwörung wirkt sich so aus, wie sie ursprünglich gedacht
war. Wollen Sie diese Beschwörung während eines Kampfes
anwenden, muß Ihr Charakter eine höhere Initiative haben
als der Dämon, dessen Beschwörung er kontrollieren will –
die Hand des Glaubens kann nicht als Reflex angewendet
werden.
Qual: Monströse Teufel sind nicht in der Lage, die Beschwö-
rungen anderer Dämonen zu manipulieren, doch dafür kön-
nen sie Beschwörungen, deren Ziel sie selbst sind, auf ihren
Urheber zurückwerfen. Auch in diesem Fall müssen Sie mehr
Erfolge erzielen als der Dämon, der die Beschwörung aus-
geführt hat. Gelingt Ihnen dies, wirken sich die Effekte der
Beschwörung auf ihren Urheber aus (falls die Beschwörung
einen bestimmten Wirkungsbereich aufweist, betrachten
Sie den Urheber als Ausgangspunkt). Der Teufel muß den
Himmlischen oder Wahren Namen des Urhebers kennen,
um diese Beschwörung wirken zu können.
BEL, DAS ANTLITZ DER HIMMLISCHEN
Die apokalyptische Gestalt der Geheimnisse der Himm-
lischen offenbart den Gefallenen als einen strahlenden,
erhabenen Engel, der in den Glanz göttlicher Würde und
Macht getaucht ist. Seine Haut erstrahlt im wahrsten Sin-
ne des Wortes und hüllt ihn in eine Aura aus goldenem
Licht, dessen Intensität je nach Stimmung des Gefalle-
nen variiert. Seine Augen funkeln mit dem kalten Licht
der Sterne. Ungeachtet seiner tatsächlichen körperlichen
Statur scheint der Gefallene alle anderen Anwesenden zu
überragen.
Das Antlitz der Himmlischen verleiht die folgenden Ei-
genschaften:
Schwingen: Ein Paar Adlerschwingen wächst dem Charak-
ter aus Schultern und Rücken. Die volle Spannweite einer
Schwinge ist um ein Drittel länger als der Charakter groß
ist. Der Charakter kann pro Runde dreimal so weit gleiten,
wie er sprinten könnte.
Herrlichkeit: Die Aura göttlicher Befehlsgewalt des Cha-
rakters senkt die Schwierigkeit aller von ihm auszuführen-
den Charisma- und Manipulationswürfe um zwei.
Geschärfte Sinne: Die Schärfe aller fünf Sinne des Cha-
rakters ist auf ein übermenschliches Maß gesteigert, was die
Schwierigkeit sämtlicher Wahrnehmungswürfe des Charak-
ters um zwei senkt.
Erhöhtes Magiegespür: Der Gefallene hat ein besonders
ausgeprägtes Gespür für das Gefüge der Wirklichkeit, was
die Schwierigkeit aller Magiegespürwürfe um zwei senkt.
Qual: Wenn der Charakter sich seiner dunkleren Natur
hingibt, bleibt seine Aura göttlicher Befehlsgewalt so wir-
kungsvoll wie zuvor, aber das Leuchten, das ihn zuvor hell
erstrahlen ließ, ist zu einem düsteren roten Glühen ge-
KAPITEL SIEBEN
worden. Seine Schwingen werden ledrig und seine Augen
so schwarz wie das Nichts. War er zuvor ein Sinnbild des
Edelmuts, so strahlt er nun die Aura eines hochmütigen
Tyrannen aus.
Das Antlitz der Himmlischen verleiht bei hohen Qual-
werten die folgenden Eigenschaften:
Klauen/Zähne: Dem Charakter wachsen Klauen und Fän-
ge, die Körperkraft + 2 schwer heilbaren Schaden verur-
sachen.
Schuppen: Der Körper des Charakters wird von dunklen,
schimmernden Schuppen bedeckt, die ihm vier Würfel zum
Absorbieren von Schaden durch physische Angriffe gewäh-
ren (was schwer heilbaren Schaden einschließt).
Riesenwuchs: Der Körper des Charakters wächst um ein
Drittel seiner normalen Größe an, was die folgenden Bo-
nuseigenschaften mit sich bringt: +1 Körperkraft, +2 Ge-
schick, +1 Widerstandsfähigkeit.
Böser Blick: Individuen (sowohl Sterbliche als auch Dä-
monen), die dem Blick des Charakters begegnen und denen
ein Willenskraftwurf (Schwierigkeit 7) mißlingt, verlieren
für den Rest der Runde sämtliche Handlungen.
GEHEIMNISSE DER FLAMMEN
• ANFACHEN
Die Macht über das Feuer erlaubt es einem Teufel, bereits
bestehende Brände durch die Kraft seines Glaubens noch
weiter anzufachen, wodurch er mittels eines einfachen Ge-
dankens ein harmloses Lagefeuer in ein flammendes Infer-
no verwandeln kann.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben.
Befindet sich ein Feuer oder eine andere Hitzequelle in
einem Umkreis um den Teufel, der seinem Glaubewert
in Metern entspricht, kann er dafür sorgen, daß die Hitze
und die Flammen sich mit jedem erzielten Erfolg um einen
halben Quadratmeter weiter ausbreiten.
Qual: Monströse Teufel fachen eher die Hitze eines beste-
henden Brandes an, anstatt seine Ausmaße zu vergrößern.
Jeder erzielte Erfolg erhöht den vom Feuer verursachten
tödlichen Schaden um eine weitere Gesundheitsstufe. Wei-
tere Details zu Feuer und seinen Auswirkungen finden Sie
auf Seite 315 in Kapitel Neun.
•• ENTZÜNDEN
Dank seiner Herrschaft über eine der elementarsten
Kräfte der Schöpfung kann ein Teufel durch einen bloßen
Gedanken ein Feuer entfachen.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben.
Diese Beschwörung erlaubt es einem Teufel, brennbare
Gegenstände in Flammen aufgehen zu lassen. Ihr Cha-
rakter kann versuchen, jedes Objekt in einem Umkreis,
der seinem Glaubewert in Metern entspricht, zu entzün-
den, wofür Sie eine Anzahl von Erfolgen erzielen müssen,
die größer ist als die Feuerresistenz des Objekts. Benzin,
Schwarzpulver oder andere explosive Stoffe besitzen für
diese Zwecke eine Feuerresistenz von 1. Trockene, leicht
entflammbare Materialien wie Holz oder Papier weisen
eine Feuerresistenz von 2 auf. Metalle wiederum besitzen
eine Feuerresistenz von 5. Wasser und andere unbrennbare
Stoffe können durch diese Kraft nicht angezündet werden.
Auf diese Weise entfachte Feuer brennen nicht heißer als
auf natürlichem Wege entstandene Feuer und verursachen
demzufolge denselben Schaden.
Qual: Der Haß in monströsen Teufeln ist schlichtweg zu
groß, als daß sie diese Beschwörung auch nur mit einem
Mindestmaß an Zielgenauigkeit und Präzision einsetzen
könnten. In einem Umkreis, der dem Glaubewert des Cha-
rakters in Metern entspricht, laufen alle brennbaren Ob-
jekte Gefahr, durch diese Beschwörung Feuer zu fangen. Es
wird nur ein einziger Beschwörungswurf abgelegt, dessen
Erfolge darüber entscheiden, welche Gegenstände zu bren-
nen beginnen und welche davon verschont bleiben, in
Flammen aufzugehen.
••• HERRSCHAFT ÜBER DIE FLAMMEN
Durch seine Macht über das Feuer kann ein Teufel eine
Flamme durch die Kraft seines Willens lenken – das Feuer
schwillt an, fällt in sich zusammen, wandert und verschlingt
gemäß der Befehle, die der Dämon ihm erteilt.
System: Würfeln Sie Geistesschärfe + Überleben und zäh-
len Sie die Erfolge. Die erzielten Erfolge bilden den Wür-
felvorrat, der Ihnen in den anschließenden Runden die
Möglichkeit gibt, das Feuer zu kontrollieren und zu lenken.
Um ein Feuer kontrollieren zu können, muß Ihnen ein
Würfelwurf gegen eine Schwierigkeit von 8 gelingen. Im
Fall widriger Umstände – wie etwa vorhandenen Sprink-
leranlagen oder feuerresistenten Materialien – kann die
Schwierigkeit allerdings auch höher liegen, was ganz in den
Ermessensspielraum des Erzählers fällt. Beim Würfelwurf
erzielte Erfolge eröffnen Ihrem Charakter die folgenden
Möglichkeiten: Er kann das Feuer um einen halben Qua-
dratmeter pro Erfolg anwachsen oder um dieselbe Fläche
schrumpfen lassen. Er kann es auch dazu bringen, pro Er-
folg einen Meter weit in eine beliebige Richtung zu wan-
dern. Sie können Ihrem Würfelvorrat durch weitere Würfe
auf Geistesschärfe + Überleben in den folgenden Runden
zusätzliche Würfel hinzufügen, aber der Vorrat kann nie
größer werden, als es Ihr permanenter Glaubewert vorgibt.
Sollten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt keinen Erfolg mehr
würfeln, verliert Ihr Charakter für die Runde, in der der
Wurf gescheitert ist, die Kontrolle über das Feuer. Würfeln
Sie einen Patzer, hat er die Kontrolle gänzlich verloren.
Qual: Teufel mit hohen Qualwerten haben weniger Feinge-
fühl bei der Kontrolle der Bewegung des Feuers, doch dafür
nährt ihr Zorn die Hitze, die in den Flammen entsteht.
Der Würfelvorrat eines monströsen Dämons wird für alle
Handlungen, die in Zusammenhang mit der Kontrolle des
Feuers stehen, halbiert (aufgerundet), aber dafür werden
die Würfel, die nicht in den Vorrat eingehen, als zusätzliche
Schadensstufen zu jenem Schaden hinzugefügt, den das
Feuer ohnehin schon verursacht, ohne auf übernatürli-
chem Weg angefacht zu werden.
•••• HÖLLENFEUER
Diese Beschwörung ist der ultimative Ausdruck der
Macht, die Feuer innewohnt: Es verschlingt alles, um Platz
für neues Leben zu schaffen, indem es göttliche Energien
in läuternde Flammen verwandelt.
235

System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben, wobei Ihr Würfel-
vorrat für diesen Wurf nie größer sein kann als der Glau-
bensvorrat des Ziels. Um diese Beschwörung anwenden zu
können, muß Ihr Charakter sein Ziel berühren. Jeder erziel-
te Erfolg verursacht beim Opfer eine Stufe schwer heilbaren
Schaden (oder tödlichen Schaden, wenn es keinen schwer
heilbaren Schaden nehmen kann) und verzehrt zusätzlich
einen seiner temporären Glaubenspunkte. Diese Form des
Angriffs kann auch gegen unbelebte Objekte eingesetzt
werden. Die Existenz des Großteils der stofflichen Materie
wird von nicht mehr als einem einzigen Glaubenspunkt auf-
rechterhalten, aber besonders heilige Gegenstände können
wesentlich mehr Glaubenspunkte in sich bergen. Physische
Objekte, die auf diese Weise verbrannt werden, zerfallen zu
Asche, sobald der gesamte Glaube, der ihnen innewohnt,
von den Flammen des Höllenfeuers verzehrt wurde (da-
durch können Objekte um einiges schneller verbrennen,
als sie es unter normalen Umständen täten).
Qual: Monströse Dämonen ergötzen sich geradezu dar-
an, den Kosmos den Flammen zu übergeben. Sie können
ohne Einschränkungen durch den Glauben des Ziels den
gesamten Vorrat würfeln, der Ihnen für den obigen Wurf
zur Verfügung stehen würde, aber seien Sie darauf hinge-
wiesen, daß alle von Ihnen verursachten Schadensstufen,
die über den Glaubensvorrat des Ziels hinausgehen, vom
Glaubensvorrat Ihres Charakters abgezogen werden. Sollte
darüber hinaus die Beschwörung mehr Schaden anrichten,
als das Ziel verkraften kann, nimmt Ihr Teufel die verblie-
benen Stufen schwer heilbaren Schadens, da er in seiner
lustvollen Zerstörungswut die Kontrolle über sich selbst
verloren hat.
236
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
••••• FLAMMENLEIB
Wenn ein Teufel diese mächtige Beschwörung ausführt,
herrscht er nicht länger über das Feuer, sondern er ist das
Feuer. Der Gefallene verwandelt seinen Körper in ein Feu-
er, das er durch die Kraft seines Willens lenkt.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben. Ihr Charakter hat
zwei Möglichkeiten, wenn er diese Kraft anwendet: Er kann
entweder seinen Körper mit einem bereits existierenden
Feuer vereinen oder selbst zu einer Feuersäule werden, in-
dem er seinen angesammelten Glauben als Brennstoff ver-
zehrt. Bei jeder dieser zwei Optionen verwandelt sich sein
Körper buchstäblich in ein Feuer, wodurch alle Kleidungs-
stücke und Besitztümer, die er bei sich trägt, verbrannt
werden. Obwohl die Verwandlung in eine Flammensäule
zunächst nur heißt, daß die Flammen denselben Raum
einnehmen, den Ihr Körper vor der Verwandlung einnahm,
kann Ihr Dämon seinen Flammenleib durch den Einsatz
von Glaubenspunkten weiter anwachsen lassen. Für jeden
zusätzlichen Glaubenspunkt, den Sie einsetzen, können
Sie den Raum, den der Flammenleib einnimmt, um einen
halben Quadratmeter ausdehnen.
Ist der Körper Ihres Teufels erst einmal vollends verwan-
delt, ist er nur noch eine formlose Feuersbrunst, die ihre
Größe und ihre Form ganz nach Ihrem Belieben verändern
kann. Solange Sie sich in diesem Zustand befinden, set-
zen Sie den Willenskraftvorrat des Charakters anstelle der
sonst üblichen Attribute und Fähigkeiten ein, wenn Sie
eine Handlung unternehmen wollen. Der Willenskraft-
vorrat kann wie gewohnt zur Durchführung von mehrfa-
KAPITEL SIEBEN
chen Handlungen aufgeteilt werden. Überall, wohin Luft
kommen kann, kann auch Ihr Charakter kommen – unter
Türen hindurch, durch Spalten und Fugen. Will er in sei-
ner Feuergestalt im Kampf gegen einen Feind zuschlagen,
wird zur Schadensermittlung eine Anzahl von Würfeln
gewürfelt, die dem permanenten Qualwert des Charakters
entspricht. Der Flammenleib Ihres Charakters bleibt von
Wasser oder anderen Feuerbekämpfungsmaßnahmen un-
angetastet, da sein Feuer nicht durch eine schlichte che-
mische Reaktion, sondern durch die Kraft seines Glaubens
genährt wird. Der Nachteil an diesem Zustand ist, daß
das Feuer kontinuierlich gespeist werden muß, um nicht
zu erlöschen. In jeder Runde, die Ihr Charakter in diesem
Zustand verbleiben will, müssen Sie einen Teil seines Wil-
lenskraftvorrates dazu aufwenden, brennbares Material
zu entzünden und zu verzehren. Dafür reicht schon ein
Erfolg vollkommen aus. Scheitert dieser Wurf, schrumpft
sein Flammenleib am Ende der Runde um einen halben
Quadratmeter. Das Feuer breitet sich nicht wie ein nor-
maler Brand aus; es bleibt eine Wesenheit mit eigenem
Bewußtsein, die von allem, was sie verschlingt, nur ver-
kohlte Überreste zurückläßt. Wenn das Feuer auf weniger
als einen halben Quadratmeter zusammenschrumpft oder
Sie beim Willenskraftwurf patzen, nimmt Ihr Charakter
wieder seine gewohnte stoffliche Gestalt an.
Qual: Monströse Dämonen sind nicht in der Lage, sich
vollständig in ein Feuer zu verwandeln. Diese Gefallenen
werden statt dessen zu lodernden, skelettartigen Gestal-
ten, deren verkohlte Knochen von Flammen umzüngelt
werden und die ihre Raserei und ihren Schmerz aus bren-
nenden Mäulern in die Welt hinausschreien. Dämonen
mit hohen Qualwerten setzen ihre normalen Attribute
und Fähigkeiten ein, um sich fortzubewegen, anzugreifen
oder auf irgendeine andere Art in einer Runde zu handeln.
Sie können sich allerdings auch nicht mit der Leichtigkeit
und Geschwindigkeit eines echten, wankelmütigen Feuers
bewegen. Zusätzlich leiden sie unter schrecklichen, kör-
perlichen Qualen. Wenn sie nicht jede Runde eine Stufe
Schaden verursachen oder einen halben Quadratmeter an
brennbarem Material in Flammen aufgehen lassen (durch
einen erfolgreichen Willenskraftwurf), erleiden sie eine
Stufe schwer heilbaren Schaden, da das Feuer sich dann
von ihren eigenen, nach wie vor mehr oder weniger stoffli-
chen Körpern nährt.
NUSKU, DAS ANTLITZ DER FLAMMEN
Dämonen, die das Antlitz der Flammen tragen, offen-
baren sich in einem aufflammenden Leuchten gelboran-
gefarbenen Lichts. Ihre Haut glüht mit dem sengenden
Glanz der Sonne und ihre Gestalt flimmert wie eine Luft-
spiegelung. Ihre Augen nehmen die Farbe geschmolzenen
Goldes an, und wenn sie verärgert sind, strahlen die Nusku
deutlich spürbare Hitzewellen aus. Das Haar des gefallenen
Engels nimmt einen rötlichen oder rotgoldenen Farbton an
und verdichtet sich zu einer löwenähnlichen Mähne. Ist ein
Nusku zugegen, flackern offene Flammen hell auf, und es
scheint, als würden sie sich vor ihrem göttlichen Meister
verneigen, da sie durch seine Anwesenheit dazu getrieben
werden, zu ihm zu streben.
Das Antlitz der Flammen verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Flammenschleier: Der Dämon ist von einem Nimbus über-
natürlicher Flammen umgeben, die seine Gegner ablenken
und verwirren. Die Schwierigkeit aller Nah- oder Fern-
kampfwürfe, die auf den Charakter abzielen, wird um eins
erschwert.
Immunität gegen Feuer: Der Charakter erleidet keinen
Schaden durch Hitze oder Feuer.
Zusätzliche Handlungen: Der Charakter kann sich durch
seine Glaubenspunkte zusätzliche Handlungen erkaufen.
Für jeden in einer Runde aufgewendeten Glaubenspunkt
erhält er eine zusätzliche Handlung. Diese Handlungen
werden mit absteigender Initiative ausgeführt – wenn also
ein Teufel mit einer Initiative von 7 eine zusätzliche Hand-
lung kauft, führt er seine normale Handlung bei 7 und die
zusätzliche Handlung bei 6 aus. Der Spieler des Charakters
muß sich vor Beginn der Runde – noch bevor irgendeine
Handlung durchgeführt wurde – entscheiden, wie viele
zusätzliche Handlungen er erwerben möchte.
Verbesserte Initiative: Die Initiative des Charakters ver-
bessert sich um zwei.
Qual: Wird der Gefallene von seinem dunklen Wesen ver-
zehrt, wird seine Haut schwarz wie Rauch und scheint
förmlich zu brodeln, da sich überall auf ihr dunkelrote Mu-
ster ausbreiten, die mit jedem Herzschlag des Gefallenen
zu pulsieren scheinen. Seine Augen leuchten wie glühende
Kohlen und seine dichte Mähne wird von einem geisterhaf-
ten Wind zerzaust.
Das Antlitz der Flammen verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Klauen/Zähne: Dem Charakter wachsen Klauen und Fänge,
die Körperkraft +2 schwer heilbaren Schaden verursachen.
Schwanz: Dem Charakter wächst ein langer, reptilienar-
tiger Schwanz, der in einem gekrümmten Knochenstachel
endet, der Körperkraft –1 schwer heilbaren Schaden ver-
ursacht.
Riesenwuchs: Der Körper des Charakters wächst um ein
Drittel seiner normalen Größe an, was die folgenden Bo-
nuseigenschaften mit sich bringt: +2 Körperkraft, +1 Ge-
schick, +1 Widerstandsfähigkeit.
Kochendes Blut: Das Blut des Charakters brennt wie flüs-
siges Magma. Brennbare Gegenstände, die mit mehr als
nur einer Handvoll Tropfen dieses Blutes in Berührung
kommen, gehen in Flammen auf, und Gegner im Nahkampf
erleiden jedesmal eine Stufe tödlichen Schaden, wenn sie
dem Charakter erfolgreich Schaden zugefügt haben.
GEHEIMNISSE DES GLANZES
• STIMME DES HIMMELS
Diese Beschwörung erlaubt es einem Dämon, seiner
Stimme eine Art übernatürlichen Klangeffekt zu verlei-
hen. Er kann sie wie einen Donnerschlag ertönen oder
wie einen kristallklaren Glockenton erklingen lassen. Die
Klarheit und die Macht der Worte des Dämons richten so-
fort jegliche Aufmerksamkeit auf ihn und lassen selbst den
rasendsten Verstand innehalten, um dem zu lauschen, was
der uralte Geist zu sagen hat.
237

System: Würfeln Sie Manipulation + Führungsquali-
täten. Ein Teufel kann den Effekt dieser Beschwörung
auf jede Person innerhalb eines Umkreises einsetzen, der
dem Zehnfachen seines Glaubens in Metern entspricht
(Schwierigkeit 8), oder sich auf ein einzelnes Individuum
konzentrieren (Schwierigkeit 6). Der Spieler kann dem
Ziel einen Befehl erteilen, woraufhin dieses mit einem
Willenskraftwurf versuchen kann, sich dem Befehl zu wi-
dersetzen. Erzielt das Opfer weniger Erfolge als der Teufel,
muß es sich dem Befehl des Dämons beugen. Wenn der
Teufel zu sprechen beginnt, ist seine Stimme ungeachtet
aller möglichen Hintergrundgeräusche klar und deutlich
zu hören. Auf diese Weise könnte er sogar inmitten ei-
nes tosenden Taifuns sprechen und trotzdem würde seine
Stimme so deutlich zu hören sein, als spräche er direkt in
das Ohr seines Zuhörers. Diese Beschwörung hat keinerlei
Auswirkungen auf andere Dämonen oder Sklaven, die vor
Gedankenkontrolle gefeit sind.
Qual: Monströse Dämonen verwenden diese Beschwö-
rung, um blasphemische und haßerfüllte Tiraden auszu-
stoßen, in denen so viel Macht liegt, daß sie den Verstand
von Sterblichen und Sklaven als körperlich spürbaren
Schlag treffen. Jeder erzielte Erfolg verursacht bei jedem
Opfer eine Stufe Schlagschaden. Die Opfer können al-
lerdings versuchen, diesem Schaden durch einen Wil-
lenskraftwurf zu widerstehen, dessen Schwierigkeit dem
Qualwert des Dämons entspricht. Auch Dämonen können
durch diese Form der Beschwörung beeinflußt werden
und ihren Auswirkungen mit Willenskraft widerstehen.
Erleiden sie Schaden, müssen Dämonen zusätzlich einen
erfolgreichen Mutwurf ablegen, um nicht einen zusätzli-
chen Punkt temporärer Qual zu erhalten.
•• EKSTASE
Die Macht in der gebieterischen Stimme des Dämons
reicht aus, um selbst im Herzen des verzagtesten aller
Sterblichen noch Hoffnung zu wecken. Durch diese Be-
schwörung werden Sterbliche dazu ermutigt, ihre Ängste
zu überwinden und eine sicher geglaubte Niederlage noch
in einen großen Triumph zu verwandeln.
System: Würfeln Sie Manipulation + Führungsqualitäten.
Jeder erzielte Erfolg steht für einen zusätzlichen Würfel,
den die Zielperson dieser Beschwörung in dieser Runde
zu einem beliebigen Würfelvorrat hinzufügen darf. Der
Dämon kann eine Anzahl an Sterblichen (einschließlich
Sklaven) mit zusätzlichen Würfeln versorgen, die seinem
permanenten Glaubewert entspricht. Jedes der so beein-
flußten Individuen kommt in den Genuß der vollen Anzahl
der durch die Erfolge festgelegten zusätzlichen Würfel. Dä-
monen können durch diese Beschwörung nicht beeinflußt
werden.
Qual: Der spöttische, herablassende Ton in der Stimme
eines monströsen Teufels hat einen gegenteiligen Effekt
auf Sterbliche. Jeder erzielte Erfolg wird vom Würfelvorrat
des Sterblichen für eine in dieser Runde beabsichtigten
Handlung abgezogen. Sollte der Würfelvorrat eines Opfers
auf null oder darunter sinken, kann der Sterbliche in dieser
Runde nicht handeln.
238
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
••• LEGENDÄRE AURA
Diese Beschwörung erweckt atavistische Verhaltensmu-
ster in Sterblichen wieder zum Leben, die tief in ihrem
Unterbewußtsein vergraben sind, wodurch die uralten
Treueide, die zwischen der Menschheit und den Dämonen
einst bestanden, als sie gemeinsam gegen die Tyrannei des
Himmels kämpften, erneuert werden. Diese Bande sind
so fest in den Menschen verankert, daß sie bisweilen alle
anderen Gedanken aus dem Bewußtsein eines Sterblichen
verdrängen können und nur noch den unbedingten Drang
in ihm zurücklassen, seine Verpflichtungen aus grauer Vor-
zeit zu erfüllen.
System: Würfeln Sie Manipulation + Führungsqualitäten.
Der Teufel kann so viele Sterbliche mit dieser Beschwörung
beeinflussen, wie sein Wert in Glaube beträgt, solange sich
diese in seinem Blickfeld aufhalten und in der Lage sind,
seine Stimme zu hören. Liegt die Anzahl der erwürfelten
Erfolge über dem Wert in Geistesschärfe eines Opfers, wird
es augenblicklich von starken Gefühlen der Hingabe und
Treue zum Dämon überwältigt. Es verteidigt ihn instinktiv
gegen Angreifer und befolgt alle ihm vernünftig erschei-
nenden Befehle, ohne diese weiter zu hinterfragen. Liegt
die Zahl Ihrer Erfolge unter dem Wert in Geistesschärfe des
Opfers, kann es mit einem erfolgreichen Willenskraftwurf
(Schwierigkeit 8) versuchen, sich gegen diese Beeinflus-
sung zu wehren. Sklaven anderer Dämonen, auf die diese
Beschwörung angewendet wird, verwenden den Willens-
kraftwert ihres Meisters, um den Effekten zu widerstehen.
Sklaven, die gegen Gedankenkontrolle resistent sind, kön-
nen durch das Aufwenden eines Willenskraftpunkts dem
Effekt dieser Beschwörung automatisch widerstehen. Sterb-
liche bleiben dem Dämon für die Dauer einer Szene treu
ergeben. Eine Person kann nur einmal in jeder Szene Ziel
dieser Beschwörung werden.
Qual: Monströse Dämonen wecken kein Gefühl der Loya-
lität in Sterblichen. Sie erfüllen den Verstand ihrer Opfer
mit dem Bedürfnis, ihre Triebe des Hasses und der Gewalt
auszuleben. Sterbliche, die auf diese Weise beeinflußt wer-
den, verfallen in einen mörderischen Tobsuchtsanfall und
greifen alle Lebewesen an, die sich in ihrer unmittelbaren
Nähe aufhalten.
•••• DAS SIEGEL DER HIMMLISCHEN
Während des Kriegs des Zorns hatten sowohl die Engel
als auch die Dämonen die Möglichkeit, Freund von Feind zu
unterscheiden, indem sie die Auren von Verbündeten und
Geächteten kaum merklich veränderten. Auf diese Weise
war es leichter, Untergebene und Gleichgesinnte ausfindig
zu machen und Feinde mit Malen der Wut und der Schande
zu zeichnen, so daß jeder, der ihnen begegnete, von ihren
Vergehen wußte und sie entsprechend behandelte.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Manipulation + Ausdruck. Der Teufel muß den Namen
seiner Zielperson kennen (bei Dämonen ist der Himmlische
oder Wahre Name erforderlich), und er muß in der Lage
sein, sie zu berühren. Anschließend muß er die Bedeutung
des Siegels oder Mals so laut aussprechen, daß die Zielper-
son sie deutlich hören kann (beispielsweise „Laß jedermann
KAPITEL SIEBEN
ihm Zuflucht bieten, ganz gleich, wohin auch immer seine
Füße ihn tragen mögen.“). Die Anzahl der erzielten Erfolge
bestimmt über die Macht und die Wirksamkeit des Siegels.
Bei einem Erfolg bleibt das Siegel nur einen einzigen Tag
lang bestehen. Zwei Erfolge verleihen ihm eine Lebens-
dauer von einer Woche. Drei erhalten es für einen Monat.
Vier oder mehr Erfolge lassen es für ein ganzes Jahr beste-
hen. Wann immer eine andere Person diesem gezeichneten
Individuum begegnet, wird die Gesamtzahl der Erfolge mit
dem Wert in Geistesschärfe dieser Person verglichen. Ist
die Zahl der Erfolge größer als der Wert in Geistesschärfe
der Person, verhält sie sich dem Gezeichneten gegenüber
genau so, wie es das Mal oder das Siegel vorgibt. Ist die Zahl
der Erfolge kleiner, kann die Person einen Willenskraftwurf
(Schwierigkeit 7) ablegen, um sich dem Einfluß dieser Be-
schwörung zu widersetzen. Dämonen, die mindestens einen
Glaubenspunkt besitzen, sowie Sklaven, die immun gegen
Gedankenkontrolle sind, sind in der Lage, sich ein eigenes
Urteil über den Gezeichneten zu machen.
Qual: Monströse Dämonen können nur Male schaffen, die
dem Träger Gewalt und Unglück verheißen. Jeder Sterbli-
che, der sich gegen die aufgezwungenen Befehle des Mals
zur Wehr setzen will, kann einen Willenskraftwurf ablegen
(die Schwierigkeit dieses Wurfs entspricht dem Qualwert
des Dämons).
••••• OFFENBARUNG
Auch wenn Sterbliche und Dämonen gleichermaßen
List und Tücke einsetzen, um ihre wahren Wesenszüge zu
verbergen, erlaubt es diese Beschwörung einem Teufel, den
Schleier der Täuschung und Irreführung, mit dem sich ein
Sterblicher umgibt, beiseite zu reißen und ihn als die Per-
son zu offenbaren, die er wirklich ist. Dies ist ein Moment
der Wahrheit, den nicht viele Sterbliche ertragen können.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie in einer Handlung gegen Widerstand Wahrnehmung
+ Intuition gegen die Willenskraft Ihres Opfers. Geht Ihr
Charakter als Sieger hervor, sieht er den Sterblichen als
das, was er ist – er erfährt alles über sein Wesen, seine
Einstellungen und seine Überzeugungen. Stellt der Dä-
mon dem Opfer eine Frage, so kann es weder lügen noch
den Gefallenen durch mehrdeutige Antworten in die Irre
führen; die Antworten des Opfers sind immer offen und
ehrlich und lassen kein Detail aus. Hierdurch muß sich das
Opfer allerdings der harten, unverblümten Wahrheit über
seine Stärken, seine Schwächen, seine Tugenden und seine
Laster stellen. Am Ende der Szene muß das Opfer einen
zweiten Willenskraftwurf (Schwierigkeit 7) machen. Ist die-
ser erfolgreich, gewinnt das Opfer einen permanenten Wil-
lenskraftpunkt hinzu, da es sich den schlimmsten Aspekten
seiner Persönlichkeit gestellt und diese als Teil seiner selbst
akzeptiert hat. Scheitert der Wurf, verliert das Opfer einen
permanenten Willenskraftpunkt. Würfelt das Opfer einen
Patzer, verliert es drei permanente Willenskraftpunkte und
erleidet eine vorübergehende Geistesstörung.
Diese Kraft hat keinen Effekt auf andere Dämonen, wirkt
sich aber auf Sklaven aus.
Qual: Monströse Teufel haben keinerlei Interesse daran,
die Tugenden sterblicher Individuen zu enthüllen. Sie zie-
len eher darauf ab, das Ego ihrer Opfer zu zerschmettern,
um sie noch formbarer zu machen oder um das in ihnen
lodernde Feuer finsterster Triebe weiter anzufachen. Wenn
ein Dämon mit einem hohen Qualwert diese Beschwörung
durchführt, offenbart ihr Effekt die schlimmsten Eigen-
schaften des Opfers und verleiht diesen weitaus mehr Be-
deutung als allen anderen Aspekten seiner Persönlichkeit.
Scheitert der erste Willenskraftwurf des Sterblichen, mit
dem er sich gegen die Auswirkungen dieser Beschwörung
wehren kann, haben seine Triebe für den Rest der Szene
die vollkommene Oberhand über den Rest seiner Persön-
lichkeit gewonnen.
QINGU, DAS ANTLITZ DES GLANZES
Die apokalyptische Gestalt der Herren des Glanzes ist
eine strahlende Figur, die in eine Korona aus schillernden
Farben gehüllt ist, die an Geschmeide erinnern. Ihre Züge
haben mehr mit der glatten Perfektion von Marmor gemein
als mit menschlicher Haut. Ihre Stimmen sind kristallklar
und sie fahren durch den Lärm der Welt der Sterblichen
wie die Klinge einer Sense durch ein Weizenfeld.
Das Antlitz des Glanzes verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Schwingen: Ein Paar Adlerschwingen wächst dem Charak-
ter aus Schultern und Rücken. Die volle Spannweite einer
Schwinge ist um ein Drittel länger als der Charakter groß
ist. Der Charakter kann pro Runde dreimal so weit gleiten,
wie er sprinten könnte.
Überirdische Schönheit: Die Stimme und die Gesichts-
züge des Charakters sind von übermenschlicher Perfektion
und bringen ihm die folgenden Vorteile: +2 Charisma, +1
Manipulation, +1 Erscheinungsbild.
Strahlenkranz: Der Körper des Charakters ist in eine strah-
lenden Korona aus einer Vielzahl sich stetig verändernder
Farbtöne gehüllt, die seine Gegner ablenkt und verwirrt.
Die Schwierigkeit aller Fernkampfangriffe auf ihn werden
um eins erhöht.
Verborgenes erkennen: Der Charakter besitzt die überna-
türliche Gabe, Sterbliche oder Dämonen aufzuspüren, die
sich vor ihm verborgen halten wollen. Die Schwierigkeit
aller Wahrnehmungswürfe für das Aufspüren versteckter
Individuen im Blickfeld des Charakters wird um zwei ge-
senkt.
Qual: Wenn der gefallene Engel seiner dämonischen Natur
nachgibt, verblaßt der Glanz der Farben seiner Aura, die
nur noch in zornigen Rot- und Blautönen aufblitzen, wenn
er wütend wird. Sein Körper behält seine marmorne Voll-
kommenheit, doch wo sie vorher Erstaunen hervorgerufen
haben mag, erzeugt sie nun eine Atmosphäre drohender
Gefahr und kalter Grausamkeit.
Das Antlitz des Glanzes verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Stimme der Verdammnis: Die Stimme des Dämons bro-
delt förmlich vor übermenschlichem Haß und zügelloser
Bosheit. Die Schwierigkeit aller Einschüchterungswürfe
wird um zwei gesenkt.
Kein Spiegelbild: Das Abbild des Dämons ist in keinem
Spiegel zu sehen. Er kann auch nicht auf Photographien
oder sonstigen Filmaufnahmen festgehalten werden.
239

Säurespeichel: Der Speichel des Dämons ist so ätzend wie
Säure. Ein Biß verursacht eine zusätzliche schwer heilbare
Schadensstufe. Der Charakter kann aber auch mit einem
Geschickwurf nach einem Ziel spucken, das bis zu drei
Meter entfernt ist. Der Speichel verursacht einen Würfel
schwer heilbaren Schaden, und beim Geschickwurf zu-
sätzlich erzielte Erfolge werden in weitere Schadenswürfel
umgewandelt. Ziele, die keinen schwer heilbaren Schaden
nehmen können – wie etwa Sterbliche –, erleiden statt
dessen tödlichen Schaden.
Hörner: Aus der Stirn des Charakters wächst ein Paar ge-
krümmter Widder- oder Stierhörner. Wird er im Nahkampf
angegriffen, kann der Charakter einen zusätzlichen Gegen-
angriff auf seinen Feind starten, für den er keine Handlung
aufwenden muß. Würfeln Sie Geschick + Handgemenge.
Trifft der Charakter, verursacht er mit den Hörnern Körper-
kraft – 1 schwer heilbaren Schaden.
(ANNUNAKI)
Auch wenn sie ihren Aufgaben oft ungesehen nach-
gingen, waren die Baumeister dafür verantwortlich, das
Paradies in ständiger Veränderung zu halten. In einem
langsamen, stetigen Kreislauf, der wiederum alle anderen
Kreisläufe des stofflichen Lebens in Gang hielt, gruben sie
Täler in das Land, ließen sie Gebirge aus der Erde empor-
wachsen und schufen sie weite Ebenen. Um dieser Pflicht
nachkommen zu können, waren ihnen die Geheimnisse
der Erde zuteilgemacht worden, mit denen sie Felsen und
Erde formen konnten. Mit dieser enormen Aufgabe ging
die Verantwortung einher, den Geschöpfe, die in der Welt
lebten, das gesamte Erdenrund zugänglich zu machen,
indem die Baumeister ihnen Wege und Pfade zu neuen Le-
bensräumen bahnten. Die Geheimnisse der Wege stellen
eine Sammlung subtiler, aber mächtiger Beschwörungen
dar, die darüber bestimmen, wie ein stofflicher Gegen-
stand von einem Ort zum anderen gelangen kann. Die
Menschheit glaubt, daß die kürzeste Strecke zwischen
zwei Punkten eine Gerade sei, aber dem ist nur so, weil
die Engel der Erde es in grauer Vorzeit einmal genau so
gewollt hatten. Auch wenn diese mächtigen Künste eine
zentrale Rolle für die Existenz und den Fortbestand des
Paradieses spielten, war ihre Wirkungsweise aus mensch-
licher Sicht betrachtet langsam und umständlich. Als der
Krieg ausbrach, suchten die Annunaki nach einem Weg,
die eigenen Kräfte für ihre dämonischen und sterblichen
Verbündeten faßbarer und nutzbarer zu machen. Dieses
Streben mündete in der Schaffung von Waffen und Werk-
zeugen, die durch dämonische Einwirkung verbessert wor-
den waren. Die Methoden, wie man dämonische Energien
in einem stofflichen Objekt verankern kann, sind in den
Geheimnissen der Esse vereint und werden heutzutage als
das Markenzeichen der Übeltäter angesehen.
240
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
GEHEIMNISSE DER ERDE
• VERSCHMELZUNG MIT DER ERDE
Diese Beschwörung ermöglicht es einem Übeltäter,
seinen Körper fest mit der Erde unter seinen Füßen zu
verwurzeln. Solange diese Beschwörung Wirkung zeigt,
kann er nicht länger gegen seinen Wunsch von der Stelle
bewegt, angehoben oder umgestoßen werden.
System: Würfeln Sie Körperkraft + Überleben. Ist der
Wurf erfolgreich, ist der Übeltäter fest mit der Erde ver-
bunden und kann gegen seinen Wunsch nicht mehr vom
Fleck bewegt werden.
Qual: Monströse Dämonen können in der Erde versinken
und sich durch das Erdreich hindurch in jede beliebige
Richtung bewegen. Die Anzahl der erzielten Erfolge gibt
an, wie viele Meter er auf diese Weise in einer geraden
Strecke zurücklegen kann. Für jede Runde, in der sich der
Charakter bewegen will, muß ein Wurf auf Körperkraft +
Sportlichkeit durchgeführt werden. Scheitert der Wurf,
wird der Dämon zurück an die Erdoberfläche gezwungen.
•• DIE ERDE AUFTUN
Mit dieser Beschwörung kann der Übeltäter die Erde
dazu bringen, die in ihr vergrabenen Geheimnisse preis-
zugeben. Indem er sich auf eine bestimmte Sache kon-
zentriert (beispielsweise Gold, Erz oder Leichen), bringt
der Dämon die Erde um sich herum dazu, zu beben und
zu rumoren, bis die von ihm gewünschten Objekte an die
Oberfläche geholt worden sind.
System: Zuerst legen Sie fest, wonach Ihr Charakter in der
Erde suchen möchte. Anschließend würfeln Sie Körper-
kraft + Überleben. Die Anzahl der erzielten Erfolge gibt
den Umkreis und die Tiefe in Metern an, die Ihr Charakter
mit dieser Beschwörung beeinflußt. Wenn sich das gesuch-
te Objekt innerhalb dieses Bereichs befindet, wird es an die
Oberfläche befördert.
Qual: Monströse Dämonen können dieses Geheimnis dazu
nutzen, um eine Art Strudel zu erzeugen, der Dinge unter
die Erdoberfläche hinabzieht. Dämonen oder Menschen,
die Gefahr laufen, von diesem Strudel erfaßt zu werden,
können versuchen, ihm zu entkommen, sofern sie in der
Runde, in der die Beschwörung stattgefunden hat, noch
eine Handlung durchführen können. Kann sich ein Opfer
nicht mehr rechtzeitig retten, wird es für jeden erzielten
Erfolg des Beschwörers dreißig Zentimeter tief unter die
Erde gezogen. Um sich aus diesem Gefängnis frei zu gra-
ben, ist ein erweiterter Wurf auf Körperkraft + Überle-
ben (Schwierigkeit 8) erforderlich, der einmal pro Minute
durchgeführt wird. Bis das Opfer mehr Erfolge als der An-
wender der Beschwörung erzielt hat, bleibt es unter der
Erde begraben und erleidet denselben Schaden, als wenn
es ertrinken würde (weitere Informationen hierzu finden
Sie auf Seite 315 in Kapitel Neun).
••• ERDFORMUNG
Diese Beschwörung erlaubt es einem Übeltäter, die Erde
zu bewegen und nach seinem Willen umzuformen. Mit
einem Wink kann der Dämon einen Wall aus Erde oder
KAPITEL SIEBEN
Stein aus dem Boden schießen lassen, der ihm Schutz bie-
tet. Der Annunaki könnte genausogut die Wände eines
Gebäudes schmelzen lassen wie Wachs, um einen Durch-
gang zu erschaffen, der vor Einsatz der Beschwörung noch
nicht da war.
System: Würfeln Sie Körperkraft + Handwerk. Die
Schwierigkeit wird von der Art des Materials bestimmt,
das Sie beeinflussen wollen (lockere Erde entspricht einer
Schwierigkeit von 5, Granit entspricht einer Schwierigkeit
von 6 und verdichtete Materialien wie etwa Asphalt ent-
sprechen einer Schwierigkeit von 7). Pro erzieltem Erfolg
kann der Dämon 0,6 m² an Material beeinflussen. Das ma-
nipulierte Material kann innerhalb dieser Parameter in jede
beliebige Form gebracht werden, die der Dämon wünscht.
Das beeinflußte Erdreich muß sich innerhalb eines Umkreis
um den Charakter herum befinden, der seinem Glaubewert
in Metern entspricht. Alle Veränderungen sind von perma-
nenter Dauer.
Qual: Monströse Dämonen können die Erde ebenso
leicht manipulieren wie Gefallene mit niedrigen Qual-
werten, aber das von ihnen beeinflußte Material wird
hochgiftig. Lebewesen, die mit diesem verseuchten Mate-
rial in Berührung kommen, nehmen pro Runde, in der sie
seinen schädlichen Einflüssen ausgesetzt sind, eine Stufe
tödlichen Schaden.
•••• ERDSTURM
Mit dieser Beschwörung kann ein Übeltäter Erdklumpen
und Steinsplitter aus dem Boden reißen und in einen Wir-
belsturm aus tödlichen Geschossen verwandeln. Dieser um
den Dämon herum tobende Sturm schützt ihn vor Angrif-
fen und versorgt ihn mit Wurfgeschossen, die er auf seine
Feinde schleudern kann.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Körperkraft + Überleben. Die Anzahl der erzielten Er-
folge bildet einen Würfelvorrat, der als Rüstung fungiert,
die zum Absorbieren des Schadens eines jeden Angriffs
auf den Übeltäter eingesetzt werden kann. Der Sturm
bildet sich um den Gefallenen herum und bewegt sich mit
dem Dämonen mit, wenn dieser seinen Standort wechselt.
Wenn der Übeltäter es wünscht, kann er pro Runde einen
Würfel aus seinem Vorrat für den Erdsturm opfern, um
ein faustgroßes Projektil aus Erde oder Stein auf ein Ziel
zu schleudern. Wie bei jedem anderen Fernkampfangriff
müssen Sie Geschick + Sportlichkeit würfeln, um das Ziel
zu treffen. Die Anzahl der Schadenswürfel, die bei einem
Treffer gewürfelt werden, entspricht dem Glaubewert des
Dämons. Der Radius dieser Beschwörung entspricht eben-
falls dem Glaubewert des Dämons in Metern. Personen,
die sich in diesem Wirkungsbereich aufhalten, müssen
mit peitschenden Böen aus Staub und kleinen Steinchen
fertigwerden, was die Schwierigkeit aller von ihnen aus-
geführten Handlungen um eins erhöht. Die Effekte dieser
Beschwörung halten für die Dauer einer Szene an.
Qual: Der Effekt, der von monströsen Dämonen herauf-
beschworen werden kann, ähnelt einem Sandsturm, der
heftig genug wütet, um jedes Lebewesen bei lebendigem
Leibe zu häuten und unbelebte Gegenstände innerhalb
weniger Augenblicke zu zerfetzen. Diese Version der Be-
schwörung bietet keine zusätzlichen Würfel zum Absor-
bieren von Schaden oder neue Angriffsmöglichkeiten,
aber dafür verursacht sie bei jedem Lebewesen, das sich
in ihrem Wirkungsbereich aufhält, tödlichen Schaden.
Die Anzahl der Schadenswürfel entspricht hierbei dem
Qualwert des Dämons, und der Dämon selbst bleibt vom
Sturm unangetastet. Zusätzlich verhüllen die Wolken aus
pulverisierter Erde und Gestein den Gefallenen, der sie
heraufbeschworen hat, was die Schwierigkeit eines jeden
Fernkampfangriffs auf ihn um eins erhöht.
••••• ERDBEBEN
Indem der Übeltäter die Macht seines Willens bündelt,
kann er die Energien der Erde, die sich tief unter ihrer
Oberfläche angestaut haben, nutzen, um ein kurzes, aber
heftiges Beben zu erzeugen, das stark genug ist, um eine
ganze Stadt zu erschüttern.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und wür-
feln Sie Körperkraft + Überleben. Die erzielten Erfolge
müssen Sie anschließend zwischen der Intensität und der
Ausdehnung des Bebens aufteilen. Die Intensität des Be-
bens wird zu der Schwierigkeit sämtlicher Handlungen
hinzugezählt, die von Personen, die sich innerhalb des
Erdbebengebietes aufhalten, durchgeführt werden. Au-
ßerdem wird dieser Wert als Würfelvorrat genutzt, mit
dem ermittelt wird, welchen Schaden Gebäude durch
das Beben erleiden. Ein kleines aus Holz errichtetes
Gebäude wie etwa ein Verschlag oder eine Hütte be-
sitzt einen oder möglicherweise zwei Strukturpunkte,
während ein aus Stein errichtetes Gebäude wie etwa
ein durchschnittliches Wohnhaus bis zu drei oder vier
Strukturpunkte besitzen kann. Die Schwierigkeit des
Schadenswurfs beträgt 6. Erleidet ein Gebäude mehr
Stufen an Schaden, als es Strukturpunkte besitzt, bricht
es in sich zusammen.
Die Ausdehnung des Erdbebens bestimmt zugleich sei-
nen Wirkungsradius. Ein Erfolg läßt das Beben lediglich
in einem Bereich stattfinden, der einem halben Quadrat-
meter multipliziert mit dem Glaubewert des Charakters
entspricht. Zwei Erfolge lassen das Beben in einem Be-
reich Wirkung zeigen, der dem Glaubewert des Charak-
ters in Quadratmetern entspricht. Ab drei Erfolgen wird
der Glaubewert des Charakters mit einer Grundfläche von
2,5 Quadratkilometern multipliziert, um den Wirkungsbe-
reich des Bebens zu bestimmen. Somit kann ein Dämon
auf einer kleinen Fläche verheerende Schäden, auf einer
mittleren Fläche beträchtliche Schäden und auf einer gro-
ßen Fläche leichte Schäden durch das Beben verursachen.
Für jeden Punkt an Intensität, der dem Beben zugeteilt
wurde, hält es eine Runde lang an.
Qual: Ein monströser Dämon kann die Erde dazu brin-
gen, Giftgaswolken auszustoßen, die von Asche durchsetzt
sind und nach Schwefel stinken. Zusätzlich zu den be-
reits beschriebenen Effekten erhöht die stechende Luft die
Schwierigkeit aller Wahrnehmungswürfe im Wirkungsbe-
reich des Bebens um zwei. Opfer, die diese giftigen Dämpfe
einatmen, nehmen pro Runde eine Stufe Schlagschaden.
Die Intensität des Erdbebens gibt zugleich an, wie viele
Runden diese Effekte andauern.
241

KISHAR, DAS ANTLITZ DER ERDE
Diese Engel manifestieren sich als hochaufragende Ge-
stalten von dunkler Hautfarbe, deren genauer Ton von
Cremebraun bis hin zu Tiefschwarz reichen kann. Ihre
Körper sehen aus, als wären sie aus Stein gehauen worden.
Ihre Muskeln sind fein ausdefiniert, und es ist nicht das
geringste Fett oder schlaffe Fleisch an ihnen zu sehen. Die
Kishar sind vollkommen haarlos, und ihre Augen haben die
Farbe und Klarheit von Edelsteinen: rubinrot, saphirblau,
smaragdgrün, granatrot, topasgelb und diamantweiß. Die
Luft um sie herum duftet nach frisch umgegrabener Erde
und dem neuen Leben, das sie verheißt.
Das Antlitz der Erde verleiht die folgenden Eigenschaf-
ten:
Riesenwuchs: Der Körper des Charakters wächst um ein
Drittel seiner normalen Größe an, was die folgenden Bo-
nuseigenschaften mit sich bringt: +2 Körperkraft, +1 Ge-
schick, +1 Widerstandsfähigkeit.
Immun gegen Schlagschaden: Der Charakter ist gegen
alle Angriffe immun, die ausschließlich Schlagschaden ver-
ursachen können.
Unwiderstehliche Kraft: Die Schwierigkeit für alle Kraft-
akte (siehe Seite 278), die vom Charakter vollbracht wer-
den, sinkt um zwei.
Nachtsicht: Der Charakter kann selbst noch in vollkom-
mener Dunkelheit sehen, als wäre es taghell.
Qual: Durch ihre Qual pervertierte Kishar werden zu rie-
sigen, mißgestalteten Kreaturen, deren steinartige Haut
242
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
von scharfkantigen Knoten und Stacheln bedeckt und von
tiefen Rissen durchzogen ist, die eine schwarze, ölige Sub-
stanz absondern.
Das Antlitz der Erde verleiht bei hohen Qualwerten die
folgenden Eigenschaften:
Zusätzliche Gliedmaßen: Dem Dämon wächst ein zwei-
tes Armpaar, was es dem Charakter erlaubt, unbewaffnete
oder mit Nahkampfwaffen ausgeführte Angriffe auf ihn zu
parieren oder abzublocken, ohne dabei seine eigene An-
griffs- oder Handlungsmöglichkeit zu verlieren. Er kann
aber statt dessen auch zwei zusätzliche Angriffe pro Runde
mit seinem vollen Würfelvorrat durchführen.
Unersättlicher Schlund: Der Schlund des Dämons ist
buchstäblich so heiß wie ein Hochofen, und der Dämon
kann nahezu alles verschlingen und verzehren, ohne daß
er dadurch Schaden nehmen würde. Metall, Stein oder
Fleisch kann ohne Probleme zermalmt und herunterge-
schluckt werden. Die Schwierigkeit aller Bißangriffe des
Charakters werden um zwei gesenkt, und ein erfolgreicher
Biß verursacht Körperkraft +4 schwer heilbaren Schaden.
Dornen: Der Körper des Dämons ist mit spitzen, steiner-
nen Dornen bedeckt, die jedem unbewaffneten Angriff des
Charakters zusätzlich zwei Würfel an schwer heilbarem
Schaden verleihen.
Sekret: Der Körper des Dämons ist von einem stinkenden,
schwarzen Sekret überzogen, das dafür sorgt, daß er nur
schwer zu packen oder festzuhalten ist. Die Schwierigkeit
eines jeden Versuchs, den Dämon zu packen, wird um zwei
erhöht.
KAPITEL SIEBEN
GEHEIMNISSE DER WEGE
• WEG FINDEN
Diese Beschwörung befähigt einen Übeltäter dazu, fest-
zustellen, ob ein Weg zu seinem Zielort existiert, der seinen
Vorstellungen und Wünschen entspricht. Dieser Weg ist
nur für den Dämon und alle, die er berührt, sichtbar und
zeigt sich als ein schwaches, silberblaues Band, das an einen
Streif Mondlicht erinnert.
System: Ihr Charakter legt zunächst die Kriterien fest, die
der von ihm gesuchte Weg erfüllen sollte. Anschließend
würfeln Sie Wahrnehmung + Überleben. Die benötigte
Anzahl der Erfolge hängt von der Art des gesuchten Weges
und der Entfernung ab, die auf ihm zurückgelegt werden
soll. Wenn Ihr Charakter beispielsweise einen Weg durch
einen undurchdringlichen Wald oder Sumpf sucht, müssen
Sie lediglich einen Erfolg erzielen. Will er dagegen einen
Weg finden, der ihn unbemerkt über ein freies Feld führt,
sind schon zwei oder mehr Erfolge erforderlich. Ein Weg,
der Ihren Charakter unverletzt durch ein brennendes Haus
führt, setzt drei oder mehr Erfolge voraus. Scheitert der
Wurf, wird der gesuchte Weg nicht gefunden.
Qual: Monströse Dämonen können ebenso leicht Wege fin-
den wie ihre menschlicheren Geschwister, aber die Schwie-
rigkeit dieser Beschwörung entspricht dem Qualwert des
Dämons. Je mordlustiger das Trachten des Gefallenen wird,
desto weniger ist er zu einer konzentrierten Suche fähig.
•• WEG BAHNEN
Auf dieser Stufe muß der Übeltäter nicht länger nach
einem geeigneten Weg suchen. Er kann sich nun selbst
einen Weg bahnen, der seinen Bedürfnissen entspricht, ob-
wohl dieser Vorgang bisweilen etwas mehr Zeit in Anspruch
nimmt, als einen Weg nur zu suchen.
System: Der Dämon legt zunächst die zu erfüllenden Kri-
terien und die zu überbrückende Strecke des Weges fest.
Anschließend würfeln Sie Geschick + Widerstandsfähig-
keit. Die Schwierigkeit der Probe steigt mit zunehmender
Komplexität des Weges. Eine Abkürzung, die die Reisezeit
verkürzen und es Ihrem Charakter erlauben soll, sich un-
beobachtet zwischen zwei Orten zu bewegen, und darüber
hinaus noch breit genug sein muß, um mehreren Personen
nebeneinander Platz zu bieten, ist von ihrem Aufbau her
ein äußerst komplexer Weg. Die Schwierigkeit für den Be-
schwörungswurf könnte daher bei 9 oder gar 10 liegen. Pro
100 Meter, die der gebahnte Weg lang sein soll, müssen Sie
einen Erfolg erzielen. Diese Erfolge können im Zuge einer
erweiterten Handlung angesammelt werden, müssen aber
in direkt aufeinanderfolgenden Runden erzielt werden.
Ein Beispiel: Wenn ein Übeltäter einen Weg wie den eben
bereits erwähnten bahnen will, der 500 Meter lang sein
soll, muß er dazu bei einer Schwierigkeit von 9 oder 10 fünf
oder mehr Erfolge erzielen. Ist der Weg erst einmal gebahnt,
ist er nur für Ihren Charakter sichtbar (obwohl er durch
die erfolgreiche Anwendung der Beschwörung Weg finden
wie jeder andere Weg auch von einem anderen Dämon
entdeckt werden kann). Der Weg bleibt für so viele Tage
offen und nutzbar, wie es der permanente Glaubewert Ihres
Charakters angibt. Sie können dem Weg eine dauerhafte
Existenz schenken, indem Sie einen temporären Willens-
kraftpunkt aufwenden.
Qual: Auch monströse Dämonen können Wege bahnen.
Allerdings wird das Gefüge der Wirklichkeit, aus dem ein
solcher Weg besteht, durch den Haß und den Schmerz des
Dämons so verändert, daß sein Verlauf unvorhersehbar
und gefährlich werden kann. Beim Bereisen eines solchen
Weges werden bei allen anfallenden Würfen Erfolge durch
Würfelergebnisse von 1 und 2 aufgehoben. Kommt es auf
diese Weise zu einem Patzer, kommt der Reisende an einer
beliebigen Stelle, über die der Erzähler entscheidet, vom
Weg ab – was potentiell tödlich enden kann, wenn der
bereiste Weg unter einem See oder durch einen Berg hin-
durch führt.
••• WEG TARNEN
Ist ein Weg erst einmal gebahnt, kann er von jedem Dä-
mon gefunden und beschritten werden, der weiß, wie man
nach solchen Wegen Ausschau halten muß – es sei denn,
der Dämon, der den Weg gebahnt hat, hat ihn auch ge-
tarnt.
System: Würfeln Sie Wahrnehmung + Überleben. Jeder
Dämon, der später versucht, den getarnten Weg aufzu-
spüren, muß dabei mehr Erfolge erzielen, als Sie bei der
Tarnung erzielt haben. Diese Tarnung hat für eine Anzahl
an Tagen Bestand, die dem permanenten Glaubewert Ihres
Charakters entspricht. Sie kann aber auch durch die Auf-
wendung eines temporären Willenskraftpunkts dauerhaft
gemacht werden.
Qual: Monströse Dämonen verbergen ihre Wege nicht,
sondern legen statt dessen Fallen für unachtsame Reisen-
de. Die bei der Durchführung der Beschwörung erzielten
Erfolge werden in automatische Stufen an Schlagschaden
umgewandelt, die jedes andere Wesen außer dem Dämon
selbst erleidet. Eine solche Falle kann zwar durch einen
Wurf auf übernatürliche Wahrnehmung (siehe Seite 207)
entdeckt werden, aber man kann sie nicht umgehen oder
entschärfen. Anders als bei der harmloseren Form dieser
Beschwörung kann eine solche Falle nicht mit Willenskraft
zu einem ständigen Teil des Weges gemacht werden. Nach
einer Anzahl an Tagen, die dem Qualwert des Dämons
entspricht, verschwindet sie wieder.
•••• WEG VERSCHLIESSEN
Durch diese Beschwörung kann ein Übeltäter die beiden
Enden eines Weges versiegeln, um seine Nutzung so für
Freund und Feind unmöglich zu machen, bis er ihn wieder
öffnet. Wege, die auf diese Weise verschlossen werden, sind
oftmals zusätzlich noch „verriegelt“. Sie können nur durch
das Aussprechen spezieller „Paßworte“ geöffnet werden, die
wie Schlüssel funktionieren und es nur ganz bestimmten
Personen erlauben, den Weg zu betreten, während Unein-
geweihte weiterhin ausgesperrt bleiben.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Geschick + Überleben. Pro 100 Meter, die der Weg
lang ist, müssen Sie einen Erfolg erzielen. Diese Erfolge
können im Zuge einer erweiterten Handlung angesammelt
werden, müssen aber in direkt aufeinanderfolgenden Run-
243

den erzielt werden. Haben Sie ausreichend viele Erfolge
erwürfelt, ist der Weg verschlossen. Sollten sich zu diesem
Zeitpunkt Reisende auf ihm befinden, bleiben diese auf
ihm gefangen, bis Ihr Charakter sich dazu entschließt, den
Weg wieder zu öffnen. Sie können zusätzlich einen tempo-
rären Willenskraftpunkt einsetzen, damit Ihr Charakter ein
Paßwort erschaffen kann, das es anderen Dämonen (und
Sklaven) erlaubt, den Weg zu öffnen und zu betreten.
Durch diese Beschwörung verschlossene Wege können
mittels eines erfolgreichen Willenskraftwurfs gewaltsam
geöffnet werden. Die Schwierigkeit entspricht dem Wil-
lenskraftwert des Übeltäters, der den Weg verschlossen hat,
und bei diesem Wurf muß eine Anzahl an Erfolgen erzielt
werden, die dem Glaubewert des Dämons zum Zeitpunkt
des Verschließens des Weges entspricht. Das gewaltsame
Öffnen eines verschlossenen Weges kann als erweiterte
Handlung über mehrere aufeinanderfolgende Runden vor-
genommen werden.
Qual: Monströse Dämonen verschließen ihre Wege nicht
– sie lassen sie einfach in sich zusammenbrechen. Wieder
müssen Sie pro 100 Meter des Weges einen Erfolg erzielen,
die Sie wie gewohnt im Zuge einer erweiterten Handlung
im Verlauf mehrerer aufeinanderfolgender Runden ansam-
meln können. Sobald Ihnen dies gelingt, bricht der Weg
in sich zusammen und ist zerstört. Sollten sich zu diesem
Zeitpunkt Reisende auf ihm befinden, hat das schlimme
Konsequenzen für sie. Der Erzähler würfelt für jede be-
troffene Person Geschick + Überleben (Schwierigkeit 8).
Ist der Wurf erfolgreich, verläßt die entsprechende Person
den Weg an einer zufälligen Stelle entlang seines Verlaufs.
Scheitert der Wurf, geht die Person irgendwo zwischen
der stofflichen Welt und dem Geisterreich verloren und
beginnt zu ersticken (benutzen Sie die Regeln für Ertrinken
auf Seite 315 in Kapitel Neun). Der Erzähler würfelt einmal
pro Minute für jede dieser so gefangenen Personen weiter,
bis sie entkommt oder stirbt. Stirbt der Charakter, kehrt
sein Körper nicht wieder in die stoffliche Welt zurück und
bleibt verschollen.
••••• WEG VERÄNDERN
Diese Beschwörung ermöglicht es einem Übeltäter, das
Wesen eines existierenden Weges zu verändern, indem er
Einfluß auf einen oder mehrere seiner Parameter nimmt.
Der Weg kann einen Reisenden daraufhin schneller oder
langsamer ans Ziel bringen, einfach wieder zu seinem Aus-
gangspunkt zurückführen, an einem vollkommen anderen
Zielort enden oder schlicht und ergreifend auf sich selbst
führen, was in einer Endlosschleife resultiert.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und wür-
feln Sie Geschick + Überleben. Wenn Ihr Charakter die
Zeitspanne, die zum Bereisen eines Weges nötig ist, ver-
kürzen oder verlängern möchte, wird der Multiplikator
oder der Teiler, um den die Reisezeit verändert wird, durch
die erzielten Erfolge bestimmt. Wenn er das Ziel des We-
ges verändern möchte oder bewirken will, daß er in einer
Schleife wieder auf sich selbst trifft, müssen Sie pro 100
Meter Länge des Weges einen Erfolg erzielen. Die Dauer
dieses Effektes entspricht dem Glaubewert Ihres Charakters
in Tagen. Durch Einsatz eines Willenskraftpunkts können
244
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
die vorgenommenen Veränderungen jedoch auch dauerhaft
gemacht werden.
Qual: Monströse Dämonen verändern Wege so, daß sie
Reisenden, die auf ihnen unterwegs sind, den Verstand
rauben können. Zu allen anderen am Weg vorgenommenen
Veränderungen kommt noch hinzu, daß Reisende bei ihrer
Ankunft am Zielort einen Willenskraftwurf machen müs-
sen. Scheitert dieser Wurf, erleiden sie eine vorübergehen-
de Geistesstörung. Bei einem Patzer ist die Geistesstörung
von Dauer.
ANTU, DAS ANTLITZ DER WEGE
Die Engel der Pfade scheinen auf den ersten Blick wie
gewöhnliche Sterbliche auszusehen. Ihre Haut ist stark
gebräunt und wettergegerbt, als hätten sie ihr ganzes Leben
in der Sonne verbracht. Die Haut um ihre dunklen Augen
ist sehr faltig, was den Eindruck erweckt, als läge ein stän-
diger Schatten auf ihren Augenhöhlen. Erst bei genauerer
Betrachtung offenbart sich, daß die vermeintlichen Kum-
merfalten in Wirklichkeit komplizierte Muster sind. Diese
Muster, die an Tätowierungen erinnern, nehmen ihren An-
fang in den Augen, von wo aus sie über das ganze Gesicht
laufen, bis sie im Haaransatz verschwinden, bevor sie rings
um den Hals herum wieder auftauchen. Nachts reflektieren
diese Linien das Mondlicht in einem geisterhaften Flecht-
werk, das sich aus eigenem Antrieb zu bewegen und neu
anzuordnen scheint, wenn der Engel spricht.
Das Antlitz der Wege verleiht die folgenden Eigenschaf-
ten:
Perfekte Orientierung: Der Charakter weiß immer genau,
wo er sich in Relation zu ihm bekannten Orientierungs-
punkten aufhält, ganz gleich, wie weit diese Orientierungs-
punkte auch entfernt sein mögen. Solange er nicht das
Opfer von Beschwörungen wird, die den Orientierungssinn
verwirren (wie etwa Weg verändern), verliert er nie sein
Gespür für die Himmelsrichtungen.
Verbesserte Wahrnehmung: Die Schwierigkeit aller Wahr-
nehmungswürfe wird um zwei verringert.
Verbesserte Initiative: Die Initiative des Charakters ver-
bessert sich um zwei.
Flinke Finger: Der Charakter ist zu übermenschlich
schnellen Fingerbewegungen in der Lage und kann Objek-
te scheinbar aus dem Nichts herbeizaubern, nur um sie mit
einem Zucken des Handgelenks wieder verschwinden zu
lassen. Gelingt ihm ein erfolgreicher Wurf auf Geschick +
Sportlichkeit, kann er ein Objekt aus einer Tasche ziehen
oder auch darin verbergen, ohne bemerkt zu werden.
Qual: Von ihrer Qual gezeichnete Antu können die Linien,
die sich über ihr ganzes Gesicht ziehen, nicht verbergen
– sie heben sich als tiefe, schwarze und rote Einschnitte
deutlich von ihrer gebräunten Haut ab. Die Luft um sie
herum ist ständig in flirrender Bewegung und scheint förm-
lich zu erzittern, wenn die Gemütsregungen des Antu zu
heftig werden.
Das Antlitz der Wege verleiht bei hohen Qualwerten die
folgenden Eigenschaften:
Spurloses Wandeln: Die Schwierigkeit aller Heimlich-
keitswürfe des Charakters wird um zwei gesenkt, und zu-
dem hinterläßt er keinerlei Spuren in seiner Umgebung.
KAPITEL SIEBEN
Weder bleiben Fußabdrücke zurück, noch werden Blätter
oder Zweige niedergedrückt oder abgeknickt.
Schrumpfen: Der Dämon kann seine Körpergröße so weit
reduzieren, daß er durch die schmalsten Fugen paßt und
in die kleinsten Räume hineingelangen kann. Wenn er es
wünscht, kann er sich auf ein Drittel seines ursprünglichen
Körpervolumens schrumpfen. Die Schwierigkeit aller An-
griffe auf den Charakter wird um zwei erhöht, während er
sich in diesem Miniaturzustand befindet.
Trugbild: Die Luft um den Dämon verändert sich und
kann Illusionen erzeugen, die seinen Gegnern ein falsches
Bild davon vermitteln, wie weit der Gefallene von ihnen
entfernt ist. Die Schwierigkeit sämtlicher Fernkampfan-
griffe gegen den Dämon wird um zwei erhöht, die aller
Nahkampfangriffe um eins. Andere Dämonen können ver-
suchen, diese Effekte auf die gewohnte Weise zu durch-
schauen (siehe Seite 206).
Unermüdlichkeit: Der Dämon kann theoretisch unend-
lich lange gehen oder rennen, ohne je rasten zu müssen.
Dadurch kann er Strecken zurücklegen, die für einen Men-
schen in derselben Zeitspanne unmöglich zu bewältigen
wären. Solange er in Bewegung bleibt, bleibt der Dämon
von Hunger oder Ermüdungserscheinungen unangetastet.
GEHEIMNISSE DER ESSE
• GEGENSTAND VERBESSERN
Diese Beschwörung erlaubt es einem Übeltäter, ein na-
türliches Verständnis für einen Gegenstand und dessen
Funktion zu erlangen, indem er einfach mit der Hand dar-
überfährt oder dessen bewegliche Teile bedient. Darüber
hinaus ist er in der Lage, beschädigte Gegenstände zu repa-
rieren oder kleine Umbauten an ihnen vorzunehmen, was
sie effizienter funktionieren läßt als vorher.
System: Würfeln Sie Wahrnehmung + Handwerk. Die
Schwierigkeit der Probe wird anhand der Komplexität
des Gegenstands festgelegt: Ein Hammer entspricht einer
Schwierigkeit von 5, während die Schwierigkeit für ein
Auto bei 8 liegt. Für Hightechgeräte wie etwa Computer
liegt die Schwierigkeit bei 10. Ein Erfolg reicht aus, um dem
Dämon ein grundsätzliches Verständnis über den Aufbau
und die Funktionsweise des Gegenstands zu vermitteln; er
ist daraufhin in der Lage, mit dem Gegenstand umzugehen
oder ihn zu bedienen, als besäße er ein Basiswissen über sei-
ne Anwendungsmöglichkeiten. Ist der Gegenstand beschä-
digt, kann der Dämon ihn reparieren, solange er nur einen
einzigen Erfolg erzielt. Will er dessen Arbeitsweise ver-
bessern, verringert jeder erzielte Erfolg die Schwierigkeit,
gegen die bei einer Benutzung des Gegenstands gewürfelt
werden muß. Eine solche Feinabstimmung kann an jedem
Gegenstand allerdings nur einmal vorgenommen werden.
Dieser Effekt hält normalerweise für die Dauer einer Szene
an. Ihr Charakter kann ihn aber auch permanent wirken
lassen, wozu Sie lediglich einen temporären Willenskraft-
punkt aufwenden müssen.
Qual: Gegenstände, die von einem monströsen Dämon
repariert oder verbessert wurden, tragen den Makel des
Hasses des Gefallenen in sich und ziehen Tod und Unglück
an. Werden solche verfluchten Gegenstände benutzt, ne-
gieren Würfelergebnisse von 1 und 2 beim Wurf erzielte
Erfolge. Nach Ermessen des Erzählers können Waffen, die
unter dem Einfluß dieser Beschwörung stehen, sich im Falle
eines Patzers gegen ihren Träger oder jemanden, der ihm
nahesteht, richten.
•• GEGENSTAND AKTIVIEREN
Durch diese Beschwörung kann der Dämon mechani-
sche Gegenstände allein durch die Kraft seines Willens
bedienen.
System: Würfeln Sie Intelligenz + Handwerk. Die Schwie-
rigkeit der Probe hängt von der Komplexität des Gegenstan-
des ab. Das Öffnen einer Tür entspricht einer Schwierigkeit
von 5, während die Schwierigkeit für das Durchladen und
Abfeuern einer Pistole bei 8 liegt. Diese Beschwörung funk-
tioniert nur bei Gegenständen, die nach einfachen mecha-
nischen Prinzipien funktionieren. Ein Scharnier bewegt sich
und ein Hebel kann umgelegt werden, aber ein Hammer
kann sich nicht von selbst in die Luft erheben und Nägel in
die Wand schlagen. Der Rufknopf eines Fahrstuhls oder der
Einschaltknopf eines Computers könnten gedrückt werden,
doch der Speicher eines Rechners kann nicht beeinflußt
werden. Ihr Charakter kann durch diese Beschwörung einen
einzigen Gegenstand bedienen, der sich höchstens so viele
Meter von ihm entfernt befinden darf, wie sein Glaubewert
angibt.
Qual: Eine Maschine, die von einem monströsen Dämon
beeinflußt wird, geht häufig zu Bruch oder gerät außer
Kontrolle, wodurch sie sich letzten Endes selbst vernich-
tet. Um einen Gegenstand zu bedienen, würfelt der durch
seine Qual pervertierte Übeltäter Widerstandsfähigkeit +
Handwerk. Die Anzahl der erzielten Erfolge gibt zugleich
den Schaden an, den der Gegenstand während seiner Be-
nutzung erleidet.
••• GEGENSTAND FORMEN
Mit Hilfe dieser Beschwörung kann ein Übeltäter jede
Art von Materie problemlos bearbeiten, um sie in eine neue
Form zu bringen. Auf diese Weise kann eine Holzbohle
in ein Modellschiff, eine schlichte Fensterscheibe in eine
zierliche Glaskrone oder ein Stahlrohr in ein Schwert mit
rasiermesserscharfer Klinge verwandelt werden.
System: Würfeln Sie Geschick + Handwerk. Sie müssen
eine Anzahl von Erfolgen erzielen, die von der Komplexi-
tät des Gegenstands abhängt, den der Dämon erschaffen
möchte. Um einen Hammer zu formen, bedarf es lediglich
eines einzelnen Erfolgs, während für eine Uhr fünf oder
mehr Erfolge nötig sind. Die benötigte Anzahl an Erfol-
gen kann durch eine erweiterte Handlung angesammelt
werden, was es Ihrem Charakter ermöglicht, eine Weile an
einem Gegenstand zu arbeiten, ihn dann wegzulegen und
erst Stunden oder gar Tage später die Arbeit wiederauf-
zunehmen. Die Schwierigkeit zur Erschaffung sehr genau
durchkonstruierter Maschinen wie etwa Verbrennungsmo-
toren oder elektrischer Generatoren beträgt 9, und ihre
Fertigstellung könnte zehn oder mehr Erfolge erfordern.
Bei Hightechgeräten wie beispielsweise Computern be-
trägt die Schwierigkeit 10, und man braucht 15 oder sogar
noch mehr Erfolge, um sie fertigzustellen. Auf diese Weise
245

erschaffene Gegenstände bleiben so lange bestehen, bis sie
zerstört werden.
Qual: Gegenstände, die von monströsen Dämonen geformt
werden, sind äußerst gefährlich und unberechenbar. Mal
funktionieren sie einwandfrei, mal lösen sie eine Tragö-
die aus. Werden solche verfluchten Gegenstände benutzt,
negieren Würfelergebnisse von 1 und 2 beim Wurf erzielte
Erfolge. Die Konsequenzen eines Patzers hat stets der An-
wender oder eine ihm nahestehende Person zu tragen.
• • • • GEGENSTAND VERZAUBERN
Diese mächtige Beschwörung ist auch zugleich das Ge-
heimnis, das am häufigsten mit den Engeln der Erde in
Verbindung gebracht wird: Sie verleiht einem Übeltäter die
Macht, Gegenstände mit übernatürlichen Kräften zu verse-
hen, die gewöhnliche Sterbliche zu wahren Helden – oder
zu Monstern – machen können. Viele solcher Gegenstän-
de werden speziell zu diesem Zweck geschaffen, doch die
Übeltäter sind genauso begabt darin, bereits existierende
Gegenstände mit furchteinflößenden neuen Eigenschaften
auszustatten.
System: Die Erschaffung eines verzauberten Gegenstands
ist eine langwierige und aufwendige Arbeit, die viel Zeit
und Energie braucht. Wenn der Übeltäter den Gegenstand,
der verzaubert werden soll, speziell für diesen Zweck selbst
erschaffen hat, so beträgt die Schwierigkeit für die Durch-
führung dieser Beschwörung 6. Arbeitet er mit einem be-
reits existierenden Gegenstand, den er nicht selbst erschaf-
fen hat, beträgt die Schwierigkeit 8. Um einen Gegenstand
zu verzaubern, muß der Dämon zunächst die passenden
Geheimnisse kennen, die es ihm erlauben, den Gegenstand
mit der gewünschten Eigenschaft zu versehen. Will der
Dämon beispielsweise einen magischen Spiegel erschaffen,
der jedem, der sich in ihm betrachtet, eine Illusion von ma-
kelloser Schönheit zeigt, muß er mindestens einen Punkt
in den Geheimnissen des Lichts besitzen, dem Pfad, durch
den Illusionen erzeugt werden können. Kompliziertere Ef-
fekte könnten auch aus einer Kombination verschiedener
Geheimnisse bestehen. Will der Dämon, daß der Spiegel
zusätzlich in der Lage sein soll, die sehnlichsten Wünsche
eines Sterblichen zu spüren und ihm diese in einer Illusion
vorzuspielen, müßte er sich neben den Geheimnissen des
Lichts auch mit den Geheimnissen der Menschheit aus-
kennen. Der Erzähler ist die oberste Instanz, die darüber
entscheidet, welche Geheimnisse für einen kombinierten
Effekt erforderlich sind (und welche Stufe in einem Pfad
erreicht sein muß). Verzauberte Gegenstände zehren vom
Glauben ihres Anwenders, um ihre übernatürlichen Eigen-
schaften zu speisen. Sterbliche (einschließlich Sklaven)
müssen einen erfolgreichen Willenskraftwurf (Schwierig-
keit 8) ablegen, um die magischen Fähigkeiten eines ver-
zauberten Gegenstandes zu nutzen. Dämonen hingegen
müssen einen Glaubenswurf (Schwierigkeit 6) machen.
Dieser Wurf muß jedesmal durchgeführt werden, wenn
der Gegenstand benutzt werden soll. Endet ein solcher
Wurf in einem Patzer, verliert der Charakter einen Punkt
der Eigenschaft, die er gewürfelt hat. Allerdings kann sich
ein Charakter auch auf einen verzauberten Gegenstand
einstimmen, um eine dauerhafte Verbindung mit ihm ein-
246
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
zugehen, die den Gegenstand ständig mit Energie versorgt.
Die Einstimmung auf einen Gegenstand kostet einen per-
manenten Willenskraftpunkt (im Falle eines Sterblichen
oder Sklaven) oder einen permanenten Glaubenspunkt
(im Falle eines Dämons). Ist ein Charakter erst einmal auf
einen Gegenstand eingestimmt, kann er dessen magische
Fähigkeiten nach Belieben einsetzen, ohne dafür einen
Würfelwurf ausführen zu müssen.
Besitzt der Dämon das nötige Wissen, um die gewünschte
Verzauberung vorzunehmen, würfeln Sie in einer erwei-
terten Handlung Geschick + Handwerk. Die Anzahl der
benötigten Erfolge sowie die Zahl der Glaubenspunkte, die
in den Gegenstand investiert werden müssen, hängen von
der Form und der Wirkung der Verzauberung ab. Um die
Zahl der nötigen Glaubenspunkte zu ermitteln, addieren
Sie einfach die Stufen der für die Verzauberung verwende-
ten Geheimnisse. Die Anzahl der beim Erschaffungswurf zu
erzielenden Erfolge ist dann das Vierfache der insgesamt in-
vestierten Glaubenspunkte. Natürlich steht es dem Erzäh-
ler frei, die Anzahl der zu investierenden Glaubenspunkte
oder der zu erzielenden Erfolge nach eigenem Ermessen zu
variieren. Ein Patzer bei diesem Erschaffungswurf vernich-
tet den Gegenstand. Diese Beschwörung kann nicht auf
Hightechgeräte wie Computer oder andere elektronische
Hardware angewendet werden.
Qual: Monströse Dämonen erschaffen ausschließlich ver-
fluchte Gegenstände, die die Seelen ihrer Anwender auf-
zehren und den Personen, die ihnen nahestehen, Unglück
bringen. Werden solche verfluchten Gegenstände benutzt,
negieren Würfelergebnisse von 1 und 2 beim Wurf erzielte
Erfolge. Die Konsequenzen eines Patzers hat stets der An-
wender oder einer seiner Freunde oder Familienangehöri-
gen zu tragen, der sich zufällig in der Nähe aufhält. Anstatt
einen Würfelwurf zum Aktivieren des verfluchten Gegen-
standes auszuführen, verlieren Sterbliche (einschließlich
Sklaven) bei jeder Anwendung automatisch einen Wil-
lenskraftpunkt, während Dämonen einen temporären Qu-
alpunkt hinzuerhalten.
• • • • • GEGENSTAND BESEELEN
Während ihre Fähigkeit, Gegenstände mit übernatürli-
chen Kräften auszustatten, die Annunaki unter den Ge-
fallenen zu heißbegehrten Verbündeten macht, sorgt diese
Beschwörung dafür, daß man ihnen auch mit einem gerüt-
telt Maß an Furcht begegnet. Durch diese Beschwörung
ist der Übeltäter in der Lage, eine Seele – sei es nun die
eines Sterblichen oder die eines Dämons – in einen speziell
vorbereiteten Gegenstand zu binden.
System: Ihr Charakter muß ein passendes Gefäß bereit-
stellen, um den Geist aufzunehmen, den er binden will.
Dieses Gefäß muß aus natürlichen Materialien bestehen
und von Hand gefertigt worden sein. Hat der Übeltäter
das Gefäß selbst angefertigt, liegt die Schwierigkeit für die
Durchführung der Beschwörung bei 6. Anderenfalls be-
trägt sie 8. Steht Ihrem Charakter ein solches Gefäß zur
Verfügung, kann er diese Beschwörung auf jede gewünschte
entkörperte Seele anwenden (wie beispielsweise die Seele
eines Dämonen, der gerade seinen Wirtskörper verloren
hat, oder einen Geist). Das körperlose Wesen darf nicht
KAPITEL SIEBEN
weiter von Ihrem Charakter entfernt sein, als es sein Glau-
bewert in Metern vorgibt. Setzen Sie einen Glaubenspunkt
ein und würfeln Sie in einer Handlung gegen Widerstand
Widerstandsfähigkeit + Handwerk gegen die Willenskraft
des Ziels. Geht Ihr Charakter aus diesem Wettstreit als
Sieger hervor, ist der Geist in das Gefäß gebunden. Sterb-
liche Seelen, die auf diese Weise an ein Gefäß gebunden
sind, können nicht mehr mit der stofflichen Welt interagie-
ren. Dämonen hingegen können weiterhin ihre arteigenen
Kräfte und ihre Geheimnisse nutzen – vorausgesetzt sie
besitzen noch ausreichend Glaube dafür. (Alle mit sterb-
lichen Sklaven eingegangenen Pakte bleiben bestehen).
Der einzige Weg, eine Seele zu befreien, besteht darin, das
Gefäß zu zerstören, an das sie gebunden wurde.
Qual: Monströse Dämonen, die Seelen mit Hilfe dieser
Beschwörung binden, besudeln mit ihrem Makel auch die
gebundenen Seelen und verwandeln sie in wahnsinnige, bös-
artige Wesenheiten. Sterbliche Seelen, die auf diese Weise
gebunden werden, erleiden eine dauerhafte Geistesstörung,
die vom Erzähler festgelegt wird. Bei Gefallenen steigt ihr
Qualwert um so viele permanente Punkte an, wie der Übeltä-
ter Erfolge bei dem Wurf auf Widerstandsfähigkeit + Hand-
werk erzielt hatte, um sie an das Gefäß zu binden.
MUMMU, DAS ANTLITZ DER ESSE
Die Engel der Esse erscheinen als Giganten, die den An-
schein erwecken, aus dem schwärzesten Eisen der Erde ge-
hämmert worden zu sein. Ihre mächtigen Muskeln sind von
glühenden Adern überzogen, durch die heißes Magma fließt,
und ihre Augen glänzen wie zwei Scheiben aus glattpolier-
tem Messing. Ihre Stimmen sind tief und donnernd wie das
Brüllen eines Hochofens. Nehmen sie ihre apokalyptische
Gestalt an, sind sie gegen Temperatur- und Druckextreme
immun. Sie können dann mit glühender Kohle umgehen, wie
Sterbliche üblicherweise mit Eiswürfeln hantieren.
Das Antlitz der Esse verleiht die folgenden Eigenschaf-
ten:
Meister der Künste: Die Schwierigkeit aller Handwerks-
würfe wird um zwei gesenkt.
Riesenwuchs: Der Körper des Charakters wächst um ein
Drittel seiner normalen Größe an, was die folgenden Bo-
nuseigenschaften mit sich bringt: +2 Körperkraft, +1 Ge-
schick, +1 Widerstandsfähigkeit.
Donnernde Stimme: Der Schrei des Charakters läßt Glas
splittern und Fels erbeben. Personen in einem Umkreis
um den Charakter, der seinem Glaubewert in Metern ent-
spricht, erleiden vier Würfel Schlagschaden. Diese Fähig-
keit kann nur einmal pro Szene eingesetzt werden und
erfordert eine eigene Handlung.
Immun gegen Feuer: Der Charakter ist gegenüber Schaden,
der durch Feuer verursacht wird, vollkommen immun.
Qual: Mummu mit hohen Qualwerten sind alptraumhafte
Kreaturen mit stählerner Haut und gezackten, klingen-
ähnlichen Klauen. Sie sind ständig in einen Schleier aus
Schwefeldämpfen gehüllt. Ihre Augen sind wenig mehr als
zwei lodernde Feuerbälle, und überall, wo sie hingehen,
spielen elektrische Geräte verrückt: Lampen beginnen wild
zu flackern und Fernseh- und Radiogeräte werden durch
statisches Rauschen gestört.
Das Antlitz der Esse verleiht bei hohen Qualwerten die
folgenden Eigenschaften:
Klingen: Die Finger des Mummu enden in gekrümmten
Klingen aus rasiermesserscharfem Stahl, die Körperkraft
+2 schwer heilbaren Schaden verursachen.
Zusätzliche Gliedmaßen: Dem Dämon wächst ein zwei-
tes Armpaar, was es dem Charakter erlaubt, unbewaffnete
oder mit Nahkampfwaffen ausgeführte Angriffe auf ihn zu
parieren oder abzublocken, ohne dabei seine eigene An-
griffs- oder Handlungsmöglichkeit zu verlieren. Er kann
aber statt dessen auch zwei zusätzliche Angriffe pro Runde
mit seinem vollen Würfelvorrat durchführen.
Magnetfeld: Der Dämon wird von einem elektromagne-
tischen Feld umgeben, das stark genug ist, um elektrische
Geräte in einem Umkreis zu stören, der seinem Glaubewert
in Metern entspricht.
Stählerne Haut: Die stahlähnliche Haut des Charakters
dient ihm als Rüstung und bringt ihm vier zusätzliche Wür-
fel, um Schlagschaden, tödlichen Schaden und schwer heil-
baren Schaden zu absorbieren.
(NEBERU)
Die Menschheit sieht im Universum eine unermeßliche
Weite, die mit Galaxien, Sternen und Planeten angefüllt
ist und in der jeder Himmelskörper auf einer See der Leere
dahintreibt. Die Engel des Himmels wissen es besser: Alle
Elemente der Schöpfung – von den gewaltigsten bis zu den
unscheinbarsten – sind voneinander abhängig und sorgen
gemeinsam für den Erhalt des empfindlichen Gleichge-
wichts zwischen Energie, Bewegung und Richtung. Für
sie ist das Universum ein gewaltiger Mechanismus, den
nur Gott begreifen konnte und mit dessen fortlaufender
Überwachung und Instandhaltung die Engel betraut wor-
den waren. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe spielten die
Geheimnisse der Struktur eine zentrale Rolle, da sie es den
Engeln des Vierten Hauses erlaubten, die Abläufe des Gro-
ßen Plans zu studieren und mögliche Probleme vorherzuse-
hen, noch bevor diese tatsächlich auftreten konnten. Doch
selbst für die Elohim hatte das Universum bereits zu gewal-
tige Ausmaße angenommen, als daß sie zu einem bestimm-
ten Zeitpunkt hätten mehr als nur einen kleinen Teil von
ihm hätten überwachen können. Diese unbefriedigende
Situation mündete in der Ergründung der Geheimnisse der
Portale. Das in ihnen gesammelte Wissen erlaubte es den
Engeln, binnen eines Wimpernschlags von einem Ende der
Wirklichkeit zum anderen zu reisen. Schließlich versuchten
die Neberu, die ähnlich wie die Annunaki bei der Erfüllung
ihrer Pflichten in aller Regel nicht von den Sterblichen
wahrgenommen wurden, ihre Kräfte im Kampf gegen die
Himmlischen Heerscharen deutlich spürbarer und greifba-
rer zum Tragen zu bringen. So ergründeten die Unholde die
247

Geheimnisse des Lichts, als sie während des Kriegs lernten,
ihr Wissen über das Licht – und die Wahrnehmung – zum
Erzeugen mächtiger Illusionen einzusetzen.
GEHEIMNISSE DER STRUKTUR
• KONGRUENZGESPÜR
Diese Beschwörung erlaubt es einem Unhold, Personen
oder Örtlichkeiten wahrzunehmen, an denen sich Ereignis-
se von größter Bedeutung abspielen werden. Indem er den
Fluß der Kräfte, die im Gefüge der Wirklichkeit am Werke
sind, deutet, kann ein Unhold diese Beschwörung nutzen,
um immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
System: Ihr Charakter muß genauer festlegen, welche Art
von bevorstehendem Ereignis er wahrnehmen will (bei-
spielsweise das Wirken eines Beschwörungsrituals oder ei-
nen Autounfall). Anschließend würfeln Sie Wahrnehmung
+ Intuition. Der Glaubewert gibt die Anzahl der Tage an,
die Ihr Charakter in die Zukunft blicken kann, um die ent-
sprechende Struktur im Gefüge der Wirklichkeit zu suchen.
Die Anzahl der erzielten Erfolge zeigt an, wie viele Infor-
mationen er im Zuge dieser Suche gewinnt. Ein Erfolg zeigt
ihm den Ort, an dem das Ereignis stattfinden wird, aber er
weiß nicht wann und wie das Ereignis eintreten wird. Zwei
Erfolge gewähren ihm tiefere Einblicke bezüglich des Orts
und eine ungefähre Ahnung, wann das fragliche Ereignis
eintreten wird. Bei drei Erfolgen erfährt er genau, wo und
wann das entsprechende Ereignis stattfinden wird und wie
die Personen aussehen, die darin verwickelt sein werden.
Qual: Monströse Dämonen können diese Beschwörung
nur zum Wahrnehmen von Ereignissen nutzen, die Gewalt
und Zerstörung mit sich bringen.
•• STRUKTURANALYSE
Durch diese Beschwörung kann ein Unhold ein bestimm-
tes Ereignis aus der Vergangenheit betrachten und die ver-
schiedenen Kräfte analysieren, die zu seinem Eintreten
führten. Der Dämon gewinnt in Form vager Eindrücke,
die immer klarer werden, je mehr er sich auf sie konzen-
triert, Einsichten und Erkenntnisse über das vergangene
Ereignis.
System: Ihr Charakter muß sich an dem Ort aufhalten,
an dem das von ihm untersuchte Ereignis stattgefunden
hat, um diese Beschwörung anwenden zu können. Wür-
feln Sie Wahrnehmung + Intuition. Die Anzahl der er-
zielten Erfolge gibt an, wie detailliert die Informationen
sind, die Ihr Charakter über ein bestimmtes Ereignis aus
der Vergangenheit erhält. Ein Erfolg zeigt ihm die unmit-
telbaren Umstände an, die zu dem Ereignis geführt haben.
Zwei Erfolge offenbaren ihm den Verlauf der Ereignisse,
die sich ein paar Minuten vor dem eigentlichen Zwischen-
fall abgespielt haben. Drei Erfolge führen Ihren Charakter
eine Viertelstunde vor das Ereignis zurück, wodurch er ein
umfassendes Bild der Kräfte erhält, die den Zwischenfall
verursacht haben.
Qual: Monströse Dämonen können zwar versuchen, jede
Struktur zu analysieren, aber sie erhalten nur ein klares
Bild von den Ursprüngen von Gewalt und Leid, die mit
dem Ereignis in Verbindung stehen.
248
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
••• VORSEHUNG
Diese mächtige Beschwörung gibt einem Unhold die
Möglichkeit, die Schicksalsfäden in seiner unmittelbaren
Umgebung zu lesen und so kurz bevorstehende Ereignisse
und Zwischenfälle vorherzusagen.
System: Würfeln Sie Geistesschärfe + Intuition. Die An-
zahl der erzielten Erfolge zeigt an, wie viele Runden der Ef-
fekt dieser Beschwörung anhält. Diese Beschwörung schützt
den Unhold davor, von Ereignissen überrascht zu werden,
wodurch er aus dem normalen Initiativesystem herausfällt.
Während die anderen Spieler und der Erzähler ihre Hand-
lungen in der Reihenfolge ihrer Initiative ansagen, können
Sie die Handlungen Ihres Charakters zu jedem beliebigen
Zeitpunkt während der Initiativerunde verkünden.
Qual: Monströse Dämonen sind weniger daran interessiert,
die subtilen Veränderungen in der Struktur der Wirklich-
keit zu verfolgen, sondern richten ihr ganzes Augenmerk
darauf aus, ihren Opfern möglichst viel Leid zu bringen.
Die Effekte der Variante für hohe Qualwerte dieser Be-
schwörung halten lediglich eine einzige Runde lang an,
aber jeder erzielte Erfolg ermöglicht es dem Dämon, un-
geachtet seines eigenen Initiativewerts einem gegen ihn
gerichteten Angriff auszuweichen, ohne dafür eine seiner
Handlungen aufgeben zu müssen.
•••• KAUSALZUSAMMENHANG
Ein Unhold kann diese mächtige Beschwörung dazu ein-
setzen, um Eindrücke von Ereignissen zu gewinnen, die erst
in einigen Tagen eintreten werden. Je nachdem, wie seine
Absichten aussehen, erkennt er auch, welche Ursachen
er beeinflussen muß, um eine bestimmte Wirkung herbei-
zuführen. Mit dieser Beschwörung erhält der Charakter
lediglich Informationen über zukünftige Ereignisse; er (oder
seine Sklaven) müssen immer noch eigene Anstrengungen
unternehmen, um das Schicksal zu seinen Gunsten zu än-
dern.
System: Diese Beschwörung kann entweder auf eine be-
stimmte Person (Schwierigkeit 6), einen Ort (Schwierigkeit
7) oder ein zukünftiges Ereignis (Schwierigkeit 9) ausge-
richtet werden. Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und
würfeln Sie Wahrnehmung + Intuition. Die Anzahl der
erzielten Erfolge gibt an, wie viele Tage der Unhold in die
Zukunft blicken kann. Die erwürfelten Erfolge geben zu-
sätzlich die Anzahl der Fragen an, die Sie Ihrem Erzähler
bezüglich der von Ihrem Charakter vorhergesehenen Ereig-
nisse stellen können.
Die Beschwörung erfüllt den Geist des Unholds mit einer
Flut von Bildern, die sich um das Schicksal einer spezifi-
schen Person, eines spezifischen Orts oder eines spezifi-
schen Ereignisses drehen. Er erhält nur solche Eindrücke,
die das zukünftige Los frei von möglichen äußeren Einflüs-
sen schildern. Der Erzähler beschreibt die Ereignisse so,
als sei Ihr Charakter ein außenstehender Beobachter. Die
Gedanken der in das Ereignis involvierten Personen sind
ihm nicht bekannt, weshalb er sich den Zusammenhang
und die Art der Beziehungen und Handlungen der ihm of-
fenbarten Ereignisse selbst erschließen muß. Während Sie
der Beschreibung des Erzählers lauschen, können Sie ihm
KAPITEL SIEBEN
spezifische Fragen darüber stellen, warum eine bestimmte
Handlung so ausgeführt wird, wie sie Ihnen beschrieben
wurde. Antworten auf diese Fragen können dem Dämon
Hinweise darauf geben, wie er die beschriebene Situation
im Vorfeld beeinflussen kann.
Wenn ein Dämon beispielsweise das Schicksal eines sei-
ner Sklaven überwachen will und sein Spieler beim Wür-
felwurf auf Wahrnehmung + Intuition einen Erfolg erzielt
hat, kann er die Ereignisse des kommenden Tages im Leben
seines Sklaven voraussehen. Nehmen wir an, der Unhold
sieht voraus, daß sein Sklave von einem Bus angefahren
werden wird. Da der Spieler einen Erfolg erwürfelt hat,
kann er dem Erzähler zu dem kommenden Ereignis nur
eine einzige Frage stellen. Sie lautet: Was ist die Ursache
für diesen Unfall? Daraufhin wird der Verstand seines Cha-
rakters von Bildern, die den Busfahrer wenige Augenblicke
vor dem Unfall zeigen, überflutet. Er kann sehen, daß einer
der Insassen des Busses den Fahrer ablenkt. Gewappnet mit
diesen Informationen kann der Dämon nun versuchen,
dieses Ereignis nach seinen Vorstellungen und Wünschen
zu manipulieren.
Qual: Monströse Dämonen setzen diese Beschwörung dazu
ein, um sich Einsichten hinsichtlich potentieller Gefahren
zu verschaffen, in denen eine bestimmte Person schwebt.
Sie verwenden die dadurch gewonnenen Erkenntnisse an-
schließend dazu, das Risiko möglicher Verletzungen oder
Unglücksfälle dieser Person noch zu erhöhen. Der Dämon
erfährt durch diese Beschwörung, zu welchem Zeitpunkt
das entsprechende Zielobjekt (sei es eine Person, ein Ort
oder ein Ereignis) besonders anfällig für einen Unfall, eine
Verletzung oder ein anderes Unglück ist. Zusätzlich zeigt ihm
die Vision die beste Möglichkeit auf, um genau die Umstände
herbeizuführen, die mit der höchsten Wahrscheinlichkeit zu
dem tragischen Zwischenfall führen werden.
Im zuvor genannten Beispiel mit dem Sklaven, der von
einem Bus angefahren wird, würde die Beschwörung diesel-
ben Eindrücke und Bilder erzeugen. Doch die Vision über
den abgelenkten Fahrer würde dem Unhold zudem aufzei-
gen, was getan werden muß, damit der Unfall tatsächlich
stattfinden kann. Da es oftmals schwierig ist, die Warnung
vor einem drohenden Unglück von einem Hinweis darauf,
wie dieses Unglück herbeizuführen ist, zu unterscheiden,
kann der Erzähler vorab einen verdeckten Wurf auf Wahr-
nehmung + Intuition für den Spieler ausführen. Anschlie-
ßend erzählt er dem Spieler, was sein Charakter in seiner
Vision sieht, und läßt ihn die vorhergesehene Szene selbst
interpretieren.
••••• ZEITMANIPULATION
Diese Beschwörung verleiht einem Unhold die Macht,
in einem kleinen Gebiet den Ablauf der Zeit zu beeinflus-
sen und ihn vom normalen Zeitfluß des restlichen Kosmos
abzuspalten. Der Dämon und jede andere Person, die sich
in dieser Zeitblase aufhält, kann dadurch schneller oder
langsamer handeln, als es im normalen Zeitablauf des Uni-
versums möglich wäre.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Intuition. Die Schwierigkeit
dieses Wurfs hängt von dem Effekt ab, den der Unhold
erzielen will. Will er die Zeit beschleunigen (so daß sie in-
nerhalb der Zeitblase schneller abläuft), beträgt die Schwie-
rigkeit 7. Will er dagegen die Zeit verlangsamen (so daß
sie innerhalb der Zeitblase langsamer abläuft), beträgt die
Schwierigkeit der Probe 8. Will er die Zeit anhalten (so daß
die Welt außerhalb der Zeitblase quasi „eingefroren“ wird
), liegt die Schwierigkeit bei 9. Die Anzahl der erzielten
Erfolge gibt an, wie viele Runden der Effekt der Beschwö-
rung anhält. Solange die Beschwörung wirkt, kann nichts
und niemand innerhalb der Zeitblase mit der Außenwelt
agieren. Umgekehrt kann nichts aus der Außenwelt Ein-
fluß auf die Vorgänge innerhalb der Zeitblase nehmen.
Für die Außenwelt verschwindet der Dämon und jeder,
der sich mit ihm in der Zeitblase befindet. Innerhalb der
Zeitblase können Handlungen ganz normal ausgeführt wer-
den. Objekte und Personen können die Zeitblase verlassen
(oder gewaltsam aus ihr verdrängt werden), was sie in den
normalen Zeitfluß zurückkehren läßt. Verläßt der Unhold
seinerseits die Zeitblase, bricht diese augenblicklich in
sich zusammen und läßt jeden, der sich darin aufhält, in
die Normalzeit zurückkehren. Außenstehende, die in den
Raum hineintreten, in dem die Zeitblase existiert, treten
nur in den veränderten Zeitfluß ein, wenn der Unhold es
wünscht.
Das Maximum der durch diese Beschwörung ausgelösten
zeitlichen Verzerrung wird durch einen Multiplikator in
Höhe des Glaubewerts Ihres Charakters vorgegeben. Wenn
beispielsweise ein Unhold mit einem Glaubewert von 5
diese Beschwörung durchführt, kann er die Zeit innerhalb
der Blase fünfmal so schnell oder fünfmal so langsam wie
in der Außenwelt ablaufen lassen: Während in der Außen-
welt fünf Runden vergehen, vergeht innerhalb der Zeit-
blase lediglich eine Runde oder umgekehrt, je nachdem,
welchen Effekt der Dämon erzielen will. Das Zentrum der
Zeitblase befindet sich dort, wo sich der Charakter aufhält.
Der Durchmesser der Zeitblase entspricht dem Glaubewert
Ihres Charakters in Metern. Sobald eine Zeitblase errichtet
wurde, ist sie nicht mehr von der Stelle zu bewegen.
Qual: Monströse Dämonen setzen diese Beschwörung ein,
um nichtsahnende Opfer aus dem normalen Zeitfluß zu
reißen. Für die Opfer geschieht dies augenblicklich und
es handelt sich um eine grauenvolle Erfahrung. Für einen
winzigen Augenblick schweben sie im Nichts zwischen den
Welten, was tiefe Narben in ihrer Psyche hinterläßt. Die
Beschwörung wirkt sich auf jede Person in einem Umkreis
aus, der dem Glaubewert des Dämons in Metern entspricht.
Dämonen können sich gegen diese Effekte zur Wehr set-
zen, indem sie in einer Handlung gegen Widerstand ihre
Willenskraft gegen den Beschwörungswurf des Unholds
würfeln (wobei die Schwierigkeit für das Opfer allerdings
mit dem Qualwert des Unholds identisch ist). Die Anzahl
der Runden, für die die Opfer aus dem normalen Zeitfluß
gerissen werden, entspricht der Wirkungsdauer der Zeit-
blase aus Sicht der Außenwelt. Sobald sie in den normalen
Zeitfluß zurückkehren, verlieren die Opfer für jede Runde,
die sie sich außerhalb des Zeitstroms befanden, einen tem-
porären Willenskraftpunkt. Führt dieser Verlust dazu, daß
die Willenskraft auf null reduziert wird, erleidet das Opfer
eine permanente Geistesstörung.
249
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

NINSUN, DAS ANTLITZ DER STRUKTUR

Die Engel der Himmlischen Strukturen haben dunkel-
blaue Haut. Ihre vollkommen haarlosen Körper sind mit
komplizierten Linien und Mustern überzogen, die silbrig-
blau schimmern und sich je nach Lichteinfall und Ge-
mütszustand des Engels verändern, neu anordnen und an
Strahlkraft gewinnen oder verlieren. Ihre Augen sind wie
helleuchtende Saphire, die im kalten Licht der Sterne er-
strahlen.
Das Antlitz der Struktur verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Schwingen: Ein Paar Schwanenschwingen wächst dem
Charakter aus Schultern und Rücken. Die volle Spannwei-
te einer Schwinge ist um ein Drittel länger als der Charak-
ter groß ist. Der Charakter kann pro Runde dreimal so weit
gleiten, wie er sprinten könnte.
Verbesserte Initiative: Die Initiative des Charakters ver-
bessert sich um zwei.
Verbesserte Intuition: Die untrüglichen Einsichten des
Charakters senken die Schwierigkeit aller Intuitionswürfe
um zwei.
Verbesserte geistige Attribute: Der Charakter erhält die
folgenden zusätzlichen Bonuseigenschaften: +1 Intelli-
genz, +1 Geistesschärfe, +2 Wahrnehmung.
Qual: Steht ein Ninsun unter dem Einfluß seiner Qual,
wird seine einst blaue Haut so tiefschwarz wie die Leere
zwischen den Sternen. Die Muster, die seinen Körper
überziehen, beginnen wie Quecksilber zu schimmern, und
seine Augen sind nicht mehr als zwei starre Kugeln absolu-
ter Finsternis. Zusätzlich wachsen ihm zwei dünne Arme,
die dem Dämon ein spinnenartiges Aussehen verleihen.
Das Antlitz der Struktur verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Aura des Unglücks: Bei jeder Person, die sich in einem
Umkreis um den Dämon herum aufhält, der dessen Qu-
alwert in Metern entspricht, negieren bei allen Würfen
Einsen und Zweien die erzielten Erfolge.
Zusätzliche Handlungen: Der Charakter kann sich
durch seine Glaubenspunkte zusätzliche Handlungen
erkaufen. Für jeden in einer Runde aufgewendeten Glau-
benspunkt erhält er eine zusätzliche Handlung. Diese
Handlungen werden mit absteigender Initiative ausge-
führt – wenn also ein Teufel mit einer Initiative von 7
eine zusätzliche Handlung kauft, führt er seine normale
Handlung bei 7 und die zusätzliche Handlung bei 6 aus.
Der Spieler des Charakters muß sich vor Beginn der
Runde – noch bevor irgendeine Handlung durchgeführt
wurde – entscheiden, wie viele zusätzliche Handlungen
er erwerben möchte.
Zusätzliche Gliedmaßen: Dem Dämon wächst ein zwei-
tes Armpaar, was es dem Charakter erlaubt, unbewaffnete
oder mit Nahkampfwaffen ausgeführte Angriffe auf ihn zu
parieren oder abzublocken, ohne dabei seine eigene An-
griffs- oder Handlungsmöglichkeit zu verlieren. Er kann
aber statt dessen auch zwei zusätzliche Angriffe pro Runde
mit seinem vollen Würfelvorrat durchführen.
Gespaltene Zunge: Die Schwierigkeit aller Würfe auf Aus-
flüchte verringert sich um zwei.

250
KAPITEL SIEBEN
GEHEIMNISSE DER PORTALE
• PORTAL ÖFFNEN/SCHLIESSEN
Durch diese Beschwörung erhält der Unhold vollkomme-
ne Kontrolle über alle Portale, auf die er stößt. Türen und
Fenster entriegeln, öffnen und schließen sich auf seinen
Befehl hin.
System: Würfeln Sie Manipulation + Intuition. Die An-
zahl der benötigten Erfolge hängt von der Komplexität des
Portals und seinem Schließmechanismus ab. Eine einfache
Haustür erfordert lediglich einen Erfolg, während das Öff-
nen einer Zellentür in einem Gefängnis bis zu drei Erfolge
erfordern kann. Ist der Wurf erfolgreich, entriegelt und
öffnet oder schließt und verriegelt sich das entsprechende
Portal allein durch die Berührung des Charakters.
Qual: Monströse Dämonen öffnen oder schließen Portale
nicht einfach nur, sie reißen sie auf und schleudern sie zu.
Wenn diese Beschwörung durch einen Dämon mit hohem
Qualwert durchgeführt wird, werden die bei dem Wurf er-
zielten Erfolge gleichzeitig als Körperkraftpunkte gegen das
beeinflußte Portal gewertet, die bei ihm Schaden anrichten,
als hätte sich der Dämon an einem Kraftakt zum Aufbre-
chen des Portals versucht (siehe Seite 278).
•• SCHUTZZEICHEN
Mit dieser Beschwörung kann ein Unhold alle Portale in
einem bestimmten Gebiet versiegeln und sie somit unpas-
sierbar machen.
System: Ihr Charakter muß sich innerhalb des Bereichs
aufhalten, den er mit dieser Beschwörung abriegeln will.
Würfeln Sie Charisma + Intuition. Ist der Wurf erfolgreich,
sind alle Durchgänge in diesem Bereich unpassierbar. Selbst
offene Durchgänge werden durch einen feinen Nebel ab-
geschottet, und etwas, das sich wie eine feste Barriere aus
Luft anfühlt, hindert alles und jeden daran, den Nebel zu
durchschreiten. Ist ein Bereich erst einmal abgeriegelt,
kann er nicht betreten werden – selbst dann nicht, wenn
andere Geheimnisse (wie zum Beispiel die der Wege oder
die des Jenseits) eingesetzt werden. Um eine solche Bar-
riere durchbrechen zu können, muß ein Eindringling die
Anzahl der von Ihnen erzielten Erfolge übertreffen, wobei
die Schwierigkeit des von ihm abverlangten Wurfs dem
Willenskraftwert Ihres Charakters entspricht. Ein Bereich
bleibt für die Dauer einer Szene abgeriegelt.
Qual: Auch monströse Dämonen sind in der Lage, die oben
beschriebenen Barrieren zu errichten. Diese halten Eindring-
linge allerdings nicht davon ab, das abgeriegelte Gebiet zu be-
treten, sondern fügen ihnen große Schmerzen beim Passieren
eines unter einem Schutzzeichen stehenden Portals zu. Tritt
ein Eindringling durch ein solches Portal, erleidet er so viele
Stufen an Schlagschaden, wie Sie beim Wurf für das Errichten
der Barriere erzielt haben. Dieser Schaden kann absorbiert
werden, aber die Schwierigkeit des Wurfs auf Widerstandsfä-
higkeit entspricht dem Qualwert Ihres Charakters.
••• TELEPORT
Durch diese Beschwörung kann sich ein Unhold durch
ein bestehendes Portal augenblicklich zu einem ähnlichen
Portal befördern lassen, das sich an einem vollkommen an-
derem Ort und möglicherweise Hunderte von Kilometern
weit entfernt befindet.
System: Würfeln Sie Intelligenz + Intuition. Die Anzahl
der benötigten Erfolge hängt davon ab, wie gut Ihr Cha-
rakter seinen Zielort kennt. Ist ihm sein Ziel so vertraut
wie etwa eine Tür in seinem eigenen Zuhause, reicht ein
einziger Erfolg bereits vollkommen aus. Ist ihm der Zielort
recht gut bekannt, da er ihn hin und wieder aufgesucht
hat, werden zwei Erfolge benötigt. Befindet sich sein Ziel an
einem Ort, den Ihr Charakter erst einmal aufgesucht hat,
sind drei Erfolge vonnöten. Damit sich Ihr Dämon an einen
Ort teleportieren kann, muß er sich dort mindestens einmal
aufgehalten haben und es muß ein Portal geben, das mit der
Art seines Startportals identisch ist. Tritt er beispielsweise
durch eine Tür, muß sich an seinem Zielort ebenfalls eine
Tür befinden. Pro Glaubenspunkt, den Ihr Charakter be-
sitzt, kann er 150 Kilometer weit reisen. Ein Unhold, der
einen Glaubewert von 10 aufweist, kann sich also folglich
bis zu 1500 Kilometer weit teleportieren.
Qual: Monströse Dämonen, die diese Beschwörung an-
wenden, werden dabei durch ihren Mangel an Konzentrati-
onsvermögen erheblich behindert. Gelingt der anfängliche
Wurf, muß anschließend ein Willenskraftwurf durchgeführt
werden, dessen Schwierigkeit dem Qualwert des Dämons
entspricht. Scheitert dieser Wurf, wird der Unhold an einen
beliebigen (jedoch vertrauten) Ort teleportiert, der vom
Erzähler bestimmt wird.
•••• KURZE WEGE
Diese Beschwörung, die eng mit Teleport verwandt ist,
erlaubt es einem Unhold, zwei Orte für kurze Zeit so durch
ein Portal miteinander zu verbinden, daß auch andere Per-
sonen dazu in der Lage sind, dieses Portal zu durchschrei-
ten, um von einem Ort zu einem anderen zu gelangen.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Intuition. Die Schwierigkeit des
Wurfs hängt davon ab, wie gut Ihr Charakter den Zielort
kennt, den er erreichen will. Ist ihm der Zielort wohlver-
traut, beträgt die Schwierigkeit 6. Ist es ein Ort, den er be-
reits einige Male aufgesucht hat, beträgt die Schwierigkeit
7. War er erst einmal dort, liegt die Schwierigkeit bei 8. Hat
er den Zielort noch nie zuvor gesehen und versucht nur mit
Hilfe der Anweisungen einer anderen Person dorthin zu
gelangen, beträgt die Schwierigkeit 9. Pro erzieltem Erfolg
bleibt das Portal zum Zielort für eine Runde offen. Wie
auch bei Teleport muß der Dämon ein bereits bestehendes
Portal verwenden (zum Beispiel eine Tür, ein Fenster oder
einen Gullydeckel), um zwischen zwei Örtlichkeiten wech-
seln zu können. Es können so viele Personen durch dieses
Portal hin (und zurück) reisen, wie es die Zeit, die es offen
bleibt, erlaubt. Pro Glaubenspunkt, den Ihr Charakter be-
sitzt, kann er 150 Kilometer weit reisen.
Qual: Auch monströse Dämonen können kurze Wege
schaffen, doch jeder, der ein solches Portale verwendet, ist
für kurze Zeit der Qual des Dämons ausgesetzt und riskiert
dadurch, sich ein schweres psychisches Trauma zuzuziehen
oder gar dem Wahnsinn zu verfallen. Jede Person, die ein
solches Portal durchschreitet, muß einen Willenskraftwurf
251

ablegen. Die Schwierigkeit entspricht dem Qualwert des
Dämons, der den kurzen Weg geschaffen hat. Scheitert
dieser Wurf, erleidet das Opfer eine vorübergehende Gei-
stesstörung.
••••• PORTAL IN DIE FINSTERNIS
Diese mächtige Beschwörung erlaubt es einem Dämon,
ein Tor in den schattenhaften Grenzbereich zwischen der
stofflichen Welt und dem Geisterreich zu öffnen. Bei die-
sem Zwischenreich handelt es sich um ein dunkles, lebloses
Spiegelbild der stofflichen Welt. Dämonen können dieses
düstere Reich für kurze Zeit betreten oder dort allerlei
Dinge vor neugierigen Blicken verstecken, um sie später
zurückzuholen, wenn der Gefallene nicht mehr unter Be-
obachtung steht.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Magiegespür. Diese Beschwö-
rung benötigt ein bereits bestehendes Portal (wie beispiels-
weise eine Tür oder ein Fenster), das die Schwelle zwischen
den Reichen bilden kann. Diese Öffnung bleibt lediglich
für eine Runde bestehen. Personen, die diese Schwelle
übertreten, finden sich in einem düsteren, verlassenen
Spiegelbild der stofflichen Welt wieder, in der heulende
Winde toben, die am Geist eines jeden lebenden Besuchers
zerren. Sterbliche, die sich in diese Zwischenwelt begeben,
verlieren in jeder Runde, die sie sich dort aufhalten, einen
temporären Willenskraftpunkt. Sobald ihre Willenskraft
auf null gesunken ist, erleiden sie eine vorübergehende
Geistesstörung und in jeder weiteren Runde eine Stufe
Schlagschaden. Dämonen können sich für eine Anzahl
von Runden, die ihrem Glaubewert entspricht, in dieser
Schattenwelt aufhalten, ohne nachteilige Nebenwirkungen
fürchten zu müssen. Danach erleiden auch sie pro Runde
eine Stufe Schlagschaden. Diese Beschwörung muß erneut
ausgeführt werden, um ein neues Portal zu öffnen, daß es
dem Unhold oder einer anderen Person gestattet, in die
stoffliche Welt zurückzukehren. Ein solches „Rückkehr-
fenster“ kann von beiden Seiten des Zwischenreichs aus
geschaffen werden.
Qual: Öffnet ein monströser Dämon ein Portal in das schat-
tenhafte Zwischenreich, riskiert er, die nötige Konzentrati-
on zu verlieren, um zu verhindern, daß ein Teil der Energi-
en aus dem Zwischenreich in die stoffliche Welt gelangen.
Ist der anfängliche Wurf erfolgreich, muß anschließend
ein Willenskraftwurf durchgeführt werden, dessen Schwie-
rigkeit dem Qualwert des Dämons entspricht. Scheitert
dieser Wurf, wehen Böen des kosmischen Sturms durch
das Portal, was alle Sterblichen in unmittelbarer Umgebung
des Portals dazu zwingt, umgehend einen Willenskraftwurf
abzulegen (Schwierigkeit 8). Scheitert dieser Wurf, flieht
der betroffene Sterbliche voller Angst. Bei einem Patzer
erleidet das entsprechende Opfer eine vorübergehende
Geistesstörung.
NEDU, DAS ANTLITZ DER PORTALE
Die Engel der Schwelle zwischen den Reichen sind hoch-
gewachsene, geisterhafte Gestalten, deren lange Glieder
und schlanke Körper in einen Schleier aus wabernden
Schatten gehüllt sind. Ihre Bewegungen sind ebenso flüssig
252
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
wie vollkommen lautlos, und Ihre Füße hinterlassen keine
Spuren, die von ihrer Existenz künden könnten. Wenn sie
sich in die Schatten zurückziehen, leuchten ihre Augen in
einem kalten, blauen Licht.
Das Antlitz der Portale verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Spurloses Wandeln: Die Schwierigkeit aller Heimlich-
keitswürfe des Charakters wird um zwei gesenkt, und zu-
dem hinterläßt er keinerlei Spuren in seiner Umgebung.
Weder bleiben Fußabdrücke zurück, noch werden Blätter
oder Zweige niedergedrückt oder abgeknickt.
Verbesserte Wahrnehmung: Die Schwierigkeit aller Wahr-
nehmungswürfe wird um zwei gesenkt.
Verbessertes Magiegespür: Der Gefallene reagiert beson-
ders sensibel auf Veränderungen im Gefüge der Wirklich-
keit. Dadurch wird die Schwierigkeit aller Magiegespürwür-
fe um zwei gesenkt.
Schwingen: Ein Paar Schwanenschwingen wächst dem
Charakter aus Schultern und Rücken. Die volle Spannwei-
te einer Schwinge ist um ein Drittel länger als der Charak-
ter groß ist. Der Charakter kann pro Runde dreimal so weit
gleiten, wie er sprinten könnte.
Qual: Von ihrer Qual pervertierte Nedu sind wie lebendi-
ge Schatten – pechschwarz und scheinbar körperlos. Ihre
Stimmen klingen wie heulender Wind, der über schroffe
Klippen fährt, und eine Berührung von ihnen ist kälter
als Eis.
Das Antlitz der Portale verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Schattenmantel: Dunkelheit umgibt den Dämon wie ein
Mantel, was es schon bei besten Lichtverhältnissen schwie-
rig macht, seine Umrisse zu erkennen, und ihn bei Nacht
so gut wie unsichtbar werden läßt. Die Schwierigkeit aller
Heimlichkeitswürfe wird um zwei verringert, wann immer
der Dämon im Schatten steht oder sich durch die Dunkel-
heit bewegt. Wird der Charakter angegriffen, gelten für den
Angreifer die Regeln für blindes Kämpfen. Nähere Infor-
mationen hierzu finden Sie auf Seite 288 in Kapitel Neun.
Verbesserte Initiative: Die Initiative des Charakters ver-
bessert sich um zwei.
Verbessertes Ausweichen: Die Schwierigkeit aller Würfe
auf Ausweichen wird um zwei gesenkt.
Kein Spiegelbild: Das Abbild des Dämons ist in keinem
Spiegel zu sehen. Er kann auch nicht auf Photographien
oder sonstigen Filmaufnahmen festgehalten werden.
GEHEIMNISSE DES LICHTS
• LICHT
Diese einfache Beschwörung erlaubt es einem Dämon,
ein bestimmtes Gebiet mit einem silbrigblassen Licht ähn-
lich dem des Mondes zu erhellen. Das Licht scheint aus
der Umgebung des erhellten Gebiets zu kommen, was es
jeder Person, die sich in ihm aufhält, gestattet, sich ohne
Erschwernisse zu bewegen und zu handeln. Diese Beschwö-
rung hat außerdem eine eher offensive Anwendungsweise,
da der Dämon mit ihrer Hilfe seine Feinde durch grelle
Lichtblitze verwirren oder sogar lähmen kann.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Naturwis-
KAPITEL SIEBEN
senschaften. Pro erzieltem Erfolg wird ein würfelförmiger
Bereich von einem Meter Kantenlänge erhellt, wobei Ihr
Charakter im Mittelpunkt dieses Lichtwürfels steht. Der
Glaubewert Ihres Charakters gibt an, wie viele Runden lang
diese Beschwörung anhält. Wenn die offensive Variante
dieser Beschwörung eingesetzt wird, können die grellen
Lichtblitze in eine bestimmte Richtung gelenkt werden.
Jede Person – Freund oder Feind –, die zum Zeitpunkt
des Aufblitzens in diese Richtung blickt, erleidet so viele
Stufen Schlagschaden, wie beim ursprünglichen Beschwö-
rungswurf Erfolge erzielt wurden. Die Lichtblitze flackern
lediglich eine Runde lang auf.
Qual: Monströse Dämonen tauchen ihre Umgebung in
absolute und undurchdringliche Finsternis, wobei alle oben
beschriebenen Regeln für den Wirkungsbereich gelten.
Der Charakter kann sich ungehindert durch die so erzeug-
te Finsternis bewegen. Alle anderen Personen, die sich
im Wirkungsbereich dieser Beschwörung aufhalten, sind
förmlich blind. Falls es erforderlich werden sollte, können
Sie die Regeln einsetzen, die auf den Seiten 288 bis 293 in
Kapitel Neun aufgeführt sind.
•• LICHTBRECHUNG
Indem er das Licht seinem Willen unterwirft und seine
Eigenschaften beeinflußt, kann ein Unhold die Lichtwellen
entlang seines Körpers so brechen, daß sie nicht mehr von
ihm reflektiert werden. Dadurch kann er sich selbst höchst
effektiv tarnen.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Naturwissen-
schaften. Die Anzahl der erzielten Erfolge gibt den Wert an,
um den die Schwierigkeit aller Wahrnehmungswürfe oder
Fernkampfangriffe, die auf Ihren Charakter ausgerichtet
sind, für die restliche Dauer der Szene erhöht wird. Nah-
kampfattacken werden wie gewohnt und ohne Erschwernis
durchgeführt. Andere Dämonen sowie Sklaven, denen eine
entsprechende Gabe zuteil wurde, sind potentiell in der
Lage, diese Form der Illusion zu durchschauen (siehe Seite
206).
Qual: Monströse Dämonen brechen das Licht nicht, son-
dern verzerren es zu chaotischen Mustern, die die Sicht
eines Angreifers beeinträchtigen. Die Anzahl der erwür-
felten Erfolge gibt den Wert an, um den die Schwierigkeit
aller Angriffe auf den Charakter – seien es Fernkampfan-
griffe oder Nahkampfangriffe – erhöht wird. Es werden
allerdings keine Wahrnehmungswürfe durch diesen Effekt
behindert.
••• FATA MORGANA
Durch diese Beschwörung kann der Dämon geisterhafte
Erscheinungen erzeugen, die von ihm festgelegte Handlun-
gen ausführen können.
System: Würfeln Sie Intelligenz + Ausdruck. Die
Schwierigkeit des Wurfs hängt von der Komplexität der
gewünschten Illusion ab. Eine einzelne geisterhafte Er-
scheinung entspricht einer Schwierigkeit von 6, während
die Schwierigkeit für eine ganze Szene mit mehreren daran
teilnehmenden Individuen bei 8 oder höher liegt. Die An-
zahl der erzielten Erfolge gibt an, wie viele Handlungen Ihr
Charakter seinem Trugbild vorschreiben kann. Nachdem
das Trugbild und sein Handlungsrahmen festgelegt worden
sind, wird eine Wiederholungsschleife geschaffen, die vom
Dämon nach Belieben gestartet werden kann und die eine
Anzahl an Tagen weiterläuft, die dem Glaubewert Ihres
Charakters entspricht. Andere Dämonen sowie Sklaven,
denen eine entsprechende Gabe zuteil wurde, sind poten-
tiell in der Lage, diese Form der Illusion zu durchschauen
(siehe Seite 206).
Qual: Ganz gleich, wie simpel oder scheinbar wohlmeinend
die Trugbilder eines monströsen Dämons auch ausfallen
mögen, so bleiben sie für den Betrachter doch immer zu-
mindest ein klein wenig verstörend, und sei es auch nur un-
bewußt. Jede Person, die ein solches Trugbild erblickt, muß
einen Willenskraftwurf (Schwierigkeit 8) ablegen. Scheitert
dieser Wurf, flieht die entsprechende Person vor der Fata
Morgana. Bei einem Patzer flieht das Opfer ebenfalls und
erleidet zusätzlich eine vorübergehende Geistesstörung.
•••• ILLUSION
Diese Anrufung ist eine Art Weiterentwicklung von Fata
Morgana, die es dem Dämon ermöglicht, ein Trugbild zu
erschaffen, das solange absolut real wirkt, bis es berührt
wird. Außerdem ist der Dämon in der Lage, diese Illusion
nach Belieben zu lenken und ihre Erscheinung jederzeit zu
verändern.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und wür-
feln Sie Intelligenz + Ausdruck. Die Schwierigkeit des
Wurfs hängt von der Komplexität der gewünschten Illusi-
on ab. Die Erzeugung einer Illusion eines unbeweglichen
Gegenstands wie beispielsweise eines Tischs entspricht
einer Schwierigkeit von 6. Ein einfacher, aber sich bewe-
gender Gegenstand wie zum Beispiel ein geworfener Stein
entspricht einer Schwierigkeit von 7. Je nach Detailge-
nauigkeit entspricht die Illusion eines Lebewesens einer
Schwierigkeit von 8 oder höher. Die Gesamtzahl der erziel-
ten Erfolge bildet einen Würfelvorrat, der für alle Hand-
lungen eingesetzt wird, die von der Illusion durchgeführt
werden (beispielsweise ein vorgetäuschter „Angriff“ oder
der Sprung über eine Häuserschlucht). Der gleiche Wür-
felvorrat wird auch zum Verändern der Illusion eingesetzt.
Endet ein solcher Wurf zum Lenken oder Verändern einer
Illusion in einem Patzer, verschwindet das Trugbild einfach.
Auf diese Art erzeugte Illusionen können nicht sprechen,
und der Unhold muß seine Illusion die ganze Zeit über im
Blick behalten, um zu verhindern, daß sie sich auflöst. Es
können mehrere Illusionen gleichzeitig aufrechterhalten
werden, wobei die maximale Anzahl an Illusionen dem
Glaubewert Ihres Charakters entspricht. Der Ihnen zur
Verfügung stehende Würfelvorrat wird allerdings für jede
weitere erschaffene Illusion nach der ersten um einen Wür-
fel verringert, bis Ihnen nur noch ein Würfel pro Illusion
bleibt. Die Effekte dieser Beschwörung halten für die Dauer
einer Szene an. Andere Dämonen sowie Sklaven, denen
eine entsprechende Gabe zuteil wurde, sind potentiell in
der Lage, diese Form der Illusion zu durchschauen (siehe
Seite 206).
Qual: Die Illusionen eines monströsen Dämons sind be-
unruhigend und spiegeln seinen inneren Verfall auf un-
terschwellige, doch stets beängstigende Weise wider. Jede
253

Person, die eine solche Illusion erblickt, muß einen Wil-
lenskraftwurf (Schwierigkeit 9) ablegen. Bei einem Patzer
erleidet die betreffende Person eine vorübergehende Gei-
stesstörung.
••••• FESTES LICHT
An der Spitze der Geheimnisse des Lichts steht diese
Beschwörung, mit der ein Unhold Lichtwellen soweit ver-
dichten kann, daß sie einen gewissen Grad an Festigkeit
erlangen. Dadurch kann er Illusionen erzeugen, die nahezu
perfekt mit der stofflichen Welt interagieren können. Wie
im Falle der Beschwörung Illusion können diese Trugbilder
durch den Willen des Dämons gesteuert und binnen ei-
nes Wimpernschlags in ihrem Erscheinungsbild verändert
werden.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Intelligenz + Ausdruck. Die Schwierigkeit des Wurfs
hängt von der Komplexität der gewünschten Erscheinung
ab. Ein Tisch entspricht einer Schwierigkeit von 6, ein
Hund einer Schwierigkeit von 7 und ein Mensch einer
Schwierigkeit von 8 oder mehr. Die Gesamtzahl der erziel-
ten Erfolge bildet einen Würfelvorrat, der für alle Hand-
lungen eingesetzt wird, die von der Illusion durchgeführt
werden sollen. Der gleiche Würfelvorrat wird auch zum
Verändern einer Illusion verwendet werden. Auf diese
Art erzeugte Illusionen können nicht sprechen, und der
Unhold muß seine Illusion die ganze Zeit über im Blick
behalten, um zu verhindern, daß sie sich auflöst. Wird
ein solches Konstrukt angegriffen oder erleidet auf an-
dere Art und Weise eine Stufe Schaden (Schlagschaden
oder tödlichen Schaden), verschwindet sie ebenfalls. Es
können mehrere Illusionen gleichzeitig aufrechterhalten
werden, wobei die maximale Anzahl an Illusionen dem
Glaubewert Ihres Charakters entspricht. Der Ihnen zur
Verfügung stehende Würfelvorrat wird allerdings für jede
weitere erschaffene Illusion nach der ersten um einen
Würfel verringert, bis Ihnen nur noch ein Würfel pro
Illusion bleibt. Die Effekte dieser Beschwörung halten für
eine Anzahl von Runden an, die dem Glaubewert Ihres
Charakters entspricht. Andere Dämonen sowie Sklaven,
denen eine entsprechende Gabe zuteil wurde, sind poten-
tiell in der Lage, diese Form der Illusion zu durchschauen
(siehe Seite 206).
Qual: Die Konstrukte, die ein monströser Dämon erschafft,
werden zum Teil durch seinen Haß und seine Verzweiflung
geformt. Wenn sie nicht mit großer Umsicht und Sorgfalt
unter Kontrolle gehalten werden, handeln diese Illusionen
selbständig, wobei sie versuchen, in ihrer unmittelbaren
Umgebung möglichst große Zerstörung anzurichten. Für
jedes Konstrukt muß jede Runde ein Willenskraftwurf ab-
gelegt werden, dessen Schwierigkeit dem Qualwert des
Dämons entspricht. Scheitert dieser Wurf, greift die Illusion
die nächstbeste Person in ihrer Umgebung (mit Ausnahme
des Unholds selbst) mit ihrem vollen Würfelvorrat an. Es
sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Unhold keine
Kontrolle über seine Konstrukte ausüben muß – er kann sie
einfach nur erschaffen und auf seine Feinde losgehen las-
sen, wenn er dies wünscht, was es ihm erlaubt, sich anderen
Dingen zuzuwenden.
254
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
SHAMASH, DAS ANTLITZ DES LICHTS
Die apokalyptische Gestalt der Meister dieser Geheimnisse
ist mit sich stetig verändernden Mustern aus Schatten und
blassem, silbrigem Sternenlicht überzogen. Diese hypnoti-
schen Bilder fesseln die Aufmerksamkeit des Betrachters
und benebeln seine Sinne. Bisweilen blitzen sie verräterisch
auf, wenn sie die intimsten Gedanken eines Shamash wider-
spiegeln. Die Shamash können verführerisch, traumgleich,
trügerisch, schreckenerregend oder atemberaubend schön
sein – und ihre Erscheinung kann binnen eines Augenblicks
vom einen Extrem ins andere umschlagen.
Das Antlitz des Lichts verleiht die folgenden Eigenschaften:
Verbesserte geistige Attribute: Der Charakter erhält die
folgenden zusätzlichen Bonuseigenschaften: +2 Intelligenz,
+1 Geistesschärfe, +1 Wahrnehmung.
Nachtsicht: Der Charakter kann selbst noch in vollkom-
mener Dunkelheit sehen, als wäre es taghell.
Chimärische Aura: Die Schwierigkeit aller Würfe auf Aus-
weichen wird um zwei gesenkt. Andere Dämonen sowie
Sklaven, denen eine entsprechende Gabe zuteil wurde, sind
potentiell in der Lage, diese Form der Illusion zu durch-
schauen (siehe Seite 206).
Unirdischer Glanz: Die Schwierigkeit aller Manipulati-
onswürfe wird um zwei gesenkt. Andere Dämonen sowie
Sklaven, denen eine entsprechende Gabe zuteil wurde,
sind potentiell in der Lage, auch diese Form der Illusion zu
durchschauen.
Qual: Shamash, die sich in ihrer Qual verlieren, sind von
geisterhaften Erscheinungen umgeben, die den Haß und die
Verzweiflung der Gefallenen widerspiegeln. Dieses wahre
Schreckenskabinett monströser Illusionen führt einen wil-
den Reigen um den Unhold auf, wobei die Erscheinungen
um so heftiger übereinander herfallen, je aufgewühlter der
Shamash ist.
Das Antlitz des Lichts verleiht bei hohen Qualwerten die
folgenden Eigenschaften:
Hypnotische Visionen: Die Aura aus Licht und Schatten,
die den Dämon umgibt, lenkt seine Feinde ab und lullt
ihren Verstand ein. Angreifer müssen einen Wurf auf Gei-
stesschärfe ablegen, dessen Schwierigkeit dem Qualwert
des Dämons entspricht. Scheitert dieser Wurf, kann der
Angreifer bis zum Ende der Runde keine Handlung mehr
unternehmen. Andere Dämonen sowie Sklaven, denen
eine entsprechende Gabe zuteil wurde, sind potentiell in
der Lage, diese Form der Illusion zu durchschauen.
Finstere Pracht: Die Schwierigkeit aller Würfe auf Füh-
rungsqualitäten und Einschüchtern wird um zwei gesenkt.
Phantomkrieger: Die den Dämon umkreisenden Illusionen
greifen Gegner an, die sich bereits im Nahkampf mit dem
Gefallenen befinden. Die Trugbilder besitzen denselben In-
itiativewert wie der Dämon und können einen einzelnen
Gegner im Nahkampf angreifen. Der Qualwert des Charak-
ters wird als Würfelvorrat für diese Angriffe eingesetzt, die
einen Grundschaden von vier Würfeln schwer heilbarem
Schaden verursachen.
Kein Spiegelbild: Das Abbild des Dämons ist in keinem
Spiegel zu sehen. Er kann auch nicht auf Photographien
oder sonstigen Filmaufnahmen festgehalten werden.
KAPITEL SIEBEN
(RABISU)
Die Herren der Pflanzen und Tiere waren dazu erschaffen
worden, über die Wildnis der Welt zu gebieten. Sie formten
Flora und Fauna nach den Vorstellungen des Schöpfers und
legten die Rolle eines jeden Geschöpfs in einer komplexen
und dynamischen Ökosphäre fest. Die Geheimnisse des
Tiers sicherten ihnen die Herrschaft über die Tiere und
gestatteten es diesen Engeln, ihre Schutzbefohlenen her-
beizurufen, zu befehligen und ihren Körper in neue Formen
zu bringen. Die Geheimnisse der Wildnis hingegen stellten
das gesammelte Wissen der Rabisu über die Vorgänge in der
Pflanzenwelt dar. Die Geheimnisse des Fleisches erschlos-
sen sich ihnen erst später, als die Rabisu während des Krie-
ges ihre Kräfte dazu nutzten, die Körper ihrer menschlichen
Untertanen so umzuwandeln, daß sie für die gnadenlosen
Gemetzel auf den Schlachtfeldern besser gerüstet waren.
GEHEIMNISSE DES TIERS
• TIERBESCHWÖRUNG
Diese Beschwörung erlaubt es einem Verschlinger, die
Anwesenheit von Tieren in seiner näheren Umgebung zu
spüren und diese herbeizurufen. Durch diese Beschwörung
beeinflußte Tiere beschützen den Dämon instinktiv.
System: Würfeln Sie Wahrnehmung + Tierkunde. Ist der
Wurf erfolgreich, erhält Ihr Charakter einen detaillierten
Eindruck von den verschiedenartigen Aspekten des Tier-
lebens von Insekten bis zu Säugetieren in seiner näheren
Umgebung. Das Lebensgespür erstreckt sich auf einen Um-
kreis, der dem Anderthalbfachen des Glaubewerts Ihres
Charakters in Kilometern entspricht. Mit diesem Wissen
gerüstet kann der Verschlinger wählen, die Vertreter wel-
cher Spezies er herbeirufen möchte (der Spieler muß sich
für eine Spezies entscheiden). Die maximale Anzahl an
Tieren, die Ihr Charakter beschwören kann, entspricht der
Gesamtzahl der beim Beschwörungswurf erzielten Erfolge.
Im Falle eines Schwarms von Insekten oder Ungeziefer wird
die Anzahl der erzielten Erfolge mit 0,6 Quadratmetern
multipliziert, um die Gesamtfläche zu ermitteln, die der
Schwarm einnimmt. Alle herbeigerufenen Tiere eilen so
schnell sie können an die Seite des Dämons und stellen
sich schützend um ihn. Sie greifen jeden an, der ihn be-
droht. Die Effekte dieser Beschwörung halten für die Dauer
einer Szene an, wenn Ihr Charakter die Tiere nicht schon
früher aus seinen Diensten entläßt.
Qual: Monströse Dämonen können nur Raubtiere be-
schwören, wobei ihre Qual diese Tiere in eine mörderische
Raserei treibt. In jeder Runde muß ein Willenskraftwurf
gemacht werden, dessen Schwierigkeit dem Qualwert des
Verschlingers entspricht. Scheitert dieser Wurf, greifen
die Tiere den nächstbesten Sterblichen oder Dämon an,
was auch den Verschlinger, der sie herbeigerufen hat, ein-
schließt. Dieser kann in den nachfolgenden Runden mit
einem erfolgreichen Willenskraftwurf versuchen, die Kon-
trolle über die Tiere zurückzugewinnen.
•• HERRSCHAFT ÜBER DAS TIERREICH
Diese Beschwörung erweitert den Einfluß eines Verschlin-
gers auf die Tiere der Erde. Er ist nun in der Lage, einem
oder mehreren Tieren direkte Anweisungen zu erteilen.
System: Würfeln Sie Manipulation + Tierkunde. Die
Anzahl der erzielten Erfolge gibt an, wie viele Tiere Ihr
Charakter befehligen kann. Die Tiere müssen sich bereits
in seiner Nähe aufhalten, damit die Beschwörung durchge-
führt werden kann. Diese Beschwörung erhöht zusätzlich
die Intelligenz der Tiere. Gehen Sie davon aus, daß ein
Tier durch diese Beschwörung in der Regel einen effektiven
Intelligenzwert von 1 erhält, wobei es auch je nach Ermes-
sen des Erzählers außergewöhnliche Tierarten geben kann,
deren Intelligenz durch die Beschwörung auf 2 steigt. Ihr
Charakter muß nicht mit den beeinflußten Tieren reden,
um ihnen Befehle erteilen zu können. Er pflanzt seinen
Wunsch direkt in den Verstand der Tiere ein. Die Effekte
dieser Beschwörung halten für einen Tag an.
Qual: Ein monströser Dämon kann nur Fleischfresser be-
fehligen, und die Bürde seiner Qual macht sie unvorstellbar
aggressiv. Wenn sich der Verschlinger nicht in ihrer Nähe
aufhält, greifen sie jeden Sterblichen und Dämon an, dem
sie begegnen, sollte ihnen nicht ein erfolgreicher Intelli-
genzwurf (Schwierigkeit 7) gelingen.
••• IN TIERE EINFAHREN
Ein Verschlinger kann in ein oder mehrere Tiere einfah-
ren und durch sie handeln, als seien sie eine Erweiterung
oder eine Art Auswuchs seines eigenen Willens. Während
der Zeit des Zorns zogen viele Verschlinger mit ganzen Hor-
den aus schrecklichen Bestien in den Krieg, die furchtbar
unter den menschlichen Verbündeten der Himmlischen
Heerscharen wüteten.
System: Würfeln Sie auf Intelligenz + Tierkunde. Die
Anzahl der erzielten Erfolge gibt an, in wie viele Tiere Ihr
Charakter einfahren kann. Übersteigt diese Anzahl den
Geistesschärfewert Ihres Charakters, fällt sein Körper in
eine Art Koma. Liegt die Anzahl der Erfolge unterhalb
seines Geistesschärfewerts, kann er sich auch weiterhin
bewegen und handeln, wobei jedoch bei allen anfallen-
den Würfen der Würfelvorrat halbiert wird. Ihr Charakter
kann Tiere bis zu einer Reichweite kontrollieren, die dem
Anderthalbfachen seines Glaubewerts in Kilometern ent-
spricht. Der Glaubewert gibt auch die Anzahl der Runden
an, die diese Beschwörung anhält.
Qual: Monströse Dämonen können nur in Fleischfresser
einfahren und sie müssen einen eisernen Willen aufbrin-
gen, um sich nicht dem raubtierhaften Wesen ihrer Wirte
hinzugeben. Jede Runde muß ein Willenskraftwurf ausge-
führt werden, dessen Schwierigkeit dem Qualwert des Ver-
schlingers entspricht. Scheitert dieser Wurf, gibt der Dämon
den animalischen Instinkten nach. Sein Geist verschmilzt
vollkommen mit dem seiner Wirte, so daß die Kontrolle
des Charakters (und der Tiere, in die er eingefahren ist)
an den Erzähler übergeht, bis die Effekte der Beschwörung
abklingen. Endet ein solcher Wurf in einem Patzer, fährt
255

der Dämon umgehend aus den Tieren heraus, nimmt aber
deren Instinkte und Verhalten mit zurück in seinen eigenen
Körper, was ihn zu einer wilden Bestie machen kann.
•••• TIERGESTALT
Ein Verschlinger kann die Gestalt eines jeden Tiers an-
nehmen, dessen Blut oder Fleisch er gekostet hat. Seine
Masse paßt sich seinem neuen Erscheinungsbild an. Somit
kann sich der Körper einer Frau, die lediglich 50 Kilo wiegt,
sehr wohl in einen 800 Pfund schweren Tiger verwandeln,
wenn der Dämon dies wünscht.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Tierkunde. Ist der Wurf er-
folgreich, findet die Verwandlung Ihres Charakters in die
gewünschte Tiergestalt innerhalb einer Runde statt. Die Ef-
fekte dieser Beschwörung halten für die Dauer einer Szene
an, wenn Ihr Charakter sie nicht schon früher aufhebt.
Qual: Monströse Dämonen müssen einen eisernen Willen
aufbringen, um sich nicht dem raubtierhaften Wesen der
Tiere hinzugeben, in die sie sich verwandeln. Jede Run-
de muß ein Willenskraftwurf ausgeführt werden, dessen
Schwierigkeit dem Qualwert des Verschlingers entspricht.
Scheitert der Wurf, gibt der Dämon den animalischen In-
stinkten des Tiers nach, dessen Gestalt er angenommen
hat. Die Kontrolle des Charakters geht an den Erzähler
über, bis die Effekte der Beschwörung abklingen.
••••• CHIMÄRE
Ein Verschlinger kann den Körper eines Tieres verwan-
deln und dessen Fähigkeiten steigern oder es zu einer ab-
scheulichen, phantastischen Bestie mutieren lassen, die
die körperlichen Eigenschaften mehrerer verschiedener
Kreaturen in sich vereint.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Intelligenz + Tierkunde. Mit jedem erzielten Erfolg kann
Ihr Charakter einen Punkt in einer beliebigen Eigenschaft
der beeinflußten Kreatur erhöhen oder ihr ein bestimmtes
körperliches Merkmal neu hinzufügen. Die Einhaltung der
Gesetze der Physik spielt dabei keine Rolle, und auch die
Körpermasse ist unerheblich. Wenn Ihr Charakter also ei-
nen geflügelten Tiger erschaffen will, so ist dies durchaus im
Bereich des Möglichen. Allerdings können zu große Verän-
derungen in einer zu kurzen Zeit zu schweren psychischen
Störungen bei dem betroffenen Tier führen. Zählen Sie alle
verliehenen Eigenschaftspunkte und vorgenommenen kör-
perlichen Veränderungen zusammen und machen Sie einen
Willenskraftwurf. Erzielen Sie dabei mehr Erfolge, als die
Summe aller Veränderungen ergibt, übersteht das Tier den
Umwandlungsprozeß ohne Nachteile. Scheitert der Wurf,
wird das Geschöpf zu einer gefährlichen und unberechen-
baren Bestie. Der Erzähler legt fest, wie sich das veränderte
Verhalten des Tiers äußert. Er kann den Würfelwurf zugun-
sten eines erhöhten Spannungsaufbaus auch selbst durch-
führen und das Ergebnis geheimhalten, bis sich das wahre
Wesen der vom Verschlinger geschaffenen Kreatur zeigt. Der
Glaubewert Ihres Charakters gibt die Wirkungsdauer der
Effekte dieser Beschwörung in Tagen an. Die Effekte können
aber auch durch den Einsatz eines temporären Willenskraft-
punkts dauerhaft gemacht werden.
256
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Qual: Monströse Dämonen übertragen unweigerlich den
Makel ihrer eigenen Qual auf die von ihnen veränderten
Kreaturen und erschaffen so mörderische Bestien, die
durch den beständigen Schmerz, den sie aufgrund ihrer
Verwandlung erleiden müssen, in den Wahnsinn getrieben
worden sind. Der Geisteszustand dieser Geschöpfe muß
nicht durch einen Willenskraftwurf ermittelt werden. Auf
diese Art veränderte Kreaturen sind grundsätzlich wahn-
sinnige, rasende Bestien, deren einziger Lebenszweck
darin besteht, alle anderen Lebewesen zu töten und zu
verschlingen.
ZALTU, DAS ANTLITZ DER TIERE
Die Stärke und Erhabenheit der Engel der Wildnis ist
geradezu furchteinflößend. Unsichtbar und voller anmuti-
ger Kraft wie Panther pirschen sie sich durch die Dunkel-
heit. Das äußerliche Erscheinungsbild dieser Gefallenen
ist ausgesprochen variantenreich, doch die meisten von
ihnen sind äußerst muskulös und tragen einen dichten
Pelz. Sie haben große, goldene Augen, die im Mondlicht
wie glühende Kohlen leuchten, und ihre Stimme ist ein
tiefes Grollen. Wenn sie auf der Jagd sind, läßt ihr Heulen
das Blut aller Geschöpfe gefrieren, die diesen unheimlichen
Laut vernehmen.
Das Antlitz der Tiere verleiht die folgenden Eigenschaf-
ten:
Riesenwuchs: Der Körper des Charakters wächst um ein
Drittel seiner normalen Größe an, was die folgenden Bo-
nuseigenschaften mit sich bringt: +2 Körperkraft, +2 Ge-
schick, +1 Widerstandsfähigkeit.
Geschärfte Sinne: Die Schärfe aller fünf Sinne des Cha-
rakters ist auf ein übermenschliches Maß gesteigert, was die
Schwierigkeit sämtlicher Wahrnehmungswürfe des Charak-
ters um zwei senkt.
Klauen/Zähne: Dem Charakter wachsen Klauen und Fän-
ge, die Körperkraft + 2 schwer heilbaren Schaden verur-
sachen.
Zusätzliche Handlungen: Der Charakter kann sich durch
seine Glaubenspunkte zusätzliche Handlungen erkaufen.
Für jeden in einer Runde aufgewendeten Glaubenspunkt
erhält er eine zusätzliche Handlung. Diese Handlungen
werden mit absteigender Initiative ausgeführt – wenn also
ein Teufel mit einer Initiative von 7 eine zusätzliche Hand-
lung kauft, führt er seine normale Handlung bei 7 und die
zusätzliche Handlung bei 6 aus. Der Spieler des Charakters
muß sich vor Beginn der Runde – noch bevor irgendeine
Handlung durchgeführt wurde – entscheiden, wie viele
zusätzliche Handlungen er erwerben möchte.
Qual: Zaltu, die sich in ihrer Qual verlieren, sehen ausge-
zehrt und krank aus. In ihrem Pelz fehlen ganze Fellbüschel
oder er ist mit Dreck und Blut verschmiert. Schaum tropft
aus ihren geifernden Mäulern, und ihre Haut verdickt sich
zu Knorpeln ohne jegliches Gefühl.
Das Antlitz der Tiere verleiht bei hohen Qualwerten die
folgenden Eigenschaften:
Dicke Haut: Die knorpelige Haut des Charakters dient
ihm als Rüstung. Sie verleiht ihm vier zusätzliche Würfel
zum Absorbieren von Schlagschaden, tödlichem Schaden
und schwer heilbarem Schaden.
KAPITEL SIEBEN

Unersättlicher Schlund: Der Schlund des Dämons ist

buchstäblich so heiß wie ein Hochofen, und der Dämon
kann nahezu alles verschlingen und verzehren, ohne daß
er dadurch Schaden nehmen würde. Metall, Stein oder
Fleisch kann ohne Probleme zermalmt und herunterge-
schluckt werden. Die Schwierigkeit aller Bißangriffe des
Charakters werden um zwei gesenkt, und ein erfolgreicher
Biß verursacht Körperkraft +4 schwer heilbaren Schaden.
Zusätzliche Gliedmaßen: Je nachdem, wie sich der Spieler
entscheidet, wächst dem Dämon ein zusätzliches Armpaar
oder ein Greifschwanz. Ein zusätzliches Armpaar erlaubt es
dem Charakter, unbewaffnete oder mit Nahkampfwaffen
ausgeführte Angriffe auf ihn zu parieren oder abzublocken,
ohne dabei seine eigene Angriffs- oder Handlungsmög-
lichkeit zu verlieren. Er kann aber statt dessen auch zwei
zusätzliche Angriffe pro Runde mit seinem vollen Würfel-
vorrat durchführen. Der Greifschwanz ist halb so lang wie
der Charakter groß ist, besitzt dessen halbe Körperkraft
(abgerundet) und kann vom Charakter dazu eingesetzt
werden, um Objekte anzuheben oder sich kopfüber an ei-
nen Vorsprung wie beispielsweise eine Straßenlampe oder
einen Dachsims zu hängen.
Chamäleonhaut: Die Haut des Dämons erlaubt es ihm,
buchstäblich mit dem Hintergrund, vor dem er sich gerade
aufhält, zu verschmelzen. Wenn sich der Charakter bewegt,
wird die Schwierigkeit aller Heimlichkeitswürfe um eins
gesenkt. Wenn er regungslos bleibt, wird die Schwierigkeit
dieser Würfe um zwei gesenkt.

GEHEIMNISSE DER WILDNIS

• WILDNISGESPÜR
Der Verschlinger kann sich mit Hilfe dieser Beschwörung
eine Übersicht über seine nähere Umgebung verschaffen
und eine geistige Karte der örtlichen Begebenheiten anle-
gen. Auf diese Weise weiß er genau, welche Pflanzen und
Tiere einen bestimmten Ort bevölkern. Zusätzlich erhält er
ebenfalls Informationen über alle Eindringlinge, die von der
örtlichen Fauna als Bedrohung betrachtet werden.
System: Würfeln Sie Wahrnehmung + Überleben. Dä-
monen, die sich im selben Gebiet aufhalten, können
sich gegen eine Entdeckung wehren, indem sie in einer
Handlung gegen Widerstand ihre Willenskraft gegen den
Beschwörungswurf des Verschlingers würfeln, wobei die
Schwierigkeit des Wurfs für den Dämon, der sich einer
Entdeckung zu entziehen versucht, 7 beträgt. Gehen Sie
als Sieger aus diesem Wettstreit hervor, entsteht im Geist
Ihres Charakters eine detaillierte Karte von der umliegen-
den Gegend, die er nach Belieben einsetzen kann, um sich
zu orientieren. Zusätzlich erhält er Informationen darüber,
ob sich Tiere und Menschen in der Nähe aufhalten und wo
sie sich in etwa befinden. Obwohl diese Beschwörung am
besten in der Wildnis funktioniert, kann sie auch mit einer
Schwierigkeit von 8 in der Stadt eingesetzt werden. Ihr
Charakter erhält Eindrücke von einem bestimmten Gebiet,
das sich in einem Umkreis um ihn herum erstreckt, der
dem Anderthalbfachen seines Glaubewerts in Kilometern
entspricht. Die Effekte dieser Beschwörung halten eine
Szene lang an.

257

Qual: Ein monströser Dämon, der diese Beschwörung
durchführt, überträgt damit seine mordlüsterne Natur auf
die ihn umliegende Umgebung, was die Flora und Fauna
zu aggressivem Verhalten gegenüber menschlichen Stören-
frieden anregt. Jedes Tier in der Gegend reagiert aggressiv
auf Menschen und greift diese sogar an, wenn es dazu fähig
ist. Eindringlinge müssen entweder einen erfolgreichen
Sportlichkeits- oder Überlebenswurf ablegen, um Gefahr
aus dem Weg zu gehen oder einem Angriff zu entkommen.
Der Qualwert des Verschlingers wird als Schwierigkeit für
diesen Wurf herangezogen.
•• WACHSTUMSBESCHLEUNIGUNG
Ein Verschlinger kann pflanzliches Leben in seiner Um-
gebung zu übernatürlich schnellem Wachstum anregen.
Bäume schießen in den Himmel, Ranken verdichten sich,
Wurzeln, die durch Spalten gewachsen sind, lassen diese
weiter aufbrechen, und Dornensträucher und wilde Rosen
wuchern wild.
System: Würfeln Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben.
Ihr Charakter muß sich auf eine bestimmte Pflanze kon-
zentrieren und kann diese pro erzieltem Erfolg binnen einer
Runde um einen Kubikmeter wachsen lassen. Ranken oder
Wurzeln richten an festen Gegenständen, mit denen sie in
Berührung stehen, unter Umständen erheblichen Schaden
an (werten Sie jeden Erfolg wie einen Körperkraftpunkt
und vergleichen Sie das Ergebnis mit der Kraftakttabelle
auf Seite 278). Gegenstände, die sich innerhalb des Wachs-
tumsradius befinden, werden überwuchert. Für jeden er-
zielten Erfolg bleibt die beeinflußte Pflanze für eine weitere
Runde in diesem riesenhaften Zustand und richtet auch
ebensolange weiteren Schaden an.
Qual: Monströse Dämonen bringen Pflanzen dazu, zu
wachsen und alle Lebewesen in ihrer Nähe zu umstricken,
um sie anschließend zu strangulieren oder auseinanderzu-
reißen. Würfeln Sie für jedes Lebewesen, das sich in einem
Gebiet aufhält, das durch diese Beschwörung beeinflußt
wird, einen Würfelvorrat, der dem Willenskraftwert des
Verschlingers entspricht. Werten Sie diesen Wurf wie einen
Versuch, das betroffene Lebewesen zu packen, dem das Op-
fer wie gewohnt mit Ausweichen oder Parieren begegnen
kann. Ist ein Angriff erfolgreich, würfeln Sie eine Anzahl
an Schadenswürfeln, die dem Qualwert des Verschlingers
entspricht. Jeder erzielte Erfolg verursacht eine Stufe töd-
lichen Schaden.
••• HERRSCHAFT ÜBER DIE WILDNIS
Mit dieser Beschwörung kann ein Verschlinger das be-
schleunigte Wachstum von Pflanzen in eine bestimmte
Richtung steuern und seine Umgebung nach seinen Wün-
schen verändern und umgestalten.
System: Würfeln Sie Intelligenz + Überleben. Ihr Charak-
ter kann so viele Pflanzen mit dieser Beschwörung beein-
flussen, wie sein Glaubewert angibt. Die erzielten Erfolge
geben an, um wie viele Kubikmeter jede beeinflußte Pflanze
wächst und sich in die Richtung und in der Form ausbrei-
tet, die Ihr Charakter für sie vorgesehen hat. Wird das
Pflanzenwachstum gegen eine bestimmte Struktur wie etwa
eine Wand gelenkt, können Sie den verursachten Schaden
258
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
ermitteln, indem Sie die Zahl der erzielten Erfolge als Kör-
perkraftwert annehmen und ihn mit der Kraftakttabelle auf
Seite 278 in Kapitel Neun vergleichen.
Qual: Zusätzlich zur Wachstumssteuerung können durch
monströse Dämonen die beeinflußten Pflanzen noch ge-
fährlicher machen, indem sie nadelartige Dornen aus ihnen
wachsen lassen, von denen giftiger Saft tropft. Auf welche
Weise sich dieser Nebeneffekt genau manifestiert, entschei-
det der Erzähler. Jede Person, die sich durch ein derart ma-
nipuliertes Gebiet bewegt, muß einen erfolgreichen Wür-
felwurf auf Geschick + Sportlichkeit (oder Überleben)
ablegen. Scheitert dieser Wurf, erleidet das entsprechende
Opfer so viele Würfel an tödlichem Schaden, wie es der
Qualwert des Dämons vorgibt.
•••• IN PFLANZEN EINFAHREN
Der Dämon kann die Lebenskraft einer oder mehrerer
Pflanzen übernehmen und sie nach seinem Willen len-
ken. Er kann sie mit übernatürlicher Geschwindigkeit und
Stärke bewegen, um mit ihnen jede beliebige Handlung
auszuführen.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Widerstandsfähigkeit + Überleben. Die Anzahl der
erzielten Erfolge gibt an, in wie viele Pflanzen Ihr Charakter
einfahren kann. Pflanzen, die durch diese Beschwörung be-
einflußt werden, müssen an Ort und Stelle verwurzelt blei-
ben, können dafür aber jede andere Handlung ausführen,
die ihnen ihre Größe und ihre Beschaffenheit ermöglichen.
Ein Rosenbusch kann ein Opfer umstricken, und Efeu kann
die Mauer zum Einsturz bringen, in der er verankert ist.
Die Effekte dieser Beschwörung halten eine Szene lang an.
Gehen Sie davon aus, daß die Pflanzen über einen Körper-
kraftwert verfügen, der der Willenskraft des Verschlingers
entspricht, und ermitteln Sie mit Hilfe der Kraftakttabelle
auf Seite 278 den Schaden, den die Pflanzen an Gegen-
ständen anrichten. Dieselbe Anzahl an Würfeln wird für
Angriffe und Schadenswürfe eingesetzt, sobald die Pflan-
zen lebende Ziele attackieren. Durch diese Beschwörung
beherrschte Pflanzen verursachen Schlagschaden.
Qual: Ein monströser Verschlinger überträgt seinen Makel
auf die Pflanzen, in die er einfährt, was sie von innen heraus
zerstört und binnen Minuten in leblose Hüllen verwandelt.
Jede Pflanze, in die der Verschlinger eingefahren ist, erlei-
det eine Schadensstufe pro Runde. Dieser Schaden kann
nicht absorbiert werden. Gehen Sie als Faustregel davon
aus, daß eine Pflanze in der Regel pro 30 Kubikdezimetern
an Volumen eine „Gesundheitsstufe“ besitzt. Sobald alle
Gesundheitsstufen einer Pflanze durch die Qual des Dä-
mons verzehrt worden sind, stirbt die Pflanze.
••••• PFLANZENMUTATION
Mit dieser Beschwörung kann ein Verschlinger die Be-
schaffenheit und die Form einer Pflanze nach Belieben
verändern und vollkommen neue und besondere Züchtun-
gen schaffen.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Intelligenz + Überleben. Für jeden erzielten Erfolg
kann Ihr Charakter ein Merkmal der beeinflußten Pflanze
verändern oder ein gänzlich neues Merkmal hinzufügen.
KAPITEL SIEBEN
Zu solchen Veränderungen zählen ein schnellerer Meta-
bolismus (erhöhte Wachstumsrate), eine dicke Rinde oder
eine harte Außenhaut mit Dornen. Erfolge können im Zuge
einer erweiterten Handlung über einen Zeitraum von meh-
reren Tagen angesammelt werden (mit je einem Wurf pro
Tag), während Ihr Charakter an seiner Schöpfung „herum-
bastelt“. Der Glaubewert Ihres Charakters gibt an, wie viele
Tage die Effekte dieser Beschwörung anhalten. Durch den
Einsatz eines temporären Willenskraftpunktes können die
Veränderungen aber auch dauerhaft gemacht werden.
Qual: Monströse Dämonen, die diese Beschwörung anwen-
den, erschaffen pflanzliches Leben, das Geschmack an Blut
gefunden hat. Es muß ein Willenskraftwurf ausgeführt wer-
den, dessen Schwierigkeit dem Qualwert des Charakters
entspricht. Scheitert der Wurf, mutiert der Metabolismus der
Pflanze spontan und entwickelt natürliche Waffen, die es ihr
erlauben, lebende Wesen zu töten und sich von ihnen zu er-
nähren. Selbst der Dämon, der die Beschwörung gewirkt hat,
ist vor solchen Angriffen nicht sicher. Die Würfelvorräte für
Angriff und Schaden der Pflanze entsprechen dem Qualwert
des Dämons. Jeder so erzeugte Schaden ist tödlich.
NINURTU, DAS ANTLITZ DER WILDNIS
Die Engel der Wildnis manifestieren sich als Mischwesen
aus der Flora, über die sie herrschen, und der Fauna, die
unter ihrem Schutz steht. Ihre Haut ist für gewöhnlich
mit einem feinen Pelz bedeckt, der an den eines Hirschs
erinnert, und sie besitzen oft Hufe anstelle von Füßen. Ihre
Körper sind sehr muskulös, und ihre Augenfarbe wechselt
mit den Jahreszeiten von Blaßgrau im Winter zu Dunkel-
grün im Sommer.
Das Antlitz der Wildnis verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Geschärfte Sinne: Die Schärfe aller fünf Sinne des Cha-
rakters ist auf ein übermenschliches Maß gesteigert, was die
Schwierigkeit sämtlicher Wahrnehmungswürfe des Charak-
ters um zwei senkt.
Chamäleonhaut: Die Haut des Dämons erlaubt es ihm,
buchstäblich mit dem Hintergrund, vor dem er sich gerade
aufhält, zu verschmelzen. Wenn sich der Charakter bewegt,
wird die Schwierigkeit aller Heimlichkeitswürfe um eins
gesenkt. Wenn er regungslos bleibt, wird die Schwierigkeit
dieser Würfe um zwei gesenkt.
Spurloses Wandeln: Die Schwierigkeit aller Heimlich-
keitswürfe des Charakters wird um zwei gesenkt, und zu-
dem hinterläßt er keinerlei Spuren in seiner Umgebung.
Weder bleiben Fußabdrücke zurück, noch werden Blätter
oder Zweige niedergedrückt oder abgeknickt.
Zusätzliche Gesundheitsstufen: Der Dämon erhält drei
zusätzliche Gesundheitsstufen der Kategorie „Blaue Flek-
ken“ hinzu, mit denen er Schlagschaden, tödlichen Scha-
den und schwer heilbaren Schaden absorbieren kann.
Qual: Die Haut gequälter Ninurtu nimmt eine dunklere
Färbung an, und ihre Augen werden mondsilbern. Sie ge-
winnen erheblich an Körpergröße, und ihr ganzes Erschei-
nungsbild wirkt so bedrohlich wie der tiefste Wald oder die
höchsten Berggipfel.
Das Antlitz der Wildnis verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Dornen: Aus den Schultern, der Brust und den Armen des
Dämons wachsen spitze, schwarze Dornen, die jedem An-
greifer, dem ein waffenloser Angriff im Nahkampf oder ein
Versuch, den Dämon zu packen, gelingt, eine Stufe schwer
heilbaren Schaden zufügen.
Riesenwuchs: Der Körper des Charakters wächst um ein
Drittel seiner normalen Größe an, was die folgenden Bo-
nuseigenschaften mit sich bringt: +1 Körperkraft, +2 Ge-
schick, +1 Widerstandsfähigkeit.
Zusätzliche Gliedmaßen: Dem Charakter wächst ein
Greifschwanz. Der Greifschwanz ist halb so lang wie der
Charakter groß ist, besitzt dessen halbe Körperkraft (abge-
rundet) und kann vom Charakter dazu eingesetzt werden,
um Objekte anzuheben oder sich kopfüber an einen Vor-
sprung wie beispielsweise eine Straßenlampe oder einen
Dachsims zu hängen.
Gift: Der Speichel des Charakters enthält Giftstoffe, die
sich auf den Willen eines Opfers auswirken. Wenn eine
Person mit dem Gift in Berührung kommt (beispielsweise
durch eine offene Wunde oder einen Kuß), verliert sie für
jeden Punkt an Qual, den der Verschlinger besitzt, einen
Willenskraftpunkt, sofern ihr kein erfolgreicher Wurf auf
Widerstandsfähigkeit (Schwierigkeit 7) gelingt. Sollte das
Opfer auf diese Weise all seine Willenskraftpunkte verlie-
ren, fällt es in ein tiefes Koma. Die Effekte des Nervengiftes
halten so viele Tage an, wie es der Qualwert des Dämons
angibt.
GEHEIMNISSE DES FLEISCHES
• KÖRPERKONTROLLE
Diese Beschwörung erlaubt es einem Verschlinger, Ein-
fluß auf die biochemischen Vorgänge in seinem Wirtskörper
und dem Körper anderer Personen zu nehmen. Er kann
Gifte (sowohl natürlich vorkommende als auch von Men-
schenhand geschaffene) austreiben und den Stoffwechsel
beschleunigen oder verlangsamen.
System: Würfeln Sie Intelligenz + Medizin. Die Schwierig-
keit des Wurfs hängt von der Komplexität der Stoffwech-
selveränderung ab, die Ihr Charakter bewirken will. Hat er
vor, einen Körper von einfachen Giftstoffen zu reinigen, die
durch Überanstrengung im Gewebe entstehen, muß gegen
eine Schwierigkeit von 6 gewürfelt werden. Alkohol aus
dem Blut einer Person zu filtern, entspricht einer Schwie-
rigkeit von 7 oder höher, je nach Stärkegrad der Vergiftung.
Um einen Körper in ein todesähnliches Koma zu versetzen,
liegt die Schwierigkeit bei 9 oder höher. Will Ihr Charakter
diese Beschwörung auf eine andere Person anwenden, muß
er in direktem Körperkontakt mit ihr stehen. Das Opfer
kann sich in einer Handlung gegen Widerstand, in der es
seine Willenskraft (Schwierigkeit 8) gegen Ihren Beschwö-
rungswurf würfelt, gegen Ihr Vorhaben zur Wehr setzen.
Die Effekte dieser Beschwörung halten für den weiteren
Verlauf der Szene an, wonach die bekämpften Gifte wieder
Wirkung zeigen oder der Stoffwechsel sich wieder norma-
lisiert. Wird ein temporärer Willenskraftpunkt eingesetzt,
kann eine Vergiftung ganz aufgehoben werden.
Qual: Ein monströser Dämon, der diese Beschwörung auf
eine andere Person anwendet, setzt sie mit soviel ungezü-
259

gelter Macht ein, daß das Opfer damit bis an seine äußer-
sten Grenzen belastet wird. Nach dem Beschwörungswurf
wird die Gesamtzahl der erzielten Erfolge mit dem Wider-
standsfähigkeitwert des Opfers verglichen. Jeder Erfolg,
der über diesen Wert hinausgeht, verursacht eine Stufe
Schlagschaden, die nicht absorbiert werden kann.
•• NERVENMANIPULATION
Ähnlich wie Körperkontrolle erlaubt diese Beschwörung
einem Dämon, das Nervensystem einer Person zu manipu-
lieren. Ihre Stärke und Reflexe können verbessert und ihre
Sinne getrübt oder geschärft werden. Zusätzlich kann der
Verschlinger mit dieser Beschwörung einer Person unvor-
stellbare Freuden oder ebenso unbeschreibliche Schmerzen
bereiten.
System: Würfeln Sie Intelligenz + Medizin. Die Schwie-
rigkeit des Wurfs ist abhängig von der Komplexität des
Effekts, den Ihr Charakter erzielen will. Das Lindern von
Schmerzen entspricht einer Schwierigkeit von 6, während
das Beschleunigen der Reflexe einer Person (das Erhöhen
ihres Geschicks) einer Schwierigkeit von 7 oder 8 ent-
spricht. Will Ihr Charakter die Sinne einer Person schärfen
(oder trüben), muß gegen eine Schwierigkeit von 9 oder
höher gewürfelt werden. Jeder erzielte Erfolg verringert
oder erhöht den Wert eines körperlichen Attributs oder
eines Verwundungsabzugs um eins, je nachdem, welchen
Effekt Sie erzielen wollen. Die Effekte dieser Beschwörung
halten für die Dauer einer Szene an. Um sie auf eine an-
dere Person anzuwenden, muß Ihr Charakter in direktem
Körperkontakt mit ihr stehen. Das Opfer kann sich in einer
Handlung gegen Widerstand, in der es seine Willenskraft
(Schwierigkeit 8) gegen Ihren Beschwörungswurf würfelt,
gegen Ihr Vorhaben zur Wehr setzen.
Qual: Ein monströser Dämon riskiert bei der Anwendung
dieser Beschwörung, seinem Opfer schweren Schaden zu-
zufügen. Nach dem Beschwörungswurf wird die Gesamtzahl
der erzielten Erfolge mit dem Widerstandsfähigkeitwert des
Opfers verglichen. Jeder Erfolg, der über diesen Wert hin-
ausgeht, verursacht eine Stufe tödlichen Schaden.
••• FLEISCHMANIPULATION
Durch diese Beschwörung kann ein Dämon die Gestalt
einer anderen Person (oder auch seines eigenen Wirtskör-
pers) verändern. Er ist in der Lage, Muskelmasse hinzuzu-
fügen, die Knochendichte zu erhöhen oder die geistigen
Fähigkeiten auszuweiten.
System: Würfeln Sie Intelligenz + Medizin. Jeder erzielte
Erfolg kann als zusätzlicher Punkt auf ein beliebiges körper-
liches oder geistiges Attribut hinzugezählt werden. Damit
ist allerdings ein gewisses Risiko verbunden. Vergleichen
Sie die Gesamtzahl der erwürfelten Erfolge mit dem Wi-
derstandsfähigkeitwert der von dieser Beschwörung beein-
flußten Person. Jeder Erfolg, der über diesen Wert hinaus-
geht, verursacht eine Stufe Schlagschaden aufgrund des
Schocks, den diese Behandlung für den Körper darstellt.
Dieser Schaden kann nicht absorbiert werden. Um diese
Beschwörung auf eine andere Person anwenden zu können,
muß Ihr Charakter mit ihr in direktem Körperkontakt ste-
hen. Das Opfer kann sich in einer Handlung gegen Wider-
260
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
stand, in der es seine Willenskraft (Schwierigkeit 8) gegen
Ihren Beschwörungswurf würfelt, gegen Ihr Vorhaben zur
Wehr setzen. Die Effekte dieser Beschwörung halten für die
Dauer einer Szene an.
Qual: Monströse Dämonen verändern das Fleisch und die
Knochen ihrer Opfer ohne jegliche Rücksicht auf deren
geistige Gesundheit. Sobald diese Beschwörung auf eine
andere Person angewendet wird, muß diese einen erfolg-
reichen Willenskraftwurf ablegen, dessen Schwierigkeit
dem Qualwert des Dämons entspricht. Scheitert der Wurf,
erleidet das Opfer eine vorübergehende Geistesstörung, die
es paranoid und gewalttätig werden läßt. Bei einem Patzer
hält die Geistesstörung permanent an.
•••• WIEDERHERSTELLUNG DES
FLEISCHES
Mit dieser Beschwörung kann der Dämon den Körper ei-
nes Tiers oder einer Person wieder in seinen ursprünglichen
Zustand zurückversetzen, ganz gleich, wie verstümmelt der
Körper auch sein mag.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und würfeln
Sie Wahrnehmung + Medizin. Jeder erzielte Erfolg heilt
eine Stufe tödlichen oder alle Stufen Schlagschaden, die
das betroffene Individuum erlitten hat. Verlorene Glied-
maßen oder Organe werden vollkommen wiederhergestellt,
und der Körper wird von jeder Krankheit oder Vergiftung
geheilt. Weder kann durch diese Beschwörung schwer heil-
barer Schaden geheilt werden, noch können Personen wie-
derbelebt werden, die bereits tot sind. Ihr Charakter muß in
der Lage sein, das entsprechende Individuum zu berühren,
um diese Beschwörung anwenden zu können.
Qual: Monströse Dämonen können diese Beschwörung
ebenso leicht anwenden wie ihre menschlicheren Artge-
nossen, doch ihre Anstrengungen tragen unweigerlich den
Makel ihres Hasses und ihrer Pein. Der Erzähler muß in
einer Handlung gegen Widerstand die Willenskraft der
Zielperson (Schwierigkeit 7) gegen den Beschwörungswurf
des Verschlingers würfeln. Geht die Zielperson als Sieger
aus diesem Wettstreit hervor, erleidet sie lediglich eine
vorübergehende Geistesstörung. Gewinnt der Verschlinger,
wird die Geistesstörung permanent. Bei einem Patzer wird
die Zielperson zu einer seelenlosen, psychopathischen Tö-
tungsmaschine.
••••• FLEISCHFORMEN
Der Dämon kann menschliches Fleisch in jede beliebige
Form bringen. Sterbliche und Gefallene können somit in
monströse Kreaturen verwandelt werden, die direkt aus
dem Reich der Fabeln und Legenden entsprungen zu sein
scheinen.
System: Setzen Sie einen Glaubenspunkt ein und wür-
feln Sie Geschick + Medizin. Hierbei handelt es sich um
eine Handlung gegen Widerstand, in der die Zielperson
ihre Willenskraft (Schwierigkeit 7) gegen den Beschwö-
rungswurf des Verschlingers würfelt. Sie müssen die Gestalt
und die damit einhergehenden körperlichen Fähigkeiten
beschreiben, die Sie erschaffen wollen, und der Erzähler
legt die Anzahl der für die Veränderung benötigten Erfol-
ge fest. Sie können die benötigten Erfolge im Zuge einer
KAPITEL SIEBEN
erweiterten Handlung ansammeln, die sich über mehrere
Tage hinweg erstrecken kann (mit einem Wurf pro Tag),
während derer Ihr Charakter an seiner Schöpfung „herum-
bastelt“. Als Faustregel können Sie davon ausgehen, daß
jeder erzielte Erfolg ein körperliches Attribut um einen
Punkt steigert oder senkt oder dem Geschöpf ein körperli-
ches Merkmal nimmt oder ein neues hinzufügt. Die Effekte
dieser Beschwörung halten für so viele Tage an, wie es der
Glaubewert Ihres Charakters vorgibt. Durch Einsatz eines
temporären Willenskraftpunkts können sie jedoch auch
dauerhaft gemacht werden. Verschlinger können diese Be-
schwörung sowohl auf sich selbst als auch auf andere We-
sen anwenden, solange sie mit einer Zielperson in direktem
Körperkontakt stehen.
Qual: Die Veränderungen, die von einem monströsen Dä-
mon vorgenommen werden, sind unweigerlich mit dem Ma-
kel seiner Pein behaftet. Dadurch werden seinen Opfern so
groteske Mißbildungen und Entstellungen zugefügt, daß sie
in wandelnde Alpträume verwandelt werden. Eine solch
grauenvolle Metamorphose bringt dem Opfer eine vorüber-
gehende Geistesstörung ein und zudem erleidet es jeden Tag
eine Stufe tödlichen Schaden infolge der immensen Über-
belastung seines Körpers. Sterbliche, die solch eine Kreatur
erblicken, verhalten sich wie bei einer Offenbarung (nähere
Details hierzu finden Sie auf Seite 305 in Kapitel Neun).
ARURU, DAS ANTLITZ DES FLEISCHES
Die Engel des Fleisches, die ihr Erscheinungsbild noch um-
fassender verändern können als die Schänder, manifestie-
ren sich als idealisierte Versionen ihres sterblichen Wirts-
körpers. Ihre Macht erhöht die von ihnen übernommenen
menschlichen Körper, entfernt sämtliche Makel und Miß-
bildungen und vervollkommnet deren ursprüngliche Züge.
Auf gewisse Weise wird ihre Erscheinung dadurch ebenso
fremdartig und wundersam wie die strahlenden Erschei-
nungen ihrer anderen himmlischen Geschwister.
Das Antlitz des Fleisches verleiht die folgenden Eigen-
schaften:
Verbesserte gesellschaftliche Eigenschaften: Die Perfek-
tion seiner Gesichtszüge, sein Gebaren und seine Stimme
verleihen dem Charakter die folgenden Bonuseigenschaf-
ten: +1 Charisma, +1 Manipulation, +2 Erscheinungs-
bild.
Immun gegen Gifte: Der Charakter ist immun gegen
jeden Schaden und alle Würfelabzüge, die durch Gifte
erzeugt werden. Dies beinhaltet auch Alkohol und Ni-
kotin.
Verbesserte Initiative: Die Initiative des Charakters ver-
bessert sich um zwei.
Kein Spiegelbild: Das Abbild des Dämons ist in keinem
Spiegel zu sehen. Er kann auch nicht auf Photographien
oder sonstigen Filmaufnahmen festgehalten werden.
Qual: Aruru mit hohen Qualwerten haben nur noch we-
nig Ähnlichkeit mit menschlichen Wesen. Ihre ursprüng-
liche Gestalt verschwindet in einem grotesk angeschwol-
lenem Berg aus wallendem Fleisch. Muskeln, Knochen
und Organe bewegen und verändern sich von Augenblick
zu Augenblick, ohne daß der Dämon bewußt die Kontrol-
le darüber ausüben würde.
Das Antlitz des Fleisches verleiht bei hohen Qualwerten
die folgenden Eigenschaften:
Zusätzliche Gesundheitsstufen: Der Dämon erhält drei
zusätzliche Gesundheitsstufen der Kategorie „Blaue Flek-
ken“ hinzu, mit denen er Schlagschaden, tödlichen Scha-
den und schwer heilbaren Schaden absorbieren kann.
Rüstung: Die wallenden Massen aus Fleisch und Knorpel
dienen dem Dämon als Rüstung. Sie verleihen ihm vier
zusätzliche Würfel, um Schlagschaden, tödlichen Scha-
den und schwer heilbaren Schaden zu absorbieren.
Unersättlicher Schlund: Der Schlund des Dämons ist
buchstäblich so heiß wie ein Hochofen, und der Dämon
kann nahezu alles verschlingen und verzehren, ohne daß
er dadurch Schaden nehmen würde. Metall, Stein oder
Fleisch kann ohne Probleme zermalmt und herunterge-
schluckt werden. Die Schwierigkeit aller Bißangriffe des
Charakters werden um zwei gesenkt, und ein erfolgrei-
cher Biß verursacht Körperkraft +4 schwer heilbaren
Schaden.
Regeneration: Als Reflex regeneriert der Dämon pro Run-
de eine Stufe Schlagschaden oder tödlichen Schaden.
261
 Naram-Sin huschte durch das Empfangszimmer und in das Eckbüro des Managers hinein. Arnold Horton, DynaComs
hauseigenes Wunderkind und neuer Vorstandsvorsitzender, stand vor dem großen Panoramafenster auf der anderen
Seite des mit einem teuren Teppich ausgelegten Zimmers und genoß die Aussicht auf die Innenstadt von Los Angeles
sichtlich. Horton machte keinen Mucks, als Naram-Sin sich zu ihm gesellte, da der Dämon seine Anwesenheit verborgen
hielt. Der Teufel nahm sich die Zeit, den selbstzufriedenen Ausdruck auf Hortons Gesicht genau zu studieren. Naram-
Sin lächelte nicht oft, doch der Anblick der maßlosen Überheblichkeit des Sterblichen amüsierte ihn sehr.
„Sie haben es ziemlich weit gebracht“, sagte der Dämon schließlich. Es war tatsächlich ein echter Genuß, wie sich
Hortons arrogante Miene in eine Fratze des Schreckens verwandelte, als sich Naram-Sin offenbarte. Dabei hatte der
Dämon doch nichts als die Wahrheit gesagt: Horton trug einen Maßanzug aus reiner Seide und einen Diamantring am
kleinen Finger. Das war Welten von seinem früheren Aussehen entfernt, als er noch ein kleiner Buchhalter der Firma
gewesen war und sich mit verknitterter Kunstfaser hatte zufrieden geben müssen. In menschlichen Maßstäben ge-
messen war Horton nicht gerade groß, doch Naram-Sin mußte dennoch den Arm heben, um die seidene Krawatte des
Vorstandsvorsitzenden zwischen Daumen und Zeigefinger prüfend befühlen zu können. Der Dämon war in den Körper
eines Chinesen mittleren Alters eingefahren, dessen schmale, dunkle Augen wachsam hinter runden Brillengläsern
funkelten. „Ich gehe davon aus, daß Ihre Bezüge nach der Beförderung angemessen großzügig ausfallen.“
„Es ist mehr, als ich mir jemals erträumt hätte“, sagte Horton ein wenig zu eilfertig. Unbewußt strich er mit einer
blassen Hand seine Krawatte glatt und ließ sie so aus den Fingern des Dämons gleiten. „Nachdem ich erst einmal die
Gabe eingesetzt hatte, war der Vorstand natürlich wie Wachs in meinen Händen.“ Horton richtete sich zu voller, be-
scheidener Größe auf und drückte eine widerspenstige Haarsträhne vorsichtig zurück an ihren angestammten Platz in
seinem Seitenscheitel, den er über seine Halbglatze gekämmt hatte. „Ich mußte so lange darauf warten, bis ich diesen
fetten Ärschen endlich mal sagen konnte, was in dieser Firma alles falsch läuft. Sie haben keine Ahnung, wie gut es
sich angefühlt hat, als sie sich vor mir wanden wie die Maden.“
„Ich kann es mir vorstellen“, sagte der Dämon ohne eine Spur von Ironie.
„Nicht, daß ich bis jetzt die Zeit gefunden hätte, meinen Triumph zu feiern.“ Horton drehte sich vom Fenster weg und
warf einen ärgerlichen Blick auf die Aktenstapel, die auf der marmornen Arbeitsfläche seines Schreibtisches verteilt
lagen. „Die Probleme mit den Geschäftspraktiken dieser Firma sind noch bei weitem schlimmer, als ich es befürchtet
hatte. Der drohende Bankrott ist noch unser kleinstes Problem. Wenn nicht bald damit angefangen wird, Klarschiff zu
machen, könnte sogar der Kongreß eine Prüfung unserer Bücher veranlassen.“ Er lächelte. „Natürlich würde ein kurzer
Flug nach Washington ausreichen, damit mir die Kongreßabgeordneten aus der Hand fressen.“
„Zweifelsohne“, bestätigte Naram-Sin kühl. „Sie werden allerdings nichts in dieser Richtung unternehmen, Mr.
Horton.“
Horton zuckte zusammen, als seine Träumereien einer triumphalen Rückkehr aus Washington zerschlagen wurden.
„Wie bitte?“
„Sie werden Ihr Bestes tun, die unerlaubten Geschäftsbeziehungen und all die anderen Mauscheleien dieser Firma
zu vertuschen. Sie können daraus sogar selbst Profit schlagen. Zahlen Sie sich meinetwegen einen mehr als angemes-
senen Bonus für Ihre harte Arbeit.“ Dem Grinsen des Dämons fehlte jede Wärme. „Tun Sie, was Sie wollen, doch die
Beziehungen werden so bleiben müssen, wie sie sind.“
Für einen Moment starrte Horton Naram-Sin nur ungläubig an. „Haben Sie überhaupt gehört, was ich gerade eben
gesagt habe? Wenn diese Beziehungen so bleiben, ist diese Firma am Ende und die Wahrscheinlichkeit, daß anschlie-
ßend auch noch einige Personen in den Knast wandern werden, ist sehr hoch. Zu diesen Personen zähle auch ich.“
Der Blick des Dämons blieb unergründlich.
Horton schüttelte den Kopf. „Warten Sie. Das muß sich um ein Mißverständnis handeln. Sie würden sich doch nicht
die Mühe machen, mir all diese Gaben zu verleihen und mich so weit kommen zu lassen, nur um die Firma dann am Ende
in den Ruin zu treiben.“
„Mühe? Glauben Sie etwa, daß ich mir Ihretwegen irgendwelche Mühe gemacht habe, Mr. Horton?“ Die Stimme des
Dämons klang milde, doch sein Gesicht blieb ausdruckslos. „Die Sterne vom Himmel zu holen – das würde mir vielleicht
Mühe bereiten. Oder diese Ansammlung obszöner Steinsäulen, die ihr Toren eine Stadt nennt, zu zermalmen – das würde
mir bestimmt ein klein wenig Mühe bereiten. Ich kann Ihnen allerdings versichern, daß es mir nicht die geringste Mühe
bereitet hat, Ihnen die Macht zu verleihen, diese einfältigen kleinen Würmer im Vorstand in Ehrfurcht erzittern zu lassen.
Ich wollte sichergehen, daß diese Firma bankrott geht, und das auf eine Art und Weise, die nicht nur hier sondern auch in
Washington für einen großen Skandal sorgen wird. Sie werden gewährleisten, daß es auch genau so kommen wird.“
Die Augen des Sterblichen weiteten sich. „Das … das können Sie nicht von mir verlangen. Ich habe alles für diese
Firma aufgegeben. Meine Ehe, meine Familie, meine Freunde. Das wird mein Ruin sein.“
Der Dämon lächelte. Hinter den runden Brillengläsern glühten zwei geschlitzte Pupillen auf wie Kohlen in einem Ofen.
„Vertrauen Sie mir, Mr. Horton. Das ist erst der Anfang.“
 KAPITEL ACHT:
REGELN

Ehre und Lob dir, Satan, in den Höhen des Himmels, wo

du herrschtest, und in den Tiefen der Hölle, wo du besiegt im
Schweigen sinnst! Gib, daß meine Seele einst unter dem Baum
der Erkenntnis nahe bei dir ruht und Frieden findet, zur Stunde,
da über deiner Stirne als ein neuer Tempel sich seine Zweige
breiten werden!
- Charles Baudelaire, Gebet

Jedes Spiel besitzt Regeln. Auch wenn Regeln in einem
Erzählspiel wie diesem nicht den Vorrang vor der Geschich-
te erhalten, erfüllen sie doch eine sehr wichtige Aufga-
be. Die Regeln verleihen Ihrem Spiel eine Struktur und
bieten Ihrem Erzähler eine Methode, die Auswirkungen
der Handlungen der Charaktere in jenen Situationen un-
voreingenommen festzulegen, in denen unbedingte Fair-
neß zwingend erforderlich ist. Ihr Erzähler kann auch auf
Regeln zurückgreifen und Sie und Ihre Mitspieler Würfe
durchführen lassen, wenn er den Ereignissen der Geschich-
te ein gewisses Zufallselement verleihen will. Die Würfel
stehen in diesen Fällen für das Schicksal und die schmerz-
liche Wahrheit, daß nicht immer alles so läuft, wie es ur-
sprünglich einmal geplant war.
Die Regeln von Dämonen: Die Gefallenen, die in die-
sem Kapitel vorgestellt werden, sollen Ihnen dabei behilf-
lich sein, von Kampfszenen bis hin zu gesellschaftlichen
Interaktionen jegliche Art von Situation abhandeln zu
können, zu der es im Verlauf des Spiels kommt. Da sie
lediglich als Richtlinien gedacht sind, sind die Regeln so
flexibel, wie Sie sie haben möchten. Letzten Endes liegt die
oberste Entscheidungsgewalt immer bei Ihrem Erzähler.
Die Regeln dienen ihm als Werkzeuge, mit denen er für
den reibungslosen Fortgang einer möglichst ansprechenden
Geschichte sorgt. Einige Erzähler befolgen die Regeln auf
den Punkt genau und halten sich strikt an jede Vorgabe,
die im Buch steht. Andere wiederum ignorieren die Regeln
vollkommen und führen ihre Spieler rein intuitiv durch
ihre Geschichte. Beide Methoden sind zulässig, aber die
meisten Erzählstile liegen allerdings irgendwo zwischen die-
sen beiden Extremen. Vergessen Sie nicht: Es ist Ihr Spiel,
und Sie können damit machen, was Sie wollen.
KAPITEL ACHT
GRUNDREGELN
ZEIT
Die Art und Weise, wie die Zeit im Spiel verstreicht und
wie sie von Ihnen kontrolliert wird, wirkt sich gleichzeitig
auf den Spielfluß aus. Sie und Ihre Mitspieler stellen sich
gemeinsam bestimmte Ereignisse vor, arbeiten Sie im ge-
meinsamen Dialog weiter aus und bestimmen Ihren Aus-
gang schließlich anhand von Würfelwürfen. Aus diesem
Grund unterscheidet sich die real verstreichende Zeit von
der in der Geschichte verstreichenden Zeit. Stellen sich
die Charaktere Ihrer Spielgruppe einem Kampf, kann es
in Realzeit einige Minuten dauern, bis dieser abgehandelt
ist, während in der Spielwelt selbst nur wenige Sekunden
vergehen. Umgekehrt können Sie mehrere Wochen, die
innerhalb der Spielwelt verstreichen, in nur wenigen Minu-
ten Realzeit abhandeln, indem Sie einfach davon ausgehen,
daß sich während dieser Zeitspanne nichts Bemerkens-
wertes in der Spielwelt ereignet. Sie und Ihre Mitspieler
können die Geschichte während ereignisloser Perioden
also schneller voranschreiten lassen und sie bei wichtigen
Ereignissen so weit verlangsamen, daß Sie jedes einzelne
Detail genau ausarbeiten und abhandeln können.
Die folgenden sechs Grundeinheiten beschreiben das
Verstreichen von Zeit in einer Geschichte, die in der Welt
von Dämonen: Die Gefallenen spielt:
• Runde – Dies ist die kleinste, aber zugleich auch häufig
die wichtigste Zeiteinheit im Spiel. Eine Runde steht für die
Zeit, die ein Charakter zum Durchführen einer Handlung
benötigt. Eine Runde kann zwischen drei Sekunden und
drei Minuten dauern, was vom Verlauf des gerade stattfin-
denden Ereignisses abhängt. Wenn Ihr Erzähler ankündigt,
daß der folgende Verlauf des Spiels in Runden gemessen
wird, legt er die Zeit fest, die in einer solchen Runde ver-
streicht, und es ist äußerst wichtig, daß sich alle Spieler an
diesen Standard halten. Die Länge einer Runde kann sich
von Ereignis zu Ereignis unterscheiden, doch sie muß für
jeden Spieler zu jedem bestimmten Zeitpunkt innerhalb
eines Ereignisses konstant bleiben.
• Szene – Eine Szene in einem Rollenspiel ähnelt der Szene
in einem Theaterstück. Der Erzähler bereitet die Bühne
und die Spieler schlüpfen in ihre Rollen. Eine Szene spielt
sich für gewöhnlich an einem bestimmten Ort ab und um-
faßt in der Regel ein einziges Ereignis von besonderer Be-
deutung. Der Zeitablauf innerhalb einer Szene kann stark
variieren. Die Szene kann in Runden oder aber in Echtzeit
ausgespielt werden. Es ist aber genausogut möglich, daß Ihr
Erzähler und Ihre Mitspieler sich dazu entschließen, Teile
der Handlung wie im schnellen Vorlauf abzukürzen, wäh-
rend der Ort, an dem die Szene stattfindet, und das größere
Ereignis, das sich dort abspielt, beibehalten werden.
Ein Beispiel: Eine Szene beginnt in Echtzeit, als die Charak-
tere in ein Bürogebäude einbrechen. Dann wird sie in Run-
den weitergespielt, als die Charaktere in ein Feuergefecht
mit den Sklaven eines Erdgebundenen verwickelt werden.
Anschließend kann das Entsorgen der Leichen und das Un-
tersuchen der Umgebung im schnellen Vorlauf abgehandelt
werden, um dort in Echtzeit mit der Szene weiterzumachen,
wo die Charaktere über die Bedeutung der Hinweise disku-
tieren, die sie in der Zwischenzeit entdeckt haben.
• Kapitel – Ein Kapitel steht für gewöhnlich für eine Spiel-
sitzung, in deren Verlauf der Erzähler den Spielern eini-
ge Herausforderungen in den Weg stellt, die überwunden
werden müssen. Ein Kapitel beginnt in dem Moment, in
dem Sie sich an den Spieltisch setzen und in Ihre Rolle
schlüpfen, und sie endet in dem Augenblick, in dem Sie
Ihre Würfel wieder einpacken. Das Ende eines jeden Ka-
pitels sollte Sie dazu anregen, unbedingt wissen zu wollen,
wie die Geschichte weitergehen wird. Gleichzeitig sollte
es in Ihnen aber auch das Gefühl wecken, ein Stück des
Weges hin zum Ende der Geschichte hinter sich gebracht
zu haben.
• Geschichte – Eine Geschichte steht für einen in sich
abgeschlossenen Handlungsverlauf, der entweder aus ver-
schiedenen Kapiteln besteht oder in nur einer einzigen
Spielsitzung zu Ende gebracht wird. Eine Geschichte hat
eine Einführung, einen Hauptteil mit Spannungsbogen
und einen Höhepunkt, der die geschilderten Ereignisse zu
einem Abschluß bringt.
• Chronik – Einfach ausgedrückt bezieht sich der Begriff
„Chronik“ auf eine Saga oder Sammlung verschiedener
Geschichten. In diesem Fall hat Ihr Erzähler ein bestimm-
tes Ziel für die Charaktere und ein bestimmtes Thema der
Gesichten, die er erzählen möchte, im Hinterkopf. Wahr-
scheinlich gibt es auch einen großen Handlungsfaden, der
all die kleineren Handlungsfäden aus den einzelnen Ge-
schichten und Kapiteln aufgreift, um sie zu einem großen
Ganzen zu verspinnen. Während sich das Spiel immer wei-
ter entwickelt, schreiben Sie und Ihre Mitspieler an Ihrer
eigenen Chronik, indem Sie einzelne Teile und Handlungs-
stränge aller Geschichten miteinander verknüpfen, bis sich
daraus ein echtes Epos ergibt.
• Ereignislose Zeit – Wenn sich Ihr Erzähler dazu ent-
schließt, im schnellen Vorlauf eine längere Zeitspanne zu
überspringen, kündigt er eine „ereignislose Zeit“ an. Man
kann die Vorgänge während der ereignislosen Zeit grob zu-
sammenfassen, ohne sie tatsächlich ausspielen zu müssen.
Ihr Erzähler könnte so etwas sagen wie: „Ihr beobachtet die
Kirche die ganze Nacht über, doch niemand kommt heraus.
Am nächsten Morgen habt ihr ein ganz neues Problem,
als ein Streifenwagen neben eurem Auto hält.“ Während
die Charaktere der Spieler auf ihrem Beobachtungsposten
lagen, geschah nichts, weshalb es auch keinen Grund gibt,
diese Zeit auszuspielen. Der Erzähler springt einfach zum
nächsten interessanten Ereignis weiter.
EINFACHE HANDLUNGEN
Sie spielen Ihren Charakter, indem Sie die Dinge, die er
tut, als Handlungen beschreiben, die er durchführt. Bei die-
sen Handlungen kann es sich um so einfache Dinge wie das
Betrachten eines Bildes handeln, sie können aber auch so
komplex wie das Fliegen eines Hubschraubers sein. Je nach-
dem, wie schwierig sich eine solche Handlung gestaltet, kann
Ihr Erzähler einen Würfelwurf von Ihnen verlangen, um zu
ermitteln, ob Ihrem Charakter die von Ihnen angekündigte
Handlung gelingt. In Dämonen wird jede Handlung, die
innerhalb einer Runde ausgeführt werden kann, als einfache
265

Handlung bezeichnet. (Andere Handlungsarten werden spä-
ter ausführlich beschrieben.) In den meisten Fällen gelingen
die Handlungen Ihres Charakters, weil sie ganz einfach sehr
leicht zu bewerkstelligen sind. Sprechen stellt beispielsweise
im Normalfall keine echte Herausforderung dar. Versucht
jedoch ein anderer Charakter Ihren Charakter einzuschüch-
tern, um ihn zum Schweigen zu bringen, könnte ein Wür-
felwurf darüber entscheiden müssen, ob Ihr Charakter seine
Meinung weiterhin frei äußert oder nicht.
WÜRFELN
Ihr Erzähler hat zwei Möglichkeiten, wenn er entschei-
den möchte, wie das Ergebnis einer Handlung aussieht, die
Ihr Charakter durchführen möchte. Die erste Möglichkeit
besteht für ihn darin, daß er von sich aus festlegt, wie die
Handlung ausgeht, um das Resultat herbeizuführen, das
für den weiteren Verlauf der Geschichte seiner Meinung
nach die größte Bereicherung darstellt. Die zweite Mög-
lichkeit besteht darin, daß er einen Würfelwurf von Ihnen
verlangt, um den weiteren Verlauf der Ereignisse dem Zufall
zu überlassen.
Bei Dämonen werden zehnseitige Würfel verwendet,
wie man sie in jedem gutsortierten Spielwarenladen kaufen
kann. Jeder Spieler benötigt ungefähr zehn dieser Würfel,
während der Erzähler unter Umständen mehr braucht.
WERTE
Wie in Kapitel Sechs erklärt beginnen Sie mit der Be-
schreibung Ihres Charakters, indem Sie seinen Eigenschaf-
ten Punkte zuweisen. Diese Punktewerte symbolisieren
seine angeborenen Fähigkeiten, seine erlernten Kenntnisse
und seine Lebenserfahrung. Ihr Charakter hat Stärken und
Schwächen wie eine echte Person. Er kann ein Meister-
schütze sein oder nicht einmal wissen, welches Ende einer
Schußwaffe das gefährliche ist. Basierend auf der folgenden
Skala vergeben Sie für jede Eigenschaft Ihres Charakters
einen Punktwert, der zwischen 0 und 5 liegt:
X höllisch schlecht
• dürftig
•• durchschnittlich
••• gut
•••• außergewöhnlich
• • • • • herausragend
Am Beispiel von Fähigkeiten betrachtet, bedeutet ein
Wert von null Punkten, daß Ihr Charakter diese spezielle
Fertigkeit, das Talent oder die Kenntnis nie erlernt hat.
Ein Punkt steht für ein grundlegendes Verständnis einer
Fähigkeit. Besitzt Ihr Charakter zwei Punkte, liegt sein
Verständnis dieser Fähigkeit im durchschnittlichen Bereich
des Menschenmöglichen. Liegt der Wert einer Fähigkeit
zwischen drei und fünf Punkten, hat Ihr Charakter diese bis
zu einem guten, einem außergewöhnlichen oder gar einem
herausragenden Grad gemeistert, der über das Leistungs-
vermögen eines gewöhnlichen Menschen hinausgeht.
Der jeweilige Wert einer Eigenschaft gibt an, wie viele
Würfel Sie würfeln dürfen, wenn Ihr Charakter eine Hand-
lung ausführt, die mit dieser Eigenschaft in Verbindung
steht. Der Erzähler entscheidet, welche Eigenschaften für
welche Handlungen in Frage kommen. Anschließend teilt
266
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
REFLEXE
Einige bestimmte Tätigkeiten, die Ihr Charakter un-
ternimmt, werden nicht als Handlungen gewertet, wes-
halb ihre Ausführung auch keine ganze Runde in An-
spruch nimmt. Diese „freien Handlungen“ oder Reflexe
geschehen augenblicklich, ohne daß Ihr Charakter sich
dafür anstrengen oder auch nur einen Gedanken darauf
verwenden müßte. Beispiele für solche Reflexe sind der
Einsatz von Willenskraftpunkten, um sicherzustellen,
daß eine angestrebte Handlung gelingt, oder das Ab-
sorbieren von Schaden, um zu verhindern, daß Ihr Cha-
rakter Verletzungen erleidet. Reflexe beeinträchtigen
die normalen Handlungen Ihres Charakters innerhalb
einer Runde in keiner Weise. Es handelt sich bei ihnen
um sofortige „Handlungen“, die durchgeführt werden,
selbst wenn Ihr Charakter seine volle Aufmerksamkeit
gerade auf andere Dinge gerichtet hält.
er Ihnen die entsprechenden Eigenschaften mit, woraufhin
Sie für jeden Punkt, den Ihr Charakter darin besitzt, einen
zehnseitigen Würfel würfeln. Die Gesamtzahl an Würfeln,
die sich daraus ergibt, wird Würfelvorrat genannt. Die ge-
naue Anzahl der Würfel in Ihrem Vorrat hängt von der Art
der Handlung und den angewendeten Eigenschaften ab.
Ein Würfelvorrat besteht normalerweise aus der Gesamt-
zahl an Punkten, die sich aus der Summe eines bestimmten
Attributs (also beispielsweise Körperkraft, Intelligenz oder
Charisma) und einer bestimmten Fähigkeit ergibt. Das be-
deutet, daß sie sowohl die angeborenen Attribute Ihres
Charakters als auch seine erlernten Fähigkeiten einsetzen,
um festzustellen, wie gut er bei einer Handlung abschnei-
det. Aus Gründen der Einfachheit und des Spielgleich-
gewichts sollte Ihr Erzähler Ihnen nie erlauben, mehr als
je ein Attribut und eine Fähigkeit in Ihren Würfelvorrat
einfließen zu lassen.
Verfügt Ihr Charakter in einer anzuwendenden Fähigkeit
(Talent, Fertigkeit oder Kenntnis) über keinen einzigen
Punkt, kann Ihnen der Erzähler dennoch gestatten, mit
einem Würfelvorrat, der lediglich dem Wert Ihres Cha-
rakters im anzuwendenden Attribut entspricht, den ent-
sprechenden Wurf für eine Handlung durchzuführen. Die
angeborenen Attribute Ihres Charakters bieten Ihnen in
den meisten Fällen eine gewisse Erfolgschance bei jeder
Handlung, ganz gleich, wie klein diese Chance auch sein
mag. Der Erzähler entscheidet, welches Attribut in einer
bestimmten Situation zum Einsatz kommt, und er kann die
Schwierigkeit des Wurfs um eins erhöhen (siehe unten),
um der größeren Herausforderung für Ihren Charakter
beim Durchführen der geplanten Handlung Rechnung zu
tragen. Ihr Erzähler ist keineswegs dazu verpflichtet, Ihnen
einen solchen Attributswurf zuzugestehen, wenn es in der
vorliegenden Situation keinen Sinn ergeben würde.
Einige Eigenschaften wie beispielsweise Willenskraft
können einen Maximalwert von 10 Punkten aufweisen
und somit höher liegen als Attribute oder Fähigkeiten. Ihr
Erzähler sollte diese besonderen Eigenschaften für gewöhn-
KAPITEL ACHT
lich nicht in Würfelvorräte mit anderen Eigenschaften
einfließen lassen. Normalerweise stehen diese Eigenschaf-
ten mit potentiell sehr hohen Werten für sich allein und
werden daher auch ohne den Zusatz eines Attributs oder
einer Fähigkeit gewürfelt.
Andere Eigenschaften wie beispielsweise Hintergrundei-
genschaften (siehe Kapitel Sechs) können eine Fähigkeit
im Würfelvorrat ersetzen und sorgen somit für mehr Varia-
tionsmöglichkeiten bei der Anwendung von Eigenschaften.
Es entscheidet immer Ihr Erzähler darüber, ob Sie einen
Würfelwurf ausführen müssen und aus welchen Eigen-
schaften der entsprechende Würfelvorrat gebildet wird.
SCHWIERIGKEIT
Wann immer Sie einen Würfelwurf ausführen, müssen Sie
gegen einen festgelegten Zahlenwert – eine Schwierigkeit –
würfeln, die Sie mit dem Ergebnis jedes Würfels zu erreichen
oder überbieten versuchen. Diese Zahl kann zwischen einem
Wert von 2 und 10 liegen und wird von Ihrem Erzähler fest-
gelegt. Sobald Sie wissen, wie hoch die Schwierigkeit ist,
würfeln Sie Ihren Würfelvorrat, und jeder Würfel, der die
Schwierigkeit erreicht oder übertrifft, zählt als ein Erfolg.
Die Anzahl der von Ihnen auf diese Weise erzielten Erfolge
zeigt an, wie gut Ihr Charakter die von Ihnen angekündigte
Handlung ausgeführt hat. Sie benötigen in der Regel ledig-
lich einen Erfolg, um eine Handlung zu schaffen. Je mehr
Erfolge Sie erwürfeln, desto leichter fällt Ihrem Charakter
die Handlung und desto perfekter führt er sie aus.
Die Standardschwierigkeit eines Würfelwurfs liegt bei 6. Eine
niedrigere Schwierigkeit macht einen Würfelwurf somit
leichter, während ein höherer Wert das Ausführen einer
Handlung schwieriger gestaltet. Wann immer in diesem Re-
gelwerk zu einer bestimmten Schwierigkeit keine näheren
Angaben gemacht werden oder Ihnen Ihr Erzähler keine
andere Schwierigkeit nennt, können Sie davon ausgehen,
daß der Würfelwurf gegen eine Schwierigkeit von 6 ausge-
führt wird.
Ihr Erzähler hat die oberste Entscheidungsgewalt in Sa-
chen Schwierigkeit. Je nachdem, wie sich eine Situation
darstellt, entscheidet er darüber, ob eine angekündigte
Handlung nahezu undurchführbar oder unglaublich ein-
fach ist. Eine Schwierigkeit von 10 steht für eine Situation,
in der die angekündigte Handlung so gut wie unmöglich
auszuführen ist – oder anders gesagt, eine Situation, in
der die Chancen für einen Erfolg oder einen Patzer gleich
groß sind. Liegt die Schwierigkeit eines Wurfs bei 2, ist
die angekündigte Handlung so einfach, daß Ihr Charakter
nicht einmal darüber nachdenken muß, um sie erfolgreich
abzuschließen. Im Grunde lohnt es sich nicht einmal, im
Falle einer solchen Handlung überhaupt einen Würfel-
wurf durchzuführen, da sie aller Wahrscheinlichkeit nach
sowieso gelingen wird. Diese Extrembeispiele sollten in
einem normalen Spiel allerdings nur selten auftreten. Die
Schwierigkeit der meisten Würfe fällt eher in einen Be-
reich zwischen 3 und 9. Bei der Festlegung der genauen
Schwierigkeit eines Wurfs können stets eine ganze Reihe
von Modifikatoren und situationsabhängigen Elementen
eine große Rolle spielen.
Ungeachtet der Schwierigkeit wird allerdings ein Würfel-
ergebnis von 10 immer als Erfolg gewertet.
267

SCHWIERIGKEIT
3 Leicht (auf ebenem Asphalt sprinten)
4 Routine (eine Nummer im Telefonbuch
nachschlagen)
5 Problemlos (einem Fremden eine kleine
Lüge unterjubeln)
6 Standard (eine Schußwaffe abfeuern,
auf der Autobahn fahren, jemanden
verfolgen)
7 Anspruchsvoll (im Feierabendverkehr
durch eine Stadt fahren)
8 Schwierig (Verfolgung eines Fahrzeugs
durch dichten Verkehr)
9 Äußerst schwierig (bei Tempo 100 eine
180°-Wende machen)
ERFOLGSGRAD
Ein Erfolg Knapp (gerade so geschafft)
Zwei Erfolge Bescheiden (keine allzu schlechte Lei-
stung)
Drei Erfolge Voll (die Aufgabe zur vollsten Zufrie-
denheit durchgeführt)
Vier Erfolge Außergewöhnlich (Sie haben sich einen
Bonus verdient)
Fünf Erfolge Phänomenal (keiner kann es besser)
ERFOLGE, SCHEITERN UND PATZER
Ein Haken beim Ermitteln der erzielten Erfolge bei Dä-
monen ist der, daß Sie vielleicht nicht alle Erfolge, die Sie
erwürfelt haben, auch tatsächlich behalten dürfen. Jede 1,
die Sie erwürfeln, zieht Ihnen einen Ihrer Erfolge wieder ab.
Es ist vollkommen egal, wie viele Erfolge Sie auch gewürfelt
haben mögen – wenn Sie genügend Einsen gewürfelt haben,
um sie alle wieder aufzuheben, dann scheitert Ihr Wurf und
somit auch die Handlung Ihres Charakters. Haben Sie mehr
Einsen erwürfelt, als Sie an Erfolgen vorweisen können, so
hat das noch keine katastrophalen Konsequenzen. Es wird
erst so richtig schlimm für Sie werden, wenn Sie eine oder
mehrere Einsen erwürfeln und keine Erfolge erzielt haben.
SCHEITERN
Es ist schade, wenn es passiert, aber es passiert nun mal:
Sie würfeln überhaupt keinen Erfolg oder mehr Einsen, als
Sie an Erfolgen vorweisen können. In diesen Fällen schei-
tert die von Ihrem Charakter durchgeführte Handlung. Er
schießt daneben, er kommt einfach nicht dahinter, wieso
der Wagen nicht anspringt, oder er biegt bei seiner Flucht
vor der Polizei in eine Sackgasse ab. Ein Scheitern mag zwar
eine Enttäuschung sein, aber es hat noch lange nicht die
potentiell katastrophalen Folgen eines Patzers.
PATZER
Normalerweise hebt jede gewürfelte Eins einen Ihrer
Erfolge auf. Sollten Sie allerdings überhaupt keine Erfolge
erwürfelt haben, die aufgehoben werden könnten, haben
Sie einen sogenannten Patzer gewürfelt. Wo ein Scheitern
einfach nur unangenehm ist, kann ein Patzer richtig weh
268
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
tun, weil er dem Begriff Mißerfolg eine vollkommen neue
Dimension verleiht. Ihr Charakter versagt nicht einfach
nur bei seiner Handlung, sondern sein Leben könnte durch
seinen Mißerfolg in Gefahr geraten.
Ihr Erzähler legt die Auswirkungen eines Patzer fest, wo-
bei ihm endlos viele Möglichkeiten offen stehen. In den
meisten Fällen stellen Patzer jedoch eine echte Katastrophe
dar. Würfeln Sie beispielsweise einen Patzer, während Ihr
Charakter gerade eine Waffe abfeuert, hat diese möglicher-
weise ausgerechnet in diesem Augenblick eine Ladehem-
mung. Würfeln Sie einen Patzer, während Ihr Charakter
über eine Häuserschlucht springt, könnte er abstürzen. Ein
Scheitern bei diesen Würfen hätte womöglich nur bedeu-
tet, daß Ihr Charakter daneben schießt oder das gegenüber-
liegende Dach gerade so erreicht, abrutscht und sich an der
Regenrinne festhalten kann. Der Unterschied zwischen
Scheitern und Patzer liegt im Grad der Gefahr, der Ihr Cha-
rakter nach dem Wurf ausgesetzt ist. Ein Scheitern äußert
sich für gewöhnlich in einer überschaubaren Bedrohung,
während ein Patzer Ihren Charakter in große Schwierigkei-
ten bringt, die ihn durchaus das Leben kosten können.
Patzer erlauben es Ihrem Erzähler, Ihr verheerend schlech-
tes Abschneiden bei Ihrem Wurf mit gefährlichen, aber auch
interessanten Folgen zu versehen. Anstatt Ihren Charak-
ter also von der Dachrinne baumeln zu lassen, könnte der
Erzähler ihn durchaus auf der anderen Seite der Straßen-
schlucht ankommen lassen, wo er ein Exekutionskommando
der Mafia in flagranti bei dessen blutiger Arbeit überrascht!
Ein Patzer muß nicht unbedingt den Tod Ihres Charak-
ters zur Folge haben. Er bedeutet nur, daß das Schicksal ihm
einen besonders dicken Knüppel zwischen die Beine wirft.
Ein geschickter Erzähler kann Patzer dazu nutzen, um eine
Situation noch spannender zu gestalten und neue Gegner ins
Spiel zu bringen oder um einem Spieler einen Anreiz zur Wei-
terentwicklung seines Charakters zu liefern. Wie würde Ihr
Charakter wohl darauf reagieren, wenn er versehentlich ein
unschuldiges Kind erschießt? Patzer eignen sich hervorragend
als Ausgangspunkt für echte Dramen und Tragödien.
AUTOMATISCHE ERFOLGE
Wer will schon ein ganzes Spiel damit verbringen, nur
Würfelwürfe abzulegen? Je mehr Würfe anfallen, desto
weniger achten die Spieler auf die Geschichte. Um diesem
Effekt entgegenzuwirken, bietet Dämonen eine schnelle
und einfache Methode, um festzustellen, ob ein Charakter
mit seiner Handlung Erfolg hat, ohne daß dafür gewürfelt
werden müßte. In Situationen, in denen die Anzahl der
Würfel in Ihrem Vorrat größer ist als die Schwierigkeit ei-
ner anstehenden Handlung, gelingt diese Handlung auto-
matisch. Der Wurf gilt allerdings nur als knapp bestanden,
also so, als hätten Sie lediglich einen Erfolg erzielt. Wenn
Sie die Handlung mit größerem Erfolg abschließen möch-
ten, können Sie auch würfeln, aber dann gehen Sie auch
das Risiko ein, daß Ihr Wurf in einem Scheitern oder gar
einem Patzer endet. Im Kampf oder anderen angespann-
ten Situationen entfällt diese Regelung für automatische
Erfolge jedoch; in diesen Fällen muß immer gewürfelt wer-
den. Diese Regelung für das Erzielen automatischer Erfolge
greift ausschließlich in Situationen, in denen die geplante
KAPITEL ACHT
MEHRFACHE HANDLUNGEN
Ihr Charakter muß oft schnell reagieren. Ist er auch
in der Lage, zwei Dinge gleichzeitig zu tun? Das bleibt
abzuwarten, aber er kann es zumindest versuchen. Neh-
men wir einmal an, Ihr Charakter will beispielsweise
hinter eine Hecke in Deckung springen, während er
gleichzeitig auf einen Exorzisten schießt, der ihn ver-
folgt – zwei Handlungen, eine Runde. Beide Handlun-
gen werden schwieriger werden, da Ihr Charakter sie zur
gleichen Zeit ausführen will.
Um solche mehrfachen Handlungen durchführen zu
können, müssen Sie all die Dinge, die Ihr Charakter in
der anstehenden Runde unternehmen will, ankündigen
und die Reihenfolge festlegen, in der Sie die dafür anste-
henden Würfe machen wollen. Ihr Charakter kann so
viele Handlungen ausführen, wie Sie möchten, doch je
größer die Zahl der Handlungen ist, auf die Ihr Charak-
ter seine Aufmerksamkeit verteilen muß, desto geringer
stehen die Chancen, daß ihm eine dieser Handlungen
auch gelingt. Bestimmen Sie zunächst wie gewohnt den
Würfelvorrat für die erste Handlung, aber verringern
Sie den Vorrat für jede Handlung, die Ihr Charakter in
der anstehenden Runde ausführen soll, um einen Wür-
fel. Würfeln Sie dann diesen reduzierten Würfelvorrat
für die erste Handlung.
Nachdem Sie das Ergebnis des ersten Würfelwurfs
ermittelt haben, bereiten Sie sich auf den zweiten vor.
Stellen Sie den entsprechenden Würfelvorrat für die
zweite Handlung zusammen und verringern Sie ihn
zunächst wie beim ersten Wurf um eine Anzahl an
Würfeln, die der Gesamtzahl der im Verlauf der Run-
de unternommenen Handlungen entspricht. Danach
nehmen Sie einen weiteren Würfel aus dem Vorrat,
und legen den Wurf ab. Für jede weitere Handlung
nach der zweiten entfernen Sie je einen weiteren Wür-
fel aus dem Ihnen für diese Handlung zur Verfügung
stehenden Vorrat. Somit werden bei der dritten Hand-
lung zwei zusätzliche Würfel aus dem ohnehin schon
um die Gesamtzahl der unternommenen Handlungen
verringerten Vorrat genommen, bei der vierten Hand-
lung sind es drei Würfel und so weiter. Wird Ihr Wür-
felvorrat auf null reduziert, können Sie die gewünschte
Handlung nicht mehr ausführen.
Handlung leicht und ohne jeglichen Widerstand durchge-
führt werden könnte.
Es gibt noch einen anderen Weg, einen automatischen Er-
folg bei einem Wurf zu erzielen. Sie können einfach einen Wil-
lenskraftpunkt einsetzen (siehe auch Seite 196). Man kann
dies nur einmal pro Runde tun, und da Ihnen nur ein begrenz-
ter Vorrat an Willenskraftpunkten zur Verfügung steht, sollten
Sie nicht allzuoft Gebrauch von dieser Möglichkeit machen.
Stehen Sie jedoch unter großem Erfolgsdruck, kann die An-
wendung von Willenskraft äußerst hilfreich sein.
NEUER VERSUCH
Hartnäckigkeit zahlt sich oft aus, doch wiederholtes
Scheitern kann schnell zu Frustration, Ermüdungserschei-
nungen und Selbstzweifeln führen. Sollte Ihrem Charakter
eine angekündigte Handlung mißlingen, kann Ihr Erzähler
ihm eine zweite Chance gewähren, die Handlung noch
einmal zu versuchen.
In den meisten Situationen wird die Aufgabe, vor der Sie
stehen, nach jedem anfänglichen Scheitern schwieriger. Um
die Frustration und Ermüdung Ihres Charakters zu simulie-
ren, erhöht der Erzähler die Schwierigkeit für jeden weiteren
Versuch um eins. Diese Erschwernis ist kumulativ: Je öfter
Ihr Charakter versagt, desto schwieriger wird die Ausführung
der Handlung bei jedem weiteren Versuch. Sollte es keine
zeitlichen Beschränkungen geben, kann Ihr Charakter es so
lange weiterversuchen, wie es der Erzähler zuläßt.
Fortdauerndes Scheitern macht die Bewältigung der Auf-
gabe allerdings irgendwann unmöglich. Die Schwierigkeit
steigt auf einen so hohen Wert, daß Sie keinerlei Chance
auf Erfolg mehr haben und Ihr Charakter vor die sprich-
wörtliche Wand läuft. Würfeln Sie einen Patzer, kann der
Erzähler Ihnen weitere Versuche untersagen, und er kann
sogar bestimmen, daß Ihr Charakter sein Werkzeug ruiniert,
das wichtige Beweismaterial verliert oder den Gegenstand,
an dem er gearbeitet hat, zu Bruch gehen läßt.
Ob diese Regel zur Anwendung kommt, hängt von der Art
der angekündigten Handlung ab. So wird sie beispielsweise
angewendet, wenn Ihr Charakter versucht, ein Schloß zu
knacken, jemand anderen zu etwas zu überreden, Recherche
zu einem bestimmten Thema in einer Bibliothek zu betreiben
oder sich aus seinen Fesseln zu winden. Ein neuer Versuch
kommt nicht in Frage, wenn es Ihrem Charakter nicht gelun-
gen ist, jemanden niederzuschießen, einen Hinterhalt zu er-
kennen, einen Ball zu fangen, auf einen Hinweis aufmerksam
zu werden oder irgend etwas anderes zu tun, bei dem ihm nur
eine einzige Chance gegeben ist, um erfolgreich zu sein.
ERSCHWERNISSE
Die bisher aufgeführten Grundregeln sind alles, was Sie
zum Spielen benötigen. Was nun folgt, soll Ihnen dazu
dienen, diese Regeln zu verfeinern und zu erweitern. Es
werden Methoden aufgeführt, mit denen Sie bestimmte
Situationen genauer abhandeln können. Die folgenden drei
Abschnitte beschreiben generelle Verfahren zum Umgang
mit komplexeren Situationen, die sich unter Umständen im
Spiel ergeben können. Eine Fülle von situationsabhängigen
Erschwernissen finden Sie in Kapitel Neun.
ERWEITERTE HANDLUNGEN
An irgendeinem Punkt im Spiel wird Ihr Charakter ver-
suchen, eine Handlung zu unternehmen, die über einen
längeren Zeitraum hinweg Erfolge erfordert – wie etwa
das Erklimmen einer Steilwand oder die Verfolgung eines
wilden Tiers durch den Wald. Ein einzelner Wurf wür-
de einer solchen Aufgabe einfach nicht gerecht werden.
Selbst wenn Ihrem Charakter ein Teilerfolg gelingt, heißt
das in diesen Fällen noch lange nicht, daß er sein Ziel auch
wirklich innerhalb einer einzigen Runde erreichen wird. In
einer solchen Situation kommen die Regeln für erweiterte
Handlungen zum Tragen. Verglichen mit einer einfachen
Handlung, bei der nur ein Erfolg benötigt wird, um das
269

gewünschte Ergebnis zu erreichen, müssen bei einer er-
weiterten Handlung mehrere Erfolge erzielt werden, um sie
zumindest ansatzweise zufriedenstellend abzuschließen. Es
ist zudem durchaus möglich, daß eine erweiterte Handlung
mehrere Würfelwürfe erfordert.
Will Ihr Charakter eine erweiterte Handlung durchfüh-
ren, legt Ihr Erzähler fest, wie viele Erfolge Sie erzielen müs-
sen, um sie zu einem gelungenen Abschluß zu bringen. An-
schließend führen Sie für jeden vom Erzähler festgelegten
Zeitabschnitt, den die erweiterte Handlung umfaßt, einen
Würfelwurf aus, bis Sie genügend Erfolge erzielt haben, um
die Aufgabe zu meistern. Durch diese Methode wird nicht
nur ermittelt, ob Ihrem Charakter ein Vorhaben gelingt,
sondern sie gibt auch an, wie lange er für die erfolgreiche
Durchführung braucht. Ihr Erzähler kann für jede Runde,
jede Stunde oder jeden Tag, der in der Spielwelt verstreicht,
einen Wurf von Ihnen verlangen. Die genaue Zeiteinheit,
die verwendet wird, hängt von der Art der Aufgabe ab,
und kann nach Gutdünken des Erzählers festgelegt werden,
wobei die Zeit, die für das Durchführen der anstehenden
erweiterten Handlung unter normalen Umständen nötig
wäre, als erster Anhaltspunkt dienen sollte.
In den meisten Fällen kann Ihr Charakter eine erweiterte
Handlung so lange fortführen, wie Sie möchten, aber es
kann auch vorkommen, daß Sie sich ein spannendes Ren-
nen gegen die Zeit liefern müssen. Womöglich haben Sie
für eine bestimmte erweiterte Handlung nur ein paar Stun-
den, weil sie bis Sonnenuntergang unbedingt erfolgreich
abgeschlossen worden sein muß. Unterbricht Ihr Charakter
seine erweiterte Handlung, um etwas anderes zu tun, kann
HANDLUNGSARTEN
Handlung Beispiel
Einfach Zuschlagen,
einer Kugel ausweichen
Erweitert Bergsteigen, Spurenlesen
Gegen Widerstand Taschendiebstahl,
jemanden entwaffnen
Erweitert & gegen Widerstand Jemanden beschatten,
Ringkampf
270
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
der Erzähler bestimmen, daß einige der bereits von Ihnen
erzielten Erfolge verlorengehen, da sich Ihr Charakter erst
wieder in seine Aufgabe hineindenken muß, ehe er damit
fortfahren kann. Es kann sogar passieren, daß Sie ganz von
vorne beginnen müssen.
Je öfter Sie würfeln müssen, desto größer wird die Chan-
ce, daß Sie einen Patzer würfeln und Ihr Charakter seine
erweiterte Handlung komplett in den Sand setzt. Bei einem
Patzer kann der Erzähler bestimmen, daß Ihr Charakter die
erweiterte Handlung nicht noch einmal versuchen darf. Er
hat dann schlicht und ergreifend versagt, weil er seine Aus-
rüstung zerstört oder eine echte Katastrophe ausgelöst hat.
HANDLUNGEN GEGEN WIDERSTAND
Manchmal werden die Handlungen Ihres Charakters
durch das gegenteilige Bestreben anderer Personen zusätzlich
erschwert, die ihn aufhalten oder in seinem Tun scheitern
lassen wollen. Wenn sich zwei Charaktere auf diese Weise ge-
genüberstehen, gibt ein einfacher Würfelwurf diese Situation
nicht angemessen wieder. Diese sogenannten Handlungen ge-
gen Widerstand vergleichen die Eigenschaften der Kontrahen-
ten miteinander, während diese versuchen, sich gegenseitig
in ihrem Können zu überbieten. (Um ein stark vereinfachtes
Beispiel anzuführen, können Sie sich eine Handlung gegen
Widerstand ein wenig wie Tauziehen vorstellen.) Die beiden
Kontrahenten würfeln gegen eine gemeinsame Schwierig-
keit oder gegen eine Schwierigkeit, die einem bestimmten
Eigenschaftswert (oder auch einer Summe aus Eigenschafts-
werten) ihres jeweiligen Gegners entspricht. Wer die meisten
Erfolge erzielt, gewinnt diesen Wettstreit.
Beschreibung
Eine einmalige Chance auf Erfolg oder Mißerfolg. Der
Ausgang wird mit Hilfe eines einzigen Wurfs bestimmt.
Der Erzähler legt die Schwierigkeit fest und gibt vor, aus
welchen Eigenschaften der Würfelvorrat zusammenge-
stellt wird. Ein automatischer Erfolg ist möglich.
Die Handlung erstreckt sich über einen längeren Zeit-
raum mit mehreren Phasen, in denen die Chance auf
Erfolg oder Mißerfolg besteht. Es wird eine Reihe von
Würfen abgelegt, im Zuge derer eine vorher festgelegte
Anzahl an Erfolgen zu erreichen ist. Dieses Vorgehen
erhöht die Wahrscheinlichkeit, einen Patzer zu wür-
feln.
Bei dieser Handlung treten zwei Charaktere mitein-
ander in Wettstreit. Beide Spieler würfeln gegen eine
gemeinsame Schwierigkeit oder eine Schwierigkeit,
die einem Eigenschaftswert des jeweiligen Gegners
entspricht. Die Kontrahenten vergleichen die erzielten
Erfolge. Die Differenz zwischen den erzielten Erfolgen
legt den Erfolgsgrad fest.
Zwei Charaktere treten wie bei einer Handlung gegen
Widerstand gegeneinander an, um in einer Reihe von
Würfen eine vorher festgelegte Anzahl an Erfolgen
zu erreichen. Wer als erster diese Anzahl an Erfolgen
erzielt, gewinnt den Wettstreit.
KAPITEL ACHT
Sie müssen für jeden von Ihrem Gegner erzielten Erfolg
einen der von Ihnen erwürfelten Erfolge abziehen, so wie
es auch bei gewürfelten Einsen der Fall ist. Wenn Sie bei-
spielsweise vier Erfolge erzielt haben und Ihr Gegner drei,
dann haben Sie die Handlung gegen Widerstand mit einem
Erfolg für sich entschieden, was bedeutet, daß Sie es knapp
geschafft haben. Auch wenn Ihr Gegner Sie auf diese Weise
nicht aufhalten konnte, ist es ihm zumindest gelungen, Sie
in Ihrem Bemühen nachhaltig zu behindern und zu brem-
sen. Einen außergewöhnlichen oder gar phänomenalen
Erfolg bei einer Handlung gegen Widerstand zu erzielen,
ist äußerst selten.
Manchmal gibt eine Kombination aus erweiterter Hand-
lung und Handlung gegen Widerstand eine bestimmte
Situation am besten wieder. Gewisse Handlungen gegen
Widerstand – wie etwa Verfolgungsjagden, Streitgespräche,
Wettrinken oder Kickboxkämpfe – erstrecken sich häufig
über einen längeren Zeitraum und erfordern eine ganze
Reihe von Würfen, um zu ermitteln, wie erfolgreich sie
durchgeführt werden. In einem solchen Fall führen Sie und
Ihr Gegner eine Handlung gegen Widerstand aus und zäh-
len die Erfolge aus einer Reihe solcher Würfe zusammen.
Wer als erster eine vom Erzähler vorher festgelegte Ge-
samtanzahl an Erfolgen erzielt, gewinnt diesen Wettstreit.
Manchmal kann der Erzähler bei einem Vorgang, der
auf den ersten Blick eine erweiterte Handlung nahelegen
würde, auf wiederholte Würfe verzichten, wenn er der Mei-
nung ist, daß das eigentliche Rollenspiel darunter leiden
würde. In den meisten Fällen reicht tatsächlich eine einfa-
che Handlung gegen Widerstand vollkommen aus, um den
Ausgang einer bestimmten Situation zu ermitteln.
GRUPPENARBEIT
In gewissen Situationen kann es sinnvoll sein, wenn sich
mehrere Leute zusammentun, um ihre Erfolgschancen bei
der Bewältigung einer bestimmten Aufgabe zu erhöhen.
Gruppenarbeit kann eingesetzt werden, wenn die Charak-
tere gemeinsam etwas Schweres anheben, eine bestimmte
Information recherchieren, eine Tür aufbrechen, jemanden
einschüchtern oder ein Rätsel lösen wollen. Jeder Spieler
führt einen Würfelwurf mit seinem eigenen Würfelvorrat
aus, woraufhin anschließend alle von der Gruppe erzielten
Erfolge zusammengezählt werden. Nicht zulässig ist das
Zusammenlegen der Würfelvorräte aller Spieler, um einen
einzigen Wurf mit einer Unmenge an Würfeln abzulegen.
Jeder Spieler muß für sich selbst würfeln, und erst dann
werden alle Erfolge zusammengezählt. Sollte jemand einen
Patzer würfeln, kann dies unter Umständen das Aus für die
gemeinsamen Bemühungen bedeuten.
DIE GOLDENE REGEL
Die wichtigste Regel bei Dämonen ist die, immer dar-
an zu denken, daß Sie Ihr eigenes Spiel nach Gutdünken
kontrollieren und lenken können. Wenn Ihnen eine Regel
in einer bestimmten Situation nicht paßt, ändern Sie sie
entsprechend um oder ignorieren Sie sie ganz. Achten Sie
dabei allerdings darauf, daß das nötige Maß an Regelbe-
ständigkeit vorhanden ist, damit alle Mitspieler Freude am
Spiel haben können.
Betrachten Sie die Regeln in diesem Buch lediglich als deu-
tungsoffene Richtlinien. Jedes Dämonen-Spiel ist anders.
Einige Spielgruppen setzen voll und ganz auf Konsens und
entscheiden über Erfolg oder Mißerfolg aller Handlungen,
indem alle Spieler sich im Dialog auf den Ausgang einigen,
der der Geschichte und ihrer Grundstimmung am dienlich-
sten ist. Andere Spielgruppen wiederum folgen strikt dem
Prinzip des Zufalls, indem sie intensiven Gebrauch von
Würfeln machen, um Spannung und Nervenkitzel in ihrer
Geschichte zu erzeugen. Sie müssen selbst entscheiden,
welche der beiden Methoden für Sie die richtige ist oder ob
Sie einen irgendwie gearteten Mittelweg zwischen diesen
beiden Extremen einschlagen.
Unsere Goldene Regel lautet schlicht und ergreifend:
„Haben Sie Spaß am Spiel.“
BEISPIELE FÜR WÜRFE
Während des Spiels werden die Charaktere alle mögli-
chen Arten von Handlungen ausführen. Die Regeln ver-
suchen dabei, die meisten dieser Handlungen abzudecken,
und sind so flexibel wie möglich gestaltet, um all Ihren
Ansprüche gerecht zu werden. Mehr als 270 Kombina-
tionen von Attributen und Fähigkeiten bieten Ihnen eine
unglaublich große Vielfalt an Möglichkeiten, genau den
Würfelvorrat zu bilden, der einer Situation am angemes-
sensten ist. Sie können sich auch eigene Talente, Fertigkei-
ten und Kenntnisse ausdenken, um die Eigenschaften und
Fähigkeiten Ihres Charakters noch genauer zu beschreiben.
Die folgenden Beispiele sollen Ihnen einen groben Über-
blick über die Vielzahl der Handlungen verschaffen, die Sie
während eines Spiels durchführen können.
Sie müssen einen umgestürzten Baumstamm von der
Straße räumen, um Ihre Weiterfahrt zu ermöglichen,
ehe das Auto mit Ihren Verfolgern eintrifft. Würfeln Sie
Körperkraft + Sportlichkeit (Schwierigkeit 8).
Der Besitzer einer Kunstgalerie lädt Sie zu einer Ver-
nissage ein. Um sein Vertrauen zu gewinnen, müssen
Sie Ihn mit Ihrem Stil und Ihrer Grazie beeindrucken.
Würfeln Sie Manipulation + Etikette (die Schwierigkeit
entspricht der Summe aus Wahrnehmung + Etikette des
Galeriebesitzers).
Sie haben es geschafft, in ein Bürogebäude einzubre-
chen, doch jeden Moment wird ein Wachmann seinen
Rundgang beginnen. Wo ist nur die blöde Datei, deret-
wegen Sie hier überhaupt eingestiegen sind? Würfeln Sie
einmal pro Runde Geistesschärfe + Computer (Schwierig-
keit 8). Sie haben fünf Runden Zeit, bis der Wachmann
auftaucht und müssen insgesamt 12 Erfolge erzielen.
Die Sklavin des Erdgebundenen bewacht den Ausgang,
aber Sie könnten sich an ihr vorbeischleichen, sobald sie
Ihnen den Rücken zukehrt. Führen Sie eine Handlung ge-
gen Widerstand durch, in der Sie Geschick + Heimlichkeit
gegen die Wahrnehmung + Aufmerksamkeit der Sklavin
würfeln (beide Kontrahenten würfeln gegen die Summe
der Eigenschaftswerte des jeweils anderen). Gehen Sie als
Sieger hervor, gelangen Sie unentdeckt nach draußen.
Der Tod ihres Anführers hat die Kultisten vollkommen
verwirrt, was Ihnen die Gelegenheit bietet, sie zu Ih-
271

ren Anhängern zu machen. Alles hängt von dieser ei-
nen Predigt ab. Würfeln Sie Manipulation + Ausdruck
(Schwierigkeit 7).
Sie wissen, daß der Junkietreffpunkt hier irgendwo sein
muß, aber er wird nicht leicht zu finden sein. Würfeln
Sie in einer erweiterten Handlung alle fünf Minuten Wahr-
nehmung + Szenekenntnis (Schwierigkeit 7). Sie müssen
insgesamt 10 Erfolge erzielen.
Sie haben noch zwölf volle Stunden Überlandfahrt vor
sich und sind der einzige, der diesen Schwertransporter
fahren kann. Würfeln Sie einmal pro Stunde Widerstands-
fähigkeit + Fahren (Schwierigkeit 7). Sie müssen insgesamt
12 Erfolge erzielen, um sicher an Ihrem Ziel anzukommen,
ohne eine längere Pause einlegen zu müssen.
Sie müssen die Menge ablenken, während sich Ihre Ver-
bündeten durch den Hintereingang in den Club schlei-
chen. Sie gehen auf die Bühne und beginnen damit, den
Pöbel wüst zu beschimpfen. Würfeln Sie Erscheinungsbild
+ Ausdruck (Schwierigkeit 6).
Wie konnte so ein Idiot an so teure Regierungsausrü-
stung gelangen? Es wird Zeit, herauszufinden, bei wel-
chem Senator diese Attentäter auf der Lohnliste stehen.
Würfeln Sie Geistesschärfe + Politik (Schwierigkeit 6).
Genug geredet. Jetzt sprechen die Wummen. Würfeln Sie
Geschick + Schußwaffen (Schwierigkeit 6).
Dieser leicht schrullige Okkultist hat die Information,
die Sie so dringend brauchen. Können Sie ihn durch
einen Trick dazu bringen, Ihnen zu verraten, was Sie
wissen wollen? Würfeln Sie Manipulation + Okkultismus
(Schwierigkeit 8).
Sie wissen, daß die Lösung des Rätsels irgendwo in die-
ser verstümmelten Leiche zu finden sein wird. Die ent-
scheidende Frage lautet: Können Sie sich zu einer vollen
Autopsie mit all den damit verbundenen Widerlichkei-
ten durchringen, ehe der Hinweis unwiederbringlich
verloren ist? Würfeln Sie einmal pro Stunde Widerstands-
fähigkeit + Nachforschungen (Schwierigkeit 7). Sie müs-
sen insgesamt 15 Erfolge erzielen.
Der Polizist hat sie gerade rausgewunken, aber Sie dür-
fen auf keinen Fall zulassen, daß er die Leiche im Kof-
ferraum Ihres Wagens findet. Können Sie ihn durch
Ihr Süßholzraspeln davon überzeugen, daß Sie nur eine
arme Studentin auf dem Weg zurück in Ihr Wohnheim
sind? Würfeln Sie Erscheinungsbild + Ausflüchte (die
Schwierigkeit des Wurfs entspricht der Summe aus Wahr-
nehmung + Ausflüchte des Polizisten).
Jemand hat Ihren Computer mit einem Virus infiziert.
Langsam aber sicher löscht er alle Daten, die Sie auf ihm
gespeichert haben. Können Sie den Virus finden und be-
seitigen, bevor er alle Informationen auf Ihrem Rechner
vernichtet hat? Würfeln Sie alle fünf Minuten Intelligenz
oder Geistesschärfe + Computer (Schwierigkeit 6). Sie
müssen insgesamt 10 Erfolge erzielen. Je länger Sie dafür
brauchen, desto mehr Daten gehen Ihnen verloren.
Ihnen ist Ihr Handy aus der Hand gefallen und jetzt ist
es kaputt. Können Sie es wieder reparieren? Würfeln Sie
Geschick + Technologie (Schwierigkeit 8).
Immer mehr Obdachlose verschwinden von den Stra-
ßen, doch kein Augenzeuge will darüber reden, was er
272
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
gesehen hat. Sind Sie in der Lage, einem von ihnen
klarzumachen, daß Sie nur helfen wollen? Würfeln Sie
Charisma + Szenekenntnis (Schwierigkeit 7).
Sie haben es geschafft, eine Zugangskarte zu einem Hoch-
sicherheitsgebäude zu organisieren. Können Sie auch
herausfinden, mit welcher Art von Sicherheitssystem Sie
zu rechnen haben, wenn Sie später als ungebetener Gast
zurückkehren möchten? Würfeln Sie Wahrnehmung + Si-
cherheit (die Schwierigkeit des Wurfs entspricht der Summe
aus Intelligenz + Sicherheit des Wachmanns, der Sie auf
Ihrem Rundgang begleitet).
SPIELBEGRIFFE
Worte, Worte und nichts als Worte. Die folgende Liste
erklärt einige der Begriffe, die in diesem Buch häufiger ver-
wendet werden (insbesondere in den Regelabschnitten).
Attribut: Eine bestimmte Art von Eigenschaft, der Sie wäh-
rend der Charaktererschaffung Punkte zuweisen und die
anzeigt, mit wie vielen Würfeln Sie würfeln dürfen. Attribute
beinhalten alle angeborenen Fähigkeiten Ihres Charakters.
Sie geben Auskunft darüber, wie kräftig (Körperkraft), char-
mant (Charisma) oder clever (Intelligenz) er ist.
Charakter: Um Dämonen spielen zu können, müssen Sie
sich einen Charakter erschaffen – eine fiktive Person, die
Sie während des Spiels darstellen wollen. Ihr Charakter
besitzt Werte, die seine Fähigkeiten, Geschichte und Per-
sönlichkeit widerspiegeln. Erzähler erschaffen sich eigene
fiktive Charaktere, um die Spielwelt mit Leben zu füllen
und Ihrem Charakter andere Personen zu bieten, mit denen
er interagieren kann.
Chronik: Die Chronik ist so etwas wie der übergeordnete
Plan oder das Gesamtbild Ihres Spiels. Eine Chronik ist jede
Geschichte, die Sie gemeinsam mit Ihren Mitspielern von
Anfang bis Ende durchspielen und in der es ein einigendes
Element gibt – eine Chronik kann in einer ganz bestimmten
Stadt spielen, sich um eine bestimmte Art von Charakteren
drehen oder einem bestimmten Handlungsablauf folgen.
Eigenschaft: Während der Charaktererschaffung weisen
Sie den verschiedensten der Beschreibung Ihres Charakters
dienenden Elementen einen Punktwert zu. Diese Elemente
werden Eigenschaften genannt und geben an, welche Fä-
higkeiten Ihr Charakter erlernt hat, welche angeborenen
Attribute er besitzt und welche Hintergrundeigenschaften
er sein eigen nennt.
Einfache Handlung: Eine Handlung, die nur einen Er-
folg erfordert, um zu einem gelungenen Abschluß gebracht
zu werden und die normalerweise nur von einem Spieler
durchgeführt wird.
Ereignislose Zeit: Eine fiktive Zeitspanne im Spiel, wäh-
rend der sich in der Spielwelt nichts Bemerkenswertes er-
eignet. Spieler können die Vorgänge während der ereignis-
losen Zeit ganz einfach überspringen, um mit der nächsten
wirklich wichtigen Szene weiterzumachen.
Erfahrungspunkte: Im Laufe eines Spiels sammelt Ihr Cha-
rakter Erfahrungspunkte an, die Sie dazu verwenden können,
um seine Eigenschaften zu verbessern. Erfahrungspunkte ste-
hen für das Training, das Studium und die Aneignung von
Fähigkeiten. Weitere Informationen über Erfahrungspunkte
KAPITEL ACHT
finden Sie auf Seite 198.
Erfolg: Jeder Würfel, dessen Ergebnis die für einen Wurf
festgelegte Schwierigkeit erreicht oder übertrifft.
Erweiterte Handlung: Bei dieser Art von Handlung müssen
Sie über eine Reihe von Würfen und eine längere Zeitspanne
hinweg eine bestimmte Anzahl an Erfolgen erzielen.
Erzähler: In einem Rollenspiel übernimmt einer der Spieler
die Aufgabe des Erzählers und damit zugleich die Verant-
wortung für die Erschaffung einer fiktiven Welt. Er führt die
anderen Spieler durch die von ihm ersonnene Geschichte.
Der Erzähler beschreibt die Umgebung, fällt regelbezogene
Entscheidungen und spielt die Rolle der Feinde und Freunde
der Charaktere. Er ist derjenige, der das Spiel leitet und die
oberste Entscheidungsbefugnis bei allen Regelfragen besitzt.
Fähigkeit: Eine bestimmte Art von Eigenschaft, der Sie
während der Charaktererschaffung Punkte zuweisen und
die angibt, mit wie vielen Würfeln Sie würfeln dürfen. Fä-
higkeiten beinhalten alle natürlichen Talente Ihres Charak-
ters sowie alle Fertigkeiten und Kenntnisse, die er sich im
Verlauf seines Lebens angeeignet hat. Beispiele hierfür sind
Empathie, Schußwaffen und Medizin.
Geschichte: Eine Abfolge mehrerer miteinander verbun-
dener Szenen. Eine Geschichte besteht für gewöhnlich aus
einer Einleitung, einem sich entwickelnden Konflikt, einem
Höhepunkt und einem Schluß.
Gesundheit: Die Gesundheitsstufen geben Auskunft über
die körperliche Verfassung eines Charakters. Bei schwe-
reren Verletzungen werden Ihre Würfelvorräte um eine
bestimmte Zahl an Würfeln verringert.
Glaube: Diese besondere Eigenschaft dient als Maß für die
spirituelle Stärke und Energie eines Wesens, das in der Welt
der Dunkelheit lebt. Glaube besitzt einen permanenten
und einen temporären Punktwert. Weitere Informationen
zum Thema Glaube finden Sie auf Seite 299.
Gruppe: Die Gruppe der am Spiel beteiligten Spieler ein-
schließlich des Erzählers.
Handlung: Eine Handlung entspricht einer einzelnen Akti-
on oder Anstrengung, die Ihr Charakter unternimmt. Dazu
zählt beispielsweise das Nachladen einer Waffe, eine Fahrt zur
Tankstelle oder das Untersuchen eines Tatorts. Wann immer
Sie etwas beschreiben, das Ihr Charakter tun soll, handelt
es sich dabei um eine Handlung. Die Dauer einer Handlung
hängt von der genauen Art der jeweiligen Handlung ab.
Handlung gegen Widerstand: Versucht ein anderer Cha-
rakter, die Handlung Ihres Charakters zu behindern oder zu
vereiteln, wird damit eine Situation erzeugt, die als Hand-
lung gegen Widerstand bezeichnet wird. Beide Spieler wür-
feln und vergleichen die Anzahl der erzielten Erfolge. Wer
mehr Erfolge erzielt, gewinnt diesen Wettstreit.
Hintergrundeigenschaft: Eine bestimmte Art von Eigen-
schaften, die während der Charaktererschaffung ausge-
wählt werden und die alle Aspekte des Lebens Ihres Cha-
rakters abbilden, die nicht in direktem Zusammenhang mit
seinen Attributen oder Fähigkeiten stehen. Mit den Hin-
tergrundeigenschaften wird beispielsweise abgedeckt, wen
Ihr Charakter kennt (Kontakte, Verbündete), wie viel Geld
er besitzt (Ressourcen) oder wie berühmt er ist (Ruhm).
Patzer: Immer wenn Sie überhaupt keinen Erfolg und min-
destens eine 1 würfeln, haben Sie einen Patzer hingelegt, was
bedeutet, daß Ihr Charakter in der von ihm unternommenen
Handlung auf wirklich katastrophale Weise scheitert. Haben
Sie auch nur einen einzigen Erfolg gewürfelt – und selbst
wenn dieser wieder durch Einsen aufgehoben worden sein
sollte –, handelt es sich beim Ergebnis Ihres Wurfs lediglich
um ein Scheitern und nicht um einen Patzer. Ein Patzer ist
um einiges schlimmer als ein einfaches Scheitern.
Qual: Diese Eigenschaft gibt an, wie geplagt und verwirrt
die Seele eines Dämons ist und wie weit er sich von seinem
himmlischen Wesen zurückentwickelt hat. Der Qualwert eines
Charakters kann im Laufe einer Chronik steigen und fallen.
Weitere Informationen hierzu finden Sie auf Seite 192.
Reflex: Eine Situation, in der gewürfelt wird, die nicht als
Handlung zählt, was das Berechnen von Würfelvorräten für
mehrfache Handlungen angeht. Hierzu zählen z.B. Würfe
zum Absorbieren von Schaden und Willenskraftwürfe.
Runde: Eine Zeitspanne, die zwischen drei Sekunden und
drei Minuten lang sein kann und der Abhandlung kom-
plexer Handlungen und Ereignisse dient. Eine Runde ent-
spricht ungefähr der Zeit, die Ihr Charakter braucht, um
eine Handlung durchzuführen. Es sollte darauf geachtet
werden, daß die Dauer einer Runde in einer bestimmten
Situation für alle Beteiligten konsistent gehalten wird.
Scheitern: Erzielen Sie bei einem Wurf keine Erfolge und
keine Einsen oder so viele Einsen, daß alle erzielten Erfolge
dadurch aufgehoben werden, scheitert die Handlung, die
Ihr Charakter unternehmen wollte. Ein Scheitern bedeutet
im Gegensatz zu einem Patzer lediglich, daß Ihr Charakter
nicht erfolgreich war.
Schwierigkeit: Dies ist der vom Erzähler vorgegebene Wert,
den der Spieler mit dem Ergebnis jedes Würfels erreichen
oder übertreffen muß, um bei einer seiner Handlungen
Erfolge zu erzielen. Die Schwierigkeit kann aufgrund einer
Reihe verschiedenster Modifikatoren variieren.
System: Jede Art von Regel, die in einer bestimmten Situa-
tion angewendet wird, um den Würfelwurf zu bestimmen,
der über ihren Ausgang entscheidet.
Szene: Ein Abschnitt der Geschichte, der an einem be-
stimmten Ort oder innerhalb eines bestimmten zeitlichen
Rahmens spielt. Eine Szene wird oft – wenn auch nicht
immer – in Runden unterteilt.
Vorteile: Dieser Sammelbegriff steht sowohl für Hinter-
grundeigenschaften als auch die übernatürlichen Kräfte,
über die die Gefallenen verfügen.
Wert: Eine Zahl, die den dauerhaften Wert einer Eigen-
schaft angibt – meist eine Zahl zwischen 0 und 5, manch-
mal auch eine Zahl zwischen 1 und 10.
Willenskraft: Ein Maß für das Selbstvertrauen und die
Selbstbeherrschung eines Charakters. Willenskraft unter-
scheidet sich von den meisten Eigenschaften dahingehend,
daß sie ebenso häufig in Form von Punkten eingesetzt wird,
wie auf sie gewürfelt werden muß.
Würfelvorrat: Die Anzahl der Würfel, die Sie würfeln,
um über Erfolg oder Mißerfolg einer der Handlungen Ihres
Charakters zu bestimmen. Diese Anzahl an Würfeln ist
durch den Wert bestimmter Eigenschaften vorgegeben und
kann durch Modifikatoren erhöht oder verringert werden.
Ihr Erzähler teilt Ihnen mit, welche Eigenschaften Sie zum
Bilden eines Würfelvorrats verwenden dürfen.
273
 Tief unter der Erde erwachte er in absoluter Finsternis.
Der Tempel aus blaugeädertem Marmor, der zu seinen Ehren errichtet worden war, existierte nicht mehr, und seine
letzte Ruhestätte lag unter dem Dreck und Schmutz von Jahrtausenden begraben. Seine Priester waren schon seit
Ewigkeiten nur noch Staub, seine Anhänger durch die rachsüchtige Hand Gottes in alle Winkel der Welt verstreut,
und die blutigen Rituale, die abgehalten worden waren, um seine Taten zu preisen, nichts weiter als Fußnoten in einer
Handvoll vergilbter Folianten. Doch die alten Pakte – jene Treueide, die in grauer Vorzeit geleistet worden waren,
um den kommenden Generationen Reichtum und Wohlstand zu sichern – waren noch immer ungebrochen. Während
sich seine Seele in ihrem Sarkophag aus juwelenbesetztem Bein wand, rief er nach den Blutlinien seiner Gläubigen
und befahl sie an seine Seite.
Der Landstrich, in dessen Erde er so lange geschlummert hatte, hatte über die Zeitalter hinweg viele Namen getra-
gen. Heute war er unter dem Namen Anatolien bekannt und lag in der östlichen Türkei. Es dauerte zwei Tage, bis die
ersten Gläubigen zu ihm kamen. Es waren Olivenbauern aus der Gegend, und sie sputeten sich, eine Reihe von Zelten
auf dem unheiligen Hügel aufzubauen, unter dem er begraben lag. Wenig später gesellten sich zwei wohlhabende
Geschäftsleute aus Griechenland hinzu. Einen Tag später traf eine vierköpfige Familie aus Südfrankreich ein. Jeder
der Neuankömmlinge begegnete den Anwesenden, als wandelte er durch einen höchst merkwürdigen Traum, und die
Nächte waren schon bald vom unheimlichen Singsang einer toten Sprache erfüllt, die die Welt zuletzt vernommen
hatte, als sie noch unvorstellbar jung gewesen war.
Es dauerte eine Woche, bis der Mann aus England eintraf und mit dem Helikopter seiner Firma auf dem Feld am
Fuße des Hügels landete. Die anderen hießen ihn willkommen, luden ihn in ihre Zelte ein und bereiteten ihm ein Fest-
mahl in seinem Namen, denn das Blut des Hohepriesters floß in seinen Adern, dessen Linie in ihm über zahllose
Generationen hinweg rein erhalten worden war. Zu seinen Ehren tanzten sie im fahlen Mondlicht und als die Sonne
am darauffolgenden Tag aufging, traf auch schon eine der ersten Maschinen des Engländers ein, mit denen man die
Erde bewegen konnte.
Den ganzen Tag hindurch arbeiteten sie bis tief in die Nacht hinein und trugen den gesamten Hügel ab. Am Mittag
des nächsten Tages legte ein Bulldozer den ersten Stein der Grundmauern seines Tempels frei. Als die Sonne an
diesem Abend unterging, versammelten sich die Gläubigen vor dem Eingang zur freigelegten Kammer und sangen die
Gebete, die sie in ihren Träumen gehört hatten.
Unter einem blutroten Mond trugen sie sein Götzenbild an die kühle Nachtluft, hoben es empor und riefen seinen
Namen gen Himmel. In der Ekstase ihres Triumphs tanzten sie zwischen den zerfallenen Fundamenten seines Tem-
pels, schnitten sich ihre Körper mit gezackten Korallenmessern auf und vergossen ihr salziges Blut über dem Haupt
seines Abbilds. Um Mitternacht dann nahm der Mann aus England das Götzenbild an sich und sprach die Worte aus,
die sich wie Würmer in seinem Schädel wanden.
In der Reliquie begann sich der Dämon zu rühren und ließ seine Essenz aus ihr herausströmen. Wie brennendes Öl
ergoß er sich in den Mann, ließ sein Fleisch anschwellen und versengte seine Adern. Dann erhob er sich – zwei mal so
groß wie zuvor – über die Menge seiner Anhänger, und seine Haut wurde schwarz und bekam tiefe Risse. Überall an
seinem Körper platzten eitrige Blasen auf und spritzten kochendes Blut und verbranntes Fleisch auf die Gläubigen.
Belial, das Große Tier, ließ den Blick über seine blutbesudelten Anhänger schweifen und sandte ein trotziges
Heulen hinauf in den Nachthimmel.
 KAPITEL NEUN:
SYSTEME

Das Problem, menschliches Leiden mit der Existenz ei-

nes liebenden Gottes in Einklang zu bringen, ist nur so
lange zu lösen, als wir mit dem Wort „Liebe“ eine triviale
Bedeutung verbinden und die Welt so ansehen, als sei der
Mensch ihr Mittelpunkt.
- Clive Stephen Lewis

Bei Dämonen: Die Gefallenen liegt das Hauptaugen-
merk eindeutig auf der möglichst überzeugenden Darstel-
lung eines bestimmten Charakters und der Entwicklung
einer unterhaltsamen und spannenden Geschichte. Auch
wenn die Würfel Sie zeitweise aus der Geschichte holen
und Sie daran erinnern, daß es sich dabei nur um ein Spiel
handelt, können sie doch eine große Hilfe dabei sein, eine
ansprechende Geschichte zu erzählen. Die Würfel bringen
ein Zufallselement ins Spiel und die mit ihnen erzielten
Ergebnisse repräsentieren die Auswirkungen der Stärken
und Schwächen der einzelnen Charaktere. Während viele
Erzähler sich darum bemühen, die Zahl von Würfen im
Spiel so gering wie möglich zu halten, kommen gewisse
Situationen nur schwer ohne den Einsatz von Würfeln aus.
Dieses Kapitel deckt eine Reihe spezieller Würfelmechanis-
men ab, zu denen allgemeine dramatische Systeme, Kampf,
Verwundung und Genesung zählen.
Die in diesem Kapitel erläuterten Systeme liefern Ihnen
eine solide Grundlage zur Abhandlung der unterschied-
lichsten Situationen, die sich während eines Spiels ergeben
können. Sie wurden entwickelt, um das Spiel in gewisser
Hinsicht einfacher für Sie zu machen, damit Sie so schnell
wie möglich zum Erzählen Ihrer Geschichte zurückkehren
können. Sollten Sie Alternativen zu den hier aufgelisteten
Systemen finden, die besser funktionieren, setzen Sie diese
ruhigen Gewissens ein. Zusätzlich kann der Erzähler einem
Spieler einen automatischen Erfolg zusprechen, anstatt
einen Würfelwurf von ihm zu verlangen, wenn der Spieler
einen besonders cleveren oder einfallsreichen Weg gefun-
den hat, um ein bestimmtes Problem anzugehen.
DRAMATISCHE SYSTEME
Ihre Geschichte entwickelt sich durch die Handlungen
und Interaktionen der Charaktere. Einige der Aufgaben
des Erzählers bestehen darin, die Übersicht über die anste-
henden Ereignisse nicht zu verlieren, die Handlungen der
Charaktere in eine logische Ordnung zu bringen und die
genauen Konsequenzen dieser Handlungen zu beschrei-
KAPITEL NEUN
ben. Der Erzähler legt zudem die Schwierigkeit anfallender
Würfelwürfe fest und überwacht deren Ausführung, um si-
cherzustellen, daß die Würfe die stattfindenden Ereignisse
möglichst spielwirklichkeitsgetreu wiedergeben.
Würfelwürfe werden durch viele Faktoren beeinflußt.
Die Schwierigkeit von Würfen hängt maßgeblich von der
Situation ab, in der sie durchgeführt werden. Möglicher-
weise versucht jemand, die Handlung Ihres Charakters
direkt zu behindern, oder seine geistige oder körperliche
Verfassung wirkt sich negativ oder positiv auf sein Vorha-
ben aus. Die Attribute und Fähigkeiten, die Ihren Würfel-
vorrat bilden, können ebenfalls von situationsabhängigen
Modifikatoren verändert werden. Immer wenn der Erzähler
das Ablegen eines Würfelwurfs verlangt, muß er eine Reihe
von Entscheidungen fällen. Die Vielzahl der Entscheidun-
gen scheint auf den ersten Blick wirklich überwältigend,
doch die im Folgenden beschriebenen Systeme sollen dem
Erzähler dabei helfen, die nötigen Entscheidungen mög-
lichst schnell zu treffen. Wenn alle Stricke reißen, verlassen
Sie sich einfach auf Ihren gesunden Menschenverstand,
um eine Situation zu lösen – haben Sie einfach Spaß am
Spiel. Selbst wenn die Würfel bereits gefallen sind, können
Spieler, deren Charaktere über eine Spezialisierung in einer
bestimmten Fähigkeit oder einem bestimmten Attribut
verfügen (siehe Seite 163), jeden Würfel, der eine 10 zeigt,
ein weiteres Mal würfeln.
In den unten aufgeführten Systemen werden normaler-
weise die Werte eines Attributs und einer Fähigkeit addiert,
um den Würfelvorrat für die anstehende Handlung zu be-
stimmen. Es kann jedoch vorkommen, daß einem Charak-
ter eine bestimmte Fähigkeit fehlt, die er für die angekün-
digte Handlung eigentlich benötigen würde. In diesem Fall
kann der Spieler entweder eine andere passende Fähigkeit
anwenden oder sich dazu entschließen, einfach nur mit
dem entsprechenden Attributswert als Vorrat zu würfeln.
Entscheidet er sich für letzteres, wird die Aufgabe, vor der
er steht, allerdings schwieriger (oder gar unmöglich), wie es
auf Seite 268 in Kapitel Acht näher erläutert wird.
Viele dieser Systeme beinhalten mehr als nur eine einfa-
che Handlung; manche Aktivitäten erfordern nun einmal
viel Zeit und Mühe. Wenn man die gleiche Handlung nach
einem Scheitern erneut versuchen will, kann dies je nach
Ermessen des Erzählers zu einer erhöhten Schwierigkeit
führen (siehe „Neuer Versuch“ auf Seite 269).
AUTOMATISMEN
Im Gegensatz zu Reflexen zählen Automatismen als
Handlungen Ihres Charakters, obwohl auch für einen Au-
tomatismus kein Würfelwurf erforderlich ist. Ihr Charakter
benötigt zwar eine gewisse Zeit und auch ein gewisses Maß
an Konzentration für ihre Durchführung, aber da sie im
allgemeinen sehr leicht zu bewältigen sind, wäre ein Wür-
felwurf einfach übertrieben. Unter normalen Umständen
hat Ihr Charakter keinerlei Mühe damit, die im Folgenden
aufgelisteten Handlungen erfolgreich abzuschließen.
• Abwarten: Die Initiativeregeln bestimmen darüber, wer
in einer bestimmten Situation als erstes handelt (siehe
Seite 269). Sie können sich aber auch dazu entschließen,
daß Ihr Charakter zugunsten eines oder mehrerer anderer
Charaktere, die mit ihren Handlungen erst nach ihm an
der Reihe wären, zunächst einmal einfach nur abwartet.
Im Grunde verzichtet er auf eine frühere Handlungsmög-
lichkeit, um einen anderen Charakter zuerst handeln zu
lassen. Sie können später noch handeln, aber Sie verzögern
Ihre Handlung bis zu diesem Zeitpunkt. Wenn jeder – ein-
schließlich der vom Erzähler gespielten Charaktere – in ei-
ner Runde nichts anderes unternimmt, als nur abzuwarten,
so handelt in dieser Runde überhaupt niemand, und eine
neue Runde beginnt.
• Aufstehen: Solange Ihr Charakter nicht auf irgendeine
Weise daran gehindert wird, müssen Sie nicht würfeln,
damit sich Ihr Charakter aus einer sitzenden oder liegen-
den Position erheben kann. In Situationen, in denen es
jedoch ausdrücklich darauf ankommt, genau festzustellen,
ob Ihr Charakter rechtzeitig aufstehen kann, dauert das
Aufstehen eine Runde und gilt als volle Handlung. Sollte
Ihr Charakter in derselben Runde eine weitere Handlung
ausführen wollen (wie zum Beispiel eine Waffe abfeuern),
greifen die Regeln für mehrfache Handlungen (siehe Seite
269). Der Wurf, um schnell genug aufzustehen, wird in
diesem Fall auf Geschick + Sportlichkeit (Schwierigkeit
4) abgelegt.
• Auto anlassen: Es dauert eine Runde, um einen Wa-
gen zu starten, wobei dies durch bestimmte Situationen
erschwert werden kann, was wiederum unter Umständen
einen Würfelwurf erforderlich macht. Wenn man unter
großer Anspannung steht oder sehr in Eile ist, kann es
durchaus einmal vorkommen, daß einem der Schlüssel aus
der Hand fällt oder man nicht auf Anhieb das Zündschloß
trifft. In solchen Situationen kann der Erzähler einen erfolg-
reichen Wurf auf Geistesschärfe + Fahren (Schwierigkeit
4) einfordern. Gesunder Menschenverstand entscheidet,
ob ein derartiger Würfelwurf angebracht ist oder nicht.
• Bewegen: Ihr Charakter kann gehen, laufen oder sprin-
ten. Wenn er normal geht, legt er pro Runde eine Strecke
von sieben Metern zurück. Läuft er, beträgt die pro Runde
zurückgelegte Strecke (12 + Geschick) Meter. Sprintet er,
legt er (20 + [3 x Geschick]) Meter pro Runde zurück.
Charaktere können mit bis zu halber Maximalgeschwin-
digkeit sprinten und anschließend eine andere Handlung
vornehmen. Obwohl das keine mehrfache Handlung ist,
kann der Erzähler dieser zusätzlichen Handlung einen Ab-
zug vom Würfelvorrat oder eine Erhöhung der Schwierig-
keit auferlegen. Wenn Ihr Charakter sich jedoch bewegt,
während er eine zusätzliche Handlung ausführt – wenn er
zum Beispiel durch einen Raum sprintet und dabei eine
Schrotflinte abfeuert –, zieht jeder zurückgelegte Meter ei-
nen Würfel vom Vorrat dieser zusätzlichen Handlung ab.
Verwundete Charaktere (siehe Seite 295) können sich
nicht mit voller Geschwindigkeit bewegen.
• Eine Waffe bereitmachen: Ob Ihr Charakter nun ein
Messer zieht oder seinen Revolver nachlädt, er benötigt
in jedem Fall eine volle Runde, um sich zu bewaffnen. Für
gewöhnlich muß hierfür nicht gewürfelt werden, obwohl
Ihr Erzähler trotzdem in einer besonders dramatischen Si-
tuation einen Wurf verlangen kann. Wenn Ihr Charakter
seine Waffe bereitmacht, während er eine andere Hand-
lung ausführt, kann Ihr Erzähler Ihren Würfelvorrat für
277

diese zusätzliche Aktion einschränken (siehe „Mehrfache
Handlungen“ auf Seite 269) und Ihnen einen erfolgrei-
chen Wurf auf Geschick + Nahkampf oder Schußwaffen
(Schwierigkeit 4) abverlangen, um Ihre Waffe einsatzbereit
zu machen.
KÖRPERLICHE AUFGABEN
Die folgenden Systeme decken Handlungen ab, die die
drei körperlichen Attribute (Körperkraft, Geschick und
Widerstandsfähigkeit) einbeziehen. Handlungen, in de-
nen diese Attribute zum Einsatz kommen, erfordern für
gewöhnlich Würfelwürfe. Die Schwierigkeit dieser Würfe
variiert stark und ist von der entsprechenden Situation, in
der die Handlungen ausgeführt werden, abhängig.
• Beschatten (Geschick + Heimlichkeit/Fahren): Wenn
Ihr Charakter jemanden verfolgen, beobachten oder sonst-
wie im Auge behalten will, ohne dabei gesehen zu werden,
so beschattet er diese Person.
Viele Faktoren spielen in dieses System mit hinein. Der
Erzähler kann es als eine Handlung gegen Widerstand
handhaben (siehe „Handlungen gegen Widerstand“ auf
Seite 270) und Sie dazu auffordern, einen Wurf zu ma-
chen, dessen Schwierigkeit der Summe aus Wahrnehmung
+ Aufmerksamkeit (um nicht gesehen zu werden) oder
Geschick + Heimlichkeit beziehungsweise Fahren (wenn
der Beschattete aktiv versucht, potentielle Verfolger ab-
zuschütteln) der Zielperson entspricht. Sie würfeln mit
denselben Eigenschaften und vergleichen anschließend
die Anzahl der erzielten Erfolge mit der Ihres Ziels, um den
Ausgang der Beschattung zu bestimmen. Bei einem Gleich-
stand bleibt der Beobachter unentdeckt.
Der Erzähler kann Beschatten auch als erweiterte Hand-
lung gegen Widerstand abhandeln (siehe „Erweiterte
Handlungen“ auf Seite 269). Oder – um es ganz schnell
und einfach zu machen – könnten beide Beteiligten den
Wurf gegen eine Schwierigkeit von 6 (unter Umständen
durch die Umgebung modifiziert) machen. In diesem Fall
muß Ihr Gegner mindestens einen Erfolg mehr erzielen
als Sie, um Ihren Charakter zu bemerken. Charaktere, die
KRAFTAKTE
Körperkraft Kraftakt
1 Fenster einschlagen
2 Stuhl zertrümmern
3 Holzkiste aufbrechen
4 Holzbrett (5 x 10 cm) zerschlagen
5 Kettenglieder aufbiegen
6 Eisenzaun verbiegen
7 Kleinwagen umwerfen
8 Stahlrohr verbiegen
9 Betonwand durchschlagen
10 Stahlbolzen aus der Verankerung reißen
11 Stahlblech (2,5 cm dick) verbiegen
12 Metallenen Laternenmast knicken
13 Limousine umwerfen
14 Lieferwagen umwerfen
15 Lastwagen umwerfen
278
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
zusammen Beschatten trainiert haben, können die Erfolge,
die sie mit ihren separat durchgeführten Würfen erzielen,
gemäß der Regeln für Gruppenarbeit zusammenzählen.
• Einbruch (Geschick/Wahrnehmung + Sicherheit):
Einbrechen deckt beide Seiten aller Handlungen ab, die
etwas mit Sicherheit zu tun haben: das Umgehen und das
Treffen von Sicherheitsmaßnahmen. Hierzu zählen bei-
spielsweise das Überlisten und Einrichten von Überwa-
chungskameras, das Knacken oder die Einbruchssicherung
eines Schlosses sowie das Ausschalten oder der Aufbau
eines Warnsystems auf Laser- oder Ultraschallbasis.
Beim Umgehen aktiver Sicherheitsvorkehrungen muß
Ihnen Ihr Wurf bereits beim ersten Versuch gelingen.
Schaffen Sie das nicht, kann dadurch ein Alarm ausgelöst
oder ein internes Verteidigungssystem aktiviert werden.
Ist kein solches Sicherheitssystem vorhanden – wie etwa
beim Aufbrechen des Türschlosses zu einer nicht weiter
gesicherten Wohnung –, hat Ihr Charakter wie gewohnt
mehrere Versuche für seine Handlung. Die Schwierigkeit
eines Einbruchswurfs liegt zwischen 5 und 9, was ganz da-
von abhängt, ob Ihr Charakter ein Standardschloß knak-
ken oder in Fort Knox einsteigen will. Bestimmte Aufgaben
können ein gewisses Maß an Punkten in der Fertigkeit
Sicherheit voraussetzen, damit der Charakter überhaupt
eine Chance hat, seine Handlung erfolgreich abzuschlie-
ßen. Zudem erfordern viele Einbruchsversuche spezielles
Werkzeug wie zum Beispiel einen Dietrich oder elektro-
nische Überwachungsgeräte. Bei einem Patzer setzt Ihr
Charakter sich richtig in die Nesseln und sollte zusehen,
daß er Fersengeld gibt.
Will Ihr Charakter ein Sicherheitssystem installieren, müs-
sen Sie nur einen Würfelwurf durchführen, wobei die Auf-
gabe als einfache Handlung gewertet wird. Je mehr Erfolge
Sie erzielen, desto sicherer ist das System und desto größere
Schwierigkeiten werden andere damit haben, es zu umgehen.
Ihr Erzähler kann die Anzahl der von Ihnen erzielten Erfol-
ge zu der Schwierigkeit der Würfe hinzuaddieren, die fällig
werden, wenn andere Charaktere versuchen, das von Ihnen
eingerichtete Sicherheitssystem zu überwinden.
Anhebbares Gewicht
20 kg
50 kg
100 kg
180 kg
300 kg
400 kg
450 kg
500 kg
600 kg
750 kg
1000 kg
1500 kg
2000 kg
2500 Kg
3000 Kg
KAPITEL NEUN

• Fahren (Geschick/Geistesschärfe + Fahren): Verfügt oder eines Zaunes kann dagegen mehrere Würfelwürfe
Ihr Charakter über einen Punkt in der Fertigkeit Fahren, erfordern.
ist er in der Lage, ein normales Auto mit Schaltgetriebe zu Ihr Erzähler kann die zurückgelegte Entfernung je nach
steuern. (Es wird davon ausgegangen, daß alle Charaktere Schwierigkeit des Klettervorgangs anpassen. So könnte er
einen Automatikwagen fahren können.) Unter normalen beispielsweise entscheiden, daß Ihr Charakter beim Bestei-
Umständen ist kein Wurf auf Fahren erforderlich. Schlech- gen einer Leiter pro erzieltem Erfolg 4,5 Meter weit an ihr
tes Wetter, die Geschwindigkeit des Fahrzeugs, Hindernisse in die Höhe klettert, während er bei einer schwierigeren
auf der Fahrbahn und schwierige Manöver können aller- Kletterpartie (wie etwa an einer Palme hinauf) lediglich
dings selbst für den fähigsten Fahrer eine echte Herausfor- dreißig Zentimeter pro Erfolg schafft. Viele Faktoren – un-
derung darstellen. ter anderem die Anzahl der Griffe, die Oberflächenbeschaf-
Die Schwierigkeit eines Wurfs steigt mit zunehmend fenheit und das Wetter – können die Klettergeschwindig-
schlechter werdenden Fahrbedingungen an. Der Erzähler
kann die Schwierigkeit eines Wurfs auf Fahren beispiels-
weise um eins erhöhen, wenn Ihr Charakter mit seinem
Wagen in einen starken Regenschauer gerät oder die
Straße mit Glatteis überzogen ist. Mit Vollgas durch
die Gegend zu heizen, um etwaige Verfolger abzu-
hängen, könnte die Schwierigkeit um zwei steigern.
Zudem sind alle Modifikatoren kumulativ. Steuert
Ihr Charakter sein Fahrzeug zum Beispiel durch dichten
Verkehr erhöht dies die Schwierigkeit um eins. Ist aber auch
noch die Windschutzscheibe seines Wagens zersplittert, so
daß die Sicht Ihres Charakters behindert wird, könnte der
Erzähler die Schwierigkeit noch einmal um zwei erhöhen,
was bedeutet, daß der Wurf insgesamt mit einer um drei
erhöhten Schwierigkeit durchzuführen wäre.
Bei einem Scheitern hat Ihr Charakter einige Pro-
bleme. Es wird ein zusätzlicher Wurf nötig, um einen
Zusammenstoß oder den Verlust der Kontrolle
über das Fahrzeug zu vermeiden. Ein Patzer hat
meist zur Folge, daß es zu einem größeren Fahr-
fehler kommt, durch den der Wagen gefährlich
ins Schlingern gerät oder Ihr Charakter einen
katastrophalen Unfall verursacht. Auch wenn
Ihr Charakter keinen Punkt in der Fertigkeit
Fahren besitzt, kann er versuchen, einen Schalt-
wagen zu fahren. Allerdings müssen Sie bei je-
dem Abbiegevorgang, jeder Beschleunigung und
jedem anderen größeren Manöver nur mit Ihrem
Geschick oder Ihrer Geistesschärfe gegen eine
erhöhte Schwierigkeit würfeln. Sollte Ihr Charak-
ter nur einen einzigen Punkt in Fahren besitzen,
kann er trotzdem versuchen, einen größeren Laster oder
gar einen Rennwagen zu steuern, aber der Erzähler kann
von Ihnen verlangen, wie bei einer erweiterten Handlung
eine ganze Reihe von Würfen abzulegen, um festzustellen,
ob Ihr Charakter die Kontrolle über das Fahrzeug behält
oder nicht.
• Klettern (Geschick + Sportlichkeit): Ihr Charakter
kann versuchen, jede nur denkbare Art von Hindernis
(beispielsweise Felsklippen, Drahtzäune, Häuserfassaden
oder Bäume) zu erklimmen. In den meisten Fällen betrach-
tet man Klettern am besten als erweiterte Handlung. Bei
einem durchschnittlichen Klettervorgang mit leicht zu-
gänglichen Griffen und keinen groß ins Gewicht fallenden
Erschwernissen, kommt Ihr Charakter mit jedem erzielten
Erfolg drei Meter voran. Somit kann Ihr Charakter bei-
spielsweise mit nur einem einzigen Erfolg in oder über einen
Müllcontainer klettern. Das Erklimmen einer Felsklippe

279

keit beeinflussen. Beim Bestimmen all dieser Faktoren hat
Ihr Erzähler das letzte Wort.
Wie bei jeder anderen erweiterten Handlung müssen Sie
auch beim Klettern eine vorher festgelegte Anzahl an Er-
folgen erzielen. Ein Patzer beim Klettern kann böse enden,
obwohl Ihr Charakter nicht notwendigerweise gleich in den
Tod stürzen muß. Er könnte auf halbem Wege irgendwo
nicht mehr weiterkommen oder abrutschen und an Höhe
verlieren. Oder er könnte wirklich abstürzen und sich so-
mit ernsthafte Verletzungen zuziehen oder gar ums Leben
kommen.
• Kraftakte (Körperkraft): Wie Sie aus der untenstehen-
den Tabelle ersehen können, gibt es eine bestimmte Ober-
grenze dafür, was Ihr Charakter anheben oder zerbrechen
beziehungsweise verbiegen kann. Unter außergewöhnli-
chen Umständen kann er diese Obergrenze jedoch sogar
noch überschreiten. Wenn Ihr Charakter mehr anheben
möchte als das Gewicht, wozu er normalerweise fähig wäre,
würfeln Sie Willenskraft (Schwierigkeit 9). Jeder erzielte
Erfolg bringt Ihrem Charakter allein für die Zwecke dieser
Tabelle eine Runde lang einen zusätzlichen Punkt tempo-
rärer Körperkraft ein.
Ein Scheitern beim anschließenden Wurf auf Körperkraft
zieht keine weiteren Folgen nach sich. Ihr Charakter schafft
es einfach nicht, den entsprechenden Gegenstand anzuhe-
ben oder zu zerbrechen. Endet Ihr Wurf allerdings in einem
Patzer, könnte sich Ihr Charakter einen Muskel zerren, sich
einen Knochenbruch zuziehen oder unter dem Gegenstand
begraben werden, den er zu stemmen versuchte. Verpatzt
man einen Versuch, einen Gegenstand anzuheben, unter
dem eine andere Person eingequetscht ist, fügt man dem
hilflosen Opfer weiteren Schaden zu.
Es können sich auch mehrere Charaktere zusammentun,
um einen Gegenstand anzuheben oder zu zerbrechen. Sie
würfeln getrennt nach den Regeln für Gruppenarbeit (siehe
Seite 271) und addieren ihre Erfolge. Die Gesamtsumme
ihrer Körperkraftwerte gibt das Minimum dessen, was sie
schaffen können, ohne dafür einen Willenskraftwurf aus-
führen zu müssen.
• Öffnen/Schließen (Körperkraft): Damit Ihr Charakter
eine Tür aufbrechen kann, muß Ihnen ein erfolgreicher
Wurf auf Körperkraft gelingen (die Schwierigkeit beträgt 6
oder 8, je nachdem, um was für eine Tür es sich handelt).
Gewöhnliche Wohnungstüren aus Holz, die lediglich mit ei-
nem Standardschloß ausgestattet sind, erfordern nur einen
Erfolg, um aufgerammt oder möglichst schnell zugeschlagen
zu werden. Eine mit zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen
versehene Tür aufzubrechen, kann dagegen 10 Erfolge er-
forderlich machen, und bei einer soliden Stahltür – wie
etwa bei einem Banktresor – können gar 20 oder mehr
Erfolge benötigt werden. Ihr Erzähler kann bestimmen,
daß es sich bei dieser Aktion um eine erweiterte Hand-
lung handelt, während der sich Ihr Charakter mehrere
Male gegen die Tür wirft, bis diese nachgibt und aufbricht.
Sollte jemand auf der anderen Seite der Tür versuchen,
diese zuzuhalten, wird daraus zusätzlich eine Handlung
gegen Widerstand, bei der beide Parteien ihre Würfe auf
Körperkraft miteinander vergleichen. Ein Patzer könnte
Ihrem Charakter eine Stufe Schlagschaden einbringen, da
280
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
er sich die Schulter prellt – der Patzer könnte die Tür aber
auch vollkommen überraschend auffliegen lassen, so daß
Ihr Charakter durch sie hindurch und aus dem ihr gegen-
überliegenden geöffneten Fenster stürzt.
Wie bei den meisten Handlungen macht Gruppenarbeit
die Sache erheblich leichter. Um besonders massiven Tü-
ren beizukommen, kann ein bestimmter Mindestwert an
Körperkraft erforderlich sein. Dieses System kommt auch
beim Öffnen oder Schließen anderer Objekte wie etwa ver-
schlossenen Aktenschränken oder verrammelten Fenstern
zum Einsatz.
• Schleichen (Geschick + Heimlichkeit): Immer wenn
Ihr Charakter schleicht, sich heimlich an jemandem vor-
beipirschen oder sich irgendwo vor jemandem verstecken
will, müssen Sie Geschick + Heimlichkeit in einer Hand-
lung gegen Widerstand gegen die Wahrnehmung + Auf-
merksamkeit aller anderen Personen durchführen, die sich
in der direkten Umgebung aufhalten und Ihren Charakter
möglicherweise entdecken können. Die Schwierigkeit al-
ler Würfe beträgt normalerweise 6, wobei sich allerdings
bestimmte Situationen in Form von Modifikatoren zugun-
sten der einen oder anderen Partei auswirken können. Un-
günstige Bodenverhältnisse (wie etwa ein Kiesweg) oder
mangelnde Deckung können den Schleichversuch ebenso
negativ beeinflussen wie Alarmanlagen oder besonders gute
Beobachtungsposten. Solche Umstände können potenti-
ellen Beobachtern zusätzliche Würfel bei ihrem Wurf auf
Wahrnehmung + Aufmerksamkeit verschaffen. Sollte Ihr
Charakter beim Schleichen versagen, muß er deswegen
nicht gleich entdeckt worden sein. Statt dessen könnte er
auch nur ein Geräusch verursacht haben, das die Wachen
dazu veranlaßt, ab jetzt noch aufmerksamer zu sein, was
Ihren nächsten Wurf weiter erschweren wird. Bei einem
Patzer jedoch rennt Ihr Charakter mitten in die Leute hin-
ein, denen er eigentlich aus dem Weg gehen wollte.
• Schwimmen (Widerstandsfähigkeit + Sportlichkeit):
Ihr Charakter muß mindestens einen Punkt in Sportlich-
keit besitzen, um schwimmen zu können, sonst hat er es
einfach nie gelernt. Kurze Strecken erfordern keinen Wurf,
während weite Strecken oder längeres Überwasserbleiben
sehr wohl einen solchen verlangen. Der Erzähler kann Ak-
tionen dieser Art als erweiterte Handlungen abhandeln,
wobei die Schwierigkeit mit Faktoren wie der angestrebten
Schwimmgeschwindigkeit, dem Wetter und der Art des
Gewässers zusammenhängt. Es kann durchaus vorkommen,
daß Sie mehrere Male würfeln müssen, um ausreichend
Erfolge zu erzielen, damit Ihr Charakter sein Ziel erreicht.
Scheitert einer dieser Würfe, könnte Ihr Charakter bei-
spielsweise einige seiner bereits erzielten Erfolge wieder
verlieren oder Sie müssen zusätzliche Würfe ablegen, um
ans rettende Ufer zu gelangen. In ernsthafte Schwierigkei-
ten gerät Ihr Charakter allerdings, wenn Sie einen Patzer
würfeln sollten. In diesem Fall erleidet er möglicherweise
einen Krampf oder es taucht auf halber Strecke ein Boot
voller schießwütiger Feinde auf.
• Springen (Körperkraft, oder Körperkraft + Sportlich-
keit bei einem Sprung mit Anlauf): Die Schwierigkeit
für einen einfachen Sprung beträgt immer 3. Für jeden
erzielten Erfolg kann Ihr Charakter 60 cm in die Höhe
KAPITEL NEUN
oder 1,2 m weit springen. Um erfolgreich zu springen, muß
der Charakter eine größere Entfernung zurücklegen, als
zwischen ihm und seinem Ziel liegt. Ein Scheitern könnte
gefährlich werden, wenn er beispielsweise versucht, über ei-
nen Abgrund hinwegzusetzen. Bei einem Scheitern können
Sie jedoch noch einen Wurf auf Geschick + Sportlichkeit
(normalerweise gegen eine Schwierigkeit von 6) machen,
um festzustellen, ob Ihr Charakter sich an einem Vorsprung
festhalten oder sonst einigermaßen sicher landen kann. Aus
einem Patzer ergeben sich weit schlimmere Konsequenzen.
Ihr Charakter könnte ernsthaft verletzt werden oder sogar
in den Tod stürzen.
Vor einem Sprung können Sie Wahrnehmung + Sport-
lichkeit (Schwierigkeit 6) würfeln, um zu sehen, ob Ihr
Charakter die Weite oder Höhe, die er zurücklegen muß,
richtig einschätzen kann. Ist dieser Wurf erfolgreich, erfah-
ren Sie, wie viele Erfolge Sie für einen gelungenen Sprung
brauchen. Auf diese Weise wissen Sie im voraus, ob ein
Sprung unmöglich ist, so daß Sie auf einen anderen Plan
ausweichen können, bevor Sie eine Dummheit machen.
• Traglast (Körperkraft): Für jeden Punkt, den Ihr Cha-
rakter in Körperkraft besitzt, kann er realistisch betrachtet
12,5 kg tragen, ohne daß ihm dafür Erschwernisse auferlegt
werden müßten. Versucht er mehr als dieses Gewicht zu
tragen, erhöht sich die Schwierigkeit eines jeden Wurfs für
eine körperliche Handlung um eins. Zusätzlich verringert
sich dabei die Grundbewegungsrate Ihres Charakters um
die Hälfte. Sollte Ihr Charakter versuchen, das Doppelte
des durch seinen Körperkraftwerts vorgegebenen Standard-
gewichts zu tragen, kann er sich gar nicht mehr bewegen.
Ihr Erzähler hat das letzte Wort bei der Entscheidung, wie
viel Gewicht Ihr Charakter tatsächlich tragen kann.
• Verfolgung (Geschick + Sportlichkeit/Fahren): Verfol-
gungsjagden sind ein klassisches Element von Horror- und
Abenteuergeschichten und werden daher mit Sicherheit
auch in Ihrer Chronik häufiger vorkommen. In den meisten
Fällen bestimmen die Formeln für das Berechnen der Bewe-
gungsrate den Ausgang einer Verfolgungsjagd (siehe „Be-
wegen“ auf Seite 277). Bewegt sich Ihr Charakter deutlich
schneller als der andere Charakter, der an der Verfolgung
beteiligt ist, kann er letzten Endes seinen Verfolger abschüt-
teln oder sein Opfer einholen. Manchmal sind situations-
bedingte Faktoren entscheidend. Beispielsweise könnte Ihr
Charakter sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, bevor er
gefaßt wird, oder mit der Umgebung besser vertraut sein –
er könnte auch einfach eine Abkürzung finden oder seinen
Verfolger abschütteln, indem er in einer unübersichtlichen
Menschenmenge untertaucht.
Eine normale Verfolgung zählt als erweiterte Handlung.
Beide Spieler legen über mehrere Runden hinweg Wür-
felwürfe ab, um festzustellen, wer von ihnen als erster die
vorher festgelegte Anzahl an Erfolgen erreicht. Wem dies
gelingt, dessen Charakter kann daraufhin entweder ent-
kommen oder die verfolgte Person einholen. Zu Beginn der
erweiterten Handlung erhält der verfolgte Charakter eine
gewisse Anzahl an freien Ausgangserfolgen, deren genaue
Menge davon abhängt, wie weit er von seinem Verfolger
entfernt ist. Bei einer Verfolgung zu Fuß erhält Ihr Charak-
ter für alle zwei Meter Distanz zu seinem Verfolger einen
zusätzlichen Erfolg als Vorsprung. Bei einer Verfolgungsjagd
mit Fahrzeugen erhält er einen Erfolg pro 10 Meter Ab-
stand zu seinem Verfolger.
Je mehr Erfolge Sie während der Verfolgungsjagd erzie-
len, desto mehr Abstand bringen Sie zwischen sich und
Ihren Verfolger und desto größer ist die Chance, daß Sie
ihn endgültig abschütteln. Ihr Verfolger muß einen erfolg-
reichen Würfelwurf auf Wahrnehmung ablegen, sollte sich
Ihr Charakter so weit von ihm entfernt haben, daß die
Gefahr besteht, ihn aus den Augen zu verlieren. Dieser
Wahrnehmungswurf wird gemäß der Ergebnisse Ihrer bis-
herigen Würfe modifiziert. Für jeden Erfolg, den Sie bislang
mehr erzielt haben als Ihr Gegner, wird dessen Schwierig-
keit für den Wahrnehmungswurf um eins erhöht. Scheitert
dieser Wurf des Verfolgers, verliert er Ihren Charakter in
der Menge, in einer Seitenstraße oder in einem Labyrinth
aus Gängen und Korridoren. Bei einem Patzer hat der Ver-
folger keine Chance mehr, Ihren Charakter wiederzufinden.
Sollte jedoch einer Ihrer Würfe in einem Patzer enden,
biegt Ihr Charakter in eine Sackgasse ab oder stolpert und
stürzt zu Boden.
• Werfen (Geschick + Sportlichkeit): Immer wenn Ihr
Charakter etwas wirft (ob nun ein Messer, eine Axt oder
einen Aschenbecher), bestimmen Entfernung und Ziel-
genauigkeit darüber, ob er sein anvisiertes Ziel trifft oder
verfehlt. Ihr Charakter kann alle Gegenstände, die 1,5 kg
oder weniger wiegen, so weit werfen, wie es das Fünffache
seines Körperkraftwerts in Metern angibt. Jedes zusätzli-
che Gewicht von einem weiteren Kilogramm verringert
die maximale Wurfreichweite um fünf Meter. Wenn Ihr
Charakter einen Gegenstand anheben kann, aber seine
maximale Wurfreichweite damit auf null sinkt, ist er nicht
in der Lage, ihn richtig zu werfen. Allerhöchstens schafft
er es, ihn einen Meter weit von sich zu schleudern. Aus
offensichtlichen Gründen kann Ihr Charakter keinen Ge-
genstand werfen, den er nicht anheben kann.
Der Erzähler kann die maximale Wurfreichweite Ihres
Charakters weiter reduzieren, wenn der entsprechende
Gegenstand besonders unhandlich oder sperrig ist. Ande-
rerseits kann er sie auch erhöhen, wenn es sich dabei um
ein aerodynamisches Objekt handelt. Um einen Gegen-
stand mit einer gewissen Genauigkeit werfen zu können,
muß man einen Wurf auf Geschick + Sportlichkeit gegen
eine Schwierigkeit von 6 (bis zur Hälfte der maximalen
Reichweite) oder 7 (von der Hälfte der maximalen bis zur
maximalen Reichweite) ablegen. Der Erzähler kann die
Schwierigkeit des Wurfs je nach Windverhältnissen, Hin-
dernissen in der Wurfbahn oder Bewegung des Ziels weiter
modifizieren. Bei einem Patzer könnte Ihr Charakter sein
Wurfgeschoß zu früh loslassen und sich selbst damit treffen
oder einen so schwachen Schwung entwickeln, daß sein
Gegner die Wurfwaffe problemlos auffangen kann.
GESELLSCHAFTLICHE AUFGABEN
Dieser Abschnitt behandelt die Aufgaben, die mit den
drei gesellschaftlichen Attributen (Charisma, Manipulati-
on und Erscheinungsbild) abgedeckt werden. Viele Situa-
tionen, in denen gesellschaftliche Attribute zum Einsatz
kommen, lassen sich am besten durch aktives Rollenspiel
281

darstellen, weshalb Sie so oft wie möglich auf Würfelwürfe
verzichten sollten.
• Auftritt (Charisma + Ausdruck): Eine überraschend
große Anzahl an Gefallenen besitzt ein ausgeprägtes schau-
spielerisches oder sonstiges darstellerisches Talent. Vor dem
Fall hatten sich viele Himmlische den Künsten verschrie-
ben, und die damit verbundenen Fertigkeiten blieben ih-
nen sogar nach Jahrtausenden der Gefangenschaft in der
Hölle erhalten. Wenn ein Charakter vor Publikum auftritt,
würfeln Sie Charisma + Ausdruck (Schwierigkeit 7). Die
Stimmung des Publikums und die Komplexität des Auf-
tritts können sich positiv oder negativ auf die Schwierigkeit
dieses Wurfs auswirken. Ein Erfolg bedeutet eine unter-
haltsame, aber wenig inspirierende Vorstellung, während
zusätzliche Erfolge den Auftritt selbst für das verwöhnteste
Publikum zu einem wahrhaft denkwürdigen Ereignis ma-
chen. Bei einem Patzer vergißt Ihr Charakter seinen Text,
trifft den falschen Ton oder verpfuscht den Auftritt auf
irgendeine andere Weise.
• Einschüchtern (Körperkraft/Manipulation + Ein-
schüchtern): Einschüchtern besitzt eine aktive und eine
passive Seite. Jemanden passiv einzuschüchtern heißt, daß
allein schon die Anwesenheit Ihres Charakters Leute dazu
veranlaßt, ihm aus dem Weg zu gehen oder ihm wider-
standslos alles zu überlassen beziehungsweise zu geben, was
er von ihnen verlangt. Je höher der Wert in Einschüchtern
Ihres Charakters ist, desto mehr Menschen werden vermei-
den wollen, ihm in die Quere zu kommen. Ein Würfelwurf
muß hierfür nicht gemacht werden.
Ihr Charakter kann eine andere Person aber auch ab-
sichtlich dazu bringen, eine bestimmte Sache zu tun oder
zu lassen. Es kann eine Geste, ein Schnauben oder ein Blick
sein, solange die Drohung nur offensichtlich ist. Würfeln
Sie Manipulation + Einschüchtern in einer Handlung ge-
gen Widerstand gegen die Willenskraft der Zielperson (für
beide Würfe gilt eine Schwierigkeit von 6). Die Zielperson
muß mehr Erfolge als Sie erzielen, um sich nicht dem Wil-
len Ihres Charakters zu beugen. Bei einem Patzer machen
Sie sich mit Ihrem Einschüchterungsversuch bestenfalls
lächerlich oder stehen wie ein aufgeblasener Idiot dar.
Ein Charakter kann auch die Drohungen überspringen
und die Verhältnisse sofort durch den Einsatz körperlicher
Gewalt klarstellen. Würfeln Sie zunächst einen Angriff
nach den Kampfregeln und anschließend auf Körperkraft
+ Einschüchtern.
• Glaubwürdigkeit (Manipulation/Wahrnehmung +
Ausflüchte): Ausflüchte werden sowohl zum Täuschen
selbst als auch zum Durchschauen von Lügen eingesetzt.
Wenn Sie eine Täuschung durchführen wollen – ob Sie sich
nun für eine andere, vertrauenswürdigere Person ausgeben,
eine Lüge verbreiten oder einen zukünftigen Sklaven um
den Finger wickeln wollen –, würfeln Sie Manipulation
+ Ausflüchte. Wenn Ihr Charakter versucht, eine solche
Täuschung zu durchschauen, würfeln Sie Wahrnehmung +
Ausflüchte. Beide beteiligten Parteien führen ihren jewei-
ligen Wurf gegen eine Schwierigkeit von 7 durch. Wie bei
jeder Handlung gegen Widerstand, obsiegt derjenige, der
die meisten Erfolge erzielt. Bei einem Unentschieden bleibt
eine Lüge unaufgedeckt. Besonders professionell gefälschte
282
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Dokumente und andere Hilfsmittel können die Schwie-
rigkeit, ein Täuschungsmanöver aufzudecken, erhöhen,
wohingegen Gruppenarbeit die Chancen verbessert, daß
eine Lügengeschichte durchschaut wird.
Um eine besonders gute Lügengeschichte aufzubauen,
können je nach Ermessen des Erzählers auch Hacken- oder
Einbruchwürfe erforderlich sein, was ganz darauf ankommt,
aus welchen Bausteinen das Konstrukt an Halbwahrheiten
sich zusammensetzen soll. Wenn Ihr Charakter versucht,
jemandem einen Bären aufzubinden und dabei patzt, stürzt
der ganze schöne Plan wie ein Kartenhaus zusammen und
Sie werden als Betrüger enttarnt.
• Rhetorik (Charisma + Führungsqualitäten): In vielen
Situationen kann ein Charakter dazu gezwungen sein, aus
dem Stegreif eine Rede halten zu müssen – beispielsweise
um einen Kult davon zu überzeugen, ihn als seinen Meister
anzuerkennen, oder die Öffentlichkeit glauben zu machen,
daß ein bestimmter Politiker korrupt ist. Was auch immer
der Grund für die Rede sein mag, würfeln Sie Charisma +
Führungsqualitäten. Die Schwierigkeit beträgt in der Regel
6. Je nachdem, wie empfänglich sein Publikum für die Ide-
en und Meinungen des Redners ist, kann der Erzähler die
Schwierigkeit zusätzlich erhöhen oder senken. Sollten Sie
einen Patzer würfeln, könnte das Ansehen Ihres Charak-
ters nachhaltigen Schaden nehmen oder Sie könnten die
Adressaten Ihrer Rede gegen sich aufbringen.
Wenn der Charakter ausreichend Zeit hat, seine Anspra-
che vorzubereiten, kann der Erzähler Intelligenz + Aus-
druck (Schwierigkeit 7) würfeln. Ist dieser Wurf erfolgreich,
wird die Schwierigkeit des Wurfs für die Rede um eins ge-
senkt. Ein Scheitern hat keine weiteren Konsequenzen,
wohingegen ein Patzer zur Folge hat, daß das von Ihrem
Charakter vorbereitete Material ungenügend ist oder sein
Publikum es gar als Beleidigung auffaßt.
• Verhör (Manipulation + Empathie/Einschüchtern):
Fragen kann jeder stellen, aber die richtigen Antworten
darauf zu bekommen, ist eine echte Kunst. Wenn Ihr Cha-
rakter eine andere Person auf die sanfte Tour aushorcht
(Manipulation + Empathie), stellt er ihr zielgerichtete
und sorgsam bedachte Fragen, die sein Opfer dazu bringen,
ihm zu vertrauen und Informationen preiszugeben, ohne
daß es dies überhaupt bemerkt. Dieses Vorgehen ist eine
Handlung gegen Widerstand. Würfeln Sie Manipulation
+ Empathie. Die Zielperson würfelt Willenskraft, und die
Schwierigkeit des Wurfs beider Beteiligten beträgt 6. Der-
jenige, der mehr Erfolge erzielt, gewinnt. Im Laufe einer
längeren Befragung kann Ihr Erzähler auch mehrere Würfe
an Schlüsselstellen im Verhör verlangen oder er läßt die be-
teiligten Parteien einmal am Anfang und einmal am Ende
des ganzen Verhörvorgangs würfeln.
Nicht jedes Verhör verläuft allerdings auf eine derma-
ßen sanfte und unterschwellige Weise. Manchmal werden
bei einem Verhör auch gewaltsamere Methoden eingesetzt,
um Informationen aus den Befragten herauszuholen. Auch
hierbei kommt eine Handlung gegen Widerstand ins Spiel.
Unabhängig davon, ob der Charakter des Spielers, der das
Verhör durchführt, hierbei nun körperliche oder seelische
Folter anwendet, muß er einen Wurf auf Manipulation +
Einschüchtern ablegen. Der unter Befragung stehende Cha-
KAPITEL NEUN
rakter würfelt einen Vorrat, der seiner Widerstandsfähigkeit
+ 3 oder seiner Willenskraft entspricht (je nachdem, wel-
cher von beiden größer ist). Die Schwierigkeit für den Wurf
beider Charaktere beträgt 6. Folter kann auch über einen
längeren Zeitraum hinweg angewendet werden und unter-
liegt in diesem Fall somit zusätzlich den Regeln für erweiterte
Handlungen. Die Zeit, die zwischen den Würfen verstreicht,
hängt von der Art der verwendeten Methode ab, und die
Entscheidung darüber obliegt dem Erzähler.
Das Opfer erleidet eine Stufe tödlichen Schaden oder
Schlagschaden für jeden Wurf, den der Spieler bei einer
körperlichen Folter macht (unabhängig davon, ob der Pei-
niger einen Erfolg würfelt oder nicht). Im Falle seelischer
Folter verliert das Opfer pro Runde einen Willenskraft-
punkt. Die Auswirkungen gleichzeitiger seelischer und kör-
perlicher Folter können demzufolge wirklich verheerend
sein. Ein Patzer kann das Opfer die geistige Gesundheit
kosten, es für den Rest seines Lebens zum Krüppel machen
oder es sogar umbringen.
Für jeden weiteren Erfolg, den ein Charakter beim Ver-
hören mehr erzielt als der Befragte (auf subtile oder gewalt-
same Weise), kann er aus diesem zusätzliche Informationen
herausholen. Sollte die Anzahl dieser zusätzlichen Erfolge
den permanenten Willenskraftwert des Verhörten zu irgen-
deinem Zeitpunkt übersteigen, bricht das Opfer zusammen
und verrät alles, was es weiß. Ihr Erzähler bestimmt das
Ausmaß und die Relevanz der Informationen, die Ihr Cha-
rakter aus einem Verhör gewinnt, da das Opfer alles nur
aus seiner eigenen Sicht erzählen kann und auch versucht,
dem Folterer genau das zu sagen, was sein Peiniger seiner
Meinung nach von ihm hören will.
Wenn sich zwei oder mehr Charakter zusammentun, um
gemeinsam ein Verhör zu führen, können sie ihre separat
erzielten Erfolge zusammenzählen. Diese Regel tritt auch
dann in Kraft, wenn sie „Guter Bulle/Böser Bulle“ spielen.
In diesem Fall würfelt ein Charakter Empathie, während
der andere einen Einschüchterungswurf ablegt.
• Zechen (Charisma + Empathie): Manche eigentlich
geheimen Informationen kann man Trinkkumpanen und
Plappermäulern erstaunlich leicht aus der Nase ziehen. Die
Fähigkeit, zu feiern und anderen ein heiteres Gesicht zu
zeigen, kann hierbei sehr nützlich sein. Wenn Ihr Charakter
jemanden mit Zechen für sich gewinnen will, würfeln Sie
Charisma + Empathie (Schwierigkeit 6). Ihr Erzähler kann
die Schwierigkeit dieses Wurfs modifizieren, wenn Sie mit
einer nach außen geschlossenen Gruppe oder einem beson-
ders mißtrauischen Individuum zu tun haben. Das Wesen
der Zielperson (beispielsweise Bonvivant oder Griesgram)
wirkt sich ebenfalls auf die Schwierigkeit aus. Bei einem
Patzer tut oder sagt Ihr Charakter etwas Falsches, womit es
ihm gelingt, alle Anwesenden gegen sich aufzubringen.
GEISTIGE AUFGABEN
Die folgenden Systeme decken Aufgaben ab, die mit den
drei geistigen Attributen (Wahrnehmung, Intelligenz und
Geistesschärfe) zu tun haben. Manchmal erfordern Würfe
auf geistige Attribute auch den Einsatz von Willenskraft.
Die Schwierigkeit der anfallenden Würfe variiert gemäß
situationsbedingter Faktoren.
• Hacken (Intelligenz/Geistesschärfe + Computer): Um
sich in einen Computer zu hacken, müssen Sie Intelligenz
oder Geistesschärfe (je nach Dringlichkeit der Aufgabe)
+ Computer würfeln. Die Schwierigkeit hängt von der
Komplexität und den Sicherheitsvorkehrungen des Zielsy-
stems ab. Bei einem normal abgesicherten Computersystem
beträgt die Schwierigkeit 6, wohingegen die Schwierigkeit
bei Zentralrechnern des Militärs oder der Wirtschaftswelt
auch bis auf 10 steigen kann. Die von Ihnen erzielte An-
zahl an Erfolgen ist die Zahl der Würfel, die Ihnen für
die Kommunikation und Interaktion mit dem gehackten
Rechner zur Verfügung steht (dieser Würfelvorrat kann
jedoch nie größer sein als der Würfelvorrat, den Sie für eine
entsprechende Operation am eigenen Rechner einsetzen
könnten).
Versucht jemand (oder das System selbst), Ihrem Zugriff
aktiv entgegenzuarbeiten, wird diese Situation in einer
Handlung gegen Widerstand abgehandelt. Der User, der
die meisten Erfolge erzielt, gewinnt diesen Wettstreit. Bei
einem Patzer könnte der Aufenthaltsort Ihres Charakters
zurückverfolgt werden, so daß mit ernsten Konsequenzen
zu rechnen wäre.
• Nachforschungen (Wahrnehmung + Nachforschun-
gen): Einen Tatort zu untersuchen, die Bibliothek eines
okkulten Ordens nach bestimmten Hinweisen zu durchstö-
bern oder eine Autopsie an einer Leiche vorzunehmen – bei
all diesen Handlungen greift das hier vorgestellte System
für Nachforschungen. Wenn es nur einen einzigen Hinweis
gibt, den Ihr Charakter aufspüren kann, kann der Erzähler
die anfallende Situation als erweiterte Handlung abhan-
deln. Sollte es mehrere Hinweise geben, die entdeckt wer-
den können, ist vielleicht eine einfache Handlung schon
ausreichend. In letzterem Fall zeigt die erzielte Anzahl an
Erfolgen an, wie viele Hinweise Ihr Charakter mit seinen
Nachforschungen aufgespürt oder in Erfahrung gebracht
hat. Bei nur einem Erfolg werden lediglich kleinere Details
enthüllt, wohingegen zusätzliche Erfolge es Ihrem Charak-
ter ermöglichen, auf entscheidende Hinweise stoßen, die es
ihm möglicherweise erlauben, einen Tathergang lückenlos
zu rekonstruieren oder Theorien anhand von stichhaltigen
Belegen aufzustellen. Gruppenarbeit kann bei Nachfor-
schungen immens helfen. Bei einem Patzer interpretiert Ihr
Charakter die gefundenen Hinweise falsch oder vernichtet
sie sogar versehentlich.
• Recherche (Intelligenz + Okkultismus/Recherche/
Naturwissenschaften): Recherche wird betrieben, wenn
man Computerdatenbanken nach historischen Fakten
durchsucht, nach obskuren Hinweisen in uralten Schriften
Ausschau hält oder Gespräche mit fachkundigen Experten
führt. Dies erfordert Zeit und Mühe, obwohl in der Regel
nur ein einziger Wurf abzulegen ist. Der Erzähler legt fest,
wie lange eine bestimmte Recherche dauert. Die Anzahl
der erzielten Erfolge bestimmt, wie viele Informationen Ihr
Charakter in dieser Zeit ausgraben kann. Ein Erfolg bedeu-
tet, daß zumindest Grundinformation zu einem bestimmten
Thema gesammelt werden konnten, während zusätzliche
Erfolge für eine größere Detailfülle stehen. Der Erzähler
kann die Schwierigkeit des Würfelwurfs unterschiedlich
hoch ansetzen, je nachdem, wie obskur die gesuchten In-
283

formationen sind. Bei einem Patzer könnte Ihr Charakter
überhaupt nichts herausfinden – oder auf Informationen
stoßen, die ihn vollkommen in die Irre führen.
284
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
• Reparaturen (Geschick/Wahrnehmung + Handwerk/
Technologie): Je nach Spezialität erlauben die Fertigkeiten
Handwerk und Technologie die Reparatur sowie den Bau
oder die Herstellung unterschiedlichster Dinge von Töp-
ferwaren bis hin zu Videorekordern. Bevor Ihr Charakter
etwas reparieren kann, muß er erst einmal feststellen, was
mit dem zu reparierenden Gegenstand nicht in Ordnung
ist. Eine zerbrochene Vase ist natürlich einfach nur zer-
brochen, aber es ist schon um einiges schwieriger, heraus-
zufinden, warum ein Wagen nicht anspringen will. Führen
Sie einen einfachen Recherchewurf aus (siehe oben), um
festzustellen, wo das Problem liegt. Nachdem Ihr Charak-
ter in Erfahrung gebracht hat, was nicht stimmt, legt der
Erzähler die Schwierigkeit des Reparaturwurfs fest. Diese
Schwierigkeit ist abhängig von der Schwere des Problems,
der Komplexität des beschädigten Gegenstands, der Verfüg-
barkeit des richtigen Werkzeugs, der Qualität von Ersatztei-
len und den Umständen, unter denen die Reparatur erfolgt.
Ein außergewöhnlich erfolgreicher Recherchewurf kann die
Schwierigkeit des eigentlichen Reparaturwurfs senken.
Als Faustregel können Sie davon ausgehen, daß ein
Reifenwechsel eine Schwierigkeit von 4 hat, während die
Schwierigkeit für den Nachbau eines Automotors bei 9
liegt. Die Zeit, die eine Reparatur erfordert, kann unter-
schiedlich lang sein, und Ihr Erzähler kann eine Reparatur
auch als erweiterte Handlung betrachten. Bei einem Pat-
zer könnte sich Ihr Charakter verletzen oder den zu
reparierenden Gegenstand so schwer beschädigen,
daß er nicht mehr instand zu setzen ist.
• Spurenlesen (Wahrnehmung + Überleben):
Im Gegensatz zum Beschatten einer Person setzt
Spurenlesen voraus, daß Sie lediglich von dieser
Person hinterlassenen Hinweisen folgen, um sie zu fin-
den. Das Entdecken von Fuß-, Blut- oder Reifenspu-
ren führt den Verfolger zu seinem Ziel. Spurenlesen
kann als erweiterte Handlung ausgeführt werden,
bei der die Gefahr besteht, daß Ihr Charakter die
Spur, der er folgt, irgendwann verliert. Die Auf-
gabe kann aber auch als eine einfache Handlung
ausgeführt werden, wobei die erzielte Anzahl
der Erfolge angibt, wie viele Informationen Ihr
Charakter den vorgefundenen Spuren entneh-
men kann. In diesem Fall können ihm zusätzli-
che Erfolge genauere Informationen offenba-
ren. Aus ihnen kann er zum Beispiel schließen,
wie schnell sich die Person bewegt hat, welche
Schuhgröße sie besitzt, mit welchem Reifentyp
ihr Wagen ausgestattet ist oder ob sie allein
unterwegs ist.
Der Verfolgte kann versuchen, seine Spuren
mit Hilfe eines Wurfs auf Geistesschärfe +
Überleben zu verwischen. Jeder dabei erzielte
Erfolg erhöht die Schwierigkeit des Wurfs des
Spurenlesers um eins. Die Schwierigkeit kann
zusätzlich von weiteren Faktoren beeinflußt
werden. Zu diesen zählen das Wetter, die Bo-
denbeschaffenheit und die Lichtverhältnisse. Bei
einem Patzer verliert Ihr Charakter nicht nur die Spur,
sondern zerstört sie auch noch.
KAPITEL NEUN
KAMPFSYSTEME
Kampf ist ein unausweichlicher Aspekt von Dämonen:
Die Gefallenen. Es tobt ein unsichtbarer Krieg an mehre-
ren Fronten – zwischen den Gefallenen und ihren ehemali-
gen Herren aus der Hölle sowie zwischen den schrecklichen
Erdgebundenen und den Beschützern der Menschheit – ,
und in jedem Krieg werden Schlachten geschlagen und
Unschuldige getötet. Es ist so gut wie unmöglich, sich aus
diesen Konflikten herauszuhalten – Kämpfe und Streitig-
keiten sind regelrecht vorprogrammiert.
Kampf muß Ihr Spiel nicht dominieren – und sollte es
auch nicht. Die Kunst der Kriegsführung ist äußerst vari-
antenreich. Einige Feinde Ihres Charakters haben Bank-
konten, die manipuliert werden können, um sie ohne fi-
nanzielle Ressourcen dastehen zu lassen. Wieder andere
Gegner verlassen sich voll und ganz auf den Glauben ih-
rer Anhänger – Kultisten, die man abwerben oder deren
Gehirnwäsche man rückgängig machen kann, um ihrem
Meister die Macht zu rauben. Nachdenken stellt also eine
echte Alternative dazu dar, einfach nur alles kurz und klein
zu schlagen und mit dem Kopf durch die Wand gehen zu
wollen.
Letztlich spielt Kampf in Ihren Geschichten dennoch
eine nicht zu leugnende Rolle. Der folgende Abschnitt
beschreibt ein detailliertes Kampfsystem, das die Dynamik,
die Einschränkungen und die Brutalität echter Kämpfe
wiedergibt und zugleich trotzdem genügend Raum für Dra-
matik und Kreativität läßt.
Nehmen Sie sich die Freiheit, die beschriebenen Regeln
nach Belieben zu ändern oder zu ignorieren – besonders
wenn aus ihnen ein Konflikt zwischen Spielern resultie-
ren könnte oder der Spielfluß zu sehr gebremst wird. Der
Erzähler kann Realismus im Gefecht durch entsprechende
Beschreibungen aufrechterhalten, ohne ständig auf stören-
de Weise für jede kleine Bewegung auf Würfe zurückgreifen
zu müssen. Wenden Sie die Regeln für automatische Erfolge
an (siehe Seite 268), wenn Sie möchten, und suchen Sie
immer nach dem für die Geschichte passendsten Ausgang
der Szene.
Trotz all ihrer übernatürlichen Kräfte und Fähigkeiten
besitzen Dämonen auch viele menschliche Schwächen,
und ihre sterblichen Wirtskörper können nach wie vor
getötet werden. Wenn ein Charakter sterben könnte, ent-
scheiden die Würfel auf faire Weise darüber – ohne daß
es zu Vorwürfen kommen könnte, einer der Spieler würde
vom Erzähler bevorzugt oder übervorteilt. Obwohl nie-
mand seinen Charakter sterben sehen möchte, garantieren
die Würfel, daß die Geschehnisse abgehandelt werden kön-
nen, ohne daß böses Blut entsteht.
KAMPFARTEN
Es gibt zwei Arten von Kampf, für die das gleiche Grund-
system mit je kleinen Veränderungen zum Einsatz kommt.
• Nahkampf: Hierzu gehören waffenloser Kampf (Ge-
schick + Handgemenge) und der Kampf mit Nahkampf-
waffen (Geschick + Nahkampf). Unbewaffneter Kampf
kann so chaotisch wie eine Kneipenschlägerei oder so
durchstrukturiert wie ein offizieller Boxkampf sein. Die
DIE BESCHREIBUNG EINER SZENE
Ein Teil der Aufgabe des Erzählers ist es, den Spie-
lern ein möglichst akkurates Bild der Umgebung und
der in ihr stattfindenden Ereignisse zu vermitteln. Er
beschreibt die Szenerie, das Wetter, die Lichtverhält-
nisse und die Handlungen aller Charaktere, die in
der entsprechenden Szene vorkommen und von ihm
dargestellt werden. Diese Verantwortung ist in Kampf-
situationen äußerst wichtig, da man wissen muß, wel-
chen Gefahren man ins Auge schaut und welche Mög-
lichkeiten man hat.
Während eines Kampfs beschreibt der Erzähler am
Ende jeder Runde die veränderte Situation. Wenn
alle Spieler gehandelt haben, erklärt der Erzähler, was
die Charaktere sehen und fühlen. Sie könnten alle
Zugriff auf dieselben Informationen haben oder jeder
seine eigene Sichtweise der stattfindenden Ereignisse
besitzen. Diese Erläuterungen sollten so detailliert und
kreativ wie möglich sein. Dies ist die Chance für einen
Erzähler sein Talent, was Schilderungen und Beschrei-
bungen angeht, unter Beweis zu stellen und eine Reihe
von Würfen in eine spannende und unterhaltsame
Geschichte zu verwandeln.
Beteiligten setzen ihren Körper als Waffe ein und müssen
sich in Berührungsreichweite befinden (1 m). Im Kampf
mit Nahkampfwaffen setzen die Kontrahenten Waffen wie
beispielsweise Messer, Schwerter oder abgebrochene Fla-
schen ein. Die Widersacher müssen sich in einem Abstand
von ein bis zwei Metern zueinander befinden.
• Fernkampf: Diese Art des bewaffneten Kampfs um-
faßt den Einsatz aller Waffen, die Projektile verschießen
(wie beispielsweise Pistolen), und erfordert einen Wurf
auf Geschick + Schußwaffen. Ein Angriff mit Wurfwaf-
fen (Geschick + Sportlichkeit) fällt ebenfalls unter diese
Kategorie. Die Entfernung, über die hinweg ein solches
Gefecht ausgetragen wird, hängt von der Reichweite der
eingesetzten Waffen ab, wobei das Ziel sich zudem in Sicht-
weite aufhalten muß.
KAMPFRUNDEN
Kampfszenen können manchmal extrem verwirrend
werden, da eine Menge Dinge gleichzeitig passieren. Die
Vielzahl der stattfindenden Handlungen und deren Kon-
sequenzen im Auge zu behalten, ist eine echte Herausfor-
derung. Ein Kampf vollzieht sich fast immer in einer Reihe
von Runden mit je drei Sekunden. Das System für den
Umgang mit solchen Kampfrunden unterteilt diese noch
einmal in drei Phasen: Initiative, Angriff und Abwicklung.
Diese Aufteilung hilft dem Erzähler dabei, den Überblick
über die Handlungen der Charaktere und deren Auswir-
kungen zu behalten.
PHASE EINS: INITIATIVE
Wer fängt an? Sie müssen die Spieler nicht im Uhrzei-
gersinn handeln lassen, es sei denn diese für ein Erzählspiel
zugegebenermaßen etwas ungewöhnliche Regelung findet
285

in Ihrer Gruppe uneingeschränkte Zustimmung. Wir legen
Ihnen jedenfalls die folgende Möglichkeit ans Herz: Zu
Beginn einer jeden Runde müssen alle Spieler einen Wür-
fel würfeln und zu dem Ergebnis den Initiativewert Ihres
Charakters (Geschick + Geistesschärfe) hinzuzählen. Der
Erzähler würfelt ebenfalls für alle Charaktere, die er in der
laufenden Szene kontrolliert. Der Spieler mit dem höch-
sten Ergebnis handelt zuerst, die verbleibenden handeln
in absteigender Reihenfolge Ihres Ergebnisses. Wenn zwei
Charaktere das gleiche Ergebnis erzielen, handelt der mit
dem höheren Initiativewert zuerst. Wenn auch die Initiati-
vewerte gleich sind, handeln sie gleichzeitig. Verwundungs-
abzüge (siehe Seite 295) werden direkt vom Initiativewert
eines Charakters abgezogen.
Als nächstes sagen die Spieler die geplanten Handlungen
ihrer Charaktere an. Kündigen Sie diese Handlungen in
umgekehrter Reihenfolge der Initiative an, so daß die Spie-
ler schnellerer Charaktere Ihre Handlungen anhand dessen
festlegen können, was sie gerade gehört haben. Somit hat
ein schnellerer Charakter die Möglichkeit, auf die Hand-
lungen aller langsameren Charaktere zu reagieren. Wäh-
rend dieser Phase sagen die Spieler alle mehrfachen Hand-
lungen, Gruppenarbeit, den Einsatz besonderer Kräfte oder
Willenskraft sowie ein potentielles Abwarten ihrerseits an,
um zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Der Erzähler
kann Sie dazu auffordern, die angekündigte Handlung Ihres
Charakters genauer zu beschreiben, um ein klareres und
vollständigeres Bild der Ereignisse zu zeichnen.
Drei Dinge können die Initiativereihenfolge ändern.
Wenn Sie sich entscheiden, mit einer Handlung Ihres Cha-
rakters abzuwarten, können Sie zu jedem beliebigen Zeit-
punkt, nachdem sie eigentlich an der Reihe gewesen wären,
handeln. Dieses Abwarten erlaubt es Ihrem Charakter, eine
kleine Pause einzulegen, um zunächst einmal zu sehen,
wie die anderen Beteiligten handeln. Sie können sogar die
Handlungen langsamerer Charaktere unterbrechen. War-
ten zwei Spieler mit ihren Handlungen ab und wollen dann
zum selben Zeitpunkt handeln, ist der Charakter mit der
ursprünglich höheren Initiative zuerst an der Reihe.
Der zweite Bruch in der Rangfolge der Initiative kann
bei defensiven Handlungen erfolgen (siehe „Auf defensive
Handlung zurückgreifen“ auf Seite 288 und „Defensive Ma-
növer“ auf Seite 289), die Ihr Charakter jederzeit durchfüh-
ren kann, solange er noch eine Handlung hat und entweder
als Reflex einen erfolgreichen Willenskraftwurf ablegt oder
einen Willenskraftpunkt einsetzt. Eine defensive Handlung
findet zum selben Zeitpunkt in der Runde statt wie der An-
griff, gegen den sich Ihr Charakter verteidigt. Sie tauschen
Ihre Möglichkeit zu einer normalen Handlung dagegen
ein, daß Sie sich gegen den Angriff schützen können. Ihr
Charakter kann sich nur verteidigen (blocken, ausweichen,
parieren), aber der Erzähler kann auch festlegen, daß die
defensive Handlung Ihres Charakters Schaden beim An-
greifer verursacht.
Die letzte Ausnahme der normalen Initiativeabfolge bil-
den alle mehrfachen Handlungen, die komplett am Ende
einer Runde durchgeführt werden. Wenn zwei oder mehr
Charaktere mehrfache Handlungen vornehmen wollen,
erfolgen diese in der Reihenfolge der ursprünglichen Initia-
286
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
tive. Eine Ausnahme von der Ausnahme wird allerdings für
mehrfache defensive Handlungen gemacht – die Handlun-
gen, die dazu genutzt werden, sich vor mehreren Angriffen
zu schützen –, die dann erfolgen, wann sie logischerweise
erfolgen müssen – nämlich sobald sie den Charakter vor
einem Angriff schützen sollen.
PHASE ZWEI: ANGRIFF
Die Initiative legt die Reihenfolge der Handlungen aller
beteiligten Charaktere innerhalb einer Runde fest. Diese
werden von den Spielern angesagt, bevor die Angriffsphase
beginnt. In der Angriffsphase wird das Ergebnis der Hand-
lungen bestimmt. Alle Spieler würfeln nacheinander die
geforderten Würfelvorräte und ermitteln die damit erziel-
ten Erfolge. Ihr Erzähler führt Sie durch diesen Prozeß,
indem er Schwierigkeitsstufen festlegt, entscheidet, welche
Attribute und Fähigkeiten einen Würfelvorrat bilden, und
den Einsatz von Willenskraftpunkten legitimiert. Wenn Ihr
Charakter eine entsprechende Fähigkeit nicht besitzt, kann
er trotzdem einen Angriff ausführen, obwohl der Würfel-
vorrat für diese Handlung gemäß der Regeln auf Seite 267
modifiziert wird.
Die meisten Auseinandersetzungen sind entweder Nah-
oder Fernkampf. Für den Kampf Mann gegen Mann würfeln
Sie Geschick + Handgemenge (unbewaffnet) oder Geschick
+ Nahkampf (bewaffnet). Beim Fernkampf würfeln Sie ent-
weder Geschick + Schußwaffen (für alle Arten von Feuer-
waffen) oder Geschick + Sportlichkeit (für Wurfwaffen).
Jede benutzte Waffe kann Ihren Würfelvorrat modifizieren,
abhängig von ihren jeweiligen Vorzügen und Schwächen –
wie zum Beispiel das Vorhandensein eines Zielfernrohrs oder
das Alter beziehungsweise die Schußfolge der Waffe.
Die meisten Angriffswürfe werden mit der Standardschwie-
rigkeit von 6 abgelegt. Situationsbedingte Modifikatoren
(Wetter, Lichtverhältnisse, Entfernung zum Ziel oder ein-
geschränkte Bewegungsfreiheit) können diese Zahl verän-
dern. Scheitert dieser Wurf, verfehlt Ihr Charakter sein Ziel
und verursacht keinen Schaden. Bei einem Patzer verfehlt
Ihr Charakter nicht einfach nur sein Ziel, sondern gerät
in eine echte Notlage. Möglicherweise hat seine Waffe
ausgerechnet in diesem Moment eine Ladehemmung oder
explodiert sogar, die Klinge bricht ab oder Ihr Charakter
schlägt mit bloßer Faust gegen eine Mauer, anstatt seinen
Gegner zu treffen.
PHASE DREI: ABWICKLUNG
Nachdem Sie ermittelt haben, ob Ihr Angriff geglückt
ist, ist es an der Zeit, den verursachten Schaden zu er-
rechnen. Art und Umfang des Schadens hängen von der
Angriffsmethode ab. Jede Angriffsart weist einen bestimm-
ten Schadenswert auf, der die Anzahl an Würfeln angibt,
mit der gewürfelt wird, um festzustellen, wie schwer die
durch sie zugefügten Verletzungen sind (die sogenannten
Schadenswürfel).
Die eingesetzte Waffe beeinflußt diesen Würfelvorrat
ebenso wie andere situationsbedingte Faktoren. Jeder zu-
sätzlich erzielte Erfolg (das heißt also jeder Erfolg nach dem
ersten), der bei einem Angriffswurf gewürfelt wurde, erhöht
die Zahl der Schadenswürfel um eins. Ihr Charakter trifft
KAPITEL NEUN
ZUSAMMENGEFASSTE KAMPFTABELLE
Phase Eins: Initiative
• Würfeln Sie Initiative. Beginnend beim Charakter
mit dem niedrigsten Ergebnis sagen alle Beteiligten
dann ihre Handlungen an (auch mehrfache Hand-
lungen, die Aktivierung von besonderen Kräften oder
den Einsatz von Willenskraft). Der Charakter mit dem
höchsten Initiativewert führt seine Handlung zuerst
durch. Mit einer Handlung kann bis zu jedem späteren
Zeitpunkt in der Reihenfolge der Initiative abgewartet
werden. Durch einen gelungenen Willenskraftwurf
oder den Einsatz eines Willenskraftpunkts kann sich
Ihr Charakter gegen einen Angriff verteidigen, wo-
durch er allerdings seine ursprünglich angekündigte
Handlung aufgeben muß. Unabhängig davon, wie Ihr
Initiativewert lautet, führt Ihr Charakter diese defensi-
ve Handlung zeitgleich mit dem Angriff aus, der gegen
ihn stattfindet.
Phase Zwei: Angriff
• Für unbewaffnete Nahkampfangriffe würfeln Sie
Geschick + Handgemenge.
• Für bewaffnete Nahkampfangriffe würfeln Sie Ge-
schick + Nahkampf.
• Für Fernkampf (beim Einsatz von Feuerwaffen) wür-
feln Sie Geschick + Schußwaffen.
• Für Fernkampf (beim Einsatz von Wurfwaffen) wür-
feln Sie Geschick + Sportlichkeit.
Phase Drei: Abwicklung
• Bestimmen Sie den verursachten Schaden (je nach
Waffenart oder Manöver) und addieren Sie alle durch
etwaige zusätzliche Erfolge beim Angriffswurf gewon-
nenen Bonuswürfel zu den Schadenswürfeln.
• Opfer können – wenn möglich – versuchen, den
Schaden zu absorbieren.
• Der Erzähler beschreibt die Auswirkungen der
Kampfrunde.
dann seinen Gegner nicht einfach nur, sondern landet den
Treffer mit größerer Genauigkeit oder Wucht. Wenn Ihr
Charakter verwundet wird, können Sie versuchen, die-
sen Schaden zu absorbieren, um zu sehen, ob Ihre natürli-
che Konstitution und Zähigkeit einen Teil der zugefügten
Verletzungen abfängt. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels
finden Sie detailliertere Informationen darüber, wie der
verursachte Schaden genau bestimmt wird.
Nachdem Sie ermittelt haben, wie groß der Schaden
ist, den Ihr Charakter bei seinem Ziel verursacht hat, be-
schreibt der Erzähler die Auswirkungen des Angriffs. Der
Erzähler bringt Leben in die Ereignisse und sagt nicht ein-
fach: „Na gut, dein Gegner kriegt drei Stufen Schaden.“
Statt dessen könnte er den Ausgang eines Angriffs folgen-
dermaßen in Worte fassen: „Du jagst dem Typen drei volle
Ladungen in die Brust. Er strauchelt und stürzt zu Boden ...
und dann steht er einfach wieder auf. Aus seinen Wunden
steigt träge Rauch auf, und er beginnt zu grinsen, als er seine
Schrotflinte auf dich richtet.“ Indem er bestimmte Bilder
heraufbeschwört, verdichtet der Erzähler die Atmosphäre
und sorgt für spannende Abwechslung sowie eine gewisse
narrative Kontinuität bei einem Vorgang, der ansonsten
nur eine Aneinanderreihung von Würfen wäre.
SCHADENSARTEN
Alle Angriffe haben Schadenswerte, die die Anzahl der
Würfel angeben, die Sie benutzen können, um den Scha-
den zu bestimmen. Diese Würfel werden Schadenswürfel
genannt und in ihre genaue Anzahl spielen viele Faktoren
wie beispielsweise die Körperkraft des Angreifers oder die
Art der eingesetzten Waffe mit hinein.
Alle Schadenswürfe werden mit der Standardschwierigkeit
von 6 ausgeführt. Jeder erzielte Erfolg fügt dem Opfer eine
Stufe Schaden zu. Das Opfer kann versuchen, dem Scha-
den mit einem Absorptionswurf zu widerstehen (siehe
„Absorbieren“). Je nach Art des Angriffs können sich drei
verschiedene Schadenstypen ergeben:
• Schlagschaden: Ihr Charakter schlägt mit der Faust oder
einem stumpfen Gegenstand nach seinem Gegner. Dieser
Schaden wird das Opfer wahrscheinlich nicht sofort töten,
obwohl wiederholt zugefügter Schlagschaden durchaus zum
Tod führen kann. Sie können die Widerstandsfähigkeit Ihres
Charakters würfeln, um diese Art von Schaden zu absorbie-
ren. Schlagschaden verheilt recht schnell (nähere Informa-
tionen über Schlagschaden finden Sie auf Seite 297).
• Tödlicher Schaden: Von Treffern mit Schußwaffen,
durch scharfe Klingen oder Stürze aus großer Höhe ver-
ursachte Verletzungen können Ihren Charakter unter
Umständen augenblicklich töten. Gewöhnliche Sterbliche
können keinen Widerstandsfähigkeitswurf ablegen, um die-
se Art von Schaden zu absorbieren, aber die Gefallenen
und andere übernatürliche Wesen sind dazu durchaus in
der Lage. Es dauert ziemlich lange, diese Art von Schaden
auf normalem Wege zu heilen.
• Schwer heilbarer Schaden: Einige übernatürliche An-
griffe sind für die Gefallenen besonders gefährlich und kön-
nen schwer heilbaren Schaden verursachen. Ein solcher
Schaden kann normalerweise überhaupt nicht absorbiert
werden, es sei denn, eine besondere Kraft oder Begabung
bietet einen gewissen Schutz vor ihm. Schwer heilbarer
Schaden heilt genauso schnell – oder besser gesagt langsam
– wie tödlicher Schaden.
Die Anzahl der Schadenswürfel – ob Schlagschaden,
tödlicher Schaden oder schwer heilbarer Schaden – kann
ungeachtet aller möglichen Modifikatoren nicht unter eins
gesenkt werden. Selbst der schwächste Angriff, der sein Ziel
nicht verfehlt, kann eine kleinere Verletzung verursachen.
Bei Schadenswürfen haben Patzer keine weiteren Auswir-
kungen. Sie bedeuten einfach, daß Ihr Angriff harmlos am
Ziel abprallt.
ABSORBIEREN
Die natürliche Zähigkeit Ihres Charakters hilft ihm, un-
ter bestimmten Umständen Schaden zu widerstehen; Ihr
Charakter kann Schaden „absorbieren“. Ihr Würfelvorrat
zum Absorbieren entspricht dem Widerstandsfähigkeits-
wert Ihres Charakters. Gewöhnliche Sterbliche können
nur Schlagschaden absorbieren, wenn sie nicht über einen
287

speziellen Schutz vor verheerenderen Schadensarten ver-
fügen – wie etwa eine Rüstung oder ähnliches.
Während der Abwicklungsphase einer Kampfrunde dür-
fen Sie Ihren Würfelvorrat zum Absorbieren benutzen, um
dem Schaden zu widerstehen, den Ihr Charakter durch
Angriffe hinnehmen mußte. Da es sich hierbei um einen
Reflex handelt, kostet Sie dies keine Aktion; es geschieht
automatisch. Absorptionswürfe werden immer gegen eine
Schwierigkeit von 6 ausgeführt, solange die Schwierigkeit nicht
durch den Erzähler anderweitig modifiziert wird. Jeder erzielte
Erfolg verringert den verursachten Schaden um eine Stufe.
Wie auch bei allen Schadenswürfen können Sie bei einem
Absorptionswurf keinen echten Patzer mit den ansonsten
üblichen verheerenden Konsequenzen würfeln.
RÜSTUNG
Auch wenn Dämonen sich vor tödlichem Schaden schüt-
zen können, kann eine Rüstung für sie dennoch sehr nütz-
lich sein. Außerdem kann man mit einer Rüstung seine
Sklaven ausgezeichnet vor einer ganzen Reihe von Gefah-
ren schützen. Addieren Sie den jeweiligen Rüstungswert zu
Ihrem Widerstandsfähigkeitswert (oder Ihrem Glaubewert),
wenn Sie den Würfelvorrat zum Absorbieren von Schaden
zusammenstellen. Eine Rüstung kann Ihren Charakter vor
Schlagschaden und tödlichem Schaden beschützen, nicht
aber vor schwer heilbarem Schaden.
Ihre Gegner können sich entscheiden, ungeschützte Stel-
len an Ihrem Körper anzugreifen und somit die Rüstung zu
umgehen. Der Erzähler modifiziert die Schwierigkeit des
Angriffwurfs in solchen Fällen nach den auf dieser Seite
(siehe unten) angegebenen Regeln für Zielen.
Keine Rüstung ist unzerstörbar. Wenn der Schaden eines
einzelnen Angriffs größer oder gleich dem Rüstungswert ist,
wurde die Rüstung durch diesen Angriff zerstört.
Rüstungen können Ihre Bewegungsfreiheit einschränken,
weshalb Sie eine bestimmte Anzahl an Würfeln von allen
Würfelvorräten abziehen müssen, die mit Körperbeherr-
schung und Beweglichkeit in Verbindung stehen (meist han-
delt es sich hierbei um Würfe auf Geschick). Die jeweiligen
Abzüge finden Sie in der Rüstungstabelle auf Seite 294.
KAMPFMANÖVER
Die folgenden Systeme stellen Optionen dar, auf die
Charaktere im Kampf zurückgreifen können. Wenn Sie bei
der Beschreibung der Angriffe und Handlungen Ihres Cha-
rakters ein möglichst detailreiches Bild zeichnen – anstatt
einfach nur einen Wurf ablegen, um irgendeinen generi-
schen „Angriff“ durchzuführen –, wird die Geschichte um
einiges interessanter und dramatischer. Die meisten dieser
Manöver benötigen eine volle Handlung, um ausgeführt
zu werden.
ALLGEMEINE MANÖVER
• Angriffe von der Seite und von hinten: Greift Ihr Cha-
rakter sein Ziel von der Seite her an, können Sie Ihrem
Würfelvorrat für den Angriff einen zusätzlichen Würfel
hinzufügen. Wenn Ihr Charakter seinen Gegner von hin-
ten attackiert, zählen Sie zwei zusätzliche Würfel zu Ihrem
Würfelvorrat hinzu.
288
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
• Auf defensive Handlung zurückgreifen: Solange Ihr
Charakter in einer Runde noch nicht gehandelt hat,
kann er auf seine angesagte Handlung verzichten, um
auf eine defensive Handlung zurückzugreifen. Zu den
Handlungen, auf die zurückgegriffen werden kann, ge-
hören Abblocken, Ausweichen und Parade. Sie müssen
entweder einen erfolgreichen Willenskraftwurf (der als
Reflex zählt) gegen eine Schwierigkeit von 6 schaffen
oder einen Willenskraftpunkt einsetzen, damit sich Ihr
Charakter verteidigen kann. Scheitert der Willenskraft-
wurf, kann sich Ihr Charakter nicht verteidigen und
muß die von Ihnen ursprünglich angesagte Handlung
ausführen, sobald er laut seines Initiativeergebnisses an
der Reihe ist.
Sie verteidigen sich immer genau in demselben Au-
genblick, in dem der Angriff auf Sie stattfindet, selbst
wenn Sie nach der Initiativereihenfolge noch nicht an der
Reihe wären. Hat Ihr Charakter in dieser Runde bereits
gehandelt, kann er sich nicht mehr gegen den Angriff
verteidigen. (Die Beschreibungen der defensiven Manö-
ver Abblocken, Ausweichen und Parade finden Sie weiter
unten im Text im Abschnitt „Defensive Manöver“.)
• Blind kämpfen/feuern: Situationsbedingte Faktoren
wie beispielsweise Dunkelheit, Blindheit oder Verwun-
dungen können die Sicht während eines Kampfs behin-
dern. Einen Angriff durchzuführen, wenn man nichts
sehen kann, erhöht die Schwierigkeit des anstehenden
Wurfs im Nahkampf für gewöhnlich um zwei, während im
Fernkampf überhaupt keine irgendwie gezielten Angriffe
mehr möglich sind.
• Hinterhalt: Wenn Ihr Charakter sich an einen Gegner
anschleichen oder ihm in einem Versteck auflauern will,
um einen Überraschungsangriff auf ihn zu starten, wür-
feln Sie in einer Handlung gegen Widerstand Geschick
+ Heimlichkeit gegen Wahrnehmung + Aufmerksam-
keit des Opfers. Erzielen Sie mehr Erfolge als das Opfer,
können Sie einen freien Angriff gegen es vornehmen,
wobei alle in der Handlung gegen Widerstand zusätzlich
erzielten Erfolge (also alle nach dem ersten) als Würfel in
Ihren Vorrat für den anstehenden Angriffswurf eingehen.
Bei einem Unentschieden darf der Angreifer zwar immer
noch zuerst handeln, aber das Opfer kann auf eines der
defensiven Manöver Abblocken, Ausweichen oder Para-
de zurückgreifen. Erzielt das Opfer mehr Erfolge als der
heimliche Angreifer, sieht es seinen Gegner kommen und
beide Beteiligten würfeln ganz normal ihre Initiative aus.
Ziele, die bereits in einen Kampf verwickelt sind, können
nicht in einen Hinterhalt geraten.
• Zielen: Wenn Ihr Charakter einen gezielten Schuß ab-
geben oder eine bestimmte Körperpartie des Ziels treffen
soll, erhöht sich dadurch die Schwierigkeit des Angriffs-
wurfs. Dafür kann er entweder die Rüstung oder die Dek-
kung seines Gegners umgehen oder zusätzlichen Schaden
verursachen. Ein gezielter Schuß, Schlag oder Stich kann
neben simplem Schaden auch noch andere, schwerwie-
gendere Folgen nach sich ziehen – wie zum Beispiel die
Zerstörung eines Gegenstands, das Blenden eines Gegners
oder das Entwaffnen eines Angreifers.
KAPITEL NEUN

Größe des Ziels Schwierigkeit Schaden rakter von einem Angriff überrascht, fällt es ihm schwer,
Mittelgroß +1 Kein Modifikator schnell genug zu reagieren, um die unerwartete Attacke
(Bein, Arm, richtig abzublocken oder zu parieren. Ihr Erzähler entschei-
Aktentasche) det darüber, welches defensive Manöver in der aktuellen
Klein +2 +1 Situation einigermaßen realistische Erfolgsaussichten hat.
(Hand, Kopf, Bei allen defensiven Manövern kommt dasselbe Grund-
Waffe) system zum Einsatz. Jedes dieser Manöver wird wie eine
Winzig +3 +2 Handlung gegen Widerstand gehandhabt, wobei Ihr Vertei-
(Auge, Herz, digungswurf mit dem Angriffswurf Ihres Gegners verglichen
Vorhängeschloß) wird. Erzielt der Angreifer gleich viele oder weniger Erfolge
als der Verteidiger, mißlingt der Angriff. Erzielt der Vertei-
DEFENSIVE MANÖVER diger weniger Erfolge, wird deren Anzahl von den Erfolgen
Wenn er angegriffen wird, kann sich Ihr Charakter ent- des Angreifers abgezogen. Alle verbliebenen Erfolge wer-
scheiden, seine ursprünglich geplanten Handlungen auf- den zu den Schadenswürfeln für den Angriff hinzuaddiert.
zugeben und sich statt dessen zu verteidigen. So lange Ihr So kann der Verteidiger zumindest den Schaden verringern,
Charakter in der entsprechenden Runde noch nicht gehan- selbst wenn er dem Angriff vielleicht nicht ganz entgeht.
delt hat, kann er versuchen, einem kommenden Angriff • Abblocken (Geschick + Handgemenge): Bei diesem
auszuweichen, ihn abzublocken oder ihn zu parieren. Um Manöver setzt Ihr Charakter seinen eigenen Körper dazu
ein solches defensives Manöver zu versuchen, müssen Sie ein, einen Nahkampfangriff abzuwehren, der Schlagscha-
entweder einen erfolgreichen Willenskraftwurf (Schwie- den verursachen würde. Angriffe, die tödlichen Schaden
rigkeit 6) schaffen oder einen Willenskraftpunkt einsetzen verursachen, können normalerweise nicht abgeblockt wer-
(siehe „Auf defensive Handlung zurückgreifen“). Scheitert den, es sei denn, der Verteidiger kann aus irgendeinem
der Willenskraftwurf, muß Ihr Charakter seine angekün- Grund tödlichen Schaden absorbieren. Fernkampfangriffe
digte Handlung gemäß der vorher durch die Initiative fest- können nicht abgeblockt werden.
gelegten Reihenfolge ausführen und kann sich nicht gegen • Ausweichen (Geschick + Ausweichen): Ihr Charakter
den Angriff verteidigen. kann sich zur Seite werfen, ducken oder wegtauchen, um ei-
Ihr Charakter kann sich gegen so gut wie jeden Angriff nem Angriff auszuweichen, wobei davon ausgegangen wird,
verteidigen, indem er ausweicht, blockt oder pariert. Nicht daß ihm ausreichend Platz für dieses Manöver zur Verfügung
jede dieser Optionen ist jedoch in allen Situationen mög- steht. Wenn dem nicht so ist, kann der Erzähler ein Auswei-
lich. Die räumlichen Verhältnisse können so beengt sein, chen verbieten. Bei einem Nahkampf oder einem Hand-
daß sie ein Ausweichen unmöglich machen. Wird Ihr Cha- gemenge weicht der Verteidiger einem Angriff aus, ohne

289

sich allzu weit von seinem ursprünglichen Standort weg zu
bewegen. Bei einem Fernkampfangriff, wie er beispielsweise
im Verlauf eines Feuergefechts erfolgt, bewegt sich der Ver-
teidiger mindestens einen Meter, wonach er sich in Deckung
befindet oder flach auf den Boden geworfen hat. (Was sich
im Anschluß an dieses Manöver ergeben kann, erfahren Sie
auf Seite 292 unter dem Abschnitt „Deckung“.)
• Parade (Geschick + Nahkampf): Ihr Charakter setzt
eine Waffe dazu ein, um einen bewaffneten oder unbe-
waffneten Angriff im Nahkampf abzuwehren. Wenn Ihr
Charakter eine Waffe zu seiner Verteidigung einsetzt, die
tödlichen Schaden verursacht, kann der Angreifer durch
eine erfolgreiche Parade sogar verletzt werden. Erzielen Sie
mit Ihrem Verteidigungswurf mehr Erfolge als der Angreifer,
können Sie den Grundschaden der Waffe zu der Anzahl der
zusätzlichen Erfolge Ihres Wurfs hinzuzählen. Das Gesamt-
ergebnis bildet Ihren Würfelvorrat für den Schadenswurf,
bei dem Sie ermitteln, wieviel Schaden Ihr Charakter beim
Angreifer verursacht.
ERSCHWERNISSE BEI DER VERTEIDIGUNG
Obwohl die Handlungen der Charaktere in einer Runde
einer bestimmten Ordnung folgen, die aus dem Initiative-
wurf resultiert, ist es wichtig, nicht zu vergessen, daß sich
die gesamten Kampfhandlungen innerhalb einer Zeitspanne
von nur drei Sekunden abspielen. Das läßt die Ereignisse
beinahe gleichzeitig ablaufen. Deshalb kann sich Ihr Cha-
rakter auch gegen Angriffe verteidigen, die später in der
Runde erfolgen, sofern Sie mehrfache Handlungen ansagen
und beabsichtigen, eine offensive und eine defensive Hand-
lung durchzuführen oder sich die ganze Runde über nur zu
verteidigen. Dies unterscheidet sich von dem, was passieren
würde, wenn Sie Ihre angesagte Handlung aufgeben, um sich
gegen einen Angriff zu verteidigen, der erfolgt, noch ehe Sie
eigentlich an der Reihe wären. Wenn Sie auf eine defensive
Handlung zurückgreifen, geben Sie Ihre reguläre Handlung
auf und können sich auch nicht mehr gegen später in der
Runde erfolgende Angriffe verteidigen.
Wenn Sie mehrere Handlungen durchführen wollen, zu
denen sowohl offensive als auch defensive Manöver zählen,
greift Ihr Charakter an, wenn er gemäß seiner ermittelten
Initiative an der Reihe ist und kann sich anschließend
gegen Angriffe verteidigen, die von Charakteren gemacht
werden, die eine niedrigere Initiative haben als er selbst. In
diesem Fall kommt das System für mehrfache Handlungen
zum Einsatz, wodurch die defensiven Manöver von Mal zu
Mal schwieriger werden (siehe „Mehrfache Handlungen“
auf Seite 269).
Achten Sie darauf, daß mehrere Gegner das Verteidigen
erschweren und die Schwierigkeit erhöhen, gegen die Sie
würfeln müssen (siehe „Mehrere Gegner“ auf Seite 291).
Sie haben auch die Möglichkeit, sich in einer Runde
ganz auf die Verteidigung zu konzentrieren und überhaupt
nicht anzugreifen. Wie auch schon im zuvor beschriebenen
System erläutert, unterscheidet sich diese Art der Vertei-
digung vom Zurückgreifen auf eine defensive Handlung
zur Abwehr eines Angriffs. Statt dessen verteidigen Sie
sich ausschließlich gegen Angriffe, die laut der ermittelten
Initiativereihenfolge zeitgleich oder nach den Handlun-
290
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
MANÖVERCHARAKTERISTIKA
Normalerweise werden die Würfe für alle Kampf-
manöver gegen eine Schwierigkeit von 6 abgelegt. Be-
stimmte Auswirkungen und situationsbedingte Fakto-
ren können die Schwierigkeit oder den Würfelvorrat
des Angriffswurfs sowie die Schadenswürfel jedoch
beeinflussen. Die folgenden Kategorien beschreiben
die Charakteristika von Manövern, wie sie in den Re-
geln dieses Kapitels vorgestellt werden.
• Eigenschaften: Die Kombination aus Attribut +
Fähigkeit, die bei diesem Manöver eingesetzt wird.
Falls Ihr Charakter die vom Wurf geforderte Fähigkeit
nicht besitzen sollte, können Sie den Wurf auch nur
mit dem jeweiligen Attribut ausführen. Die Schwie-
rigkeit des Wurfs wird dann nach den Regeln auf Seite
268 modifiziert.
• Genauigkeit: Einige Manöver verleihen dem An-
griffswurf zusätzliche Würfel. Ein Modifikator von +3
beispielsweise vergrößert den Würfelvorrat des An-
greifers um drei Würfel.
• Schwierigkeit: Einige Manöver sind mit Modifi-
katoren versehen, die sich positiv oder negativ auf
die Schwierigkeit des Angriffswurfs auswirken. Die
Grundschwierigkeit dieser Würfe beträgt 6, wobei sie
durch die angegebenen Modifikatoren erhöht oder
gesenkt werden kann. Ein Wert von +2 bedeutet, daß
die Schwierigkeit des Angriffswurfs – die zuvor 6 be-
trug – auf 8 erhöht wird.
• Schaden: Diese Kategorie gibt an, wie groß die Zahl
der Schadenswürfel ist.
gen Ihres Charakters stattfinden. Ihr Charakter kann sich
nicht gegen Angriffe verteidigen, die gegen ihn ausgeführt
werden, bevor er laut seiner Initiative an der Reihe wäre.
Versucht Ihr Charakter in einer Runde nichts anderes,
als sich auf diese Weise zu verteidigen, kommt nicht das
reguläre System für mehrfache Handlungen zum Einsatz.
Vielmehr steht Ihnen für die erste Handlung, die der Ver-
teidigung dient, der komplette Würfelvorrat zur Verfügung.
Anschließend müssen Sie für jedes weitere defensive Ma-
növer, das Sie in dieser Runde ausführen, einen Würfel
vom Würfelvorrat abziehen. Sobald Ihr Würfelvorrat auf
null reduziert ist, ist Ihr Charakter nicht länger dazu in
der Lage, sich gegen Angriffe zu verteidigen. Es ist sehr
schwer, einem wahren Hagel von Angriffen vollkommen
unbeschadet zu entgehen.
NAHKAMPFMANÖVER
Der folgende Abschnitt ist eine einfache Auflistung von
allgemeinen Manövern, die Ihr Charakter im Nahkampf
anwenden kann. Er kann allerdings auch eigene entwik-
keln; der Erzähler legt die entsprechenden Eigenschaften
und Schwierigkeiten sowie die Genauigkeit und den Scha-
den für ein selbstentwickeltes Nahkampfmanöver fest.
Solange nichts anderes angegeben ist, verursachen alle
auf Handgemenge basierenden Manöver Schlagschaden. Im
KAPITEL NEUN
bewaffneten Kampf bestimmt die Art der Waffe die Art des
verursachten Schadens (siehe die Nahkampfwaffentabelle
auf Seite 294). Der Schaden einer Waffe wird üblicherweise
als tödlich angesehen, obwohl stumpfe Gegenstände wie
etwa Knüppel oder Baseballschläger lediglich Schlagscha-
den anrichten. Keine Waffe kann schwer heilbaren Schaden
verursachen, solange sie nicht auf übernatürliche Weise ver-
bessert wird. Körpereigene Waffen wie Hörner oder Klauen
können jede der drei Schadensarten anrichten.
Je nach Kampfstil, den Ihr Charakter anwendet, kann Ihr
Erzähler alle in diesem Abschnitt genannten Schwierigkeits-
grade und Schadenswerte für Manöver abändern. Behalten
Sie im Hinterkopf, daß alles, was eine Szene dramatischer
oder dynamischer macht, wichtiger ist als eine Regel.
• Beinfeger: Bei diesem Manöver versucht ein Charakter,
seinen Gegner zu Fall zu bringen, indem er ihm ein Bein
stellt oder eine Waffe wie einen Stab oder eine Kette einsetzt.
Ist der Wurf des Angreifers erfolgreich, erleidet der Vertei-
diger Schaden, der dem Körperkraftwert des Angreifers ent-
spricht, und muß einen erfolgreichen Wurf auf Geschick +
Sportlichkeit (Schwierigkeit 8) schaffen, um nicht zu Boden
zu gehen (siehe „Manövererschwernisse“ auf Seite 293).
Eigenschaften: Geschick + Handgemenge/Nahkampf
Schwierigkeit: +1
Genauigkeit: Normal Schaden: Körperkraft; Vertei-
diger geht zu Boden
• Entwaffnen: Ihr Charakter kann einem Gegner die Waffe
aus der Hand schlagen, wenn Ihnen einen Angriffswurf mit
einer Schwierigkeit von +1 gelingt (für gewöhnlich beträgt
die Schwierigkeit damit 7). Ist der Wurf erfolgreich, kann
der durch dieses Manöver verursachte Schaden ermittelt
werden. Sollte der gewürfelte Schaden den Körperkraftwert
des Verteidigers übersteigen, ist es dem Angreifer gelungen,
ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen. Der Verteidiger
erleidet dabei keinen Schaden, da sich der Angriff allein
gegen die Waffe und nicht gegen ihren Träger richtet. Bei
einem Patzer läßt der Angreifer seine Waffe fallen oder
springt direkt in einen Hieb des Verteidigers hinein.
Eigenschaften: Geschick + Handgemenge/Nahkampf
Schwierigkeit: +1
Genauigkeit: Normal Schaden: Speziell
• Hieb: Ihr Charakter schlägt einfach nur mit der Faust
oder der Handkante zu. Der Standardangriff eines solchen
Manövers wird als einfache Handlung betrachtet und die
Schadenswürfel entsprechen dem Körperkraftwert des
Charakters. Ihr Erzähler kann die Schwierigkeit und/oder
die Anzahl der Schadenswürfel erhöhen, wenn der Angriff
komplexeren Abläufen folgt oder gegen eine bestimmte
Körperpartie gerichtet sein soll. Die meisten Angriffe, bei
denen körpereigene Waffen (Klauen, Fänge, etc.) zum Ein-
satz kommen, sind lediglich Variationen eines Hiebs.
Eigenschaften: Geschick + Handgemenge Schwierig-
keit: Normal
Genauigkeit: Normal Schaden: Körperkraft
• Hieb mit einer Waffe: Bei diesem Manöver setzt Ihr
Charakter eine Waffe ein, um einen Hieb, Stich oder Stoß
durchzuführen. Nähere Informationen hierzu finden Sie in
der Nahkampfwaffentabelle auf Seite 294.
Eigenschaften: Geschick + Nahkampf
Schwierigkeit: +1
Genauigkeit: Normal Schaden: Je nach Waffenart
• Infight: Der Angreifer nähert sich dem Verteidiger soweit
wie möglich, unterläuft dessen Deckung und setzt ihm so
sehr zu, daß der Verteidiger nicht selbst zum Angriff über-
gehen kann. Mit einem erfolgreichen Angriffswurf geht der
Angreifer mit seinem Widersacher in den Infight. In der
ersten Runde kann der Angreifer Körperkraft würfeln, um
den von ihm verursachten Schaden zu bestimmen. In jeder
folgenden Runde handeln die beiden Widersacher der In-
itiativereihenfolge nach. Der Angreifer kann durch weite-
res Bedrängen (sprich, durch seine Körperkraft) versuchen,
dem Verteidiger automatisch weiteren Schaden zuzufügen;
ein Angriffswurf ist nicht mehr notwendig. Das Opfer kann
versuchen, aus dem Infight auszubrechen. Solange der Ver-
teidiger nicht aus dem Infight ausbrechen kann, kann keiner
der Widersacher irgendeine andere Handlung ausführen.
Der Verteidiger würfelt in einer Handlung gegen Widerstand
selbst Körperkraft + Handgemenge. Erzielt er mehr Erfolge
als der Angreifer, kann er aus dem Infight ausbrechen. Jedes
andere Ergebnis läßt den Infight zwischen den beiden Kon-
trahenten in der nächsten Runde weitergehen.
Eigenschaften: Körperkraft + Handgemenge
Schwierigkeit: Normal
Genauigkeit: Normal Schaden: Körperkraft
• Mehrere Gegner: Die Schwierigkeit aller Angriffs- und
Verteidigungswürfe eines Charakters, der im Nahkampf
gegen mehrere Gegner antritt, steigt kumulativ für jeden
Gegner nach dem ersten um eins (bis zu einem Maximum
von +4).
• Packen: Dieses Manöver ähnelt dem Infight, wobei der
Angreifer allerdings nicht beabsichtigt, dem gepackten
Charakter tatsächlich Schaden zuzufügen, sondern ihn
lediglich bewegungsunfähig zu machen. Sollte Ihnen der
Angriffswurf gelingen, kann Ihr Charakter seinen Gegner
bis zu dessen nächster Handlung festhalten. Dann würfeln
beide Spieler in einer Handlung gegen Widerstand Kör-
perkraft + Handgemenge. Erzielt Ihr Gegner mehr Erfolge
als Sie, hat er sich aus Ihrer Umklammerung gelöst. Wenn
nicht, bleibt er bis zu seiner nächsten Handlung bewe-
gungsunfähig – dann kann er erneut versuchen, sich aus
Ihrem Griff zu befreien.
Eigenschaften: Körperkraft + Handgemenge
Schwierigkeit: Normal
Genauigkeit: Normal Schaden: –
• Rammstoß: Bei diesem Manöver stürmt der Angreifer
auf sein Ziel zu und versucht, es zu Boden zu schleudern.
Die Schwierigkeit des Angriffs wird um eins erhöht. Ist der
Wurf erfolgreich, erleidet das Ziel Körperkraft +1 Schlag-
schaden. Beide Spieler müssen einen erfolgreichen Wurf
auf Geschick + Sportlichkeit (Schwierigkeit 7) schaffen,
um zu verhindern, daß ihre Charaktere zu Boden gehen
(siehe „Manövererschwernisse“ auf Seite 293). Selbst wenn
das Ziel Erfolg bei seinem Sportlichkeitswurf hat, so wird
es doch vorübergehend aus dem Gleichgewicht gebracht,
weshalb die Schwierigkeit für alle Handlungen, die es in der
folgenden Runde ausführen will, um eins erhöht wird.
Eigenschaften: Körperkraft + Handgemenge
Schwierigkeit: +1
291

Genauigkeit: Normal Schaden: Körperkraft +1
• Tritt: Ein einfacher Tritt gegen das Schienbein erhöht
die Schwierigkeit des Angriffswurfs um eins und verursacht
Körperkraft +1 Schaden. Ihr Erzähler kann sowohl die
Schwierigkeit als auch den Schaden erhöhen, wenn Ihr
Charakter einen schwierigen Drehkick gegen den Kopf
seines Gegners oder eine ähnlich komplexe Variante dieses
Manövers einsetzen möchte.
Eigenschaften: Geschick + Handgemenge Schwierig-
keit: +1
Genauigkeit: Normal Schaden: Körperkraft +1
FERNKAMPFMANÖVER
Viele gewaltsame Auseinandersetzungen schließen den
Gebrauch von Fernwaffen ein, und es gibt eine ganze Reihe
von Strategien, die bei solchen Fernkämpfen zum Einsatz
kommen. Die im Folgenden beschriebenen Systeme bieten
Ihnen die Möglichkeit, eine Vielzahl von Strategien schnell
und einfach abzuhandeln. Nehmen Sie sich ruhig die Frei-
heit, eigene Manöver zu entwickeln. Die Schußwaffenta-
belle auf Seite 294 liefert weitere Informationen.
• Deckung: Ihr Charakter kann sich hinter eine Mauer
ducken, sich flach auf den Boden werfen oder eine andere
Person als lebendes Schutzschild mißbrauchen, um einem
Treffer zu entgehen. All diese Manöver gelten als Deckung
und erhöhen die Schwierigkeit eines Angreifers beim Ver-
such, Ihren Charakter zu treffen. Allerdings kann Ihr Cha-
rakter durch die Deckung beim Ausüben eigener Handlun-
gen ebenfalls behindert werden. Die Schwierigkeit, einen
Charakter zu treffen, der sich in Deckung befindet, steigt
gemäß der untenstehenden Tabelle an.
Umgekehrt wird es auch für einen in Deckung befindli-
chen Charakter schwerer, ein Ziel zu treffen, da er sich kurz
aus seiner Deckung herausbegeben muß, um zu feuern, ehe
er anschließend umgehend wieder den Kopf einzieht. Erwi-
dert ihr Charakter aus seiner Deckung heraus das Feuer, ist
der Modifikator der Schwierigkeit für seinen Angriffswurf
um eins geringer als in der untenstehenden Tabelle für die
Art seiner Deckung angegeben. Folglich wird die Schwie-
rigkeit für Ihren Wurf zum Erwidern des Feuers nicht er-
höht, wenn der aufgeführte Schwierigkeitsmodifikator nur
+1 beträgt.
Gehen beide Kontrahenten in Deckung, wirken sich die
Modifikatoren der jeweiligen Schwierigkeit kumulativ aus.
Ist Ihr Charakter also beispielsweise hinter einem Auto in
Schutz gegangen und sein Ziel hat sich zu Boden gewor-
fen, wird die Schwierigkeit für Ihren Angriffswurf um zwei
erhöht (+1 dafür, daß Ihr Charakter auf ein am Boden
liegendes Ziel feuert, und +1 dafür, daß er selbst hinter
einem Auto steht). Die Schwierigkeit des Wurfs Ihres Geg-
ners wird ebenfalls um zwei erhöht (+2 dafür, daß er auf
ein hinter einem Auto stehendes Ziel feuert – daß er da-
bei selbst auf dem Boden liegt, hat keinen Einfluß auf die
Schwierigkeit).
Deckung Schwierigkeit
Einfach (auf dem Boden liegend, +1
hinter einem Laternenmast stehend)
Gut (hinter einem Auto) +2
Ausgezeichnet (hinter einer Ecke) +3
292
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
• Dreiersalve: Bei diesem Manöver feuert Ihr Charakter
drei Schüsse aus dem Magazin auf ein einzelnes Ziel ab,
wodurch Sie zwei zusätzliche Würfel für Ihren Angriffswurf
erhalten. Nur bestimmte Waffen verfügen über diesen Feu-
ermodus (nähere Informationen hierzu finden Sie in der
Schußwaffentabelle). Der Rückstoß der Waffe erhöht die
Schwierigkeit des Angriffswurfs um eins. Wie bei vollau-
tomatischem Feuer beruhen die Schadenswürfel auf einer
Kugel der eingesetzten Waffe.
Eigenschaften: Geschick + Schußwaffen
Schwierigkeit: +1
Genauigkeit: +2 Schaden: Je nach Waffe
• Mehrere Schüsse: Ein Charakter kann im Zuge einer
mehrfachen Handlung mehr als nur einen Schuß pro Run-
de abfeuern. Der Würfelvorrat des ersten Schusses wird um
die Gesamtzahl aller abgegebenen Schüsse verringert, und
für jeden weiteren Schuß verringert sich der Würfelvorrat
kumulativ um einen weiteren Würfel. Ein Angreifer kann
eine maximale Anzahl von Schüssen pro Runde abgeben,
die durch die Schußfolge der Waffe vorgegeben ist.
Eigenschaften: Geschick + Schußwaffen
Schwierigkeit: Normal
Genauigkeit: Speziell Schaden: Je nach Waffe
• Nachladen: Wenn Ihr Charakter seine Waffe nachladen
will, muß er für diese Handlung eine volle Runde opfern.
Während des Nachladens kann er als Teil einer mehrfa-
chen Handlung auch noch andere Dinge tun, sofern der
Erzähler ihm dies gestattet.
• Reichweite: Die Schußwaffentabelle auf Seite 294 führt
die kurze Reichweite jeder Waffe an. Alle Angriffe, die auf
diese Entfernung erfolgen, haben eine Schwierigkeit von 6.
Das Doppelte dieses Werts ist die Höchstreichweite. Alle
Angriffe, die bis zu dieser Entfernung erfolgen, haben eine
Schwierigkeit von 8. Angriffe auf Ziele in einem Umkreis
von zwei Metern gelten als Kernschüsse. Kernschüsse wer-
den gegen eine Schwierigkeit von 4 abgegeben.
• Streufeuer: Anstatt auf nur ein Ziel zu feuern, kann man
mit vollautomatischen Waffen einen größeren Bereich un-
ter Beschuß nehmen. Streufeuer fügt der Genauigkeit eines
Standardangriffwurfs zehn Würfel hinzu und entleert das
Magazin der Waffe völlig. Mit diesem Manöver kann ein
Bereich von maximal drei Metern abgedeckt werden.
Sie müssen lediglich einen Angriffswurf ausführen und
– sofern dieser erfolgreich ist – die erzielten Erfolge gleich-
mäßig auf die verschiedenen Ziele im abgedeckten Bereich
aufteilen. Die auf jedes Ziel verteilten Erfolge werden auch
zum Schadenswurf für dieses Ziel hinzuaddiert. Sollte sich
nur ein Ziel innerhalb des Streubereichs oder der Reichweite
Ihrer Waffe aufhalten, wird er nur von der Hälfte der erziel-
ten Erfolge betroffen. Erwürfeln Sie weniger Erfolge, als zu
treffende Ziele vorhanden sind, verteilen Sie oder Ihr Erzäh-
ler die einzelnen Erfolge der Reihe nach, bis alle zugewiesen
worden sind. (Ihr Erzähler kann bestimmen, daß die Erfolge
zufällig auf die Ziele verteilt werden; andere Ziele können
dadurch vor Schaden verschont bleiben). Ausweichenwürfe
gegen Streufeuer erfolgen mit einer Schwierigkeit von +1.
Eigenschaften: Geschick + Schußwaffen
Schwierigkeit: +2
Genauigkeit: +10 Schaden: Speziell
KAPITEL NEUN

• Vollautomatik: Bei diesem Manöver feuert Ihr Charak-
ter mit nur einer Handlung die gesamte Munition seiner
Waffe auf ein einziges Ziel ab. Sie führen nur einen einzigen
Wurf durch, bei dem Sie die Genauigkeit der Waffe um
zehn Würfel erhöhen. Aufgrund des starken Rückstoßes
steigt die Schwierigkeit des Wurfs allerdings um zwei. Die
Anzahl aller zusätzlich erzielten Erfolge wird zu den Scha-
denswürfeln hinzugezählt, deren Grundanzahl der einer
einzigen Kugel entspricht. Ein Charakter, der vollautoma-
tisches Feuer einsetzt, kann keine gezielten Schüsse auf
eine bestimmte Körperpartie (im Fall einer Person) oder
auf einen bestimmten Bereich seines Ziels (im Fall eines
Gegenstands) abgeben. Ihr Charakter kann dieses Manöver
nur dann ausführen, wenn das Magazin seiner Waffe noch
mindestens halbvoll ist.
Eigenschaften: Geschick + Schußwaffen
Schwierigkeit: +2
Genauigkeit: +10 Schaden: Speziell
• Zielen: Der Angreifer fügt für jede Runde, die er mit
Zielen verbringt, dem Würfelvorrat für einen Schuß einen
zusätzlichen Würfel hinzu. Das Maximum der so hinzu-
gewonnenen Würfel entspricht dem Wahrnehmungswert
des Charakters, und der Charakter muß zudem mindestens
einen Punkt in der Fertigkeit Schußwaffen besitzen, um
dieses Manöver durchführen zu können. Sollte die Waf-
fe mit einem Zielfernrohr ausgestattet sein, werden dem
Würfelvorrat zwei weitere Würfel hinzugefügt (zusätzlich
zu jenen, die allein auf der Wahrnehmung des Charakters
beruhen). Während Ihr Charakter ein Ziel anvisiert, muß
er sich voll und ganz auf diese Handlung konzentrieren und
ist während dieser Zeitspanne zu keinen anderen Aktionen
fähig. Hat er noch nicht geschossen und übt eine Handlung
aus – und sei es auch nur, um sich selbst gegen einen An-
griff zu verteidigen –, sind die Vorteile des Zielens verloren.
Ihr Charakter kann kein Ziel anvisieren, das sich schneller
als in normalem Schrittempo bewegt.
• Zwei Waffen: Das Abfeuern zweier Waffen bringt dem
Angreifer zwar einen deutlichen Vorteil, bringt aber auch
einige Komplikationen mit sich. Zum einen gilt der Einsatz
zweier Waffen als mehrfache Handlung einschließlich ver-
ringerter Würfelvorräte für die Gesamtanzahl abgegebener
Schüsse und den entsprechenden Rückstoß. Zum anderen
wird die Schwierigkeit für die „falsche“ Hand um eins er-
höht, sofern der Charakter nicht beidhändig begabt ist. Der
Angreifer kann eine Anzahl von Schüssen bis zur vollen
Schußfolge der beiden eingesetzten Waffen abgeben.
Eigenschaften: Geschick + Schußwaffen
Schwierigkeit: +1 für die „falsche Hand“
Genauigkeit: Speziell Schaden: Je nach Waffe
MANÖVERERSCHWERNISSE
Es folgen einige übliche Komplikationen, die im Kampf
auftreten können. Der Erzähler sollte sich die Freiheit
nehmen, neue Erschwernisse zu entwickeln, wenn es die
Situation verlangt.
• Betäubung: Überschreiten die Schadenserfolge eines
Angriffs den Widerstandsfähigkeitswert (bei Menschen)
oder den Widerstandsfähigkeitwert +2 (bei Dämonen) des
Getroffenen, so gilt dieser als betäubt. Nur die Erfolge, die
nach dem Absorptionswurf des Opfers übrigbleiben, zählen
und werden mit seiner Widerstandsfähigkeit verglichen.
Ein betäubtes Opfer büßt seine nächste Handlung ein und
kann in dieser Zeit weder agieren noch reagieren.
• Bewegungsunfähigkeit: Wenn Ihr Charakter einen Geg-
ner angreift, der zwar ruhiggestellt ist, sich aber immer
noch wehren kann (beispielsweise wenn er von jemandem

NAHKAMPFMANÖVERTABELLE
Manöver Eigenschaften Genauigkeit Schwierigkeit Schaden
Abblocken Geschick + Handgemenge Speziell Normal (V)
Ausweichen Geschick + Ausweichen Speziell Normal (V)
Beinfeger Geschick + Handgemenge/Nahkampf Normal +1 Körperkraft(B)
Entwaffnen Geschick + Handgemenge/Nahkampf Normal +1 Speziell
Hieb Geschick + Handgemenge Normal Normal Körperkraft
Hieb mit einer Waffe Geschick + Nahkampf Normal Normal Je nach Waffe
Infight Körperkraft + Handgemenge Normal Normal Körperkraft (M)
Packen Körperkraft + Handgemenge Normal Normal (M)
Parade Geschick + Nahkampf Speziell Normal (V)
Rammstoß Körperkraft + Handgemenge Normal +1 Körperkraft +1 (B)
Tritt Geschick + Handgemenge Normal +1 Körperkraft +1
(B): Das Manöver kann ein Opfer zu Boden gehen lassen.
(M): Das Manöver wird über mehrere Runden hinweg fortgesetzt.
(V): Das Manöver verringert die Angriffserfolge eines Gegners.

FERNKAMPFMANÖVERTABELLE
Manöver Eigenschaften Genauigkeit Schwierigkeit Schaden
Dreiersalve Geschick + Schußwaffen +2 +1 Je nach Waffe
Mehrere Schüsse Geschick + Schußwaffen Speziell Normal Je nach Waffe
Streufeuer Geschick + Schußwaffen +10 +2 Je nach Waffe
Vollautomatik Geschick + Schußwaffen +10 +2 Je nach Waffe
Zwei Waffen Geschick + Schußwaffen Speziell +1 für die falsche Hand Je nach Waffe

293
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

RÜSTUNGSTABELLE NAHKAMPFWAFFEN
Klasse Rüstungswert Abzug Waffe Schaden Versteck
Klasse Eins 1 0 Totschläger Körperkraft + 1 T
(robuste Kleidung) Knüppel Körperkraft + 2 M
Klasse Zwei 2 1 Messer Körperkraft + 1 J
(wattiertes T-Shirt) Schwert Körperkraft + 2 M
Klasse Drei 3 1 Kleine Axt Körperkraft + 2 M
(Splitterschutzweste) Große Axt Körperkraft + 3 N
Klasse Vier 4 2 Waffe: Ihr Charakter kann viele andere Gegenstände
(kugelsichere Weste) als Waffe einsetzen (Fleischermesser, Bleistifte, Rasier-
Klasse Fünf 5 3 klingen, Stühle). Orientieren Sie sich bei improvisier-
(Vollrüstung) ten Waffen an dieser Liste für Nahkampfwaffen, um
die passenden Werte zu ermitteln.
Tarnung: T = kann in einer Tasche versteckt werden;
J = kann in einer Jacke versteckt werden; M = kann
festgehalten wird), können Sie Ihrem Angriffswurf zwei in einem Mantel versteckt werden; N = kann über-
Würfel hinzufügen. Ist das Opfer absolut bewegungsunfähig haupt nicht am Körper versteckt werden.
(gefesselt oder auf irgendeine Weise vollkommen gelähmt),
treffen alle Angriffe automatisch.
• Blind: Alle Angriffe gegen ein blindes Ziel werden mit
zwei zusätzlichen Angriffswürfeln vorgenommen. Umge- solch unglücklichen Winkel auf, daß er automatisch eine
kehrt erfolgen alle Handlungen blinder Charaktere mit Stufe Schlagschaden erleidet.
einer Schwierigkeit von +2. Manöver wie Rammstoß und Beinfeger sind darauf aus-
• Zu Boden gehen: In diesem Fall stürzt Ihr Charakter gelegt, einen Gegner zu Boden zu werfen. Allerdings ist
oder wird zu Boden geschleudert. Wenn Sie einen er- auch jeder besonders heftige Angriff – wie beispielsweise
folgreichen Wurf auf Geschick + Sportlichkeit schaffen, ein mächtiger Fausthieb oder ein Treffer mit einer stumpfen
kommt Ihr Charakter sofort wieder auf die Beine, aber Schlagwaffe – in der Lage, ein Ziel von den Füßen holen. In
seine Initiative für die nächste Runde wird dennoch um diesen Fällen entscheidet Ihr Erzähler, ob die Auswirkun-
zwei verringert. Scheitert der Wurf, braucht Ihr Charakter gen eines Treffers ausreichen, um einen Charakter umzu-
die gesamte nächste Runde, um wieder aufzustehen. Bei werfen. Normalerweise geschieht dies nur, wenn die Szene
einem Patzer schlägt Ihr Charakter so hart oder in einem dadurch an Dramatik gewinnt oder es besonders gut zum
Verlauf der Geschichte paßt.

SCHUSSWAFFENTABELLE
Typ Schaden Reichweite Schußfolge Magazin Versteck Beispiel
Leichter Revolver 4 12 3 6 T SW M640 (.38 Special)
Schwerer Revolver 6 35 2 6 J Colt Anaconda (.44 Magnum)
Leichte Pistole 4 20 4 17 + 1 T Glock 17 (9mm)
Schwere Pistole 5 30 3 7+1 J Sig P 220 (.45 ACP)
Gewehr 8 200 1 5+1 N Remington M-700 (30.06)
Leichte MP* 4 25 3 30 + 1 J Ingram Mac-10 (9mm)
Schwere MP* 4 50 3 30 + 1 M HK MP-5 (9mm)
Sturmgewehr* 7 150 3 42 + 1 N Steyr-Aug (5.56mm)
Schrotflinte 8 20 1 5+1 M Ithaca M-37 (Kaliber 12)
Schrotflinte, 8 20 3 8 +1 M Fiachi-Law 12 (Kaliber 12)
halbautomatisch
Schaden: Gibt die Schadenswürfel an.
Reichweite: Dieser Wert gibt die durchschnittliche Reichweite der Waffe in Metern an. Ein Charakter kann doppelt
so weit feuern, aber solche Angriffe werden allerdings als Fernschuß gewertet (Schwierigkeit 8).
Schußfolge: Die Maximalzahl von Kugeln oder Dreiersalven, die die Schußwaffe in einer Runde abfeuern kann. Die
Schußfolge gilt nicht für vollautomatisches oder Streufeuer.
Magazin: Die Anzahl von Kugeln, die in ein Magazin oder in die Trommel passen. +1 bedeutet, daß eine Kugel sich
im Lauf befinden kann, was die Waffe schußbereit macht.
Tarnung: T = kann in einer Tasche versteckt werden; J = kann in einer Jacke versteckt werden; M = kann in einem
Mantel versteckt werden; N = kann überhaupt nicht am Körper versteckt werden.
* bedeutet, daß die Schußwaffe Dreiersalven, vollautomatisches Feuer und Streufeuer abgeben kann.

294
KAPITEL NEUN

GESUNDHEIT Gesundheitsstufe abstreichen. Mehrere Erfolge sorgen so-

Der Gesundheitswert Ihres Charakters gibt an, wie fit be-
ziehungsweise stark verwundet er ist. Wenn Ihr Charakter
Schaden erleidet, wird für jeden Erfolg ein Kästchen auf der
Gesundheitstabelle auf dem Charakterbogen abgestrichen.
Je stärker Ihr Charakter verwundet wird, desto nachteiliger
wirken sich die erlittenen Verletzungen auf seine Fähig-
keiten aus (die in der Tabelle angegebenen Modifikatoren
werden mit seinen Würfelvorräten verrechnet). Wenn er
schwer genug verwundet ist, kann er außer Gefecht gesetzt
werden, einen Krankenhausaufenthalt benötigen oder gar
sterben. Sollte Ihr Charakter eine so schwere Verletzung
überleben, kann es Monate dauern, bis er sie gänzlich aus-
kuriert hat, sofern ihm nicht mit übernatürlichen Heilungs-
methoden geholfen wird. Der folgende Abschnitt erläutert
die Funktionsweise der Gesundheit ausgiebigst.
DIE GESUNDHEITSTABELLE
Die Gesundheitstabelle auf dem Charakterbogen hilft
Ihnen dabei, die momentane körperliche Verfassung Ihres
Charakters genau festzuhalten. Sie führt auch die Abzüge
auf Ihre Würfelvorräte für jede Gesundheitsstufe, die Ihr
Charakter verliert, auf. Wenn Ihr Charakter mehr und
mehr Schaden nimmt, werden seine Handlungen schwerer
und seine Gesundheit nimmt ab, bis er das Bewußtsein
verliert oder stirbt.
Jeder Charakter besitzt sieben Gesundheitsstufen, die
von Blaue Flecken bis Außer Gefecht reichen. Solange
Ihr Charakter keine Verletzungen erlitten hat (also kein
Kästchen auf der Gesundheitstabelle abgestrichen wurde),
befindet er sich in hervorragender körperlicher Verfassung.
Sinkt seine Gesundheit unter Außer Gefecht, so stirbt er.
Wann immer ein Gegner einen Erfolg bei der Schadenser-
mittlung gegen Ihren Charakter erzielt, müssen Sie eine
mit für den Verlust mehrerer Gesundheitsstufen. Ein Bei-
spiel: Ihr Charakter wird von einem Angreifer attackiert,
der einen Erfolg bei der Schadensermittlung erzielt (nach-
dem Sie einen Absorptionswurf ausgeführt haben). Wenn
Ihr Charakter sich vor dem Angriff in perfekter Verfassung
befunden hat, so hat er nun Blaue Flecken. Sie machen
diesen Gesundheitsverlust durch das Abstreichen des er-
sten Kästchens (Blaue Flecken) auf der Gesundheitstabelle
Ihres Charakterbogens kenntlich.
Die Zahl links neben dem untersten der von Ihnen mar-
kierten Kästchen gibt Ihren momentanen Würfelabzug an.
Je mehr Schaden Ihr Charakter nimmt, desto schwieriger
wird es für ihn, selbst einfachste Aufgaben durchzuführen.
Der Würfelabzug wird von allen Ihren Würfelvorräten ab-
gezogen (einschließlich Initiative, aber mit Ausnahme von
Reflexen wie etwa dem Absorbieren von Schaden), bis die
Wunde verheilt ist.
AUSSER GEFECHT
Wenn die Gesundheitsstufen Ihres Charakters auf Außer
Gefecht fallen, kann er bewußtlos werden. Ob dies ge-
schieht, entscheidet der Erzähler. Er kann einen erfolgrei-
chen Wurf auf Widerstandsfähigkeit von Ihnen verlangen,
um festzustellen, ob Ihr Charakter bei Bewußtsein bleibt
oder nicht. Wird er ohnmächtig, ist er nicht mehr in der
Lage, irgendwelche Reflexe einzusetzen, bei denen sein
Glaube oder seine Willenskraft eine Rolle spielen, aber er
kann nach wie vor versuchen, möglichen weiteren Scha-
den zu absorbieren. Schafft es Ihr Charakter, weiterhin
bei Bewußtsein zu bleiben, stehen ihm alle Reflexe zur
Verfügung, aber er ist zusammengebrochen und kann nicht
wieder aufstehen – zumindest nicht solange, bis wenigstens
einige seiner Wunden geheilt sind. Er kann möglicherweise
auch noch sprechen, doch selbst diese einfache Handlung

GESUNDHEITSTABELLE
Gesundheitsstufe Würfelabzug Bewegungseinschränkung
Blaue Flecken - Ihr Charakter hat nur leichte Quetschungen. Er erleidet keinerlei Bewe-
gungseinschränkungen oder Würfelabzüge.
Verletzt -1 Ihr Charakter hat den einen oder anderen Kratzer davongetragen. Er
erleidet keinerlei Bewegungseinschränkungen.
Schwer Verletzt -1 Die Beweglichkeit Ihres Charakters ist leicht eingeschränkt (halbieren
Sie seine maximale Sprintgeschwindigkeit).
Verwundet -2 Ihr Charakter hat sich ernstzunehmende Verletzungen zugezogen. Er
kann nicht mehr sprinten, aber nach wie vor laufen oder gehen.
Schwer Verwundet -2 Ihr Charakter ist schwer angeschlagen. Er kann pro Runde nicht weiter
als drei Meter humpeln.
Verkrüppelt -5 Ihr Charakter hat schwerste Verletzungen erlitten. Er kann pro Runde
nicht weiter als einen Meter kriechen.
Außer Gefecht - Ihr Charakter ist dem Tode näher als dem Leben und möglicherweise
bewußtlos. Er ist zu keinerlei Handlungen mehr fähig, und falls er be-
wußtlos ist, greifen nur noch die grundlegendsten Reflexe wie etwa das
Absorbieren von Schaden.
Tot - Für Sterbliche ist dies das Ende ihres Lebenswegs. Dämonen jedoch
müssen nicht unbedingt das Handtuch werfen ...

295

könnte sich als schwierig erweisen. Ihr Erzähler kann im-
mer dann einen Willenskraftwurf oder den Einsatz eines
Willenskraftpunktes fordern, wenn Ihr kurz vor der Be-
wußtlosigkeit stehender Charakter etwas sagen will.
FESTHALTEN VON SCHADEN
Ihr Charakter kann drei Arten von Schaden erleiden:
Schlagschaden, tödlichen Schaden und schwer heilbaren
Schaden. Schlagschaden umfaßt alle Wunden, die von
stumpfen Gegenständen, Schlägen, Tritten oder ähnlichem
herrühren. Tödlicher Schaden wird durch Messer, Kugeln
oder jede andere Art von Angriff verursacht, der die Haut
Ihres Charakters tatsächlich durchstößt oder zerschneidet.
Schwer heilbarer Schaden wird durch Feuer oder überna-
türliche Einwirkungen erzeugt. Alle Schadensarten sind
kumulativ, und die resultierende Gesamtzahl an Scha-
densstufen zeigt den derzeitigen Gesundheitszustand Ihres
Charakters an. Auf den folgenden Seiten finden Sie alle
näheren Informationen zu diesen drei Schadensarten.
Wenn Sie den Schaden Ihres Charakters auf Ihrem
Charakterbogen vermerken, streichen Sie Schlagschaden
mit einem Querstrich („/“), tödlichen Schaden mit einem
Kreuzchen („X“) und schwer heilbaren Schaden mit einem
Sternchen („*“) ab. Diese Zeichen tragen Sie in den leeren
Kästchen neben den Gesundheitsstufen ein. Schaden wird
immer von oben nach unten eingetragen, wenn Sie die
schwindende Gesundheit Ihres Charakters festhalten.
Wenn Ihr Charakter eine Mischung aus verschiedenen
Schadensarten einsteckt, tragen Sie den schwer heilbaren
Schaden immer ganz oben ein. Er „schiebt“ quasi tödlichen
296
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Schaden und Schlagschaden weiter nach unten. Als näch-
stes wird tödlicher Schaden eingetragen, der Schlagschaden
weiter nach unten „schiebt“. Ein Beispiel: Wenn Sie fest-
halten wollen, daß Ihr Charakter eine Stufe Schlagschaden
erlitten hat, tragen Sie diese im Kästchen neben „Blaue
Flecken“ als „/“ein. Erleidet er daraufhin eine Stufe tödli-
chen Schaden, machen Sie aus dem „/“ in „Blaue Flecken“
ein „X“ für den tödlichen Schaden und tragen bei „Verletzt“
ein „/“ für den nach unten „verschobenen“ Schlagschaden
ein. Jeder weitere Schlagschaden wird dann im Kästchen
„Schwer verletzt“ und weiter nach unten wandernd ein-
getragen. Jeder weitere tödliche Schaden „verschiebt“ die
ausgefüllten Schadenskästchen weiter nach unten, bis alle
Kästchen mit einem „/“, einem „X“ oder einem „*“ ausge-
füllt sind.
Sobald alle Kästchen ausgefüllt sind und Ihr Charakter
weiteren Schaden erleidet, wird für jede erlittene Schadens-
stufe aus einer Stufe Schlagschaden eine Stufe tödlicher
Schaden, unabhängig davon, um welche Schadensart es
sich bei den neuen Verletzungen handelt. Wenn alle Käst-
chen ausgefüllt sind, ist es nicht mehr nötig, Schlagschaden
noch weiter nach unten zu „schieben“. Weiterer tödlicher
Schaden wird einfach über bestehenden Schlagschaden
eingetragen (sprich, aus dem „/“ wird ein „X“).
Beispiel: Rebecca wird von zwei Anhängern eines Erdgebun-
denen in dessen Tempelanlagen aufgegriffen. Einer von ihnen
schlägt sie mit einem Gummiknüppel und fügt ihr eine Stufe
Schlagschaden zu. Marcus, ihr Spieler, trägt diesen in Form
eines „/“ in das Kästchen neben „Blaue Flecken“ ein. Rebecca
gelingt es, die eine Wache niederzuschlagen, doch der andere
KAPITEL NEUN
schießt aus nächster Nähe auf sie und fügt ihr somit zwei Stufen
tödlichen Schaden zu. Marcus trägt diesen Schaden in Form
von einem „X“ sowohl im Kästchen neben „Blaue Flecken“
als auch im Kästchen neben „Verletzt“ ein. Der vorhergehende
Schlagschaden wandert eine Stufe tiefer in das Kästchen neben
„Schwer verletzt“. Trotz starker Schmerzen hat Rebecca noch
genügend Leben in sich, um ihre Schrotflinte zu ziehen und
blind auf ihre Feinde loszufeuern. Sie weichen zurück und gehen
in Deckung, was ihr die Chance gibt, sich in ihren Wagen zu
schleppen und zu fliehen.
SCHLAGSCHADEN
Jede Verwundung, die durch einen Schlag verursacht
wird und bei der es sich um keine Stich- oder Schnittwunde
handelt, wird als Schlagschaden bezeichnet. Hierzu wird
jeder Schaden gezählt, der einem Charakter im waffenlosen
Kampf durch Schläge, Tritte, Treffer mit stumpfen Gegen-
ständen und Stürze zugefügt wird. Selbst wenn Ihr Cha-
rakter gegen eine Mauer geschleudert wird oder von einem
Garagendach stürzt, wird dies als Schlagschaden gewertet.
Immer wenn Sie Schlagschaden auf Ihrem Charakterbogen
festhalten, machen Sie hierzu einen Querstrich („/“) in ein
Kästchen.
Sobald Ihr Charakter die Gesundheitsstufe „Außer Ge-
fecht“ erreicht hat und weiteren Schlagschaden nimmt,
wird auf dem Charakterbogen jede neuerlittene Stufe
Schlagschaden auf dem Charakterbogen dadurch festgehal-
ten, daß in den Kästchen, in denen schon ein „/“ steht, nun
ein „X“ eingetragen wird. Überspringen Sie alle Kästchen,
in denen bereits tödlicher Schaden eingetragen wurde,
und gehen Sie zum ersten, in dem bisher nur Schlagscha-
den eingetragen war, und fangen Sie von dort aus an, den
neuen Schaden zu vermerken. Jede Stufe, die sich durch
wiederholten Schlagschaden von einem „/“ in ein „X“ ver-
wandelt, wird fortan als tödlicher Schaden gewertet. So-
bald Ihr Charakter die Gesundheitsstufe „Außer Gefecht“
mit einem tödlichen Schadenspunkt („X“) unterschreitet,
stirbt er. Auf diese Weise kann Ihr Charakter auch durch
Schlagschaden den Tod finden, was aber wesentlich länger
dauern wird als beim Erleiden tödlichen Schadens.
Falls Sie durch Schlagschaden Außer Gefecht gesetzt
werden, können Sie sich weder bewegen noch sonst ir-
gendwie handeln – ganz so, wie es durch die oben bereits
vorgestellten Regeln vorgegeben ist.
Beispiel: Rebecca fährt in Richtung Stadt zurück, wobei sie
von einer Lastwagenladung Kultisten verfolgt wird. Der Laster
rammt das Heck ihres Wagens, wodurch sie gegen das Lenk-
rad geschleudert wird. Sie erleidet zwei Stufen Schlagschaden.
Marcus vermerkt diese in Form von Querstrichen („/“) neben
den Kästchen „Schwer verletzt“ und „Verwundet“ auf seinem
Charakterbogen.
Deutlich angeschlagen drückt Rebecca voll aufs Gaspe-
dal, da sie hofft, den Kultisten so doch noch entwischen
zu können. Marcus würfelt allerdings bei dem über die
mögliche Flucht entscheidenden Wurf auf Fahren einen
Patzer – Rebecca rast mit ihrem Wagen gegen einen Baum.
Beim Unfall erleidet sie drei weitere Stufen Schlagschaden.
Marcus trägt zwei von ihnen auf der Gesundheitstabelle
als „/“ in die Kästchen neben „Verkrüppelt“ und „Außer
Gefecht“ ein. Die dritte trägt er in das Kästchen neben
„Schwer verletzt“ ein, indem er aus dem dort stehenden „/“
ein „X“ macht. Da die Liste mittlerweile voll war und schon
je ein „X“ in den beiden obersten Kästchen eingetragen
war, mußte das nächsthöhere Kästchen von Schlagschaden
in tödlichen Schaden umgewandelt werden. Jeder weitere
Schlagschaden wird die übrigen Stufen Schlagschaden („/“)
in tödlichen Schaden („X“) umwandeln. Rebecca bleibt be-
wußtlos im Wrack ihres Wagens liegen. Sie ist vollkommen
hilflos, als der Lastwagen neben ihr zum Stehen kommt ...
TÖDLICHER SCHADEN
Alle Angriffe mit Waffen, die die Haut Ihres Charakters
durchdringen oder zerschneiden können (wie etwa Messer
oder Pistolenkugeln), verursachen tödlichen Schaden. Feu-
er und Stromschlag richten ebenfalls tödlichen Schaden
an. Ein sterblicher Charakter ist normalerweise nicht in
der Lage, tödlichen Schaden zu absorbieren, aber Dämonen
sind aufgrund ihrer besonderen übernatürlichen Kräfte
durchaus dazu befähigt. Tödlicher Schaden wird auf dem
Charakterbogen mit einem „X“ markiert. Wenn Sie bei der
Gesundheitsstufe „Außer Gefecht“ ein „X“ eintragen, be-
deutet dies, daß Ihr Charakter sterben wird, sobald er noch
eine einzige weitere Stufe Schlagschaden oder tödlichen
Schaden erleidet.
Durch tödlichen Schaden verursachte Wunden müssen
medizinisch versorgt werden, um dem mit ihnen einherge-
henden Blutverlust entgegenzuwirken. Solange Ihr Charakter
keine medizinische Versorgung erhält und die Gesundheits-
stufe „Verwundet“ oder eine der darunterliegenden Stufen
mit einem „X“ markiert ist, erleidet er für jede Stunde, die
verstreicht, ohne daß er fachkundige Hilfe erhält, automa-
tisch eine weitere Stufe tödlichen Schaden. Ein Erfolg, den
ein potentieller Retter – oder der Charakter selbst, sofern
er nicht außer Gefecht gesetzt ist – bei einem Würfelwurf
auf Intelligenz/Geistesschärfe + Medizin/Überleben erzielt,
reicht bereits aus, um die Blutungen zu stoppen. Dämonen
verfügen zudem über die Fähigkeit, ihre Wunden durch reine
Willenskraft zu schließen. In einer solchen Situation kön-
nen dämonische Charaktere einen Glaubenspunkt einsetzen
und anschließend einen Willenskraftwurf ausführen. Gelingt
dieser, werden die Blutungen gestoppt und der Charakter
erleidet keinen weiteren automatischen Schaden.
Sobald Sie ein „X“ in das Kästchen neben „Verkrüppelt“
oder „Außer Gefecht“ eintragen, benötigt Ihr Charakter
unbedingt intensive Hilfe und Versorgung, oder er wird sich
von seinen Verletzungen nicht wieder erholen. Steht im
Kästchen der Gesundheitsstufe „Außer Gefecht“ ein „X“,
fällt der Charakter im schlimmsten Fall in ein Koma und im
günstigsten in ein Delirium, und die Gefahr ist groß, daß er
selbst ohne weitere Angriffe an der Schwere der Verletzun-
gen stirbt. Auch in diesem Punkt sind Dämonen um einiges
zäher als Sterbliche – sie können ihren Glauben einsetzen,
um ihre schwersten Verletzungen zu heilen.
Beispiel: Rebecca liegt bewußtlos im Wrack ihres Wagens,
während die Kultisten aus ihrem Lastwagen steigen. Die Sterb-
lichen eröffnen das Feuer und durchsieben ihr Auto mit einem
Kugelhagel. Die meisten Geschosse verfehlen Rebecca, doch eine
Kugel trifft ihr Ziel.
297

OPTIONALE REGEL: KOMPARSEN
Ihr Erzähler kann während eines Kampfs namen- und
gesichtslose Gegner in die Schlacht werfen, um die Sze-
ne ein wenig spannender und dramatischer zu gestalten.
Bei diesen Gegnern – den sogenannten Komparsen –
kann es sich um Anhänger eines Erdgebundenen han-
deln oder einfach nur um ein paar gewöhnliche Schlä-
ger, denen die Spielercharaktere eher zufällig über den
Weg laufen. Der Erzähler kann Komparsen als Hilfsmit-
tel einsetzen, um durch sie Informationen an die Cha-
raktere weiterzugeben, um Kämpfen ein wenig mehr
Feuer zu verleihen oder um über sie den Charakteren
eine Nachricht zu überbringen. Ein Komparse taucht in
der Regel nur ein einziges Mal in einer ganz bestimmten
Szene auf und interagiert mit den Spielercharakteren
äußerst selten auf einem Niveau, das wirklich die Be-
zeichnung „persönlich“ verdient hätte.
Um lang anhaltende Kämpfe einfacher zu gestalten,
kann der Erzähler die Komparsen mit lediglich vier
Gesundheitsstufen ausstatten: Verletzt –1, Verwundet
–2, Außer Gefecht und Tot. Dadurch läuft ein Kampf
schneller und reibungsloser ab, ohne daß dem Konflikt
nicht ausreichend Rechnung getragen werden würde.
Sie hat bereits drei Stufen tödlichen Schaden einstek-
ken müssen, und durch weitere Stufen an Schlagschaden
ist ihre Gesundheitsstufe bereits auf „Außer Gefecht“ ge-
sunken. Die Kugel verursacht nur einen Stufe tödlichen
Schaden (sie hat keine lebenswichtigen Organe getroffen).
Marcus trägt im Kästchen neben „Verwundet“ ein „X“ ein.
Da die Gesundheitsstufen bis „Außer Gefecht“ alle mit
leichtem Schaden ausgefüllt sind (wie im vorangegangenen
Beispiel beschrieben), muß er den leichten Schaden nicht
weiter nach unten „verschieben“.
Da durch das beharrliche Speerfeuer der Kultisten die
Karosserie des Autos mittlerweile aussieht wie ein Schwei-
zer Käse, bricht das Autowrack völlig in sich zusammen
und begräbt Rebecca unter einem Haufen aus Schrott,
was ihr eine weiteren Stufe Schlagschaden zufügt. Marcus
wandelt den Schlagschaden bei „Verwundet“ in tödlichen
Schaden um. Dies muß er tun, da alle Kästchen auf dem
Charakterbogen bereits ausgefüllt sind und daher jeder
weitere Schaden automatisch als tödlicher Schaden zu be-
handeln ist.
Rebecca ist hilflos, schwer verletzt und im Autowrack einge-
klemmt. Es sieht nicht gut für sie aus, bis plötzlich ihre gefalle-
nen Verbündeten neben dem Lastwagen auftauchen. Sie setzen
ihre Kräfte und ihre Waffen ein, um die völlig überraschten
Kultisten im Handumdrehen auszuschalten, ehe sie Rebecca aus
dem Wrack befreien und medizinisch versorgen.
SCHWER HEILBARER SCHADEN
Bestimmte Angriffe übernatürlicher Wesen (beispiels-
weise der Klauenangriff eines Dämons), manche verzau-
berten oder beseelten Gegenstände sowie einige besondere
Beschwörungen verursachen schwer heilbaren Schaden.
Schwer heilbarer Schaden ist noch schwerer zu absorbieren
298
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
als tödlicher Schaden. Dämonen können schwer heilbaren
Schaden nur absorbieren, wenn sie über eine Beschwö-
rung oder eine besondere Eigenschaft ihrer apokalyptischen
Gestalt verfügen, die ihnen genau dies erlaubt. Schwer
heilbarer Schaden ist – wie der Name schon sagt – um ei-
niges schwieriger zu heilen als alle anderen Schadensarten.
Dämonen können weder Glaube noch Beschwörungen ein-
setzen, um sich von schwer heilbaren Wunden zu erholen
– er kann allein auf natürlichem Wege ausgeheilt werden.
Schwer heilbarer Schaden wird auf Ihrem Charakterbogen
durch ein Sternchen („*“) markiert. Mit Ausnahme dieser
Abweichungen wird schwer heilbarer Schaden genauso
gehandhabt wie tödlicher Schaden.
HEILUNG
Menschen genesen nur langsam, und obwohl Dämonen
nicht wirklich menschliche Wesen sind, besitzen sie doch
die Schwächen ihrer Wirtskörper. Auch wenn einige der
Kräfte der Gefallenen Schaden erstaunlich schnell heilen
können, erholen sie sich üblicherweise genauso langsam
von Verletzungen wie gewöhnliche Sterbliche. Aus diesem
Grund kann eine Verwundung einen Charakter für Monate
ans Bett fesseln. Eine Genesung kann auch während einer
ereignislosen Zeit (siehe Seite 265) erfolgen, aber nur dann,
wenn sich in dieser Zeitspanne tatsächlich nichts von grö-
ßerer Bedeutung für die Geschichte an sich ereignet.
Die folgenden Abschnitte erklären, wie sich Charaktere
von ihren Verletzungen erholen können. Jede Schadens-
stufe (ob Schlagschaden oder tödlicher Schaden) muß
einzeln geheilt werden. Ein Charakter, der durch Schlag-
schaden außer Gefecht gesetzt wurde, muß also volle zwölf
Stunden warten, ehe er sich bis auf die Gesundheitsstufe
„Verkrüppelt“ erholen kann. Nachdem er soweit genesen
ist, muß er weitere sechs Stunden abwarten, bis sich sein
Gesundheitszustand auf „Schwer Verwundet“ erholt und
so weiter.
DIE HEILUNG VON SCHLAGSCHADEN
Schlagschaden umfaßt alle Verletzungen, die die Haut
nicht durchdringen – wie etwa Wunden, die durch einen
Angriff mit stumpfen Schlagwaffen, oder einen Sturz ver-
ursacht wurden. Schlagschaden benötigt im allgemeinen
keine medizinische Versorgung. Irgendwann heilen diese
Wunden schon von allein. Allerdings können schwerere
Verletzungen auch weitreichendere Konsequenzen haben.
Das Seh- oder Hörvermögen Ihres Charakters könnte durch
eine leichte Gehirnerschütterung beeinträchtigt sein. Inne-
re Verletzungen könnten ihm unglaubliche Schmerzen be-
HEILUNGSFRISTEN VON
SCHLAGSCHADEN
Gesundheitsstufe Zeit
Blaue Flecken bis Schwer Verletzt Jeweils eine Stunde
Verwundet Drei Stunden
Verkrüppelt Sechs Stunden
Außer Gefecht Zwölf Stunden
KAPITEL NEUN
reiten, oder er könnte sogar die Kontrolle über bestimmte
Muskeln in seinem Körper vorübergehend verloren haben.
Angemessene medizinische Versorgung kann diesen Aus-
wirkungen einer Verletzung entgegenwirken, und Wunden,
die durch Einsatz von Glaube oder Beschwörungen geheilt
werden, heilen ohne solche Spätfolgen oder Narben.
DIE HEILUNG VON TÖDLICHEM UND SCHWER
HEILBAREM SCHADEN
Tödliche Verletzungen können Ihren Charakter schnell
das Leben kosten, da Schußverletzungen, Stichwunden
im Unterleib oder ähnliche Verstümmelungen in der Re-
gel grauenvolle Folgen nach sich ziehen. Schwer heilbarer
Schaden hat sogar noch schrecklichere Konsequenzen.
Beide Schadensarten werden in derselben Zeit geheilt.
HEILUNGSFRISTEN VON TÖDLICHEM
SCHADEN
Gesundheitsstufen Regenerationszeit
Blaue Flecken Ein Tag
Verletzt Drei Tage
Schwer verletzt Eine Woche
Verwundet Ein Monat
Schwer verwundet Zwei Monate
Verkrüppelt Drei Monate
Außer Gefecht Fünf Monate
DÄMONISCHE HEILKRÄFTE
Die Macht des Glaubens gebietet über das verletzliche
Fleisch. Das übernatürliche Wesen eines Dämons erlaubt es
ihm, vielen der Schwächen seines Wirtskörpers keine Be-
achtung zu schenken. Indem sie ihre sterbliche Hülle vom
Odem der Schöpfung durchdringen lassen, können alle
Dämonen ihre Wirtskörper rasch von Verletzungen heilen
und über Schmerzen und Erschöpfung hinauswachsen.
Um seine Wunden augenblicklich heilen zu können, muß
sich ein Dämon lediglich für einen kurzen Moment kon-
zentrieren und das Gefüge der Wirklichkeit berühren, des-
sen Energien er sich nutzbar machen kann. Spieltechnisch
bedeutet das, daß Ihr Charakter eine ganze Runde lang
braucht, um sich von Wunden zu heilen. Während dieser
Runde kann er keine anderen Handlungen ausführen – er
kann niemanden angreifen, er kann sich nicht verteidigen
und er darf sich nicht einmal bewegen. Da ihn dies äußerst
angreifbar macht, ist es ein extrem gefährliches Vorhaben,
solange er in irgendeine Form von Kampfhandlung ver-
strickt ist. Am besten führt man eine solche Heilung erst
dann durch, wenn der Kampf beendet ist oder man sich
zumindest in sicherer Deckung befindet.
Sobald Ihr Charakter den Moment der Ruhe findet, der
für die Heilung nötig ist, setzen Sie einen Glaubenspunkt
ein. Dadurch wird sofort eine Stufe tödlicher Schaden oder
alle Stufen Schlagschaden geheilt, die der Charakter erlit-
ten hat. Pro Runde können Sie immer nur einen Glauben-
spunkt auf diese Weise einsetzen – will der Dämon mehrere
Stufen tödlichen Schaden heilen, muß er sich folglich auch
mehrere Runden auf dieses Unterfangen konzentrieren.
Wird Ihr Charakter angegriffen und nimmt Schaden,
während er gerade versucht, sich selbst zu heilen, so stört
ihn das in seiner Konzentration und macht seinen Hei-
lungsversuch komplett zunichte. Obwohl die Heilung nicht
eintritt und der Dämon sogar weiteren Schaden erleidet,
verliert er in einem solchen Fall zumindest keinen Glaube.
GLAUBENSFRAGEN
Die Kräfte der Gefallenen sind ausgesprochen vielfältig
und variantenreich, und ihre Auswirkungen auf das Leiten
einer Dämonen-Chronik sind beträchtlich. Kapitel Sieben
befaßt sich mit den einzelnen Kräften und den Spielmecha-
nismen ihres Einsatzes. In diesem Abschnitt werden nun
Methoden und Systeme vorgestellt, wie diese Kräfte ins
Spiel eingebunden werden können und wie die Dämonen
durch sie mit der Welt der Sterblichen interagieren.
Diese Systeme weisen deutlich weniger spieltechnische
Mechanismen auf als viele der anderen Systeme in diesem
Kapitel. Dämonische Kräfte haben einen gewaltigen Ein-
fluß auf den Verlauf und die Atmosphäre einer Chronik,
weshalb sie nicht einfach nur mit ein paar Würfen und
Tabellen abgehandelt werden können. Die meiste Arbeit
liegt beim Erzähler, der seine Entscheidungen in Sachen
Glaube und Kräfte immer so treffen sollte, wie er es für
seine Geschichte und für seine Chronik am besten hält.
GLAUBE
Glaube ist die Energie des Kosmos, der Atem des Schöp-
fers und das Herzblut der Gefallenen. Dämonen setzen
Glauben ein, um ihre eigenen Fähigkeiten zu verbessern
oder die Wirklichkeit mittels der Werkzeuge, die ihnen
einst von Gott an die Hand gegeben wurden, zu beeinflus-
sen und zu verändern.
Die Ironie dabei ist, daß Dämonen nicht in der Lage
sind, Glaube in sich selbst zu finden. Glauben ist eben
nicht Wissen – und die Dämonen wissen die Wahrheit über
den Schöpfer und Sein göttliches Experiment. Für einen
Dämon hat der einfache Glaube an Gott so viel Wert und
Bedeutung wie der Glaube eines gewöhnlichen Sterblichen
an die Existenz von Gartenmöbeln.
Da sie unfähig sind, den Glauben selbst zu spüren, den
sie so dringend benötigen, sind Dämonen dazu gezwun-
gen, sich den Glauben der Menschen zu eigen zu machen.
Indem ein Dämonen einem Sterblichen die Augen für die
Wunder und die Schrecken des Kosmos öffnet, kann er
dessen kostbaren Glauben für sich gewinnen und für seine
eigenen Zwecke nutzbar machen. Dies ist nicht gerade ein
leichtes Unterfangen, da die meisten Menschen in der Welt
der Dunkelheit ein Leben ohne Glauben und Frömmigkeit
leben und diese Tugenden für Relikte aus einer abergläubi-
schen Vergangenheit halten. Den Glauben eines Menschen
zu gewinnen, bedeutet für einen Dämon harte Arbeit, die
noch dazu mit großem Zeitaufwand verbunden ist, doch der
Lohn ist die Mühe allemal wert.
Es gibt zwei Möglichkeiten, durch die ein Dämon den
Glauben eines Sterblichen für sich gewinnen kann. Er kann
299

den Glauben zum einen einbringen, indem er das Opfer dazu
zwingt, sich die wahrhaftige Existenz des Dämons bis tief
in das Innerste seiner Seele hinein zweifelsfrei einzugeste-
hen. Ein Sterblicher kann dem Dämon jedoch auch seinen
Glauben im Austausch gegen die Verheißung von Macht,
Einfluß und Reichtum willentlich darbringen.
DAS EINBRINGEN VON GLAUBE
In der Welt der Dunkelheit wird Gott für eine ähnlich
belächelte Legende gehalten wie der Weihnachtsmann.
Viele Menschen legen Lippenbekenntnisse gegenüber einer
bestimmten Religion ab, aber die Inhalte sind für die mei-
sten dennoch hohl und bedeutungslos. Der Kirchgang hat
für sie ungefähr so viel emotionale Wertigkeit wie ein Gang
zur Reinigung, um einen sauberen Anzug abzuholen. Es ist
allerdings möglich, einem Menschen die Wahrheit über
den Kosmos und den Schöpfer zu zeigen, um seine verdorr-
te Seele wiederzuerwecken und den Odem Gottes aus ihm
herausströmen zu lassen. Alles, was es dazu braucht, ist ein
Akt überirdischer Heiligkeit – oder eine Zurschaustellung
einer solch ungeheuerlichen Verderbtheit, daß die geistige
Gesundheit des menschlichen Opfers unwiderruflichen
Schaden nimmt.
Wenn ein Dämon einem Menschen die Wahrheit über
die Welt zeigt und ihm sein himmlisches Wesen offenbart,
kann es ihm gelingen, ein Quentchen der Macht des kur-
zen Aufflackerns des Glaubens in der Seele des Sterblichen
für sich zu gewinnen. Aber wie soll man einen ungläubigen
Menschen davon überzeugen, daß man wirklich ein gefal-
lener Engel ist? Das Offenbaren der eigenen infernalischen
Seele allein reicht dafür noch nicht aus, da dem sterblichen
Beobachter die volle Bedeutung dieses Aktes nicht bewußt
gemacht werden kann. Ein Sterblicher muß wirklich glauben,
daß der Gefallene ein Bote Gottes oder ein Dämon aus der
Hölle ist – und folglich sieht sich der Dämon dazu gezwun-
gen, irgendeine Handlung zu unternehmen, die diesen Glau-
ben in einem Sterblichen auch tatsächlich wecken kann.
Nachdem sich ein Gefallener einen bestimmten Sterbli-
chen zum Ziel seiner Bemühungen gemacht hat (entwe-
der aufgrund einer spontanen Entscheidung oder als Teil
eines lange vorbereiteten und ausgeklügelten Plans), muß
er diesen davon überzeugen, daß es sich bei ihm um ein
wahrlich überirdisches Wesen handelt. Für Dämonen mit
niedrigen Qualwerten kann dies durch einen Akt der Güte
oder des Heldenmuts geschehen – beispielsweise indem er
in Gestalt eines strahlenden Engels eine Familie vor einem
Serienmörder rettet. Für Dämonen mit hohen Qualwerten
kann der für das Einbringen des Glaubens nötige Akt auch
eine grausame Folterung sein – zum Beispiel indem er sich
als eine grauenvolle Kreatur manifestiert, die das Opfer
mit ihren langen Krallen langsam bei lebendigem Leibe zu
häuten beginnt. Das einzige, was hierbei zählt, ist, daß der
Sterbliche felsenfest daran glaubt, es mit einem Engel oder
einem Dämon zu tun zu haben. Der Erzähler entscheidet
darüber, ob ein Sterblicher auf einen solchen Akt auf die
gewünschte Weise reagiert – manche Sterbliche könnten
sehr wohl vollkommen unvorhergesehene Reaktionen zei-
gen. Reagiert das Opfer wie vom Dämon gewünscht, hat
der Gefallene die Chance, einen Teil dieses neugefundenen
300
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Glaubens einzubringen.
Beispiel: Rebecca entschließt sich, ein wenig Glaube von ei-
nem Obdachlosen einzubringen. Mit Hilfe einer Beschwörung
erzeugt sie flackernde Lichter um sich herum und erscheint dem
Mann als strahlende Gestalt. Nachdem sie so seine Aufmerk-
samkeit und die Vermutung in ihm geweckt hat, es könnte sich
bei ihr um ein himmlisches Wesen handeln, verbringt Rebecca
einige Stunden mit dem Mann, kauft ihm eine warme Mahlzeit
und redet mit ihm über die Liebe des Schöpfers und die Gnade
Gottes. Marcus’ Erzähler entscheidet, daß dieses Vorgehen aus-
reicht, um den Glauben des Sterblichen einzubringen – es baut
eine Beziehung zwischen ihm und der Dämonin auf und erfüllt
den Obdachlosen mit neuer Hoffnung.
Beispiel: Ishmael wiederum hat einen örtlichen Drogendealer
als sein Opfer auserkoren. Er möchte allerdings lieber auf die
harte Tour vorgehen, anstatt zu versuchen, einen positiven Ein-
druck bei dem Sterblichen zu hinterlassen. Schließlich ist der
Drogendealer ein Arschloch, und Ishmael fällt es zudem zuneh-
mend schwerer, den durch seine Qual ausgelösten Trieben zu
widerstehen. Ishmael entführt den Mann und hält ihn gefesselt
und mit verbundenen Augen für eine Woche in einem stock-
dunklen Wandschrank gefangen. Dort foltert er ihn, bis sein
Opfer den Verstand verliert. Anschließend reißt er ihm die Au-
genbinde ab und zeigt seine wahre Gestalt. Der Drogendealer
glaubt nur allzu bereitwillig daran, daß es sich bei Ishmael um
einen Dämon aus der Hölle handelt, der gekommen ist, um seine
Seele zu holen.
Das Einbringen des Glaubens eines Sterblichen erfordert
eine Handlung gegen Widerstand. Der Spieler entscheidet,
wie der Versuch, den Glauben einzubringen, genau ausse-
hen soll – ein Gespräch über die Liebe, eine Amputation
ohne Betäubung oder jede andere beliebige Handlung, von
der der Spieler denkt, er könne durch sie das gewünschte
Ziel erreichen.
Der Spieler würfelt Willenskraft gegen eine Schwierigkeit
von 7. Der Erzähler würfelt für den Sterblichen ebenfalls
auf Willenskraft (Schwierigkeit 7). Willenskraft ist die
Eigenschaft, die die Resistenz eines Charakters gegenüber
psychischem Streß und Suggestionen symbolisiert, weshalb
ein Charakter mit einem hohen Willenskraftwert aufgrund
der Taten des Dämons wahrscheinlich nicht gleich sein
gesamtes Weltbild ändert.
Erzielt der Spieler des Dämons mehr Erfolge als der Er-
zähler, kann sein Charakter eine geringe Menge an Glaube
einbringen. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei
um einen einzigen Glaubenspunkt. Das Einbringen ist eine
zu ungehobelte Methode und der Glaube der Menschen ist
zu schwach, um wirklich große Macht aus einem solchen
Vorgang schöpfen zu können. Der Erzähler kann allerdings
entscheiden, daß ein bestimmter Versuch etwas effektiver
ausfällt als die meisten anderen. Sollten die Handlungen
des Dämons mit der Persönlichkeit des Sterblichen, seinen
Glaubensvorstellungen oder seiner eigenen Lebensgeschich-
te in Einklang stehen, kann der Dämon einen größeren An-
teil seines Glaubens einbringen. In einer solchen Situation
kann der Erzähler dem Spieler zwei Glaubenspunkte zuge-
stehen. Dämonen, die ihren Glaubensvorrat ausschließlich
durch Einbringen auffüllen, verbringen häufig viel Zeit
damit, möglichst viele Hintergrundinformationen über ihre
KAPITEL NEUN
Zielpersonen herauszufinden, denn wenn sie ihren Versuch,
Glaube zu gewinnen, genau auf die Psyche des Sterblichen
zuschneiden können, steigen ihre Chancen, diesen Versuch
auch höchst erfolgreich abzuschließen.
Beispiel: Rebecca, Marcus’ Charakter, bringt den Glauben
des Obdachlosen ein. Marcus führt einen Willenskraftwurf
gegen eine Schwierigkeit von 7 aus. Da Rebeccas Willenskraft
6 beträgt, würfelt Marcus mit sechs Würfeln. Der Obdachlose
hat eine Willenskraft von 3, also würfelt der Erzähler mit drei
Würfeln gegen eine Schwierigkeit von 7. Marcus erzielt insge-
samt drei Erfolge. Normalerweise kann ein Dämon bei einem
erfolgreichen Versuch, Glaube einzubringen, nur einen einzigen
Glaubenspunkt hinzugewinnen. In diesem Fall aber entscheidet
der Erzähler, daß Rebeccas Versuch einen lange Zeit tief in sei-
ner Seele vergrabenen Rest Glauben in dem Mann geweckt hat,
weshalb sie zwei Glaubenspunkte erhält.
Es ist möglich, mehr als einmal den Glauben ein und
desselben Sterblichen einzubringen, doch jeder neue Ver-
such erfordert eine neue Zurschaustellung göttlicher oder
blasphemischer Kräfte und einen anderen Akt der Liebe
oder des Hasses (und wahrscheinlich muß bei dem neuerli-
chen Versuch auch eine andere Fähigkeit des Dämons zum
Einsatz kommen).
Es ist schwierig, große Macht allein durch das Einbrin-
gen von Glauben zu gewinnen. Den Menschen fällt es oft
schwer, an etwas zu glauben, und nur wenige besitzen eine
so starke und gefestigte Persönlichkeit, daß sie sich ihrem
Glauben ganz und gar hingeben können. Eine verläßlichere
Quelle hingegen ist ein Sterblicher, der dem Dämon seinen
Glauben aus freien Stücken darbietet.
DARGEBRACHTER GLAUBE
Glaubt ein Sterblicher uneingeschränkt an die wahre
Natur eines Dämons und empfindet dabei fortwährenden
Respekt (oder Angst) vor ihm, kann er zu einer beständi-
gen Quelle des Glaubens für den Gefallenen werden. Eine
solche Quelle ist für einen Dämon bei weitem verläßlicher
als das Einbringen von Glauben, und Dämonen, die ihre
langfristigen Ziele erreichen wollen, müssen Beziehungen
(ob nun positiv oder negativ gefärbt) zu Menschen aufbau-
en und aufrechterhalten, die ihnen ihren Glauben freiwillig
darbringen.
Während die Systeme und Spielmechanismen für frei-
willig dargebrachten Glauben recht simpel sind, ist es alles
andere als eine einfache Aufgabe, sich einen Sterblichen
so heranzuziehen, daß er dem Gefallenen als beständige
Glaubensquelle dienen kann. Das Eingehen eines Pakts ist
eine ernste und gefährliche Angelegenheit, und Dämonen
müssen sich schon anstrengen, um Sterbliche zu finden, de-
ren Potential an Glauben groß genug ist, damit sich all die
Mühe und all der Aufwand einer Suche überhaupt lohnen.
Mit einfachen Spielregeln ist hier nichts zu machen – nur
durch Rollenspiel läßt sich eine solche Situation ausrei-
chend und angemessen darstellen. Die Verantwortung für
die Wahl des richtigen Sterblichen und die Art des Pakts,
die er mit ihm eingehen will, liegt beim Charakter (und
damit bei dessen Spieler).
Um zu einer Glaubensquelle zu werden, muß ein Sterb-
licher einen Handel mit dem Dämon abschließen, der auf
freiwilliger Basis beruht. Der Dämon gibt dem Sterblichen,
was immer dieser verlangt; dafür bietet der Sterbliche ihm
freiwillig seinen Glauben dar. Was genau der Sterbliche
verlangt, ist von Individuum zu Individuum natürlich un-
terschiedlich. Dabei darf es sich allerdings nicht um etwas
Gewöhnliches handeln, denn das würde der Symbolik und
der Bedeutung, die hinter dem Pakt stehen, nicht im min-
desten gerecht. Der Dämon muß seine Macht auf irgendei-
ne Art und Weise mit dem Sterblichen teilen, was oftmals
bedeutet, daß der Gefallene dem Menschen eine seiner
Beschwörungen beibringt oder ihm eine seiner übernatür-
lichen Fähigkeiten verleiht.
Wenn ein Sklave durch einen dämonischen Pakt zu sol-
chen Dingen befähigt wird, sind die genauen Eigenschaften
und Gaben, die er erhält, von der Stärke seines Glaubens
an den Dämon abhängig. Der Glaube des Sterblichen wird
vom Dämon manipuliert und in die gewünschte Gabe um-
gewandelt. Eine detaillierte Schilderung dieses Vorgangs
finden Sie auf Seite 303 im Abschnitt „Die Macht der
Sklaven“.
Während er den Glauben eines passenden Sklaven –
einer Person, die der Erzähler als mögliche Quelle für frei-
willig dargebrachten Glauben sieht – verändert und um-
wandelt, zweigt der Dämon einen Teil dieses Glaubens für
sich ab. Auf diese Weise kann nur wenig Glaube gewonnen
werden, doch dafür erhält der Dämon diese Menge an
Glauben jeden Tag, solange der Pakt hält.
Wie im Abschnitt „Die Macht der Sklaven“ beschrieben
(siehe Seite 303) besitzen Sklaven ein Glaubenspotential,
das zwischen 1 und 5 liegen kann. Der Dämon kann für
sich selbst nie mehr als die Hälfte dieser Glaubenspunkte
(aufgerundet) abzweigen. Die restlichen Glaubenspunkte
muß er dazu aufwenden, um seinen Teil des Paktes zu er-
füllen und dem Sterblichen die ihm zugesprochenen Gaben
und Fähigkeiten zu verleihen.
Der Erzähler kann entscheiden, daß ein bestimmter Skla-
ve sich nicht als permanente Glaubensquelle eignet und
der Dämon den Glauben des Sterblichen ausschließlich
dazu nutzen kann, dieser Person mächtige Gaben zu verlei-
hen. Des weiteren könnten manche Menschen sich ledig-
lich bis zu einem gewissen Grad als permanente Glaubens-
quellen eignen. Obwohl diese einen Teil ihres Glaubens
ihrem dunklen Meister darbringen können, kann dieser
Teil weitaus geringer ausfallen, als es dem Dämon lieb wäre.
Diese Entscheidung des Erzählers hängt sehr stark von
der Art der Beziehung zwischen dem Dämon und dem
Sterblichen sowie der eigenen Spiritualität des Menschen
ab. Es spielt nicht wirklich eine Rolle, ob der Sterbliche
seinen dämonischen Meister liebt und verehrt oder haßt
und fürchtet. Das einzige, was wirklich zählt, ist, wie stark
das Band zwischen dem Dämon und dem Sterblichen ist.
Denkt ein Sterblicher nur selten an den Dämon oder die
Gaben, die dieser ihm verliehen hat, dann ist er keine so
ergiebige Glaubensquelle wie ein Sklave mit demselben
Glaubewert, der unablässig an seinen Meister denkt und
seine infernalischen Gaben häufig einsetzt.
Beispiel: Ishmael hat eine neue Sklavin gefunden. Es ist eine
Sozialarbeiterin und ehemalige Nonne, deren Glaube über die
vielen Jahre des ungedankten Diensts an Gott immer schwächer
301

geworden ist. Der Erzähler hat schon festgelegt, daß es sich bei
der Nonne um eine passende Quelle für freiwillig dargebrachten
Glauben handelt, weshalb Ishmaels Spieler beschließt, einen Teil
des Glaubens der Sterblichen für seinen Charakter nutzbar zu
machen.
Die Nonne besitzt ein Glaubenspotential von 3. Sie
könnte Ishmael also täglich 2 Glaubenspunkte darbringen
(die Hälfte von 3 aufgerundet), was Ishmael einen Punkt
übrigläßt, mit dem er die Gaben, die sie im Austausch für
ihren Glauben erhält, festlegen kann. Das ist nicht gerade
viel, weshalb sich Ishmaels Spieler dazu entschließt, nur ei-
nen Glaubenspunkt für seinen Charakter abzuzweigen, um
mit den anderen beiden seiner neuen Sklavin dämonische
Gaben zu verliehen.
Ishmael erhält von der Sterblichen einen Glaubenspunkt
pro Tag, solange ihr Abkommen bestehen bleibt. Sollte
Ishmael den Pakt brechen oder die Nonne sterben, endet
der tägliche Zustrom freiwillig dargebrachten Glaubens
augenblicklich.
Freiwillig dargebrachter Glaube wird einmal täglich ge-
wonnen. Dies geschieht immer im Morgengrauen – zu Be-
ginn eines neuen Tages und damit zu der Zeit, in der der
Schöpfer einst zum ersten Mal auf Seine Welt hinabblick-
te. Räumliche Entfernungen spielen für Glauben keinerlei
Rolle. Sollten sich der Sterbliche und der Dämon in unter-
schiedlichen Zeitzonen aufhalten, erhält der Gefallene den
Glauben seines Sklaven trotzdem, sobald in der Zeitzone,
in der sich der Sterbliche befindet, der Morgen graut (was
einen entscheidenden Unterschied machen kann, wenn
der Dämon am frühen Morgen in größere Schwierigkeiten
gerät und dringend Glaube braucht).
AUSBEUTUNG
Ein weiterer Vorteil von freiwillig dargebrachtem gegen-
über eingebrachtem Glauben liegt darin, daß der Dämon
die Beziehung zwischen sich und seinem Sklaven ausnutzen
kann, um in einem Notfall ein größeres Maß aus seiner
Quelle zu ziehen, als es ursprünglich einmal ausgehandelt
worden war. Diese Möglichkeit sollte allerdings nicht zu
leichtfertig eingesetzt werden, da der betroffene Sklave
einer großen körperlichen und geistigen Belastung ausge-
setzt wird – womöglich kostet ihn die Ausbeutung sogar
das Leben.
Um eine Glaubensquelle auszubeuten, bedarf es von Sei-
ten des Dämons nicht mehr als eines simplen Gedankens
daran. Der Sterbliche, dessen Glauben er ausbeutet, muß
sich nicht einmal in seiner Nähe befinden – der Dämon
kann sich den Glauben des Sterblichen selbst dann nutzbar
machen, wenn er sich auf der anderen Seite des Globus auf-
hält. Zudem muß die Quelle nicht einmal bei Bewußtsein
oder willens sein, zusätzlichen Glauben darzubringen. In
diesem Fall ist der Gefallene die einzig bestimmende Kraft
und betreibt Raubbau an der Seele und der Lebenskraft
des Sterblichen, um zusätzliche Macht zu gewinnen. Der
Sterbliche steht dieser Ausbeutung vollkommen hilflos
gegenüber. Zwar kann der Sterbliche versuchen, vor dem
Gefallenen davonzulaufen oder den Dämon zu bekämp-
fen, doch sein Meister kann ihm dennoch seinen Glauben
rauben – selbst wenn der Sklave gerade mit einem Base-
302
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
ballschläger auf den Dämon eindrischt. Der Dämon kann
sich gleichzeitig des Glaubens mehrerer Sklaven bedienen,
wodurch das Risiko, daß einer seiner Anhänger durch die
Ausbeutung Schaden nimmt, entsprechend sinkt.
Beutet ein Dämon eine Glaubensquelle auf diese Weise
aus, kann er eine Reihe zusätzlicher Würfel zum Vorrat
eines seiner Beschwörungswurfe hinzufügen. Die maxi-
male Anzahl dieser zusätzlichen Würfel entspricht seinem
Glaubewert. Ein Dämon mit einem Glaubewert von 4 kann
somit höchstens vier weitere Würfel zum Vorrat eines sei-
ner Beschwörungswürfe hinzuzählen, selbst wenn ihm noch
weitere Glaubensquellen für zusätzliche Würfel zur Verfü-
gung stünden. Der Spieler ist beim Beschaffen dieser zu-
sätzlichen Würfel weder auf die Zahl der ihm zugänglichen
Glaubensquellen noch deren Potential beschränkt. Er kann
bis zum erlaubten Maximum so viele Würfel zu seinem Vor-
rat hinzuzählen, wie er möchte, solange er auch nur eine
einzige Glaubensquelle ausbeuten kann.
Hat der Dämon so viele zusätzliche Würfel zu seinem
Vorrat erhalten, wie sein Spieler es wünscht, führt dieser
den Beschwörungswurf aus. Bei einem Patzer verliert der
Dämon einen temporären Glaubenspunkt.
Für jeden auf diese Weise zusätzlich eingesetzten Würfel
verliert der ausgebeutete Sklave einen Willenskraftpunkt,
unabhängig davon, ob die Beschwörung erfolgreich war
oder nicht. Dieser Verlust wird von heftigen Schmerzen,
Halluzinationen, plötzlichen Angstzuständen und anderen
psychischen Traumata begleitet. Sollte ein Sklave all seine
Willenskraftpunkte auf diese Weise einbüßen, verliert er
den Verstand und wird geistig instabil oder erleidet eine
Geistesstörung. Solange dieser Wahnsinn nicht therapiert
wird, wirkt er sich permanent aus.
Verschafft sich sein dämonischer Meister mehr zusätz-
liche Würfel, als ein betroffener Sklave an Willenskraft-
punkten besitzt, erleidet der Sterbliche pro zusätzlichem
Würfel, der seinen temporären Willenskraftwert übersteigt,
eine Stufe tödlichen Schaden (dieser Schaden kann nicht
absorbiert werden). Dieses physische Trauma nimmt die
Form von inneren Verletzungen, Nasenbluten, Stigma-
ta oder sogar Narben und Verbrennungen an (wenn dem
Sterblichen viele Schadensstufen zugefügt werden sollten).
Erleidet er zuviel Schaden, stirbt der Sklave.
Überlebt der Sterbliche diese Ausbeutung, trägt er blei-
bende Schäden davon und wird nie wieder der alte sein.
Der Dämon hat die Seele seines Sklaven geschändet. Der
Verstand des Sterblichen ist zerrüttet, und sein Körper könn-
te von starken Schmerzen geschüttelt werden, da er innere
Verletzungen erlitten hat. Der Erzähler kann entscheiden,
daß dieser Sterbliche nur noch eine unzureichende Glau-
bensquelle für den Dämon abgibt und in Zukunft weniger
Glaubenspunkte pro Tag bereitstellen kann (möglicherweise
sogar überhaupt keine mehr). Zusätzlich kann der Erzähler
bestimmen, daß sich der Qualwert des Dämons aufgrund der
rücksichtslosen Ausbeutung seines Anhängers erhöht.
Beispiel: Ishmael muß eine mächtige Beschwörung ausführen,
doch seine Erfolgschancen stehen schlecht. Er entschließt sich
dazu, weiteren Glauben von seinen Quellen abzuziehen, um
seine Chance auf einen außergewöhnlichen Erfolg zu erhöhen.
Er besitzt drei Glaubensquellen, aus denen er sich bedienen
KAPITEL NEUN
kann. Ishmael hat einen Glaubewert von 5, weshalb er die
Möglichkeit hat, bis zu fünf zusätzliche Würfel nutzen zu kön-
nen. Der Spieler möchte die volle Anzahl einsetzen und führt
seinen Beschwörungswurf durch. Ishmaels Sklaven müssen nun
den Preis für die Rücksichtslosigkeit ihres Meisters zahlen und
verlieren insgesamt fünf Willenskraftpunkte. Der Spieler kann
alle fünf Punkte von einem einzigen Sklaven abziehen oder die
fünf Punkte auf alle drei Sklaven verteilen, um den erzeugten
Schaden so gering wie möglich zu halten.
DER UMGANG MIT STERBLICHEN
Viele Dämonen dachten, sie würden in eine Welt zurück-
kehren, in der sie die Menschen ohne weiteres kontrollie-
ren und beherrschen könnten. Sie hatten nicht erwartet,
sich auf einem ausgebeuteten Planeten wiederzufinden, auf
dem der Glaube so gut wie tot war, ein unübersichtliches
Gewimmel von sechs Milliarden Menschen lebte und sie
im geheimen vorgehen mußten, um ihre Ziele erreichen
zu können. Die Gefallenen hatten angenommen, auf eine
schwache Menschheit zu stoßen, die leicht zu manipulieren
war (was auch der Fall ist). Gleichzeitig war sie aber auch
der Schlüssel zu den Plänen der Himmlischen. Die Dämo-
nen brauchen die Menschen, um ihre Vorhaben in die Tat
umzusetzen – als Quellen des Glaubens, als Werkzeuge und
als Handlanger. Die Gefallenen haben sich indes an etwas
noch weitaus Schrecklicheres erinnert – an ihren unwider-
stehlichen Drang, die Menschen zu beschützen und sogar
zu lieben, wie sie es vor so langer Zeit schon einmal taten.
DIE MACHT DER SKLAVEN
Dämonen brauchen Sklaven, und Sklaven brauchen
Hilfsmittel, um die Wünsche ihrer Meister erfüllen zu kön-
nen. Es ist für einen Dämon immer von Vorteil, einen Skla-
ven mit einem Teil seiner spirituellen Macht auszustatten,
damit er seinem Meister besser dienen kann. Noch dazu ist
es ein ausgezeichnetes Unterpfand – es ist leicht, sich die
treue Ergebenheit eines Sterblichen zu sichern, wenn man
ihm ewige Jugend und Schönheit oder große Macht und
Einfluß versprechen kann. Die größte Einschränkung bei
der Übertragung von Gaben an einen Sklaven liegt nicht
beim Dämon, sondern beim Sterblichen selbst. Der Dämon
verleiht dem Glauben des Sklaven eine neue Form – eine
Form, deren Macht unmittelbar von den Energien des Kos-
mos gespeist wird. Ist der Glaube des Sterblichen schwach,
kann ihm der Dämon nur bedingt mit Kräften segnen, aber
wenn der Glaube des Sterblichen sehr stark ist, kann der
Dämon dem Sterblichen gewaltige Macht verleihen.
Innerhalb gewisser Grenzen können Dämonen ihre ei-
genen Fähigkeiten auf ihre Sklaven übertragen und sie
auf diese Weise mit übernatürlichen Kräften ausstatten.
Obwohl das Regelsystem dafür sehr einfach ist, sollte man
dabei dennoch nicht zu unbesonnen vorgehen. Charak-
tere sollten die Dinge nicht überstürzen, wenn sie ihren
Anhängern besondere Macht verleihen wollen, und sie
sollten auch nicht jedem erstbesten Sterblichen einen Pakt
anbieten. Die richtige Entscheidung zu treffen, was den
Zeitpunkt einer Übertragung von Kräften angeht, ist in
jeder Chronik von immenser Bedeutung und sollte daher
auch wohldurchdacht sein.
Dämonen können nur solche Fähigkeiten übertragen, die
sie selbst besitzen. Um die Gabe der Unsichtbarkeit gewäh-
ren zu können, muß der Gefallene selbst dazu in der Lage
sein, sich unsichtbar zu machen. Ein Dämon kann einem
Sklaven vier verschiedene Arten von Gaben übertragen:
Attribute, arteigene Fähigkeiten, Beschwörungen sowie die
besonderen Eigenschaften, die dem Gefallenen durch seine
apokalyptische Gestalt gegeben sind.
Attribut: Ein Dämon kann die Attributswerte eines Skla-
ven erhöhen, um ihn stärker oder klüger zu machen. Die
Attribute eines Sklaven können nicht über einen Wert von
5 gesteigert werden, da die menschlichen Eigenschaften
hier an ihre äußersten Grenzen stoßen.
Apokalyptische Eigenschaften: Der Dämon kann eine
der acht besonderen Eigenschaften seiner apokalyptischen
Gestalt auf einen Sklaven übertragen und ihn damit in die
Lage versetzen, sich Fänge wachsen zu lassen, tödlichen
Schaden zu absorbieren und noch vieles andere mehr zu
tun. Wenn er es möchte, kann ein Dämon mit niedrigem
Qualwert einen Willenskraftpunkt einsetzen, um eine der
besonderen Eigenschaften der apokalyptischen Gestalt, die
mit einem hohen Qualwert einhergehen, auf einen seiner
Sklaven zu übertragen.
Beschwörungen: Der Dämon ist sogar in der Lage, einem
Sklaven eine abgeschwächte Version einer seiner Beschwö-
rungen zuteil werden zu lassen. Der Gefallene muß sich
für eine bestimmte Beschwörung entscheiden, zu der der
Sklave fähig sein soll.
Andere Fähigkeiten: Dämonen besitzen viele spezielle
Fähigkeiten wie beispielsweise ihre Immunität gegen Be-
sessenheit. Einen dieser Vorzüge kann der Dämon auch
auf seinen Sklaven übertragen. Zusätzlich kann er ihm eine
Gabe zukommen lassen, die allgemeinerer Natur ist (zum
Beispiel könnte er den Sklaven von seiner Querschnittläh-
mung oder seiner Blindheit heilen).
Nachdem der Dämon entschieden hat, welche Gaben
er auf seinen Sklaven übertragen will, gehen er und der
Sterbliche einen Pakt ein. Der Dämon bestätigt darin, daß
er dem Sklaven die zugesagte Macht gewährt, während
der Sterbliche dem Gefallenen schwört, dem Dämon so zu
dienen, wie es die beiden Vertragsparteien ausgehandelt
haben. Der Erzähler kann bestimmen, daß sich der Sterb-
liche als besonders gute Glaubensquelle eignet und seinen
Glauben freiwillig darbringt (siehe „Dargebrachter Glaube“
auf Seite 250), aber es gibt noch viele andere Arten für
einen Sterblichen, seinem Meister zu dienen.
Sind die Bedingungen des Pakts erst einmal festgelegt,
schließt der Dämon ihn durch die Übertragung der Gabe
auf den Sklaven ab. Um einem Sterblichen eine Gabe zu
übertragen, muß sich ein Gefallener lediglich eine Runde
lang konzentrieren. Es gibt allerdings viele Dämonen, die
besondere Zeremonien und Rituale in diesen Prozeß ein-
fließen lassen, um ihren neuen Sklaven zu beeindrucken.
Nachdem er sich ausreichend lange konzentriert hat, formt
der Dämon die Seele des Sklaven auf geistigem Wege um,
wobei er sich des Glaubens des Sterblichen als Werkzeug
bedient. Je stärker der Glaube des Sklaven ist, desto größer
sind die Veränderungen, die der Dämon an der Essenz sei-
nes innersten Wesens vornehmen kann, und desto mächti-
303

ger können die Gaben ausfallen, die der Gefallene auf den
Sterblichen überträgt.
Es müssen keinerlei Würfe ausgeführt werden, um die
Seele des Sterblichen neu zu formen. Der Glaubewert des
Sterblichen wird als „Punktevorrat“ verwendet, um be-
stimmte Effekte und Gaben zu erwerben, die ihm gemäß
der folgenden Richtlinien zugute kommen:
• Der Dämon kann einen Glaubenspunkt dazu nutzen,
um chronische Krankheiten oder Behinderungen zu hei-
len, wodurch ein Querschnittsgelähmter seine volle Be-
wegungsfreiheit zurückerhält oder einem blinden Sklaven
das Augenlicht zurückgegeben werden kann. Sollte der
Sterbliche als Nebeneffekt solcher Einschränkungen unter
permanenten Stufen an tödlichem Schaden leiden, werden
diese in Schlagschaden umgewandelt, der anschließend
ganz normal ausgeheilt werden kann.
• Ein Glaubenspunkt kann in 10 freie Zusatzpunkte um-
gewandelt werden (siehe „Anfang“ auf Seite 146). Diese
Punkte können dazu genutzt werden, um Eigenschaften
wie Attribute, Fähigkeiten und Willenskraft zu verbessern.
Sie können nicht zum Steigern von Hintergründen ver-
wendet werden.
• Der Dämon kann einen Glaubenspunkt einsetzen, um
eine seiner arteigenen Fähigkeiten – wie zum Beispiel die
Immunität gegen Gedankenkontrolle – auf den Sklaven zu
übertragen. Der Sklave besitzt diese Fähigkeit von nun an
permanent und kann sie mit einem erfolgreichen Willens-
kraftwurf (Schwierigkeit 7) anwenden oder „aktivieren“.
• Der Dämon kann einen oder mehrere Glaubenspunkte
nutzen, um eine abgeschwächte Version einer Beschwörung
aus seinem Schatz an Geheimnissen auf den Sterblichen
zu übertragen. Je nach Stufe der Beschwörung kostet die-
se Gabe einen bis fünf Glaubenspunkte (das heißt, eine
Beschwörung der Stufe Drei würde den Sterblichen drei
Glaubenspunkte kosten). Um die Beschwörung ausfüh-
ren zu können, muß der Sterbliche einen Willenskraftwurf
(Schwierigkeit 8) ausführen. Die erzielte Anzahl an Erfol-
gen gibt an, wie stark der Effekt und dessen Auswirkungen
ausfallen.
• Der Dämon kann einen Glaubenspunkt einsetzen, um
eine der besonderen Eigenschaften seiner apokalyptischen
Gestalt auf den Sklaven zu übertragen. Um diese Eigen-
schaft nutzen zu können, muß der Sklave einen Willens-
kraftwurf (Schwierigkeit 6) ausführen. Ist dieser erfolg-
reich, kann der Sterbliche die Eigenschaft eine Szene lang
manifestieren und einsetzen. Der Dämon kann mehr als
eine dieser besonderen Eigenschaften auf einen Sklaven
übertragen, wozu er allerdings je einen Glaubenspunkt aus-
geben muß.
• Wenn der Erzähler dem zustimmt, kann der Dämon die
Hälfte der zur Verfügung stehenden Glaubenspunkte des
Sterblichen dazu nutzen, um ihn zu einer seiner Bezugs-
quellen für freiwillig dargebrachten Glauben zu machen
(siehe „Dargebrachter Glaube“ auf Seite 250).
Beispiel: Rebecca hat einen neuen Sklaven gefunden, einen
Polizisten namens James Wong. Rebecca verspricht Wong, im
Austausch gegen seine Dienste die körperliche Fitneß und die
Vitalität des Polizisten zu steigern. Die meisten Sterblichen besit-
zen ein Glaubenspotential von 2, doch Wong ist zudem Diakon
304
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
GLAUBENSPOTENTIAL
Sterbliche verfügen über keinen Glaubewert. Statt
dessen besitzen sie ein bestimmtes Glaubenspotential.
Dieses Potential dient als Maß dafür, wieviel Glaube
dem Dämon zur Verfügung steht, um Einfluß auf die
Seele des jeweiligen Sterblichen zu nehmen.
Der Erzähler entscheidet darüber, wie hoch das
Glaubenspotential eines Sterblichen ist. Die meisten
Menschen besitzen ein Potential von 2. Eine Person
mit festen religiösen Überzeugungen (ganz gleich, wie
verdreht diese auch sein mögen) wie beispielsweise
ein frommer und gottesfürchtiger Priester hätte ein
Glaubenspotential von 3. Ein Potential von 4 ist re-
ligiösen Fanatikern, fundamentalistischen Predigern
oder buddhistischen Mönchen vorbehalten. Nur eine
Handvoll Menschen besitzen die innere Entschluß-
kraft, den Glauben und die Hingabe, die notwendig
ist, um ein Glaubenspotential von 5 ihr eigen zu nen-
nen – zu diesen Personen gehören Menschen wie der
Papst, Mutter Teresa oder der Dalai Lama. Sterbliche
mit einem Potential von 1 sind in spiritueller Hinsicht
schwach, besitzen keine erwähnenswerten religiösen
Überzeugungen und sind nur begrenzt dazu fähig, an
die Macht des Dämons zu glauben. Solche Sterblichen
eignen sich nicht allzu gut als Sklaven, besitzen aber
unter Umständen andere Fähigkeiten, die diesen Man-
gel ausgleichen könnten. Es gibt auch Menschen, die
ein Glaubenspotential von 0 besitzen – sie sind aller-
dings extrem selten. Bei solch spirituell toten Personen
handelt es sich um unvorstellbar skeptische Sterbliche,
mit denen kein Pakt geschlossen werden kann.
einer Kirche und ist fest in seinen religiösen Überzeugungen
verankert, weshalb er ein Glaubenspotential von 3 besitzt. Nach
einem kurzen Ritual, das allein der Beeindruckung Wongs dient,
konzentriert sich Rebecca und verwendet Wongs Glauben dazu,
sein innerstes Wesen zu verwandeln.
Marcus, Rebeccas Spieler, kann nun die drei Glaubens-
punkte aus Wongs Potential einsetzen, um den Charakter
bestimmten Modifikationen zu unterwerfen. Den ersten
Punkt wandelt er in 10 freie Zusatzpunkte um, mit denen
Marcus Wongs Widerstandsfähigkeit und Geschick um
jeweils einen Punkt steigert. Den zweiten Punkt nutzt er,
um den Riesenwuchs Rebeccas apokalyptischer Gestalt auf
Wong zu übertragen, den dieser durch einen erfolgreichen
Willenskraftwurf manifestieren und nutzen kann. Mit dem
letzten Glaubenspunkt macht Marcus Wong immun gegen
Gedankenkontrolle, um sicherzustellen, daß Rebeccas Die-
ner nicht durch ihre Feinde korrumpiert werden kann.
Es ist durchaus möglich, weitere Gaben auf einen Skla-
ven zu übertragen, dem bereits Kräfte zuteil wurden – es
ist allerdings alles andere als einfach. Um einen Sklaven
nach einer ersten Verleihung von Macht noch weiter zu
verändern, muß erst das Glaubenspotential des Sterblichen
gewachsen sein, und dieser Fall tritt nur dann ein, wenn
seine Hingabe an den dämonischen Meister merklich stär-
ker geworden ist. Der Erzähler entscheidet darüber, ob das
KAPITEL NEUN
Glaubenspotential eines Sklaven gewachsen ist oder nicht.
Ist sein Glaube stärker geworden, kann der Dämon diesen
neuen Glaubenspunkt dazu nutzen, um dem Sklaven wei-
tere Gaben zu schenken – hierzu muß allerdings ein neuer
Pakt zwischen Sterblichem und Dämon ausgehandelt und
abgeschlossen werden.
DAS BESCHWÖREN HIMMLISCHER KRÄFTE
Es ist für jeden eine riskante Sache, einer anderen Person
einen Blick auf die eigene wahre Natur zu gestatten, doch für
Dämonen ist es eine ganz besonders heikle Angelegenheit,
Sterblichen ihr himmlisches Wesen zu offenbaren. Dämo-
nen brauchen Glauben wie die Luft zum Atmen – ohne ihn
können sie nicht überleben. Doch die meisten modernen
Menschen sind zynisch und haben ihren Glauben verloren,
und sich einem solchen Ausmaß an Unglauben ausgesetzt
zu sehen, macht den Gefallenen das Leben sehr schwer. Die
Anwesenheit von Ungläubigen kann sich sogar störend auf
den Einsatz der übernatürlichen Kräfte und Fähigkeiten der
Gefallenen auswirken, die ja bekanntlich durch den Glauben
der Menschen gespeist werden müssen.
Oftmals ist es für einen Dämon bedeutend schwieriger
(und kostspieliger), seine Kräfte im Beisein skeptischer
Sterblicher zu wirken. Ob ein Sterblicher skeptisch genug
ist, um die Anwendung von Glauben zu behindern, ent-
scheidet der Erzähler. Als Faustregel können Sie davon
ausgehen, daß der „durchschnittliche“ Sterbliche nicht an
das Übernatürliche glaubt, aber sein Unglaube nicht stark
genug ist, um den Dämon ernstlich zu behindern. Perso-
nen mit einem stärkeren Willen oder einer Aversion gegen
alles Übernatürliche (wie beispielsweise ein pragmatischer
Wissenschaftler) können einem Dämon jedoch wirklich zu
schaffen machen und Probleme bei der Ausübung seiner
Kräfte bereiten.
Ein einzelner Beobachter könnte ein Problem werden, aber
eine ganze Gruppe von Skeptikern ist auf jeden Fall eins.
Menschen sind Herdentiere, und sie gewinnen Mut aus der
Anwesenheit ihresgleichen. Wird eine Gruppe Sterblicher
Zeuge, wie ein Dämon Glaube einsetzt und übernatürliche
Kräfte manifestiert, ist ihr Unglaube stärker, als wenn jedes
einzelne Individuum die Macht des Gefallenen schauen
würde; in einer Gruppe unterstützen und stärken sich die
Menschen untereinander auf einer unbewußten Ebene in
ihrer Ablehnung gegen den Außenseiter. Selbst wenn die
Sterblichen als Einzelpersonen sich nicht störend auf den
Einsatz der Kräfte und Fähigkeiten des Dämons auswirken
würden, werden sie das als Gruppe auf jeden Fall tun. Nur
unter wahren Gläubigen und Anhängern kann der Dämon
seine spirituelle Macht einsetzen, ohne dabei durch die
Anwesenheit der Sterblichen beeinträchtigt zu werden.
Immer wenn ein Dämon im Beisein eines ungläubigen
Sterblichen eine Beschwörung ausführen oder seine apo-
kalyptische Gestalt manifestieren will, macht der Erzäh-
ler für den Beobachter einen Willenskraftwurf gegen eine
Schwierigkeit von 8. Jeder hierbei erzielte Erfolg erhöht
die Schwierigkeit des Wurfs des Dämons um eins. Ist eine
ganze Gruppe skeptischer Personen zugegen, ermittelt der
Erzähler die durchschnittliche Willenskraft ihrer Mitglieder
(für gewöhnlich 3 oder 4) und führt dann mit diesem Wür-
felvorrat denselben Wurf aus. Für jeweils fünf Gruppenmit-
glieder fügt er einen weiteren Würfel zum Würfelvorrat für
diesen Wurf hinzu (besteht eine Gruppe beispielsweise aus
zwanzig Personen mit einer durchschnittlichen Willenskraft
von 3, würfelt der Erzähler mit sieben Würfeln).
Die Anwesenheit von Ungläubigen gestaltet das Leben
von Dämonen um einiges schwerer, weshalb sie auch allen
Grund haben, ihre übernatürlichen Fähigkeiten nur im
geheimen oder im Beisein von Sklaven und Anhängern
anwenden.
OFFENBARUNG
Jedesmal wenn ein Dämon Glaube einsetzt, können
sterbliche Beobachter einen Würfelwurf auf Wahrneh-
mung + Magiegespür ablegen, um die wahre Natur des
Gefallenen wahrzunehmen. Die Schwierigkeit dieses Wurfs
liegt bei 10 minus der Gesamtzahl an Glaubenspunkten,
die der Charakter in dieser Szene eingesetzt (oder verlo-
ren) hat. Folglich wird die Aufwendung einer geringen
Menge an Glauben nur von den sensibelsten und für diese
„Schwingungen“ empfänglichsten Sterblichen wahrgenom-
men werden. Der Einsatz großer Mengen an Glauben oder
die wiederholte Aufwendung kleinerer Mengen innerhalb
einer kurzen Zeitspanne erhöhen dagegen die Wahrschein-
lichkeit, daß jemand den Dämon als übernatürliches Wesen
erkennt. Erreicht die Schwierigkeit den Wert 0, erkennen
alle anwesenden Sterblichen automatisch die wahre Natur
des Dämons. Wann immer es ihnen gefällt, können Dämo-
nen Sterblichen ihre wahre Natur auch ohne den Einsatz
von Glauben offenbaren. Manifestiert ein Dämon seine
apokalyptische Gestalt (nähere Details hierzu finden Sie
in Kapitel Sieben), erliegen sterbliche Augenzeugen der
Verwandlung automatisch den Auswirkungen einer solchen
Offenbarung.
Die Reaktion eines Sterblichen hängt von zwei Faktoren
ab: dem Qualwert des Dämons und der Willenskraft des
Menschen. Gefallene mit einem niedrigen Qualwert (weni-
ger als die Hälfte ihrer Willenskraft) erscheinen den Men-
schen als atemberaubend schöne und strahlende Wesen, als
fahle Abbilder ihrer einstigen himmlischen Herrlichkeit.
Dagegen sind Gefallene mit einem hohen Qualwert (hö-
her als ihre Willenskraft) wandelnde Alpträume, deren
bloßer Anblick jeden Sterblichen in Angst und Schrek-
ken versetzt. Das Erscheinungsbild von Dämonen, deren
Qualwert zwischen diesen beiden Extremen liegt, kann
Sterblichen majestätisch und schrecklich zugleich (oder
nur herrlich oder nur grauenerregend) erscheinen, was sich
nach den vorgefaßten Meinungen des jeweiligen Sterb-
lichen (und dem Urteil des Erzählers) richtet. Sterbliche
mit einer niedrigen Willenskraft werden von der wahren
Natur eines Dämons wahrscheinlich regelrecht überwäl-
tigt sein, während Menschen mit hoher Willenskraft den
anfänglichen Schock überwinden und mit der Offenbarung
leichter umgehen können (trotzdem löst diese Erfahrung in
ihnen ebenfalls einen starken Schock aus, vor dem selbst
die gefaßtesten und abgestumpftesten Sterblichen nicht
gefeit sind).
Immer wenn ein Sterblicher Augenzeuge einer Offen-
barung wird, muß der Erzähler einen Willenskraftwurf für
305

ihn ausführen, bei der die Schwierigkeit vom permanenten
Glaubewert des Dämons vorgegeben wird. Sterbliche, bei
denen dieser Wurf scheitert, sind durch das, was sie sehen,
so überwältigt oder geschockt, daß sie vollkommen hand-
lungsunfähig sind und nichts anderes tun können, als den
Gefallenen einfach nur anzustarren. Bedroht der Dämon
sie dann direkt, ergreifen sie so schnell wie möglich die
Flucht und erklären sich das Erlebnis später auf rationale
Weise, indem sie sich einreden, einem Wachtraum oder
einer Halluzination aufgesessen zu sein, oder sie vergessen
den Vorfall schlicht und ergreifend.
Sterbliche, bei denen der Wurf erfolgreich ausfällt, sind
zwar ebenfalls beeindruckt von dem, was sie sehen, aber
immer noch in der Lage, rational zu handeln (wozu auch
gehören kann, so schnell wie möglich vor dem Gefallenen
zu fliehen). Sie können sich auch später noch ganz oder
zumindest teilweise an das Erlebnis erinnern, auch wenn
es ihnen wahrscheinlich niemand glauben wird. Ein Erfolg
reicht aus, um sich daran zu erinnern, daß irgend etwas
Außergewöhnliches geschehen sein muß, bei zwei Erfolgen
sind die gröbsten Details der Begegnung mit dem Dämon
im Gedächtnis eines Sterblichen hängengeblieben und bei
drei oder mehr Erfolgen kann sich der Augenzeuge an alles,
was geschehen ist, genauestens erinnern (und wird dies
aller Wahrscheinlichkeit nach auch nie wieder vergessen).
Endet der Willenskraftwurf in einem Patzer, bricht der
betroffene Sterbliche zusammen und verliert das Bewußt-
sein oder brabbelt nur noch unzusammenhängende Wort-
fetzen vor sich hin, da er von seiner Ehrfurcht oder seinem
Schrecken vollkommen überwältigt ist. Je nach Ermes-
sen des Erzählers können Menschen in einer besonders
schlechten körperlichen Verfassung sogar eine Herzattacke
oder einen Hirnschlag erleiden oder das Opfer vergleich-
barer Komplikationen werden. Nach seiner Genesung kann
sich der Sterbliche nicht an diese traumatische Erfahrung
erinnern, obwohl diese in bestimmten Spätfolgen nachhal-
len kann. So könnte das Opfer beispielsweise von immer
wiederkehrenden Alpträumen geplagt werden oder sein
Haar dauerhaft schlohweiß geworden sein.
Einen Effekt, den eine Offenbarung nicht erzeugt, ist,
dem Gefallenen die Möglichkeit zu bieten, den Glauben
der Sterblichen einzubringen, die Zeuge des Vorfalls wur-
den. Obwohl die Augenzeugen sich für einen kurzen Mo-
ment des wahren Wesens des Dämons bewußt sind, ist es
eine ungerichtete und unpersönliche Form der Erkenntnis.
Um den Glauben eines Sterblichen einbringen zu können,
muß ein Dämon eine Beziehung zu ihm aufbauen, und sei
es nur für kurze Zeit. Es reicht nicht aus, nur kurz seine
Hörner aufblitzen zu lassen oder die gespaltene Zunge her-
auszustrecken. Während die Manifestation seiner wahren
Gestalt im Zuge einer Offenbarung einem Gefallenen spä-
ter dabei helfen kann, den Glauben eines Sterblichen ein-
zubringen, ist eine Offenbarung an und für sich nie genug,
um einem Dämon die Möglichkeit zu geben, seine Macht
zu mehren.
DER GLAUBE ALS WAFFE
Vor Jahrhunderten, als Religion noch eine zentrale Rolle
im Leben eines jeden Sterblichen spielte und der Glaube
306
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
als Ganzes noch stärker und weiter verbreitet war, war es
religiösen Führern und ihren Anhängern möglich, die Le-
gionen der Hölle aufzuhalten und sogar zurückzuschlagen,
indem sie mächtige Gebete, Reliquien und Exorzismusritu-
ale gegen sie zum Einsatz brachten. In der modernen Welt
haben die Dämonen nur äußerst wenig von den allerorten
zu findenden Drive-in-Kirchen oder schlaganfallgezeich-
neten Fernsehpredigern zu befürchten. Es ist allerdings
noch immer möglich, auf Menschen, Orte oder Artefakte
zu stoßen, die selbst den mächtigsten Dämonen Einhalt
gebieten können.
HEILIGER BODEN
In der Vergangenheit wurde der Grund, auf dem eine
Kirche oder eine andere heilige Stätte errichtet wurde,
geweiht, um das Bauwerk gegenüber den Mächten des Bö-
sen unverwundbar zu machen. Diese Tradition wird auch
heute noch fortgeführt, doch der Glaube von einst, der in
diese Praktik einfloß und ihr Wirksamkeit verlieh, existiert
heute nicht mehr. Kirchen, Friedhöfe und andere Stät-
ten, die in den letzten 200 Jahren errichtet wurden, gelten
nicht mehr per se als auf heiligem Boden errichtet. Ältere
Stätten – aber auch einige wenige jüngeren Datums, deren
regelmäßige Besucher wahre Gläubige sind – können einen
Dämon zumindest potentiell fernhalten.
Ebenso wie Sterbliche kann jeder Ort der Andacht – sei
es nun eine Kirche, ein Friedhof oder ein einfacher Schrein
am Wegesrand – ein bestimmtes Glaubenspotential besit-
zen. Dieses Potential gründet sich darauf, wieviel wahrer
Glaube über Generationen hinweg von den dort versam-
melten Andächtigen zusammengetragen wurde. Gebäude
können ein Glaubenspotential zwischen 1 und 5 besitzen,
wobei der höchste Wert nur bei wirklich altehrwürdigen
Stätten wie dem Krippenplatz in Bethlehem oder dem Fel-
sendom in Jerusalem zu finden ist. Dämonen mit einem
Qualwert von 4 oder mehr, die versuchen, eine solche Stät-
te zu betreten, erleiden jede Runde, in der sie sich dort auf-
halten, eine Anzahl an tödlichen Schadensstufen, die mit
dem Glaubenspotential des jeweiligen Ortes identisch ist.
Dieser Schaden manifestiert sich in Form von Verbrennun-
gen oder Wundmalen im Gesicht und an den Händen. Jede
Runde ist ein erfolgreicher Willenskraftwurf erforderlich,
wenn ein solcher Dämon auf heiligem Boden verweilen
will. Scheitert der Wurf, flieht der Dämon.
Gefallene mit einem Qualwert von 3 oder weniger haben
ihrer dämonischen Natur zugunsten jener Anteile ihres in-
nersten Wesens entsagt, die vom Engel oder dem Menschen
stammen, der sie einst waren. Sie sind in der Lage, heiligen
Boden zu betreten, ohne Schaden davonzutragen. Die we-
nigen Dämonen, die dies bisher geschafft haben, können
nicht erklären, warum sie nicht verbrannt sind, doch sie
nehmen dies als Beweis dafür, daß es immer noch möglich
ist, die Gnade und die Vergebung Gottes zu erfahren.
GEWEIHTE ODER GESEGNETE GEGEN-
STÄNDE
Ähnlich wie im Fall von heiligem Boden ist es den wah-
ren Gläubigen auch möglich, einen so großen Teil ihrer
KAPITEL NEUN
spirituellen Macht in bestimmte Gegenstände einfließen
zu lassen, daß ein auf diese Weise behandelter Gegenstand
einem Gefallenen ernsthaft schaden kann. Solche geweih-
ten Gegenstände sind äußerst seltene und oftmals auch
sehr wertvolle Artefakte, die von ihren Besitzern oder den
Gläubigen, die sie anbeten, strengstens bewacht werden.
Personen, die über einen ausreichend starken Glauben
verfügen, können gewöhnliche Gegenstände weihen und
damit so mächtige Waffen wie etwa Weihwasser erschaf-
fen. Wie heiliger Boden besitzt ein geweihter Gegenstand
ein Glaubenspotential, das zwischen 1 und 5 liegt, wobei
der höchste Wert nur bei über einen sehr langen Zeitraum
hinweg durchgehend verehrten und einzigartigen Objekten
zu finden ist. Das Glaubenspotential des geweihten Gegen-
stands gibt die Anzahl der Stufen an tödlichem Schaden
an, die der Dämon in jeder Runde erleidet, in der der Ge-
genstand mit seiner Haut in Berührung kommt. Gefallene
mit einem Qualwert von 3 und weniger sind von diesen
Auswirkungen nicht betroffen.
Gesegnete Gegenstände sind mächtigere Varianten sol-
cher Objekte, die zu einem ganz bestimmten Zweck er-
schaffen und aus ebendiesem Grund verehrt werden. Ein
Sterblicher mit einem Glaubenspotential von 3 oder mehr
ist in der Lage, einen Gegenstand zu segnen. Je nachdem,
wie viel Zeit und Mühe in die Segnung investiert wurde,
verfügen solche Gegenstände über ein Glaubenspotential
zwischen 1 und 5. Als Faustregel können Sie davon ausge-
hen, daß ein solcher Gegenstand pro Tag, der zu Zwecken
der Segnung im intensiven Gebet verbracht wurde, ein
Glaubenspotential von einem Punkt besitzt. Während
seiner Erschaffung wird der gesegnete Gegenstand mit
einem bestimmten Gebet in Verbindung gebracht, das
Bann-, Schutz- oder Bindeworte enthält. Gesegnete Ge-
genstände zeigen nur dann Wirkung, wenn sie von einem
Sterblichen angewendet werden, der ein Glaubenspoten-
tial von mindestens 1 besitzt. Wenn ein gesegneter Gegen-
stand eingesetzt wird, wird aus seinem Glaubenspotential
und dem des Sterblichen ein Würfelvorrat gebildet, der
in einer Handlung gegen Widerstand gegen den Dämon
zum Einsatz kommt. Gefallene mit einem Qualwert von
3 und weniger werden von diesen Gegenständen oder
den Gebeten, mit denen sie in Verbindung stehen, nicht
beeinflußt.
GEBETE
Gebete sind mit den Beschwörungen vergleichbar, die ein
Dämon wirken kann. Es handelt sich bei ihnen um zielge-
richteten Einsatz von Glauben, der eine Veränderung in der
Wirklichkeit herbeiführen soll – genauer gesagt soll diese
Veränderung dazu dienen, einen Gefallenen zu bannen,
fernzuhalten, zu binden, oder auszutreiben.
Gebete werden als Handlung gegen Widerstand zwischen
einem Sterblichen und einem Dämon ausgeführt. Der Spie-
ler des Sterblichen würfelt eine Anzahl von Würfeln, die
seinem Glaubenspotential entspricht, gegen die Willens-
kraft des Dämons (im Falle gesegneter Gegenstände wird
der Würfelvorrat des Sterblichen für den Gebetswurf zu-
sätzlich um das Glaubenspotential des jeweiligen Objekts
erhöht). Geht der Sterbliche als Sieger aus diesem Wett-
streit hervor, treten die Effekte des Gebets augenblicklich
in Kraft. Mehrere Sterbliche können ihr Glaubenspotential
zusammenlegen, um mehr Macht in einem Gebet zu ver-
einen. Es gibt vier Arten von Gebeten, die gegen einen
Dämon eingesetzt werden können. Nur ein Gefallener, der
sich im Blickfeld des betenden Sterblichen befindet, kann
von diesen Gebeten beeinflußt werden. Die vier Gebets-
arten sind:
• Bannworte: Ein gelungenes Gebet zum Verbannen eines
Dämons schlägt diesen in die Flucht. Sein Qualwert gibt
an, wie viele Stunden lang er nicht zu dem Ort zurückkeh-
ren kann, von dem er verbannt wurde.
• Schutzgebet: Ein Schutzgebet wird eingesetzt, um den
Gefallenen davon abzuhalten, ein bestimmtes Gebiet über-
haupt erst zu betreten. Das Glaubenspotential des beten-
den Sterblichen gibt den beschützten Bereich in Metern an
(mehrere Sterbliche können ihr Glaubenspotential zusam-
menlegen, um diesen Bereich zu vergrößern). Ist der Wurf
erfolgreich, gibt der Qualwert des Dämons die Zeitspanne
in Stunden an, innerhalb derer er den geschützten Bereich
nicht betreten kann.
• Bindeworte: Ein solches Gebet bindet einen Dämon
solange an genau den Fleck, auf dem er gerade steht, wie
der Sterbliche sein Gebet fortsetzt. Der Dämon kann die-
sen Fleck weder auf natürliche noch übernatürliche Weise
verlassen, aber es ist ihm nach wie vor möglich, andere
Beschwörungen auszuführen, Gegenstände zu werfen oder
andere vergleichbare Handlungen auszuüben. So lange
der Sterbliche in seinem Gebet fortfährt, bleibt der Dä-
mon gebunden. Weitere Würfe sind nicht erforderlich.
Will der Sterbliche sein Gebet über mehrere Stunden hin-
weg fortführen, muß ihm dafür allerdings ein erfolgreicher
Wurf auf Widerstandsfähigkeit oder Willenskraft gelingen.
Gesegnete Gegenstände, die mit einem solchen Gebet in
Verbindung stehen, zeigen nur so lange Wirkung, wie sie
von ihrem Anwender für den Dämon sichtbar hochgehal-
ten werden.
• Exorzismus: Ein Gebet des Exorzismus ist eine Art
schwere Prüfung des Glaubens, die dazu dient, einen Dä-
mon aus seinem sterblichen Wirtskörper auszutreiben.
Um einen Exorzismus erfolgreich ausführen zu können,
muß der Sterbliche als Sieger aus einer Anzahl von Hand-
lungen gegen Widerstand gegen den Dämon hervorge-
hen, die größer ist als der permanente Glaubewert des
Gefallenen. Es kann immer nur ein Wurf pro Stunde (in
der Zeit der Spielwelt) abgelegt werden. Somit dauert ein
Exorzismus gegen einen Dämon mit einem permanenten
Glaubewert von 5 mindestens fünf Stunden. Ist der Sterb-
liche erfolgreich, wird der Dämon aus seinem Wirtskörper
ausgetrieben und kann nicht wieder in ihn einfahren.
Dadurch wird er dazu gezwungen, ein anderes passen-
des Gefäß zu finden, um nicht zurück in den Abgrund
gezogen zu werden. Natürlich muß der Dämon in dieser
Zeit nicht zwangsweise an Ort und Stelle verweilen und
abwarten, bis die Austreibung beendet ist, es sei denn, er
ist aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage, sich zu
bewegen. Daher wird ein Exorzist für gewöhnlich durch
einen weiteren Sterblichen unterstützt, der gleichzeitig
zur Austreibung Bindeworte ausspricht.
307

DER UMGANG MIT VERDAMMTEN
Das einzige, womit ein Dämon in der neuen, rauhen
Welt der Sterblichen von Anfang an vertraut ist, sind an-
dere Dämonen. Daher ist es auch eine Schande, daß sich
die Gefallenen beständig gegenseitig an die Kehle gehen
– Fraktion gegen Fraktion, in die Welt zurückgekehrte Dä-
monen gegen ihre einstigen Herren aus dem Abgrund,
die Erdgebundenen gegen die neuen Invasoren aus dem
Höllenschlund.
Konflikte und Beziehungen zwischen Dämonen sind
wichtige Bestandteile einer jeden Dämonen-Chronik. Die
im Folgenden beschriebenen Systeme erläutern, auf welche
Weise Dämonen miteinander interagieren – ob nun direkt
und persönlich oder über Handlanger und Anhänger.
WAHRE NAMEN
Namen sind wichtig – sowohl für das Objekt oder Wesen,
das einen Namen erhält, als auch für diejenigen, die mit
diesem Wesen oder Objekt umgehen. Namen geben uns
eine Identität; sie geben uns ein Werkzeug an die Hand,
durch das wir mit anderen interagieren können. Für Dä-
monen sind Namen weit mehr als nur einfache Bezeich-
nungen – sie sind ein wesentlicher Bestandteil ihres wahren
Wesens. Obwohl ein Dämon viele Namen tragen kann
– seinen ursprünglichen Himmlischen Namen, den Na-
men seines sterblichen Wirtskörpers sowie bestimmte Titel
und Spitznamen –, besitzt er nur einen einzigen Wahren
Namen. Ursprünglich war dies der Name, der ihm vom
Schöpfer gegeben wurde; nach dem Fall veränderten und
verdrehten sich die Wahren Namen aller Dämonen, um
sich ihrem von Grund auf verwandelten Wesen anzupassen.
Bei Dämonen, die menschliche Körper in Besitz genommen
haben, besteht die Chance, daß sich ihre Wahren Namen
abermals radikal verändern, sofern es dem Gefallenen ge-
lingt, sein innerstes Wesen und seine infernalische Natur
umfassend neu zu definieren.
Den Wahren Namen eines Dämons zu kennen, bedeutet
Macht über diesen Dämon zu haben. Kommt der Wah-
re Name eines Dämons als Teil eines Rituals zum Einsatz
(siehe „Beschwören und Binden“ auf Seite 309), gerät die-
ser Dämon unter die Kontrolle der Person, die das Ritual
ausgeführt hat. Er behält zwar weiterhin seinen eigenen
Willen und sein eigenes Bewußtsein, aber er steht dennoch
unter dem Zwang, den Befehlen seines neuen Herrn Folge
zu leisten.
Selbst ohne ein solches Ritual ist die Kenntnis eines
Wahren Namens äußerst nützlich. Wird der Wahre Name
eines Dämons ausgesprochen, wird die Aufmerksamkeit
des Dämons sofort auf den Sprecher gerichtet, unabhän-
gig davon, wo sich dieser gerade auf der Welt aufhält.
Darüber hinaus können die beiden Parteien verbal mitein-
ander kommunizieren. Der Wahre Name kann auch dazu
mißbraucht werden, um einen Dämon einzuschüchtern
oder zu manipulieren. Ist einem Charakter der Wahre
Name eines Dämons bekannt, erhält er eine Anzahl von
Würfeln (diese wird durch den Glaubewert des Dämons
bestimmt), die er bei geistigen und gesellschaftlichen
Würfelwürfen gegen diesen Gefallenen einsetzen kann.
308
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Handlungen, bei denen diese Vorteile für den Anwender
des Wahren Namens geltend gemacht werden können,
schließen alle Würfe auf Einschüchtern und Ausflüchte
ein, aber auch bei Würfen auf Recherche und Nachfor-
schungen, die darauf abzielen, etwas über die Pläne oder
den Aufenthaltsort des Dämons herauszufinden, können
diese zusätzlichen Würfel verwendet werden. Der Erzäh-
ler ist die oberste Instanz, die darüber entscheidet, ob der
Würfelwurf einer bestimmten Handlung durch die Kennt-
nis des Wahren Namens eines Dämons positiv beeinflußt
werden kann oder nicht. Bei allen körperlichen Handlun-
gen und im Kampf ist das Wissen um den Wahren Namen
eines Dämons vollkommen irrelevant. (Das Wesen eines
Gefallenen zu kennen, schützt einen noch lange nicht vor
seinen Klauen.)
Es liegt auf der Hand, daß man sich ein unglaublich
effektives Werkzeug verschaffen kann, um gegen einen
Gefallenen vorzugehen, wenn es einem gelingt, den Wah-
ren Namen des Dämons zu erfahren. Aus diesem Grund
spielt die Suche nach Wahren Namen auch eine besonders
wichtige Rolle in jeder Dämonen-Chronik. Die im Folgen-
den aufgeführten Systeme erläutern, auf welche Weise ein
Wahrer Name in Erfahrung gebracht werden kann, und
geben zudem Aufschluß darüber, welche Schritte bei einer
solchen Suche nichts bewirken werden.
Ein Wahrer Name ist mehr als eine einfache Aneinander-
reihung von Buchstaben. Es handelt sich bei ihm um ein
bestimmtes Muster übernatürlicher Energien, um eine Art
Fußabdruck, den der Gefallene in der Wirklichkeit selbst
hinterläßt. Auf gewisse Weise ist der Dämon auch gleich-
zeitig sein Wahrer Name, und dieser Name hat daher neben
seiner rein sprachlichen Realisierung in der Welt auch eine
tiefergehende Bedeutung. Damit ein Wahrer Name ein-
gesetzt werden kann, muß der Anwender auch ebendiese
Bedeutung kennen. Darüber hinaus kann der Wahre Namen
eines Dämons nur dann eingesetzt werden, wenn er auch
tatsächlich ausgesprochen wird, da der Sprecher dadurch
den Odem des Schöpfers in seinem eigenen Atem bündelt
und lenkt. Folglich besitzt ein Wahrer Name auch keinerlei
Macht, wenn er einfach nur niedergeschrieben oder zufällig
zusammengestückelt wird. Man kann keinen Computer
darauf programmieren, bestimmte Permutationen beliebi-
ger Buchstaben durchzugehen, um damit einen Dämon zu
beeinflussen, da ein Computer keinen Atem und erst recht
keine Seele besitzt. Nur ein lebendiges (oder ehedem leben-
diges Wesen) kann einen Wahren Namen anwenden und
auch nur dann, wenn es versteht, was damit zum Ausdruck
gebracht wird.
Das alles bedeutet im Umkehrschluß aber auch, daß man
den Wahren Namen eines Dämons herausfinden kann,
wenn es einem gelingt, möglichst viel über die Persönlich-
keit und die Ziele eines Gefallenen herauszufinden. Wenn
man in Erfahrung bringt, warum ein Dämon etwas tut,
erhält man damit auch Einsicht in die Bedeutung seiner
Taten – was wiederum Einsicht in die Bedeutung seines
Wahren Namens bringt. Wahre Namen können nur Stück
für Stück zusammengesetzt werden – ein Buchstabe hier,
ein kurzer Moment der Erkenntnis seiner Bedeutung da –,
bis der suchende Charakter den vollen Namen kennt (oder
KAPITEL NEUN
das, wovon er zumindest hofft, daß es sich dabei um den
vollen Namen handelt).
Weiß ein Charakter, wonach er suchen muß, kann sein
Spieler im Zuge mehrerer erweiterter Handlungen versu-
chen, den Wahren Namen des Dämons herauszufinden.
Durch Recherche und Nachforschungen muß der Cha-
rakter in verschiedensten Würfen eine bestimmte Anzahl
an Erfolgen sammeln (diese wird vom Erzähler festgelegt);
sobald er diese Erfolge erzielt hat, hat er den Wahren Na-
men in Erfahrung bringen können. Die Anzahl der benö-
tigten Erfolge hängt von der Macht des Dämons ab, da
mächtigere Dämonen komplexere Namen besitzen. Bei
Dämonen von niederem Rang (vergleichbar mit dem der
Charaktere der Spieler), benötigt ein Sucher 10 Erfolge,
um einen Wahren Namen herauszufinden; bei Dämonen
mittleren Ranges wie etwa Fürsten und Großfürsten sind
hierzu schon 15 bis 20 Erfolge nötig, während die Namen
der mächtigen Barone oder Herzöge erst mit 30 oder mehr
Erfolgen herausgefunden werden können, was ganz im Er-
messen des Erzählers liegt.
Welche Handlungen können Hinweise auf einen Wahren
Namen liefern? Hier sind einige Beispiele:
• Ein Charakter kann okkulte Schriften durchstöbern, um
die Namen von Dämonen zu finden und sie mit den Hand-
lungen eines bestimmten Gefallenen zu vergleichen, dessen
Wahren Namen er herauszufinden versucht (Intelligenz +
Okkultismus). Allein nur die richtigen Bücher zu finden,
kann schon ein guter Aufhänger für eine eigene Geschichte
sein, da Schriften dieser Art äußerst selten sind und von
ihren Besitzern eifersüchtig gehütet werden.
• Auch beim Untersuchen des Tatorts eines Verbrechens
kann man nach den subtilen Hinweisen suchen, die Ein-
blicke in die Persönlichkeit des Täters gewähren (Wahr-
nehmung + Nachforschungen).
• Durch das Verhören der Anhänger eines Dämons kann
man herausfinden, wie sie ihren Meister in ihren blasphe-
mischen Ritualen anrufen und benennen (Manipulation +
Einschüchtern).
• Das Durchsuchen des Tempels und der persönlichen
Besitztümer eines Dämons und die anschließende Deutung
dessen, was diese über ihn aussagen, kann ebenfalls viele
nützliche Informationen zutage fördern (Wahrnehmung
+ Empathie).
• Das spirituelle Wirken des Gefallenen zu untersuchen,
kann genauso nützliche Hinweise liefern. Jedesmal wenn er
eine seiner Beschwörungen durchführt, hinterläßt er eine
Art psychischen Fingerabdruck im Gefüge der Wirklichkeit
(Wahrnehmung + Okkultismus).
Die Spieler werden mit Sicherheit eigene Wege ersin-
nen, mit denen der Wahre Name eines Dämons in Erfah-
rung gebracht werden könnte. Der Erzähler muß dann nur
noch entscheiden, ob eine vorgebrachte Idee tatsächlich
verwertbare Ergebnisse liefern kann und welche Eigen-
schaften beim fälligen Würfelwurf zum Einsatz kommen.
Die Schwierigkeit solcher Würfe ist immer sehr hoch –
normalerweise liegt sie bei 8, möglicherweise auch bei 9,
wenn die Handlung besonders ungewöhnlich ist.
Dieser Würfelwurf sollte immer nur vom Erzähler ausge-
führt werden, der die Anzahl der gewürfelten Erfolge (sofern
welche erzielt wurden) irgendwo in seinen Notizen festhält,
ohne die Spieler über das Ergebnis in Kenntnis zu setzen.
Auf diese Weise weiß ein Charakter nie, ob er einen Wahren
Namen vollständig in Erfahrung gebracht hat. Unter Um-
ständen muß er einfach das anwenden, was er bisher heraus-
gefunden hat, und darauf hoffen, daß dies ausreicht.
Ist ein Wahrer Name unvollständig, birgt er keinerlei
Macht, mit der ein Dämon kontrolliert oder gebannt wer-
den könnte – wie ein Paßwort funktioniert er entweder
reibungslos oder überhaupt nicht. Spieltechnisch gesehen
ist es nicht nötig, daß der Wahre Name eines Charakters
tatsächlich festgelegt und irgendwo aufgeschrieben wird,
obwohl die Spieler dies gerne tun können, wenn sie möch-
ten. Viel wichtiger sind jedoch die Fortschritte, die die
Charaktere beim Entziffern der Bedeutung eines Wahren
Namens durch die Ansammlung von Erfolgen machen.
BESCHWÖREN UND BINDEN
Die Geschichte des Okkultismus ist voller Erzählungen
über Zauberer, die Dämonen beschworen und unter ihren
Willen gezwungen haben – oder durch Kräfte, die sie nicht
zu bändigen vermochten, vernichtet wurden. In einigen
dieser Geschichten steckt mehr als nur ein kleines Körn-
chen Wahrheit. Einige dieser Dämonen, die aus der Hölle
gerufen wurden, existieren noch heute als die sogenannten
Erdgebundenen.
Mit dem richtigen Beschwörungsritual ausgerüstet kann
ein Zauberer – ganz gleich, ob es sich dabei um einen Sterb-
lichen oder einen Dämon handelt – einen Gefallenen zu
sich rufen. Ein zweites Ritual kann dann den Dämon dem
Willen des Beschwörers unterwerfen und ihn zu dessen
Diener machen.
Natürlich ist ein solches Vorhaben keine einfache An-
gelegenheit. Um genau zu sein, ist es sehr schwierig und
unglaublich gefährlich. Wenn die durch das Ritual vorge-
gebenen Schritte nicht genauestens eingehalten werden und
dem Beschwörer einige besonders wichtige Informationen
über das Ritual fehlen, kann der herbeigerufene Dämon
tun und lassen, was immer er möchte – wie beispielsweise
den Tor zu strafen, der es gewagt hat, ihn in eine Knecht-
schaft zwingen zu wollen.
Um einen Dämon beschwören zu können, muß der
Zauberer das richtige Ritual kennen. Es gibt buchstäblich
Tausende von Beschwörungsritualen, die in den verschie-
densten okkulten Büchern beschrieben werden, und der
absolut größte Teil dieser Rituale zeigt zudem nicht die
geringste Wirkung. Die wenigen Rituale, die übrigbleiben,
besitzen zwar durchaus Macht, aber auch nur dann, wenn
sie auf den richtigen Dämon angewendet werden. Ein Ri-
tual, das entwickelt wurde, um einen Erdgebundenen dem
Willen des Beschwörers zu unterwerfen, wird höchstwahr-
scheinlich keinerlei Auswirkungen auf einen der unlängst
aus der Hölle entkommenen Gefallenen haben. Das Ritual
muß zumindest das richtige infernalische Haus des Dämons
anrufen. Um einen Verschlinger zu beschwören, braucht
man ein Ritual, das dazu ersonnen wurde, einen Verschlin-
ger zu rufen und keinen Übeltäter.
Das richtige Ritual zu finden, ist ein langer und ermü-
dender Prozeß, der sich über Monate (oder gar Jahre) der
309
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

Recherche hinziehen kann. Erzähler können diese Suche

durch eine erweiterte Handlung wiedergeben, bei der der
Beschwörer auf Intelligenz + Okkultismus (Schwierigkeit
7) würfelt und insgesamt 20 Erfolge erzielen muß. Bevor
der Spieler aber überhaupt erst versuchen kann, diesen
Wurf zu machen, muß sein Charakter etwas über den
Dämon wissen, den er beschwören will – seinen Namen
(vorzugsweise den Wahren Namen) und sein Haus. Die
meisten Rituale beinhalten Methoden sowohl zur Be-
schwörung als auch zur Knechtung eines Dämons (es gibt
aber auch Rituale, die nur den einen oder den anderen
Aspekt umfassen).
Hat der Okkultist das richtige Ritual gefunden, kann
er anschließend versuchen, es auszuführen. Das Wirken
eines Rituals ist ein langwieriges Unterfangen, das sich
nicht nur über Runden, sondern über Stunden hinzieht.
Der Erzähler kann zusätzlich verlangen, daß der Cha-
rakter über bestimmte Paraphernalien verfügen, sich an
einem bestimmten Ort aufhalten oder andere Einschrän-
kungen beachten muß, um das Ritual korrekt ausführen
zu können.
Ist das Ritual vollzogen, würfelt der Spieler des Beschwö-
rers Geistesschärfe + Okkultismus, um den Dämon zu
sich zu rufen. Die Schwierigkeit dieses Wurfs beträgt für
gewöhnlich 6, aber der Erzähler kann sich auch dazu ent-
schließen, sie höher anzusetzen (wenn das Ritual nicht
hundertprozentig auf den Dämon zugeschnitten ist oder
der Beschwörer nicht über alle Paraphernalien verfügt)
oder sie zu senken (wenn der Beschwörer zusätzliche Pa-
raphernalien einsetzt, die mit dem Dämon in besonderem
Zusammenhang stehen). Scheitert der Wurf, zeigt das Ritu-
al keine Wirkung. Bei einem Patzer können die mystischen
Energien in Form einer Explosion auf den Beschwörer zu-
rückfallen oder ein Monstrum herbeirufen, das er nicht
unter seinen Willen zwingen kann.
Ist der Wurf erfolgreich, wird der Dämon augenblicklich
zum Ort des Rituals transportiert, wo er dann in seiner apo-
kalyptischen Gestalt erscheint. Bei Dämonen, die mensch-
liche Form angenommen haben – wie etwa die Gefallenen
–, bleibt der Wirtskörper in einem tiefen Koma zurück
(was möglicherweise zu Komplikationen führt, wenn der
Gefallene sich zu diesem Zeitpunkt gerade mit jemandem
unterhalten hat ...). Erdgebundene Dämonen werden aus
ihrem stofflichen Gefäß gerissen, und Dämonen, die sich
noch immer in der Hölle aufhalten, finden sich urplötzlich
auf der Existenzebene wieder, in der das Ritual ausgeführt
wurde.
Das Ritual muß einen gewissen Raum für den Dämon
bereithalten, in dem dieser sich manifestieren kann – diese
magische Schutzzone kann ein Kreis, ein Rechteck oder ein
sonstiges Zeichen sein.
Im Volksmund wird behauptet, daß dieser Kreis den Be-
schwörer schützen soll – in Wahrheit aber schützt er den
Dämon. Dämonen, die keinen Wirtskörper besitzen, wer-
den normalerweise zurück in die Hölle hinabgezogen (siehe
„Die Suche nach einem neuen Wirtskörper“ auf Seite 312)
und können nicht mit lebenden Wesen sprechen oder auf
andere Weise mit ihnen interagieren. Der mystische Raum
innerhalb des Kreises schützt einen Dämon jedoch vor der

310
KAPITEL NEUN
DIE ENTWICKLUNG VON RITUALEN
Findet ein zu allem entschlossener Beschwörer kein
passendes Ritual, ist es möglich, daß er ein eigenes,
neues Ritual entwickeln kann – eines das hundertpro-
zentig auf den zu beschwörenden Dämon zugeschnit-
ten ist. Ein solches Unterfangen ist allerdings noch
schwerer, als das passende Ritual auf normalem Weg zu
finden. Erfahrene Okkultisten sind zwar durchaus in
der Lage, vollkommen neue Rituale in einer kürzeren
Zeit zu entwickeln, als sie eigentlich brauchen würden,
um ein passendes Ritual auf herkömmliche Weise zu
suchen und zu finden, aber der Prozeß der Ritualent-
wicklung birgt dafür wesentlich größere Risiken. Die
Entwicklung eines Rituals ist eine erweiterte Hand-
lung, bei der Intelligenz + Okkultismus (Schwierigkeit
8) gewürfelt wird. Der Okkultist muß insgesamt 25 Er-
folge erzielen, wobei nur einmal pro Monat gewürfelt
werden darf (oder vielleicht auch häufiger, wenn der
Erzähler dies zuläßt). Der Erzähler sollte diese Würfe
selbst vornehmen und die Ergebnisse vor dem Spieler
geheimhalten. Endet einer der Würfe in einem Patzer,
hat sich ein fataler Fehler in das Ritual eingeschlichen
– was der Okkultist selbst allerdings nicht einmal ahnt.
Solche fehlerhaften Rituale fallen immer mit verhee-
renden Auswirkungen auf den Beschwörer zurück,
ungeachtet dessen, wie gut der Okkultist bei seinem
Beschwörungswurf auch abschneiden mag.
spirituellen Anziehungskraft des Abgrunds und erlaubt es
ihm, mit dem Beschwörer zu reden und anderweitig mit
ihm zu interagieren. Beim Kreis handelt es sich um einen
Schutzschild und nicht um einen Käfig. Der Dämon kann
jederzeit aus dem Kreis hinaustreten, aber sobald er dies tut,
setzt er sich damit dem schrecklichen Sog des Abgrunds
aus und ist möglicherweise weit von seinem Wirtskörper
entfernt. Die meisten Dämonen fahren folglich wesentlich
besser damit, innerhalb des Kreises zu bleiben. Sobald das
Ritual beendet wird oder der Beschwörer den Dämon aus
seinen Diensten entläßt, kehrt dieser in seinen Körper zu-
rück oder fährt – je nach Absprache, die der Dämon mit
dem Beschwörer getroffen hat – in ein neues Gefäß ein.
Ist ein Dämon herbeigerufen worden, kann der Beschwö-
rer normal mit ihm interagieren, sofern er nicht durch den
Anblick der apokalyptischen Gestalt des Dämons in Panik
oder lähmende Ehrfurcht versetzt wird (siehe „Offenba-
rung“ auf Seite 305). Er kann anschließend eine Unterhal-
tung mit dem Dämon führen oder ihm anbieten, einen Pakt
auf freiwilliger Basis mit ihm einzugehen. Der Dämon kann
dem Sterblichen Gehör schenken oder einfach nur vor Wut
kochend schweigen. Die meisten Okkultisten rufen einen
Dämon allerdings nicht herbei, um lediglich eine Unterhal-
tung mit ihm zu führen – anstelle dessen versuchen sie, den
Dämon unter ihren Willen zu zwingen. Um einen Dämon
auf diese Weise an sich binden zu können, muß das Ritual
unter ebendiesem Aspekt fortgeführt werden (oder umge-
hend ein zweites Ritual begonnen werden, das auf das Bin-
den des Dämons ausgerichtet ist). Bis zu diesem Zeitpunkt
muß der Beschwörer irgendwie den Namen des Dämons in
Erfahrung gebracht haben. Der Beschwörer muß zumindest
den Himmlischen Namen des Dämons kennen, aber es ist
selbstredend von weitaus größerem Vorteil, den Wahren
Namen des Dämons zu wissen.
Der Spieler des Beschwörers und der Spieler würfeln dar-
aufhin Willenskraft in einer Handlung gegen Widerstand.
Bei diesem Wettstreit hat der Beschwörer jedoch einen
entscheidenden Vorteil – hat er Helfer oder Akolythen, die
ihn bei der Durchführung des Rituals unterstützen, können
diese ihn mit ihrem eigenen Willen bei seinem Unterfangen
unterstützen. Der Erzähler führt einen Willenskraftwurf
(Schwierigkeit 8) für jeden am Ritual beteiligten Helfer
aus, wobei jeder erzielte Erfolg einen zusätzlichen Würfel
zum Willenskraftvorrat des Beschwörers hinzufügt.
Kennt der Beschwörer nur den Himmlischen Namen des
Dämons, erhält der Dämon seinerseits so viele Zusatzwür-
fel zu seinem Vorrat hinzu, wie sein Glaubewert vorgibt.
Kennt der Beschwörer den Wahren Namen des Dämons,
fällt es ihm erheblich leichter, den Dämon an sich zu bin-
den. In diesem Fall erzielt er bei seinem Willenskraftwurf
eine Anzahl automatischer Erfolge, die dem Qualwert des
Dämons entspricht. Wahre Namen sind mächtige Waffen,
und nur wenige Dämonen können sich gegen jemanden
behaupten, der mit dem Wissen um ihr innerstes Wesen
gewappnet ist.
Erzielt der Dämon mehr Erfolge als der Beschwörer, schei-
tert dessen Versuch, ihn an sich zu binden, und der Dämon
kann entkommen. Erzielt hingegen der Beschwörer mehr
Erfolge, ist der Dämon an ihn gebunden und wird für einen
begrenzten Zeitraum unter seinen Willen gezwungen.
Jeder Erfolg, den ein Beschwörer gewürfelt hat, gewährt
ihm einen Befehl, den er dem Dämon erteilen kann. Diese
Befehle müssen verhältnismäßig präzise formuliert wer-
den und sich um eine bestimmte Handlung drehen. „Be-
schütze mich vor all meinen Feinden“ ist als Befehl zu
weitreichend und ungenau. „Töte Gideon Wallace“ ist
da schon wesentlich eindeutiger. Der Beschwörer kann
einem Dämon auch auftragen, seinen Wirtskörper auf-
zugeben, ihm selbst mehr Macht zu verleihen oder ihm
jede andere Handlung befehlen, die in wenigen Worten
treffend beschrieben werden kann.
Ist ein Dämon erst einmal an Befehle gebunden, muß
er diese nach bestem Wissen und Gewissen so bald wie
möglich ausführen. Solange er an einen Befehl gebunden
ist, kann der Dämon nicht gegen den Beschwörer vorge-
hen. Hat der Dämon alle Befehle ausgeführt, kann er den
Beschwörer umgehend angreifen – aber eben erst dann,
wenn er auch wirklich alle Aufgaben erfüllt hat, die ihm
aufgetragen wurden. Der Gefallene ist allerdings in der
Lage, indirekt gegen seinen Beschwörer vorzugehen – zum
Beispiel indem er jemand anderes dazu überredet, den
Beschwörer anzugreifen – oder daran zu arbeiten, daß
sich dessen Befehle letzten Endes nachteilig für ihn selbst
auswirken. Kluge Beschwörer formulieren ihre Befehle
derart genau, daß sie kaum Grauzonen bieten, die ein Dä-
mon ausnutzen könnte, und sie achten zusätzlich darauf,
sich selbst vor dem Zorn ihres infernalischen Dieners zu
311

BESCHWÖRUNGEN DURCH STERBLICHE
Ein sterblicher Beschwörer kann die Barrieren, von
denen die Hölle umgeben ist, durchbrechen und einen
Dämon aus dem Abgrund zu sich rufen – eine solche
Tat ist selbst für den willensstärksten und erfahrensten
Dämon absolut unmöglich. Niemand weiß genau, wa-
rum Dämonen nicht fähig dazu sind, ihre Geschwister
aus der Hölle zu rufen. Die gängigste Theorie besagt,
daß Gott einen besonderen Schutz in die Barrieren
der Hölle eingearbeitet hat, um sie gegen ebensolche
Versuche undurchlässig zu machen. Womöglich wußte
der Schöpfer um das bestehende Risiko, daß manche
Dämonen eines Tages aus der Hölle entfliehen und
versuchen würden, die Tore des Abgrunds aufzusto-
ßen, um ihre Geschwister zu befreien. Deshalb ist es
nur menschlichen Beschwörern möglich, Dämonen
direkt aus der Hölle herbeizurufen – sofern sie Zugang
zu den entsprechenden Ritualen haben. Natürlich gibt
es keine Möglichkeit, einen Dämon davon abzuhalten,
einem besonders befähigten Sklaven zu verraten, wie
ein solches Beschwörungsritual auszuführen ist – oder
wie man einen Dämon beschwört und an sich bin-
det, der sich bereits frei in der Welt der Sterblichen
bewegt.
schützen; dumme und ungeduldige Beschwörer hingegen
liegen in namenlosen Gräbern verscharrt – sofern ihnen
nicht ein noch weitaus schlimmeres Los als der Tod zuteil
geworden ist.
Sind die Befehle erst einmal alle ausgeführt, kann der
Beschwörer versuchen, das Ritual so abzuändern, daß er
den Dämon zu einem späteren Zeitpunkt erneut an sich
binden kann. Hierzu müssen subtilste Veränderungen am
Ritual vorgenommen werden, was höchst riskant ist. Der
Erzähler macht für den Charakter einen Würfelwurf auf
Intelligenz + Okkultismus (Schwierigkeit 8) und muß
dabei eine Anzahl von Erfolgen erzielen, die über der
Zahl der in der Vergangenheit durchgeführten Rituale
liegt, mit deren Hilfe der Beschwörer diesen einen Dämon
seinem Willen unterwerfen konnte (hat der Beschwörer
den Dämon also bereits zwei Mal zuvor binden können,
benötigt er nun drei Erfolge). Gelingt dieser Wurf, durch-
laufen der Beschwörer und der Dämon denselben Be-
schwörungs- und Bindungsprozeß wie zuvor. Scheitert der
Wurf, bleibt das Ritual, das den Dämon unter den Willen
des Beschwörers zwingen sollte, ohne jegliche Wirkung –
was der Beschwörer allerdings nicht weiß, solange er das
Ritual nicht einzusetzen versucht. Bei einem Patzer wird
sich der Dämon der Tatsache bewußt, daß das Ritual kei-
nerlei Auswirkungen auf ihn hat, was es ihm ermöglicht,
blutige Rache am Beschwörer zu nehmen.
LEBEN UND TOD
Am Anfang wußten die Himmlischen nichts über den
Tod oder gar die Gefahren einer stofflichen Existenz. Sie
waren Wesen reinen Geistes, die von der Sterblichkeit völ-
lig unberührt blieben. Der Krieg jedoch änderte alles und
312
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
stellte unter Beweis, daß sie vernichtet werden konnten.
In dem neuen Zeitalter, das nun angebrochen ist, lernen
die Gefallenen langsam, daß auch ihre sterblichen Körper
durchaus getötet werden können und sie in diesem Fall
ihre endgültige Vernichtung von den Händen ihrer Feinde
riskieren.
DIE SUCHE NACH EINEM NEUEN
WIRTSKÖRPER
Der Tod ist nicht das Ende – zumindest nicht für Dä-
monen. Tatsächlich ist der „Tod“ ein Konzept, das sich
nur schwerlich auf die Himmlischen übertragen läßt. Zwar
können ihre sterblichen Hüllen verletzt, getötet oder ver-
nichtet werden, doch was kümmert das die unsterblichen
Geister, die in ihnen stecken? Ein Dämon kann den Tod
seines Wirtskörpers problemlos überstehen und sich ein
neues Gefäß suchen, wobei allerdings höchste Eile geboten
ist. Himmlische Wesenheiten können nicht lange in der
stofflichen Welt existieren, da ihr Geist durch die Bela-
stung, zwischen zwei Welten gefangen zu sein, immer weiter
geschwächt wird, bis sie schließlich zurück in die Hölle
geschleudert werden.
Wird ein Dämonencharakter über die Gesundheitsstufe
„Außer Gefecht“ hinaus durch tödlichen oder schwer
heilbaren Schaden verwundet, stirbt sein Wirtskörper.
In der folgenden Runde manifestiert sich der Dämon in
seiner apokalyptischen Gestalt und schwebt über seinem
ehemaligen Körper. In diesem Zustand kann der Dämon
auf keine Weise beeinflußt werden (mit einigen wenigen
Ausnahmen – siehe „Endgültige Vernichtung“ auf Seite
314). Umgekehrt kann aber auch der Dämon auf nichts
Einfluß ausüben, das sich in der stofflichen Welt befindet,
und er kann auch keines seiner Geheimnisse mehr einset-
zen. Zusätzlich wird seine Wahrnehmung durch diesen
Zustand verändert und getrübt: Zwar kann er die Seelen
lebendiger Wesen sehen, aber unbelebte Gegenstände
nimmt er kaum noch wahr. Seine geisterhafte Gestalt
unterliegt weder der Erdanziehungskraft, noch kann sie
durch Wände oder andere Hindernisse aufgehalten wer-
den. Er kann sich in jede Himmelsrichtung mit einer Ge-
schwindigkeit fortbewegen, die (Willenskraft + 5) x 1,5
km pro Runde entspricht.
Auch wenn der Geist des Dämons von der stofflichen
Welt unbeeinflußt bleibt, ist seine Lage alles andere als
unbedenklich. Ab dem Moment, in dem der Gefallene
von seinem sterblichen Körper getrennt wird, unterliegt
er augenblicklich dem unerbittlichen Sog des Abgrunds,
der ihn in sein ewiges Gefängnis zurückzuholen versucht.
Jede Runde, in der sich der Dämon ohne Wirtskörper in
der stofflichen Welt aufhält, muß seinem Spieler ein er-
folgreicher Willenskraftwurf (Schwierigkeit 6) gelingen.
Scheitert dieser Wurf, wird der Dämon zurück in die Hölle
geschleudert. Es können wie gewohnt Willenskraftpunk-
te eingesetzt werden, um automatische Erfolge für diesen
Wurf zu erhalten.
Beispiel: Ishmaels Suche nach dem Kult des Erdgebundenen
findet ein jähes und schreckliches Ende, als er auf Atoth-Nagan
trifft – einen monströsen, mächtigen Verschlinger, der in den
Diensten des Kults steht. In einem verlassenen Museum tref-
KAPITEL NEUN
fen die beiden Gefallenen aufeinander. Ishmael wird von den
scharfen Klauen des Verschlingers förmlich in Stücke gerissen.
Nachdem er mit dem letzten Atemzug seines Wirtskörpers aus
seiner Hülle ausgestoßen wurde, materialisiert sich Ishmael in
der anschließenden Runde in seiner apokalyptischen Gestalt
über dessen sterblichen Überresten. Schon beginnt der Abgrund
an ihm zu zerren. Ishmaels Spieler muß nun jede Runde einen
erfolgreichen Willenskraftwurf ablegen, damit sich sein Charak-
ter in dieser Existenzebene halten kann, und selbst bei seinem
relativ hohen Willenskraftwert von 7 wird sein Spieler früher
oder später bei einem Wurf scheitern. Verzweifelt gegen den Sog
der Hölle ankämpfend muß sich Ishmael nun ein neues Gefäß
suchen, bevor er verloren ist.
Um sein Überleben sicherzustellen, muß sich der Dämon
einen neuen Wirt suchen. Das ist allerdings leichter gesagt
als getan, da dieselben Einschränkungen gelten, die auch
schon zählten, als der Gefallene aus der Hölle entkam.
Sein Geist kann nur einen lebenden Körper übernehmen,
dessen Verstand oder Seele so weit geschwächt ist, daß man
sie nur noch bedingt als menschlich bezeichnen könnte.
Befindet sich ein passender Wirtskörper in der Nähe, muß
der Spieler des Dämons einen erfolgreichen Willenskraft-
wurf gegen eine Schwierigkeit von 8 ablegen, um in diesen
einzufahren. Die Schwierigkeit dieses Wurfs kann allerdings
auf 6 sinken, wenn es sich bei dem Sterblichen um einen
der Sklaven des Gefallenen handelt. Akzeptiert der Sklave
die Übernahme seines Körpers durch den Geist des Dä-
mons aus freien Stücken, ist überhaupt kein Würfelwurf
erforderlich; die Inbesitznahme findet automatisch statt.
Der Spieler und sein Erzähler sollten gemeinsam die neuen
Eigenschaften des Dämons ausarbeiten, wobei der Charak-
ter womöglich von Grund auf umgebaut werden muß. Der
Spieler sollte auch Erfahrungspunkte zum Verteilen auf die
neuen Charakterwerte erhalten, deren Anzahl jenen Er-
fahrungspunkten entspricht, die er sich mit dem Charakter
in seiner alten Form bisher verdient hat. In den meisten
Fällen jedoch wird der entkörperte Dämon unter großem
Druck stehen, in der kurzen Zeit, die ihm noch verbleibt,
ehe er dem Sog des Abgrunds nachgeben muß, einen pas-
senden Wirtskörper zu finden.
Es gibt allerdings noch eine andere Option. Sie ist zwar
sehr unangenehm, aber immer noch deutlich besser als die
Hölle. Ein verzweifelter Gefallener kann in einen unbeleb-
ten Gegenstand einfahren und so zu einem Erdgebundenen
werden. Nur wenige Gegenstände bringen die richtigen
Voraussetzung dafür mit, den Geist eines Dämons zu fas-
sen. Der Himmlische kann nicht einfach den nächstbesten
Fahrstuhl oder Füllfederhalter in Besitz nehmen. Bei dem
Gegenstand muß es sich um ein Einzelteil handeln – will
meinen, es darf nicht Bestandteil eines größeren Objekts
sein –, und es muß einen besonderen „Bezug“ zur Mensch-
heit besitzen. Dieser Bezug kann die Tatsache sein, daß der
Gegenstand menschlich aussieht – wie etwa eine Statue
– oder regelmäßig von Menschen benutzt wird, die ihre
ganze Aufmerksamkeit auf ihn richten. Niemand achtet auf
einen Fahrstuhl, selbst dann nicht, wenn man ihn ständig
benutzt. Ein Computer hingegen, der von einem Schrift-
steller benutzt wird, der sich abmüht, auf ihm den großen
amerikanischen Roman zu schreiben, wäre durchaus ein
geeignetes Gefäß für den Geist des Gefallenen. Letzten
Endes entscheidet der Erzähler darüber, ob ein bestimm-
ter Gegenstand als Gefäß für eine Seele geeignet ist oder
nicht.
Welchen Gegenstand er auch immer als Gefäß aus-
wählt, der Dämon muß versuchen, seine eigenen Energien
in eine neue Form zu bringen, um das Objekt in Besitz
nehmen zu können. Dies erfordert einen erfolgreichen
Willenskraftwurf (Schwierigkeit 9). Die Schwierigkeit
sinkt auf 6, sollte der Gegenstand eine enge Beziehung
zur Persönlichkeit des Dämons oder seinem Haus besitzen
oder durch besondere Methoden bereits auf sein Haus
oder seine entkörperte Seele „abgestimmt“ worden sein.
Aufgrund seiner Verbindung zum Wasser fällt es einem
Schänder leichter, ein Boot in Besitz zu nehmen, wäh-
rend es einem Übeltäter weniger Probleme bereitet, in
eine gut gearbeitete Uhr einzufahren. Ist der Würfelwurf
erfolgreich, nimmt der Dämon sein neues Gefäß dauerhaft
in Besitz. Scheitert der Wurf, kann er nicht noch einmal
versuchen, dieses Gefäß zu übernehmen und muß weiter
nach einem neuen Körper suchen. Bei einem Patzer ver-
liert der Dämon einen permanenten Willenskraftpunkt.
Wird ein vom Geist eines Gefallenen besessener Gegen-
stand zerstört, strandet der Dämon damit abermals zwi-
schen den Welten und muß die Suche nach einem passen-
den Wirtskörper oder Gegenstand erneut aufnehmen, um
nicht zurück in den Höllenschlund gesogen zu werden.
Beispiel: Ishmael muß einen neuen Körper finden, um der
Hölle zu entkommen. Es halten sich keine seiner Sklaven oder
andere geeignete Sterbliche in seiner Nähe auf, weshalb er dazu
gezwungen ist, einen Versuch zu unternehmen, in einen Gegen-
stand einzufahren. Der Erzähler teilt Ishmaels Spieler mit, daß
es in der Umgebung tatsächlich einen geeigneten Gegenstand
gibt – die Granitstatue eines griechischen Helden, der schon
Hunderte von Museumsbesuchern ihre volle Aufmerksamkeit
gewidmet haben. Als Unhold besitzt Ishmael keinen besonderen
Bezug zu einem solchen Gegenstand – er hätte wahrscheinlich
mehr Glück mit einem alten Teleskop oder der Statue eines
griechischen Orakels gehabt –, aber in der Not frißt der Teufel
– oder eben auch ein Unhold – Fliegen. Ishmaels Spieler muß
gegen eine Schwierigkeit von 9 würfeln, um die Energien seines
Charakters so umzuformen, daß sie zu der Statue passen, doch
leider scheitert der Wurf. Es gelingt Ishmael nicht, die Statue
in Besitz zu nehmen, was ihn dazu zwingt, weiter nach einem
neuen Gefäß zu suchen. Atoth-Nagan hat allerdings andere
Pläne mit ihm ...
Auch wenn ein Dämon das Glück hat, einen neuen
Wirtskörper gefunden und in Besitz genommen zu haben,
ist er doch noch immer durch die Erfahrungen, die er durch
seine Körperlosigkeit gemacht hat, angeschlagen und ver-
wirrt. Der Charakter verliert einen permanenten Glauben-
spunkt und erhält einen zusätzlichen permanenten Qual-
punkt. Hat er einen menschlichen Körper übernommen,
muß der Dämon auch noch mit den neuen Erinnerungen
und den Resten der Persönlichkeit fertigwerden, die in die-
ser Hülle zurückgeblieben sind. Er muß es schaffen, diese
Fragmente irgendwie mit seiner eigenen Psyche in Einklang
zu bringen. Die Stunden und Tage nach der Übernahme
eines neuen Körpers können sehr verwirrend sein. Wäh-
313

rend dieses Zeitraums können sich für den Erzähler und
die Spieler aus einer solchen Situation viele Möglichkeiten
zum Erzählen neuer Geschichten ergeben.
ENDGÜLTIGE VERNICHTUNG
Nichts ist vollkommen unsterblich. Dämonen existie-
ren seit der Erschaffung des Universums, doch selbst sie
können vernichtet werden. Ihre energetische Form kann
verstreut und von ihren Feinden aufgesogen und ver-
schlungen werden. Auf diese Weise kann ein Licht für
immer verblassen, das seit Anbeginn der Zeit erstrahlte.
Ist ein Dämon aus seinem sterblichen Gefäß vertrieben
worden, manifestiert er sich in seiner apokalyptischen Ge-
stalt und ist somit vor nahezu allen stofflichen und über-
natürlichen Wesenheiten sicher. Allerdings besitzt jeder
Dämon die Fähigkeit, einen entkörperten Himmlischen
zu vernichten, indem er dessen Energien in sich aufnimmt
und auf diese Weise an Macht und Stärke gewinnt.
Um einen Himmlischen zu verschlingen, muß der Dä-
mon die Energien der offenbarten Gestalt seines Opfers
in sich aufsaugen, als würde er die Seele des Gefallenen
selbst einatmen. Um dies zu bewerkstelligen, ist nicht
unbedingt Körperkontakt vonnöten, aber Angreifer und
Opfer dürfen nicht weiter als Armeslänge voneinander
entfernt sein. Der Himmlische kann versuchen, seiner
Auslöschung zu entkommen, und wird dabei weder von
der Erdanziehungskraft behindert, noch von stofflichen
Hindernissen aufgehalten. Aus diesem Grund muß der
angreifende Dämon auch sehr schnell handeln.
Ist der Charakter erst einmal dicht genug herangekom-
men, um die Energien eines anderen Himmlischen in
sich aufnehmen zu können, muß sein Spieler in einer
Handlung gegen Widerstand einen Glaubenswurf aus-
führen. Je nachdem, welcher von beiden Werten höher
ist, kann das Opfer versuchen, mit seinem Glaubewert
oder seinem Qualwert dagegenzuhalten. Ist dem Dämon
der Wahre Name seines Opfers bekannt, darf er seinem
eigenen Würfelvorrat eine zusätzliche Anzahl an Würfeln
hinzufügen, die dem Glaubewert des Opfers entspricht.
Geht das Opfer als Sieger aus diesem Wettstreit hervor,
stiehlt es so viele Glaubenspunkte von seinem Angreifer,
wie es an Erfolgen erzielt hat, und kann anschließend
seine Suche nach einem neuen Wirtskörper fortsetzen.
Erzielt der Angreifer mehr Erfolge, nimmt er das Opfer
vollkommen in sich auf und gewinnt Stärke aus dessen
himmlischer Energie. In diesem Fall wird das Opfer voll-
ständig und endgültig ausgelöscht.
Beispiel: Ishmaels Wirt ist vernichtet worden, und nun
ist er verzweifelt auf der Suche nach einem neuen Körper.
Doch Atoth-Nagan ist einfach zu schnell für ihn und möch-
te Ishmaels entkörperte Seele in sich aufnehmen. Ishmaels
Glaubenswert beträgt 5 und sein Qualwert 6 – somit führt
sein Spieler den anstehenden Wurf mit sechs Würfeln aus.
Atoth-Nagan besitzt lediglich einen Glaubewert von 4, doch
er kennt Ishmaels Wahren Namen. Somit kann der Erzähler
Ishmaels Glaubewert von 5 zu seinem eigenen Würfelvorrat
hinzuzählen, was diesen auf neun erhöht. Spieler und Erzähler
machen nun den alles entscheidenden Würfelwurf. Der Spieler
erzielt drei Erfolge für Ishmael, während der Erzähler fünf für
314
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Atoth-Nagan würfelt. Ishmaels Seele wird von dem Monstrum
verschlungen und ist für immer verloren.
Wird ein Himmlischer verschlungen, muß der Erzähler
einen Glaubenswurf für den ausgelöschten Dämon aus-
führen (Schwierigkeit 6). Für jeden erzielten Erfolg wird
ein Teil seiner Energien in einen Glaubenspunkt umge-
wandelt. Wie bei der Nutzung des Glaubenspotentials
eines Menschen beim Abschluß eines infernalischen Pakts
(siehe „Die Macht der Sklaven“ auf Seite 303), kann der
Gefallene, der den anderen Himmlischen verschlungen
hat, diese Glaubenspunkte dazu verwenden, um seine ei-
genen Eigenschaften zu verbessern. Er kann die auf diese
Art gewonnenen Punkte auf folgende Weise ausgeben:
• Ein Glaubenspunkt kann in fünf freie Zusatzpunkte
umgewandelt werden, die der Dämon dazu nutzen kann,
um seine Eigenschaften zu steigern (siehe Kapitel Sechs,
Seite 153). Nur Fähigkeiten, Attribute und Willenskraft
können auf diese Weise erhöht werden, wobei der Dämon
seine Eigenschaften nicht über einen Wert hinaus steigern
kann, der größer ist als derjenige, den der verschlungene
Himmlische in der betroffenen Eigenschaft besessen hat.
• Jeder Glaubenpunkt kann in eine Erinnerung oder ein
Wissensfragment „umgewandelt“ werden. Hierzu zählt
zum Beispiel das Wissen um den Standort eines Tempels,
das Versteck eines verborgenen Relikts oder der Wahre
Name eines Rivalen. Es können nur Informationen ge-
wonnen werden, die dem verschlungenen Opfer bekannt
waren. Der Erzähler entscheidet darüber, was ein Charak-
ter gewußt hat und wie viele Informationen aus diesem
Wissen gewonnen werden können.
• Der Dämon kann seinen Glaubewert für je zwei Glau-
benspunkte um einen Punkt steigern. Dieser Anstieg des
Glaubens manifestiert sich auch im Ergründen zusätzlicher
Geheimnisse – und der Dämon kann sogar die Geheim-
nisse des verschlungenen Gefallenen für sich gewinnen.
Nur Geheimnisse des Opfers, die aus den drei Pfaden sei-
nes Hauses stammen, können auf diese Weise übertragen
werden. Auch wenn der verschlungene Dämon andere
Geheimnisse gekannt haben mag, sind sie kein essentieller
Teil seines innersten Wesens gewesen – und damit auch
nicht auf einen anderen Gefallenen übertragbar.
Beispiel: Atoth-Nagan hat Ishmael vernichtet und die Seele
des Gefallenen verschlungen. Ishmael besaß einen Glaubewert
von 5, weshalb der Erzähler einen Wurf mit fünf Würfeln ge-
gen eine Schwierigkeit von 6 ausführt, bei dem er drei Erfolge
erzielt. Atoth-Nagan gewinnt drei Glaubenspunkte durch das
Verschlingen seines Feinds. Der Erzähler entscheidet, daß
Atoth-Nagan einen Glaubenspunkt dazu nutzt, um einen Teil
der Erinnerungen seines Opfers zu übernehmen. Auf diese
Weise erfährt der Dämon, die Identität und den Aufenthaltsort
von Ishmaels Sklaven sowie seiner gefallenen Verbündeten.
Dann verwendet der Erzähler die verbliebenen zwei Punkte
dazu, um den Glaubewert des Verschlingers um einen Punkt
zu erhöhen, was es ihm erlaubt, zusätzliche Geheimnisse zu
ergründen. Atoth-Nagan erhält dadurch einen Punkt in den
Geheimnissen der Portale, die einer der drei Pfade sind, die
Ishmaels Haus offen stehen.
Es halten sich hartnäckige Gerüchte über die mögliche
Existenz von Ritualen, mit denen selbst Sterbliche in der
KAPITEL NEUN
Lage sein sollen, einen entkörperten Dämon zu vernich-
ten und unter Umständen sogar seine Energien in sich
aufnehmen zu können, um diese für magische Zwecke
oder zum Mehren ihrer Macht zu nutzen. Wenn es solche
Rituale wirklich gibt, dann sind sie dennoch so selten, daß
man sie getrost im Reich der Märchen ansiedeln kann,
und die Dämonen würden buchstäblich Berge versetzen,
um zu verhindern, daß der Menschheit eine solch mäch-
tige Waffe je in die Hände fällt.
SEINSZUSTÄNDE
Für die Gefallenen ist die Rückkehr in die Welt der
Sterblichen mit einem unglaublichen Schock verbunden.
Vormals gottgleiche Wesen, die von den Unbilden der Na-
tur und der Körperlichkeit unberührt gewesen waren, fin-
den sie sich nun als teilweise sterbliche Kreaturen wieder,
die fast alle Schwächen und chaotischen Emotionen ihres
Wirtskörpers übernommen haben.
Die folgenden Systeme zeigen eine Vielzahl von Arten
auf, auf die Charaktere Schaden erleiden können, sei dieser
körperlicher oder geistiger Natur.
ERTRINKEN
Solange sich ein Gefallener nicht auf seine übernatürli-
chen Kräfte stützt, benötigt er Luft zum Atmen, um über-
leben zu können. Ihr Charakter kann ertrinken, wenn er
unter Wasser getaucht wird oder ein Schwimmenwurf in
einem Patzer endet und der Erzähler besonders grausam
ist (siehe „Schwimmen“ auf Seite 280). Auf der folgenden
Tabelle wird angezeigt, wie lange ein Charakter die Luft
anhalten kann:
Widerstandsfähigkeit Zeitspanne
1 30 Sekunden
2 Eine Minute
3 Zwei Minuten
4 Vier Minuten
5 Acht Minuten
Es kann auch Willenskraft eingesetzt werden, um den
Atem länger anhalten zu können. Jeder Punkt bringt wei-
tere 30 Sekunden, wenn der Widerstandsfähigkeitswert 3
und niedriger ist, und eine volle Minute, wenn der Wert bei
4 und höher liegt.
Kann Ihr Charakter seinen Atem nicht länger anhalten,
beginnt er zu ertrinken oder zu ersticken. Ein ertrinkender
Charakter erleidet für jede Runde, in der er keine Luft
bekommt, eine Stufe tödlichen Schaden. Erreicht er die
Gesundheitsstufe „Außer Gefecht“, bleiben ihm nur noch
so viele Minuten, wie er an Widerstandsfähigkeit besitzt,
bis er stirbt.
EXTREME TEMPERATUREN
Extreme Hitze oder Kälte hat einen merklichen Effekt
auf Ihren Charakter. Sie kann sein Geschick, seine Kör-
perkraft oder sogar seine geistige Beweglichkeit (in Form
von Geistesschärfe) beeinträchtigen. Unter besonders
schlechten Bedingungen können extreme Temperaturen
sogar Schaden verursachen. Erfrierungen, eine zu geringe
Körpertemperatur oder Hitzewallungen können üble Kon-
sequenzen nach sich ziehen. Der Erzähler kann extreme
Temperaturbedingungen durch Abzüge auf Würfelvorräte,
erhöhte Schwierigkeiten oder den Verlust von Gesund-
heitsstufen simulieren.
Einige Gefallene können in der Lage sein, diese Extre-
me zu ignorieren, wenn sie durch spezielle Beschwörun-
gen oder besondere Eigenschaften, die ihnen ihre apoka-
lyptische Gestalt einbringt, vor Hitze oder Kälte geschützt
sind.
FEUER
Die Art, das Ausmaß und die Temperatur eines Feuers
haben allesamt Auswirkungen auf die Höhe des Schadens,
den es dem Körper Ihres Charakters zufügen kann. Die
größte Gefahr besteht darin, daß seine Kleidung Feuer
fangen und er kontinuierlich Schaden durch die Flam-
men erleiden könnte. Jede Runde, in der Ihr Charakter
in Kontakt mit einem Feuer steht, erleidet er automatisch
Schaden, bis er dem Brandherd entfliehen oder die Flam-
men löschen kann. Für Feuer werden keine Schadenswürfe
durchgeführt. Der tödliche Schaden wird einfach direkt
in die Gesundheitsstufentabelle auf dem Charakterbogen
eingetragen, als wäre er schon gewürfelt worden. Einige
Dämonen können aufgrund ihrer apokalyptischen Gestalt
immun gegen Feuer sein.
Gesundheitsstufen Größe des Feuers
pro Runde
Eine Die Kleidung oder das Haar des
Charakters hat Feuer gefangen;
einzelne Körperteile sind einer
Fackel oder einem ähnlich klei-
nen Feuer ausgesetzt
Zwei Lagerfeuer; die Hälfte des Kör-
pers ist sehr heißen Flammen
ausgesetzt
Drei Inferno; der gesamte Körper ist
in tobende Flammen gehüllt
GEISTESSTÖRUNGEN
Geistesstörungen sind Verhaltensmuster, die entstehen,
wenn der Verstand gezwungen ist, sich mit unerträglichen
oder widerstreitenden Gefühlen wie lähmendem Schrek-
ken oder tiefempfundener Schuld auseinanderzusetzen.
Wenn sich der Verstand Eindrücken oder Emotionen ge-
genübersieht, mit denen er sich nicht abfinden kann,
versucht er den inneren Konflikt zu lindern, indem er
Verhaltensmuster wie Größenwahn, Schizophrenie oder
Hysterie anregt, um ein Ventil für die Anspannung und
den Streß zu schaffen, die durch den Konflikt entstehen.
Sterbliche und insbesondere Sklaven, die in die Hände
oder zwischen die Fronten der Gefallenen und ihrer erd-
gebundenen Feinde geraten, müssen Dinge tun oder mit
ansehen, die die geistige Gesundheit der belastbarsten
Person auf eine harte Probe stellen würden.
315

Es muß darauf hingewiesen werden, daß „verrückte“ Per-
sonen weder lustig sind, noch rein willkürlich handeln.
Wenn man zuschauen muß, wie jemand wild gegen un-
sichtbare Präsenzen ankämpft oder verfaultes Fleisch an-
häuft, um die Monster zu füttern, die neben ihm wohnen,
so stellt sich Wahnsinn als furchterregendes Schauspiel dar.
Selbst so etwas harmlos Erscheinendes wie das Sprechen
mit einem unsichtbaren Hasen kann auf Zuschauer sehr
verstörend wirken.
Die Wahnsinnigen selbst reagieren jedoch nur auf ein
Muster, das allein ihnen bekannt ist, einen Reiz, den sie nur
in ihren eigenen Köpfen wahrnehmen. Für ihre verdreh-
ten Wahrnehmungen ist das, was um sie herum geschieht,
vollkommen normal. Ein Charakter besitzt seine Geistes-
störung nicht ohne Grund, sei es eine Mutter, die Zeuge
wurde, wie ihre Kinder bei lebendigem Leib verschlungen
wurden oder ein Mann, der der festen Überzeugung ist, daß
die Menschheit dezimiert werden muß, um den Monstern
die Nahrungsgrundlage zu entziehen. Welchen Reizen setzt
ihn sein Wahnsinn aus, und wie reagiert er auf das, was ge-
schieht? Der Spieler sollte mit seinem Erzähler zusammen-
arbeiten, um ein Muster festzulegen, das die Geistesstörung
zum Vorschein bringt, und dann darüber entscheiden, wie
sein Charakter auf solche Provokationen reagiert.
FUGUE
Das Opfer einer Fugue erfährt „Filmrisse“ und Gedächt-
nisverluste. Wird der betroffene Charakter einer bestimm-
ten Variante von Streß ausgesetzt, so beginnt er mit einem
starren Verhaltensmuster, um die Streßsymptome abzubau-
en. Dies unterscheidet sich von einer multiplen Persönlich-
keitsspaltung dahingehend, daß der Kranke keine zusätzli-
chen Persönlichkeiten entwickelt, sondern „auf Autopilot
schaltet“ und in einen Zustand verfällt, der dem Schlaf-
wandeln ähnelt. Sie legen gemeinsam mit Ihrem Erzähler
fest, welcher besondere Umstand oder welches spezielle
Ereignis diesen Zustand bei Ihrem Charakter auslöst, sei es
der Tod eines hilflosen Menschen, die Begegnung mit einer
bestimmten Art von Kreatur, ein Gefühl der Beengtheit
oder etwas noch weitaus Schlimmeres.
Sie müssen immer dann einen Willenskraftwurf (Schwie-
rigkeit 8) ablegen, sobald Ihr Charakter dem speziellen
Streßfaktor oder dem Druck ausgesetzt wird, der bei ihm
eine Fugue auslöst. Scheitert der Wurf, müssen Sie den
tranceartigen Zustand Ihres Charakters ausspielen. An-
sonsten geht die Kontrolle über den Charakter für eine
Anzahl von Szenen auf den Erzähler über, die dem Ergebnis
eines geworfenen Würfels entspricht. Während dieser Pha-
se kann der Erzähler den Charakter so agieren lassen, wie
er es für richtig hält, um die Ursache des Streßsymptoms zu
beheben. Am Ende der Fugue „erlangt“ der Charakter ohne
Erinnerung an seine Taten „sein Bewußtsein wieder“.
HYSTERIE
Eine Person in den Fängen der Hysterie ist nicht in der
Lage, ihre Gefühle zu kontrollieren, und leidet unter star-
ken Stimmungsschwankungen und Gewaltausbrüchen,
wenn sie Streß oder Angst ausgesetzt wird. Legen Sie ge-
meinsam mit Ihrem Erzähler fest, durch welchen besonde-
316
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
ren Umstand ein hysterischer Anfall bei Ihrem Charakter
ausgelöst wird: beispielsweise die Anwesenheit von Kin-
dern, die Begegnung mit einem monströsen Dämon oder
auch so etwas Harmloses wie ein offenes Feuer.
Würfeln Sie immer dann Willenskraft, wenn Ihr Cha-
rakter diesem besonderen Streß oder Druck ausgesetzt ist.
Die Schwierigkeit dieses Wurfs liegt für gewöhnlich bei 6,
erhöht sich jedoch auf 8, wenn der Streß ausgesprochen
groß ist oder sehr plötzlich einsetzt.
MANISCH-DEPRESSIV
Manisch-Depressive leiden unter schweren Stimmungs-
schwankungen, die manchmal aus schweren Traumata oder
Angstzuständen erwachsen. Kranke können im einen Mo-
ment himmelhochjauchzend und extrem selbstsicher und
im nächsten zu Tode betrübt und pessimistisch sein.
Sterbliche oder Gefallene mit dieser Geistesstörung ste-
hen ständig unter Strom, da sie nie wissen, wann der näch-
ste Stimmungsumschwung einsetzt. Wann immer Ihrem
Charakter ein Vorhaben mißlingt, besitzt der Erzähler die
Möglichkeit, insgeheim einen Willenskraftwurf (Schwierig-
keit 8) für Ihren Charakter zu machen. Scheitert der Wurf,
verfällt Ihr Charakter in eine Depression. Des weiteren
wird Ihr Charakter immer dann depressiv, wenn Sie bei
einem Wurf patzen oder seine Willenskraft jemals unter 2
sinkt. Der Erzähler sollte einen Würfel werfen, um zu be-
stimmen, wie viele Szenen Ihr Charakter depressiv bleibt,
behält das Ergebnis aber für sich.
Ein Sterblicher oder Gefallener, der sich in einem depres-
siven Gemütszustand befindet, verliert für die Dauer dieser
geistigen Beeinträchtigung einen Glaubenspunkt (bis zu ei-
nem Minimalwert von 1). Wenn er aus seinem depressiven
Zustand „erwacht“, ist Ihr Charakter voller Elan und Ener-
gie und legt für eine Anzahl von Szenen einen (besessenen)
Tatendrang an den Tag, die der Dauer seiner in Depression
verbrachten Zeit entspricht. Befindet sich ein Charakter
in diesem manischen Zustand, wird die Schwierigkeit aller
Willenskraftwürfe um eins gesenkt.
MEGALOMANIE
Personen mit dieser Geistesstörung sind davon besessen,
Macht und Reichtum anzuhäufen, um so ihre eigene Unsi-
cherheit zu übertünchen, indem sie zu den mächtigsten In-
dividuen in ihrer Umgebung werden. Ihr Charakter ist un-
glaublich arrogant und sich seiner Fähigkeiten sehr sicher,
überzeugt von der ihm innewohnenden Überlegenheit.
Seine Mittel, um diesen Status zu erreichen, können viele
Formen annehmen – von verschlagenen Verschwörungen
bis hin zu offener Brutalität. Jede Person von gleichem oder
höherem Status wie Ihr Charakter wird von ihm automa-
tisch als „Konkurrenz“ angesehen.
Sterbliche und Gefallene mit dieser Geistesstörung
kämpfen ständig mit allen ihnen zur Verfügung stehenden
Mitteln darum, den Gipfel von Macht und Einfluß zu er-
reichen. Aus der Sicht des Megalomanen gibt es nur zwei
Klassen von Personen: diejenigen, die schwächer sind als er,
und diejenigen, die die Macht, die sie besitzen, nicht ver-
dienen, und deshalb schwächer gemacht werden müssen.
Dieser Glaube erstreckt sich auf alle Personen im Umfeld
KAPITEL NEUN
des Charakters einschließlich seiner engsten Verbündeten.
Diese Geistesstörung verleiht dem Kranken aufgrund seines
alles überragenden Glaubens an seine eigene Überlegenheit
einen zusätzlichen Würfel bei allen Willenskraftwürfen.
MULTIPLE PERSÖNLICHKEITSSPALTUNG
Das Trauma, das diese Geistesstörung auslöst, spaltet die
Persönlichkeit des Charakters in eine weitere oder mehrere
Persönlichkeiten auf, was es ihm erlaubt, das Trauma oder
alle Handlungen, die das Trauma auslöst, vor sich selbst zu
verleugnen, indem er die Schuld „jemand anderem“ gibt.
Jede einzelne Persönlichkeit wird erschaffen, um auf be-
stimmte emotionale Reize zu reagieren – eine mißbrauchte
Person könnte die Persönlichkeit eines knallharten Über-
lebenskünstlers entwickeln, einen „Beschützer“ erschaffen
oder sogar zum Mörder werden, um den erlittenen Miß-
brauch zu verdrängen. In den meisten Fällen ist sich keine
der Persönlichkeiten der anderen bewußt, und sie kommen
und gehen im Kopf des Kranken als Reaktion auf bestimm-
te Situationen oder Umstände.
Sterbliche oder Gefallene mit multiplen Persönlichkeiten
können verschiedene Fähigkeiten und womöglich sogar
einen erhöhten oder gesenkten Glaubewert für jede ihrer
Persönlichkeiten entwickeln, aber es liegt im Aufgabenbe-
reich des Erzählers, nähere Details festzulegen.
OBSESSION/ZWANGSHANDLUNG
Das Trauma, die Schuld oder der innere Konflikt, der
diese Geistesstörung verursacht, zwingt den Kranken dazu,
nahezu seine ganze Aufmerksamkeit und Energie einer
einzigen, sich ständig wiederholenden Handlung oder ei-
nem ebensolchen Verhalten zu widmen. Eine Obsession
erwächst aus dem Wunsch einer Person heraus, ihre Um-
gebung zu kontrollieren – sauberzumachen, ein Gebiet ru-
hig und friedlich zu halten oder unerwünschte Personen
von einem Gebiet fernzuhalten. Eine Zwangshandlung ist
eine Handlung oder eine Reihe von Handlungen, zu denen
eine Person getrieben wird, um ihre Ängste zu mildern:
zum Beispiel Gegenstände in einer perfekten Reihenfolge
aufzustellen oder sich ständig der Einsatzbereitschaft einer
Waffe zu versichern oder alle paar Stunden ein Gebet gen
Himmel zu schicken, um dem Herrn dafür zu danken, noch
am Leben zu sein.
Für Charaktere mit der Störung Obsession oder Zwangs-
handlung muß eine Reihe bestimmter Handlungen oder
Verhaltensmuster festgelegt werden, die sie unter allen
Umständen durchführen (selbst dann, wenn diese ihren
momentanen Zielen im Weg stehen oder ihr eigenes Leben
oder das anderer gefährden). Die Auswirkungen obses-
siven Verhaltens oder Zwangsverhaltens können für die
Dauer einer Szene ignoriert werden, indem ein temporärer
Willenskraftpunkt eingesetzt wird. Wird der Charakter
gewaltsam davon abgehalten, seinem Verhaltensmuster zu
folgen, besteht die Gefahr, daß er die Kontrolle über sich
verliert und Freund wie Feind wahllos angreift.
PARANOIA
Der Kranke glaubt, daß sein Elend und seine Unsicher-
heit aus einer Verfolgung von außen und ihm gegenüber
gezeigter Feindseligkeit erwachsen. Paranoiker sind Gefan-
gene ihres Verfolgungswahns und entwickeln oft ausgefeilte
Verschwörungstheorien, um zu erklären, wer sie quält und
warum er dies tut. Alles und jeder, von denen der Kranke
glaubt, sie gehörten „auch zu denen“, werden häufig das
Opfer von Gewaltanwendung.
Dämonen oder Sterbliche, die an Paranoia leiden, haben
Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich. Die
Schwierigkeit aller Würfelwürfe, bei denen es um soziale
Interaktion geht, erhöht sich um eins. Sie sind stets miß-
trauisch, selbst Freunden und Verwandten gegenüber. Das
kleinste Anzeichen verdächtigen Verhaltens reicht aus, um
einen erfolgreichen Willenskraftwurf nötig zu machen, der
abgelegt werden muß, damit der Charakter die Kontrolle
über sich behält. Die Schwierigkeit dieses Wurfs hängt
davon ab, wie schwerwiegend dieses verdächtige Verhalten
gewesen ist.
SCHIZOPHRENIE
Widerstreitende, unvereinbare Emotionen und Impulse
können dazu führen, daß ein Charakter eine Schizophre-
nie entwickelt, die sich als Rückzug aus der Wirklichkeit,
drastische Verhaltensänderungen und Halluzinationen
manifestieren kann. Dies ist eine klassische Form der Gei-
steskrankheit, die dazu führt, daß der Kranke mit Wänden
spricht, sich als der König von Siam fühlt oder Anweisun-
gen von seinen Haustieren erhält, die ihm auftragen, Men-
schen zu töten. Bei Sterblichen, die Hilfe bei der Schulme-
dizin suchen, wenn sie psychische Probleme haben, wird in
den meisten Fällen eine Schizophrenie diagnostiziert.
Diese Geistesstörung kann nur mit Bedacht ausgespielt
werden, weil der Erzähler ein allgemeines Repertoire an
Verhaltensmustern festlegen muß, die mit dem Trauma in
Verbindung stehen müssen, das die Geistesstörung ausge-
löst hat. Die Halluzinationen, das bizarre Verhalten und die
leisen Stimmen entstammen einem schrecklichen inneren
Konflikt, den der Kranke nicht lösen kann. Sie müssen sich
eine klare Vorstellung davon machen, worin dieser Konflikt
besteht und sich dann überlegen, welche Art von Verhalten
der Konflikt fördern wird.
Sterbliche oder Gefallene mit dieser Geistesstörung sind
unberechenbar und gefährlich – sogar noch weitaus mehr
als gewöhnlich. In Situationen, die zum Ausbruch des inne-
ren Konflikts führen, kann ein Willenskraftpunkt eingesetzt
werden, um die Effekte der Schizophrenie eine Szene lang
zu ignorieren.
GIFTE UND DROGEN
Die Gefallenen sind nicht nur immun gegen Alterungs-
prozesse und Krankheiten, sondern sie sind auch vor den
Auswirkungen von Drogen und Giften geschützt. Obwohl
solche Substanzen noch durchaus Wirkung auf einen Ge-
fallenen zeigen können, bleibt er durch seine Natur von
den schlimmsten Effekten verschont.
In Dämonen gibt es drei Arten von gefährlichen Sub-
stanzen:
• Beruhigungsmittel: Hierbei handelt es sich um Drogen,
die den Verstand und die Sinne beruhigen und einlullen.
Alkohol, Marihuana und Heroin zählen zu den Beru-
317

higungsmitteln. Steht ein Charakter unter dem Einfluß
einer solchen Droge, büßt er aufgrund von Gleichgül-
tigkeit und Lethargie mehrere Würfel von jedem seiner
Würfelvorräte ein. Ein leichtes Beruhigungsmittel zieht
ihm lediglich einen Würfel ab, während ihm eine starke
Droge drei Würfel raubt.
• Aufputschmittel: Dies sind Drogen, die einen Charak-
ter wachhalten und ihm neue oder zusätzliche Energie
verleihen. Koffein und Kokain zählen zu diesen Substan-
zen. Die meisten Aufputschmittel zeigen eine zu milde
Wirkung, um merkliche spielrelevante Effekte zu erzielen.
Sie können bei Würfen auf die Widerstandsfähigkeit mög-
licherweise einen zusätzlichen Würfel einbringen. Beson-
ders starke Aufputschmittel können einen zusätzlichen
Würfel bei Geschickwürfen oder Würfen auf Körperkraft
verleihen. Auf das Aufputschen folgt aber immer unwei-
gerlich irgendwann ein Absturz. Sobald der Rausch zu
Ende ist, büßt der Charakter aufgrund von Erschöpfung
und Lethargie einen bis drei Würfel von jedem seiner
Würfelvorräte ein.
• Gifte: Gifte werden wie ein Angriff gehandhabt und ihr
Schaden kann mit einem Würfelwurf auf Widerstands-
fähigkeit absorbiert werden. Als Faustregel können sie
davon ausgehen, daß Ihr Charakter durch Gift eine bis
drei Stufen Schlagschaden pro Szene oder Runde erleidet
(abhängig davon, wie stark das Gift ist). Die Effekte hal-
ten an und erzeugen kontinuierlich Schaden, bis das Gift
seine Wirkung verliert oder ein Gegenmittel verabreicht
wird.
Nimmt ein Charakter eine Droge ein oder wird er
vergiftet, muß sein Spieler einen Würfelwurf auf Wider-
standsfähigkeit ablegen (für die meisten Substanzen gegen
eine Schwierigkeit von 7). Gefallene Charaktere können
zu diesem Würfelvorrat ihren permanenten Glaubewert
hinzuzählen, vorausgesetzt, sie besitzen mindestens einen
einzigen Glaubenspunkt. Ist der Wurf erfolgreich, hat die
Droge keine Auswirkungen auf den Charakter oder der
durch ein Gift erzeugte Schaden verringert sich.
KRANKHEIT
Nur wenige Sterbliche empfinden in ihrem Leben je die
greifbare Angst, durch eine Autobombe oder die Klauen
eines Monsters getötet zu werden. Echte Angst haben
die meisten jedoch vor einer schweren Krankheit – sei sie
nun infektiös wie zum Beispiel AIDS oder Cholera oder
nichtansteckend wie etwa Krebs oder Leukämie.
Gefallene müssen sich nur höchst selten Sorgen um
Krankheiten machen, da ihre übernatürlichen Energien
den Körper ihres Wirts beständig vital und gesund hal-
ten. Solange ein Dämon auch nur einen einzigen Glau-
benspunkt besitzt, ist er vollkommen immun gegen jede
Krankheit. Darüber hinaus altert sein Wirtskörper auch
nicht, solange er noch einen Glaubenspunkt in Reserve
hat.
Hat ein Dämon jedoch keinen Glaubenspunkt mehr,
verliert sein Körper diese Immunität. Allerdings zerfällt
er dann nicht urplötzlich aufgrund seines hohen Alters
zu Staub, und es bricht auch keine Krankheit aus, die er
sich früher einmal „hätte einfangen müssen“. Es bedeutet
318
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
lediglich, daß der Charakter eine ganz normale Person
ist, bis er wieder einen seiner Glaubenspunkte zurückge-
winnen kann.
In dem seltenen Fall, daß ein Dämon ohne Glaubens-
reserve einer ansteckenden Krankheit ausgesetzt ist, darf
sein Spieler einen Wurf auf Widerstandsfähigkeit ablegen,
um den Gefallenen vor einer Ansteckung zu bewahren
(die Schwierigkeit kann bei einem Wert zwischen 4 für ein
einfaches Grippevirus und 10 für Ebola liegen). Leichte
Erkrankungen führen zu Abzügen aus Würfelvorräten;
ernsthaftere Erkrankungen richten Schlagschaden oder
tödlichen Schaden an und können unter Umständen so-
gar die Attributswerte eines Charakters senken.
Sobald ein erkrankter Charakter Glaubenspunkte zu-
rückerhält, wird die Krankheit sofort restlos aus seinem
Körper beseitigt. Alle Abzüge sind aufgehoben und jeder
durch die Krankheit entstandene Schaden heilt innerhalb
der normalen Fristen (oder schneller, falls übernatürliche
Heilmethoden zum Einsatz kommen).
STROMSCHLAG
Elektrizität kann schlimme Dinge mit Menschen und
den Dämonen, die in ihnen hausen, anstellen. Ein elektri-
scher Schlag verursacht grundsätzlich tödlichen Schaden,
den Ihr Charakter erleidet, sobald er in Kontakt mit einer
unisolierten Stromquelle gerät. Der Erzähler wird dann von
Ihnen einen Wurf auf Körperkraft verlangen (Schwierigkeit
9), um festzustellen, ob sich Ihr Charakter losreißen kann
oder an der Leitung hängenbleibt. Rüstung schützt nicht
vor Elektrizität, eine bestimmte Beschwörung oder apoka-
lyptische Gestalt hingegen unter Umständen schon.
In der folgenden Tabelle wird die Höhe des Schadens
angezeigt, die durch einen Stromschlag verursacht werden
kann. Gewöhnliche Sterbliche können auch dauerhaften
Schaden oder den Verlust von Punkten in ihren Attributs-
werten erleiden, sollten sie aufgrund eines Stromschlags
auf die Gesundheitsstufe „Außer Gefecht“ fallen. Dämonen
hingegen trifft dieses Schicksal nicht, da ihre besondere
körperliche Verfassung sie vor solchen Langzeitfolgen be-
wahrt.
Gesundheitsstufen Stromquelle
pro Runde
Eine schwach; Steckdose
Zwei mittel; Autobatterie
Drei stark; Verteilerkasten
Vier tödlich; Hochspannungslei-
tung
STÜRZE
Charaktere, die von Dach zu Dach springen, sollten sich
der möglichen Konsequenzen bewußt sein. Entweder Ihr
Charakter könnte sich nach einem kleinen Sturz unbe-
schadet wieder aufrappeln und seiner Wege gehen oder sich
nach einem tiefen Sturz nie wieder bewegen. Die folgende
Tabelle zeigt die Anzahl an Würfeln auf, die Ihr Erzäh-
KAPITEL NEUN
ler würfeln muß, um den durch einen Sturz entstandenen
Schaden zu ermitteln. Stürzt Ihr Charakter 10 oder weniger
Meter tief, kann der Schaden verringert oder ganz verhin-
dert werden, weil Äste oder ähnliches seinen Sturz bremsen
oder er sich beim Aufkommen geschickt abrollen kann.
Machen Sie einen Würfelwurf auf Geschick + Sportlich-
keit gegen die entsprechende, in der Tabelle angegebene
Schwierigkeit. Jeder erzielte Erfolg reduziert den Vorrat an
Schadenswürfeln für den Sturz um eins.
Jeder verbleibende Erfolg entspricht einer Stufe Schlag-
schaden. Stürzt Ihr Charakter aus einer Höhe von 10 und
STURZSCHADEN
Meter Rettungswurf
3 Geschick + Sportlichkeit
6 Geschick + Sportlichkeit
10 Geschick + Sportlichkeit
über 10 Keiner
mehr Metern ab, kann ihn kein akrobatisches Manöver der
Welt mehr vor Schaden bewahren. In diesem Fall nimmt
Ihr Charakter tödlichen Schaden. Abhängig davon, auf
welchem Untergrund Ihr Charakter landet, kann der Er-
zähler weitere Modifikatoren anwenden. Für gewöhnlich ist
ein Aufprall auf Asphalt schmerzhafter als auf Wasser, wo-
bei auch die Fallhöhe eine wichtige Rolle spielt. Die in der
Tabelle angegebenen Werte stehen unter der Annahme,
daß der Charakter auf hartem Untergrund aufschlägt.
Schwierigkeit Schadenswürfel
7 2 (Schlagschaden)
8 5 (Schlagschaden)
9 10 (Schlagschaden)
- 10 (tödlicher Schaden)
319
 Sein persönlicher Assistent informierte ihn zwar in dem Moment über die Ankunft seiner Gäste, in dem der Heli-
kopter aufsetzte, doch er ließ die Männer aus dem Pentagon trotzdem fast eine ganze Stunde lang warten. Er konnte
es sich leisten. Sie gehörten nicht gerade zu der geduldigsten Sorte Mensch – schon gar nicht, wenn es um einen
Zivilisten wie ihn ging. Er räkelte sich in seinem Ledersessel, keine zehn Schritte vom verschwenderisch eingerich-
teten Konferenzraum entfernt und lauschte dem Geräusch, das ihre Adern machten, während ihr Blutdruck stieg. Es
klang wie heißer Dampf in einem Kessel. Er wußte mit einer absoluten Gewißheit, wie sie ihm nur sein Meister bieten
konnte, wie lange es noch dauern mochte, bis die Männer die Geduld verlieren und verärgert aus dem DynaCom-
Verwaltungsgebäude stürmen würden. Ein Wimpernschlag, bevor den Männern der Geduldsfaden gerissen wäre,
betrat er den Raum und schritt gelassen wie ein gütiger Gott zu ihnen herüber.
Als er endlich eintrat, sprangen die alten, stämmigen Männer mit den vielen Sternen auf den Litzen eiligst auf die
Füße. Er spürte ein leichtes Summen und Vibrieren tief in seinen Knochen. Das ist wahre Macht, dachte er und mußte
den Drang unterdrücken, wie ein Wahnsinniger loszukichern. Die Muskeln in seinem Rachen zuckten und bebten vor
Erwartung, als er zum Kopfende des Tischs ging und den Generälen und Admirälen durch einen Wink bedeutete, daß
sie sich setzen durften. Er entschuldigte sich nicht für seine Unhöflichkeit, sondern kam gleich zum Geschäft.
„Gentlemen, wenn Sie die Mappen vor Ihnen auf dem Tisch bitte aufschlagen wollen, werde ich Ihnen den bishe-
rigen Fortschritt des Projekts erläutern. Ich würde nicht so weit gehen und das Gerät als Gedankenkontrollmaschine
bezeichnen, aber lassen Sie es mich einmal so ausdrücken: Wir haben einen Weg gefunden, durch den wir Ihre Trup-
pen extrem überzeugend machen können, wenn sie es sein wollen.“
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und begann, ihnen sein Angebot zu unterbreiten. Zwar hatte er einige Notizen
vor sich liegen, doch schenkte er diesen keine Beachtung. Es war nicht so, daß er sie wirklich benötigt hätte. Er konnte
spüren, wie die Macht in seiner Kehle zu sprudeln begann wie ein Quell klaren Wassers. Seine Stimmbänder bebten
bei jedem Wort der Macht wie straffgezogene Stahlseile. Die Macht formte und knetete die Hirne dieser lamettabe-
hängten Dummköpfe wie Kuchenteig. Er hätte ihnen sagen können, daß sie nackt auf dem Tisch tanzen sollten und
sie wären augenblicklich aufgesprungen, um seinem Befehl Folge zu leisten. Er hätte ihnen sagen können, daß sie
nach Hause gehen und ihre Töchter ficken sollten, und sie hätten nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Es spielte
keine Rolle, was seine Firma zu verkaufen hatte. Sie würden es alleine nur des Privilegs wegen kaufen, es von ihm
erwerben zu dürfen.
Der Vertrag war in weniger als einer Stunde ausgehandelt und unterschrieben. Ihnen hatte sehr gut gefallen, was
er ihnen anzubieten hatte, doch er hatte auch nichts anderes erwartet. Sie bestanden auf einer Auslieferung gegen
Ende des Sommers – was ein wenig später war, als er ursprünglich geplant hatte, aber da er gerade gnädig gestimmt
war, ging er auf diese Bedingung ein. Mit einem Wink entließ er sie und ging zurück in sein Eckbüro.
Er hatte gerade die Tür hinter sich geschlossen, als die Stimme seines Meisters seinen Verstand wie eine eisige
Klinge durchbohrte. Der unglaubliche Druck blendete ihn augenblicklich.
Hast du mir gut gedient? Es klang wie heulender Wind, der das Geräusch brechender Knochen aus der Ferne her-
antrug. Die Stimme war älter und grausamer als der Tod.
„Meister“, keuchte er und fiel auf die Knie. „Ich habe getan, was du mir befohlen hast. Sie werden das Gerät Ende
des Sommers kaufen.“
Das war nicht, was ich wollte, ächzte der schreckliche Wind in seinem Verstand. Es muß jetzt sein. Er rollte sich
heftig zitternd auf dem Boden zusammen. „Geht ... geht jetzt noch nicht“, wimmerte er. „Nicht ... möglich ... diese
Dinge brauchen Zeit ...“
Du enttäuschst mich, sagte die Stimme und dann begann der wahre Schmerz. Über Stunden wälzte er sich in seinem
eigenen Dreck, als sein Meister ihm zeigte, was wahre Macht bedeutete.
 KAPITEL ZEHN:
ERZÄHLEN

Nur nach sittlicher Vollkommenheit zu

streben ist kein Lebensziel.
- Clive Stapler Lewis

In den vorangegangenen Kapiteln haben wir Ihnen die
Welt der Gefallenen nähergebracht. Sie erfuhren alles über
ihren Ursprung, ihren gescheiterten Feldzug gegen den
Himmel und ihre mysteriöse Befreiung aus dem, was sie
eigentlich für immerwährende Verdammnis hielten. Sie
haben viel über infernalische Häuser, Fraktionen und Kräf-
te gelesen, und Ihnen wurde auch gezeigt, wie man inter-
essante und einzigartige Charaktere erschafft. In diesem
Kapitel erfahren Sie nun, was die wahre Herausforderung
dieses Spiels ist: Es ist die Aufgabe, der apokalyptischen
Welt von Dämonen Leben einzuhauchen.
Bei Dämonen geht es um Glauben, Versuchung und den
heroischen Kampf um Vergebung im Angesicht übermäch-
tiger Gegenspieler und Kräfte. Die Gefallenen sind in eine
Welt des Zynismus zurückgekehrt, in der es keinen Glauben
mehr gibt und die am Rand der totalen Vernichtung steht.
Sie sind nur noch ein Schatten ihrer früheren Existenz und
sehen sich gezwungen, in das Fleisch sterblicher Männer
und Frauen einzufahren. Andererseits wartet der bislang
unberührte und brachliegende Glaube von über sechs
Milliarden Seelen nur darauf, von ihnen für ihre Zwecke
genutzt zu werden, und sie können wieder wie Götter auf
Erden wandeln. Macht und Freiheit sind zum ersten Mal
seit Äonen wieder in greifbare Nähe gerückt. Die Frage,
die sich nun stellt, lautet: Was werden sie damit anfangen?
Werden die Gefallenen dem Ruf ihrer infernalischen Her-
ren folgen und diesen den Weg für deren Rückkehr ebnen,
indem sie das Fundament für eine Hölle auf Erden errich-
ten? Werden sie den alten Wegen den Rücken zukehren
und die Ansichten ihrer Fraktion über ihre uralten Bande
zu ihren Häusern und ihren Herren stellen? Werden sie
ihre Vergangenheit endgültig ablegen, die Treueeide von
einst brechen und ihren eigenen Weg hin zu ruhmreicher
Herrlichkeit beschreiten? Können sie tatenlos zusehen, wie
die Verderbtheit der Menschen immer mehr wächst, oder
werden sie sich vielleicht sogar daran ergötzen und den
Untergang der menschlichen Rasse beschleunigen? Werden
sie versuchen, sich der Tyrannei der Erdgebundenen zu wi-
dersetzen, oder nehmen sie die Suche nach dem verschol-
lenen Morgenstern auf, um das Banner der Rebellion ein
weiteres Mal emporzuheben? Und sind sie überhaupt in der
Lage, dem verderbten Einfluß ihrer Qual zu widerstehen,
oder werden sie die Menschheit dazu mißbrauchen, um zu
wahrhaftigen Dämonen zu werden? Der Erzähler muß an-
KAPITEL ZEHN
hand der Hintergründe, Hoffnungen und Ambitionen der
Charaktere Geschichten ersinnen, die ihre Überzeugungen
und Glaubensvorstellungen herausfordern. Daher ist es
eine besonders anspruchsvolle Aufgabe, die Rolle des Er-
zählers in einem Dämonen-Spiel zu übernehmen. Es bedarf
sorgfältiger Überlegungen und ausgiebiger Hintergrundar-
beit, um charakterorientierte Chroniken und Geschichten
zu entwickeln. Sie müssen eine Welt erschaffen, die ein
alptraumhaftes Spiegelbild der unseren ist – verlockend
und abstoßend sowie heiter und grauenvoll zugleich. Es
muß Ihnen gelingen, den Nervenkitzel übermenschlicher
Macht zu wecken, aber auch die Versuchung glaubhaft um-
zusetzen, die mit dieser Macht einhergeht. Es gibt nichts,
was die Gefallenen nicht erreichen könnten, solange ihnen
genügend Glaube dafür zur Verfügung steht. Doch sind sie
auch bereit, den Preis dafür zu bezahlen – menschliches
Leid zu fördern und die Korrumpierung ihrer eigenen See-
len zu riskieren?
Anfangs erweckt ein Erzählspiel den Eindruck, daß es
eine Unmenge Arbeit macht, da man auf so viele Dinge auf
einmal achten muß. Und zu Beginn ist das auch tatsächlich
der Fall. Glücklicherweise muß der Erzähler aber nicht
alles allein machen. Das Geheimnis, das hinter erfolgrei-
chem Rollenspiel steht, ist ironischerweise die Arbeit der
Spieler. Der wichtigste Kniff, um die Spielwelt spannend
zu gestalten, ist, die Erwartungen der Spieler an den Auf-
bau einer Chronik zu erfüllen und dabei ihre Interessen zu
berücksichtigen. Wenn Ihnen dies gelingt – und sofern die
Chronik und ihr großer Spannungsbogen sorgfältig geplant
wurden –, werden die Aktionen der Charaktere, ob diese
nun gut oder böse sind, Konsequenzen nach sich ziehen,
die Ihnen exzellente Aufhänger für weitere Geschichten
bieten. Denken Sie immer daran: Je mehr Sie die Spieler in
die Geschehnisse einer Chronik einbinden, desto weniger
Arbeit werden Sie als Erzähler haben. Sie sollen nicht alles
allein machen. Ein Erzähler sollte ebensoviel Spaß beim
Spiel haben wie die Spieler, und wie dieses hehre Ziel zu
verwirklichen ist, wird in diesem Kapitel beschrieben.
Dieses Kapitel schildert den Entstehungsprozeß und das
Leiten einer Dämonen-Chronik. Es bietet Hilfestellungen,
mit denen aus jeder einzelnen Geschichte, die Ihre Chronik
vorantreibt, das Optimum herausgeholt werden kann. Die
Schaffung eines detaillierten und zusammenhängenden
Hintergrunds – einer Welt, die Ihre Spieler erretten (oder
vernichten) können –, beginnt damit, die Vorstellungen
Ihrer Spieler und Ihre eigenen Ideen für Geschichten, in
das Grundkonzept Ihrer Chronik einzuflechten. Nachdem
Sie auf diese Weise die Bühne für Ihre Geschichten berei-
tet haben, besteht der nächste Schritt darin, Charaktere
zu erschaffen, die diese mit Leben erfüllen, eine Rolle in
ihnen übernehmen und darin auftreten. Auch bei diesem
Schritt sollten Sie stets die übergeordnete Rahmenhand-
lung im Auge behalten. Haben Sie die Charaktere in Ihren
Geschichten verortet, können Sie ernsthaft damit begin-
nen, die Chronik detailliert auszuarbeiten und die Intrigen
und die Ereignisse festzulegen, die die Rahmenhandlung
vorantreiben und immer irgendwie in den Zielen und Be-
weggründen eines jeden Charakters verankert sein sollten.
Jeder dieser Schritte baut auf dem vorangegangenen auf,
wodurch Sie ein immer klareres Bild von dem Hintergrund
erhalten, vor dem Sie spannende und einfach zu leitende
Geschichten ansiedeln können. Sollten Sie bisher noch
kein Rollenspiel gespielt haben, sollten Sie sich nicht von
der scheinbar gewaltigen Größe dieser Aufgabe abschrek-
ken lassen. Nehmen Sie sich für jeden Schritt die nötige
Zeit und bearbeiten Sie einen nach dem anderen. Haben
Sie Spaß dabei und lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf.
IM ANFANG
Chroniken fallen einem Erzähler nicht einfach so als
komplett ausgearbeitete Entwürfe ein. Normalerweise
beginnen sie mit einer einfachen Idee oder einer Hand-
voll Eindrücke. Es kann sein, daß sich beim Lesen dieses
Regelwerks ein ganz bestimmtes Bild vor Ihrem geistigen
Auge aufgebaut hat: Dämonen aus verschiedenen Häusern
und aus unterschiedlichen Fraktionen beispielsweise, die
sich zusammenschließen, um ihre Heimatstadt gegen ihre
monströseren Artgenossen zu verteidigen, oder die sich
schwören, Buße für die Sünden aus ihrer Vergangenheit zu
tun, indem sie versuchen, die Erde wieder zu einem Para-
dies zu machen. Je nachdem, welche Art von Geschichten
Sie erzählen wollen, kann diese zentrale Setzung darauf
hinweisen, daß Ihre Chronik die Züge eines großangeleg-
ten Epos, einer schmerzhaft realistischen Darstellung der
Verhältnisse in der Welt der Dunkelheit oder gar einer
sehr auf persönliches Erleben abzielenden Charakterstudie
tragen wird. Die wichtigste Frage lautet nun: Wie bringen
Sie diese groben Ideen in eine abgerundete Form, die als
Grundstein für eine ganze Geschichte dienen kann?
Der erste Schritt beginnt mit den Spielern. Bevor Sie
wirklich mit der Ausarbeitung des Fundaments Ihrer Chro-
nik beginnen können, müssen Sie eine umfassende Vor-
stellung davon haben, welche Art von Charakteren Ihre
Spieler darstellen möchten und wie deren Konzept zu Ihren
Ideen paßt. Nehmen wir an, Sie denken über eine Chronik
nach, bei der die Charaktere als Beschützer der Menschheit
auftreten und ihre Heimatstadt vor den Heimsuchungen
monströser Gefallener verteidigen wollen, um dort eine
Zuflucht für andere Dämonen, die nach Vergebung su-
chen, aufbauen zu können. Bei diesem Chronikentwurf
handelt es sich um eine Geschichte, die von Heldenmut
und Selbstaufopferung erzählt. Zusätzlich geht es dabei um
die feste Entschlossenheit, mit allen Mitteln gegen die Ka-
meraden von einst vorzugehen, und die Bereitschaft, jeden
Preis zu zahlen, um die sterblichen Mündel vor Schaden
zu bewahren.
Doch was, wenn ein Spieler einen Anhänger der nihili-
stischen Verheerer spielen möchte und ein anderer gerne
ein skrupelloser und ränkeschmiedender Faustianer wäre,
von denen weder der eine noch der andere Charakter mit
Ihrer zentralen Setzung vereinbar ist? Es ist keine sonder-
lich gute Idee, Spieler dazu zu zwingen, eine bestimmte Art
Charakter zu verkörpern, da es Ihnen darum gehen muß,
daß jeder Spieler das Gefühl hat, er würde etwas zum Spiel
beitragen und gleichzeitig einen Charakter spielen, dessen
Rolle ihn auch wirklich interessiert. An diesem Punkt der
Ausarbeitung Ihrer Chronik ist die Zeit der Verhandlungen
und Kompromisse angebrochen. Möglicherweise können
323

Sie das Interesse der Spieler an Ihrer Vision von hero-
ischen Taten und himmlischer Vergebung wecken, wenn
Sie dafür die ursprüngliche Ausrichtung der Geschichte
auf den Kampf der Charaktere gegen die Bedrohung durch
die Erdgebundenen umlenken, da es sich hierbei um eine
Sache handelt, der sich Mitglieder aller Fraktionen leicht
anschließen könnten. Der wichtigste Punkt hierbei ist,
daß Ihre Ideen und die Erwartungen der Spieler aufein-
ander abgestimmt sein müssen, ehe Sie damit beginnen,
Ihre Chronik zu entwickeln. Auf diese Weise tragen die
Entscheidungen und Handlungen jedes Beteiligten etwas
Konstruktives zum Gesamtkonzept bei, anstatt dieses Kon-
zept in ein Dutzend verschiedener Teilkonzepte aufzusplit-
tern, die nicht mehr glaubhaft in einer Rahmenhandlung
zusammengefaßt werden können.
Nachdem jeder Spieler der generellen Richtung, die die
Chronik einschlagen soll, zugestimmt hat, können die Spie-
ler ihre Charaktere erschaffen, während Sie die Welt zu ge-
stalten beginnen, in der diese leben und agieren sollen. Es
kann sehr hilfreich sein, wenn dies gleichzeitig geschieht,
denn dadurch können sich die Ideen aller wechselseitig be-
fruchten, was Sie möglicherweise Wege bei der Gestaltung
der Chronik einschlagen läßt, die Sie ansonsten vielleicht
übersehen hätten. Angenommen eine Ihrer Spielerinnen
möchte einen Charakter erschaffen, der zwar noch recht
jung ist, dafür aber über gute politische Beziehungen ver-
fügt und noch dazu verhältnismäßig wohlhabend ist. Mit
diesen Vorgaben im Hinterkopf könnten Sie ihr vorschla-
gen, daß sie die Tochter eines lokalen Politikers spielen
könnte, die unter den Waltern und Schaltern ihrer Heimat-
stadt aufgewachsen ist. Hierdurch könnte sie einflußreiche
Kontakte und interessante Einblicke in die lokale Politik
gewonnen haben.
Ausgehend von dieser Grundlage können Sie Ihrer Spie-
lerin weitere Fragen zu ihrem Charakter stellen. Wie ist das
Verhältnis zwischen Vater und Tochter? Findet seine Politik
ihre Zustimmung? Ist er korrupt oder ein aufrichtiger, lei-
denschaftlicher Diener des Volkes? Belastet sein beständi-
ges Streben, so oft wie möglich wiedergewählt zu werden,
die Beziehungen zu seiner Familie? Hat sie Geschwister,
und wenn ja, wollen einige von ihnen in die Fußstapfen
ihres Vaters treten? Stellen Sie Ihrer Spielerin Fragen und
füllen Sie mit den Antworten die Lücken im Hintergrund
des Charakters. Auf diese Weise hat sie die Möglichkeit,
ihren Charakter weiter auszubauen und ihm mehr Tiefe zu
verleihen. Sie hingegen erhalten dadurch Ideen für weite-
re Geschichten, die Sie in Ihre Chronik einfließen lassen
können. Inwieweit behindern die Dämonin die Gefühle
ihres Wirtskörpers, wenn sie den Wunsch verspürt, dessen
Vater zu ihrem Sklaven zu machen? Was, wenn ein anderer
Dämon versucht, ihren Vater oder eines ihrer Geschwister
zu seinem Sklaven zu machen? Wie kann sie die politischen
Beziehungen ihres Vaters für ihre eigenen Ziele in der Stadt
nutzen, und wird dieses Vorhaben in eine Auseinanderset-
zung mit anderen Gefallenen – oder schlimmer noch – den
Schergen eines Erdgebundenen münden? Bringen Sie Ihre
Spieler während der Charaktererschaffung dazu, möglichst
viele Details über ihre Charaktere zu erzählen. Setzen Sie
sich während dieses Prozesses mit ihnen zusammen und
324
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
DIE GRENZEN DER STERBLICHKEIT
Ein ständige Herausforderung an den Erzähler bei
einem Dämonen-Spiel ist es, dafür zu sorgen, daß das
empfindliche Gleichgewicht zwischen dem kosmischen
Wissen und der Macht eines Charakters und den Ein-
schränkungen seines sterblichen Wirtskörpers gewahrt
bleibt. Für einen Spieler kann es eine sehr reizvolle
Idee sein, davon auszugehen, daß sein Charakter auf-
grund seiner seit dem Anbeginn der Zeit gesammelten
Erfahrungen Zugriff auf nahezu unbegrenztes Wissen
hat. Auch wenn es Spaß macht, die uralten Erinne-
rungen und gottgleichen Einsichten der Himmlischen
auszuspielen, um einen Dämonen-Charakter inter-
essanter zu gestalten, so kann dies die Spielbalance
Ihrer Chronik schnell zum Kippen bringen, wenn man
es damit zu weit treibt. Und wer will schon einen all-
wissenden Engel spielen? Wo soll denn da bitteschön
noch die Herausforderung liegen?
Es ist nichts Falsches daran, Ihren Spielern zu ge-
statten, die alten Erinnerungen ihrer Charaktere ein-
zusetzen – insbesondere wenn dies die Handlung Ihrer
Chronik vorantreibt oder eine Geschichte dramati-
scher macht. Um den übermäßigen Gebrauch dieser
Möglichkeit zu verhindern, sollten Sie Ihren Spielern
deutlich klarmachen, daß Ihre Charaktere zwar zwei-
felsohne über ein gewaltiges Wissen verfügen, aber es
noch einmal etwas ganz anderes ist, sich dieses Wissen
tatsächlich irgendwie nutzbar zu machen. So leistungs-
fähig und komplex der menschliche Verstand auch
sein mag, so wurde er nie dafür geschaffen, alle Erinne-
rungen eines Dämons aufzunehmen und zu behalten.
Aus diesem Grund ist das Gedächtnis der Gefallenen
bestenfalls als lückenhaft zu bezeichnen. Sich als Dä-
mon Ereignisse aus der Zeit des Zorns in Erinnerung
zu rufen, ist gleichbedeutend mit dem Versuch eines
Sterblichen, seine frühesten Kindheitserinnerungen
wachzurufen. Wir Menschen neigen dazu, uns in einem
solchen Fall an eine merkwürdige Aneinanderreihung
von Bildern zu erinnern, von denen einige lebhaft und
prägend sind, während uns andere wiederum scheinbar
zufällig erscheinen. Jede dieser Erinnerungen ist dar-
über hinaus durch bestimmte persönliche Gefühle und
Ansichten gefärbt. Aufgrund der Einschränkungen
ihrer sterblichen Wirtskörper erinnern sich dämoni-
sche Charaktere an ihre Vergangenheit auf die gleiche
Weise, was ihr unvorstellbar umfangreiches Wissen
auf ein Niveau reduziert, mit dem der menschliche
Verstand besser umzugehen weiß.
besprechen Sie gemeinsam deren Hintergründe. Verwen-
den Sie die Informationen, die Sie daraus gewinnen, für
Ihre Chronik. Ihre Spieler können Ihnen eine Unmenge
weiterer Charaktere, Situationen und Konflikte liefern, die
Ihnen später bei der Bereicherung der Chronik ausgespro-
chen nützlich sein werden.
Die Wahl der Hintergrundeigenschaften eines Charak-
ters bietet Ihnen weitere Möglichkeiten, Ihrer Chronik
KAPITEL ZEHN
Tiefe zu verleihen und Ihre Geschichten glaubwürdiger und
spannender zu gestalten. Ermutigen Sie die Spieler dazu,
ihren Charakteren Sklaven, Kontakte, Einfluß und derglei-
chen mehr zu geben, und arbeiten Sie die entsprechenden
Details gemeinsam mit ihnen aus. Woher stammen die Res-
sourcen des Charakters? Hat er sein Geld geerbt oder in der
Lotterie gewonnen? Ist er zufällig in einen schiefgelaufenen
Drogendeal geplatzt und hat das blutverschmierte Bargeld
gestohlen? Welche Auswirkungen hat ein solches Ereignis
auf die Persönlichkeit des Charakters und seine Rolle in der
Chronik? Sklaven und Kontakte sind mehr als nur Punkte
auf dem Charakterbogen – es sind Menschen mit ganz ei-
genen Bedürfnissen, Zielen und Ansichten. Wenn ein Cha-
rakter beispielsweise einen Kontakt bei der örtlichen Polizei
haben soll, sollte geklärt werden, um was für eine Person
es sich bei diesem Kontakt handelt und wie der Charakter
überhaupt an ihn gekommen ist. Bei dem Kontakt könnte
es sich zum Beispiel um einen Onkel des Charakters han-
deln, einen erfahrenen Kommissar im Morddezernat, der
die unangenehme Angewohnheit hat, sehr direkte Fragen
über den Lebensstil und die Aktivitäten des Charakters
zu stellen (insbesondere wenn er diesen in der Nähe eines
Tatorts gesehen hat!).
Jede Hintergrundeigenschaft gewinnt dem Charakter-
konzept eine weitere Facette ab und birgt einen wahren
Schatz an Ideen, die den Erzähler inspirieren können. Wie
bringt ein Dämon seine uralten und fernen Erinnerun-
gen mit den aktuellen und unmittelbaren Banden seines
Wirts zu Freunden und Verwandten in Einklang? Nimmt
er diese Beziehungen von ganzem Herzen dankbar an oder
betrachtet er diese Menschen lediglich als nützliche Glau-
bensquellen? Bei diesen Situationen handelt es sich um
die ersten Probleme, denen sich der Charakter stellen muß
und sie können seine Handlungen auf viele unterschwel-
lige Arten beeinflussen. Auch wenn es stets verlockend
ist, die Einzelheiten des Präludiums eines Charakters zu
überspringen und schnell dazu überzugehen, ihn einfach
„einen Dämon sein“ zu lassen, so würde dies doch eine gro-
ße Lücke in der Persönlichkeit des Charakters hinterlassen,
da ein wichtiger Gesichtspunkt seines ständigen Kampfs
mit der eigenen Qual vollkommen unberücksichtigt blie-
be. Wenn Sie diesem Aspekt der Charaktererschaffung
hingegen ausreichend Aufmerksamkeit schenken, bereitet
Ihnen dies einen äußerst fruchtbaren Boden, auf dem Sie
sich viele Ideen und Nebencharaktere für Ihre Geschichten
heranziehen können.
Nachdem Sie die generelle Richtung Ihrer Chronik
festgelegt und die von den Spielercharakteren stammen-
den Elemente integriert haben, können Sie zum nächsten
Schritt weitergehen und die Einzelheiten der Szenerie Ihrer
Geschichten ausarbeiten.
EINE WELT DER
DUNKELHEIT
Die Szenerie umfaßt mehr als nur den Ort des Gesche-
hens Ihrer Geschichten. Sie ist die Umgebung, die die At-
mosphäre Ihrer Chronik widerspiegelt und die Art von Ge-
schichten unterstützt, die Sie erzählen möchten. Denken
Sie einmal an die freudlose, urbane Landschaft in The Crow
und die Art und Weise, wie sie dem Zuschauer die Themen
des Films – Tod, Liebe und Hoffnung – in aller Deutlichkeit
325

vor Augen führt. Hätte die Geschichte den gleichen Reiz
auf den Zuschauer ausgeübt, wenn sie in einer Kleinstadt
im sonnigen Colorado gespielt hätte?
• Gott ist tot: Die Welt bei Dämonen ist ein dunkle-
res, trostloseres Spiegelbild unserer eigenen Welt. Wenn
Sie sich die Details der Szenerie Ihrer Chronik ausmalen,
sollten Sie einige wichtige Elemente stets im Hinterkopf
behalten: Die Gefallenen sind in eine Welt zurückgekehrt,
von der sie vergessen wurden. Der unaufhaltsame Sieges-
zug der Technologie und der Vernunft hat den Glauben in
ein Zerrbild seiner selbst verwandelt. Der Glaube an ein
höheres Wesen wird mit kindlicher Unwissenheit oder den
Wahnvorstellungen eines Geisteskranken gleichgesetzt.
Die Menschen gehen noch immer in die Kirche oder beten
in Richtung Mekka, doch dabei handelt es sich nur noch
um Lippenbekenntnisse gegenüber Institutionen, die sie
nur ablegen, um ihre eigenen Exzesse zu rechtfertigen und
all diejenigen zu schmähen, die ihre eigenen Ansichten
nicht teilen. Moderne Kirchen werden aus Glas und Stahl
erbaut und verfügen über High-Tech-Soundsysteme an-
stelle eines echten Chors sowie eigene Fernsehstudios, mit
denen Spendenaufrufe an jeden Ort der Welt übertragen
werden können. Jahrhunderte der Habgier, der Gewalt und
der Angst haben Gott den Menschen entfremdet. Gebete
bleiben ungehört, Unschuldige müssen weiterleiden und
jeder, der aus Großmut oder Mitgefühl handelt, muß damit
rechnen, von seinen Mitmenschen ausgenutzt zu werden.
Wie in dem vielbemühten Zitat Nietzsches ist Gott in den
Herzen und Köpfen der Menschen tatsächlich tot.
• Graustufen: Mit der Vergiftung des Glaubens der Men-
schen gehen ein alles beherrschender Zynismus und der
Verfall der grundlegendsten Werte der Gesellschaft einher.
Überall herrschen Gewalt und Verzweiflung. Die Reichen
werden reicher, die Armen werden ärmer und niemand
glaubt noch daran, daß sich die Dinge je wieder zum Bes-
seren wenden werden. Die Menschheit verfault von innen
heraus und setzt ihren traurigen Niedergang fort. Die Sym-
bole dieses Verfalls sind überall in den verwitterten Fassa-
den alter Kirchen und Bürogebäude deutlich zu erkennen.
Zwischen seelenlosen Türmen aus Stahl und Glas mag
vielleicht noch die eine oder andere einsame Kathedrale
stehen, deren Fenster an die Farbenpacht und die Schön-
heit vergangener Zeiten erinnern. Solche Orte sind gespen-
stische Mahnmale dessen, was einmal war und vielleicht
wieder sein könnte. Die Welt hat ihre Helden verloren. Sie
sind in Sexskandale verwickelt, nehmen Bestechungsgel-
der entgegen oder fallen der grassierenden Gewalt in den
Städten zum Opfer. Es gibt keine starke Führung mehr, kein
Vertrauen in die Politiker oder einen Glauben an das ge-
meinsame Schaffen einer besseren Zukunft. Die Menschen
wissen, daß es diese bessere Zukunft nie geben wird.
• Das Ende ist nah: Der Himmel ist smogverhangen und
die Meere müssen als Endlagerstätte für unzählige Tonnen
an Chemikalien und anderem Giftmüll herhalten. Der Kli-
mawandel ist in vollem Gange, und die Atmosphäre heizt
sich immer weiter auf. Extreme Dürren und schreckliche
Stürme suchen ganze Landstriche heim und der steigende
Meeresspiegel bedroht Küstenstädte und Inseln. Die Zeitun-
gen sind voll von Geschichten, laut derer eine schreckliche
326
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Katastrophe unmittelbar bevorsteht, und viele Menschen
können sich des düsteren Gedankens nicht erwehren, daß
die letzten Tage der Menschheit tatsächlich angebrochen
sein könnten. Während überall auf der geschundenen und
überhitzten Erde Kriege wüten und Gerüchte allerorten
weitere Kriege vorhersagen, beginnen selbst die Gefallenen
daran zu glauben, daß das Ende der Welt nahe ist.
Diese Kernpunkte machen die Essenz der Welt der Dun-
kelheit aus, und sie sind wichtig, da sie die Probleme, denen
sich die Spielercharaktere in ihrem Kampf gegen ihr dämo-
nisches Wesen stellen müssen, unterstreichen. Überall um
sie herum herrschen Verzweiflung und Resignation; Gewalt
und Tod sind allgegenwärtig. Was bedeutet da schon ein
weiterer Mord oder eine weitere Lüge? Was könnte eine
einzelne Person – selbst ein einziger Engel – denn auch
schon bewirken? Tugenden wie Mut und Mitgefühl sind
nur schwer zu finden und noch schwerer hochzuhalten,
aber es ist der Kampf um ebendiese Tugenden, der wirklich
von entscheidender Bedeutung ist. Er entscheidet in die-
sem Spiel über Triumph oder Tragödie. Bei den Entschei-
dungen, die Sie bei der Ausarbeitung der Szenerie Ihrer
Chronik treffen, sollten Sie diesen Umstand immer berück-
sichtigen. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Sie
nicht sklavisch an den obengenannten Konzepten festhal-
ten müssen. Es liegt ganz bei Ihnen, wieviel Bedeutung Sie
ihnen beimessen wollen, was letztlich nichts anderes als
eine Frage des persönlichen Geschmacks ist. Wichtig ist
nur, daß Sie bei der Erschaffung der Szenerie Ihrer Chro-
nik immer darauf achten, daß es in der Spielwelt, die Sie
den Spielern präsentieren, schwierig und anstrengend sein
sollte, die richtige Entscheidung zu treffen, und noch viel
schwieriger und anstrengender, diese Entscheidung dann
auch in die Tat umzusetzen.
Die Wahl des Ortes, an dem Ihre Chronik spielen soll,
bleibt Ihnen natürlich selbst überlassen. Wenn Sie Ihre
Chronik in einer größeren Stadt ansiedeln wollen, mit der
Sie nicht vertraut sind, finden Sie in Ihrer örtlichen Biblio-
thek nützliche Informationen, Stadtpläne und Karten, die
Sie für Ihre Zwecke neu interpretieren können. Denken Sie
daran, daß Ihnen nicht jedes Detail eines Ortes bekannt
sein muß – und selbst wenn dem so sein sollte, sind Sie
in keiner Weise an die Wirklichkeit gebunden. Dämonen
spielt in der Welt der Dunkelheit und Sie können diese
Welt nach Ihren Wünschen und Vorstellungen formen. Be-
halten Sie die vorangegangenen Richtlinien im Hinterkopf
und verändern Sie die Details dahingehend, daß sie zu Ih-
ren Ideen passen und die von Ihnen gewünschte Stimmung
erzeugen. Viele Erzähler ziehen es vor, ihre Geschichten in
einer finstereren Version ihrer eigenen Heimatstadt spielen
zu lassen. Indem sie sich auf ihnen bekannte Details stüt-
zen, fällt es ihnen meist leichter, den Spielern ein lebendi-
ges Bild von der Szenerie zu vermitteln, was der Handlung
ein gewisses Maß an Realismus verleiht, das auf andere
Weise nur schwer zu erzeugen ist.
Während Sie die Details des Ortes ausarbeiten, an dem
Ihre Chronik spielen soll, nutzen Sie die besonderen Merk-
male der Stadt für eine ansprechende Bildersprache, bei der
die Form und die Funktion einer Örtlichkeit als Symbol für
eine gewisse weiterführende Bedeutung stehen. Beispiels-
KAPITEL ZEHN
weise würde sich ein stillgelegter Bahnhof im Stadtzentrum
als ideale Zuflucht für eine Gruppe wilder Verschlinger
eignen, deren animalische Verhaltensweisen einen starken
Kontrast zur langsam verblassenden Erhabenheit des alten
Gebäudes bilden. Eine verlassene Kathedrale in einem her-
untergekommenen Stadtteil wiederum könnte zu einer Art
Zuflucht für die Gefallenen werden, da die Mosaikfenster
und die graffitiübersäten Wände des Gotteshauses vortreff-
lich die tragische Existenz seiner momentanen Bewohner
und deren Suche nach Vergebung widerspiegeln. Ein altehr-
würdiges Apartmentgebäude im Stadtkern könnte gut zu
einem hochmütigen Teufel passen, der Hof in einer geräu-
migen und düsteren Penthousewohnung hält, die mit den
Erinnerungen an bessere und glücklichere Zeiten angefüllt
ist, die schon lange der Vergangenheit angehören. Dämo-
nen sind Kreaturen, die ein deutliches Revierverhalten an
den Tag legen, und die Orte, die sie für sich beanspruchen,
sind wie ein Spiegel ihrer Persönlichkeit und ihrer Ansich-
ten. Denken Sie ausgiebig über die Einzelheiten der Szene-
rie Ihrer Chronik nach und ersinnen Sie dann eine Reihe
von Orten, die dabei helfen, eine bestimmte Atmosphäre
zu erzeugen oder das innere Wesen der an ihnen lebenden
Personen zu betonen. Trotzdem müssen Sie deswegen nicht
Stunden damit zubringen, jedes kleinste Detail genauestens
auszuarbeiten. Konzentrieren Sie sich statt dessen auf zwei
oder drei interessante und sinnträchtige Merkmale, die ein
wirklich erinnerungswürdiges Bild von einem bestimmten
Ort in Ihrem Kopf entstehen lassen.
ERZÄHLSTILE
Wichtige Aspekte, die Sie bedenken müssen, während
sich die Einzelheiten Ihrer Chronik nach und nach zu
einem Gesamtbild zusammenfügen, sind der Handlungs-
horizont und der Stil der Geschichten, die Sie erzählen
möchten. Soll die Chronik die Erlebnisse einer Gruppe von
Dämonenfürsten mit extrem hochgesteckten Zielen schil-
dern und sich über ganze Kontinente erstrecken, oder soll
sie sich um den alltäglichen Kampf einer Handvoll Gefalle-
ner drehen, die mit ihrem dunklen Wesen ringen, während
sie sich darum bemühen, in einem einzelnen Stadtviertel
für Ruhe und Ordnung zu sorgen? Mit Dämonen kann ein
breites Spektrum von Geschichten unterschiedlichster Stil-
richtungen abgedeckt werden – von wahren Epen bis hin
zu sehr persönlichen Charakterstudien ist alles möglich. Es
ist ausgesprochen hilfreich, sich von Anfang an darüber
Gedanken zu machen, welcher Stil den Handlungshorizont
Ihrer Chronik am besten ergänzt.
• Opernhaft: Opernhafte Chroniken sind epische Er-
zählungen, deren Themen vor einem sehr weiten Hand-
lungshorizont angesiedelt sind. Die Taten und die Ziele der
Charaktere sind überlebensgroß, wobei die sich aus ihren
Entscheidungen ergebenden Konsequenzen von wahrhaft
monumentaler Bedeutung sind. Realismus tritt hinter
Kühnheit und Dynamik zurück, um Geschichten erzählen
zu können, in denen gefallene Engel wie Titanen über die
Erde schreiten und ganze Nationen in ihre Pläne einbe-
ziehen, die Welt zu beherrschen und sich am Himmel zu
rächen. Bei opernhaften Chroniken liegt das Hauptaugen-
merk auf dem überlegenen, übermenschlichen Wesen der
Charaktere, anstatt auf ihren weltlichen und menschlichen
Aspekten. Sklaven sind nur Marionetten, die es in Versu-
chung zu führen, auszunutzen und fallenzulassen gilt. In
solchen Chroniken kommen nur wenige zwischenmensch-
liche Beziehungen zustande, doch die, die entstehen, sind
allesamt von heftigster Leidenschaft geprägt. Ganze Städte
sind lediglich die Kulisse für die uralten Fehden, verbote-
nen Liebschaften und furchteinflößenden Ränke der Cha-
raktere. Triumphieren sie, so retten sie Metropolen vor der
Vernichtung durch ihre unsagbar alten und bösen Gegner;
versagen sie, steht die Welt um sie herum in Flammen
und ihre Lieben liegen tot in der Asche – häufig von den
Charakteren selbst erschlagen. Opernhafte Chroniken sind
zwar an Melodramatik kaum noch zu überbieten, doch sie
ermöglichen es dem Erzähler, aufregende und spannungs-
geladene Geschichten zu erzählen, die keine übermäßi-
ge Hintersinnigkeit oder Rücksichtnahme auf Details des
täglichen Lebens – wie beispielsweise die Bezahlung der
Stromrechnung – erfordern.
• Cineastisch: Cineastische Chroniken sind irgendwo zwi-
schen opernhaften und realistischen Geschichten angesie-
delt. Die Charaktere werden in ihnen als übernatürliche
Kreaturen mit menschlichen Sorgen und Nöten dargestellt.
Auf gewisse Weise leben sie in zwei verschiedenen Welten,
und ihre schwersten Kämpfe drehen sich oft darum, ein
allzu hartes Aufeinanderprallen dieser beiden Welten zu
verhindern. Cineastische Geschichten kontrastieren das
Alltägliche mit dem Übernatürlichen. In ihnen schlagen die
Gefallenen unbemerkt und unmittelbar vor den Augen der
Menschheit heftig tobende und verzweifelte Schlachten,
um anschließend bei Freunden und Familie Trost zu suchen
und sich ihre physischen und spirituellen Wunden verbin-
den zu lassen. Der Kampf, den die Charaktere führen, um
die beiden Aspekte ihrer Existenz im Gleichgewicht zu hal-
ten, bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten zum Erzählen
spannender Geschichten, in denen Realismus eine reizvolle
Verbindung mit dem Übernatürlichen eingeht.
• Realistisch: In realistischen Geschichten geht es um
menschliche Charaktere, unter deren Haut ein Dämon
lauert. Anstatt einer weltumspannenden, epischen Er-
zählung oder einer Chronik, die sich um widerstreitende,
unvereinbare Wünsche dreht, dreht sich eine realistische
Chronik darum, daß sich die Charaktere gegen den Sog des
Übernatürlichen wehren, indem sie an ihrem alltäglichen
Leben festzuhalten versuchen. Die Charaktere in einer
solchen Chronik könnten sich wenn überhaupt nur äußerst
dunkel und lückenhaft an ihre Zeit im Abgrund erinnern.
Möglicherweise haben sie nicht einmal begriffen, daß sie
in Wirklichkeit Dämonen sind, und versuchen verzweifelt,
hinter die wundersamen und doch finsteren Ereignisse zu
kommen, die um sie herum passieren. Eine realistisch er-
zählte Chronik ist weniger heroisch, dafür aber um einiges
beängstigender. Am besten funktioniert sie, wenn man
den Fokus der Erzählung auf einen ganz bestimmten As-
pekt gerichtet und den Handlungshorizont möglichst eng
gesteckt hält. Sie baut sich um das Leben der Charaktere
als Menschen auf und schildert, wie sich ihre wahre Natur
auf alles und jeden in ihrem Umfeld auszuwirken beginnt.
Eine solch weltliche Sichtweise bedeutet nicht, daß man
327

bei einem realistisch gehaltenen Spiel keinen Spaß mit
infernalischen Kräften oder dem Kampf zwischen ural-
ten, unsterblichen Geistern haben kann. Der Reiz einer
realistischen Chronik entspringt viel eher dem Bemühen
der Charaktere, die Geheimnisse ihres wahren Wesens zu
ergründen.
DAS ERSCHAFFEN EINER
CHRONIK
Bei der Chronik handelt es sich um den übergeordne-
ten Handlungsbogen, den Sie gerne in Ihrer Erzählung
umsetzen möchten. Sie besteht aus einer Reihe kleinerer
Geschichten, in denen die Spielercharaktere die handeln-
den Protagonisten darstellen. Betrachten Sie die Chronik
als eine Romanreihe, die eine lange Geschichte mit vielen
Verwicklungen erzählt. Jeder Roman ist eine Geschichte für
sich allein, die in Kapitel und diese wiederum in Szenen auf-
geteilt sind. Was in jeder einzelnen Geschichte geschieht,
hängt größtenteils vom Verlauf der Chronik als Ganzes ab.
Diese Phase der Entwicklung ist die anspruchvollste und
zeitaufwendigste für den Erzähler. Dämonen-Chroniken
lassen sich am besten erzählen, wenn sie einen genau fest-
gelegten Anfang, einen Mittelteil und einen Schluß besit-
zen, wodurch ihnen eine Struktur vorgegeben wird, die Ihre
Geschichten anspruchsvoller und unterhaltsamer machen
kann. Logischerweise müssen Sie diese Struktur im Vorfeld
festlegen, um Ihre Gedanken ordnen, die Geschwindigkeit
der Ereignisse bestimmen und die Spannung über mehrere
Geschichten hinweg aufrechterhalten zu können. Wenn
sich kein absehbares Ende abzeichnet, wird eine Chronik
ihren Schwung und ihren Fokus verlieren. Nach all der
Arbeit, die Sie sich gemacht haben, wollen Sie die ganze
Sache doch mit einem großen Knall enden lassen – und wir
reden hier hoffentlich von einer echten Bombe und keinem
lausigen Chinaböller, oder? Halten Sie Ihre Notizen und
Ideen irgendwo an einem eigens dafür vorgesehenen Ort
fest, während Sie sich überlegen, in welcher Reihenfolge
die Ereignisse in Ihrer Chronik eintreten sollen. Versuchen
Sie nicht, alles nur in Ihrem Kopf ordnen zu wollen.
Mittlerweile stehen Ihnen eine Menge Informationen zur
Verfügung, die Ihnen dabei helfen, Ihre Chronik auszuar-
beiten. Nun müssen Sie sich überlegen, welche Richtung
die einzelnen Geschichten einschlagen sollen, aus denen
die Chronik bestehen wird, und wie Sie alle angesammelten
Details zu einem funktionierenden Ganzen zusammenfü-
gen können. Der erste Schritt hierbei besteht darin, ein
Leitthema für die Chronik festzulegen. Bei diesem The-
ma handelt es sich um die grundsätzliche Idee, die den
Handlungsbogen der Chronik in ein paar einfachen Worten
zusammenfaßt. Im Folgenden werden einige mögliche Leit-
themen für Dämonen-Chroniken aufgelistet:
• Gewissenskonflikte: Obwohl sie endlich aus ihrem Ge-
fängnis entkommen sind, sind die Gefallenen noch immer
dem Dienst an ihren infernalischen Herren verpflichtet,
die den Charakteren auftrugen, alles daranzusetzen, ihren
Oberen den Weg aus der Hölle zu ebnen. Werden die Cha-
raktere dem Befehl ihrer immer noch im Abgrund gefange-
nen Fürsten Folge leisten und eine wahre Hölle auf Erden
328
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
schaffen? Oder riskieren sie, sich den Zorn der Prinzen der
Hölle zuzuziehen, indem sie deren Befreiung zu verhindern
suchen? Das Risiko, das sie dabei eingehen, ist in der Tat
sehr hoch, denn wenn die Gefallenen aus ihren sterblichen
Körpern gerissen und zurück in den Höllenschlund gezo-
gen werden sollten, wird ihr Ungehorsam mit Sicherheit
schwerwiegende Folgen für sie haben. Hinzu kommt noch,
daß auf jeden gefallenen Engel, der versucht, den Aus-
bruch der monströsen Dämonen aus ihrem Gefängnis zu
vereiteln, zehn weitere kommen, die genau das Gegenteil
anstreben und allerorten auf ihrer Suche nach unschul-
digen Seelen, die ein geeignetes Gefäß für ihre Oberen
abgeben könnten, Angst und Schrecken verbreiten. Dieses
Leitthema ist der klassische heldenhafte Kampf gegen eine
erdrückende Übermacht, der sich in jedem Erzählstil her-
vorragend umsetzen läßt.
• Die Suche nach Luzifer: Das Verschwinden des Mor-
gensterns hatte zur Folge, daß alles, woran die Gefallenen
glaubten, plötzlich mit dem Makel des Zweifels behaftet
war. Dieses Ereignis brachte die Saat der Verzweiflung aus,
die die Gefallenen zu den Monstren gemacht hat, die sie
heute sind. Welches Schicksal hat Luzifer ereilt und was
bedeutet sein Schicksal für die Gefallenen und die Zukunft
der Menschheit? Was geschieht, wenn Luzifer eines Tages
gefunden werden sollte? Wird dies zu einem erneuten Krieg
gegen den Himmel führen? Ist es das, was die Charaktere
wirklich wollen? Dieses Leitthema eignet sich ideal für
Chroniken, in denen es um Verschwörungen und Intrigen
geht, und es funktioniert am besten, wenn es im cineasti-
schen Stil umgesetzt wird.
• Krieg der Ideale: Die Gefallenen sind nicht länger eine
geeinte Heerschar infernalischer Legionen – sie sind in
Fraktionen zerfallen, deren jeweilige Ideale mit denen der
anderen kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen
sind. Nach ihrer Rückkehr in die Welt der Sterblichen ist
die Tatkraft ihrer Anhänger wiedererwacht, die nun, da sie
die strenge Hand ihrer Fürsten nicht länger zu fürchten
brauchen, die Ziele ihrer Fraktion aktiv und aggressiv zu
fördern versuchen. Natürlich greift dieses Leitthema am
besten, wenn alle Charaktere derselben Fraktion angehö-
ren. Eine solche Chronik (in der sie gegen ihre ehemaligen
Kameraden kämpfen, sich mit ihnen verbünden, sich gegen
sie verschwören und sie wahrscheinlich letzten Endes auf
die eine oder andere Weise verraten) kann der Nährboden
für eine Vielzahl von Geschichten sein, in denen Actions-
zenen und politische Ränke nahtlos ineinandergreifen. Ob
opernhafter oder cineastischer Stil – beide passen hervorra-
gend zu dieser Art Chronik, in der das Potential für leiden-
schaftlich verfolgte Ideale, gebrochene Versprechen und
große Tragödien besonders groß ist.
• Das größere Übel: Im Herzen eines jeden Gefallenen
lauert ein Dämon, doch sein Bestreben Böses zu tun, ist
nichts im Vergleich mit dem der Erdgebundenen, jener
monströsen Dämonen, deren Qual nie den mildernden
Einfluß eines sterblichen Wirtskörpers erfahren hat. Sie
sind wie dunkle Götter, deren Wahnsinn so fremdartig ist,
daß sie weder Engeln noch Menschen gleichen. Nun, nach-
dem diese Monstrositäten aus ihrem langen Schlaf erwacht
sind, stehen nur noch die Gefallenen zwischen ihnen und
KAPITEL ZEHN
ihrer düsteren Vision von der Zukunft der Menschheit.
Auch wenn die Erdgebundenen zu mächtig für die Spie-
lercharaktere sind, um direkt gegen sie vorgehen zu kön-
nen, so sind deren dämonische und sterbliche Schergen
doch ein ganz anderes, um einiges besser zu bewältigendes
Kaliber. Die Erdgebundenen streben die Versklavung, Ver-
bannung und Auslöschung der jüngst aus dem Abgrund
zurückgekehrten Gefallenen an und versuchen dafür zu
sorgen, daß ihre alptraumhaften Pläne zur Unterjochung
der Menschheit endlich Früchte tragen. Dieses Leitthema
versetzt die Charaktere in eine Situation, in der sie gegen
etwas unbestreitbar Böses kämpfen, sich gleichzeitig aber
entscheiden müssen, wieviel ihrer eigenen Menschlichkeit
sie zu opfern bereit sind, um dieses Böse aufzuhalten. Ist
es die Rettung Unschuldiger vor dem absolut Bösen wert,
selbst zu einem Monstrum zu werden? Dieses Leitthema
funktioniert am besten, wenn es im opernhaften oder cine-
astischen Stil umgesetzt wird, aber auch die Umsetzung in
einer besonders gefühlsintensiven, realistischen Chronik ist
durchaus denkbar.
• Rückkehr nach Eden: Die Welt schleppt sich langsam
und scheinbar unaufhaltsam dem Untergang entgegen.
Wohin sich die Charaktere auch wenden, die Zeichen,
die sie sehen, sprechen eindeutig dafür, daß das Ende der
Welt unmittelbar bevorsteht. Doch für Geschöpfe, die die
Entstehung des Universums miterlebt haben, ist das Ende
gleichzeitig jedoch auch nichts anderes als die Hoffnung
auf einen Neuanfang. Werden die Charaktere den Kampf
aufnehmen, um die Menschheit vor dem drohenden Sturz
in den Abgrund zu retten und die Welt wieder zu dem Pa-
radies zu machen, das sie einmal war? Oder wollen sie das
blutige Ende beschleunigen und nur das bewahren, was sie
brauchen, um ein neues Zeitalter anbrechen zu lassen, das
frei von den Makeln des gerade vergangenen ist? Dieses
Leitthema eignet sich besonders für einen opernhaften
Erzählstil, kann aber ebensogut in einem von humanisti-
schen Idealen angehauchten, cineastischen Stil umgesetzt
werden.
Themen sind wichtig, da sie es Ihnen ermöglichen, die
Geschehnisse und die Handlung Ihrer Chronik auf eine
Grundidee auszurichten. Sie sorgen für die nötige Kon-
tinuität Ihrer Chronik und verleihen ihr eine emotiona-
le Spannung, die Sie beständig steigern können, bis sie
im großen Finale ihren Höhepunkt findet. Es ist durch-
aus möglich, daß Sie mehr als nur ein Thema und einen
Erzählstil in Ihrer Chronik verwenden. Möglicherweise
schwebt Ihnen eine Chronik vor, die realistisch beginnt. In
ihr könnten die Charaktere nach Erklärungen für die vielen
mysteriösen und merkwürdigen Ereignisse in ihrem Le-
ben suchen. Wenn sie dann mehr erfahren und ihr wahres
Wesen als gefallene Engel erkannt haben, könnten sie mit
dem drohenden Ende der Welt konfrontiert werden, was
sie in einen Konflikt mit anderen Dämonen stürzt – für Sie
genau der richtige Zeitpunkt, um zu einem cineastischen
oder opernhaften Erzählstil zu wechseln. Die Verwendung
mehrerer Themen kann die Chronik für Ihre Gruppe als
Ganzes um einiges bereichern. Es ist aber auch möglich, je-
dem Charakter ein eigenes Thema zuzuweisen. Die einzige
Beschränkung besteht darin, wieviel Arbeit Sie sich als der
Erzähler machen wollen, um sicherzustellen, daß die ver-
schiedenen Handlungsstränge, die durch mehrere Themen
vorgegeben werden, ohne allzu große Brüche miteinander
verknüpft werden.
Haben Sie erst einmal ein passendes Thema gewählt,
können Sie damit beginnen, den Ablauf der Ereignisse
in Ihrer Chronik von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende
festzulegen. Wie jede gute Geschichte braucht auch Ihre
Chronik einen würdigen Abschluß, um im Gedächtnis der
Spieler haftenzubleiben, und wenn Sie von vornherein wis-
sen, wohin die Reise gehen soll, können Sie mit größerem
Selbstvertrauen und einer besseren Kontrolle an das Erzäh-
len Ihrer Geschichten herangehen. Überdenken Sie noch
einmal Ihre ursprünglichen Ideen sowie die Charaktere und
die Themen, für die Sie sich entschieden haben, und legen
Sie anschließend in Form einer groben Inhaltsübersicht die
in Ihrer Chronik stattfindenden Ereignisse fest.
Als Beispiel sei hier die oben bereits angeführte Chronik
genannt, bei der unterschiedliche Themen zum Einsatz
kommen. Zu Beginn der Chronik wissen die Charaktere
nichts (oder so gut wie nichts) über ihr wahres Wesen. Sie
haben allesamt einige befremdliche und sogar wundersa-
me Erfahrungen gemacht – wie etwa aus einem langen
Koma zu erwachen oder einen Suizidversuch zu überleben
–, doch mittlerweile hat ihr ansonsten so normales Leben
auch einige verstörende Züge angenommen. Es beginnt mit
heftigen und erschütternden Alpträumen von finsteren,
öden Weiten und eindringlichen Stimmen, die den Cha-
rakteren Befehle in einer schrecklichen Sprache erteilen,
die sie nicht verstehen. Bald darauf kommt es in ihrem
Leben erneut zu merkwürdigen Vorfällen: Es wird eine
furchtbare Krankheit bei einer geliebten Person diagnosti-
ziert, doch diese verschwindet buchstäblich über Nacht,
nachdem der Charakter dem Kranken einen Besuch abge-
stattet hat. Oder ein Charakter wird vor einem drohenden
Raubüberfall bewahrt, weil ein Rudel wilder Hunde über
den Angreifer herfällt. Zu einem anderen Zeitpunkt wird
ein langjähriger Rivale eines Charakters in einen unerklär-
baren Unfall verwickelt und getötet oder schwer verletzt
– derselbe Rivale, der kurz zuvor noch damit gedroht hatte,
dafür zu sorgen, daß der Charakter seinen Arbeitsplatz ver-
liert. Es wird nicht lange dauern, bis die Charakter sich zu
fragen beginnen, ob sie nicht selbst die Ursache für all diese
Zwischenfälle und Ereignisse sind, was sie natürlich dazu
bringt, ernsthaft an ihrem Verstand zu zweifeln. Ihre Suche
nach Antworten läßt sie Zeitungen, Bücher und sogar das
Internet durchforsten, um irgendeinen Hinweis darauf zu
finden, daß sie nicht die einzigen sind, denen das Schicksal
so merkwürdig mitspielt.
Irgendwann finden sie heraus, daß es in der Stadt auch
noch andere Menschen mit ähnlichen Problemen gibt (oder
sie erregen die Aufmerksamkeit dieser Personen). Diese
Dämonen versuchen, die Unerfahrenheit der Charaktere
auszunutzen, indem sie sie als Handlanger für ihre eigenen
Pläne mißbrauchen, aber Stück für Stück fördern die Cha-
raktere die Wahrheit über sich selbst zutage. Die Wahrheit
ist natürlich wenig tröstlich – um genau zu sein, macht sie
das Leben der Charaktere nur noch komplizierter, da sie
nicht einfach wieder zum Alltag übergehen können, ohne
329

ständig daran denken zu müssen, welch große Gefahr in-
mitten der Menschen lauert und heranwächst. Sie müssen
die Dämonen aus der Stadt vertreiben (oder im Fall eines
opernhaften Erzählstils die ganze Welt von ihnen befreien),
während sie an dem Leben festzuhalten versuchen, das
sie einst für ihr eigenes hielten. Je weiter die Handlung
vorangetrieben wird, desto größer werden auch die Gefah-
ren, was Freunde und Verwandte der Charaktere einem
immer größer werdenden Risiko aussetzt, bis es schließlich
zum großen Finale kommt. Die Charaktere müssen nun
entscheiden, ob sie ihr sterbliches Leben opfern und die
Macht ihrer dämonischen Seite gänzlich akzeptieren oder
sich weiter an ihre Menschlichkeit klammern und damit
den Tod oder Schlimmeres riskieren.
Damit liegt Ihnen jetzt ein Grundplan für die Ereignisse
in Ihrer Chronik vor. Zusätzlich werden kleinere Hand-
lungsstränge, die durch die persönlichen Ziele und Hinter-
gründe der Charaktere entstehen, in die Haupthandlung
eingebunden. Diese Nebenhandlungen können mit der
Haupthandlung verknüpft werden oder vollkommen un-
abhängig davon sein und zum größeren Ganzen dadurch
beitragen, daß sie Möglichkeiten zur Charakterentwicklung
oder ein höheres Konfliktpotential bieten. Einige Ideen für
Nebenhandlungen können sich bereits zu Beginn Ihrer
Chronik aufgrund der Hintergründe und Persönlichkeiten
der Charaktere ergeben. Andere wiederum entwickeln sich
erst im Verlauf des Spiels, während sich Beziehungen festi-
gen und wichtige Entscheidungen getroffen werden, die
erheblichen Einfluß auf die weitere Handlung und die noch
eintretenden Ereignisse haben. Integrieren Sie so viele Ne-
330
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
benhandlungen in Ihre Chronik, wie Sie zu handhaben in
der Lage sind. Durch sie werden alternative Geschichten
ermöglicht, die den Charakteren und der Chronik mehr
Tiefe verleihen.
DER TEUFEL IM DETAIL
Wenn Sie Ihre Leitthemen gewählt und den Verlauf Ihrer
Chronik detailliert ausgearbeitet haben, sind Sie bereit,
sich mit den Einzelheiten Ihrer Szenerie und den Erzäh-
lercharakteren, die sie bevölkern, zu befassen. Der Abriß,
den Sie entwickelt haben, sollte Ihnen als Richtschnur
dabei dienen, welche Charaktere Sie brauchen und wann
diese ins Spiel kommen werden. Im obigen Beispiel wür-
de der Erzähler zunächst die sterblichen Freunde, Famili-
enangehörigen und Liebschaften jedes Spielercharakters
entwickeln, indem er die nötige Zeit und Energie darauf
verwendet, die Persönlichkeiten dieser Sterblichen auszu-
arbeiten und sich zu überlegen, in welcher Beziehung sie
zum jeweiligen Spielercharakter stehen. Wenn das Spiel
fortschreitet, kann der Erzähler die Einzelheiten für die
restlichen Dämonen festlegen, von den mitfühlendsten
Gefallenen bis hin zu den entartetsten Dämonen, die ganz
eigene Pläne für die Heimatstadt der Charaktere haben.
Zur gleichen Zeit entwickelt der Erzähler auch die übrigen
Sterblichen, die eine Rolle in der Chronik spielen werden.
Sie als Erzähler sollten nicht das Gefühl haben, daß Sie eine
ganze Welt an einem Tag erschaffen müßten. Überlegen Sie
sich, was Sie für die unmittelbar bevorstehenden Ereignisse
in Ihrer Chronik brauchen, entwickeln Sie diese Elemente
KAPITEL ZEHN
und arbeiten dann ein wenig vor, um zukünftigen Bedarf an
Charakteren zu decken.
Dämonen setzt gut ausgearbeitete Erzählercharaktere
voraus, um die Chronik eindrucksvoll und ansprechend zu
machen. Dies gilt insbesondere für die Sklaven der Charak-
tere, die zugleich Quelle der Macht als auch wirksames er-
zählerisches Mittel sein müssen, um den Spielern deutlich zu
machen, wie hoch der Preis der Macht ist und wie gefährlich
die monströse Natur der Dämonen für Sterbliche sein kann.
Sklaven müssen hervorragend ausgearbeitete, mehrdimen-
sionale und eigenständige Charaktere sein, die besondere
Stärken, Schwächen, Ziele und Sehnsüchte haben. Jedesmal
wenn ein Dämon nach einem Menschen sucht, mit dem er
einen Pakt eingehen will, geht er damit auch eine Beziehung
mit dem Sterblichen ein. Sie als Erzähler müssen gewährlei-
sten, daß die Spieler sich anstrengen müssen, um dieses Band
aufbauen und aufrechterhalten zu können, denn ansonsten
werden die Spieler nicht lange darüber nachdenken, ob ihre
Charaktere die neugewonnenen Sklaven nicht einfach rück-
sichtslos ausbeuten sollen, um noch mehr Macht zu erlan-
gen. Beschreiben Sie die Sklaven so detailliert wie möglich
und setzen Sie sie ein, um bestimmte Emotionen und Ideen
in Ihren Spielern zu wecken.
Die ersten Erzählercharaktere, die Sie wahrscheinlich
erschaffen werden, werden diejenigen sein, die sich aus den
Hintergründen der Charaktere Ihrer Spieler ergeben. Das
ist ein guter Ausgangspunkt, weil Ihnen die Spieler beim
Festlegen der Geschichten des bisherigen Lebens und der
Charakteristika jener Charaktere helfen werden, die ihnen
besonders nahestehen. Wenn Sie Ihre ersten Erzählerch-
araktere erschaffen, arbeiten Sie entlang der folgenden
Richtlinien:
• Stellen Sie sich die Rolle vor: Jeder in Ihrer Chronik auf-
tretende Charakter erfüllt eine Rolle, selbst der Buchhalter,
der über einen dunklen Parkplatz geht und dem plötzlichen
Gewaltausbruch eines Spielercharakters zum Opfer fällt.
Legen Sie fest, welche Rolle der Charakter spielen soll,
und bestimmen Sie dann, welche Qualitäten er besitzen
muß, um seiner Rolle am besten gerecht zu werden. Ein
potentieller Sklave beispielsweise verkörpert solche Quali-
täten wie Unschuld, Ehrgeiz, Angst oder Verzweiflung. Ein
Antagonist wiederum läßt an Qualitäten wie Skrupellosig-
keit, Schläue oder einfach nur Streitlust denken. Wenn Sie
einen gefallenen Charakter erschaffen, überlegen Sie, wel-
chem infernalischen Haus er entstammt und wie er seine
Rolle im Großen Plan der Schöpfung sieht. Ist er ein Ver-
schlinger, der sich als Herr der Tierwelt betrachtet, oder ein
grausamer Jäger, der nur für die Passion der Jagd lebt? Ist er
ein Schnitter, der Leben nur mit großem Bedauern nimmt,
oder ist er ein gewissenloser Mörder, der mit seiner Sense
wahllos durch die menschlichen Seelen fährt? Welcher
Fraktion gehört der Charakter an und was ist während des
Kriegs geschehen, daß er sich zu dieser Wahl entschlossen
hat? Welche Ziele verfolgt er nach seiner Flucht aus dem
Abgrund? Verlangt es ihn danach, ein kleines Königreich
auf Erden zu erschaffen und seine niedersten Gelüste zu
befriedigen, oder sucht er nach einem Weg die Trutzmauern
des Himmels zu erstürmen, um Gerechtigkeit für sich und
seine dämonischen Kameraden zu erstreiten?
• Machen Sie sich ein Bild: Stellen Sie sich vor, wie der
Charakter aussieht, wobei Sie die von Ihnen ausgewählten
Qualitäten mit in Betracht ziehen. Picken Sie sich ein oder
zwei Charakteristika heraus, die den Charakter für Sie in-
teressant machen Wenn Sie sich beispielsweise den Sklaven
eines Spielercharakters vorstellen, bietet das Bild eines gro-
ßen, breitschultrigen Mannes mit einer auffällig gebroche-
nen Nase eine Vorstellung, an die man sich leicht erinnern
kann und deutet zudem gewisse Stärken und Schwächen
an, die ausreichend Möglichkeiten bieten, um seine Bezie-
hung zu dem Dämon plausibel zu machen.
• Wählen Sie einen Namen aus: Das klingt selbstver-
ständlich, aber sorgfältig ausgewählte Namen verleihen
Charakteren mehr Tiefe, wohingegen schlechte Schnell-
schüsse dem Bild des Charakters und sogar der Gesamtat-
mosphäre der Szenen schaden, in denen der Charakter
auftritt. Wenn man dem Schläger aus dem letzten Beispiel
den Namen Hinterhuber gibt, hätten die Spieler Probleme
damit, nicht ständig über den Namen zu schmunzeln, so
daß es ihnen nur noch schwer möglich wäre, den Charakter
und seinen Treueschwur ernst zu nehmen.
• Alter: Wie alt ist der Charakter und wie äußert sich
seine Lebenserfahrung in seiner Weltsicht? Ist er ein junger
Idealist, der sich leicht durch ein Versprechen von Macht
verführen läßt, oder gehört er der Sorte von Menschen an,
die das Auf und Ab des Lebens als gegeben hinnehmen und
mehr als genug Fatalismus für zwei besitzen?
• Persönlichkeit: Überlegen Sie sich ein oder zwei Wor-
te, die für die Persönlichkeit des Charakters stehen. Für
den Anfang können Sie sich an den Wesen und Verhalten
orientieren, die Ihnen im Abschnitt zur Charaktererschaf-
fung vorgegeben werden, um mit wachsender Erfahrung Ihr
Repertoire an Archetypen zu vergrößern. Um interessante
Charaktere zu erschaffen, sollten Sie sich überlegen, Per-
sönlichkeitstypen auszuwählen, die der „Rolle“, die diese
Charaktere in Ihrer Chronik spielen, auf den ersten Blick
zuwiderzulaufen scheinen. Wollen Sie zum Beispiel einen
Erzbösewicht erschaffen, der die Spielercharaktere bei jeder
sich bietenden Gelegenheit malträtiert, können Sie die
Erwartungen der Spieler untergraben, indem Sie diesen
Charakter freundlich, aufgeschlossen und sogar mitfühlend
wirken lassen. Machen Sie ihn zu einer Person, die davon
überzeugt ist, daß es sich bei der Vernichtung der Spieler-
charaktere um eine bedauernswerte Notwendigkeit han-
delt, die auf lange Sicht dem Gemeinwohl förderlich sein
wird. Wenn dieser Charakter auch noch zu den Gefallenen
gehört, wird Ihre Aufgabe dadurch erschwert, daß Sie es
hier mit einer dämonischen Persönlichkeit zu tun haben,
deren innerstes Wesen von einigen Eigenschaften ihres
sterblichen Wirts durchdrungen wurde. Wollen Sie einen
gefallenen Charakter erschaffen, müssen Sie zuerst seine
dämonische Persönlichkeit festlegen. Wie sieht er seine
Rolle bei der Schöpfung des Universums? Was hat ihn dazu
gebracht, gegen den Himmel aufzubegehren – die Liebe zur
Menschheit, die Zurückweisung von Gott oder seine Treue
zu Luzifer? Wie hat sich der lange Krieg auf seine Sicht der
Menschheit und seine sonstigen Überzeugungen ausge-
wirkt? Welche Gefühle kommen in ihm hoch, wenn er an
die Niederlage der gefallenen Legionen und die grausame
331

Bestrafung durch den Himmel denkt? Ist seine Qual niedrig
oder ist er ein monströser Dämon? Wenn er ein monströ-
ser Dämon ist, wie manifestiert sich seine Qual? Wenn er
ein Dämon ist, dem seine Qual kaum anzumerken ist, wie
äußert sich dann sein vom Wirt wiedererwecktes Gespür
für Mitgefühl und Moral? Sobald Sie diese Fragen beant-
wortet haben, können Sie sich überlegen, welche Art von
Wirtskörper sich der Charakter gewählt hat. Es ist äußerst
verlockend, eine Persönlichkeit zu wählen, die der des Dä-
mons gleicht, und in einigen Fällen ist dies auch genau die
Sorte von Charakter, die Ihrer Geschichte am dienlichsten
ist. Sie können allerdings beeindruckendere und erinne-
rungswürdigere Charaktere erschaffen, wenn Sie ihnen
Kontraste geben, die sowohl ihre dämonische als auch ihre
menschliche Seite unterstreichen. Ein Teufel, der einen
aalglatten und charismatischen Politiker übernimmt, ist
zwar effektiv, aber dafür auch recht stereotypisch, wohin-
gegen ein Teufel im Körper einer in die Jahre gekommenen
Mutter eine interessante Abwechslung ist, die die Stärken
und Schwächen beider Persönlichkeiten des Gefallenen
sehr deutlich macht.
• Geschichte: Jeder wichtige Charakter in Ihrer Chronik
kann auf seine eigene persönliche Hintergrundgeschichte
zurückgreifen. Welchen Konflikten sah sich der Charak-
ter ausgesetzt? Wen hat er geliebt oder gehaßt? Gibt es
irgendwo Feinde oder frühere Geliebte des Charakters, die
irgendwann einmal den Weg der Spielercharaktere kreuzen
könnten? Hatte der Charakter einen Mentor, und wenn ja,
wie hat ihn diese Beziehung beeinflußt? Arbeiten Sie die
Hintergrundgeschichte eines Charakters so detailliert aus,
wie Sie es für die Bedeutung in der Chronik für wichtig er-
achten. Für einen Dämonencharakter ist diese Geschichte
von entscheidender Bedeutung. Welche Erfahrungen hat er
während des Krieges gemacht? Wem hat er gedient? War
er berühmt für seinen Heldenmut oder wurde er für seine
Gnadenlosigkeit gefürchtet? Hat er Verbrechen begangen,
die er mittlerweile bedauert? Hat er sich während dieses
langen Konflikts Feinde unter den Gefallenen gemacht?
Wer ist sein infernalischer Herr, und ist er diesem nach
seiner Flucht aus dem Höllenschlund noch immer treu
ergeben?
• Macken: Alle Charaktere sind Individuen, und jeder,
ganz gleich ob Sterblicher oder Dämon, legt sich mit der
Zeit eigentümliche Verhaltensweisen zu. Egal, ob es sich
nur um die Angewohnheit dreht, Milch direkt aus dem
Beutel zu trinken, oder um den Hang, sich jede Nacht ir-
gendwo auf ein Dach zu setzen und über dem Lichtermeer
der Stadt über den Sinn des Lebens zu sinnieren: Persönli-
che Macken runden die Charaktere Ihrer Chronik weiter
ab und machen sie erinnerungswürdig.
• Fehler/Schwächen: Niemand ist vollkommen. Jeder hat
Fehler oder Charakterschwächen, gegen die er ankämp-
fen muß. Dies ist besonders in Hinblick auf bedeutende-
re Widersacher der Spielercharaktere wichtig. Schurken,
die sich keine Fehltritte leisten, keine Schwächen zeigen
und sich vor nichts fürchten, sind für die Spieler nicht nur
entmutigend, sondern sie sind auch noch langweilig. Eine
Achillesferse oder ein Fehler bietet den Spielercharakteren
Schwachstellen in der Panzerung eines Schurken, die sie
332
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
nutzen können, oder sie verleihen einem heroischen Cha-
rakter zusätzliches Pathos, wenn er nicht nur gegen die
Dämonen in der Welt sondern auch gegen die in seinem
Innern antreten muß.
• Werte/Eigenschaften: Dies ist der letzte Schritt. Hierbei
handelt es sich lediglich um Zahlen. Erzählercharaktere
müssen nicht nach den vorsichtig angelegten Entwick-
lungslinien für Spielercharaktere erschaffen werden. Sie
können einem Erzählercharakter jegliche Eigenschaften
und Werte zuweisen, die Sie für richtig halten. Wenn die
Charakter nicht einzigartig und interessant sind, hilft Ih-
nen auch der größte Zahlenwust der Welt bei Ihrer Chronik
nicht weiter.
Das Schlüsselelement beim Erschaffen erinnerungswür-
diger Charaktere liegt darin, Stereotypen zu vermeiden.
Nur allzu leicht wird man ein wenig faul und beschreibt ei-
nen umherstreifenden Charakter als „tierhaften Verschlin-
ger“. Die Spieler greifen dann auf ein einziges abgenutztes
Bild und Verhaltensmuster zurück, um sich vorzustellen,
was sie begegnen. Recht bald schon sieht jeder „tierhaf-
te Verschlinger“ gleich aus, er hört sich gleich an und er
handelt auf die gleiche Art und Weise. Trotzen Sie den
Erwartungen Ihrer Spieler. Mit ein wenig Bedacht können
Sie einem Charakter einen eigenen Touch verleihen, der
die Vorstellungskraft Ihrer Spieler anregt. Denken Sie zum
Beispiel an einen steifen und immer korrekt auftretenden
Prominenten, der von einem Verschlinger übernommen
wird, oder einen bierbäuchigen Hinterwäldler, dessen Kör-
per als Gefäß für einen Teufel dient. Manchmal haben aber
auch Stereotypen ihren Wert (insbesondere wenn Sie die
Spieler verwirren und fehlleiten wollen), aber in den mei-
sten Fällen sollten Sie sie meiden.
SPRUNG INS FEUER
Mittlerweile haben Sie wahrscheinlich eine Menge Zeit
darin investiert, einen Abriß der Chronik anzulegen, die
Sie erzählen möchten, und Schritt für Schritt Ihre Welt
aufzubauen und diese mit Charakteren zu bevölkern. Sie
haben dabei zugesehen, wie Ihre Spieler sich Charaktere
erschaffen haben und haben deren Ideen mit Ihren eigenen
verwoben, um den Spielern ihren eigenen Anteil an Ihrer
Schöpfung einzuräumen. Nun ist es an der Zeit, mit der
Erzählung zu beginnen. Jetzt wird sich all die Arbeit hinter
den Kulissen bezahlt machen und Sie können sich darauf
konzentrieren, Ihre Geschichten so gut zu erzählen, wie Sie
nur können.
Mit Ihren ausgewählten Themen und dem Abriß Ihrer
Chronik im Hinterkopf müssen Sie jetzt die Ereignisse fest-
legen, die jeder Charakter im Präludium erlebt – also die
Ereignisse beschreiben, die zu seiner Übernahme durch
einen Dämon führen und ihn anschließend bei Bedarf mit
den anderen Spielercharakteren in Kontakt treten lassen.
Hierbei handelt es sich jedoch keineswegs um eine Ver-
pflichtung, und tatsächlich gibt es viele Erzähler, die mit
ihren Spielern nur kurz über diese Details sprechen, einige
Annahmen aufstellen und dann sofort mitten ins Spiel
einsteigen. Unglücklicherweise vergibt man sich somit eine
Gelegenheit zu einem wirklich intensiven Erzählerlebnis
und verbaut sich des weiteren eine Möglichkeit für den Er-
KAPITEL ZEHN
zähler und die Spieler, genau das Ereignis voll auszukosten,
das den bedeutsamsten Moment in der Entwicklung eines
Charakters darstellen könnte.
Die Situationen, die im Präludium eines Charakters
geschildert werden, können eine Menge dazu beitragen,
genauer festzulegen, wie es zu der Bindung des Dämons
an seinen Wirtskörper gekommen ist und wie der Gefal-
lene mit dem Auf und Ab seiner neugefundenen Existenz
als Sterblicher umgeht. Ist der Charakter in dem nieder-
schmetternden Moment in seinen Wirt eingefahren, als
dieser seinen Arbeitsplatz verloren hat, oder hat sich der
Dämon durch die Löcher in den zerstochenen Venen eines
vollkommen weggetretenen Junkies in seine neue Hülle
gezwängt? Wer sind die Sterblichen, denen er als erstes
begegnet, und wie reagiert er auf sie? Welchen Einfluß
haben diese Erfahrungen auf seine Ansichten bezüglich
dieser neuen und schrecklichen Welt, in der er erwacht ist?
Indem Sie das Präludium eines jeden Charakters durch-
spielen, können Sie und Ihre Spieler einen wahren Schatz
an Einsichten gewinnen, die ihnen anderenfalls entgangen
wären.
Die beste Art und Weise, das Verschmelzen von Dämon
und Sterblichem zu erkunden, ist, sich auf die letzten Stun-
den oder Tage des Wirtes vor seiner Übernahme durch den
Gefallenen zu konzentrieren. Zeigen Sie jedem Spieler die
Sorgen und Nöte seines sterblichen Charakters auf und
sprechen Sie seine Träume, seine Ängste, seine Hoffnungen
und seine Bedürfnisse an. Dann kommt der Tag, an dem all
das zerbricht – der Tag, an dem jene Kette von Ereignissen
eintritt, die den letzten Funken seines Willens auslöscht.
Hat er den Kampf gegen die Alkoholsucht verloren? Hat
ihn sein Lebensgefährte verlassen? Oder hat er für einen
kurzen Moment jegliche Kontrolle über sich verloren und
einen schrecklichen Fehler begangen, der nicht wiedergut-
zumachen ist? Indem Sie und Ihr Spieler die Vergangenheit
des sterblichen Wirts bis zu diesem alles verändernden Au-
genblick der Wahrheit ausspielen, können Sie ein besseres
Verständnis für die Gefühle und Gedanken entwickeln,
die im Geist des Wirts von alles überragender Bedeutung
waren, als er sich dem Dämon hingegeben hat. Auf diese
Weise können Sie zudem die Sichtweisen und Emotionen
des Dämons festlegen, die in diesem Moment der Epipha-
nie den größten Einfluß auf ihn ausübten.
Beispiel: Björn ersinnt ein Charakterkonzept, das von einem
Schnitter handelt, der den Körper eines jungen Mannes Anfang
Zwanzig übernommen hat. Dieser hat gerade seinen Collegeab-
schluß gemacht und bemüht sich nun darum, in der echten Welt
außerhalb des Studienlebens zurechtzukommen. Er ist verheira-
tet und seine Frau erwartet ein Kind. Das Geld ist sehr knapp
und Björn entscheidet, daß die junge Familie in einem herunter-
gekommenen Stadtteil lebt, da die Mieten dort bezahlbar sind.
Björn beschließt, daß der junge Mann zwei Jobs hat und immer
mit dem Bus zur Arbeit fährt, was dazu führt, daß er von früh-
morgens bis spät in die Nacht nicht zu Hause ist. Er findet kei-
nen Schlaf, hat Hunger und ist ständig vollkommen abgespannt,
da er sich andauernd Sorgen macht, ob das bißchen Geld, das
er und seine Frau verdienen, auch nächsten Monat noch zum
Überleben reichen wird. Sandra, Björns Erzählerin, nimmt an
dieser Stelle den Faden der Erzählung auf. Sie beginnt damit,
BESCHWÖRUNGEN UND ERZÄHLEN
Die erste Manifestation eines der Geheimnis-
se eines Charakters auszuspielen, kann eine große
Herausforderung sein, besonders in Geschichten,
in denen sich der Charakter seines wahren Wesens
nicht bewußt ist. Woher soll er wissen, wie er diese
Fähigkeiten aktivieren und einsetzen kann, wenn er
sich nicht einmal daran erinnern kann, daß er sie
überhaupt besitzt?
Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, die es einem
Charakter erlauben, auf indirekte Weise Zugriff auf
seine Kräfte zu erhalten. Eine Methode ist die sponta-
ne Manifestation einer Beschwörung in einer extrem
angespannten Situation oder dann, wenn der Charak-
ter zu besonders starken Gefühlsregungen hingerissen
wird. Ein Charakter, der von einem Schläger angegrif-
fen wird, entwickelt plötzlich Klauen oder lenkt eine
auf ihn abgefeuerte Kugel durch einen Wink mit einer
Windböe ab. Zu einer anderen Gelegenheit kann er ei-
nem Polizisten ausreden, ihm einen Strafzettel zu ver-
passen, indem er seinen Charme spielen läßt – obwohl
er sich sonst eher als ungeschickt in solchen Dingen
erwiesen hat. Auch wenn häufig Worte der Macht aus-
gesprochen werden müssen, damit eine Beschwörung
Wirkung zeigt, ist dies nicht zwangsläufig immer der
Fall. Das unbewußte Bedürfnis des Charakters kann
schon ausreichen, um diese Kraft zu manifestieren.
Andererseits kann der Charakter sich auch selbst da-
bei ertappen, wie er unverständliche Worte vor sich
hinmurmelt, die seine Lippen taub werden und seine
Zunge schmerzen lassen, während die Beschwörung
langsam ihre Wirkung entfaltet. Später, wenn er sich
darum bemüht, sich an das zu erinnern, was er gesagt
hat, können Sie eine Reihe von Geschichten erschaf-
fen, die seine Suche nach Wissen schildern, in deren
Verlauf er versucht, die merkwürdigen Sätze zu iden-
tifizieren und zu entschlüsseln, die in seinem Verstand
verankert zu sein scheinen.
Eine andere Methode ist der Einsatz von Traum-
sequenzen. Der Charakter träumt vom Fliegen und
erwacht plötzlich auf dem Dach seines Hauses, oder
er träumt davon, einen Sturm herbeizurufen, und muß
am nächsten Morgen feststellen, daß sein Schlafzim-
mer knöcheltief unter Wasser steht. Während er die
merkwürdigen Phänomene, die sich um ihn herum
ereignen, zu verstehen versucht, deckt er langsam sein
wahres Wesen auf.
Sollte der Charakter die Hintergrundeigenschaft
Mentor besitzen, können Sie Situationen erzeugen,
in denen er von einem geheimnisvollen Individuum
verfolgt zu werden scheint, das kryptische Hinweise
über sein wahres Wesen und seine Kräfte hinterläßt.
Dies bietet unzählige Möglichkeiten für unheimliche,
alptraumhafte Begegnungen, die den Charakter letzt-
lich dazu verleiten sollten, nachzuprüfen, ob die An-
deutungen des Fremden der Wahrheit entsprechen
oder nicht.
333

eine kalte Nacht mitten im Winter zu beschreiben. Schnee- und
Graupelschauer setzen ein, als Björns junger Familienvater aus
dem Bus steigt und erschöpft den Heimweg antritt. Heute war
Zahltag, und da der Geburtstag seiner Frau bevorsteht, hat er
sich dazu durchgerungen, alles Geld zusammenzukratzen und
ihr das Paar Ohrringe zu kaufen, das sie im Einkaufszentrum
so lange und so sehnsüchtig angeschaut hatte. Der junge Mann
ist so müde und ihm ist so kalt, daß er die fünf Gestalten voll-
kommen übersieht, die aus den Schatten einer nahegelegenen
Seitenstraße treten und ihm zu folgen beginnen.
Als er die Haustür aufschließt, fallen die Diebe über ihn
her. Noch bevor er weiß, wie ihm geschieht, schleudern
sie ihn im Treppenhaus zu Boden und treten ihn halbtot.
Hilflos muß er mit ansehen, wie die Männer seine Taschen
durchwühlen, ihm sein Geld, das Geschenk für seine Frau
und seine Schlüssel abnehmen. Mit grinsenden Gesichtern,
die den gedemütigten Mann irgendwie an verwilderte Hun-
de erinnern, gehen die Diebe die Treppen zu seiner Woh-
nung hoch. Zorn, Frustration und Scham überkommen das
Opfer, und Sandra und Björn beschließen, daß dies der
Augenblick ist, in dem es an der Last seines Leids zerbricht.
Seine Seele verflüchtigt sich und in die entstandene Leere
hinein stößt Lharael, ein Ritter der Schwarzen Legion.
Björn denkt kurz über die geschilderte Situation nach und
entscheidet, daß Lharael am stärksten von der Liebe seines
Wirts zu dessen Frau und von dessen brennendem Haß auf
Verbrecher im allgemeinen und Räuber und Diebe im be-
sonderen beeinflußt wird. Als Schreie durch das Treppen-
haus zu ihm herunterhallen, steht Lharael entschlossen auf,
und sein Körper ist bereits in einen Mantel aus Schatten
gehüllt, als der Gefallene nach Rache dürstend die Treppen
hinaufstürzt.
Nachdem die Charaktere ihr sterbliches Leben begonnen
haben, stellt sich immer noch die Frage, wie man sie alle
in einer Gruppe zusammenbringt. Das gegenseitige Vor-
stellen der Charaktere und dabei zuzusehen, wie sich ihre
Beziehungen im Verlauf der ersten Geschichte entwickeln,
kann den Spielern eine tiefere Einsicht in die Chemie in-
nerhalb ihrer Gruppe verleihen und die Bühne für mögliche
Konflikte untereinander bereiten. Die Weise, auf die eine
Gruppe zusammengeführt werden kann, hängt zum Teil
von der Art der Gruppe ab, die sie bilden werden. Einige
Beispiele hierfür sind:
• Sendboten der Hölle: Die Charaktere sind alle an den-
selben infernalischen Herrn gebunden, und ihre Rück-
kehr zur Erde wurde so koordiniert, daß sie alle ungefähr
zur gleichen Zeit am gleichen Ort auftauchen. Von dort
aus sollten sie den Befehl ihres Herrn ausführen, doch
nun, da die Charaktere seiner strengen Hand entkommen
sind, könnten sie durchaus eigene Pläne verfolgen. Diese
Vorgehensweise ist die einfachste, um eine Gruppe von
Dämonen zusammenzuführen. Jedes Mitglied kann aus
einem anderen Haus stammen und einer unterschiedlichen
Fraktion angehören. Trotzdem besitzen alle Charaktere
einen gemeinsamen Hintergrund und haben eine gemein-
same Geschichte, die es den Spielern ermöglicht, ohne viel
Federlesens in die Chronik einzusteigen.
• Wahre Gläubige: Diese Methode ähnelt der vorange-
gangenen, aber in diesem Fall gehören alle Charaktere
334
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
derselben Fraktion an und wurden von ihren Führern in
dasselbe Gebiet geschickt, um die Ziele der Fraktion vor-
anzutreiben.
• Die Jäger und die Meute: Bei dieser Methode treffen
die Charaktere in einem Kampf ums pure Überleben in
einer Stadt aufeinander, in der es vor dämonischen und
sterblichen Dienern der Erdgebundenen nur so wimmelt.
Entweder handelt es sich bei den Charakteren um gerade
erst aus der Hölle eingetroffene Gefallene, die sofort von
den anderen Dämonen der Stadt festgesetzt werden und
nun gemeinsam Fluchtpläne schmieden müssen, oder die
Charaktere finden sich mehr oder weniger zufällig, weil sich
ihre Wege kreuzen, als sie allesamt von denselben Feinden
verfolgt werden.
• Rückkehr zu den Ruinen: Die Charaktere fühlen sich
zu dem ursprünglichen Heim auf Erden hingezogen, das
sie während des Krieges bewohnt hatten. Auf dem Weg
dorthin treffen sie schließlich aufeinander. Der Ort, an dem
sie sich alle einfinden, kann etwas so Spezifisches wie eine
ehemalige infernalische Festung oder etwas so Weitgefaßtes
wie ein breites Flußbett sein, das in grauer Vorzeit Teil eines
Grabens auf dem Meeresboden war. Diese Methode liefert
Charakteren unterschiedlichster Häuser und Fraktionen
eine gemeinsame Vergangenheit, in der bereits bestehende
Beziehungen und Rivalitäten begründet liegen.
• Die Ausgestoßenen: Die Charaktere finden sich in einer
Stadt wieder, die unter der Kontrolle einer Gruppe mäch-
tiger, monströser Dämonen steht. Nur gemeinsam sind sie
stark genug, um an diesem Ort überleben zu können.
DAS ERSCHAFFEN VON GESCHICHTEN
Es gibt mehrere Schlüsselelemente beim Erzählvorgang,
über die Sie sich Gedanken machen sollten, wenn Sie Ihre
Geschichten entwerfen: Bei diesen Schlüsselelementen
handelt es sich um: Handlung, Konflikt, Szenerie und Stim-
mung.
Die Handlung ist der Ablauf von Ereignissen und Situa-
tionen, die die Charaktere vom Anfang einer Geschichte
bis zu ihrem Ende durchlaufen. Die erste Frage, die Sie sich
stellen sollten, wenn Sie sich daranmachen, eine Geschich-
te zu entwerfen, ist, wie die Handlung verlaufen wird. Wie
bei Ihrer Chronik müssen Sie eine klare Vorstellung davon
haben, wohin Ihre Geschichte geht und wie Sie die Hand-
lung bis zu einem zufriedenstellenden Ende aufbauen wer-
den. Es gibt zwei Arten von Handlungssträngen: Haupt-
handlungsstränge sind Geschichten, die ein maßgeblicher
Bestandteil Ihrer Chronik sind und die Gesamtgeschichte
voranbringen, wohingegen Nebenhandlungsstränge lose
Geschichten sind, die nicht unbedingt etwas mit dem Ge-
samtablauf der Chronik zu tun haben müssen, aber eine
unterhaltsame Abwechslung darstellen. Der beste Weg,
eine Chronik zu leiten, liegt darin, Nebenhandlungsstränge
in Ihre Haupthandlungsstränge einzustreuen, um Ihnen
einige Atempausen zwischen den größeren Ereignissen Ih-
rer Chronik zu verschaffen. Darüber hinaus können Sie
interessante Ideen austesten, ohne die Stimmigkeit Ihres
Haupthandlungsstrangs zu gefährden.
Was Ihre Haupthandlungsstränge angeht, greifen Sie auf
den Abriß Ihrer Chronik zurück und verwenden diesen, um
KAPITEL ZEHN
sich den nächsten Schritt zu überlegen, den Ihre Chronik
gehen muß. Der Abriß, den Sie für Ihre Chronik geschaffen
haben, ist dazu da, Ihnen als Wegweiser beim Erschaffen
und Leiten Ihrer Haupthandlungsstränge zu dienen.
Bei Nebenhandlungssträngen ist alles erlaubt. Haben
sich Ihre Spieler mühsam durch eine Reihe düsterer und
schwieriger Haupthandlungsstränge gequält, ist es mögli-
cherweise an der Zeit, etwas schwarzen Humor einzustreu-
en, um Spannung abzubauen. Beispielsweise können sie
die Spielercharaktere auf eine Gruppe von Dämonenjägern
treffen lassen, die ihren Mangel an Wissen und Fähigkeiten
durch einige selbstgebastelte Waffen und viel Enthusias-
mus wettzumachen versuchen. Wenn die Charaktere mit
der Geheimhaltung ihres infernalischen Wesens ein wenig
zu unbekümmert umgehen, können Sie eine Geschichte
über ein sterbliches Familienmitglied oder einen Geliebten
entwickeln, der zum Sklaven eines monströsen Dämons
geworden ist. Nebenhandlungsstränge laden zum Experi-
mentieren ein und sind als Übergang zwischen Haupthand-
lungssträngen unerläßlich.
Die Grundidee jeder Handlung sollte man in einigen kur-
zen Sätzen zusammenfassen können. Einige dieser Grund-
ideen könnten folgendermaßen aussehen:
• Ein monströser Dämon taucht in der Stadt auf und er-
richtet eine Schreckensherrschaft, wodurch die Charaktere
zum Handeln gezwungen sind.
• Die Charaktere werden von einem Übeltäter aufgesucht,
der sie um ihre Hilfe bei der Suche nach einem verlorenge-
gangenen Artefakt aus der Zeit des Zorns bittet.
• Die Heimatstadt der Charaktere wird von den Dienern
eines Erdgebundenen überrannt, die danach trachten, je-
den Dämon, den sie finden können, zu vernichten oder
unter die Knute ihres Meisters zu zwingen.
Wenn Sie die Grundidee Ihrer Geschichte nicht in ei-
nigen wenigen Sätzen erklären können, nehmen Sie sich
wahrscheinlich zuviel auf einmal vor. Konzentrieren Sie
sich auf ein oder zwei zentrale Handlungsstränge, und ent-
wickeln Sie dann den Ablauf dieser Ereignisse.
Selbstverständlich ist es möglich, einen neuen in einen
bereits bestehenden Handlungsstrang einfließen zu las-
sen: eine Geschichte neben der Geschichte, die parallel zu
der verläuft, die Sie gerade erzählen, und sich einem oder
mehreren Charakteren annimmt. Diese Handlungsstränge
sind für die Charakterentwicklung gut, da sie zusätzliche
Konflikte oder Hindernisse bieten, die die Auflösung der
eigentlichen Hauptgeschichte zu einer größeren Heraus-
forderung machen. Hierzu könnte das Auftauchen eines
früheren Geliebten eines der Spielercharaktere gehören,
der der Sklave des Hauptwidersachers der Gruppe ist. Oder
von einem Mitglied der Gruppe wird verlangt, gegen Ange-
hörige seines eigenen Hauses oder seiner eigenen Fraktion
anzutreten, wodurch sich herausstellen wird, wem seine
Treue wirklich gilt. Wenn man der Erschaffung der Spieler-
charaktere ausreichend Zeit und Aufmerksamkeit gewid-
met hat, werden viele der Geschichten, die Sie erschaffen,
weitreichende Komplikationen für einzelne Mitglieder der
Gruppe nach sich ziehen. Setzen Sie diese Nebenhand-
lungsstränge so oft wie möglich ein, solange sie nicht von
der Gesamtgeschichte als Ganzes ablenken. Indem Sie den
Hintergrund eines Charakters (oder seine momentan be-
stehenden Beziehungen zu anderen) in Ihre Geschichten
einarbeiten, binden Sie die Ideen der Spieler stärker in die
Chronik ein und geben dem Spieler die Möglichkeit, an der
Geschichte mitzuwirken.
Nachdem Sie die Handlung Ihrer Geschichte festgelegt
haben, müssen Sie sich intensiv Gedanken über den zen-
tralen Konflikt Ihrer Erzählung machen. Konflikte äußern
sich in Form von Hindernissen oder Gegenspielern, die die
Spielercharaktere überwinden müssen, um die Handlung
zu einem gelungenen Abschluß zu bringen. Diese Kon-
flikte können aus vielen verschiedenen Quellen sowohl
innerhalb als auch außerhalb der Spielgruppe erwachsen.
Wenn beispielsweise ein fremder Dämon die Heimatstadt
der Charaktere terrorisiert, können sie ihn entweder direkt
angreifen oder – was in dieser Situation wahrscheinlich
klüger ist – seine Macht unterminieren, indem sie gegen
seine Sklaven vorgehen. Charaktere mit niedrigen Qual-
werten bringen wahrscheinlich Einwände gegen eine Serie
kaltblütiger Mordanschläge vor, was einen Konflikt in der
eigenen Gruppe schüren könnte. Erzähler sollten diese
Art innerer Zerrissenheit fördern, wann immer sich die
Gelegenheit dazu bietet. Mehr als jede andere Form von
Konflikten stellen moralische Konflikte Hindernisse dar,
die die Charaktere nicht einfach mit roher Gewalt über-
winden können. Sie regen das Denken an – die größte
Herausforderung, der man sich stellen kann.
Konflikte können durch die verschiedensten Kombina-
tionen von Situationen und Ereignissen ausgelöst werden.
Zu den offensichtlichsten Konfliktquellen gehören:
• Der Kampf unter Engeln: Gefallene und weitaus mon-
strösere Dämonen kämpfen um die Kontrolle einer Stadt
oder Region.
• Der Streit unter den Fraktionen: Konkurrierende Frak-
tionen kämpfen darum, ihre eigenen Ziele zuungunsten
ihrer Rivalen voranzutreiben.
• Uralte Fehden: Zwei Dämonenfürsten hetzen ihre Vasal-
len aufeinander, um eine Fehde auszutragen, die seit dem
Krieg des Zorns besteht.
• Der Kampf gegen dunkle Götter: Die Charaktere unter-
nehmen einen Feldzug, um die Pläne eines Erdgebundenen
und seiner Schergen zu durchkreuzen.
• Die wehrhafte Kirche: Die Charaktere werden von ei-
ner Gruppe von Dämonenjägern gehetzt, die sie aus ihren
Wirtskörpern austreiben oder – schlimmer noch – zum
Zwecke weiterführender Untersuchungen einfangen wol-
len.
Wenn sich die Handlung und ihre Konflikte fest in Ihrem
Gedächtnis verankert haben, können Sie damit beginnen,
sich Gedanken über die Szenerie und die Stimmung Ihrer
Geschichte zu machen. Die Szenerie jeder Geschichte ist
ein ebenso wichtiger Gesichtspunkt wie die Szenerie für die
Chronik insgesamt. Gut ausgewählte Details können eine
Bildersprache entwickeln, die den Eindruck der Geschich-
te, die Sie erzählen, verstärkt. Versuchen Sie, die Szenerie
so zu entwickeln, daß Sie die Gefühle widerspiegeln, die
Sie für die Geschichte als angemessen erachten. Nehmen
wir zum Beispiel einmal an, daß Sie die Charaktere gern in
den Bau eines mächtigen Erdgebundenen führen würden.
335

Sie wollen den Bau und die Kreatur, die in ihm lebt, so
beschreiben, daß die Spieler Hilflosigkeit und Verzweiflung
verspüren:
Die Eingangstreppe des Obdachlosenasyls ist sogar um Mit-
ternacht überfüllt. Penner sitzen allein oder in kleinen Gruppen
zusammen, unterhalten sich murmelnd und beobachten verstoh-
len die Straße mit leerem, glasigem Blick. Hinter den verwitter-
ten Holztüren liegt eine große Halle voll stummer, regungsloser
Gestalten. Manche schlafen in schmutziger Kleidung an Plastik-
tüten festgekrallt, die mit ihren wenigen weltlichen Besitztümern
vollgestopft sind. Andere sitzen auf Pritschen oder an die Wand
gelehnt und starren ausdruckslos ins Leere, als ob sie sich darum
bemühten, sich ins Gedächtnis zu rufen, wer sie einmal waren
und wie sie in dieses freudlose Dasein geraten sind. Auf der
anderen Seite der Halle, hinter den kalten und leeren Pötten der
Essensausgabe, befindet sich ein düsterer Durchgang und man
kann die Treppen erkennen, die in die unterirdischen Gemächer
des Erdgebundenen hinabführen.
Das Erzeugen der Stimmung für Ihre Geschichte läuft
Hand in Hand mit der Auswahl ihrer Szenerie, weil auch
die Stimmung mit der Atmosphäre zusammenhängt, die
Sie den Spielern vermitteln möchten. Wenn man die Sze-
nerie als sinnträchtige Umgebungen für die Geschichte
definiert, ist die Stimmung die Art und Weise, in der Sie
diese Umgebungen und die Handlungen der Charaktere
beschreiben. Das Geheimnis beim Erzeugen der richtigen
Stimmung liegt in der Betonung bestimmter Aspekte, die
das Bild ausmachen, das Sie vermitteln möchten, und in
der gleichzeitigen Reduzierung anderer Aspekte auf ein
Minimum. Zum Beispiel:
• Furcht: Um eine furchterregende Stimmung zu erzeu-
gen, sollten Sie Hilflosigkeit, Verletzlichkeit und Schrecken
betonen. Die Kinder starren dich mit vor Schreck geweiteten,
glasigen Augen an. Als du dich ihnen näherst, huschen sie
auseinander und ziehen sich wimmernd in die Schatten zurück.
Alle meiden die Eisentür, die am anderen Ende des Kellerraums
drohend aufragt.
• Zorn: Um eine von Zorn erfüllte Stimmung zu erzeugen,
betonen Sie Gewalt, Frustration und Raserei. Irgend jemand
in der Menge schreit auf, ein Klang unverfälschter Wut, und
dann zersplittert eine Flasche an einem parkenden Auto. Eine
Schaufensterscheibe geht zu Bruch, und dann hallt das Echo
von Fäusten und Knüppeln, die auf Fleisch einschlagen, von
den Häuserwänden wider.
• Einsamkeit: Einsamkeit ist eng mit Gefühlen der Ver-
lorenheit und Verlassenheit verbunden. In früheren Tagen
wäre das Kino einmall glanzvoll zu nennen gewesen; heute sind
die bunten Markisen verblaßt und die Scheiben des Kassen-
schalters wurden schon vor langer Zeit eingeschlagen. Entlang
einer Wand wellen sich noch vergilbte Plakate unter verdrecktem
Glas und feiern die Premiere von Kassenschlagern und hübscher
Starlets, die mittlerweile in Vergessenheit geraten sind.
• Verzweiflung: Verzweiflung und Weltschmerz erwachsen
aus Hilflosigkeit, geplatzten Träumen und dem Verlust der
Unschuld. Die Strandpromenade wurde zur Jahrhundertwende
für Verliebte und Kinder angelegt, mit bunt bemalten Karussells
und Ständen, an denen man Bonbons und Konfekt kaufen
konnte oder diejenigen, die ihr Glück versuchen wollten, mit be-
gehrenswerten Preisen anlockten. Heute sind die Fahrgeschäfte
336
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
verrostet und stumpf, ihre Gerippe ächzen in der kalten Seeluft,
und die einzigen, die noch in den mit Graffiti beschmierten
Schuppen herumgeistern, sind die Penner, die nur nach einem
ruhigen Ort suchen, an dem sie sich ungestört besaufen kön-
nen.
Eine sorgsam ausgewählte und detailliert geschilderte
Szenerie trifft die Spieler bis ins Mark, kriecht ihnen unter
die Haut und gibt ihnen erinnerungswürdige Bilder vor, die
die Erzählerfahrung greifbarer und unmittelbarer werden
lassen.
Wenn Sie sich sicher sind, wie Sie diese Elemente verwen-
den möchten, müssen Sie sie in einzelne Szenen einfließen
lassen, die die Spieler fesseln, die Bühne für die Handlung
bereiten, die Handlung zum Höhepunkt hinführen und die
Geschichte auf eine Art zu Ende bringen, die lose Enden
aufgreift und die nächste Geschichte einleitet.
• Der Aufhänger: Der erste Schritt bei jeder Geschichte
sollte sein, die Charaktere in die Handlung einzubinden
und ihre Neugier und ihr Interesse zu wecken. Der Auf-
hänger kann ein Fremder sein, der die Charaktere um Hilfe
bittet, oder ein unerwarteter Ruf zum Hof des Dämonen-
fürsten oder die Beobachtung eines plötzlichen unvorher-
gesehenen Ereignisses. Erzähler sollten ihre Aufhänger so
anlegen, daß sie direkt die Persönlichkeiten und Hinter-
gründe der Charaktere ansprechen. Ein Charakter, der den
Körper eines Polizisten in Besitz genommen hat, kann zum
Beispiel durch einen mysteriösen Mordfall oder Diebstahl,
der die Ereignisse der Chronik ins Rollen bringt, in eine
Geschichte eingebunden werden. Zeigt ein Charakter poli-
tische Ambitionen, könnte man ihn mit einer Geschichte
fesseln, in der es Hinweise darauf gibt, daß es die Möglich-
keit für ihn geben wird, seinen Stand zu verbessern oder
Druckmittel gegenüber seiner Konkurrenz zu gewinnen.
• Die Bühne bereiten: Wenn Sie erst einmal das Interesse
der Charaktere an der Geschichte geweckt haben, müssen
Sie sie in die Handlung einbinden und die Herausforderun-
gen entwickeln, die auf ihrem Weg liegen. Legen Sie nicht
gleich alle Karten auf den Tisch; der beste Weg, die Neu-
gierde der Spieler wachzuhalten, liegt darin, ihnen immer
nur einen kleinen Stein des Mosaiks in die Hand zu geben.
Geben Sie ihnen ein Gefühl dafür, was sie erreichen sollen,
sowie ein Hindernis auf dem Weg zum Erfolg, und machen
Sie Andeutungen, was sie nach Erreichen ihres Ziels noch
erwarten könnte. Wenn die Spieler schlau sind, werden sie
versuchen, nach vorne zu blicken, um herauszufinden, wo-
hin die Handlungen ihrer Charaktere sie führen werden. Ist
das nicht der Fall, sind sie für jede Art von Wendung in der
Handlung und Komplikationen offen, um die Geschichte
interessant zu gestalten. Nehmen wir beispielsweise einmal
an, die Charaktere erfahren von einem Kind, das von ei-
nem monströsen Dämon entführt wurde. Die Charaktere
könnten aus den verschiedensten Gründen dazu geneigt
sein, das Kind zu retten. Ein Charakter hat Kindern gegen-
über einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Ein anderer
könnte von dem Gedanken besessen sein, den Glauben
des Kindes einzubringen, und ein weiterer Charakter will
das Kind vielleicht nur retten, um die Pläne des Entführers
zu durchkreuzen. Zu Beginn der Geschichte kennen die
Charaktere nur den Namen des Kindes und einige Berichte
KAPITEL ZEHN

über den Tathergang. Mit diesen Informationen müssen die

Charaktere die Identität des Entführers und die Motive
für seine Tat in Erfahrung bringen, was vollkommen neue
Auswirkungen auf die Geschichte mit sich bringen kann.
Was wäre, wenn der Entführer ein mächtiger Gefallener
ist, um dessen Gunst die Charaktere schon seit einiger
Zeit buhlen? Vereiteln Sie seine Pläne und schreiben ihre
früheren Anstrengungen einfach ab?
• Spannungsaufbau: Je mehr Fortschritte die Spieler ma-
chen, desto schwieriger sollten die Herausforderungen wer-
den, denen sich die Charaktere stellen müssen. Sie sollten
ein paar zusätzliche Komplikationen einstreuen, um die
Situation für die Spieler noch vertrackter zu machen. Brin-
gen Sie beim Entwurf einer Geschichte einige versteckte
Erschwernisse mit ein, von denen die Spieler nichts wissen
und die nur mit ein wenig Eigeninitiative und Vorausschau
überwunden werden können. Zum Beispiel könnte der
Mann, den die Charaktere zur Rede stellen möchten, sein
Geld unlängst in mehrere gutbezahlte Leibwächter inve-
stiert haben, oder der sterbliche Kontakt, der den Cha-
rakteren mit Rat und Tat zur Seite stehen soll, könnte der
Sklave eines ihrer Feinde sein. Versuchen Sie zumindest
einmal in der Geschichte, den Charakteren den Boden
unter den Füßen wegzuziehen, obwohl Sie ihnen die Mög-
lichkeit geben sollten, das Problem zu umgehen, wenn sie
ihren Grips einsetzen und einen gewissen Einfallsreichtum
an den Tag legen. Während die Schwierigkeiten wachsen
und die Spannung ansteigt, können Sie die Handlung bis
zu einem dramatischen Finale aufbauen.
• Der Höhepunkt: Ihr abschließendes Finale muß die
Mühen wert sein, die die Charaktere auf sich genommen
haben, um an diesen Punkt zu gelangen. Dies ist eine der
goldenen Regeln des Erzählspiels. Eine Antiklimax hat in
einem Buch ihre Berechtigung, aber nicht, wenn sich eine
Gruppe von Leuten stundenlang darum bemüht, ein Ziel zu
erreichen. Je mehr die Spieler und ihre Charaktere auszu-
halten haben, desto dramatischer muß der Höhepunkt aus-
fallen, um zu verhindern, daß sie am Ende enttäuscht sein
werden. Der Höhepunkt beim Erzählspiel sollte der Stoff
sein, aus dem Legenden sind – die Charaktere kämpfen
gegen eine Übermacht von Feinden, über die sie nur durch
eine Mischung aus Geschick und persönlicher Opferbe-
reitschaft triumphieren können. Nachdem sich der Staub
gelegt hat, sollte sich das Antlitz der Welt verändert haben.
Ein cineastischer Höhepunkt ist von seinen Ausmaßen her
weniger gewaltig, aber nicht minder intensiv. Die Ereignisse
der Chronik münden in einem großen, actiongeladenen Fi-
nale – die Charaktere erobern ihre Heimatstadt von einem
Usurpator zurück oder besiegen einen erdgebundenen Dä-
mon und seine Schergen ein für allemal. Der Höhepunkt
einer realistischen Chronik ist dagegen für gewöhnlich sehr
unmittelbar und persönlich. Die Charaktere stellen sich ih-
rer Qual und überwinden sie, oder sie müssen mit ansehen,
wie ihr ganzes Leben den Bach hinuntergeht. Bei einem
solchen Höhepunkt dreht sich alles um die Entscheidun-
gen der Charaktere und wie sich diese auf ihre Existenz
auswirken.
• Abschluß: Dieser Punkt der Geschichte versinnbildlicht
Ursache und Wirkung: Jetzt erkennen die Charaktere die

337

Auswirkungen ihrer Taten, lose Enden werden aufgenom-
men und bisher ungeklärte Fragen beantwortet. Dies ist ein
Punkt beim Erzählen, an dem man nur allzu leicht das Rol-
lenspiel vergißt und eine Frage-und-Antwort-Stunde mit
seinen Spielern abhält. Versuchen Sie wenn möglich, die
Nachwehen der Geschichte auszuspielen, damit die Spieler
die Ergebnisse des Wirkens ihrer Charaktere auch tatsäch-
lich erkennen können. Wenn die Charaktere beispielsweise
eine Kirche oder Schule aus den Klauen eines monströsen
Dämons befreit haben, geben Sie den Spielern die Gele-
genheit, diesen Ort später noch einmal aufzusuchen, und
zeigen Sie ihnen, wie die Handlungen ihrer Charaktere
die Situation zum Besseren oder Schlechteren gewendet
haben. Dieses Nachspiel hilft dabei, ein gewisses Gespür
für das Gesamtbild zu entwickeln, ohne daß Interesse und
Neugier der Spieler verlorengehen.
BEISPIELGESCHICHTEN
Die folgende Auflistung zeigt Ihnen einige Beispiele für
Geschichten mit verschiedenen Kombinationen von Kon-
flikten, Haupthandlungs- und Nebenhandlungssträngen,
die Sie in Ihren Chroniken verwenden können:
• Verlorene Seelen: In der Nähe des örtlichen Busbahn-
hofs verschwinden Ausreißer von der Straße. Die Polizei
ist machtlos und kann die Täter nicht fassen. Manchmal
werden die Leichen von Kindern gefunden, die eindeutig
Opfer von rituellen Mißhandlungen und Morden gewor-
den sind; in anderen Fällen tauchen die Opfer nie wieder
auf. Bei den Tätern kann es sich um monströse Dämonen,
Schergen eines Erdgebundenen auf der Suche nach einem
geeigneten Gefäß für ihren Meister oder gar eine Gruppe
fehlgeleiteter Dämonenjäger handeln, die versuchen, die
Straßenkinder vor dem Bösen zu „retten“.
• Heil der Königin!: Die Wahlen stehen kurz bevor und
überall in den Medien wird vom kometenhaften Aufstieg
einer vormals unbekannten Kandidatin aus dem einfachen
Volk berichtet, die die Stadt im Sturm erobert hat. Durch
ihr Charisma und ihren Charme kann sie selbst den här-
testen Widersacher von ihrer Sache überzeugen, und die
Ansichten, die sie zu den kontroversesten Themen hat,
scheinen ihr Ansehen in der Öffentlichkeit noch zu stei-
gern. Irgendwie ist es ihr gelungen, sich in keine Skandale
verwickeln zu lassen, obwohl es Gerüchte gibt, wonach
zwei Journalisten, die ihre Vergangenheit zu durchleuchten
versucht hatten, ihr Vorhaben urplötzlich wieder aufgaben.
(Einer von ihnen trat ihrem Stab von Wahlhelfern bei,
während der andere sich vollständig aus dem Medienge-
schäft zurückgezogen hat.) Ist sie eine Dämonin oder eine
Sterbliche, die im Dienst eines Gefallenen steht? Sollte sie
aufgehalten werden, bevor sie echte Macht erlangen kann?
Wenn sie aber das ist, was sie zu sein scheint – nämlich
eine Politikerin mit einem enormen Potential –, können
die Charaktere sie dann davor bewahren als Sklavin eines
Dämons zu enden?
• Klopfen an die Himmelspforte: Im schlechtesten Vier-
tel der Stadt steht eine Kirche, die seit Jahren als Bastion
des Glaubens in einem Meer der Gewalt, Entartung und
Verzweiflung gilt. Nun hat die jüngste Kampagne gegen
Drogen und Prostitution des örtlichen Priesters den Zorn
338
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
einer oder mehrerer der hiesigen Gangs geweckt, die ein
perverses Gefallen daran gefunden haben, die Kirche und
ihre Gemeinde zu terrorisieren. Eine solche Zusammen-
arbeit unter dermaßen zerstrittenen Gruppen ist äußerst
ungewöhnlich – es sei denn, sie werden von einer größeren
Macht gelenkt. Auf welche Seite werden sich die Charak-
tere in diesem Konflikt stellen? Werden sie versuchen, den
Priester vor dem mysteriösen Dämon und seinen schein-
bar zahllosen Anhängern zu beschützen, oder schlagen
sie sich auf dessen Seite und kämpfen mit ihm gegen die
Gemeinde? Was, wenn der Priester selbst der Bösewicht
ist, der seinen Einfluß mißbraucht, um Zwietracht und
Verderbnis unter der Gemeinde zu säen, und der Dämon
ihn nur mit den einzigen Mitteln bekämpft, die ihm zur
Verfügung stehen?
• Anathema: Einer oder mehrere der Charaktere werden
von einem vormaligen Kampfgefährten angerufen, der erst
vor kurzem auf die Erde zurückgekehrt und in die Gewalt
einer Gruppe von Dämonenjägern geraten ist. Er bittet
verzweifelt um Hilfe, da die Sterblichen versuchen, ihn
mit Ritualen aus seinem Wirt auszutreiben. Leider kann er
nur vage Informationen über seinen Aufenthaltsort nen-
nen. Sind die Charaktere in der Lage, die Dämonenjäger
aufzuspüren und ihren Kameraden zu befreien, bevor es zu
spät ist?
• Treueschwur: Eine Gruppe mächtiger Dämonen ist in
der Stadt eingetroffen und hat sich zum Ziel gesetzt, alle
Gefallenen, denen sie begegnen, zu unterwerfen oder zu
vertreiben, um die Stadt für sich in Besitz zu nehmen. Wer-
den die Charaktere ihre Kräfte vereinen und den Eindring-
lingen den Krieg erklären, oder wählen sie einen diploma-
tischeren Weg und versuchen, eine Allianz mit den Erobe-
rern einzugehen? Diese Geschichte kann leicht als Beginn
einer Mini-Chronik genutzt werden, in der die Charaktere
die Stärke ihrer Gegner auskundschaften und verschiede-
ne Wege der Diplomatie, der Intrige und der Strategie im
Kampf ausprobieren, um die Situation zu klären.
• Blutfehde: Die infernalischen Herren der Charaktere
mögen zwar im Abgrund gefangen sein, doch sie können
noch immer mit ihren Untergebenen auf geistigem Wege
Kontakt aufnehmen und ihnen ominöse Aufträge erteilen,
die diese ausführen müssen. In diesem Fall werden einer
oder mehrere Charaktere (wenn sie demselben Herrn die-
nen) von ihrem Oberen kontaktiert, um einen anderen
infernalischen Fürsten aufzuspüren, mit dem ihr eigener
Herr seit langer Zeit in Fehde liegt. Den Charakteren wird
befohlen, die Bemühungen seines Gegenspielers – wie auch
immer diese aussehen mögen – zu sabotieren und den un-
glückseligen Dämon zurück in den Abgrund zu schicken.
Der besagte Gefallene hat den Körper einer Krankenschwe-
ster übernommen, die im hiesigen Krankenhaus arbeitet. Er
nutzt seine Kräfte, um die dortigen Patienten zu pflegen
und zu beschützen. Führen die Charaktere ihren Befehl aus
(ihr Herr kann sie nicht dazu zwingen, ihm zu gehorchen,
solange er sich in der Hölle befindet) oder finden sie einen
anderen Weg, um den Wünschen ihres Meisters gerecht
zu werden?
• Relikt eines vergangenen Zeitalters: Ein Übeltäter
spricht die Charaktere an und bittet sie bei der Wieder-
KAPITEL ZEHN
beschaffung eines alten Relikts um Hilfe, das mittlerweile
in den Besitz eines stadtbekannten Antiquitätensammlers
übergegangen ist. Nach Angaben des Übeltäters stammt
das Relikt noch aus den Tagen des Kriegs des Zorns und
ist äußerst mächtig, sofern man weiß, wie man sich seine
Macht nutzbar machen kann. Fragen, die darauf abzielen,
welcher Art dieses Relikt ist und was man genau damit
anstellen kann, weicht der Dämon allerdings geschickt aus.
Die Situation wird noch komplizierter, als sich herausstellt,
daß der Sammler der Sklave eines anderen Übeltäters ist
und das Relikt erst kürzlich aus einer archäologischen Aus-
grabungsstätte in Indien gestohlen hat.
• Die letzte Festung: Gerüchte besagen, daß es in den Hü-
geln unweit der Stadt zu mysteriösen Ereignissen kommt.
Seit Jahren wird in diesem Gebiet von merkwürdigen Lich-
tern in der Nacht, eigenartigen Erscheinungen und Men-
schen, die auf unerklärliche Weise verschwunden sind,
berichtet. Handelt es sich bei diesen Geschichten lediglich
um eine Ansammlung von Legenden oder weisen diese
Zwischenfälle auf die Existenz einer uralten Trutzburg der
Rebellen hin, die in den Hügeln verborgen liegt? Wenn
dies stimmen sollte, welche alten Relikte – und die Zeiten
überdauernde Gefahren – warten dann auf diejenigen, die
mutig genug sind, die verborgene Festung aufzuspüren?
Diese Geschichte eignet sich als hervorragender Anfang für
eine Chronik, in der Sie die Charaktere mit einer sicheren
Zuflucht ausstatten wollen, in die sie sich zwischen den
einzelnen Geschichten zurückziehen können.
DAS EINFÜHREN NEUER CHARAKTERE
Im Verlauf einer Chronik kann sich die Zusammenstel-
lung der darin handelnden Protagonisten ändern. Dämo-
nen verlieren ihren sterblichen Wirtskörper und werden
zurück in den Abgrund gezogen, oder sie verlieren sich in
ihrer Qual und entziehen sich somit der Kontrolle durch
die Spieler (sprich, aus einem Spielercharakter wird ein
Erzählercharakter). Manchmal kann auch ein Spieler selbst
die Chronik nicht mehr fortführen und wird von einem
Neueinsteiger ersetzt. Neue Charaktere in eine bereits eta-
blierte Gruppe einzugliedern, kann ein paar Probleme hin-
sichtlich der laufenden Geschichte aufwerfen. Wie treffen
die neuen Charaktere auf die alten? Welche Veranlassung
haben die anderen Charaktere, einen Wildfremden in ih-
rer Mitte zu akzeptieren? Aus welchem Grund sollte die
Gruppe diesem Neuling ihre Geheimnisse anvertrauen, und
warum sollte dieser ihnen die seinen verraten?
Einer der einfachsten Wege, einen neuen Charakter in
die Gruppe einzubringen, besteht darin, ihn einfach auf
Geheiß eines Höllenfürsten, der noch immer im Abgrund
gefangen ist, zu den Charakteren zu schicken. Eine Mög-
lichkeit, eine Beziehung zwischen dem Neuankömmling
und der Gruppe aufzubauen, kann durch die Tatsache ge-
geben sein, daß dieser besagte Fürst zugleich der Herr eines
oder mehrerer Charaktere innerhalb der Gruppe ist. Der
Neuankömmling wird an den ungefähren Aufenthaltsort
der Charaktere entsandt und erhält genügend Informatio-
nen, um die Gruppe verhältnismäßig leicht aufzuspüren.
Der Neuankömmling kann sich den anderen Charakteren
anschließend als Überbringer einer Nachricht ihres Herrn
vorstellen. Auf diese Weise schaffen Sie eine glaubwürdige
Basis, die dafür sorgt, daß er von den alten Charakteren
akzeptiert wird.
Eine weitere Möglichkeit ist eine zufällige Begegnung, die
in der Anwendung infernalischer Kräfte begründet liegt.
Mit ihrer übernatürlichen Wahrnehmung können die Ge-
fallenen den Einsatz von Geheimnissen oder Glaube aus
großer Distanz heraus spüren. Wenn sich eine Situation
ergibt, in der einer oder mehrere Charaktere der Gruppe
dazu gezwungen werden, ihre Kräfte in großem Umfang
walten zu lassen, können Sie den Neuankömmling das Auf-
flammen von Glaube entdecken und es ihn als Wegweiser
zu den anderen Charakteren nutzen lassen – selbst dann,
wenn er diesem nur aus reiner Neugier nachgehen sollte.
Erscheint er dann gerade zur rechten Zeit, um sie in ihren
Bemühungen unterstützen zu können – beispielsweise bei
ihrem Kampf gegen eine Gruppe von Dämonenjägern –,
gibt dies der Gruppe der Spielercharaktere einen echten
Grund, dem Neuling gegenüber wohlgesonnen zu sein.
Spielt die Chronik in einem Gebiet, in dem die Charakte-
re während des Kriegs gekämpft haben, ist es auch möglich,
daß der Neuankömmling ein ehemaliger Waffenbruder ist,
der von derselben Aura der Vertrautheit in eine bestimmte
Gegend geführt wurde wie der Rest der Gruppe. Beziehun-
gen, die in der Vergangenheit ihren Anfang nahmen, stel-
len eine hervorragende Chance dar, neue Charaktere pro-
blemlos in das laufende Spiel zu integrieren, und können
Sie zudem zu neuen Geschichten inspirieren, die von alten
Freundschaften, Rivalitäten oder Ehrenschulden handeln.
DAS ERZÄHLEN DER GESCHICHTE
Es reicht nicht aus, sich einfach nur eine gute Geschichte
auszudenken – sie muß auch gut ausgearbeitet und detail-
liert sein und mit dem entsprechenden Elan erzählt werden.
Wenn Sie Ihre Geschichte erzählen, sollten Sie sich darum
bemühen, das Beste aus den folgenden Eigenschaften einer
guten Geschichte zu machen:
• Schilderung: Erwecken Sie jede Szene mit Details zum
Leben. Die Qualität Ihrer Beschreibungen beeinflußt alles
von der Stimmung, die Sie vermitteln möchten, bis hin zur
knallharten Action eines erbittert geführten Feuergefechts.
Beschreiben Sie Personen, Orte und Handlungen in einer
Weise, die alle Sinne der Spieler in Anspruch nimmt. Je
mehr Details Sie geben, desto leichter kann man sich eine
Szene vorstellen und desto lebendiger wird sie.
• Charakterisierung: Verleihen Sie Ihren Erzählercharak-
teren individuelle Persönlichkeiten. Für Sie ist das zehnmal
schwerer als für die Spieler, die sich nur auf einen Charak-
ter konzentrieren müssen, während Sie eine ganze Welt mit
Leben erfüllen müssen. Natürlich hängt die Aufmerksam-
keit, die Sie einem Charakter schenken können, von seiner
Bedeutung für die Chronik ab. Hauptcharaktere sollten
mit der Tiefe und der Genauigkeit behandelt werden, die
man auch bei der Erschaffung von Spielercharakteren an
den Tag legen sollte. Denken Sie sich in diese Charaktere
hinein und nutzen Sie ihre Vergangenheit, um festzulegen,
welche Persönlichkeit sie besitzen. Geben Sie ihnen Abnei-
gungen, Ängste und Hobbys. Bei Nebencharakteren sollten
Sie einige besondere Charakteristika betonen. Lassen Sie
339

sie geistesabwesend, schroff, oder neurotisch sein. Scheuen
Sie nicht davor zurück, kleine Macken zu verwenden, die
Sie an Menschen in Ihrer tagtäglichen Umgebung beob-
achten.
• Dialoge: Dies läuft Hand in Hand mit der Charakteri-
sierung und ist wahrscheinlich die wichtigste Fertigkeit, die
ein Erzähler zu meistern hat. Wenn Charaktere im Spiel
miteinander sprechen – ganz gleich, ob innerhalb der Grup-
pe oder zwischen einem Spielercharakter und einem Erzäh-
lercharakter –, sollten Sie die Unterhaltung ausspielen. So
können Sie Ihren Charakteren mehr Tiefe verleihen und
die Erzählerfahrung durch Wortwahl, Ausdrucksweisen
und Körpersprache um einiges faßbarer gestalten. Geben
Sie jedem Charakter eine Stimme und Sprachmanierismen,
die seiner Persönlichkeit entsprechen. Es ist nicht immer
leicht, einen Dialog auszuspielen – Sie brauchen eine ra-
sche Auffassungsgabe und ein gewisses Improvisationsta-
lent, und wenn Sie nicht allzuviel Selbstvertrauen besitzen,
könnte es sein, daß Sie auch noch ein Quentchen Mut
aufbringen müssen. Machen Sie sich keinen Streß – Sie
spielen nur zusammen mit Freunden ein Spiel. Ermutigen
Sie die Spieler dazu, am Dialog teilzunehmen, und verge-
ben Sie sogar am Ende jeder Spielsitzung einen zusätzlichen
Erfahrungspunkt für gute Interaktion, wenn Sie möchten.
Konversation ist eine Kunstform und eine Fertigkeit, und
wie überall macht auch hier nur Übung den Meister.
• Action: Gestalten Sie Ihre Actionszenen dynamisch
und explosiv – Knochen knacken, Blut spritzt, donnernde
Schüsse fallen und Gegenstände zerspringen im Kugelhagel.
Beschränken Sie die Würfelwürfe bei Kampfszenen auf ein
Minimum, legen Sie rasch die Ergebnisse aus und liefern Sie
dann eine atemberaubende Beschreibung. („Der Schnitter,
der in Nebel und Schatten gehüllt ist, kommt über Azrael
wie ein übler Pesthauch. Seine bleichen Hände schließen
sich um Azraels Gesicht. Der Teufel schreit vor Schmerz
auf, als der Schnitter seinem sterblichen Körper die Le-
bensenergie entzieht.“) Es geht alles darum, die Erfahrung
möglichst intensiv zu gestalten. Haben Sie keine Angst
davor, gelegentlich einmal ein Würfelergebnis großzügig
auszulegen (in anderen Spielen würde man das vielleicht
auch Mogeln nennen), um die Action und die Hektik der
Kampfszene auf hohem Niveau halten zu können.
• Rätselhaftes: Halten Sie die Spieler im Ungewissen.
Zeigen Sie ihnen niemals das vollständige Bild der Ereig-
nisse. Nichts in der Welt der Dunkelheit ist wirklich das,
was es scheint, und es ist immer gut, diesen Punkt mittels
unerwarteter Wendungen in der Geschichte, Verrat und
versteckter Komplikationen zu verdeutlichen.
• Einflußnahme auf Ereignisse: Bei Dämonen geht es
darum, eine gute Geschichte zu erzählen. Dies setzt eine
sorgfältige Planung und eine grundsätzliche Vorstellung
voraus, wohin die Ereignisse in der Chronik letztlich füh-
ren. Es gibt nun aber das Problem, daß Ihnen die Spieler
zuweilen in die Quere kommen werden. Vielleicht überse-
hen sie den offensichtlichen Hinweis, der das zentrale Rät-
sel einer Chronik lösen wurde, oder womöglich schlagen
sie eine vollkommen unvorhergesehene Richtung ein und
stolpern in einen Teil der Geschichte, mit dem sie sich jetzt
eigentlich noch gar nicht auseinandersetzen sollten. Oder
340
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
schlimmer noch: Einer von ihnen landet im Kampf einen
Glückstreffer und massakriert den Erzbösewicht, der laut
Ihrer Planung der größte Widersacher der Charaktere für
die nächsten zwölf Geschichten hätte werden sollen. Für
diese Situationen gibt es keine Patentlösungen, aber im
Grunde können Sie zwischen zwei verschiedenen Lösungs-
ansätzen wählen: Sie beißen die Zähne zusammen und
passen sich den Veränderungen an, oder Sie setzen Ihre
gottgleiche Allmacht ein, um das Problem gänzlich zu um-
gehen. Die beste Faustregel lautet: Nehmen Sie nur dann
zugunsten der Chronik Einfluß auf die Ereignisse, wenn es
dem Spiel als Ganzes förderlich ist. Wenn den Charakteren
eine höchst bedeutsame Information durch die Lappen
geht, leiten Sie die Charaktere sanft zu einer zweiten Chan-
ce, die Information zu erhalten. Wenn Sie es lieber sähen,
daß Ihr Erzbösewicht auf eine dramatischere Art getötet
wird, schummeln Sie beim Absorbieren und lassen Sie ihn
schwer angeschlagen vom Schlachtfeld humpeln. Tun Sie
so etwas aber nur ausgesprochen selten. Es ist zwar Ihr Pri-
vileg als Erzähler, aber wenn Sie es mißbrauchen, werden
Sie Ihren Spielern das Gefühl geben, daß Ihre Charaktere
einfach rein gar nichts zustande bringen können – und das
ruiniert letzten Endes das ganze Spiel.
DIE GEBOTE
Die Kunst des Erzählens ist wie jedes kreative Unterfan-
gen ein dynamischer Prozeß, und zu Beginn scheint er Sie
vor unlösbare Aufgaben zu stellen. Die Dinge, die man sich
hauptsächlich im Gedächtnis halten sollte, können in fünf
Geboten und fünf Verboten zusammengefaßt werden.
• Beziehen Sie die Spieler so oft wie möglich ein: Neh-
men Sie die Ideen und Hintergründe der Spieler in Ihre
Stadt und Ihre Chronik auf. Dies nimmt Ihnen ein wenig
von der Last der Erschaffung der Spielwelt von den Schul-
tern und verleiht den Spielern eine größere Rolle in der
Geschichte, die Sie erzählen. Letztlich sollten die Spieler-
charaktere die wichtigsten – wenn auch nicht notwendiger-
weise die mächtigsten – Charaktere in Ihrer Chronik sein.
• Erfüllen Sie die Erwartungen der Spieler: Vergessen Sie
nicht, daß es auch ihr Spiel ist. Sie müssen eine ungefähre
Vorstellung davon haben, welche Art von Spiel sich die
Spieler wünschen, bevor Sie Ihre Chronik entwickeln.
• Arbeiten Sie Dinge im voraus aus: Je mehr Sie geleistet
haben, bevor das Spiel beginnt, desto mehr Aufmerksam-
keit werden Sie dem Erzählen der Geschichte widmen kön-
nen. Wenn Sie sich die Zeit genommen haben, die vielen
Wendungen und Windungen der Geschichte durchzuden-
ken, werden Sie besser auf die unvorhergesehenen Dinge
vorbereitet sein, die Ihre Spieler sich zwangsläufig werden
einfallen lassen.
• Erst die Geschichte, dann die Regeln: Lassen Sie nicht
zu, daß die Geschichte, die Sie erzählen wollen, durch die
Regeln behindert wird. Sie können neue Regeln machen
und alte brechen, wie Sie es für richtig erachten, wenn es
der Geschichte dient und sie unterhaltsamer für die Spieler
gestaltet.
• Nutzen Sie Schilderungen, Dialoge und Action: Er-
wecken Sie Ihre Spielwelt durch bunte Schilderungen und
Sinneseindrücke jeglicher Art zum Leben. Ermutigen Sie
KAPITEL ZEHN
die Spieler, ihre Rollen in Gesprächen auszuspielen, indem
Sie selbst für Ihre Charaktere unterschiedliche Stimmen
einsetzen, um ihnen eine eigene Identität zu verleihen.
Halten Sie das Erzähltempo und die Spannung durch dra-
matische Actionszenen auf hohem Niveau.
UMGEKEHRT GILT FOLGENDES:
• Vermeiden Sie Stereotypen: Nichts saugt Ihrer Chronik
schneller das Leben aus als eine endlose Parade haargenau
gleicher Pappkameraden.
• Vergessen Sie nicht die Belohnung: Wenn sich die Spie-
ler Mühe geben und schlaue Entscheidungen treffen, muß
der Erfolg ihrer Charaktere im richtigen Verhältnis zu den
Herausforderungen stehen, denen sie sich gestellt haben.
Ist das nicht der Fall, könnten sich die Spieler hintergangen
und betrogen fühlen.
• Sagen Sie den Spielern nicht alles: Ein Großteil der
Spannung eines Spiels hängt mit dem Rätselhaften zusam-
men – jenen Teilen der Geschichte, die Sie zurückhalten,
damit die Spieler und ihre Charaktere sie ganz allein erfor-
schen können.
• Mißbrauchen Sie Ihre Macht nicht: Bei allen Ereig-
nissen haben Sie das letzte Wort. Dieses Wort ist Gesetz,
aber Sie dürfen diese Macht nicht dazu verwenden, die
Charaktere zu zwingen, immer nur genau das zu tun, was
Sie wollen. Es ist ein Spiel, es soll Spaß machen und jeder
sollte sich amüsieren – ganz egal, ob alles nach dem von
Ihnen verfaßten Drehbuch abläuft oder nicht.
• Keine Panik: Wenn die Spieler Ihnen den Boden unter
den Füßen wegreißen, haben Sie keine Angst, eine Pause
einzulegen und sich etwas Zeit zu nehmen, um Ihre Gedan-
ken wieder auf die Reihe zu bringen. Anfangs wird das noch
oft passieren, aber nach einer Weile werden Sie mit allem
umgehen können, was Ihnen von seiten der Spieler an den
Kopf geworfen wird.
341
 Die Narben, die der Dämon ihm verpaßt hatte, machten aus Jack Milton den perfekten Lockvogel. Es gab Momente,
in denen er die Ironie der Situation durchaus auskosten konnte, doch dann gab es wieder Augenblicke, in denen er sich
am liebsten eine Kugel in den Kopf gejagt hätte.
Die breiten, klebrigen Brandnarben, die sich über die ganze linke Seite seines Gesichts und Nackens zogen, hatten
dafür gesorgt, daß er nie zu den schönen Menschen gehören würde. Trotzdem war es kein Problem gewesen, in den Club
zu kommen, nachdem er dem Türsteher erst einmal eine Rolle Geldscheine in die Jackentasche gesteckt hatte. Es war
einfach gewesen, einen Tisch zu finden; es wurde ihm noch leichter gemacht, für sich alleine zu bleiben. Seit er sich
hingesetzt hatte, waren bereits drei Personen auf ihn zugekommen, um ihm wohl einen Drink zu spendieren oder sich ihm
vorzustellen. Sie wurden von der teuren Kleidung und dem Diamantring am kleinen Finger Miltons angezogen wie Motten
vom Licht. Er hatte sie mit einigem Interesse beobachtet, weil er neugierig war, wie nah sie an ihn herankommen würden,
ehe sie sein Gesicht sahen. Wann genau es soweit war, war nie schwer zu bemerken – in der einen Sekunde machten sie
noch ein freundliches, aufgeschlossenes Gesicht, und in der nächsten sahen sie plötzlich aus, als hätte ihnen jemand
einen Schlag in die Magengrube versetzt. Ihre Augen weiteten sich und ihr Lächeln gefror. Als erfahrene Szenegänger
sahen sie beiseite und schlenderten mit starrem Blick an ihm vorbei.
Milton wartete auf denjenigen, dessen Gesichtsausdruck sich nicht verändern würde. Denjenigen, der ihn genau so
haben wollte, wie er war.
Es war Milton vollkommen entgangen, wie sie sich ihm genähert hatte. Er war gerade dabei, das Glas mit seinem vierten
Wodka Tonic zu leeren, und als er es abstellen wollte, stand sie plötzlich auf der anderen Seite des Tisches und lächelte
auf ihn herab. Ihre Augen hatten die Farbe einer vom Sturm gepeitschten See. Sie war wunderschön. Obwohl er wußte,
was er zu erwarten gehabt hatte, verschlug ihr Anblick Jack den Atem. Einen Moment lang vergaß er die Narben und seine
versengte Lunge und fragte sich, was er getan hatte, um die Aufmerksamkeit dieser umwerfenden Frau zu erregen.
„Es scheint so, als seien alle anderen Tische bereits besetzt“, sagte sie mit einem Timbre, das ihn an Whisky und
Zigarettenrauch denken ließ. „Stört es Sie, wenn ich mich zu Ihnen setze?“
„Aber nein, bitte setzen Sie sich“, sagte er und war beschämt darüber, wieviel Eifer in seinem Ton mitschwang. Das
Lächeln der Dämonin wurde breiter, als sie sich neben ihn setzte.
Sie unterhielten sich über eine Stunde, wobei die Schönheit nicht ein einziges Wort über sein Gesicht verlor. Das
würde erst später kommen, wenn sie ihn um ihren perfekten Finger gewickelt haben würde. Es würde der Moment sein,
in dem sie ihm anbieten würde, ihm sein altes Gesicht zurückzugeben. Natürlich zu einem gewissen Preis. Einen, den er
nur allzugut kannte.
Es war bereits kurz vor drei Uhr, als er allen Mut zusammennahm, aufstand und sie fragte, ob sie mit zu ihm nach
Hause kommen würde. Noch bevor er wußte, wie ihm überhaupt geschah, überquerten sie schon gemeinsam die Straße
und gingen zu seinem Wagen hinüber. Die Dämonin betrachtete den grauen Jaguar. „Sehr hübsch, Jack.“ Sie blickte ihn
kritisch an. „Du scheinst ein Mann zu sein, der viel zu geben hat.“
„Ich wette, das sagst du zu allen Männern“, sagte er. Sie lachte auf. Es klang sanft und ehrlich.
Er hielt ihr die Beifahrertür auf und sie ließ sich in den Ledersitz gleiten. Jack lehnte sich zu ihr hinüber und lächelte
sie ein wenig beunruhigt an. „Hast du mein Handy gesehen, als wir am Tisch gesessen haben?“
Die Dämonin zögerte. Als er den kurzen Ausdruck von Sorge auf ihrem Gesicht sah, fragte sich Milton, ob diese
Kreatur überhaupt wußte, was ein Handy war. „Ich … glaube nicht.“
„Na toll. Schon wieder eins verloren. Würde es dich sehr stören, wenn ich noch einmal zurücklaufe und nachschaue,
ob ich es liegengelassen habe? Es dauert nur eine Minute.“
„Kein Problem, Jack“, sagte die Dämonin. „Ich bin sehr geduldig.“
Jack schloß die Tür und zwang sich dazu, schnellen Schrittes zurück über die Straße zu laufen. Die kalte Nachtluft
schnitt wie eisige Glassplitter in seine ruinierten Lungen. Doch der Schmerz half ihm dabei, sich zu konzentrieren und
daran zu erinnern, wer er war und was er tun mußte.
Er konnte die Uhr nicht zurückdrehen. Nichts würde den ersten Pakt, den er eingegangen war, oder all das Grauen,
das er danach erlebt hatte, ungeschehen machen. Nichts würde seine Familie wieder ins Leben zurückholen oder seine
Gesundheit wiederherstellen. Eigentlich hätte er in der Explosion sterben müssen, die das Monster, dessen Sklave er
geworden war, umgebracht hatte, doch selbst diese Gnade war ihm vom Schicksal verwehrt geblieben. Jetzt konnte er
nur noch versuchen, das Beste aus der Zeit zu machen, die ihm noch bleiben würde.
Milton griff in seine Hosentasche und umschloß die Fernbedienung mit den Fingern. Dann drückte er den Knopf, der
die zwanzig Stangen Dynamit zündete, die er am frühen Abend vorsichtig unter dem Beifahrersitz plaziert hatte. Er
hatte schon miterlebt, wie sich Dämonen selbst von den schlimmsten Wunden heilen konnten, aber einer, der es überlebte,
förmlich in Stücke gerissen zu werden, war ihm bisher noch nicht begegnet.
Er drehte sich um und schaute nachdenklich in die lodernden Flammen. Die Dämonin war fort, und ihre Seele war
schreiend zurück in die Hölle gefahren. „Wir sehen uns“, sagte Jack Milton.
 KAPITEL ELF:
ANTAGONISTEN

Seid stark im Glauben, in Hoffnung und Liebe, die stärker ist als
alles, dann werdet ihr ohne Angst aus diesem Paradies von dannen
ziehn und euch dafür ein Paradies in euch selbst gewinnen.
- Hans Wollschläger, deutscher Libretto zu Krzysztof
Pendereckis Oper „Das verlorene Paradies“

Trotz all ihrer Macht mangelt es den Gefallenen nicht an
Feinden. Monströse Dämonen, sterbliche Dämonenjäger
und die fehlgeleiteten Schergen der Erdgebundenen sind
nur die drei häufigsten Arten von Antagonisten, die eine
Gefahr für die Freiheit eines gefallenen Engels darstellen,
ganz zu schweigen von der Gefahr für Leib und Leben all
jener Sterblichen, die an ihn gebunden sind.
Sie als Erzähler können die in diesem Kapitel vorgestell-
ten Charakterprofile als Quelle der Inspiration nutzen, um
Ihre eigenen interessanten und ansprechenden Gegenspie-
ler zu erschaffen. Bei den hier vorgestellten Profilen han-
delt es sich jedoch lediglich um generelle Richtlinien. Sie
sind herzlich dazu aufgefordert, jedes Detail nach Belieben
auszuschmücken, zu verändern oder ganz zu ignorieren,
um die Erzählercharaktere und ihre Werte an Ihre eigene
Chronik anzupassen.
MONSTRÖSE DÄMONEN
Von den unzähligen Gefallenen, die während den Nach-
wehen des Mahlstroms in die stoffliche Welt zurückgekehrt
sind, haben nur sehr wenige das große Glück gehabt, sich
in einem sterblichen Wirtskörper wiederzufinden, der trotz
aller Nachteile und Schwächen Qualitäten wie Mitgefühl
und Menschlichkeit besaß, durch die ein Dämon aus seiner
unendlichen Qual gerissen werden konnte. Der überwälti-
gende Großteil aller Gefallenen blieb weiterhin so, wie er
im Abgrund gewesen war. Sie sind auch weiterhin gequälte,
boshafte Monstren, die ganz versessen darauf sind, ihre
frühere Herrlichkeit zurückzugewinnen und Vergeltung
an Gott und den Menschen zu üben. Monströse Dämonen
sind die Hauptfeinde, denen sich die Spielercharaktere
werden stellen müssen – als Jäger, die nach den Seelen der
Sterblichen einer Stadt dürsten, als Rivalen im Kampf um
die Macht oder in Form von Handlangern und Stoßtruppen
der Erdgebundenen.
GEISSELN
Billy hustete abermals und riß Jessica erneut aus dem tiefen
Schlaf, den die ihr verabreichten Schmerzmittel überhaupt erst
möglich machten. Als sie versuchte, den Kopf anzuheben, zuck-
te sie zusammen, weil die Schmerzen in ihrem Bauch so stark
KAPITEL ELF
waren. Die Ärzte hatten sie aufgeschnitten, und es tat immer
noch weh. Noch dazu mußte sie sich ein Zimmer mit Billy teilen,
der nicht gerade sehr nett war.
Jessica hätte ihn am liebsten angeschrien, doch der stechende
Schmerz um die Wundnaht herum ließ sie es sich noch einmal
anders überlegen. Billy war gar nicht so krank. Bestimmt wollte
er sie bloß ärgern.
Langsam drehte sie ihren Kopf zu Billys Bett hinüber. Was sie
dort sah, ließ sie ihre Schmerzen völlig vergessen.
Hinter dem Vorhang konnte sie einen großen Schatten sehen,
der über Billys Krankenbett aufragte. Er war größer als jeder Er-
wachsene, den Jessica bis dahin je gesehen hatte. Als der Schatten
seine Arme um Billy schloß, wurde sein Husten schlimmer.
Jessica biß sich auf die Lippen und versuchte, keinen Mucks
zu machen. Was, wenn dieses Ding sie hörte? Was machte es
da mit Billy?
Langsam bewegte sie ihre Hand in Richtung des Rufknop-
fes neben ihrem Kopfkissen. Sie erinnerte sich daran, daß ihre
Mutter ihr gesagt hatte, sie solle ihn drücken, wenn sie irgendein
Problem haben sollte.
Endlich fand sie ihn und drückte so fest zu, wie sie nur konn-
te. Lieber Gott, betete sie, bitte mach, daß das Monster mich
nicht holt!
Plötzlich wurde der Vorhang aufgezogen.
„Jessica“, wisperte ihr eine Grabesstimme zu.
Jessica riß sich die Bettdecke über den Kopf und versuchte, nicht
lauthals aufzuschreien. Woher kannte das Monster ihren Namen?
„Ich weiß, daß du wach bist“, sagte die Stimme und kam
immer näher.
Jessica blieb mucksmäuschenstill.
„Billy war ein böser Junge. Er mußte bestraft werden. Du bist
doch kein böses Mädchen, oder?“
Konzept: Geißeln mit hohen Qualwerten sind wandelnde
Alpträume. Sie sind monströse Kreaturen, deren einziger
Lebensinhalt darin besteht, Pein und Leid unter Sterblichen
und Gefallenen gleichermaßen zu verbreiten. Diese Dämo-
nen rechtfertigen ihre Handlungen oft damit, daß sie vorge-
ben, lediglich diejenigen zu bestrafen, die Böses getan haben,
aber in Wirklichkeit wollen sie die Menschen nur ebensosehr
leiden lassen, wie sie selbst im Abgrund gelitten haben.
Persönlichkeit: Monströse Geißeln sind oft boshaft und reiz-
bar. Fast wie Katzen haben sie großen Spaß daran, ihre Opfer
über längere Zeit hinweg zu quälen. Geißeln dieser Art tra-
gen oft die Wesenszüge eines Autokraten oder Rauhbeins.
Attribute: Diese Geißeln neigen zu sehr niedrigen gesell-
schaftlichen Attributen, obwohl manche versuchen, ge-
steigerten Wert auf Manipulation zu legen. Für gewöhnlich
setzen monströse Geißeln auf Geistesschärfe und Wahr-
nehmung.
Fähigkeiten: Geißeln mit hohen Qualwerten weisen oft
überdurchschnittliche Werte in Einschüchtern, Empathie,
Heimlichkeit und Medizin auf.
Hintergründe: Leitstern (1 – 2), Pakte (1 – 3)
ROBERT LOWE
Wesen: Rauhbein
Attribute: Körperkraft 4, Geschick 3, Widerstandsfähigkeit
4, Charisma 1, Manipulation 3, Erscheinungsbild 2, Wahr-
nehmung 5, Intelligenz 4, Geistesschärfe 5
Fähigkeiten: Aufmerksamkeit 4, Ausflüchte 3, Auswei-
chen 4, Einschüchtern 5, Handgemenge 2, Heimlichkeit 3,
Magiegespür 3, Medizin 3, Sicherheit 3
Hintergründe: Pakte 2, Leitstern 1
Willenskraft: 5
Glaube: 5
Qual: 8
Apokalyptische Gestalt: Das Antlitz der Erweckung
Geheimnisse: Geheimnisse der Erweckung 3, Geheimnisse
des Windes 2, Geheimnisse des Fundaments 3
SCHÄNDER
Michael stöhnte, als Helen die Riemen fester anzog.
Sie baute sich vor Michael auf. Ihre grünen Augen funkel-
ten hinter der Ledermaske. Sanft streichelte sie ihre schwarze
Peitsche.
„Auf der Straße sagt man, dir würden die Felle davonschwim-
men“, sagte sie und trat näher an ihn heran.
„Ja, Herrin.“
Ihre behandschuhten Finger glitten über seine Brust. „Du
würdest langsam dein Gespür fürs Geschäft verlieren“, flüsterte
sie. „Deine Konkurrenz hätte jetzt den Markt fest in der Hand.“
Sie zwickte ihm in eine seiner Brustwarzen. „Den Markt für
junges, unverbrauchtes Fleisch.“
So hat noch nie jemand mit mir gesprochen, weder im Spaß
noch im Ernst, dachte Michael. Trotzdem verärgerte ihn das
nicht, und das überraschte ihn. Er wollte ihr einfach nur gefal-
len, und das jagte ihm Angst ein.
„Ich war unartig“, sagte Michael, der von dem unerwartet
aufrichtigen Tonfall seiner Stimme völlig überrascht war.
Helen zog an seiner Brustwarze. „Nein, Baby. Du warst viel
mehr, als einfach nur unartig.“ Blitzschnell packte sie ihn an der
Kehle. „Du warst nachlässig und schlampig.“
Michael kämpfte gegen die Lederriemen an. Helens Griff
wurde fester. Wie konnte sie nur soviel Kraft entwickeln?
„Du solltest dir mal die hübschen jungen Dinger ansehen, die
Roberto so hat.“
Helen ließ seinen Hals los. Sie beugte sich ganz nah an ihn
heran und starrte ihm mit ihren blauen Augen ins Gesicht.
Moment mal, dachte Michael. Hatte sie eben nicht noch
grüne Augen?
„Deine Mädchen hingegen sind verbraucht“, zischte sie. „Ich
kann dir helfen, Michael. Du kannst ein paar von ihnen bei mir
loswerden.“
„Aber Herrin, ich kann nicht ...“
Die Peitsche knallte unmittelbar neben seinem Kopf. Ein
brennender Schmerz fuhr ihm durchs Ohr.
„Willst du etwa bekannt dafür sein, abgehalfterte Pferdchen
laufen zu haben?“
„Scheiße!“ Michael spürte, wie ihm warmes Blut den Hals her-
unterlief. Er wand sich in dem Stuhl mit der offenen Lehne, auf
dem er saß, doch die Riemen ließen kaum eine Bewegung zu.
Die Peitsche knallte erneut, biß tief in sein Fleisch und ließ die
Haut auf seinem Rücken aufplatzen. Michael heulte auf.
„Das gefällt dir, nicht wahr, Sklave?“
NEIN! dachte er und mußte zu seinem großen Schrecken
feststellen, daß er begierig nickte.
„Es gibt soviel mehr, was du und ich tun könnten“, zischte sie.
Mit einer geübten Drehung des Handgelenks ließ sie die Peitsche
345

abermals vorschießen und schlug ihm das Ohrläppchen ab. Mi-
chael schrie vor Schmerz und Lust auf, und Helen schien seine
Pein wie einen guten Wein zu genießen.
Sie stellte sich wieder vor Michael. Die braunen Augen unter
der Maske starrten ihn an.
„Möchtest du mir nicht dabei helfen, meinen eigenen Stall
aufzubauen?“
Konzept: Während einige Verschlinger Gewalt einsetzen,
um sich an der Menschheit zu rächen, verfolgen Schänder
mit hohen Qualwerten eine subtilere Taktik. Die Industrie-
gesellschaft hat zur Vereinsamung vieler Menschen geführt,
und die Massenmedien sorgen dafür, daß sie sich ihrer Kör-
per schämen. Menschen wollen geliebt werden, und Men-
schen wollen schön sein. Die Schänder machen sich diese
Wünsche zunutze, um die Menschheit zu versklaven, und
viele verzweifelte Sterbliche sind nur allzugern bereit, in
diese Falle hineinzutappen.
Persönlichkeit: Schänder können jedes Verhalten aufwei-
sen, wobei es für gewöhnlich das genaue Gegenteil ihres
eigentlichen Wesens ist. Die meisten Schänder mit hohen
Qualwerten sind von ihrem Wesen her Gigolos, Schmarot-
zer und Trickser.
Attribute: Charisma und Manipulation sind für gewöhn-
lich mit hohen Werten versehen. Diese Charaktere verfü-
gen auch meist über gute Werte in Geschick und Wider-
standsfähigkeit.
Fähigkeiten: Diese Schänder legen in der Regel Wert auf
Aufmerksamkeit, Ausdruck, Empathie und Intuition. Eti-
kette und Vortrag sind von ihrer Bedeutung her zweitran-
gige, aber nichtsdestotrotz nützliche Fähigkeiten.
Hintergründe: Anhänger (1-3), Kontakte (1-2), Pakte (1-
3), Verbündete (1-3)
346
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
HELEN TISDALE
Wesen: Direktor
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 4, Widerstandsfähigkeit
3, Charisma 4, Manipulation 5, Erscheinungsbild 4, Wahr-
nehmung 3, Intelligenz 3, Geistesschärfe 3
Fähigkeiten: Aufmerksamkeit 4, Ausdruck 3, Ausflüchte
4, Ausweichen 3, Einschüchtern 4, Empathie 3, Etikette
2, Führungsqualitäten 3, Gesetzeskenntnis 3, Handge-
menge 2, Heimlichkeit 3, Intuition 3, Linguistik 2 (Spa-
nisch, Portugiesisch), Nahkampf 2, Okkultismus 2, Poli-
tik 2, Schußwaffen 1, Sportlichkeit 3, Szenekenntnis 4,
Vortrag 4
Hintergründe: Anhänger 3, Kontakte 2, Pakte 3
Willenskraft: 7
Glaube: 7
Qual: 9
Apokalyptische Gestalt: Das Antlitz des Sehnens
Geheimnisse: Geheimnisse des Sehnens 3, Geheimnisse
des Sturms 2, Geheimnisse der Menschheit 3
SCHNITTER
Apil-Sin streichelte den mit Wasserflecken übersäten Sarg.
Er konnte spüren, wie seine Fingerspitzen an den unsichtbaren
Banden entlangglitten.
„Ich warte“, flüsterte er. Die Bande begannen zu erbeben.
Apil-Sin ließ seine Sinne ins Schattenreich hinüberdriften.
Während des Krieges hatte er dabei geholfen, die Schattenlande
zu errichten, um die Seelen der Menschheit vor der Auslöschung
zu beschützen (oder davor, was auch immer Gott mit ihnen
vorhaben mochte). Es hatte ihr eigener Garten Eden sein sollen.
Nun verwüstete ein nicht enden wollender Sturm die Schöpfung
KAPITEL ELF
der Schnitter. Über den tobenden Winden konnte er die Schreie
zahlloser Seelen vernehmen.
Unter ihnen befand sich eine, die ihn zur Zeit ganz besonders
interessierte. Der Schnitter bündelte seinen Willen und rief den
Namen des Geistes.
In der Welt der Sterblichen begannen die Lampen zu flak-
kern, im Schattenreich hingegen stieg eine Erscheinung aus
dem Sturm empor. Ihr Körper hatte keine feste Form, doch ihre
Augen glühten in einem grellen Gelb.
„WER RUFT MICH?“ heulte der Todesalb.
Hunderte von Mündern mit scharfen Fängen bildeten sich im
Korpus der Erscheinung. Mit einem ohrenbetäubenden Brüllen
stürzte sich das Gespenst auf den Dämon. Apil-Sin hob eine
Hand. Der Geist hielt mitten in der Bewegung inne, als sei er
gegen eine Wand geprallt.
„Für so etwas habe ich jetzt keine Zeit, Marvin“, sagte Apil-
Sin. „Auf uns wartet Arbeit.“
Der Geist kämpfte ohne Aussicht auf Erfolg gegen den Willen
des Gefallenen an. „Wer bist du?“
Apil-Sin lächelte. „Ich hatte angenommen, das sei dir mittler-
weile klargeworden, Marvin. Ich bin dein Herr und Meister.“
Der Dämon sprach Worte der Macht, und das Gespenst
schrie als es durch den Schleier zwischen den Welten und in den
unlängst ausgegrabenen Sarg hineingezogen wurde.
Apil-Sin richtete seine Sinne wieder auf die Welt der Le-
benden. Aus dem Innern des Sargs drang das Geräusch von
Händen, die verrottenden Samt zerrissen.
Konzept: Schnitter mit hohen Qualwerten scheren sich
keinen Deut mehr um die Unantastbarkeit menschlicher
Seelen. Geister werden von den Halaku nur noch als Werk-
zeuge, Tauschmittel oder Waffen gesehen, die sie gegen ihre
Feinde einsetzen können. Die Schöpfung stirbt. Bald wird
alles den Schnittern gehören.
Persönlichkeit: Schnitter verfügen über ein breitgefächer-
tes Spektrum an Wesenszügen. Viele sind von ihrem Wesen
her Direktoren und Rauhbeine, was sie die Geister auch
nur allzu gern spüren lassen. Die Vorstellungen der Men-
schen vom Leben nach dem Tod amüsieren viele dieser
monströsen Schnitter. Wie können sich die Sterblichen nur
so sicher über ihr Schicksal sein, wenn selbst die Gefallenen
die Wahrheit nicht kennen?
Attribute: Wie alle Schnitter haben diese Halaku meist
hohe Werte in den geistigen Attributen (vor allem in Wahr-
nehmung). Viele legen zudem gesteigerten Wert auf Mani-
pulation und Widerstandsfähigkeit.
Fähigkeiten: Aufmerksamkeit, Ausflüchte, Einschüchtern,
Heimlichkeit, Intuition und Magiegespür sind unter die-
sen Schnittern weitverbreitete Fähigkeiten. Viele haben
darüber hinaus gute Werte in Nachforschungen. Diejeni-
gen unter ihnen, die sich mit Totenkulten beschäftigen,
erlangen unter Umständen auch noch einige Kenntnisse
in Okkultismus.
Hintergründe: Anhänger (1-2), Einfluß (1-2), Pakte (1-3)
APIL-SIN
Wesen: Schmarotzer
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 1, Widerstandsfähigkeit
4, Charisma 3, Manipulation 5, Erscheinungsbild 2, Wahr-
nehmung 5, Intelligenz 3, Geistesschärfe 4
Fähigkeiten: Aufmerksamkeit 3, Ausflüchte 3, Ausweichen
4, Computer 2, Einschüchtern 4, Etikette 2, Handgemenge
1, Heimlichkeit 3, Intuition 3, Magiegespür 4, Medizin 4,
Okkultismus 3, Politik 1, Recherche 3, Schußwaffen 2
Hintergründe: Anhänger 2, Einfluß 1, Kontakte 2, Pakte 2
Willenskraft: 6
Glaube: 8
Qual: 8
Apokalyptische Gestalt: Das Antlitz der Geister
Geheimnisse: Geheimnisse des Todes 3, Geheimnisse der
Geister 3, Geheimnisse des Jenseits 2
TEUFEL
Senator Edward Carson starrte den Mann auf der anderen
Seite seines gewaltigen, antiken Schreibtischs wütend an. „Was
versuchen Sie hier abzuziehen?“
William Zobel lächelte. „Ich versuche gar nichts.“
„Aber das ist politischer Selbstmord!“ sagte Carson. „Wenn
der Flughafenausbau wirklich kommt, werden Hunderte von
Menschen ihr Zuhause verlieren. Elkwood Valley würde darauf-
hin ein Drittel seiner Steuereinnahmen einbüßen. Wenn ich den
Beschluß unterschreibe, werde ich die nächste Wahl verlieren!“
Zobel schüttelte den Kopf. „Entspannen Sie sich.“
„Entspannen?“
„Hören Sie“, sagte Zobel. „Wenn ich mich recht entsinne, ist
es doch so, daß der Bürgermeister von Elkwood Valley bei der
letzten Wahl Ihren Gegenspieler unterstützt hat. Ich finde es
nur gerecht, wenn man ihn nun dafür büßen läßt, Ihren Rivalen
unterstützt zu haben.“
„Aber ich kann doch nicht Hunderte von Menschen zu Ob-
dachlosen machen. Es interessiert mich nicht, wieviel Geld Sie
der Parteikasse spenden wollen.“
Zobel seufzte. „Ich glaube, Sie haben den Ernst der Lage, in der
Sie sich befinden, überhaupt noch nicht erkannt. Erstens hätten
Sie sich ohne mich eine Kandidatur niemals leisten können.“
„Ich –“
„Zweitens sollten wir nicht das Videoband mit den verrä-
terischen Aufnahmen Ihres Gegenkandidaten vergessen, das
wenige Tage vor dem Wahltermin an die Medien weitergegeben
wurde.“
Carson fiel die Kinnlade herunter.
„Drittens“, fuhr Zobel fort, „müssen Sie das Gesamtbild
im Auge behalten. Um die Wirtschaft anzukurbeln, muß der
Flughafen ausgebaut werden. Simpel ausgedrückt bringen diese
zusätzlichen Start- und Landebahnen eine Menge neuer Ar-
beitsplätze.“
„Und Ihrer Firma höhere Gewinne“, entgegnete Carson.
„Sehr scharf beobachtet.“
„Auf Kosten von …“
„Sieht man es einmal im Gesamtbild, sind die Kosten ver-
schwindend gering. Sicher, man wird Sie anfangs kritisieren,
Senator Carson. Sie scheinen mir aber ein Mann von großem
Mut zu sein –“
„Was, wenn ich nicht so mutig bin, wie Sie annehmen?“
„Dann sollten Sie weitaus mehr Angst davor haben, was ge-
schehen würde, wenn Sie nicht kooperieren“, gluckste Zobel.
„Wollen Sie mir etwa …“
Zobels kalter Blick war Antwort genug.
Konzept: Teufel mit hohen Qualwerten sind rücksichtslose,
347

machtbesessene Kreaturen. Sie lieben es, andere dahinge-
hend zu manipulieren, daß diese ihre Drecksarbeit erledigen
– sei es eine Firmenübernahme oder die Ermordung eines
potentiellen Rivalen. Monströse Teufel sammeln mächtige
Sterbliche so, wie ein Handwerker hochwertige Werkzeuge
sammeln würde, und wählen dabei Individuen mit beson-
deren Fähigkeiten und Einfluß aus, die sie nach Belieben
benutzen und wieder ablegen können. Diese Teufel sind oft-
mals tyrannische Firmenbosse, Oberhäupter von Verbrecher-
syndikaten, korrupte Politiker oder radikale Revolutionäre.
Persönlichkeit: Teufel mit hohen Qualwerten strahlen ein
Übermaß an Selbstvertrauen und Autorität aus und geben
so das Bild eines geborenen Anführers ab. Sie sind brillante
Denker, mit allen Wassern gewaschen und äußerst char-
mant. Doch unter dieser aufpolierten Oberfläche verbirgt
sich ein Monster, das große Freude daran hat, mächtige
Führungspersönlichkeiten in Versuchung zu führen und
allen, die es wagen, ihnen zu trotzen, das Leben zur Hölle
zu machen. Teufel dieser Art besitzen häufig das Wesen ei-
nes Architekten, Autokraten, Direktors, Fanatikers, Gries-
grams, Traditionalisten oder Visionärs.
Attribute: Teufel besitzen hohe Werte in den gesellschaft-
lichen Attributen (besonders in Charisma und Manipulati-
on), aber auch geistige Attribute – vor allem Geistesschärfe
und Intelligenz – können ihnen bei jenen Unterfangen
dienlich sein, die sie zur Kunstform erhoben haben: dem
Aushandeln finsterster Pakte.
Fähigkeiten: Teufel verfügen normalerweise über hohe
Werte in Ausflüchte, Einschüchtern und Intuition. Viele
finden zusätzlich Verwendung für Etikette und Vortrag.
Hintergründe: Anhänger (1-3), Einfluß (1-3), Ressourcen
(1-5)
WILLIAM ZOBEL
Wesen: Direktor
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 2, Widerstandsfähigkeit
2, Charisma 3, Manipulation 4, Erscheinungsbild 3, Wahr-
nehmung 3, Intelligenz 4, Geistesschärfe 4
Fähigkeiten: Aufmerksamkeit 2, Ausdruck 3, Ausflüchte
5, Bürokratie 3, Computer 1, Einschüchtern 4, Empathie
2, Etikette 4, Fahren 2, Finanzen 4, Führungsqualitäten 4,
Gesetzeskenntnis 3, Heimlichkeit 1, Politik 5, Vortrag 2
Hintergründe: Anhänger 3, Einfluß 3, Ressourcen 4
Willenskraft: 7
Glaube: 6
Qual: 8
Apokalyptische Gestalt: Das Antlitz des Glanzes
Geheimnisse: Geheimnisse des Glanzes 3, Geheimnisse der
Himmlischen 2, Geheimnisse der Menschheit 3
ÜBELTÄTER
Chris bemerkte, daß Greg seine neue Skulptur, die er Stähler-
ner Jesus genannt hatte, offen bewunderte.
„Also, was hältst du nun davon?“ fragte Chris seinen Freund.
Greg starrte das Kunstwerk weiter an. Vor ihm stand ein zwei
Meter großes Kreuz aus rostfarbenen Stahlträgern. Die Jesusfi-
gur war aus geschwärzten Metallstangen gefertigt.
Schließlich gab er eine Antwort auf die Frage. „Es ist sehr ...
bewegend.“
„Danke.“
348
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
„Ich kann es nicht in Worte fassen.“ Er deutete mit dem Fin-
ger auf die Skulptur. „Es ist fast so, als hättest du die Transzen-
denz Christi vom Menschlichen zum Göttlichen eingefangen.“
„Die meisten Leute sehen darin einfach nur eine Christus-
statue“, sagte Chris, nachdem er sein Champagnerglas geleert
hatte. „Du erkennst seine tiefere Bedeutung.“
Greg nickte. „Ich schaue es mir an und sehe die Macht des
Kreuzes.“
„Eines der mächtigsten Symbole der Welt“, fügte Chris hinzu.
„Das ist die beste Darstellung der Kreuzigung, die ich je ge-
sehen habe.“
„Ach, übertreib es nicht“, erwiderte Chris.
„Doch, doch!“ beharrte Greg.
Chris zuckte die Achseln.
Dann wandte sich Greg endlich wieder zu Chris um. „Ich
hätte nie gedacht, daß du so etwas schaffen kannst. Deine frü-
heren Arbeiten waren so ...“
„Modern?“
„Nun, ich schätze, das waren sie auch“, lachte Greg. „Chris,
wo hast du nur solche Inspiration gefunden?“
Chris stellte sein Glas ab und betrachtete sein Werk.
„Eines Tages wachte ich auf und erkannte die Wahrheit. Ich
wußte, daß ich der Welt die Wahrheit über Gott zeigen mußte.“
Greg lächelte. „Ich glaube, das ist dir wirklich gelungen. Ich
will dir etwas sagen: Diese ganzen Künstler, die pissende Jesusfi-
guren zurechtschustern und anschließend behaupten, sie würden
damit Gott ehren, kotzen mich wirklich an.“
Chris schüttelte den Kopf. „Sie wissen einfach nicht, wie man
mit einem Idol umzugehen hat.“
Greg nickte zustimmend. „Ich möchte das hier für meine
Kirche kaufen.“
Chris wies auf eine Frau in der Nähe, die dastand und Desin-
teresse vortäuschte. „In diesem Fall mußt du mit Mary reden.“
Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten, bevor Greg zu
Mary hinüberging. Chris nahm sich einen neuen Drink von
einem Tablett, das ihm ein Kellner hinhielt, und erhob das Glas
auf seine neue Skulptur.
„Das Beste kommt erst noch“, sagte er.
Konzept: Übeltäter mit hohen Qualwerten finden große
Freude daran, wundersame und begehrenswerte Objekte zu
erschaffen, die ihre Besitzer in den Untergang treiben. Viele
sehen darin einen Akt poetischer Gerechtigkeit – diesmal
ist es die Erde, die die Menschen vergiftet. Diese monströ-
sen Dämonen führen eine große Zahl von Menschen in
Versuchung, machen sie mit Hilfe ihrer Schöpfungen zu
ihren Sklaven und berauben sie ihres Glaubens, um noch
verfluchtere Objekte erschaffen zu können.
Persönlichkeit: Übeltäter ergötzen sich an ihren finsteren
Kunstwerken. Für manche von ihnen ist die Korrumpierung
der Menschheit nur ein kleiner, unbedeutender Schritt hin
zur Umsetzung ihrer wahren Visionen. Viele dieser Übeltä-
ter tragen die Wesenszüge eines Architekten, Bonvivants,
Perfektionisten oder Visionärs.
Attribute: Monströse Übeltäter neigen zu hohen Werten in
geistigen Attributen (insbesondere in Intelligenz und Cha-
risma), verfügen aber auch über ausgeprägte gesellschaftli-
che Attribute, bei denen sie vor allem Wert auf Charisma
und Manipulation legen.
Fähigkeiten: Als göttliche Baumeister besitzen alle Übeltäter
hohe Werte in Handwerk und Ausdruck. Aufmerksamkeit,
KAPITEL ELF
Ausweichen und Magiegespür sind auch weit verbreitet.
Hintergründe: Anhänger (1 – 2), Kontakte (1 – 2), Pakte
(3 – 4), Ressourcen (1 – 2)
CHRIS SWANSON
Wesen: Visionär
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 3, Widerstandsfähigkeit
2, Charisma 3, Manipulation 4, Erscheinungsbild 3, Wahr-
nehmung 4, Intelligenz 5, Geistesschärfe 3
Fähigkeiten: Akademisches Wissen (Kunstgeschichte) 4,
Aufmerksamkeit 3, Ausdruck 5, Ausflüchte 3, Ausweichen
2, Computer 2, Empathie 3, Etikette 3, Handgemenge 1,
Heimlichkeit 2, Intuition 3, Magiegespür 4, Nachforschun-
gen 2, Okkultismus 3, Schußwaffen 1, Vortrag 2
Hintergründe: Anhänger 1, Kontakte 1, Pakte 3, Ressour-
cen 2
Willenskraft: 8
Glaube: 8
Qual: 9
Apokalyptische Gestalt: Das Antlitz der Esse
Geheimnisse: Geheimnisse der Erde 3, Geheimnisse der
Esse 3, Geheimnisse der Menschheit 2
UNHOLDE
Trotz ihres lauten Schluchzens konnte Professor Emily Ha-
benstein die Schritte hören, die davon kündeten, daß jemand
ihr Arbeitszimmer betrat.
„Mach, daß es aufhört!“ jammerte sie.
„Aber du bist so dicht dran“, antwortete ihr eine Stimme,
die beängstigend vertraut klang. Emily drehte sich um. Joe, ein
ehemaliger Student, kam auf sie zu.
„Ich halte das nicht mehr aus“, sagte Emily. „Ich kann mit
diesem Wissen nicht mehr weiterleben!“
„Aber du wolltest doch erfahren, wie alles zusammenpaßt.
Du wolltest doch unbedingt wissen, wie das unbefleckte Tuch
der Wahrheit zu einem Flickenteppich der Lügen wurde.“
Emily vergrub das Gesicht in den Händen.
„Deshalb bist du doch auch Professorin der Theologie gewor-
den. Du wolltest die einzelnen Mosaiksteinchen zusammensetzen.
Du wolltest die Ameise sein, die den ganzen Berg sehen kann.“
Emily schüttelte den Kopf. „Aber du hast mir diesen ... diesen
Wahnsinn in den Kopf gesetzt.“
„Aber das ist doch nur ein kleines Bruchstück des Ganzen.“
„Nimm es wieder zurück!“
„Wir hatten eine Abmachung, weißt du noch? Du wolltest mir
die einzelnen Teile des Puzzles aufzeigen und ich sollte sie für
dich zusammenfügen.“
Emily drehte sich von ihm weg.
„Ich wollte herausfinden, was die Essenz ist, die hinter al-
len Religionen Gottes steht, Emily. Um die einzelnen Teile des
Puzzles sehen zu können, mußte ich wissen, welche Kraft die
Menschen aus Gottes Lügen ziehen.“
„Aber wozu brauchst du dann mich dabei? Kannst du diese
verfluchten Einzelteile nicht allein zusammensuchen?“
„Warum sollte ich mir die Mühe machen, wenn ich dich dafür
habe?“ gluckste Joe.
„Fick dich!“
Plötzlich schrie Emily auf. Sie stürzte von ihrem Stuhl und be-
gann sich schreiend auf dem Boden zu wälzen. „Nein! Nein!“
„Laß mich dir etwas erklären, Emily“, antwortete Joe kopf-
schüttelnd. „Einst wandelte ich zwischen den Sternen, doch das
hat Gott mir genommen.“
Emily blieb reglos liegen.
„Nur deinetwegen habe ich äonenlang leiden müssen. Jetzt
bist du an der Reihe, einmal für mich zu leiden.“
Konzept: Unholde mit hohen Qualwerten spinnen verwor-
rene Netze des Wahnsinns und des Schicksals, in die sie
sowohl Sterbliche als auch Dämonen verstricken. Während
sie einst alles taten, um den Großen Plan im Gleichgewicht
zu halten, versuchen sie nun, ihn so weit zu manipulieren,
daß er ihren eigenen Visionen der Zukunft förderlich ist.
Persönlichkeit: Die meisten Unholde neigen dazu, die
Menschheit zu manipulieren und sich den Sterblichen ge-
genüber äußerst herablassend zu benehmen. Sie wissen nur
allzugut, daß die Menschen – und sogar einige Gefallene
– die Wahrheit nicht einmal ansatzweise begreifen können
oder wollen. Viele dieser Unholde tragen die Wesenszüge
eines Architekten, Direktors, Griesgrams, Perfektionisten,
Rauhbeins, Schmarotzers oder Visionärs.
Attribute: Die meisten Unholde besitzen hohe Werte in
den geistigen Attributen, wobei Wahrnehmung besonders
bevorzugt wird. Ein hoher Wert in Manipulation ist eben-
falls weitverbreitet.
Fähigkeiten: Aufmerksamkeit, Empathie, Intuition und
Magiegespür sind für gewöhnlich mit hohen Werten ver-
sehen und spiegeln die ausgeprägte Beobachtungsgabe der
Unholde wider. Einige erlernen auch Naturwissenschaften
(Psychologie), um den zerbrechlichen Verstand der Men-
schen besser verstehen zu können.
Hintergründe: Leitstern (1 – 2), Pakte (1 – 2)
JOE VOSS
Wesen: Direktor
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 3, Widerstandsfähigkeit
2, Charisma 2, Manipulation 5, Erscheinungsbild 2, Wahr-
nehmung 5, Intelligenz 4, Geistesschärfe 4
Fähigkeiten: Akademisches Wissen (Theologie) 2, Auf-
merksamkeit 5, Ausflüchte 3, Ausweichen 3, Computer 2,
Einschüchtern 2, Empathie 4, Etikette 2, Handgemenge
1, Heimlichkeit 3, Intuition 4, Magiegespür 4, Medizin 1,
Nachforschungen 2, Naturwissenschaften (Psychologie) 3,
Schußwaffen 1
Hintergründe: Leitstern 1, Pakte 2
Willenskraft: 9
Glaube: 7
Qual: 7
Apokalyptische Gestalt: Das Antlitz der Struktur
Geheimnisse: Geheimnisse des Lichts 2, Geheimnisse der
Struktur 3, Geheimnisse der Portale 3
VERSCHLINGER
Tiptakzi sog die Waldluft ein, und ein Knurren erklang tief in sei-
ner Kehle. Menschen, dachte er. Und sie waren nahe. Sehr nahe.
Geräuschlos huschte der Dämon durch das Gehölz. Sein Zorn
schenkte seinen sehnigen Gliedern Kraft. Die Witterung wurde
immer stärker, und bald konnte Tiptakzi ein Geräusch wie von
Hammerschlägen hören. Der Dämon bleckte die Fänge. Dieser
Berg gehörte ihm. Während des Krieges hatte er sein Blut für die
Menschheit vergossen, Freunde verloren und zusehen müssen,
349

wie ganze Landstriche verwüstet wurden. Das war genug.
Nach einigen weiten Sätzen durch das Unterholz konnte er die
Menschen sehen. Sie waren in Tarnjacken gekleidet und schlugen
Stahlstifte in die Bäume, um sie mit Wimpeln zu markieren.
Als Tiptakzi aus der Hölle entkommen war, hatte er kaum glau-
ben können, wie groß die schiere Zerstörungswut der Menschen
war, mit der sie die Erde peinigten. Sollte das etwa der Dank für all
das sein, was die Gefallenen für die Menschheit getan hatten?
Inmitten der dicken Stämme um sich herum rief Tiptakzi
das grünende Leben an, und die Pflanzen unterwarfen sich
seinem Willen. Der erste Holzfäller wurde von einer Ran-
ke umschlungen und in die Höhe gerissen. Seine gurgelnden
Schreie endeten abrupt, als er von einem Dutzend weiterer
Ranken in Stücke gerissen wurde.
Der andere Mann flüchtete ins Unterholz, und seine lauten
Schreckensschreie geisterten zwischen den Baumriesen umher.
Es waren nur ein paar Kilometer bis zur alten Straße im Wald.
Tiptakzi würde dem Holzfäller die Hälfte des Weges als Vor-
sprung lassen, ehe er die Verfolgung aufnahm. Eine gute Jagd
machte das Töten um so befriedigender.
Konzept: Die von ihrer Qual zerfressenen Engel der Wild-
nis sehen in den Menschen nichts weiter als Beute für
ihr Jagdfieber. Sie entladen ihre eigene Pein in den Tode-
squalen derer, die sie mit ihren Klauen in Stücke reißen.
Zudem geraten sie durch ihren verhältnismäßig niedrigen
Status als Engel des Sechsten Hauses sehr leicht unter den
Einfluß von monströsen Dämonen, die einem der höheren
Häuser entstammen. Daher findet man sie auch sehr häufig
als Vollstrecker, Jäger und Plünderer in den Diensten eines
monströsen Dämonenfürsten oder eines Erdgebundenen.
Persönlichkeit: Die meisten dieser Abscheulichkeiten sind
von ihrem Wesen her Autokraten, Einzelgänger, Griesgra-
me, Rauhbeine und Rebellen. Ihr Verhalten entspricht in
der Regel ihrem Wesen. Sie können mit Täuschung und
Vorspiegelung falscher Tatsachen einfach nichts anfangen.
Attribute: Monströse Verschlinger besitzen immer beson-
ders hohe Werte in den körperlichen Attributen, selbst
wenn ihre Wirtskörper vor der Übernahme durch den Dä-
mon nicht sonderlich durchtrainiert gewesen sein mögen.
Viele besitzen auch eine hohe Geistesschärfe und eine aus-
gezeichnete Wahrnehmung, da ihnen diese Attribute in
der Wildnis gute Dienste leisten. Meist haben sie zudem
niedrige Werte in Erscheinungsbild und Charisma.
Fähigkeiten: Es gibt kaum einen Verschlinger, der Auf-
merksamkeit, Ausweichen, Einschüchtern, Handgemenge,
Heimlichkeit und Tierkunde nicht beherrscht. Diejenigen,
die in den Städten zu Hause sind, besitzen meist zusätzlich
noch Szenekenntnis und sind im Nahkampf geschult. Ihre
Kenntnisse dagegen begrenzen sich auf das Wissen, das ihr
Wirt vor der Übernahme durch sie besaß.
Hintergründe: Leitstern (1-2), Pakte (1-3)
TIPTAKZI
Wesen: Einzelgänger
Attribute: Körperkraft 5, Geschick 4, Widerstandsfähigkeit
5, Charisma 1, Manipulation 5, Erscheinungsbild 1, Wahr-
nehmung 5, Intelligenz 2, Geistesschärfe 5
Fähigkeiten: Aufmerksamkeit 5, Ausweichen 4, Einschüch-
tern 4, Handgemenge 4, Heimlichkeit 4, Medizin 1, Nach-
forschungen 3, Tierkunde 4, Überleben 4
350
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Hintergründe: Leitstern 3, Pakte 1
Willenskraft: 6
Glaube: 8
Qual: 9
Apokalyptische Gestalt: Das Antlitz des Tiers
Geheimnisse: Geheimnisse des Tiers 3, Geheimnisse des
Fleisches 3, Geheimnisse der Wildnis 2
EXORZISTEN
Jahrhunderte des Zynismus und der Verzweiflung hatten
zur Folge, daß weite Teile der Menschheit die Existenz
des Göttlichen nicht länger wahrnehmen können, aber
unter den über sechs Milliarden Seelen auf der Welt gibt es
jedoch einige wenige, die noch immer an ihrem Glauben
festhalten – oder zumindest die Wahrheit zu akzeptieren
gelernt haben, wenn sie keine andere Erklärung für das
Unerklärliche finden konnten. Von dieser Handvoll Män-
ner und Frauen, die einem Dämon begegnet sind und sein
wahres Wesen erkannt haben, ist nur ein kleiner Teil mutig
(oder verzweifelt) genug, um gegen die Legionen der Hölle
zurückzuschlagen. Diese Dämonenjäger oder Exorzisten
führen einen einsamen, brutalen Kampf gegen die Gefal-
lenen, wobei sie keinen großen Unterschied zwischen den
Monströsen und den Reumütigen machen.
DIE VERBLENDETEN
Todesschütze von Iowa City litt offenbar unter Wahn-
vorstellungen
(Iowa City, Iowa) Der sogenannte Yachtclub-Schütze, der 5
Menschen getötet und 15 weitere zum Teil schwer verletzt hat,
scheint offenbar daran geglaubt zu haben, seine Opfer hätten
einen Außerirdischen mit Nahrung versorgt.
Zuverlässige Quellen aus dem Umfeld der Ermittlung be-
haupten, der Schütze, ein gewisser David Lynn Carpenter, sei
von dem Gedanken an die Existenz Außerirdischer förmlich
besessen gewesen. Die Beamten stellten in seiner Einzimmer-
wohnung Hunderte von UFO-Büchern, Magazinen und Photos
sicher. Zusätzlich stießen sie auf Aufnahmen einer bislang noch
nicht identifizierten Person, der Carpenter offenbar nachstellte.
Die Polizei versucht nun, diesen Unbekannten zu finden.
Carpenters Kollegen bei Chicago BBQ bestätigten dessen
UFO-Wahn.
„Jeden Tag hieß es Außerirdische dies und Außerirdische das“,
sagte William Osborne. „Er war überzeugt davon, daß sie die Körper
von Menschen übernehmen. Ich sagte ihm oft, er hätte nicht mehr alle
Tassen im Schrank, doch das hat ihn immer nur dazu veranlaßt, mir
einen minutenlangen Vortrag zu dem Thema zu halten.“
„David behauptete, daß er Außerirdische irgendwie spüren
kann“, weiß Jill Gilman zu berichten, eine andere Kollegin Car-
penters. „Er sagte, er würde immer so ein komisches Kribbeln
spüren, wenn sich einer in seiner Nähe aufhält.“
Später fügte Gilman hinzu: „David glaubte tatsächlich, daß sich
die Außerirdischen von uns ernähren müßten und deshalb würden
sie auch nicht einfach die ganze Menschheit vernichten. Wir waren
irgendwie wie Futter für sie. Ich glaube mich erinnern zu können,
daß er einmal meinte, ein Außerirdischer würde mindestens 100
Leute brauchen, um seinen Nahrungsbedarf zu decken.“
Jack, ein Nachbar Carpenters, der nur seinen Vornamen
nennen wollte, behauptet, Carpenter sei nicht immer von dem
KAPITEL ELF
Gedanken an Außerirdische besessen gewesen.
„Er war eigentlich ganz normal. Vielleicht war er nicht unbe-
dingt der gesellige Typ, aber wer ist das heutzutage schon?“
Laut Jack änderte sich diese Einstellung vor einigen Monaten
drastisch.
„Ich sah, wie er wie von der Tarantel gestochen in seine Woh-
nung rannte. Als ich ihn fragte, was los sei, gab er mir keine
Antwort. Ich weiß nicht, was er hatte, vielleicht war er vor
jemandem auf der Flucht. Am nächsten Tag sah ich, wie er
seinen Fernseher und seine Stereoanlage aus dem Fenster warf.
Ich fragte ihn, warum er das machte. Daraufhin erwiderte er,
die Geräte seien verseucht. Danach habe ich nicht mehr mit ihm
gesprochen. Ab und zu habe ich ihn Dinge schreien hören wie
‚Hört auf mich auszuspionieren’ oder ‚Ihr werdet mein Gehirn
niemals zu fressen kriegen’. Ehrlich gesagt hat es mich ziemlich
überrascht, daß man ihn nicht weggesperrt hat.“
Augenzeugen berichten, Carpenter habe auch vor und wäh-
rend seines Amoklaufs weitere Kommentare über Außerirdi-
sche gemacht.
„Ich aß gerade mein Sandwich, als ich jemanden schreien
hörte: ‚Hört auf ihn zu füttern! Er ist ein Außerirdischer, der
euer Gehirn aussaugt’“, sagt Julie Hoffman. „Fast hätte ich
laut aufgelacht, doch dann hörte ich die Schüsse. Es machte
den Eindruck, als eröffnete er das Feuer auf die Belegschaft des
Clubs. Die ganze Zeit über schrie er: ‚Hört auf ihn zu füttern!
Hört auf ihn zu füttern!’“
Konzept: Nicht jeder Sterbliche reagiert auf einen Gefalle-
nen auf die gleiche Art und Weise, sobald sich der Dämon
offenbart. Die meisten Menschen überkommt pure Hyste-
rie, und für gewöhnlich verdrängen sie das Erlebnis oder
versuchen, eine rationale Erklärung dafür zu finden, die ihr
Verstand verarbeiten kann. Einige weniger glückliche Indi-
viduen jedoch können die Dinge, die sie gesehen haben,
nicht so einfach ignorieren und vergessen. Das Wissen, daß
etwas Unaussprechliches auf Erden wandelt und unerkannt
inmitten der Menschen lebt, macht sie geradezu besessen
von der Vorstellung, sie müßten unbedingt etwas dagegen
unternehmen. Wenn sie diese Kreaturen nicht aufhalten,
wer soll es dann tun?
Jeder dieser Eiferer, wie die Enigmaten sie nennen, hat
seine eigene Interpretation der Offenbarung, deren Zeuge
er wurde. Einige glauben, bei den Gefallenen handle es
sich um Außerirdische, die die Gestalt menschlicher Wesen
angenommen haben, um so unerkannt unter den Men-
schen leben und ihre finsteren Pläne zur Übernahme der
Weltherrschaft vorantreiben zu können. Andere wiederum
sind der Meinung, die Gefallenen seien Klone, die von
einer sogenannten Neuen Weltordnung entsandt wurden,
um den Platz gewöhnlicher Menschen einzunehmen und
diese komplett zu ersetzen. Eine Handvoll Eiferer glaubt,
sie würden Zeuge der Ankunft des Antichristen und seiner
falschen Propheten und das Ende der Welt sei nahe. Keiner
von ihnen hat die Wahrheit über die Gefallenen erkannt.
Entsprechen irgendwelche Fakten nicht ihren jeweiligen
Verschwörungstheorien, so werden sie in den meisten Fäl-
len ganz einfach ignoriert.
Wie jeder gewöhnliche Mensch bedeutet ein Eiferer für
den durchschnittlichen Gefallenen keine ernstzunehmende
Bedrohung. Ein Eiferer besitzt auch keinerlei besondere Ei-
genschaften, die ihn immun gegen die Kräfte der Dämonen
machen würden. Nichtsdestotrotz stellen Eiferer allerdings
eine echte Gefahr für alle Sterblichen und Sklaven dar, die
einem Dämon nahestehen, da sie alle Personen verfolgen
und töten, von denen sie denken, sie seien „infiziert“ oder
stünden unter dem Einfluß einer „fremden Macht“.
Persönlichkeit: Viele Eiferer litten schon unter einer Gei-
stesstörung, bevor sie einem Gefallenen über den Weg ge-
laufen sind. Andere wiederum schienen vor ihrer schicksal-
haften Begegnung vollkommen geistig gesund gewesen zu
sein. Eiferer arbeiten in vielen Fällen allein, aber dennoch
können die charismatischeren unter ihnen „Jünger“ um
sich scharen, die ihnen bei ihren Aktivitäten helfen. Häu-
fige Wesenszüge unter diesen verblendeten Individuen sind
Einzelgänger, Fanatiker und Süchtiger.
Attribute: Die Attributswerte fallen bei Eiferern recht un-
terschiedlich aus, wobei die meisten niedrige Werte in den
gesellschaftlichen Attributen aufweisen, da ihre Obsession
sie anderen Menschen entfremdet hat.
Fähigkeiten: Eiferer können die unterschiedlichsten Fä-
higkeiten besitzen. Die meisten von ihnen beherrschen
zumindest Heimlichkeit und Schußwaffen.
Hintergründe: Die Werte der Hintergrundeigenschaften
von Eiferern sind in der Regel sehr niedrig. Nur selten be-
sitzen sie mehr als zwei Punkte in Ressourcen.
Glaubenspotential: 1
Kräfte: Fanatiker unterliegen nicht den Auswirkungen und
Effekten dämonischer Offenbarungen (nähere Informatio-
nen hierzu finden Sie auf Seite 305 in Kapitel Neun).
DAVID LYNN CARPENTER
Wesen: Einzelgänger
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 3, Widerstandsfähigkeit
3, Charisma 1, Manipulation 2, Erscheinungsbild 1, Wahr-
nehmung 3, Intelligenz 2, Geistesschärfe 3
Fähigkeiten: Aufmerksamkeit 3, Ausweichen 2, Einschüch-
tern 3, Handgemenge 1, Nahkampf 1, Schußwaffen 2
Hintergründe: Kontakte 2, Ressourcen 2
Willenskraft: 4
Kräfte: Immunität gegen Offenbarungen
351

DAS SCHWERT GABRIELS
Pater Dennis Forbin richtete sich auf, als sich die Tür zu seinem
Beichtstuhl schloß. Er betete fest darum, daß die Verdächtigun-
gen, die er Pater Phillips gegenüber hegte, unbegründet waren.
„Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt“, sagte eine Frau
mit ängstlicher Stimme.
„Wann hast du deine letzte Beichte abgelegt?“
„Wo ist Pater Phillips?“ fragte die Frau ein wenig verwirrt.
„Bitte beantworte meine Frage“, wiederholte der Priester kurz
angebunden.
„Vielleicht sollte ich ein andermal wieder –“
„Pater Phillips kann heute nicht hier sein“, fuhr Forbin ihr ins
Wort. „Ich versichere dir, daß deine Worte nur von Gott, dem
Allmächtigen, und mir gehört werden.“
„Ich zweifle nicht an Ihren Worten, Pater“, fuhr die Frau fort.
„Es ist nur so, daß ich wirklich dringend mit ihm sprechen muß.“
„Ich kann ihm etwas von dir ausrichten, wenn du möchtest.“
Die Frau gab keine Antwort.
„Wann hast du deine letzte Beichte abgelegt?“ versuchte er es
erneut, diesmal in einem freundlicheren Tonfall.
„Ich weiß nicht“, erwiderte sie.
„Was möchtest du beichten?“
Schweigen.
„Du kannst mir alles anvertrauen.“
„Pater, haben Sie jemals jemanden geliebt?“
„Natürlich.“
„Ich meine, wirklich geliebt?“ fragte sie noch einmal mit mehr
Nachdruck. „So sehr, als sei es der einzige Sinn und Zweck Ihres
Lebens, diese eine Person zu lieben?“
„Das klingt mir eher nach Besessenheit als nach echter Liebe.“
„Sie verstehen mich nicht“, seufzte sie.
„Aber Pater Phillips schon?“
„Niemand kann es wirklich verstehen, aber er hat es zumindest
versucht. Er versuchte immer, allen in seiner Gemeinde zu helfen.“
Der Priester griff unter seine Roben. „Selbst, wenn das bedeu-
ten sollte, gegen Gottes Gesetze zu verstoßen?“
Die Frau sagte nichts.
Forbin sprach weiter. „Und würde er auch Umgang mit den
Mächten der Finsternis haben, um –“
„Wie können Sie es wagen!“ fuhr sie ihn an. Dieses Mal klang
ihre Stimme tiefer, beinahe schon männlich. „Wie können Sie es
wagen, Pater Phillips zu verurteilen! Er –“
„Hat sich mit dem Bösen eingelassen und ist einen Pakt mit
dem Teufel eingegangen?“
Stille.
„Pater“, sagte die Stimme, und dieses Mal war sie nur noch
ein Zischen. „Woher wollen Sie wissen, daß Gott gut ist?“
Der Priester zog einen verzierten Dolch unter seiner Robe
hervor. „Ich habe es gelesen –“
„Woher wollen Sie das wissen?“ zischte ihn die Stimme noch
einmal an.
„Ich glaube daran“, antwortete er.
„Ihr Glaube muß wirklich groß sein, wenn Sie sich die Welt anse-
hen und immer noch auf die Gnade Gottes vertrauen können.“
Plötzlich zerbarst die Trennwand vor ihm und zwei schuppen-
bedeckte Arme griffen nach Forbin.
„Vielleicht wird Gott Ihnen ja danken, wenn Sie ihn treffen“,
zischte das Monster, während sich seine klauenbewährten Hän-
de um die Kehle des Priesters schlossen.
352
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Forbin stieß den Dolch in den Arm der Kreatur. Sie stieß
einen unmenschlichen Schmerzensschrei aus, ehe sie sich be-
gleitet von einem Regen aus Holzsplittern von Forbin abwandte
und davonhuschte. Der Priester kämpfte sich auf die Beine und
nahm die Verfolgung auf.
Konzept: Seit den frühesten Tagen der katholischen Kir-
che gab es heilige Orden, die sich der Bekämpfung der
Jünger Satans in der Welt verschrieben. Diese Orden er-
langten den Höhepunkt ihres Einflusses und ihrer Macht
im Mittelalter. Sie bekämpften die obszönen Kulte der Erd-
gebundenen überall in der bekannten Welt, indem sie die
Glaubensquellen der Dämonen aushoben und sie in den
Untergrund zwangen.
Mit dem Ende des Mittelalters kam auch der Nieder-
gang dieser Orden, da Teufelsanbetung in Europa und
andernorts immer mehr an Bedeutung verlor. Viele der
Orden lösten sich auf, als der Glaube an das Übernatürliche
schwand. Nur einige wenige Orden blieben als Geheimor-
ganisationen außerhalb der eigentlichen Kirchenhierarchie
bis heute bestehen.
Mit der Ankunft der Gefallenen erfahren diese Geheim-
bünde nun eine Renaissance. Obwohl ihre Mitgliederzahl
nicht sehr groß ist, zählen sie aufgrund ihres Wissens, ihrer
heiligen Rituale und ihrer geweihten Waffen zu den gefähr-
lichsten Feinden der Gefallenen.
Persönlichkeit: Mitglieder dieser Orden haben oft sehr
starke Persönlichkeiten. Viele von ihnen tragen die We-
senszüge von Autokraten, Fanatikern, Rauhbeinen, Tra-
ditionalisten oder Überlebenskünstlern, obwohl es auch
einige Helfer und Sünder unter ihnen gibt.
Attribute: Ordensmitglieder besitzen die unterschiedlichsten
Attributswerte, wobei bei den meisten die geistigen Attribute
mit den höchsten Werten versehen sind. Diejenigen unter
ihnen, die aktiv gegen die Dämonen ins Feld ziehen, haben
mitunter auch hohe Werte in den körperlichen Attributen.
Fähigkeiten: Kenntnisse sind bei allen Ordensmitgliedern
besonders stark ausgeprägt. Viele haben auch hohe Werte
in Aufmerksamkeit, Intuition und Magiegespür.
Hintergründe: Anhänger (1-2), Einfluß (1), Kontakte (1
-2), Ressourcen (1-2), Verbündete (1-3)
KAPITEL ELF
Glaubenspotential: 1-2 (Anführer von Gruppen können
sogar einen Wert von 3 aufweisen)
Kräfte: Immunität gegen Offenbarungen, Gesegnete Ge-
genstände, Heilige Gebete
PATER DENNIS FORBIN
Wesen: Fanatiker
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 3, Widerstandsfähigkeit
2, Charisma 3, Manipulation 4, Erscheinungsbild 2, Wahr-
nehmung 3, Intelligenz 4, Geistesschärfe 4
Fähigkeiten: Akademisches Wissen (Theologie) 4, Auf-
merksamkeit 2, Ausdruck 2, Ausflüchte 3, Ausweichen 2,
Einschüchtern 2, Führungsqualitäten 3, Magiegespür 1,
Okkultismus 2, Recherche 4
Hintergründe: Anhänger 3, Kontakte 2, Verbündete 2
Willenskraft: 6
Glaubenspotential: 3
Kräfte: Immunität gegen Offenbarungen, Gebete (Schutzgebet,
Bindeworte, Exorzismus), Gesegneter Dolch (Schutzgebet)
WAHRE GLÄUBIGE
Das Folsom-Hochsicherheitsgefängnis hatte strenge Auflagen,
was Interviews mit den Inhaftierten anging. Der Direktor hatte
Chris erlaubt, höchstens zwei Stunden pro Tag zu filmen, doch
bis er und sein Kameramann die Durchsuchungen und die täglich
neu auszufüllenden Formulare hinter sich gebracht hatten, blieb
ihnen gerade mal die Hälfte dieser Zeit. Sie konnten es sich daher
also nicht leisten, kostbare Minuten mit unnötigem Smalltalk zu
vergeuden, nachdem die Wärter Lance Carter erst einmal in das
Zimmer geführt hatten, in dem das Interview stattfinden sollte.
Chris gab dem Kameramann mit einem Nicken zu verstehen,
daß er mit der Aufzeichnung beginnen konnte.
„Hören Sie, Lance, ich muß Sie das fragen: Wie kam es,
daß Sie in die Umstände verwickelt wurden, die zum Tod von
Richard Burdett führten?“
„Wir haben Rich vor den ewigen Feuern der Hölle bewahrt! Das
habe ich von Anfang an gesagt. Er öffnete seine Seele dem Teufel, und
so hatten wir keine andere Wahl, wenn die Tore des Himmels für ihn
nicht auf ewig hätten verschlossen bleiben sollen. Ich wünschte nur,
ich hätte ihn aufhalten können, bevor er Joe tötete.“
Chris und der Kameramann warfen sich einen kurzen Blick zu.
„Sprechen Sie von Joe Burdett?“
„Ja“, seufzte Lance. „Der arme, kleine Joe.“ Verzweifelt ver-
grub er das Gesicht in den Händen.
Chris schüttelte den Kopf. „Lance, Joe ist nicht tot.“
Lance blickte auf.
„Er ist sogar sehr lebendig. Tatsächlich ist es in erster Linie
allein ihm zu verdanken, daß wir diese Dokumentation drehen
können. Ich habe sogar ein paar Tonbandaufnahmen unserer
früheren Interviews mit ihm dabei. Falls Sie sie hören wollen,
spiele ich sie Ihnen gerne vor.“
Lance schlug mit der Faust auf den Tisch.
„Sie verdammter Lügner! Ich habe mit eigenen Augen gese-
hen, wie der Dämon Joes Kehle zerfetzt hat! Er ist tot!“
„Lance, hören Sie mir zu.“
„Nein, Sie hören mir zu. All die Jahre hatte Pater Steward
recht gehabt. Der Teufel wandelt in unserer Mitte!“
„Hat er Ihnen erzählt, daß Rich –“
„Joe hatte diese Vermutung, von der er mir erzählte. Er sagte,
sein Bruder würde an Gott zweifeln.“
„So etwas tun Collegestudenten manchmal“, merkte Chris an.
„Ach was! Rich hätte das nie getan. Ich ging zu Pater Ste-
ward, um ihn um Rat zu bitten. Er kennt sich mit solchen
Dingen aus.“
„Lance, Pater Stewards Gruppe ist mir bekannt. Alles, was die-
sen Leuten nicht in den Kram paßt, ist automatisch Teufelswerk.“
„Warum sprechen Sie nicht einmal mit Richs Freunden vom
College? Sie werden Ihnen bestätigen, daß er versucht hat, ihre
Seelen zu kaufen.“
„Rich bot ihnen lediglich seine Hilfe an, aber –“
„Ich habe es selbst gesehen!“
„Dann erzählen Sie mir davon.“
Lance stand auf. „Bei der letzten Versammlung bat uns Pater
Steward, abzuwarten und für Richs Seele zu beten. Doch einige
der Studenten wollten nicht auf ihn hören. Sie sagten, sie hätten
einen Plan, wie sie Rich den Teufel austreiben könnten. So, wie es
in der Bibel steht. Ich half ihnen. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen
Joe mitnehmen. Ich hatte gehofft, daß Joe Rich vielleicht die Kraft
verleihen würde, um gegen den Teufel anzukämpfen.“
„Was geschah dann?“
„Wir gingen zu Rich nach Hause und ... nun, anfangs ver-
suchten wir noch mit ihm zu reden. Wir wollten ihn dazu brin-
gen, gemeinsam mit uns zu beten, doch er beschimpfte uns als
Narren. Dann hat sich Joe vor ihn gestellt und den Teufel im
Namen Jesu Christi aufgefordert, von Rich abzulassen, und
dann ...“ Lance erbleichte. „Das war der Augenblick, in dem
sich der Dämon in ihm zeigte. Mit einem einzigen Hieb seiner
Klauen riß er Joe die Kehle heraus. Da wußten wir, daß uns
keine andere Wahl mehr blieb. Es ist so, wie Pater Steward es
sagt: Wir sind Streiter des Herrn, und manchmal sind wir ge-
zwungen, das Blut von Sündern zu vergießen, damit die Recht-
schaffenen obsiegen.“
„Und aus diesem Grund habt ihr Richard mit einem Kabel
gefesselt und zu Tode geprügelt? Weil er ein Dämon war? Nicht,
weil er aus eurer Kirche austreten wollte?“
„Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie das alles
abgelaufen ist. Das letzte, was ich gesehen habe, war Joe, wie er
zu Boden stürzte und sich dabei an den Hals faßte, und all das
Blut ... großer Gott ...“ Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz.
Chris rutschte mit einem Anflug von Unbehagen mit dem Stuhl
zurück. „Lance, Joe hatte wirklich eine schlimme Wunde am Hals,
doch die Schnitte haben die Hauptschlagadern knapp verfehlt. Die
Wunde mußte zwar mit vielen Stichen genäht werden, aber Joe geht
es gut. Er sagt, daß Richard nichts damit zu tun hatte, was ihm zu-
gestoßen ist. Statt dessen sagt er, Sie hätten sich auf ihn gestürzt und
mit einem Küchenmesser auf seinen Hals eingestochen, nachdem
sie vorher schon Rich umgebracht hatten. Also erzählen Sie mir die
Wahrheit. Was ist damals wirklich passiert?“
„Ich sage Ihnen doch schon die Wahrheit!“ rief Lance. „Der
Dämon riß ihm die Kehle heraus! Es sei denn ...“ Er brach
mitten im Satz ab. Seine Augen weiteten sich vor Grauen. „Es
sei denn, er hatte gar nicht vor Joe zu töten. Oh Gott! Herr, steh
uns bei! Joe ist nicht gestorben. Der Teufel gab Rich auf und ist
statt dessen in Joe eingefahren. Was habe ich bloß getan?“
Konzept: Es gibt Priester, die schon seit Jahren predigen, daß
der Teufel auf Erden wandelt und das Böse verbreitet. Sie
fordern die wahren Gläubigen auf, sich zusammenzutun, um
die Menschheit zu retten, bevor es zu spät ist und alle verlo-
ren sind. Diese Priester und ihre Anhänger hatten lange Zeit
keinen wirklichen Feind, gegen den sie ihre Anstrengungen
353

richten konnten, doch aufgrund der sich ständig mehrenden
Eingriffe und Manipulationen der Gefallenen auf die Welt
der Sterblichen, die immer häufiger ihren Weg in die Nach-
richten finden, ist es diesen Gläubigen möglich, die „Wahr-
heit“ hinter den oftmals bizarren Meldungen zu erkennen.
In Wirklichkeit wissen sie nichts über die wahre Natur der
Gefallenen, doch nach einem Leben voller Predigten über
Hölle und Verdammnis glauben sie alles zu wissen, was sie
wissen müssen, um den Kampf aufzunehmen.
Einige dieser selbsternannten heiligen Streiter schließen
sich Wanderpredigern an, die von Ort zu Ort ziehen, um
nach Dämonen Ausschau zu halten. Andere wiederum
sind Teil von Chatgruppen im Internet und tauschen In-
formationen über Sichtungen von Dämonen aus und koor-
dinieren „Kreuzzüge“ gegen Orte, die durch infernalische
Aktivitäten aufgefallen sind. Wieder andere rekrutieren
sich aus den Mitgliedern religiöser Gruppen, die an Uni-
versitäten und Colleges tätig sind und mutmaßen, daß der
Teufel versucht, ihre Alma Mater zu übernehmen.
Viele dieser Personen weisen ein überdurchschnittlich
hohes Maß an Glauben auf, was sie für Gefallene bei einer
direkten Konfrontation zu äußerst gefährlichen Gegnern
macht. Nur wenige dieser Individuen besitzen mehr als nur
ein bruchstückhaftes Grundwissen über Dämonen, das zu-
dem teilweise aus der Bibel oder den Predigten ihres Dorf-
pfarrers stammt. Sie könnten sich auch eine Menge Halb-
wahrheiten und Fehlinformationen aus diversen Büchern zu
den Themen Religion und Dämonologie angeeignet haben.
Infolgedessen lassen sich diese Dämonenjäger von einem
gerissenen Gefallenen leicht hinters Licht führen. Schlim-
mer noch: Sie könnten versehentlich andere Sterbliche
angreifen, die unbeirrt an ihren Idealen festhalten, weil sie
dem Irrglauben erliegen, diese prinzipientreuen Personen
würden unter der Kontrolle eines Dämons stehen.
Persönlichkeit: Wahre Gläubige entstammen den unter-
schiedlichsten Gesellschaftsschichten. Einige fanden zu
Gott, nachdem sie eine Sucht überwunden hatten. Andere
wuchsen in sehr religiösen Familien auf und haben ihren
Glauben nie verloren. Sie alle werden durch den Wunsch
motiviert, Gott zu dienen. Typische Wesenszüge für einen
wahren Gläubigen sind die eines Architekten, Autokraten,
Fanatikers oder Traditionalisten. Es gibt aber auch eine
Reihe von Büßern und Konformisten unter ihnen.
Attribute: Die Attribute unter den Gläubigen weisen die
unterschiedlichsten Schwerpunkte auf. Erfolgreichere Dä-
monenjäger besitzen oft hohe Werte in Widerstandsfähig-
keit und Manipulation.
Fähigkeiten: Aufgrund des breiten gesellschaftlichen Spek-
trums, aus dem die wahren Gläubigen stammen, besitzen
sie die verschiedensten Fähigkeiten, wobei die meisten
allerdings den einen oder anderen Punkt in Akademischem
Wissen vorweisen können.
Hintergründe: Anhänger (1-3), Kontakte (1-2), Ressour-
cen (1-3), Verbündete (1-2)
Glaubenspotential: 1-2
Kräfte: Immunität gegen Offenbarungen, Gebete
PATER BRIAN STEWARD
Wesen: Architekt
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 2, Widerstandsfähigkeit
354
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
3, Charisma 3, Manipulation 4, Erscheinungsbild 3, Wahr-
nehmung 2, Intelligenz 4, Geistesschärfe 4
Fähigkeiten: Akademisches Wissen (Bibelkunde) 3, Auf-
merksamkeit 2, Ausdruck 3, Ausflüchte 3, Ausweichen 2,
Einschüchtern 2, Führungsqualitäten 4, Magiegespür 1,
Recherche 1
Hintergründe: Anhänger 3, Kontakte 2, Ressourcen 2
Willenskraft: 6
Glaubenspotential: 2
Kräfte: Gebete (Schutzgebet, Bindeworte, Exorzismus),
Geweihter Gegenstand (Kruzifix)
DIEBE DER DUNKELHEIT
Shu-Durul wand sich im Bannkreis. Wer auch immer die ma-
gischen Symbole angebracht hatte, mußte viel über den Dämon
wissen. Shu-Durul konnte den Sog des Abgrunds spüren, der
ihn jenseits des Kreises erwartete und ihn ködern wollte, diesen
einen, verhängnisvollen Schritt zu tun.
Er konnte zwanzig Gestalten in Roben erkennen, die ihn von
außerhalb des Kreises anstarrten. Trotz seines infernalischen
Äußeren blieben sie ungerührt stehen.
Shu-Durul hatte durch einen Sklaven von dieser Geheimge-
sellschaft erfahren. Es hatte ganz danach geklungen, als böte sie
eine gute Gelegenheit für einen Dämon wie ihn, sich endlich ein
paar mächtigere Diener untertan zu machen. Und jetzt war er
plötzlich in irgendeinem Konferenzsaal gefangen, der mit okkul-
ten Paraphernalien vollgestellt war.
„Laßt mich auf der Stelle frei!“ schrie Shu-Durul.
Fast meinte er als Antwort darauf ein Kichern vernommen
zu haben.
Shu-Durul spie eine Reihe von Flüchen aus, die die Luft zum
Knistern brachten.
„Schweig“, sagte eine strenge Stimme.
Eine Gestalt, deren Gesicht unter dem Schatten der Kapuze
ihrer Robe verborgen lag, trat vor.
„Wer wagt es –“
Die Gestalt warf eine Handvoll Salz nach Shu-Durul, wor-
aufhin jeder Nerv in der sterblichen Hülle des Dämons von
einem brennenden Schmerz erfaßt wurde. Er heulte auf.
„Es tut mir aufrichtig leid, Ihnen das antun zu müssen, Mr.
Ryan“, sagte der Mann, der offenbar der Sprecher der Gruppe
war. „Mir ist allerdings bekannt, daß das nicht Ihr richtiger
Name ist. Sie können mich als den Anführer dieses Zirkels be-
trachten. Wir sind eine sehr alte Organisation, die sich mit dem
Studium der Diener des Morgensterns befaßt.“
Shu-Durul stürzte zu Boden und wand sich vor Schmerzen.
„Unsere Gelehrten berichten von epischen Schlachten, die wir
gegen andere Vertreter Ihrer Art geführt haben. Es ist bereits eine
ganze Weile her, seit wir zum letzten Mal versucht haben, einen
von Ihresgleichen zu fangen. Ich hatte erwartet, daß es etwas
schwieriger sein würde.“ Er kicherte. „Sie haben uns sehr ent-
täuscht. Aber vielleicht sind Sie ja auch nur ein niederes Wesen.
Sind Sie womöglich nur der Diener eines wahren Dämons?“
Der Schmerz verschwand. „Warum tun Sie mir das an, wenn
ich Ihnen alles geben kann, was Sie wollen?“
Der Anführer lachte. „Nein, ich kann mir nicht vorstellen,
daß Sie mir tatsächlich geben würden, was ich von Ihnen will.“
Er schnippte mit den Fingern. Eines der Zirkelmitglieder stimmte
einen Singsang an. „Wir wollen keine Ihrer Gaben. Bei Ihren
Gaben gibt es immer irgendeinen Haken.“ Er schnippte mit
KAPITEL ELF
den Fingern. Ein anderes Zirkelmitglied stimmte in den Sing-
sang ein. „Wir wollen die Quelle Ihrer Gaben.“ Ein neuerliches
Fingerschnipsen, und ein weiteres Mitglied des Zirkels begann
zu singen. „Wir wollen Ihre Essenz, Mr. Ryan. Wir wollen Ihre
Macht.“ Wieder ein Fingerschnipsen, und der Gesang des Zir-
kels wurde lauter. „Wir wollen zu Göttern werden.“
Shu-Durul wollte sich auf den Anführer stürzen, doch er
prallte gegen die unsichtbare Barriere und wurde zu Boden ge-
schleudert. Shu-Durul lachte, als er langsam wieder aufstand.
„Euer Gefängnis verliert seine Macht“, frohlockte er. „Sobald
ich frei bin –“
„Wir werden mit Ihnen fertig sein, lange bevor der Bannkreis
keine Wirkung mehr zeigt.“ Er schnipste mit den Fingern. Shu-
Durul begann zu schreien.
Konzept: Nicht alle Dämonenjäger handeln im Namen
des Herrn. Einige stellen Dämonen nach, um ihnen ihre
Macht zu rauben. Warum sollte man einen Handel mit ei-
nem Dämon eingehen, durch den man nur ein paar lausige
Gefallen erfüllt bekommt, wenn man selbst so mächtig wie
das Wesen aus der Hölle werden kann?
Seit grauer Vorzeit versuchen magische Gruppierungen
die Macht der Dämonen, die sie beschwören, für ihre Zwek-
ke zu nutzen. Manche wollen die Dämonen versklaven,
wohingegen andere Magier versuchen, den Dämonen die
Essenz zu entziehen, um ihre eigenen Rituale zu speisen.
Mit dem Verschwinden des Aberglaubens in der Welt
kam auch das Ende vieler dieser Zirkel, da die Beschwö-
rung von Dämonen immer seltener gelang. Die wenigen
Gruppierungen, die bis heute überdauerten, taten dies nur,
weil sie sich fortan an die Erdgebundenen hielten oder sich
allein der Bewahrung ihrer arkanen Künste verschrieben,
anstatt sie tatsächlich auch einzusetzen.
Die Ankunft der Gefallenen hat viele dieser Geheimge-
sellschaften zurück ins Leben gerufen. Nun richten sie sich
mit ihren Ritualen an alle Dämonen, unabhängig davon,
ob es sich um Gefallene oder Erdgebundene handelt. Einige
von ihnen geben sich dabei als potentielle Sklaven aus, um
ihre infernalischen Opfer in ihr Verderben zu locken.
Persönlichkeit: Es ist der ultimative Rausch der Macht, sich
die Kräfte von Dämonen anzueignen. Viele Menschen mit
Wesenszügen von Autokraten, Direktoren und Rauhbeinen
fühlen sich zu Beschwörerzirkeln hingezogen. Man findet
auch Süchtige, die von immer neuer Gefahr abhängig sind,
ebenso in ihren Reihen wie Bonvivants und Fanatiker.
Attribute: Die meisten Dämonenjäger dieser Art haben
hohe Werte in ihren geistigen Attributen. Drei oder mehr
Punkte in Intelligenz und Wahrnehmung sind durchaus
nichts Ungewöhnliches. Viele verfügen zudem noch über
gute Werte in Manipulation.
Fähigkeiten: Alle Mitglieder solcher Zirkel besitzen minde-
stens einen Wert von drei in Okkultismus und Recherche. Zu-
dem weist ein großer Teil unter ihnen einen überdurchschnitt-
lichen Wert in einer der Kenntnisse Akademisches Wissen,
Finanzen, Naturwissenschaften oder Politik auf, je nach dem
jeweiligen „normalen“ Beruf eines solchen Dämonenjägers.
Hintergründe: Anhänger (1-3), Einfluß (1-2), Kontakte
(1-2), Ressourcen (1-2)
Glaubenspotential: 1 (Anführer von Zirkeln können auch
einen Wert von 2 besitzen)
Kräfte: Immunität gegen Offenbarungen, Beschwörungs-
und Bindungsrituale, Gesegnete Gegenstände
WILLIAM EMERSON
(Erster Präzeptor der Sternenfänger)
Wesen: Bonvivant
Attribute: Körperkraft 1, Geschick 2, Widerstandsfähigkeit
2, Charisma 4, Manipulation 4, Erscheinungsbild 2, Wahr-
nehmung 4, Intelligenz 4, Geistesschärfe 4
Fähigkeiten: Aufmerksamkeit 4, Ausdruck 3, Ausflüchte 3,
Ausweichen 3, Computer 2, Einschüchtern 4, Empathie 3,
Etikette 3, Finanzen 4, Führungsqualitäten 4, Magiegespür 5,
Nachforschungen 3, Okkultismus 5, Politik 2, Recherche 4,
Technologie 2
Hintergründe: Anhänger 3, Kontakte 2, Ressourcen 2
Willenskraft: 8
Glaubenspotential: 2
Kräfte: Immunität gegen Offenbarungen, Beschwörungs-
und Bindungsrituale
DIE DIENER DER
ERDGEBUNDENEN
Im Gegensatz zu den Gefallenen sind die Erdgebundenen
Dämonen, die der Hölle bereits vor Hunderten, zum Teil
sogar Tausenden, von Jahren entkommen konnten, um die
Menschen seitdem als finstere Götter und Götzen getarnt
heimzusuchen und zu quälen. Zwar wurden sie letzten Endes
durch den Aufstieg des Christentums und die Tatsache, daß
Wissenschaft und Vernunft den Glauben als Fundament der
Weltsicht der Sterblichen ersetzten, in eine Art Winterschlaf
gezwungen, doch das Erscheinen der Gefallenen hat sie aus
ihrer langen Starre erweckt, woraufhin sie augenblicklich
damit fortfuhren, ihr Ziel der vollkommenen Unterwerfung
der menschlichen Rasse weiter zu verfolgen.
Jeder der Erdgebundenen ist unvorstellbar viel mächtiger
als selbst der mächtigste Gefallene, da er über den Lauf gan-
zer Zeitalter hinweg seine Kräfte mehren und sich an die
stoffliche Welt gewöhnen konnte. Diese unbeschreibliche
Macht ist aber zugleich die größte Schwäche der Erdgebun-
355

denen. Ähnlich wie die Seelen jener Barone und Großfür-
sten, die noch im Abgrund gefangen sind, sind die Seelen
der Erdgebundenen zu mächtig, als daß der Körper eines
Sterblichen ihnen als Gefäß dienen könnte. Aus diesem
Grund sind sie vorerst dazu gezwungen, durch ihre Hand-
langer zu agieren: stetig wachsende Kulte von Anhängern,
die sich aus dekadenten und unzufriedenen Sterblichen
rekrutieren, sowie monströse Dämonen, die dem Erdge-
bundenen wissentlich (oder unwissentlich) einen Treueeid
geleistet haben und die Menschheit aus irgendwelchen
Gründen mit derselben Inbrunst hassen wie ihr jeweiliger
erdgebundener Herr selbst. Die Diener der Erdgebundenen
sind in nahezu jeder größeren Stadt der Welt zu finden, wo
sie die Gefallenen jagen und versklaven, wann immer sie sie
aufspüren können, oder schrecklichen Akten der Gewalt
frönen und Verderbnis und Verfall säen, um die kollektive
Seele der Menschheit weiter zu vergiften.
DER SCHLÄGER
Offizieller Polizeibericht, San Bernadino County
Vervielfältigung nur mit vorheriger Genehmigung
Inhalt: AUSSAGE VON GERARD „JERRY“ BROWN-
LOW ZU DER SCHIESSEREI IM „HELLBENDERS“-
MOTORRADCLUB.
(Anmerkung: Dem Zeugen wurde zum Zeitpunkt der Ver-
nehmung Erste Hilfe geleistet.)
Es muß so zwischen eins und halb zwei Uhr morgens gewesen
sein. Wir waren ungefähr zu zehnt und hingen im Clubhaus ab.
Sie wissen schon, wir haben Billard gespielt, ein bißchen was
getrunken – was man abends halt so macht.
Dann gab es diesen unglaublichen Krach und Leo Daschell fährt
mit seinem Bock mitten durch die beschissene Glasfront. Einfach
mitten durch. Überall fliegt Glas rum, und die Leute schreien.
Jedenfalls war es dieser Wichser Leo, dem wir letzte Woche
gesagt hatten, er solle sich gefälligst verpissen und bloß nicht so
blöd sein, noch mal wiederzukommen. Der Typ war nicht ganz
richtig im Kopf, wissen Sie? Hat grundlos versucht, Joe Jaffees
alter Dame die Scheiße aus dem Arsch zu prügeln. Also haben
wir ihm gesagt, daß er die Fliege machen soll.
Und dann taucht er doch wieder auf, und zwar einfach so mit
dem Hobel durch die Glasfront. In einer Hand eine Schrotflinte.
Als seine Mühle dann landet, fängt er auch schon gleich an, wie
wild um sich zu ballern. Er fährt durchs ganze Clubhaus – das
nur vier Zimmer hat und also nicht gerade sehr geräumig ist –
und pustet die Leute um.
Tja, wir gehen dann also alle in Deckung und schießen zu-
rück. Ich meine, das war doch Notwehr, richtig? Wir haben ein
Recht darauf, uns unserer Haut zu erwehren. Ich ging hinter
dem Colaautomaten in Deckung und zielte so gut es ging. Ich
bin ganz sicher, daß ich den Hurensohn erwischt habe. Ich habe
gesehen, daß auch andere ihn ein paarmal getroffen haben, doch
er kippte einfach nicht um.
Da muß doch wohl Kevlar im Spiel gewesen sein, oder? Der
Scheißer hat extra eine kugelsichere Weste angezogen. Ich glau-
be auch gesehen zu haben, wie ihn jemand am Kopf getroffen
hat, aber da muß ich mich wohl getäuscht haben.
Egal, wir schießen uns also auf den Mistkerl ein, nur merkt
der nichts davon und macht einfach seelenruhig weiter, einen
nach dem anderen mit seiner Schrotflinte wegzupusten. Irgend-
wann geht ihm die Munition aus – und was macht er dann?
356
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
Schmeißt die Schrotflinte weg, zieht ungelogen eine verfickte
Desert Eagle aus der Jacke und macht eiskalt weiter. Er trifft
mich in der Schulter, ich fliege auf die Schnauze und bleibe
sicherheitshalber liegen. Ich stelle mich tot, weil ich keinen Bock
habe, mir noch eine Kugel einzufangen.
Er hat keine zwei Minuten gebraucht, um uns alle auszu-
schalten. Dann zieht er Joe die Safeschlüssel aus der zerfetzten
Jacke, schließt auf und nimmt dieses merkwürdige Kästchen
heraus, das Joe aus Mexiko mitgebracht hat. Ich meine, was soll
der ganze Scheiß? Den ganzen Aufstand für ein beschissenes
Kästchen aus Silber?
Dann steigt er wieder auf seinen Bock und haut ab. Fünf
Minuten später seid ihr Typen dann aufgetaucht. Vielen Dank
für eure Hilfe übrigens.
Konzept: Schläger sind Sklaven mit einer simplen Aufgabe
– die Feinde der Erdgebundenen zu stellen und zu töten.
Dabei gehen sie weder subtil vor, noch arbeiten sie hinter
den Kulissen – sie werden eingesetzt, wenn ein Erdgebun-
dener seinem Gegner eine Kugel durch den Kopf jagen
oder einen Okkultisten, der sich in seine Belange einge-
mischt hat, mit einer Eisenstange zu Tode prügeln lassen
will. Schläger sind für gewöhnlich auch schon äußerst
gewalttätige, gefährliche Personen, bevor sie zu Sklaven
eines Erdgebundenen werden. Rekrutiert werden sie aus
den unterschiedlichsten Kreisen – sie können Ex-Soldaten,
Gangmitglieder, Neonazis oder korrupte Polizisten sein.
Pakt: Schläger hegen in fast allen Fällen aus berechtigten
oder vollkommen haltlosen Gründen einen brennenden
Haß oder zumindest einen ernstzunehmenden Groll gegen
eine bestimmte Person oder eine bestimmte Gruppe von
Personen. Als Gegenleistung für ihren Dienst verleihen
die Erdgebundenen ihnen die Macht, ihre Feinde zu töten.
Da dieser Dienst hauptsächlich den Einsatz von Gewalt
erfordert, den diese Sterblichen ohnehin als Lieblingsstra-
tegie zur Problemlösung bevorzugen, kommt es nur äußerst
selten vor, daß einer von ihnen dieses Angebot ablehnt.
Persönlichkeit: Geistig gesunde, normal in die Gesellschaft
eingegliederte Menschen schlagen nicht urplötzlich einen
Lebensweg ein, der sie zu extremen Gewalttaten zwingt.
Schläger hingegen fügen anderen Menschen in der Regel
gern Schmerzen zu und sehen sie als Schwächlinge oder see-
lenlose Spielzeuge, die leichte Beute für sie sind. Die meisten
Schläger tragen die Wesenszüge eines Fanatikers, Rauhbeins,
Rebellen, Süchtigen oder Überlebenskünstlers.
Attribute: Aus ersichtlichen Gründen legen die Schläger
meist gesteigerten Wert auf die körperlichen Attribute, was sie
im Kampf zu gefährlichen Gegnern macht. Trotz ihres Titels
sind Schläger nicht unbedingt dumm. Sie können hohe Werte
in den geistigen Attributen aufweisen, ziehen es jedoch immer
vor, ihre Probleme auf die harte Tour zu lösen.
Fähigkeiten: Die meist im Kampf zum Einsatz kommenden Fä-
higkeiten Ausweichen, Handgemenge, Nahkampf und Schuß-
waffen sind für Schläger natürlich am wichtigsten. Ebenfalls
nützlich sind alle Fähigkeiten, die ihnen beim Aufspüren eines
Ziels oder beim Beziehen der bestmöglichen Ausgangsposition
für den anschließenden Kampf helfen. Hierzu zählen Ein-
schüchtern, Fahren, Heimlichkeit und Sportlichkeit.
Hintergründe: Mentor (1 – 5), Verbündete (1 – 2)
Gaben: Die Erdgebundenen erhöhen normalerweise die
körperlichen Eigenschaften ihrer Schläger. Dies kann durch
KAPITEL ELF
eine so simple Veränderung wie das Verbessern der körper-
lichen Attribute geschehen oder so komplex ausfallen, wie
einen Sklaven mit besonderen Hilfsmitteln – zum Beispiel
Klauen oder gepanzerter Haut – auszustatten. Zwei beson-
ders nützliche Verbesserungen sind die Macht, mit bloßen
Händen tödlichen Schaden zu verursachen, sowie die Fä-
higkeit, diesen zu absorbieren. Schläger erhalten nur selten
komplexere dämonische Kräfte.
LEO DASCHELL
Wesen: Rauhbein
Attribute: Körperkraft 5, Geschick 3, Widerstandsfähigkeit
5, Charisma 2, Manipulation 2, Erscheinungsbild 2, Wahr-
nehmung 2, Intelligenz 2, Geistesschärfe 3
Fähigkeiten: Ausweichen 1, Einschüchtern 3, Fahren 3,
Handgemenge 4, Heimlichkeit 1, Nahkampf 1, Schuß-
waffen 3, Sportlichkeit 2, Szenekenntnis 2, Technologie 1,
Überleben 1
Hintergründe: Mentor 3, Verbündete 1
Gaben: Daschells Stärke und Widerstandsfähigkeit wur-
den verbessert. Wenn er einen Willenskraftpunkt einsetzt,
ist er in der Lage, tödlichen Schaden zu absorbieren. Die
Wirkungsdauer dieser Gabe entspricht seinem Wert in Wi-
derstandsfähigkeit in Runden. Zudem kann er einmal pro
Szene eine Stufe Schlagschaden oder tödlichen Schaden
heilen, wenn er sich zuvor eine Runde konzentriert und
einen Willenskraftwurf einsetzt.
DER IDEALIST
Liebe Mom,
es tut mir leid, daß ich Dir schon seit Monaten nicht ge-
schrieben habe. Hier ging alles DRUNTER UND DRÜBER.
Ich hatte so viele Seminare und mußte mich um so viele andere
wichtige Dinge kümmern, daß ich kaum Zeit für Zwischen-
menschliches hatte – und leider nicht einmal ein paar Minuten,
um Dir zu schreiben.
Du fragst Dich sicher, wie es mir geht. Nun, die schlechte
Nachricht ist, daß meine Noten besser sein könnten. Ich gebe
mir wirklich alle Mühe, aber es gibt einfach SO VIEL zu tun.
Ich hinke bei den Seminaren schon kräftig hinterher. Ich ver-
spreche Dir, daß es nach den Frühjahrsferien besser laufen wird.
Die gute Nachricht ist, daß ich in der Aktionsgruppe SEHR gut
vorankomme und wir eine Menge damit erreichen. Wir machen
mehr, als einfach nur zu protestieren und zu demonstrieren, wir
kümmern uns wirklich darum, etwas zu VERÄNDERN. Und
dafür habe ich allein DIR zu danken.
Viele der Studenten hier sind Globalisierungsgegner, doch
sie haben nicht viel Erfahrung mit organisiertem Widerstand.
Ich meine, es ist SUPER, daß sie sich engagieren wollen. Ver-
steh mich da bitte nicht falsch. Aber sie haben nicht fünfzehn
Jahre lang in einer Kommune gelebt. Ihnen fehlen einfach die
WURZELN in der Bewegung. Also haben einige von ihnen in
mir die perfekte Organisatorin und Koordinatorin gesehen, weil
Zivilcourage für mich ganz normal ist.
Doch Führungsqualitäten und Erfahrung allein reichen nicht
aus, um etwas zu bewegen. Wir haben uns getroffen und haben
Protestmärsche organisiert, aber das hat nichts gebracht. Die
Welthandelsorganisation und ihre Schergen scheren sich nicht
darum, was DIE MENSCHEN wollen. Sie stellen uns ihre Poli-
zeiaufgebote entgegen und entscheiden über unsere Köpfe hinweg,
wie unsere Zukunft aussehen soll. Das hat mich sehr frustriert.
Doch dann fingen diese TRÄUME an. Und das ist auch so
eine Sache, für die ich Dir danken muß. Du hast mir beige-
bracht, meine eigene Spiritualität zu akzeptieren und die hö-
heren Mächte anzurufen, die uns führen und umsorgen. Nun,
diese Träume ... kamen von einem Geist, einer irgendwie gear-
teten Macht. Es war eine Wesenheit des Lichts, die die Völker
der Erde beschützen will.
Den ganzen letzten Monat hindurch habe ich viel meditiert
und mit der Wohltäterin (so nenne ich die Macht, die mich
berührt hat) kommuniziert. Das erste, was Sie für uns getan
hat, war, uns Glück zu bringen: Wir bekamen Fördermittel vom
College bewilligt. Ich hatte vorher schon WIRKLICH hartnäk-
kig versucht, Fördergelder zu kriegen, weshalb Du mir glauben
kannst, daß die Art und Weise, wie wir jetzt plötzlich daran
gekommen sind, ein echtes WUNDER ist. Die Wohltäterin hat
mir auch gezeigt, an wen ich mich wenden mußte, um kostenlos
(oder so gut wie kostenlos) an solche Dinge wie Lieferwagen,
Ausrüstung und medizinische Versorgungsgüter zu kommen.
Aber die wohl AUFREGENDSTE Sache ist, daß Sie mir
gezeigt hat, wie ich unsere Gegner ausspionieren und ihre Pläne
in Erfahrung bringen kann! Mom, Du wirst es nicht glauben.
Ich bin in ihre Zentralen hineinspaziert, in Banken und Regie-
rungsgebäude, und kein Mensch hat mich gesehen!
Die Dinge, die ich dort erfahren habe ... Mom, es ist so
SCHRECKLICH! Für ihre Profite machen sie vor NICHTS
Halt. Und ich beginne zu realisieren, wie weit wir gehen müs-
sen, um etwas zu bewirken und diese Welt zu verändern.
Ich werde während der Ferien für eine Weile abtauchen. Ich
muß andere Organisatoren treffen, damit wir unsere Informa-
tionen abgleichen und austauschen können. Dank der Unter-
stützung meiner Wohltäterin werde ich herauskriegen, wie ich
diese BASTARDE zur Strecke bringen kann, ganz egal, wie
viele Wasserwerfer und Präsidenten auf ihrer Seite stehen.
Wenn alles gutgeht, werde ich wieder genug Zeit haben, um
mich auf mein Studium zu konzentrieren. Wenn nicht, dann
verbrenn unbedingt diesen Brief. Und sag NIEMANDEM, daß
Du von mir gehört hast.
Ich muß jetzt los und die Welt retten. Ich liebe Dich.
Cloud
Konzept: Nicht jeder Sklave gerät auf der Suche nach
Macht und Ruhm an die Erdgebundenen. Einige haben
altruistischere Motive; andere stolpern per Zufall über das
Geheimnis um die Existenz von Dämonen. Idealisten ha-
ben nur wenige oder keine Verbindungen zum Okkulten,
kaum einen Hang zur Gewalt und keinen Zugang zu den
Schaltzentralen der Macht. Es sind normale Menschen, die
auf einen Veteranen des Kriegs des Zorns treffen und dem
Irrglauben erliegen, dessen Macht einsetzen zu können, um
Gutes zu tun. Typische Idealisten findet man unter politisch
aktiven Studenten, Moralaposteln, Künstlern oder prinzi-
pientreuen Polizisten.
Pakt: Ein Idealist strebt nicht nach der Macht eines Erdge-
bundenen, um diese für sich zu nutzen. Viel eher versucht
er, anderen zu helfen oder eine bestimmte Situation zu
bereinigen, die er aus moralischen Gründen als Problem
sieht. Der Erdgebundene bietet ihm dann Mittel und Wege,
um ihn in seinem Kampf für „das Gute“ zu unterstützen,
während er tatsächlich die ganze Zeit über daran arbeitet,
den Idealisten zu korrumpieren und für seine eigenen, un-
357

aussprechlichen Zwecke zu mißbrauchen.
Persönlichkeit: Im Gegensatz zu anderen Sklaven sind Idea-
listen in der Regel ganz normale und ausgeglichene Leute.
Ihre Schwäche liegt für gewöhnlich in ihren starken Gefüh-
len, die sie für eine bestimmte Sache hegen, was sie letztlich
dazu bringt, das Hilfsangebot eines Erdgebundenen anzuneh-
men. Im allgemeinen tragen Idealisten die Wesenszüge eines
Architekten, Bonvivants, Büßers, Rebellen oder Visionärs.
Attribute: Idealisten sind in jeder Gesellschaftsschicht zu
finden, weshalb auch ihre Attribute sehr unterschiedlich
ausgeprägt sein können. Die meisten jedoch sind in irgen-
deiner Art und Weise als Aktivisten tätig und haben hohe
Werte in den gesellschaftlichen Attributen, da diese ihrer
Sache besonders dienlich sind.
Fähigkeiten: Auch hier sind Verallgemeinerungen nur sehr
schwer zu treffen. Die meisten legen allerdings gesteigerten
Wert auf Fähigkeiten wie Ausdruck, Empathie, Etikette,
Führungsqualitäten, Politik oder Vortrag. Diese sozialen
Kompetenzen sind es auch, die sie in den Augen von erd-
gebundenen Dämonen zu vielversprechenden Sklaven ma-
chen. Sie finden oft einen guten Draht zu anderen Men-
schen, ohne dabei falsch oder machthungrig zu wirken.
Hintergründe: Kontakte (1-2), Mentor (1-5), Ressourcen (1-3)
Gaben: Idealisten wollen zumeist Hilfe für ihre Sache und
genau das ist es, was die Erdgebundenen ihnen bieten.
Diese Hilfe kann so einfache Formen annehmen wie zu-
sätzliche Ressourcen, Anhänger oder eine andere Form
materieller Unterstützung. Die Erdgebundenen können
ihnen aber auch eher immaterielle Gaben verleihen, wie
zum Beispiel verbesserte Attribute oder dämonische Kräfte.
Es ist dagegen recht unwahrscheinlich, daß die Erdgebun-
denen an einem Idealisten allzu groteske körperliche Ver-
wandlungen vornehmen.
CLOUD BRANNIGAN
Wesen: Visionär
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 3, Widerstandsfähigkeit
2, Charisma 5, Manipulation 3, Erscheinungsbild 3, Wahr-
nehmung 3, Intelligenz 3, Geistesschärfe 3
Fähigkeiten: Akademisches Wissen 2, Ausdruck 2, Com-
puter 3, Empathie 4, Heimlichkeit 3, Intuition 2, Nachfor-
schungen 2, Politik 3, Recherche 2, Schußwaffen 1, Sicher-
heit 3, Sportlichkeit 2, Technologie 2
Hintergründe: Mentor 3, Ressourcen 1, Verbündete 2
Willenskraft: 5
Gaben: Clouds Charisma wurde von ihrer „Wohltäterin“
erhöht. Indem sie einen Willenskraftpunkt opfert, kann
sie sich für jeden Erfolg, den sie bei einem Wurf auf Mani-
pulation + Heimlichkeit (Schwierigkeit 6) erzielt, für fünf
Minuten lang unsichtbar machen. Außerdem ist sie in der
Lage, nach Aufwendung eines Willenskraftpunkts für eine
Szene in vollkommener Dunkelheit zu sehen.
DER OKKULTIST
Es war nicht das erste Mal, daß Pater Sean Riordan über
seine Verdammnis nachdachte.
Einst hatte ihn diese Tatsache noch ernsthaft bekümmert,
doch mittlerweile war sie nichts weiter als ein verwirrender Ne-
bengedanke, der ab und an als kleine Ablenkung kurz in seinem
Verstand aufblitzte. Es gab Wichtigeres, um das er sich im Au-
358
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
genblick Sorgen machen mußte – zum Beispiel wie er das Liber
Malictorium aus der Bibliothek schmuggeln konnte. Zu der Zeit,
als das Buch geschrieben worden war, wäre dieses Vorhaben um
einiges leichter gewesen. Er hätte das Buch einfach unter seine
Soutane gesteckt und wäre aus der Tür hinausspaziert.
Bedauerlicherweise war das Finstere Mittelalter schon lange
vorbei, und die Bibliothek im Seminar von Notre-Dame verfügte
über ein hervorragendes Sicherheitssystem. Es gab Magnetsensoren,
computergestützte Datenerfassung und Videokameras. Zudem trug
er nur einen Kapuzenpulli und keine Soutane. Selbst so spät in der
Nacht, wo sich höchstens drei Personen im gesamten Gebäude
aufhielten, würde der Diebstahl keine leichte Sache werden.
Riordan stand vor dem Bücherregal und dachte nach. Das Ma-
lictorium war Teil der unter Verschluß gehaltenen Werke, und es
hatte ihn einfach zuviel Zeit und Mühe gekostet, Zutritt zu diesem
Bereich zu erhalten, um jetzt einfach so aufzugeben. Er mußte das
Buch irgendwie nach draußen schaffen – und wenn das bedeute-
te, daß er zu extremen Mitteln greifen mußte, dann würde er das
eben tun. Er lenkte die Aufmerksamkeit des Nachtwächters auf
sich und winkte den Mann zu sich herüber.
Ein paar Minuten später hallte ein Schuß durch die Bibliothek.
Kurz darauf stürmte das restliche Wachpersonal die Stufen in das
obere Stockwerk hinauf. Riordan versteckte sich in den Schatten
und wartete ab, bis die Wachen an ihm vorbeigelaufen waren. Er
wußte, was sie vorfinden würden: den Nachtwächter, der sich
selbst in den Kopf geschossen hatte, um die grausamen, gebieteri-
schen Stimmen in seinem Schädel zum Schweigen zu bringen, die
ihm Riordan eingeflüstert hatte. Pater Sean zog die Kapuze seines
Pullis über den Kopf und rannte in Richtung Ausgang. Er mach-
te einen Satz über die niedrige Absperrung am Eingangstresen
hinweg, um die Metalldetektoren zu umgehen. Noch ein kurzer
Sprint, und er war aus dem Gebäude heraus.
Es war nicht das erste Mal, daß Pater Sean Riordan seine
Verdammnis reflektierte. Doch als er sich das Buch mit dem blas-
phemischen Inhalt ansah, nach dem sein Herr verlangte, und er
kurz darüber nachdachte, welch schreckliche Enthüllungen und
Weisheiten in diesem dämonologischen Werk auf ihn warteten,
beschloß er, daß ihm seine Verdammnis am Arsch vorbeiging.
Zumindest solange die Verdammnis ihm weiterhin den Weg zu
wahrer Macht eröffnete.
Konzept: Menschen, denen sich okkulte Geheimnisse
offenbaren, werden oft von dem Verlangen angetrieben,
noch mehr über das Unbekannte zu lernen, wobei sie nur
selten einen Gedanken an die damit einhergehenden Kon-
sequenzen verschwenden. Okkultisten besitzen meist ein
schon recht umfangreiches Wissen über Mystizismus und
die verborgenen Geheimnisse der Menschheitsgeschichte,
ehe sie den Verlockungen der Erdgebundenen erliegen.
Okkultisten finden sich unter New-Age-Jüngern, Priestern,
Historikern oder allzu neugierigen Personen, die gerne ein-
mal in Sachen Schwarze Magie experimentieren wollen.
Pakt: Okkultisten dürstet es nach verbotenem Wissen, da sie
glauben, es würde sie über andere Menschen erhöhen. Die
Erdgebundenen stellen für viele Okkultisten den ultimativen
Schatz dar, den sie auf ihrer Suche je hätten finden können.
Allein das bloße Versprechen, weiteres Wissen und mysti-
sche Kräfte zu erhalten, reicht bei den Okkultisten schon
aus, um sie einen Pakt mit dem Dämon eingehen zu lassen.
Persönlichkeit: Für die meisten Okkultisten ist das Wissen
um ein Geheimnis von größerer Bedeutung als seine tat-
KAPITEL ELF
sächliche Anwendung. In ihnen verbindet sich häufig der
Intellekt eines Gelehrten mit der unersättlichen Gier eines
Diebes. Persönlichkeitsarchetypen wie Direktor, Griesgram,
Pädagoge, Traditionalist und Visionär sind unter ihnen
besonders häufig.
Attribute: Aus einleuchtenden Gründen sind die geistigen
Attribute bei Okkultisten besonders stark ausgeprägt (vor
allem Intelligenz). Diejenigen, die ihr Wissen zur Beeinflus-
sung anderer einsetzen – wie etwa ein Mystiker, der sich
mit einer ganzen Entourage von Schülern umgibt –, weisen
zumeist hohe Werte in Manipulation oder Charisma auf.
Fähigkeiten: Okkultisten richten ihr Hauptaugenmerk auf
Kenntnisse, vor allem auf Okkultismus und Recherche, aber
auch auf Akademisches Wissen, Computer, Nachforschun-
gen und Linguistik. Je nachdem, wie sich ein Okkultist sein
verbotenes Wissen anzueignen pflegt, kann er auch noch
über hohe Werte in Ausflüchte, Intuition, Magiegespür,
Sicherheit und Szenekenntnis verfügen.
Hintergründe: Anhänger (1-3), Kontakte (1-3), Mentor
(1-5), Ressourcen (1-3)
Gaben: Die Erdgebundenen gewähren Okkultisten meist
Gaben, die es ihnen erleichtern, Geheimnisse in Erfahrung
zu bringen. Gesteigerte geistige und gesellschaftliche Attribu-
te sowie das Gewähren dämonischer Kräfte stellen nur einen
kleinen Teil der Möglichkeiten dar. Erdgebundene können
Okkultisten Beschwörungs- und Bindungsrituale lehren oder
ihnen gar die Wahren Namen ihrer Feinde verraten.
PATER SEAN RIORDAN
Wesen: Traditionalist
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 2, Widerstandsfähigkeit
2, Charisma 3, Manipulation 4, Erscheinungsbild 2, Wahr-
nehmung 3, Intelligenz 4, Geistesschärfe 5
Fähigkeiten: Akademisches Wissen 2, Ausdruck 1, Aus-
flüchte 2, Empathie 2, Gesetzeskenntnis 2, Heimlichkeit
1, Intuition 3, Magiegespür 3, Medizin 2, Okkultismus 4,
Recherche 4
Hintergründe: Anhänger 2, Kontakte 1, Ressourcen 1
Willenskraft: 7
Gaben: Riordans infernalischer Herr hat seine Werte in
Manipulation und Geistesschärfe verbessert. Riordan be-
herrscht eingeschränkte Versionen der Beschwörungsfor-
men Licht des Glaubens und Aufspüren der Gläubigen für
hohe Qualwerte, die er durch die Aufwendung je eines
Willenskraftpunkts einsetzen kann. Ihm ist der Grundauf-
bau von Bindungsritualen bekannt und er kann versuchen,
sie auf jeden beliebigen Dämon anzupassen.
DER MACHTHUNGRIGE
Stadtrat Menendes zieht Kandidatur zurück
Stadträtin Sandler zeigt Mitgefühl für ihren Konkur-
renten
In einer heute verlautbarten Erklärung teilte Stadtrat Her-
man Menendes mit, daß er seine Kandidatur für das Amt des
Oberbürgermeisters von Chicago zurückziehen werde. Als
Gründe für diese Entscheidung nannte er Überarbeitung und
den Wunsch, sich mehr um seine Familie kümmern zu wollen.
Er kündigte an, sich bis auf weiteres verstärkt auf lokaler Ebene
zu engagieren, anstatt sich Belangen anzunehmen, die die ganze
Stadt betreffen.
Kurz nach Menendes’ Erklärung brachte Stadträtin Irene
Sandler auf einer eigenen Pressekonferenz ihr Bedauern über
den Verzicht ihres Konkurrenten zum Ausdruck und äußerte
Verständnis für dessen Entscheidung. Sie wünschte ihm alles
Gute für seine zukünftigen Vorhaben und bedauerte, daß er
nicht mehr an der für nächste Woche anberaumten Debatte
teilnehmen wird.
Dieses Verhalten steht im krassen Widerspruch zu den teils
heftigen Meinungsverschiedenheiten der beiden Stadträte in
den letzten Wochen. So hatte Menendes beispielsweise Vor-
würfe erhoben, wonach es bei Sandlers Kampagne Hinweise
auf gewisse finanzielle Unregelmäßigkeiten und Stimmenkäufe
gegeben haben soll. Menendes sah sich gezwungen, diese Vor-
würfe zurückzunehmen und sich bei seiner Konkurrentin zu
entschuldigen, nachdem er die versprochenen Beweise für seine
Verdächtigungen schuldig geblieben war.
Nach dem Ausscheiden von Stadtrat Menendes und dem töd-
lichen Autounfall des parteilosen Kandidaten Geoff Skellam im
letzten Monat, stehen den Wählern nur noch drei Kandidaten
für das Amt des Oberbürgermeisters zur Auswahl. Stadträtin
Sandler gilt derzeit als aussichtsreichste Kandidatin und hat
gute Chancen, die Wahl mit einer knappen Mehrheit für sich
zu entscheiden.
Stadtrat Menendes wollte keine weiteren Angaben über die
näheren Beweggründe für seinen Verzicht auf eine Kandidatur
machen. Es wird davon ausgegangen, daß er die nächsten Wo-
chen gemeinsam mit seiner Familie im Urlaub verbringt, ehe er
nach dem Wahltermin seine Amtsgeschäfte wieder aufnimmt.
Konzept: Diese Sklaven besaßen schon vor ihrer Begegnung
mit ihrem dämonischen Meister einen unstillbaren Hunger
nach Macht und Einfluß. Die erfolgreicheren unter ihnen
hatten zwar schon zuvor Macht und Einfluß angehäuft, was
ihre Gier aber keineswegs zu befriedigen vermochte. Andere
bringen nichts mit, als den sehnlichen Wunsch, wichtig zu
sein und im Mittelpunkt zu stehen, wenn sie dem Erdgebun-
denen zum ersten Mal begegnen. Machthungrige Sklaven
rekrutieren sich aus den Reihen von Geschäftsleuten, Stadt-
räten, Medienmogulen und Bürokraten.
Pakt: Macht, Reichtum, Prestige, Ruhm – das sind die
Dinge, die einem machthungrigen Sklaven eines Erdge-
bundenen wichtiger sind als alles andere auf der Welt. Die
Erdgebundenen verleihen ihren Sklaven nur allzugerne
Macht, sofern die Sklaven ihre neugewonnenen Vorzüge
auch dazu einsetzen, die Macht und den Einfluß ihres Mei-
sters zu mehren.
Persönlichkeit: Machthungrige Menschen sind Kontroll-
freaks und geborene Anführer, die versuchen, ihr eigenes
Imperium aufzubauen. Daher tragen sie auch in den mei-
sten Fällen die Wesenszüge eines Architekten, Autokraten,
Direktoren, Perfektionisten oder Schmarotzers.
Attribute: Die Machthungrigen legen gesteigerten Wert
auf gesellschaftliche Attribute, da diese ihnen die Mög-
lichkeit geben, andere zu befehligen und zu benutzen. Viele
von ihnen besitzen zudem auch recht hohe Werte in den
geistigen Attributen (vor allem in Geistesschärfe).
Fähigkeiten: Machthungrige Sklaven sind gesellschaftliche Cha-
mäleons, die sehr geübt darin sind, andere Menschen zu kontrol-
lieren oder anderweitig mit ihnen zu interagieren, um ihre Ziele
durchzusetzen. Sie besitzen daher oft hohe Werte in Ausflüchte,
Etikette, Finanzen, Führungsqualitäten und Politik.
359

Hintergründe: Einfluß (1-3), Kontakte (1-3), Mentor (1-
5), Ressourcen (1-4)
Gaben: Um Macht zu gewinnen, braucht man Macht. Daher
sind die besten Gaben, die ein machthungriger Diener der
Erdgebundenen erhalten kann, weltlicher und materieller
Natur – Geld, sonstige Ressourcen, Anhänger, Kontakte und
so weiter. Eine weitere nützliche Gabe ist die Verbesserung
der gesellschaftlichen Attribute eines Sklaven oder sogar die
übernatürliche Fähigkeit, den Verstand anderer zu beeinflus-
sen. Machthungrige Sklaven erhalten nur selten Gaben, die
ihre körperliche Leistungsfähigkeit steigern.
STADTRÄTIN IRENE SANDLER
Wesen: Autokrat
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 2, Widerstandsfähigkeit
2, Charisma 5, Manipulation 5, Erscheinungsbild 3, Wahr-
nehmung 2, Intelligenz 4, Geistesschärfe 4
Fähigkeiten: Aufmerksamkeit 2, Ausflüchte 4, Empathie 2,
Etikette 3, Finanzen 1, Führungsqualitäten 4, Politik 4
Hintergründe: Einfluß 2, Kontakte 3, Mentor 3, Ressourcen 3
Willenskraft: 8
Gaben: Sandlers Meister hat ihre Manipulation und ihr
Charisma erhöht. Zusätzlich beherrscht sie die Version der
Beschwörung Gefühle lesen für hohe Qualwerte. Mehrere
ihrer Mitarbeiter sind ebenfalls Sklaven, und bei zweien
von ihnen handelt es sich um gefährliche Schläger.
DER ZERSTÖRER
„Finnegan“, nörgelte Rochelle, „es ist schon kurz vor eins.
Ich will los.“
„Geduld, meine Blume“, antwortete Finnegan aus dem
Schlafzimmer. „Ich muß mir nur noch mein fröhliches Gesicht
aufsetzen. Du willst doch sicher nicht, daß ich mit meinem
angepißten Gesicht losgehe, oder?“
„Ich will einfach nur los“, quengelte sie. „Die Pillen fangen an
zu wirken, und ich will endlich tanzen.“
„Schon gut, Liebes, schon gut. Gib mir nur noch eine Se-
kunde.“ Finnegan rückte seine Jacke vor dem Spiegel zurecht
und rieb sich ein wenig Koks ins Zahnfleisch. Ich sehe wirklich
verdammt gut aus, dachte er. Wenn nur endlich diese Schlampe
360
DÄMONEN: DIE GEFALLENEN
die Schnauze halten würde. Er bückte sich, griff unter das Bett
und zog einen Plastikkanister mit Benzin hervor. Ich muß heute
nacht mal unbedingt ein bißchen Streßabbau betreiben, dachte
er. Dann verstaute er den Kanister in seiner großen Phototasche
und zog den Reißverschluß zu.
„Du willst doch wohl nicht etwa noch Photos machen, oder?
Wir sind doch mit den Aufnahmen durch.“
„Klar, Süße, heute nacht mußt du nicht mehr posieren. Aber
als guter Photograph muß ich meine Kamera eben immer dabei
haben. Das verstehst du doch? Und jetzt bedanke dich mal bei
Finnegan für den wundervollen Trip.“
„Danke“, sagte sie schmollend.
„Na, das wollen wir mal als angemessenes Dankeschön
durchgehen lassen. Los, laß uns gehen.“
* * *
Die Londoner Feuerwehr brauchte drei Stunden, um den
Brand zu löschen. Finnegan beobachtete die Löscharbeiten vom
Fenster des Nachtclubs aus, während er seinen restlichen Ec-
stasy-Vorrat vercheckte. Der Club langweilte ihn, und Rochelle
langweilte ihn auch. Hier gab es nur wieder überall diese dum-
men, hirnamputierten Modeaffen, die nichts anderes interessier-
te als Markennamen und die aktuellen Preise für Koks.
Feuer dagegen war etwas vollkommen anderes. Feuer war fas-
zinierend, Feuer war verlockend. Feuer besaß eine ganz eigene
Schönheit, der keines der Models, die er photographierte, auch nur
annähernd gleichkam. Nichts lenkte ihn so sehr vom Streß einer
arbeitsreichen Woche und den wimmelnden Menschenmassen Lon-
dons ab, wie ein Feuer zu legen und den Flammen zuzusehen.
Hier ist es einfach zu laut. Ich brauche frische Luft. Ich muß
das Feuer riechen. Finnegan stand auf und ging die Treppen hin-
unter auf die Straße. Er kaufte sich einen Kaffee und stellte sich
zu den Feuerwehrleuten, die noch immer vor den rauchenden
Trümmern des leerstehenden Hotels standen.
Irgendwann werde ich irgendein Gebäude anzünden, das noch
bewohnt wird. Wenn das nicht mal eine echte Tragödie gibt.
Dort stand er nun, trank Kaffee und träumte von einem
Flammenmeer, als das Feuer plötzlich zu ihm sprach. Es flü-
sterte ihm etwas zu, wisperte Worte in seinem Verstand. Und
nachdem das Feuer ihm ein Angebot unterbreitet hatte, das er
einfach nicht ausschlagen konnte, mußte Finnegan grinsen.
Er freute sich schon auf das Shooting für die Vogue, das mor-
gen für ihn anstehen würde.
Konzept: Zerstörer sind bei weitem gefährlicher als Schlä-
ger, obwohl sie nicht deren Hang zu körperlicher Gewalt
teilen. Oftmals handelt es sich bei ihnen um Soziopathen,
deren Lust nach blasphemischen Taten und Verstößen ge-
gen gesellschaftliche Normen sie Laufbahnen einschlagen
läßt, in denen sie anderen Schmerz und Kummer bereiten
können. Zerstörer rekrutieren sich aus den Reihen von
Drogendealern, Brandstiftern, Spionen oder Terroristen.
Pakt: Die Erdgebundenen suchen unentwegt nach Hand-
langern, die Unglück und Zerstörung verbreiten, während
es einen Zerstörer nach der Macht verlangt, wahre Greu-
eltaten begehen zu können – Dämon und Sterblicher sind
in diesem Fall wie füreinander gemacht. Häufig muß ein
Erdgebundener nicht mehr tun, als einem Zerstörer ein
bißchen Macht zu verleihen, bevor er sich zurücklehnen
und dabei zuschauen kann, wie der Sklave aus eigenem
Antrieb heraus soviel Leid über die Menschen bringt, wie
es sich sein Meister nur wünschen könnte.
KAPITEL ELF
Persönlichkeit: Zerstörer sind in der Regel echte Bastarde.
Sie sind die Art Geisteskranker, die Hunde in der Nachbar-
schaft vergiften, nur weil deren Gebell ihnen auf den Geist
geht. Typische Zerstörer tragen die Wesenszüge eines Fanati-
kers, Griesgrams, Rauhbeins, Schmarotzers oder Schurken.
Attribute: Während Schläger Wert auf körperliche Attri-
bute legen, setzen die Zerstörer auf geistige Attribute. Sie
weisen allerdings auch hohe Werte in den gesellschaftli-
chen Eigenschaften auf (insbesondere bei Manipulation).
Fähigkeiten: Zerstörer konzentrieren sich weniger auf di-
rekte Kampffähigkeiten, sondern eher auf Wissen, mit dem
man in kürzester Zeit größtmöglichen Schaden anrichten
kann. Sie weisen oft hohe Werte in Ausflüchte, Sicherheit,
Sprengstoffe und Technologie auf.
Hintergründe: Kontakte (1-2), Mentor (1-5), Ressourcen (1-2)
Gaben: Zerstörer sind ständig auf der Suche nach besseren
Mitteln und Wegen, um noch mehr Schaden anrichten zu
können. Das bedeutet, daß ihnen häufig gesteigerte geistige
oder körperliche Attribute, Immunität gegen Feuer oder
verbesserte Schadensresistenz zuteil werden. Andererseits
sind auch solche Kräfte nichts Ungewöhnliches, die es ihnen
erlauben, leichter an bestimmte Anschlagsorte zu gelangen
– wie etwa Unsichtbarkeit oder Gedankenkontrolle. Außer-
dem kommt es oft vor, daß Zerstörer körperliche Verbesse-
rungen erhalten, da sie in vielen Fällen bei ihren Anschlägen
mit bewaffnetem Widerstand rechnen müssen.
KELLY FINNEGAN
Wesen: Schmarotzer
Attribute: Körperkraft 2, Geschick 3, Widerstandsfähigkeit
4, Charisma 3, Manipulation 4, Erscheinungsbild 3, Wahr-
nehmung 2, Intelligenz 3, Geistesschärfe 4
Fähigkeiten: Ausdruck 3, Ausflüchte 3, Computer 1, Fahren
2, Handgemenge 2, Heimlichkeit 2, Magiegespür 2, Nah-
kampf 1, Sportlichkeit 2, Sprengsätze 3, Szenekenntnis 3,
Technologie 1
Hintergründe: Kontakte 1, Mentor 3, Ressourcen 2
Willenskraft: 7
Gaben: Finnegans Widerstandsfähigkeit und Geistesschärfe
wurden von seinem Meister verbessert. Wenn er einen Wil-
lenskraftpunkt einsetzt, ist er in der Lage, mit seiner Wider-
standsfähigkeit Schaden zu absorbieren, der durch Feuer ver-
ursacht wird. Zusätzlich beherrscht er eine begrenzte Version
der Beschwörung Anfachen für hohe Qualwerte.
MEUTEN
Für die Erdgebundenen ist der plötzliche Einfall neuer
Dämonen in die Welt der Sterblichen Fluch und Segen zu-
gleich. Diese infernalischen Neuankömmlinge scheinen dazu
verdammt zu sein, allerorten ihre Pläne zu behindern und zu
durchkreuzen, die sie über Jahrhunderte hinweg geschmiedet
und verfolgt haben. Das ist etwas, was die Erdgebundenen
selbstverständlich nicht tolerieren können. In einer Welt,
die viel von ihrem ursprünglichen Glauben verloren hat,
sind die Gefallenen zugleich jedoch noch wesentlich mehr
als nur einfache Hindernisse, die beseitigt werden müssen.
Sie sind Quellen kostbarer Energie, Quellen, die es für die
Erdgebundenen auszubeuten gilt, um ihr eigenes Überleben
zu sichern und weiter an Macht zu gewinnen.
Die Entsendung eines einzelnen Sklaven stellt allerdings eine
Verschwendung von Ressourcen dar. Kein Sklave, ganz gleich,
welche dämonischen Gaben ihm auch zuteil wurden, kann sich
mit der Macht eines Gefallenen messen. Also muß eine ganze
Meute entsendet werden – eine Gruppe von Sklaven, um einen
Gefallenen möglichst effizient zur Strecke bringen zu können.
Die Vorgehensweise einer solchen Meute hängt vom
jeweiligen Erdgebundenen und der Zusammenstellung der
Sklaven ab, aus denen die Gruppe von Dämonenjägern
besteht. Die folgenden Angaben sollen als Richtlinien für
Erzähler bei der Erschaffung eigener Meuten dienen, die
genau auf eine individuelle Chronik zugeschnitten sind.
Wenn Sie als Erzähler eine Meute zusammenstellen, soll-
ten Sie sich die folgenden Fragen stellen:
Welchen Zweck soll die Meute erfüllen? Bei Meuten handelt
es sich im Grunde normalerweise entweder um Killer (die
eine Bedrohung für ihren erdgebundenen Meister schnell
und endgültig beseitigen sollen) oder um Entführer (die
einen Gefallenen einfangen, damit dieser ihrem Meister als
Glaubensquelle dienen kann).
Wie geht die Meute bei ihrem Auftrag vor? Subtil agierende
Meuten verwenden viel Zeit und Energie darauf, ihre Beute
zunächst einmal insgeheim auszukundschaften, um nach dem
Zugriff möglichst wenig Hinweise auf ihre eigene Identität zu-
rückzulassen. Aggressiver operierende Meuten sind eher dafür
bekannt, Überraschungsangriffe ohne jegliche Rücksicht auf
Verluste oder Kollateralschäden zu starten, wobei sie erst nach
erfolgreichem Abschluß ihrer Unternehmung alle Beweise
und etwaigen Zeugen verschwinden lassen.
Welche Ausrüstung wird von dem Team eingesetzt? Verläßt sich
die Meute bei ihrer Arbeit eher auf okkulte Hilfsmittel wie
etwa Rituale und Artefakte? Oder setzt sie mehr auf schwere
Waffen und High-Tech-Ausrüstung? Ziehen ihre Mitglieder
es vor, als Strippenzieher hinter den Kulissen zu operieren
und andere sterbliche Handlanger wie beispielsweise die
Polizei ihre schmutzige Arbeit verrichten zu lassen?
Aus wie vielen Mitgliedern besteht die Meute? Eine kleine
Gruppe muß sehr vorsichtig sein und ihre begrenzten Res-
sourcen mit Bedacht einsetzen. Eine große Gruppe kann
dagegen größere Risiken auf sich nehmen und ist in der
Lage, den Tod einiger Mitglieder zu verschmerzen.
Die Erzählercharaktere einer Meute fallen normalerweise
in eine von vier Kategorien:
Denker: Diese Personen planen Angriffe, organisieren und
koordinieren die Aktionen anderer Sklaven und sorgen
dafür, daß der Zugriff reibungslos abläuft.
Kämpfer: Dies sind die Sklaven, die direkt gegen die Dä-
monen vorgehen – sei es mit Schußwaffen, Bomben oder
übernatürlichen Kräften.
Redner: Da Meuten im verborgenen agieren, brauchen sie
Mitglieder, die die Polizei und anderen Behörden der Sterb-
lichen hinters Licht führen, Anwohner bezirzen und allge-
mein den Weg für die restliche Gruppe ebnen können.
Unterstützer: Fahrer, Sanitäter, Okkultisten mit Bindungsritu-
alen – jeder Sklave, der bei einer Aktion dem Rest der Meute
Hilfestellung leistet, zählt dieser Kategorie.
Ein „typisches“ Killerkommando besteht hauptsächlich aus
Kämpfern, die von einem Denker angeführt werden und Hilfe
von einigen Unterstützern erhalten. Zu einer Entführerbande
hingegen wird eher nur ein Kämpfer gehören, da sie sich mehr
auf die Fähigkeiten der Redner und Unterstützer verläßt.
361
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

INDEX
Überlebenskünstler 163
A Visionär 163
Absorbieren 287 Wettkämpfer 163
Apokalyptische Gestalten 204 Arteigene Kräfte 206
der Erde 242 Immunität
der Erweckung 212 gegen Gedankenkontrolle 206
der Esse 247 gegen Besessenheit 206
des Firmaments 215 Anrufungen 206
der Flammen 237 Resistenz gegen Illusionen 206
des Fleisches 261 Übernatürliche Wahrnehmung 207
der Geister 229 Attribute 163
des Glanzes 239 Geistige 167
der Himmlischen 234 Geistesschärfe 168
des Jenseits 232 Intelligenz 167
des Lichts 254 Wahrnehmung 167
der Portale 252 Gesellschaftliche 165
des Sehnens 219 Charisma 165
der Struktur 250 Erscheinungsbild 166
des Sturms 222 Manipulation 166
des Tiers 256 Körperliche 164
des Todes 226 Geschick 164
der Verwandlung 224 Körperkraft 164
der Wege 244 Widerstandsfähigkeit 165
der Wildnis 259
des Windes
Archetypen
217
158
B
Abweichler 159 Beschwören und Binden 309
Architekt 159 Bewegung 279
Autokrat 159
Bonvivant
Direktor
159
159
C
Einzelgänger 160 Charaktererschaffung 146
Fanatiker 160 Tabelle147
Gigolo 160
Griesgram
Helfer
160
160
E
Kind 160 Eigenschaften 144
Konformist 160 Werte 266
Märtyrer 161 Endgültige Vernichtung 312, 314
Masochist 161 Erfahrung 198
Monster 161 Erfahrungspunktekosten 198
Pädagoge 161 Erfolg 267
Perfektionist 161 Automatischer Erfolg 268
Rauhbein 161 Erfolgsgrad 268
Rebell 161 Erzählen 322
Richter 161 Extreme Temperaturen 315
Schmarotzer 162
Schurke
Sensationsjunkie
162
162
F
Spieler 162 Fähigkeiten 168
Süchtiger 162 Fertigkeiten 173
Sünder 162 Etikette 173
Traditionalist 162 Fahren 174
Trickser 163 Handwerk 174

362
INDEX

Heimlichkeit 175 des Glanzes 237

Nahkampf 175 des Jenseits 229
Schußwaffen 175 des Lichts 252
Sicherheit 176 des Sehnens 217
Sprengstoffe 176 des Sturms 220
Technologie 177 des Tiers 255
Tierkunde 177 des Todes 224
Überleben 177 des Windes 215
Vortrag 178 Geistesstörungen 315
Kenntnisse 178 Geistige Aufgaben 283
Akademisches Wissen 178 Hacken 283
Computer 179 Nachforschungen 283
Finanzen 179 Recherche 283
Gesetzeskenntnis 179 Reparaturen 284
Linguistik 180 Spurenlesen 284
Medizin 181 Gesegnete Gegenstände 307
Nachforschungen 181 Gesellschaftliche Aufgaben 281
Naturwissenschaften 181 Auftritt 282
Okkultismus 182 Einschüchtern 282
Politik 182 Glaubwürdigkeit 282
Recherche 182 Rhetorik 282
Religion 183 Verhör 282
Talente 168 Zechen 283
Aufmerksamkeit 169 Gesundheit 197, 295
Ausdruck 169 Gesundheitsstufentabelle 295
Ausflüchte 169 Gesundheitsstufen 295
Ausweichen 170 Gifte und Drogen 318
Einschüchtern 170 Glaube 191, 299
Empathie 170
Führungsqualitäten
Handgemenge
171
171
H
Intuition 172 Handlungen 265
Magiegespür 172 Erweiterte 269
Sportlichkeit 173 Gegen Widerstand 270
Szenekenntnis 173 Mehrfache 269
Feuer 315 Heilfristen 298, 299
Freie Zusatzpunkte 153 Heiliger Boden 306
Hierarchie der Sünden 194
G Hintergrundeigenschaften
Anhänger
183
184
Gebete 307 Einfluß 184
Geheimnisse Kontakte 184
der Erde 240 Leitstern 186
der Erweckung 211 Mentor 186
der Esse 245 Pakte 186
der Flammen 235 Ressourcen 187
der Geister 227 Ruhm 187
der Himmlischen 233 Stand 188
der Menschheit 209 Verbündete 189
der Portale 251 Vermächtnis 189
der Struktur 248
der Verwandlung
der Wege
222
243
K
der Wildnis 257 Kampf 285
des Firmaments 213 Abwicklung 286
des Fleisches 259 Angriff 286
des Fundaments 208 Fernkampf 292, 293

363
 DÄMONEN: DIE GEFALLENEN

Initiative 285 Rüstung 288

Kampfbegriffe 272, 291 Rüstungstabelle 294
Nahkampf 290, 293
Kampfmanöver
Manövertabelle
288
293
S
Zusammengefaßte Kampftabelle 287 Schaden 296
Körperliche Aufgaben 278 Schlagschaden 297, 298
Beschatten 278 Schwer heilbarer Schaden 298, 299
Einbruch 278 Tödlicher Schaden 297, 299
Fahren 279 Scheitern 268
Klettern 279 Schußwaffentabelle 294
Kraftakte 280 Schwierigkeit 267
Öffnen/Schließen 280 Sklaven 303
Schleichen 280 Ausbeutung 302
Schwimmen 280 Gaben verleihen 303
Springen 280 Spezialitäten 163
Traglast 281 Stromschlag 318
Verfolgung 281 Stürze 319
Werfen 281 Systeme 276
Kosten für freie Zusatzpunkte 148
Krankheiten 318
T
N Tugenden
Gewissen
190
190
Nahkampfwaffentabelle 294 Mut 191
Neuer Wirtskörper 312 Überzeugung 190

O W
Offenbarung 305 Wahre Namen 308
Willenskraft 196
P Würfel n 266

Patzer
Präludium
268
153
Z
Zeit 265
Q
Qual 192

364
NAME: WESEN: HAUS:
SPIELER: VERHALTEN: FRAKTION:
CHRONIK: KONZEPT: WAHRES ANTLITZ:

KÖRPERLICH
Körperkraft .......................
Geschick ...........................
Widerstandsfähigkeit ........
ATTRIBUTE
GESELLSCHAFTLICH
Charisma ..........................
Manipulation ....................
Erscheinungsbild...............
GEISTIG
Wahrnehmung ..................
Intelligenz .........................
Geistesschärfe ...................

TALENTE
Aufmerksamkeit ...............
Ausdruck ..........................
Ausflüchte ........................
Ausweichen ......................
Einschüchtern ..................
Empathie ..........................
Führungsqualitäten ..........
Handgemenge ...................
Intuition ...........................
Magiegespür......................
Sportlichkeit .....................
Szenekenntnis...................
FÄHIGKEITEN
FERTIGKEITEN
Etikette .............................
Fahren ..............................
Handwerk .........................
Heimlichkeit .....................
Nahkampf .........................
Schußwaffen .....................
Sicherheit .........................
Sprengstoffe ......................
Technologie ......................
Tierkunde .........................
Überleben .........................
Vortrag ..............................
KENNTNISSE
Akademisches Wissen ......
Computer .........................
Finanzen ...........................
Gesetzeskenntnis ..............
Linguistik ..........................
Medizin .............................
Nachforschungen .............
Naturwissenschaften ........
Okkultismus .....................
Politik ...............................
Recherche.........................
Religion ............................

VORTEILE
HINTERGRUND GEHEIMNISSE TUGENDEN

Gewissen

Überzeugung

Mut

VORZÜGE UND SCHWÄCHEN GLAUBE GESUNDHEIT

Blaue Flecken:
Verletzt: -1
Schwer verletzt: -1
QUAL Verwundet: -2
Permanent Schwer verwundet: -2
Verkrüppelt: -5
Temporär Außer Gefecht:
ERFAHRUNG
WILLENSKRAFT
 NAME: SPIELER:

APOKALYPTISCHE GESTALT
Wahres Antlitz Eigenschaften bei hohem Qual-Wert

ZUSÄTZLICHE GEHEIMNISSE RITUALE

RELIKTE
Name Typ Aktivierungskosten

PAKTE
Name Gabe Dargebrachter Glaube
 NAME: SPIELER:
ERWEITERTER HINTERGRUND
Anhänger Mentor Stand

Einfluß Pakte Verbündete

Kontakte Ressourcen Vermächtnis

Leitstern Ruhm Weitere

BESITZTÜMER
Mitgeführte Ausrüstung Vorhandene Ausstattung Fahrzeuge

BASTIONEN
Lage Beschreibung

KAMPF
Waffe Schwierigkeit Schaden Reichweite Schussfolge Magazin Versteck Rüstung
 NAME: SPIELER:
FRAKTIONS-NOTIZEN

HOF-NOTIZEN

PERSÖNLICHE GESCHICHTE
Der Krieg

Präludium

STERBLICHE ERSCHEINUNG
Alter:
Geburtsort:
Haarfarbe:
Augenfarbe:
Grösse:
Gewicht:
Geschlecht:
Rasse:
Nationalität:
Unveränderliche Merkmale: