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Von der Krankenfürsorge der Fabrikanten

zur Krankenversicherung
 I. Die landesfürstliche Fürsorgepolitik – erste Anfänge einer staat-
lichen Sozialpolitik: Moderne Sozialpolitik begann mit dem Entstehen
der Sozialversicherung in Deutschland 1881 oder bereits früher mit dem
Entstehen der Gewerkschaftsbewegung in England. Historiker weisen
darauf hin, dass es seit jeher eine Sozialpolitik im Sinne von Fürsorge-
maßnahmen für gesellschaftlich und wirtschaftlich schwache Gruppen
gegeben hat: So gab es eine ständische Sozialpolitik im MA und eine
Wohlstandspolizei der absolut regierenden österr. Landesfürsten. Deren
sozialpolitischen Absichten sind in Codex Theresianius (1760) zusam-
mengefasst:
 A) Die Pflichten der Dienstnehmer: Gehorsam, Fleiß, Treue und ehrbarer
Lebenswandel (ehrlich, fromm und getreu). Auch hatten sie des Herrn
„Nutzen zu fördern und jeglichen Schaden abzuwenden.

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 Bei Verstößen hatte der Dienstherr ein „mäßiges Züchtigungsrecht“.
Wenn dies nicht nützte konnte der Dienstbote vor Ende der ausbedun-
genen Dienstzeit entlassen und allenfalls auch bei Gericht zur Bestrafung
angezeigt werden.
 B) Die Pflichten der Dienstherren: Pflicht zur Lohnzahlung, bei Minder-
leistung war Lohnreduktion möglich. Im Krankheitsfall hatte der Dienst-
herr „für die Wiedergenesung des Dieners zu sorgen“. Wenn aus der
Krankenbehandlung Unkosten entstanden, konnte der Dienstherr sich
diese „abdienen“ lassen. Erlitt der Diener bei einer anbefohlenen
gefährlichen Verrichtung eine „Beschädigung an Leib und Gliedern“,
dann musste ihm der Dienstherr „Genugthuung“ leisten.
 C) Der Kinder- und Jugendschutz: Die Fabriksarbeit machte besondere
Schutzvorschriften speziell für Kinder und Jugendliche erforderlich.
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 Cabinettschreiben über Kinderschutz vom 20. November 1786: In den
„Arbeitsinternaten“ galten folgende Vorschriften: 1. Getrennten Schlaf-
räume für Buben und Mädchen; 2. Für jedes Kind ein eigenes Bett; 3.
Wöchentlich einmal kämmen und waschen der Kinder; 4. Einmal monat-
lich Bett überziehen; 5. Im Frühjahr und Herbst waren die Kinder vom
„Kreisphysikus“ zu untersuchen; 6. Vierteljährliche Kontrolle durch Orts-
obrigkeit und Ortsseelsorger (= Gewerbe-Inspektorat).
 Hofcanzlei-Dekret über den Kinderschutz vom 11. Juni 1842:
Jugendliche konnten ab dem 12. Lebensjahr zur Fabriksarbeit
aufgenommen werden. Mit Zustimmung der Ortsobrigkeit war dies
bereits früher möglich, wenn der Schulbesuch gesichert war. Maximum
der Arbeitszeit: 9 – 12 Jährige maximal 10 Stunden täglich, 12 – 16
Jährige höchstens 12 Stunden. Ver-bot der Beschäftigung zur Nachtzeit
(9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens) vor dem vollendeten 16. Lebensjahr.

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 D) Die Vorsorge für Krankheitsfälle: Laut der Gewerbeordnung 1527 war
jeder Meister verpflichtet seinem erkrankten Gesellen oder Lehrling alle
Hilfe zu seiner Gesundung zukommen zu lassen. Dieser hatte jedoch allen
finanziellen Aufwand abzuarbeiten oder in „paarem Geld“ zu ersetzen.
Musste der Geselle in ein Spital, dann sprang die Krankenversicherung
(Zunftbüchse) der Zunft ein. Dieser Betrag war ebenfalls nach der
Gesundung zurückzuzahlen. Bei Tod des Gesellen hatte die „Büchse“ ein
Pfandrecht am Nachlass des Verstorbenen.
 E) Die Vorsorge für das Alter: geregelt in der Polizei-Ordnung vom 16.
Oktober 1732. Für arme alte Leute hatten die Grundobrigkeiten und
Gemeinden, wo sie geboren oder verarmt waren, Sorge zu tragen in Form
der Reichung von ausreichender Kost. Dienstboten, verwaiste Kinder und
Vrunglückte sollten Geld aus der „Armen-Leut-Cassa“ erhalten.

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 Seit 3. April 1800 gab es ein „Pensions-Sistem der Bruderlade“ für
Hammerarbeiter. Jeder Hammerarbeiter über 50 Jahre der arbeitsunfähig
wurde oder bei der Arbeit verunglückte erhielt eine Pension bzw. eine
Invalidenrente. Auch eine Witwen- bzw. Waisenrente war vorgesehen.

 II. Die Krankenfürsorge der Fabrikanten: Vorbilder für eine Kranken-


versicherung gab es in den Zünften und Gesellenladen, in den „Bruder-
laden“ oder „Knappschaftskassen“ (Bruderladenordnung Maria Theresias
von 1773).
 „Kranken-Hilfs-Confraternität für Handlungs-Commis in Wien“ 1729:
gegen Mitgliedsbeiträge (eingetragen in Mitgliedsbuch) hat man An-
spruch auf kostenlose ärztliche Versorgung und Spitalspflege. Der Ver-
sicherer schloss Rahmenvertrag mit den Barmherzigen Brüdern (1745)
zwecks Spitalpflege der Mitglieder.

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 Betriebskrankenkassen in den Manufakturen: Die Linzer Wollzeugfabrik
hatte bereits eine Betriebskrankenkasse, einen Witwenfonds und ab 1773
einen Medikus und einen Chirurgen als Betriebsarzt. Auch in einigen
Baumwollspinnereien in NÖ gab es für Angestellte und Arbeiter eine
Kranken- und Sterbekasse (Beiträge: 1 kr pro 1 fl Wochenlohn).
 Die Krankenfürsorge der Fabrikanten als Ausfluss der landesfürstlichen
Wohlstandspolizei: Die Regierungsverordnung vom 14. Dezember 1816
verpflichtet die Fabrikinhaber zur Krankenvorsorge und Krankenhilfe
(unentgeltliche ärztliche Versorgung, Spitalspflege, Verpflegung) bei
Erkrankungen durch den und am Arbeitsplatz (= endemische Berufs-
krankheiten). An ein Krankengeld als Ersatz für den Lohnausfall war aber
noch nicht zu denken. Finanziert wurde dies durch Beiträge der Arbeiter
und Lohnabzüge für Verstöße, die Gelder dieser Kasse wurden allein von
den Unternehmern verwaltet.

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 III. Von der Privatversicherung zur Krankenversicherung als Pflicht-
versicherung:
 Hilfskassenwesen: in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; Vereini-
gungen zur gegenseitigen Unterstützung der Mitglieder, sei es auf frei-
williger oder gesetzlicher Basis; dazu gehört z.B. der „Unterstützungs-
verein für erkrankte Buchdrucker und Schriftgießer“ (gegründet am 1.
August 1842).
 Vom Krankenheilverein zum Arbeiterverein: Ab 1850 löste der „Wiener
Neustädter Krankenheilverein“ die Krankenunterstützung der Innungen
und Zünfte ab. Mit 12 kr monatlich erwarben die Mitglieder einen
Anspruch auf Spitalspflege. Umfassender waren die Ansprüche der
Mitglieder des „Wiener Neustädter Arbeitervereins“ (gegründet 1865,
bereits 1866 verboten). Für 10 kr wöchentlich erhielt man bei einer
Erkrankung zwischen 7 Tagen und sechs Monaten ein wöchentliches

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 Krankengeld in der Höhe eines Drittels des Lohnes, im Falle des Able-bens
erhielten die Hinterbliebenen 20 fl, der Verein sorgte für ein an-ständiges
Begräbnis. Bei einer Erkrankung über sechs Monaten konnten Leistungen
auf freiwilliger Basis beschlossen werden.
 Hilfskassen und Krankenheil- bzw. Arbeitervereine galten seit dem
Vereinspatent vom 26. November 1852 als Wirtschaftsvereine (Kon-
zessionssystem) und nach dem Vereinsgesetz vom 15. November 1867 als
Wohltätigkeitsvereine.
 Gewerbeordnung vom 20. Dezember 1859 bringt in § 85 eine theoretische
Verpflichtung zur Krankenfürsorge durch die Unternehmer. Zu diesem
Zweck ist eine eigene Unterstützungskasse des Unternehmens (mit
Beiträgen der Arbeiter) einzureichten oder in eine bestehende außerhalb des
Betriebes einzuzahlen. Zu unbestimmt, daher nicht generell befolgt.

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 Allgemeiner Arbeiter- Kranken- und Invaliden-Unterstützungsverein
nach 1867 vom Wiener Neustädter Arbeiterverein gegründet.
Fabrikskran-kenfonds der Unternehmer konnten eingegliedert werden,
diese Unter-nehmer wurden zu Ehrenmitgliedern ernannt.
 Regelung des Hilfskassenwesens mit Gesetz vom 16. Juli 1892 brachte
eine gesicherte rechtliche Basis für die Krankenversicherung. Hilfskassen
bildeten auch weiterhin das Rückgrat des Krankenversicherungswesens.
Mit zunehmender Konzentration wurden zunächst in Deutschland (1911)
und schließlich auch in Ö (Gesetz vom 26. April 1924) die Hilfskassen
aufgehoben. Wurden in öffentlich-rechtliche Krankenkassen
umgewandelt und der Aufsicht des BM für soziale Verwaltung unterstellt.

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 IV. Die Sozialgesetzgebung im Zeitraffer:
 1885: Thronrede mit der Ankündigung sozialer Reformen.
 1887: Arbeiterunfallversicherungsgesetz, mit November 1889 hat die
Arbeiterunfallversicherung ihren Betrieb aufgenommen, 1894 auf Eisenbahner
ausgedehnt.
 1887/1888: Krankenversicherungsgesetz für Arbeiter und Betriebsbeamte für alle
industriellen, gewerblichen und Verkehrsarbeiter, theoretisch wirksam ab 6. Juli
1888, tatsächlicher Beginn mit 1. August 1889.
 1906: Pensionsversicherungsgesetz für Privatangestellte (40 Vers.-Jahre).
 1926: Angestelltenversicherungsgesetz (Kranken-, Unfall-, Stellenlosen- und
Pensionsversicherung).
 1935: Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz (alles in einem).
 1939: reichsdt. Sozialversicherungsgesetz (Altersvers. für Arbeiter).
 Nach 1945: Öffnung der Sozialversicherung auch für Selbständige.

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