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KUNST ALS NEGATION: ZUR ÄSTHETISCHEN POSITION THEODOR W.

ADORNOS
Author(s): HANS NEUHOFF
Source: Neue Zeitschrift für Musik (1991-) , November 1994, Vol. 155, No. 6, DAS
SCHÖNE & DAS HÄSSLICHE (November 1994), pp. 36-41
Published by: Schott Music GmbH & Co. KG

Stable URL: https://www.jstor.org/stable/23986908

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musikalische Denken Theodor W. Adornos weniger, die Gebilde, die auf ihm aufbauen, bis ins Innerste durch
Fünfundzwanzig Jahreder Hegeischen
wie Carl Dahlhaus 1987 schrieb, nach seinem«Furie zieht,Tod scheint das gestellt schiene, dessen spekulativer Grundzug aber zugleich
des Verschwindens» anheimgefallen zu sein1 als vielmehr im Grundlegend aber ist nicht allein die zentrale geschichtsphi
Fortgang zunehmender Dissoziation der gesellschaftlichen losophische These des Buches: die These, daß im begriffli
Teilbereiche - einer Segmentierung in «Milieus», die nichts chen Denken, in der Objektivierung der Natur zum Zwecke
mehr voneinander wissen - an jene isolierte Stelle gerückt, der Selbsterhaltung jenes Herrschaftsstreben des Menschen
an die es seinem Anspruch und Begriff nach notwendig seinen Ursprung hat, das ihn in Gegensatz zu seiner Her
gelangen mußte. Adornos beträchtlicher Einfluß auf das kunft aus Natur und damit in die «unversöhnte» Trennung
Musik-und Kulturleben der 50er und 60er Jahre war zwei- von Subjekt und Objekt, von «Ich» und «Welt» bringt,
fellos nicht zuletzt an Präsenz und Charisma seiner Person einem Prozeß, der in blinder Selbstbewegung, gespeist aus
vom Hochschullehrer bis zum Fernsehauftritt gebunden, «mythischer Angst» vor dem Rückfall, das Subjekt schließ
und er zehrte auch sowohl von der wachen wie der ver- lieh selbst der totalen rationalen Erfassung unterwirft. Der
drängten Erinnerung an die Katastrophe von Krieg und Ausgangspunkt, von dem aus Adornos Ästhetik allein
Naziherrschaft in Deutschland. nachvollziehbar wird, ist vielmehr in der dialektischen
Daß ein Denken von kritizistisch-elitärem Rigorismus - Methode selbst aufzusuchen, deren Prinzip, Denken und
nach Adornos eigener Uberzeugung «wesentlich nicht refe- Wirklichkeit als Resultat und Stadium von Wechselwirkun
rierbar»2 - daher jenseits der kulturkritischen Schlagworte, gen zu begreifen, alle seine Schriften konstitutiv bestimmt
durch die es breiten Kreisen vor allem bekannt wurde, ins und sich in einer Unzahl «widersprüchlicher» Denkfiguren
gesellschaftliche Abseits geraten mußte, hat niemand anders und Wendungen niedergeschlagen hat.
erwartet. Daß dieses Denken aber, durch dessen Einfluß der Nachhegelianisches, materialistisch-dialektisches Denken
Begriff des Schönen jahrzehntelang im Namen einer Wahr- ist radikal geschichtliches Denken, in dem es keine festste
heitsästhetik aus den Diskussionen verbannt war, auch in henden, «vernünftigen» Begriffe, göttlichen Ordnungen
den Kreisen von Neuer Musik und Avantgarde an Boden oder «absoluten Ideen» mehr gibt, von denen die Wirklich
verlieren würde, war nicht vorauszusehen und hängt damit keit ein oder der Fall ist, sondern die Begriffe als Abstrak
zusammen, daß der Zug zur Fragmentierung und Vereinze- tionen von der Wirklichkeit entstehen, deren Bewegung sie
lung, das Bewegungsgesetz spätkapitalistischer Kultur, auch folgen und spiegeln müssen. Radikal geschichtlich, weil mit
diesen Teilbereich längst erfaßt hat. der Preisgabe vorgeordneter, unbedingter Instanzen im Sub
Bestand die Schwierigkeit über Jahre darin, daß man auf die jekt die Wendung auf das vom Menschen Hervorgebrachte -
kritische Substanz von Adornos Denken ebenso wenig ver- summarisch «die Gesellschaft» - zum Ausgangs- und Mittel
zichten wie produktiv an sie anknüpfen konnte, so zeichnet punkt des Erkenntnisstrebens wird. «Durch den Ubergang
sich mit der neuen Ideologisierung, die das Kulturleben seit zum Vorrang des Objekts wird Dialektik materialistisch.»4
Beginn der neunziger Jahre bestimmt, eine wie immer offe- Sie schließt philosophisch eine Absage an jeden Anspruch
ne Aktualisierung ab. Gerade aber indem diese neue Ideolo- ein, «Sein», eine ungeschiedene Substanz des wirklich Seien
gisierung wesentlich als Abrechnung mit den Protagonisten den, erfassen zu können, und zieht praktisch die - gelinde
kritischen Denkens auftritt, erscheint der Rückgang auf des- gesprochen - Unbequemlichkeit nach sich, daß die Begriffe
sen Grundbegriffe und seine historischen Voraussetzungen und ihre Konstellationen in permanenter Bewegung und
genauso unerläßlich, wie es dadurch in seiner «Geschieht- damit Veränderung erscheinen. Gerade hierin freilich bean
lichkeit» und das heißt: in der Beschränkung seiner Reich- sprucht das dialektische Verfahren, die Antagonismen und
weite erkennbar wird. Risse, die die Wirklichkeit durchziehen, sichtbar zu machen
und den ideologischen Kitt aufzulösen, der sie scheinhaft
zusammenhält. Das Bedürfnis andererseits, im Denken, aber
auch in nicht-sprachlichen kulturellen Manifestationen we
Der unscheinbare Hinweis am Schluß der Vorrede zur 1949 nigstens für relative Dauer festen Halt zu finden - einem
erschienenen Philosophie der neuen Musik, Adornos ein- Bedürfnis, das anthropologisch als universal ausgewiesen
flußreichster musikalischer Schrift, «das Buch möchte als werden kann -, wird dabei von einer Dialektik, die Adorno
ein ausgeführter Exkurs zur Dialektik der Aufklärung unerbittlich jede Konfiguration genau dann umschlagen
genommen werden»3, läßt kaum erahnen, daß in der läßt, wenn sie jenen Halt zu geben verspricht, nachhaltig
gemeinsam mit Max Horkheimer im amerikanischen Exil frustriert.
verfaßten Dialektik die tragenden Voraussetzungen nicht Der spekulative Geschichtsentwurf der Dialektik der Auf
nur des «Exkurses» über neue Musik, sondern von Adornos klärung geht von einer aktuellen Wirklichkeit aus, in der
kunstphilosophischem Denken überhaupt bis hin zur Vernunft als blind entfesseltes Prinzip sich gegen das Sub
nachgelassenen Ästhetischen Theorie enthalten sind: einem jekt gekehrt hat: Rationalität, totalitär geworden, schlägt um
Fundament, ohne das die eminente Bedeutung, die der in Irrationalität. Der Prozeß terminiert in den rationalen
Kunst bei Adorno zuwächst, ins förmlich Grundlose politischen und ökonomischen Totalitarismen von Faschis

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lUR ÄSTHETISCHEN POSITION


THEODOR W. ADORNOS

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mus, Stalinismus und der «zu Riesenblöcken aufgetürmten Der Ausschnitt der Geschichte - der mitteleuropäischen,
Dingwelt»5 des Monopolkapitalismus. Die «vollends aufge- genauer noch: der deutschen und französischen Geschichte
klärte Erde» steht nicht im Dienste des Menschlichen, son- vor allem -, der Adorno allein interessierte und aus dem er
dern «strahlt im Zeichen triumphalen Unheils»6. In dem be- alle seine Bestimmungen gewinnt, ist ihre «bürgerliche Pha
rühmten Kapitel über die «Kulturindustrie» haben Adorno se» und der Ubergang zur «Moderne» seit dem späten 19.
und Horkheimer die Funktionsweise der Massenkultur und Jahrhundert. «Methodisches Prinzip» ist dabei, entgegen
die Psychologie, mit der sie sich im Individuum durchsetzt, dem «Usus von Historismus und Philologie», daß «von den
gültig analysiert: ihr Vermögen, alle Regungen des Individu- jüngsten Phänomenen her Licht fallen soll auf alle Kunst»8:
ums, auch seine Auflehnung gegen die Zwänge, zu assimilie- Indem Adorno die «authentischen Werke» als «Kritiken der
ren und in käuflichen Produkten scheinhaft zu befriedigen, vergangenen» begreift, kann er getreu dem hegelianischen
einer Logik, die dem einzelnen die Verdinglichung aller Anspruch, man habe es «in der Kunst ... mit einer Entfal
Beziehungen als Naturgesetz aufprägt und damit die Masse tung der Wahrheit zu thun»9, den geschichtlichen Prozeß
zum Subjekt totalitärer Verfügung herrichtet. unter den Leitkriterien von «Fortschritt» und «Reaktion»
In dieser Situation vollendeter Unfreiheit, einer «Liquidie- konstruieren, die in seiner Ästhetik, thematisch exponiert in
rung des Subjekts», die Adorno immer wieder zu drastischen der Philosophie der neuen Musik, die Wertungsfunktion in
Formulierungen hingerissen hat - «personality bedeutet den traditionellen Begriffen des «Schönen» und des «Häßli
ihnen kaum mehr etwas anderes als blendend weiße Zähne chen» als dem «Wahren» und dem «Unwahren» überneh
und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen»7 -, men. Die Ablehnung historischer Explikation freilich -
wächst der Kunst eine entscheidende Funktion zu. Denn in nicht der Existenz von Geschichte - erleichtert Adorno die
meist nur illustrative «Beweisführung» im Entwurf dialekti
scher Thesen ebenso, wie sie dem Leser seiner Schriften die
Erkenntnis und damit die Kritik der Modelle erschwert, die
ihnen doch zugrunde liegen.
Mit der Autonomieästhetik wird in der bürgerlichen Phase
der Kunst die entscheidende Voraussetzung ihres weiteren
Entwicklungsganges geschaffen: ihrer vermeintlichen oder
tatsächlichen Befreiung von außerkünstlerischen Zwecken,
wie sie im späten 18. Jahrhundert von Kant, Schiller und
anderen formuliert wurde, in der aber auch bereits ein Bün
del dialektischer Widersprüche angelegt ist. Denn die
«Zweckfreiheit», das Recht, eigenen Gesetzen zu folgen,
befreit die Kunst - entgegen einem verbreiteten Mißver
ständnis - nicht von gesellschaftlichen Funktionen, sondern
ist gerade der Zweck, den das bürgerliche Publikum in ihr
sucht: In einer Situation forcierter ökonomischer Rationali
sierung, dem entfesselten Konkurrenzkapitalismus des
19. Jahrhunderts, dessen «Maß von Berechenbarkeit und
Nützlichkeit» in immer neue Lebensbereiche vordringt,
wächst der Kunst die Aufgabe zu, ein Reich möglicher Frei
heit zu wahren, in dem die erwachte Subjektivität sich zum
Ausdruck verhelfen kann. Tragendes und vermittelndes
Moment der Autonomie im Kunstwerk ist dabei der «ästhe
tische Schein», das Vermögen, durch Herstellung eines
internen, in sich geschlossenen Beziehungszusammenhangs
von Elementen - also etwa von Tönen und Klängen - eine
Fot :IMD-Bildarchiv,HelmutHack
«Welt für sich» vorzustellen. Gerade die Enthobenheit aber,
die der «ästhetische Schein» hervorruft, verdeckt nach mate
ihr allein, in der theoretischen Voraussetzung ihrer Autono- rialistischer Auffassung die Tatsache, daß auch Kunstwerke
mie, scheint eine Chance gewahrt, den «universalen Ver- dem Prozeß von Produktion und Konsumtion, der Logik
blendungszusammenhang» zu durchbrechen und zumindest der «totalen Tauschgesellschaft» unterliegen: als Waren her
die Idee möglicher Freiheit und «Versöhnung» zu retten. gestellt und gekauft werden. In dieser Täuschung über reale
Indem aber dieser Anspruch in Auseinandersetzung mit der Abhängigkeiten liegt das latent ideologische Moment «aller
Realität, die die Bedingungen stellt, eingelöst werden muß, Kunst» beschlossen. «Formal sind sie (die Kunstwerke),
führt er unmittelbar in die vertrackte Dialektik von Ador- unabhängig von dem was sie sagen, Ideologie darin, daß sie
nos Theorie des Kunstwerks als Negation. a priori Geistiges als ein von den Bedingungen seiner
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Theodor
Theodor
W. Adorno
W. Adorno
in Darmstadt
in Darmstadt
19541954
(linke(linke
Seite) und
Seite)
1956
und 1956

die Form, auch wo diese als Konvention vorgegeben bleibt,


indem sie sie spontan nochmals erzeugt.»12
Die Verhältnisse bleiben freilich nicht konstant: gemäß dem
materialistischen Anspruch unterliegt die Bedeutung und
Funktion der Kunst einer «von unten» gesteuerten Dialektik.
Verliert das Individuum daher «im Gefolge der wirtschaft
lichen Konzentrationsprozesse an Bedeutung, so beginnt
auch die Abstraktheit der durch den Markt hergestellten
Ordnung deutlicher hervorzutreten. Erst von diesem Zeit
punkt an wird der Wert von Individuation und Emanzipa
tion fragwürdig; zugleich bemerkt das seiner Isoliertheit
innewerdende Subjekt, daß auch die Kunst nicht mehr ohne
weiteres übergreifende Sinnzusammenhänge herzustellen
vermag» (Hartmut Scheible).15 Hält die Kunst unter diesen
Bedingungen dennoch am «ästhetischen Schein» fest, an dessen
Vermögen, auch Disparates, Isoliertes in synthetisierter
Form vorzustellen, so muß sie nach Adorno notwendig
Wahngebilde hervortreiben, die aber die «Illusion» als
«absolute Wirklichkeit des Unwirklichen»14 gesellschaftlich
durchsetzen können. «Der ästhetische Schein hatte im neun
zehnten Jahrhundert zur Phantasmagoric sich gesteigert.
Die Kunstwerke verwischten die Spuren ihrer Produktion.
(...) Ihr Scheincharakter verstärkte sich zu dem ihrer Abso
lutheit.»15 Den Inbegriff des «phantasmagorischen Stils»
verkörpern dabei die Opern Richard Wagners: «Seine Wun
derwerke sind undurchschaubar geworden wie der Alltag
der verdinglichten Gesellschaft und treten deshalb das Erbe
der magischen Gewalt an.»16 Adorno sieht offenbar bereits
hier die ästhetischen Bedingungen vorgezeichnet, die später
den Mythen des Faschismus den Weg ins allgemeine
Bewußtsein ebnen sollten. Die «verantwortliche Kunst»
muß nunmehr einem Schein, der die Vermittlung von Ein
zelnem und Ganzem, von Individuum und Gesellschaft als
weiterhin möglich behauptet, während die Wirklichkeit
Fot :IMD-Bildarchiv,HelaStein cke
jedem sinnvollen Bezug längst widerspricht, entgegentreten.
Mit dem «Aufstand gegen den Schein»17, in der Musik voll
materiellen Produktion Unabhängiges und darum höher zogen vom Schönberg der atonalen Phase, ist daher der
Geartetes setzen (,..).»10 Andererseits, meint Adorno, kriti- Durchbruch der Moderne erreicht, deren ästhetisches Den
siert die Kunst die Gesellschaft schon «durch ihr bloßes ken Adorno in der Philosophie der neuen Musik richtung
Dasein», indem sie «sich als Eigenes in sich kristallisiert, weisend formuliert hat.
anstatt bestehenden gesellschaftlichen Normen zu will
fahren und als gesellschaftlich nützlich sich zu qualifi
zieren»11. Wenn der Kanon tradierter Kunstmittel «falsch» geworden
In der Frühzeit des Autonomiedenkens vermag daher die ist, aber auch jede Etablierung neuer Regeln falsch sein muß,
Kunst tatsächlich dem (bürgerlichen) Subjekt authentischen weil Allgemeinheit nicht mehr möglich ist, so folgt als Kon
Ausdruck zu verleihen. Denn hier konnte das Bürgertum als sequenz, daß jedes Werk sich aus sich selbst heraus neu
aufstrebende Klasse individualistisch orientierter Charak- schaffen und begründen, einer je eigenen inneren Gesetz
tere den von ihm getragenen Entfaltungsprozeß der wirt- mäßigkeit «gehorchen» muß, ohne doch zur Geschlossen
schaftlichen Produktivkräfte noch als im Dienste der Gat- heit gelangen zu dürfen: «Durch Kunstfeindschaft nähert
tung stehend begreifen und damit das Individuum als positi- das Kunstwerk sich der Erkenntnis. (...) Erst das zerrüttete
ve Instanz. Adorno sah diese Chance, Subjektivität und die Kunstwerk gibt mit seiner Geschlossenheit die Anschau
Totalität des «Ganzen» sinnvoll zu vermitteln, vor allem in lichkeit preis und den Schein mit dieser.»18
der Musik Beethovens verwirklicht: «Mit Beethoven aber In der hieraus resultierenden Vereinzelung der Werke kommt
wird die Durchführung, die subjektive Reflexion des The- daher Adornos zentrale These zum Tragen, daß die Ausein
mas (...) zum Zentrum der gesamten Form. Sie rechtfertigt andersetzung der Kunst mit der Realität, der Gesellschaft

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gerade dadurch geleistet wird, daß sie sich ihr verweigert: springt, während die Frage verschwindet, so hat Philosophie
durch «bestimmte Negation». Die Verneinung muß dabei, ihre Elemente» - und entsprechend der Komponist die sei
um nicht in der Abstraktion einer bloßen Haltung zu ver- nen - «(...) so lange in wechselnde Konstellationen, oder
bleiben, in demjenigen Medium erfolgen, in welchem dem (...) wechselnde Versuchsanordnungen zu bringen, bis sie
Komponisten die Gesellschaft entgegentritt: im musika- zur Figur geraten, die als Antwort lesbar wird, während
lischen Material, das Adorno als «sedimentierten Geist», als zugleich die Frage verschwindet.»23
ein «gesellschaftlich», weil «durchs Bewußtsein von Men- Uberträgt man diesen Gedanken zurück auf die notwendige
sehen hindurch Präformiertes»19 begreift. «Desselben Ur- Korrelation von Musik und Gesellschaft, so wird klar, daß
sprungs wie der gesellschaftliche Prozeß und stets wieder genau hier die Erkenntnisfunktion von Kunst zum Tragen
von dessen Spuren durchsetzt, verläuft, was bloße Selbstbe- kommt: denn in dem kostbaren Moment, in dem «die Ant
wegung des Materials dünkt, im gleichen Sinne wie die reale wort lesbar wird», zerreißt der Schleier des «Verblendungs
Gesellschaft, noch wo beide nichts mehr voneinander wissen Zusammenhangs» und gibt den Blick frei auf das «Nicht
(...). Daher ist die Auseinandersetzung des Komponisten identische», eine Sphäre subjektiven Rechts gegenüber der
mit dem Material die mit der Gesellschaft. (...). In imma- totalen Erfassung. Durch eine bedingungslose Angleichung
nenter Wechselwirkung konstituieren sich die Anweisun- an die objektiven Konstellationen, von Adorno in den klas
gen, die das Material an den Komponisten ergehen läßt, und sischen Begriff der «Mimesis» gefaßt, transzendiert das Sub
die dieser verändert, indem er sie befolgt.»211 jekt dieselben und erreicht, «am Rande des Wahnsinns», das
So liegt die «Wahrheit» der Zwölftontechnik «darin auf- Ziel allen Ringens: Versöhnung. «Die Spannung der Ge
gehoben, daß sie durch organisierte Sinnleere» - denn die sichtsmuskulatur gibt nach (...). (...) Musik und Weinen
Organisation bleibt den Tönen äußerlich - «den Sinn der öffnen die Lippen und geben den angehaltenen Menschen
organisierten Gesellschaft (...) dementiert (,..)».21 Was hier los. (...). Der Mensch, der sich verströmen läßt im Weinen
in der Musik sich vollzieht, ist nichts anderes als das künst- und einer Musik, die in nichts mehr ihm gleich ist, läßt
lerische Korrelat der These, Aufklärung schlage in Mytho- zugleich den Strom dessen in sich zurückfluten, was nicht er
logie zurück: »Die Zwölftonrationalität nähert als ein selber ist und was hinter dem Damm der Dingwelt gestaut
geschlossenes und zugleich sich selbst undurchsichtiges war. Als Weinender wie als Singender geht er in die entfrem
System (...) dem Aberglauben sich an. Die Gesetzlichkeit, dete Wirklichkeit ein.»24 Und in einer finalen Sequenz, in
in der sie sich erfüllt, ist zugleich eine bloß über das Material der materialistische Dialektik und religiöse Erlösungshoff
verhängte, die es bestimmt, ohne daß dieses Bestimmtsein nung einträchtig zusammengehen, kehrt auch die Kategorie
selber einem Sinn diente.«22 Ersetzt man in dieser Passage des Schönen in negativer Verklärung zurück: «Die Schocks
den Begriff der «Zwölftonrationalität» durch den der «mono- des Unverständlichen, welche die künstlerische Technik im
polkapitalistischen Tauschgesellschaft» und das Objekt Zeitalter ihrer Sinnlosigkeit austeilt, schlagen um. Sie erhel
«Material» durch «die Menschen», so steht die «gesellschaft- len die sinnlose Welt. Dem opfert sich die neue Musik. Alle
liehe Dechiffrierung» von Kunst, wie Adorno sie forderte, Dunkelheit und Schuld der Welt hat sie auf sich genommen,
unmittelbar vor Augen. All ihr Glück hat sie daran, das Unglück zu erkennen; all
Es liegt auf der Hand, daß mit diesen Postulaten nicht nur ihre Schönheit, dem Schein des Schönen sich zu versa
eine permanente, rastlose Aktualisierung initiiert ist, die in gen.»25
der Tat keinen über sich hinausweisenden Sinn mehr zu stif
ten vermag, sondern auch der Komponist erscheint als Sub- IV
jekt zum bloßen Vollstrecker von «Anweisungen» herabge- Adorno hat an den Positionen der Philosophie der neuen
setzt. Die Erkenntnis- und Befreiungschance freilich, die Musik bis zuletzt, bis zur Ästhetischen Theorie, im wesentli
Adorno hier bereithält, besteht nun genau darin, daß diese chen unverändert festgehalten. Hatte sich einerseits deren
Anweisungen nicht offenliegen, sondern vom Komponisten kritische Substanz - nicht ihr normativer Gehalt - darin
gefunden werden müssen. Mit dem Begriff der «Idiosynkra- bewährt, daß sie den Nachweis zahlreicher Sachfehler und
sie» - der überempfindlichen Abneigung gegen «Falsches» - logischer Widersprüche (jenseits dialektischer Wahrheitsge
kann er daher den Künstler als produktive Instanz retten halte) als letztlich subaltern abweisen konnte, so wird ande
und zugleich den Vorwurf einer Hypostasierung des Mate- rerseits die Kontinuität in Adornos Denken - und die zen
rialbegriffs entkräften. Man darf sich die Art und Weise, wie tralen Aspekte sind sogar bereits in den philosophischen
der Komponist nach Adornos Vorstellung die «Lösung» Frühschriften enthalten - als dogmatische Verhärtung
findet, an einer Passage aus seiner Antrittsvorlesung über erkennbar, die historisch bedingte Abstraktionen - den not
Die Aktualität der Philosophie veranschaulichen, in der wendigen Ubergang der «Institution Kunst» ins Stadium
Adorno den Erkenntnisgang des Philosophen beschreibt: ihrer Selbstkritik während der ersten Dezennien des Jahr
«Und wie Rätsellösungen sich bilden, indem die singulären hunderts - kategorial verabsolutiert und gegen den Fort
und versprengten Elemente der Frage so lange in ver- gang der Entwicklung abdichtet. Im erklärten «methodi
schiedene Anordnungen gebracht werden, bis sie zu der sehen Prinzip» selbst, von den jüngsten Phänomenen her
Figur zusammenschießen, aus der die Lösung hervor- solle Licht fallen «auf alle Kunst»; so wenig Evidenz es von

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sich aus beanspruchen kann, ist daher sein eigener Verfall äußersten Punkt getriebenen Negation der Realität» einer
schon angelegt und seit Beginn der siebziger Jahre mit der sich verstärkenden Tendenz entgegenkommt, «Negativität
Erschütterung linearen Fortschrittsdenkens und damit pauschal zu diffamieren, sie nur noch zuzulassen, wenn sie
strikt geschichtlicher Bestimmungen in der Ästhetik - sich von vornherein selbst Grenzen zieht»29. Mit ihr wäre
einem Umschwung, der auch als pure Vergleichgültigung aber auch jedem Gedanken, «der mehr sein will als eine Ver
beschrieben werden kann - manifest geworden. Auch der doppelung des Bestehenden», die Voraussetzung entzogen.
Versuch, mit dem dynamisch-progressiven Materialbegriff Wenn es dann stimmt, daß ein Denken in Adornos Katego
eine metaästhetische Kategorie zu etablieren, mußte hier rien nur noch ein Gefühl blinder Notwendigkeit zurück
scheitern, weil dieser selbst historisch abstrahiert ist. läßt, die in sich selbst kreist, so will es umgekehrt scheinen,
Die prinzipielle Argumentation in potentiellen Extremen, daß ihr kritischer Gehalt gerade durch Anerkennung der
die zwischen blinder Anpassung und heroischem «Stand- historischen Distanz freigegeben wird, in die sie objektiv
halten» keine Alternativen mehr kennt, weckt dabei den gerückt sind: einer gleichsam aktualisierenden Distanz, die
Verdacht, daß sich hinter den hermetischen Kategorien ein allein hier noch erkennbar macht, daß «alles auch anders
narzißtischer, latent autoritärer Subjektivismus in lieb- sein könnte»,
gewordenen Einsichten verschanzt, um im Namen der ge
schichtlichen «Wahrheit» sprechen ZU können. Das Pathos ' c. Dahlhaus: 1«Das
C. Dahlhaus: «Das Problem
Problem der der höheren Kritik»,
höheren Kritik»,in: NZfM
in:5/1987,
NZfM S. 9. 5/19S7, S. 9.
22Th.
Th.W. Adorno:
W. Adorno:
Negative Dialektik,
Negative
Frankfurt
Dialektik,
a. M. 1975, S. 44.
Frankfurt a. M. 1975, S. 44.
der zitierten Passage jedenfalls - «Dem opfert sich die neue
5^Th.
Th.W. Adorno:
W. Adorno:
Philosophie der
Philosophie
neuen Musik, Frankfurt
der neuen
a. M. 1978,
Musik,
S. 11. Frankfurt a. M. 1978, S. 11.
Musik. Alle Dunkelkeit und Schuld der Welt hat sie auf sich
^4Adorno,
Adorno,
NegativeNegative Dialektik, a.a. S.193.
Dialektik, a.a. S.193.
genommen» - verweist nicht nur ZU deutlich auf die egozen- 5 Th. W. Adorno: Prismen,
^ Th. W. Adorno: Frankfurt
Prismen, Frankfurt a. M.
a. M. 1976, S. 94.1976, S. 94.
^ M. Horkheimer/Th.
trisch-verstiegene Selbsteinschätzung ihres Verfassers, der 6 M. Horkheimer/Th. w. W. Adorno: Dialektik
Adorno: der Aufklärung,
Dialektik Frankfurt a. M.
der Aufklärung,¥rmV{un*.M.
1988, S. 9.
sich als Anwalt der neuen Musik fühlte, sondern läßt unver
2 ebd., S. 176.
7
mittelt auch eine unreflektierte religiöse Grundmotivation ^ Th.
8 Th. W.
W. Adorno:
Adorno: Ästhetische
Ästhetische Theorie,
Theorie, Frankfurt
Frankfurt a.
a. M.
M. 1973,
1973, S.
S. 533.
533.
Adornos aufscheinen, die seine Negativitätsästhetik in diesem 9 vgl. Adorno, Philosophie
9 vgl. Adorno, der der
Philosophie neuen
neuenMusik, a.a.O.
Musik, a.a.O. S. 13.
S. 13.
^ Adorno,
Adorno,Ästhetische
ÄsthetischeTheorie,
Theorie,a.a.O.S.
a.a.O.S.337.
337.
Sinne als Eschatologie einer säkularen Verheißung lesbar
11 ebd., S. 335.
macht. Wenn es daher erlaubt ist, Adorno gegen Adorno zu
12 Adorno, Philosophie der neuen Musik, a.a.O. S. 57f.
wenden, so läßt sich ein Satz über die15 buddhistische Erlö-
H. Scheible: Wahrheit und Subjekt, Reinbek 1988, S. 472.
472.
sungslehre in der Dialektik der Aufklärung - eine Entglei- 14
14 Th. W. Th. W.
Adorno: Adorno:
«Versuch «Versuch
über Wagner», über
in: Gesammelte Wagner»,
Schriften Bd. 13, in: Gesammelte Sch
Frankfurt
Frankfurt a.a.M.
M.1971,
1971,S.S.86.
86.
sung im übrigen, die in Anbetracht der damals verfügbaren
Literatur über den Buddhismus unverzeihlich ist1^
15 Adorno,
-Adorno,
auch Ästhetische
ÄsthetischeTheorie,
als Theorie,a.a.O.
a.a.O.
156f.
156f.
.... TN i 1 1 • • i • -1 1^ Adorno, «Versuch über Wagner»,
16 Adorno, a.a.O.
«Versuch über Wagner», S.S. 87.
a.a.O. 87.
Kritik eines Denkens lesen, das seine eigene historische 17 Adomo,
17 Adorno, Ästhetische Ästhetische Theorie, a.a.O. S.i54ff.
Theorie, a.a.O. S. 154ff.
Befangenheit hartnäckig verkennt: «Die Selbstzufriedenheit 18 Philosophie
18 Adorno, Adomo,derPhilosophie
neuen Musik, a.a.O. der neuen Musik, a.a.O. s. Iis.
S. 118.
1^ ebd., S. 39.
19
des Vorwegbescheidwissens und die Verklärung der Nega
20 ebd.,
2® ebd., S. 39f.
39f.
tivität zur Erlösung sind unwahre Formen des Widerstands
21 ebd., S. 28.
gegen den Betrug.»26 22lbd.,S.67.
77 ebd., S. 67.
Der Kunsthistoriker O. K. Werckmeister hat hier bereits
25 Th. W. 23 fh«Philosophische
Adorno: ^ .Adorno: «Philosophische
Frühschriften», Frühschriften», in: Ge
in: Gesammelte Schriften
Bd. 1, Frankfurt a. M. 1973, S. 335.
Anfang der siebziger Jahre Adornos latente Entfremdung Bd. l, Frankfurt a.M. 1973, S. 335.
24 Adorno, Philosophie der neuen Musik, a.a.O. S. 122.
gegenüber einer souveränen Wirklichkeit konstatiert:
25 ebd., S.«Wenn
126. 25 ^°rn°'fflosoPhie derneuen Musik, a.a.O. s. 1
er bis zuletzt <moderne> Kunst gegen eine imaginäre 26kultur- 26 Horkheimer/Adorno,
Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, a.a.O. S. Dialektik
30. der Aufklärung, a
konservative Front verteidigte, als müßte sie noch immer 27 O. K.Ende
27 O. K. Werckmeister: Werckmeister:
der Ästhetik, Frankfurt Ende
a. M. 1971,der
S. 31. Ästhetik, Frankfurt a
28 Scheible,
gesellschaftlich durchgesetzt werden, entging ihm die Kon- WahrheitScheck,
und Subjekt, a.a.O.S.
Wahrheit 502. und Subjekt, a.a.O.S. 502.
29 ebd.
ebd.
Sequenz ihrer völligen Assimilierung durch die spätkapitali
stische Kultur. Diese hat die ursprünglich gegen die bürger
liche Gesellschaft gerichteten Intentionen der modernen
Kunst in einem Maß neutralisiert, das über die bei Adorno
reflektierte Ohnmacht weit hinausgeht.»27
Aber nicht nur Adornos Ohnmacht, sondern auch die
ästhetischen Mittel, die er zu ihrer Uberwindung verkünde
te, sind von der Wirklichkeit längst überholt worden. Denn
eine künstlerische Technik, die den Stand der Produktiv
kräfte nach Adornos Postulaten nicht nur einholen, sondern
überbieten muß, um zur Erkenntnis durchzubrechen, ist,
wie Hartmut Scheible feststellt, «im Zeitalter von elektroni
scher Datenverarbeitung und von Mikroprozessoren (...)
nur noch illusionär»28. Scheible sieht aber auch das Pro
blem, daß «eine Abschwächung der von Adorno zu einem

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