Ligeti, Gyérgy
“Eine unglaublich direkte Bmotionalitat"
Nancarrow / Gyérgy Ligeti
Aus: MusikTexte, Nr. 73/74(Marz 1998), S
iiber Conlon
61-64Eine unglaublich direkte Emotionalitat*
‘Uber Conlon Nancarrow
von Gyargy Ligeti
Anliiflich einer ersten Vorstellang von Conlon Nancar-
row und seiner Musik 1982 in Graz, K6ln und Hall in Ti-
rol fuhrte der Komponist Gyérgy Ligeti in dessen Werk
ein Im folgenden ist eine Transkription seiner Kolner Re-
de vom 5. November 1982 abgedrucki, die ~ von Ligeti
durchgeschen ~ in ihrem spontanen Redeflup belassen
wurde. Zum Zeichen seiner Verehrung.fitr Nancarrow
lief Liget sich seinerzeit demonsiraiv zu dessen Fupien
auf dem Boden nieder.
Conlon Nancarrow hat hither ein Lebenswerk von einer
lunglaublichen Originalitit, Individualitat geschaffen.
Nancarrow gehort zu keiner Schule, zu keiner Richtung:
er ist seine eigene Richtung. Nun, wahrend die europti:
sche — ich mag das Wort Entwicklung nicht ~ Umwand:
lung der Stile nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend
von der Wiener Schule beeinflust war, von Webern, von
Debussy, auch von Strawinsky, haben viele Komponi-
sten sich vor allem darauf konzentriert, neuartige Steuk:
turen aufzubauen, neuattige Harmonik, Melodik 7u ent-
wickeln, Nancarrow aber hat sich auf einen sehr be:
sgrenzten Bereich konzentriert, und zwar auf den rhyth:
iischen Bereich. Er hat etwas unerhort Differenziertes
in der Zeitartikulation getan, Und die uber vierzig Stu
dien, die er seit 1951 bis heute komponiert hat, erzeben
cine unglaubliche Finheit ~ ich wide es fast wagen, es
mit der ,Kunst der Fuge*, dem ,Wohltemperierten Cla
vier* oder mit den vierundewancig Chopin-Etiden 2a
vergleichen -, etwas einmalig Geschlossenes und auch
Vieltltiges.
Nun, da Nanearrow als junger Mann in den vierzig
Jahren keine guten Erfahrungen gemacht bat, was Poly:
‘metrik und Polyrhythmik mit lebenden Ausfubrend.
Detriff, hat er sich auf das Pianola konzentriert. Ein Pia-
nola ist sehr begrenzt in der MOglichkeit der Tonhhen,
die 2w0lf temperierten Tone sind gegeben. Nancarrow
hatte kein Interesse daran, neuartige Tonhihenexperi-
mente 2a versuchen. Er hat die Klangfarbe des Pianola
etwas verlindert, etwas pripariert in Richtung auf ein
scharferen Klang. Sein Klangideal war eine Art von
Cembalo, ein riesengrofies Cembalo. Warum? Damit
man die verschiedenen metrisch-rhythmischen, melod
schen, aber auch polyphonen Verwebungen ganz genau