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SPEZIAL Physik Mathematik Technik
SPEZIAL Physik Mathematik Technik

Chemische
Überraschungen
Experimente zwischen magischen
Farben und verborgenen Metallen
24525
8,90 € (D) · € 9,70 (A) · � 8,90 (L) · sFr. 17,40

FLUORESZENZ Vom Textmarker zur Geheimtinte​


FINGERABDRÜCKE Spurensicherung mit Bleistift, Büroklammer und Blockbatterie
SYNTHESE Graphenproduktion im Hobbykeller
ü
T H E M E N AU F D E N P U N K T G E B R AC HT
Ob A wie Astronomie oder Z wie Zellbiologie: Unsere Spektrum KOMPAKT-Digitalpublikationen stellen Ihnen alle
wichtigen Fakten zu ausgesuchten Themen als PDF-Download zur Verfügung – schnell, verständlich und informativ!
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ü
Matthias Ducci ist Professor für Chemie und ihre Didaktik am Institut für
Chemie an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Marco Oetken ist
Abteilungsleiter und Lehrstuhlinhaber in der Abteilung Chemie der Pädago­
gischen Hochschule Freiburg. Seit 2016 stellen sie in »Spektrum« in der
Rubrik »Chemische Unterhaltungen« faszinierende Experimente vor, die
zum Selbermachen einladen, und sind Autoren sämtlicher Beiträge dieses
Hefts.

EDITORIAL DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN:


FASZINIERENDE CHEMIE
Von Matthias Ducci und Marco Oetken


Liebe Leserinnen und Leser, begeben Sie sich mit uns für einen kurzen
Augenblick gedanklich nach London zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

LUCADP / GETTY IMAGES / ISTOCK


Stellen Sie sich vor, Sie betreten für einen symbolischen Penny Eintrittsgeld
das große Auditorium der Royal Institution in der Albermarle Street. In dem voll
besetzten Hörsaal findet ein öffentlicher Experimentalvortrag statt. Vorne steht
ein Chemiker namens Humphry Davy, der mit Hilfe einer Voltaschen Säule
elektrischen Strom erzeugt und diesen auf einen geschmolzenen, weißlichen
Stoff einwirken lässt. Plötzlich bilden sich metallisch glänzende Kügelchen, die
wie Quecksilber aussehen und sich teilweise selbst entzünden. Das Publikum Spektrum KOMPAKT
starrt fasziniert auf das Geschehen! »Das Periodensystem – Auf der Spur
So oder so ähnlich hat es sich seinerzeit in den legendären Vorlesungen der Elemente«
in London zugetragen. Damals erschienen am nächsten Tag Berichte in den Das Periodensystem feierte 2019 sein
Tageszeitungen, und das Vortragsthema war Tagesgespräch. Eines war 150-jähriges Jubiläum. Aber wie sind sie
unstrittig: Chemie ist spannend und besitzt außerdem einen enormen Unter­ überhaupt entstanden, die darin geord-
haltungswert! neten Elemente? Wie schließen Forscher
Da wir das auch so empfinden, haben wir 2016 gern zugesagt, für die die noch bestehenden Lücken? Und: Ist
Rubrik »Chemische Unterhaltungen« in »Spektrum der Wissenschaft« zu es nicht langsam Zeit für ein neues PSE?
schreiben. Inzwischen ist eine Fülle von Artikeln zusammengekommen. Eine
Auswahl davon präsentieren wir Ihnen gebündelt in diesem Heft. Spektrum KOMPAKT – Themen auf den Punkt gebracht
Unsere Spektrum-KOMPAKT-Digitalpublikationen
Die Beiträge führen Sie in die bunte Welt der chemischen Farbspiele (S. 6),
stellen Ihnen alle wichtigen Fakten zu ausge-
nehmen Sie mit auf Verbrecherjagd (S. 34) oder zeigen Ihnen, wie ein Lithium­ wählten Themen als PDF-Download zur Verfügung –
akku funktioniert (S. 52). Etliche der vorgestellten Versuche können Sie zu schnell, verständlich und informativ!
Hause mit einfachen Mitteln sogar selbst durchführen. Beschrieben, aller­
dings nicht zur häuslichen Nachahmung empfohlen, ist auch das eingangs www.spektrum.de/kompakt
angeführte Experiment Humphry Davys, das zur Entdeckung der damals noch
unbekannten Alkalimetalle führte.

Wir wünschen Ihnen eine gute chemische Unterhaltung mit diesem Heft!

Ihre
Matthias Ducci und Marco Oetken

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 3


ü
INHALT
BUNTE CHEMIE 43 EIN DIAMANT IST UNVERGÄNGLICH?
Auf spektakuläre Weise versetzte der Begründer der
6 FARBENSPIELE MIT POPPING BOBAS modernen Chemie seine Zuschauer einst in Erstaunen.
Chemische Reaktionen werden oft in komplizierten
Apparaturen durchgeführt. Ganz einfach und zugleich
faszinierend geht es hingegen in Bubble-Tea-Bällchen! 48 EXPERIMENTE MIT KOHLENSTOFFDIOXID
Wichtigen Eigenschaften des »Klimakillers« CO2 kann
man erstaunlich leicht auf die Spur kommen.
12 LIESEGANGSCHE RINGE –
STRUKTURBILDUNG IM REAGENZGLAS
VORSICHT, ELEKTRISCH!
1896 entdeckte Raphael Eduard Liesegang erstmals
ein Beispiel für Selbstorganisation in der Chemie. 52 WIE LITHIUMAKKUS FUNKTIONIEREN
Erst ein halbes Jahrhundert später gelang es, solche
Erscheinungen umfassend zu erklären. Sie sind die gängigen Stromquellen für moderne
tragbare Elektronikgeräte. Einfache Versionen lassen
sich sogar daheim herstellen.
18 DIE BUNTE WELT DER AZOFARBSTOFFE
Azoverbindungen verleihen Lebensmitteln, Kleidungs-
stücken und weiteren Produkten intensive Farben –
bergen aber gesundheitliche Risiken.

22 LEUCHTEN AN, LEUCHTEN AUS


Textmarker eignen sich nicht nur zum Hervorheben in
Dokumenten, sie sind außerdem eine dankbare Quelle
für eindrucksvolle Experimente.
EXCLUSIVE-DESIGN / STOCK.ADOBE.COM; BEARBEITUNG: SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT

26 WIE FARBEN ENTSTEHEN


Gelb und Blau ergibt Grün? Nicht zwingend! Wer sich
in die Welt der fluoreszierenden Stoffe begibt, macht
überraschende Entdeckungen.

DETEKTIVARBEIT

30 DIE GEHEIMTINTEN DER CIA


Lange hielt der US-Geheimdienst Rezepte für unsicht- 6
bare Nachrichten unter Verschluss. Darunter finden FARBENSPIELE MIT POPPING BOBAS
sich neben vielen altbekannten einige ziemlich ausge-
fallene Methoden.

34 SPANNUNG BEI DER VERBRECHERJAGD


Elektrochemische Methoden können dabei helfen,
Fingerabdrücke sichtbar zu machen.

37 SPURENSICHERUNG DANK BLEISTIFT,


BÜROKLAMMER UND BLOCKBATTERIE
Das Prozedere, das speziell ausgebildete Fachleute am
Tatort durchführen, gelingt im Prinzip ebenso mit
Haushaltsgegenständen.
MARIUSZ_PRUSACZYK / GETTY IMAGES / ISTOCK

FORMEN DES KOHLENSTOFFS

40 GRAPHENPRODUKTION IM HOBBYKELLER
Graphen besitzt einzigartige Eigenschaften und gilt
18
als Material der Zukunft. Die gerade mal atomdicken DIE BUNTE WELT DER AZOFARBSTOFFE
Folien herzustellen, ist gar nicht schwer.

4 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
30
DIE GEHEIMTINTEN
DER CIA
56 MIT LEGIERUNGSAKKUS IN DIE ZUKUNFT
Wiederaufladbare Batterien, die auf Lithium-Metall-­
Legierungen basieren, könnten bis zu zehnmal leistungs-
fähiger sein als herkömmliche Akkus.
MATTHIAS DUCCI

60 INTELLIGENTE FENSTER AUS BERLINER BLAU


Mit einem Pigment, das schon vor mehr als 300 Jahren
weite Verbreitung fand, lässt sich Glas elektrisch
abdunkeln und wieder aufhellen.
A SERIES OF 15 PHOTOGRAPHS SHOWING VARIOUS STAGES
OF THE CUTTING. AMSTERDAM, 1909 / PUBLIC DOMAIN

64 EINE »ATMENDE« STROMQUELLE


JOSEPH ASSCHER & CIE: THE CULLINAN DIAMOND,

43
Ein simples Exemplar einer Batterie, die Luftsauerstoff
zur Stromerzeugung nutzt, kann jeder mit einer Cola-
Dose und Aktivkohle selbst bauen.
EIN DIAMANT
IST UNVERGÄNGLICH? BEGEHRTE METALLE

68 FRÜHER UNERSCHWINGLICH,
HEUTE ALLERWELTSSTOFF
Weil Aluminium äußerst reaktionsfreudig ist, wurde es
erst ziemlich spät entdeckt. Es ließ sich zunächst nur
schwer herstellen, so dass es kostbarer war als Gold.

74 DIE LANGE JAGD NACH DEN


VERBORGENEN ELEMENTEN
Sie sind weich wie Butter und reagieren explosions­
artig, wenn man sie mit Wasser beträufelt: Die Alkali-
metalle verhalten sich ganz ungewöhnlich. Ihrer Ent­
deckung haben sie sich lange widersetzt.

78 MINIBÄUME AUS SILBER, ZINN UND CO.


60 Auch Chemiker können Fraktale erzeugen – und sogar
GENTEX CORPORATION

live unter dem Mikroskop verfolgen, wie die hoch­


INTELLIGENTE FENSTER AUS BERLINER BLAU gradig verzweigten Strukturen bei Fällungsreaktionen
entstehen.
MARCO OETKEN, NACH WITTEN, T.A., SANDER, L.M.: DIFFUSION-LIMITED AGGREGATION. PHYSICAL REVIEW LETTERS 47, 1981

3 EDITORIAL ∙ 67 IMPRESSUM ∙ 82 VORSCHAU

Titelbild: Kesu01 / Getty Images / iStock

Alle Artikel auch digital


auf Spektrum.de
78 Auf Spektrum.de berichten unsere
Redakteure täglich aus der Wissenschaft:
MINIBÄUME fundiert, aktuell, exklusiv.
AUS SILBER, ZINN UND CO.
Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 5
ü
FARBENSPIELE

EXCLUSIVE-DESIGN / STOCK.ADOBE.COM; BEARBEITUNG: SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT


MIT POPPING BOBAS
Chemische Reaktionen werden gewöhnlich in Reagenz-
und Bechergläsern oder mitunter recht komplizierten
Apparaturen durch­geführt. Ganz einfach und faszinierend
zugleich geht es hingegen in Bubble-Tea-Bällchen!
 spektrum.de/artikel/1461029


Vor einigen Jahren schossen sie wie Pilze aus dem OH
Boden: Verkaufsstellen von so genanntem Bubble Tea. OH
Das Faszinierende an diesem stark gesüßten Mix­

MATTHIAS DUCCI
C OOH HO O C
O
getränk aus Tee, Milch und Fruchtsirup sind farbige, im OH
O OH
Innern flüssige Kügelchen, Popping Bobas genannt, die
HO OH
beim Kauen zerplatzen (Bild rechts oben). Doch bescheren HO
sie nicht nur ausgefallene Gaumenfreuden, sondern be­ OH
stechen darüber hinaus durch die reizvolle Chemie, die in Alginsäure ist ein Biopolymer aus Braunalgen, in dem bis zu
ihnen steckt – oder sich mit ihnen treiben lässt. Interes­ 3000 Exemplare zweier Zuckereinheiten aneinandergereiht
sant ist allein schon die Frage nach den molekularen sind. Dabei handelt es sich um b-D-Mannuronsäure (links) und
Vorgängen bei ihrer Bildung. Aber ganz besonderen Spaß α-L-Guluronsäure (rechts).
verspricht die Möglichkeit, chemische Reaktionen ins
Innere der Alginatbällchen zu verlagern. Auf diese Weise
gelingt es, mit einfachen Mitteln verblüffende Experimente einheiten aufgebaut sind. Genauer gesagt gehört Algin­
zu Hause durchzuführen! säure wie Stärke oder Zellulose zu den Polysacchariden.
Anders als diese, welche nur aus Glukoseeinheiten beste­
Vielseitiges Naturprodukt hen, setzt sie sich allerdings aus zwei unterschiedlichen
Alginsäure ist das strukturgebende Molekül der Zellwände Bausteinen zusammen (Bild oben), der α-L-Guluronsäure
von Braunalgen, aus denen der britische Chemiker und (abgekürzt G) und der b-D-Mannuronsäure (M). Beide sind
Pharmazeut Edward C. C. Stanford (1837–1899) die Sub­ so genannte Zuckersäuren, die bei der Oxidation von
stanz schon 1880 erstmals gewinnen konnte. Heutzutage Zuckermolekülen entstehen. In einzelnen Alginsäuremole­
werden Alginsäure und ihre Salze, die Alginate, im Maß­ külen hängen bis zu 3000 von ihnen aneinander. Dabei
stab von 40 000 Tonnen pro Jahr produziert. Verwendung wechseln sie sich keineswegs immer schön regelmäßig
finden sie unter anderem in der Lebensmittelindustrie als ab. Vielmehr existieren auch Bereiche, in denen viele
Emulgatoren, Gelier-, Überzugs- und Verdickungsmittel G- oder M-Bausteine direkt aufeinander folgen: Chemiker
sowie in der Medizin als Wundauflage oder Abformmasse. sprechen von GG- und MM-Blöcken.
Chemisch gesehen ist Alginsäure ein Biopolymer. Als Zur Herstellung von Popping Bobas dient wegen der
Polymere bezeichnet man langkettige Moleküle, die aus besseren Wasserlöslichkeit nicht Alginsäure, sondern ihr
+
einer oder mehreren sich stetig wiederholenden Struktur­ Natriumsalz, das Natriumalginat, in dem das Proton (H )

6 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
Bubble Tea, ein Mix­getränk
aus Tee, Milch und Frucht-
sirup, enthält als Besonder-
heit so genannte Popping
Bobas, die beim Kauen
zerplatzen. Diese gallert­
artigen, flüssigkeits­
gefüllten Bällchen (unten)
haben eine Hülle aus
Kalziumalginat.

OBEN: EXCLUSIVE-DESIGN / STOCK.ADOBE.COM;


BEARBEITUNG: SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT;
KLEINES FOTO RECHTS: MATTHIAS DUCCI

+
der Carboxylgruppen (–COOH) durch ein Natriumion (Na ) keitsrest allerdings innerhalb weniger Minuten, wenn man
ersetzt ist. In Gegenwart von Ionen bestimmter Metalle die Bällchen in der Kalziumsalzlösung belässt. Man sollte
wie etwa Kalzium verfestigen sich wässrige Natriumalgi­ sie deshalb möglichst rasch daraus entfernen.
nat-Lösungen zu einer glibberigen, geleeartigen Masse. Bei unseren Experimenten schleusen wir Stoffe in die
Bei dieser Gelierung verflechten sich die faden­förmigen Alginatbällchen ein und lassen sie dort miteinander rea­
Einzelketten zu dreidimensionalen Gebilden. Der Grund gieren. Dabei treten teils beeindruckende Farbeffekte auf.
dafür ist, dass sich die Metallionen insbesondere in den Zur Vorbereitung der Versuche gibt man ein Gramm
GG-Blöcken einlagern. Denn diese bilden mit ihrer Zick­ Natriumalginat, das sich über das Internet beziehen lässt,
zackstruktur passende Hohlräume, wenn sich zwei von in ein Glasgefäß (zum Beispiel ein 100-Milliliter-Becher­
ihnen aneinanderlegen (Bild rechts unten).

Bubble-Tea-Bällchen lassen sich durch Gelierung ein-


fach herstellen
Der Gelierprozess lässt sich ausnutzen, um Popping Bobas
herzustellen. Wenn man eine wässrige Natriumalginat-
Lösung tropfenweise zu einer Kalziumsalzlösung gibt,
bildet jeder Tropfen beim Eintauchen sofort einen schwer
löslichen, stabilen Mantel aus Kalziumalginat. Im Innern
bleibt dagegen ein wenig flüssige Natriumalginat-Lösung +n
eingeschlossen. Weil die Kalziumionen durch den Mantel
diffundieren können, verfestigt sich selbst dieser Flüssig­
K

Alginatlösungen gelieren bei Zugabe von Kalziumionen


(grüne Punkte). Diese sorgen dafür, dass sich Bereiche
des Biopolymers aneinanderlegen, in denen mehrere
Guluronsäure-Einheiten direkt aufeinander folgen, und
MATTHIAS DUCCI

lagern sich in die dabei entstehenden Hohlräume (symbo- Alginat-Molekülionen Kalziumalginat-Gel


lisiert durch Zickzacklinien) ein.

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 7


ü
Alginatbällchen mit ein­
geschlossenem pH-In­
dikator aus einem Testset
der Firma JBL sind un­
MATTHIAS DUCCI

terschiedlich gefärbt, je
nachdem, ob sie sich
in einem sauren, neutralen
oder alkalischen Medi-
um befinden (von links
nach rechts).

glas) und fügt 50 Milliliter heißes, aber nicht mehr sieden­ Als besonders geeignet für unsere Experimente hat
des Wasser hinzu. Anschließend rührt man fünf bis zehn sich das pH-Testset (3,0–10,0) von JBL erwiesen (zu bezie­
Mi­nu­ten lang kräftig mit einem Glasstab, bis sich alles hen beispielsweise bei Kölle-Zoo). Darin enthalten ist
vollständig gelöst hat. Diese Lösung reicht für sämt­liche ebenso ein 20-Milliliter-Messbecher, in den Sie fünf Milli­
hier beschriebenen Experimente. Denken Sie bitte daran, liter Natriumalginat-Lösung füllen. Fügen Sie anschließend
beim Hantieren mit heißen Lösungen und Chemi­kalien 40 Tropfen der Indikatorlösung sowie zwei Milliliter Was­
stets eine Schutzbrille und gegebenenfalls Schutzhand­ ser hinzu und verrühren Sie das grün gefärbte Gemisch
schuhe zu tragen. mit einem Glasstab.
Nun lösen Sie ein Gramm Kalziumlaktat (erhältlich im
Experimente mit pH-Indikatoren Internet) in 50 Milliliter Wasser und geben mit einer Pipette
Für den ersten Versuch verwenden wir einen pH-Indikator, einzeln nacheinander 40 bis 60 Tropfen der Indikator­alginat-
der durch seine Farbe anzeigt, ob eine Lösung sauer oder Lösung hinzu. Dabei entstehen grüne Bällchen. Gießen
alkalisch ist. Meist handelt es sich um eine organi­sche Sie die Lösung durch ein feines Teesieb und stellen Sie es,
Verbindung, die ein positiv geladenes Wasserstoffion, also nachdem Sie die darin aufgefangenen Kügelchen mit
+
ein Proton (H ), abspalten und auf ein Wassermolekül Wasser abgespült haben, zum Entfernen des restlichen
übertragen kann, wobei ein so genanntes Oxo­niumion Spülwassers auf saugfähiges Haushaltspapier. Schließlich
+
(H3O ) entsteht. Wir wollen dafür kurz HIn schreiben, verteilen Sie die Alginatbällchen auf drei Zehn-Milliliter-Roll-
wobei »H« das Elementsymbol für Wasserstoff ist, wäh­ randgläschen (Tablettengläser), die Sie zuvor je zur Hälfte
rend »In« für den Rest des Indikator­­­­­moleküls steht. mit einer Flüssigkeit gefüllt haben: das erste mit Essig, das
In Wasser bildet sich das folgende chemische Gleich­ zweite mit purem Wasser und das dritte mit Wasser, in
gewicht aus (die Kürzel »aq« und »l« bedeuten »in Wasser dem eine Messerspitze Haushaltssoda (Na2CO3) gelöst ist.
gelöst« beziehungsweise »flüssig«): Wie von Geisterhand färben sich die Alginatbällchen im
Essig rot und in der Sodalösung lila, während sie im neu­
– +
HIn (aq) + H2O (l)     In  (aq) + H3O  (aq) tralen Wasser ihr grünes Aussehen behalten (Bild oben).
Indikatormolekül + Wassermolekül      Verantwortlich für die Farbänderungen sind die Oxo­
Indikatorion + Oxoniumion niumionen in der sauren sowie die Hydroxidionen in der
alkalischen Lösung, die durch den Kalziumalginatmantel
Durch die Übertragung des Protons ändert der Indikator diffundieren können. Im Innern der Alginatbällchen be-
seine Farbe, Methylorange zum Beispiel von Rot nach wirken sie dann die oben beschriebenen Verschiebungen
Gelb. Wenn Sie diesen Indikator in eine saure Lösung in der Gleichgewichtsreaktion zwischen Wasser und
geben – also eine, die viele Oxoniumionen enthält –, dann pH-Indikator. Dieser besteht in unserem Fall aus einem
liegt er überwiegend in der HIn-Form vor, weil sich das Gemisch mehrerer Substanzen, das im sauren Milieu rot,
oben formulierte Gleichgewicht nach links verschiebt. Des­ im alkalischen violett und im neutralen grün erscheint.
halb ist die Lösung rot gefärbt. In alkalischen Lösungen

kommen dagegen zahlreiche Hydroxidionen (OH ) vor, die Die Wirkung von »Brausegas«
mit Oxoniumionen zu Wasser reagieren. auf Indikator-Alginatbällchen
Ein weiterer verblüffender Farbeffekt ergibt sich, wenn
+ –
H3O  (aq) + OH  (aq)     2H2O (l) Sie die grünen Bällchen mit Kohlenstoffdioxid (CO2) in
Oxoniumion + Hydroxidion     Wassermoleküle Kontakt bringen – jenem Gas, das im Alltag meist fälsch­
lich als Kohlensäure bezeichnet wird und Sprudelwasser
Als Folge davon werden die Oxoniumionen gemäß der oder Limonade so schön auf der Zunge prickeln lässt.
obigen Gleichgewichtsreaktion ständig nachgebildet, Geben Sie dazu eine Vitaminbrausetablette in ein 100-Milli-

wobei das HIn sein Proton abgibt und in die In -Form über­ liter-­Becherglas mit 10 Milliliter Wasser und decken Sie es
geht. Darum ist eine alkalische Lösung mit Methylorange lose mit einem Stück Pappe ab. Die Tablette enthält unter
gelb gefärbt. Chemische Umsetzungen, bei denen Proto­ anderem Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3), besser
nen übertragen werden, bezeichnet man ganz allgemein bekannt als Natron, sowie Zitronensäure. Letztere bildet in
als Säure-Base-Reaktionen. Wasser Oxoniumionen, die mit dem Hydrogencarbonation

8 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
lenstoffdioxidmoleküle: Es stellt sich ein chemisches
MATTHIAS DUCCI

Gleich­gewicht ein, das weit auf der linken Seite liegt.


Dadurch wird die Lösung im Innern der Bällchen lediglich
sehr schwach sauer. Der Indikator färbt sich daher nicht
rot, sondern nur gelb.

Faszinierende Effekte
mit Textmarkern und Zaubermalern
Mit einem Farbumschlag reagiert auch das in diversen
Alltagsprodukten enthaltene Pyranin auf eine Änderung
der Konzentration von Wasserstoffionen in einer Lösung.
Es fluoresziert bei Tageslicht gelb und wird deshalb in
Beim Versetzen mit Kohlenstoffdioxid ändern die Alginat­ manchen Textmarkern sowie teilweise in Duschgels ver­
bällchen mit eingeschlossenem pH-Indikator von JBL ihre wendet. Um diesen pH-Indikator in die Alginatbällchen
Farbe von Grün nach Gelb. einzuschleusen, bemalen Sie ein etwa drei mal fünf Zenti­
meter großes Stück Filterpapier beidseitig mit einem
gelben Textmarker von Herlitz, Faber-Castell oder Pelikan.

(HCO3 ) des Natrons zu Kohlenstoffdioxid und Wasser Anschließend bewegen Sie es in fünf Milli­liter Wasser hin
reagieren. Deshalb löst sich die Tablette schäumend auf. und her, bis sich der größte Teil des F
­ arbstoffs gelöst hat.
Die entsprechende Reaktionsgleichung lautet (der Zusatz Nach Zugabe von fünf Millilitern Natrium­alginat-Lösung
»g« steht für »gasförmig«): tropfen Sie den Extrakt wie üblich in eine Kalziumlaktat-
Lösung. Beim Bestrahlen mit einer UV-Taschenlampe
+ –
H3O  (aq) + HCO 3  (aq)     2 H2O (l) + CO2 (g) bieten die entstehenden gelben Bällchen einen spektaku­
Oxoniumion + Hydrogencarbonation      lären Anblick: Sie fluoreszieren intensiv grün (links im Bild
Wassermoleküle + Kohlenstoffdioxidmolekül unten).
Wenn Sie die Alginatbällchen in eine stark saure
Das freigesetzte Kohlenstoffdioxid ist schwerer als Luft Lösung überführen, entfärben sie sich. Das Pyranin liegt
und verbleibt daher in dem mit Pappe abgedeckten Be­ nämlich nun protoniert vor, hat also ein Wasserstoffion
cherglas. Gießen Sie es, nachdem sich die Tablette voll­ angelagert. Doch wer die farblosen Kügelchen unter
ständig aufgelöst hat, behutsam in ein Rollrandglas mit UV-Licht betrachtet, erlebt eine Überraschung: Sie fluo-
20 grünen Alginatbällchen und verschließen Sie dieses mit reszieren jetzt blau (rechts im Bild unten)!
einem Gummistopfen. Nach etwa einer halben Minute Besonders bunt geht es zu, wenn Sie Farbstoffe aus so
haben sich die Kügelchen gelb verfärbt (Bild oben)! genannten Zaubermalern in die Alginatbällchen ein­
Wie ist das zu erklären? Wenn das Kohlenstoffdioxid schleusen. Der Name dieser Filzstifte rührt daher, dass
mit der feuchten Oberfläche der Alginatbällchen in Berüh- damit gezeichnete Linien beim Überstreichen mit einem
rung kommt, bilden sich gemäß der Reaktionsgleichung »Magic Pen« wie durch Zauberhand ihre Farbe ändern.
Was dabei chemisch geschieht, haben wir in einem frü­
+ –
CO2 (g) + 2 H2O (l)     H3O  (aq) + HCO 3  (aq) heren Beitrag bereits ausführlich erläutert (»Spektrum«
Kohlenstoffdioxidmolekül + Wassermoleküle      November 2016, S. 70).
Oxoniumion + Hydrogencarbonation Für das Experiment nehmen wir drei Zaubermaler (zum
Beispiel »Magic Colors« von Carioca), deren Strichfarbe
Oxoniumionen. Diese wandern mit der Zeit ins Innere der sich von Blau nach Gelb, Hellgrün nach Braun und Gelb
Bällchen. Allerdings reagiert nur ein kleiner Teil der Koh­ nach Rot ändert. Öffnen Sie die Stifte mit einer Zange am MATTHIAS DUCCI

– –
SO 3 SO 3

– –
O3 S + H3O+ O3S + H2O
– –
SO 3 SO 3


O OH
bei Tageslicht: gelb fluoreszierend farblos
bei UV-Licht: grün fluoreszierend blau fluoreszierend

Enthalten Alginatbällchen den Fluoreszenzfarbstoff Pyranin,


leuchten sie unter UV-Licht in neutraler Lösung grün (links). Im
Sauren fluoreszieren sie dagegen blau (rechts), weil das Farb-
stoffmolekül ein Proton angelagert hat (Mitte).

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 9


ü
MATTHIAS DUCCI
Alginatbällchen, die wegen eingeschleuster Farbstoffe aus Zaubermalern orange, grün oder blau
erscheinen (links), beginnen sich nach dem Überschichten mit einer alkalischen Lösung von außen
nach innen umzufärben (Mitte) – ein Vorgang, der nach etwa drei Minuten abgeschlossen ist.
Durch anschließendes Ansäuern der Lösung lässt sich die Verfärbung rückgängig machen (rechts).

hinteren Ende und entnehmen Sie die Minen. Aus jeder in eine Kaliumpermanganat-Lösung, färbt er sich braun, da
drücken Sie drei Tropfen Farbstofflösung und vermischen bei der Reaktion Braunstein (MnO2) entsteht. Doch ma­
sie jeweils in einem 20-Milliliter-Messbecher mit fünf chen Sie dieses »Experiment« lieber nicht, und vermeiden
Milliliter Natriumalginat-Lösung. Fügen Sie fünf Milli­liter Sie prinzipiell jeden direkten Kontakt mit dem ätzenden
destilliertes Wasser hinzu und verrühren Sie die Lösungen Stoff. Natriumsulfit ist ein weißes, kristallines Pulver, das
mit einem Glasstab. Geben Sie anschließend je fünf bis reduzierend wirkt und deshalb mitunter in Fleckentfernern
zehn Tropfen davon in ein und dieselbe Kalziumlaktat-­ und Tintenkillern vorkommt.
Lösung. Dort entsteht dadurch ein Sortiment aus gelb­ Für das Experiment lösen Sie 0,01 Gramm Kaliumper­
orangen, blauen und grünen Alginatbällchen (links im Bild manganat in fünf Milliliter Wasser, geben ebenso viel
oben). Natriumalginat-Lösung hinzu und tropfen das Gemisch in
Werden diese nun, wie oben beschrieben, in ein Zehn- die Kalziumlaktat-Lösung. Überführen Sie die entstehen­
Milliliter-Rollrandgläschen überführt und mit zwei Milliliter den, intensiv violett gefärbten Kügelchen in zwei Milliliter
Salmiakgeist (einer neunprozentigen Ammoniak­lösung aus einer 1 : 1-Mischung aus 24-prozentiger Salzsäure und
dem Baumarkt) überschichtet, verfärben sie sich an ihren Wasser, in der Sie 0,1 Gramm Natriumsulfit-Heptahydrat
Rändern. Das lässt sich sehr gut auf einem Tageslichtpro­ gelöst haben. Auf den ersten Blick scheinen die Alginat­
jektor oder einer Leuchtplatte beobachten (Bild oben, bällchen zu schrumpfen und schließlich ganz zu ver­
Mitte). Der Farbwechsel schreitet ins Innere der Bällchen schwinden. Bei genauerer Betrachtung erkennt man
voran, bis sie durchgängig die Farbe auf der Kappe des jedoch, dass sie sich von außen nach innen zunehmend
jeweiligen Zaubermalers angenommen haben. entfärben.
Der gesamte Vorgang lässt sich wieder rückgängig Ursache hierfür ist die folgende Redoxreaktion
2–
machen. Um die ursprünglichen Farben zu erhalten, ­zwischen eindiffundierenden Sulfitionen (SO3 ) und den

müssen Sie nur am Ende zwei Milliliter 24-prozentige violetten Permanganationen (MnO4 ):
Salzsäure (ebenfalls im Baumarkt erhältlich) in das Roll­
– 2– +
gläschen gießen (rechts im Bild oben). 2  MnO4 (aq) + 5SO3  (aq) + 6 H3O  (aq)     
2+ 2–
2 Mn  (aq) + 5 SO4  (aq) + 9 H2O (l)
Verwandlungstrick in Violett Permanganationen + Sulfitionen + Oxoniumionen     
Bei den bisherigen Experimenten beruhte die Änderung Mangan(II)-Ionen + Sulfationen + Wassermoleküle
der Farbe auf pH-Indikatoren in den Alginatbällchen und
somit auf Säure-Base-Reaktionen. Ein anderer Typ von Dabei entstehen ausschließlich farblose Reaktions-
chemischen Umsetzungen sind Redoxreaktionen, bei produkte.
denen Elektronen zwischen den Reaktionspartnern über­
tragen werden. Sie lassen sich ebenfalls in Alginatkügel­
chen durchführen. Allerdings braucht man für das folgen- QUELLEN
de Experiment außer Salzsäure noch Kaliumpermanganat
Brandl, H.: Trickkiste Chemie. Aulis, 2010
(KMnO4) und Natriumsulfit-Heptahydrat (Na2SO3 · 7 H2O) –
zwei Chemikalien, die für Privatpersonen nicht leicht zu Brezesinksi, K., Ducci, M.: Donator-Akzeptor-Reaktionen in
Alginatbällchen. Praxis der Naturwissenschaften – Chemie
beschaffen, aber in Schullabors vorhanden sind.
in der Schule 65, 2016
Kaliumpermanganat ist ein Salz, das dunkle, violett
glänzende Kristalle bildet. Es wirkt stark oxidierend und Ducci, M.: Jetzt geht’s rund – Redoxreaktionen in Alginatbällchen.
CHEMKON 23, 2016
dient daher unter anderem als Desinfektionsmittel. Auch
die menschliche Haut greift es an: Tunkt man einen Finger Ducci, M.: Die molekulare Redoxküche. Chemie & Schule 31, 2016

10 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
Am Anfang
steht die
Neugier.

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LIESEGANGSCHE RINGE –
STRUKTURBILDUNG IM
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Im Jahr 1896 entdeckte Raphael Eduard Liesegang erstmals ein
Beispiel für Selbstorganisation in der Chemie. Erst ein halbes
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 spektrum.de/artikel/1520783


Überall in der Tier- und Pflanzenwelt treten frappie- aus der Natur bekannt war, hielten viele Chemiker ihre
rende regelmäßige Strukturen auf – man denke nur an Disziplin damals für in wundersamer Weise gefeit gegen
die Symmetrie eines Ahornblatts oder die Streifen im derlei Phänomene. Nach allgemeiner Ansicht sollte eine
Zebrafell. Aber selbst in der unbelebten Natur sind solche Reaktion so lange stetig weiterlaufen, bis die Ausgangs-
Muster zu finden, seien es die Rillen im Sandwatt, die substanzen verbraucht waren oder sich ein thermodynami-
fraktalen Verästelungen von Eiskristallen oder die körnige scher Gleichgewichtszustand eingestellt hatte. Zwar
Struktur der Sonnenoberfläche, fachsprachlich Granulation waren vor Beloussows Entdeckung bereits periodische
genannt. Im Reagenzglas würde man derlei dagegen Erscheinungen in der Chemie beobachtet worden. Doch
kaum erwarten. Und doch ist schon seit Langem bekannt, galten sie als nicht reproduzierbare Laborkuriositäten, die
dass es auch bei chemischen Reaktionen zu einer räumli- von äußeren Störungen im Verlauf der Umsetzung her-
chen und zeitlichen Selbstorganisation kommen kann. Für rührten.
solche Erscheinungen hat der russisch-belgische Physiko- Tatsächlich schien der zweite Hauptsatz der Thermo­
chemiker Ilya Prigogine (1917–2003) den Ausdruck dissipa- dynamik oszillierende Reaktionen zu verbieten. Demnach
tive Strukturen geprägt. Als Pionier auf dem Gebiet der kann die Entropie eines chemischen Systems, die ein Maß
Nichtgleichgewichtsthermodynamik erhielt er 1977 den für seinen Ordnungszustand ist, immer nur zunehmen.
Nobelpreis für Chemie. Das heißt, dass Reaktionen stets zu einer größeren Unord-
nung unter den beteiligten atomaren Bestandteilen führen
Eine Entdeckung, die niemand glauben wollte sollten. Würden sie im periodischen Wechsel vorwärts und
In dissipativen Systemen können zeitliche, raumzeitliche rückwärts ablaufen, nähme der Ordnungsgrad und damit
und räumliche Muster auftreten. Das bekannteste Beispiel die Entropie im Widerspruch zum zweiten Hauptsatz der
für eine Reaktion, die in einem periodischen Zeittakt Thermodynamik zwischenzeitlich immer wieder ab.
abläuft, beruht auf einer eher zufälligen Entdeckung des Diesen scheinbaren Widerspruch löste erst Prigogine
russischen Chemikers und Biophysikers Boris Pawlowitsch auf. Er erkannte, dass die klassische Thermodynamik nur
Beloussow (1893–1970) um 1950. Bei der Oxidation von für abgeschlossene Systeme gilt, die sich nahe an ihrem
Zitronensäure mit Kaliumbromat und einem Cer(IV)-Salz in Gleichgewichtszustand befinden. Gleichgewichtsferne,
schwefelsaurer Lösung bemerkte er, dass die gelbe Farbe offene Systeme, die beständig Energie und Materie mit
des Cer(IV)-Ions rhythmisch verschwand und wieder der Umgebung austauschen, können dagegen quasi En-
auftauchte. tropie exportieren. Das erlaubt ihnen, ihren Ordnungsgrad
Diese Entdeckung war so ungewöhnlich, dass gleich vorübergehend zu erhöhen und so in einem zeitlichen
drei Zeitschriftenredaktionen den Bericht des Forschers Rhythmus zu pulsieren, ohne den zweiten Hauptsatz zu
darüber ablehnten. Denn obwohl periodisches Verhalten verletzen.

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MATTHIAS DUCCI
Bei der Belousov-Zhabotinsky-Reaktion wandern blaue Fronten durch eine rote Lösung.

Beloussow brachte seinen Bericht schließlich in einem williger, aber sehr erfolgreicher Forscher mit ausgeprägten
Tagungsband über Strahlungsmedizin unter. Wahrschein- künstlerischen Neigungen.
lich wäre die Publikation in der Versenkung verschwunden, Liesegang entstammte einer alteingesessenen Fabri-
hätte nicht der Biophysiker Simon E. Schnoll von der Lo- kantenfamilie im Ruhrgebiet – schon sein Großvater hatte
monossow-Universität in Moskau seinen Mitarbeiter Ana- Fotokameras sowie Fotopapier (Albuminpapier) herge-
toli Markowitsch Schabotinski (1938–2008) mit der genau­ stellt. 1869 in Elberfeld (heute Wuppertal) geboren, interes-
eren Untersuchung des ungewöhnlichen Phänomens be- sierte er sich bereits in der Schule, die er nur mit Mühe
auftragt. Dieser erkannte unter anderem, dass das Cer(IV)- absolvierte, für Fotografie und die ihr zu Grunde liegenden
Ion als Elektronenüberträger fungiert. Er ersetzte es darauf- chemischen Prozesse. Zunächst wollte er Maler werden,
hin durch ein Eisensalz, was einen periodischen Farbum- entschied sich unter väterlichem Druck aber um und
schlag zwischen Rot und Blau bewirkte. In der fachwissen- begann 1888 in Freiburg Chemie zu studieren. Obwohl er
schaft­lichen Literatur wird die Reaktion seither – gemäß so gut wie keine Vorlesung besuchte, verfasste er in dieser
der englischen Transkription der russischen Namen – als Zeit bereits wissenschaftliche Zeitschriftenartikel und
Belousov-Zhabotinsky- oder kurz BZ-Reaktion bezeichnet Bücher, unter anderem über lichtempfindliche organische
(»Spektrum« Mai 1980, S. 131, und Mai 1983, S. 98). Silbersalze sowie über das »electrische Fernsehen«.
Andere Forscher entwickelten weitere Varianten dieses
chemischen Oszillators. So kombinierten ihn Thomas S. Beeindruckende Karriere ohne akademischen Titel
Briggs und Warren C. Rauscher an der Galileo High School Im Jahr 1892 kehrte Liesegang ohne Abschluss in die
in San Francisco mit einer ebenfalls periodisch ablaufen- väterliche fotochemische Fabrik zurück. Dort forschte er
den Reaktion – der Reduktion von Iodat (IO3–) durch Was- weiter und übernahm nach dem Tod des Vaters mit zwei
serstoffperoxid (H2O2) –, die William C. Bray (1879–1946) Brüdern die Leitung des Unternehmens. Ab 1908 löste er
schon 1921 entdeckt hatte. Dadurch kommt es zu einem sich von seinen Pflichten und betätigte sich fortan als
sehr eindrucksvollen oszillierenden Farbumschlag von reiner Grundlagenforscher. Dabei machte er auch ohne
farblos über goldgelb nach blau. Eine umfassende Theo- akademischen Titel eine beeindruckende Karriere, an
rie zum Mechanismus der BZ-Reaktion stellten 1972 deren Ende er 1937 sogar die Leitung des Instituts für
Richard J. Field, Endre Körös und Richard M. Noyes von Kolloidforschung in Frankfurt am Main übernahm.
der University of Oregon auf. Bis zu seinem Tod verfasste Liesegang über 800 Publi-
Eine raumzeitliche Strukturbildung lässt sich bei der kationen. Er sprach sieben Fremdsprachen (darunter
BZ-Reaktion ebenfalls beobachten. So erscheint eine wäs- Malaysisch) und schrieb etliche Dramen. Angesichts
srige Lösung, welche die Ausgangssubstanzen in etwas seiner Vielseitigkeit auf geistiger Ebene wie in praktischen
anderen Konzentrationsverhältnissen enthält, in einer Dingen bezeichneten ihn seine Freunde gern als »polyvari-
Glasschale anfangs einheitlich rot. Doch plötzlich treten ables System«. Liesegang selbst resümierte in seiner
kleine blaue Punkte auf, von denen im weiteren Verlauf Autobiografie: »Ich bin ein freier Student geblieben.«
kreis­förmige, blaue Wellenfronten ausgehen und sich Das nach ihm benannte, verblüffende Phänomen ent-
stetig ausdehnen (Bild oben). deckte der Forscher im Jahr 1896 während seiner Untersu-
Für die Entstehung räumlicher Muster schließlich bilden chungen zum Wachstum von Kristallen in Gelen. Bei
die Liesegangschen Ringe ein eindrucksvolles Beispiel. einem Experiment platzierte er einen Tropfen Silbernitrat-
Benannt sind sie nach dem Kolloidchemiker Raphael lösung auf eine erstarrte Gelatinelösung, der er Kalium­
Eduard Liesegang (1869–1947), der in der Literatur oft als dichromat zugesetzt hatte. Die Salze in beiden Lösungen
+
Sonderling beschrieben wird. Er war in der Tat ein eigen- sind dissoziiert: Die erste enthält Silber- (Ag ) und Nitrat-

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 13


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handelt es sich um eine empirisch ermittelte Konstante,
MATTHIAS DUCCI

die angibt, wie groß das Produkt der Konzentrationen (c)


der Ionen in der betreffenden Lösung maximal sein kann.
Im Fall von Silberchromat in Wasser lautet es:

+ 2 2– –12 3 3
KL = c(Ag ) ∙ c(CrO4 ) = 1,9*10 mol /L

+
Der Faktor c(Ag ) wird quadriert, weil in der Reaktions-
gleichung eine 2 vor den Silberionen steht. Sobald das
Produkt der Konzentrationen beider Ionen gemäß der
obigen Gleichung den Wert von KL überschreitet, fällt
Silberchromat aus. Da dieser Wert sehr klein ist, geschieht
das fast sofort, und das Gleichgewicht liegt weit auf der
rechten Seite der Reaktionsgleichung.
Während der Tropfen in die Gelatineschicht diffundiert,
entsteht also zunächst eine kreisförmige Zone aus rotem
Silberchromat. Doch dann passiert etwas Überraschendes:
Beim Auftropfen von Silbernitratlösung auf eine erstarrte, Der Niederschlag in der Gelatine breitet sich nicht kontinu-
wässrige Gelatineschicht, welche Chromationen enthält, ierlich aus. Stattdessen bilden sich zahlreiche konzentri-
entstehen Ringe aus rotem Silberchromat (links). Sie werden sche Kreise aus Silberchromat mit farblosen Zwischenräu-
nach ihrem Entdecker als Liesegangsche Ringe bezeichnet. men (Bild links). Der Abstand zwischen den Ringen nimmt
Im Reagenzglas bilden sich mit den gleichen Substanzen far- mit der Entfernung vom Mittelpunkt zu. In den Zwischen-
bige Bänder (rechts). räumen ist die anfangs durch die Chromationen gelb
schimmernde Gelatine entfärbt. Liesegang selbst bezeich-
nete die Ringe als A-Linien. Erst später erhielten sie den
– +
ionen (NO3 ), die zweite Kalium- (K ) und Dichromationen Namen ihres Entdeckers.
2–
(Cr2O7 ). Letztere reagieren mit Wasser teilweise zu Chro-
2–
mationen (CrO4 ). Treffen diese nun auf Silberionen, fällt Wie eine Übersättigung periodische
rotes, schwer lösliches Silberchromat aus. Die zugehörige Farbmuster hervorruft
Reaktionsgleichung lautet (die Symbole »aq« und »s« be- Wie lässt sich dieses frappierende Muster erklären? Dazu
deuten »in Wasser gelöst« beziehungsweise »fest«): gibt es zahlreiche Theorien. Viele haben einen Grundge-
danken gemeinsam, den Wilhelm Ostwald (1853–1932)
+ 2–
2 Ag  (aq) + CrO4  (aq)     Ag2CrO4 (s) schon 1897 in seiner Übersättigungstheorie formulierte
Silberionen + Chromation     Silberchromat und der noch heute im Grundsatz als zutreffend gilt. Dem-
nach sorgen die Silberionen, während sie vom Auftropf-
Allerdings vereinigen sich nicht alle Silber- und Chro­ punkt der Silbernitratlösung nach außen diffundieren, für
mationen zum roten Silberchromat; ein kleiner Teil bleibt in das Ausfällen von Silberchromat. Damit erniedrigen sie
Lösung. Wie der Doppelpfeil in der obigen Reaktionsglei- im Umkreis die Konzentration an Chromationen, wodurch
chung andeutet, stellt sich nämlich ein Gleichgewicht ein Konzentrationsgefälle zu weiter außen gelege­nen
zwischen den Ausgangssubstanzen und dem Reaktions- Regionen entsteht. Von dort wandern deshalb Chromat­
produkt ein. Entscheidend für die Lage dieses Gleichge- ionen ein. Das aber lässt die umliegende Zone an solchen
wichts ist das so genannte Löslichkeitsprodukt (KL). Dabei Ionen verarmen. In diesem Bereich wird das Löslichkeits-
MATTHIAS DUCCI

Hübsche Liesegang-Bänder
lassen sich auch mit zahlrei-
chen Reagenzien erzeugen. In
den hier gezeigten Bei­spielen
bestehen sie aus Kobalthydro-
xid, Manganhydroxid, Blei­
iodid und Bleihydroxid (von
links nach rechts).

14 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


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produkt deshalb nicht mehr überschritten, sobald die Die kunstvoll

MATTHIAS DUCCI
Silberionen auf ihrem weiteren Weg nach außen dorthin aussehenden
gelangen. Erst dahinter fällt erneut Silberchromat aus, Liesegang-­
und der geschilderte Vorgang wiederholt sich. Dazu passt Bänder aus
die Beobachtung, dass sich die gelbe Gelatineschicht Magnesiumhy­
zwischen den Ringen entfärbt. droxid (links)
Die Übersättigungstheorie erklärt ebenfalls, warum der und Kalziumcar-
Abstand zwischen den Ringen nach außen zunimmt. Dem- bonat (rechts)
nach wird das Löslichkeitsprodukt von Silberchromat erst lassen sich
in immer weiterer Entfernung vom Auftropfpunkt erneut daheim ganz
überschritten, weil sich die Konzentration der nachdiffun- einfach her­
dierenden Silberionen durch wiederholtes Ausfällen des stellen. Dazu
Salzes stetig verringert. benötigt man nur
Allerdings reicht die Übersättigungstheorie allein nicht allgemein zu-
aus, um das Konzentrationsgefälle an Chromationen hinter gängliche Chemi-
einem gebildeten Ring zu erklären. Als weiterer Faktor kalien.
kommt hinzu, dass das ausgefallene Silberchromat als
Barriere wirkt, welche die nachfolgenden Silberionen über-
winden müssen. Das liefert die notwendige Zeit, damit Umgebung eines kleinen Kristalls in Richtung des größe-
sich der Konzentrationsgradient bilden kann. ren Nachbarn diffundieren als umgekehrt. Als Folge davon
Analoge periodische Strukturen lassen sich auch im werden aus dem Gleichgewicht zwischen fester und
Reagenzglas erzeugen. Dazu gießt man eine mit Kalium- gelöster Phase des kleineren Kristalls ständig Ionen ent-
chromat versetzte Gelatinelösung hinein und überschichtet fernt, bis nichts mehr von ihm übrig ist. Auf diese Weise
sie nach dem Erstarren mit einer Silbernitratlösung. An der entstehen Ansammlungen immer größerer Kristalle.
Grenze zwischen beiden fällt sofort rotes Silberchromat Diskontinuierliche Fällungserscheinungen sind übrigens
aus. Diese Niederschlagszone dehnt sich in den folgenden keineswegs auf Gele beschränkt. Man muss nur eine
Minuten etwa einen halben Zentimeter weit in die Gelatine mechanische Durchmischung der Lösungen verhindern,
hinein aus. Doch nach einer halben Stunde setzt sich die um zu gewährleisten, dass die Umsetzungsprodukte an
Ausfällung nicht mehr kontinuierlich fort. Vielmehr entste- Ort und Stelle bleiben. Dies ist zum Beispiel in dünnen
hen unter der anfänglichen, gleichförmigen Niederschlags- Kapillarröhren (mit Durchmessern von 0,1 bis 0,3 Millime-
zone deutlich voneinander abgesetzte rote Schichten tern) der Fall. In ihnen lassen sich deshalb nach dem
(»Liesegang-Bänder«). Diese liegen zunächst noch sehr gleichen Prinzip ganz ohne Gelatine geschichtete Struktu-
eng zusammen, doch mit fortschreitender Versuchsdauer ren erzeugen.
nimmt der Abstand zwischen ihnen wie bei den Liese- Rhythmische Fällungen treten sogar bei Reaktionen
gangschen Ringen stetig zu. zwischen gasförmigen Stoffen auf, so etwa bei der Bil-
dung von festem Ammoniumchlorid aus Chlorwasserstoff
Die Großen wachsen auf Kosten der Kleinen und Ammoniak, wenn man beide Gase in einem 50 Zenti-
Im Lauf der Zeit stellte sich heraus, dass solche Muster bei meter langen Glasrohr mit vier Millimeter Durchmesser
vielen Elektrolytpaaren auftreten, die beim Mischen einen gegeneinander diffundieren lässt. Die zugehörige Reakti-
schwer löslichen Niederschlag bilden (Bild S. 14 unten). onsgleichung lautet (»g« steht für »gasförmig«):
Manchmal entstehen allerdings statt kompakter Bänder
kristalline Schichtungen, die nicht als Diffusionsbarriere HCl (g) + NH3 (g)     NH4Cl (s)
wirken können. Dieses Phänomen lässt sich mit der »Ost- Chlorwasserstoff + Ammoniak     Ammoniumchlorid
wald-Reifung« erklären, einer Theorie, die Ostwald eben-
falls im Zusammenhang mit der von Liesegang entdeckten Chemische Strukturbildung im Heimversuch
Strukturbildung im Jahr 1900 aufstellte. Demnach enthält Laien können die Chemikalien für die bisher beschrieenen
der Niederschlag, sofern er nicht amorph (strukturlos) ist, Liesegang-Strukturen normalerweise nicht erwerben. Das
unterschiedlich große Kristalle, die in ihrem Wachstum ist gut so, denn einige Substanzen sind potenziell gesund-
konkurrieren. heitsschädlich. So ist Kaliumdichromat umweltgefährdend
Laut Ostwald wachsen große Exemplare schneller als und giftig. Es kann Krebs erzeugen, das Erbgut verändern
kleine – wofür Walter Kossel (1888–1956) und Iwan Strans­ und die Fortpflanzung beeinträch­tigen. Dennoch besteht
ki (1897–1979) mit ihren kinetischen Betrachtungen des auch für Nichtchemiker die Möglichkeit, im Heimversuch
Vorgangs erst Jahre später eine theoretische Begründung Liesegang-Bänder herzustellen.
lieferten. Das führt letztlich dazu, dass sich die kleinen Zwei entsprechende Experimente möchten wir hier be-
Kristalle auflösen und nur die großen übrig bleiben. Deren schreiben. Für das erste benötigen Sie ein Reagenzglas
unmittelbare Umgebung verarmt durch das raschere mit Stopfen, zwei Bechergläser (0,1 Liter), Haushaltsgela­
Wachstum nämlich schneller an verfügbaren Ionen als tine und Salmiakgeist (neunprozentige Ammoniaklösung
die der kleineren. Dadurch entsteht ein Konzentrationsge- aus dem Baumarkt) sowie Magnesiumchlorid-Hexahydrat
fälle, so dass im zeitlichen Mittel mehr Ionen aus der (MgCl2  ∙  6 H2O). Dieses Salz ist Hauptbestandteil bestimm-

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 15


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MATTHIAS DUCCI

Achate weisen ähnlich wie die Liesegang-Muster gebänderte Strukturen auf.

ter Badezusätze, wie den im Internet erhältlichen »Magne- Liesegang-Ringe und -Bänder lassen sich aber nicht nur
sium Flakes« von Zechstein – eine irreführende Bezeich- künstlich erzeugen, sondern treten offenbar auch in der
nung, da es sich natürlich nicht wirklich um Magnesium- Natur auf. Gebänderte Strukturen, die ihnen stark ähneln,
späne handelt, die mit dem Badewasser unter Hitzeent- finden sich vor allem in der Geologie. Als Beispiel seien
wicklung zu einer ätzenden Lauge reagieren würden. Feuersteinschichten in Kreidefelsen genannt. Ebenso
Zunächst lösen Sie 1,5 Gramm Gelatine unter Erwärmen erinnern die Achate und andere Minerale mit ihren charak-
und Rühren in 50 Milliliter Wasser. Anschließend nehmen teristischen konzentrischen Ringmustern an liesegangsche
Sie 15 Milliliter der noch warmen Lösung und versetzen sie Strukturen (Bild oben). Früher hielt man diese Erscheinun-
mit 0,25 Gramm Zechsteiner Magnesium-Flakes. Rühren gen für das Ergebnis einer ungleichmäßigen Stoffzufuhr.
Sie das Gemisch, bis sich alles vollständig aufgelöst hat. Heutzutage überwiegt jedoch die Ansicht, dass Vorgänge
Dann gießen Sie die Flüssigkeit in das Reagenzglas und analog der Bildung von Liesegang-Mustern dafür verant-
lassen die Gelatine erstarren – was schneller geschieht, wortlich sind.
wenn Sie das Gefäß in den Kühlschrank stellen. Schließ- In der Biologie kommen ebenfalls konzentrische Ringe
lich überschichten Sie das Gel ein bis zwei Zentimeter vor – zum Beispiel bei Bakterien- und Pilzkulturen, die
hoch mit Salmiakgeist und verschließen das Reagenzglas auf Agar in Petrischalen wachsen. Das lässt sich damit
mit einem Stopfen. erklären, dass durch die Nahrungsaufnahme ein Konzent-
Im zweiten Experiment verfahren Sie analog, nehmen rationsgradient entsteht, durch den das benachbarte
aber statt der Magnesium-Flakes 0,2 Gramm Kalzium­ konzentrische Gebiet an Nahrung verarmt. In diesem
chlorid, das zum Beispiel als Adsorptionsmaterial in che- Bereich findet deshalb keine weitere Vermehrung statt.
mischen Raumentfeuchtern enthalten ist. Zum Über- Erst in einer weiter entfernten Region gibt es wieder
schichten dienen diesmal zwei bis drei Milliliter einer Lö- genügend Nahrung, so dass hier die nächste Generation
sung von 0,5 Gramm Natriumcarbonat (»Haushaltssoda«, heranwächst.
Na2CO3) in zehn Milliliter Wasser.
In beiden Fällen entstehen – mitunter erst nach einigen
Tagen – im Reagenzglas periodische weiße Niederschläge,
die Liesegang-Bänder (siehe Bild S. 15). Im ersten Expe­
riment bestehen sie aus Magnesiumhydroxid, wobei die QUELLEN
Hydroxidionen aus der alkalischen Ammoniaklösung
Beneke, K.: Liesegang named in Literature. Kiel, 2006.
stammen (das Symbol »l« steht für »flüssig«): Online unter: www.uni-kiel.de/anorg/lagaly/group/klausSchiver/
liesegangliterature-1.pdf
+ –
NH3 (aq) + H2O (l)     NH4  (aq) + OH  (aq) Deutsch, A. (Hg.): Muster des Lebendigen. Friedrich Vieweg &
Ammoniak + Wasser     Ammoniumion + Hydroxidion Sohn, 1994

2+ – Ducci, M.: Periodische und chaotische Oszillationserscheinungen


Mg  (aq) + 2 OH  (aq)     Mg(OH)2 (s) an Metallelektroden und elektrochemische Modellexperimente zur
Magnesiumion + Hydroxidionen     Magnesiumhydroxid Erregungsleitung an Nerven. Dissertation, Oldenburg 2000
Henisch, H. K.: Crystals in Gels and Liesegang-Rings. Cambridge
Im zweiten Experiment scheidet sich hingegen Kalzium- University Press, 1988
carbonat aus: Kuhnert, L., Niedersen, U. (Hg.): Ostwalds Klassiker der exakten
2+ 2–
Ca  (aq) + CO3  (aq)     CaCO3 (s) Wissenschaften 272. Akademische Verlagsgesellschaft Geest &
Kalziumion + Carbonation     Kalziumcarbonat Portig, 1987

16 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


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 spektrum.de/artikel/1594008

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Azofarbstoffe können
in orientalischen
Gewürzen enthalten
sein. Mitunter sind
die Zusätze jedoch
giftig.

18 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


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NH2 NH2 Bei der Synthese von Anilin­
gelb überführt man Anilin mit
+ Hilfe von salpetriger Säure
NH2 N N
+ HNO2 + H+ N+ N (HNO₂) zunächst in ein Diazo­
niumion und koppelt dieses
- H2O - H+
MATTHIAS DUCCI

dann an ein weiteres Anilin­


Anilin 1. Schritt Diazonium-Ion 2. Schritt Anilingelb molekül (Azokupplung).


Azofarbstoffe gehören zu den synthetischen Farb­ Chemie, was die gezielte Suche nach neuen Farbstoffen
stoffen. Das heißt, sie kommen in der Natur nicht vor, erlaubte. 1860 entdeckte der in England als Brauerei­
sondern der Mensch hat sie »erfunden«. Um ihre chemiker arbeitende Deutsche Peter Grieß die so genann­
Entwicklung nachzuvollziehen, muss man etwas in die ten Diazoverbindungen und legte damit den Grundstein
Wissenschaftsgeschichte eintauchen. für die heute größte Klasse synthetischer Färbemittel: die
Im Zuge der industriellen Entwicklung Englands wurden Azofarbstoffe. Als ersten Vertreter dieser Gruppe nennen
im 17. und 18. Jahrhundert in Schottland und Irland große manche Quellen das von Carl Alexander von Martius
Waldflächen gerodet. Das Holz benötigte man zum einen entwickelte Bismarckbraun, das heute noch in der Leder-,
für den Schiffsbau und zum anderen für die Produktion von Papier- und Holzfärberei sowie in der Mikrobiologie zum
Holzkohle, um damit in Hochöfen aus Erz Eisen zu gewin­ Färben von Bakterien verwendet wird. Mit Hilfe dieser
nen. Irgendwann ging der Rohstoff zur Neige, und es Substanz konnte Robert Koch den wichtigsten Erreger der
bedurfte eines Holzkohleersatzes für die Eisenverhüttung. Tuberkulose nachweisen. Martius gründete später zusam­
Die Wahl fiel auf Steinkohle, die in nahezu unerschöpflicher men mit Paul Mendelssohn Bartholdy die Actien-Gesell­
Menge vorhanden war. Allerdings musste zunächst ein schaft für Anilin-Fabrication (Agfa), die zunächst eine reine
Verfahren entwickelt werden, um den in ihr enthaltenen Farbenfabrik war.
Schwefel zu entfernen, der das Eisen spröde und damit
unbrauchbar macht. Abraham Darby II schaffte dies 1735 Keimzelle der Chemieindustrie
mit der Erfindung der Verkokung, bei der sich Steinkohle Andere Quellen wiederum erwähnen Anilingelb, das sich
unter Luftabschluss bei 1100 bis 1300 Grad Celsius zersetzt. bei der Reak­tion von Anilin mit salpetriger Säure bildet, als
Neben dem so genannten Koks entstehen dabei verschie­ den ersten synthetischen Azofarbstoff (siehe oben). Dabei
dene Gase, vor allem Methan und Wasserstoff, sowie entsteht zunächst eine sehr reaktive so genannte Diazonium­-
große Mengen an Steinkohleteer. Durch Zufall entdeckten verbindung, die sich anschließend mit einem zweiten
die Arbeiter einer Kokerei, dass die gasförmigen Abfallpro­ Anilinmolekül zu dem Farbstoff verbindet (Azokupplung).
dukte brennbar sind, und nutzten diese fortan, um ihre Gemeinsames strukturelles Merkmal aller Azofarbstoffe
Arbeitsstätte zu beleuchten. Die Anwendung machte rasch ist die Azobrücke: R1-N=N-R2 (R1 und R2 stehen für aro­
Schule; Gaslaternen und später Gasöfen verbreiteten sich matische ringförmige Kohlenwasserstoffe, N für Stickstoff).
weltweit. Für die Unmengen an Teer gab es hingegen keine Diese ist maßgeblich für die Farbigkeit solcher Verbindun­
sinnvolle Verwendung, und man verklappte deshalb die gen und wird daher auch als chromophore Gruppe be­
zähflüssige schwarze Masse zum Teil im Meer, was zu zeichnet (griechisch: chroma = Farbe; phoros = tragend).
ökologischen Problemen führte. Im Jahr 1884 meldete der deutsche Chemiker Peter
Im Jahr 1834 gelang es dem deutschen Chemiker Böttiger das Patent für die Herstellung des ersten Bisazo­
Ferdinand Friedlieb Runge, aus ebendiesem Steinkohleteer farbstoffs – Kongorot – an, der zwei Azogruppen enthält.
die organischen Verbindungen Anilin, Phenol und Pyrrol Chemiker synthetisierten nun immer mehr Azofarbstoffe.
zu isolieren. Indem er das Anilin oxidierte, erzeugte er In puncto Herstellung, Verarbeitung und Farbechtheit
eines der ältesten Färbemittel: Anilinschwarz. Er entdeckte stellten sie alle bis dahin bekannten Farbstoffe in den
noch weitere Farbstoffe, ohne jedoch deren Zusammen­ Schatten, und es fanden sich vielfältige Anwendungsge­
setzung oder chemische Strukturen zu kennen. Runges biete. Sie trugen maßgeblich dazu bei, dass zu jener Zeit
Forschung blieb allerdings unbeachtet, da seinerzeit kein eine eigenständige chemische Industrie entstand. Viele
Bedarf an synthetischen Farbstoffen bestand. Ein weiterer Firmen, die später zu großen Pharma- und Chemieunter­
Zufallstreffer gelang 1856 dem damals erst 18-jährigen nehmen wurden, wie zum Beispiel die Badische Anilin-
Briten William Henry Perkin. Dieser wollte das Malaria­ und Sodafabrik (BASF), starteten als Farbstoffproduzenten.
mittel Chinin künstlich herstellen, weil die natürlichen Heinrich Caro, der erste technische Direktor der BASF,
Ressourcen (die Rinde des Chinabaums) nicht ausreichten, schrieb über die Azofarbstoffe:
um Großbritanniens Kolonialarmeen zu versorgen. Bei »Alle diese durch das Band der Azogruppe vereinigten
seiner unsystematischen Suche nach einem Syntheseweg Gebilde sind Farbstoffe, Azofarbstoffe ohne Zahl, täglich
stieß Perkin auf eine purpurviolette Verbindung, die er sich mehrend, alle darstellbar durch die Anwendung
Mauvein nannte. Sie wurde zur Modefarbe und war der derselben synthetischen Methode, welche an Vielseitigkeit
erste industriell produzierte Farbstoff. ihrer praktisch verwertbaren Resultate, an Einfachheit,
Mitte des 19. Jahrhunderts schafften August Kekulé Glätte und Sicherheit ihrer Handhabung von keiner ande­
und andere die theoretischen Grundlagen der organischen ren in der Farbstoffchemie erreicht, geschweige denn

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 19


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NH2 NH2 Gelangt Anilingelb über Haut,
Atemwege oder durch
N +4H NH2 + Verschlucken in den Körper,
N H 2N spalten dort siedelnde Bak­
terien das Molekül in giftiges
MATTHIAS DUCCI

Anilin und 1,4-Diaminobenzol.


Anilingelb Anilin 1,4-Diaminobenzol

übertroffen wird, sie besteht in der Einwirkung von Diazo­ Was unterscheidet harmlose und gefährliche Azofarb­
verbindungen auf aromatische Amine und Phenole.« stoffe? Und was macht Letztere so gefährlich? Krebs
Deutsche Firmen waren einst weltweit führend in der erregende Stoffe – chemische Mutagene – können das
Herstellung von Farbstoffen; 1913 lag ihr Anteil an der Erbgut bestimmter Zellen verändern. Besonders bei Muta­
globalen Produktion bei 87 Prozent. tionen, die das Wachstum und das Absterben Gewebe
Azofarbmittel lassen sich ganz allgemein in lösliche bildender Zellen steuern, kann das schwer wiegende
Azofarbstoffe und unlösliche Azopigmente einteilen. Bei Folgen haben. Führt die genetische Veränderung zu un­
Ersteren unterscheidet man des Weiteren zwischen was­ kontrolliertem Zellwachstum, entsteht ein Tumor. Lösliche
serlöslichen (hydrophilen) und fettlöslichen (lipophilen) Azofarbstoffe entfalten ihre kanzerogene Wirkung meist
Verbindungen. Sie kommen in einer Vielzahl von Produkten durch eine so genannte reduktive Spaltung der Azobrücke,
vor, unter anderem in Lebensmitteln, Kosmetika, Textilien, bei der sich aromatische Amine bilden. Das obige Schema
Tattoofarben, Plastik- und Gummiprodukten, Pharmazeu­ illustriert die Freisetzung solcher Amine am Beispiel des
tika, Insektiziden, Lacken, Druckerpatronen sowie in Indi­ nachweislich Krebs erregenden Azofarbstoffs Anilingelb.
kator- und Färbungslösungen für chemische Laboratorien.
Der Hauptanteil der produzierten Azofarbstoffe entfällt auf Vorsicht bei kulinarischen Souvenirs
die Textilindustrie; die größten Produzenten sind heute mit knalligen Farben!
China, Indien, Korea, Taiwan und Argentinien. Die Aufspaltung (Reduktion) der Moleküle im Körper ist auf
In den letzten Jahren gerieten Azofarbstoffe zunehmend die Eigenschaft der Azobrücke zurückzuführen, Elektronen
in Verruf. Denn neben nützlichen und unbedenklichen besonders stark anzuziehen, und erfolgt durch Bakterien,
Vertretern dieser Stoffklasse gibt es eine ganze Reihe die sich in Darm, Leber oder Haut befinden. Die Zerset-
potenziell gefährlicher. Weltweit sind zirka 1000 Azoverbin­ zungs­produkte des Anilingelbs, Anilin und 1,4-Diaminoben­
dungen im Umlauf, von denen rund die Hälfte möglicher­ zol, haben es in sich: Sie sind giftig beim Verschlucken, Ein-
weise Krebs erregende Eigenschaften besitzen. Ob bezie­ atmen und bei Hautkontakt. Beide Stoffe können zudem
hungsweise in welchem Maß diese in Deutschland in allergische Hautreaktionen verursachen. Anilin kann bei
Konsumprodukten stecken, ist unklar. Zwar existieren in längerer oder wiederholter Exposition die Organe schädigen
der EU entsprechende gesetzliche Vorschriften zur Ver­ und vermutlich genetische Defekte sowie Krebs erzeugen.
wendung von Azofarbstoffen. Doch angesichts der voran­ Neben diesen toxischen Verbindungen gibt es völlig
schreitenden Globalisierung mit immer komplexeren harmlose Azofarbstoffe, von denen einige sogar als Le­
Handels- und Produktionswegen ist eine umfassende bensmittelfarbstoffe zugelassen sind. Sie verweilen nicht
Nachverfolgung und Kontrolle kaum möglich. Um als lange im menschlichen Körper, sondern werden mit dem
gesundheitsgefährdend eingestufte Produkte aus dem Urin schnell wieder ausgeschieden, weil sie auf Grund von
Handel fernzuhalten, hat die EU ein Frühwarnsystem Sulfonatgruppen (–SO₃–) an den Aromaten gut wasserlös­
installiert (Rapid Alert System for dangerous non-food lich sind. Ein Beispiel hierfür ist der Lebensmittelfarbstoff
products, RAPEX). Allerdings werden mögliche Gefähr­ Azorubin (E 122).
dungen durch bestimmte Waren oft erst nach Handelsein­ Azopigmente können über die Lunge oder den Magen-
tritt bekannt, wenn etliche Produkte bereits verkauft Darm-Trakt in den Körper gelangen – da sie unlöslich sind,
wurden. Gerade in der Textilindustrie kommt es wegen können Bakterien sie jedoch nicht in Amine aufspalten.
Profitgier, mangelnder Kontrollen oder fehlender Richt­ Lösliche Azofarbstoffe nehmen den gleichen Weg, etwa
linien in den Produktionsländern immer wieder zu Rück­ als harmlos eingestufte Lebensmittelfarben. Doch selbst
rufaktionen von Kleidungsstücken, die mit verbotenen Krebs erregende Verbindungen werden bisweilen unwis­
Chemikalien gefärbt sind. sentlich oral aufgenommen: Amtliche Lebensmittelkontrol­

Azorubin ist ungiftig und


als Lebensmittelfarbstoff
zugelassen. Auf Grund
der Sulfonatgruppen sind
MATTHIAS DUCCI

die Spaltprodukte gut


wasserlöslich, so dass
der Körper sie schnell
wieder ausscheidet.

20 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
Das Getränk »Powerade Wild
MATTHIAS DUCCI

Cherry« enthält den Farbstoff


Azorubin (links). Mit stark
reduzierendem Natriumdithio­
nit (Na₂S₂O₄) lässt sich die
Verbindung in farblose Mole­
küle zerlegen (Mitte), die
unter UV-Licht intensiv blau
fluoreszieren (rechts).

len haben ergeben, dass derartige Stoffe in Mitbringseln Die reduktive Spaltung von Azofarbstoffen lässt sich in
aus dem Urlaub enthalten sein können. So hat man Su­ einem einfachen Experiment mit Haushaltsprodukten
danrot in indischen Chilierzeugnissen nachgewiesen sowie nachvollziehen. Gut eignet sich dafür das Erfrischungsge­
Buttergelb in Currygewürzen und Nitroanilinrot in Paprika­ tränk »Powerade Wild Cherry«, das rotes Azorubin enthält.
pulver gefunden, mitunter in erheblichen Dosen: Bei einer (Für diesen und andere Farbzusätze gilt seit 2010 eine
Probe kamen auf ein Kilogramm ganze vier Gramm Sudan­ Kennzeichnungspflicht entsprechender Lebensmittel mit
rot. Es soll die Frische des Lebensmittels vortäuschen, gilt dem Hinweis: »Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei
aber wie die übrigen Verbindungen als karzinogen und ist Kindern beeinträchtigen.«) Man füllt zirka 20 Milliliter des
in der EU als Lebensmittelzusatz verboten. Getränks in ein Glasgefäß und gibt ein Reduktionsmittel
Lösliche Azofarbstoffe können darüber hinaus über dazu, das die Azoverbindung spaltet. Hierfür eignet sich
die Haut aufgenommen werden, etwa beim Tragen von zum Beispiel der »Power-Entfärber Intensiv« von Heitmann
mit Azofarbstoffen gefärbten Textilien. Bunte Kleidungs­ auf Grund seines etwa 30-prozentigen Anteils an stark
stücke enthalten durchschnittlich einen Farbanteil zwi­ reduzierend wirkendem Natriumdithionit (Na₂S₂O₄). Davon
schen 0,25 und 3,5 Prozent, bei Lederprodukten können es gibt man eine Spatelspitze in die rote Flüssigkeit und rührt
bis zu 7 Prozent sein. Schweiß und Reibung können die diese mit einem Glasstab um: Die Lösung entfärbt sich
Farbmoleküle aus Textilfasern herauslösen, so dass sie auf rasch (je nach Flüssigkeitsmenge benötigt man gegebe­
der Haut oder am Haaransatz haften bleiben. In Versuchen nenfalls etwas mehr Entfärber).
ließen sich die Azofarbstoffe selbst durch intensives Wa­ Offensichtlich ist eine chemische Reaktion unter Betei­
schen nicht restlos entfernen. ligung der farbgebenden chromophoren Azogruppe ab­
Die Aufnahme über die Haut ist unter anderem abhän­ gelaufen. Eine genaue Untersuchung der Reaktionspro­
gig von der Polarität der Moleküle. Auf der Haut siedelnde dukte zeigt, dass es tatsächlich zu einer reduktiven Spal­
Mikroorganismen können Farbstoffe abbauen, vor allem tung von Azorubin kam, bei der die auf S. 20 abgebildeten
wenn diese wasserlöslich sind. Sie spalten die Moleküle aromatischen Amine entstanden. Bestrahlt man die ent­
in die jeweiligen aromatischen Amine, die dann über die färbte Lösung im Dunklen mit UV-Licht einer Wellenlänge
Haut in den Blutkreislauf und schließlich in die Leber von 365 Nanometern, leuchtet die Lösung intensiv blau.
gelangen können, die sie weiter verstoffwechselt. Beim Diese Eigenschaft lässt sich auf die fluoreszierenden
Abbau des Azofarbstoffs Direct Blue 14 etwa, der in der 4-Aminonaphthalin-1-sulfonat-Anionen zurückführen.
Textilindustrie häufig eingesetzt wird, entsteht in der Leber
o-Tolidin, das im Verdacht steht, Krebs zu verursachen.
Fettlösliche Azoverbindungen nimmt der Körper meist
unverändert auf, entweder über die Haut oder durch QUELLEN
Diffusion entlang der Haarwurzeln. Sie werden in be­ Ducci, M.: Azofarbstoffe in Gummibärchen – aus Blau wird Gelb.
stimmten Zellen der Oberhaut wie den Keratinozyten oder Nachrichten aus der Chemie 65, 2017
in der Leber in Amine gespalten. Wer sich tätowieren
Ducci, M. et al.: Azofarbstoffe in Textilien. CHEMKON 22, 2015
lässt, kann dadurch ebenfalls Azopigmente aufnehmen.
Gesund­heitlich problematisch ist jedoch eher das laser­ Krätz, O.: 7000 Jahre Chemie. Nikol, 1999
chirurgische Entfernen unliebsam gewordener Tätowierun­ Petersen, H., Roth, K.: To Tattoo or not to Tattoo. Chemie in unserer
gen, da aus den Pigmenten hierbei freie Amine werden. Zeit 50, 2016

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 21


ü
LEUCHTEN AN,
LEUCHTEN AUS
Textmarker sind in Büros, Schulen und Universitäten
­allgegenwärtig. Doch sie eignen sich nicht nur zum
Hervor­heben von ­Textpassagen, sondern sind gleichzeitig
eine Quelle für eindrucksvolle ­Experimente!
 spektrum.de/artikel/1535079


Anfang der 1970er Jahre gelang Günther Schwan­ Moleküls Cumarin, das in Waldmeister und Zimt vor­
häußer ein Coup: Der Stiftefabrikant aus Heroldsberg kommt, sowie von Stilben, einem ungesättigten Kohlen­
bei Nürnberg erfand den Textmarker. Die Idee dazu wasserstoff; andere Cumarin- und Stilbenderivate fin-
kam ihm während einer Geschäftsreise in den USA. Er den in Farbstofflasern oder als optische Aufheller in Tex­
beobachtete, dass einige Studenten versuchten, Textpas­ tilien Verwendung. Ebenfalls häufig in Textmarkern zu
sagen mit einem farbigen Stift zu markieren, statt sie wie finden sind so genannte Xanthenfarbstoffe, beispielsweise
üblich zu unterstreichen. Die verwendeten Stifte waren im pinkfarbenen Leuchtmarker von Stabilo. Ein bekannter
dafür jedoch nur mäßig geeignet. Nachdem er in die Hei- Vertreter dieser Klasse ist der rote Farbstoff Eosin Y,
mat zurückgekehrt war, ließ er in seiner Firma Schwan- der unter anderem zum Anfärben von Zellen und als pH-
Stabilo einen Marker entwickeln: Der Stabilo Boss war ge- In­­dikator genutzt wird.
boren. Längst haben zahlreiche andere Unternehmen Bestrahlt man fluoreszierende Farbstoffe mit UV-Licht,
wie Edding, Faber-Castell, Herlitz und Städtler Schwan­ leuchten sie: Die Verbindungen absorbieren kurzwellige
häußers Erfindung kopiert. Strahlung und emittieren langwelligere im sichtbaren Be-
Textmarker enthalten Fluoreszenzfarbstoffe unterschied­ reich des Farbspektrums. Dieses Phänomen bezeichnet
licher Klassen. Die Farbstoffe in der gelben Tinte eines man ganz allgemein als Lumineszenz oder kaltes Leuchten.
Stabi­lo Boss etwa sind Abkömmlinge des aromatischen Dauert es nur so lange an, wie der Farbstoff energiereicher

Das Prinzip der Fluoreszenz


E E
Die Elektronen fluoreszierender Moleküle
können verschiedene Energieniveaus niedrigste Schwingungsniveaus
unbesetzte
besetzen (grüner und gelber Balken). Energiestufe
Innerhalb dieser Niveaus können sie zu-
dem unterschiedliche Schwingungs­
zustände einnehmen (schwarze Linien).
Lichtabsorption Wärmeabgabe
Elektronenübergänge infolge von Licht­
anregung führen zu Wärmeabgabe oder (Elektronenanregung) (Schwingungsrelaxation)
zur Emission von Photonen (Fluores­
zenz). Der Längenunterschied der hell­ höchste
besetzte
blauen Pfeile symbolisiert die Verschie­
Energiestufe
bung des Fluoreszenzlichts hin zu lang­
welligerer (energieärmerer) Strahlung. MATTHIAS DUCCI Grundzustand S0 angeregter Zustand S1

22 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
MATTHIAS DUCCI
Der gelbe Textmarker der Marke Herlitz enthält den Farbstoff Pyranin. Gibt man Salzsäure zur Pyraninlösung, entfärbt sich diese
(links). Unter UV-Licht fluoresziert der Farbstoff grün (rechts). Die Säurezugabe bewirkt eine Blauverschiebung der Fluoreszenz.

Strahlung ausgesetzt ist, spricht man von Fluoreszenz. So (Fluorophor) ein Lichtquant (Photon) geeigneter Energie,
zeigen etwa zahlreiche Tiere oder Mineralien unter UV- »springt« ein Elektron von der höchs­ten besetzten auf die
Licht plötzlich surreale Farbmuster. Fortdauerndes Leuch­ niedrigste unbesetzte Stufe. Das Molekül verweilt jedoch
ten, nachdem die Strahlungsquelle längst erloschen ist, nur sehr kurz (etwa eine Nano­sekunde) in diesem ange­
bezeichnet man als Phosphoreszenz. Beispiele hierfür sind regten Zustand, bevor das Elektron auf das ursprüngliche
Ziffernblätter von Armbanduhren oder Klebesterne für Niveau zurückspringt. Dabei wird ein Photon abgegeben:
die Kinderzimmerdecke. Die Verbindung fluoresziert.
Das Fluoreszenzlicht ist stets langwelliger, sprich ener­
Wenn Moleküle Licht einfangen, springen Elektronen gieärmer als die absorbierte Strahlung. Ursache hier­-
auf höhere Energieniveaus – und wieder zurück für sind Schwingungszustände innerhalb der Elektronen­
Fluoreszenz beruht auf der Eigenschaft von Molekülen, in niveaus, die sich ebenfalls energetisch unterscheiden.
einem elektronischen Grundzustand sowie in angeregten Übergänge zwischen diesen Zuständen (Schwingungs­
Zuständen existieren zu können. Veranschau­lichen lässt relaxationen) erfolgen unter Aufnahme oder Abgabe von
sich das anhand des Energiestufenmodells (siehe »Das Wärme anstatt von Licht. Wechselt ein Elektron durch
Prinzip der Fluoreszenz«, unten): Danach befinden sich die optische Anregung eines Fluorophors auf die niedrigste
Elektronen eines Moleküls auf bestimmten energetischen unbesetzte Energiestufe, erreicht es nicht automatisch
Niveaus. Diese werden von »unten« (= energiearm) nach sofort das energieärmste Schwingungsniveau. Es »pur­
»oben« (= energiereich) mit jeweils zwei Elektronen be­ zelt« gewissermaßen dorthin und gibt dabei Wärmestrah­
setzt. Über dem höchsten besetzten Niveau liegen noch lung ab. Auch wenn ein Molekül aus einem angeregten
weitere, die im Grundzustand jedoch unbesetzt bleiben. Zustand zurückfällt, können Elektronen auf der Grundstufe
Für die Emis­sion von Licht sind die höchste besetzte und zunächst energiereichere Schwingungsniveaus einnehmen
die niedrigste unbesetzte Energiestufe entscheidend. und durch Relaxation Wärme emittieren. Diese thermi­
Absorbiert eine fluoreszierende chemische Verbindung schen Strahlungsverluste erklären die langwellige Ver­

E E E
MATTHIAS DUCCI

Lichtemission Wärmeabgabe

(Fluoreszenz) (Schwingungsrelaxation)

Grundzustand S0

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 23


ü
+
3 Na+ SO3– 3 Na+ SO3– kann ein H -Ion (Proton) reversibel abgespalten werden
(siehe Schema links). In dem zunächst alkalischen (basi­
schen) Text­markerextrakt fehlt der funktionellen Gruppe
MATTHIAS DUCCI

–O S
– H+ –O
3 3S das Proton, und der Farbstoff erscheint bei Tageslicht gelb.
– SO3–
SO3 + H+ +
Die Zugabe von Säure und damit H -Ionen verschiebt das
Gleichgewicht hin zur protonierten Form, die farblos ist.
Ein Abgleich von Absorptionsspektren von reinem Pyranin
OH O–
und dem extrahierten Farbstoff bestätigt den Verdacht.
Die Hydroxygruppe (–OH) im Pyraninmolekül kann ein Proton Frühere Untersuchungen haben zudem ergeben, dass
+
(H -Ion) reversibel abspalten und so dessen Fluoreszenz verändern. Pyranin darüber hinaus in den gelben Textmarkern Peli­
kan 490 und Textliner 48 von Faber-Castell vorkommt.
Die pH-Sensitivität von Pyranin können wir für weitere
schiebung des Fluoreszenzlichts gegenüber der absorbier­ effektvolle Experimente nutzen, beispielsweise zum Erstel­
ten Strahlung. len unsichtbarer Geheimbotschaften. Dafür benötigen wir
Im Fokus unserer Versuche steht zunächst der gelbe Papier, das frei ist von optischen Aufhellern; weißes Papier
Textmarker der Firma Herlitz, dessen Tinte unter UV-Licht scheidet damit aus. Stattdessen eignet sich gelbes oder
grün fluoresziert (eine günstige LED-UV-Taschenlampe hellbraunes Papier, etwa der Sorte »Parchment – Royal Pa-
reicht hierfür aus). Denken Sie, liebe Leserinnen und Leser, per Collection« der Dresdner Feinpapier Werkstatt (erhält­
bitte daran, bei den Experimenten stets eine Schutzbrille lich im Papier- und Schreibwarenhandel). Mit dem pyranin­
zu tragen. haltigen Textmarker schreiben wir auf das Papier und
Zu Beginn wollen wir untersuchen, wie sich eine tupfen den Text anschließend mit einem Wattepad ab, das
­wässrige Lösung des Tintenfarbstoffs verhält, wenn der zuvor in verdünnter Säure (zwei Milliliter 24-prozentige
pH-Wert sinkt. Neben einigen üblichen Glasgeräten wie Salzsäure auf acht Milliliter Wasser) getränkt wurde. Die
Reagenz- und Bechergläsern benötigt man 24-prozentige Säure protoniert das Pyranin, so dass die Schrift unsicht­
Salzsäure (Bezugsquelle: Baumarkt), eine Tropfpipette bar wird. Lediglich unter UV-Licht ist sie erkennbar – als
und einen Filterpapierstreifen (zwei mal sechs Zentimeter). blau fluoreszierende Buchstaben (Bilder unten).
Letzteren bemalen wir mit dem Textmarker beidseitig auf Wir können die Geheimbotschaft jedoch auch wieder
einer Fläche von zwei mal zwei Zentimetern und schwen­ unter Tageslicht lesbar machen. Dazu befeuchten wir das
ken ihn anschließend in einem Becherglas mit zehn Milli­ Papier mit einer basischen Sodalösung (0,2 Gramm Soda
liter Wasser zirka eine Minute lang hin und her. Die so in fünf Milliliter Wasser). Waschsoda, Chemikern besser
­erhaltene gelbe Lösung verteilen wir auf zwei Reagenz­ bekannt als Natriumcarbonat (Na2CO3), bildet in Wasser

gläser. In eines geben wir ein bis zwei Tropfen Salzsäure, Hydroxidionen (OH ) nach folgender Reaktionsgleichung
das andere dient zum Vergleich. Die Salzsäure entfärbt (»aq« steht für »in Wasser gelöst«, »l« für »flüssig«):
die Lösung schlagartig. Unter UV-Licht sieht man, dass die
2– – –
Lösung nun grünblau und nach Zugabe eines weiteren CO3  (aq) + H2O (l)     HCO3  (aq) + OH  (aq)
Milliliters Säure blau fluoresziert. Carbonation + Wassermolekül  
Die Fluoreszenzverschiebung von Grün nach Blau durch   Hydrogencarbonation + Hydroxidion
Ansäuern der Lösung lässt vermuten, dass der verwendete
Textmarker den gelben Fluoreszenzfarbstoff Pyranin (Tri­ Die Hydroxidionen dienen als Protonenfänger: Sie
+
natrium-8-hydroxypyren-1,3,6-trisulfonat) enthält. Pyranin können das H -Ion der OH-Gruppe am Pyranin wieder
ist ein aromatischer Kohlenwasserstoff mit einem Grund­ abspalten und damit neutrale H2O-Moleküle bilden.
gerüst aus vier Benzolringen (eine so genannte polyzykli­ Nach der Sodabehandlung liegt der Farbstoff daher über­
sche Verbindung). Von seiner Hydroxygruppe (OH-Gruppe) wiegend im deprotonierten, gelben Zustand vor.

Von links nach rechts: das Wort »Geheimtinte«, geschrieben mit einem Text­marker, der einen
gelben Fluoreszenzfarbstoff enthält. Tupft man das Papier mit Salzsäure ab, verschwinden die
Buchstaben. Mit UV-Licht wird die »unsichtbare« Schrift wieder lesbar.
MATTHIAS DUCCI

24 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
anteil erinnert an das uns schon bekannte Pyranin. Tat­
sächlich – tupft man den gelben Ring wieder vorsichtig
mit verdünnter Säure (zwei Milliliter 24-prozentige Salz­
säure auf acht Milliliter Wasser) ab, verschwindet er. Unter
UV-Licht zeigt das Filterpapier an der mit Säure behan­
delten Stelle die für Pyranin typische blaue Fluoreszenz;
der bei Tageslicht blaue Farbanteil hingegen fluoresziert
nicht.
Zum Schluss stellen wir noch ein besonders effektvolles
Experiment vor, das allerdings nur Lehrpersonen oder
ausgebildete Laboranten als Demonstrationsexperiment
unter einem Abzug durchführen sollten. Für den Versuch
SVEN PILARSKI; MIT FRDL. GEN. VON MATTHIAS DUCCI

benötigen wir folgende Materialien: eine Glasschale, die


mindestens einen halben Liter fasst; einen 250-Milliliter-
Rundkolben mit durchbohrtem Stopfen und passendem,
etwa 20 Zentimeter langem Glasrohr mit einseitig verjüng­
ter Spitze; eine Klemme, die den Rundkolben fixiert; einen
Der Fluoreszenzspringbrunnen. Bunsenbrenner und eine UV-Lampe. Zuerst bemalen wir
einen Rundfilter beidseitig mit einem gelben Herlitz-Text­
marker. Anschließend legen wir den Filter in die mit Was­
Es geht allerdings noch spektakulärer: Wir legen das ser gefüllte Glasschale und bewegen sie leicht hin und her,
Papier mit der unsichtbaren Botschaft in ein durchsichti­ um den Farbstoff zu lösen. In den Rundkolben füllen wir
ges Kartenspieletui und geben neben das Papier etwa fünf 25 Milliliter konzentrierte Salzsäure (37-prozentig) und ver-
Tropfen einer neunprozentigen alkalischen Ammoniak­ schließen ihn mit dem Stopfen. Durch diesen haben wir
lösung (aus dem Baumarkt). Danach verschließen wir das zuvor das Glasrohr so eingeführt, dass es mit der schmalen
Etui umgehend und schwenken es leicht hin und her, ohne Spitze etwa vier Zentimeter in den Kolben hineinragt.
dass Papier und Ammoniaklösung miteinander in Kontakt Nun erhitzen wir den Kolben mittels Bunsenbrenner,
kommen. Nach wenigen Sekunden erscheint unsere bis deutlich sichtbar weiße Chlorwasserstoffdämpfe oder
geheime Nachricht. Was ist passiert? Die flüchtigen Am­ Wasserdampf aus dem Glasrohr austreten. Dann drehen
moniakmoleküle (NH3) aus der Lösung reagieren mit wir den Rundkolben zügig um und tauchen das Glasrohr
Wasserteilchen in der Tinte des Textmarkers, wodurch tief in die Farbstofflösung ein. Idealerweise geschieht dies
Hydroxidionen entstehen. Die entsprechende Reaktions­ in einem abgedunkelten Raum, während UV-Licht die
gleichung lautet (»g« steht für »gasförmig«): Apparatur anstrahlt. Die Pyraninlösung steigt im Glasrohr
hoch und erzeugt im Rundkolben eine spektakuläre, grün-
+ –
NH3  (g) + H2 O (l)     NH4  (aq) + OH  (aq) blau fluoreszierende Fontäne (siehe Bild links). Der Spring­
Ammoniakmolekül + Wassermolekül   brunneneffekt basiert auf dem Unterdruck, der sich in
  Ammoniumion + Hydroxidion dem Kolben bildet, wenn Wasserdampf kondensiert be­
zieungsweise wenn sich gasförmiger Chlorwasserstoff in
Weitere aufregende Möglichkeiten, geheime Botschaf­ der aufsteigenden Flüssigkeit löst:
ten zu verschlüsseln und wieder sichtbar zu machen,
+ –
zeigen wir Ihnen im Artikel ab S. 30 in diesem Heft. HCl (g) + H2 O (aq)     H3 O  (aq) + Cl  (aq)
Textmarker gibt es in unterschiedlichen Farben zu Chlorwasserstoffmolekül + Wassermolekül  
kaufen. Das nachfolgende Experiment soll die Frage   Oxoniumion + Chloridion
klären, ob der grüne Textmarker von Faber-Castell einen
grünen Farbstoff enthält oder ein Gemisch aus einem blau­ Bei Kontakt mit der Säure im Kolben wird das Pyranin
en und einem gelben. Ein Papierchromatogramm liefert protoniert, so dass sich die intensiv grüne Fluoreszenz des
die Antwort: In die Mitte eines Laborrundfilters schneiden aus dem Textmarker extrahierten Farbstoffs in ein leuch­
wir ein kreisrundes Loch mit einem Durchmesser von etwa tendes Blau verwandelt.
einem Zentimeter. Anschließend zeichnen wir mit dem
Textmarker um das Loch herum in geringem Abstand
einen Kreis. Zuletzt rollen wir einen Docht aus einem zwei
bis drei Zentimeter breiten Streifen Filterpapier, den wir in
das Loch des Rundfilters schieben. Das Ganze stellen wir QUELLEN
so in eine Schale mit ein wenig Wasser, dass nur der Wöhrle, D. et al.: Photochemie. Wiley-VCH, 1998
Docht nass wird. Dieser saugt das Wasser hoch zum
Zajonc, S., Ducci M.: Fluoreszenz – Experimentelle Leckerbissen
Rundfilter, wo es langsam nach außen wandert und die mit Textmarkern. Praxis der Naturwissenschaften – Chemie in der
aufgetragene Tinte chromatografisch trennt. Das Ergebnis: Schule 63, 2014
ein Farbstoffgemisch. Es bilden sich ein blauer und ein
Zajonc, S. et al.: Der Springbrunnenversuch mit Fluoreszenzfarben­
gelber Ring, die eng beieinanderliegen. Der gelbe Farb­ spiel aus Textmarkern. CHEMKON 21, 2014

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 25


ü
WIE FARBEN ENTSTEHEN
Die Welt ist für uns Menschen bunt. Doch wie kommen Farben
zu Stande? Hier stellen wir überraschende Experimente zu
Farbmischungen vor, die teils zu Hause durchgeführt werden
können.

 spektrum.de/artikel/1706916


Wenn Kinder das erste Mal einen Wasserfarbkasten farblose Lösung, da Ethanol weit weniger dazu neigt, Proto-
vor sich haben, wissen sie noch nicht, was beim Zu- nen aufzunehmen als Wasser, und das Gleichgewicht somit
sammengeben der unterschiedlichen Farben heraus- nahezu vollständig auf der linken (farblosen) Seite liegt.
kommt. Das erste Experiment ist daher für kleine Beob-
achter vielleicht spannender als für Erwachsene: Mischen SO3– SO3–
Sie die gelbe und blaue Farbe eines Wasserfarbkastens. 3 Na+ 3 Na+

Dass man Grün erhält, dürfte kaum jemanden überraschen.


Etwas aufwändiger – und weniger vorhersehbar – ist –O S –O S
3 –H+ 3
das zweite Experiment. Man benötigt: SO3– SO3–
+H+
- rote Tinte der Firma Lamy
- einen gelben Textmarker (Herlitz, Pelikan oder Faber-Cas- farblos gelb
tell, da diese den Fluoreszenzfarbstoff Pyranin enthalten) OH O–

- Brennspiritus (Ethanol)
- zwei Glasgefäße, die mehr als zehn Milliliter fassen Die Ionen des Pyraninmoleküls liegen in Lösungen sowohl
mit OH-Gruppe (links; farblos) als auch deprotoniert mit
(beispielsweise 0,2-cl-Schnaps- oder Rollrandgläser) O–-Gruppe (rechts; gelb) vor. Je nach Tendenz des Lösungs­
- einen zwei mal acht Zentimeter großen Streifen einer mittels, Protonen aufzunehmen, liegt das Gleichgewicht eher
Kunststofffolie, etwa farblose, dünne Verpackungsfolie auf der linken oder auf der rechten Seite.

- eine Tropfpipette.
Mit einem geeigneten Messgefäß füllt man in beide Zu den zehn Millilitern Ethanol im zweiten Schnapsglas gibt
Gläschen je zehn Milliliter Brennspiritus. Der Folienstreifen man nun einen Tropfen roter Lamy-Tinte. Dadurch färbt sich
wird auf einer Fläche von drei mal zwei Zentimetern mit die Lösung sehr schwach rot und fluoresziert ganz leicht
dem gelben Textmarker bemalt und in eines der Gläschen gelb. Denn die Tinte enthält den Farbstoff Eosin Y.
getaucht. Anschließend nimmt man ihn heraus, trocknet
ihn mit einem Haushaltstuch und wiederholt den gesam- Br Br
ten Prozess noch zweimal mit derselben Lösung. Auf diese –O O O
Weise löst sich der Farbstoff im Brennspiritus. Sehen wird
man davon zunächst nichts, denn die entstandene Lösung
Br Br
bleibt farblos. Der Grund dafür sind die besonderen Eigen-
COO –
schaften des Pyranins, das in Lösung ein Gleichgewicht
2 Na+
zwischen einer protonierten, farblosen sowie einer depro-
tonierten, gelben Form ausbildet (Strukturformeln rechts
oben). In neutraler, wässriger Umgebung liegt das Gleich-
gewicht so weit auf der rechten Seite der Gleichung, dass Der Farbstoff Eosin Y ist in einigen roten Tinten enthalten.
eine Pyraninlösung gelb erscheint: Weil die Pyraninmole-
külionen ein Proton (H+) ihrer OH-Gruppe bereitwillig an Die hergestellten Lösungen bieten unter UV-Licht (Wel-
das Wasser abgeben, liegen so viele deprotonierte Pyra­ lenlänge 365 nm) ein beeindruckendes Bild, da die Pyranin-
ninteilchen vor, dass das menschliche Auge die gelbe lösung intensiv blau und die Eosin-Y-Lösung gelb fluores-
Farbe wahrnehmen kann. In Ethanol erhält man eine ziert (Bild S. 27 oben links).

26 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
In Ethanol gelöstes Pyranin (links) fluoresziert
unter UV-Licht (Wellenlänge 365 nm) blau,
Eosin Y (rechts) zeigt dabei gelbe Fluoreszenz.
MATTHIAS DUCCI

Wie schon die gelbe und blaue Wasserfarbe sollen nun


die gelbe und die blaue Lösung in einem weiteren Gefäß
unter UV-Licht zusammengemischt werden. Wir haben
viele Studenten und Schüler zuvor befragt, was sie erwar-
ten würden. Die überwältigende Mehrheit hat darauf
getippt, dass man eine grün fluoreszierende Lösung erhal-
ten würde. Hand aufs Herz, was erwarten Sie? Tatsächlich Blau und Gelb gibt ... nicht Grün! Die
fluoresziert das Gemisch aus beiden Lösungen in weißem Mischung der beiden fluoreszierenden

MATTHIAS DUCCI
Farbton (Bild rechts)! Lösungen leuchtet unter UV-Licht weiß.
Die falsche Erwartung der Schüler und Studenten ist
damit zu erklären, dass sie das Prinzip der subtraktiven
Farbmischung auf das vorliegende Experiment angewen-
det haben. Dieses Prinzip haben sie nämlich fest verinner- vorhandenen Licht subtrahiert. Das restliche Licht bildet
licht, da sie es – obwohl nicht unter dieser Bezeichnung – eine Mischfarbe. Somit tritt die subtraktive Farbmischung
spätestens seit der Grundschule vom Mischen der Was- immer dann auf, wenn Körper, die nicht selbst leuchten,
serfarben kennen. Bei der subtraktiven Farbmischung wird einen Farbeindruck hervorrufen. Schon die drei Grundfar-
ein Teil des Lichts durch Farbfilter ausgeblendet oder ben Zyan, Magenta und Gelb reichen aus, um alle erdenk-
durch Pigmente absorbiert und dadurch vom ursprünglich lichen Farben zu mischen (Bild unten links).
Im Gegensatz dazu ergibt sich bei dem Experiment mit
den fluoreszierenden Lösungen eine additive Farbmi-
schung. Sie liegt immer dann vor, wenn farbiges Licht aus
verschiedenen Lichtquellen zusammentrifft. Hierbei hängt
der resultierende Farbeindruck von den Ausgangsfarben
und deren Intensität ab. Die drei Grundfarben sind dabei
Rot, Grün und Blauviolett (RGB). Nach internationaler
Norm handelt es sich um monochromatisches Licht der
Wellenlängen 700 Nanometer (nm) (Rot), 546 nm (Grün)
und 435 nm (Blauviolett). Werden diese in geeigneter
Helligkeit addiert, sieht man Weiß (Bild links). Eine Mi-
schung aus Grün und Rot ergibt Gelb, aus Grün und
Blauviolett entsteht Zyan, und mit Blauviolett und Rot
Das Prinzip der Additive Farbmischung der erhält man Magenta. Andere (Misch-)Farben kann man
subtraktiven Farbmi- Grundfarben Rot, Grün und
schung aus den Blauviolett. Der Hintergrund erzeugen, indem man die Lichtintensitäten verändert.
drei Grundfarben Zyan, symbolisiert die Empfindung Grundsätzlich ist das Farbsehen beim Menschen eine
MATTHIAS DUCCI

Magenta und Gelb. Schwarz (kein Licht). additive Farbmischung. So befinden sich in der Retina drei
Zapfentypen:

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 27


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schung, da das menschliche Auge sie als Einheit und nicht

MATTHIAS DUCCI
einzeln wahrnimmt. Nach diesem Prinzip funk­tionieren die
auf dem RGB-Raum basierenden Farbwiedergabeverfah-
ren vieler Bildschirme, wie etwa des Displays von Smart-
phones, des Computermonitors oder des Bildschirms von
Fernsehgeräten (Bild unten). Bei der LCD-Technologie (LCD
steht für Liquid Crystal Display, also Flüssigkristalldisplay)
besteht jeder Pixel aus drei Sub­pixeln mit den Grundfarben
Rot, Grün und Blau, die unabhängig voneinander ange-
steuert werden können.
Bereits eine historische Stilrichtung der Malerei, der
so genannte Pointillismus, nutzte das Prinzip der addi­
tiven Farbmischung. Er gilt als Weiterführung des
­Impressionismus und hatte seine Blütezeit von 1889 bis
1910. Das charakteristische Merkmal dieser Stilrichtung
ist ihre Maltechnik, die der Künstler Georges Seurat
(1859–1891) geprägt hat. Er beschäftigte sich in den
1880er Jahren intensiv mit den neuen Erkenntnissen zur
Farbenlehre und studierte unter anderem die Arbeiten
von Maxwell zur Farbwahrnehmung und zur additiven
Farbmischung. Darauf aufbauend entwickelte er die
Maltechnik, bei der das gesamte Bild aus kleinen, regel-
mäßigen Farbtupfern möglichst weniger verschiedener
Mit Hilfe von drei LED-Strahlern lässt sich das Prinzip Farben besteht. Auf diese Weise erlangt der Betrachter
der additiven Farbmischung anschaulich demonstrieren. erst in einer gewissen Entfernung einen Gesamt(farb)-
eindruck, da optische Verschmelzung und additive Farb-
mischung dann die Formen und Gestalten erkennen
»Blau«-Rezeptoren oder Kurzwellen (KW)-Sensoren, lassen. Das wegweisende Werk dieser Kunstrichtung war
»Grün«-Rezeptoren oder Mittelwellen (MW)-Sensoren und Seurats Bild »Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La
»Rot«-Rezeptoren oder Langwellen (LW)-Sensoren. Grande Jatte«, das er von 1884 bis 1886 schuf. Es ist heu-
Je nach einfallendem Licht werden sie unterschiedlich te im Art Institute of Chicago ausgestellt.
stark erregt, und erst im Gehirn entsteht der Farbeindruck Genauso kann eine rasch alternierende Folge farbiger
(physiologische Farbmischung). Dieses Prinzip des Drei­ Flächen einen einheitlichen Farbeindruck erzeugen. Am
farbensehens sagte bereits der Physiker und Arzt Thomas besten sieht man das an einem Farbkreisel. Hierzu teilt
Young (1773–1829) in seiner trichromatischen Theorie
vorher, die John Dalton (1766–1844), James Clerk Maxwell
(1831–1879) sowie Hermann von Helmholtz (1821–1894) Die Makroaufnahme eines Computerbild-
weiterentwickelten. Genaue wissenschaftliche Untersu- schirms zeigt die eng beieinanderliegenden
chungen haben die Theorie inzwischen weitgehend bestä- Subpixel aus Rot, Grün und Blauviolett.
tigt, auch wenn die Absorptionsmaxima der Rezeptoren

TILMAN BINZ; MIT FRDL. GEN. VON MATTHIAS DUCCI


leicht verschoben liegen und den (Schulbuch-)Bezeich­
nungen Blau, Grün und Rot eigentlich nicht entsprechen
(420 nm beim Kurzwellensensor, 535 nm beim Mittel­
wellensensor und 565 nm beim Langwellensensor; das
Maximum des Rotrezeptors liegt damit im gelben Be-
reich).
Die additive Farbmischung lässt sich mit einem klassi-
schen Experiment demonstrieren, bei dem man eine
Leinwand gleichzeitig mit unterschiedlich farbigen Licht-
quellen beleuchtet. Dazu eignen sich etwa Experimentier-
lampen, die je mit einem roten, grünen und blauen Farbfil-
ter und geeigneter Blende ausgestattet sind. Idealerweise
ist jede Lampe mit einem eigenen regelbaren Netzgerät
verbunden, so dass sich die Farbintensitäten über die
angelegte Spannung variieren lassen, um ein möglichst
breites Spektrum an Mischfarben zu erhalten. Alternativ
eignen sich einfache LED-Strahler (Bild oben).
Doch bereits sehr nahe beieinanderliegende Lichtquel-
len unterschiedlicher Farbe bewirken eine additive Farbmi-

28 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
–O O O CH3

O O N

2 Na+ COO – CH3


N

Die Strukturformeln von Uranin (links) und Nilrot (rechts)

Diese Lösungen kann man nun entsprechend den in der


folgenden Tabelle angegebenen Verhältnissen zusammen-
mischen, um verschiedene Farben zu erzeugen. Wer es
nicht abwarten kann: Das Ergebnis der Versuche ist im Bild
links zu sehen.

Volumen Volumen Volumen Fluoreszenzfarbe des


Pyranin- Uranin- Nilrot- Gemischs unter
Die additive Farbmischung mit fluoreszierenden Lösun- lösung lösung lösung UV-Licht (l = 365 nm)
gen (unter UV-Licht der Wellenlänge 365 nm). In
1 ml 1 ml Zyan
den Ecken des gedachten Dreiecks befinden sich die
2 ml etwa 10 Tropfen Magenta
drei Grundfarben, auf den Seitenmitten das jeweilige
Gemisch der benachbarten Farben und in 2 ml etwa 15 Tropfen Gelb

der Mitte eine Lösung aus allen drei Grundfarben. 1 ml 1 ml etwa 6 Tropfen Weiß
MATTHIAS DUCCI

Volumenanteile beim Mischen der Lösungen

Natürlich wäre es wünschenswert, könnte man auf den


man die Drehscheibe aus weißer Pappe in Sektoren auf brennbaren Spiritus verzichten – vor allem, wenn man die
und malt sie abwechselnd mit grüner und roter Farbe Experimente in der Schule oder zu Hause durchführen
aus. Da das menschliche Auge die zeitliche Abfolge der möchte. Gleiches gilt für die Verwendung der vergleichswei-
einzelnen Flächen beim Drehen des Kreisels nicht mehr se teuren Laborchemikalie Nilrot. Beides ist (mit geringen
auflösen kann, erscheint der Kreisel gelb. Technische Abstrichen) möglich, indem man statt Alkohol wässrige
Anwendung findet dieses Prinzip bei DLP-Beamern (DLP Lösungen benutzt und an Stelle von Nilrot eine Lösung aus
steht für Digital Light Processing, also digitale Lichtverar- dem Farbstoff des orangefarbenen Stabilo-Textmarkers
beitung). Mit Hilfe eines sich schnell drehenden Farbrads »Luminator XT«. Allerdings fluoresziert diese orange statt
vor einer weißen Lichtquelle sowie beweglichen Spiegeln rot. Als grün fluoreszierende Komponente eignet sich eine
projizieren sie unterschiedlich farbige Bilder in hoher wässrige Pyraninlösung, wieder aus dem Herlitz-Textmarker.
Frequenz. Die beiden Textmarkerlösungen werden analog zur etha-
Die Überlagerung der Grundfarben gemäß der additiven nolischen Pyraninlösung hergestellt, mit dem Unterschied,
Farbmischung lässt sich auch mit fluoreszierenden Lösun- dass kein Brennspiritus, sondern jeweils zehn Milliliter
gen demonstrieren. Hierzu benötigt man neben einer blau Wasser verwendet werden. Für die dritte Farbe wird einfach
fluoreszierenden Pyraninlösung, die wie oben beschrieben ein dünner Kastanienzweig mit der Schnittfläche in zehn
mit gelben Textmarkern hergestellt werden kann, noch Milliliter Wasser gerührt. Nach wenigen Sekunden erhält
grün sowie rot fluoreszierende Flüssigkeiten. Die grün man so eine blau fluoreszierende Aesculinlösung (siehe
fluoreszierende Lösung ist wieder mit einem Alltagspro- »Spektrum« Oktober 2019, S. 62). Um die Mischfarben zu
dukt zu erzeugen: So enthalten Badeperlen der Firma erzeugen, gießt man etwa gleiche Volumenteile der Lösun-
Kneipp (Produktname: »Badeperlen stressfrei«) den Farb- gen zusammen. 
stoff Uranin. Um eine entsprechende Lösung zu erhalten, Im Artikel ab S. 22 in diesem Heft finden Sie noch weite-
überschichtet man ein halbes Gramm der Badeperlen mit re spannende Versuche, die Sie mit fluoreszierenden Text-
zehn Millilitern Brennspiritus, rührt das Ganze kurz um und marker-Lösungen durchführen können.
kippt die überstehende Lösung, nachdem sich die Perlen
gesetzt haben, vorsichtig ab (dekantieren). Der in den
Badeperlen ebenfalls enthaltene Azofarbstoff Cochenille­
rot A löst sich innerhalb dieser knappen Zeit nur in sehr
geringer Menge und stört bei den Mischversuchen nicht. QUELLEN
Bei der rot fluoreszierenden Lösung muss mit Nilrot auf Ducci, M.: »Gelb und Blau ergibt … Weiß!« – Experimente zur
einen Farbstoff zurückgegriffen werden, der nur im Chemi- additiven Farbmischung mit Fluoreszenzfarbstoffen. CHEMKON
kalienhandel erhältlich ist. Schon ein Milligramm Nilrot in 26, 2019
50 Milliliter Brennspiritus ergibt unter UV-Licht eine spek- Müller, W., Frings, S.: Tier- und Humanphysiologie. 4. Auflage,
takuläre rote Fluoreszenz. Springer, 2009

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 29


ü
DIE GEHEIMTINTEN DER CIA
Fast ein Jahrhundert hielt der US-Geheimdienst eine Sammlung
von Rezepten unter Verschluss, mit denen sich unsichtbare Nach­
richten verfassen und vom Empfänger sichtbar machen lassen.
Darunter ­finden sich neben vielen altbekannten einige ziemlich
ausgefallene Methoden.

 spektrum.de/artikel/1396788


Im April 2011 gab der US-Geheimdienst, die Central Rezepte für Geheimtinten gab es schon vor über
Intelligence Agency (CIA), sechs Dokumente für die 2000 Jahren. Eines steht zum Beispiel in den Schriften
Öffentlichkeit frei, die jahrzehntelang als geheim und des Philon von Byzanz, eines griechischen Erfinders,
seit Ende der 1970er Jahre immerhin noch als vertraulich Konstrukteurs und Autors. Die verborgene Nachricht wird
eingestuft waren. Darin stehen unter anderem zahlreiche dabei mit farblosem Gallapfelextrakt geschrieben. Der
Rezepturen für Geheimtinten und ihre Entwicklerlösungen Empfänger kann sie dann mit Eisen­salzen sichtbar ma-
aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. chen, weil Eisen(III)-Ionen mit Gallussäure eine tiefschwar-
Die späte Veröffentlichung nach fast einem Jahrhundert ze Komplexverbindung bilden.
sorgte für Spott in der Presse, da die Rezepturen in dieser
Form wohl schon seit Langem nicht mehr im Nachrichten- Geheime Liebesbriefe mit Wolfsmilch
dienst eingesetzt werden. Es mute doch recht seltsam an, Im Jahr 50 n. Chr. erwähnte Plinius der Ältere eine Geheim-
dass derlei Material fast 100 Jahre als geheim eingestuft tinte aus dem Saft der auch als Wolfsmilch bezeichneten
worden sei, wo doch jedes aufgeweckte Kind, das gängige Euphorbie. Die Schrift ist nicht mehr zu erkennen, wenn
Kriminalgeschichten gelesen hat, sich mit etwas Zitronen- der Milchsaft trocknet, und kommt erst beim Erhitzen des
saft an unsichtbarer Tinte versuchen könne, schrieb etwa Pergaments wieder zum Vorschein. Mit solchen blassen
die »Washington Post«. Ins gleiche Horn blies der Nach- Tinten, die erst in der Wärme einen kräftigen Farbton
richtensender N24: »Wie man Geheimtinte herstellt, stand annehmen, wurden vom 17. bis zum 19. Jahrhundert gerne
bereits mehrfach in der Micky Maus.« geheime Liebesbriefe verfasst. Dass sie zum Bekunden
Dem Stempel auf einem der Dokumente ist gleichwohl verborgener Zuneigung dienten, trug ihnen den Beinamen
zu entnehmen, dass noch Anfang 1978 entschieden wurde, »sympathetisch« ein.
es von der automatischen Offenlegung auszunehmen. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR befasste
Eine erneute Prüfung sollte erst 2020 erfolgen. sich noch bis in die 1980er Jahre mit Geheim­tinten. In der
MATTHIAS DUCCI

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, NACH: MATTHIAS DUCCI


SO42
H3N NH3 Mit Ammoniakdämpfen sichtbar
gemachter Geheimtintentext
+
Cu2 aus Kupfersulfatlösung (links).
Das Ammoniak verwandelt das
H3N NH3 blassblaue Kupfersulfat-Penta­
hydrat in das tiefblaue Tetra­
OH2 amminkupfersulfat-Monohydrat
(rechts).

30 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
Abteilung Operativ-Technischer Sektor (OTS) entwickelten

MATTHIAS DUCCI
Chemiker immer neue Rezepturen. Das Sortiment war
schließlich so umfangreich, dass ab 1987 eine elektroni-
sche Datenbank dafür aufgebaut wurde.
Selbst heute finden Geheimtinten gelegentlich noch
Verwendung. So berichtet der bis 1995 für den britischen
Geheimdienst MI6 arbeitende Agent ­Richard Tomlinson in
seinem 2001 publizierten Enthüllungsbuch über einen zur
Ausrüstung gehörenden Stift zum Verfassen unsichtbarer
Botschaften. Und 2008 wurde ein mutmaßliches ­Al-Kaida-
Mitglied in England verhaftet, das ein Buch mit verdäch­
tigen Telefonnummern mit sich führte, welche mit Ge-
heimtinte notiert waren. Außerdem schreiben Häftlinge in
Gefängnissen mitunter Nachrichten mit Urin. Pikanter­ Eine lugolsche Lösung bringt zum Vorschein, was zuvor
weise handelt es sich dabei ebenfalls um eine sympathe­ mit einer Geheimtinte aus Stärkelösung geschrieben
tische Tinte. wurde.
Abgesehen von den Rezepturen für Geheimtinten und
ihre Entwicklerlösungen ermöglichen die CIA-Dokumente
faszinierende bis kuriose Einblicke in die einstige Agen­ Insgesamt enthalten die Unterlagen etwa 50 Rezeptu-
tentätigkeit. So enthalten sie allerlei Tipps für den Spiona- ren für Geheimtinten und ihre Entwicklerlösungen. Hier-
gealltag, indem sie zum Beispiel verraten, wie ein Brief von haben wir drei recht harmlose ausgewählt, die sich
vom Adressaten unbemerkt geöffnet und wieder ver- mit allgemein verfügbaren Chemikalien, vor allem Haus-
schlossen werden kann. Generell sus­pekt seien frisch haltsprodukten, nachvollziehen lassen. Ein weitaus größe-
gestrichene Metallwände etwa auf Schiffen, da sich unter res Sortiment bieten zwei Veröffentlichungen, die in den
der Farbe eine geheime Botschaft verbergen könne. Einen Quellen am Schluss aufgeführt sind (Ducci & Krahl, 2013
derartigen Verdacht solle man mit Hilfe von Terpentin und Ducci, 2014). Für die dort beschriebenen Rezepte
überprüfen. benötigt man allerdings teilweise Schulchemikalien.
Ferner enthalten die CIA-Dokumente Ratschläge, wie Obwohl wir die nachfolgenden Versuche sorgfältig
sich eine Geheim­tinte, in diesem Fall eine Stärkelösung, erarbeitet haben, übernehmen der Verlag und wir als
unbemerkt mitführen lasse. Demnach könne man zum Autoren keine Haftung für die Richtigkeit der Angaben,
Beispiel ein Taschentuch damit tränken und es dann Hinweise und Ratschläge sowie für eventuelle Druckfehler.
trocknen lassen. Das gelte es später nur wieder zu be- Jeder Experimentator ist selbst gehalten, sich über das
feuchten. Gefährdungspotenzial der verwendeten Stoffe zu informie-
Eines der CIA-Dokumente richtet sich an US-amerika­ ren, mit entsprechender Vorsicht vorzugehen und am Ende
nische Postinspektoren. Dort heißt es: »Es gibt eine Reihe alle Substanzen ordnungsgemäß zu entsorgen.
weiterer Methoden, die Spione und Schmuggler je nach Die erste von uns herausgegriffene Geheimtinte der
Geschick und Ausbildung einsetzen – etwa Texte unter CIA-Dokumente ist eine stark verdünnte Kupfersulfat­
Briefmarken schreiben, Botschaften in Medikamenten­ lösung. Sie sei, heißt es dort, mit einem weichen Zahn­
kapseln verpacken und Nachrichten oder Zeugnisse auf stocher aufzutragen und werde später mit konzentrierten
Zehennägel gravieren, wo sie später mit Ruß sichtbar Ammoniakdämpfen entwickelt, welche die unsichtbare
gemacht werden.« Schrift blau erscheinen ließen. Wir haben dieses Rezept
für den Hausgebrauch etwas abgewandelt. Benötigt
Ausgewählte Rezepte im Praxistest werden ein feiner Pinsel, gelb­liches oder hellbraunes
Zum Teil führen die CIA-Dokumente recht triviale Ge- Papier, ein Reagenzglas, ein Teelicht und ein kleines Glas-
heimtinten auf, so den schon erwähnten Zitronensaft. gefäß – etwa ein 50-Milliliter-Becherglas – sowie als Che-
Um ­damit geschriebene Texte sichtbar zu machen, wird mikalien Hirschhornsalz und Kupfersulfat-Pentahydrat
empfohlen, mit einem heißen Bügeleisen darüberzu­ (CuSO4  ·  5 H2 O), das im Fachhandel für Poolbedarf erhält-
fahren. lich ist.
Andere Rezepturen beinhalten Chemikalien, von denen In dem Glasgefäß löst man 1,5 Gramm der Kupferver-
erhebliche gesund­heitliche Risiken ausgehen, so dass bindung in 100 Milliliter Wasser. Der Pinsel dient dazu,
heutzutage nur fachlich geschultes Personal unter Labor- mit dieser Lösung auf dem Papier zu schreiben. Am bes-
bedingungen damit hantieren darf. Ein Beispiel ist eine ten taucht man ihn nach jedem Buchstaben erneut ein.
Platinchloridlösung, die mit Quecksilberdämpfen entwi- Nach dem Trocknen ist die Schrift nicht mehr mit dem
ckelt wird. Zahlreiche Vorschriften sehen sogar vor, die Auge wahrnehmbar. Wegen der gelbbräunlichen Tönung
verborgene Schrift mit Schwefelwasserstoff zum Vor- des Papiers gilt das selbst dann, wenn man es gegen eine
schein zu bringen, jenem berüchtigten, stark giftigen Gas, Lichtquelle hält. Bei weißem Schreib- und Kopierpapier
das ­penetrant nach faulen Eiern riecht und früher in Stink- würde sich die Schrift dagegen schattenhaft abzeichnen.
bomben enthalten war. Deshalb steht in den ­Dokumenten Als Nächstes füllt man das Reagenzglas etwa zwei
immer wieder, man solle die Dämpfe nicht einatmen. Zentimeter hoch mit dem Hirschhornsalz und erhitzt es

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 31


ü
von außen mit dem brennenden Teelicht. Dabei passiert

MATTHIAS DUCCI
dasselbe wie beim Backen: Das Hirschhornsalz, das ­che-
misch überwiegend aus Ammoniumhydrogencarbonat
besteht, zerfällt und setzt Kohlenstoffdioxid und Ammo­
niak frei. Hält man nun das Papier mit der beschrifteten
Seite direkt über die Reagenzglasöffnung, erscheinen die
Zeichen in Blau (siehe Bild S. 30 links).
Chemisch lassen sich die Beobachtungen leicht erklären.
Die Konzentra­tion der Kupfersulfatlösung ist so gering,
dass die blassblaue Farbe des enthaltenen Tetraaquakupfer-
Komplexes nach dem Auftragen auf dem Papier optisch
nicht erkennbar ist. Dasselbe gilt für das Kupfersulfat-Pen-
tahydrat nach dem Trocknen. Mit den Ammoniakmolekülen
bildet sich dagegen gemäß der folgenden Gleichung, in
der »s« für »fest« (englisch: solid), »l« für »flüssig« (liquid) Eine Geheimtinte aus Ammoniumalaun­lösung und
und »g« für »gasförmig« steht, ein Tetraamminkupfer-Kom- ­Knoblauchsaft färbt sich beim Erhitzen mit einem Teelicht
plex, genauer: das Tetraamminkupfersulfat-Mono­hydrat. braunschwarz.

CuSO4  · 5 H2 O(s) + 4 NH3 (g)


  [Cu(NH3 )4 ]SO4  · H2 O (s) + 4 H2 O (l) Fön. Da die Stärke farblos ist, lässt sich die Schrift nicht
erkennen.
Diese tiefblaue Verbindung erscheint selbst in geringer Nun geben wir im zweiten Becherglas etwa fünf Tropfen
Konzentration noch farbig. der lugolschen Lösung in zehn Milliliter Wasser, tauchen
Unsere zweite Geheimtinte bezieht sich auf eine Stelle ein Wattepad hinein und tupfen damit das Leinentuch ab.
im selben CIA-Dokument, wo es heißt: »Stärkeschrift auf Daraufhin erscheint die zunächst unsichtbare Schrift in
Leinen wird nach dem Trocknen durch eine Lösung von blauen Zeichen (siehe Bild auf S. 31). Das liegt an der
Kaliumiodid sichtbar gemacht. Sie färbt sich dabei blau. Bildung eines entsprechend farbigen Iod-Stärke-Komple-
− − − −
Die Farbe verschwindet wieder, wenn man das Papier mit xes. Dabei lagern sich Polyiodidketten (I3, I5, I7, I9) in den
einer sehr schwachen Lösung von Natriumhyposulfat kanalartigen Hohlraum der schraubenförmigen Helix ein,
behandelt.« Diese Beschreibung ist interessanterweise zu der die kettenartigen Amylosemoleküle in der Stärke
fehlerhaft. Hält man sich streng daran, erscheint keine gewunden sind.
blaue Schrift; denn statt der Kaliumiodid- muss eine Iod- Wie im CIA-Dokument beschrieben, kann man die
Kaliumiodid-Lösung ver­wendet werden! Außerdem heißt Schrift anschließend wieder ­verschwinden lassen. Dazu lö-
Natriumhyposulfat heutzutage Natriumthiosulfat. sen wir 0,5 Gramm Fixiersalz in zehn Milliliter Wasser auf
Diesmal brauchen wir außer dem Pinsel ein zweites und tupfen mit dieser Lösung die blaue Schrift ab. Das
Becherglas sowie ein kleines Leinentuch, einen Fön, Natriumthiosulfat-Pentahydrat zerstört den Iod-Stärke-
Wattepads und Speisestärke. Die Iod-Kaliumiodid-Lösung Komplex, indem es das Iod zum Iodid reduziert, während
gibt es als lugolsche Lösung in der Apotheke zu kaufen. es selbst zu Natriumtetrathionat reagiert. Die Reaktionsglei-
Dort erhalten Sie ebenfalls Fixiersalz, das aus Natriumthio- chung lautet:
sulfat-Pentahydrat besteht.
− 2−
Für den Versuch lösen wir 0,1 Gramm Speisestärke in I3  (komplex gebunden) + 2 S2 O3  (aq)
− 2−
einem Becherglas unter Rühren in zehn Milliliter Wasser     3  I  (aq)  +  S4 O6  (aq)
und Erwärmen auf etwa 60 Grad Celsius. Wir benutzen
erneut den Pinsel, um mit der Lösung auf das Leinentuch Das Kürzel »aq« (von englisch: aqueous) bedeutet »in Was-
zu schreiben. Dieses trocknen wir anschließend mit dem ser gelöst«.
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, NACH: MATTHIAS DUCCI

SO3– OH Die »Saubär«-Badewasserfarbe Rot


OH SO3– enthält den Farbstoff Cochenillerot A.
N NH2
Diesen spaltet das Natriumdithionit im
N +4 NH+
SO3– + 4e– SO3– + H2N Power-Entfärber der Firma Heitmann
laut der Reaktionsgleichung links in
gelbliche aromatische Amine. Weil
eines der beiden Spaltprodukte – 4-Ami-
SO3– nonaphthalin-1-sulfonat – bei Bestrah-
SO3–
lung mit ultravio­lettem Licht fluores-
Cochenillerot A 8-Amino-7 4-Aminonaphtalin-1- ziert, kann die entstehende Lösung als
hydroxynaphtalin-1,3-disulfonat sulfonat
Geheimtinte dienen.

32 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
Die Chemie hinter diesen beiden Geheimtinten ist seit

MATTHIAS DUCCI
Langem bekannt, und deshalb verwundert es doch sehr, Strukturformel von
dass die CIA noch bis in unser Jahrhundert hinein glaubte, 4-Aminonaphthalin-1-
die Rezepte quasi als Staatsgeheimnisse hüten zu müssen. sulfonat, geschrieben
Vergleichsweise ungewöhnlich nimmt sich dagegen das mit fluoreszierender
dritte Beispiel aus, das wir hier vorstellen wollen. In den Geheimtinte aus
Dokumenten taucht es überraschenderweise als »deutsche Haushaltsprodukten,
Formel« auf, ohne dass klar wäre, worauf diese Bezeich- die unter UV-Licht
nung beruht. bläulich leuchtet.
Für das Rezept brauchen wir außer den schon bekann-
ten Utensilien eine Knoblauchzehe und einen gewöhnli-
chen Kristalldeostick, der chemisch aus Ammoniumalaun Heitmann hinzu, der bis zu 30 Prozent aus Natriumdithio-
NH4 Al(SO4 )2  · 12 H2 O besteht. Von ihm schaben wir etwa nit besteht. Da dieses Reduktionsmittel Cochenillerot A an
0,5 Gramm ab und lösen sie in zehn Milli­liter Wasser. der Azogruppe in aromatische Amine spaltet (S. 32 unten),
Dann zerquetschen wir die Knoblauchzehe mit einer schlägt die Farbe von Rot nach Gelb um. Die Dithionitio-
Knoblauchpresse und schlämmen den Brei mit etwas nen werden dabei gemäß der Gleichung
Wasser auf. Einen Milliliter dieses Safts mischen wir mit
2– 2– + –
dem gleichen Volumen der Alaunlösung. Fertig ist die S2O4  (aq)  +  2 H2O (l)     2 SO3  (aq)  +  4 H  (aq)  +  2 e
Geheimtinte, mit der wir wieder mittels Pinsel einen Text
auf bräunliches Papier malen. Nach dem Trocknen ist er zu Sulfitionen oxidiert.
unsichtbar. Erwärmt man das Papier ­jedoch über einem Die resultierende Lösung lässt sich auf gelbem oder
Teelicht, erscheint nach etwa einer halben Minute eine leicht braunem Papier, das allerdings keine Weißmacher
braunschwarze Schrift (Bild S. 32 oben). enthalten darf, als Geheimtinte verwenden, weil eines der
Die Verfärbung rührt vor allem von Zersetzungsproduk- beiden Spaltprodukte – nämlich das 4-Aminonaphthalin-
ten des Papiers her, die sich in der Wärme an den zuvor 1-sulfonat – bläulich fluoresziert, wenn ultraviolettes Licht
benetzten Stellen bilden, weil hier die Zellulose von der darauffällt (Bild oben). Idealerweise beleuchtet man die
sauren Geheimtintenlösung teilweise gespalten – chemisch: unsichtbare Botschaft in einem dunklen Raum mit einer
hydrolysiert – wurde. Die Aluminiumionen wirken nämlich UV-Handlampe. Diese darf nur äußerst wenig sichtbares
gemäß der Gleichung Licht aussenden, damit sie die Fluoreszenz nicht über-
strahlt.
3+ 2+ +
[Al(H2O)6]  (aq)  +  H2O (l)     [Al(H2O)5OH]  (aq)  +  H3O  (aq) An Methoden zur Übermittlung von Nachrichten, die an
James-Bond-Filme erinnern, wird sogar heute durchaus
als Kationensäure. Außerdem tragen braune Zersetzungs- noch vereinzelt geforscht. So berichteten Rafal Klajn und
produkte des Knoblauchsafts zur Verfärbung bei. Kollegen von der Northwestern University in Evanston
Beide Flüssigkeiten können jede für sich als sympatheti- (Illinois) 2009 in der Zeitschrift »Angewandte Chemie«
sche Geheimtinte dienen. Dabei zeigt die Alaunlösung über die Entwicklung eines Verfahrens zum Verfassen
nach dem Trocknen und Erwärmen einen wesentlich inten- geheimer Botschaften, die sich nach dem Sichtbarmachen
siveren Effekt als der Knoblauchsaft, der nur eine schwach von selbst wieder löschen. Träger der Nachricht sind auf
braune Verfärbung des Papiers bewirkt. Papier aufgebrachte Nanopartikel aus Gold oder Silber.
Diese verklumpen bei Bestrahlung mit einem Stift, der
Nur unter UV-Licht sichtbar UV-Licht aussendet. Das Geschriebene kommt dadurch
Unter Schülern erfreuen sich neuerdings Geheimstifte zum Vorschein. Mit der Zeit zerfallen die Klumpen, so dass
großer Beliebtheit, die von zahlreichen Firmen angeboten die Schrift wieder verschwindet. Wie schnell das ge-
werden. Mit ihnen geschriebener Text ist unsichtbar und schieht, hängt von der I­ntensität der UV-Bestrahlung ab,
leuchtet nur bei Bestrahlung mit UV-Licht auf. Zu diesem da diese über die Größe der gebildeten A ­ ggregate ent-
Zweck ist meist eine Licht emittierende Diode (LED) am scheidet. Eine Rekonstruktion der Botschaft nach dem
oberen Ende des Stifts angebracht. Der Grund für dessen Zerfall sei ausgeschlossen, ver­sichern die Entwickler des
Beliebtheit wird deutlich, wenn man die Produktbewertun- Verfahrens.
gen auf den einschlägigen Internetportalen liest. Da heißt
es etwa: »Ideal zum Spicken, helles, aber unauffälliges
Licht, so lassen sich ganz einfach Formeln und so weiter QUELLEN
unsichtbar notieren. Echt zu empfehlen.«
Ducci, M., Krahl, E.: A German Formula – Rezepte für Geheim-
Farblose Tinten, die beim Bestrahlen mit UV-Licht tinten aus den Archiven der CIA. CHEMKON 20, 2013
fluoreszieren, kann man selbst aus normalen Haushalts-
produkten herstellen. Hierzu lösen Sie eine halbe Tablette Ducci, M.: Historische Geheimtinten der CIA. Chemie & Schule
29, 2014
der Saubär-Badewasserfarbe, die in Drogeriemärkten
erhältlich ist und den roten Azofarbstoff Cochenille-rot A Klajn, R. et al.: Writing self-erasing images using metastable
nanoparticle »Inks«. Angewandte Chemie 121, 2009
enthält, in 25 Milliliter Wasser. Anschließend fügen Sie
einige Spatelspitzen Power-Entfärber »Intensiv« der Firma Macrakis, K.: Die Stasi-Geheimnisse. Herbig, 2009

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 33


ü
SPANNUNG BEI DER
VERBRECHERJAGD
Fingerabdrücke sind immer noch ein wichtiges Mittel, um Straftäter
aufzuspüren und zu überführen. Elektrochemische Methoden können
dabei helfen, solche Spuren sichtbar zu machen.

Isabel Rubner (links) ist Akademische Oberrätin in der Abteilung


Chemie der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Matthias Ducci
(Mitte) und Marco Oetken sind die Autoren dieses Hefts.

 spektrum.de/artikel/1505991


Am 19. September 1910 ereignete sich in Chicago ein linien, die so genannten Minuzien. Sie ergeben zusammen
Mord in einer Villa, in die der Täter über die Veranda mit dem Grundmuster ein individuelles Bild, das eindeutig
eindrang. Weil er dabei seine Fingerabdrücke auf dem einer bestimmten Person zuzuordnen ist. Selbst eineiige
frisch gestrichenen Geländer hinterließ, konnte ihn die Poli- Zwillinge haben unterschiedliche Fingerabdrücke. Beim
zei schließlich überführen. Das brachte Thomas Jennings, Griff an das frisch gestrichene Verandageländer hinterließ
so sein Name, nicht nur an den Galgen, sondern sicherte Jennings also in der noch nicht getrockneten Farbe das
ihm auch einen Platz in der Kriminalgeschichte als dem klar erkennbare Abbild der unverwechselbaren Papillar-
ersten anhand von Fingerspuren verurteilten Verbrecher. linien seiner Hand.
Was vor über 100 Jahren noch eine Sensation war, ist Seit 1910 hat die Daktyloskopie, so der Fachausdruck
heute Routine. Das Sichern von Fingerabdrücken gehört für die Analyse von Fingerabdrücken, erhebliche Fort-
seit Langem schon zu den Standardverfahren bei der schritte gemacht. Schon lange müssen Verbrecher nicht
Untersuchung von Tatorten und der Identifikation der mehr in frische Farbe greifen, um verwendbare Spuren
Täter. Der Grund liegt darin, dass die Haut der Handinnen- zu hinterlassen. Meist sind die Fingerabdrücke an Tatorten
flächen und Fußsohlen mit kleinen leistenartigen Erhe­ allerdings nicht direkt sichtbar, sondern nur »latent«
bungen der Lederhaut, den Papillen, überzogen ist, zwi- ­vorhanden. Durch Talg- und Schweißdrüsen sondert die
schen denen feine Rillen verlaufen. Sie bilden sich bereits Haut ein Gemisch aus Wasser, anorganischen Salzen –
beim Fötus während des dritten und vierten Schwanger- größtenteils Chloriden – und organischen Bestandteilen
schaftsmonats, wachsen mit dem Körper mit, aber verän- wie ­Fetten, Peptiden, Aminosäuren und Harnstoff ab.
dern sich nie. Selbst nach Verletzungen bilden sie sich Dieses Gemisch überträgt sich bei jedem Kontakt der
identisch nach oder ergeben charakteristische Narben. Finger im Muster der Papillarlinien auf Objekte und hinter-
lässt so einen unsichtbaren Abdruck. Um ihn zum Vor-
Eisenpulver, Goldstaub oder Kurkuma? schein zu bringen und dauerhaft zu bewahren, bedienen
Im Jahr 1897 entwickelte Sir Edward Henry, damals Poli- sich heutige Kriminologen einer Reihe teils äußerst raffi-
zeichef in Bengalen und später Direktor der Londoner nierter Methoden.
Polizei, das bis heute verwendete System zur Klassifizie- Ein gängiges, aus Kriminalfilmen bekanntes Verfahren
rung von Fingerabdrücken. Es unterteilt die Muster in fünf ist das Einstäuben von Gegenständen, auf denen sich
Kategorien: runder Bogen, spitzer Bogen, radiale Schlinge, möglicherweise Fingerabdrücke befinden. Dabei wird
tangentiale Schlinge und Spirale. feines Pulver – je nach Materialoberfläche etwa aus Eisen,
Zusätzlich betrachten Kriminologen die unterschiedli- Kupfer(II)-oxid oder Eisen(III)-oxid – sehr vorsichtig mit
chen Verzweigungen oder variierenden Enden der Papillar- einem Pinsel aufgetragen. Die Teilchen haften auf Grund

34 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
Dabei macht man sich zu Nutze, dass Metalle und ihre
RACHEL FISCHER, PH FREIBURG; MIT FRDL. GEN. VON ISABEL RUBNER

1 Salze unterschiedlich stark bestrebt sind, Elektronen


aufzunehmen (Reduktion) oder abzugeben (Oxidation). Als
Maß dafür dient das Standardpotenzial E0. Nach dessen
Wert sind alle Stoffe in der elektrochemischen Spannungs-
reihe geordnet. Je positiver das Standardpotenzial einer
Substanz, desto begieriger nimmt sie Elektronen auf und
lässt sich reduzieren. Je niedriger es dagegen ist, desto
leichter gibt sie Elektronen ab und wird oxidiert. Metalle
sind umso edler, je höher ihr Standardpotenzial ist.
Die elektrochemische Spannungsreihe ermöglicht es,
Fingerabdrücke weisen ein individuelles Muster auf, das sich vorherzusagen, ob eine chemische Reaktion zwischen
mit Hilfe von färbenden Pulvern visualisieren lässt. Von links zwei Stoffen spontan stattfindet oder nicht. Folgendes
nach rechts: Orangenes Holi-Pulver (UV-beleuchtet) auf einer Beispiel soll dies verdeutlichen:
Spiegelrückseite, Eisenpulver auf Glas und Kurkuma auf Alu­
minium. Kupfer: Cu2+ + 2 e–; E0 = + 0,34 V
Zink: Zn2+ + 2 e–; E0 = – 0,76 V

von Adhäsionskräften an der Feuchtigkeit und den Fett- Das edlere Kupfer hat mit einem Standardpotenzial von
bestandteilen des Fingerabdrucks. Nach dem Entfernen + 0,34 Volt eine geringere Neigung, Elektronen abzugeben,
von überschüssigem Pulver bedeckt man das sichtbar als das unedlere Zink mit seinem deutlich negativeren E0
gewordene Muster mit einem Streifen Tesafilm, so dass es von – 0,76 Volt. Analog sind zweifach positiv geladene
sich auf ihn überträgt, weil die Staubpartikel daran hängen Ionen von Kupfer stärker bestrebt, Elektronen aufzuneh-
bleiben. Nach dem Abheben wird der Film zur Aufbewah- men, als die entsprechenden Zinkteilchen. Die Reaktion
rung gewöhnlich auf ein Stück Papier geklebt. von Kuper-II-Ionen mit Zink läuft deshalb gemäß der
folgenden Gleichung freiwillig ab (die Symbole »aq« und
Eine saubere Sache »s« stehen für »in Wasser gelöst« beziehungsweise »fest«):
Das verwendete feine Pulver einzuatmen, ist allerdings
potenziell ungesund – ganz abgesehen von dem Aufwand Cu2+ (aq) + Zn (s)    Cu (s) + Zn2+ (aq)
für die anschließende Reinigung des Umfelds. Für eigene Kupfer-II-Ion + Zink    Kupfer + Zink-II-Ion
Experimente empfiehlt es sich deshalb, stattdessen eine
Einstaubkammer zu benutzen, die sich beispielsweise Demnach scheidet sich auf einem Zinkblech, das in die
mit einer Tic-Tac-Dose realisieren lässt. Lösung eines Kupfer-II-Salzes (etwa Kupfersulfat, CuSO4)
Dazu ersetzen Sie deren Deckel durch eine stabilere, gehalten wird, sofort Kupfer in Form eines dunklen Über-
passend zurechtgeschnittene Kunststoffscheibe, die Sie mit zugs ab (Bild 2 auf S. 36). Chemiker sprechen von einer
drei Löchern versehen. So lassen sich ein Luftballon zum Zementationsreaktion.
Druckausgleich, eine Krokodilklemme zur Befestigung von Beim Eintauchen eines Kupferblechs in eine Zinksulfat-
Untersuchungsgegenständen oder Objektträgern und eine lösung passiert dagegen in Einklang mit der Theorie nichts
kleine, hohle Spritze anbringen, auf die über einen Adapter (Bild 3 links auf S. 36). Erst durch Anlegen einer elektri-
eine weitere Spritze oder ein Pumpball auf­gesetzt ist. schen Spannung – in diesem Fall drei Volt – lässt sich die
Geben Sie nun zwei bis drei Messerspitzen des gut sonst nicht ablaufende Reduktion des unedleren Metalls
getrockneten Pulvers (zum Beispiel im Internet erhältliches erzwingen: Nach einigen Sekunden überzieht sich das
Holi-Pulver) in die Dose. Um es aufzuwirbeln und gleich- Kupferblech mit silberfarbenem Zink (Bild 3 rechts auf
mäßig in der Bedampfungskammer zu verteilen, erzeugen S. 36). Eine solche mit elektrischem Strom herbeigeführte
Sie anschließend mit der größeren Spritze beziehungs- Reaktion bezeichnen Chemiker als Elektrolyse. Dieser
weise dem Pumpball mehrere Luftstöße. Das in die Luft historische Begriff rührt daher, dass bei dem Vorgang in
geblasene Pulver bleibt dabei an den Substanzen des manchen Fällen – wie etwa bei der Elektrolyse von Was-
Fingerabdrucks auf dem Objektträger haften. Mit dieser ser – ein Stoff in seine Bestandteile zerlegt oder »aufge-
Apparatur lassen sich latente Fingerabdrücke sehr schnell, löst« wird.
sauber und ungefährlich visualisieren – und das auf so gut
wie allen Materialien (Bild 1 , siehe oben). Sie ist deshalb Die Spannung steigt
hervorragend für den Einsatz zu Hause geeignet. Aber was haben Zementation und Elektrolyse mit Finger­
Doch nicht nur am Tatort, ebenso an Diebesgut und abdrücken zu tun? Ein einfaches Experiment macht das
Tatwaffen sichern Kriminologen Fingerabdrücke standard- klar. Dazu entfetten Sie ein Zinkblech mit Alkohol und ver-
mäßig. Da Gewehre und Messer meist aus Eisen oder sehen es vorsichtig mit einem Fingerabdruck. Dann tau-
Stahl bestehen, spielt das Abnehmen latenter Fingerabdrü- chen Sie es für wenige Sekunden in eine zweiprozentige
cke auf Metallen bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen Kupfersulfatlösung (CuSO4 ist im Internet erhältlich).
eine große Rolle. Außer der bereits geschilderten Methode Erneut scheidet sich fast augenblicklich dunkles Kupfer ab.
bietet sich dazu insbesondere die Elektrochemie an. Der Fingerabdruck bleibt jedoch silberfarben und ist nun

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 35


ü
2 + 3 + 5: ANNIKA ERZIG UND DENNIS LÜKE, PH FREIBURG; 4: RACHEL FISCHER, PH FREIBURG; ALLE MIT FRDL. GEN. VON ISABEL RUBNER
2 3 4 5

2 : Beim Eintauchen in eine zweiprozentige Kupfersulfatlö- 4 : Ein Fingerabdruck auf einem Zinkblech wird nach dem Ein-
sung überzieht sich ein Zinkblech mit einer dunklen Kupfer- tauchen in eine Kupfersulfatlösung sichtbar, weil sich nur in
schicht. den Papillarrillen dunkles Kupfer abscheidet (links). Auf einem
3 : Ein Kupferblech zeigt beim Eintauchen in eine Zinksulfat- Kupferblech wiederum lassen sich Fingerabdrücke mit einer
lösung dagegen keinerlei Reaktion (links). Erst nach Anlegen Zinkelektrolyse zum Vorschein bringen (rechts).
einer elektrischen Spannung scheidet sich Zink darauf ab 5 : Die Elektrolyse in einer Kupfersulfatlösung macht Finger-
(rechts). abdrücke auf Messerklingen aus Stahl sichtbar.

gut zu erkennen (Bild 4 links). Umgekehrt ergibt die Stellen, an denen die Papillen Fettspuren hinterlassen
elektrolytische Abscheidung von Zink auf Kupfer einen haben, bleiben frei, so dass hier der Stahl hindurchschim-
Negativabdruck aus silbernem Zink beziehungsweise mert. Deshalb tritt der Fingerabdruck deutlich hervor (Bild
einen Positivabdruck des kupferfarbenen Grundmetalls 5 ). Im Ernstfall wäre der Täter so überführt.
(Bild 4 rechts). In der Online-Ergänzung zu diesem Artikel sind weitere
Wie lässt sich das erklären? In beiden Fällen kann die Varianten der elektrochemischen Visualisierung latenter
Abscheidung nur stattfinden, wenn gelöstes Metallsalz Fingerabdrücke aufgeführt. Sie alle wurden im Rahmen
und Metall direkt miteinander in Kontakt kommen. Die eines fachwissenschaftlichen Seminars in der Abteilung
fettigen Komponenten des Fingerabdrucks verhindern Chemie der Pädagogischen Hochschule Freiburg erarbei-
jedoch genau das. Infolgedessen scheidet sich das redu- tet. Wichtige Beiträge leisteten dabei die Studierenden
zierte Metall nur dort ab, wo diese Fettanhaftungen nicht Annika Erzig und Dennis Lüke.
vorhanden sind, nämlich im Muster der Papillarrillen. Die Elektrochemie gilt oft als eher trockenes Teilgebiet
Für jedes Metall, auf dem ein Fingerabdruck sichtbar der Chemie. Dass sie einen Beitrag zur Aufklärung von
gemacht werden soll, gelten spezielle Versuchsbedin- Verbrechen leisten kann, indem sie Möglichkeiten eröffnet,
gungen, was die Elektrolytlösung, die anzulegende Span- verborgene Fingerabdrücke zum Vorschein zu bringen,
nung und die Reaktionsdauer betrifft. Sie sind präzise lässt sie auf einmal in einem ganz neuen, spannenden
einzuhalten, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Andern- Licht erscheinen.
falls – so etwa bei zu langen Elektrolysezeiten – kann es
zu Überlagerungen kommen, die sich nicht wieder rück-
gängig machen lassen. Der Fingerabdruck bleibt dann für
immer unter dem abgeschiedenen Metall verborgen.
QUELLEN

Auf Messers Schneide Almog, J.: Fingerprints (Dactyloscopy): Visualization. In:


Um das Prinzip zu verdeutlichen, haben wir Zink und Siegel, J. A., Saukko, P.­ J. (Hg.): Encyclopedia of Forensic Sciences.
Academic Press, 2000, S. 890–900
Kupfer für unsere Versuche herangezogen, die an Tatorten
jedoch eher selten vorkommen. Häufiger benutzt ein Bader, H. J., Rothweil, M.: Forensische Chemie – Aufklärung von
Verbrecher zum Beispiel ein Messer aus Stahl, einer Legie- Verbrechen mit chemischen Methoden. CHEMKON 10, 2003
rung, die zum größten Teil aus Eisen besteht. Dieses ist Lipscher, J. et al.: Chemie und Verbrechen. Kriminalistik im
wie Zink unedler als Kupfer. Um einen Fingerabdruck auf ­gymnasialen Chemieunterricht. Chemie in unserer Zeit 32, 1998
einem Messer sichtbar zu machen, tauchen Sie es deshalb Qin, G. et al.: Visualizing latent fingerprints by electrodeposition of
einfach in eine zweiprozentige Kupfersulfatlösung. An- metal nanoparticles. Journal of Electroanalytical Chemistry 693,
schließend elektrolysieren Sie es 60 Sekunden lang bei 2013
2,3 Volt – was zwar eigentlich unnötig ist, aber bessere Zhang, M. et al.: Latent fingerprint enhancement on conductive
Ergebnisse liefert. Durch die Behandlung bildet sich ein substrates using electrodeposition of copper. Science China Chemi-
kupferfarbener Überzug auf der Messerklinge. Nur die stry 58, 2015

36 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
SPURENSICHERUNG DANK
BLEISTIFT, BÜROKLAMMER
UND BLOCKBATTERIE
Ob am Flughafen oder bei der Überführung von Straftätern:
Personen anhand von Fingerabdrücken zu iden­tifizieren,
ist in vielen Bereichen Routine. Am Tatort sichern ­speziell ­
ausgebildete Fachleute die Spuren. Das Prozedere kann
ebenso daheim mit Haushaltsgegenständen gelingen.

Matthias Ducci (links) und Marco Oetken sind die Autoren dieses Hefts.
Rachel Fischer forscht in Oetkens Arbeitsgruppe im Bereich der Forensi­
schen Chemie.

 spektrum.de/artikel/1681222


Die Daktyloskopie (wörtlich: »Fingerbeschau«) spielt (des »Spurenträgers«), dem Alter der Spur und den äuße­
seit mehr als 100 Jahren eine zentrale Rolle bei der ren Bedingungen (etwa nasse oder trockene Umgebung)
Aufklärung von Verbrechen. Die erste Methode, die gezielt ausgewählt und eingesetzt werden können.
eine Visualisierung nicht direkt sichtbarer Fingerabdrücke Heute arbeitet die daktyloskopische Forschung einer­
am Tatort ermöglicht hat, nutzte dazu ein feines Pulver, seits daran, bestehende Verfahren zu optimieren, und
beispielsweise Kohlestaub. Man gab es auf die zu untersu­ andererseits daran, neuartige Visualisierungsmethoden
chende Fläche, wodurch darauf vorhandene Abdrücke zu entwickeln. Maßgebend ist dabei vor allem, dass die
sichtbar wurden. Die Technik wird bis heute eingesetzt Verfahren einfach zu handhaben sind, die eingesetzten
und ist in Film und Fernsehen zu sehen. Daneben sind Chemikalien ungefährlich und das Abbild des Fingerab­
mittlerweile zahlreiche weitere Verfahren entwickelt wor­ drucks eine hohe Qualität aufweist.
den, die je nach Beschaffenheit und Farbe der Ober­fläche Für elektrisch leitende und nicht saugfähige Unter­
lagen gibt es seit etwa 15 Jahren eine Visualisierungs­
Berliner Braun methode. Grundlage dafür ist eine Redoxreaktion
Fe3+[FeIII(CN)6]3– Fingerabdruck ­zwischen der aufgebrachten Substanz und dem Spuren­
träger. Weil die talgreichen Rückstände des Finger­
Fe3+[FeII(CN)6]4–
abdrucks an der Unterlage haften, verhindern sie deren
Kontakt zum Nachweisreagens, so dass keine Reaktion
stattfindet. In der Folge erhält man einen Negativabdruck,
e– Spurenträger der fotografiert und ausgewertet werden kann (siehe
Grafik links).
Herkömmlicherweise setzen Spurensicherer dazu
Berliner Blau Metallsalzelektrolyte wie zum Beispiel eine Kupfersulfat­
Fe3+[FeII(CN)6]4–
RACHEL FISCHER, PH FREIBURG

Schematische Darstellung einer kathodischen Berliner-


Blau-Abscheidung auf einem elektrisch leitfähigen
Spurenträger. Oben: zu Beginn der Elektrolyse, unten:
Spurenträger
nach erfolgreicher Visualisierung.

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 37


ü
Mit Hilfe einer Berliner-Braun-
Lösung und gängigen Alltags­
gegenständen kann man Finger­
Tafelmesser
Bleistift abdrücke auf verschiedenen
mit Fingerabdruck
­Oberflächen sichtbar machen.
Minuspol Pluspol
Aus Berliner Braun entsteht bei
der chemischen Reaktion
Berliner Blau, das sich auf dem
­Spurenträger abscheidet.

Berliner-Braun-
Lösung
4,5-Volt-
Blockbatterie
RACHEL FISCHER, PH FREIBURG

lösung ein. Bei der Reaktion mit dem Spurenträger schei­ (siehe Artikel ab S. 60). Der ungefährliche Eisen(III)-
det sich Kupfer um den Fingerabdruck herum ab, während hexacyanidoferrat(II/III)-Komplex mit der Zusammenset­
das Fingerabdrucksekret unberührt bleibt (mehr dazu im zung FeIII4[FeII(CN)6]3 · n H2O erscheint tiefblau, da zwi­
Artikel ab S. 34). Aktuell erforschen Wissenschaftler, ob schen den enthaltenen Eisen(II)- und Eisen(III)-Ionen
sich hierfür eine Berliner-Braun-Lösung eignet, bei der sich Ladung übertragen wird. Bei diesem so genannten
Berliner Blau an der Kathode abscheidet. Die dabei ge­ Charge­­-Transfer-Übergang absorbiert der Stoff Licht einer
wonnenen Fingerabdrücke sollen wesentlich detail­reicher Wellenlänge von 640 Nanometern. Man erhält die Ver­
sein als diejenigen, die sich unter Einsatz einer Metallsalz­ bindung, indem man ein Eisen(III)-Salz mit gelbem Blut­
lösung gewinnen lassen. laugensalz, Kaliumhexacyanidoferrat(II), vermischt.
Berliner Blau ist ein tiefblaues anorganisches Farbpig­ Dabei bildet sich lösliches Berliner Blau mit der Formel
ment. Es war im 18. und 19. Jahrhundert in Europa weit K[FeIIFeIII(CN)6]. Bei Zugabe von Eisenüberschuss entsteht
verbreitet und wurde zum Einfärben von Kleidung sowie das unlösliche Pigment.
als Malfarbe eingesetzt, zum Beispiel benutzten es be­ Stellt man Berliner Blau wie beschrieben nass­
rühmte Künstler wie Jean-Antoine Watteau, Vincent van chemisch her, ist es jedoch unmöglich, das Produkt auf
Gogh oder etwa Pablo Picasso. Darüber hinaus färbte einer elektrisch leitfähigen Unterlage – dem Spuren-
man mit dem Pigment die preußischen Uniformen ein, träger mit dem Fingerabdruck – abzuscheiden. Daher
weshalb es unter dem Namen Preußisch Blau bekannt produziert man es für die Spurensicherung elektroche­
geworden ist. misch aus einer Berliner-Braun-Lösung. In der Forschung
Bis heute verwendet man Berliner Blau unter anderem wird diese Elektrolyse unter Verwendung einer Arbeits-,
als Aquarell-, Öl- und Druckfarbe, aber ebenso in elek­ einer ­Referenz- und einer Gegenelektrode durchgeführt.
trochromen Fensterscheiben, die sich durch Anlegen einer Die Arbeitselektrode besteht aus einem mit Indiumzinn­
geringen Spannung auf Knopfdruck abdunkeln lassen oxid beschichteten Glas (ITO-Glas, nach dem englischen

38 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
Fingerabdrücke auf
Tafelmessern. Links
sichtbar gemacht
durch eine Berliner-
Blau-Abscheidung,
rechts durch eine
Kupfer­abscheidung.

RACHEL FISCHER, PH FREIBURG


indium tin oxide), auf dem ein Fingerabdruck hinterlassen Die angelegte Spannung reduziert Eisen(III)-Ionen zu
wird. Eine Platinfolie dient als Gegenelektrode und eine Eisen(II)-Ionen. Aus Berliner Braun entsteht so Berliner
Silberelektrode in einer Silberchloridlösung als Referenz­ Blau, das sich auf dem Messer abscheidet (Bild oben
elektrode. Danach werden die gewonnenen Fingerab­ links). Folgende Reduktion findet statt:
drücke unter Einsatz elektrochemischer Analyseverfahren
Fe3+[FeIII(CN)6]3– + e– —› Fe3+[FeII(CN)6]4–
ausgewertet.
Berliner Braun Bestandteil des Berliner Blau
Aber auch auf Alltagsgegenständen lassen sich Finger­
abdrücke mit dieser elektrochemischen Methode relativ
einfach nachweisen. Dazu reinigt man zunächst ein han­ Auf diese Weise gewinnt man Fingerabdrücke von
delsübliches Tafelmesser mit Alkohol (Brennspiritus) und sehr hoher Qualität. Die gute Auflösung der Abbilder lässt
versieht es mit einem Fingerabdruck. Am besten eignet sich mit dem Durchmesser der abgeschiedenen Berliner-
sich ein Messer mit breitem Griff ohne Verzierungen. Um Blau-Partikel erklären: Vergleicht man Rasterelektronen­
den Elektrolyten zu erhalten, gibt man etwa 40 Milliliter mikroskopaufnahmen einer Kupferabscheidung mit denen
einer 0,1-molaren Eisen(III)-sulfat-Lösung sowie dieselbe einer Berliner-Blau-Abscheidung auf ITO-Glas, dann zeigt
Menge an 0,1-molarer Kaliumhexacyanidoferrat(III)-Lösung sich, dass der Durchmesser von Kupferpartikeln etwa
zusammen. Die so entstandene Flüssigkeit füllt man in 250 Nanometer beträgt, während die Berliner-Blau-Partikel
ein mindestens 100 Milliliter fassendes Glas, das als Reak­ nur rund 50 Nanometer groß sind. Von Letzteren finden
tionsgefäß dient. Ein Bleistift (Anode/Pluspol), das Tafel­ sich demnach auf dem Spurenträger viel mehr pro
messer mit dem Fingerabdruck (Kathode/Minuspol), Flächen­einheit – wie bei einem Bild, das mehr Pixel enthält
Elektrokabel aus dem Baumarkt und eine 4,5-Volt-Block­ und deshalb höher aufgelöst ist. Der Fingerabdruck wird
batterie ergeben die Elektrolysezelle (siehe Bild auf S. 38). dadurch detailliert dargestellt – inklusive aller Minuzien
Mit Hilfe von Büroklammern werden die Kabel an den (Verzweigungen und Endungen der Papillarlinien) und aller
Elektroden und den Laschen der Blockbatterie befestigt. Schweißporen, welche die charakteristischen personen­
Nun elektrolysiert man – je nach Oberflächenbeschaffen­ bezogenen Merkmale darstellen (siehe vergrößertes Bild
heit und Materialzusammensetzung des Messers – etwa unten). In der Daktyloskopie entspricht dieses Ergebnis
15 Sekunden lang. der höchsten Qualität, die das Bild einer Fingerabdruck­
spur erreichen kann.
In der Online-Ergänzung zu diesem Artikel sind weitere
Fingerabdruck auf einem Tafelmesser, entwickelt Varianten der Visualisierung latenter Fingerabdrücke mit
mit Hilfe einer Berliner-Blau-Abscheidung. Hilfe von Berliner Blau zu finden. 
Die charakteristischen Merkmale sind exempla-
risch gekennzeichnet.
RACHEL FISCHER, PH FREIBURG

QUELLEN

Amerkamp, U.: Spezielle Spurensicherungsmethoden.


­Verfahren zur Sichtbarmachung von daktyloskopischen Spuren.
Verzweigung einer Frankfurt am Main, 2008
Papillarlinie
Cadd, S. et al: Fingerprint composition and aging: A literature
review. Science & Justice 4, 2015
Endung einer Ding, P.: Collection of rolling fingerprints by the electrochro­
Papillarlinie
mism of Prussian blue. Dyes and Pigments 120, 2015

Ware, M.: Prussian Blue: Artists’ pigment and chemists’


Schweißpore ­sponge. Journal of Chemical Education 5, 2008

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 39


ü
GRAPHENPRODUKTION
IM HOBBYKELLER
Die Kohlenstoffvariante Graphen besitzt einzigartige
Eigenschaften und gilt als Material der Zukunft.
Die gerade mal atomdicken Folien herzustellen,
ist gar nicht schwer.
 spektrum.de/artikel/1555482


Kohlenstoff ist ein so genanntes polymorphes Ele­ nungen von Forschung und Politik tatsächlich erfüllen
ment, das in verschiedenen Zustandsformen oder wird, bleibt abzuwarten.
Modifikationen auftreten kann: Bei identischer che­ Wissenschaftler gewinnen Graphen überwiegend aus
mischer Zusammensetzung können die Atome von Fest­ Graphit. Zur Herstellung der ultradünnen Folien müssen
stoffen räumlich unterschiedlich angeordnet sein und so sie die so genannten Van-der-Waals-Kräfte überwinden.
Materialien mit gänzlich anderen Eigenschaften hervor­ Das sind relativ schwache Wechselwirkungen, die zwi­
bringen. Im Diamant etwa, dem härtesten natürlich vor­ schen benachbarten Kohlenstoffschichten auftreten.
kommenden Stoff, bilden die Kohlenstoffatome ein ku­ Einzelne Graphenlagen lassen sich recht unkompliziert
bisches (würfelförmiges) Kristallgitter. Weiches Graphit mit Hilfe eines Klebestreifens vom dreidimensionalen
hingegen besteht aus regelmäßigen Kohlenstoffsechs­ Graphitgitter ablösen. Für diese Entdeckung und die erste
ecken in nur locker miteinander verbundenen, waben­ Charakterisierung von Graphen erhielten die Forscher
artigen Schichten. Neben diesen beiden prominenten Andre Geim und Konstantin Novoselov 2010 den Physik­
Vertretern der Kohlenstofffamilie gibt es weitere, exoti­ nobelpreis.
schere Modifikationen: Fünf- und Sechsecke aus Kohlen­ Die simple »Tesafilmtechnik« eignet sich für Experimen­
stoff können sich zu winzigen Röhrchen (Nanotubes) oder te im Labormaßstab, nicht aber für kommerzielle Zwecke.
käfigartigen Strukturen arrangieren, die Miniaturfußbällen
gleichen (Fullerene). Zudem ist den letzten Jahren eine
zweidimensionale Variante des Graphits in den Fokus der Im Graphen sind die Kohlenstoffatome in einem Muster
Wissenschaft gerückt: Graphen, ein Kohlenstoffatom dicke aus regelmäßigen Sechsecken angeordnet. Übereinander­
Folien mit Wabenmuster. gestapelt bilden die wabenartigen Schichten Graphit.
Graphen ist härter als Stahl, gleichzeitig jedoch leichter
und belastbarer. Zudem übertrifft seine Leitfähigkeit die
von Kupfer. Auf Grund dieser einzigartigen Eigenschaften
Graphen
wurde Graphen bereits als »Wundermaterial des 21. Jahr­
MARCO OETKEN UND ANDREAS SCHEDY, PH FREIBURG

hunderts« betitelt. Die Europäische Union fördert zurzeit


ein so genanntes Flaggschiff-Projekt zur Erforschung
möglicher Anwendungen von Graphen mit einer Milliarde
Euro. Es könnte etwa als Elektrodenmaterial in Superkon­ Graphen Graphit
densatoren und Akkumulatoren zum Einsatz kommen und
so die Energiewende erleichtern. Auf Graphen basierende
Superkondensatoren können – zumindest theoretisch – die
doppelte Energiedichte der aktuell leistungsfähigsten
Graphen
Batterien erreichen und wären deutlich schneller wieder
aufgeladen. Ob der »Wunderwerkstoff« die großen Hoff­

40 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
1 Graphit
+
2 Oxidation und Interkalation OH
COOH

Synthese von OH
OH

Graphenoxid OH
ClO3–

ClO3–

Bei der Elektrolyse OH


OH
fließen Elektronen COOH
OH
von der Graphitanode ClO3–
COOH
zur Kathode (1). Zum OH ClO3–
Ladungsausgleich
OH
COOH
drängen Chlorationen
3 Gasentwicklung in der Elektrode
OH COOH
COOH OH
(ClO3–), umgeben von OH COOH
Wassermolekülen, in –

4 Graphenoxid
– OH
das Graphitgitter und COOH
COOH
OH
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, NACH: MARCO OETKEN UND ANDREAS SCHEDY, PH FREIBURG

weiten es (2). Die COOH


OH
angelegte Spannung OH OH
COOH
oxidiert den Kohlen­ CO2 O2
OH

COOH COOH
stoff zum Teil. In der CIO3–
O2
O2
OH
COOH
OH
Anode bilden sich CIO3–
COOH COOH
OH OH
zudem Gase, die das OH
OH
OH
OH COOH
CIO –
Gitter weiter aufdrü­ 3
CO2 COOH COOH OH
OH O2 OH COOH
cken (3). Schließlich CIO3– OH COOH
zerfällt die Anode in COOH
OH
COOH
einzelne Schichten OH COOH
OH OH
COOH OH COOH
OH
aus Graphenoxid (4). OH COOH COOH

Größere Mengen Graphen kann man auf zwei Arten ge­


winnen: Beide Verfahren – benannt nach den Chemikern
Benjamin Collins Brodie und William S. Hummers – führen
zunächst zur Bildung von Graphenoxid (GO), das in der
Folge zu Graphen reduziert wird. Bei der Hummer-Metho­
de kocht man das Graphit erst in einer Mischung aus
Natriumnitrat, dem Oxidationsmittel Kaliumpermanganat
(KMnO₄) und konzentrierter Schwefelsäure. Das entstan­
dene Graphitoxid wird anschließend mittels UV-Licht oder
Ultraschall zu Graphenoxid aufgetrennt. Bei dem Verfah­
MARCO OETKEN UND ANDREAS SCHEDY, PH FREIBURG

ren entsteht als Nebenprodukt Dimanganheptoxid


(Mn₂O₇), das oberhalb von 55 Grad Celsius sowie bei
Kontakt mit organischen Verbindungen zu stark explosiven
Reaktionen neigt. Alternativ dazu setzt die Brodie-Metho­
de bei der Herstellung von Graphen auf Salpetersäure und
Chlorationen (ClO₃–), die ebenfalls stark oxidierend wirken.
Das Verfahren ist allerdings recht aufwändig. Zudem
bilden sich Stickoxide und Chlordioxid, so dass auch bei
diesem Syntheseweg gefährliche Nebenreaktionen auftre­
Neben einem Klebestreifen ten können.
eignet sich die Elektrolyse Hier möchten wir eine dritte und völlig sichere Variante
zur Herstellung von Graphen. vorstellen. Mit Hilfe einer Salzlösung, einer Spannungs­
Ausgangsmaterial ist eine quelle sowie einem Blitzgerät können Sie Graphen im
MARCO OETKEN UND ANDREAS SCHEDY, PH FREIBURG

Graphitanode. Im Lauf der Handumdrehen auf verblüffend einfache Weise selbst


Elektrolyse zerfällt diese herstellen. Zuerst scheiden wir an einer Graphitelektrode
(rechts) zu feinen Partikeln elektrochemisch Graphenoxid ab, das wir dann fotoche­
aus Graphenoxid (oben). misch zu Graphen reduzieren.
Durch eine fotochemische Die Synthese gelingt wie folgt: Wir schalten eine Gra­
Reduktion erzeugt man phitfolie als Anode (Pluspol) und eine Kupferfolie als
daraus schließlich Graphen. Kathode (Minuspol) und elektrolysieren 20 Minuten lang

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 41


ü
MARCO OETKEN UND ANDREAS SCHEDY, PH FREIBURG
Ein starker Kamerablitz reduziert graues Graphenoxid zu
schwarzem Graphen (oben). Während Graphen elektrischen

MARCO OETKEN UND ANDREAS SCHEDY, PH FREIBURG


Strom leitet, ist die oxidierte Form ein Isolator (rechts).

bei einer Spannung von 15 Volt. Die beiden Elektroden


sind dabei in einen wässrigen Elektrolyten aus Kaliumchlo­
rat (KClO₃) getaucht. In mehreren Schritten entsteht nun
Graphenoxid. Während der Elektrolyse fließen Elektronen
von der Graphitanode zur Kupferkathode. Um den Elektro­
nenmangel am Pluspol auszugleichen, lagern sich Chlorat-
anionen in die Graphitmatrix ein. Chemiker sprechen Ob die fotochemische Reduktion erfolgreich war, kön­
hierbei von Interkalation. Die negativ geladenen Teilchen nen wir anhand einer Leitfähigkeitsmessung überprüfen.
sind von einer Hydrathülle aus Wassermolekülen umge­ Denn während Graphen elektrischen Strom leitet, ist es
ben, die sich ebenfalls in das Anodenmaterial zwängen. in oxidierter Form ein guter Isolator. Ein Kohlenstoff­atom
Die Ionen samt ihrer Wasserhülle sind um ein Vielfaches hat vier freie Valenzelektronen, die eine Molekülbindung
größer als die Elektronen, die sie ersetzen, so dass sich eingehen können. Im Graphen hat es jedoch nur drei
das Graphitgitter bei der Einlagerung mechanisch weitet. Bindungspartner, so dass es mit einem seiner Nachbarn
Gleichzeitig sorgt die angelegte Spannung für eine teil­ eine Doppelbindung eingeht. Innerhalb jeder Graphen­
weise Oxidation des Kohlenstoffs im Graphit. So bilden wabe gibt es zwei davon. Die beteiligten Elektronen haben
sich etwa sauerstoffhaltige Hydroxy- (–OH) oder Carboxyl­ keinen festen Platz – man bezeichnet sie als delokalisiert –
gruppen (–COOH). und agieren daher als freie Ladungsträger. Die Hydroxy-
Im nächsten Schritt zerfällt die Hydrathülle der Chlorat­ und Carboxylgruppen im Graphenoxid heben diese Eigen­
anionen, und an der Graphitelektrode entstehen gasförmi­ schaft auf, da Sauerstoffatome eine starke Anziehungs­
ger Sauerstoff (O₂) und Kohlenstoffdioxid (CO₂). Auf Grund kraft auf Elektronen ausüben und sie in ihrer Bewegung
der Gasentwicklung nimmt der Druck im Graphit stark zu. einschränken.
Die Anode dehnt sich weiter aus und bricht schließlich Zur Kontrolle der elektrischen Leitfähigkeit schließen
auseinander: in dünne Schichten aus Graphenoxid. wir einen kleinen Motor mit Propeller an eine Spannungs­
Die so erhaltenen Partikel zerkleinern wir in einem quelle an und überbrücken den Stromkreis zunächst über
Mixer zu einer gleichmäßigen Graphenoxid-Suspension. den äußeren, grauen Rand des Filters: Nichts passiert. Erst
Anschließend fangen wir das Graphenoxid auf einem wenn wir den Stromkreis über den schwarzen Bereich
Papierfilter auf, spülen diesen mit deionisiertem (destillier­ schließen, dreht sich der Propeller. Hier liegt also tatsäch­
tem) Wasser, um das Elektrolytsalz restlos zu entfernen, lich Graphen vor.
und trocknen ihn zusammen mit dem Graphenoxid darauf. Eine ausführlichere Versuchsbeschreibung, Bezugsquel­
Den finalen Schritt, die Reduktion zu Graphen, erledigt ein len sowie Anleitungen für weitere Experimente rund um
externes Blitzgerät, das wir auf das Filterpapier aufsetzen. Graphen sind in der Online-Ergänzung zu diesem Artikel zu
Dort wo das Blitzlicht auf das Graphenoxid trifft, wechselt finden.
die Farbe von Grau hin zu einem tiefen Schwarz.
Der genaue Mechanismus der Graphenoxid-Reduktion
ist recht kompliziert. Vereinfacht lassen sich die beteiligten QUELLEN
fotochemischen Reaktionen wie folgt zusammenfassen Münchgesang, W. et al.: Supercapacitors specialities. Technology
(»h « steht für Lichtenergie): review. American Institute of Physics Conference Proceedings 1597,
2014
h
GO-CO G + CO2 Parvez, K. et al.: Exfoliation of graphene via wet chemical routes.
Graphenoxid Graphen + Kohlenstoffdioxid Synthetic Metals 210, 2015

h Steurer, P.: Funktionalisierte Graphene aus Graphitoxid für Katalyse,


G-(OH)₂ GO + H2O Beschichtungen und thermoplastische Nanocomposits. Dissertation,
Graphenoxid Graphenoxid + Wasser Universität Freiburg, 2010, S. 23 –25

42 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
EIN DIAMANT JOSEPH ASSCHER & CIE: THE CULLINAN DIAMOND, A SERIES OF 15 PHOTOGRAPHS SHOWING
VARIOUS STAGES OF THE CUTTING. AMSTERDAM, 1909 / PUBLIC DOMAIN

IST UNVERGÄNGLICH?
Mit einem spektakulären Experiment versetzte der Begründer der modernen
Chemie seine Zuschauer einst in Erstaunen.
 spektrum.de/artikel/1417461


Mit ihrem Funkeln haben Diamanten die Menschen gebiet zwischen Pakistan und Indien. Nach dessen Erobe-
schon immer fasziniert. Einer der größten und ältesten rung durch die Engländer im Jahr 1849 erhielt Königin
ist der Koh-i-Noor, dessen Historie angeblich mehr als Victoria (1819–1901) den Stein als Geschenk der Britischen
5000 Jahre zurückreicht. Vermutlich stammt er aus Kollur, Ostindien-Kompanie. Sie ließ ihn nochmals schleifen,
einem alten Abbaugebiet von Diamanten im Südosten In- um sein Funkeln zu verbessern. Aus einem Diamanten von
diens. Der Überlieferung zufolge stritten schon Hindu-Götter ursprünglich 600 Karat, der zu diesem Zeitpunkt noch
um den Stein. Brahmanen setzten ihn – so die Legende – 186 Karat wog, wurde so ein 110-Karäter. Außerdem verlor
schließlich in die Stirn einer Statue von Shiva ein. der Stein sein charakteristisches fahlgrünes Leuchten.
Nachweislich befand sich der Koh-i-Noor im 14. Jahr- Königin Victoria kannte den Fluch des Koh-i-Noor. Des-
­hun­dert im Besitz des Rajas von Malwa, einer Region im halb ließ sie ihn in eine Krone einsetzen, die laut Testament
westlichen Mittelindien. Später zierte er den damals ­welt­- weiblichen Regentinnen vorbehalten bleiben sollte. Als
bekannten Pfauenthron in Delhi. Der Sage nach ist der Stein Königin Mary (1867–1953) im Jahr 1911 den britischen Thron
jedoch mit einem Fluch belegt. Demnach wird sein Eigen­ bestieg, trug sie die Krone mit dem sagenumwobenen Stein
tümer zwar »die Welt besitzen, aber das größte ­Unglück er- aus Indien.
fahren«. Nur eine Frau soll den Diamanten ungestraft tragen Ebenfalls im englischen Königshaus landete der größte je
dürfen. gefundene Diamant, der in Rohform 3106 Karat wog. Er
Tatsächlich kamen viele seiner Besitzer auf mehr oder wurde 1905 in der südafrikanischen Burenrepublik Transvaal
minder abscheuliche Art ums Leben – so auch der persische entdeckt und nach dem damaligen Direktor des Bergwerks,
Schah Nadir (1688–1749), der nach der Eroberung Delhis Sir Thomas Cullinan, benannt. Die Minengesellschaft ver-
im Jahr 1739 dem damals regierenden Großmogul den kaufte den Stein an die Regierung der britischen Kolonie
Diamanten mit einem Trick abluchste. Letzterer hatte sich Transvaal, die ihn König Edward VII. (1841–1910) zum Ge-
vorsorglich ein, wie er meinte, vorzügliches Versteck dafür burtstag schenkte.
ausgedacht: seinen Turban. Und so suchte der Eroberer Die Überführung nach England war hollywoodreif. Auf
zunächst vergeblich danach. Doch dann verriet ihm eine dem Schiff, das den Diamanten angeblich in einem Tresor
abtrünnige Haremsdame das Geheimnis. Der listige Nadir beförderte, hatten sich zahlreiche Diebe und Räuberbanden
schlug seinem Widersacher daraufhin als Zeichen der eingemietet, so dass es wiederholt zu Überfällen und Angrif-
Versöhnung einen Turbantausch vor. Dieser Geste konnte fen auf die 50 Mann starke Sicherheitsmannschaft kam.
sich der Großmogul nicht verweigern. Als der Schah später Einer der Bewacher sowie etliche Kriminelle kamen dabei
in der Nacht in seinem Schlafgemach den Turban entfaltete ums Leben. 36 Gangster wurden nach dem letzten Angriff
und den Diamanten erblickte, rief er aus: »Koh-i-Noor!« – festgenommen und in Ketten nach England gebracht.
übersetzt: »ein Berg von Licht!«. Von da an trug der Diamant Dennoch gelang es einem bis heute unbekannten Trick-
diesen Namen. dieb, den Stein zu entwenden. Ein Besatzungsmitglied
Lange konnte sich der Schah aber nicht an ihm erfreuen, wollte eine Frau gesehen haben, die sich in den Raum mit
denn wenige Jahre später kam er bei einem Aufstand in dem Tresor hineinschlich und wieder verschwand. Während
Teheran ums Leben. In der Folge gelangte der Koh-i-Noor der hektischen Suche nach ihr blieb der Diamant unbeauf-
in die Schatzkammer des Punjab-Reichs im heutigen Grenz­ sichtigt. Dies nutzte der Dieb, um den Tresor aufzubrechen

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik 2.20 43


ü
JOSEPH ASSCHER & CIE: THE CULLINAN DIAMOND, A SERIES OF 15 PHOTOGRAPHS SHOWING VARIOUS STAGES OF THE CUTTING. AMSTERDAM, 1909 / PUBLIC DOMAIN
Der größte je gefundene Diamant wog in
Rohform 3106 Karat. Bei seiner Spaltung
entstanden diese neun Hauptbruchstücke.

und den Inhalt an sich zu nehmen. Viel Freude dürfte er an Höchstwahrscheinlich waren Diamanten noch bis zum
dem Stein jedoch nicht gehabt haben, denn es handelte sich 4. Jahrhundert v. Chr. im Mittelmeerraum unbekannt. Des-
um eine Nachbildung. halb gab es zum Beispiel in der griechischen Sprache kein
Der echte Cullinan kam in einem gewöhnlichen Post­ eigenes Wort dafür. Umso mehr überrascht, dass der Dia-
päckchen sicher in England an. König Edward ließ ihn von mant, als er zum Handelsgut wurde, nicht den Namen
dem damals berühmten Diamantschleifer Joseph Asscher in seines Herkunftslandes bekam, wie das sonst bei impor-
Amsterdam bearbeiten. Dieser studierte den Stein monate- tierten Waren üblich war. Stattdessen bezeichnete man ihn
lang. Am 10. Februar 1908 wagte er dann den ersten Spalt- mit einem längst vorhandenen griechischen Wort, nämlich
versuch. Es war ein Fehlschlag: Die Klinge brach ab, doch Adamas, was wörtlich übersetzt »unbezwingbar« bedeutet.
der Stein blieb unversehrt. Der zweite Versuch gelang. Daraus leitet sich die heutige Bezeichnung ab.
Allerdings fiel Asscher beim Spaltgeräusch vor Aufregung in
Ohnmacht. Aus weiteren Spaltvorgängen resultierten »Überhaupt ist seine Härte unbeschreiblich«
schließlich neun große (Bild oben) und 96 kleinere Stücke. Unter demselben Begriff Adamas berichtete Plinius der
Das größte Fragment wog nach dem Feinschliff noch Ältere (23/24–79) in seiner »Naturalis Historia«, einem
530 Karat und ziert unter dem Namen Cullinan I das eng- enzyklopädischen Werk zur Naturkunde, über das Mineral:
lische Königs­zepter. Das zweitgrößte Stück, der Cullinan II, »Überhaupt ist seine Härte unbeschreiblich«, schreibt er,
befindet sich in der englischen Staatskrone. »und gleichzeitig ist es von Natur aus feuer­beständig und

44 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik 2.20


ü
kann niemals in Glut gesetzt werden, woher es auch den Normal­bedingungen trifft das sicherlich zu. Aber schon vor
Namen erhalten hat. Die Übersetzung des griechischen 240 Jahren demonstrierte der große französische Chemiker
Wortes ist ›unbezwingbare Kraft‹.« Antoine Laurent de Lavoisier (1743–1794) in einer spektaku-
Bei der Feuerbeständigkeit von Diamant irrte Plinius. Was lären öffentlichen Vorführung, dass der Edelstein bei hohen
die Härte betrifft, sollte er dagegen Recht behalten. Dank Temperaturen verbrennt, indem er mit Sauerstoff zu Kohlen-
dieser Eigenschaft wird der Edelstein heute vielfach zur stoffdioxid reagiert. Zu jener Zeit standen erstmals große
Herstellung von Bohr-, Schneid- und Schleifwerkzeugen Brenngläser zur Verfügung, mit denen Chemiker vorher
sowie als Zugabe in Polierpasten genutzt. Früher diente nicht mögliche Schmelz- und Oxidationsversuche durchfüh-
seine Härte als Unterscheidungsmerkmal gegenüber ande- ren konnten.
ren Edelsteinen oder vermeintlichen Diamanten. Auf einem der großen Pariser Plätze baute Lavoisier eine
Diese Idee ging auf den deutschen Chemiker und Physi- abenteuerlich anmutende Apparatur auf. Zwei große hinter-
ker Friedrich Mohs (1773–1839) zurück, der ab 1802 im einander angeordnete Brennspiegel bündelten die Sonnen-
Auftrag des exzentrischen Wiener Bankiers Jakob Friedrich strahlen und fokussierten sie auf einen Diamanten, der sich
van der Nüll (1750–1823) dessen umfangreiche Edelstein- in einem mit Luft (später war es dann reiner Sauerstoff)
sammlung ordnete. Zur Kategorisierung wählte der Forscher gefüllten Glaskolben befand. Auf diese Weise erzeugte der
physikalische Eigenschaften wie Härte, spezifisches Ge- Chemiker Temperaturen von mehr als 3000 Grad Celsius.
wicht und Spaltbarkeit. Bei seinen Untersuchungen stellte Staunend sahen die vielen tausend Zuschauer, wie der
er fest, dass man mit härteren Edelsteinen Kratzer in wei- Diamant sich entzündete und buchstäblich in Luft auflöste.
chere machen kann. Nur Diamanten ließen sich nicht von Diesen Versuch können Sie mit einfachen Mitteln selbst
anderen Stoffen ritzen. Als Professor für Mineralogie an der durchführen. Dazu benötigen Sie nur einen Bunsenbrenner
Universität Graz sortierte Mohs später die unterschiedlichs- (beispielsweise erhältlich unter www.contorion.de), ein etwa
ten Mineralien nach ihrer Härte auf einer Skala von eins bis 30 Zentimeter langes Rohr aus Quarzglas mit einem Innen-
zehn, wobei er dem Diamanten als härtestem natürlichem durchmesser von rund neun Millimetern (unter anderem bei
Mineral den Wert zehn zuordnete. gastroteileshop.de zu beziehen), zwei 100-Milliliter-Kunst-
Vielleicht kennen Sie noch den Werbespruch der Fir- stoffspritzen sowie medizinischen Sauerstoff aus der Apo-
ma de Beers: »Ein Diamant ist unvergänglich!« Unter theke und natürlich Diamantbruch. Letzteren können Sie

Versuchsaufbau: So verbrennt man Diamanten

MATTHIAS DUCCI
Man erhitzt Diamantstücke in einem Quarzrohr mit einem
Bunsenbrenner bis zur Rotglut und leitet dann mittels zweier
Kunststoffspritzen reinen Sauerstoff darüber hin und her.
100 ml

100 ml

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT,


NACH: MATTHIAS DUCCI

Diamantbruch eignet sich als


Material für den Nachweis, dass
der Edelstein brennbar und nur
Daraufhin entzündet sich der Edelstein und brennt mit hellem Leuchten. eine Modifikation von gewöhn-
Dabei wird er immer kleiner, bis er schließlich ganz verschwunden ist. lichem Kohlenstoff ist.
MATTHIAS DUCCI

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik 2.20 45


ü
etwa bei der Firma Klüver & Schulz (www.kluever und-
schulz.de) erwerben.
Der Aufbau der Versuchsapparatur ist in der Zeichnung
auf S. 45 gezeigt. Fixieren Sie die Kunststoffspritzen mit
Klemmen an Stativen und verbinden Sie sie mittels pas-
sender Gummischlauchstücke mit dem Quarzrohr. Vorher
müssen Sie eine von ihnen mit Sauerstoff füllen.
Erhitzen Sie das Quarzrohr an der Stelle, an der sich der
Diamant befindet, zunächst rund zwei Minuten lang mit
rauschender, nichtleuchtender Flamme. Sobald der Stein rot
zu glühen beginnt, leiten Sie den Sauerstoff durch vorsich-
tiges Drücken der Spritzenstempel langsam hin und her.
Plötzlich entzündet sich der Diamant und brennt mit einem
hellen Leuchten (Fotoserie auf S. 45). Nun können Sie den
Bunsenbrenner ausmachen. Allmählich wird der Edelstein
immer kleiner und verschwindet schließlich ganz.
Doch was ist aus ihm geworden? Wenn man Elemente
verbrennt, verbinden sie sich mit Sauerstoff – wie Lavoisier
bewies, der damit die überkommene alchemistische Vorstel-
lung vom Entweichen eines Feuerstoffs, dem Phlogiston,
­widerlegte und zum Vater der modernen Chemie wurde. Die
Reaktionsprodukte heißen Oxide. So verbrennt etwa Schwe-
fel zu Schwefeldioxid oder Magnesium zu Magnesiumoxid.
Die Bezeichnung Diamantoxid findet sich allerdings in
keinem Chemiebuch. Man muss also wissen, woraus Dia-
mant besteht, um sagen zu können, was bei seiner Verbren-
nung entsteht.
Es war wiederum Lavoisier, der bei seinen Versuchen

BEIDE FOTOS: MATTHIAS DUCCI


eine entscheidende Beobachtung machte, die ihm den Weg
zur Antwort wies. Am 14. August 1773 versuchte er bei
bewölktem Himmel mit seinen Brenngläsern Diamanten zu
verbrennen, was ihm jedoch nicht gelang. Stattdessen
bemerkte er, dass fünf der Steine »nach diesem Versuche
matt, schwarz und samtartig geworden sind«. Sie fühlten
sich wie »ein kohliger Stoff oder Ruß« an. Das brachte Diamant (oben) und Graphit (unten) haben völlig unter-
Lavoisier auf den Gedanken, dass es sich bei Diamant schiedliche Strukturen. Die Kugeln für die Kohlen­
ebenso wie bei Graphit um elementaren Kohlenstoff han- stoffatome in den Modellen sind abwechselnd schwarz
deln könnte. und hellbraun gefärbt, damit sich die Gitterstrukturen
Um diese Vermutung zu überprüfen, verbrannte er wiede- besser erkennen lassen.
rum einige Diamanten, diesmal allerdings bei strahlendem
Sonnenschein. Dazu notierte er: »Ich habe die Glocke,
welche die Diamanten bedeckte, schnell, jedoch mit der schlämmen und den Brei anschließend durch zwei ineinan-
notwendigen Behutsamkeit umgekehrt, dass die Luft in dergepackte Kaffeefilter laufen lassen. Bei dem farblosen
derselben nicht ganz erneuert ward, und habe einige Unzen Filtrat handelt es sich um eine Lösung von Kalziumhydroxid.
Kalkwasser in dieselbe hineingegossen.« Damit wollte Letzteres entsteht bei der Reaktion des im Blitzzement
Lavoisier das bei der Verbrennung von Kohlenstoff gebildete enthaltenen Kalziumoxids mit Wasser nach der Gleichung:
Kohlenstoffdioxid nachweisen. Leitet man das Gas nämlich
in eine klare, farblose Lösung von Kalziumhydroxid, so trübt CaO (s) + H2O (l) Ca(OH)2 (aq)
diese sich, weil fester, schwer löslicher Kalk entsteht. Die Kalziumoxid + Wasser Kalkwasser
entsprechende Reaktionsgleichung lautet (wobei »aq« für
»wässrige Lösung«, »g« für »gasförmig«, »s« für »fest« und Für den Versuch drücken Sie das Gasgemisch in dem
»l« für »flüssig« steht): Quarzrohr, nachdem der Diamant verbrannt ist, in eine der
beiden Spritzen. Diese entfernen Sie von der Apparatur,
Ca(OH)2 (aq) + CO2 (g) CaCO3 (s) + H2O (l) tauchen sie mit der Spitze in rund 20 Milliliter Kalkwasser
Kalkwasser + Kohlenstoffdioxid Kalk + Wasser und drücken den Inhalt langsam in die Flüssigkeit. Die
Kalziumhydroxidlösung trübt sich daraufhin. Das ist der
Das können Sie ebenfalls leicht nachmachen. Zur Herstel- Beweis, dass sich bei der Verbrennung von Diamant Kohlen­
lung des Kalkwassers müssen Sie ein bis zwei Esslöffel Blitz­ stoffdioxid bildet und der Edelstein, wie Lavoisier richtig
zement aus dem Baumarkt in 100 Milliliter Wasser auf- vermutet hatte, aus Kohlenstoffatomen besteht.

46 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik 2.20


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Der französische Chemiker war übrigens nicht der Erste, und ein glitzernder Diamant kommt zum Vorschein. Das
der Diamanten verbrannte. Dass die Edelsteine »verschwin- Kunststück veranschaulicht eine der Bedingungen für die
den«, wenn man Sonnenlicht mit starken Brenngläsern Umwandlung von Graphit in Diamant: ein extremer Druck
darauf fokussiert, hatten schon 1694 die italienischen Natur- von acht bis zehn Megapascal. Außerdem sind hohe Tem­
forscher Giuseppe Averani (1662–1738) und Cipriano Tar­ peraturen von 2000 bis 3000 Grad Celsius erforderlich.
gioni (1672–1748) gezeigt. Kaiser Franz I. (1708 –1765) ver- Die künstliche Herstellung von Diamanten gelang erstmals
nichtete in Wien auf diese Weise Diamanten im Wert von 1955 in den USA und Schweden. Die genannten Bedin-
einigen tausend Gulden. Freilich ging es ihm nicht um wis- gungen wurden damals in Metallschmelzen realisiert.
senschaftliche Erkenntnis. Sein Motiv verrät eine Schrift von Heutzutage produziert man synthetische Diamanten
1751, wo es heißt: »Der Kaiser Franz hatte von einem Unbe- hauptsächlich durch Abscheidung von Kohlenstoff aus der
kannten das vorgegebene Geheimnis des Diamantgusses Gasphase – ein als CVD (chemical vapor deposition) be-
erhalten und wollte also wahrscheinlich durch Zusammen- kanntes Verfahren (»Spektrum« September 1992, S. 30).
schmelzung kleiner Diamanten größere erlangen.« Durch Zersetzung von Methan oder Acetylen erzeugte
gasförmige Kohlenstoffatome regnen dabei gleichsam auf

Unter Normalbedingungen ist eine Unterlage herab und bauen Schicht für Schicht den
Edelstein auf.
Diamant instabiler als Graphit und Diamant ist unter Umgebungsbedingungen übrigens
energiereicher und damit weniger stabil als Graphit. Unter
sollte sich in diesen umwandeln thermodynamischen Gesichtspunkten sollte er sich deshalb
in diesen umwandeln. Der Vorgang ist jedoch kinetisch
Dass Diamant und Graphit Erscheinungsformen ein und gehemmt, wie Chemiker sagen: Er findet nicht statt, weil
desselben Elements sind, mutet höchst erstaunlich an – ha- dazu erst einmal die sehr starken Einfachbindungen zwi-
ben sie doch völlig unterschiedliche Eigenschaften: farblos, schen den Kohlenstoffatomen aufgebrochen werden müss-
extrem hart und elektrisch isolierend der eine; schwarz glän- ten. Das würde die Zufuhr großer Energiemengen erfordern,
zend, relativ weich und Strom leitend der andere. Dennoch die nur bei sehr hoher Temperatur zur Verfügung stehen.
sind beide aus denselben Atomen aufgebaut. Der Unter- Über eine makabre Umwandlung von Graphit in Diamant
schied in den physikalischen und chemischen Eigenschaften berichtete der »Spiegel« im Sommer 2002 (www.spiegel.de/
beruht auf der verschiedenen Anordnung dieser Bausteine wissenschaft/mensch/leichen-diamanten-firma-presst-tote-
sowie den abweichenden Bindungsverhältnissen (Bild links). zu-trauer-klunkern-a-211215.html). Als Weltpremiere bot
Im Diamant hat jedes Kohlenstoffatom vier nächste Nach- damals die Firma LifeGem Memorials aus Elk Grove Village
barn, die sich in den Ecken eines gedachten Tetraeders be- (US-Bundesstaat Illinois) an, die Asche von verstorbenen
finden. Mit ihnen ist es jeweils über eine kovalente Einfach- Angehörigen oder Haustieren zu einem Edelstein zu verar-
bindung verknüpft. Graphit weist dagegen ein Schichtgitter beiten. Den gleichen Service offerieren inzwischen Unter-
auf. Darin liegen die Kohlenstoffatome bienenwabenartig nehmen in Deutschland und der Schweiz. Allerdings ist
in Sechsringen in der Ebene und sind durch alternierende wegen des Bestattungszwangs in der Bundesrepublik, der
Einfach- und Doppelbindungen aneinandergekoppelt. Inzwi- auch für Kremationsasche gilt, der Umweg über das be-
schen kennt man weitere Modifikationen des Kohlenstoffs – nachbarte Ausland erforderlich, in dem die Gesetzeslage die
so etwa die Fullerene, in denen die Kohlenstoffatome fuß- Veredlung der sterblichen Überreste zu einem Schmuck-
ballartige Käfige aus Fünf- und Sechsecken bilden. stück zulässt.
Die Aufklärung der Diamantstruktur gelang 1913 dem Zum Schluss möchten wir dem Dichter und Kaufmann
britischen Physiker William Henry Bragg (1862–1942) und Emil Rittershaus (1834 –1897) das Wort geben, den die
seinem Sohn William Lawrence (1890–1971). In den 1920er Erkenntnis, dass ein Diamant »nur« aus Kohlenstoffatomen
Jahren konnten der Niederländer Peter Debye (1884–1966) besteht, zu dem folgenden Aphorismus inspirierte:
und der Schweizer Paul Scherrer (1890–1969) dann schließ-
lich den atomaren Aufbau von Graphit ermitteln. Alle vier »Wie viele Weise gibt’s zu dieser Frist,
benutzten die Methode der Röntgenstrukturanalyse, die auf Und doch, wie ist der Weisen Schar so klein! –
die Pionierarbeiten des deutschen Physikers Max von Laue Weil jeder Diamant nur Kohle ist,
(1879–1960) zurückgeht.
QUELLEN
Superman zeigt, wie künstlicher Diamant ­ Ducci, M. et al.: Chemistry and Cinema – Eine Unterrichtseinheit
hergestellt werden kann zum Themenfeld Diamant und Graphit inszeniert und illustriert mit
Wenn Diamant und Graphit beide aus Kohlenstoff­atomen Szenen aus Spielfilmen. Praxis der Naturwissenschaften – Chemie in
der Schule 58, 2009
bestehen, erhebt sich natürlich sofort die Frage, ob man
beide ineinander umwandeln und insbesondere aus Graphit Jansen, W. et al.: Diamant und Graphit. Naturwissenschaften im
den viel wertvolleren Diamanten herstellen kann. Wer den Unterricht – Physik/Chemie 21, 1987
Film »Superman III – der stählerne Blitz« gesehen hat, kennt Littich, F.: Historische Diamanten und ihre Geschichte. Rühle-­
die Antwort zumindest im Prinzip. In einer Szene landet der Diebener, 1982
Held in einer Steinkohlemine, nimmt ein Stück Kohle und Margot-und-Friedrich-Becke-Stiftung (Hg.): Diamant – Zauber und
presst sie fest zusammen. Anschließend öffnet er die Hand, Geschichte eines Wunders der Natur. Springer, 2004

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik 2.20 47


ü
EXPERIMENTE MIT
KOHLENSTOFFDIOXID
Wichtigen Eigenschaften des »Klimakillers« CO2 kann man mit
­erstaunlich einfachen Experimenten auf die Spur kommen.

 spektrum.de/artikel/1640018


Bei dem Begriff »Kohlenstoffdioxid« denken die meis­ Außerdem wies Black Kohlenstoffdioxid im Rauch einer
ten vermutlich sofort an den menschengemachten brennenden Kerze, über Gärbottichen und in ausgeatmeter
Treibhauseffekt und dessen Folgen, wie den Anstieg Luft nach. Der englische Chemiker Henry Cavendish
des Meeresspiegels und Extremwetterlagen. Untrennbar (1731–1810), ein spleeniger Aristokrat, dem die Chemie des
verbunden ist mit dem Wort außerdem das Thema fossile 18. Jahrhunderts wohl ihre größten Erfolge verdankte,
Brennstoffe. Nützliche, ja unentbehrliche Funktionen stellte weitere Untersuchungen mit diesem Gas an, wel­
dieses Gases, beispielsweise seine Rolle bei der Fotosyn­ ches er fixierte Luft (»fixed air«) nannte. Im deutschspra­
these, werden dabei häufig vergessen. Zudem besitzt das chigen Raum wurde damals auch häufig die Bezeichnung
Molekül eine Reihe interessanter Eigenschaften und ist »fixe Luft« gewählt. Mäuse, Spinnen und Fliegen verende­
eine dankbare Quelle für einfache, spannende Versuche. ten in dieser nach wenigen Minuten. Eine Kerzenflamme
Als Entdecker des Kohlenstoffdioxids gilt der schotti­ brannte umso kürzer, je höher der Anteil an fixer Luft in
sche Chemiker und Physiker Joseph Black (1728–1799). Er einem geschlossenen Glasgefäß war. Betrug er mehr als
erhitzte Kalk (Kalziumcarbonat) sowie Magnesia (Mag­ elf Prozent, erlosch sie sofort. Die wichtigste Entdeckung
nesiumcarbonat) und stellte fest, dass die beiden Stoffe war, dass die fixe Luft eine erheblich höhere Dichte als
dabei ein Gas abgeben und gleichzeitig einen Massenver­ normale Luft besitzt. Diese Erkenntnis nutzte Cavendish
lust erleiden. Chemiker formulieren diese Prozesse wie als Möglichkeit, die damals bekannten Gase durch Be­
folgt (dabei steht das Symbol »s« für »fest«, »g« steht für stimmung ihres jeweiligen spezifischen Gewichts von­
»gasförmig«): einander zu unterscheiden. Bevor sich jedoch die genaue
Zusammensetzung von Kohlenstoffdioxid klären ließ,
CaCO3 (s) —› CaO (s) + CO2 (g)
galt es noch, das Rätsel der legendären »Feuerluft« zu
sowie lösen: Joseph Priestley (1733–1804) und Antoine Laurent
de Lavoisier (1743–1794) hatten ein Gas gefunden, in dem
MgCO3 (s) —› MgO (s) + CO2 (g) eine Kerze länger und heller brannte als an der normalen
Kalziumcarbonat/Magnesiumcarbonat —› Kalziumoxid/Magnesiumoxid + Luft und welches das Leben von Vögeln in abgeschlosse­
Kohlenstoffdioxid
nen Behältern verlängerte. Dieses geheimnisvolle Gas war
Black erkannte, dass sich dasselbe Gas bildet, wenn man der Sauerstoff. Lavoisier fand heraus, dass Kohlenstoff mit
Magnesia oder Kalk mit Säuren übergießt. Das ist übri­ Sauerstoff fixe Luft bildet, womit er deren Zusammenset­
gens der Grund dafür, weshalb man niemals Essig­reiniger zung entschlüsselte. Durch quantitative Versuche konnte
auf Marmor verwenden sollte, denn dieser ist ein Gemisch er bereits das Atomzahlenverhältnis im Kohlenstoffdioxid
aus Kalziumcarbonaten und Kalzium-Magnesium­carbonat bestimmen und dessen chemische Formel mit CO2 korrekt
und wird durch die Essigsäure angegriffen. Die chemische angeben.
Reaktion, die hierbei abläuft, lautet (hier steht »aq« für »in
Wasser gelöst«, »l« für »flüssig«): Warum Kohlenstoffdioxid ein Treibhausgas ist
Das Kohlenstoffdioxid-Molekül ist linear aufgebaut und
CaCO3 (s) + 2 H3O+ (aq) —› Ca2+ (aq) + CO2 (g) + 3 H2O (l)
besitzt zwei Doppelbindungen zwischen dem Kohlenstoff­
beziehungsweise atom und den beiden Sauerstoffatomen:
O=C=O
MgCO3 (s) + 2 H3O+ (aq) —› Mg2+ (aq) + CO2 (g) + 3 H2O (l)
Kalziumcarbonat/Magnesiumcarbonat + Oxoniumionen —› Kalziumion/ Der Stoff ist farblos, das heißt, er absorbiert nicht im
Magnesiumion + Kohlenstoffdioxid + Wasser sichtbaren Bereich des Lichtspektrums. Dagegen nimmt

48 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
er Licht im Infrarotbereich auf, genauer in den Bereichen Die Sauerstoffatome schwingen gleichmäßig entlang
zwischen 4 und 15 Mikrometern, was für den Wärme­ der Bindungsachse hin und her. Weil das CO2-Molekül
haushalt der Erde von großer Bedeutung ist. Durch diese dabei seine Symmetrie beibehält, sprechen Chemiker
Absorption verhindern die CO2-Moleküle in der Atmo­ von einer symmetrischen Valenzschwingung. Sie wird
sphäre nämlich, dass Wärme ungehindert von der Erde nicht durch Infrarotstrahlung (IR) angeregt.
in den Weltraum abgestrahlt wird – sie speichern diese
Energie. Die Erhöhung des Kohlenstoffdioxid-Anteils in
der Luft durch die Industrialisierung ist daher eine Ursache O C O
für den Klimawandel, der sich aktuell vollzieht. Während
er im vorindustriellen Zeitalter bei etwa 0,028 Prozent und
noch Ende der 1950er Jahre unter 0,032 Prozent lag, hat er
im April 2018 erstmals im monatlichen Mittel den Wert
von 0,041 Prozent überschritten. Das klingt nach wenig, Bei der asymmetrischen Valenzschwingung schwingen
bedeutet aber einen Anstieg von mehr als 46 Prozent alle Atome entlang der Bindungsachse so, dass die
verglichen mit dem Wert vor der Industrialisierung. Die ­Molekülsymmetrie verloren geht. Diese Bewegung wird
»wenigen« CO2-Teilchen in der Atmosphäre haben einen durch Infrarotstrahlung bei etwa 4 Mikrometern aktiviert.
riesigen Einfluss auf das Klima auf unserem Planeten.
Doch wie genau absorbiert das Gas die Infrarotstrah­

MATTHIAS DUCCI
lung? Im Prinzip können wir uns das CO2-Molekül mo­ O C O
dellhaft als drei Kugeln vorstellen, die über Federn mitein­
ander verbunden sind. Die Atome können hin- und her­
schwingen, wobei man zwei Typen von Schwingungen
unterscheidet, wie die Abbildung rechts zeigt: symmetri­
sche, bei denen sich die Atome so gegeneinander bewe­ Bewegen sich die Atome senkrecht zur Bindungsachse,
gen, dass das Molekül seine Symmetrie zu jedem Zeit­ spricht man von Deformationsschwingung. Infrarotstrah­
punkt behält, und asymmetrische, bei denen es diese lung bei 15 Mikrometern regt diese an.
kurzzeitig verliert. Letztere werden durch die Absorption
von Infrarotstrahlung ausgelöst.
Solche asymmetrischen Schwingungen können nur
Stoffe ausführen, welche aus zwei verschiedenen Atom­
sorten oder aus mehr als zwei Atomen bestehen. Daher
O C O
sind die zweiatomigen Moleküle Stickstoff (N2) und Sauer­
stoff (O2) als Hauptbestandteile unserer Atmosphäre keine
Treibhausgase.
Die Kohlenstoffdioxid-Teilchen speichern die aufgenom­
mene Energie in Form von Schwingungen und geben sie
(unter geringen Verlusten) als Wärme wieder ab. Das In der Natur kommt Kohlenstoffdioxid in freiem Zustand
geschieht durch Kollisionen mit anderen Luftmolekülen, in nicht nur in der Atmosphäre, sondern auch gelöst in
erster Linie also mit Sauerstoff und Stickstoff, die quasi als Meerwasser vor. In einigen Gegenden, vor allem in der
Wärmeüberträger fungieren. Je mehr Wärme speichern­ Nähe von Vulkanen, strömt es aus Rissen und Spalten des
des CO2 sich in der Atmosphäre befindet, desto mehr heizt Erdbodens aus. Eine derartige Freisetzung von CO2 führte
sich diese folglich auf. am 21. August 1986 zu einer Tragödie: Im Umfeld des
Nyos-Sees, eines 200 Meter tiefen Kratersees in der Vul­
kanregion im Westen Kameruns, starben innerhalb weni­
Einfacher Kohlenstoffdioxid-Nachweis: In farbloses, ger Stunden fast 1800 Menschen und Tausende anderer
klares Kalkwasser (links) wird ausgeatmete Luft Lebewesen. Was war passiert? Einige Überlebende wollen
­geleitet (Mitte). Dabei entsteht der weiße Feststoff Kalk ein Blubbern aus Richtung des Sees gehört haben, andere
und trübt nach rund 30 Sekunden die Lösung (rechts). berichteten von einer Wolke aus Schaum, die aus dem
Gewässer emporstieg. Als Geophysiker Tiefenwasser­
MATTHIAS DUCCI

proben nahmen und diese dem atmosphärischen Druck


aussetzten, sprudelte Gas daraus hervor – Kohlenstoff­
dioxid. Damit wussten sie, wie sich die Katastrophe abge­
spielt hatte: Aus dem Erdmantel strömt das farb- und
geruchlose Gas in das Tiefenwasser des Sees. Dort herr­
schen tiefe Temperaturen und ein hoher Druck, und unter
diesen Bedingungen löst sich darin ungleich mehr CO2 als
in wärmerem Wasser unter Atmosphärendruck. Nun hat
der Nyos-See die Besonderheit, dass er thermisch ge­
schichtet ist, das heißt, warmes Wasser an der Oberfläche

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 49


ü
Prozessen, als Treibgas bei der Schaumstoffherstellung
und als Kühlmittel im Labor. Großtechnisch wird es unter
anderem zur Produktion von Harnstoff, Methanol und
Soda verwendet. Im Alltag begegnet uns der Stoff als
Treibgas in Sprays sowie als Löschmittel in Feuerlöschern.
Bei der Herstellung von Erfrischungsgetränken wird das
FOTO UND GRAFIK: MATTHIAS DUCCI

farblose Gas unter hohem Druck in die Flüssigkeit ge­


presst. Diese über 200 Jahre alte Erfindung verdanken wir
dem oben erwähnten Joseph Priestley, der die Löslichkeit
verschiedener Gase in Wasser untersuchte. In Mineral­
wasser liegen 99 Prozent der Kohlenstoffdioxid-Moleküle
gelöst als CO2 (aq) vor. Das bedeutet, dass nur ein Prozent
von ihnen mit Wasser reagiert und das folgende Gleich­
gewicht ausbildet:
von unten
pusten!
CO2 (aq) + 2 H2O —› HCO3– (aq) + H3O+ (aq)
Kohlenstoffdioxid + Wasser —› Hydrogencarbonation + Oxoniumion

Im festen Zustand wird Kohlenstoffdioxid als Trockeneis


bezeichnet, da es beim Erwärmen unter Normaldruck
nicht schmilzt, sondern bei mehr als –78,48 Grad Celsius
Um schwebende Seifenblasen zu erhalten, pustet man diese direkt gasförmig wird (sublimiert). In dieser Form dient
von unten über eine Schüssel, in der zuvor Kohlenstoff- es medizinischen Zwecken, unter anderem der Warzenent­
dioxid erzeugt wurde. Ruhende Seifenblasen schweben dann fernung, oder zur Kühlung in chemischen Labors. In New
auf einem unsichtbaren Polster aus Kohlenstoffdioxid. York und einigen anderen US-amerikanischen Städten
wird Trockeneis seit 2018 zur Bekämpfung von Ratten
eingesetzt.
vermischt sich nicht mit dem kalten in den Tiefen des Sees.
Darum reichert sich dort immer mehr CO2 an. Möglicher­ Faszinierende Experimente zur Ergründung einiger
weise kam es dann zu einem Erdrutsch oder einem kleinen Eigenschaften
Erdbeben, wodurch sich die Wasserschichten vermischten Kohlenstoffdioxid kann man mit einfachen Mitteln nach­
und kohlenstoffdioxidreiches Wasser plötzlich in Richtung weisen. Die folgende Methode geht auf die Untersuchun­
Oberfläche gelangte. Der damit verbundene Druckabfall gen seines Entdeckers Joseph Black zurück. Wie oben
setzte schlagartig eine gigantische Menge CO2 frei. Den­ beschrieben erhitzte er Kalziumcarbonat und erhielt dar­
selben Effekt beobachten wir im Alltag beim Öffnen von aus CO2 und Kalziumoxid. Das Kalziumoxid löste er darauf­
Mineralwasserflaschen. Das Gas breitete sich im Umland hin in Wasser. Als er in diese Lösung (von Chemikern als
des Sees aus und erstickte alle Lebewesen. Denn weil Kalkwasser bezeichnet) Kohlenstoffdioxid einleitete, beob­
Kohlenstoffdioxid schwerer als Luft ist, verflüchtigt es sich achtete er, dass sich ein weißer Niederschlag bildete.
nicht, sondern bildet über dem Boden eine Schicht. Noch Diesen identifizierte er als die Ausgangssubstanz seiner
in 23 Kilometer Entfernung drohte am darauf folgenden Versuchsreihe, nämlich als Kalziumcarbonat. Während der
Tag der Erstickungstod. Um die Gefahr weiterer solcher beiden Reaktionen laufen folgende Prozesse ab:
Unfälle zu bannen, wird das Gas inzwischen vom Seegrund
durch ein Rohrsystem nach oben abgeleitet. CaO (s) + H2O (l) —› Ca2+ (aq) + 2 OH– (aq)
Lösen von Kalziumoxid in Wasser: Kalziumoxid + Wasser —› Kalziumion +
Hydroxidionen
Für Hunde und andere bodennah lebende Tiere lebens-
gefährlich Ca2+ (aq) + 2 OH– (aq) + CO2 (aq)—› CaCO3 (s) + H2O (l)
Kohlenstoffdioxid aus geologischen Aktivitäten kann sich Einleiten von CO2 in Kalkwasser: Kalziumion + Hydroxidionen + Kohlen­
ebenso in Grotten und Höhlen anreichern. Ein bekanntes stoffdioxid —› Kalziumcarbonat + Wasser
Beispiel ist die Grotta del Cane (deutsch: Hundsgrotte) in
der Nähe von Neapel. Ein Besuch in der Höhle ist nur für Kalkwasser kann man mit handelsüblichem Blitzzement,
Hunde und andere sich bodennah fortbewegende Tiere der Kalziumoxid enthält, aus dem Baumarkt herstellen.
lebensgefährlich. Sie werden in der Grotte schnell be­ Hierzu verrührt man zwei Esslöffel davon in einem Kunst­
wusstlos und sterben nach wenigen Minuten, wenn man stoffbecher mit etwa 250 Milliliter Wasser. Nachdem sich
sie nicht wieder rechtzeitig an die frische Luft befördert. die Aufschlämmung abgesetzt hat, filtriert man das Ge­
Hingegen können Menschen die Grotte vergleichsweise misch durch zwei ineinandergesteckte Kaffeefilterpapiere
gefahrlos betreten, sofern sie eine bestimmte Körpergröße ab. Das Filtrat sollte klar sein. Jeweils 10 bis 20 Milliliter
besitzen, die über die CO2-Schicht reicht. der Lösung können nun als Testflüssigkeit dienen. So kann
Technisch wird Kohlenstoffdioxid sehr vielfältig verwen­ beispielsweise mittels einer Ballonpumpe Luft hineingelei­
det. In der Industrie dient es als Schutzgas bei chemischen tet werden. Der CO2-Anteil der Luft ist jedoch zu gering,

50 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
ser. Dieses trübt sich sogleich, da die Brausetabletten
beim Auflösen CO2 freisetzen.
Die erstickende Wirkung des Klimagases, die den
Menschen am Nyos-See zum Verhängnis wurde, zeigt das
folgende Experiment: In einem 250-Milliliter-Glas löst man
drei Brausetabletten in zirka 20 Milliliter Wasser auf. Das
Glas deckt man dabei lose mit einem Stück Pappe ab. In
einem zweiten Glas wird ein Teelicht entzündet. Nachdem
die Tabletten vollständig gelöst sind, nimmt man die
Pappe vorsichtig ab und gießt den gasförmigen Inhalt in
FOTOS UND GRAFIKEN: MATTHIAS DUCCI

das Glas mit der Kerze. Hierbei soll nicht die Flüssigkeit
umgegossen werden! Die Kerzenflamme erlischt wie von
Geisterhand. Dieses Experiment verdeutlicht nicht nur die
erstickende Wirkung von Kohlenstoffdioxid, sondern
offenbart gleichzeitig dessen hohe Dichte.
Letztere zeigt sich ebenfalls in einem weiteren beein­
druckenden Versuch. Hierzu füllt man eine Kunststoff­
schüssel (zum Beispiel eine Salatschüssel mit zirka 24 Zen­
timeter Durchmesser und 10 Zentimeter Höhe) etwa einen
Zentimeter hoch mit Wasser. Anschließend werden zehn
Brausetabletten hineingelegt, und die Schüssel wird mit
dem Deckel oder einer Pappe lose abgedeckt (wegen der
Druckentwicklung nicht fest verschließen!). Nachdem sich
die Tabletten vollständig aufgelöst haben, nimmt man den
Beim Versuch »Das Gas ist futsch!« sammelt sich das von der Deckel vorsichtig ab. Nun pustet man Seifenblasen von
Brausetablette freigesetzte Kohlenstoffdioxid im Messzylinder unten so über die Schüssel, dass sie in diese hinabsinken
(Grafik). Nach dem Auflösen der ersten Brausetablette werden (Abbildung S. 50 – nicht direkt in die Schüssel pusten).
70 Milliliter Kohlenstoffdioxid aufgefangen (Foto oben links). Verblüffend: Die Seifenblasen fallen nicht in die Lösung
Vermeintlich entsteht beim Auflösen der zweiten Tablette und zerplatzen, sondern schweben einige Zentimeter über
deutlich mehr CO2 (oben rechts). Tatsächlich hat sich jedoch ein der Oberfläche. Denn das Kohlenstoffdioxid bildet in der
Großteil der ersten Portion in Wasser gelöst, bis dieses mit dem Schüssel ein unsichtbares Polster für die mit Luft gefüll­
Gas gesättigt war. Da das Wasser nun kein Kohlenstoffdioxid ten, leichteren Seifenblasen.
mehr aufnehmen kann, wird das von der zweiten Tablette Für den letzten Versuch mit dem Titel »Das Gas ist
freigesetzte CO2 vollständig als Gas aufgefangen. futsch!« benötigt man eine große Glasschale, einen
250-Milliliter-Messzylinder und zwei Brausetabletten. Die
Glasschale wird zur Hälfte mit Wasser gefüllt, der Mess­
um in der Lösung einen Niederschlag zu bilden. Anders zylinder vollständig. Dann stellt man ihn mit der Öffnung
verhält es sich, wenn man ausgeatmete Luft mittels eines nach unten in die Schale, wobei man ihn mit der Hand
Strohhalms durch das Kalkwasser perlen lässt. Innerhalb verschließt, damit möglichst wenig Wasser ausläuft. Nun
von etwa 30 Sekunden entsteht der Feststoff Kalzium­ wird eine Brausetablette rasch unter den Messzylinder
carbonat und trübt die Lösung (siehe Foto auf S. 49 un­ gebracht. Das entstehende Kohlenstoffdioxid sammelt
ten): Die Luft, die wir ausatmen, enthält rund vier Prozent sich im Messzylinder. Nachdem sich die Tablette komplett
Kohlenstoffdioxid. aufgelöst hat, zeigt die Skala an, dass rund 70 Milliliter
Eine gute CO2-Quelle für die weiteren Versuche sind CO2 entstanden sind (Skizze links).
handelsübliche Brausetabletten. Sie enthalten unter ande­ Anschließend legt man eine zweite Brausetablette unter
rem Zitronensäure und Natriumhydrogencarbonat. Beim den Messzylinder und liest das Gasvolumen erneut ab.
Lösen einer Tablette in Wasser entsteht durch die folgende Welchen Wert würde man erwarten – das Doppelte des
Reaktion Kohlenstoffdioxid: ersten? Weit gefehlt! Nach dem Auflösen der zweiten
Tablette befinden sich mehr als 250 Milliliter Gas im Mess­
HCO3– (aq) + H3O+ (aq) —› CO2 (g) + 2 H2O (l) zylinder (rechtes Foto oben).
Hydrogencarbonation + Oxoniumion (aus der Zitronensäure) —› Kohlen­ Woran liegt das? In Wasser kann sich vergleichs-
stoffdioxid + Wasser weise viel Kohlenstoffdioxid lösen. Bei Raumtemperatur
und unter Normaldruck nimmt ein Liter Wasser bis zu
Dieses lässt sich wieder mit einer Portion Kalkwasser 1700 Milligramm davon auf, hingegen nur 9 Milligramm
nachweisen. Hierzu zerkleinert man zwei bis drei Tablet­ Sauerstoff und 20 Milligramm Stickstoff. Beim Zersetzen
ten, gibt sie in eine leere 0,5-Liter-Flasche und fügt etwas der ersten Tablette löst sich daher ein Großteil des ent­
Wasser hinzu. Die Flasche wird mit einem durchbohrten stehenden Gases im Wasser. Danach ist dieses nahezu
Stopfen verschlossen, in dem ein Schlauch steckt. Mit daran gesättigt, so dass das von der zweiten Tablette frei-
dessen Hilfe leitet man das entstehende Gas in Kalkwas­ gesetzte CO2 fast vollständig als Gas aufgefangen wird. 

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 51


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WIE LITHIUMAKKUS
FUNKTIONIEREN
Sie sind die gängigen Stromquellen für moderne tragbare
Elektronikgeräte. Einfache Versionen können sogar
Laien selbst herstellen.

 spektrum.de/artikel/1411563


Voraussetzung für den Siegeszug tragbarer elektro­ Lithiumbatterien kamen zunächst hauptsächlich als
nischer Geräte seit den 1980er Jahren war die Ent­ Knopfzellen auf den Markt (Bild unten). Darin dient metal­
wicklung leistungsfähiger Batterien. Die damals lisches Lithium als Anode (Minuspol). Die Kathode (der
üblichen Nickel-Kadmium- und Nickelmetallhydrid-Akku­ Pluspol) besteht aus Mangandioxid (MnO2 ) oder einem
mulatoren waren für Handys oder Laptops zu schwer und anderen Material, das Metallionen einlagern kann – ein als
sperrig und boten nicht ­genügend Speicherkapazität für Interkalation bezeichneter Vorgang.
einen längeren Betrieb. Den Durchbruch brach­ten schließ­ Beim Entladen löst sich die Lithiumanode auf. Die
lich Systeme auf Basis von metallischem Lithium. Sie Lithiumatome geben dabei jeweils ein Elektron an den
erreichten die beachtliche Spannung von etwa drei Volt Stromkreis ab und verwandeln sich in positiv geladene
pro Zelle. Das erforderte allerdings den Einsatz einer Ionen, die in die Elektrolytlösung übertreten und zur Ka­
organischen Flüssigkeit als Elektrolyt. Das in Nickel-­ thode wandern. Dort zwängen sie sich in das MnO2 -Gitter.
Kadmium- oder Blei-Akkumulatoren verwendete Wasser Zum Ladungsausgleich nehmen die Manganionen aus
hätte mit dem Lithium reagiert und sich bei der zum Laden dem Stromkreis eine analoge Menge an Elektronen auf
nötigen hohen Spannung zersetzt (durch die Elektrolyse zu und gehen dadurch vom vier- in den dreiwertigen Zustand
Sauerstoff und Wasserstoff). über. Die entsprechenden Gleichungen lauten:

In einer Lithiumbatterie – links der Aufbau einer gebräuchlichen Knopfzelle – dient metallisches Lithium als Anode (Minuspol).
Die bei der Abgabe von Elektronen ent­stehenden Lithiumionen wandern zur Kathode (dem Pluspol) und werden dort in das
Schichtgitter eines Metalloxids wie Braunstein (Mangandioxid, MnO2 ) eingebaut.

Minuspol

Lithium
(Anode)

Separator

Kunststoff-
dichtring

Pluspol Mangandioxid
MARCO  OETKEN

(Kathode)
Stützring

52 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


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MARCO  OETKEN

Atomare Vorgänge beim Laden (links) und Entladen (rechts) des Lithiumperchlorat-­Akkumulators.
MARCO  OETKEN

In einem handelsüblichen Lithiumionenakku wandern beim Laden (links) und Entladen (rechts) Lithiumionen
zwischen der Anode aus Graphit und der Kathode aus einem Metalloxid hin und her.

carbonat), in der Lithiumperchlorat (LiClO4 ) gelöst ist.


+
entladen
+ – Dieses fungiert als »Leitsalz«, indem es zu Li - und
Minuspol: Li laden
Li + e –
ClO4 -Ionen dissoziiert, die den Ladungstransport über­
+ entladen
+
nehmen. Ein solcher Akkumulator eignet sich hervorra­
Pluspol: Mn+IVO2 + Li + e– laden
Mn+ III O2 (Li ) gend für Versuche im Chemieunterricht in der Schule.
Für Privatpersonen ist es allerdings schwierig, sich das
Vereinfacht ausgedrückt, ist das metallische Lithium benötigte Lithiumperchlorat sowie das organische
also die reaktive Sub­stanz, die zu der ungewöhnlich hohen ­Lösungsmittel zu beschaffen – eine Chemielehrkraft in der
Spannung von drei Volt führt, während man das Mangan­ Bekanntschaft mag da hilfreich sein.
dioxid als Speicher für Lithiumionen auffassen kann. Beim Laden werden Elektronen in die Kupferelektrode
Wer eine solche Batterie daheim nachbauen möchte, »gepumpt«. Sie gehen auf Lithiumionen in der umgeben­
stößt auf eine Reihe von Schwierigkeiten. So ist Li­thium den Lösung über und neutralisieren sie, so dass diese sich
nicht nur sehr unbeständig – es reagiert schon mit Luft­ in metallischer Form auf dem Kupfer abscheiden. Der
feuchtigkeit –, sondern auch stark ätzend. Deshalb stellen Graphit in der Bleistiftmine verliert dagegen Elektronen, so
wir hier ein elektrochemisches System vor, das sich leichter dass er sich positiv auflädt. Zum Ladungsausgleich lagert
und gefahrloser realisieren lässt. Anders als die üblichen er negative Perchlorationen in sein Schichtgitter ein (Bilder
Lithiumbatterien ist es außerdem wiederaufladbar. Es oben, obere Reihe). An den beiden Elektroden laufen also
handelt sich also um einen Akkumulator. Das hat den die folgenden Reaktionen ab:
Vorteil, dass das benötigte Lithium beim Aufladen direkt
laden
erzeugt und an der Anode abgeschieden wird. Minuspol: x Li + + x e– x Li
entladen
Als Elektroden dienen eine Bleistiftmine und ein Stück
Kupferdraht. Der Elektrolyt besteht aus einer organischen laden
x+
Flüssigkeit (einer Mischung aus Dimethyl- und Propylen­ Pluspol: Cn + x ClO4– entladen
Cn (ClO4– )x + x e–

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 53


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Schaltet man nach dem Laden ein Voltmeter in den Da die Lithiumionen bei den Lade- und Entladezyklen
Stromkreis, zeigt sich, dass es dieses Akkumulatorsystem ständig zwischen Anode und Kathode hin- und herwan­
in sich hat: Die Ruheklemmenspannung beträgt etwa fünf dern, spricht man oft auch von Schaukelstuhl-Akkumula­
Volt. Der hohe Wert ergibt sich aus dem negativen Lithi­ toren.
umpotenzial von etwa – 3,0 Volt und dem extrem positiven Der Eigenbau eines »Modell-Lithium­-Ionen-Akkumula­
Potenzial von etwa + 2,0 Volt der mit Perchlorationen tors« nach diesem Muster ist jedoch problematisch, weil
beladenen Graphitelektrode, beide gegen die Normalwas­ die verwendeten Kathodenmaterialien nur schwierig
serstoffelektrode gemessen! zu b
­ esorgen oder selbst herzustellen und überdies zum
Auch wenn Lithiummetall als Anodenmaterial in jün­ Teil giftig sind. Einen Ausweg bietet das Konzept des so
gerer Zeit wieder auf Interesse stößt, konnten sich Akku­ genannten Dual-Carbon-­Akkumulators. Er verwendet
mulatoren wie der gerade beschriebene in der Praxis Graphit für beide Elektroden, indem er die Anode des
allerdings nicht durchsetzen, weil sie ein Sicherheitspro­ oben beschriebenen Lithiumperchloratsystems mit der
blem aufwerfen. Beim Laden scheidet sich das Lithium Kathode moderner Lithiumakkus kombiniert. Die Vorgänge
nämlich nicht glatt auf der Elektrode ab, sondern in Form beim Laden und Entladen gehorchen also folgenden
astartiger Auswüchse, so genannter Dendriten. Dabei Gleichungen:
besteht die Gefahr, dass ein solcher Ast quer durch den laden

gesamten Elektrolyten bis zur Kathode wächst und die Minuspol: Cn + x Li++ x e– entladen
Li+x Cnx–
Zelle kurzschließt. Dieses Durchbrennen zerstört nicht nur laden
den Akku, sondern kann den normalerweise leicht ent­ Pluspol: Cn + x ClO4– entladen
Cnx+(ClO4–)x + x e–
flammbaren organischen Elektrolyten sogar explodieren
laden
lassen – mit potenziell verheerenden Folgen. Gesamt: 2Cn + x LiClO4 entladen
Li+xCnx– + Cnx+(ClO4–)x
Erst nach dem völligen Verzicht auf metallisches Lithium
als Anodenmaterial eroberten Lithium-Ionen-Akkumulato­ Wegen der gegenläufigen Wanderbewegungen der
ren deshalb gegen Ende des 20. Jahrhunderts den Markt. beteiligten Ionen, die jeweils synchron in die beiden
Bei der modernen, heute verbreiteten Version besteht Elektroden ein- und ausgelagert werden, kann man das
die Anode aus Graphit, in den während des Ladevorgangs System anschaulich als Ziehharmonika-Akkumulator
Lithiumionen eingelagert werden, die beim Entladen wie- bezeichnen. Die genaue Versuchsbeschreibung sowie
der in Lösung gehen (S. 53, untere Bilder). Die Kathode ist weitere Ergänzungen und Hinweise zu diesem Experi-
im Prinzip dieselbe wie bei der ursprüng­lichen Lithiumbat­ ment sind in der Online-Ergänzung zu diesem Artikel zu
terie, wobei allerdings meist ein Kobaltoxid statt des Man- finden.
gandioxids verwendet wird. Die Vor­gänge an den Elek­ Bei Ladespannungen von fünf Volt wird der maximale
troden lassen sich also durch die fol­genden Reaktionsglei­ Interkalationsgrad für die Lithiumionen erreicht. Unter­
chungen beschreiben: suchungen ergaben, dass dabei auf sechs Kohlenstoffato­
me ein Lithiumion entfällt. Demnach hat sich die Verbin­
laden
dung LiC6 gebildet. Das lässt sich sogar optisch erkennen:
Minuspol: Cn + x Li++ x e– entladen
Li+xCnx–
Der Graphit erscheint statt schwarz plötzlich goldgelb
laden (Bild links unten). Parallel dazu ändert er seine chemischen
Pluspol: Li+Mn+IIIO2 Li+1–x Mn+IVO2 + x e– + x Li+
entladen Eigenschaften, die nun denen von metallischem Lithium
laden ähneln. Die Ruheklemmenspannung des Dual-Carbon-­
Gesamt: Li+Mn+IIIO2 + Cn entladen
Li+1–x Mn+IVO2 + Li+xCnx– Akkumulators ist mit mehr als 4,8 Volt ungewöhnlich hoch.
MARCO  OETKEN

nm

Bei maximaler Beladung mit Lithiumionen im Dual-Carbon-Akku färbt sich die Bleistiftmine goldgelb (links).
Die Struktur der entstehenden Verbindung (LiC6 ) ist rechts gezeigt.

54 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
Mit bemalten Eiern und zwei
Eierkartons lässt sich die
Funktionsweise eines Dual-Car-
bon-Akkumulators auf einfache
Weise veranschaulichen.
MARCO  OETKEN

Um sich die Funktionsweise dieses Stromspeichers zu preiswerte, umweltfreundliche Alternative und könnten
veranschaulichen, kann man übrigens auf ein verblüffend eine Schlüsseltechnologie für die Energiewende darstellen.
einfaches Modell zurückgreifen. Denken Sie sich zwei Doch sie werfen eine Reihe von Problemen auf, die erst
Eierkartons, der eine mit rot und der andere mit grün noch zu lösen sind. Sobald es entscheidende Fortschritte
gefärbten Eiern. Diese entsprechen den Lithium- bezie­ gibt, werden wir Sie im Rahmen dieser Rubrik gerne
hungsweise Perchlorationen. Die Kartons stehen für die darüber informieren. 
Graphitelektroden. Sind sie gefüllt, ist der Akkumulator
geladen. Im entladenen Zustand liegen die Eier dagegen
zwischen den Kartons (Bilder oben). QUELLEN

Alliata, D. et al.: Anion intercalation into highly oriented pyrolytic


Mit Natrium zum Akku der Zukunft? graphite studied by electrochemical atomic force microscopy.
Der Lithium-Ionen-Akkumulator ist auf Grund seiner Electrochemistry Communications 1, 1999
herausragenden elektrochemischen Kenndaten derzeit der
Crowther, O., West, A. C.: Effect of electrolyte composition
leistungsfähigste Typ einer wiederaufladbaren Batterie. on Lithium dendrite growth. Journal of the Electrochemical
Er findet sich deshalb heute in fast allen elektronischen Socie­ty 155, 2008
Geräten und Elektrofahrzeugen. Angesichts des aktuellen
Hasselmann, M., Oetken, M.: Elektrische Energie aus dem
Umstiegs auf erneuer­bare Energiequellen käme er eben­ Kohlenstoffsandwich – Lithium-Ionen-Akkumulatoren auf Basis
falls für mittlere und große stationäre Stromspeicher in redoxamphoterer Graphitintercalationselektroden. CHEMKON
Frage, die erforderlich sind, weil die wetterabhängigen 18, 2011
Wind- und Solarkraftanlagen nur sehr ungleichmäßig Hasselmann, M., Oetken, M.: Ein Akku macht »blau«! Praxis
arbeiten. der Naturwissenschaften – Chemie in der Schule 62, 2013
Die Frage ist allerdings, ob die weltweiten Lithiumvor­
Hasselmann, M., Oetken, M.: Elektro­chemie – Perspektiven
kommen dafür ausreichen. Das Element hat nur einen nachhaltiger Energieversorgung – die ersten Experimente zum
Anteil von etwa 0,006 Prozent an der Erdkruste, ist also Themenfeld Lithium-Ionen-Akkumulatoren für die Schule – Teil 4.
ziemlich selten. Schon seit einiger Zeit versuchen es Chemie & Schule 2, 2014
Forscher daher durch das viel häufigere Natrium zu erset­ Yoshino, A.: Die Geburt der Lithium­ionen-Batterie. Angewandte
zen. Akkumulatorsysteme auf dessen Basis wären eine Chemie 124, 2012

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 55


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MIT LEGIERUNGSAKKUS
IN DIE ZUKUNFT
Wiederaufladbare Batterien, die auf Lithium-Metall-Legierungen
­basieren, könnten bis zu zehnmal leistungsfähiger sein als
herkömmliche Lithiumakkus.

 spektrum.de/artikel/1626468


Die Energie für mobile elektronische Geräte oder rungen. Speicher auf dieser Basis könnten bis zu zehnmal
Elektrofahrzeuge liefert in der Regel ein Lithium-Io- mehr Leistung bringen als herkömmliche Akkumulatoren.
nen-Akkumulator. Kein Wunder, denn dieser Akku ist Hierbei geht es darum, ein neues Material für die Anode,
der momentan leistungsfähigste wiederaufladbare Batte­ den Minuspol der Akkuzelle, zu entwickeln. In den ersten Li-
rietyp weltweit. Er kann große Mengen an Energie spei- thium-Ionen-Akkus verwendete man dafür Lithium oder ein
chern und liefert über viele Lade- und Entladezyklen hin- Metall, an dem sich dieses beim Aufladen abscheidet
weg zuverlässig Strom. Das Element Lithium bietet ideale (sekundäre Lithium-Metall-Akkumulatoren). In jüngerer Zeit
Voraussetzungen für den Einsatz in elektrochemischen stößt Lithiummetall als Anodenmaterial bei der Entwicklung
Batteriesystemen, weil es das leichteste aller Metalle ist neuer Batteriesysteme zwar wieder auf Interesse, es konnte
und mit ihm große Spannungen erzeugt werden können. sich jedoch bisher nicht durchsetzen, unter anderem auf
Ein interessanter neuer Ansatz, um die Lithiumakkutech- Grund von Sicherheitsrisiken. Lithium scheidet sich nämlich
nologie noch zu verbessern, nutzt Lithium-Metall-Legie- nicht gleichmäßig, sondern in astartigen Fortsätzen am

Im Dual-Carbon-Akkumulator bestehen
beide Elektroden aus Graphit. Beim
Laden werden Lithiumionen (Li+) in die
Anode (links) und Perchlorationen
MARCO OETKEN

(ClO4–) in die Kathode (rechts) einge­


lagert.

56 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


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Beim Entladen des Dual-Carbon-Akku-
mulators gehen Lithium- und Perchlorat­
ionen wieder in Lösung.

MARCO OETKEN
Metall ab. Bilden sich solche »Dendritenäste« von der die Kathode eingebaut. An den Elektroden finden formal
Anode bis zur Kathode (Pluspol) aus, schließen sie die folgende Reaktionen statt:
Zelle kurz und machen sie unbrauchbar. Da die Akkus eine
oft leicht entflammbare Elektrolytlösung enthalten, explo- Minuspol:
diert in der Folge meist der ganze Akku (mehr zur Funkti- Cn + x Li+ + x e– —› Li+xCnx–
onsweise dieser Lithium-Metall-Akkus im Artikel ab S. 52).
Es bedurfte daher eines Tricks, um den Lithium-Ionen- Pluspol:
Akku Ende des 20. Jahrhunderts auf die Zielgerade zu Li+Mn+IIIO2 —› Li+1–xMn+IVO2 + x e– + x Li+
führen: Statt metallischen Lithiums setzte man Graphit als
Anodenma­terial ein. Es kann Lithiumionen zwischen die Gesamt:
einzelnen, lose zusammengehaltenen Graphitschichten Li+Mn+IIIO2 + Cn —› Li+1–xMn+IVO2 + Li+xCnX–
ein- und wieder auslagern (ein Vorgang, den man als
Interkalation beziehungs­weise Deinterkalation bezeichnet). Die kommerziell verwendeten Kathodenmaterialien
Auf dieser Technologie basieren die heute eingesetzten sind jedoch giftig; darüber hinaus könnte Kobalt nach
Lithium-Ionen-Akkus. Schätzungen von Experten bei steigender Nachfrage
Diese bestehen aus einer Graphit­elektrode, die beim nach Akkus in den nächsten Jahrzehnten knapp werden.
Laden als Minuspol geschaltet wird (Anode), und einer als Dieses Problem umgehen so genannte Dual-Carbon-Ak-
Pluspol geschalteten Elektrode (Kathode) aus Mischmetall- kumulatoren, in denen Anode sowie Kathode aus Gra-
oxiden wie beispielsweise Lithiummangandioxid (LiMnO₂) phit bestehen. Das funktioniert, weil Graphit nicht nur
oder Lithiumkobaltdioxid (LiCoO₂). Beide Elektroden befin- Lithiumionen ein- und wieder auslagern kann, sondern
den sich in einer Lösung eines lithiumhaltigen Salzes – auch Anionen, also negativ gela­dene Ionen. Indem
zum Beispiel Lithiumperchlorat (LiClO₄) – in einem organi- Lithiumionen in die Anode und Anionen in die Kathode
schen Lösungsmittel (Elektrolytlösung). Dank der Elektro- eingebaut werden, erreicht man eine Potenzialdifferenz.
lytlösung können Ionen zwischen den Elektroden hin- und In solch einem Akku mit zwei Graphit­elektroden, die in
herwandern. Während des Ladevorgangs wird an der eine Lithiumperchloratlösung eintauchen, laufen folgen-
Kathode durch den Entzug je eines Elektrons Mangan(III) de Lade- und Entladevorgänge ab:
zu Mangan(IV) beziehungsweise Kobalt(III) zu Kobalt(IV)
oxidiert; um die entstehende positive Ladung wieder Minuspol:
auszugleichen, lagert die Kathode gleichzeitig ein Lithium- Cn + x Li+ + x e– —› Li+xCnx–
ion aus ihrem Schichtgitter aus. In die Anode hingegen
werden beim Laden sozusagen Elektronen hineingepumpt. Pluspol:
Zum Ladungsausgleich wandern positiv geladene Lithium- Cn + x ClO4– —› Cnx+(ClO4–)x + x e–
ionen in das Graphitgitter und lagern sich dort zwischen
die Schichten ein. Beim Entladevorgang werden die in die Gesamt:
Anode eingelagerten Lithiumionen wieder aus- und in 2 Cn + x LiClO4 —› Li+xCnx– + Cnx+(ClO4–)x

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 57


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Beim Laden wird die Anode negativ aufgeladen, da- dung kann man mit chemischen Symbolen folgenderma-
durch lagern sich, analog zum herkömmlichen Akku, ßen verdeutlichen:
Lithiumionen zwischen die Graphitschichten ein. An der
Kathode werden nun in Folge des Entzugs von Elektronen M + x Li+ + x e– —› LixM
ebenfalls Ionen – in diesem Fall Perchloratanionen – ein­
gebaut. Beim Entladen laufen diese Prozesse umgekehrt Die gebildeten Legierungen weisen häufig einen deut­
ab, und Lithium- sowie Perchlorationen wandern zurück in lichen ionischen Charakter auf, das heißt, sie bestehen
die Lösung (Bilder S. 56 und S. 57). aus positiv geladenen Lithiumionen und negativ gelade-
Trotz seines charmanten Ansatzes besitzt der Dual-Car- nen Basismetallionen, entsprechend der Formel Li+xMx–.
bon-Akku allerdings eine geringere Energiedichte als die Dadurch können die Lithiumteilchen in der jeweiligen
zurzeit kommerziell eingesetzten Akkus und bringt da- Legierung bisweilen sogar dichter zusammengepackt sein
durch weniger Leistung. Daher hat er bisher noch keine als im elementaren, metallischen Lithium. Das ist ein
nennenswerte Verbreitung gefunden. wichtiger Punkt, denn mit der Packungsdichte der Ionen
Den Schlüssel zu höherer Leistungsfähigkeit sehen steigt auch die Energiedichte des Akkus. Verwendet man
Wissenschaftler derzeit in neuen Anodenmaterialien. Mit Silizium oder Zinn als zu legierendes Metall, so kommen
diesen, so die Hoffnung, könnten auch Elektroautos end- auf ein Basismetallion sogar 4,4 Lithiumionen, so dass
lich höhere Reichweiten erzielen. Viel versprechende Verbindungen der Formeln Si1Li4,4 beziehungsweise
Kandidaten dafür sind Anoden aus Lithium-Metall-Legie- Sn1Li4,4 entstehen. Zum Vergleich: In der Graphitanode
rungen. eines herkömmlichen Akkus beträgt das Verhältnis von
Interessanterweise können sich Lithiumionen nämlich Lithium zu Kohlenstoff maximal eins zu sechs (als Formel:
nicht nur in das Graphitgitter ein- und wieder auslagern: Li1C6). Die Energie, die eine entsprechende Legierungs-
Lithium kann darüber hinaus mit zahlreichen Metallen (M) elektrode speichern kann, ist also deutlich größer, da in
Legierungen der Form LixM bilden, die auch bei Raum­ dasselbe Volumen mehr Lithiumionen passen. Ein ent-
temperatur Lithiumionen aufnehmen und wieder abgeben sprechender Akkumulator könnte auf diese Weise bis zu
können. Als zu legierende Metalle – man spricht von zehnmal leistungsfähiger sein als die derzeit üblichen
Basismetallen – kommen beispielsweise Aluminium, Blei, Systeme.
Silizium oder Zinn in Frage, aber auch Edelmetalle wie Das Elektrodenpotenzial des zu legierenden Metalls
Platin, Silber oder Gold sind denkbar. Die Legierungsbil- wird bei einem Ladevorgang durch das eingebaute Lithi-
um stark in den negativen Bereich verschoben – je nach
Legierung nahe an den Wert des metallischen Lithiums
Beim Laden eines Lithium-Ionen-Legierungsakkus werden (das Potenzial der Graphitanode liegt nach dem Ladevor-
Lithiumionen (Li+) in die Metallanode (links) einlegiert. gang in einem ähnlichen Bereich). Damit wird aus dem
Gleichzeitig lagern sich Perchlorationen (ClO4–) in die eher reaktionsträgen Ausgangsmetall ein sehr reaktives
Graphitelektrode (rechts) ein. Beim Entladen (nicht ge- Anodenmaterial, denn je negativer das Potenzial, desto
zeigt) gehen die Ionen wieder in Lösung. reaktiver ist die Elektrode. So kann das Potenzial einer

MARCO OETKEN

58 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


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MARCO OETKEN

Elektromotor

Mit dem selbst gebauten Lithium­


Ionen-Legierungsakkumulator
Zinnelektrode Graphitmine
kann man einen kleinen Elektro­
(Lötdraht)
motor einige Minuten lang be­
treiben. Man sieht die Legierung,
die sich gebildet hat, als dunklen
Überzug auf dem Lötdraht.

Zinnelektrode von gerade einmal –0,14 Volt – gemessen nachstellen (die exakten Anleitungen sind in der Online-Er-
gegen den üblichen Standard, die Normalwasserstoffelek­ gänzung zu diesem Artikel zu finden):
trode (NHE) – durch das elektrochemische »Einlegieren« Ein einfacher Lötdraht aus Zinn (zum Beispiel aus dem
von Lithiumionen auf fast –2,6 Volt gegen NHE abgesenkt Baumarkt) und eine Graphitmine tauchen rund vier Zen­
werden. Das ist schon recht nahe am Potenzial des metal- timeter tief in eine Elektrolytlösung aus Lithiumperchlorat
lischen Lithiums, das mit –3,05 Volt gegen NHE Spitzen­ (LiClO4) in einer Mischung aus Dimethylcarbonat (DMC)
reiter ist. und Propylencarbonat (PC) ein. Als Kunststoffgefäß dient
Das Basismetall (M) wird während des Ladevorgangs eine handelsübliche Tic-Tac-Dose. Der Lötdraht wird für
als Minuspol geschaltet, die Graphitelektrode dient als den Ladevorgang als Minuspol (Anode) und die Graphitmi-
Pluspol. Durch die Spannungsquelle werden Elektronen ne als Pluspol (Kathode) geschaltet. Für rund fünf Minuten
in das Metall »hineingepumpt«, und dieses lädt sich ent- wird bei einer Spannung von etwa 4,8 Volt geladen. Die
sprechend negativ auf. Zur Wahrung der elektrischen Spannung sollte 5 Volt nicht übersteigen, da sich sonst
Neutra­lität wandern daraufhin aus dem Elektrolyten Lithi- elementares Lithium abscheiden kann. Nach dem Laden
umionen in das Metall und bilden mit ihm eine Legierung. zeigt die Zelle eine Spannung von etwa 4,3 Volt an. Nun
Als Leitsalz dient wie oben beispielsweise Lithiumper­ kann man einen kleinen Motor – zum Beispiel einen Glo-
chlorat. Beim Einlegieren werden in diesem Fall jedoch ckenankermotor – an die Zelle anschließen und für mehre-
nicht die Lithiumionen zu Atomen reduziert, sondern die re Minuten be­treiben (Foto oben).
Basismetallatome zu Metallanionen (Mx–), so dass eine
Legierung mit der Formel Li+xMx– entsteht. Auf der Katho- Die Legierungsbildung direkt beobachten
denseite werden durch die Gleichspannungsquelle Elek­ Die gemessene Spannung entsteht durch die oben be-
tronen abgezogen, die Graphitelektrode lädt sich dadurch schriebenen Vorgänge – die Legierungsbildung an der
positiv auf. Diese positive Ladung gleicht das System Anode sowie die Einlagerung von Anionen in die Kathode.
wieder aus, indem Perchlorationen aus dem Elektrolyten Der erste Vorgang ist während des Experiments direkt zu
in den Graphit wandern und sich dort einlagern (Bild beobachten: Beim Laden bildet sich ein dunkler Überzug
S. 58). auf dem Lötdraht.
Beim Entladevorgang laufen die oben beschriebenen Dieser Selbstbauakku mit leicht erhältlichen Materialien
Vorgänge in entgegengesetzter Richtung ab. Die Redox­ wie Lötdraht, einer Bleistiftmine und Lüsterklemmenfixie-
reaktionen kann man wie folgt formulieren: rung in einer kleinen Dose veranschaulicht auf einfache
Weise eine viel versprechende Strategie in der aktuellen
Minuspol: Batterieforschung. Knackpunkt ist momentan noch, dass
M + x Li+ + x e– —› Li+xMx– sich die bislang untersuchten Anodenmaterialien beim
Laden stark ausdehnen. Das beansprucht das Material
Pluspol: und macht es nach wenigen Ladezyklen unbrauchbar.
Cn + x ClO4– —› Cnx+(ClO4–)x + x e– Wenn man einen Weg findet, um diesen Stress für die
Anodenmaterialien zu reduzieren oder ganz zu unterbin-
Diese neue Entwicklung auf dem Gebiet der elektro­ den, könnte eine neue Generation von Lithium-Ionen-­
chemischen Speichersysteme kann man daheim selbst Akkus entstehen. 

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 59


ü
INTELLIGENTE FENSTER
AUS BERLINER BLAU
Mit einem schon vor mehr als 300 Jahren erstmals hergestellten
Pigment lässt sich Glas elektrisch abdunkeln und wieder aufhellen.
 spektrum.de/artikel/1432740

Elektrochrome Gläser, die sich stufenlos elektrisch abdunkeln


oder aufhellen lassen, finden etwa bei Flugzeugfenstern
­kommerzielle Verwendung. Andere Einsatzgebiete sind Gebäude-
verglasungen und selbstabblendende Autorückspiegel.

GENTEX CORPORATION

60 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü

Energiesparen ist eine wichtige Methode, der weltwei- Minuspol:

ten Klimaerwärmung entgegenzuwirken. Viel Energie FeIII[FeIII(CN)6] + e– [FeIIIFeII(CN)6]
verbraucht zum Beispiel das Heizen oder Kühlen von Berliner Braun Berliner Blau
Gebäuden. Das gilt insbesondere für solche mit modernen,
großflächigen Verglasungen, durch die im Sommer das Zum Ladungsausgleich werden Kaliumionen in das Ber­
Sonnenlicht fällt und im Winter Wärme nach draußen ent- liner-Blau-Gitter eingelagert.
weicht. Hier werden heute schon vielfach »intelligente
Fensterscheiben« eingesetzt, die sich elektrisch abdunkeln Minuspol:
oder aufhellen lassen. Solche »smart windows«, wie sie FeIII[FeIII(CN)6] + e– + K+ K[FeIIIFeII(CN)6]
auf Englisch heißen, können die Durchlässigkeit für Son- Berliner Braun Berliner Blau
nenlicht von 77 auf 8 Prozent und für Wärme von 56 auf
6 Prozent verringern. Dadurch lässt sich der Energiever- Eine solche Ein- oder Auslagerung (Interkalation oder
brauch eines Gebäudes teils um mehr als 30 Prozent senken. Deinterkalation) von Kationen findet bei allen hier aufge-
Grundlage intelligenter Fensterscheiben sind so ge- führten Redoxreaktionen statt. Der Einfachheit halber
nannte elektrochrome Materialien, die beim Anlegen einer lassen wir sie im Folgenden jedoch meist weg.
elektrischen Spannung ihre Farbe ändern. Sie werden auf Das abgeschiedene Berliner Blau kann seinerseits
das Glas aufgetragen. Dieses muss allerdings Strom leiten, elektrochemisch oxidiert oder reduziert werden. Bei der
was für normales Fensterglas, das im Wesentlichen aus Oxidation ergibt sich zunächst Berliner Grün und schließ-
Siliziumdioxid besteht, nicht zutrifft. Deshalb wird es mit lich wieder Berliner Braun:
transparenten, elektrisch leitenden Oxiden wie Indiumzinn-
oxid (ITO, nach englisch: indium tin oxide) oder neuerdings Pluspol:
– –
fluor­dotiertem Zinnoxid (FTO) beschichtet, das kosten- 3 FeIII[FeII(CN)6] [FeIII3{FeIII(CN)6}2{FeII(CN)6}] + 2 e–
günstiger und thermisch stabiler ist. Berliner Blau Berliner Grün
Insgesamt existiert eine große Anzahl elektrochromer
Materialien, organische ebenso wie anorganische. Zu Pluspol:

ersteren zählen etwa Polypyrrol und Polyanilin, zu letzteren [FeIIIFeII(CN)6] [FeIIIFeIII(CN)6] + e–
Wolframtrioxid (WO3), Vanadiumpentoxid (V2O5), Titan­ Berliner Blau Berliner Braun
dioxid (TiO2) und Hexacyanoferrate (Fe(CN)64–/3–), besser
bekannt unter dem Sammelbegriff Berliner Blau. Ebenso
gibt es eine Reihe unterschiedlicher Beschichtungsmetho-
den. Die wichtigsten sind Eintauchen (dipping), Rotieren Gleichspannungsquelle

(spin coating), Aufdampfen und die elektrochemische


Abscheidung durch Oxidation oder Reduktion einer Vor-
läufersubstanz. In diesem Beitrag möchten wir uns auf die
elektrolytische Abscheidung von Berliner Blau aus einer
wässrigen Lösung auf ein FTO-Glas beschränken.

Ein molekulares Chamäleon Krokodilklemmen


Berliner Blau (auch Pariser Blau, Eisencyanblau, Turnbulls Graphitfolie
Blau oder Bronzeblau genannt) ist ein lichtechtes, tiefblau-
es mineralisches Pigment. Anfang des 18. Jahrhunderts
erstmals hergestellt, war es der erste moderne syntheti-
sche Farbstoff. Als Farbton wird es ebenfalls als Preu-
ßischblau, Stahlblau oder Miloriblau bezeichnet. Berliner
Blau kristallisiert in einem kubischen Gitter, in dem auf den Fe2(SO4)3- und
Ecken eines Würfels jeweils im Wechsel die Eisenionen K3[Fe(CN)6]-Lösung
FTO-Glas (jeweils 0,1-molar,
Fe2+ und Fe3+ sitzen. Erstere sind von den Kohlenstoff- und Verhältnis 1 : 1)
letztere von den Stickstoffatomen der Cyanid-Liganden
(CN–) umgeben. Ein leerer Platz in der Mitte des Würfels
erlaubt die Einlagerung von Eisen- und Kalium- oder
MARCO OETKEN

anderen einfach positiv geladenen Ionen.


Schichten von Berliner Blau mit einer Dicke von 20 bis
500 Nanometern lassen sich durch elektrochemische
Reduktion von Berliner Braun gewinnen, einem braunen, Um auf einem leitfähigen FTO-Glas, das mit fluordotiertem
wasserlöslichen Eisentricyanid-Komplex (FeIII(CN)3 oder Zinnoxid (FTO) beschichtet ist, Berliner Blau abzuscheiden,
FeIII[FeIII(CN)6]), der beim Zusammengeben einer Lösung taucht man es in eine wässrige Lösung von Eisen(III)sulfat
von Eisen(III)sulfat und Kaliumhexacyanoferrat(III) (auch und Kaliumhexacyanoferrat(III) und verbindet es mit dem
rotes Blutlaugensalz genannt) entsteht. Dabei läuft an der Minuspol einer Batterie. Als Gegenelektrode dient eine an den
Kathode die folgende Reaktion ab: Pluspol angeschlossene Graphitfolie.

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 61


ü
Durch kathodische Reduktion von Berliner Blau entsteht Mit diesem Versuchs-
Berliner Weiß (Everitts-Salz), das als dünne Schicht trans- aufbau ist es möglich,
parent erscheint: durch Anlegen unter-
schiedlicher Spannun-
Minuspol: gen die vier Oxida­

[FeIIIFeII(CN)6] + e– [FeIIFeII(CN)6]2– tionsstufen und Farb-
Berliner Blau Berliner Weiß zustände des Berliner- Krokodil-
Blau-Systems zu klemmen
Auf Basis von Berliner Blau können Sie selbst zu Hause ­durchlaufen.
ein kleines, vereinfachtes Modell eines elektrochromen
Fensters herstellen. Dazu müssen Sie ein Scheibchen
Graphitfolie-
FTO-Glas in einer galvanischen Zelle mit einer Lösung von streifen
Eisen(III)-sulfat und Kaliumhexacyanoferrat(III) als Elek­
trolyten an den Minuspol einer Gleichstromquelle an­ mit Berliner Blau
beschichtetes
schließen und eine Spannung von etwa 0,3 Volt anlegen, FTO-Glas
wobei eine Graphitfolie mit dem Pluspol verbunden ist wässrige
KNO3-Lösung
(entsprechend Bild auf S. 61). Die genaue Versuchsbe-
schreibung sowie Angaben zu den Bezugsquellen der
erforderlichen Materialien finden Sie in der Online-Ergän-

MARCO OETKEN
zung zu diesem Artikel.
Während der Elektrolyse überzieht sich die elektrisch
leitende Seite des FTO-Glases mit einer Schicht von Berli-
ner Blau, die mit der Zeit immer dicker wird. Nach zehn Was geschieht dabei auf molekularer Ebene genau? Am
Minuten erscheint das Glas intensiv blau und ist fast nicht Minuspol gehen Elektronen auf das Eisenhexacyanoferrat
mehr transparent. Als optimal für ein »smart window« über und reduzieren die darin vorkommenden Fe3+-Ionen
erweist sich eine Elektrolysezeit von 90 Sekunden. Die zu Fe2+-Ionen. Damit die Verbindung elektrisch neutral
Farbschicht ist dann dunkel genug, aber noch durchsich- bleibt, werden zugleich Kaliumionen aus der wässrigen
tig. Die chemische Reaktion während der Elektrolyse Kaliumnitrat-Lösung in die »Röhrenstruktur« des Kristall-
entspricht der oben schon beschriebenen kathodischen gitters eingebaut.
Reduktion von Berliner Braun. Die außerdem im Elektrolyten vorhandenen Nitrationen
wandern zur positiven Graphitfolie und lagern sich daran
Farbe, wechsle dich! an. Die Elektrodenreaktionen lassen sich also wie folgt
Das mit dem Farbstoff beschichtete FTO-Glas bietet nun formulieren (»ads« steht für »adsorbiert«):
die faszinierende Möglichkeit, die Funktionsweise eines
elektrochromen Fensters im Heimversuch nachzuvollzie- Minuspol:
+
hen. So können Sie es zunächst entfärben. Dazu müssen K[FeIIFeIII(CN)6] + K + e– K2[FeIIFeII(CN)6]
Sie das FTO-Glas in eine Kaliumnitrat-Lösung tauchen und Berliner Blau Berliner Weiß
als Minuspol schalten, während wiederum eine Graphit­
folie als Pluspol dient (Bild rechts). Wenn Sie eine Span- Pluspol:
– + –
nung von 1,7 Volt anlegen, verwandelt sich das Berliner Cn + NO3 Cn + NO3  (ads) + e–
Blau in farbloses Berliner Weiß.
Die Entfärbung können Sie anschließend rückgängig
machen, indem Sie den Stromfluss umkehren. Wenn Sie
Je nach Oxidationsgrad des Eisens – er nimmt hier von das FTO-Glas als Pluspol und die Graphitfolie als Minuspol
links nach rechts zu – zeigt ein mit Berliner Blau be­ schalten und eine Spannung von 0,5 Volt anlegen, laufen
schichtetes FTO-Glas in wässriger Kaliumnitrat-Lösung alle geschilderten Vorgänge in entgegengesetzter Rich-
verschiedene Farben. Beim rein weißen K2FeII[FeII(CN)6] tung ab, und nach wenigen Minuten kehrt die Blaufärbung
liegt das Metall in der Oxidationsstufe II vor. Das blaue zurück, weil das Berliner Weiß wieder zum Berliner Blau
KFeII[FeIII(CN)6] und das grüne K[FeIII3{FeIII(CN)6}2{FeII(CN)6}] oxidiert wird.
enthalten jeweils sowohl zwei- als auch dreiwertiges Eisen. Wie wir oben gesehen haben, bietet das Hexacyano-
Im braunen [FeIIIFeIII(CN)6] hat das Metall dagegen komplett ferrat-System mit seinen verschiedenen Oxidationsstufen
die Oxidationsstufe III. aber noch ein weit größeres Farbspektrum, das Sie mit
dem beschichteten FTO-Glas komplett durchlaufen kön-
nen. Dabei erhalten Sie innerhalb weniger Minuten jeweils
klar abgegrenzt die einzelnen Farbstufen. Die ersten bei-
den, nämlich weiß und blau, haben wir bereits realisiert.
Um die nächste Stufe zu erreichen, müssen Sie, wäh-
MARCO OETKEN

rend das FTO-Glas wie zuvor als Pluspol und die Graphit-
folie als Minuspol geschaltet ist, die Spannung auf etwa

62 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
Beim Entfärben von Berliner Blau in wässriger Kaliumnitrat-
Glas
Lösung an einem FTO-Glas als Minuspol laufen die hier dar- –
gestellten molekularen Vorgänge ab. An der Kathode werden ITO/FTO
Elektronen in die elektrochrome Schicht gepumpt. Diese elektrochrome Schicht 1
lagert zum Ladungsausgleich Kaliumionen ein. Zugleich wird
Elektrolyt/Lithiumionen-Leiter
das dreiwertige Eisen zum zweiwertigen reduziert (nicht
gezeigt), wodurch sich das Berliner Blau in Berliner Weiß elektrochrome Schicht 2 oder Ionenspeicherschicht
verwandelt. Nitrationen wandern zum Pluspol und lagern sich ITO/FTO
+

MARCO OETKEN
dort an, so dass die Lösung elektrisch neutral bleibt.
Glas

Bei einem kommerziellen elektrochromen Fenster bestehen


K+
nicht- beide Elektroden aus Glas, das mit einem transparenten
leitendes
leitenden Material wie FTO oder ITO (Indiumzinnoxid) be-
Glas NO3

K+ + NO
– schichtet ist. Als Elektrolyt dient ein Lithiumionen-Leiter. Die
K+ K 3

NO3
– zweite Elektrode hat entweder ebenfalls eine Beschichtung
FTO- Graphit aus elektrochromem Material oder eine aus einem Ionenspei-
K+
Schicht K +

NO
– cher, der Lithiumionen aufnehmen und abgeben kann.
– 3
K+ NO3
K+

NO3 NO3

K+ +

elektro-
K NO3

geln zum Einsatz. Diese Systeme unterscheiden sich von
chrome
K + K+
K+ NO
– unserem vereinfachten Modell darin, dass die Gegenelek­
Farb- NO3
– 3

trode in die Fensterscheibe integriert ist (Bild oben rechts).


MARCO OETKEN

schicht NO

NO3

Sie muss daher gleichfalls farblos und transparent sein.


3

Ent­weder besteht sie auch aus FTO-Glas oder aus einer


leitfähigen Mischverbindung von Cer- und Titandioxid. Um
ein Volt erhöhen. Dadurch wird das Berliner Blau weiter den Farbeffekt zu verstärken, ist die Gegenelektrode zu-

oxidiert – zum Berliner Grün ([FeIII3{FeIII(CN)6}2{FeII(CN)6}] ). dem oft ebenfalls mit einem elektrochromen Material
Der entsprechende Farbumschlag lässt sich nach ein paar beschichtet. Dieses muss dann allerdings entgegengesetzt
Minuten deutlich erkennen. auf eine elektrische Spannung reagieren, damit die Farbän-
Erhöhen Sie die Spannung danach auf ungefähr 1,7 Volt, derungen an beiden Elektroden gleichsinnig erfolgen:
färbt sich das FTO-Glas schließlich gelbbraun. Damit sind Dunkelt das Material an der als Pluspol geschalteten Elek­
Sie bei der höchsten Oxidationsstufe angelangt: Im Berliner trode ab, an der eine Oxidation stattfindet, sollte dasselbe
Braun (FeIII[FeIII(CN)6]) liegen alle Eisenionen in dreifach am reduzierenden Minuspol passieren und umgekehrt.
positiv geladener Form vor. Als Elektrolyt fungiert bei »smart windows« gewöhnlich
Polen Sie nun um und legen nacheinander Spannungen ein Lithiumionen-Leiter. Deshalb müssen beide Elektroden
von 0,7, 1,2 und 1,7 Volt an, durchlaufen Sie das Farben- Lithiumionen einlagern und wieder abgeben können.
spektrum in der umgekehrten Richtung. Dieses Spiel FTO ist dazu in der Lage. Fehlt es an der Gegenelektrode,
können Sie mehrmals wiederholen. muss eine farblose Ionenspeicherschicht diese Aufgabe
Für kommerzielle elektrochrome Fensterscheiben hat übernehmen.
sich allerdings nur der Farbwechsel zwischen Berliner
Weiß und Berliner Blau als geeignet herausgestellt. Die
zusätzlichen Kationen, die bei der Weiteroxidation zu QUELLEN
Berliner Grün oder Braun zum Ladungsausgleich aufge-
Ellis, D. et al.: Electrochromism in the mixed-valence hexacyanides.
nommen werden, beschädigen nämlich das Ionengitter 1. voltammetric and spectral studies of the oxidation and reduction
mit der Zeit. Der Vorgang lässt sich deshalb nicht sehr oft of thin films of Prussian blue. Journal of Physical Chemistry 85, 1981
wiederholen. Eine lange Betriebsdauer ist bei dem kom-
Itaya, K. et al.: Electrochemistry of polynuclear transition metal
merziellen Einsatz als »smart window« jedoch von ent- cyanides: Prussian blue and its analogues. Accounts of Chemical
scheidender Bedeutung. Research 19, 1986
Mit einer einfachen Smartphone-App (zum Beispiel
Kraft, A.: On the discovery and history of Prussian blue. Bulletin for
Physics Toolbox Light Sensor) können Sie direkt ­messen,
the History of Chemistry 33, 2008
wie die Transmission beim Abdunkeln und Aufhellen
des FTO-Glases zurückgeht und wieder zunimmt. Wenn Mortimer, R. J.: Electrochromic materials. Chemical Society Re-
Sie die Scheibe zwischen Lichtquelle und Handy halten, views 26, 1997

erscheint auf dem Display eine Kurve der ab- oder zu­ Rowley, N. M., Mortimer, R. J.: New electrochromic materials.
nehmenden Belichtungsstärke in Lux. Science Progress 85, 2002
Kommerziell kommen »smart windows« inzwischen Somani, P. R., Radhakrishnan, S.: Electrochromic materials and
nicht nur in Gebäudeverglasungen, sondern ebenso in devices: present and future. Materials Chemistry and Physics 77,
Flugzeugfenstern und selbstabblendenden Autorückspie- 2002

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 63


ü
EINE »ATMENDE«
STROMQUELLE
Batterien, die Luftsauerstoff zur Stromerzeugung nutzen,
­versprechen den Umstieg von fossiler auf elektrische
­Energie ­entscheidend voranzubringen. Ein einfaches
­Exemplar kann man mit einer Cola-Dose und Aktivkohle
selbst bauen.
 spektrum.de/artikel/1485135


Es mag seltsam klingen, aber als Elektrodenmaterial Strom zunehmend die fossilen Brennstoffe als Energie-
für Batterien eignet sich sogar ganz gewöhnliche quelle ablösen soll. Elektroautos leiden zum Beispiel noch
Luft. Der in ihr enthaltene Sauerstoff reagiert dabei immer daran, dass ihre Reichweiten wegen des hohen
mit den Wassermolekülen des Elektrolyten zu Hydro- Gewichts herkömmlicher Batterien zu gering sind. Deshalb
xidionen. Da er dazu Elektronen aufnehmen muss, fun- wird neuerdings wieder intensiv an Metall-Luft-Batterien
giert er als Pluspol, bei Batterien Kathode genannt. Die mit Metallen wie Aluminium, Magnesium, Zink, Silizium,
Ano­de besteht dagegen aus einem unedlen Metall (Me), Natrium oder Lithium geforscht. Deren Energiedichte ist
dessen Atome Elektronen abgeben und als positive bis zu zehnmal so hoch wie die eines heute üblichen
Ionen in Lösung gehen. Die Elektrodenreaktionen lauten Lithium-Ionen-Akkus.
also: Die aktuellen Forschungen zu Metall-Luft-Batterien zie-
len vor allem darauf ab, deren Hauptmanko zu beseitigen:
n+ –
Anode: Me     Me  + n e die zu langsame Nachdiffusion von Sauerstoff aus der
– –
Kathode: O2 + 2 H2O + 4 e      4 OH    Atmosphäre. Um diesen Vorgang zu beschleunigen, be-
Gesamtreaktion: 4  Me + n O2 + 2n H2O     4  Me(OH)n darf es eines hochporösen, elektrisch leitenden Träger-
materials, das eine große innere Oberfläche für die Anla-
Solche Metall-Luft-Batterien sind schon relativ lange gerung von möglichst vielen Sauerstoffmolekülen (O2)
bekannt und haben teils kommerzielle Verwendung gefun- bietet. Zudem müssen geeignete Katalysatoren wie etwa
den – wie die 1977 eingeführte Zink-Luft-Batterie, die in Platin die Aufspaltung der Zweiermoleküle in Einzelatome
Form von Knopfzellen heute üblicherweise als Stromquelle (O) fördern – ein Vorgang, der die Geschwindigkeit der
für Hörgeräte dient. Allerdings leiden sie unter einem Kathodenreaktion entscheidend mitbestimmt.
gravierenden Nachteil: Da der Sauerstoff nur langsam aus
der Luft in das Trägermaterial der Kathode diffundiert, Die »Sauerstoff atmende« Elektrode
ist die erzielbare Stromstärke und damit die elektrische von Metall-Luft-Batterien
Leistung relativ gering. Deshalb lassen sich mit Metall- Theoretisch sollte es möglich sein, einfache Vertreter von
Luft-Batterien bisher nur Geräte betreiben, die recht wenig Metall-Luft-Batterien ohne großen Aufwand mit allge-
Strom verbrauchen. mein zugänglichen Materialien herzustellen. Aus diesem
Diesem Manko steht jedoch ein großer Vorteil gegen- Grund begannen wir, an einer Bauanleitung dafür zu
über: Weil Metall-Luft-Batterien den Sauerstoff für die tüfteln. Als kritische Komponente erwies sich auch hier
Kathodenreaktion nicht mitführen müssen, sondern aus die Sauerstoff umsetzende Kathode. Da Aktivkohle
der Atmosphäre beziehen, sind sie sehr leicht, was ihnen hochporös und elektrisch leitend sowie in unterschied-
eine ungewöhnlich hohe Energiedichte verleiht. Das lichen Körnungsgrößen im Chemikalienhandel erhältlich
macht sie in einer Zeit interessant, in der elektrischer ist, lag es nahe, sie als Trägermaterial für diese Elektrode

64 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
einzusetzen. Schwieriger gestaltete sich dann allerdings dazu um einen Stift und führen Sie es mit dessen
die Suche nach einem geeigneten, kostengünstigen Hilfe ein.
Behälter dafür. Anschließend stellen Sie eine Bleistiftmine als Ableit­
Es brauchte einige Recherchen, bis wir fündig wurden. elektrode mittig in die Siebhülse. Halten Sie die Mine mit
Als geradezu ideal entpuppten sich schließlich so ge­ Daumen und Zeigefinger fest, während Sie als Nächstes
nannte Siebhülsen (handelsüblicher Name: Injektions-­ die gekörnte Aktivkohle einfüllen. Um eine möglichst
Ankerhülsen), die in Baumärkten in diversen Größen dichte Packung zu erreichen, sollten Sie mit der Siebhülse
angeboten werden. Sie bestehen aus perforiertem Kunst- mehrmals vorsichtig gegen die Tischkante klopfen, so
stoff und dienen eigentlich zur Befestigung massiver dass sich ihr Inhalt setzt. Das frei werdende Volumen
Bauelemente an Wänden. Mit Aktivkohle gefüllt, eignen füllen Sie jeweils wieder mit Kohle. Im Bild unten sehen
sie sich jedoch auch als Sauerstoff-Elektroden. Sie den Bau der Sauerstoff-Elektrode Schritt für Schritt.
Um zu verhindern, dass die Aktivkohlekörner durch Eine ausführliche Anleitung haben wir in der Online-Er-
die Löcher in der Kunststoffhülse rutschen, müssen Sie gänzung zu diesem Artikel bereitgestellt, gemeinsam mit
deren Innenwand zunächst mit einem passend zurecht­ weiterführenden theoretischen Betrachtungen zum The-
geschnittenen Filterpapier auskleiden. Wickeln Sie es ma Metall-Luft-Batterien.

Diese Querschnittsaufnahmen zeigen die einzelnen Schritte zur


Herstellung einer Sauerstoff-Kohleelektrode, die als Kathode
einer Metall-Luft-Batterie dient. Eine Siebhülse wird mit Filter-
papier ausgekleidet und mit Aktivkohle gefüllt, nachdem eine
Bleistiftmine mittig hineingestellt worden ist. Zum Schluss
kann man eine zur Siebhülse gehörende luftdurchlässige Ab-
deckung aufstecken, damit beim Handhaben der Elektrode
keine Kohle herausfällt.

luftdurchlässige
Abdeckung

Siebhülse

Bleistiftmine

Filterpapier

Aktivkohle
MARCO OETKEN

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 65


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MARCO OETKEN
Führen Sie einfach die Sauerstoff-Kohleelektrode in eine Cola-Dose ein, die mit Kochsalzlösung gefüllt ist.
Schon haben Sie eine Batterie, die beispielsweise einen E
­ lektromotor mit Propeller antreiben kann.

Die Cola-Dosen-Batterie geringer Spannung betreiben lässt – beispielsweise mit


Mit unserer Sauerstoff-Elektrode und einer gewöhnlichen dem übers Internet leicht erhältlichen Solarmotor RF300,
Cola-Dose können Sie nun ganz einfach eine erstaunlich der zum Miniaturventilator wird, wenn Sie einen kleinen
leistungsfähige Metall-Luft-Batterie anfertigen. Entfernen Propeller aufstecken (Bild oben). Für Messungen können
Sie dazu mit einem Metall-Cutter vorsichtig den Deckel der Sie, sofern Sie darüber verfügen, außerdem ein Ampere-
Dose. Damit Sie sich später nicht an dem scharfkantigen meter zwischen- und ein Voltmeter parallel schalten. Diese
Rand schneiden, sollten Sie ihn mit einer Feile glätten recht originelle Batterie besitzt zu Beginn eine Gesamt-
und abstumpfen. Als Nächstes müssen Sie mit Schmirgel- spannung von 0,68 Volt. Sobald Sie den Stromkreis schlie-
papier, das Sie um einen Holzstab gewickelt haben, die ßen, beginnt sich der Propeller zu drehen.
Oberfläche im Innern aufrauen. Die Batterie funktioniert, weil die Wand der Cola-Dose
Füllen Sie die Dose nun fast bis zum Rand mit zehn­ aus Weißblech besteht. Dabei handelt es sich um Eisen
prozentiger Kochsalzlösung (100 Gramm auf einen Liter (Fe), das zum Korrosionsschutz mit einer dünnen Schicht
Wasser). Setzen Sie einen passenden Kunststoffdeckel Zinn überzogen ist. Diesen Überzug haben Sie beim Auf-
darauf, in den Sie ein ausreichend großes Loch gestanzt rauen mit Schmirgelpapier teilweise abgekratzt. Das so
haben, so dass die Sauerstoff-Kohleelektrode hindurch- freigelegte Eisen bildet zusammen mit der Sauerstoff-
passt. Außerdem sollten Sie eine seitliche Aussparung Kohle­elektrode und der Kochsalzlösung als Elek­tro­lyt nun
vorsehen, damit sich am Dosenrand eine Krokodilklemme ein galvanisches Element. Dabei löst sich das Metall
als Ableitelektrode befestigen lässt. Die Cola-Dose fungiert langsam unter Freisetzung von Eisenionen und Elektronen
nämlich gleichzeitig als Anode und als Elektrolytgefäß. auf. Letztere fließen über den angeschlossenen Elektro­
Die Kohleelektrode, die Sie in das Loch im Deckel hängen, motor zur Kohleelektrode, wo der anhaftende sowie teil-
bildet dagegen die Kathode. weise im Elektrolyten gelöste Sauerstoff zu Hydro­xidionen
Verbinden Sie die beiden Elektroden schließlich über umgesetzt wird. Die entsprechenden Reaktionsgleichun-
Kabel mit einem Elektrogerät, das sich mit Gleichstrom gen lauten:

66 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


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2+ –
Spektrum der Wissenschaft
Anode: Fe     Fe  + 2 e
– –
Kathode: O2 + 2 H2O + 4 e      4 OH   Chefredakteur: Dr. Daniel Lingenhöhl (v.i.S.d.P.)

Redaktionsleiter: Dr. Hartwig Hanser

Die Sauerstoff-Kohleelektrode hat dank der enthalte­ Redaktion: Mike Beckers (stellv. Re­daktionsleiter), Manon Bischoff, Robert
Gast, Dr. Andreas Jahn, Karin Schlott, Dr. Frank Schubert, Verena Tang;
nen hochporösen Aktivkohle eine extrem große innere E-Mail: redaktion@spektrum.de
Ober­fläche von bis zu 2000 Quadratmetern pro Gramm. Art Direction: Karsten Kramarczik
Diese dient als aktive Grenzfläche, an welcher der Sauer- Layout dieses Hefts: TypoDesign
stoff unter Aufnahme von Elektronen mit dem Wasser Schlussredaktion: Christina Meyberg (Ltg.), Sigrid Spies, Katharina Werle
reagiert. Deshalb spielt sie für die Kapazität und damit die Bildredaktion: Alice Krüßmann (Ltg.), Anke Lingg, Gabriela Rabe
Leistung der Metall-Luft-Batterie eine wichtige Rolle: Je Redaktionsassistenz: Andrea Roth
größer sie ist, desto schneller und leichter kann die Re­ Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH,

aktion ablaufen. Da das Oxidationsmittel Sauerstoff quasi Postfach 10 48 40, 69038 Heidelberg,
Hausanschrift: Tiergartenstraße 15–17, 69121 Heidelberg,
unbegrenzt in der Luft vorhanden ist und der Kathode Tel.: 06221 9126-600, Fax: -751; Amtsgericht Mannheim, HRB 338114,
durch ständiges Nachdiffundieren jederzeit zur Verfügung Redaktionsanschrift: Postfach 10 48 40, 69038 Heidelberg,

steht, sollte die Lebensdauer der Batterie nur durch die Tel.: 06221 9126-711

Geschäftsleitung: Markus Bossle


Menge an Eisen in der Kathode begrenzt sein – zumindest
Herstellung: Natalie Schäfer
in der Theorie.
Marketing: Annette Baumbusch (Ltg.), Tel.: 06221 9126-741
Die Praxis sieht allerdings leider anders aus: Lange
Einzelverkauf: Anke Walter (Ltg.), Tel.: 06221 9126-744
bevor sich die Wand der Cola-Dose aufgelöst hatte oder
Leser- und Bestellservice: Helga Emmerich, Sabine Häusser, Ilona Keith,
auch nur merklich dünner geworden war, fiel bei unseren Tel.: 06221 9126-743,
Versuchen die Spannung der Batterie ab, und der Pro- E-Mail: service@spektrum.de

peller drehte sich immer langsamer, bevor er nach nicht Vertrieb und Abonnementverwaltung:
Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH,
einmal zwei Stunden ganz stehen blieb. Der Grund war
c/o ZENIT Presse­vertrieb GmbH, Postfach 81 06 80,
offenbar ein Mangel an Sauerstoff an der Kathode, weil 70523 Stuttgart, Tel.: 0711 7252-192, Fax: 0711 7252-366,
das Gas schneller verbraucht wurde, als Nachschub aus E-Mail: spektrum@zenit-presse.de, Vertretungsberechtigter: Uwe Bronn

der Luft durch die Poren der Aktivkohle drang. Demnach Bezugspreise: Einzelheft »Spezial«:  € 8,90 / sFr. 17,40 / Österreich € 9,70 /
Luxemburg € 8,90 zzgl. Versandkosten. Im Abonnement € 30,80 für 4 Hefte,
leidet unsere einfache Metall-Luft-Batterie unter demsel- für Studenten gegen ­Studiennachweis € 25,60. Bei Versand ins Ausland werden
ben Problem, mit dem derzeit Wissenschaftler weltweit die Mehrkosten berechnet. Alle Preise verstehen sich inkl. Umsatzsteuer.
ringen: Die Diffusion des Sauerstoffs aus der Luft durch Zahlung sofort nach Rechnungserhalt.
Postbank Stuttgart, IBAN DE52 6001 0070 0022 7067 08,
das Kathodenmaterial bis an die Grenze zum Elektrolyten BIC PBNKDEFF
ist extrem langsam. Anzeigen: E-Mail: anzeigen@spektrum.de, Tel.: 06221 9126-741
Wir unternahmen verschiedene Versuche, den Zutritt Druckunterlagen an: Natalie Schäfer, E-Mail: schaefer@spektrum.de
des Gases zu erleichtern. Doch selbst die Elektrode Anzeigenpreise: Gültig ist die Preisliste Nr. 41 vom 1.1. 2020.
damit zu umspülen, half nicht. Anscheinend wird wäh- Gesamtherstellung: L. N. Schaffrath Druckmedien GmbH & Co. KG, Marktweg
rend der anfänglichen zwei Betriebsstunden praktisch 42–50, 47608 Geldern

nur der Sauerstoff verbraucht, der bereits an der Aktiv- Sämtliche Nutzungsrechte an dem vorliegenden Werk liegen bei der Spektrum
der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH. Jegliche Nutzung des Werks,
kohle adsorbiert ist. Es dauert offenbar äußerst lange, insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung, öffentliche Wiedergabe oder
bis neues Gas den Weg tief in die Poren findet. Diese öffentliche Zugänglichmachung, ist ohne die vorherige schriftliche Einwilligung

Diffusion zu beschleunigen, ist ein vertracktes Problem, des Verlags unzu­lässig. Jegliche unautorisierte Nutzung des Werks berechtigt
den Verlag zum Schadensersatz gegen den oder die jeweiligen Nutzer. Bei jeder
und die Lösung wird sicher nicht leicht zu finden sein. autorisierten (oder gesetzlich gestatteten) Nutzung des Werks ist die folgende
Aber die Suche nach ihr lohnt – würde sie doch die Tür Quellenangabe an branchenüblicher Stelle vorzunehmen: © 2020 (Autor),

zum ersehnten Zeitalter der Elektromobilität weit Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg. Jegliche
Nutzung ohne die Quellenangabe in der vorstehenden Form berechtigt die
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Artikelnachweise: Farbenspiele mit Popping Bobas SdW 7/2017 ∙


Liesegangsche Ringe SdW 1/2018 ∙ Bunte Welt der Azofarbstoffe SdW 11/2018 ∙
Fluoreszierende Farbspiele SdW 3/2018 ∙ Wie Farben entstehen SdW 4/2020 ∙
Die Geheimtinten der CIA SdW 3/2016 ∙ Verbrecherjagd mit Elektrochemie SdW
11/2017 ∙Spurensicherung mit Bleistift, Büroklammer und Blockbatterie SdW
12/2019 ∙ Graphenproduk­tion im Hobbykeller SdW 5/2018 ∙ Ein Diamant ist
QUELLEN unvergänglich? SdW 9/2016 ∙ Experimente mit Kohlenstoffdioxid SdW 6/2019 ∙
Wie Lithiumakkus funktionieren SdW 7/2016 ∙ Lithiumakkus – die nächste
Klaus, M. et al.: Metall-Luft-Batterien mit einer neuartigen Kohle­ Generation SdW 4/2019 ∙ Intelligente Fenster aus Berliner Blau SdW 5/2017 ∙
elektrode. CHEMKON 21, 2014 Eine »atmende« Stromquelle SdW 9/2017 ∙ Experimentieren mit einem
Allerweltsmetall SdW 3/2017 ∙ Die lange Jagd nach den verborgenen Metallen
Linden, D., Reddy, T. B.: Linden’s Handbook of Batteries.
SdW 8/2019 ∙ Minibäume aus Metall SdW 5/2016
Mcgraw-Hill Education, 2011
ISSN 2193-4444 / ISBN 978-3-95892-411-6
Oetken, M. et al.: Die Passivität der Metalle. Praxis der Naturwis-
senschaften – Chemie 45, 1996 SCIENTIFIC AMERICAN
1 New York Plaza, Suite 4500, New York, NY 10004-1562,
Wei, Z. D. et al.: Carbon-based air electrodes carrying MnO2 in Acting Editor in Chief: Laura Helmuth, President: Dean Sanderson, Executive
zinc-air batteries. Journal of Power Sources 91, 2000 Vice President: Michael Florek

ü
FRÜHER UNERSCHWING­
LICH, HEUTE
ALLERWELTSSTOFF
Weil Aluminium äußerst reaktionsfreudig ist, wurde es erst ziemlich
spät entdeckt und ließ sich zunächst nur schwer herstellen. Wie
schaffte das Metall, das einst kostbarer war als Gold, den Sprung zum
alltäglichen Werkstoff in unserer modernen Welt?
 spektrum.de/artikel/1432754


Schon vor 7000 Jahren gelang es unseren Vorfahren, handelt es sich um eine so genannte Redoxreaktion, in
Kupfer aus entsprechenden Erzen zu gewinnen. Auch deren Verlauf der Kohlenstoff als Reduktionsmittel wirkt,
die Eisenverhüttung beherrschte der Mensch bereits das Elektronen an die Eisenionen im Erz abgibt. Er über­
sehr früh: Die ältesten in Europa gefundenen eisernen nimmt dabei den Sauerstoff und wandelt sich in Kohlen­
Gebrauchsgegenstände stammen aus dem 9. bis 10. Jahr­ stoffdioxid um. Die summarische Gleichung für den Vor­
hundert v. Chr. Aluminium dagegen ist ein Metall der gang lautet (die Symbole »s« und »g« stehen für »fest«
Neuzeit. Als sein Entdecker gilt üblicherweise Friedrich beziehungsweise »gasförmig«):
Wöhler (1800–1882), der das Element im Jahr 1827 erst­
mals rein darstellte. Der deutsche Chemiker stützte sich 2 Fe2O3 (s)  +  3 C (s)     4 Fe (s)  +  3 CO2 (g)
allerdings auf umfangreiche Vorarbeiten von Hans Chris­ Eisenoxid + Kohlenstoff     Eisen + Kohlenstoffdioxid
tian Ørsted (1777–1851), einem dänischen Chemiker und
Physiker, der die Elektrizitätslehre und Elektrotechnik Schon Anfang des 19. Jahrhunderts vermutete man,
mitbegründete. dass auch die so genannte Tonerde ein Metalloxid sei. Den
Warum dauerte es beim Aluminium so lange, bis es Sauerstoff daraus zu entfernen, erwies sich jedoch als
sich in reiner Form gewinnen ließ? Metalle sind unter­ schwierig. Kohlenstoff taugte dazu nicht; es war ein zu
schiedlich reaktiv. Die edelsten wie Gold oder Platin zeigen schwaches Reduktionsmittel. Daraufhin entwarf Ørsted
nur eine geringe Neigung, Verbindungen einzugehen. den Plan, das Oxid zunächst in ein Chlorid zu überführen.
Deshalb kommen sie hauptsächlich gediegen, das heißt Hierzu mischte er die Tonerde mit Kienruß, der damals als
als Reinstoffe, in der Natur vor. Kupfer zählt zwar auch zu schwarze Druckfarbe diente, und leitete Chlorgas über das
den Edelmetallen, ist aber schon wesentlich reaktionsfreu­ erhitzte Gemisch. Ursprünglich wollte er dem so erzeugten
diger. Noch weitaus begieriger, sich mit anderen Stoffen Chlorid dann mit Wasserstoff das Chlor entziehen.
zu verbinden, sind unedle Metalle wie Eisen oder gar Doch das gelang ebenso wenig wie die Reduktion der
Natrium. Deshalb treten sie in der Natur gewöhnlich nicht Tonerde mit Kohlenstoff. Ein noch stärkeres Reduktions­
im elementaren Zustand auf. Um sie aus ihren Verbin­ mittel musste her! Als solches probierte Ørsted schließlich
dungen zu gewinnen, muss man chemische Verfahren Kaliumamalgam, eine Kalium-Quecksilber-Verbindung. Das
anwenden. Ergebnis war ein Metallklumpen, der in Farbe und Glanz
Beim Eisen dient Kohlenstoff in Form von Kohle dazu, dem Zinn ähnelte. Heute nimmt man allgemein an, dass
den oxidischen Erzen den Sauerstoff zu entziehen, so es sich um stark verunreinigtes Aluminium handelte, das
dass das reine Metall zurückbleibt. Bei dieser Umsetzung sich gemäß der folgenden Gleichung bildete:

68 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
MATTHIAS DUCCI

MATTHIAS DUCCI

MATTHIAS DUCCI
Taucht man einen Eisennagel in Kupfersulfat-Lösung, überzieht
er sich mit einer Kupferschicht (links). Bei Aluminiumfolie
geschieht das nicht. Erst nach Zusatz von Kochsalz kommt es
zu einer heftigen Reaktion. Dabei scheidet sich Kupfer auf dem
Aluminium ab, während zugleich ein Gas entweicht (rechts).

4 AlCl3 (s) + 3 K (s)     Al (s)  +  3 KAlCl4 (s) mit elektrischem Strom Aluminiumchlorid in Aluminium


Aluminiumchlorid  +  Kalium      und Chlor zu zerlegen. Da er in Napoleon III. einen bedeu­
Aluminium  +  Kaliumaluminiumchlorid tenden Förderer auf seiner Seite hatte, standen ihm fast
unbegrenzte Mittel zur Verfügung. Der französische Kaiser
Ørsted verzichtete auf weitere Untersuchungen und wollte nämlich seine Armee mit Ausrüstungsgegenstän­
berichtete Wöhler von seinen Arbeiten. Dieser wiederholte den aus leichtem Aluminium ausstatten. Doch auch De­
die Experimente und bekam dabei »große Lust zur weite­ ville hatte nicht den gewünschten Erfolg. Die Herstellung
ren Verfolgung derselben«, wie er in einem Brief an seinen des Leichtmetalls erwies sich als derart aufwändig, dass
wissenschaftlichen Ziehvater, den schwedischen Chemiker es damals teurer war als Gold. Deshalb diente es sogar als
Jöns Jakob Berzelius (1779–1848), bekannte. Seine Bemü­ Werkstoff in der Schmuckindustrie. Napoleon III. ließ bei
hungen zahlten sich aus: Im Oktober 1827 erhielt er erst­
mals reines Aluminium in Form eines grauen Pulvers.
Weil Wöhler statt des Amalgams pures, hochreaktives
Kalium als Reduktionsmittel einsetzte, war seine Methode
Napoleon III. bewirtete die rang­
zum Gewinnen des Metalls jedoch äußerst kostspielig und höchsten Gäste mit Aluminium­
eignete sich daher nicht für die technische Nutzung.
Zudem war sie sehr unausgereift. So gelang es Wöhler geschirr, alle anderen mussten sich
erst 1845, stecknadelkopfgroße Aluminiumkörner herzu­
stellen. Mit ihnen konnte er die Dichte bestimmen, die
mit Silber oder Gold begnügen
sich mit 2,67 Gramm pro Kubikzentimeter als extrem
niedrig erwies. Zum Vergleich: Eisen hat eine Dichte von Banketten nur den ranghöchsten Gästen die Gerichte auf
7,87 Gramm pro Kubikzentimeter, ein fast dreimal so Aluminiumgeschirr servieren, alle anderen mussten sich
hoher Wert. Aluminium ist also ein sehr leichtes Metall. mit Tellern aus Silber oder Gold begnügen.
Die Präsentation von Aluminiumbarren auf der Pariser
Teurer als Gold Weltausstellung von 1855 galt als Sensation. Dennoch
Einen anderen Weg zur Aluminiumherstellung beschritt überwog angesichts der Schwierigkeiten bei der Herstel­
der französische Chemiker Henri Étienne Sainte-Claire lung des Metalls die Skepsis. So ist in zeitgenössischen
Deville (1818–1881). Er versuchte, das Metall durch Elektro­ Lehrbüchern über Aluminium zu lesen, dass die bekannten
lyse des geschmolzenen Chlorids zu gewinnen, das heißt Gewinnungsmethoden doch wohl mehr von wissenschaft­

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 69


ü
lichem als von technischem Interesse seien. Auch gebe es C3000 von Kosmos enthalten ist. In dem Glas lösen Sie
für das Metall kaum sinnvolle Verwendungsmöglichkeiten. 2,5 Gramm der Kupferverbindung in zehn Milliliter Wasser
Den Durchbruch bei der Aluminiumherstellung ermög­ und tauchen dann den Eisennagel für rund eine Minute in
lichte erst die Erfindung der Dynamomaschine durch die Flüssigkeit. Wenn Sie ihn herausnehmen, hat sich eine
Werner von Siemens (1816–1892) im Jahr 1866, mit der Schicht aus rotbraunem Kupfer darauf abgeschieden.
sich der für eine Elektrolyse benötigte Gleichstrom kosten­ Wie lässt sich das erklären? Die Flüssigkeit enthält zwei­
2+
günstig erzeugen ließ. Noch fehlte jedoch ein geeigneter fach positiv geladene Kupferionen (Cu ), während der
Elektrolyt. Aluminiumoxid ist zwar sehr rein aus dem Erz Nagel aus neutralen Eisenatomen (Fe) besteht. Treffen
Bauxit gewinnbar, hat mit 2045 Grad Celsius aber einen beide aufeinander, so gehen jeweils zwei Elektronen von
viel zu hohen Schmelzpunkt. Die Lösung fanden der einem Eisenatom auf ein Kupferion über. Dieses wird
Amerikaner Charles Martin Hall (1863–1914) und der dadurch zu einem elektrisch neutralen Teilchen, das Eisen­
Franzose Paul Louis Toussaint Héroult (1863–1914) unab­ atom dagegen zu einem zweifach positiv geladenen Ion.
hängig voneinander: Sie lösten Aluminiumoxid in einer Demzufolge scheidet sich sukzessive Kupfer am Eisen­
2+
Schmelze aus Kryolith (Na3AlF6). Deren Temperatur liegt nagel ab, während Eisen in Form von Fe -Ionen in Lösung
bei 950 bis 970 Grad Celsius und damit in einem wirt­ geht. Die zugehörige Reaktionsgleichung lautet (das Sym-
schaftlich und technisch vertretbaren Bereich. Der Hall- bol »aq« steht für »in Wasser gelöst«):
Héroult-Prozess wird – mit einigen technischen Neue­
2+ 2+
rungen – heute noch industriell angewandt. Cu  (aq)  +  Fe (s)     Cu (s)  +  Fe  (aq)
Auch bei den Verwendungsmöglichkeiten erwies sich Kupferion + Eisenatom     Kupferatom + Eisenion
die anfängliche Skepsis als komplett falsch. Inzwischen
ist Aluminium eines der wichtigsten Nichteisenmetalle, Der umgekehrte Vorgang ist nicht möglich: Wenn Sie
das große Bedeutung im Flugzeug-, Schiffs- und Automo­ einen Kupfernagel in eine Eisensalzlösung tauchen,
bilbau hat. Im Alltag begegnet es uns überall, man denke geschieht nichts. Demnach ist Kupfer edler als Eisen.
nur an Alufolien oder Grillschalen. Mancher von Ihnen Durch solche und andere Versuche sowie Berech­
besitzt vielleicht ein Fahrrad aus dem Leichtmetall, und nungen haben Chemiker sämtliche Metalle nach dem Grad
ältere erinnern sich eventuell noch an »Henkelmänner« ihres edlen oder unedlen Charakters in eine Reihenfolge
oder Kochtöpfe aus Aluminium. gebracht. Hier ein kleiner Ausschnitt aus dieser so ge­
nannten Fällungsreihe, dargestellt für Metalle des alltäg­
Warum rostet Aluminium nicht? lichen Gebrauchs:
Die große Beständigkeit des Metalls scheint zunächst im
Widerspruch dazu zu stehen, dass es sich um ein sehr Magnesium – Aluminium – Zink – Eisen – Blei – Kupfer – Gold
unedles und damit reaktionsfreudiges Element handelt. unedel                    edel
Es ist sogar wesentlich unedler als Eisen. Doch warum
rostet es dann nicht? Gegenstände aus Aluminium haben Beim Eintauchen von Aluminium in eine Kupfersulfatlö­
in der Regel einen metallischen Glanz, dem weder Luft sung müsste sich gemäß dieser Reihe ebenfalls Kupfer
noch Wasser, Hitze oder Kälte etwas anhaben können. darauf abscheiden. Da das Leichtmetall noch unedler als
Dem Grund dafür wollen wir mit einigen sehr einfachen Eisen ist, sollte die Reaktion sogar schneller und heftiger
und dabei reizvollen Experimenten nachspüren. ablaufen als mit dem Eisennagel. Dies wollen wir im
Für den ersten Versuch benötigen Sie ein Schnapsglas, nächsten Experiment überprüfen. Rollen Sie dazu ein
einen Eisennagel, Aluminiumfolie und Kupfersulfat-Penta­ Stück Aluminiumfolie zusammen und tauchen Sie es in
hydrat (CuSO4  ∙ 5 H2O), das in Experimentierkästen wie dem die Kupfersulfatlösung. Entgegen der theoretischen Vor­
MATTHIAS DUCCI

MATTHIAS DUCCI

MATTHIAS DUCCI

Ein Kügelchen aus


Aluminiumfolie wird von
Zitronensäurelösung
(links) und Batteriesäure
(Mitte) nicht angegrif-
fen. Dagegen reagiert es
heftig unter Gasent­
wicklung mit Salzsäure
(rechts).

70 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü

Produkten wie dem Tetrachloroaluminat-Komplex AlCl4
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, NACH: MATTHIAS DUCCI

Passivierung von Aluminium und bauen sie dadurch ab. Das nun ungeschützte Alumini­
um reagiert entsprechend seiner Stellung in der Fällungs­
reihe mit den Kupferionen gemäß der Gleichung:

2+ 3+
2 Al (s)  +  3 Cu  (aq)     2 Al  (aq)  +  3 Cu (s)
Bleistiftmine Aluminium- Aluminiumatome + Kupferionen     
blech Aluminiumionen + Kupferatome

+ - Wie an der Gasentwicklung zu sehen ist, muss jedoch


noch eine andere Reaktion stattfinden. Um welche könnte
9V es sich handeln? Wenn Sie ein Indikatorpapier in die
Lösung tauchen, werden Sie feststellen, dass diese sauer
ist. Denn die Kupferionen binden die Wassermoleküle so
+
stark an sich, dass teilweise H -Ionen abgespalten und
Mit dieser Anordnung lässt sich das Eloxal-Verfahren Oxoniumionen gebildet werden (das Symbol »l« steht für
nachvollziehen, bei dem die Beständigkeit von Aluminium »flüssig«):
elektrolytisch erhöht wird.
2+ + +
[Cu(H2O)6]  (aq)  +  H2O (l)     [Cu(H2O)5OH]  (aq)  +  H3O  (aq)
Hexaaquakupfer(II)-Ion + Wassermolekül     
hersage geschieht jedoch nichts: Die Aluminiumfolie bleibt Pentaaquahydroxokupfer(II)-Ion + Oxoniumion
silbrig glänzend, und so lange Sie auch warten, es schei­
det sich nicht die kleinste Spur von Kupfer darauf ab. Diese reagieren dann mit dem ungeschützten Alumi­
Wie kommt es zu dieser verblüffenden Beständigkeit? nium unter Bildung von Wasserstoff. Die entsprechende
Stimmt vielleicht die Einordnung von Aluminium in die Reaktionsgleichung lautet:
Fällungsreihe nicht? Unter bestimmten Bedingungen
+ 3+
verhält sich das Metall jedoch sehr wohl so unedel, wie 2 Al (s)  +  6 H3O  (aq)     2 Al  (aq)  +  3 H2 (g)  +  6 H2O (l)
seine Stellung in dieser Reihe erwarten lässt. Welche das Aluminiumatome + Oxoniumionen     
sind, verrät ein Blick auf die Gebrauchsinformationen von Aluminiumionen  +  Wasserstoffmoleküle  +  Wassermoleküle
Alufolie. Dort heißt es, dass der Kontakt mit salzhaltigen
Lebensmitteln zu vermeiden sei. Im nächsten Experiment Dass es sich bei dem entstehenden Gas um Wasser­
machen wir deshalb das genaue Gegenteil: Nach dem stoff handelt, kann man im Prinzip nachweisen, indem
Eintauchen der zusammengerollten Folie in die Kupfersul­ man es auffängt und mit der Knallgasprobe auf seine
fatlösung fügen wir einen Teelöffel Kochsalz (Natriumchlo­ Brennbarkeit testet. Da dieser Versuch sehr gefährlich ist,
warnen wir jedoch dringend davor, ihn selbst zu Hause
durchzuführen.

Selbst Batteriesäure, also ziemlich Unedel und doch gegen Säuren beständig
konzentrierte Schwefelsäure, Alufolie sollte den Gebrauchsinformationen zufolge auch
nicht mit stark sauren Lebensmitteln in Kontakt kommen.
vermag Alufolie nichts anzuhaben Greifen Säuren die schützende Oxidschicht also ebenfalls
an? Das wollen wir im nächsten Experiment prüfen. Geben
Sie dazu etwas Wasser in ein Schnapsglas, fügen Sie
rid, NaCl) hinzu und rühren um. Siehe da: Binnen Kurzem einen Teelöffel Zitronensäure hinzu und warten Sie, bis
beginnt sich Kupfer abzuscheiden. Außerdem steigen wie diese sich aufgelöst hat. Dann werfen Sie ein Kügelchen
aus einem Sektglas sprudelnd Gasbläschen auf. aus Aluminiumfolie hinein. Das Ergebnis dürfte Sie ange­
Damit haben wir einen Hinweis auf den Grund für die sichts der obigen Warnung enttäuschen: Nichts passiert.
überraschende Beständigkeit von Aluminium. Es bildet Dasselbe gilt, wenn Sie statt Zitronensäure Tafelessig oder
nämlich an der Luft mit Sauerstoff einen hauchdünnen, Essig­essenz verwenden. Selbst Batteriesäure, also ziem­
aber sehr kompakten Schutzfilm aus Aluminiumoxid lich konzentrierte Schwefelsäure, vermag dem Aluminium­
(Al2O3). Dieser ist nur etwa 25 Atomlagen dick, was unge­ kügelchen nichts anzuhaben. Oxoniumionen können die
fähr 0,01 Mikrometern entspricht, und bleibt deshalb für Oxidschicht also nicht auflösen.
das Auge unsichtbar. Wie ungeheuer schnell er entsteht, Ahnen Sie, mit welcher Säure dem Aluminiumkügel­
zeigt sich eindrucksvoll, wenn man Aluminiumblech chen beizukommen ist? Richtig: Salzsäure, die neben den
schmirgelt und dann sofort in die Kupfersulfatlösung für den sauren Charakter verantwortlichen Oxoniumionen
+ –
taucht. Auch in diesem Fall scheidet sich kein Kupfer ab: (H3O ) auch Chloridionen (Cl ) enthält. Wenn Sie das
Die schützende Oxidschicht hat sich sofort neu gebildet. Aluminiumkügelchen zum Beispiel in 24-prozentige Salz­

Die Chloridionen (Cl ) im Kochsalz greifen diese Schicht säure aus dem Baumarkt werfen, beginnen sich nach etwa
jedoch an. Sie verbinden sich mit ihr zu wasserlöslichen zwei Minuten Gasbläschen zu bilden – so lange dauert es,

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 71


ü
Tropft man eine kochsalz­
MATTHIAS DUCCI

haltige Kupfersulfatlösung auf


gewöhnliches Aluminium-
blech (links), scheidet sich
sofort unter Wasserstoff­
entwicklung Kupfer ab. Nach
der elektrolytischen Passivie-
rung findet dagegen keine
Reaktion statt (rechts), weil
eine künstlich verdickte
Oxidschicht das Metall be-
deckt und es auf diese Weise
schützt.

bis die schützende Oxidschicht erste Löcher bekommen ist. Tragen Sie wie bei den anderen Versuchen unbedingt
hat. Schließlich kommt es gemäß der obigen Gleichung zu Schutzkittel, -brille und -handschuhe!
einer heftigen Wasserstoffentwicklung, und das Alumini­ Die Batteriesäure müssen Sie zunächst mit Wasser im
um löst sich komplett auf. Verhältnis 1 : 1 verdünnen. Füllen Sie dazu zehn Milliliter
Wasser in das Glas und geben anschließend in zwei Por­
Das Eloxal-Verfahren – tionen à fünf Milliliter insgesamt zehn Milliliter Batterie­
künstliche Verdickung der Schutzschicht säure hinzu. Vorsicht! Diese Reihenfolge ist strikt zu be­
Angesichts der Empfindlichkeit der schützenden Oxid­ achten, damit keine Säure verspritzt. Der unter Chemikern
schicht gegenüber Chloridionen verwundert es zunächst, gebräuchliche Merksatz dafür lautet: »Erst das Wasser,
dass Aluminium auch in Bereichen eingesetzt wird, in dann die Säure, sonst geschieht das Ungeheure.«
denen sich der Kontakt mit korrosiv wirkenden Medien Tauchen Sie nun das Blech sowie die Bleistiftmine etwa
nicht verhindern lässt – etwa bei Schiffsrümpfen (salzhal­ zwei bis drei Zentimeter tief in die Säure und verbinden Sie
tiges Meerwasser) und Fahrrädern oder Automobilen beides über Krokodilklemmen und Kabel so mit der 9-Volt-
(Streusalz). Der Grund ist, dass sich mit dem so genannten Batterie, dass das Aluminiumblech als Plus- und die Blei­
Eloxal-Verfahren, abgekürzt für elektrolytische Oxidation stiftmine als Minuspol geschaltet ist (siehe Grafik S. 71).
von Aluminium, die Beständigkeit des Metalls deutlich Es empfiehlt sich, die beiden Elektroden mit einem Stativ
erhöhen lässt. Dazu wird das vorbehandelte Aluminium­ zu fixieren, damit sie sich nicht berühren, denn das würde
werkstück in eine saure Lösung getaucht und an einen zu einem Kurzschluss führen. Nun lassen Sie 15 Minuten
Stromkreis angeschlossen, in dem es als Anode (Pluspol) lang Strom fließen. Während an der Bleistiftmine Gasbläs­
dient. Dabei läuft an seiner Oberfläche der folgende Pro­ chen aufsteigen, ist am Aluminiumblech optisch keine
zess ab: Veränderung festzustellen. Nachdem Sie es aus der Säure
genommen, mit Wasser abgespült und mit einem Tuch
+ –
2 Al (s)  +  9 H2O (l)     Al2O3 (s)  +  6 H3O  (aq)  +  6 e abgetrocknet haben, erscheint es allenfalls ein wenig
Aluminiumatome + Wassermoleküle      matter als zuvor.
Aluminiumoxid + Oxoniumionen + Elektronen Mit einem weiteren Experiment lässt sich zeigen, dass
das Aluminiumblech in dem eingetauchten Bereich tat­
Die Elektronen fließen zum Minuspol und entladen dort sächlich korrosionsbeständiger geworden ist. Lösen Sie
Oxoniumionen, so dass sich Wasserstoff bildet: dazu ein Gramm Kupfersulfat-Pentahydrat (CuSO4  ∙  5 H2O)
sowie 0,1 Gramm Kochsalz in fünf Milliliter Wasser. Geben
+ –
6 H3O  (aq)  +  6 e      3 H2 (g)  +  6 H2O (l) Sie je einen Tropfen dieser Lösung auf den eloxierten und
Oxoniumionen + Elektronen      den unbehandelten Teil des Aluminiumblechs. Während
Wasserstoffmoleküle + Wassermoleküle bei ersterem nichts geschieht, scheidet sich auf letzterem
nach wenigen Sekunden unter Gasentwicklung metal­
Mit diesem Verfahren lässt sich die Oxidschicht um lisches Kupfer ab.
mehr als das 1000-Fache verdicken: auf 5 bis 25 Mikrome­
ter. Das Metall darunter ist dadurch wesentlich besser
geschützt. QUELLEN
Das Eloxal-Verfahren können Sie ebenfalls mit einfa-
Ducci, M. et al.: Aluminium in die Spannungs­reihe der Metalle.
chen Mitteln nachstellen. Dazu benötigen Sie ein dünnes Naturwissenschaften im Unterricht – Chemie 66, 2001
Aluminiumblech, ein Schnapsglas, eine 0,5 Millimeter
dicke Bleistiftmine, vier Krokodilklemmen, zwei Kabel, eine Haupt, P. et al.: Farbig Eloxieren. Der mathematisch-natur­
wissenschaftliche Unterricht 52, 1999
9-Volt-Blockbatterie und Batteriesäure, also 38-prozentige
Schwefelsäure, die im Handel für Autozubehör erhältlich Marschall, L.: Aluminium – Metall der Moderne. Oekom, 2008

72 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
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ü
DIE LANGE JAGD
NACH DEN VERBORGENEN
ELEMENTEN
Sie sind weich wie Butter und reagieren explosionsartig, wenn
man sie mit Wasser beträufelt: Die Alkalimetalle verhalten sich
ganz anders als sonstige Metalle, denen wir täglich begegnen.
Ihrer Entdeckung haben sie sich lange widersetzt.

 spektrum.de/artikel/1654768


Als der russische Chemiker Dmitri Mendelejew (1834– Kochsalz als auch aus Glaubersalz herstellen kann. Daraus
1907) und zeitgleich sein deutscher Kollege Lothar folgerte er, dass diese Verbindungen eine gemeinsame
Meyer (1830–1895) die damals bekannten Elemente »Basis« haben müssen. Andreas Sigismund Marggraf
nach Masse sowie wiederkehrenden Eigenschaften sor- (1709–1782) schaffte es mit Hilfe von Experimenten erst-
tierten und das Periodensystem erschufen, ordneten sie mals, zwischen Soda und Pottasche zu unterscheiden:
Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium und Cäsium zusam- Bringt man Soda in die nicht leuchtende Flamme eines
men in eine Gruppe ein. Diese Alkalimetalle, zu denen Bunsenbrenners, färbt sie diese intensiv gelb – Pottasche
außerdem das 1939 entdeckte Francium gehört, bilden hingegen violett. Die »Basis« der Stoffe musste somit
heute gemeinsam mit Wasserstoff die erste Hauptgruppe voneinander verschieden sein.
des Periodensystems. Zuvor hatten sie Wissenschaftlern Dieses Experiment kann man sehr leicht mit der so
allerdings lange Zeit Rätsel aufgegeben. genannten Flammprobe nachvollziehen, einer Methode zur
Natriumchlorid (NaCl) als berühmteste Alkalimetallver- Analyse von chemischen Elementen. Sie beruht darauf,
bindung kennt jeder unter der Bezeichnung Kochsalz. Es dass die Atome beziehungsweise Ionen in einer farblosen
wurde schon in grauer Vorzeit zum Würzen von Speisen Flamme Licht spezifischer Wellenlängen abgeben, das für
verwendet. Soda (Natriumcarbonat, Na2CO3) benutzten die jedes Element charakteristisch ist. Klassisch befeuchtet
alten Ägypter zum Waschen und Reinigen, die Griechen man ein ausgeglühtes Magnesiastäbchen mit etwas
und Römer verwendeten dazu Pottasche (Kaliumcarbonat, verdünnter Salzsäure, taucht es in das zu untersuchende
K2CO3). Beide Stoffe wurden durch die Verbrennung von Salz und hält es schließlich in die Bunsenbrennerflamme.
Seetang und Küstenpflanzen gewonnen. Man verarbeitete Spektakulärer wird dieses Experiment, wenn man jeweils
sie aber nicht nur zu Seife, sondern nutzte sie ebenso bei eine Portion Soda und Pottasche in einem kleinen Gefäß,
der Glasherstellung. Eine weitere Alkalimetallverbindung, zum Beispiel in der Lade einer Streichholzschachtel, auf
die der Chemiker und Apotheker Johann Rudolph Glauber der Heizung trocknet. Danach werden die beiden Stoffe
im Jahr 1625 in Mineralwasser entdeckte, leistet heute zerrieben und in je ein kleines verschließbares Gläschen
noch gute Dienste: Das so genannte Glaubersalz (Natrium- gefüllt. Der Bunsenbrenner wird entzündet und die Luftzu-
sulfat-Decahydrat, Na2SO4 ∙ 10 H2O) wird als Abführmittel fuhr maximal geöffnet, so dass eine nicht leuchtende
in der Medizin verwendet. Flamme entsteht. Nun schüttelt man das Gläschen mit der
Im 18. Jahrhundert begannen Wissenschaftler, die Sodaportion kurz und hält es an die geöffnete Luftzufuhr
chemische Zusammensetzung von Soda und Pottasche des Bunsenbrenners. Die Flamme färbt sich augenblicklich
aufzuklären. Der französische Chemiker Duhamel du gelb, da Sodastäube mit eingesogen werden. Pottasche
Monceau (1700–1782) zeigte, dass man Soda sowohl aus hingegen färbt die Flamme violett. Die Salze der anderen

74 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


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MATTHIAS DUCCI

Alkalimetallsalze zeigen in der an sich nicht leuchten- Eisennadeln in Berührung kamen. Ausgehend von diesen
den Flamme eines Bunsenbrenners charakteristische Versuchen entwickelte der italienische Aristokrat und
Flammenfärbungen (von links nach rechts: Lithium-, Physiker Alessandro Volta (1745–1827) einfache elektro-
Natrium- und Kaliumcarbonat). chemische Zellen, indem er zwei verschiedene Metalle in
eine elektrisch leitfähige Lösung tauchte. Derartige Batte­
rien waren jedoch nicht besonders leistungsfähig. Erst
Alkalimetalle zeigen ebenfalls charakteristische Flammen- als er zahlreiche Zink- und Kupferplatten übereinander­
färbungen: Lithiumverbindungen ergeben eine karminrote stapelte, erreichte er wesentlich stärkere elektrische
Farbe, Rubidiumsalze leuchten rotviolett und Verbindun- Ströme. Zwischen jedes Paar sich berührender Zink- und
gen des Cäsiums blauviolett. Kupferplatten legte er eine mit verdünnter Schwefelsäure
Im 18. Jahrhundert stellten die Menschen zwei weitere getränkte Lederscheibe. Diese Anordnung, die später
Alkalimetallverbindungen her, indem sie Soda und Pott- den Namen Voltasche Säule erhielt, stellte er im Jahr 1800
asche mit gebranntem Kalk (Kalziumoxid, CaO) und Was- der Royal Society vor, einer 1660 gegründeten britischen
ser behandelten: Ätznatron und Ätzkali. Diese Stoffe Gelehrtengesellschaft zur Wissenschaftspflege. Noch im
kennen wir heute als Natrium- beziehungsweise Kalium­ selben Jahr machte er die ersten Elektrolyseversuche.
hydroxid. Weil sie in Wasser stark alkalische und damit Dabei lässt man elektrischen Strom mit Hilfe zweier Elek­
ätzende Lösungen ergeben, bezeichnete man den Herstel- troden durch eine leitfähige Flüssigkeit, beispielsweise
lungsprozess auch als Kaustifizierung (= ätzend machen, eine Salzlösung, fließen. Im System läuft eine Redoxreak­
von griechisch »kaustikos« = ätzend und lateinisch »face- tion ab – ein Stoff wird reduziert, während ein anderer
re« = machen). Chemisch läuft dabei folgende Reaktion ab oxidiert wird.
(»M« steht hierbei für Natrium oder Kalium, die Symbole Der englische Chemiker Humphry Davy (1778–1829)
»s«, »l« und »aq« bedeuten »fest«, »flüssig« sowie »in führte zwischen 1805 und 1806 zahlreiche derartige Versu-
Wasser gelöst«): che durch. So elektrolysierte er unter anderem wäss-
rige Lösungen von Zinksulfat (ZnSO4) und Natriumsulfat
M2CO3 (s) + CaO (s) + H2O (l) —› 2 MOH (aq) + CaCO3 (s)
(Na2SO4). Davy nutzte hierzu zwei Platinelektroden, als
Natrium- beziehungsweise Kaliumcarbonat + Kalziumoxid + Wasser
—› Natrium- beziehungsweise Kaliumhydroxid + Kalziumcarbonat
kostengünstigere Alternative empfehlen sich heute Kohle-
elektroden. Er beobachtete, dass sich am Minuspol eine
Eine bedeutende Erfindung im Jahr 1799 sollte bei der graue Schicht von Zink abscheidet, da die positiv gelade-
Suche nach der Basis von Alkalimetallverbindungen ent- nen Zinkionen in der Lösung zum Minuspol wandern und
scheidend weiterhelfen. dort mit je zwei Elektronen Zinkatome bilden:
1780 bemerkte Luigi Aloisio Galvani (1737–1798), dass
sich die Muskeln in Froschschenkeln zusammenzogen, Minuspol: Zn2+ (aq) + 2 e- —› Zn (s)
wenn diese mit miteinander verbundenen Kupfer- und Zinkion + Elektronen —› Zinkatom

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 75


ü
MATTHIAS DUCCI
In einer Porzellanschale wird geschmolzenes Natriumhydro- zersetzte sich lediglich Wasser zu Wasserstoff und Sauer-
xid elektrolysiert. Dabei entsteht Sauerstoff als Gas am stoff. Doch dann hatte Davy die entscheidende Idee: Er
Pluspol (links), am Minuspol bildet sich elementares Natri- verzichtete auf das Wasser und elektrolysierte die Alkali-
um in Form metallisch glänzender Kügelchen (rechts). salze in geschmolzenem Zustand. Diesen Versuch können
erfahrene Experimentatoren mit den entsprechenden
Schutzvorkehrungen (geschlossener Abzug, Schutzbrille,
Am Pluspol entsteht Sauerstoff (das Symbol »g« steht für Schutzkittel) nachstellen. Hierzu füllt man eine Porzellan-
»gasförmig«): schale etwa einen Zentimeter hoch mit frischem, mög-
lichst wasser­freiem Natriumhydroxid. Zwei mit einer
Pluspol: 2 H2O (l) —› O2 (g) + 4 H+ (aq) + 4 e–
Gleichspannungsquelle verbundene Kupferelektroden
Wassermoleküle —› Sauerstoffmolekül + Wasserstoffionen + Elektronen
ragen so weit wie möglich in die Schale hinein, dürfen sich
aber nicht berühren. Man erhitzt die Schale mit dem
Davy schrieb dazu: »Nimmt man Metallauflösungen, so Bunsenbrenner, bis das Natriumhydroxid vollständig
bilden sich auf dem negativen Platindraht metallische geschmolzen ist. Nun wird die Spannungsquelle einge-
Krystallisationen oder Niederschläge (…) und man findet schaltet und auf 10 bis 15 Volt eingeregelt. Die Schmelze
bald in dem positiven Becher eine bedeutende Menge von braust auf, und es ist eine lebhafte Gasentwicklung (Sau-
Säure.« Da er bei der Elektrolyse mit zwei Gefäßen arbei- erstoff) am Pluspol zu beobachten. Am Minuspol ent­
tete, meinte er mit dem »positiven Becher« die Lösung, in stehen kleine, metallisch glänzende Kügelchen, die sich
die der Pluspol tauchte. Die saure Lösung entsteht, weil teilweise entzünden (Bild oben).
sich neben Sauerstoff Wasserstoffionen bilden, die den Davy schrieb über seine Beobachtungen: »(…) ich
sauren Charakter einer Lösung verursachen. entdeckte aber kleine Kügelchen, die einen sehr lebhaften
Als Davy eine Natriumsulfatlösung elektrolysierte, Metallglanz hatten und völlig wie Quecksilber aussahen.
hoffte er, dass sich ein noch unbekanntes Metall am Einige verbrannten in dem Augenblick, in welchem sie
Minuspol abscheiden würde und er so die immer noch
unbekannte »Basis« des Salzes finden könnte. Zu seiner
MATTHIAS DUCCI

Enttäuschung entwickelten sich an beiden Elektroden Mit einem Küchen-


jedoch nur Gase: Am Pluspol entstand Sauerstoff, und die messer angeschnit-
Lösung wurde sauer, am Minuspol bildete sich Wasser- tene Natriumstange
stoff, und die Lösung wurde alkalisch: mit »Rinde« aus
– – Natriumhydroxid.
Minuspol: 2 H2O (l) + 2 e —› H2 (g) + 2 OH  (aq)
Wassermoleküle + Elektronen —› Wasserstoffmolekül + Hydroxidionen

Obwohl Davy sein Ziel nicht erreicht hatte, war er – wie


fast alle Chemiker seiner Zeit – davon überzeugt, dass
Soda, Pottasche, Ätznatron, Ätzkali sowie andere ähnliche
Verbindungen bis dato unbekannte Metalle enthalten
mussten. Doch trotz des Einsatzes Voltascher Säulen mit
150 Plattenpaaren und einer Spannung von 120 Volt
gelang es niemandem, diese herzustellen. Stattdessen

76 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
gebildet wurden, mit Explosion und lebhafter Flamme;

MATTHIAS DUCCI
andere blieben bestehen, liefen aber an und bedeckten
sich zuletzt mit einer weißen Rinde, die sich an ihrer
Oberfläche bildete.« Der Chemiker soll bei seinen Entde-
ckungen derart begeistert gewesen sein, dass er seine
Arbeit erst nach einer Pause fortsetzen konnte.
Bei dieser so genannten Schmelzflusselektrolyse laufen
die folgenden Prozesse ab:
Minuspol: Na+ (l) + e– —› Na (l)
Natriumion + Elektron —› Natriumatom

Pluspol: 4 OH– (l) —› 2 H2O (l) + O2 (g) + 4 e–


Hydroxidionen —› Wassermoleküle + Sauerstoffmolekül + Elektronen

Mit Ätzkali erhielt Davy ähnliche Ergebnisse. Er nannte die


beiden neuen Metalle Sodium und Potassium, abgeleitet
von Soda und Pottasche. Jöns Jakob Berzelius (1779–1848)
gab ihnen die deutschen Bezeichnungen Natrium und
Kalium und ordnete ihnen die chemischen Symbole Na
und K zu. Die anderen Alkalimetalle wurden erst Jahrzehn-
te später entdeckt und in Reinform dargestellt.
Davy wie auch andere Chemiker seiner Zeit machten Beim Entsorgen von Natriumschnipseln in einer ethanolischen
sich nach der Isolierung der neuen Elemente gleich daran, Pyraninlösung ändert sich die Fluoreszenz unter UV-Licht
ihre Eigenschaften zu untersuchen: Sie sind so weich, (Wellenlänge 365 nm) von blau zu grün.
dass sie mit einem normalen Messer durchgeschnitten
und portioniert werden können (Bild S. 76 unten). Da sie
schon an der Luft rasch anlaufen und eine Hydroxid-
schicht bilden, hatte er die Idee, sie in einer Flüssigkeit
aufzubewahren. Hierzu eignet sich Paraffinöl, in dem
heute noch Alkalimetalle gelagert werden. Mit Wasser
dagegen reagieren sie heftig; dabei bildet sich Wasser-
stoff, der sich mitunter entzündet, sowie eine alkalische
Lösung. Bei Kalium verläuft dieser Prozess sogar explosi-
Ethanolation + Pyranin —› Ethanolmolekül + Pyranin (deprotoniert)
onsartig. Chemisch formuliert erhält man:
Pyranin (links) fluoresziert unter UV-Licht blau, während seine
2 Na (s) + 2 H2O (l) —› 2 Na+ (aq) + H2 + 2 OH– (aq)
deprotonierte Form (rechts) dann grün leuchtet.
Natriumatome + Wassermoleküle —› Natriumionen + Wasserstoff-
molekül + Hydroxidionen

Beim Experimentieren fallen beim »Entrinden« des ange- Alkalimetallverbindungen dienen heute unter ande-
laufenen Metalls zahlreiche kleine Schnipsel an, die ele- rem zur Energieerzeugung sowie -speicherung (etwa in
mentares Natrium enthalten und entsorgt werden müssen. Lithium-Ionen-Akkumulatoren), zu medizinischen Zwecken
Dazu gibt man sie in Ethanol, wo sie entsprechend der (beispielsweise Lithiumzitrat in der Neurologie) und als
folgenden Gleichung vergleichsweise gemächlich mitein- Addi­tive in Betonbauten (Lithiumverbindungen). Man fin-
ander reagieren: det sie in Feuerwerkskörpern (beispielsweise Kaliumchlo-
rat), als Gewürz auf dem Frühstücksei (Natriumchlorid)
2 Na (s) + 2 C2H5OH (l) —› 2 Na+ (aq) + 2 C2H5O– (aq) + H2 (g)
und im Düngemittel (darunter Natrium- und Kalium­salze)
Natriumatome + Ethanolmoleküle —› Natriumionen + Ethanolationen +
Wasserstoffmolekül
für das Getreide, aus dem unser Frühstücksbrötchen
entsteht. 
Dieses (Entsorgungs-)Experiment ist wesentlich eindrucks-
voller, wenn man zuvor den Fluoreszenzfarbstoff Pyranin
in Ethanol löst. Unter UV-Licht (Wellenlänge 365 Nano­ QUELLEN
meter) fluoresziert Pyranin in Ethanol intensiv blau. Gibt Davy, H.: Electrochemische Untersuchungen. Ostwald, W.
man Natriumreste in diese Lösung, so dass die oben (Hg.): Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften 45, 1893
beschriebene Reaktion einsetzt, ändert sich die Fluores- Jansen, W. et al.: Die Entdeckung der Alkalimetalle Natrium
zenz spektakulär von blau nach grün (Bild oben). Dies liegt und Kalium. Praxis der Naturwissenschaften – Chemie in der
daran, dass die entstehenden Ethanolationen jeweils ein Schule 4, 1991
Proton aus den Farbstoffmolekülen abspalten. Dadurch Stalke, D.: Alkalimetalle – reaktive Alleskönner. Praxis der
ändern sich die Fluoreszenzeigenschaften des Pyranins. Naturwissenschaften – Chemie in der Schule 3, 2014

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 77


ü
MINIBÄUME AUS SILBER,
ZINN UND CO.
Auch Chemiker können Fraktale erzeugen – und sogar live unter
dem Mikroskop verfolgen, wie die hochgradig verzweigten
Strukturen bei Fällungsreaktionen von Metallen entstehen.

 spektrum.de/artikel/1405258


Als der Mathematiker Benoît Mandelbrot (1924–2010)
1975 den Begriff des Fraktals prägte, schuf er einen

MARCO OETKEN
ganz neuen Zweig der Geometrie, der in der Folge
große Popularität erlangte. Berühmt wurde vor allem das
»Apfelmännchen«, das die neuartigen Ideen auf faszinie-
rende Weise veranschaulichte und mit seiner wunderba-
ren Ästhetik viele Menschen begeisterte. Doch auch in der Das Paradebeispiel eines mathematischen Fraktals ist der
Natur sind Fraktale weit verbreitet. Als Beispiele gelten vor Koch-Stern. Hier sind die ersten Schritte zu seiner Konstruk­
allem Küstenlinien und Schneeflocken. Weniger bekannt tion gezeigt.
ist dagegen, dass die Chemie ebenfalls eindrucksvolles
Anschauungsmaterial für das Konzept bietet. So entstehen beobachten. Außerdem ist es möglich, die Vorgänge am
bei der Fällung von Metallen aus Salzlösungen winzige, Computer zu simulieren.
vielfach verzweigte Strukturen, bei denen es sich um
natürliche Fraktale handelt. Besonders aufregend ist, dass Grundlagen der fraktalen Geometrie
sich die Bildung dieser Metallbäumchen unter dem Mikro- Der Begriff Fraktal leitet sich von dem lateinischen Wort
skop direkt verfolgen lässt. Auch Laien können solche »fractus« ab, das gebrochen oder irregulär bedeutet. Er
Versuche mit einfachen Mitteln durchführen und so frakta- bezeichnet mathematische Abbildungen oder real existie-
le Wachstumsprozesse in der Natur mit eigenen Augen rende Formen, die sich mit der klassischen euklidischen
Geometrie nicht angemessen beschreiben lassen. Aus
deren Sicht bilden gerade Linien oder einfache Figuren wie
Kreise, Kugeln, Dreiecke und Würfel die Grundbausteine
aller natürlichen Körper und dienen folglich dazu, die
Volumina, Oberflächen oder Umfänge solcher Körper zu
MARCO OETKEN, NACH PEITGEN, H.-O., JÜRGENS, H., SAUPE, D.: BAUSTEINE DES CHAOS. FRAKTALE. KLETT-COTTA 1992

ermitteln. Mandelbrot erkannte, dass dies ein zu einge-


schränktes Weltbild ergibt und der Komplexität natürlicher
Strukturen oft nicht gerecht wird.
Die Grundidee der fraktalen Geometrie besteht darin,
statt des fertigen, komplexen Musters die Konstruktions-
dreifach vergrößert methode dafür zu beschreiben. Das wohl bekannteste
Beispiel ist der so genannte Koch-Stern. Um ihn zu erhal-
ten, nimmt man ein gleichseitiges Dreieck, drittelt jede
gerade Strecke und ersetzt das mittlere Drittel jeweils
durch ein gleichschenkliges »Dach«. Auf das e ­ ntstehende

Eine charakteris­tische Eigenschaft von Fraktalen ist ihre


Selbstähnlichkeit. Zum Beispiel liefert ein Ausschnitt
des Koch-Sterns bei dreifacher Vergrößerung ein exaktes
Abbild der Originalkurve.

78 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
Gebilde wendet man die gleiche Metallsalzlösung zwischen
Deckglas und Objektträger
Vorschrift stets von Neuem an (Bild
S. 78 oben). kleines Metallblech
Deckglas als Reduktionsmetall
Durch diese stetige Wiederholung,
Iteration genannt, entsteht eine
immer komplexere Struktur, die in
ihrer Feinheit schnell die Grenze der

MARCO OETKEN
grafischen Auflösbarkeit erreicht. Das Glas-Objektträger
Bildungs­gesetz gibt jedoch keinen
Endpunkt vor. Der Koch-Stern ist Versuchsanordnung zur Abscheidung von Metallbäumen.
daher prinzipiell unendlich in seiner
Struktur; Umfang oder Fläche lassen
sich grundsätzlich nicht angeben.
Aus dem Bildungsgesetz der
Fraktale folgt als weitere charakteris­
tische Eigenschaft ihre Selbstähnlich-
keit: Wird ein kleiner Ausschnitt des
Koch-Sterns auf die Dimensionen der
Gesamtfigur vergrößert, entsteht ein
identisches Abbild des Originals (Bild
S. 78 links).

MARCO OETKEN
Eine Hierarchie von Verzweigungen
1,5 cm
Die Selbstähnlichkeit ist ebenso ein
­Erkennungsmerkmal natürlicher Eine Silberhecke (links) zeigt selbst bei 100-facher Vergrößerung (rechts)
Fraktale, unter denen die so genann- noch die für Fraktale typische feine Verästelung.
ten Baumfraktale oder Dendriten (von
­griechisch: »dendron« = Baum) eine
besonders vielfältige Klasse bilden. Zu
ihnen gehört neben dem Astwerk von
Bäumen auch die Aderung von Blät-
tern. Weitere Beispiele sind Flussdel-
tas, Blutgefäßsysteme, Nervenzellen,
Bronchien und Pflanzenwurzeln. Die
Selbstähnlichkeit dieser Baumfraktale
besteht in der Hi­erarchie aus Aufspal-
1,5 cm
tungen, ausgehend vom Stamm zu
den Seitenästen und immer kleineren

MARCO OETKEN
Verzweigungen. Im Unterschied zu
den mathematischen Fraktalen gilt die
Selbstähnlichkeit hier allerdings nur in Die Kupferhecke – als Gesamtansicht (links) und in 100-facher Ausschnitts­
einem begrenzten Größenbereich. vergrößerung (rechts) – erscheint buschiger als der Silberbaum.
Außerdem stimmen Aussehen und
Ver­zwei­gungsmuster von Haupt- und
Nebenast meist nicht exakt überein.
Trotzdem ist bei entsprechender
Vergrößerung ein Ausschnitt häufig
nur schwer von der Gesamtstruktur
zu unterscheiden, weshalb man von
einer statistischen Selbst­ähnlichkeit
sprechen kann.
Die Vielfalt von Baumfraktalen in
ganz unterschiedlichen Bereichen der
belebten und unbelebten Natur macht
MARCO OETKEN

deutlich, dass sie ein fundamentales


1,5 cm
Strukturprinzip in der Natur verkör-
pern. In der Biologie sind diese Struk­ Die Zinnhecke – wiederum als Gesamtansicht (links) und bei 100-facher Aus-
turen oft an Stoffwechselprozesse schnittsvergrößerung (rechts) – zeichnet sich durch spießartige Triebe aus,
gekoppelt. Zum Beispiel dient der von denen die Nebenäste jeweils rechtwinklig abzweigen.

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 79


ü
Baumfraktale bilden sich aber auch bei manchen
­ hemischen Reaktionen, die sich mit einfachen Mitteln
c
durchführen lassen. Als Geräte benötigen Sie ein Mikro­
skop, Objektträger aus Glas, Deckgläser und Pipetten.
Für die Reaktionen selbst brauchen Sie kleine Metallble-
che aus Zink, die im Baumarkt erhältlich sind, sowie
Lösungen bestimmter Metallsalze, die Sie in der Apotheke
kaufen können. Sehr schöne Metallbäume ergeben sich
mit Silbernitrat (AgNO3 ), Kupfer(II)-chlorid (CuCl2 ) oder
Zinn(II)-chlorid (SnCl2 ).
MARCO OETKEN

Pipettieren Sie zunächst ein bis zwei Tropfen der ver-


dünnten (0,5-molaren) Metallsalzlösung auf den Objektträ-
ger des Mikroskops und drücken Sie ein Deckglas darauf, so
dass sich im Zwischenraum nur ein dünner Flüssigkeitsfilm
befindet. Legen Sie anschließend ein sorgfältig gereinigtes
Zinkblech auf den Objektträger und schieben Sie es vor-
sichtig gegen das Deckglas, so dass es in Kontakt mit der
Metallsalzlösung darunter kommt (Bild S. 79 oben).
Da Zink unedler ist als Silber, Kupfer oder Zinn, redu-
ziert es die Metallsalze und löst sich dabei auf, während
die edleren Metalle abgeschieden werden. Unter dem
Zunehmende Ausschnittsvergrößerungen eines Bleibaums Mikroskop erhalten Sie bei etwa 40- bis 100-facher Vergrö-
veranschaulichen das Prinzip der Selbstähnlichkeit. ßerung einen faszinierenden Einblick in diesen Vorgang.
Sie sehen, wie eine baumartig verzweigte Struktur in den
Flüssigkeitsfilm zwischen Objektträger und Deckglas
hineinwächst. Deren Form lässt sich am besten bei Durch-
oberirdische Spross einer Pflanze der Absorption von licht beobachten, während im Auflicht Farbigkeit und
Lichtenergie und dem Gasaustausch mit der Atmosphäre. Glanz des Metalls hervortreten.
Die fraktale Verzweigung sorgt dabei für eine möglichst Aus einer Silbernitratlösung scheiden sich filigrane
große Oberfläche, was einen maximalen Stoffumsatz Bäume mit langen Nadeln ab, die bei geeigneter Ausleuch-
ermöglicht. Die Entwicklung solcher Strukturen hat somit tung im typischen Silberglanz erstrahlen. Die chemische
eine wichtige Rolle in der Evolution gespielt. Gleichung für diese Reaktion lautet:

MARCO OETKEN, NACH WITTEN, T.A., SANDER, L.M.: DIFFUSION-LIMITED AGGREGATION. PHYSICAL REVIEW LETTERS 47, 1981

Mit dem Modell des diffusionsgesteuerten Wachstums lässt sich die Entstehung von Metallbäumen am Computer
simulieren. Hier sind die Ergebnisse zweier Durchgänge gezeigt, bei denen sich 3000 Teilchen, ausgehend vom Bild-
rand, auf Zufallsbahnen bewegten und sich jeweils dort anlagerten, wo sie auf das vom Zentrum herauswachsende
Fraktal stießen. Die zuerst gestarteten Teilchen sind rot und die zuletzt losge­laufenen blau gefärbt.

80 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


ü
darum gezogenen Kreis. Von einem zufälligen Ort auf
+ 2+
2 Ag  (aq) + Zn(s) 2 Ag (s) + Zn  (aq) diesem Kreis wird dann ein Teilchen gestartet und schritt-
weise bewegt. Über die Bewegungsrichtung entscheidet
Dabei steht »aq« (englisch: aqueous) für »in Wasser ge- jeweils ein Zufallsgenerator, so dass das Teilchen unvor-
löst« und »s« (englisch: solid) für »Festkörper«. hersagbar über das Gitternetz wandert. Stößt es dabei an
Mit Kupferchlorid-Lösung bilden sich strauchartige den zentralen Wachstumskeim – im Experiment die Kante
Strukturen in charakteristischem Kupferrot. Die chemische des Zinkblechs –, so lagert es sich an ihn an und erweitert
Reaktion lautet entsprechend: ihn. Anschließend beginnt dasselbe Spiel von vorne.
Die ersten Teilchen scheiden sich an einem zufälligen
2+ 2+
Cu  (aq) + Zn (s) Cu (s) + Zn  (aq) Ort direkt am Urkeim ab. Dadurch entstehen Unebenhei-
ten und kleine Auswüchse. Nachfolgende Partikel stoßen
Aus einer Zinnchlorid-Lösung wiederum sprießt gemäß mit höherer Wahrscheinlichkeit an diese exponierten
der Gleichung Stellen und bleiben dort haften. Deshalb vergrößern sich
die Auswüchse stetig. Dieser Selbstverstärkungseffekt
2+ 2+
Sn  (aq) + Zn (s) Sn (s) + Zn  (aq) prägt sich mit der Zeit immer stärker aus, denn kaum ein
wanderndes Teilchen schafft es dann noch, bis tief in die
sehr schnell eine großflächige Hecke, die im Auflicht silbrig- entstehenden »Fjorde« zu gelangen, ohne vorher bereits
metallisch glänzt. Sie verblüfft durch ihre regelmäßige, angelagert zu werden. In gleicher Weise bilden sich Ver-
skurril anmutende Struktur mit einem rechtwinkligen zweigungen, wenn zufällig entstandene Unebenheiten an
Verzweigungsmuster. den Spitzen eines Auswuchses über den Selbstverstär-
Die Bäume jedes Metalls zeichnen sich also durch kungseffekt zu Nebenästen auswachsen.
spezifische Eigenheiten in Bezug auf Verzweigungsform, Obwohl das Modell des diffusionsgesteuerten Wachs-
-grad und -winkel sowie Farbigkeit und Glanz aus, die von tums die zerklüftete, fraktale Struktur der Metallbäume in
den Besonderheiten des jeweiligen Atomgitters und der den Grundzügen verständlich macht, kann es die beobach-
Bindungsverhältnisse abhängen. Dieses typische Muster teten Unterschiede zwischen den Aggregaten der diversen
tritt über verschiedene Vergrößerungsstufen hinweg Metalle allerdings nicht erklären. Ginge es grundsätzlich
immer wieder auf – was die Selbstähnlichkeit des Metall­ nach dem einfachen Prinzip »Anlagerung bei Kontakt«,
aggregats widerspiegelt. Die Bilder auf S. 79 zeigen die sollten stets Gebilde mit der gleichen makroskopischen
individuellen Muster der Metallfraktale eindrucksvoll. Struktur entstehen. Dass das nicht der Fall ist, kann nur
einen Grund haben: Für die Metallabscheidung gelten
Warum bei der Metallabscheidung Fraktale entstehen kompliziertere Regeln, die materialspezifisch sein müssen.
Angesichts solcher Beobachtungen stellt sich natürlich die Untersuchungen der dabei ablaufenden atomaren
Frage, warum sich das Metall in einer derart verzweigten Vorgänge haben gezeigt, dass ein Metallion beim Kontakt
Struktur abscheidet und nicht als glatter, kompakter Block, mit einem Wachstumskeim zwar unmittelbar entladen
der sich vom Zinkblech weg ausbreitet. Die Antwort liefert wird, aber nicht sofort seinen endgültigen Platz einnimmt.
ein Modell, das auf einer Kopplung von festen Wachstums­ Vielmehr bildet es zunächst ein so genanntes Ad-Atom,
regeln mit zufälligen Ereignissen beruht. Als entscheiden- das noch nicht fest in das Gitter des schon vorhandenen
der Zufallsfaktor wirkt die ­völlig unregelmäßige und nicht Metallaggregats eingebunden ist, sondern an dessen
vor­hersagbare Diffusionsbewegung der Metallionen in der Oberfläche entlanggleiten kann. Wo es schließlich landet
Lösung. Kollidiert ein solches Teilchen dabei mit der Kante und unwiderruflich eingebaut wird, hängt dann von
des Zinkblechs im Elektrolyten, so wird es an dieser Stelle ­metallspezifischen Gegebenheiten wie der Art der Kugel-
unmittelbar reduziert, das heißt durch Aufnahme von packung, der Gittergeometrie oder der Bevorzugung
Elektronen entladen, und lagert sich daraufhin als neutra- bestimmter Kristallflächen ab.
les Atom an. Wegen der elek­trischen Leitfähigkeit von
Metallen bildet jedes derart abgeschiedene Atom eine
Elektronen leitende Verbindung zum Zinkblech und wird
damit selbst zum erweiterten Wachstumskeim. Unzählige
QUELLEN
Wiederholungen des beschriebenen Vorgangs auf atoma-
rer Ebene führen schließlich zu der verästelten, baum­ Budevski, E. et al.: Electrochemical phase formation and
growth. An introduction to the initial stages of metal deposition.
artigen Struktur.
Wiley-VCH, 1996
Dieses Modell eines diffusionsgesteuerten Wachstums,
das Thomas A. Witten von der University of Chicago und Fischer, H.: Elektrokristallisation von Metallen. Zeitschrift für
Elektrochemie 59, 1955
Leonard M. Sander von der University of Michigan in Ann
Arbor entwickelt haben, lässt sich auch am Computer Mandelbrot, B. B.: Die fraktale Geometrie der Natur. Birkhäuser,
nachvollziehen. Dabei entstehen virtuelle Aggregate, die 1991
den natürlichen Metallbäumen stark ähneln (Bilder S. 80 Witten, T. A., Sander, L. M.: Diffusion-limited aggregation –
unten). a kinetic critical phenomenon. Physical Review Letters 47, 1981
Ausgangspunkt einer solchen Simulation ist ein Gitter- Wranglén, G.: Dendrites and growth layers in the electrocrystal-
netz mit einem Wachstumskeim als Ursprung und einem lization of metals. Electrochimica Acta 2, 1960

Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20 81


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Die nächste Ausgabe dieser Reihe ist ab 21. 8. 2020 im Handel.

VORSCHAU
GRENZGÄNGE DER PHYSIK THEMEN SIND UNTER ANDEREM:
Am Anfang von Revolutionen steht oft Denken über Fachgebiete
hinaus: das Erkennen von Zusammenhängen und von Potenzial in VORSTOSS ZUR
benachbarten Disziplinen, die kreative Herangehensweise an hart- RAUMTEMPERATUR
näckige Probleme. So nutzen Quantenforscher, die sich normaler­
weise mit Systemen aus wenigen, genau beschreibbaren Objekten Ein Werkstoff, der seinen elek­tri­
befassen, inzwischen die Werkzeuge der Thermodynamik, obwohl schen Widerstand bei normalen
diese eigentlich für unüberblickbar große Teilchenmengen ge- Umgebungsbedingungen verliert,
dacht sind. Doch beide Bereiche haben überraschende Gemein­ ist seit Langem ein Traum in der
samkeiten. Andere Theoretiker versuchen, aus einer neuen quan­ Materialwissenschaft. Jüngste
tenmechanischen Perspektive heraus Schwarzen Löchern ihre Erkenntnisse bringen Theorie und
Geheimnisse zu entreißen. Was auch immer am Ende der zuvor Experiment endlich besser zu­
unbeschrittenen Pfade wartet – bereits der Weg dorthin liefert sammen.
spannende physikalische Einblicke.

ZEITKRISTALLE
In herkömmlichen Kristallen wieder­
holen sich räumliche Strukturen
regelmäßig. Ein unkonventioneller
Ansatz offenbart bei bestimmten
Quantensystemen eine ganz unge­
wöhnliche Art von Symmetrie: in
der Zeit!

ANTIMATERIE IN
NEUEM LICHT
Unterscheiden sich Antiteilchen nur
hinsichtlich ihrer Ladung – oder fällt
auch ihre Masse anders aus? Experi­
mente sollen diese gewagte Hypo­
these überprüfen. Sie würde sogar
ein neuartiges kosmologisches
Modell ermöglichen.

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82 Spektrum SPEZIAL  Physik Mathematik Technik  2.20


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