Professional Documents
Culture Documents
Spektrum Der Wissenschaft Spezial Physik Mathematik Technik 2 20
Spektrum Der Wissenschaft Spezial Physik Mathematik Technik 2 20
20
SPEZIAL Physik Mathematik Technik
SPEZIAL Physik Mathematik Technik
Chemische
Überraschungen
Experimente zwischen magischen
Farben und verborgenen Metallen
24525
8,90 € (D) · € 9,70 (A) · � 8,90 (L) · sFr. 17,40
€ 4,99
je digitale
Ausgabe
UNSPLASH/SAMUEL ZELLER(HTTPS://UNSPLASH.COM/PHOTOS/WATWFK3WSWM)/
CC0 (HT TPS://CRE ATIVECOMMONS.ORG/PUBLICDOMAIN/ZERO/1.0/LEGALCODE
Liebe Leserinnen und Leser, begeben Sie sich mit uns für einen kurzen
Augenblick gedanklich nach London zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Wir wünschen Ihnen eine gute chemische Unterhaltung mit diesem Heft!
Ihre
Matthias Ducci und Marco Oetken
DETEKTIVARBEIT
40 GRAPHENPRODUKTION IM HOBBYKELLER
Graphen besitzt einzigartige Eigenschaften und gilt
18
als Material der Zukunft. Die gerade mal atomdicken DIE BUNTE WELT DER AZOFARBSTOFFE
Folien herzustellen, ist gar nicht schwer.
43
Ein simples Exemplar einer Batterie, die Luftsauerstoff
zur Stromerzeugung nutzt, kann jeder mit einer Cola-
Dose und Aktivkohle selbst bauen.
EIN DIAMANT
IST UNVERGÄNGLICH? BEGEHRTE METALLE
68 FRÜHER UNERSCHWINGLICH,
HEUTE ALLERWELTSSTOFF
Weil Aluminium äußerst reaktionsfreudig ist, wurde es
erst ziemlich spät entdeckt. Es ließ sich zunächst nur
schwer herstellen, so dass es kostbarer war als Gold.
3 EDITORIAL ∙ 67 IMPRESSUM ∙ 82 VORSCHAU
Vor einigen Jahren schossen sie wie Pilze aus dem OH
Boden: Verkaufsstellen von so genanntem Bubble Tea. OH
Das Faszinierende an diesem stark gesüßten Mix
MATTHIAS DUCCI
C OOH HO O C
O
getränk aus Tee, Milch und Fruchtsirup sind farbige, im OH
O OH
Innern flüssige Kügelchen, Popping Bobas genannt, die
HO OH
beim Kauen zerplatzen (Bild rechts oben). Doch bescheren HO
sie nicht nur ausgefallene Gaumenfreuden, sondern be OH
stechen darüber hinaus durch die reizvolle Chemie, die in Alginsäure ist ein Biopolymer aus Braunalgen, in dem bis zu
ihnen steckt – oder sich mit ihnen treiben lässt. Interes 3000 Exemplare zweier Zuckereinheiten aneinandergereiht
sant ist allein schon die Frage nach den molekularen sind. Dabei handelt es sich um b-D-Mannuronsäure (links) und
Vorgängen bei ihrer Bildung. Aber ganz besonderen Spaß α-L-Guluronsäure (rechts).
verspricht die Möglichkeit, chemische Reaktionen ins
Innere der Alginatbällchen zu verlagern. Auf diese Weise
gelingt es, mit einfachen Mitteln verblüffende Experimente einheiten aufgebaut sind. Genauer gesagt gehört Algin
zu Hause durchzuführen! säure wie Stärke oder Zellulose zu den Polysacchariden.
Anders als diese, welche nur aus Glukoseeinheiten beste
Vielseitiges Naturprodukt hen, setzt sie sich allerdings aus zwei unterschiedlichen
Alginsäure ist das strukturgebende Molekül der Zellwände Bausteinen zusammen (Bild oben), der α-L-Guluronsäure
von Braunalgen, aus denen der britische Chemiker und (abgekürzt G) und der b-D-Mannuronsäure (M). Beide sind
Pharmazeut Edward C. C. Stanford (1837–1899) die Sub so genannte Zuckersäuren, die bei der Oxidation von
stanz schon 1880 erstmals gewinnen konnte. Heutzutage Zuckermolekülen entstehen. In einzelnen Alginsäuremole
werden Alginsäure und ihre Salze, die Alginate, im Maß külen hängen bis zu 3000 von ihnen aneinander. Dabei
stab von 40 000 Tonnen pro Jahr produziert. Verwendung wechseln sie sich keineswegs immer schön regelmäßig
finden sie unter anderem in der Lebensmittelindustrie als ab. Vielmehr existieren auch Bereiche, in denen viele
Emulgatoren, Gelier-, Überzugs- und Verdickungsmittel G- oder M-Bausteine direkt aufeinander folgen: Chemiker
sowie in der Medizin als Wundauflage oder Abformmasse. sprechen von GG- und MM-Blöcken.
Chemisch gesehen ist Alginsäure ein Biopolymer. Als Zur Herstellung von Popping Bobas dient wegen der
Polymere bezeichnet man langkettige Moleküle, die aus besseren Wasserlöslichkeit nicht Alginsäure, sondern ihr
+
einer oder mehreren sich stetig wiederholenden Struktur Natriumsalz, das Natriumalginat, in dem das Proton (H )
+
der Carboxylgruppen (–COOH) durch ein Natriumion (Na ) keitsrest allerdings innerhalb weniger Minuten, wenn man
ersetzt ist. In Gegenwart von Ionen bestimmter Metalle die Bällchen in der Kalziumsalzlösung belässt. Man sollte
wie etwa Kalzium verfestigen sich wässrige Natriumalgi sie deshalb möglichst rasch daraus entfernen.
nat-Lösungen zu einer glibberigen, geleeartigen Masse. Bei unseren Experimenten schleusen wir Stoffe in die
Bei dieser Gelierung verflechten sich die fadenförmigen Alginatbällchen ein und lassen sie dort miteinander rea
Einzelketten zu dreidimensionalen Gebilden. Der Grund gieren. Dabei treten teils beeindruckende Farbeffekte auf.
dafür ist, dass sich die Metallionen insbesondere in den Zur Vorbereitung der Versuche gibt man ein Gramm
GG-Blöcken einlagern. Denn diese bilden mit ihrer Zick Natriumalginat, das sich über das Internet beziehen lässt,
zackstruktur passende Hohlräume, wenn sich zwei von in ein Glasgefäß (zum Beispiel ein 100-Milliliter-Becher
ihnen aneinanderlegen (Bild rechts unten).
terschiedlich gefärbt, je
nachdem, ob sie sich
in einem sauren, neutralen
oder alkalischen Medi-
um befinden (von links
nach rechts).
glas) und fügt 50 Milliliter heißes, aber nicht mehr sieden Als besonders geeignet für unsere Experimente hat
des Wasser hinzu. Anschließend rührt man fünf bis zehn sich das pH-Testset (3,0–10,0) von JBL erwiesen (zu bezie
Minuten lang kräftig mit einem Glasstab, bis sich alles hen beispielsweise bei Kölle-Zoo). Darin enthalten ist
vollständig gelöst hat. Diese Lösung reicht für sämtliche ebenso ein 20-Milliliter-Messbecher, in den Sie fünf Milli
hier beschriebenen Experimente. Denken Sie bitte daran, liter Natriumalginat-Lösung füllen. Fügen Sie anschließend
beim Hantieren mit heißen Lösungen und Chemikalien 40 Tropfen der Indikatorlösung sowie zwei Milliliter Was
stets eine Schutzbrille und gegebenenfalls Schutzhand ser hinzu und verrühren Sie das grün gefärbte Gemisch
schuhe zu tragen. mit einem Glasstab.
Nun lösen Sie ein Gramm Kalziumlaktat (erhältlich im
Experimente mit pH-Indikatoren Internet) in 50 Milliliter Wasser und geben mit einer Pipette
Für den ersten Versuch verwenden wir einen pH-Indikator, einzeln nacheinander 40 bis 60 Tropfen der Indikatoralginat-
der durch seine Farbe anzeigt, ob eine Lösung sauer oder Lösung hinzu. Dabei entstehen grüne Bällchen. Gießen
alkalisch ist. Meist handelt es sich um eine organische Sie die Lösung durch ein feines Teesieb und stellen Sie es,
Verbindung, die ein positiv geladenes Wasserstoffion, also nachdem Sie die darin aufgefangenen Kügelchen mit
+
ein Proton (H ), abspalten und auf ein Wassermolekül Wasser abgespült haben, zum Entfernen des restlichen
übertragen kann, wobei ein so genanntes Oxoniumion Spülwassers auf saugfähiges Haushaltspapier. Schließlich
+
(H3O ) entsteht. Wir wollen dafür kurz HIn schreiben, verteilen Sie die Alginatbällchen auf drei Zehn-Milliliter-Roll-
wobei »H« das Elementsymbol für Wasserstoff ist, wäh randgläschen (Tablettengläser), die Sie zuvor je zur Hälfte
rend »In« für den Rest des Indikatormoleküls steht. mit einer Flüssigkeit gefüllt haben: das erste mit Essig, das
In Wasser bildet sich das folgende chemische Gleich zweite mit purem Wasser und das dritte mit Wasser, in
gewicht aus (die Kürzel »aq« und »l« bedeuten »in Wasser dem eine Messerspitze Haushaltssoda (Na2CO3) gelöst ist.
gelöst« beziehungsweise »flüssig«): Wie von Geisterhand färben sich die Alginatbällchen im
Essig rot und in der Sodalösung lila, während sie im neu
– +
HIn (aq) + H2O (l) In (aq) + H3O (aq) tralen Wasser ihr grünes Aussehen behalten (Bild oben).
Indikatormolekül + Wassermolekül Verantwortlich für die Farbänderungen sind die Oxo
Indikatorion + Oxoniumion niumionen in der sauren sowie die Hydroxidionen in der
alkalischen Lösung, die durch den Kalziumalginatmantel
Durch die Übertragung des Protons ändert der Indikator diffundieren können. Im Innern der Alginatbällchen be-
seine Farbe, Methylorange zum Beispiel von Rot nach wirken sie dann die oben beschriebenen Verschiebungen
Gelb. Wenn Sie diesen Indikator in eine saure Lösung in der Gleichgewichtsreaktion zwischen Wasser und
geben – also eine, die viele Oxoniumionen enthält –, dann pH-Indikator. Dieser besteht in unserem Fall aus einem
liegt er überwiegend in der HIn-Form vor, weil sich das Gemisch mehrerer Substanzen, das im sauren Milieu rot,
oben formulierte Gleichgewicht nach links verschiebt. Des im alkalischen violett und im neutralen grün erscheint.
halb ist die Lösung rot gefärbt. In alkalischen Lösungen
–
kommen dagegen zahlreiche Hydroxidionen (OH ) vor, die Die Wirkung von »Brausegas«
mit Oxoniumionen zu Wasser reagieren. auf Indikator-Alginatbällchen
Ein weiterer verblüffender Farbeffekt ergibt sich, wenn
+ –
H3O (aq) + OH (aq) 2H2O (l) Sie die grünen Bällchen mit Kohlenstoffdioxid (CO2) in
Oxoniumion + Hydroxidion Wassermoleküle Kontakt bringen – jenem Gas, das im Alltag meist fälsch
lich als Kohlensäure bezeichnet wird und Sprudelwasser
Als Folge davon werden die Oxoniumionen gemäß der oder Limonade so schön auf der Zunge prickeln lässt.
obigen Gleichgewichtsreaktion ständig nachgebildet, Geben Sie dazu eine Vitaminbrausetablette in ein 100-Milli-
–
wobei das HIn sein Proton abgibt und in die In -Form über liter-Becherglas mit 10 Milliliter Wasser und decken Sie es
geht. Darum ist eine alkalische Lösung mit Methylorange lose mit einem Stück Pappe ab. Die Tablette enthält unter
gelb gefärbt. Chemische Umsetzungen, bei denen Proto anderem Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3), besser
nen übertragen werden, bezeichnet man ganz allgemein bekannt als Natron, sowie Zitronensäure. Letztere bildet in
als Säure-Base-Reaktionen. Wasser Oxoniumionen, die mit dem Hydrogencarbonation
Faszinierende Effekte
mit Textmarkern und Zaubermalern
Mit einem Farbumschlag reagiert auch das in diversen
Alltagsprodukten enthaltene Pyranin auf eine Änderung
der Konzentration von Wasserstoffionen in einer Lösung.
Es fluoresziert bei Tageslicht gelb und wird deshalb in
Beim Versetzen mit Kohlenstoffdioxid ändern die Alginat manchen Textmarkern sowie teilweise in Duschgels ver
bällchen mit eingeschlossenem pH-Indikator von JBL ihre wendet. Um diesen pH-Indikator in die Alginatbällchen
Farbe von Grün nach Gelb. einzuschleusen, bemalen Sie ein etwa drei mal fünf Zenti
meter großes Stück Filterpapier beidseitig mit einem
gelben Textmarker von Herlitz, Faber-Castell oder Pelikan.
–
(HCO3 ) des Natrons zu Kohlenstoffdioxid und Wasser Anschließend bewegen Sie es in fünf Milliliter Wasser hin
reagieren. Deshalb löst sich die Tablette schäumend auf. und her, bis sich der größte Teil des F
arbstoffs gelöst hat.
Die entsprechende Reaktionsgleichung lautet (der Zusatz Nach Zugabe von fünf Millilitern Natriumalginat-Lösung
»g« steht für »gasförmig«): tropfen Sie den Extrakt wie üblich in eine Kalziumlaktat-
Lösung. Beim Bestrahlen mit einer UV-Taschenlampe
+ –
H3O (aq) + HCO 3 (aq) 2 H2O (l) + CO2 (g) bieten die entstehenden gelben Bällchen einen spektaku
Oxoniumion + Hydrogencarbonation lären Anblick: Sie fluoreszieren intensiv grün (links im Bild
Wassermoleküle + Kohlenstoffdioxidmolekül unten).
Wenn Sie die Alginatbällchen in eine stark saure
Das freigesetzte Kohlenstoffdioxid ist schwerer als Luft Lösung überführen, entfärben sie sich. Das Pyranin liegt
und verbleibt daher in dem mit Pappe abgedeckten Be nämlich nun protoniert vor, hat also ein Wasserstoffion
cherglas. Gießen Sie es, nachdem sich die Tablette voll angelagert. Doch wer die farblosen Kügelchen unter
ständig aufgelöst hat, behutsam in ein Rollrandglas mit UV-Licht betrachtet, erlebt eine Überraschung: Sie fluo-
20 grünen Alginatbällchen und verschließen Sie dieses mit reszieren jetzt blau (rechts im Bild unten)!
einem Gummistopfen. Nach etwa einer halben Minute Besonders bunt geht es zu, wenn Sie Farbstoffe aus so
haben sich die Kügelchen gelb verfärbt (Bild oben)! genannten Zaubermalern in die Alginatbällchen ein
Wie ist das zu erklären? Wenn das Kohlenstoffdioxid schleusen. Der Name dieser Filzstifte rührt daher, dass
mit der feuchten Oberfläche der Alginatbällchen in Berüh- damit gezeichnete Linien beim Überstreichen mit einem
rung kommt, bilden sich gemäß der Reaktionsgleichung »Magic Pen« wie durch Zauberhand ihre Farbe ändern.
Was dabei chemisch geschieht, haben wir in einem frü
+ –
CO2 (g) + 2 H2O (l) H3O (aq) + HCO 3 (aq) heren Beitrag bereits ausführlich erläutert (»Spektrum«
Kohlenstoffdioxidmolekül + Wassermoleküle November 2016, S. 70).
Oxoniumion + Hydrogencarbonation Für das Experiment nehmen wir drei Zaubermaler (zum
Beispiel »Magic Colors« von Carioca), deren Strichfarbe
Oxoniumionen. Diese wandern mit der Zeit ins Innere der sich von Blau nach Gelb, Hellgrün nach Braun und Gelb
Bällchen. Allerdings reagiert nur ein kleiner Teil der Koh nach Rot ändert. Öffnen Sie die Stifte mit einer Zange am MATTHIAS DUCCI
– –
SO 3 SO 3
– –
O3 S + H3O+ O3S + H2O
– –
SO 3 SO 3
–
O OH
bei Tageslicht: gelb fluoreszierend farblos
bei UV-Licht: grün fluoreszierend blau fluoreszierend
hinteren Ende und entnehmen Sie die Minen. Aus jeder in eine Kaliumpermanganat-Lösung, färbt er sich braun, da
drücken Sie drei Tropfen Farbstofflösung und vermischen bei der Reaktion Braunstein (MnO2) entsteht. Doch ma
sie jeweils in einem 20-Milliliter-Messbecher mit fünf chen Sie dieses »Experiment« lieber nicht, und vermeiden
Milliliter Natriumalginat-Lösung. Fügen Sie fünf Milliliter Sie prinzipiell jeden direkten Kontakt mit dem ätzenden
destilliertes Wasser hinzu und verrühren Sie die Lösungen Stoff. Natriumsulfit ist ein weißes, kristallines Pulver, das
mit einem Glasstab. Geben Sie anschließend je fünf bis reduzierend wirkt und deshalb mitunter in Fleckentfernern
zehn Tropfen davon in ein und dieselbe Kalziumlaktat- und Tintenkillern vorkommt.
Lösung. Dort entsteht dadurch ein Sortiment aus gelb Für das Experiment lösen Sie 0,01 Gramm Kaliumper
orangen, blauen und grünen Alginatbällchen (links im Bild manganat in fünf Milliliter Wasser, geben ebenso viel
oben). Natriumalginat-Lösung hinzu und tropfen das Gemisch in
Werden diese nun, wie oben beschrieben, in ein Zehn- die Kalziumlaktat-Lösung. Überführen Sie die entstehen
Milliliter-Rollrandgläschen überführt und mit zwei Milliliter den, intensiv violett gefärbten Kügelchen in zwei Milliliter
Salmiakgeist (einer neunprozentigen Ammoniaklösung aus einer 1 : 1-Mischung aus 24-prozentiger Salzsäure und
dem Baumarkt) überschichtet, verfärben sie sich an ihren Wasser, in der Sie 0,1 Gramm Natriumsulfit-Heptahydrat
Rändern. Das lässt sich sehr gut auf einem Tageslichtpro gelöst haben. Auf den ersten Blick scheinen die Alginat
jektor oder einer Leuchtplatte beobachten (Bild oben, bällchen zu schrumpfen und schließlich ganz zu ver
Mitte). Der Farbwechsel schreitet ins Innere der Bällchen schwinden. Bei genauerer Betrachtung erkennt man
voran, bis sie durchgängig die Farbe auf der Kappe des jedoch, dass sie sich von außen nach innen zunehmend
jeweiligen Zaubermalers angenommen haben. entfärben.
Der gesamte Vorgang lässt sich wieder rückgängig Ursache hierfür ist die folgende Redoxreaktion
2–
machen. Um die ursprünglichen Farben zu erhalten, zwischen eindiffundierenden Sulfitionen (SO3 ) und den
–
müssen Sie nur am Ende zwei Milliliter 24-prozentige violetten Permanganationen (MnO4 ):
Salzsäure (ebenfalls im Baumarkt erhältlich) in das Roll
– 2– +
gläschen gießen (rechts im Bild oben). 2 MnO4 (aq) + 5SO3 (aq) + 6 H3O (aq)
2+ 2–
2 Mn (aq) + 5 SO4 (aq) + 9 H2O (l)
Verwandlungstrick in Violett Permanganationen + Sulfitionen + Oxoniumionen
Bei den bisherigen Experimenten beruhte die Änderung Mangan(II)-Ionen + Sulfationen + Wassermoleküle
der Farbe auf pH-Indikatoren in den Alginatbällchen und
somit auf Säure-Base-Reaktionen. Ein anderer Typ von Dabei entstehen ausschließlich farblose Reaktions-
chemischen Umsetzungen sind Redoxreaktionen, bei produkte.
denen Elektronen zwischen den Reaktionspartnern über
tragen werden. Sie lassen sich ebenfalls in Alginatkügel
chen durchführen. Allerdings braucht man für das folgen- QUELLEN
de Experiment außer Salzsäure noch Kaliumpermanganat
Brandl, H.: Trickkiste Chemie. Aulis, 2010
(KMnO4) und Natriumsulfit-Heptahydrat (Na2SO3 · 7 H2O) –
zwei Chemikalien, die für Privatpersonen nicht leicht zu Brezesinksi, K., Ducci, M.: Donator-Akzeptor-Reaktionen in
Alginatbällchen. Praxis der Naturwissenschaften – Chemie
beschaffen, aber in Schullabors vorhanden sind.
in der Schule 65, 2016
Kaliumpermanganat ist ein Salz, das dunkle, violett
glänzende Kristalle bildet. Es wirkt stark oxidierend und Ducci, M.: Jetzt geht’s rund – Redoxreaktionen in Alginatbällchen.
CHEMKON 23, 2016
dient daher unter anderem als Desinfektionsmittel. Auch
die menschliche Haut greift es an: Tunkt man einen Finger Ducci, M.: Die molekulare Redoxküche. Chemie & Schule 31, 2016
Jetzt im
Miniabo testen!
3 Ausgaben für
nur € 17,40
Überall in der Tier- und Pflanzenwelt treten frappie- aus der Natur bekannt war, hielten viele Chemiker ihre
rende regelmäßige Strukturen auf – man denke nur an Disziplin damals für in wundersamer Weise gefeit gegen
die Symmetrie eines Ahornblatts oder die Streifen im derlei Phänomene. Nach allgemeiner Ansicht sollte eine
Zebrafell. Aber selbst in der unbelebten Natur sind solche Reaktion so lange stetig weiterlaufen, bis die Ausgangs-
Muster zu finden, seien es die Rillen im Sandwatt, die substanzen verbraucht waren oder sich ein thermodynami-
fraktalen Verästelungen von Eiskristallen oder die körnige scher Gleichgewichtszustand eingestellt hatte. Zwar
Struktur der Sonnenoberfläche, fachsprachlich Granulation waren vor Beloussows Entdeckung bereits periodische
genannt. Im Reagenzglas würde man derlei dagegen Erscheinungen in der Chemie beobachtet worden. Doch
kaum erwarten. Und doch ist schon seit Langem bekannt, galten sie als nicht reproduzierbare Laborkuriositäten, die
dass es auch bei chemischen Reaktionen zu einer räumli- von äußeren Störungen im Verlauf der Umsetzung her-
chen und zeitlichen Selbstorganisation kommen kann. Für rührten.
solche Erscheinungen hat der russisch-belgische Physiko- Tatsächlich schien der zweite Hauptsatz der Thermo
chemiker Ilya Prigogine (1917–2003) den Ausdruck dissipa- dynamik oszillierende Reaktionen zu verbieten. Demnach
tive Strukturen geprägt. Als Pionier auf dem Gebiet der kann die Entropie eines chemischen Systems, die ein Maß
Nichtgleichgewichtsthermodynamik erhielt er 1977 den für seinen Ordnungszustand ist, immer nur zunehmen.
Nobelpreis für Chemie. Das heißt, dass Reaktionen stets zu einer größeren Unord-
nung unter den beteiligten atomaren Bestandteilen führen
Eine Entdeckung, die niemand glauben wollte sollten. Würden sie im periodischen Wechsel vorwärts und
In dissipativen Systemen können zeitliche, raumzeitliche rückwärts ablaufen, nähme der Ordnungsgrad und damit
und räumliche Muster auftreten. Das bekannteste Beispiel die Entropie im Widerspruch zum zweiten Hauptsatz der
für eine Reaktion, die in einem periodischen Zeittakt Thermodynamik zwischenzeitlich immer wieder ab.
abläuft, beruht auf einer eher zufälligen Entdeckung des Diesen scheinbaren Widerspruch löste erst Prigogine
russischen Chemikers und Biophysikers Boris Pawlowitsch auf. Er erkannte, dass die klassische Thermodynamik nur
Beloussow (1893–1970) um 1950. Bei der Oxidation von für abgeschlossene Systeme gilt, die sich nahe an ihrem
Zitronensäure mit Kaliumbromat und einem Cer(IV)-Salz in Gleichgewichtszustand befinden. Gleichgewichtsferne,
schwefelsaurer Lösung bemerkte er, dass die gelbe Farbe offene Systeme, die beständig Energie und Materie mit
des Cer(IV)-Ions rhythmisch verschwand und wieder der Umgebung austauschen, können dagegen quasi En-
auftauchte. tropie exportieren. Das erlaubt ihnen, ihren Ordnungsgrad
Diese Entdeckung war so ungewöhnlich, dass gleich vorübergehend zu erhöhen und so in einem zeitlichen
drei Zeitschriftenredaktionen den Bericht des Forschers Rhythmus zu pulsieren, ohne den zweiten Hauptsatz zu
darüber ablehnten. Denn obwohl periodisches Verhalten verletzen.
Beloussow brachte seinen Bericht schließlich in einem williger, aber sehr erfolgreicher Forscher mit ausgeprägten
Tagungsband über Strahlungsmedizin unter. Wahrschein- künstlerischen Neigungen.
lich wäre die Publikation in der Versenkung verschwunden, Liesegang entstammte einer alteingesessenen Fabri-
hätte nicht der Biophysiker Simon E. Schnoll von der Lo- kantenfamilie im Ruhrgebiet – schon sein Großvater hatte
monossow-Universität in Moskau seinen Mitarbeiter Ana- Fotokameras sowie Fotopapier (Albuminpapier) herge-
toli Markowitsch Schabotinski (1938–2008) mit der genau stellt. 1869 in Elberfeld (heute Wuppertal) geboren, interes-
eren Untersuchung des ungewöhnlichen Phänomens be- sierte er sich bereits in der Schule, die er nur mit Mühe
auftragt. Dieser erkannte unter anderem, dass das Cer(IV)- absolvierte, für Fotografie und die ihr zu Grunde liegenden
Ion als Elektronenüberträger fungiert. Er ersetzte es darauf- chemischen Prozesse. Zunächst wollte er Maler werden,
hin durch ein Eisensalz, was einen periodischen Farbum- entschied sich unter väterlichem Druck aber um und
schlag zwischen Rot und Blau bewirkte. In der fachwissen- begann 1888 in Freiburg Chemie zu studieren. Obwohl er
schaftlichen Literatur wird die Reaktion seither – gemäß so gut wie keine Vorlesung besuchte, verfasste er in dieser
der englischen Transkription der russischen Namen – als Zeit bereits wissenschaftliche Zeitschriftenartikel und
Belousov-Zhabotinsky- oder kurz BZ-Reaktion bezeichnet Bücher, unter anderem über lichtempfindliche organische
(»Spektrum« Mai 1980, S. 131, und Mai 1983, S. 98). Silbersalze sowie über das »electrische Fernsehen«.
Andere Forscher entwickelten weitere Varianten dieses
chemischen Oszillators. So kombinierten ihn Thomas S. Beeindruckende Karriere ohne akademischen Titel
Briggs und Warren C. Rauscher an der Galileo High School Im Jahr 1892 kehrte Liesegang ohne Abschluss in die
in San Francisco mit einer ebenfalls periodisch ablaufen- väterliche fotochemische Fabrik zurück. Dort forschte er
den Reaktion – der Reduktion von Iodat (IO3–) durch Was- weiter und übernahm nach dem Tod des Vaters mit zwei
serstoffperoxid (H2O2) –, die William C. Bray (1879–1946) Brüdern die Leitung des Unternehmens. Ab 1908 löste er
schon 1921 entdeckt hatte. Dadurch kommt es zu einem sich von seinen Pflichten und betätigte sich fortan als
sehr eindrucksvollen oszillierenden Farbumschlag von reiner Grundlagenforscher. Dabei machte er auch ohne
farblos über goldgelb nach blau. Eine umfassende Theo- akademischen Titel eine beeindruckende Karriere, an
rie zum Mechanismus der BZ-Reaktion stellten 1972 deren Ende er 1937 sogar die Leitung des Instituts für
Richard J. Field, Endre Körös und Richard M. Noyes von Kolloidforschung in Frankfurt am Main übernahm.
der University of Oregon auf. Bis zu seinem Tod verfasste Liesegang über 800 Publi-
Eine raumzeitliche Strukturbildung lässt sich bei der kationen. Er sprach sieben Fremdsprachen (darunter
BZ-Reaktion ebenfalls beobachten. So erscheint eine wäs- Malaysisch) und schrieb etliche Dramen. Angesichts
srige Lösung, welche die Ausgangssubstanzen in etwas seiner Vielseitigkeit auf geistiger Ebene wie in praktischen
anderen Konzentrationsverhältnissen enthält, in einer Dingen bezeichneten ihn seine Freunde gern als »polyvari-
Glasschale anfangs einheitlich rot. Doch plötzlich treten ables System«. Liesegang selbst resümierte in seiner
kleine blaue Punkte auf, von denen im weiteren Verlauf Autobiografie: »Ich bin ein freier Student geblieben.«
kreisförmige, blaue Wellenfronten ausgehen und sich Das nach ihm benannte, verblüffende Phänomen ent-
stetig ausdehnen (Bild oben). deckte der Forscher im Jahr 1896 während seiner Untersu-
Für die Entstehung räumlicher Muster schließlich bilden chungen zum Wachstum von Kristallen in Gelen. Bei
die Liesegangschen Ringe ein eindrucksvolles Beispiel. einem Experiment platzierte er einen Tropfen Silbernitrat-
Benannt sind sie nach dem Kolloidchemiker Raphael lösung auf eine erstarrte Gelatinelösung, der er Kalium
Eduard Liesegang (1869–1947), der in der Literatur oft als dichromat zugesetzt hatte. Die Salze in beiden Lösungen
+
Sonderling beschrieben wird. Er war in der Tat ein eigen- sind dissoziiert: Die erste enthält Silber- (Ag ) und Nitrat-
+ 2 2– –12 3 3
KL = c(Ag ) ∙ c(CrO4 ) = 1,9*10 mol /L
+
Der Faktor c(Ag ) wird quadriert, weil in der Reaktions-
gleichung eine 2 vor den Silberionen steht. Sobald das
Produkt der Konzentrationen beider Ionen gemäß der
obigen Gleichung den Wert von KL überschreitet, fällt
Silberchromat aus. Da dieser Wert sehr klein ist, geschieht
das fast sofort, und das Gleichgewicht liegt weit auf der
rechten Seite der Reaktionsgleichung.
Während der Tropfen in die Gelatineschicht diffundiert,
entsteht also zunächst eine kreisförmige Zone aus rotem
Silberchromat. Doch dann passiert etwas Überraschendes:
Beim Auftropfen von Silbernitratlösung auf eine erstarrte, Der Niederschlag in der Gelatine breitet sich nicht kontinu-
wässrige Gelatineschicht, welche Chromationen enthält, ierlich aus. Stattdessen bilden sich zahlreiche konzentri-
entstehen Ringe aus rotem Silberchromat (links). Sie werden sche Kreise aus Silberchromat mit farblosen Zwischenräu-
nach ihrem Entdecker als Liesegangsche Ringe bezeichnet. men (Bild links). Der Abstand zwischen den Ringen nimmt
Im Reagenzglas bilden sich mit den gleichen Substanzen far- mit der Entfernung vom Mittelpunkt zu. In den Zwischen-
bige Bänder (rechts). räumen ist die anfangs durch die Chromationen gelb
schimmernde Gelatine entfärbt. Liesegang selbst bezeich-
nete die Ringe als A-Linien. Erst später erhielten sie den
– +
ionen (NO3 ), die zweite Kalium- (K ) und Dichromationen Namen ihres Entdeckers.
2–
(Cr2O7 ). Letztere reagieren mit Wasser teilweise zu Chro-
2–
mationen (CrO4 ). Treffen diese nun auf Silberionen, fällt Wie eine Übersättigung periodische
rotes, schwer lösliches Silberchromat aus. Die zugehörige Farbmuster hervorruft
Reaktionsgleichung lautet (die Symbole »aq« und »s« be- Wie lässt sich dieses frappierende Muster erklären? Dazu
deuten »in Wasser gelöst« beziehungsweise »fest«): gibt es zahlreiche Theorien. Viele haben einen Grundge-
danken gemeinsam, den Wilhelm Ostwald (1853–1932)
+ 2–
2 Ag (aq) + CrO4 (aq) Ag2CrO4 (s) schon 1897 in seiner Übersättigungstheorie formulierte
Silberionen + Chromation Silberchromat und der noch heute im Grundsatz als zutreffend gilt. Dem-
nach sorgen die Silberionen, während sie vom Auftropf-
Allerdings vereinigen sich nicht alle Silber- und Chro punkt der Silbernitratlösung nach außen diffundieren, für
mationen zum roten Silberchromat; ein kleiner Teil bleibt in das Ausfällen von Silberchromat. Damit erniedrigen sie
Lösung. Wie der Doppelpfeil in der obigen Reaktionsglei- im Umkreis die Konzentration an Chromationen, wodurch
chung andeutet, stellt sich nämlich ein Gleichgewicht ein Konzentrationsgefälle zu weiter außen gelegenen
zwischen den Ausgangssubstanzen und dem Reaktions- Regionen entsteht. Von dort wandern deshalb Chromat
produkt ein. Entscheidend für die Lage dieses Gleichge- ionen ein. Das aber lässt die umliegende Zone an solchen
wichts ist das so genannte Löslichkeitsprodukt (KL). Dabei Ionen verarmen. In diesem Bereich wird das Löslichkeits-
MATTHIAS DUCCI
Hübsche Liesegang-Bänder
lassen sich auch mit zahlrei-
chen Reagenzien erzeugen. In
den hier gezeigten Beispielen
bestehen sie aus Kobalthydro-
xid, Manganhydroxid, Blei
iodid und Bleihydroxid (von
links nach rechts).
MATTHIAS DUCCI
Silberionen auf ihrem weiteren Weg nach außen dorthin aussehenden
gelangen. Erst dahinter fällt erneut Silberchromat aus, Liesegang-
und der geschilderte Vorgang wiederholt sich. Dazu passt Bänder aus
die Beobachtung, dass sich die gelbe Gelatineschicht Magnesiumhy
zwischen den Ringen entfärbt. droxid (links)
Die Übersättigungstheorie erklärt ebenfalls, warum der und Kalziumcar-
Abstand zwischen den Ringen nach außen zunimmt. Dem- bonat (rechts)
nach wird das Löslichkeitsprodukt von Silberchromat erst lassen sich
in immer weiterer Entfernung vom Auftropfpunkt erneut daheim ganz
überschritten, weil sich die Konzentration der nachdiffun- einfach her
dierenden Silberionen durch wiederholtes Ausfällen des stellen. Dazu
Salzes stetig verringert. benötigt man nur
Allerdings reicht die Übersättigungstheorie allein nicht allgemein zu-
aus, um das Konzentrationsgefälle an Chromationen hinter gängliche Chemi-
einem gebildeten Ring zu erklären. Als weiterer Faktor kalien.
kommt hinzu, dass das ausgefallene Silberchromat als
Barriere wirkt, welche die nachfolgenden Silberionen über-
winden müssen. Das liefert die notwendige Zeit, damit Umgebung eines kleinen Kristalls in Richtung des größe-
sich der Konzentrationsgradient bilden kann. ren Nachbarn diffundieren als umgekehrt. Als Folge davon
Analoge periodische Strukturen lassen sich auch im werden aus dem Gleichgewicht zwischen fester und
Reagenzglas erzeugen. Dazu gießt man eine mit Kalium- gelöster Phase des kleineren Kristalls ständig Ionen ent-
chromat versetzte Gelatinelösung hinein und überschichtet fernt, bis nichts mehr von ihm übrig ist. Auf diese Weise
sie nach dem Erstarren mit einer Silbernitratlösung. An der entstehen Ansammlungen immer größerer Kristalle.
Grenze zwischen beiden fällt sofort rotes Silberchromat Diskontinuierliche Fällungserscheinungen sind übrigens
aus. Diese Niederschlagszone dehnt sich in den folgenden keineswegs auf Gele beschränkt. Man muss nur eine
Minuten etwa einen halben Zentimeter weit in die Gelatine mechanische Durchmischung der Lösungen verhindern,
hinein aus. Doch nach einer halben Stunde setzt sich die um zu gewährleisten, dass die Umsetzungsprodukte an
Ausfällung nicht mehr kontinuierlich fort. Vielmehr entste- Ort und Stelle bleiben. Dies ist zum Beispiel in dünnen
hen unter der anfänglichen, gleichförmigen Niederschlags- Kapillarröhren (mit Durchmessern von 0,1 bis 0,3 Millime-
zone deutlich voneinander abgesetzte rote Schichten tern) der Fall. In ihnen lassen sich deshalb nach dem
(»Liesegang-Bänder«). Diese liegen zunächst noch sehr gleichen Prinzip ganz ohne Gelatine geschichtete Struktu-
eng zusammen, doch mit fortschreitender Versuchsdauer ren erzeugen.
nimmt der Abstand zwischen ihnen wie bei den Liese- Rhythmische Fällungen treten sogar bei Reaktionen
gangschen Ringen stetig zu. zwischen gasförmigen Stoffen auf, so etwa bei der Bil-
dung von festem Ammoniumchlorid aus Chlorwasserstoff
Die Großen wachsen auf Kosten der Kleinen und Ammoniak, wenn man beide Gase in einem 50 Zenti-
Im Lauf der Zeit stellte sich heraus, dass solche Muster bei meter langen Glasrohr mit vier Millimeter Durchmesser
vielen Elektrolytpaaren auftreten, die beim Mischen einen gegeneinander diffundieren lässt. Die zugehörige Reakti-
schwer löslichen Niederschlag bilden (Bild S. 14 unten). onsgleichung lautet (»g« steht für »gasförmig«):
Manchmal entstehen allerdings statt kompakter Bänder
kristalline Schichtungen, die nicht als Diffusionsbarriere HCl (g) + NH3 (g) NH4Cl (s)
wirken können. Dieses Phänomen lässt sich mit der »Ost- Chlorwasserstoff + Ammoniak Ammoniumchlorid
wald-Reifung« erklären, einer Theorie, die Ostwald eben-
falls im Zusammenhang mit der von Liesegang entdeckten Chemische Strukturbildung im Heimversuch
Strukturbildung im Jahr 1900 aufstellte. Demnach enthält Laien können die Chemikalien für die bisher beschrieenen
der Niederschlag, sofern er nicht amorph (strukturlos) ist, Liesegang-Strukturen normalerweise nicht erwerben. Das
unterschiedlich große Kristalle, die in ihrem Wachstum ist gut so, denn einige Substanzen sind potenziell gesund-
konkurrieren. heitsschädlich. So ist Kaliumdichromat umweltgefährdend
Laut Ostwald wachsen große Exemplare schneller als und giftig. Es kann Krebs erzeugen, das Erbgut verändern
kleine – wofür Walter Kossel (1888–1956) und Iwan Strans und die Fortpflanzung beeinträchtigen. Dennoch besteht
ki (1897–1979) mit ihren kinetischen Betrachtungen des auch für Nichtchemiker die Möglichkeit, im Heimversuch
Vorgangs erst Jahre später eine theoretische Begründung Liesegang-Bänder herzustellen.
lieferten. Das führt letztlich dazu, dass sich die kleinen Zwei entsprechende Experimente möchten wir hier be-
Kristalle auflösen und nur die großen übrig bleiben. Deren schreiben. Für das erste benötigen Sie ein Reagenzglas
unmittelbare Umgebung verarmt durch das raschere mit Stopfen, zwei Bechergläser (0,1 Liter), Haushaltsgela
Wachstum nämlich schneller an verfügbaren Ionen als tine und Salmiakgeist (neunprozentige Ammoniaklösung
die der kleineren. Dadurch entsteht ein Konzentrationsge- aus dem Baumarkt) sowie Magnesiumchlorid-Hexahydrat
fälle, so dass im zeitlichen Mittel mehr Ionen aus der (MgCl2 ∙ 6 H2O). Dieses Salz ist Hauptbestandteil bestimm-
ter Badezusätze, wie den im Internet erhältlichen »Magne- Liesegang-Ringe und -Bänder lassen sich aber nicht nur
sium Flakes« von Zechstein – eine irreführende Bezeich- künstlich erzeugen, sondern treten offenbar auch in der
nung, da es sich natürlich nicht wirklich um Magnesium- Natur auf. Gebänderte Strukturen, die ihnen stark ähneln,
späne handelt, die mit dem Badewasser unter Hitzeent- finden sich vor allem in der Geologie. Als Beispiel seien
wicklung zu einer ätzenden Lauge reagieren würden. Feuersteinschichten in Kreidefelsen genannt. Ebenso
Zunächst lösen Sie 1,5 Gramm Gelatine unter Erwärmen erinnern die Achate und andere Minerale mit ihren charak-
und Rühren in 50 Milliliter Wasser. Anschließend nehmen teristischen konzentrischen Ringmustern an liesegangsche
Sie 15 Milliliter der noch warmen Lösung und versetzen sie Strukturen (Bild oben). Früher hielt man diese Erscheinun-
mit 0,25 Gramm Zechsteiner Magnesium-Flakes. Rühren gen für das Ergebnis einer ungleichmäßigen Stoffzufuhr.
Sie das Gemisch, bis sich alles vollständig aufgelöst hat. Heutzutage überwiegt jedoch die Ansicht, dass Vorgänge
Dann gießen Sie die Flüssigkeit in das Reagenzglas und analog der Bildung von Liesegang-Mustern dafür verant-
lassen die Gelatine erstarren – was schneller geschieht, wortlich sind.
wenn Sie das Gefäß in den Kühlschrank stellen. Schließ- In der Biologie kommen ebenfalls konzentrische Ringe
lich überschichten Sie das Gel ein bis zwei Zentimeter vor – zum Beispiel bei Bakterien- und Pilzkulturen, die
hoch mit Salmiakgeist und verschließen das Reagenzglas auf Agar in Petrischalen wachsen. Das lässt sich damit
mit einem Stopfen. erklären, dass durch die Nahrungsaufnahme ein Konzent-
Im zweiten Experiment verfahren Sie analog, nehmen rationsgradient entsteht, durch den das benachbarte
aber statt der Magnesium-Flakes 0,2 Gramm Kalzium konzentrische Gebiet an Nahrung verarmt. In diesem
chlorid, das zum Beispiel als Adsorptionsmaterial in che- Bereich findet deshalb keine weitere Vermehrung statt.
mischen Raumentfeuchtern enthalten ist. Zum Über- Erst in einer weiter entfernten Region gibt es wieder
schichten dienen diesmal zwei bis drei Milliliter einer Lö- genügend Nahrung, so dass hier die nächste Generation
sung von 0,5 Gramm Natriumcarbonat (»Haushaltssoda«, heranwächst.
Na2CO3) in zehn Milliliter Wasser.
In beiden Fällen entstehen – mitunter erst nach einigen
Tagen – im Reagenzglas periodische weiße Niederschläge,
die Liesegang-Bänder (siehe Bild S. 15). Im ersten Expe
riment bestehen sie aus Magnesiumhydroxid, wobei die QUELLEN
Hydroxidionen aus der alkalischen Ammoniaklösung
Beneke, K.: Liesegang named in Literature. Kiel, 2006.
stammen (das Symbol »l« steht für »flüssig«): Online unter: www.uni-kiel.de/anorg/lagaly/group/klausSchiver/
liesegangliterature-1.pdf
+ –
NH3 (aq) + H2O (l) NH4 (aq) + OH (aq) Deutsch, A. (Hg.): Muster des Lebendigen. Friedrich Vieweg &
Ammoniak + Wasser Ammoniumion + Hydroxidion Sohn, 1994
Alle
Hefte auch
im PDF-
Format
Festkörper: Topologische Materialien • Das geheimnisvolle Innenleben der Zellen • PFC: Vorsicht, Trinkwasser! • Geht Land-
Materialwissenschaft: Zweidimensionale Der vergessene Entdecker der DNA • wirtschaft auch ohne Pestizide? • Xeno-
Revolution • Bildgebung: Zeitenwende in Porphyrine: Ein Ring für die Farben des hormone: Störenfriede im Hormon-
der Mikroskopie • Teilchenphysik: Extreme Lebens • Pharmazie: Molekulare Türöffner haushalt • Biowaffen: Die Milzbrand-
Atome • Biomimetik: Die Natur als Vorbild • Prähistorie: Zankapfel Paläo-DNA • bedrohung • Die 10 giftigsten Meerestie-
• € 8,90 Fotosynthese: Wie Pflanzen Wasser re • Schwefelwasserstoff: Giftgas mit
spalten • € 8,90 Heilkraft • € 8,90
Zukunft des Kosmos: Modelle auf Denisovaner: Sah so der Denisova- The Big Bang Theory: Die Sheldon-
dem Prüfstand • Minigalaxien: Ärger Mensch aus? • Münchhausen: Vermutung • Juristisches: Rechts-
für das Standardmodell? • Dark Das wahre Leben des Lügenbarons • widrige Primzahlen und das Urheber-
Energy Survey: Inventur des dunklen Elfenbein: Die filigranen Meisterwerke recht an Pi • Primpolynome: Mehr
Alls • De-Sitter-Universen: Führt die der Barockkünstler • Altes Ägypten: statt weniger • Zahlentheorie: Gold-
Stringtheorie ins Sumpfland? • Wachsköpfe für die Ewigkeit • bach-Variationen • Zufallsmatrizen:
€ 5,90 € 5,90 Neue universelle Gesetze • € 5,90
Hier bestellen:
service@spektrum.de | Tel.: 06221 9126-743
www.spektrum.de/shop
ü
DIE BUNTE WELT DER
AZOFARBSTOFFE
Azoverbindungen verleihen Lebensmitteln, Kleidungsstücken und
vielen anderen Produkten intensive Farben. Doch gleichzeitig bergen sie
gesundheitliche Risiken.
spektrum.de/artikel/1594008
Azofarbstoffe können
in orientalischen
Gewürzen enthalten
sein. Mitunter sind
die Zusätze jedoch
giftig.
Azofarbstoffe gehören zu den synthetischen Farb Chemie, was die gezielte Suche nach neuen Farbstoffen
stoffen. Das heißt, sie kommen in der Natur nicht vor, erlaubte. 1860 entdeckte der in England als Brauerei
sondern der Mensch hat sie »erfunden«. Um ihre chemiker arbeitende Deutsche Peter Grieß die so genann
Entwicklung nachzuvollziehen, muss man etwas in die ten Diazoverbindungen und legte damit den Grundstein
Wissenschaftsgeschichte eintauchen. für die heute größte Klasse synthetischer Färbemittel: die
Im Zuge der industriellen Entwicklung Englands wurden Azofarbstoffe. Als ersten Vertreter dieser Gruppe nennen
im 17. und 18. Jahrhundert in Schottland und Irland große manche Quellen das von Carl Alexander von Martius
Waldflächen gerodet. Das Holz benötigte man zum einen entwickelte Bismarckbraun, das heute noch in der Leder-,
für den Schiffsbau und zum anderen für die Produktion von Papier- und Holzfärberei sowie in der Mikrobiologie zum
Holzkohle, um damit in Hochöfen aus Erz Eisen zu gewin Färben von Bakterien verwendet wird. Mit Hilfe dieser
nen. Irgendwann ging der Rohstoff zur Neige, und es Substanz konnte Robert Koch den wichtigsten Erreger der
bedurfte eines Holzkohleersatzes für die Eisenverhüttung. Tuberkulose nachweisen. Martius gründete später zusam
Die Wahl fiel auf Steinkohle, die in nahezu unerschöpflicher men mit Paul Mendelssohn Bartholdy die Actien-Gesell
Menge vorhanden war. Allerdings musste zunächst ein schaft für Anilin-Fabrication (Agfa), die zunächst eine reine
Verfahren entwickelt werden, um den in ihr enthaltenen Farbenfabrik war.
Schwefel zu entfernen, der das Eisen spröde und damit
unbrauchbar macht. Abraham Darby II schaffte dies 1735 Keimzelle der Chemieindustrie
mit der Erfindung der Verkokung, bei der sich Steinkohle Andere Quellen wiederum erwähnen Anilingelb, das sich
unter Luftabschluss bei 1100 bis 1300 Grad Celsius zersetzt. bei der Reaktion von Anilin mit salpetriger Säure bildet, als
Neben dem so genannten Koks entstehen dabei verschie den ersten synthetischen Azofarbstoff (siehe oben). Dabei
dene Gase, vor allem Methan und Wasserstoff, sowie entsteht zunächst eine sehr reaktive so genannte Diazonium-
große Mengen an Steinkohleteer. Durch Zufall entdeckten verbindung, die sich anschließend mit einem zweiten
die Arbeiter einer Kokerei, dass die gasförmigen Abfallpro Anilinmolekül zu dem Farbstoff verbindet (Azokupplung).
dukte brennbar sind, und nutzten diese fortan, um ihre Gemeinsames strukturelles Merkmal aller Azofarbstoffe
Arbeitsstätte zu beleuchten. Die Anwendung machte rasch ist die Azobrücke: R1-N=N-R2 (R1 und R2 stehen für aro
Schule; Gaslaternen und später Gasöfen verbreiteten sich matische ringförmige Kohlenwasserstoffe, N für Stickstoff).
weltweit. Für die Unmengen an Teer gab es hingegen keine Diese ist maßgeblich für die Farbigkeit solcher Verbindun
sinnvolle Verwendung, und man verklappte deshalb die gen und wird daher auch als chromophore Gruppe be
zähflüssige schwarze Masse zum Teil im Meer, was zu zeichnet (griechisch: chroma = Farbe; phoros = tragend).
ökologischen Problemen führte. Im Jahr 1884 meldete der deutsche Chemiker Peter
Im Jahr 1834 gelang es dem deutschen Chemiker Böttiger das Patent für die Herstellung des ersten Bisazo
Ferdinand Friedlieb Runge, aus ebendiesem Steinkohleteer farbstoffs – Kongorot – an, der zwei Azogruppen enthält.
die organischen Verbindungen Anilin, Phenol und Pyrrol Chemiker synthetisierten nun immer mehr Azofarbstoffe.
zu isolieren. Indem er das Anilin oxidierte, erzeugte er In puncto Herstellung, Verarbeitung und Farbechtheit
eines der ältesten Färbemittel: Anilinschwarz. Er entdeckte stellten sie alle bis dahin bekannten Farbstoffe in den
noch weitere Farbstoffe, ohne jedoch deren Zusammen Schatten, und es fanden sich vielfältige Anwendungsge
setzung oder chemische Strukturen zu kennen. Runges biete. Sie trugen maßgeblich dazu bei, dass zu jener Zeit
Forschung blieb allerdings unbeachtet, da seinerzeit kein eine eigenständige chemische Industrie entstand. Viele
Bedarf an synthetischen Farbstoffen bestand. Ein weiterer Firmen, die später zu großen Pharma- und Chemieunter
Zufallstreffer gelang 1856 dem damals erst 18-jährigen nehmen wurden, wie zum Beispiel die Badische Anilin-
Briten William Henry Perkin. Dieser wollte das Malaria und Sodafabrik (BASF), starteten als Farbstoffproduzenten.
mittel Chinin künstlich herstellen, weil die natürlichen Heinrich Caro, der erste technische Direktor der BASF,
Ressourcen (die Rinde des Chinabaums) nicht ausreichten, schrieb über die Azofarbstoffe:
um Großbritanniens Kolonialarmeen zu versorgen. Bei »Alle diese durch das Band der Azogruppe vereinigten
seiner unsystematischen Suche nach einem Syntheseweg Gebilde sind Farbstoffe, Azofarbstoffe ohne Zahl, täglich
stieß Perkin auf eine purpurviolette Verbindung, die er sich mehrend, alle darstellbar durch die Anwendung
Mauvein nannte. Sie wurde zur Modefarbe und war der derselben synthetischen Methode, welche an Vielseitigkeit
erste industriell produzierte Farbstoff. ihrer praktisch verwertbaren Resultate, an Einfachheit,
Mitte des 19. Jahrhunderts schafften August Kekulé Glätte und Sicherheit ihrer Handhabung von keiner ande
und andere die theoretischen Grundlagen der organischen ren in der Farbstoffchemie erreicht, geschweige denn
übertroffen wird, sie besteht in der Einwirkung von Diazo Was unterscheidet harmlose und gefährliche Azofarb
verbindungen auf aromatische Amine und Phenole.« stoffe? Und was macht Letztere so gefährlich? Krebs
Deutsche Firmen waren einst weltweit führend in der erregende Stoffe – chemische Mutagene – können das
Herstellung von Farbstoffen; 1913 lag ihr Anteil an der Erbgut bestimmter Zellen verändern. Besonders bei Muta
globalen Produktion bei 87 Prozent. tionen, die das Wachstum und das Absterben Gewebe
Azofarbmittel lassen sich ganz allgemein in lösliche bildender Zellen steuern, kann das schwer wiegende
Azofarbstoffe und unlösliche Azopigmente einteilen. Bei Folgen haben. Führt die genetische Veränderung zu un
Ersteren unterscheidet man des Weiteren zwischen was kontrolliertem Zellwachstum, entsteht ein Tumor. Lösliche
serlöslichen (hydrophilen) und fettlöslichen (lipophilen) Azofarbstoffe entfalten ihre kanzerogene Wirkung meist
Verbindungen. Sie kommen in einer Vielzahl von Produkten durch eine so genannte reduktive Spaltung der Azobrücke,
vor, unter anderem in Lebensmitteln, Kosmetika, Textilien, bei der sich aromatische Amine bilden. Das obige Schema
Tattoofarben, Plastik- und Gummiprodukten, Pharmazeu illustriert die Freisetzung solcher Amine am Beispiel des
tika, Insektiziden, Lacken, Druckerpatronen sowie in Indi nachweislich Krebs erregenden Azofarbstoffs Anilingelb.
kator- und Färbungslösungen für chemische Laboratorien.
Der Hauptanteil der produzierten Azofarbstoffe entfällt auf Vorsicht bei kulinarischen Souvenirs
die Textilindustrie; die größten Produzenten sind heute mit knalligen Farben!
China, Indien, Korea, Taiwan und Argentinien. Die Aufspaltung (Reduktion) der Moleküle im Körper ist auf
In den letzten Jahren gerieten Azofarbstoffe zunehmend die Eigenschaft der Azobrücke zurückzuführen, Elektronen
in Verruf. Denn neben nützlichen und unbedenklichen besonders stark anzuziehen, und erfolgt durch Bakterien,
Vertretern dieser Stoffklasse gibt es eine ganze Reihe die sich in Darm, Leber oder Haut befinden. Die Zerset-
potenziell gefährlicher. Weltweit sind zirka 1000 Azoverbin zungsprodukte des Anilingelbs, Anilin und 1,4-Diaminoben
dungen im Umlauf, von denen rund die Hälfte möglicher zol, haben es in sich: Sie sind giftig beim Verschlucken, Ein-
weise Krebs erregende Eigenschaften besitzen. Ob bezie atmen und bei Hautkontakt. Beide Stoffe können zudem
hungsweise in welchem Maß diese in Deutschland in allergische Hautreaktionen verursachen. Anilin kann bei
Konsumprodukten stecken, ist unklar. Zwar existieren in längerer oder wiederholter Exposition die Organe schädigen
der EU entsprechende gesetzliche Vorschriften zur Ver und vermutlich genetische Defekte sowie Krebs erzeugen.
wendung von Azofarbstoffen. Doch angesichts der voran Neben diesen toxischen Verbindungen gibt es völlig
schreitenden Globalisierung mit immer komplexeren harmlose Azofarbstoffe, von denen einige sogar als Le
Handels- und Produktionswegen ist eine umfassende bensmittelfarbstoffe zugelassen sind. Sie verweilen nicht
Nachverfolgung und Kontrolle kaum möglich. Um als lange im menschlichen Körper, sondern werden mit dem
gesundheitsgefährdend eingestufte Produkte aus dem Urin schnell wieder ausgeschieden, weil sie auf Grund von
Handel fernzuhalten, hat die EU ein Frühwarnsystem Sulfonatgruppen (–SO₃–) an den Aromaten gut wasserlös
installiert (Rapid Alert System for dangerous non-food lich sind. Ein Beispiel hierfür ist der Lebensmittelfarbstoff
products, RAPEX). Allerdings werden mögliche Gefähr Azorubin (E 122).
dungen durch bestimmte Waren oft erst nach Handelsein Azopigmente können über die Lunge oder den Magen-
tritt bekannt, wenn etliche Produkte bereits verkauft Darm-Trakt in den Körper gelangen – da sie unlöslich sind,
wurden. Gerade in der Textilindustrie kommt es wegen können Bakterien sie jedoch nicht in Amine aufspalten.
Profitgier, mangelnder Kontrollen oder fehlender Richt Lösliche Azofarbstoffe nehmen den gleichen Weg, etwa
linien in den Produktionsländern immer wieder zu Rück als harmlos eingestufte Lebensmittelfarben. Doch selbst
rufaktionen von Kleidungsstücken, die mit verbotenen Krebs erregende Verbindungen werden bisweilen unwis
Chemikalien gefärbt sind. sentlich oral aufgenommen: Amtliche Lebensmittelkontrol
len haben ergeben, dass derartige Stoffe in Mitbringseln Die reduktive Spaltung von Azofarbstoffen lässt sich in
aus dem Urlaub enthalten sein können. So hat man Su einem einfachen Experiment mit Haushaltsprodukten
danrot in indischen Chilierzeugnissen nachgewiesen sowie nachvollziehen. Gut eignet sich dafür das Erfrischungsge
Buttergelb in Currygewürzen und Nitroanilinrot in Paprika tränk »Powerade Wild Cherry«, das rotes Azorubin enthält.
pulver gefunden, mitunter in erheblichen Dosen: Bei einer (Für diesen und andere Farbzusätze gilt seit 2010 eine
Probe kamen auf ein Kilogramm ganze vier Gramm Sudan Kennzeichnungspflicht entsprechender Lebensmittel mit
rot. Es soll die Frische des Lebensmittels vortäuschen, gilt dem Hinweis: »Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei
aber wie die übrigen Verbindungen als karzinogen und ist Kindern beeinträchtigen.«) Man füllt zirka 20 Milliliter des
in der EU als Lebensmittelzusatz verboten. Getränks in ein Glasgefäß und gibt ein Reduktionsmittel
Lösliche Azofarbstoffe können darüber hinaus über dazu, das die Azoverbindung spaltet. Hierfür eignet sich
die Haut aufgenommen werden, etwa beim Tragen von zum Beispiel der »Power-Entfärber Intensiv« von Heitmann
mit Azofarbstoffen gefärbten Textilien. Bunte Kleidungs auf Grund seines etwa 30-prozentigen Anteils an stark
stücke enthalten durchschnittlich einen Farbanteil zwi reduzierend wirkendem Natriumdithionit (Na₂S₂O₄). Davon
schen 0,25 und 3,5 Prozent, bei Lederprodukten können es gibt man eine Spatelspitze in die rote Flüssigkeit und rührt
bis zu 7 Prozent sein. Schweiß und Reibung können die diese mit einem Glasstab um: Die Lösung entfärbt sich
Farbmoleküle aus Textilfasern herauslösen, so dass sie auf rasch (je nach Flüssigkeitsmenge benötigt man gegebe
der Haut oder am Haaransatz haften bleiben. In Versuchen nenfalls etwas mehr Entfärber).
ließen sich die Azofarbstoffe selbst durch intensives Wa Offensichtlich ist eine chemische Reaktion unter Betei
schen nicht restlos entfernen. ligung der farbgebenden chromophoren Azogruppe ab
Die Aufnahme über die Haut ist unter anderem abhän gelaufen. Eine genaue Untersuchung der Reaktionspro
gig von der Polarität der Moleküle. Auf der Haut siedelnde dukte zeigt, dass es tatsächlich zu einer reduktiven Spal
Mikroorganismen können Farbstoffe abbauen, vor allem tung von Azorubin kam, bei der die auf S. 20 abgebildeten
wenn diese wasserlöslich sind. Sie spalten die Moleküle aromatischen Amine entstanden. Bestrahlt man die ent
in die jeweiligen aromatischen Amine, die dann über die färbte Lösung im Dunklen mit UV-Licht einer Wellenlänge
Haut in den Blutkreislauf und schließlich in die Leber von 365 Nanometern, leuchtet die Lösung intensiv blau.
gelangen können, die sie weiter verstoffwechselt. Beim Diese Eigenschaft lässt sich auf die fluoreszierenden
Abbau des Azofarbstoffs Direct Blue 14 etwa, der in der 4-Aminonaphthalin-1-sulfonat-Anionen zurückführen.
Textilindustrie häufig eingesetzt wird, entsteht in der Leber
o-Tolidin, das im Verdacht steht, Krebs zu verursachen.
Fettlösliche Azoverbindungen nimmt der Körper meist
unverändert auf, entweder über die Haut oder durch QUELLEN
Diffusion entlang der Haarwurzeln. Sie werden in be Ducci, M.: Azofarbstoffe in Gummibärchen – aus Blau wird Gelb.
stimmten Zellen der Oberhaut wie den Keratinozyten oder Nachrichten aus der Chemie 65, 2017
in der Leber in Amine gespalten. Wer sich tätowieren
Ducci, M. et al.: Azofarbstoffe in Textilien. CHEMKON 22, 2015
lässt, kann dadurch ebenfalls Azopigmente aufnehmen.
Gesundheitlich problematisch ist jedoch eher das laser Krätz, O.: 7000 Jahre Chemie. Nikol, 1999
chirurgische Entfernen unliebsam gewordener Tätowierun Petersen, H., Roth, K.: To Tattoo or not to Tattoo. Chemie in unserer
gen, da aus den Pigmenten hierbei freie Amine werden. Zeit 50, 2016
Anfang der 1970er Jahre gelang Günther Schwan Moleküls Cumarin, das in Waldmeister und Zimt vor
häußer ein Coup: Der Stiftefabrikant aus Heroldsberg kommt, sowie von Stilben, einem ungesättigten Kohlen
bei Nürnberg erfand den Textmarker. Die Idee dazu wasserstoff; andere Cumarin- und Stilbenderivate fin-
kam ihm während einer Geschäftsreise in den USA. Er den in Farbstofflasern oder als optische Aufheller in Tex
beobachtete, dass einige Studenten versuchten, Textpas tilien Verwendung. Ebenfalls häufig in Textmarkern zu
sagen mit einem farbigen Stift zu markieren, statt sie wie finden sind so genannte Xanthenfarbstoffe, beispielsweise
üblich zu unterstreichen. Die verwendeten Stifte waren im pinkfarbenen Leuchtmarker von Stabilo. Ein bekannter
dafür jedoch nur mäßig geeignet. Nachdem er in die Hei- Vertreter dieser Klasse ist der rote Farbstoff Eosin Y,
mat zurückgekehrt war, ließ er in seiner Firma Schwan- der unter anderem zum Anfärben von Zellen und als pH-
Stabilo einen Marker entwickeln: Der Stabilo Boss war ge- Indikator genutzt wird.
boren. Längst haben zahlreiche andere Unternehmen Bestrahlt man fluoreszierende Farbstoffe mit UV-Licht,
wie Edding, Faber-Castell, Herlitz und Städtler Schwan leuchten sie: Die Verbindungen absorbieren kurzwellige
häußers Erfindung kopiert. Strahlung und emittieren langwelligere im sichtbaren Be-
Textmarker enthalten Fluoreszenzfarbstoffe unterschied reich des Farbspektrums. Dieses Phänomen bezeichnet
licher Klassen. Die Farbstoffe in der gelben Tinte eines man ganz allgemein als Lumineszenz oder kaltes Leuchten.
Stabilo Boss etwa sind Abkömmlinge des aromatischen Dauert es nur so lange an, wie der Farbstoff energiereicher
Strahlung ausgesetzt ist, spricht man von Fluoreszenz. So (Fluorophor) ein Lichtquant (Photon) geeigneter Energie,
zeigen etwa zahlreiche Tiere oder Mineralien unter UV- »springt« ein Elektron von der höchsten besetzten auf die
Licht plötzlich surreale Farbmuster. Fortdauerndes Leuch niedrigste unbesetzte Stufe. Das Molekül verweilt jedoch
ten, nachdem die Strahlungsquelle längst erloschen ist, nur sehr kurz (etwa eine Nanosekunde) in diesem ange
bezeichnet man als Phosphoreszenz. Beispiele hierfür sind regten Zustand, bevor das Elektron auf das ursprüngliche
Ziffernblätter von Armbanduhren oder Klebesterne für Niveau zurückspringt. Dabei wird ein Photon abgegeben:
die Kinderzimmerdecke. Die Verbindung fluoresziert.
Das Fluoreszenzlicht ist stets langwelliger, sprich ener
Wenn Moleküle Licht einfangen, springen Elektronen gieärmer als die absorbierte Strahlung. Ursache hier-
auf höhere Energieniveaus – und wieder zurück für sind Schwingungszustände innerhalb der Elektronen
Fluoreszenz beruht auf der Eigenschaft von Molekülen, in niveaus, die sich ebenfalls energetisch unterscheiden.
einem elektronischen Grundzustand sowie in angeregten Übergänge zwischen diesen Zuständen (Schwingungs
Zuständen existieren zu können. Veranschaulichen lässt relaxationen) erfolgen unter Aufnahme oder Abgabe von
sich das anhand des Energiestufenmodells (siehe »Das Wärme anstatt von Licht. Wechselt ein Elektron durch
Prinzip der Fluoreszenz«, unten): Danach befinden sich die optische Anregung eines Fluorophors auf die niedrigste
Elektronen eines Moleküls auf bestimmten energetischen unbesetzte Energiestufe, erreicht es nicht automatisch
Niveaus. Diese werden von »unten« (= energiearm) nach sofort das energieärmste Schwingungsniveau. Es »pur
»oben« (= energiereich) mit jeweils zwei Elektronen be zelt« gewissermaßen dorthin und gibt dabei Wärmestrah
setzt. Über dem höchsten besetzten Niveau liegen noch lung ab. Auch wenn ein Molekül aus einem angeregten
weitere, die im Grundzustand jedoch unbesetzt bleiben. Zustand zurückfällt, können Elektronen auf der Grundstufe
Für die Emission von Licht sind die höchste besetzte und zunächst energiereichere Schwingungsniveaus einnehmen
die niedrigste unbesetzte Energiestufe entscheidend. und durch Relaxation Wärme emittieren. Diese thermi
Absorbiert eine fluoreszierende chemische Verbindung schen Strahlungsverluste erklären die langwellige Ver
E E E
MATTHIAS DUCCI
Lichtemission Wärmeabgabe
(Fluoreszenz) (Schwingungsrelaxation)
Grundzustand S0
–O S
– H+ –O
3 3S das Proton, und der Farbstoff erscheint bei Tageslicht gelb.
– SO3–
SO3 + H+ +
Die Zugabe von Säure und damit H -Ionen verschiebt das
Gleichgewicht hin zur protonierten Form, die farblos ist.
Ein Abgleich von Absorptionsspektren von reinem Pyranin
OH O–
und dem extrahierten Farbstoff bestätigt den Verdacht.
Die Hydroxygruppe (–OH) im Pyraninmolekül kann ein Proton Frühere Untersuchungen haben zudem ergeben, dass
+
(H -Ion) reversibel abspalten und so dessen Fluoreszenz verändern. Pyranin darüber hinaus in den gelben Textmarkern Peli
kan 490 und Textliner 48 von Faber-Castell vorkommt.
Die pH-Sensitivität von Pyranin können wir für weitere
schiebung des Fluoreszenzlichts gegenüber der absorbier effektvolle Experimente nutzen, beispielsweise zum Erstel
ten Strahlung. len unsichtbarer Geheimbotschaften. Dafür benötigen wir
Im Fokus unserer Versuche steht zunächst der gelbe Papier, das frei ist von optischen Aufhellern; weißes Papier
Textmarker der Firma Herlitz, dessen Tinte unter UV-Licht scheidet damit aus. Stattdessen eignet sich gelbes oder
grün fluoresziert (eine günstige LED-UV-Taschenlampe hellbraunes Papier, etwa der Sorte »Parchment – Royal Pa-
reicht hierfür aus). Denken Sie, liebe Leserinnen und Leser, per Collection« der Dresdner Feinpapier Werkstatt (erhält
bitte daran, bei den Experimenten stets eine Schutzbrille lich im Papier- und Schreibwarenhandel). Mit dem pyranin
zu tragen. haltigen Textmarker schreiben wir auf das Papier und
Zu Beginn wollen wir untersuchen, wie sich eine tupfen den Text anschließend mit einem Wattepad ab, das
wässrige Lösung des Tintenfarbstoffs verhält, wenn der zuvor in verdünnter Säure (zwei Milliliter 24-prozentige
pH-Wert sinkt. Neben einigen üblichen Glasgeräten wie Salzsäure auf acht Milliliter Wasser) getränkt wurde. Die
Reagenz- und Bechergläsern benötigt man 24-prozentige Säure protoniert das Pyranin, so dass die Schrift unsicht
Salzsäure (Bezugsquelle: Baumarkt), eine Tropfpipette bar wird. Lediglich unter UV-Licht ist sie erkennbar – als
und einen Filterpapierstreifen (zwei mal sechs Zentimeter). blau fluoreszierende Buchstaben (Bilder unten).
Letzteren bemalen wir mit dem Textmarker beidseitig auf Wir können die Geheimbotschaft jedoch auch wieder
einer Fläche von zwei mal zwei Zentimetern und schwen unter Tageslicht lesbar machen. Dazu befeuchten wir das
ken ihn anschließend in einem Becherglas mit zehn Milli Papier mit einer basischen Sodalösung (0,2 Gramm Soda
liter Wasser zirka eine Minute lang hin und her. Die so in fünf Milliliter Wasser). Waschsoda, Chemikern besser
erhaltene gelbe Lösung verteilen wir auf zwei Reagenz bekannt als Natriumcarbonat (Na2CO3), bildet in Wasser
–
gläser. In eines geben wir ein bis zwei Tropfen Salzsäure, Hydroxidionen (OH ) nach folgender Reaktionsgleichung
das andere dient zum Vergleich. Die Salzsäure entfärbt (»aq« steht für »in Wasser gelöst«, »l« für »flüssig«):
die Lösung schlagartig. Unter UV-Licht sieht man, dass die
2– – –
Lösung nun grünblau und nach Zugabe eines weiteren CO3 (aq) + H2O (l) HCO3 (aq) + OH (aq)
Milliliters Säure blau fluoresziert. Carbonation + Wassermolekül
Die Fluoreszenzverschiebung von Grün nach Blau durch Hydrogencarbonation + Hydroxidion
Ansäuern der Lösung lässt vermuten, dass der verwendete
Textmarker den gelben Fluoreszenzfarbstoff Pyranin (Tri Die Hydroxidionen dienen als Protonenfänger: Sie
+
natrium-8-hydroxypyren-1,3,6-trisulfonat) enthält. Pyranin können das H -Ion der OH-Gruppe am Pyranin wieder
ist ein aromatischer Kohlenwasserstoff mit einem Grund abspalten und damit neutrale H2O-Moleküle bilden.
gerüst aus vier Benzolringen (eine so genannte polyzykli Nach der Sodabehandlung liegt der Farbstoff daher über
sche Verbindung). Von seiner Hydroxygruppe (OH-Gruppe) wiegend im deprotonierten, gelben Zustand vor.
Von links nach rechts: das Wort »Geheimtinte«, geschrieben mit einem Textmarker, der einen
gelben Fluoreszenzfarbstoff enthält. Tupft man das Papier mit Salzsäure ab, verschwinden die
Buchstaben. Mit UV-Licht wird die »unsichtbare« Schrift wieder lesbar.
MATTHIAS DUCCI
spektrum.de/artikel/1706916
Wenn Kinder das erste Mal einen Wasserfarbkasten farblose Lösung, da Ethanol weit weniger dazu neigt, Proto-
vor sich haben, wissen sie noch nicht, was beim Zu- nen aufzunehmen als Wasser, und das Gleichgewicht somit
sammengeben der unterschiedlichen Farben heraus- nahezu vollständig auf der linken (farblosen) Seite liegt.
kommt. Das erste Experiment ist daher für kleine Beob-
achter vielleicht spannender als für Erwachsene: Mischen SO3– SO3–
Sie die gelbe und blaue Farbe eines Wasserfarbkastens. 3 Na+ 3 Na+
- Brennspiritus (Ethanol)
- zwei Glasgefäße, die mehr als zehn Milliliter fassen Die Ionen des Pyraninmoleküls liegen in Lösungen sowohl
mit OH-Gruppe (links; farblos) als auch deprotoniert mit
(beispielsweise 0,2-cl-Schnaps- oder Rollrandgläser) O–-Gruppe (rechts; gelb) vor. Je nach Tendenz des Lösungs
- einen zwei mal acht Zentimeter großen Streifen einer mittels, Protonen aufzunehmen, liegt das Gleichgewicht eher
Kunststofffolie, etwa farblose, dünne Verpackungsfolie auf der linken oder auf der rechten Seite.
- eine Tropfpipette.
Mit einem geeigneten Messgefäß füllt man in beide Zu den zehn Millilitern Ethanol im zweiten Schnapsglas gibt
Gläschen je zehn Milliliter Brennspiritus. Der Folienstreifen man nun einen Tropfen roter Lamy-Tinte. Dadurch färbt sich
wird auf einer Fläche von drei mal zwei Zentimetern mit die Lösung sehr schwach rot und fluoresziert ganz leicht
dem gelben Textmarker bemalt und in eines der Gläschen gelb. Denn die Tinte enthält den Farbstoff Eosin Y.
getaucht. Anschließend nimmt man ihn heraus, trocknet
ihn mit einem Haushaltstuch und wiederholt den gesam- Br Br
ten Prozess noch zweimal mit derselben Lösung. Auf diese –O O O
Weise löst sich der Farbstoff im Brennspiritus. Sehen wird
man davon zunächst nichts, denn die entstandene Lösung
Br Br
bleibt farblos. Der Grund dafür sind die besonderen Eigen-
COO –
schaften des Pyranins, das in Lösung ein Gleichgewicht
2 Na+
zwischen einer protonierten, farblosen sowie einer depro-
tonierten, gelben Form ausbildet (Strukturformeln rechts
oben). In neutraler, wässriger Umgebung liegt das Gleich-
gewicht so weit auf der rechten Seite der Gleichung, dass Der Farbstoff Eosin Y ist in einigen roten Tinten enthalten.
eine Pyraninlösung gelb erscheint: Weil die Pyraninmole-
külionen ein Proton (H+) ihrer OH-Gruppe bereitwillig an Die hergestellten Lösungen bieten unter UV-Licht (Wel-
das Wasser abgeben, liegen so viele deprotonierte Pyra lenlänge 365 nm) ein beeindruckendes Bild, da die Pyranin-
ninteilchen vor, dass das menschliche Auge die gelbe lösung intensiv blau und die Eosin-Y-Lösung gelb fluores-
Farbe wahrnehmen kann. In Ethanol erhält man eine ziert (Bild S. 27 oben links).
MATTHIAS DUCCI
Farbton (Bild rechts)! Lösungen leuchtet unter UV-Licht weiß.
Die falsche Erwartung der Schüler und Studenten ist
damit zu erklären, dass sie das Prinzip der subtraktiven
Farbmischung auf das vorliegende Experiment angewen-
det haben. Dieses Prinzip haben sie nämlich fest verinner- vorhandenen Licht subtrahiert. Das restliche Licht bildet
licht, da sie es – obwohl nicht unter dieser Bezeichnung – eine Mischfarbe. Somit tritt die subtraktive Farbmischung
spätestens seit der Grundschule vom Mischen der Was- immer dann auf, wenn Körper, die nicht selbst leuchten,
serfarben kennen. Bei der subtraktiven Farbmischung wird einen Farbeindruck hervorrufen. Schon die drei Grundfar-
ein Teil des Lichts durch Farbfilter ausgeblendet oder ben Zyan, Magenta und Gelb reichen aus, um alle erdenk-
durch Pigmente absorbiert und dadurch vom ursprünglich lichen Farben zu mischen (Bild unten links).
Im Gegensatz dazu ergibt sich bei dem Experiment mit
den fluoreszierenden Lösungen eine additive Farbmi-
schung. Sie liegt immer dann vor, wenn farbiges Licht aus
verschiedenen Lichtquellen zusammentrifft. Hierbei hängt
der resultierende Farbeindruck von den Ausgangsfarben
und deren Intensität ab. Die drei Grundfarben sind dabei
Rot, Grün und Blauviolett (RGB). Nach internationaler
Norm handelt es sich um monochromatisches Licht der
Wellenlängen 700 Nanometer (nm) (Rot), 546 nm (Grün)
und 435 nm (Blauviolett). Werden diese in geeigneter
Helligkeit addiert, sieht man Weiß (Bild links). Eine Mi-
schung aus Grün und Rot ergibt Gelb, aus Grün und
Blauviolett entsteht Zyan, und mit Blauviolett und Rot
Das Prinzip der Additive Farbmischung der erhält man Magenta. Andere (Misch-)Farben kann man
subtraktiven Farbmi- Grundfarben Rot, Grün und
schung aus den Blauviolett. Der Hintergrund erzeugen, indem man die Lichtintensitäten verändert.
drei Grundfarben Zyan, symbolisiert die Empfindung Grundsätzlich ist das Farbsehen beim Menschen eine
MATTHIAS DUCCI
Magenta und Gelb. Schwarz (kein Licht). additive Farbmischung. So befinden sich in der Retina drei
Zapfentypen:
MATTHIAS DUCCI
einzeln wahrnimmt. Nach diesem Prinzip funktionieren die
auf dem RGB-Raum basierenden Farbwiedergabeverfah-
ren vieler Bildschirme, wie etwa des Displays von Smart-
phones, des Computermonitors oder des Bildschirms von
Fernsehgeräten (Bild unten). Bei der LCD-Technologie (LCD
steht für Liquid Crystal Display, also Flüssigkristalldisplay)
besteht jeder Pixel aus drei Subpixeln mit den Grundfarben
Rot, Grün und Blau, die unabhängig voneinander ange-
steuert werden können.
Bereits eine historische Stilrichtung der Malerei, der
so genannte Pointillismus, nutzte das Prinzip der addi
tiven Farbmischung. Er gilt als Weiterführung des
Impressionismus und hatte seine Blütezeit von 1889 bis
1910. Das charakteristische Merkmal dieser Stilrichtung
ist ihre Maltechnik, die der Künstler Georges Seurat
(1859–1891) geprägt hat. Er beschäftigte sich in den
1880er Jahren intensiv mit den neuen Erkenntnissen zur
Farbenlehre und studierte unter anderem die Arbeiten
von Maxwell zur Farbwahrnehmung und zur additiven
Farbmischung. Darauf aufbauend entwickelte er die
Maltechnik, bei der das gesamte Bild aus kleinen, regel-
mäßigen Farbtupfern möglichst weniger verschiedener
Mit Hilfe von drei LED-Strahlern lässt sich das Prinzip Farben besteht. Auf diese Weise erlangt der Betrachter
der additiven Farbmischung anschaulich demonstrieren. erst in einer gewissen Entfernung einen Gesamt(farb)-
eindruck, da optische Verschmelzung und additive Farb-
mischung dann die Formen und Gestalten erkennen
»Blau«-Rezeptoren oder Kurzwellen (KW)-Sensoren, lassen. Das wegweisende Werk dieser Kunstrichtung war
»Grün«-Rezeptoren oder Mittelwellen (MW)-Sensoren und Seurats Bild »Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La
»Rot«-Rezeptoren oder Langwellen (LW)-Sensoren. Grande Jatte«, das er von 1884 bis 1886 schuf. Es ist heu-
Je nach einfallendem Licht werden sie unterschiedlich te im Art Institute of Chicago ausgestellt.
stark erregt, und erst im Gehirn entsteht der Farbeindruck Genauso kann eine rasch alternierende Folge farbiger
(physiologische Farbmischung). Dieses Prinzip des Drei Flächen einen einheitlichen Farbeindruck erzeugen. Am
farbensehens sagte bereits der Physiker und Arzt Thomas besten sieht man das an einem Farbkreisel. Hierzu teilt
Young (1773–1829) in seiner trichromatischen Theorie
vorher, die John Dalton (1766–1844), James Clerk Maxwell
(1831–1879) sowie Hermann von Helmholtz (1821–1894) Die Makroaufnahme eines Computerbild-
weiterentwickelten. Genaue wissenschaftliche Untersu- schirms zeigt die eng beieinanderliegenden
chungen haben die Theorie inzwischen weitgehend bestä- Subpixel aus Rot, Grün und Blauviolett.
tigt, auch wenn die Absorptionsmaxima der Rezeptoren
O O N
der Mitte eine Lösung aus allen drei Grundfarben. 1 ml 1 ml etwa 6 Tropfen Weiß
MATTHIAS DUCCI
spektrum.de/artikel/1396788
Im April 2011 gab der US-Geheimdienst, die Central Rezepte für Geheimtinten gab es schon vor über
Intelligence Agency (CIA), sechs Dokumente für die 2000 Jahren. Eines steht zum Beispiel in den Schriften
Öffentlichkeit frei, die jahrzehntelang als geheim und des Philon von Byzanz, eines griechischen Erfinders,
seit Ende der 1970er Jahre immerhin noch als vertraulich Konstrukteurs und Autors. Die verborgene Nachricht wird
eingestuft waren. Darin stehen unter anderem zahlreiche dabei mit farblosem Gallapfelextrakt geschrieben. Der
Rezepturen für Geheimtinten und ihre Entwicklerlösungen Empfänger kann sie dann mit Eisensalzen sichtbar ma-
aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. chen, weil Eisen(III)-Ionen mit Gallussäure eine tiefschwar-
Die späte Veröffentlichung nach fast einem Jahrhundert ze Komplexverbindung bilden.
sorgte für Spott in der Presse, da die Rezepturen in dieser
Form wohl schon seit Langem nicht mehr im Nachrichten- Geheime Liebesbriefe mit Wolfsmilch
dienst eingesetzt werden. Es mute doch recht seltsam an, Im Jahr 50 n. Chr. erwähnte Plinius der Ältere eine Geheim-
dass derlei Material fast 100 Jahre als geheim eingestuft tinte aus dem Saft der auch als Wolfsmilch bezeichneten
worden sei, wo doch jedes aufgeweckte Kind, das gängige Euphorbie. Die Schrift ist nicht mehr zu erkennen, wenn
Kriminalgeschichten gelesen hat, sich mit etwas Zitronen- der Milchsaft trocknet, und kommt erst beim Erhitzen des
saft an unsichtbarer Tinte versuchen könne, schrieb etwa Pergaments wieder zum Vorschein. Mit solchen blassen
die »Washington Post«. Ins gleiche Horn blies der Nach- Tinten, die erst in der Wärme einen kräftigen Farbton
richtensender N24: »Wie man Geheimtinte herstellt, stand annehmen, wurden vom 17. bis zum 19. Jahrhundert gerne
bereits mehrfach in der Micky Maus.« geheime Liebesbriefe verfasst. Dass sie zum Bekunden
Dem Stempel auf einem der Dokumente ist gleichwohl verborgener Zuneigung dienten, trug ihnen den Beinamen
zu entnehmen, dass noch Anfang 1978 entschieden wurde, »sympathetisch« ein.
es von der automatischen Offenlegung auszunehmen. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR befasste
Eine erneute Prüfung sollte erst 2020 erfolgen. sich noch bis in die 1980er Jahre mit Geheimtinten. In der
MATTHIAS DUCCI
–
SO42
H3N NH3 Mit Ammoniakdämpfen sichtbar
gemachter Geheimtintentext
+
Cu2 aus Kupfersulfatlösung (links).
Das Ammoniak verwandelt das
H3N NH3 blassblaue Kupfersulfat-Penta
hydrat in das tiefblaue Tetra
OH2 amminkupfersulfat-Monohydrat
(rechts).
MATTHIAS DUCCI
Chemiker immer neue Rezepturen. Das Sortiment war
schließlich so umfangreich, dass ab 1987 eine elektroni-
sche Datenbank dafür aufgebaut wurde.
Selbst heute finden Geheimtinten gelegentlich noch
Verwendung. So berichtet der bis 1995 für den britischen
Geheimdienst MI6 arbeitende Agent Richard Tomlinson in
seinem 2001 publizierten Enthüllungsbuch über einen zur
Ausrüstung gehörenden Stift zum Verfassen unsichtbarer
Botschaften. Und 2008 wurde ein mutmaßliches Al-Kaida-
Mitglied in England verhaftet, das ein Buch mit verdäch
tigen Telefonnummern mit sich führte, welche mit Ge-
heimtinte notiert waren. Außerdem schreiben Häftlinge in
Gefängnissen mitunter Nachrichten mit Urin. Pikanter Eine lugolsche Lösung bringt zum Vorschein, was zuvor
weise handelt es sich dabei ebenfalls um eine sympathe mit einer Geheimtinte aus Stärkelösung geschrieben
tische Tinte. wurde.
Abgesehen von den Rezepturen für Geheimtinten und
ihre Entwicklerlösungen ermöglichen die CIA-Dokumente
faszinierende bis kuriose Einblicke in die einstige Agen Insgesamt enthalten die Unterlagen etwa 50 Rezeptu-
tentätigkeit. So enthalten sie allerlei Tipps für den Spiona- ren für Geheimtinten und ihre Entwicklerlösungen. Hier-
gealltag, indem sie zum Beispiel verraten, wie ein Brief von haben wir drei recht harmlose ausgewählt, die sich
vom Adressaten unbemerkt geöffnet und wieder ver- mit allgemein verfügbaren Chemikalien, vor allem Haus-
schlossen werden kann. Generell suspekt seien frisch haltsprodukten, nachvollziehen lassen. Ein weitaus größe-
gestrichene Metallwände etwa auf Schiffen, da sich unter res Sortiment bieten zwei Veröffentlichungen, die in den
der Farbe eine geheime Botschaft verbergen könne. Einen Quellen am Schluss aufgeführt sind (Ducci & Krahl, 2013
derartigen Verdacht solle man mit Hilfe von Terpentin und Ducci, 2014). Für die dort beschriebenen Rezepte
überprüfen. benötigt man allerdings teilweise Schulchemikalien.
Ferner enthalten die CIA-Dokumente Ratschläge, wie Obwohl wir die nachfolgenden Versuche sorgfältig
sich eine Geheimtinte, in diesem Fall eine Stärkelösung, erarbeitet haben, übernehmen der Verlag und wir als
unbemerkt mitführen lasse. Demnach könne man zum Autoren keine Haftung für die Richtigkeit der Angaben,
Beispiel ein Taschentuch damit tränken und es dann Hinweise und Ratschläge sowie für eventuelle Druckfehler.
trocknen lassen. Das gelte es später nur wieder zu be- Jeder Experimentator ist selbst gehalten, sich über das
feuchten. Gefährdungspotenzial der verwendeten Stoffe zu informie-
Eines der CIA-Dokumente richtet sich an US-amerika ren, mit entsprechender Vorsicht vorzugehen und am Ende
nische Postinspektoren. Dort heißt es: »Es gibt eine Reihe alle Substanzen ordnungsgemäß zu entsorgen.
weiterer Methoden, die Spione und Schmuggler je nach Die erste von uns herausgegriffene Geheimtinte der
Geschick und Ausbildung einsetzen – etwa Texte unter CIA-Dokumente ist eine stark verdünnte Kupfersulfat
Briefmarken schreiben, Botschaften in Medikamenten lösung. Sie sei, heißt es dort, mit einem weichen Zahn
kapseln verpacken und Nachrichten oder Zeugnisse auf stocher aufzutragen und werde später mit konzentrierten
Zehennägel gravieren, wo sie später mit Ruß sichtbar Ammoniakdämpfen entwickelt, welche die unsichtbare
gemacht werden.« Schrift blau erscheinen ließen. Wir haben dieses Rezept
für den Hausgebrauch etwas abgewandelt. Benötigt
Ausgewählte Rezepte im Praxistest werden ein feiner Pinsel, gelbliches oder hellbraunes
Zum Teil führen die CIA-Dokumente recht triviale Ge- Papier, ein Reagenzglas, ein Teelicht und ein kleines Glas-
heimtinten auf, so den schon erwähnten Zitronensaft. gefäß – etwa ein 50-Milliliter-Becherglas – sowie als Che-
Um damit geschriebene Texte sichtbar zu machen, wird mikalien Hirschhornsalz und Kupfersulfat-Pentahydrat
empfohlen, mit einem heißen Bügeleisen darüberzu (CuSO4 · 5 H2 O), das im Fachhandel für Poolbedarf erhält-
fahren. lich ist.
Andere Rezepturen beinhalten Chemikalien, von denen In dem Glasgefäß löst man 1,5 Gramm der Kupferver-
erhebliche gesundheitliche Risiken ausgehen, so dass bindung in 100 Milliliter Wasser. Der Pinsel dient dazu,
heutzutage nur fachlich geschultes Personal unter Labor- mit dieser Lösung auf dem Papier zu schreiben. Am bes-
bedingungen damit hantieren darf. Ein Beispiel ist eine ten taucht man ihn nach jedem Buchstaben erneut ein.
Platinchloridlösung, die mit Quecksilberdämpfen entwi- Nach dem Trocknen ist die Schrift nicht mehr mit dem
ckelt wird. Zahlreiche Vorschriften sehen sogar vor, die Auge wahrnehmbar. Wegen der gelbbräunlichen Tönung
verborgene Schrift mit Schwefelwasserstoff zum Vor- des Papiers gilt das selbst dann, wenn man es gegen eine
schein zu bringen, jenem berüchtigten, stark giftigen Gas, Lichtquelle hält. Bei weißem Schreib- und Kopierpapier
das penetrant nach faulen Eiern riecht und früher in Stink- würde sich die Schrift dagegen schattenhaft abzeichnen.
bomben enthalten war. Deshalb steht in den Dokumenten Als Nächstes füllt man das Reagenzglas etwa zwei
immer wieder, man solle die Dämpfe nicht einatmen. Zentimeter hoch mit dem Hirschhornsalz und erhitzt es
MATTHIAS DUCCI
dasselbe wie beim Backen: Das Hirschhornsalz, das che-
misch überwiegend aus Ammoniumhydrogencarbonat
besteht, zerfällt und setzt Kohlenstoffdioxid und Ammo
niak frei. Hält man nun das Papier mit der beschrifteten
Seite direkt über die Reagenzglasöffnung, erscheinen die
Zeichen in Blau (siehe Bild S. 30 links).
Chemisch lassen sich die Beobachtungen leicht erklären.
Die Konzentration der Kupfersulfatlösung ist so gering,
dass die blassblaue Farbe des enthaltenen Tetraaquakupfer-
Komplexes nach dem Auftragen auf dem Papier optisch
nicht erkennbar ist. Dasselbe gilt für das Kupfersulfat-Pen-
tahydrat nach dem Trocknen. Mit den Ammoniakmolekülen
bildet sich dagegen gemäß der folgenden Gleichung, in
der »s« für »fest« (englisch: solid), »l« für »flüssig« (liquid) Eine Geheimtinte aus Ammoniumalaunlösung und
und »g« für »gasförmig« steht, ein Tetraamminkupfer-Kom- Knoblauchsaft färbt sich beim Erhitzen mit einem Teelicht
plex, genauer: das Tetraamminkupfersulfat-Monohydrat. braunschwarz.
MATTHIAS DUCCI
Langem bekannt, und deshalb verwundert es doch sehr, Strukturformel von
dass die CIA noch bis in unser Jahrhundert hinein glaubte, 4-Aminonaphthalin-1-
die Rezepte quasi als Staatsgeheimnisse hüten zu müssen. sulfonat, geschrieben
Vergleichsweise ungewöhnlich nimmt sich dagegen das mit fluoreszierender
dritte Beispiel aus, das wir hier vorstellen wollen. In den Geheimtinte aus
Dokumenten taucht es überraschenderweise als »deutsche Haushaltsprodukten,
Formel« auf, ohne dass klar wäre, worauf diese Bezeich- die unter UV-Licht
nung beruht. bläulich leuchtet.
Für das Rezept brauchen wir außer den schon bekann-
ten Utensilien eine Knoblauchzehe und einen gewöhnli-
chen Kristalldeostick, der chemisch aus Ammoniumalaun Heitmann hinzu, der bis zu 30 Prozent aus Natriumdithio-
NH4 Al(SO4 )2 · 12 H2 O besteht. Von ihm schaben wir etwa nit besteht. Da dieses Reduktionsmittel Cochenillerot A an
0,5 Gramm ab und lösen sie in zehn Milliliter Wasser. der Azogruppe in aromatische Amine spaltet (S. 32 unten),
Dann zerquetschen wir die Knoblauchzehe mit einer schlägt die Farbe von Rot nach Gelb um. Die Dithionitio-
Knoblauchpresse und schlämmen den Brei mit etwas nen werden dabei gemäß der Gleichung
Wasser auf. Einen Milliliter dieses Safts mischen wir mit
2– 2– + –
dem gleichen Volumen der Alaunlösung. Fertig ist die S2O4 (aq) + 2 H2O (l) 2 SO3 (aq) + 4 H (aq) + 2 e
Geheimtinte, mit der wir wieder mittels Pinsel einen Text
auf bräunliches Papier malen. Nach dem Trocknen ist er zu Sulfitionen oxidiert.
unsichtbar. Erwärmt man das Papier jedoch über einem Die resultierende Lösung lässt sich auf gelbem oder
Teelicht, erscheint nach etwa einer halben Minute eine leicht braunem Papier, das allerdings keine Weißmacher
braunschwarze Schrift (Bild S. 32 oben). enthalten darf, als Geheimtinte verwenden, weil eines der
Die Verfärbung rührt vor allem von Zersetzungsproduk- beiden Spaltprodukte – nämlich das 4-Aminonaphthalin-
ten des Papiers her, die sich in der Wärme an den zuvor 1-sulfonat – bläulich fluoresziert, wenn ultraviolettes Licht
benetzten Stellen bilden, weil hier die Zellulose von der darauffällt (Bild oben). Idealerweise beleuchtet man die
sauren Geheimtintenlösung teilweise gespalten – chemisch: unsichtbare Botschaft in einem dunklen Raum mit einer
hydrolysiert – wurde. Die Aluminiumionen wirken nämlich UV-Handlampe. Diese darf nur äußerst wenig sichtbares
gemäß der Gleichung Licht aussenden, damit sie die Fluoreszenz nicht über-
strahlt.
3+ 2+ +
[Al(H2O)6] (aq) + H2O (l) [Al(H2O)5OH] (aq) + H3O (aq) An Methoden zur Übermittlung von Nachrichten, die an
James-Bond-Filme erinnern, wird sogar heute durchaus
als Kationensäure. Außerdem tragen braune Zersetzungs- noch vereinzelt geforscht. So berichteten Rafal Klajn und
produkte des Knoblauchsafts zur Verfärbung bei. Kollegen von der Northwestern University in Evanston
Beide Flüssigkeiten können jede für sich als sympatheti- (Illinois) 2009 in der Zeitschrift »Angewandte Chemie«
sche Geheimtinte dienen. Dabei zeigt die Alaunlösung über die Entwicklung eines Verfahrens zum Verfassen
nach dem Trocknen und Erwärmen einen wesentlich inten- geheimer Botschaften, die sich nach dem Sichtbarmachen
siveren Effekt als der Knoblauchsaft, der nur eine schwach von selbst wieder löschen. Träger der Nachricht sind auf
braune Verfärbung des Papiers bewirkt. Papier aufgebrachte Nanopartikel aus Gold oder Silber.
Diese verklumpen bei Bestrahlung mit einem Stift, der
Nur unter UV-Licht sichtbar UV-Licht aussendet. Das Geschriebene kommt dadurch
Unter Schülern erfreuen sich neuerdings Geheimstifte zum Vorschein. Mit der Zeit zerfallen die Klumpen, so dass
großer Beliebtheit, die von zahlreichen Firmen angeboten die Schrift wieder verschwindet. Wie schnell das ge-
werden. Mit ihnen geschriebener Text ist unsichtbar und schieht, hängt von der Intensität der UV-Bestrahlung ab,
leuchtet nur bei Bestrahlung mit UV-Licht auf. Zu diesem da diese über die Größe der gebildeten A ggregate ent-
Zweck ist meist eine Licht emittierende Diode (LED) am scheidet. Eine Rekonstruktion der Botschaft nach dem
oberen Ende des Stifts angebracht. Der Grund für dessen Zerfall sei ausgeschlossen, versichern die Entwickler des
Beliebtheit wird deutlich, wenn man die Produktbewertun- Verfahrens.
gen auf den einschlägigen Internetportalen liest. Da heißt
es etwa: »Ideal zum Spicken, helles, aber unauffälliges
Licht, so lassen sich ganz einfach Formeln und so weiter QUELLEN
unsichtbar notieren. Echt zu empfehlen.«
Ducci, M., Krahl, E.: A German Formula – Rezepte für Geheim-
Farblose Tinten, die beim Bestrahlen mit UV-Licht tinten aus den Archiven der CIA. CHEMKON 20, 2013
fluoreszieren, kann man selbst aus normalen Haushalts-
produkten herstellen. Hierzu lösen Sie eine halbe Tablette Ducci, M.: Historische Geheimtinten der CIA. Chemie & Schule
29, 2014
der Saubär-Badewasserfarbe, die in Drogeriemärkten
erhältlich ist und den roten Azofarbstoff Cochenille-rot A Klajn, R. et al.: Writing self-erasing images using metastable
nanoparticle »Inks«. Angewandte Chemie 121, 2009
enthält, in 25 Milliliter Wasser. Anschließend fügen Sie
einige Spatelspitzen Power-Entfärber »Intensiv« der Firma Macrakis, K.: Die Stasi-Geheimnisse. Herbig, 2009
spektrum.de/artikel/1505991
Am 19. September 1910 ereignete sich in Chicago ein linien, die so genannten Minuzien. Sie ergeben zusammen
Mord in einer Villa, in die der Täter über die Veranda mit dem Grundmuster ein individuelles Bild, das eindeutig
eindrang. Weil er dabei seine Fingerabdrücke auf dem einer bestimmten Person zuzuordnen ist. Selbst eineiige
frisch gestrichenen Geländer hinterließ, konnte ihn die Poli- Zwillinge haben unterschiedliche Fingerabdrücke. Beim
zei schließlich überführen. Das brachte Thomas Jennings, Griff an das frisch gestrichene Verandageländer hinterließ
so sein Name, nicht nur an den Galgen, sondern sicherte Jennings also in der noch nicht getrockneten Farbe das
ihm auch einen Platz in der Kriminalgeschichte als dem klar erkennbare Abbild der unverwechselbaren Papillar-
ersten anhand von Fingerspuren verurteilten Verbrecher. linien seiner Hand.
Was vor über 100 Jahren noch eine Sensation war, ist Seit 1910 hat die Daktyloskopie, so der Fachausdruck
heute Routine. Das Sichern von Fingerabdrücken gehört für die Analyse von Fingerabdrücken, erhebliche Fort-
seit Langem schon zu den Standardverfahren bei der schritte gemacht. Schon lange müssen Verbrecher nicht
Untersuchung von Tatorten und der Identifikation der mehr in frische Farbe greifen, um verwendbare Spuren
Täter. Der Grund liegt darin, dass die Haut der Handinnen- zu hinterlassen. Meist sind die Fingerabdrücke an Tatorten
flächen und Fußsohlen mit kleinen leistenartigen Erhe allerdings nicht direkt sichtbar, sondern nur »latent«
bungen der Lederhaut, den Papillen, überzogen ist, zwi- vorhanden. Durch Talg- und Schweißdrüsen sondert die
schen denen feine Rillen verlaufen. Sie bilden sich bereits Haut ein Gemisch aus Wasser, anorganischen Salzen –
beim Fötus während des dritten und vierten Schwanger- größtenteils Chloriden – und organischen Bestandteilen
schaftsmonats, wachsen mit dem Körper mit, aber verän- wie Fetten, Peptiden, Aminosäuren und Harnstoff ab.
dern sich nie. Selbst nach Verletzungen bilden sie sich Dieses Gemisch überträgt sich bei jedem Kontakt der
identisch nach oder ergeben charakteristische Narben. Finger im Muster der Papillarlinien auf Objekte und hinter-
lässt so einen unsichtbaren Abdruck. Um ihn zum Vor-
Eisenpulver, Goldstaub oder Kurkuma? schein zu bringen und dauerhaft zu bewahren, bedienen
Im Jahr 1897 entwickelte Sir Edward Henry, damals Poli- sich heutige Kriminologen einer Reihe teils äußerst raffi-
zeichef in Bengalen und später Direktor der Londoner nierter Methoden.
Polizei, das bis heute verwendete System zur Klassifizie- Ein gängiges, aus Kriminalfilmen bekanntes Verfahren
rung von Fingerabdrücken. Es unterteilt die Muster in fünf ist das Einstäuben von Gegenständen, auf denen sich
Kategorien: runder Bogen, spitzer Bogen, radiale Schlinge, möglicherweise Fingerabdrücke befinden. Dabei wird
tangentiale Schlinge und Spirale. feines Pulver – je nach Materialoberfläche etwa aus Eisen,
Zusätzlich betrachten Kriminologen die unterschiedli- Kupfer(II)-oxid oder Eisen(III)-oxid – sehr vorsichtig mit
chen Verzweigungen oder variierenden Enden der Papillar- einem Pinsel aufgetragen. Die Teilchen haften auf Grund
von Adhäsionskräften an der Feuchtigkeit und den Fett- Das edlere Kupfer hat mit einem Standardpotenzial von
bestandteilen des Fingerabdrucks. Nach dem Entfernen + 0,34 Volt eine geringere Neigung, Elektronen abzugeben,
von überschüssigem Pulver bedeckt man das sichtbar als das unedlere Zink mit seinem deutlich negativeren E0
gewordene Muster mit einem Streifen Tesafilm, so dass es von – 0,76 Volt. Analog sind zweifach positiv geladene
sich auf ihn überträgt, weil die Staubpartikel daran hängen Ionen von Kupfer stärker bestrebt, Elektronen aufzuneh-
bleiben. Nach dem Abheben wird der Film zur Aufbewah- men, als die entsprechenden Zinkteilchen. Die Reaktion
rung gewöhnlich auf ein Stück Papier geklebt. von Kuper-II-Ionen mit Zink läuft deshalb gemäß der
folgenden Gleichung freiwillig ab (die Symbole »aq« und
Eine saubere Sache »s« stehen für »in Wasser gelöst« beziehungsweise »fest«):
Das verwendete feine Pulver einzuatmen, ist allerdings
potenziell ungesund – ganz abgesehen von dem Aufwand Cu2+ (aq) + Zn (s) Cu (s) + Zn2+ (aq)
für die anschließende Reinigung des Umfelds. Für eigene Kupfer-II-Ion + Zink Kupfer + Zink-II-Ion
Experimente empfiehlt es sich deshalb, stattdessen eine
Einstaubkammer zu benutzen, die sich beispielsweise Demnach scheidet sich auf einem Zinkblech, das in die
mit einer Tic-Tac-Dose realisieren lässt. Lösung eines Kupfer-II-Salzes (etwa Kupfersulfat, CuSO4)
Dazu ersetzen Sie deren Deckel durch eine stabilere, gehalten wird, sofort Kupfer in Form eines dunklen Über-
passend zurechtgeschnittene Kunststoffscheibe, die Sie mit zugs ab (Bild 2 auf S. 36). Chemiker sprechen von einer
drei Löchern versehen. So lassen sich ein Luftballon zum Zementationsreaktion.
Druckausgleich, eine Krokodilklemme zur Befestigung von Beim Eintauchen eines Kupferblechs in eine Zinksulfat-
Untersuchungsgegenständen oder Objektträgern und eine lösung passiert dagegen in Einklang mit der Theorie nichts
kleine, hohle Spritze anbringen, auf die über einen Adapter (Bild 3 links auf S. 36). Erst durch Anlegen einer elektri-
eine weitere Spritze oder ein Pumpball aufgesetzt ist. schen Spannung – in diesem Fall drei Volt – lässt sich die
Geben Sie nun zwei bis drei Messerspitzen des gut sonst nicht ablaufende Reduktion des unedleren Metalls
getrockneten Pulvers (zum Beispiel im Internet erhältliches erzwingen: Nach einigen Sekunden überzieht sich das
Holi-Pulver) in die Dose. Um es aufzuwirbeln und gleich- Kupferblech mit silberfarbenem Zink (Bild 3 rechts auf
mäßig in der Bedampfungskammer zu verteilen, erzeugen S. 36). Eine solche mit elektrischem Strom herbeigeführte
Sie anschließend mit der größeren Spritze beziehungs- Reaktion bezeichnen Chemiker als Elektrolyse. Dieser
weise dem Pumpball mehrere Luftstöße. Das in die Luft historische Begriff rührt daher, dass bei dem Vorgang in
geblasene Pulver bleibt dabei an den Substanzen des manchen Fällen – wie etwa bei der Elektrolyse von Was-
Fingerabdrucks auf dem Objektträger haften. Mit dieser ser – ein Stoff in seine Bestandteile zerlegt oder »aufge-
Apparatur lassen sich latente Fingerabdrücke sehr schnell, löst« wird.
sauber und ungefährlich visualisieren – und das auf so gut
wie allen Materialien (Bild 1 , siehe oben). Sie ist deshalb Die Spannung steigt
hervorragend für den Einsatz zu Hause geeignet. Aber was haben Zementation und Elektrolyse mit Finger
Doch nicht nur am Tatort, ebenso an Diebesgut und abdrücken zu tun? Ein einfaches Experiment macht das
Tatwaffen sichern Kriminologen Fingerabdrücke standard- klar. Dazu entfetten Sie ein Zinkblech mit Alkohol und ver-
mäßig. Da Gewehre und Messer meist aus Eisen oder sehen es vorsichtig mit einem Fingerabdruck. Dann tau-
Stahl bestehen, spielt das Abnehmen latenter Fingerabdrü- chen Sie es für wenige Sekunden in eine zweiprozentige
cke auf Metallen bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen Kupfersulfatlösung (CuSO4 ist im Internet erhältlich).
eine große Rolle. Außer der bereits geschilderten Methode Erneut scheidet sich fast augenblicklich dunkles Kupfer ab.
bietet sich dazu insbesondere die Elektrochemie an. Der Fingerabdruck bleibt jedoch silberfarben und ist nun
2 : Beim Eintauchen in eine zweiprozentige Kupfersulfatlö- 4 : Ein Fingerabdruck auf einem Zinkblech wird nach dem Ein-
sung überzieht sich ein Zinkblech mit einer dunklen Kupfer- tauchen in eine Kupfersulfatlösung sichtbar, weil sich nur in
schicht. den Papillarrillen dunkles Kupfer abscheidet (links). Auf einem
3 : Ein Kupferblech zeigt beim Eintauchen in eine Zinksulfat- Kupferblech wiederum lassen sich Fingerabdrücke mit einer
lösung dagegen keinerlei Reaktion (links). Erst nach Anlegen Zinkelektrolyse zum Vorschein bringen (rechts).
einer elektrischen Spannung scheidet sich Zink darauf ab 5 : Die Elektrolyse in einer Kupfersulfatlösung macht Finger-
(rechts). abdrücke auf Messerklingen aus Stahl sichtbar.
gut zu erkennen (Bild 4 links). Umgekehrt ergibt die Stellen, an denen die Papillen Fettspuren hinterlassen
elektrolytische Abscheidung von Zink auf Kupfer einen haben, bleiben frei, so dass hier der Stahl hindurchschim-
Negativabdruck aus silbernem Zink beziehungsweise mert. Deshalb tritt der Fingerabdruck deutlich hervor (Bild
einen Positivabdruck des kupferfarbenen Grundmetalls 5 ). Im Ernstfall wäre der Täter so überführt.
(Bild 4 rechts). In der Online-Ergänzung zu diesem Artikel sind weitere
Wie lässt sich das erklären? In beiden Fällen kann die Varianten der elektrochemischen Visualisierung latenter
Abscheidung nur stattfinden, wenn gelöstes Metallsalz Fingerabdrücke aufgeführt. Sie alle wurden im Rahmen
und Metall direkt miteinander in Kontakt kommen. Die eines fachwissenschaftlichen Seminars in der Abteilung
fettigen Komponenten des Fingerabdrucks verhindern Chemie der Pädagogischen Hochschule Freiburg erarbei-
jedoch genau das. Infolgedessen scheidet sich das redu- tet. Wichtige Beiträge leisteten dabei die Studierenden
zierte Metall nur dort ab, wo diese Fettanhaftungen nicht Annika Erzig und Dennis Lüke.
vorhanden sind, nämlich im Muster der Papillarrillen. Die Elektrochemie gilt oft als eher trockenes Teilgebiet
Für jedes Metall, auf dem ein Fingerabdruck sichtbar der Chemie. Dass sie einen Beitrag zur Aufklärung von
gemacht werden soll, gelten spezielle Versuchsbedin- Verbrechen leisten kann, indem sie Möglichkeiten eröffnet,
gungen, was die Elektrolytlösung, die anzulegende Span- verborgene Fingerabdrücke zum Vorschein zu bringen,
nung und die Reaktionsdauer betrifft. Sie sind präzise lässt sie auf einmal in einem ganz neuen, spannenden
einzuhalten, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Andern- Licht erscheinen.
falls – so etwa bei zu langen Elektrolysezeiten – kann es
zu Überlagerungen kommen, die sich nicht wieder rück-
gängig machen lassen. Der Fingerabdruck bleibt dann für
immer unter dem abgeschiedenen Metall verborgen.
QUELLEN
Matthias Ducci (links) und Marco Oetken sind die Autoren dieses Hefts.
Rachel Fischer forscht in Oetkens Arbeitsgruppe im Bereich der Forensi
schen Chemie.
spektrum.de/artikel/1681222
Die Daktyloskopie (wörtlich: »Fingerbeschau«) spielt (des »Spurenträgers«), dem Alter der Spur und den äuße
seit mehr als 100 Jahren eine zentrale Rolle bei der ren Bedingungen (etwa nasse oder trockene Umgebung)
Aufklärung von Verbrechen. Die erste Methode, die gezielt ausgewählt und eingesetzt werden können.
eine Visualisierung nicht direkt sichtbarer Fingerabdrücke Heute arbeitet die daktyloskopische Forschung einer
am Tatort ermöglicht hat, nutzte dazu ein feines Pulver, seits daran, bestehende Verfahren zu optimieren, und
beispielsweise Kohlestaub. Man gab es auf die zu untersu andererseits daran, neuartige Visualisierungsmethoden
chende Fläche, wodurch darauf vorhandene Abdrücke zu entwickeln. Maßgebend ist dabei vor allem, dass die
sichtbar wurden. Die Technik wird bis heute eingesetzt Verfahren einfach zu handhaben sind, die eingesetzten
und ist in Film und Fernsehen zu sehen. Daneben sind Chemikalien ungefährlich und das Abbild des Fingerab
mittlerweile zahlreiche weitere Verfahren entwickelt wor drucks eine hohe Qualität aufweist.
den, die je nach Beschaffenheit und Farbe der Oberfläche Für elektrisch leitende und nicht saugfähige Unter
lagen gibt es seit etwa 15 Jahren eine Visualisierungs
Berliner Braun methode. Grundlage dafür ist eine Redoxreaktion
Fe3+[FeIII(CN)6]3– Fingerabdruck zwischen der aufgebrachten Substanz und dem Spuren
träger. Weil die talgreichen Rückstände des Finger
Fe3+[FeII(CN)6]4–
abdrucks an der Unterlage haften, verhindern sie deren
Kontakt zum Nachweisreagens, so dass keine Reaktion
stattfindet. In der Folge erhält man einen Negativabdruck,
e– Spurenträger der fotografiert und ausgewertet werden kann (siehe
Grafik links).
Herkömmlicherweise setzen Spurensicherer dazu
Berliner Blau Metallsalzelektrolyte wie zum Beispiel eine Kupfersulfat
Fe3+[FeII(CN)6]4–
RACHEL FISCHER, PH FREIBURG
Berliner-Braun-
Lösung
4,5-Volt-
Blockbatterie
RACHEL FISCHER, PH FREIBURG
lösung ein. Bei der Reaktion mit dem Spurenträger schei (siehe Artikel ab S. 60). Der ungefährliche Eisen(III)-
det sich Kupfer um den Fingerabdruck herum ab, während hexacyanidoferrat(II/III)-Komplex mit der Zusammenset
das Fingerabdrucksekret unberührt bleibt (mehr dazu im zung FeIII4[FeII(CN)6]3 · n H2O erscheint tiefblau, da zwi
Artikel ab S. 34). Aktuell erforschen Wissenschaftler, ob schen den enthaltenen Eisen(II)- und Eisen(III)-Ionen
sich hierfür eine Berliner-Braun-Lösung eignet, bei der sich Ladung übertragen wird. Bei diesem so genannten
Berliner Blau an der Kathode abscheidet. Die dabei ge Charge-Transfer-Übergang absorbiert der Stoff Licht einer
wonnenen Fingerabdrücke sollen wesentlich detailreicher Wellenlänge von 640 Nanometern. Man erhält die Ver
sein als diejenigen, die sich unter Einsatz einer Metallsalz bindung, indem man ein Eisen(III)-Salz mit gelbem Blut
lösung gewinnen lassen. laugensalz, Kaliumhexacyanidoferrat(II), vermischt.
Berliner Blau ist ein tiefblaues anorganisches Farbpig Dabei bildet sich lösliches Berliner Blau mit der Formel
ment. Es war im 18. und 19. Jahrhundert in Europa weit K[FeIIFeIII(CN)6]. Bei Zugabe von Eisenüberschuss entsteht
verbreitet und wurde zum Einfärben von Kleidung sowie das unlösliche Pigment.
als Malfarbe eingesetzt, zum Beispiel benutzten es be Stellt man Berliner Blau wie beschrieben nass
rühmte Künstler wie Jean-Antoine Watteau, Vincent van chemisch her, ist es jedoch unmöglich, das Produkt auf
Gogh oder etwa Pablo Picasso. Darüber hinaus färbte einer elektrisch leitfähigen Unterlage – dem Spuren-
man mit dem Pigment die preußischen Uniformen ein, träger mit dem Fingerabdruck – abzuscheiden. Daher
weshalb es unter dem Namen Preußisch Blau bekannt produziert man es für die Spurensicherung elektroche
geworden ist. misch aus einer Berliner-Braun-Lösung. In der Forschung
Bis heute verwendet man Berliner Blau unter anderem wird diese Elektrolyse unter Verwendung einer Arbeits-,
als Aquarell-, Öl- und Druckfarbe, aber ebenso in elek einer Referenz- und einer Gegenelektrode durchgeführt.
trochromen Fensterscheiben, die sich durch Anlegen einer Die Arbeitselektrode besteht aus einem mit Indiumzinn
geringen Spannung auf Knopfdruck abdunkeln lassen oxid beschichteten Glas (ITO-Glas, nach dem englischen
QUELLEN
Kohlenstoff ist ein so genanntes polymorphes Ele nungen von Forschung und Politik tatsächlich erfüllen
ment, das in verschiedenen Zustandsformen oder wird, bleibt abzuwarten.
Modifikationen auftreten kann: Bei identischer che Wissenschaftler gewinnen Graphen überwiegend aus
mischer Zusammensetzung können die Atome von Fest Graphit. Zur Herstellung der ultradünnen Folien müssen
stoffen räumlich unterschiedlich angeordnet sein und so sie die so genannten Van-der-Waals-Kräfte überwinden.
Materialien mit gänzlich anderen Eigenschaften hervor Das sind relativ schwache Wechselwirkungen, die zwi
bringen. Im Diamant etwa, dem härtesten natürlich vor schen benachbarten Kohlenstoffschichten auftreten.
kommenden Stoff, bilden die Kohlenstoffatome ein ku Einzelne Graphenlagen lassen sich recht unkompliziert
bisches (würfelförmiges) Kristallgitter. Weiches Graphit mit Hilfe eines Klebestreifens vom dreidimensionalen
hingegen besteht aus regelmäßigen Kohlenstoffsechs Graphitgitter ablösen. Für diese Entdeckung und die erste
ecken in nur locker miteinander verbundenen, waben Charakterisierung von Graphen erhielten die Forscher
artigen Schichten. Neben diesen beiden prominenten Andre Geim und Konstantin Novoselov 2010 den Physik
Vertretern der Kohlenstofffamilie gibt es weitere, exoti nobelpreis.
schere Modifikationen: Fünf- und Sechsecke aus Kohlen Die simple »Tesafilmtechnik« eignet sich für Experimen
stoff können sich zu winzigen Röhrchen (Nanotubes) oder te im Labormaßstab, nicht aber für kommerzielle Zwecke.
käfigartigen Strukturen arrangieren, die Miniaturfußbällen
gleichen (Fullerene). Zudem ist den letzten Jahren eine
zweidimensionale Variante des Graphits in den Fokus der Im Graphen sind die Kohlenstoffatome in einem Muster
Wissenschaft gerückt: Graphen, ein Kohlenstoffatom dicke aus regelmäßigen Sechsecken angeordnet. Übereinander
Folien mit Wabenmuster. gestapelt bilden die wabenartigen Schichten Graphit.
Graphen ist härter als Stahl, gleichzeitig jedoch leichter
und belastbarer. Zudem übertrifft seine Leitfähigkeit die
von Kupfer. Auf Grund dieser einzigartigen Eigenschaften
Graphen
wurde Graphen bereits als »Wundermaterial des 21. Jahr
MARCO OETKEN UND ANDREAS SCHEDY, PH FREIBURG
Synthese von OH
OH
Graphenoxid OH
ClO3–
ClO3–
4 Graphenoxid
– OH
das Graphitgitter und COOH
COOH
OH
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, NACH: MARCO OETKEN UND ANDREAS SCHEDY, PH FREIBURG
COOH COOH
stoff zum Teil. In der CIO3–
O2
O2
OH
COOH
OH
Anode bilden sich CIO3–
COOH COOH
OH OH
zudem Gase, die das OH
OH
OH
OH COOH
CIO –
Gitter weiter aufdrü 3
CO2 COOH COOH OH
OH O2 OH COOH
cken (3). Schließlich CIO3– OH COOH
zerfällt die Anode in COOH
OH
COOH
einzelne Schichten OH COOH
OH OH
COOH OH COOH
OH
aus Graphenoxid (4). OH COOH COOH
IST UNVERGÄNGLICH?
Mit einem spektakulären Experiment versetzte der Begründer der modernen
Chemie seine Zuschauer einst in Erstaunen.
spektrum.de/artikel/1417461
Mit ihrem Funkeln haben Diamanten die Menschen gebiet zwischen Pakistan und Indien. Nach dessen Erobe-
schon immer fasziniert. Einer der größten und ältesten rung durch die Engländer im Jahr 1849 erhielt Königin
ist der Koh-i-Noor, dessen Historie angeblich mehr als Victoria (1819–1901) den Stein als Geschenk der Britischen
5000 Jahre zurückreicht. Vermutlich stammt er aus Kollur, Ostindien-Kompanie. Sie ließ ihn nochmals schleifen,
einem alten Abbaugebiet von Diamanten im Südosten In- um sein Funkeln zu verbessern. Aus einem Diamanten von
diens. Der Überlieferung zufolge stritten schon Hindu-Götter ursprünglich 600 Karat, der zu diesem Zeitpunkt noch
um den Stein. Brahmanen setzten ihn – so die Legende – 186 Karat wog, wurde so ein 110-Karäter. Außerdem verlor
schließlich in die Stirn einer Statue von Shiva ein. der Stein sein charakteristisches fahlgrünes Leuchten.
Nachweislich befand sich der Koh-i-Noor im 14. Jahr- Königin Victoria kannte den Fluch des Koh-i-Noor. Des-
hundert im Besitz des Rajas von Malwa, einer Region im halb ließ sie ihn in eine Krone einsetzen, die laut Testament
westlichen Mittelindien. Später zierte er den damals welt- weiblichen Regentinnen vorbehalten bleiben sollte. Als
bekannten Pfauenthron in Delhi. Der Sage nach ist der Stein Königin Mary (1867–1953) im Jahr 1911 den britischen Thron
jedoch mit einem Fluch belegt. Demnach wird sein Eigen bestieg, trug sie die Krone mit dem sagenumwobenen Stein
tümer zwar »die Welt besitzen, aber das größte Unglück er- aus Indien.
fahren«. Nur eine Frau soll den Diamanten ungestraft tragen Ebenfalls im englischen Königshaus landete der größte je
dürfen. gefundene Diamant, der in Rohform 3106 Karat wog. Er
Tatsächlich kamen viele seiner Besitzer auf mehr oder wurde 1905 in der südafrikanischen Burenrepublik Transvaal
minder abscheuliche Art ums Leben – so auch der persische entdeckt und nach dem damaligen Direktor des Bergwerks,
Schah Nadir (1688–1749), der nach der Eroberung Delhis Sir Thomas Cullinan, benannt. Die Minengesellschaft ver-
im Jahr 1739 dem damals regierenden Großmogul den kaufte den Stein an die Regierung der britischen Kolonie
Diamanten mit einem Trick abluchste. Letzterer hatte sich Transvaal, die ihn König Edward VII. (1841–1910) zum Ge-
vorsorglich ein, wie er meinte, vorzügliches Versteck dafür burtstag schenkte.
ausgedacht: seinen Turban. Und so suchte der Eroberer Die Überführung nach England war hollywoodreif. Auf
zunächst vergeblich danach. Doch dann verriet ihm eine dem Schiff, das den Diamanten angeblich in einem Tresor
abtrünnige Haremsdame das Geheimnis. Der listige Nadir beförderte, hatten sich zahlreiche Diebe und Räuberbanden
schlug seinem Widersacher daraufhin als Zeichen der eingemietet, so dass es wiederholt zu Überfällen und Angrif-
Versöhnung einen Turbantausch vor. Dieser Geste konnte fen auf die 50 Mann starke Sicherheitsmannschaft kam.
sich der Großmogul nicht verweigern. Als der Schah später Einer der Bewacher sowie etliche Kriminelle kamen dabei
in der Nacht in seinem Schlafgemach den Turban entfaltete ums Leben. 36 Gangster wurden nach dem letzten Angriff
und den Diamanten erblickte, rief er aus: »Koh-i-Noor!« – festgenommen und in Ketten nach England gebracht.
übersetzt: »ein Berg von Licht!«. Von da an trug der Diamant Dennoch gelang es einem bis heute unbekannten Trick-
diesen Namen. dieb, den Stein zu entwenden. Ein Besatzungsmitglied
Lange konnte sich der Schah aber nicht an ihm erfreuen, wollte eine Frau gesehen haben, die sich in den Raum mit
denn wenige Jahre später kam er bei einem Aufstand in dem Tresor hineinschlich und wieder verschwand. Während
Teheran ums Leben. In der Folge gelangte der Koh-i-Noor der hektischen Suche nach ihr blieb der Diamant unbeauf-
in die Schatzkammer des Punjab-Reichs im heutigen Grenz sichtigt. Dies nutzte der Dieb, um den Tresor aufzubrechen
und den Inhalt an sich zu nehmen. Viel Freude dürfte er an Höchstwahrscheinlich waren Diamanten noch bis zum
dem Stein jedoch nicht gehabt haben, denn es handelte sich 4. Jahrhundert v. Chr. im Mittelmeerraum unbekannt. Des-
um eine Nachbildung. halb gab es zum Beispiel in der griechischen Sprache kein
Der echte Cullinan kam in einem gewöhnlichen Post eigenes Wort dafür. Umso mehr überrascht, dass der Dia-
päckchen sicher in England an. König Edward ließ ihn von mant, als er zum Handelsgut wurde, nicht den Namen
dem damals berühmten Diamantschleifer Joseph Asscher in seines Herkunftslandes bekam, wie das sonst bei impor-
Amsterdam bearbeiten. Dieser studierte den Stein monate- tierten Waren üblich war. Stattdessen bezeichnete man ihn
lang. Am 10. Februar 1908 wagte er dann den ersten Spalt- mit einem längst vorhandenen griechischen Wort, nämlich
versuch. Es war ein Fehlschlag: Die Klinge brach ab, doch Adamas, was wörtlich übersetzt »unbezwingbar« bedeutet.
der Stein blieb unversehrt. Der zweite Versuch gelang. Daraus leitet sich die heutige Bezeichnung ab.
Allerdings fiel Asscher beim Spaltgeräusch vor Aufregung in
Ohnmacht. Aus weiteren Spaltvorgängen resultierten »Überhaupt ist seine Härte unbeschreiblich«
schließlich neun große (Bild oben) und 96 kleinere Stücke. Unter demselben Begriff Adamas berichtete Plinius der
Das größte Fragment wog nach dem Feinschliff noch Ältere (23/24–79) in seiner »Naturalis Historia«, einem
530 Karat und ziert unter dem Namen Cullinan I das eng- enzyklopädischen Werk zur Naturkunde, über das Mineral:
lische Königszepter. Das zweitgrößte Stück, der Cullinan II, »Überhaupt ist seine Härte unbeschreiblich«, schreibt er,
befindet sich in der englischen Staatskrone. »und gleichzeitig ist es von Natur aus feuerbeständig und
MATTHIAS DUCCI
Man erhitzt Diamantstücke in einem Quarzrohr mit einem
Bunsenbrenner bis zur Rotglut und leitet dann mittels zweier
Kunststoffspritzen reinen Sauerstoff darüber hin und her.
100 ml
100 ml
Unter Normalbedingungen ist eine Unterlage herab und bauen Schicht für Schicht den
Edelstein auf.
Diamant instabiler als Graphit und Diamant ist unter Umgebungsbedingungen übrigens
energiereicher und damit weniger stabil als Graphit. Unter
sollte sich in diesen umwandeln thermodynamischen Gesichtspunkten sollte er sich deshalb
in diesen umwandeln. Der Vorgang ist jedoch kinetisch
Dass Diamant und Graphit Erscheinungsformen ein und gehemmt, wie Chemiker sagen: Er findet nicht statt, weil
desselben Elements sind, mutet höchst erstaunlich an – ha- dazu erst einmal die sehr starken Einfachbindungen zwi-
ben sie doch völlig unterschiedliche Eigenschaften: farblos, schen den Kohlenstoffatomen aufgebrochen werden müss-
extrem hart und elektrisch isolierend der eine; schwarz glän- ten. Das würde die Zufuhr großer Energiemengen erfordern,
zend, relativ weich und Strom leitend der andere. Dennoch die nur bei sehr hoher Temperatur zur Verfügung stehen.
sind beide aus denselben Atomen aufgebaut. Der Unter- Über eine makabre Umwandlung von Graphit in Diamant
schied in den physikalischen und chemischen Eigenschaften berichtete der »Spiegel« im Sommer 2002 (www.spiegel.de/
beruht auf der verschiedenen Anordnung dieser Bausteine wissenschaft/mensch/leichen-diamanten-firma-presst-tote-
sowie den abweichenden Bindungsverhältnissen (Bild links). zu-trauer-klunkern-a-211215.html). Als Weltpremiere bot
Im Diamant hat jedes Kohlenstoffatom vier nächste Nach- damals die Firma LifeGem Memorials aus Elk Grove Village
barn, die sich in den Ecken eines gedachten Tetraeders be- (US-Bundesstaat Illinois) an, die Asche von verstorbenen
finden. Mit ihnen ist es jeweils über eine kovalente Einfach- Angehörigen oder Haustieren zu einem Edelstein zu verar-
bindung verknüpft. Graphit weist dagegen ein Schichtgitter beiten. Den gleichen Service offerieren inzwischen Unter-
auf. Darin liegen die Kohlenstoffatome bienenwabenartig nehmen in Deutschland und der Schweiz. Allerdings ist
in Sechsringen in der Ebene und sind durch alternierende wegen des Bestattungszwangs in der Bundesrepublik, der
Einfach- und Doppelbindungen aneinandergekoppelt. Inzwi- auch für Kremationsasche gilt, der Umweg über das be-
schen kennt man weitere Modifikationen des Kohlenstoffs – nachbarte Ausland erforderlich, in dem die Gesetzeslage die
so etwa die Fullerene, in denen die Kohlenstoffatome fuß- Veredlung der sterblichen Überreste zu einem Schmuck-
ballartige Käfige aus Fünf- und Sechsecken bilden. stück zulässt.
Die Aufklärung der Diamantstruktur gelang 1913 dem Zum Schluss möchten wir dem Dichter und Kaufmann
britischen Physiker William Henry Bragg (1862–1942) und Emil Rittershaus (1834 –1897) das Wort geben, den die
seinem Sohn William Lawrence (1890–1971). In den 1920er Erkenntnis, dass ein Diamant »nur« aus Kohlenstoffatomen
Jahren konnten der Niederländer Peter Debye (1884–1966) besteht, zu dem folgenden Aphorismus inspirierte:
und der Schweizer Paul Scherrer (1890–1969) dann schließ-
lich den atomaren Aufbau von Graphit ermitteln. Alle vier »Wie viele Weise gibt’s zu dieser Frist,
benutzten die Methode der Röntgenstrukturanalyse, die auf Und doch, wie ist der Weisen Schar so klein! –
die Pionierarbeiten des deutschen Physikers Max von Laue Weil jeder Diamant nur Kohle ist,
(1879–1960) zurückgeht.
QUELLEN
Superman zeigt, wie künstlicher Diamant Ducci, M. et al.: Chemistry and Cinema – Eine Unterrichtseinheit
hergestellt werden kann zum Themenfeld Diamant und Graphit inszeniert und illustriert mit
Wenn Diamant und Graphit beide aus Kohlenstoffatomen Szenen aus Spielfilmen. Praxis der Naturwissenschaften – Chemie in
der Schule 58, 2009
bestehen, erhebt sich natürlich sofort die Frage, ob man
beide ineinander umwandeln und insbesondere aus Graphit Jansen, W. et al.: Diamant und Graphit. Naturwissenschaften im
den viel wertvolleren Diamanten herstellen kann. Wer den Unterricht – Physik/Chemie 21, 1987
Film »Superman III – der stählerne Blitz« gesehen hat, kennt Littich, F.: Historische Diamanten und ihre Geschichte. Rühle-
die Antwort zumindest im Prinzip. In einer Szene landet der Diebener, 1982
Held in einer Steinkohlemine, nimmt ein Stück Kohle und Margot-und-Friedrich-Becke-Stiftung (Hg.): Diamant – Zauber und
presst sie fest zusammen. Anschließend öffnet er die Hand, Geschichte eines Wunders der Natur. Springer, 2004
spektrum.de/artikel/1640018
Bei dem Begriff »Kohlenstoffdioxid« denken die meis Außerdem wies Black Kohlenstoffdioxid im Rauch einer
ten vermutlich sofort an den menschengemachten brennenden Kerze, über Gärbottichen und in ausgeatmeter
Treibhauseffekt und dessen Folgen, wie den Anstieg Luft nach. Der englische Chemiker Henry Cavendish
des Meeresspiegels und Extremwetterlagen. Untrennbar (1731–1810), ein spleeniger Aristokrat, dem die Chemie des
verbunden ist mit dem Wort außerdem das Thema fossile 18. Jahrhunderts wohl ihre größten Erfolge verdankte,
Brennstoffe. Nützliche, ja unentbehrliche Funktionen stellte weitere Untersuchungen mit diesem Gas an, wel
dieses Gases, beispielsweise seine Rolle bei der Fotosyn ches er fixierte Luft (»fixed air«) nannte. Im deutschspra
these, werden dabei häufig vergessen. Zudem besitzt das chigen Raum wurde damals auch häufig die Bezeichnung
Molekül eine Reihe interessanter Eigenschaften und ist »fixe Luft« gewählt. Mäuse, Spinnen und Fliegen verende
eine dankbare Quelle für einfache, spannende Versuche. ten in dieser nach wenigen Minuten. Eine Kerzenflamme
Als Entdecker des Kohlenstoffdioxids gilt der schotti brannte umso kürzer, je höher der Anteil an fixer Luft in
sche Chemiker und Physiker Joseph Black (1728–1799). Er einem geschlossenen Glasgefäß war. Betrug er mehr als
erhitzte Kalk (Kalziumcarbonat) sowie Magnesia (Mag elf Prozent, erlosch sie sofort. Die wichtigste Entdeckung
nesiumcarbonat) und stellte fest, dass die beiden Stoffe war, dass die fixe Luft eine erheblich höhere Dichte als
dabei ein Gas abgeben und gleichzeitig einen Massenver normale Luft besitzt. Diese Erkenntnis nutzte Cavendish
lust erleiden. Chemiker formulieren diese Prozesse wie als Möglichkeit, die damals bekannten Gase durch Be
folgt (dabei steht das Symbol »s« für »fest«, »g« steht für stimmung ihres jeweiligen spezifischen Gewichts von
»gasförmig«): einander zu unterscheiden. Bevor sich jedoch die genaue
Zusammensetzung von Kohlenstoffdioxid klären ließ,
CaCO3 (s) —› CaO (s) + CO2 (g)
galt es noch, das Rätsel der legendären »Feuerluft« zu
sowie lösen: Joseph Priestley (1733–1804) und Antoine Laurent
de Lavoisier (1743–1794) hatten ein Gas gefunden, in dem
MgCO3 (s) —› MgO (s) + CO2 (g) eine Kerze länger und heller brannte als an der normalen
Kalziumcarbonat/Magnesiumcarbonat —› Kalziumoxid/Magnesiumoxid + Luft und welches das Leben von Vögeln in abgeschlosse
Kohlenstoffdioxid
nen Behältern verlängerte. Dieses geheimnisvolle Gas war
Black erkannte, dass sich dasselbe Gas bildet, wenn man der Sauerstoff. Lavoisier fand heraus, dass Kohlenstoff mit
Magnesia oder Kalk mit Säuren übergießt. Das ist übri Sauerstoff fixe Luft bildet, womit er deren Zusammenset
gens der Grund dafür, weshalb man niemals Essigreiniger zung entschlüsselte. Durch quantitative Versuche konnte
auf Marmor verwenden sollte, denn dieser ist ein Gemisch er bereits das Atomzahlenverhältnis im Kohlenstoffdioxid
aus Kalziumcarbonaten und Kalzium-Magnesiumcarbonat bestimmen und dessen chemische Formel mit CO2 korrekt
und wird durch die Essigsäure angegriffen. Die chemische angeben.
Reaktion, die hierbei abläuft, lautet (hier steht »aq« für »in
Wasser gelöst«, »l« für »flüssig«): Warum Kohlenstoffdioxid ein Treibhausgas ist
Das Kohlenstoffdioxid-Molekül ist linear aufgebaut und
CaCO3 (s) + 2 H3O+ (aq) —› Ca2+ (aq) + CO2 (g) + 3 H2O (l)
besitzt zwei Doppelbindungen zwischen dem Kohlenstoff
beziehungsweise atom und den beiden Sauerstoffatomen:
O=C=O
MgCO3 (s) + 2 H3O+ (aq) —› Mg2+ (aq) + CO2 (g) + 3 H2O (l)
Kalziumcarbonat/Magnesiumcarbonat + Oxoniumionen —› Kalziumion/ Der Stoff ist farblos, das heißt, er absorbiert nicht im
Magnesiumion + Kohlenstoffdioxid + Wasser sichtbaren Bereich des Lichtspektrums. Dagegen nimmt
MATTHIAS DUCCI
lung? Im Prinzip können wir uns das CO2-Molekül mo O C O
dellhaft als drei Kugeln vorstellen, die über Federn mitein
ander verbunden sind. Die Atome können hin- und her
schwingen, wobei man zwei Typen von Schwingungen
unterscheidet, wie die Abbildung rechts zeigt: symmetri
sche, bei denen sich die Atome so gegeneinander bewe Bewegen sich die Atome senkrecht zur Bindungsachse,
gen, dass das Molekül seine Symmetrie zu jedem Zeit spricht man von Deformationsschwingung. Infrarotstrah
punkt behält, und asymmetrische, bei denen es diese lung bei 15 Mikrometern regt diese an.
kurzzeitig verliert. Letztere werden durch die Absorption
von Infrarotstrahlung ausgelöst.
Solche asymmetrischen Schwingungen können nur
Stoffe ausführen, welche aus zwei verschiedenen Atom
sorten oder aus mehr als zwei Atomen bestehen. Daher
O C O
sind die zweiatomigen Moleküle Stickstoff (N2) und Sauer
stoff (O2) als Hauptbestandteile unserer Atmosphäre keine
Treibhausgase.
Die Kohlenstoffdioxid-Teilchen speichern die aufgenom
mene Energie in Form von Schwingungen und geben sie
(unter geringen Verlusten) als Wärme wieder ab. Das In der Natur kommt Kohlenstoffdioxid in freiem Zustand
geschieht durch Kollisionen mit anderen Luftmolekülen, in nicht nur in der Atmosphäre, sondern auch gelöst in
erster Linie also mit Sauerstoff und Stickstoff, die quasi als Meerwasser vor. In einigen Gegenden, vor allem in der
Wärmeüberträger fungieren. Je mehr Wärme speichern Nähe von Vulkanen, strömt es aus Rissen und Spalten des
des CO2 sich in der Atmosphäre befindet, desto mehr heizt Erdbodens aus. Eine derartige Freisetzung von CO2 führte
sich diese folglich auf. am 21. August 1986 zu einer Tragödie: Im Umfeld des
Nyos-Sees, eines 200 Meter tiefen Kratersees in der Vul
kanregion im Westen Kameruns, starben innerhalb weni
Einfacher Kohlenstoffdioxid-Nachweis: In farbloses, ger Stunden fast 1800 Menschen und Tausende anderer
klares Kalkwasser (links) wird ausgeatmete Luft Lebewesen. Was war passiert? Einige Überlebende wollen
geleitet (Mitte). Dabei entsteht der weiße Feststoff Kalk ein Blubbern aus Richtung des Sees gehört haben, andere
und trübt nach rund 30 Sekunden die Lösung (rechts). berichteten von einer Wolke aus Schaum, die aus dem
Gewässer emporstieg. Als Geophysiker Tiefenwasser
MATTHIAS DUCCI
das Glas mit der Kerze. Hierbei soll nicht die Flüssigkeit
umgegossen werden! Die Kerzenflamme erlischt wie von
Geisterhand. Dieses Experiment verdeutlicht nicht nur die
erstickende Wirkung von Kohlenstoffdioxid, sondern
offenbart gleichzeitig dessen hohe Dichte.
Letztere zeigt sich ebenfalls in einem weiteren beein
druckenden Versuch. Hierzu füllt man eine Kunststoff
schüssel (zum Beispiel eine Salatschüssel mit zirka 24 Zen
timeter Durchmesser und 10 Zentimeter Höhe) etwa einen
Zentimeter hoch mit Wasser. Anschließend werden zehn
Brausetabletten hineingelegt, und die Schüssel wird mit
dem Deckel oder einer Pappe lose abgedeckt (wegen der
Druckentwicklung nicht fest verschließen!). Nachdem sich
die Tabletten vollständig aufgelöst haben, nimmt man den
Beim Versuch »Das Gas ist futsch!« sammelt sich das von der Deckel vorsichtig ab. Nun pustet man Seifenblasen von
Brausetablette freigesetzte Kohlenstoffdioxid im Messzylinder unten so über die Schüssel, dass sie in diese hinabsinken
(Grafik). Nach dem Auflösen der ersten Brausetablette werden (Abbildung S. 50 – nicht direkt in die Schüssel pusten).
70 Milliliter Kohlenstoffdioxid aufgefangen (Foto oben links). Verblüffend: Die Seifenblasen fallen nicht in die Lösung
Vermeintlich entsteht beim Auflösen der zweiten Tablette und zerplatzen, sondern schweben einige Zentimeter über
deutlich mehr CO2 (oben rechts). Tatsächlich hat sich jedoch ein der Oberfläche. Denn das Kohlenstoffdioxid bildet in der
Großteil der ersten Portion in Wasser gelöst, bis dieses mit dem Schüssel ein unsichtbares Polster für die mit Luft gefüll
Gas gesättigt war. Da das Wasser nun kein Kohlenstoffdioxid ten, leichteren Seifenblasen.
mehr aufnehmen kann, wird das von der zweiten Tablette Für den letzten Versuch mit dem Titel »Das Gas ist
freigesetzte CO2 vollständig als Gas aufgefangen. futsch!« benötigt man eine große Glasschale, einen
250-Milliliter-Messzylinder und zwei Brausetabletten. Die
Glasschale wird zur Hälfte mit Wasser gefüllt, der Mess
um in der Lösung einen Niederschlag zu bilden. Anders zylinder vollständig. Dann stellt man ihn mit der Öffnung
verhält es sich, wenn man ausgeatmete Luft mittels eines nach unten in die Schale, wobei man ihn mit der Hand
Strohhalms durch das Kalkwasser perlen lässt. Innerhalb verschließt, damit möglichst wenig Wasser ausläuft. Nun
von etwa 30 Sekunden entsteht der Feststoff Kalzium wird eine Brausetablette rasch unter den Messzylinder
carbonat und trübt die Lösung (siehe Foto auf S. 49 un gebracht. Das entstehende Kohlenstoffdioxid sammelt
ten): Die Luft, die wir ausatmen, enthält rund vier Prozent sich im Messzylinder. Nachdem sich die Tablette komplett
Kohlenstoffdioxid. aufgelöst hat, zeigt die Skala an, dass rund 70 Milliliter
Eine gute CO2-Quelle für die weiteren Versuche sind CO2 entstanden sind (Skizze links).
handelsübliche Brausetabletten. Sie enthalten unter ande Anschließend legt man eine zweite Brausetablette unter
rem Zitronensäure und Natriumhydrogencarbonat. Beim den Messzylinder und liest das Gasvolumen erneut ab.
Lösen einer Tablette in Wasser entsteht durch die folgende Welchen Wert würde man erwarten – das Doppelte des
Reaktion Kohlenstoffdioxid: ersten? Weit gefehlt! Nach dem Auflösen der zweiten
Tablette befinden sich mehr als 250 Milliliter Gas im Mess
HCO3– (aq) + H3O+ (aq) —› CO2 (g) + 2 H2O (l) zylinder (rechtes Foto oben).
Hydrogencarbonation + Oxoniumion (aus der Zitronensäure) —› Kohlen Woran liegt das? In Wasser kann sich vergleichs-
stoffdioxid + Wasser weise viel Kohlenstoffdioxid lösen. Bei Raumtemperatur
und unter Normaldruck nimmt ein Liter Wasser bis zu
Dieses lässt sich wieder mit einer Portion Kalkwasser 1700 Milligramm davon auf, hingegen nur 9 Milligramm
nachweisen. Hierzu zerkleinert man zwei bis drei Tablet Sauerstoff und 20 Milligramm Stickstoff. Beim Zersetzen
ten, gibt sie in eine leere 0,5-Liter-Flasche und fügt etwas der ersten Tablette löst sich daher ein Großteil des ent
Wasser hinzu. Die Flasche wird mit einem durchbohrten stehenden Gases im Wasser. Danach ist dieses nahezu
Stopfen verschlossen, in dem ein Schlauch steckt. Mit daran gesättigt, so dass das von der zweiten Tablette frei-
dessen Hilfe leitet man das entstehende Gas in Kalkwas gesetzte CO2 fast vollständig als Gas aufgefangen wird.
spektrum.de/artikel/1411563
Voraussetzung für den Siegeszug tragbarer elektro Lithiumbatterien kamen zunächst hauptsächlich als
nischer Geräte seit den 1980er Jahren war die Ent Knopfzellen auf den Markt (Bild unten). Darin dient metal
wicklung leistungsfähiger Batterien. Die damals lisches Lithium als Anode (Minuspol). Die Kathode (der
üblichen Nickel-Kadmium- und Nickelmetallhydrid-Akku Pluspol) besteht aus Mangandioxid (MnO2 ) oder einem
mulatoren waren für Handys oder Laptops zu schwer und anderen Material, das Metallionen einlagern kann – ein als
sperrig und boten nicht genügend Speicherkapazität für Interkalation bezeichneter Vorgang.
einen längeren Betrieb. Den Durchbruch brachten schließ Beim Entladen löst sich die Lithiumanode auf. Die
lich Systeme auf Basis von metallischem Lithium. Sie Lithiumatome geben dabei jeweils ein Elektron an den
erreichten die beachtliche Spannung von etwa drei Volt Stromkreis ab und verwandeln sich in positiv geladene
pro Zelle. Das erforderte allerdings den Einsatz einer Ionen, die in die Elektrolytlösung übertreten und zur Ka
organischen Flüssigkeit als Elektrolyt. Das in Nickel- thode wandern. Dort zwängen sie sich in das MnO2 -Gitter.
Kadmium- oder Blei-Akkumulatoren verwendete Wasser Zum Ladungsausgleich nehmen die Manganionen aus
hätte mit dem Lithium reagiert und sich bei der zum Laden dem Stromkreis eine analoge Menge an Elektronen auf
nötigen hohen Spannung zersetzt (durch die Elektrolyse zu und gehen dadurch vom vier- in den dreiwertigen Zustand
Sauerstoff und Wasserstoff). über. Die entsprechenden Gleichungen lauten:
In einer Lithiumbatterie – links der Aufbau einer gebräuchlichen Knopfzelle – dient metallisches Lithium als Anode (Minuspol).
Die bei der Abgabe von Elektronen entstehenden Lithiumionen wandern zur Kathode (dem Pluspol) und werden dort in das
Schichtgitter eines Metalloxids wie Braunstein (Mangandioxid, MnO2 ) eingebaut.
Minuspol
Lithium
(Anode)
Separator
Kunststoff-
dichtring
Pluspol Mangandioxid
MARCO OETKEN
(Kathode)
Stützring
Atomare Vorgänge beim Laden (links) und Entladen (rechts) des Lithiumperchlorat-Akkumulators.
MARCO OETKEN
In einem handelsüblichen Lithiumionenakku wandern beim Laden (links) und Entladen (rechts) Lithiumionen
zwischen der Anode aus Graphit und der Kathode aus einem Metalloxid hin und her.
gesamten Elektrolyten bis zur Kathode wächst und die Minuspol: Cn + x Li++ x e– entladen
Li+x Cnx–
Zelle kurzschließt. Dieses Durchbrennen zerstört nicht nur laden
den Akku, sondern kann den normalerweise leicht ent Pluspol: Cn + x ClO4– entladen
Cnx+(ClO4–)x + x e–
flammbaren organischen Elektrolyten sogar explodieren
laden
lassen – mit potenziell verheerenden Folgen. Gesamt: 2Cn + x LiClO4 entladen
Li+xCnx– + Cnx+(ClO4–)x
Erst nach dem völligen Verzicht auf metallisches Lithium
als Anodenmaterial eroberten Lithium-Ionen-Akkumulato Wegen der gegenläufigen Wanderbewegungen der
ren deshalb gegen Ende des 20. Jahrhunderts den Markt. beteiligten Ionen, die jeweils synchron in die beiden
Bei der modernen, heute verbreiteten Version besteht Elektroden ein- und ausgelagert werden, kann man das
die Anode aus Graphit, in den während des Ladevorgangs System anschaulich als Ziehharmonika-Akkumulator
Lithiumionen eingelagert werden, die beim Entladen wie- bezeichnen. Die genaue Versuchsbeschreibung sowie
der in Lösung gehen (S. 53, untere Bilder). Die Kathode ist weitere Ergänzungen und Hinweise zu diesem Experi-
im Prinzip dieselbe wie bei der ursprünglichen Lithiumbat ment sind in der Online-Ergänzung zu diesem Artikel zu
terie, wobei allerdings meist ein Kobaltoxid statt des Man- finden.
gandioxids verwendet wird. Die Vorgänge an den Elek Bei Ladespannungen von fünf Volt wird der maximale
troden lassen sich also durch die folgenden Reaktionsglei Interkalationsgrad für die Lithiumionen erreicht. Unter
chungen beschreiben: suchungen ergaben, dass dabei auf sechs Kohlenstoffato
me ein Lithiumion entfällt. Demnach hat sich die Verbin
laden
dung LiC6 gebildet. Das lässt sich sogar optisch erkennen:
Minuspol: Cn + x Li++ x e– entladen
Li+xCnx–
Der Graphit erscheint statt schwarz plötzlich goldgelb
laden (Bild links unten). Parallel dazu ändert er seine chemischen
Pluspol: Li+Mn+IIIO2 Li+1–x Mn+IVO2 + x e– + x Li+
entladen Eigenschaften, die nun denen von metallischem Lithium
laden ähneln. Die Ruheklemmenspannung des Dual-Carbon-
Gesamt: Li+Mn+IIIO2 + Cn entladen
Li+1–x Mn+IVO2 + Li+xCnx– Akkumulators ist mit mehr als 4,8 Volt ungewöhnlich hoch.
MARCO OETKEN
nm
Bei maximaler Beladung mit Lithiumionen im Dual-Carbon-Akku färbt sich die Bleistiftmine goldgelb (links).
Die Struktur der entstehenden Verbindung (LiC6 ) ist rechts gezeigt.
Um sich die Funktionsweise dieses Stromspeichers zu preiswerte, umweltfreundliche Alternative und könnten
veranschaulichen, kann man übrigens auf ein verblüffend eine Schlüsseltechnologie für die Energiewende darstellen.
einfaches Modell zurückgreifen. Denken Sie sich zwei Doch sie werfen eine Reihe von Problemen auf, die erst
Eierkartons, der eine mit rot und der andere mit grün noch zu lösen sind. Sobald es entscheidende Fortschritte
gefärbten Eiern. Diese entsprechen den Lithium- bezie gibt, werden wir Sie im Rahmen dieser Rubrik gerne
hungsweise Perchlorationen. Die Kartons stehen für die darüber informieren.
Graphitelektroden. Sind sie gefüllt, ist der Akkumulator
geladen. Im entladenen Zustand liegen die Eier dagegen
zwischen den Kartons (Bilder oben). QUELLEN
spektrum.de/artikel/1626468
Die Energie für mobile elektronische Geräte oder rungen. Speicher auf dieser Basis könnten bis zu zehnmal
Elektrofahrzeuge liefert in der Regel ein Lithium-Io- mehr Leistung bringen als herkömmliche Akkumulatoren.
nen-Akkumulator. Kein Wunder, denn dieser Akku ist Hierbei geht es darum, ein neues Material für die Anode,
der momentan leistungsfähigste wiederaufladbare Batte den Minuspol der Akkuzelle, zu entwickeln. In den ersten Li-
rietyp weltweit. Er kann große Mengen an Energie spei- thium-Ionen-Akkus verwendete man dafür Lithium oder ein
chern und liefert über viele Lade- und Entladezyklen hin- Metall, an dem sich dieses beim Aufladen abscheidet
weg zuverlässig Strom. Das Element Lithium bietet ideale (sekundäre Lithium-Metall-Akkumulatoren). In jüngerer Zeit
Voraussetzungen für den Einsatz in elektrochemischen stößt Lithiummetall als Anodenmaterial bei der Entwicklung
Batteriesystemen, weil es das leichteste aller Metalle ist neuer Batteriesysteme zwar wieder auf Interesse, es konnte
und mit ihm große Spannungen erzeugt werden können. sich jedoch bisher nicht durchsetzen, unter anderem auf
Ein interessanter neuer Ansatz, um die Lithiumakkutech- Grund von Sicherheitsrisiken. Lithium scheidet sich nämlich
nologie noch zu verbessern, nutzt Lithium-Metall-Legie- nicht gleichmäßig, sondern in astartigen Fortsätzen am
Im Dual-Carbon-Akkumulator bestehen
beide Elektroden aus Graphit. Beim
Laden werden Lithiumionen (Li+) in die
Anode (links) und Perchlorationen
MARCO OETKEN
MARCO OETKEN
Metall ab. Bilden sich solche »Dendritenäste« von der die Kathode eingebaut. An den Elektroden finden formal
Anode bis zur Kathode (Pluspol) aus, schließen sie die folgende Reaktionen statt:
Zelle kurz und machen sie unbrauchbar. Da die Akkus eine
oft leicht entflammbare Elektrolytlösung enthalten, explo- Minuspol:
diert in der Folge meist der ganze Akku (mehr zur Funkti- Cn + x Li+ + x e– —› Li+xCnx–
onsweise dieser Lithium-Metall-Akkus im Artikel ab S. 52).
Es bedurfte daher eines Tricks, um den Lithium-Ionen- Pluspol:
Akku Ende des 20. Jahrhunderts auf die Zielgerade zu Li+Mn+IIIO2 —› Li+1–xMn+IVO2 + x e– + x Li+
führen: Statt metallischen Lithiums setzte man Graphit als
Anodenmaterial ein. Es kann Lithiumionen zwischen die Gesamt:
einzelnen, lose zusammengehaltenen Graphitschichten Li+Mn+IIIO2 + Cn —› Li+1–xMn+IVO2 + Li+xCnX–
ein- und wieder auslagern (ein Vorgang, den man als
Interkalation beziehungsweise Deinterkalation bezeichnet). Die kommerziell verwendeten Kathodenmaterialien
Auf dieser Technologie basieren die heute eingesetzten sind jedoch giftig; darüber hinaus könnte Kobalt nach
Lithium-Ionen-Akkus. Schätzungen von Experten bei steigender Nachfrage
Diese bestehen aus einer Graphitelektrode, die beim nach Akkus in den nächsten Jahrzehnten knapp werden.
Laden als Minuspol geschaltet wird (Anode), und einer als Dieses Problem umgehen so genannte Dual-Carbon-Ak-
Pluspol geschalteten Elektrode (Kathode) aus Mischmetall- kumulatoren, in denen Anode sowie Kathode aus Gra-
oxiden wie beispielsweise Lithiummangandioxid (LiMnO₂) phit bestehen. Das funktioniert, weil Graphit nicht nur
oder Lithiumkobaltdioxid (LiCoO₂). Beide Elektroden befin- Lithiumionen ein- und wieder auslagern kann, sondern
den sich in einer Lösung eines lithiumhaltigen Salzes – auch Anionen, also negativ geladene Ionen. Indem
zum Beispiel Lithiumperchlorat (LiClO₄) – in einem organi- Lithiumionen in die Anode und Anionen in die Kathode
schen Lösungsmittel (Elektrolytlösung). Dank der Elektro- eingebaut werden, erreicht man eine Potenzialdifferenz.
lytlösung können Ionen zwischen den Elektroden hin- und In solch einem Akku mit zwei Graphitelektroden, die in
herwandern. Während des Ladevorgangs wird an der eine Lithiumperchloratlösung eintauchen, laufen folgen-
Kathode durch den Entzug je eines Elektrons Mangan(III) de Lade- und Entladevorgänge ab:
zu Mangan(IV) beziehungsweise Kobalt(III) zu Kobalt(IV)
oxidiert; um die entstehende positive Ladung wieder Minuspol:
auszugleichen, lagert die Kathode gleichzeitig ein Lithium- Cn + x Li+ + x e– —› Li+xCnx–
ion aus ihrem Schichtgitter aus. In die Anode hingegen
werden beim Laden sozusagen Elektronen hineingepumpt. Pluspol:
Zum Ladungsausgleich wandern positiv geladene Lithium- Cn + x ClO4– —› Cnx+(ClO4–)x + x e–
ionen in das Graphitgitter und lagern sich dort zwischen
die Schichten ein. Beim Entladevorgang werden die in die Gesamt:
Anode eingelagerten Lithiumionen wieder aus- und in 2 Cn + x LiClO4 —› Li+xCnx– + Cnx+(ClO4–)x
MARCO OETKEN
Elektromotor
Zinnelektrode von gerade einmal –0,14 Volt – gemessen nachstellen (die exakten Anleitungen sind in der Online-Er-
gegen den üblichen Standard, die Normalwasserstoffelek gänzung zu diesem Artikel zu finden):
trode (NHE) – durch das elektrochemische »Einlegieren« Ein einfacher Lötdraht aus Zinn (zum Beispiel aus dem
von Lithiumionen auf fast –2,6 Volt gegen NHE abgesenkt Baumarkt) und eine Graphitmine tauchen rund vier Zen
werden. Das ist schon recht nahe am Potenzial des metal- timeter tief in eine Elektrolytlösung aus Lithiumperchlorat
lischen Lithiums, das mit –3,05 Volt gegen NHE Spitzen (LiClO4) in einer Mischung aus Dimethylcarbonat (DMC)
reiter ist. und Propylencarbonat (PC) ein. Als Kunststoffgefäß dient
Das Basismetall (M) wird während des Ladevorgangs eine handelsübliche Tic-Tac-Dose. Der Lötdraht wird für
als Minuspol geschaltet, die Graphitelektrode dient als den Ladevorgang als Minuspol (Anode) und die Graphitmi-
Pluspol. Durch die Spannungsquelle werden Elektronen ne als Pluspol (Kathode) geschaltet. Für rund fünf Minuten
in das Metall »hineingepumpt«, und dieses lädt sich ent- wird bei einer Spannung von etwa 4,8 Volt geladen. Die
sprechend negativ auf. Zur Wahrung der elektrischen Spannung sollte 5 Volt nicht übersteigen, da sich sonst
Neutralität wandern daraufhin aus dem Elektrolyten Lithi- elementares Lithium abscheiden kann. Nach dem Laden
umionen in das Metall und bilden mit ihm eine Legierung. zeigt die Zelle eine Spannung von etwa 4,3 Volt an. Nun
Als Leitsalz dient wie oben beispielsweise Lithiumper kann man einen kleinen Motor – zum Beispiel einen Glo-
chlorat. Beim Einlegieren werden in diesem Fall jedoch ckenankermotor – an die Zelle anschließen und für mehre-
nicht die Lithiumionen zu Atomen reduziert, sondern die re Minuten betreiben (Foto oben).
Basismetallatome zu Metallanionen (Mx–), so dass eine
Legierung mit der Formel Li+xMx– entsteht. Auf der Katho- Die Legierungsbildung direkt beobachten
denseite werden durch die Gleichspannungsquelle Elek Die gemessene Spannung entsteht durch die oben be-
tronen abgezogen, die Graphitelektrode lädt sich dadurch schriebenen Vorgänge – die Legierungsbildung an der
positiv auf. Diese positive Ladung gleicht das System Anode sowie die Einlagerung von Anionen in die Kathode.
wieder aus, indem Perchlorationen aus dem Elektrolyten Der erste Vorgang ist während des Experiments direkt zu
in den Graphit wandern und sich dort einlagern (Bild beobachten: Beim Laden bildet sich ein dunkler Überzug
S. 58). auf dem Lötdraht.
Beim Entladevorgang laufen die oben beschriebenen Dieser Selbstbauakku mit leicht erhältlichen Materialien
Vorgänge in entgegengesetzter Richtung ab. Die Redox wie Lötdraht, einer Bleistiftmine und Lüsterklemmenfixie-
reaktionen kann man wie folgt formulieren: rung in einer kleinen Dose veranschaulicht auf einfache
Weise eine viel versprechende Strategie in der aktuellen
Minuspol: Batterieforschung. Knackpunkt ist momentan noch, dass
M + x Li+ + x e– —› Li+xMx– sich die bislang untersuchten Anodenmaterialien beim
Laden stark ausdehnen. Das beansprucht das Material
Pluspol: und macht es nach wenigen Ladezyklen unbrauchbar.
Cn + x ClO4– —› Cnx+(ClO4–)x + x e– Wenn man einen Weg findet, um diesen Stress für die
Anodenmaterialien zu reduzieren oder ganz zu unterbin-
Diese neue Entwicklung auf dem Gebiet der elektro den, könnte eine neue Generation von Lithium-Ionen-
chemischen Speichersysteme kann man daheim selbst Akkus entstehen.
GENTEX CORPORATION
MARCO OETKEN
zung zu diesem Artikel.
Während der Elektrolyse überzieht sich die elektrisch
leitende Seite des FTO-Glases mit einer Schicht von Berli-
ner Blau, die mit der Zeit immer dicker wird. Nach zehn Was geschieht dabei auf molekularer Ebene genau? Am
Minuten erscheint das Glas intensiv blau und ist fast nicht Minuspol gehen Elektronen auf das Eisenhexacyanoferrat
mehr transparent. Als optimal für ein »smart window« über und reduzieren die darin vorkommenden Fe3+-Ionen
erweist sich eine Elektrolysezeit von 90 Sekunden. Die zu Fe2+-Ionen. Damit die Verbindung elektrisch neutral
Farbschicht ist dann dunkel genug, aber noch durchsich- bleibt, werden zugleich Kaliumionen aus der wässrigen
tig. Die chemische Reaktion während der Elektrolyse Kaliumnitrat-Lösung in die »Röhrenstruktur« des Kristall-
entspricht der oben schon beschriebenen kathodischen gitters eingebaut.
Reduktion von Berliner Braun. Die außerdem im Elektrolyten vorhandenen Nitrationen
wandern zur positiven Graphitfolie und lagern sich daran
Farbe, wechsle dich! an. Die Elektrodenreaktionen lassen sich also wie folgt
Das mit dem Farbstoff beschichtete FTO-Glas bietet nun formulieren (»ads« steht für »adsorbiert«):
die faszinierende Möglichkeit, die Funktionsweise eines
elektrochromen Fensters im Heimversuch nachzuvollzie- Minuspol:
+
hen. So können Sie es zunächst entfärben. Dazu müssen K[FeIIFeIII(CN)6] + K + e– K2[FeIIFeII(CN)6]
Sie das FTO-Glas in eine Kaliumnitrat-Lösung tauchen und Berliner Blau Berliner Weiß
als Minuspol schalten, während wiederum eine Graphit
folie als Pluspol dient (Bild rechts). Wenn Sie eine Span- Pluspol:
– + –
nung von 1,7 Volt anlegen, verwandelt sich das Berliner Cn + NO3 Cn + NO3 (ads) + e–
Blau in farbloses Berliner Weiß.
Die Entfärbung können Sie anschließend rückgängig
machen, indem Sie den Stromfluss umkehren. Wenn Sie
Je nach Oxidationsgrad des Eisens – er nimmt hier von das FTO-Glas als Pluspol und die Graphitfolie als Minuspol
links nach rechts zu – zeigt ein mit Berliner Blau be schalten und eine Spannung von 0,5 Volt anlegen, laufen
schichtetes FTO-Glas in wässriger Kaliumnitrat-Lösung alle geschilderten Vorgänge in entgegengesetzter Rich-
verschiedene Farben. Beim rein weißen K2FeII[FeII(CN)6] tung ab, und nach wenigen Minuten kehrt die Blaufärbung
liegt das Metall in der Oxidationsstufe II vor. Das blaue zurück, weil das Berliner Weiß wieder zum Berliner Blau
KFeII[FeIII(CN)6] und das grüne K[FeIII3{FeIII(CN)6}2{FeII(CN)6}] oxidiert wird.
enthalten jeweils sowohl zwei- als auch dreiwertiges Eisen. Wie wir oben gesehen haben, bietet das Hexacyano-
Im braunen [FeIIIFeIII(CN)6] hat das Metall dagegen komplett ferrat-System mit seinen verschiedenen Oxidationsstufen
die Oxidationsstufe III. aber noch ein weit größeres Farbspektrum, das Sie mit
dem beschichteten FTO-Glas komplett durchlaufen kön-
nen. Dabei erhalten Sie innerhalb weniger Minuten jeweils
klar abgegrenzt die einzelnen Farbstufen. Die ersten bei-
den, nämlich weiß und blau, haben wir bereits realisiert.
Um die nächste Stufe zu erreichen, müssen Sie, wäh-
MARCO OETKEN
rend das FTO-Glas wie zuvor als Pluspol und die Graphit-
folie als Minuspol geschaltet ist, die Spannung auf etwa
MARCO OETKEN
dort an, so dass die Lösung elektrisch neutral bleibt.
Glas
K+ + NO
– schichtet ist. Als Elektrolyt dient ein Lithiumionen-Leiter. Die
K+ K 3
NO3
– zweite Elektrode hat entweder ebenfalls eine Beschichtung
FTO- Graphit aus elektrochromem Material oder eine aus einem Ionenspei-
K+
Schicht K +
NO
– cher, der Lithiumionen aufnehmen und abgeben kann.
– 3
K+ NO3
K+
–
NO3 NO3
–
K+ +
elektro-
K NO3
–
geln zum Einsatz. Diese Systeme unterscheiden sich von
chrome
K + K+
K+ NO
– unserem vereinfachten Modell darin, dass die Gegenelek
Farb- NO3
– 3
schicht NO
–
NO3
–
erscheint auf dem Display eine Kurve der ab- oder zu Rowley, N. M., Mortimer, R. J.: New electrochromic materials.
nehmenden Belichtungsstärke in Lux. Science Progress 85, 2002
Kommerziell kommen »smart windows« inzwischen Somani, P. R., Radhakrishnan, S.: Electrochromic materials and
nicht nur in Gebäudeverglasungen, sondern ebenso in devices: present and future. Materials Chemistry and Physics 77,
Flugzeugfenstern und selbstabblendenden Autorückspie- 2002
Es mag seltsam klingen, aber als Elektrodenmaterial Strom zunehmend die fossilen Brennstoffe als Energie-
für Batterien eignet sich sogar ganz gewöhnliche quelle ablösen soll. Elektroautos leiden zum Beispiel noch
Luft. Der in ihr enthaltene Sauerstoff reagiert dabei immer daran, dass ihre Reichweiten wegen des hohen
mit den Wassermolekülen des Elektrolyten zu Hydro- Gewichts herkömmlicher Batterien zu gering sind. Deshalb
xidionen. Da er dazu Elektronen aufnehmen muss, fun- wird neuerdings wieder intensiv an Metall-Luft-Batterien
giert er als Pluspol, bei Batterien Kathode genannt. Die mit Metallen wie Aluminium, Magnesium, Zink, Silizium,
Anode besteht dagegen aus einem unedlen Metall (Me), Natrium oder Lithium geforscht. Deren Energiedichte ist
dessen Atome Elektronen abgeben und als positive bis zu zehnmal so hoch wie die eines heute üblichen
Ionen in Lösung gehen. Die Elektrodenreaktionen lauten Lithium-Ionen-Akkus.
also: Die aktuellen Forschungen zu Metall-Luft-Batterien zie-
len vor allem darauf ab, deren Hauptmanko zu beseitigen:
n+ –
Anode: Me Me + n e die zu langsame Nachdiffusion von Sauerstoff aus der
– –
Kathode: O2 + 2 H2O + 4 e 4 OH Atmosphäre. Um diesen Vorgang zu beschleunigen, be-
Gesamtreaktion: 4 Me + n O2 + 2n H2O 4 Me(OH)n darf es eines hochporösen, elektrisch leitenden Träger-
materials, das eine große innere Oberfläche für die Anla-
Solche Metall-Luft-Batterien sind schon relativ lange gerung von möglichst vielen Sauerstoffmolekülen (O2)
bekannt und haben teils kommerzielle Verwendung gefun- bietet. Zudem müssen geeignete Katalysatoren wie etwa
den – wie die 1977 eingeführte Zink-Luft-Batterie, die in Platin die Aufspaltung der Zweiermoleküle in Einzelatome
Form von Knopfzellen heute üblicherweise als Stromquelle (O) fördern – ein Vorgang, der die Geschwindigkeit der
für Hörgeräte dient. Allerdings leiden sie unter einem Kathodenreaktion entscheidend mitbestimmt.
gravierenden Nachteil: Da der Sauerstoff nur langsam aus
der Luft in das Trägermaterial der Kathode diffundiert, Die »Sauerstoff atmende« Elektrode
ist die erzielbare Stromstärke und damit die elektrische von Metall-Luft-Batterien
Leistung relativ gering. Deshalb lassen sich mit Metall- Theoretisch sollte es möglich sein, einfache Vertreter von
Luft-Batterien bisher nur Geräte betreiben, die recht wenig Metall-Luft-Batterien ohne großen Aufwand mit allge-
Strom verbrauchen. mein zugänglichen Materialien herzustellen. Aus diesem
Diesem Manko steht jedoch ein großer Vorteil gegen- Grund begannen wir, an einer Bauanleitung dafür zu
über: Weil Metall-Luft-Batterien den Sauerstoff für die tüfteln. Als kritische Komponente erwies sich auch hier
Kathodenreaktion nicht mitführen müssen, sondern aus die Sauerstoff umsetzende Kathode. Da Aktivkohle
der Atmosphäre beziehen, sind sie sehr leicht, was ihnen hochporös und elektrisch leitend sowie in unterschied-
eine ungewöhnlich hohe Energiedichte verleiht. Das lichen Körnungsgrößen im Chemikalienhandel erhältlich
macht sie in einer Zeit interessant, in der elektrischer ist, lag es nahe, sie als Trägermaterial für diese Elektrode
luftdurchlässige
Abdeckung
Siebhülse
Bleistiftmine
Filterpapier
Aktivkohle
MARCO OETKEN
Die Sauerstoff-Kohleelektrode hat dank der enthalte Redaktion: Mike Beckers (stellv. Redaktionsleiter), Manon Bischoff, Robert
Gast, Dr. Andreas Jahn, Karin Schlott, Dr. Frank Schubert, Verena Tang;
nen hochporösen Aktivkohle eine extrem große innere E-Mail: redaktion@spektrum.de
Oberfläche von bis zu 2000 Quadratmetern pro Gramm. Art Direction: Karsten Kramarczik
Diese dient als aktive Grenzfläche, an welcher der Sauer- Layout dieses Hefts: TypoDesign
stoff unter Aufnahme von Elektronen mit dem Wasser Schlussredaktion: Christina Meyberg (Ltg.), Sigrid Spies, Katharina Werle
reagiert. Deshalb spielt sie für die Kapazität und damit die Bildredaktion: Alice Krüßmann (Ltg.), Anke Lingg, Gabriela Rabe
Leistung der Metall-Luft-Batterie eine wichtige Rolle: Je Redaktionsassistenz: Andrea Roth
größer sie ist, desto schneller und leichter kann die Re Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH,
aktion ablaufen. Da das Oxidationsmittel Sauerstoff quasi Postfach 10 48 40, 69038 Heidelberg,
Hausanschrift: Tiergartenstraße 15–17, 69121 Heidelberg,
unbegrenzt in der Luft vorhanden ist und der Kathode Tel.: 06221 9126-600, Fax: -751; Amtsgericht Mannheim, HRB 338114,
durch ständiges Nachdiffundieren jederzeit zur Verfügung Redaktionsanschrift: Postfach 10 48 40, 69038 Heidelberg,
steht, sollte die Lebensdauer der Batterie nur durch die Tel.: 06221 9126-711
peller drehte sich immer langsamer, bevor er nach nicht Vertrieb und Abonnementverwaltung:
Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH,
einmal zwei Stunden ganz stehen blieb. Der Grund war
c/o ZENIT Pressevertrieb GmbH, Postfach 81 06 80,
offenbar ein Mangel an Sauerstoff an der Kathode, weil 70523 Stuttgart, Tel.: 0711 7252-192, Fax: 0711 7252-366,
das Gas schneller verbraucht wurde, als Nachschub aus E-Mail: spektrum@zenit-presse.de, Vertretungsberechtigter: Uwe Bronn
der Luft durch die Poren der Aktivkohle drang. Demnach Bezugspreise: Einzelheft »Spezial«: € 8,90 / sFr. 17,40 / Österreich € 9,70 /
Luxemburg € 8,90 zzgl. Versandkosten. Im Abonnement € 30,80 für 4 Hefte,
leidet unsere einfache Metall-Luft-Batterie unter demsel- für Studenten gegen Studiennachweis € 25,60. Bei Versand ins Ausland werden
ben Problem, mit dem derzeit Wissenschaftler weltweit die Mehrkosten berechnet. Alle Preise verstehen sich inkl. Umsatzsteuer.
ringen: Die Diffusion des Sauerstoffs aus der Luft durch Zahlung sofort nach Rechnungserhalt.
Postbank Stuttgart, IBAN DE52 6001 0070 0022 7067 08,
das Kathodenmaterial bis an die Grenze zum Elektrolyten BIC PBNKDEFF
ist extrem langsam. Anzeigen: E-Mail: anzeigen@spektrum.de, Tel.: 06221 9126-741
Wir unternahmen verschiedene Versuche, den Zutritt Druckunterlagen an: Natalie Schäfer, E-Mail: schaefer@spektrum.de
des Gases zu erleichtern. Doch selbst die Elektrode Anzeigenpreise: Gültig ist die Preisliste Nr. 41 vom 1.1. 2020.
damit zu umspülen, half nicht. Anscheinend wird wäh- Gesamtherstellung: L. N. Schaffrath Druckmedien GmbH & Co. KG, Marktweg
rend der anfänglichen zwei Betriebsstunden praktisch 42–50, 47608 Geldern
nur der Sauerstoff verbraucht, der bereits an der Aktiv- Sämtliche Nutzungsrechte an dem vorliegenden Werk liegen bei der Spektrum
der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH. Jegliche Nutzung des Werks,
kohle adsorbiert ist. Es dauert offenbar äußerst lange, insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung, öffentliche Wiedergabe oder
bis neues Gas den Weg tief in die Poren findet. Diese öffentliche Zugänglichmachung, ist ohne die vorherige schriftliche Einwilligung
Diffusion zu beschleunigen, ist ein vertracktes Problem, des Verlags unzulässig. Jegliche unautorisierte Nutzung des Werks berechtigt
den Verlag zum Schadensersatz gegen den oder die jeweiligen Nutzer. Bei jeder
und die Lösung wird sicher nicht leicht zu finden sein. autorisierten (oder gesetzlich gestatteten) Nutzung des Werks ist die folgende
Aber die Suche nach ihr lohnt – würde sie doch die Tür Quellenangabe an branchenüblicher Stelle vorzunehmen: © 2020 (Autor),
zum ersehnten Zeitalter der Elektromobilität weit Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg. Jegliche
Nutzung ohne die Quellenangabe in der vorstehenden Form berechtigt die
aufstoßen. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH zum Schadensersatz
gegen den oder die jeweiligen Nutzer.
ü
FRÜHER UNERSCHWING
LICH, HEUTE
ALLERWELTSSTOFF
Weil Aluminium äußerst reaktionsfreudig ist, wurde es erst ziemlich
spät entdeckt und ließ sich zunächst nur schwer herstellen. Wie
schaffte das Metall, das einst kostbarer war als Gold, den Sprung zum
alltäglichen Werkstoff in unserer modernen Welt?
spektrum.de/artikel/1432754
Schon vor 7000 Jahren gelang es unseren Vorfahren, handelt es sich um eine so genannte Redoxreaktion, in
Kupfer aus entsprechenden Erzen zu gewinnen. Auch deren Verlauf der Kohlenstoff als Reduktionsmittel wirkt,
die Eisenverhüttung beherrschte der Mensch bereits das Elektronen an die Eisenionen im Erz abgibt. Er über
sehr früh: Die ältesten in Europa gefundenen eisernen nimmt dabei den Sauerstoff und wandelt sich in Kohlen
Gebrauchsgegenstände stammen aus dem 9. bis 10. Jahr stoffdioxid um. Die summarische Gleichung für den Vor
hundert v. Chr. Aluminium dagegen ist ein Metall der gang lautet (die Symbole »s« und »g« stehen für »fest«
Neuzeit. Als sein Entdecker gilt üblicherweise Friedrich beziehungsweise »gasförmig«):
Wöhler (1800–1882), der das Element im Jahr 1827 erst
mals rein darstellte. Der deutsche Chemiker stützte sich 2 Fe2O3 (s) + 3 C (s) 4 Fe (s) + 3 CO2 (g)
allerdings auf umfangreiche Vorarbeiten von Hans Chris Eisenoxid + Kohlenstoff Eisen + Kohlenstoffdioxid
tian Ørsted (1777–1851), einem dänischen Chemiker und
Physiker, der die Elektrizitätslehre und Elektrotechnik Schon Anfang des 19. Jahrhunderts vermutete man,
mitbegründete. dass auch die so genannte Tonerde ein Metalloxid sei. Den
Warum dauerte es beim Aluminium so lange, bis es Sauerstoff daraus zu entfernen, erwies sich jedoch als
sich in reiner Form gewinnen ließ? Metalle sind unter schwierig. Kohlenstoff taugte dazu nicht; es war ein zu
schiedlich reaktiv. Die edelsten wie Gold oder Platin zeigen schwaches Reduktionsmittel. Daraufhin entwarf Ørsted
nur eine geringe Neigung, Verbindungen einzugehen. den Plan, das Oxid zunächst in ein Chlorid zu überführen.
Deshalb kommen sie hauptsächlich gediegen, das heißt Hierzu mischte er die Tonerde mit Kienruß, der damals als
als Reinstoffe, in der Natur vor. Kupfer zählt zwar auch zu schwarze Druckfarbe diente, und leitete Chlorgas über das
den Edelmetallen, ist aber schon wesentlich reaktionsfreu erhitzte Gemisch. Ursprünglich wollte er dem so erzeugten
diger. Noch weitaus begieriger, sich mit anderen Stoffen Chlorid dann mit Wasserstoff das Chlor entziehen.
zu verbinden, sind unedle Metalle wie Eisen oder gar Doch das gelang ebenso wenig wie die Reduktion der
Natrium. Deshalb treten sie in der Natur gewöhnlich nicht Tonerde mit Kohlenstoff. Ein noch stärkeres Reduktions
im elementaren Zustand auf. Um sie aus ihren Verbin mittel musste her! Als solches probierte Ørsted schließlich
dungen zu gewinnen, muss man chemische Verfahren Kaliumamalgam, eine Kalium-Quecksilber-Verbindung. Das
anwenden. Ergebnis war ein Metallklumpen, der in Farbe und Glanz
Beim Eisen dient Kohlenstoff in Form von Kohle dazu, dem Zinn ähnelte. Heute nimmt man allgemein an, dass
den oxidischen Erzen den Sauerstoff zu entziehen, so es sich um stark verunreinigtes Aluminium handelte, das
dass das reine Metall zurückbleibt. Bei dieser Umsetzung sich gemäß der folgenden Gleichung bildete:
MATTHIAS DUCCI
MATTHIAS DUCCI
Taucht man einen Eisennagel in Kupfersulfat-Lösung, überzieht
er sich mit einer Kupferschicht (links). Bei Aluminiumfolie
geschieht das nicht. Erst nach Zusatz von Kochsalz kommt es
zu einer heftigen Reaktion. Dabei scheidet sich Kupfer auf dem
Aluminium ab, während zugleich ein Gas entweicht (rechts).
MATTHIAS DUCCI
MATTHIAS DUCCI
Passivierung von Aluminium und bauen sie dadurch ab. Das nun ungeschützte Alumini
um reagiert entsprechend seiner Stellung in der Fällungs
reihe mit den Kupferionen gemäß der Gleichung:
2+ 3+
2 Al (s) + 3 Cu (aq) 2 Al (aq) + 3 Cu (s)
Bleistiftmine Aluminium- Aluminiumatome + Kupferionen
blech Aluminiumionen + Kupferatome
Selbst Batteriesäure, also ziemlich Unedel und doch gegen Säuren beständig
konzentrierte Schwefelsäure, Alufolie sollte den Gebrauchsinformationen zufolge auch
nicht mit stark sauren Lebensmitteln in Kontakt kommen.
vermag Alufolie nichts anzuhaben Greifen Säuren die schützende Oxidschicht also ebenfalls
an? Das wollen wir im nächsten Experiment prüfen. Geben
Sie dazu etwas Wasser in ein Schnapsglas, fügen Sie
rid, NaCl) hinzu und rühren um. Siehe da: Binnen Kurzem einen Teelöffel Zitronensäure hinzu und warten Sie, bis
beginnt sich Kupfer abzuscheiden. Außerdem steigen wie diese sich aufgelöst hat. Dann werfen Sie ein Kügelchen
aus einem Sektglas sprudelnd Gasbläschen auf. aus Aluminiumfolie hinein. Das Ergebnis dürfte Sie ange
Damit haben wir einen Hinweis auf den Grund für die sichts der obigen Warnung enttäuschen: Nichts passiert.
überraschende Beständigkeit von Aluminium. Es bildet Dasselbe gilt, wenn Sie statt Zitronensäure Tafelessig oder
nämlich an der Luft mit Sauerstoff einen hauchdünnen, Essigessenz verwenden. Selbst Batteriesäure, also ziem
aber sehr kompakten Schutzfilm aus Aluminiumoxid lich konzentrierte Schwefelsäure, vermag dem Aluminium
(Al2O3). Dieser ist nur etwa 25 Atomlagen dick, was unge kügelchen nichts anzuhaben. Oxoniumionen können die
fähr 0,01 Mikrometern entspricht, und bleibt deshalb für Oxidschicht also nicht auflösen.
das Auge unsichtbar. Wie ungeheuer schnell er entsteht, Ahnen Sie, mit welcher Säure dem Aluminiumkügel
zeigt sich eindrucksvoll, wenn man Aluminiumblech chen beizukommen ist? Richtig: Salzsäure, die neben den
schmirgelt und dann sofort in die Kupfersulfatlösung für den sauren Charakter verantwortlichen Oxoniumionen
+ –
taucht. Auch in diesem Fall scheidet sich kein Kupfer ab: (H3O ) auch Chloridionen (Cl ) enthält. Wenn Sie das
Die schützende Oxidschicht hat sich sofort neu gebildet. Aluminiumkügelchen zum Beispiel in 24-prozentige Salz
–
Die Chloridionen (Cl ) im Kochsalz greifen diese Schicht säure aus dem Baumarkt werfen, beginnen sich nach etwa
jedoch an. Sie verbinden sich mit ihr zu wasserlöslichen zwei Minuten Gasbläschen zu bilden – so lange dauert es,
bis die schützende Oxidschicht erste Löcher bekommen ist. Tragen Sie wie bei den anderen Versuchen unbedingt
hat. Schließlich kommt es gemäß der obigen Gleichung zu Schutzkittel, -brille und -handschuhe!
einer heftigen Wasserstoffentwicklung, und das Alumini Die Batteriesäure müssen Sie zunächst mit Wasser im
um löst sich komplett auf. Verhältnis 1 : 1 verdünnen. Füllen Sie dazu zehn Milliliter
Wasser in das Glas und geben anschließend in zwei Por
Das Eloxal-Verfahren – tionen à fünf Milliliter insgesamt zehn Milliliter Batterie
künstliche Verdickung der Schutzschicht säure hinzu. Vorsicht! Diese Reihenfolge ist strikt zu be
Angesichts der Empfindlichkeit der schützenden Oxid achten, damit keine Säure verspritzt. Der unter Chemikern
schicht gegenüber Chloridionen verwundert es zunächst, gebräuchliche Merksatz dafür lautet: »Erst das Wasser,
dass Aluminium auch in Bereichen eingesetzt wird, in dann die Säure, sonst geschieht das Ungeheure.«
denen sich der Kontakt mit korrosiv wirkenden Medien Tauchen Sie nun das Blech sowie die Bleistiftmine etwa
nicht verhindern lässt – etwa bei Schiffsrümpfen (salzhal zwei bis drei Zentimeter tief in die Säure und verbinden Sie
tiges Meerwasser) und Fahrrädern oder Automobilen beides über Krokodilklemmen und Kabel so mit der 9-Volt-
(Streusalz). Der Grund ist, dass sich mit dem so genannten Batterie, dass das Aluminiumblech als Plus- und die Blei
Eloxal-Verfahren, abgekürzt für elektrolytische Oxidation stiftmine als Minuspol geschaltet ist (siehe Grafik S. 71).
von Aluminium, die Beständigkeit des Metalls deutlich Es empfiehlt sich, die beiden Elektroden mit einem Stativ
erhöhen lässt. Dazu wird das vorbehandelte Aluminium zu fixieren, damit sie sich nicht berühren, denn das würde
werkstück in eine saure Lösung getaucht und an einen zu einem Kurzschluss führen. Nun lassen Sie 15 Minuten
Stromkreis angeschlossen, in dem es als Anode (Pluspol) lang Strom fließen. Während an der Bleistiftmine Gasbläs
dient. Dabei läuft an seiner Oberfläche der folgende Pro chen aufsteigen, ist am Aluminiumblech optisch keine
zess ab: Veränderung festzustellen. Nachdem Sie es aus der Säure
genommen, mit Wasser abgespült und mit einem Tuch
+ –
2 Al (s) + 9 H2O (l) Al2O3 (s) + 6 H3O (aq) + 6 e abgetrocknet haben, erscheint es allenfalls ein wenig
Aluminiumatome + Wassermoleküle matter als zuvor.
Aluminiumoxid + Oxoniumionen + Elektronen Mit einem weiteren Experiment lässt sich zeigen, dass
das Aluminiumblech in dem eingetauchten Bereich tat
Die Elektronen fließen zum Minuspol und entladen dort sächlich korrosionsbeständiger geworden ist. Lösen Sie
Oxoniumionen, so dass sich Wasserstoff bildet: dazu ein Gramm Kupfersulfat-Pentahydrat (CuSO4 ∙ 5 H2O)
sowie 0,1 Gramm Kochsalz in fünf Milliliter Wasser. Geben
+ –
6 H3O (aq) + 6 e 3 H2 (g) + 6 H2O (l) Sie je einen Tropfen dieser Lösung auf den eloxierten und
Oxoniumionen + Elektronen den unbehandelten Teil des Aluminiumblechs. Während
Wasserstoffmoleküle + Wassermoleküle bei ersterem nichts geschieht, scheidet sich auf letzterem
nach wenigen Sekunden unter Gasentwicklung metal
Mit diesem Verfahren lässt sich die Oxidschicht um lisches Kupfer ab.
mehr als das 1000-Fache verdicken: auf 5 bis 25 Mikrome
ter. Das Metall darunter ist dadurch wesentlich besser
geschützt. QUELLEN
Das Eloxal-Verfahren können Sie ebenfalls mit einfa-
Ducci, M. et al.: Aluminium in die Spannungsreihe der Metalle.
chen Mitteln nachstellen. Dazu benötigen Sie ein dünnes Naturwissenschaften im Unterricht – Chemie 66, 2001
Aluminiumblech, ein Schnapsglas, eine 0,5 Millimeter
dicke Bleistiftmine, vier Krokodilklemmen, zwei Kabel, eine Haupt, P. et al.: Farbig Eloxieren. Der mathematisch-natur
wissenschaftliche Unterricht 52, 1999
9-Volt-Blockbatterie und Batteriesäure, also 38-prozentige
Schwefelsäure, die im Handel für Autozubehör erhältlich Marschall, L.: Aluminium – Metall der Moderne. Oekom, 2008
Jetzt bestellen:
Telefon: 06221 9126-743
E-Mail: service@spektrum.de
www.sterne-und-weltraum.de/miniabo
ü
DIE LANGE JAGD
NACH DEN VERBORGENEN
ELEMENTEN
Sie sind weich wie Butter und reagieren explosionsartig, wenn
man sie mit Wasser beträufelt: Die Alkalimetalle verhalten sich
ganz anders als sonstige Metalle, denen wir täglich begegnen.
Ihrer Entdeckung haben sie sich lange widersetzt.
spektrum.de/artikel/1654768
Als der russische Chemiker Dmitri Mendelejew (1834– Kochsalz als auch aus Glaubersalz herstellen kann. Daraus
1907) und zeitgleich sein deutscher Kollege Lothar folgerte er, dass diese Verbindungen eine gemeinsame
Meyer (1830–1895) die damals bekannten Elemente »Basis« haben müssen. Andreas Sigismund Marggraf
nach Masse sowie wiederkehrenden Eigenschaften sor- (1709–1782) schaffte es mit Hilfe von Experimenten erst-
tierten und das Periodensystem erschufen, ordneten sie mals, zwischen Soda und Pottasche zu unterscheiden:
Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium und Cäsium zusam- Bringt man Soda in die nicht leuchtende Flamme eines
men in eine Gruppe ein. Diese Alkalimetalle, zu denen Bunsenbrenners, färbt sie diese intensiv gelb – Pottasche
außerdem das 1939 entdeckte Francium gehört, bilden hingegen violett. Die »Basis« der Stoffe musste somit
heute gemeinsam mit Wasserstoff die erste Hauptgruppe voneinander verschieden sein.
des Periodensystems. Zuvor hatten sie Wissenschaftlern Dieses Experiment kann man sehr leicht mit der so
allerdings lange Zeit Rätsel aufgegeben. genannten Flammprobe nachvollziehen, einer Methode zur
Natriumchlorid (NaCl) als berühmteste Alkalimetallver- Analyse von chemischen Elementen. Sie beruht darauf,
bindung kennt jeder unter der Bezeichnung Kochsalz. Es dass die Atome beziehungsweise Ionen in einer farblosen
wurde schon in grauer Vorzeit zum Würzen von Speisen Flamme Licht spezifischer Wellenlängen abgeben, das für
verwendet. Soda (Natriumcarbonat, Na2CO3) benutzten die jedes Element charakteristisch ist. Klassisch befeuchtet
alten Ägypter zum Waschen und Reinigen, die Griechen man ein ausgeglühtes Magnesiastäbchen mit etwas
und Römer verwendeten dazu Pottasche (Kaliumcarbonat, verdünnter Salzsäure, taucht es in das zu untersuchende
K2CO3). Beide Stoffe wurden durch die Verbrennung von Salz und hält es schließlich in die Bunsenbrennerflamme.
Seetang und Küstenpflanzen gewonnen. Man verarbeitete Spektakulärer wird dieses Experiment, wenn man jeweils
sie aber nicht nur zu Seife, sondern nutzte sie ebenso bei eine Portion Soda und Pottasche in einem kleinen Gefäß,
der Glasherstellung. Eine weitere Alkalimetallverbindung, zum Beispiel in der Lade einer Streichholzschachtel, auf
die der Chemiker und Apotheker Johann Rudolph Glauber der Heizung trocknet. Danach werden die beiden Stoffe
im Jahr 1625 in Mineralwasser entdeckte, leistet heute zerrieben und in je ein kleines verschließbares Gläschen
noch gute Dienste: Das so genannte Glaubersalz (Natrium- gefüllt. Der Bunsenbrenner wird entzündet und die Luftzu-
sulfat-Decahydrat, Na2SO4 ∙ 10 H2O) wird als Abführmittel fuhr maximal geöffnet, so dass eine nicht leuchtende
in der Medizin verwendet. Flamme entsteht. Nun schüttelt man das Gläschen mit der
Im 18. Jahrhundert begannen Wissenschaftler, die Sodaportion kurz und hält es an die geöffnete Luftzufuhr
chemische Zusammensetzung von Soda und Pottasche des Bunsenbrenners. Die Flamme färbt sich augenblicklich
aufzuklären. Der französische Chemiker Duhamel du gelb, da Sodastäube mit eingesogen werden. Pottasche
Monceau (1700–1782) zeigte, dass man Soda sowohl aus hingegen färbt die Flamme violett. Die Salze der anderen
Alkalimetallsalze zeigen in der an sich nicht leuchten- Eisennadeln in Berührung kamen. Ausgehend von diesen
den Flamme eines Bunsenbrenners charakteristische Versuchen entwickelte der italienische Aristokrat und
Flammenfärbungen (von links nach rechts: Lithium-, Physiker Alessandro Volta (1745–1827) einfache elektro-
Natrium- und Kaliumcarbonat). chemische Zellen, indem er zwei verschiedene Metalle in
eine elektrisch leitfähige Lösung tauchte. Derartige Batte
rien waren jedoch nicht besonders leistungsfähig. Erst
Alkalimetalle zeigen ebenfalls charakteristische Flammen- als er zahlreiche Zink- und Kupferplatten übereinander
färbungen: Lithiumverbindungen ergeben eine karminrote stapelte, erreichte er wesentlich stärkere elektrische
Farbe, Rubidiumsalze leuchten rotviolett und Verbindun- Ströme. Zwischen jedes Paar sich berührender Zink- und
gen des Cäsiums blauviolett. Kupferplatten legte er eine mit verdünnter Schwefelsäure
Im 18. Jahrhundert stellten die Menschen zwei weitere getränkte Lederscheibe. Diese Anordnung, die später
Alkalimetallverbindungen her, indem sie Soda und Pott- den Namen Voltasche Säule erhielt, stellte er im Jahr 1800
asche mit gebranntem Kalk (Kalziumoxid, CaO) und Was- der Royal Society vor, einer 1660 gegründeten britischen
ser behandelten: Ätznatron und Ätzkali. Diese Stoffe Gelehrtengesellschaft zur Wissenschaftspflege. Noch im
kennen wir heute als Natrium- beziehungsweise Kalium selben Jahr machte er die ersten Elektrolyseversuche.
hydroxid. Weil sie in Wasser stark alkalische und damit Dabei lässt man elektrischen Strom mit Hilfe zweier Elek
ätzende Lösungen ergeben, bezeichnete man den Herstel- troden durch eine leitfähige Flüssigkeit, beispielsweise
lungsprozess auch als Kaustifizierung (= ätzend machen, eine Salzlösung, fließen. Im System läuft eine Redoxreak
von griechisch »kaustikos« = ätzend und lateinisch »face- tion ab – ein Stoff wird reduziert, während ein anderer
re« = machen). Chemisch läuft dabei folgende Reaktion ab oxidiert wird.
(»M« steht hierbei für Natrium oder Kalium, die Symbole Der englische Chemiker Humphry Davy (1778–1829)
»s«, »l« und »aq« bedeuten »fest«, »flüssig« sowie »in führte zwischen 1805 und 1806 zahlreiche derartige Versu-
Wasser gelöst«): che durch. So elektrolysierte er unter anderem wäss-
rige Lösungen von Zinksulfat (ZnSO4) und Natriumsulfat
M2CO3 (s) + CaO (s) + H2O (l) —› 2 MOH (aq) + CaCO3 (s)
(Na2SO4). Davy nutzte hierzu zwei Platinelektroden, als
Natrium- beziehungsweise Kaliumcarbonat + Kalziumoxid + Wasser
—› Natrium- beziehungsweise Kaliumhydroxid + Kalziumcarbonat
kostengünstigere Alternative empfehlen sich heute Kohle-
elektroden. Er beobachtete, dass sich am Minuspol eine
Eine bedeutende Erfindung im Jahr 1799 sollte bei der graue Schicht von Zink abscheidet, da die positiv gelade-
Suche nach der Basis von Alkalimetallverbindungen ent- nen Zinkionen in der Lösung zum Minuspol wandern und
scheidend weiterhelfen. dort mit je zwei Elektronen Zinkatome bilden:
1780 bemerkte Luigi Aloisio Galvani (1737–1798), dass
sich die Muskeln in Froschschenkeln zusammenzogen, Minuspol: Zn2+ (aq) + 2 e- —› Zn (s)
wenn diese mit miteinander verbundenen Kupfer- und Zinkion + Elektronen —› Zinkatom
MATTHIAS DUCCI
andere blieben bestehen, liefen aber an und bedeckten
sich zuletzt mit einer weißen Rinde, die sich an ihrer
Oberfläche bildete.« Der Chemiker soll bei seinen Entde-
ckungen derart begeistert gewesen sein, dass er seine
Arbeit erst nach einer Pause fortsetzen konnte.
Bei dieser so genannten Schmelzflusselektrolyse laufen
die folgenden Prozesse ab:
Minuspol: Na+ (l) + e– —› Na (l)
Natriumion + Elektron —› Natriumatom
Beim Experimentieren fallen beim »Entrinden« des ange- Alkalimetallverbindungen dienen heute unter ande-
laufenen Metalls zahlreiche kleine Schnipsel an, die ele- rem zur Energieerzeugung sowie -speicherung (etwa in
mentares Natrium enthalten und entsorgt werden müssen. Lithium-Ionen-Akkumulatoren), zu medizinischen Zwecken
Dazu gibt man sie in Ethanol, wo sie entsprechend der (beispielsweise Lithiumzitrat in der Neurologie) und als
folgenden Gleichung vergleichsweise gemächlich mitein- Additive in Betonbauten (Lithiumverbindungen). Man fin-
ander reagieren: det sie in Feuerwerkskörpern (beispielsweise Kaliumchlo-
rat), als Gewürz auf dem Frühstücksei (Natriumchlorid)
2 Na (s) + 2 C2H5OH (l) —› 2 Na+ (aq) + 2 C2H5O– (aq) + H2 (g)
und im Düngemittel (darunter Natrium- und Kaliumsalze)
Natriumatome + Ethanolmoleküle —› Natriumionen + Ethanolationen +
Wasserstoffmolekül
für das Getreide, aus dem unser Frühstücksbrötchen
entsteht.
Dieses (Entsorgungs-)Experiment ist wesentlich eindrucks-
voller, wenn man zuvor den Fluoreszenzfarbstoff Pyranin
in Ethanol löst. Unter UV-Licht (Wellenlänge 365 Nano QUELLEN
meter) fluoresziert Pyranin in Ethanol intensiv blau. Gibt Davy, H.: Electrochemische Untersuchungen. Ostwald, W.
man Natriumreste in diese Lösung, so dass die oben (Hg.): Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften 45, 1893
beschriebene Reaktion einsetzt, ändert sich die Fluores- Jansen, W. et al.: Die Entdeckung der Alkalimetalle Natrium
zenz spektakulär von blau nach grün (Bild oben). Dies liegt und Kalium. Praxis der Naturwissenschaften – Chemie in der
daran, dass die entstehenden Ethanolationen jeweils ein Schule 4, 1991
Proton aus den Farbstoffmolekülen abspalten. Dadurch Stalke, D.: Alkalimetalle – reaktive Alleskönner. Praxis der
ändern sich die Fluoreszenzeigenschaften des Pyranins. Naturwissenschaften – Chemie in der Schule 3, 2014
spektrum.de/artikel/1405258
Als der Mathematiker Benoît Mandelbrot (1924–2010)
1975 den Begriff des Fraktals prägte, schuf er einen
MARCO OETKEN
ganz neuen Zweig der Geometrie, der in der Folge
große Popularität erlangte. Berühmt wurde vor allem das
»Apfelmännchen«, das die neuartigen Ideen auf faszinie-
rende Weise veranschaulichte und mit seiner wunderba-
ren Ästhetik viele Menschen begeisterte. Doch auch in der Das Paradebeispiel eines mathematischen Fraktals ist der
Natur sind Fraktale weit verbreitet. Als Beispiele gelten vor Koch-Stern. Hier sind die ersten Schritte zu seiner Konstruk
allem Küstenlinien und Schneeflocken. Weniger bekannt tion gezeigt.
ist dagegen, dass die Chemie ebenfalls eindrucksvolles
Anschauungsmaterial für das Konzept bietet. So entstehen beobachten. Außerdem ist es möglich, die Vorgänge am
bei der Fällung von Metallen aus Salzlösungen winzige, Computer zu simulieren.
vielfach verzweigte Strukturen, bei denen es sich um
natürliche Fraktale handelt. Besonders aufregend ist, dass Grundlagen der fraktalen Geometrie
sich die Bildung dieser Metallbäumchen unter dem Mikro- Der Begriff Fraktal leitet sich von dem lateinischen Wort
skop direkt verfolgen lässt. Auch Laien können solche »fractus« ab, das gebrochen oder irregulär bedeutet. Er
Versuche mit einfachen Mitteln durchführen und so frakta- bezeichnet mathematische Abbildungen oder real existie-
le Wachstumsprozesse in der Natur mit eigenen Augen rende Formen, die sich mit der klassischen euklidischen
Geometrie nicht angemessen beschreiben lassen. Aus
deren Sicht bilden gerade Linien oder einfache Figuren wie
Kreise, Kugeln, Dreiecke und Würfel die Grundbausteine
aller natürlichen Körper und dienen folglich dazu, die
Volumina, Oberflächen oder Umfänge solcher Körper zu
MARCO OETKEN, NACH PEITGEN, H.-O., JÜRGENS, H., SAUPE, D.: BAUSTEINE DES CHAOS. FRAKTALE. KLETT-COTTA 1992
MARCO OETKEN
grafischen Auflösbarkeit erreicht. Das Glas-Objektträger
Bildungsgesetz gibt jedoch keinen
Endpunkt vor. Der Koch-Stern ist Versuchsanordnung zur Abscheidung von Metallbäumen.
daher prinzipiell unendlich in seiner
Struktur; Umfang oder Fläche lassen
sich grundsätzlich nicht angeben.
Aus dem Bildungsgesetz der
Fraktale folgt als weitere charakteris
tische Eigenschaft ihre Selbstähnlich-
keit: Wird ein kleiner Ausschnitt des
Koch-Sterns auf die Dimensionen der
Gesamtfigur vergrößert, entsteht ein
identisches Abbild des Originals (Bild
S. 78 links).
MARCO OETKEN
Eine Hierarchie von Verzweigungen
1,5 cm
Die Selbstähnlichkeit ist ebenso ein
Erkennungsmerkmal natürlicher Eine Silberhecke (links) zeigt selbst bei 100-facher Vergrößerung (rechts)
Fraktale, unter denen die so genann- noch die für Fraktale typische feine Verästelung.
ten Baumfraktale oder Dendriten (von
griechisch: »dendron« = Baum) eine
besonders vielfältige Klasse bilden. Zu
ihnen gehört neben dem Astwerk von
Bäumen auch die Aderung von Blät-
tern. Weitere Beispiele sind Flussdel-
tas, Blutgefäßsysteme, Nervenzellen,
Bronchien und Pflanzenwurzeln. Die
Selbstähnlichkeit dieser Baumfraktale
besteht in der Hierarchie aus Aufspal-
1,5 cm
tungen, ausgehend vom Stamm zu
den Seitenästen und immer kleineren
MARCO OETKEN
Verzweigungen. Im Unterschied zu
den mathematischen Fraktalen gilt die
Selbstähnlichkeit hier allerdings nur in Die Kupferhecke – als Gesamtansicht (links) und in 100-facher Ausschnitts
einem begrenzten Größenbereich. vergrößerung (rechts) – erscheint buschiger als der Silberbaum.
Außerdem stimmen Aussehen und
Verzweigungsmuster von Haupt- und
Nebenast meist nicht exakt überein.
Trotzdem ist bei entsprechender
Vergrößerung ein Ausschnitt häufig
nur schwer von der Gesamtstruktur
zu unterscheiden, weshalb man von
einer statistischen Selbstähnlichkeit
sprechen kann.
Die Vielfalt von Baumfraktalen in
ganz unterschiedlichen Bereichen der
belebten und unbelebten Natur macht
MARCO OETKEN
MARCO OETKEN, NACH WITTEN, T.A., SANDER, L.M.: DIFFUSION-LIMITED AGGREGATION. PHYSICAL REVIEW LETTERS 47, 1981
Mit dem Modell des diffusionsgesteuerten Wachstums lässt sich die Entstehung von Metallbäumen am Computer
simulieren. Hier sind die Ergebnisse zweier Durchgänge gezeigt, bei denen sich 3000 Teilchen, ausgehend vom Bild-
rand, auf Zufallsbahnen bewegten und sich jeweils dort anlagerten, wo sie auf das vom Zentrum herauswachsende
Fraktal stießen. Die zuerst gestarteten Teilchen sind rot und die zuletzt losgelaufenen blau gefärbt.
VORSCHAU
GRENZGÄNGE DER PHYSIK THEMEN SIND UNTER ANDEREM:
Am Anfang von Revolutionen steht oft Denken über Fachgebiete
hinaus: das Erkennen von Zusammenhängen und von Potenzial in VORSTOSS ZUR
benachbarten Disziplinen, die kreative Herangehensweise an hart- RAUMTEMPERATUR
näckige Probleme. So nutzen Quantenforscher, die sich normaler
weise mit Systemen aus wenigen, genau beschreibbaren Objekten Ein Werkstoff, der seinen elektri
befassen, inzwischen die Werkzeuge der Thermodynamik, obwohl schen Widerstand bei normalen
diese eigentlich für unüberblickbar große Teilchenmengen ge- Umgebungsbedingungen verliert,
dacht sind. Doch beide Bereiche haben überraschende Gemein ist seit Langem ein Traum in der
samkeiten. Andere Theoretiker versuchen, aus einer neuen quan Materialwissenschaft. Jüngste
tenmechanischen Perspektive heraus Schwarzen Löchern ihre Erkenntnisse bringen Theorie und
Geheimnisse zu entreißen. Was auch immer am Ende der zuvor Experiment endlich besser zu
unbeschrittenen Pfade wartet – bereits der Weg dorthin liefert sammen.
spannende physikalische Einblicke.
ZEITKRISTALLE
In herkömmlichen Kristallen wieder
holen sich räumliche Strukturen
regelmäßig. Ein unkonventioneller
Ansatz offenbart bei bestimmten
Quantensystemen eine ganz unge
wöhnliche Art von Symmetrie: in
der Zeit!
ANTIMATERIE IN
NEUEM LICHT
Unterscheiden sich Antiteilchen nur
hinsichtlich ihrer Ladung – oder fällt
auch ihre Masse anders aus? Experi
mente sollen diese gewagte Hypo
these überprüfen. Sie würde sogar
ein neuartiges kosmologisches
Modell ermöglichen.
NEWSLETTER
Möchten Sie über Themen und Autoren
jedes neuen Hefts informiert sein?
Wir halten Sie gern auf dem Laufenden:
AGSANDREW / GETTY IMAGES / ISTOCK
Jetzt abonnieren!
Auch als
Digital-, Kombi-
und als Geschenk-
abo bestellbar
UNSPLASH / NOAH VAN DE WETERING (https://unsplash.com/photos/bvDWbe0zI6Y)
Jeden Donnerstag neu! Mit News, Hintergründen, Kommentaren und Bildern aus
der Forschung sowie exklusiven Artikeln aus »nature« in deutscher Übersetzung.
Im Abonnement nur 0,92 € pro Ausgabe (monatlich kündbar), für Schüler,
Studenten und Abonnenten unserer Magazine sogar nur 0,69 €.
www.spektrum.de/abonnieren
ü