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Monatsschrift Für Deutsches Recht - Rechtsprechung
Monatsschrift Für Deutsches Recht - Rechtsprechung
V. Exkurs: Urlaubsdauer delt sich dabei um ein sozialpolitisches Ziel, das nach der
Rechtsprechung geeignet ist, eine Ungleichbehandlung
und Altersdiskriminierung zu rechtfertigen. Den Tarifvertragsparteien ist dabei ein
Nicht nur die Auswirkungen einer Arbeitsunfähigkeit gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Entschei-
auf den Urlaubsanspruch haben die Rechtsprechung in dungsspielraum zuzugestehen.
den vergangenen Monaten beschäftigt. Das BAG hat sich Für die Praxis besteht aber jedenfalls bis auf Weiteres
auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine (le- Rechtssicherheit; die Tarifvertragsparteien, d.h. in erster
bens-)altersabhängige Staffelung13 des Urlaubsanspruchs Linie Arbeitgeberverbände oder – bei Haustarifverträgen
vereinbar mit EU-Recht resp. dem Allgemeinen Gleich- – Arbeitgeber, sehen sich nunmehr mit der Aufgabe kon-
behandlungsgesetz (AGG) ist. In Tarifverträgen des öf- frontiert, zeitnah eine gesetzeskonforme Urlaubsregelung
fentlichen Dienstes (vgl. § 26 TVöD/§ 26 TV-L) sind Re- zu erarbeiten.16
gelungen üblich, nach denen die Urlaubsdauer nach dem
Lebensalter bis zu einem Maximalanspruch (30 Tage) ge-
staffelt ist. Für die altersabhängige Staffelung in § 26 13 Zu den Mehrbelastungen für Unternehmen und den Handlungsmög-
lichkeiten vgl. auch Bertram, GWR 2012, 339.
Abs. 1 Satz 2 TVöD hat das BAG inzwischen klargestellt, 14 Vgl. BAG v. 20.3.2012 – 9 AZR 529/10, juris = ArbRB 2012, 231.
dass diese altersdiskriminierend ist: Die Differenzierung 15 Hierzu Lingemann/Gotham, NZA 2007, 663 ff.
der Urlaubsdauer nach dem Lebensalter benachteiligt Be- 16 Für den TVöD haben sich die Tarifvertragsparteien in Ansehung der
schäftigte, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet BAG-Entscheidung inzwischen auf folgende Neuregelung verstän-
haben und verstößt deshalb gegen das Verbot der Alters- digt: § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD n.F.: „Bei Bei Verteilung der wöchent-
lichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der
diskriminierung.14 Die Entscheidung überzeugt m.E. Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 29 Arbeitstage und nach
nicht: Legitimes Ziel (vgl. § 10 AGG) für eine vom Le- dem vollendeten 55. Lebensjahr 30 Arbeitstage.“ Ferner wurde fol-
bensalter abhängige Gewährung von (Mehr-)Urlaub gende Niederschriftserklärung zu § 26 Abs. 1 TVöD vereinbart:
dürfte ein – bei typisierender Betrachtung – höheres Er- „Die Tarifvertragsparteien sind bei der Neuregelung übereinstim-
holungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer und der mit der mend davon ausgegangen, dass für Beschäftigte, die das
55. Lebensjahr vollendet haben, ein entsprechend höherer Erho-
Fürsorgepflicht des Arbeitgebers korrespondierende Ge- lungsbedarf besteht. Deshalb ist für diese Beschäftigten ein zusätzli-
sundheitsschutz für ältere Arbeitnehmer sein.15 Es han- cher Urlaubstag gerechtfertigt.“
RECHTSPRECHUNG
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Amtliche Leitsätze bleiben ohne Kennzeichnung.
kannt. Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils Nach den Mechanismen des Marktes wird für einen Bie-
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. ter, der das Ergebnis der ersten Ausschreibung kennt, die
Annahme naheliegen, diesen Preis unterbieten zu müs-
Aus den Gründen: sen, um eine realistische Chance auf den Zuschlag zu ha-
[Zu c:] ben, auch wenn das Angebot mit dem geringsten Preis
(rd. 244.000 !) letztlich nicht gewertet werden durfte.
[16] Ein auf das positive Interesse gerichteter Schadens- Dass die Baumaßnahme zum Preis von 242.000 ! durch-
ersatzanspruch eines Bieters setzt nach ständiger Recht- geführt wurde, rechtfertigt unter diesen Voraussetzungen
sprechung voraus, dass dem Bieter bei ordnungsgemä- nicht die Annahme, dass dieser Preis der Marktpreis (vgl.
ßem Verlauf des Vergabeverfahrens der Zuschlag hätte OLG Karlsruhe VergabeR 2010, 96 [100]) war.
erteilt werden müssen und dass der ausgeschriebene oder 24 Soweit die Beklagte die Aufhebungsentscheidung mit der
ein diesem wirtschaftlich gleichzusetzender Auftrag ver- nicht gewährleisteten Sicherung der Finanzierung begründet hat,
geben worden ist (BGH, Urt. v. 8.9.1998 – X ZR 48/97, bemerkt der Senat, dass eine Aufhebung der Ausschreibung re-
BGHZ 139, 259 = MDR 1998, 1408 m. Anm. Hertwig; gelmäßig dann nicht vergaberechtskonform ist, wenn die fehlen-
Urt. v. 26.1.2010 – X ZR 86/08 – Rz. 16, MDR 2010, de Finanzierung auf Fehler des Auftraggebers bei der Ermittlung
694 = VergabeR 2010, 855 – Abfallentsorgung I). Die des Finanzierungsbedarfs und der daran anschließenden Einwer-
letztere Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Danach bung der benötigten Mittel zurückzuführen ist (BGH v. 8.9.1998
kann die Klägerin ihr positives Interesse erstattet verlan- – X ZR 99/96, BGHZ 139, 280 [286] = MDR 1998, 1408).
gen, wenn die Beklagte das erste Vergabeverfahren nicht Zur Vermeidung irregulärer Vergabeentscheidungen
vergaberechtskonform hätte aufheben dürfen, weil die kann dem Auftraggeber darüber hinaus auch nicht ge-
Voraussetzungen aus § 26 Nr. 1 Buchst. c VOB/A a.F. stattet sein, nach Gutdünken eine bestimmte Auftrags-
nicht vorlagen. summe nachträglich für allein noch finanzierbar zu er-
[18] Wie der BGH bereits entschieden hat, kann es einen klären. ...
schwerwiegenden Grund zur Aufhebung darstellen, Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
wenn die vor der Ausschreibung vorgenommene Kosten-
schätzung der Vergabestelle aufgrund der bei ihrer Auf-
stellung vorliegenden und erkennbaren Daten als vertret-
bar erscheint und die im Vergabeverfahren abgegebenen Fluggastrechte bei Reise mit mehreren Flügen
Gebote deutlich darüber liegen (BGH, Urt. v. 8.9.1998 –
X ZR 99/96, BGHZ 139, 280 = MDR 1998, 1408).
[21] Wann ein vertretbar geschätzter Auftragswert so VO (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO) Art. 3
„deutlich“ überschritten ist, dass eine sanktionslose Auf- Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1
hebung der Ausschreibung nach § 26 Nr. 1 Buchst. c Besteht eine Flugreise aus zwei oder mehr Flügen, die
VOB/A .F./§ 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A n.F. gerechtfertigt jeweils von einer Fluggesellschaft unter einer bestimm-
ist, lässt sich nicht durch allgemeinverbindliche Werte
nach Höhe oder Prozentsätzen festlegen. Vielmehr ist
ten Flugnummer für eine bestimmte Route angeboten
nach der Rechtsprechung des BGH eine alle Umstände werden, ist die Anwendbarkeit der Fluggastrechtever-
des Einzelfalls einbeziehende Interessenabwägung vor- ordnung für jeden Flug gesondert zu prüfen. Dies gilt
zunehmen (vgl. BGH, Urt. v. 12.6.2001 – X ZR 150/99, auch dann, wenn die Flüge von derselben Fluggesell-
VergabeR 2001, 293 [298]). Dabei ist davon auszugehen, schaft durchgeführt werden und als Anschlussverbin-
dass einerseits den öffentlichen Auftraggebern nicht das dung gemeinsam gebucht werden können (Bestäti-
Risiko einer deutlich überhöhten Preisbildung weit jen- gung von BGH, Urt. v. 28.5.2009 – Xa ZR 113/08,
seits einer vertretbaren Schätzung der Auftragswerte zu- MDR 2009, 972 = NJW 2009, 2743).
gewiesen werden darf, sondern sie in solchen Fällen zur BGH, Urt. v. 13.11.2012 – X ZR 12/12
sanktionsfreien Aufhebung des Vergabeverfahrens be-
(LG Frankfurt/M. – 2-24 S 133/11; AG Frankfurt/M.)
rechtigt sein müssen, dass andererseits das Institut der
Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht zu einem für die
Sachverhalt:
Vergabestellen latent verfügbaren Instrument zur Kor-
rektur der in öffentlichen Ausschreibungen bzw. offenen Die Klägerinnen begehren jeweils eine Ausgleichszahlung gem.
Verfahren erzielten Submissionsergebnisse geraten darf. § 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, ABl.
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass § 26 Nr. 1 Nr. L 46 S. 1 (nachfolgend: FluggastrechteVO). Sie buchten bei
VOB/A a.F. (§ 17 Abs. 1 VOB/A n.F.) nach Sinn und der Beklagten, einem brasilianischen Luftverkehrsunternehmen,
Zweck der Regelung eng auszulegen ist (BGH, Urt. v. einen Flug von Frankfurt/M. nach Belém (Bundesstaat Pará)
8.9.1998 – X ZR 48/97, BGHZ 139, 259 [263] = MDR über São Paulo und zurück. Der Hinflug von Frankfurt/M. nach
1998, 1408 m. Anm. Hertwig) und dass auch mit ange- São Paulo erfolgte planmäßig. Der Anschlussflug nach Belém er-
messener Sorgfalt durchgeführte Schätzungen nur Prog- folgte etwa 8,5 Stunden später als geplant. Die Zahlungsklage
noseentscheidungen sind, von denen die nachfolgenden hatte das Berufungsgericht abgewiesen, die Revision bleibt er-
Ausschreibungsergebnisse erfahrungsgemäß mitunter folglos.
nicht unerheblich abweichen. Das Ausschreibungsergeb-
Aus den Gründen:
nis muss deshalb in der Regel ganz beträchtlich über dem
Schätzungsergebnis liegen, um die Aufhebung zu recht- [9] In der Sache hat das Berufungsgericht den Klägerinnen zu
Recht einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1
fertigen.
Buchst. c FluggastrechteVO wegen der Annullierung oder Ver-
[22] Dass der Auftrag nach der beschränkten Ausschreibung zu spätung des gebuchten Flugs von São Paulo nach Belém versagt.
einer Auftragssumme von 242.000 ! vergeben werden konnte, [11] Der Begriff des Fluges ist nicht nach nationalem
ist für die Frage, ob das wertungsfähige Submissionsergebnis der
Luftbeförderungsrecht zu bestimmen, sondern wird von
ersten Ausschreibung deutlich überteuert war, nur von einge-
schränktem Erkenntniswert. Denn dabei ist zu bedenken, dass
der FluggastrechteVO autonom definiert.
das Submissionsergebnis der vorangegangenen öffentlichen Aus- [13] Einen entscheidenden Hinweis darauf, was Flug
schreibung nach Maßgabe von § 22 VOB/A a.F., § 14 i.S.d. Verordnung ist, gibt dabei bereits Art. 3 Abs. 1
VOB/A n.F. publik geworden ist und dass dies die Preisbildung FluggastrechteVO, der bestimmt, dass die Verordnung
im zweiten Vergabeverfahren beeinflussen konnte. für Fluggäste gilt, die auf Flughäfen auf dem Gebiet der
[15] Für Ausgleichszahlungen gilt nichts anderes. Der Aus den Gründen:
Ausgleichsanspruch knüpft ebenso wie die anderen Flug- [10] Nach § 530 Abs. 1 BGB kann der Schenker die
gastrechte an den Flug an, der annulliert oder verspätet Schenkung widerrufen, wenn sich der Beschenkte durch
durchgeführt worden ist oder auf dem Fluggästen die Be- eine schwere Verfehlung gegen den Schenker oder einen
förderung verweigert worden ist. Lediglich bei der Höhe nahen Angehörigen des Schenkers groben Undankes
der Ausgleichszahlung berücksichtigt die Verordnung (in schuldig macht. Dieses die grundsätzliche Unwiderruf-
pauschalierter Weise), dass die einzelnen Fluggäste durch lichkeit eines Schenkungsversprechens durchbrechende
die Annullierung eines Fluges oder durch die Verweige- Recht knüpft an die Verletzung der Verpflichtung zu ei-
rung der Beförderung in unterschiedlicher Weise betrof- ner von Dankbarkeit geprägten Rücksichtnahme auf die
fen sein können, je nachdem, wie sich diese Maßnahme Belange des Schenkers an, die dieser vom Beschenkten er-
auf die Erreichung ihres individuellen Endziels aus- warten kann (BGH, Urt. v. 24.3.1983 – IX ZR 62/82,
wirkt... BGHZ 87, 145 [148]). Entscheidend für die Annahme
[17] Danach hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, groben Undanks gegenüber dem Schenker ist mithin, ob
dass den Klägerinnen ein Ausgleichsanspruch nicht zusteht. der Beschenkte diesen Erwartungen in nicht mehr hin-
Dem Anwendungsbereich der Verordnung unterfällt nur der nehmbarer Weise nicht genügt hat (BGH, Urt. v.
Flug von Frankfurt/M. nach São Paulo. Er wurde weder annul- 19.1.1999 – X ZR 60/97, MDR 1999, 1054 = NJW
liert, noch war er verspätet oder wurde den Klägerinnen die Be- 1999, 1623).
förderung verweigert. Auf den annullierten oder verspäteten in- [11] Der Widerruf setzt deshalb nicht nur objektiv eine Verfeh-
nerbrasilianischen Flug von São Paulo nach Belém kann die Ver- lung des Beschenkten von gewisser Schwere voraus, sondern es
ordnung hingegen weder nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a noch nach ist ferner erforderlich, dass die Verfehlung auch in subjektiver
Art. 3 Abs. 1 Buchst. b FluggastrechteVO angewendet werden. Hinsicht Ausdruck einer Gesinnung des Beschenkten ist, die in
[Rz. 18] ... erheblichem Maße die Dankbarkeit vermissen lässt, die der
Schenker erwarten darf (BGH, Urt. v. 11.7.2000 – X ZR 89/98,
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) BGHZ 145, 35 [38] = MDR 2000, 1423; Urt. v. 11.10.2005 – X
ZR 270/02, FamRZ 2006, 196). Ob diese Voraussetzungen er-
füllt sind, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller relevanten
Umstände des Einzelfalles zu beurteilen (BGH v. 24.3.1983 – IX
ZR 62/82, BGHZ 87, 145 [149] = MDR 1983, 663; Urt. v.
23.5.1984 – IVa ZR 229/82, BGHZ 91, 273 [278] = MDR Dankbarkeit vermissen lässt, die der Schenker erwarten kann.
1984, 824; v. 11.10.2005 – X ZR 270/02, FamRZ 2006, 196). [Rz. 19-22] ...
Sie sind daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit erkennbar
wird, dass der Beschenkte dem Schenker nicht die durch Rück-
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
sichtnahme geprägte Dankbarkeit entgegenbringt, die der Schen-
ker erwarten kann. Anhaltspunkte dafür, was der Schenker an
Dankbarkeit erwarten kann, können dabei neben dem Gegen- Ferienhausbereitstellung durch Reiseveranstalter
stand und der Bedeutung der Schenkung auch die näheren Um-
stände bieten, die zu der Schenkung geführt und deren Durch-
führung bestimmt haben (BGH v. 19.1.1999 – X ZR 60/97,
MDR 1999, 1054 = NJW 1999, 1623 f.). VO (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel-I-VO) Art. 22 Nr. 1;
BGB §§ 651a ff.
[12] Dieser Verpflichtung zu einer insbesondere die nähe-
ren Umstände der Schenkung berücksichtigenden Ge- 1. Macht ein Verbraucher gegenüber einem Reisever-
samtwürdigung wird das Berufungsurteil nicht gerecht. anstalter Ansprüche aus einem Vertrag geltend, in
... dem sich der Reiseveranstalter zur zeitweisen Überlas-
[13] Sie leidet zunächst daran, dass das Berufungsgericht das
sung eines in einem anderen Vertragsstaat belegenen
Verhalten der Klägerin, das der Beklagte als Ausdruck groben und einem Dritten gehörenden Ferienhauses verpflich-
Undanks ansieht, nicht in seiner Gesamtheit erfasst, sondern in tet hat, unterfällt der Rechtsstreit nicht der ausschließ-
einzelne Gesichtspunkte zergliedert hat, denen es teils jede Be- lichen Zuständigkeit des Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO.
deutung, teils das einen Widerruf der Schenkung rechtfertigende
Gewicht abgesprochen hat. ... Soweit das Berufungsgericht eine 2. Auf Verträge, in denen sich der Reiseveranstalter
Gesamtwürdigung vornimmt, besteht sie ausschließlich in der gegenüber seinem Kunden allein zur Bereitstellung ei-
Zusammenstellung der vermeintlich die Klägerin entlastenden ner Ferienunterkunft verpflichtet hat, sind die Vor-
Gesichtspunkte, dass der Beklagte selbst „im Rotlichtmilieu ver- schriften des Reisevertragsrechts insgesamt entspre-
kehrt“ habe, das Vorleben der Klägerin gekannt habe, als er sich chend anzuwenden (Bestätigung von BGH, Urt. v.
ihr zugewandt habe, und die Klägerin schließlich „sehr diskret 9.7.1992 – VII ZR 7/92, BGHZ 119, 152 = MDR
vorgegangen“ sei, als sie die Prostitution wieder aufgenommen 1992, 1124).
habe.
BGH, Urt. v. 23.10.2012 – X ZR 157/11
[15] Ausgangspunkt für die nach den oben dargestellten (LG Schwerin – 6 S 69/10; AG Schwerin)
Grundsätzen vorzunehmende Gesamtwürdigung der
Umstände zur Beantwortung der Frage, was der Beklagte Sachverhalt:
als Schenker an Dankbarkeit erwarten durfte, ist hier in
Die Beklagte mit Sitz in Dänemark bietet in der Bundesrepublik
erster Linie die übereinstimmende Vorstellung der Partei-
Deutschland in einem Katalog Ferienhäuser an. Die in Deutsch-
en, die der Schenkung zugrunde lag. Nach dem jedenfalls
land wohnhaften Kläger mieteten bei der Beklagten ein im Kata-
revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt
log näher beschriebenes Ferienhaus in Belgien, das nicht der Be-
stimmten die Parteien darin überein, dass die Klägerin
klagten, sondern einem Dritten gehörte. Die Kläger zeigten die
die Prostitution aufgeben wollte. Diese gemeinsame Vor-
bei der Anreise festgestellten Mängel der Beklagten an und teil-
stellung der Parteien fand ihren Ausdruck einerseits da-
ten mit, der Aufenthalt in dem Ferienhaus sei nicht zumutbar.
rin, dass die Klägerin dem Beklagten versprach, nicht
Da die Beklagte keine Abhilfe leistete, reisten die Kläger am Fol-
mehr als Prostituierte tätig zu sein. Auf der Grundlage
getag ab. Die Zahlungsklage (u.a. wegen der Rückzahlung des
dieses Versprechens übertrug der Beklagte andererseits
Mietpreises und Erstattung der Reisekosten) hatte in den Vor-
der Klägerin das Wohnrecht, das ihr eine gesicherte neue
instanzen Erfolg (1. Instanz: AG des Wohnsitzes der Kläger), die
Lebensgrundlage verschaffen sollte. Darauf sollte sich
Revision bleibt erfolglos.
die Klägerin auch im Falle des Scheiterns ihrer Beziehung
zum Beklagten verlassen können. ... Aus den Gründen:
[16] Damit erhielt die Klägerin eine Schenkung, durch die zeit- [Zu 1:]
lebens, unabhängig vom Fortbestand ihrer Beziehung zum Be- [8] Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen,
klagten, ihr Wohnbedarf gesichert war und die damit einen er- dass sich die internationale Zuständigkeit deutscher Ge-
heblichen wirtschaftlichen Wert verkörperte. Für diese Zuwen- richte aus Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Art. 16 Abs. 1 Brüs-
dung gab es keine andere Veranlassung des Beklagten als die ge- sel-I-VO ergibt, die nach dem Abkommen für die nach
meinsame Vorstellung der Parteien, die Klägerin werde, wie sie dem 1.7.2007 erhobene Klage im Verhältnis der Parteien
es dem Beklagten zugesagt hatte, die Prostitution aufgeben.
gilt. Diese Zuständigkeit wird nicht durch die ausschließ-
[17] Bei einer Gesamtwürdigung dieser Umstände, die zu liche Zuständigkeit gem. Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO ver-
der Schenkung geführt haben, widersprach es objektiv ei- drängt.
ner von Dankbarkeit geprägten Rücksichtnahme auf die [9] Nach Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO sind für Klagen, die die
Belange des Beklagten, wenn sich die Klägerin alsbald Miete von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die
nach Abschluss des sie begünstigenden notariellen Ver- Gerichte des Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache bele-
trages über ihr Versprechen hinwegsetzte und die Pros- gen ist, ausschließlich zuständig... Der Begriff der Miete von un-
titution wieder aufnahm. Dies lief nicht nur den im Zeit- beweglichen Sachen in Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO ist autonom
punkt der Schenkung gemeinsamen Vorstellungen über auszulegen. Dabei gilt Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO für alle Verträ-
die zukünftige Lebensgestaltung entgegen, sondern ent- ge über die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen unab-
hängig von ihren besonderen Merkmalen und damit auch für
zog der für die Schenkung maßgeblichen von dem Ver-
kurzfristige Verträge und für solche, die sich nur auf die Ge-
sprechen der Klägerin, die Prostitution aufzugeben, ge- brauchsüberlassung einer Ferienwohnung beziehen. ...
prägten Entscheidung des Beklagten, der Klägerin das
[10] Als Ausnahme von den allgemeinen Zuständigkeits-
Wohnrecht schenkweise zu übertragen, die Grundlage.
regeln darf Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO allerdings nicht
[18] In diesem Verhalten der Klägerin ist deshalb jedenfalls ob- weiter ausgelegt werden, als es das Ziel der Vorschrift er-
jektiv eine schwere Verletzung der Verpflichtung zur Rücksicht- fordert, denn sie bewirkt, dass den Parteien die ihnen
nahme auf die Belange des Beklagten als Schenker zu sehen. Es sonst mögliche Wahl des Gerichtsstands genommen wird
liegt nahe, diese Verfehlung auch subjektiv als Ausdruck einer und sie in bestimmten Fällen vor einem Gericht zu ver-
Gesinnung der Klägerin zu werten, die in erheblichem Maße die klagen sind, das für keine von ihnen das Gericht ihres
Wohnsitzes bzw. Sitzes ist... Nach der Rechtsprechung schuldet wird, gleichgesetzt und von der Vermittlung von
des Gerichtshofs der Europäischen Union ist deshalb einzelnen Leistungen abgegrenzt. Übersehen wurde hier-
Art. 22 Nr. 1 Brüssel-I-VO bei der Geltendmachung von bei, dass die wesentlichen Merkmale einer Reisever-
Ansprüchen aus einem Vertrag nicht anwendbar, der zwi- anstalterreise auch dann vorliegen können, wenn nur
schen einem gewerblichen Reiseveranstalter und seinem eine einzelne Reiseleistung gebucht wird.
Kunden an dem Ort geschlossen wird, an dem sie ihren Die entsprechende Anwendung der reiserechtlichen Vor-
Sitz bzw. Wohnsitz haben. Unabhängig von seiner Be- schriften auf die bloße Buchung einer Ferienunterkunft
zeichnung bringt ein solcher Vertrag nämlich, wie der ist bei einem Veranstalter auch sachlich gerechtfertigt, da
Gerichtshof der Europäischen Union ausgeführt hat, die Interessenlage der Beteiligten unter allen wesentli-
wenn auch die darin vorgesehene Leistung in der Über- chen Gesichtspunkten gleich gelagert ist: Ebenso wie der
lassung des Gebrauchs einer Ferienwohnung für einen Veranstalter von Aufenthalten in Ferienunterkünften ist
kurzen Zeitraum besteht, weitere Leistungen mit sich ... der Veranstalter von Pauschalreisen, der eine Gesamtheit
(EuGH, Urt. v. 26.2.1992 – C-280/90 – Rz. 14, Slg. 1992 von Leistungen erbringt, zwischen Kunden und Leis-
I-1111 = NJW 1992, 1029 – Hacker/Euro Relais tungsträger geschaltet. Beide erbringen Leistungen in ei-
GmbH). gener Verantwortung. Für den Kunden macht es keinen
[11] Auch im Streitfall hat sich die Beklagte, ein Reise- Unterschied, ob er bei einem Veranstalter lediglich eine
veranstalter, gegenüber den Klägern zur Überlassung ei- Ferienunterkunft als einzelne Reiseleistung oder eine Ge-
nes Ferienhauses für einen kurzen Zeitraum verpflichtet samtheit von Reiseleistungen bucht (BGH, Urt. v.
und nicht lediglich den Abschluss des Mietvertrags zwi- 9.7.1992 – VII ZR 7/92, BGHZ 119, 152 [161-164] =
schen den Klägern und dem Eigentümer des Ferienhauses MDR 1992, 1124). [Rz. 26-27] ...
vermittelt. Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
[14] Die Beklagte hat Ferienhäuser in einem eigenen Feri-
enhauskatalog angeboten, der auch Grundlage des Ver-
tragsschlusses zwischen den Parteien war. Das Angebot
einer Vielzahl von Ferienunterkünften in einem Katalog Preisbildung bei faktischer Entnahme von Fernwär-
spricht aus Sicht eines Kunden bereits dafür, dass der meenergie
Reiseunternehmer nicht für eine Vielzahl von verschiede-
nen Eigentümern der Immobilien handeln will, sondern AVBFernwärmeV § 2 Abs. 2 S. 2; BGB § 315 Abs. 3
die Überlassung der Wohnungen in eigener Verantwor-
a) Als „gleichartige Versorgungsverhältnisse“ i.S.v. § 2
tung übernimmt, hierfür selbst einstehen will und eine ei-
gene Vertrauenswerbung entfaltet (vgl. zur Verwendung Abs. 2 Satz 2 AVBFernwärmeV kommen in erster Li-
eines Katalogs BGH, Urt. v. 9.7.1992 – VII ZR 7/92, nie die von dem Fernwärmeversorger in dem Versor-
BGHZ 119, 152 [160] = MDR 1992, 1124; Urt. v. gungsgebiet geschlossenen Fernwärmelieferungsver-
17.1.1985 – VII ZR 163/84, MDR 1985, 569 = NJW träge mit anderen Endabnehmern in Betracht (Fort-
1985, 906). Ausweislich der den Klägern übersandten führung von BGH, Urt. v. 15.2.2006 – VIII ZR
Buchungsbestätigung ist die Beklagte diesen gegenüber 138/05, WuM 2006, 207).
auch als Vertragspartner der Gebrauchsüberlassung auf- b) Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 AVBFernwärmeV bestimm-
getreten. Denn auf der Buchungsbestätigung findet sich te Preise für die Lieferung von Fernwärme unterliegen
lediglich der Name der Repräsentanz der Beklagten... nicht der gerichtlichen Billigkeitskontrolle in entspre-
Ein Hinweis auf den Eigentümer der Immobilie als Ver- chender Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB.
tragspartner fehlt, so dass aus der Sicht eines durch-
schnittlichen Reisekunden die Beklagte selbst sich zur BGH, Urt. v. 17.10.2012 – VIII ZR 292/11
Gebrauchsüberlassung der Immobilie verpflichtet. Auch (KG – 6 U 151/10; LG Berlin)
ist der Preis als einheitlicher Preis ausgewiesen, ohne dass
eine Provision für eine Vermittlungsleistung ausgewiesen Aus den Gründen:
wäre (vgl. BGH, Urt. v. 9.7.1992 – VII ZR 7/92, BGHZ [11] Zutreffend ... ist das Berufungsgericht davon aus-
119, 152 [160] = MDR 1992, 1124). Schließlich erwe- gegangen, dass zwischen der Klägerin und dem Beklag-
cken auch die dem Vertrag zugrunde liegenden allgemei- ten ein Vertrag über die Lieferung von Fernwärme da-
nen Geschäftsbedingungen den Eindruck, dass die Be- durch zustande gekommen ist, dass der Beklagte ab dem
klagte und nicht ein Dritter Vertragspartner des Ge- 1.8.2002 Fernwärme aus dem Leitungsnetz der Klägerin
brauchsüberlassungsvertrags werden sollte. ... entnommen hat (vgl. BGH, Urt. v. 15.2.2006 – VIII ZR
[Zu 2:] 138/05 – Rz. 14 ff., WuM 2006, 207; v. 6.4.2011 – VIII
[25] Zwar stellt der auf die Bereitstellung des Ferienhauses ge- ZR 66/09 – Rz. 14, MDR 2011, 646 = WM 2011,
richtete Vertrag keinen Reisevertrag i.S.d. § 651a BGB dar, da 1042).
die Beklagte nicht eine Gesamtheit von Reiseleistungen zu er- [12] In diesem Fall erfolgt die Versorgung gem. § 2
bringen hatte, sondern lediglich zur Überlassung der Wohnung Abs. 2 Satz 2 AVBFernwärmeV zu den für gleichartige
verpflichtet war. Die Vorschriften der §§ 651a ff. BGB sind da- Versorgungsverhältnisse geltenden Preisen. Das Beru-
her nicht unmittelbar anwendbar. fungsgericht hat die 400 bis 600 Vertragsverhältnisse, die
Doch sind auf Veranstaltungsverträge, die auf die Bereit- die Klägerin mit den übrigen Bewohnern des Sch. V. ab-
stellung einer Ferienunterkunft als alleinige Reiseleistung geschlossen hat, zu Recht als gleichartig angesehen und
gerichtet sind, die Vorschriften des Reisevertragsrechts die in diesen Verträgen vereinbarten Preise auch dem Ver-
insgesamt entsprechend anwendbar. Soweit solche Ver- sorgungsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Be-
träge nicht unter § 651a ff. BGB fallen, liegt ausweislich klagten zugrunde gelegt.
der Gesetzesmaterialien eine planwidrige Unvollständig- [13] Bei der Gleichartigkeit nach § 2 Abs. 2 Satz 2
keit des Gesetzes vor. Dem Gesetzgeber ging es in der Sa- AVBFernwärmeV ist zunächst darauf abzustellen, ob die
che darum, den Reiseveranstaltungsvertrag als einen Ver- Klägerin dem Vertragsverhältnis mit dem Beklagten ver-
trag mit gesteigerter Haftung und Verantwortung von gleichbare Versorgungsverhältnisse mit anderen Kunden
dem Reisevermittlervertrag abzugrenzen. Hierbei wurde in nennenswertem Umfang unterhält oder unterhalten
der zu regelnde Reiseveranstaltungsvertrag mit der Pau- hat (vgl. BGH v. 15.2.2006, a.a.O. – Rz. 29; Wollschlä-
schalreise, bei der eine Gesamtheit von Leistungen ge- ger/Meyer, IR 2009, 82 [84]). Nur wenn dies nicht der
Fall ist, müssen in die Betrachtung ergänzend die in migung dieser Tarife abgelehnt hat. Auch bei der gericht-
gleichartigen Versorgungsverhältnissen zwischen ande- lichen Kontrolle der Billigkeit der Ausgangspreise fände
ren Fernwärmeversorgern im Versorgungsgebiet und für das betroffene Fernwärmeunternehmen eine Preis-
Endabnehmern geltenden Preisregelungen einbezogen regulierung statt, wenn der Preis nach Auffassung des
werden (vgl. BGH v. 15.2.2006, a.a.O.). ... Gerichts unbillig überhöht und deshalb durch Urteil zu
[15] Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich § 2 bestimmen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.2008 – VIII
Abs. 2 Satz 2 AVBFernwärmeV nicht entnehmen, dass ZR 138/07 – Rz. 18, a.a.O.). [Rz. 24] ...
die Versorgung nur dann zu den Preisen aus gleichartigen Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
Versorgungsverhältnissen erfolgt, wenn diese ortsüblich
und angemessen sind.
[16] Die Revision weist zwar zutreffend darauf hin, dass
es in der Fernwärmeversorgung – anders als bei der Ver- Vertragsabschluss über automatisches Flug-Buchungs-
sorgung mit Elektrizität und Gas – an einer verbindlichen system
Bundestarifordnung sowie allgemeinen Tarifpreisen und
der normativ vorgegebenen Unterscheidung zwischen Ta- BGB §§ 130, 133, 145, 146, 154, 157, 312g
rif- und Sonderkunden fehlt (vgl. BGH v. 15.2.2006,
a.a.O. – Rz. 16). Das ist der Grund, warum § 2 Abs. 2 a) Der Inhalt eines unter Einsatz elektronischer Kom-
Satz 2 AVBFernwärmeV auf die für gleichartige Versor- munikationsmittel über ein automatisiertes Buchungs-
gungsverhältnisse geltenden Preise abstellt (vgl. BGH v. oder Bestellsystem an ein Unternehmen gerichteten
15.2.2006, a.a.O.). Dadurch wird sichergestellt, dass das Angebots und einer korrespondierenden Willenserklä-
Versorgungsunternehmen auch beim Fehlen einer ver- rung des Unternehmens ist nicht danach zu bestim-
bindlichen Preisabsprache zu den üblichen Versorgungs- men, wie das automatisierte System das Angebot vo-
bedingungen abzurechnen hat (LG Arnsberg CuR 2007, raussichtlich deuten und verarbeiten wird. Maßgeb-
26 [28] m.w.N.). Der Kunde, der allein durch die Ent- lich ist vielmehr, wie der menschliche Adressat die je-
nahme von Fernwärme den Vertrag mit dem Unterneh- weilige Erklärung nach Treu und Glauben und der
men schließt, soll weder schlechter noch besser stehen als Verkehrssitte verstehen darf.
die Kunden, mit denen das Vertragsverhältnis schriftlich
abgeschlossen worden ist (vgl. Wollschläger/Meyer, b) Gibt ein Flugreisender in die über das Internet zur
a.a.O., S. 85). Verfügung gestellte Buchungsmaske eines Luftver-
[18] Das Berufungsgericht hat auch zu Recht angenom- kehrsunternehmens, die den Hinweis enthält, dass
men, dass die Ausgangspreise der Klägerin nicht der Bil- eine Namensänderung nach erfolgter Buchung nicht
ligkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegen. mehr möglich sei und der angegebene Name mit dem
[20] ... Eine Billigkeitskontrolle der von den Parteien bei Namen im Ausweis übereinstimmen müsse, in die Fel-
Vertragsschluss vereinbarten Preise in entsprechender der für Vor- und Zunamen des Fluggastes jeweils
Anwendung von § 315 BGB wegen des Bestehens eines „noch unbekannt“ ein, kommt ein Beförderungsver-
Anschluss- und Benutzungszwangs oder einer Monopol- trag regelmäßig weder durch die Buchungsbestätigung
stellung der Klägerin scheidet aus. noch durch die Einziehung des Flugpreises zustande.
[21] Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon BGH, Urt. v. 16.10.2012 – X ZR 37/12
aus, dass Tarife von Unternehmen, die mittels eines pri- (LG Dresden – 2 S 170/11; AG Dresden)
vatrechtlich ausgestalteten Benutzungsverhältnisses Leis-
tungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf deren Inan- Sachverhalt:
spruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfalle an-
Der Kläger buchte über das Internetportal des beklagten Luft-
gewiesen ist, nach billigem Ermessen festgesetzt werden
fahrtunternehmen Flüge von Dresden über Frankfurt/M. nach
müssen und entsprechend § 315 BGB einer Billigkeits-
Larnaca und zurück für zwei Personen. In die Buchungsmaske
kontrolle unterworfen sind (BGH, Urt. v. 5.7.2005 – X
gab er unter der Rubrik „Person 1“ seinen Vor- und Zunamen
ZR 60/04, MDR 2006, 14 = NJW 2005, 2919 unter II 1
ein, unter „Person 2“ trug er „noch unbekannt“ ein. Die Beklag-
a m.w.N. = insoweit in BGHZ 163, 321 ff. nicht abge-
te übermittelte dem Kläger eine Buchungsbestätigung und zog
druckt; Urt. v. 28.3.2007 – VIII ZR 144/06 – Rz. 17,
den Preis für zwei Hin- und Rückflüge ein. Als der Kläger den
BGHZ 171, 374 m.w.N.). Dies ist zum Teil aus der Mo-
Namen der zweiten Person angeben wollte, teilte ihm die Be-
nopolstellung des Versorgungsunternehmens hergeleitet
klagte mit, dass die Nachbenennung eine zu diesem Zeitpunkt
worden, gilt aber auch für den Fall des Anschluss- und
nicht mehr mögliche Namensänderung darstelle; der Kläger
Benutzungszwangs (BGH v. 28.3.2007, a.a.O.). Denn in
könne lediglich die Buchung stornieren und für die zweite Per-
diesen Fällen muss der Kunde, wenn er die Leistung in
son neu buchen. Von dieser Möglichkeit machte der Kläger kei-
Anspruch nehmen will, mit dem Unternehmer kontrahie-
nen Gebrauch. Er trat die Reise alleine an und verlangt wegen
ren, auch wenn er mit dem vorgeschriebenen Preis oder
der zweiten Buchung u.a. die Rückzahlung des Flugpreises. Die
Tarif nicht einverstanden ist (BGH, Urt. v. 4.12.1986 –
Zahlungsklage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Hin-
VII ZR 77/86, MDR 1987, 399 = NJW 1987, 1828 unter
sichtlich der Erstattung des Flugpreises führt die Revision zur
II 2 b; v. 5.7.2005, a.a.O.). An beiden Voraussetzungen
Verurteilung der Beklagten, im Übrigen bleibt das Rechtsmittel
fehlt es im Streitfall.
erfolglos.
[22] Ein öffentlich-rechtlicher Anschluss- und Benut-
zungszwang besteht nach den Feststellungen des Beru- Aus den Gründen:
fungsgerichts nicht. Auch die Tatsache, dass die Klägerin [11] Das Berufungsgericht hat zwar im Ergebnis zutreffend an-
im Bereich des Sch. V. die einzige Anbieterin von Fern- genommen, dass dem Kläger ein vertraglicher Rückzahlungs-
wärme ist, führt nicht dazu, dass die von der Klägerin anspruch wegen der verweigerten Beförderung des vom Kläger
verlangten Preise der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nachträglich benannten zweiten Passagiers nicht zusteht. Aller-
unterlägen. dings kann der Kläger gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB Er-
[23] Entgegen der Auffassung der Revision liefe eine um- stattung des insoweit ohne Rechtsgrund gezahlten Reisepreises
fassende gerichtliche Kontrolle der Preise eines Fernwär- verlangen.
meversorgungsunternehmens der Intention des Gesetz- [12] Ein vertraglicher Anspruch scheidet aus, da ent-
gebers zuwider, der eine staatliche Prüfung und Geneh- gegen der Auffassung der Revision zwischen den Parteien
kein Beförderungsvertrag zustande gekommen ist, der sonstige dem Antrag entsprechende Handlungen vor-
dem Kläger ein nachträgliches Bestimmungsrecht hin- genommen werden (Erman/Armbrüster, BGB, 13. Aufl.
sichtlich des Namens des zweiten Fluggastes eingeräumt 2011, § 147 Rz. 2).
hätte. [20] Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die Beklagte muss-
[14] Das Berufungsgericht ist zutreffend davon aus- te die Buchung des Klägers für einen zweiten Fluggast mit der
gegangen, dass es sich bei den über die Buchungsmaske Angabe in den Namensfeldern „noch unbekannt“ zwar dahin
der Beklagten buchbaren Flügen nicht um ein verbindli- verstehen, dass sich der Kläger das Recht vorbehalten wollte, die
ches Angebot gem. § 145 BGB handelt. ... Erst in dem mitreisende Person nachträglich zu bestimmen. Aus der Sicht
des Klägers war in dem automatisierten Verfahren die Eingabe
Ausfüllen der Buchungsmaske durch den Kläger ... ist ein der Wörter „noch unbekannt“, die nach allgemeinem Verständ-
Angebot zum Abschluss eines Vertrages über die Luft- nis keinen Namen einer Person darstellen, akzeptiert worden.
beförderung des Klägers und einer weiteren Person ... zu Darüber musste sich auch die Beklagte, die ... wegen des damit
sehen. verbundenen hohen Kostenaufwands keine Prüfungsroutine be-
[16] Die Buchungsbestätigung der Beklagten ... bezüglich züglich der Namensangaben in ihrem Computersystem instal-
eines zweiten, für einen „noch unbekannt(en)“ Fluggast liert hatte, im Klaren sein.
gebuchten Fluges kann nicht als Annahme gem. § 147 Gleichwohl hat die Beklagte dieses Angebot des Klägers
BGB ausgelegt werden, die zum Abschluss eines Beför- aber nicht angenommen und diesem durch die Absen-
derungsvertrags hinsichtlich des zweiten Fluggastes ge- dung der Buchungsbestätigung nicht das Recht einge-
führt hätte. räumt, die Person des zweiten Fluggastes nachträglich zu
[17] Die von dem Kläger und der Beklagten unter Einsatz deren bestimmen. Denn die Beklagte hatte die nachträgliche
Computersystems abgegebenen Erklärungen stimmen zwar nach Bestimmungsmöglichkeit durch den Hinweis in der Bu-
ihrem äußeren Anschein überein. Der Kläger hat in die Namens- chungsmaske ausdrücklich ausgeschlossen und damit
felder für den zweiten Fluggast zweimal die Worte „noch unbe- deutlich gemacht, dass für sie die Benennung der Person
kannt“ eingetragen und die Beklagte hat in der von ihr über- des Reisenden, die zudem durch Vorlage eines Ausweises
sandten Buchungsbestätigung diese Angabe übernommen. Für identifizierbar sein sollte, ein wesentlicher Punkt des Be-
die Auslegung dieser Erklärungen ist aber nicht auf die auto- förderungsvertrages war, über den bei Vertragsabschluss
matisierte Reaktion des Computersystems abzustellen, dessen Klarheit bestehen sollte.
sich die Beklagte für die Abwicklung des Buchungsvorgangs be-
Davon musste auch der Kläger bei Erhalt der Buchungsbestäti-
diente.
gung bei objektiver Betrachtung ausgehen. Er hatte keinen An-
Nicht das Computersystem, sondern die Person (oder lass für die Annahme, mit der – entsprechend der von ihm offen-
das Unternehmen), die es als Kommunikationsmittel bar nicht veränderten Voreinstellung – auf einen männlichen
nutzt, gibt die Erklärung ab oder ist Empfänger der abge- Passagier „Mr. Noch unbekannt“ lautenden Buchungsbestäti-
gebenen Erklärung. Der Inhalt der Erklärung ist mithin gung nicht nur die automatisierte Reaktion des Buchungssys-
nicht danach zu bestimmen, wie sie das automatisierte tems, sondern die Erklärung der Beklagten zu erhalten, dass sie
System voraussichtlich deuten und verarbeiten wird, son- ihm das mit der zweckwidrigen Verwendung der Buchungsmas-
dern danach, wie sie der menschliche Adressat nach Treu ke nachgefragte Bestimmungsrecht tatsächlich einräumen woll-
und Glauben und der Verkehrssitte verstehen darf. Allein te.
ein solches Verständnis steht mit den §§ 133, 157 BGB [21] Nach alldem haben die Parteien mit den abgegebe-
und den hierzu entwickelten Auslegungsgrundsätzen in nen Erklärungen jedenfalls hinsichtlich des für „noch un-
Einklang. bekannt“ gebuchten Flugs keinen Beförderungsvertrag
[19] Diese Auslegungsgrundsätze gelten auch, wenn bei geschlossen, da sie sich nicht über die Person des oder
der Abgabe und dem Empfang von Willenserklärungen der zweiten Reisenden und damit nicht über alle Punkte
elektronische Kommunikationsmittel genutzt werden. geeinigt hatten, über die nach Erklärung auch nur einer
Dafür spricht die gesetzliche Regelung der Pflichten im (Vertrags)Partei – hier der Beklagten – eine Vereinbarung
elektronischen Geschäftsverkehr. § 312g Abs. 1 Nr. 3 getroffen werden sollte (§ 154 Abs. 1 Satz 1 BGB).
BGB sieht für den Fall, dass ein Vertrag unter Einsatz [22] Der Umstand, dass die Beklagte den Reisepreis für zwei
elektronischer Kommunikationsmittel geschlossen wer- Hin- und Rückflüge vom Konto des Klägers eingezogen hat,
den soll, vor, dass der Unternehmer den Zugang der Be- führt zu keiner anderen Beurteilung... Weder durfte der Kläger
nach den Angaben in der Buchungsmaske der Beklagten anneh-
stellung unverzüglich auf elektronischem Wege zu bestä-
men, dass ihm die Beklagte die nachträgliche Benennung eines
tigen hat. Mitreisenden gestatten wollte, noch musste er die Abbuchung
Diese Bestätigung der Bestellung stellt in der Regel eine reine dahin verstehen, dass die Beklagte sich zur Beförderung eines
Wissens- und keine Willenserklärung dar (Staudinger/Thüsing, Passagiers mit dem Namen „Noch unbekannt Noch unbekannt“
BGB, Neubearb. 2005, § 312e a.F. Rz. 46; Wendehorst in verpflichten wollte. [Rz. 23-26] ...
MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 312g Rz. 95; Erman/Saen-
ger, BGB, 13. Aufl. 2011, § 312g Rz. 17). Gleichwohl ist nicht Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
ausgeschlossen, dass der Unternehmer diese Wissenserklärung
mit einer Willenserklärung, sei es mit der Annahme oder sei es
mit der Ablehnung des Angebots, verbindet (Staudinger/Thü-
sing, a.a.O., § 312e a.F. Rz. 46). Der Charakter der Erklärung Kündigung einer Reise wegen erheblicher Gefährdung
ist entsprechend den allgemeinen Regeln in §§ 133, 157 BGB („Fukushima“)
nach dem objektiven Empfängerhorizont zu bestimmen (Wende-
horst, a.a.O., § 312g Rz. 96; Staudinger/Thüsing, a.a.O., § 312e BGB § 651j
a.F. Rz. 47).
Eine automatisierte Erklärung kommt daher grundsätz- Um eine erhebliche Gefährdung i.S.d. § 651j Abs. 1
lich auch als Annahme des Angebots in Betracht, wenn BGB anzunehmen, bedarf es nicht etwa der Feststel-
es sich nicht nur um die Bestätigung des Eingangs einer lung einer „überwiegenden“ Wahrscheinlichkeit
Bestellung i.S.v. § 312g Abs. 1 Nr. 3 BGB handelt, son- (BGH v. 15.10.2002 – X ZR 147/01, MDR 2003,
dern mit ihr die vorbehaltlose Ausführung der Bestellung 377 = NJW 2002, 3700; vgl. auch schon BGH v.
angekündigt wird (Busche in MünchKomm/BGB, a.a.O., 23.11.1989 – VII ZR 60/89, MDR 1990, 329 = NJW
§ 147 Rz. 4). Ebenso kann auch im elektronischen Ge- 1990, 572 „Tschernobyl“). Vielmehr ist eine deutlich
schäftsverkehr die Annahme konkludent erklärt werden, herabgesenkte Wahrscheinlichkeitsschwelle zugrunde
so wenn die gewünschte Leistung bewirkt wird oder zu legen; eine zur Kündigung berechtigende Gefähr-
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MDR 3/2013 Rechtsprechung 143
Miet- und WEG-Recht
dung liegt auch dann vor, wenn es zwar überwiegend geschlossen und ließ das Entstehen von Kernschmelzen
wahrscheinlich ist, dass die Gefährdung nicht eintritt, befürchten.
aber gewisse, nicht fern liegende und von der Hand zu Als weiterer Umstand trat insbesondere hinzu, dass die
weisende, objektive und nicht nur auf Ängsten des weitere – ständig einem möglichen Wechsel unterliegen-
Kündigenden beruhende Umstände für den gegentei- de – Wetterlage (Windstärke, Windrichtung), von der
ligen Geschehensablauf sprechen. ! u.a. die weitere Gefahrenentwicklung abhing, von keiner
Seite verlässlich eingeschätzt werden konnte. Die unkla-
OLG Bremen, Urt. v. 19.10.2012 – 2 U 41/12 re, teil widersprüchliche Berichterstattung sowohl des
(LG Bremen – 3 O 870/11) Kraftwerkbetreibers wie auch der japanischen Behörden
trug zusätzlich zu einer Verunsicherung bei. Vor diesem
Aus den Gründen: Hintergrund musste Fernostreisenden selbst, wenn das
... Die Parteien streiten um die Rückerstattung einer Rei- Kreuzfahrtschiff das betroffene Gebiet um Fukushima
severgütung. Die Kläger buchten für die Zeit vom nicht unmittelbar ansteuerte, die Situation schon in der
31.3.2011 bis 21.4.2011 eine Leserreise der X-Zeitung Erwartung, auch nur in die weiteren Regionen zu gelan-
mit Kreuzfahrt in Fernost ab Peking mit Reisezielen in gen, beunruhigend vorkommen, wobei sich ihre Befürch-
China, Südkorea, Vietnam und Thailand zu einem Ge- tung, Schäden durch Strahlenbelastung davonzutragen,
samtreisepreis von 8.382 !. Reiseveranstalterin war die für sie als durchaus berechtigt darstellte. Dass andere
Beklagte. Am 11.3.2011 ereignete sich ein Atomreaktor- Reisende im Gegensatz zu den Klägern eine solche Be-
unfall in Fukushima (250 km nördlich von Tokio). Die fürchtung nicht teilten und von der Reise nicht zurück-
NISA (japanische Aufsichtsbehörde) ordnete das Un- traten, ändert daran nichts. Das allein lässt noch keines-
glück am 18.3.2011 als ernsten Unfall (Stufe 5 der inter- wegs darauf schließen, dass die Kläger etwa in einer Wei-
nationalen Bewertungsskala INES), später am 12.4.2011 se überängstlich waren, dass eine solche – dann rein sub-
als katastrophalen Unfall (Stufe 7) ein. Das Institute for jektive, übertriebene Befindlichkeit – außer Betracht blei-
Science and International Security gelangte schon am ben müsste. Denn die bereits dargestellten objektiven
15.3.2011 zur Einstufung als sehr schweren Unfall Umstände rechtfertigten die Annahme einer erheblichen
(Stufe 6). Der Generaldirektor Amano der Internationa- Gesundheitsgefährdung.
len Atomenergie-Organisation (IAEO) erklärte am Die Kläger müssen sich auch nicht darauf verweisen las-
21.3.2011 ggü. der internationalen Presse: sen, sie hätten länger – etwa bis einen Tag vor der ge-
„Die Krise ist noch nicht geklärt und die Situaton am Fukushima
planten Reise – abwarten müssen, bevor sie ihre Kündi-
Kernkraftwerk nach wie vor sehr ernst ... . Ich verstehe die Sor- gung erklärten. Ob eine solche Betrachtungsweise für
gen von Millionen von Menschen, in Japan und in angrenzenden den Fall erheblich wäre, dass sich die Gefährdungsprog-
Ländern, in Asien, aber auch darüber hinaus, über die mögli- nose in dem fraglichen Zeitraum bis zum Reisetermin
chen Gefahren für die menschliche Gesundheit. ...“ signifikant verbessert, kann offen bleiben. So lag es hier
Mit Schreiben vom 21.3.2011 kündigten die Kläger die jedenfalls nicht. Im Gegenteil häuften sich in der Bericht-
Reise, erstattung auch in der Woche nach dem 21.3.2011 Mel-
dungen, die auf eine weiterhin schlechte Entwicklung
„da wir nach dem AKW-Gau in Japan sehr um unsere Gesund- schließen ließen. Es ist jedenfalls vor diesem Hintergrund
heit fürchten. Sie können uns keine Sicherheit bieten, dass wir auch nicht ersichtlich, inwieweit den Interessen der Be-
nicht doch radioaktiver Strahlung ausgesetzt werden.“
klagten, der an einer hinreichenden Planungssicherheit
Die X-Zeitung erstattete ! 2.095,50 (25 % des Gesamt- gelegen sein musste, gedient gewesen wäre, hätten die
reisepreises). Die Beklagte wies ... die weitere Rückzah- Kläger ihre Kündigung erst am 30.3.2011 erklärt. Die
lungsforderung zurück. Die Kläger haben sich für ihr Rückerstattungsforderung von ! 6.286,50 ergibt sich als
Kündigungsrecht auf § 651j Abs. 1 BGB (erhebliche Ge- vertraglicher Rückzahlungsanspruch unmittelbar aus
fährdung der Reise durch höhere Gewalt) und die im We- §§ 346 Abs. 1, 651j BGB. Sie richtet sich nach dem vo-
sentlichen gleichlautende Nr. 8 a der Reisebedingungen rausgezahlten Reisepreis von 8.382 ! abzgl. bereits er-
berufen. ... Das LG hat die Klage abgewiesen. ... Die Be- statteter 2.095,50 ! und ist der Höhe nach zwischen den
rufung ist ... begründet. Den Klägern steht der von ihnen Parteien nicht streitig. ...
geltend gemachte Anspruch von 6.286,50 ! aus §§ 346
Abs. 1, 651j BGB zu. Eine zur Kündigung berechtigende Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
erhebliche Gefährdung der Reise durch höhere Gewalt
liegt vor, wenn eine Zukunftsprognose ergibt, dass die Si-
cherheit des Reisenden der Voraussicht nach erheblich
gefährdet sein wird. Dabei geht es entgegen dem Wort-
laut der Vorschrift nach allgemeiner Meinung nicht etwa Miet- und WEG-Recht
um eine Gefährdung der „Reise“ als solcher, sondern um
die Gefährdung der persönlichen Sicherheit des Rei- AGB über anteilige Kosten der jährlichen Wartung ei-
sekunden (vgl. Sprau in Palandt, BGB, 71. Aufl., Rz. 2 zu ner Gastherme
§ 651j). Aus der Ex-ante-Sicht der Kläger am 21.3.2011
war die Reise i.S.d. § 651j BGB erheblich gefährdet, in-
dem sich für sie eine erhebliche Gefahr für ihre Gesund- BGB § 307, 556; BetrKV § 2
heit als wahrscheinlich darstellte. Hier stellte sich die Eine Klausel in einem vom Vermieter gestellten For-
Prognose über eine mögliche Gesundheitsschädigung in- mularmietvertrag, die dem Mieter die anteiligen Kos-
folge radioaktiver Beeinflussung zum Kündigungszeit- ten der jährlichen Wartung einer Gastherme auferlegt,
punkt als letztlich ungewiss dar. Nicht nur besonders benachteiligt den Mieter auch dann nicht unangemes-
ängstliche, sondern auch vernünftig abwägende Rei- sen, wenn die Klausel eine Obergrenze für den Umla-
sekunden konnten einen für sie gesundheitlich nachtei- gebetrag nicht vorsieht (Abgrenzung zu BGH, Urt. v.
ligen Geschehensablauf für die Zeit ihrer beabsichtigten 15.5.1991 – VIII ZR 38/90, MDR 1991, 628 = WM
Reise nicht von der Hand weisen; solche Gefahren lagen 1991, 1306).
aufgrund der gegebenen objektiven Umstände vielmehr
durchaus nahe. Die Schadenentwicklung an den Reaktor- BGH, Urt. v. 7.11.2012 – VIII ZR 119/12
blöcken war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ab- (LG Berlin – 65 S 376/11; AG Berlin-Charlottenburg)
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144 Rechtsprechung MDR 3/2013
Miet- und WEG-Recht
Aus den Gründen: handlungen erklärte die für A. tätige Centermanagerin B., dass
[9] Zu Recht hat das Berufungsgericht die Klausel über im Durchschnitt von einer täglichen Besucherzahl von rund
die Kostentragungspflicht in § 23 Nr. 11 des Mietver- 28.000 Personen ausgegangen werden könne. Im Februar 2005
trags der Parteien als wirksam angesehen und der Kläge- mietete die Streithelferin Räume von der D.-Bank an, in denen
rin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der die Klägerin ihre Apotheke betreiben sollte. Am 16.6.2005 un-
Kosten für die Wartung der Gastherme i.H.v. 58,48 ! zu- terzeichneten die Streithelferin und die Klägerin einen Unter-
erkannt. mietvertrag. Das LG hat die Beklagte zur Zahlung Schadens-
ersatz verurteilt. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der
[10] Die Wartungskosten für eine Gastherme gehören zu
Beklagten die Klage abgewiesen. Die vom Berufungsgericht zu-
den Betriebskosten einer Wohnung i.S.v. § 556 Abs. 1
gelassene Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Satz 2 BGB i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 a, 4 b BetrKV. Sie
können gem. § 7 Abs. 2 HeizkostenVO vom Vermieter
auf den Mieter umgelegt werden, sofern es sich bei der Aus den Gründen:
Gastherme um eine zentrale Heizungs- und/oder Warm- [9] Der allein in Betracht kommende Schadensersatz-
wasserversorgungsanlage gem. § 1 Nr. 1 HeizkostenVO anspruch nach den Grundsätzen eines Vertrags mit
handelt und keine Ausnahmeregelung hinsichtlich der Schutzwirkung zugunsten Dritter kommt nur in Frage,
Anwendbarkeit der Verordnung gem. §§ 2, 11 Heizkos- wenn der Dritte bestimmungsgemäß mit der Leistung in
tenVO eingreift. Dazu hat das Berufungsgericht keine Berührung kommt, der Vertragspartner ein Interesse an
Feststellungen getroffen. Das ist indessen unschädlich, der Einbeziehung des Dritten hat, dies für den Schuldner
denn die Beklagte hat die Kosten der Wartung der Gast- erkennbar ist und der Dritte keine eigenen vertraglichen
herme jedenfalls nach § 23 Nr. 11 des Mietvertrags zu Ansprüche desselben Inhalts hat (BGH, Urt. v. 20.3.1995
tragen. – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 [167, 169]; v.
[11] Die Betriebskosten einer Mietwohnung, deren Um- 22.7.2004 – IX ZR 132/03, MDR 2005, 58 = NJW
legung auf den Mieter entweder gesetzlich bestimmt oder 2004, 3630 [3632]). Eine Einbeziehung des Untermieters
von den Vertragsparteien vereinbart ist, hat der Mieter in den Schutzbereich des Hauptmietvertrags scheidet re-
grundsätzlich in der angefallenen Höhe zu tragen. Eine gelmäßig deshalb aus, weil dem Untermieter eigene ver-
Obergrenze dafür sieht die gesetzliche Regelung nicht tragliche Ansprüche gegen den Hauptmieter zustehen
vor. Es ist lediglich das Gebot der Wirtschaftlichkeit aus (BGH, Urt. v. 15.2.1978 – VIII ZR 47/77, BGHZ 70,
§ 556 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB bei der Abrechnung 327 [329 f.]; v. 2.7.1996 – X ZR 104/94, BGHZ 133,
und der Verursachung von Betriebskosten zu beachten. 168 [173 f.] = MDR 1997, 26; v. 20.12.1978 – VIII ZR
Dass die hier entstandenen Kosten der Gasthermenwar- 69/78, WM 1979, 307 f.). Dass der Anspruch gegen den
tung dem Wirtschaftsgebot widersprächen, wird von der eigenen Vertragspartner wegen dessen Insolvenz wirt-
Revision nicht geltend gemacht. Soweit sich aus der eine schaftlich praktisch wertlos ist, ändert hieran nichts,
Vornahmeklausel betreffenden Entscheidung des Senats denn die Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für
aus dem Jahr 1991 (BGH v. 15.5.1991 – VIII ZR 38/90, Dritte sollen dem Dritten nicht das Insolvenzrisiko seines
MDR 1991, 628 = WM 1991, 1306, unter II 4 b) etwas Vertragspartners abnehmen (BGH, Urt. v. 22.7.2004 –
anderes ergeben sollte, hält der Senat hieran nicht fest. IX ZR 132/03, MDR 2005, 58 = NJW 2004, 3630
[3632]).
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) [10] Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht da-
raus, dass die Klägerin hier keine Garantieansprüche we-
gen Mängeln, sondern Ansprüche wegen einer Pflichtver-
Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter; Kon- letzung der D.-Bank bei Vertragsverhandlungen mit der
zerntochter als Verrichtungsgehilfe Streithelferin der Klägerin gem. § 280 Abs. 1, § 311
Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB geltend macht. [Wird aus-
geführt.]
BGB §§ 328, 831 Abs. 1
[14] Ohne Erfolg rügt die Revision auch, dass das Beru-
a) Ob ein Geschäftsherrn-/Verrichtungsgehilfenver- fungsgericht eine deliktische Haftung gem. § 831 Abs. 1
hältnis besteht, beurteilt sich nach den tatsächlichen BGB abgelehnt hat. Entgegen der Begründung des Beru-
Umständen. fungsgerichts folgt dies bereits daraus, dass A. nicht als
Verrichtungsgehilfin der D.-Bank anzusehen ist.
b) Zu den Voraussetzungen eines solchen Verhältnis-
ses zwischen konzernangehörigen Gesellschaften. [15] Maßgebend für die Einordnung als Verrichtungs-
gehilfe sind die faktischen Verhältnisse. Verrichtungs-
BGH, Urt. v. 6.11.2012 – VI ZR 174/11 gehilfe i.S.v. § 831 BGB ist nur, wer von den Weisungen
(OLG Oldenburg – 9 U 26/10; LG Oldenburg) seines Geschäftsherrn abhängig ist. Ihm muss von einem
anderen, in dessen Einflussbereich er allgemein oder im
Sachverhalt: konkreten Fall ist und zu dem er in einer gewissen Ab-
Die Klägerin, eine Apothekerin, macht als Untermieterin ihrer hängigkeit steht, eine Tätigkeit übertragen worden sein.
vormaligen Streithelferin, gegen die Hauptvermieterin vertragli- Das dabei vorausgesetzte Weisungsrecht braucht nicht
che und deliktische Schadensersatzansprüche für Vermögens- ins Einzelne zu gehen. Entscheidend ist, dass die Tätig-
schäden im Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen über keit in einer organisatorisch abhängigen Stellung vor-
den Abschluss eines Mietvertrags geltend. Sie behauptet vorver- genommen wird. Es genügt, dass der Geschäftsherr die
tragliche Pflichtverletzungen durch eine fehlerhafte Auskunft Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken oder
über zu erwartende Besucherzahlen eines Einkaufszentrums. Die entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann
Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der D. Bank AG. Diese war Ei- (vgl. BGH, Urt. v. 10.3.2009 – VI ZR 39/08 – Rz. 11,
gentümerin eines Einkaufszentrums. Das gesamte Vermietungs- VersR 2009, 784; Urt. v. 30.6.1966 – VII ZR 23/65,
geschäft für das Einkaufszentrum wurde von der A., einer „Kon- BGHZ 45, 311 [313]; v. 25.2.1988 – VII ZR 348/86,
zernschwester“ der D.-Bank, organisiert und durchgeführt. Die BGHZ 103, 298 [303] = MDR 1988, 573; v. 12.6.1997
Klägerin beauftragte ihre vormalige Streithelferin, deren Rechts- – I ZR 36/95, MDR 1998, 300 = VersR 1998, 862 f.).
nachfolgerin inzwischen insolvent geworden ist, mit Verhand- [16] Der Personenkreis, der nach diesen Grundsätzen
lungen über die Anmietung von Räumen für eine Apotheke. Bei „zu einer Verrichtung bestellt“ ist, unterscheidet sich von
den zwischen A. und der Streithelferin geführten Vertragsver- dem Kreis der Erfüllungsgehilfen i.S.v. § 278 BGB durch
sonengleiche D. AG & Co Grundstücksgesellschaft ... KG einge- dem vorgelegten Handelsregisterauszug eindeutig zu ent-
bracht, in deren Hand sich die Beteiligungen vereinigt haben. nehmen. Die Auflösung der D. AG & Co Grundstücks-
Die D. AG & Co Grundstücksgesellschaft ... wurde damit auf- gesellschaft ... und deren Erlöschen ist durch den Han-
gelöst und das Erlöschen der Firma am 23.3.2011 im Handels- delsregisterauszug bzw. eine Notarbescheinigung ent-
register ... eingetragen. Mit Beschluss vom 9.5.2012 hat das AG sprechend § 32 Abs. 2 GBO i.V.m. § 21 BNotO belegt
Mitte den Berichtigungsantrag zurückgewiesen, da aus den ein- (vgl. für den Fall des Ausscheidens des vorletzten Gesell-
gereichten Berichtigungsunterlagen nicht ersichtlich sei, dass es schafters einer KG und den Nachweis durch Handels-
sich um einen kraft Gesetzes außerhalb des Grundbuches einge- registereintragungen OLG Dresden, Beschl. v. 27.9.2010
tretenen Rechtsübergang (nach dem Umwandlungsgesetz) han- – 17 W 956/10, juris). Auch wenn der Umstand der Ge-
delt oder ein Wechsel der Rechtsform stattgefunden hat. Es sei samtrechtsnachfolge durch die D. AG & Co Grund-
daher eine Auflassung erforderlich. Hiergegen richtet sich die stücksgesellschaft ... nicht unmittelbar an der gesteiger-
Beschwerde ... . Die zulässige Beschwerde, §§ 71 ff. GBO, ist in ten Beweiskraft des Handelsregisters i.S.v. § 32 Abs. 1
der Sache begründet. Satz 2 GBO teil hat, haben die zuständigen Grundbuch-
organe (Grundbuchrechtspfleger und Beschwerderichter)
Aus den Gründen: die entsprechende rechtliche Würdigung an Hand des
Für die Umschreibung einer im Grundbuch eingetrage- vorgelegten notariell beglaubigten Handelsregisterantra-
nen Eigentümerstellung bedarf es grundsätzlich einer Be- ges, der beglaubigten Abschrift des Übertragungs- und
willigung des Betroffenen (§ 19 GBO), mithin des einge- Abtretungsvertrages und des Handelsregisterauszuges
tragenen Eigentümers, oder eines Unrichtigkeitsnachwei- vorzunehmen (so zutreffend OLG Dresden, a.a.O., in
ses (§ 22 GBO) durch öffentliche oder öffentlich beglau- dem dort entschiedenen Fall). Danach bestehen an dem
bigte Urkunden (§ 29 GBO). Vorliegend hat die Antrag- Rechtsübergang im vorliegenden Fall keine Zweifel
stellerin als neue Eigentümerin ihren Antrag auf Berichti- mehr. ...
gung des Grundbuchs ausdrücklich auf § 22 Abs. 1
Satz 1 GBO gestützt. Hierfür bedarf es der Bewilligung Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
nach § 19 GBO nicht, wenn die Unrichtigkeit, also die
Nichtübereinstimmung des Grundbuchs in Ansehung ei-
nes Rechts an einem Grundstück mit der wirklichen
Rechtslage (§ 894 BGB), in der Form des § 29 GBO
nachgewiesen wird. An diesen Nachweis sind strenge Baurecht
Anforderungen zu stellen, weil er eine Grundbucheintra-
gung ohne Bewilligung des Betroffenen ermöglicht und Unwirksame Verkürzung der Verjährungsfrist
sichergestellt sein muss, dass am Verfahren nicht Beteilig-
te nicht geschädigt werden (Schöner/Stöber, Grundbuch-
recht, 14. Aufl., Rz. 369). Die Beteiligte hat hier eine
Grundbuchunrichtigkeit nachgewiesen. Die Gesellschaf- BGB §§ 195, 307
ter einer OHG/KG können alle ihre Geschäftsanteile auf Eine vom Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellte
einen einzigen Erwerber mit der Wirkung übertragen, Allgemeine Geschäftsbedingung, mit der die Verjäh-
dass der Erwerber als Gesamtrechtsnachfolger Inhaber rungsfrist für den Werklohnanspruch des Auftragneh-
der bisher zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Rech- mers auf zwei Jahre abgekürzt wird, ist unwirksam,
te wird; gehörten zum Gesellschaftsvermögen Grundstü- weil sie den Auftragnehmer entgegen den Geboten
cke – wie im vorliegenden Fall –, so liegt eine Grund- von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
buchunrichtigkeit vor (vgl. Meikel/Böttcher, GBO,
10. Aufl., Rz. 46 zu § 22 m.w.N.; allgemein Ropohl/ BGH, Urt. v. 6.12.2012 – VII ZR 15/12
Freck, Die Anwachsung als rechtliches und steuerliches (LG Berlin – 50 S 72/10; AG Berlin-Tiergarten)
Gestaltungsinstrument, GmbHR 2009, 1076 ff.).
Bei der Abtretung aller Gesellschaftsanteile an einen ein- Sachverhalt:
zigen Erwerber wird dieser ohne Liquidation im Wege Die Klägerin verlangt von der Beklagten Restvergütung aus ei-
der Gesamtrechtsnachfolge Übernehmer des Gesell- nem Werkvertrag vom 9.11.2004 über die Ausführung von Elek-
schaftsvermögens, wobei die übertragende Gesellschaft troarbeiten an einem Bauvorhaben in B. Die VOB/B und C in
erlischt (BGH v. 10.5.1978 – VIII ZR 32/77, BGHZ 71, den seinerzeit gültigen Fassungen sind Vertragsbestandteil.
296 [300] = MDR 1978, 840 f.; zur Übertragung der Ge- Teil B Ziffer VIII 4 des Vertrags lautet:
schäftsanteile einer KG: OLG Düsseldorf Rpfleger 1979,
„Die Gewährleistungsfrist beträgt abweichend von § 13 Nr. 4
167). Die vom Grundbuchamt geforderte Auflassung im
VOB 5 Jahre; ansonsten verbleibt es bei den Regelungen der
Falle der Übertragung des Vermögens von einer KG auf
VOB.“
eine personengleiche KG ist tatsächlich unmöglich, da
die übertragende KG in diesem Fall erlischt (BGH, Teil B Ziff. IX des Vertrags lautet:
a.a.O.). Der Nachweis kann durch Vorlage der notariell „1.) Die Ansprüche des AN auf Werklohn verjähren in zwei Jah-
beglaubigten Anmeldungen der Auflösung der Gesell- ren.“
schaft und des Erlöschens der Firma durch alle Gesell- Bei diesen beiden Bestimmungen handelt es sich um von der Be-
schafter, aus denen sich die zugrunde liegende Rechts- klagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen. Mit ihrer
änderung ergibt, geführt werden (Schaub in Bauer/von bei Gericht am 18.6.2009 eingegangenen Klage, die der Beklag-
Oefele, GBO, 2. Aufl., Rz. 27; Heymann/Emmerich, ten am 4.8.2009 zugestellt worden ist, verlangt die Klägerin den
HGB, 2. Aufl., Rz. 27 zu § 142 HGB a.F. m.w.N.; in die- Betrag von 2.041,20 ! nebst Zinsen. Die Beklagte hat vorsorg-
sem Sinne auch BayObLG, Beschl. v. 26.3.1993 – 2Z BR lich ggü. der Restvergütungsforderung der Klägerin mit einem
91/92, juris = in der meist zitierten Veröffentlichung in Schadensersatzanspruch i.H.v. 2.041,20 ! aufgerechnet und die
Rpfleger 1993, 495 fehlt die maßgebliche Passage). Einrede der Verjährung erhoben.
Unschädlich ist, dass sich aus dem Handelsregister selbst
nicht ergibt, dass das Vermögen durch Gesamtrechts- Aus den Gründen:
nachfolge auf die Beteiligte übergegangen ist, denn dieser [12] ... Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
Umstand ist aus dem Antrag auf Handelsregistereintra- benachteiligt die Verkürzung der Verjährungsfrist für den
gung, der die zugrunde liegenden Vorgänge darstellt, und Werklohnanspruch in Allgemeinen Geschäftsbedingun-
gen des Auftraggebers den Auftragnehmer unangemes- Vereinbarung bestimmte Ausnahmefälle vorsieht, han-
sen, denn sie verstößt gegen das gesetzliche Leitbild des delt es sich um eine eingeschränkte Garantieerklärung.
§ 195 BGB und es sind keine Interessen des Auftrag- Diese Garantieerklärung geht über die Verpflichtungen
gebers erkennbar, die eine derartige Verkürzung rechtfer- aus dem am gleichen Tag geschlossenen Architektenver-
tigen könnten (vgl. OLG München v. 17.1.2008 – 29 U trag hinaus. Der Architektenvertrag konnte allein die
3193/07, MDR 2008, 376 = NJW-RR 2008, 1233 f.; Pa- Verpflichtung schaffen, die Baukosten einzuhalten. Folge
landt/Ellenberger, BGB, 71. Aufl., § 202 Rz. 13; Er- einer Pflichtverletzung wäre ein Schadensersatzanspruch
man/J. Schmidt-Räntsch, BGB, 13. Aufl., § 202 Rz. 13; des Klägers gewesen, der nur in Höhe des eingetretenen
Grothe in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 202 Rz. 10). Schadens hätte durchgesetzt werden können. Dieser
[13] Darauf kommt es indessen für die Entscheidung des Schaden ist nicht ohne weiteres identisch mit den Mehr-
Senats nicht an, nachdem die Beklagte in der mündlichen kosten für das Bauvorhaben, weil es auf den Vermögens-
Verhandlung vor dem Senat auf die Einrede der Verjäh- nachteil infolge der pflichtwidrigen Baukostenüber-
rung verzichtet hat. Der Schuldner kann durch einseitige schreitung ankommt (vgl. dazu Koeble in Kniffka/Koe-
Erklärung auf die Einrede der Verjährung unabhängig ble, Kompendium des Baurechts, 3. Aufl., 12. Teil
von deren Eintritt auch noch in der Revisionsinstanz ver- Rz. 465 ff.; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 14. Aufl.,
zichten (BGH, Urt. v. 15.4.2010 – III ZR 196/09 – Rz. 2305 ff. jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung). Die
Rz. 17, BGHZ 185, 185 = MDR 2010, 691). [Rz. 14] ... selbständige Garantieerklärung verschaffte dem Kläger
hingegen unabhängig von einem bei ihm durch die Bau-
Volltext in MDR-online (wwww.mdr.ovs.de) kostenüberschreitung eingetretenen Schaden und unab-
hängig von einem Verschulden des Klägers einen An-
spruch auf Zahlung der Mehrkosten (s. ... BGH, Urt. v.
Keine Preiskontrolle bei Baukostengarantieverein- 4.12.1986 – VII ZR 197/85, MDR 1987, 398 = BauR
1987, 227 = NJW-RR 1987, 337 unter 3; ... ). ...
barung mit Kostenunterschreitungsprämie
[19] Die Parteien haben die Prämie als Gegenleistung für
die Übernahme der Baukostengarantie vereinbart. Das
HOAI (1991) §§ 1, 2, 5 Abs. 4 hat das Berufungsgericht zwar so nicht ausdrücklich fest-
Eine Vereinbarung zwischen den Parteien eines Archi- gestellt, folgt aber ohne weiteres aus der getroffenen Ver-
tektenvertrages, wonach der Architekt eine Baukos- einbarung. [Wird ausgeführt.]
tengarantie übernimmt, während er bei Kostenunter- [20] Dieser Zusammenhang verbietet es von vornherein,
schreitung die Minderkosten als Prämie erhält, unter- die Prämie als Entgelt für die von den Beklagten über-
liegt nicht der Preiskontrolle am Maßstab der HOAI. nommenen Architektenleistungen zu betrachten. Es geht
deshalb, anders als in den vom Berufungsgericht heran-
BGH, Urt. v. 22.11.2012 – VII ZR 200/10 gezogenen Fällen (OLG München IBR 1995, 344; zu-
(OLG Düsseldorf – I-22 U 49/10; LG Krefeld) stimmend Vygen in Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI,
7. Aufl. § 1 Rz. 5 und § 4 Rz. 9, 54 f.; ...), nicht darum,
Sachverhalt: ob ein Architekt nach dem Preisrecht der Honorarord-
Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Frage, ob den be- nung für Architekten und Ingenieure allein für die Unter-
klagten Architekten eine vereinbarte Prämie für die Unterschrei- schreitung einer vereinbarten Baukostenobergrenze ein
tung der vorgesehenen Baukosten zusteht. Erfolgshonorar vereinbaren kann, das dazu führt, dass
das gesamte Honorar den Höchstsatz überschreitet. Viel-
Aus den Gründen: mehr stellt sich die Frage, ob das Preisrecht den Fall er-
[14] ... Der Kläger kann die gezahlte Prämie nicht nach fasst, dass die Parteien als „Entgelt“ für die Übernahme
den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung zu- der Baukostengarantie eine Prämie vereinbaren.
rückverlangen. [21] Diese Frage ist zu verneinen. Die als Gegenleistung
[15] Das Rechtsverhältnis der Parteien richtete sich, so- für eine Baukostengarantie vereinbarte Prämie ist kein
fern die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure Entgelt für Leistungen der Architekten und Ingenieure,
(HOAI) anwendbar wäre, nach der ab dem 1.1.1991 gel- soweit sie durch Leistungsbilder der Verordnung erfasst
tenden Fassung der Bekanntmachung vom 4.3.1991 werden, § 1 HOAI. Nach § 2 Abs. 1 HOAI gliedern sich
(BGBl. I, 533; HOAI 1991, nachfolgend nur: HOAI). die in den Leistungsbildern erfassten Leistungen in
Der sachliche Geltungsbereich der Verordnung ist im Grundleistungen und Besondere Leistungen.
Streitfall jedoch nicht eröffnet, § 1 HOAI. Die getroffene [22] Die für die Beurteilung maßgebliche Leistung ist
Zusatzvereinbarung betrifft nicht den preisrechtlich gere- nicht die vom Architekten zu erbringende Planungs- und
gelten Tätigkeitsbereich der Architekten. Anders als das Überwachungsleistung, sondern die von ihm übernom-
Berufungsgericht angenommen hat, unterliegt die Zu- mene Baukostengarantie. Diese gehört nicht zu den
satzvereinbarung daher weder der Bindung an die in der Grundleistungen. [Wird ausgeführt.]
Verordnung festgesetzten Höchstsätze, § 4 Abs. 3 HOAI, [23] Die als Gegenleistung für eine Baukostengarantie
noch ist sie an der – nunmehr weggefallenen – Bestim- vereinbarte Prämie ist auch kein Entgelt für eine Beson-
mung des § 5 Abs. 4 HOAI über die Honorarberechnung dere Leistung.
für Besondere Leistungen zu messen.
[25] In der Literatur wird zutreffend hervorgehoben,
[16] Gemäß § 1 HOAI gelten die Bestimmungen der Ver- dass die Honorarordnung keine weiteren Anforderungen
ordnung für die Berechnung der Entgelte für die Leistun- an die Besonderen Leistungen stellt als sie in § 2 Abs. 3
gen der Architekten und der Ingenieure, soweit sie durch HOAI genannt sind (zur HOAI 2006: Koeble in Koeble/
Leistungsbilder oder andere Bestimmungen dieser Ver- Locher/Frik, HOAI, 9. Aufl., § 2 Rz. 5). Streitig ist aller-
ordnung erfasst werden. ... dings, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.
[17] Das Berufungsgericht geht davon aus, dass Rege- Während einerseits die Auffassung vertreten wird, Be-
lungsgehalt der Zusatzvereinbarung vom 27.7.1995 eine sondere Leistungen könnten nur typisch berufsbezogene
Baukostengarantie und eine Erfolgsprämie sind. Das Leistungen sein, wird andererseits ein Zusammenhang
wird von den Parteien nicht in Frage gestellt. mit der Errichtung des Objekts für ausreichend gehalten
[18] Danach haben die Beklagten die Einhaltung der Ge- (Koeble, a.a.O.). Daraus wird u.a. auch die Auffassung
samtkosten verschuldensunabhängig garantiert. Da die abgeleitet, die Übernahme einer Baukostengarantie
[18] Im Anlageprospekt ist auf Seite 16 im „Investitions- Geld, ist bereits die Herstellung nach § 249 Abs. 1 BGB
und Finanzierungsplan“ unter der Überschrift „Investiti- auf Zahlung gerichtet (Palandt/Grüneberg, BGB,
onsplanung“ u.a. die Position „Finanzierungskosten“ 71. Aufl., § 249 Rz. 2). Eine erfolglose Fristsetzung mit
mit einem Betrag von 2,285 Mio. DM aufgeführt ... . Ablehnungsandrohung nach § 250 Satz 1 BGB ist dann
[19] Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang nicht erforderlich.
darauf abgestellt, dass nach der ebenfalls im Prospekt [17] Das beratende Kreditinstitut hat somit nach einer ...
(S. 16) aufgeschlüsselten Finanzierungsplanung in die In- fehlerhaften Anlageberatung dem Anleger als Herstel-
vestitionskosten Fremdkapital i.H.v. 38 Mio. DM habe lungsaufwand nach § 249 Abs. 1 BGB den Geldbetrag zu
einfließen sollen. Dass dieses bereits in der Investitions- zahlen, den der Anleger für den Erwerb der Kapitalanla-
phase hätte abgerufen werden müssen, habe auf der ge aufgewandt hat ... .
Hand gelegen. Daraus folge, dass schon in der Investiti- [18] Die Klägerin war zunächst mit den für den Erwerb
onsphase Zinsen für dieses Fremdkapital anfallen wür- der jeweiligen Wertpapiere eingegangenen Verbindlich-
den. ... In Anbetracht der mithin durch Kredite zu finan- keiten belastet. Nach deren Erfüllung hat sich der unmit-
zierenden Summen und mit Blick auf den abzudeckenden telbare Vermögensschaden der Klägerin in dem Verlust
Investitionszeitraum hätten die in die Investitionspla- der dafür aufgewendeten Geldmittel realisiert, den die
nung eingestellten Finanzierungskosten auch der Höhe Beklagte durch Zahlung auszugleichen hat. Darauf ist
nach in keiner Weise Anlass gegeben, von einem aufklä- zwar der Erlös, den die Klägerin aus dem Verkauf der
rungspflichtigen Risiko auszugehen. Bei einem Fehlen Wertpapiere erzielt hat, anzurechnen. Den verbliebenen
von Finanzierungskosten wären vielmehr umgekehrt Be- Verlust hat die Beklagte nach § 249 Abs. 1 BGB aber un-
denken angebracht gewesen, ob die Berechnungen zur verändert durch Zahlung eines Geldbetrags zu ersetzen.
Wirtschaftlichkeit stimmen könnten. Dies gelte umso Dafür ist es nicht erforderlich, dass die Klägerin der Be-
mehr, als laut Prospekt (S. 19) das Darlehen über klagten erfolglos nach § 250 Satz 1 BGB eine Frist mit
38 Mio. DM mit nominal 6 % zu verzinsen gewesen sei, Ablehnungsandrohung gesetzt hat.
so dass sich hieraus ein nominaler Jahreszinsbetrag von [19] Die von der Revision in Anspruch genommene Ge-
2,28 Mio. DM errechne. genansicht (OLG Celle, Urt. v. 26.1.2011 – 3 U 101/10 –
[20] Die gegen diese Würdigung gerichteten Angriffe der Rz. 38, juris) übersieht, dass § 250 BGB keine Anwen-
Revision gehen fehl: [Wird in Rz. 21-23 weiter aus- dung findet, wenn der Herstellungsanspruch aus § 249
geführt.] ... Abs. 1 BGB bereits auf Zahlung von Geld gerichtet ist.
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) § 250 BGB eröffnet dem Geschädigten die Möglichkeit,
einen allgemeinen Anspruch auf Herstellung durch Frist-
setzung mit Ablehnungsandrohung in einen Anspruch
auf Zahlung von Geld umzuwandeln. Dafür ist kein
Schadensberechnung bei fehlerhafter Anlageberatung Raum, wenn bereits die Naturalrestitution nach § 249
Abs. 1 BGB durch Zahlung von Geld zu erfolgen hat.
[20] Ohne Erfolg beruft sich die Revision . . . auf ein Zu-
BGB §§ 249 Abs. 1, 250 S. 1 rückbehaltungsrecht wegen eines Anspruchs der Beklag-
ten auf Übertragung der Wertpapiere. Der schadens-
a) Ist bereits der Herstellungsanspruch aus § 249 rechtliche Vorteilsausgleich wird nach Verkauf der Wert-
Abs. 1 BGB auf Zahlung von Geld gerichtet, besteht papiere nicht durch eine Zug-um-Zug-Verurteilung, son-
für eine Anwendung von § 250 Satz 1 BGB kein dern dadurch erreicht, dass der Erlös aus dem Verkauf
Raum, da es einer Umwandlung des Anspruchs auf auf den Ersatzanspruch der Klägerin angerechnet wird.
Naturalrestitution in einen Anspruch auf Zahlung von [23] Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die er-
Geld nicht bedarf (entgegen OLG Celle, Urt. v. worbenen Wertpapiere erst veräußert hat, nachdem sie
26.1.2011 – 3 U 101/10). Kenntnis von der fehlerhaften Beratung durch die Be-
b) Das Kreditinstitut hat dem von ihm fehlerhaft bera- klagte erlangt hatte. Im Schadensersatzprozess ist für die
tenen Anleger nach § 249 Abs. 1 BGB den für den Er- Berechnung des konkreten Schadens regelmäßig der Zeit-
werb der Anlage aufgewandten Geldbetrag zu zahlen, punkt der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tat-
auf den ein Erlös aus deren Veräußerung anzurechnen sacheninstanz heranzuziehen (BGH, Urt. v. 2.4.2001 – II
ist. ZR 331/99, WM 2001, 2251, 2252 f.). Für die Anrech-
nung eines Vorteils gilt nichts anderes. Vorbehaltlich . . .
BGH, Urt. v. 13.11.2012 – XI ZR 334/11 zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannter künftiger aus-
(OLG Düsseldorf – I-6 U 136/10; LG Düsseldorf) gleichspflichtiger Vorteile (vgl. BGH, Urt. . . . v.
23.4.2012 – II ZR 75/10 – Rz. 41, MDR 2012, 924 =
Aus den Gründen: WM 2012, 1293; 7 f.; v. 1.3.2011 – XI ZR 96/09 –
[16] Nach dem in § 249 Abs. 1 BGB festgelegten Grund- Rz. 11, MDR 2011, 654 = WM 2011, 740) sind deswe-
satz der Naturalrestitution kann der bei Erwerb einer gen die am Tag der letzten mündlichen Verhandlung be-
Kapitalanlage fehlerhaft oder unzureichend beratene An- stehenden Vorteile auszugleichen.
leger verlangen, so gestellt zu werden, als habe er diese [24] Entgegen der Ansicht der Revision muss die Kläge-
Kapitalanlage nicht erworben (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. rin die veräußerten Wertpapiere auch nicht erneut erwer-
13.1.2004 – XI ZR 355/02, MDR 2004, 520 = WM ben, um diese der Beklagten sodann als Zug-um-Zug-
2004, 422 [424]; v. 29.6.2010 – XI ZR 104/08 – Rz. 46, Leistung anbieten zu können. Zwar entfällt ein bei der
BGHZ 186, 96 = MDR 2010, 1066 f.). Der Wiederher- Schadensberechnung zu berücksichtigender Vorteil nicht
stellungsanspruch des Anlegers ist dabei nicht auf den dadurch, dass der Geschädigte aufgrund eines vom Schä-
Ausgleich eines Minderwerts der Kapitalanlage gerichtet, diger nicht herausgeforderten Willensentschlusses den
sondern auf Ersatz für die durch den Erwerb der Kapital- Vorteil ganz oder teilweise zunichtemacht (BGH, Urt. v.
anlage eingetretenen Einbußen (vgl. BGH v. 13.1.2004, 10.10.1996 – IX ZR 294/95, MDR 1997, 296 = WM
a.a.O.). Soweit diese unmittelbar das Vermögen des An- 1997, 72 f.). Die Klägerin hat jedoch mit dem Verkauf
legers betreffen, erfolgt die Naturalherstellung nach der Wertpapiere den Vorteil aus deren Erwerb nicht auf-
§ 249 Abs. 1 BGB durch Zahlung von Geld ... . Besteht gegeben. Vielmehr hat sich dieser in dem Erlös aus dem
nämlich der zu ersetzende Schaden in einem Verlust an Verkauf der Wertpapiere fortgesetzt und ist nunmehr
statt durch Herausgabe der Papiere durch Verrechnung siven Darstellungsplattform im Internet zum Abruf be-
des Erlöses auszugleichen. reitgehalten werden. Diese Inhalte sind nämlich grund-
[25] Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den Ein- sätzlich jedem interessierten Internetnutzer zugänglich
wand eines Mitverschuldens der Klägerin nach § 254 (vgl. BGH, Urt. v. 8.5.2012 – VI ZR 217/08 – Rz. 34,
Abs. 2 Satz 1 BGB zurückgewiesen. ... MDR 2012, 764 = VersR 2012, 994; v. 30.10.2012 – VI
[26] Allerdings ist nach § 254 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB ZR 4/12, GRURPrax 2012, 582).
der Geschädigte im Interesse des Schädigers gehalten, [9] Im Ausgangspunkt zutreffend hat es das Berufungs-
den entstandenen Schaden zu mindern. Ihm kann jedoch gericht auch für geboten erachtet, über den Unterlas-
nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden, dazu – sungsantrag aufgrund einer Abwägung des Rechts des
weiterhin – spekulative Risiken einzugehen (vgl. dazu Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung sei-
BGH, Urt. v. 17.3.2011 – IX ZR 162/08 – Rz. 18, MDR nes Privatlebens aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG,
2011, 978 = WM 2011, 1529). Die Unsicherheit, ob sich Art. 8 Abs. 1 EMRK mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG,
Versuche des Geschädigten, weitere Vermögenseinbußen Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf
zu vermeiden, als erfolgreich erweisen, geht zu Lasten Meinungs- und Medienfreiheit zu entscheiden. ... Der
des Schädigers, wenn die Vorgehensweise des Geschädig- Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechts-
ten im konkreten Fall vernünftig und zweckmäßig er- widrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die
scheint. schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt
[27] ... Es ... ist im Grundsatz wirtschaftlich vernünftig, (vgl. BGH v. 8.5.2012, a.a.O. – Rz. 35; v. 30.10.2012,
dass die Klägerin durch einen Verkauf der Wertpapiere a.a.O.; EGMR, Urt. v. 7.2.2012 – 39954/08 – Rz. 89 ff.,
die wirtschaftlichen Risiken beseitigt hat, mit denen sie K&R 2012, 187 – Axel Springer AG gegen Deutschland,
durch die fehlerhafte Beratung der Beklagten belastet jeweils m.w.N.).
worden war. Den möglichen Nachteil, dass nach einem [10] Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch
Verkauf der Wertpapiere eine denkbare Kurserholung angenommen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht
den Schaden nicht mehr – teilweise – ausgleichen kann, des Klägers dadurch in rechtswidriger Weise verletzt
hat die Beklagte als Schädigerin hinzunehmen. wird, dass die beanstandeten Presseberichte, die ihn mit
[28] Die Klägerin hat ... auch nicht dadurch gegen ihre vollem Namen nennen, zum Abruf im Internet bereit-
Obliegenheit zur Schadensminderung aus § 254 Abs. 2 gehalten werden. Das Berufungsgericht hat das von der
Satz 1 BGB verstoßen, dass sie die Wertpapiere veräußert Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlich-
hat, ohne diese zuvor der Beklagten zum Erwerb anzu- keit und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung mit ei-
bieten. nem zu geringen Gewicht in die Abwägung eingestellt.
[29] Zwar hat ein Kreditinstitut, das für fehlerhafte Bera- [11] Nach den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung
tung bei dem Erwerb von Wertpapieren haftet, dem An- entwickelten Maßstäben (...) darf die Presse zur Erfül-
leger Schadensersatz lediglich Zug um Zug gegen He- lung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anony-
rausgabe bei diesem verbliebener Wertpapiere zu leisten. misierte Berichterstattung verwiesen werden (vgl.
Ein selbständiger Anspruch des Kreditinstituts auf deren BVerfG v. 27.11.2008 – 1 BvQ 46/08 – Rz. 12, AfP 2009,
Übertragung ergibt sich daraus jedoch nicht. Die Beklag- 46; v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09 u. 2503/09 – Rz. 39,
te hätte somit die Papiere, die die Klägerin aufgrund feh- AfP 2012, 143). Straftaten – auch konkreter Personen –
lerhafter Beratung erworben hatte, lediglich bis zu deren aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Me-
Verkauf durch die Klägerin Zug um Zug gegen die Zah- dien (BVerfG v. 25.1.2012 – 1 BvR 2499/09, 1 BvR
lung von Schadensersatz erhalten können. Die Leistung 2503/09 – Rz. 39; Wenzel/Burkhart, Das Recht der
von Schadensersatz hat sie jedoch bisher abgelehnt. Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 10
[Rz. 30] ... Rz. 154). ...
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) [12] Geht es um eine Berichterstattung über eine Straftat,
so ist zu berücksichtigen, dass eine solche Tat zum Zeit-
geschehen gehört, dessen Vermittlung Aufgabe der Me-
dien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung und die Be-
Bereithalten von zeitgeschichtlich bedeutsamen Pro- einträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger
zessberichten in Online-Archiv oder der Gemeinschaft begründen ein anzuerkennendes
Interesse an näherer Information über Tat und Täter (...).
Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts muss
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB aber in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Fehl-
§§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 verhaltens und seiner sonstigen Bedeutung für die Öf-
Zur Zulässigkeit des Bereithaltens von zeitgeschicht- fentlichkeit stehen (vgl. BGH v. 30.10.2012, a.a.O.).
lich bedeutsamen, den Täter namentlich nennenden [13] Mit zeitlicher Distanz zum Strafverfahren und nach
Prozessberichten über ein Kapitalverbrechen in dem Befriedigung des aktuellen Informationsinteresses der
Online-Archiv einer Zeitschrift. Öffentlichkeit gewinnt das Interesse des Betroffenen, von
einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu
BGH, Urt. v. 13.11.2012 – VI ZR 330/11 bleiben, zunehmend an Bedeutung (vgl. BGH v.
(OLG Hamburg – 7 U 49/11; LG Hamburg) 30.10.2012, a.a.O.; v. 8.5.2012, a.a.O. – Rz. 40; BVerfG
v. 5.6.1973 – 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 [233]; v.
Aus den Gründen: 13.6.2006 – 1 BvR 565/06, AfP 2006, 354 f.; v.
[7] ... Dem Kläger steht kein Unterlassungsanspruch ge- 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09 – Rz. 21, AfP 2009, 365,
gen die Beklagte aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 jeweils m.w.N.). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bie-
BGB analog i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu. tet Schutz vor einer zeitlich uneingeschränkten Befassung
[8] Das Berufungsgericht hat allerdings mit Recht ange- der Medien mit der Person des Straftäters. Hat die das
nommen, dass das Bereithalten der angegriffenen Mel- öffentliche Interesse veranlassende Tat mit dem Ab-
dung zum Abruf im Internet einen Eingriff in das all- schluss des Strafverfahrens die gebotene Reaktion der
gemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers darstellt. ... Gemeinschaft erfahren und ist die Öffentlichkeit hierü-
Dies gilt ... auch dann, wenn – wie im Streitfall – den ber hinreichend informiert worden, so lassen sich fort-
Straftäter identifizierende Inhalte lediglich auf einer pas- gesetzte oder wiederholte Eingriffe in das Persönlich-
der Gemeinde ... ist mit der Einführung der Ersetzungs- chender vorbereitender Verfahrensschritte zu ersetzen.
befugnis des verweigerten gemeindlichen Einvernehmens Deshalb hatte die Verweigerung des gemeindlichen Ein-
durch die Bauaufsichtsbehörde entfallen (BGH v. vernehmens durch die Beklagte keine ... Bindungswir-
16.9.2010, a.a.O. – Rz. 10 ff.). Alleiniger Prüfungsmaß- kung für das Landratsamt ... [und] stellte sich ... mithin
stab für das gemeindliche Einvernehmen und seine Erset- ... als reines Verwaltungsinternum mit der Folge dar, dass
zung ist, ob das Vorhaben nach den planungsrechtlichen sie mit dieser Maßnahme keine ihr gegenüber der Kläge-
Vorschriften der §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB zulässig ist rin obliegende drittgerichtete Amtspflicht verletzt hat.
(vgl. BGH, Urt. v. 21.5.1992 – III ZR 158/90, BGHZ Die Gemeinde haftet auch nicht neben der Baugenehmi-
118, 253 [257] = MDR 1992, 968). gungsbehörde (vgl. BGH v. 16.9.2010, a.a.O. – Rz. 14).
[18] Vorliegend stützte die Beklagte die Verweigerung Es bleibt vielmehr bei der Alleinhaftung der Baugenehmi-
des Einvernehmens darauf, dass die geplanten Bauvor- gungsbehörde. [Rz. 23] ...
haben den Festsetzungen im einfachen Bebauungsplan Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
widersprachen. Da dieser jedoch ... in den für die Beur-
teilung der Vorhaben bedeutsamen Punkten unwirksam
war, war auch die Verweigerung des Einvernehmens
rechtswidrig. Demgemäß bestand für das Landratsamt Beschädigter Pkw durch Dachlawine
gem. Art. 74 Abs. 1 BayBO a.F. das Recht und die
Pflicht, das gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen (vgl.
BGH v. 16.9.2010, a.a.O. – Rz. 14). BGB §§ 823, 836
[19] Allerdings darf in diesem Zusammenhang nicht un- Es besteht keine grundsätzliche Pflicht des Grundstü-
berücksichtigt bleiben, dass ... der Baugenehmigungs-
ckeigentümers, Dritte vor Dachlawinen durch speziel-
behörde grundsätzlich keine Kompetenz zur Verwerfung
eines von ihr als unwirksam erkannten Bebauungsplans le Maßnahmen zu schützen. Sicherungsmaßnahmen
zusteht (vgl. BGH, Urt. v. 25.3.2004 – III ZR 227/02, sind dann geboten, wenn besondere Umstände vorlie-
MDR 2004, 877 f. = NVwZ 2004, 1143 f.; Beschl. v. gen. Als solche kommen neben der allgemeinen
20.12.1990 – III ZR 179/89, BGHR BGB § 839 Abs. 1 Schneelage des Ortes die Beschaffenheit und Lage des
Baugenehmigung 1; Urt. v. 10.4.1986 – III ZR 209/84, Gebäudes, die allgemein üblichen Sicherheitsvorkeh-
MDR 1987, 123 = NVwZ 1987, 168 f.; ... ebenso wohl, rungen, die konkreten Schneeverhältnisse sowie Art
wenn auch einschränkend BVerwGE 112, 373 [381 f.]; und Umfang des gefährdeten Verkehrs in Betracht. !
a.A. OVG Lüneburg NVwZ 2000, 1061 f.). OLG Hamm, Beschl. v. 14.8.2012 – I-9 U 119/12
[20] Damit steht jedoch nicht fest, dass die Bauaufsichts- (LG Bielefeld – 1 O 84/11)
behörde ... einen von ihr für unwirksam gehaltenen Plan
zugrunde zu legen oder eine auf diesen Plan gestützte Aus den Gründen:
Verweigerung des Einvernehmens zu beachten hat. Viel- ... Eine Haftung der Beklagten aus § 836 BGB kommt
mehr handeln die Bediensteten der Baugenehmigungs- nicht in Betracht, da Eis und Schnee auf einem Dach kei-
behörde amtspflichtwidrig, wenn sie einen unwirksamen ne „Teile des Gebäudes“ i.S.d. § 836 BGB sind (OLG
Bebauungsplan anwenden (BGH v. 10.4.1986, a.a.O.). Hamm NJW-RR 1987, 412; Sprau in Palandt, BGB,
Hinsichtlich der Unwirksamkeit des Bebauungsplans 71. Aufl. 2012, § 836 Rz. 6 m.w.N.). Der Senat sieht kei-
kommt der Bauaufsichtsbehörde eine Prüfungskom- ne Veranlassung, von dieser gefestigten und ganz herr-
petenz zu (vgl. BGH v. 25.3.2004, a.a.O.). Erkennt die schenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur
Baugenehmigungsbehörde die Unwirksamkeit, hat sie abzuweichen. Die Beklagte ist auch nicht nach § 823
die Gemeinde und die Kommunalaufsicht von ihren Be- Abs. 2 BGB i.V.m. § 35 Abs. 8 LBauO NRW und orts-
denken zu unterrichten (vgl. BGH v. 10.4.1986, a.a.O.; polizeilichen Vorschriften zu Schadensersatz verpflichtet.
v. 20.12.1990, a.a.O.). Die Gemeinde hat den Bebau- Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass gegen
ungsplan aufzuheben, soweit sie sich nicht dafür ent- die Beklagte eine bauordnungsrechtliche Auflage ergan-
scheidet, – soweit möglich – die die Nichtigkeit begrün- gen wäre, am Dach Vorrichtungen zum Schutz gegen das
denden behebbaren Fehler zu beseitigen (vgl. BVerwG v. Herabfallen von Schnee und Eis anzubringen. Im Übri-
21.11.1986 – 4 C 22/83, BVerwGE 75, 142 [145]). Sollte gen sehen die ordnungsbehördliche Verordnung sowie
sich die Gemeinde der Rechtsauffassung der Baugeneh- sonstige Ortssatzungen der Stadt C Sicherungsmaßnah-
migungsbehörde nicht anschließen, kann die Kommunal- men gegen Dachlawinen unstreitig nicht vor.
aufsicht die gesetzwidrigen Satzungsbeschlüsse der Ge- Schließlich haftet die Beklagte nicht aus § 823 Abs. 1
meinde beanstanden und deren Aufhebung innerhalb an- BGB. Die Beklagte hat keine ihr obliegende Verkehrs-
gemessener Frist verlangen (vgl. BVerwG v. 27.11.1992 – sicherungspflicht verletzt. Eine Verkehrssicherungspflicht
8 C 9/91, NVwZ 1993, 1197). Soweit die Frist des § 47 trifft grundsätzlich jeden, der Gefahrenquellen schafft,
Abs. 2 Satz 1 VwGO noch nicht abgelaufen ist, kommt durch die Dritte geschädigt werden könnten. Der Um-
auch ein eigener Normenkontrollantrag der Baugeneh- fang der Verkehrssicherungspflicht hängt jedoch einer-
migungsbehörde gegen den von ihr als unwirksam er- seits von den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Ver-
kannten Bebauungsplan in Betracht (vgl. BVerwG v. kehrs ab und andererseits von der wirtschaftlichen Zu-
15.3.1989 – 4 NB 10/88, NVwZ 1989, 654 f.; NVwZ mutbarkeit für denjenigen, der den Verkehr eröffnet. An-
1990, 57 f.). gesichts dessen trifft den Hauseigentümer nach ganz
[21] Auf diesen genannten Wegen kann die Baugenehmi- herrschender Meinung (BGH v. 8.12.1954 – VI ZR
gungsbehörde deshalb die Beseitigung des Bebauungs- 289/53, NJW 1955, 300; OLG Hamm, Beschl. v.
plans erreichen und so die Voraussetzungen sowohl für 7.2.2012 – 7 U 87/11, juris; NJW-RR 1987, 412; NJW-
die Erteilung der Baugenehmigung als auch – sofern RR 2003, 1463; OLG Karlsruhe v. 27.6.1986 – 14 U
dann noch erforderlich – für die Ersetzung des gemeindli- 269/84, NJW-RR 1986, 1404) grundsätzlich nicht die
chen Einvernehmens schaffen. Pflicht, Dritte vor Dachlawinen durch spezielle Maßnah-
[22] Damit war das hier für die Ersetzung des gemeindli- men zu schützen. Sicherungsmaßnahmen zum Schutz
chen Einvernehmens zuständige Landratsamt auch ohne Dritter sind vielmehr nur dann geboten, wenn besondere
eine eigene Verwerfungskompetenz nicht gehindert, das Umstände vorliegen. Als besondere Umstände gelten da-
gemeindliche Einvernehmen nach Durchführung entspre- bei die allgemeine Schneelage des Ortes, die Beschaffen-
heit und Lage des Gebäudes, die allgemein ortsüblichen Dies war vorliegend nicht der Fall. Eine besondere Ge-
Sicherheitsvorkehrungen, die konkreten Schneeverhält- fahr eines Schneeabgangs von dem Dach des Hauses der
nisse sowie Art und Umfang des gefährdeten Verkehrs. Beklagten ist nicht ersichtlich, zumal nach dem unbestrit-
Im Streitfall lassen sich solche besonderen Umstände tenen Vortrag der Beklagten seit 30 Jahren keine nen-
nicht feststellen: nenswerten Schneeabgänge zu verzeichnen waren. Im
Die allgemeine Schneelage des Ortes, die Beschaffenheit Übrigen hat grundsätzlich jeder mit der Möglichkeit zu
des Gebäudes und die allgemein ortsüblichen Sicherheits- rechnen, dass von Dächern Schnee oder Eis herabstürzen
vorkehrungen verpflichteten die Beklagten nicht, Schutz- kann (vgl. OLG Hamm NJW-RR 1987, 412). Dass dem
vorkehrungen im Hinblick auf Dachlawinen zu ergrei- Kläger diese Möglichkeit verborgen blieb, ist nicht fest-
fen. Die Stadt C ist im Bundesvergleich als eher schnee- zustellen. Dies gilt ungeachtet des Umstands, ob der Klä-
armes Gebiet einzuschätzen, weshalb in durchschnitt- ger beim Abstellen seines Fahrzeugs konkret erkennen
lichen Wintern nicht regelmäßig mit Dachlawinen zu konnte, dass sich Schnee auf dem Dach des benachbarten
rechnen ist. Dass es in der Umgebung des Hauses der Be- Hauses der Beklagten befand. Insoweit ist zu berücksich-
klagten der allgemeinen Übung entsprach, bei anhalten- tigen, dass dem Kläger bereits aufgrund der Anfahrt von
dem heftigen Schneefall Schutzvorkehrungen zu ergrei- E2 nach C, die ihn bis zum Erreichen des innerstädtisch
fen, ist weder von dem Kläger dargelegt noch sonst er- gelegenen Parkplatzes auch durch das Bielefelder Stadt-
sichtlich. Darüber hinaus legt die Beschaffenheit des Ge- gebiet führte, die im Stadtgebiet vorhandenen Schnee-
bäudes eine Anfälligkeit für den Abgang von Dachlawi- mengen nicht verborgen geblieben sein können. Dabei
nen nicht nahe. Insbesondere ist eine besondere Dachnei- war es wegen der auf den Straßen befindlichen Schnee-
gung nicht erkennbar. Ausweislich des beklagtenseits haufen offensichtlich, dass auch auf den Dächern Schnee
vorgelegten Lichtbildes des streitgegenständlichen Ge- lag. Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Beklagte
bäudes weist das Dach vielmehr eine übliche Neigung entgegen Ortsüblichkeit und Zumutbarkeit Schutzvor-
ohne zusätzliche besondere Gefährdungsmerkmale wie kehrungen gegen abgehenden Schnee getroffen hatte, be-
glasierte Dachpfannen oder Gauben auf (vgl. hierzu Birk, standen für den Kläger nicht. Der Kläger durfte auf
NJW 1983, 2911 [2913]). Als besonders steil ist ein Schutzmaßnahmen seitens der Beklagten auch nicht des-
Dach demgegenüber i.d.R. bei einer Dachneigung über halb vertrauen, weil infolge der Nutzung des Nachbar-
45˚ anzusehen (OLG Karlsruhe, a.a.O.), die im Streitfall grundstücks als Parkplatz ein besonders gefährdeter Ver-
ersichtlich nicht gegeben ist. kehr eröffnet war. Eine besondere Verkehrssicherungs-
pflicht, die zu besonderen Schutzmaßnahmen Veranlas-
Die Beklagte war auch nicht wegen der konkreten sung gegeben hätte, hätte für die Beklagte nur dann be-
Schneeverhältnisse und der Art und des Umfangs des ge- standen, wenn sie selbst durch Einrichtung des Parkplat-
fährdeten Verkehrs am Unfalltag zu Schutzmaßnahmen zes einen besonderen Verkehr eröffnet hätte (vgl. LG
veranlasst. Allerdings lagen nach den nicht angegriffenen Detmold, Urt. v. 15.12.2010 – 10 S 121/10, juris), was
Feststellungen des LG am Unfalltag außergewöhnliche vorliegend nicht der Fall war. ...
Schneeverhältnisse vor, die dem Senat auch aus eigener,
durch die in C wohnhafte Berichterstatterin vermittelter (Einsender: RiOLG Thomas Lohmeyer, Bochum)
Anschauung bekannt sind. Danach setzte am Abend des Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
23.12.2010 ergiebiger Schneefall ein, der sich bis zum
Mittag des 24.12.2010 erstreckte. Infolge vorangegange-
ner Schneefälle im Dezember 2010 führte dies im gesam- Amtshaftung: Schäden durch polizeiliche Durch-
ten Raum C zu einer geschlossenen Schneedecke, soweit
nicht Räummaßnahmen durchgeführt worden waren. In- suchung einer vermieteten Wohnung
folge des Schneefalls bildeten sich am Rand praktisch
sämtlicher innerstädtischer Straßen deutlich erkennbare GG Art. 34 S. 1, S. 3; BGB § 839 Abs. 1
Schneehaufen. Die Witterungsverhältnisse waren winter- Im Verfahren des Vermieters auf Schadensersatz we-
lich kalt; allgemeines Tauwetter setzte an den Weih- gen bei einer richterlich angeordneten Wohnungs-
nachtstagen nicht ein. Gleichwohl waren Schutzmaßnah- durchsuchung einer vermieteten Wohnung durch ein
men der Beklagten nicht erforderlich. Die Anbringung ei-
Spezialeinsatzkommando entstandener Schäden ent-
nes Schneefanggitters war schon mangels Ortsüblichkeit
und allgemeiner Schneelage nicht erforderlich. Zudem ist faltet der Durchsuchungsbeschluss Tatbestandswir-
nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Anbringung eines kung für die Polizeikräfte und das Gericht, welches
Schneegitters, selbst wenn sie diese wegen der ergiebigen ihn zugrunde zu legen hat.
Schneefälle hätte erwägen müssen, in Ansehung der Mit der Vermietung wird die Wohnung in ihrer Bezie-
Weihnachtsfeiertage noch vor dem Abgang der Schnee- hung zum Gemeinwesen auch und vor allem durch
massen hätte bewerkstelligen können. Die Beklagte war das Nutzungsverhalten des Mieters geprägt. Die damit
auch nicht verpflichtet, das Dach vom Schnee zu befrei- regelmäßig verbundene Gefahr von Missbräuchen
en. Denn die Verkehrssicherungspflicht richtet sich, wie oder auf den Mieter zurückgehender Beschädigungen
ausgeführt, auch nach dem, was für den Pflichtigen zu- ist Bestandteil des Mietzinses. Realisiert sie sich in
mutbar ist. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Be-
klagte das Dach ohne erhebliche Eigengefahr selbst von
Form von Durchsuchungen der Polizei, ist das kein
Schnee hätte befreien können. Der Einsatz von Fachkräf- Sonderopfer. !
ten, der gegebenenfalls das Aufstellen eines Gerüstes er- OLG Naumburg, Urt. v. 28.6.2012 – 1 U 8/12
forderlich gemacht hätte, ist wegen des damit verbunde- (LG Magdeburg – 10 O 988/11)
nen Kostenaufwands nicht zumutbar (vgl. LG Duisburg
v. 11.7.1986 – 4 S 126/86, NJW-RR 1986, 1405). Sachverhalt:
Schließlich war eine Warnung vor Dachlawinen nicht Der Kläger begehrt als Eigentümer einer vermieteten Wohnung
veranlasst. Vorsorgemaßnahmen im Rahmen der Ver- von dem beklagten Land Schadensersatz für die bei einer richter-
kehrssicherungspflicht sind nur dann geboten, wenn die lich angeordneten Durchsuchung der Wohnung entstandene Be-
Gefahrenquelle trotz Anwendung der von den Verkehrs- schädigung des vom Spezialeinsatzkommando zum Betreten ge-
teilnehmern zu erwartenden eigenen Sorgfalt nicht recht- nutzten Fensters und die durch Glassplitter entstandene Ver-
zeitig erkennbar sind (vgl. BGH NJW-RR 2006, 1100). unreinigung des Teppichbodens. Hintergrund der Durchsuchung
war der Verdacht, dass der Mieter der Wohnung mit Betäu- mäßige hoheitliche Maßnahme bei dem Betroffenen zu
bungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel trieb. Nachteilen führte, die er aus rechtlichen oder tatsäch-
Eine in der Vergangenheit liegende Verstrickung des Mieters in lichen Gründen hinnehmen muss, die aber über die
Drogendelikte kannte der Kläger, der mit der Schwester des Ver- Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren und da-
dächtigen in einer Beziehung lebt. Das LG hat der Klage weit- mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinaus gehen
gehend stattgegeben und dem Kläger eine Entschädigung aus (BGH, Urt. v. 30.9.1970 – III ZR 148/67 – Rz. 14 u.
enteignendem Eingriff zuerkannt. Die Berufung des beklagten 16 f., MDR 1971, 114 = juris; v. 9.4.1987 – III ZR 3/86,
Landes führte zur Klagabweisung. MDR 1987, 822 = NJW 1987, 2573; v. 20.2.1992 – III
ZR 188/90, MDR 1992, 874 f. = NJW 1992, 3229
Aus den Gründen: [3232 ff.]). Entscheidendes Merkmal für die Abgrenzung
Entgegen der Auffassung des LG kann der Kläger vom zwischen hinzunehmenden Belastungen, denen in einem
beklagten Land keinen Schadensersatz und keine Ent- Rechtsstaat im allgemeinen Strafverfolgungsinteresse alle
schädigung für die Durchsuchungsmaßnahme vom Bürger in gleicher Weise unterworfen sind, und nicht
17.11.2010 beanspruchen. Nur der Beschuldigte erhält mehr zumutbaren Eingriffen in eigene Rechtspositionen
ggf. eine Entschädigung, wenn die Durchsuchung erfolg- des Dritten bildet die sog. Sonderopferlage. ...
los und der Tatverdacht nicht zu erhärten war. Der Klä- Es kann offen bleiben, ob die Schäden des Klägers schon
ger als Vermieter hat dagegen Beschädigungen entschädi- deshalb nicht die Sonderopferschwelle überschreiten,
gungslos hinzunehmen. Der Senat teilt die Auffassung weil ihm die kriminelle Vergangenheit des Bruders seiner
des LG, wonach ernsthaft nur ein Entschädigungs- Freundin bekannt war, als er diesem die Wohnung (wei-
anspruch aus enteignendem Eingriff in Betracht kommt. ter) überließ (vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 19.4.2011 –
Entgegen der Auffassung des beklagten Landes genügt es 4 U 314/10, juris). Die Schäden sind gerade Folge der
für den Ausschluss eines Schadensersatzanspruchs aus entgeltlichen Überlassung des vermieteten Eigentums als
Art. 34 Sätze 1 u. 3 GG i.V.m. § 839 Abs. 1 BGB aller- Wohnung an eine der Strafverfolgung ausgesetzte Person
dings nicht, auf die richterliche Durchsuchungsanord- und damit kein dem Kläger abverlangtes Sonderopfer.
nung vom 8.11.2010 zu verweisen. Diese enthob die Be- Die Auffassung des LG entspricht derjenigen des OLG
amten keinesfalls von der Pflicht zum schonenden und Celle, Urt. v. 8.5.2007 – 16 U 276/06, BeckRS 2007,
das Eigentum Dritter nach Möglichkeit nicht in Mitlei- 09345. Von einem Sonderopfer kann aber nur dann die
denschaft ziehenden Vorgehen. Der Durchsuchungs- Rede sein, wenn die Beeinträchtigung auf einer Verlet-
beschluss berechtigt nur im Rahmen der Verhältnis- zung des Gleichheitssatzes beruht (Papier in Münch-
mäßigkeit zu den seiner Durchsetzung dienenden Komm/BGB, 5. Aufl., § 839 Rz. 57). Wer sein Eigentum
Zwangsmaßnahmen, wie das gewaltsame Öffnen der dagegen freiwillig der Gefahr preisgibt, hat die damit
Wohnung (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 105 verbundenen nachteiligen Folgen selbst zu tragen (Stau-
Rz. 13). Es ist aber gerichtsbekannt, dass Durchsuchun- dinger/Wurm, BGB, Neubearb. 2007, § 839 Rz. 477
gen gerade im Bereich der Drogenkriminalität plötzlich, m.w.N.). Der Kläger und sein Miteigentum wurden nicht
überraschend und schnell einzuleiten sind, um dem Ver- zufällig oder wahllos Opfer der Durchsuchung. Hinter-
dächtigen die Möglichkeit zu nehmen, die gesuchten Be- grund war der richterlich bestätigte Verdacht auf Betäu-
weis- zumeist Betäubungsmittel doch noch zu entsorgen. bungsmittelstraftaten des Mieters, deren Begehung gera-
Dies erfordert besondere Methoden, wie hier das Betre- de auch die überlassene Wohnung zu begünstigen, wenn
ten der Wohnung durch das Fenster, das deshalb tatsäch- nicht gar zu dienen schien. Es gab also gute Gründe, das
lich vom Durchsuchungsbeschluss gedeckt und damit Eigentum des Klägers anders zu behandeln. Mit der Ver-
nicht amtspflichtwidrig war (vgl. Hegmann in BeckOK/ mietung hat der Kläger durch die Überlassung zum ver-
StPO, Stand: 1.2.2012, § 105 Rz. 20 m.w.N.). Soweit tragsgemäßen Gebrauch die Kontrolle und Einflussmög-
der Kläger im Berufungsrechtszug erstmals eine Rechts- lichkeit über die Verwendung der Wohnung freiwillig im
widrigkeit der Durchsuchungsanordnung thematisiert, Wesentlichen aufgegeben und es dem Mieter überlassen,
muss der Senat dem unter mehreren Gesichtspunkten was er dort einbringt und tut. Von da an wurde die Woh-
nicht nachgehen. Der Durchsuchungsbeschluss entfaltete nung in ihrer Beziehung zum Gemeinwesen auch und vor
für die Polizeikräfte bei der Durchsuchung und er entfal- allem durch das Nutzungsverhalten des Mieters geprägt.
tet für den Senat bei seiner Entscheidung Tatbestandswir- Die damit regelmäßig verbundene Gefahr von Missbräu-
kung, d.h. er ist zu beachten und zugrunde zu legen chen oder auf den Mieter zurückgehender Beschädigun-
(BGH NJW 1979, 597; NJW 1991, 700 f.; NJW 1998, gen ist Bestandteil des Mietzinses. Realisiert sie sich in
3055 f.; Musielak/Wittschier, ZPO, 9. Aufl., § 13 GVG Form von Durchsuchungen der Polizei, ist das kein Son-
Rz. 10) und damit auch keiner inhaltlichen Überprüfung deropfer. ...
zugänglich. ...
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
Der Kammer ist zuzugeben, aus dem Fehlen einer aus-
drücklichen Entschädigungsregelung für durch recht-
mäßige Durchsuchungen erlittene Nachteile Dritter lässt
sich nichts gegen den geltend gemachten Anspruch her-
leiten (insoweit möglicherweise missverständlich OLG
Naumburg NJOZ 2007, 4505 f.). Gerade wenn es zur Familienrecht
Beeinträchtigung des Eigentums kommt, liegt ein Fall der
Aufopferung nahe (BGH NJW 2011, 3154 [3158]). Wa- Obliegenheit des Unterhaltsberechtigten zur Kompen-
ren die Durchsuchung der Wohnung und deren Betreten sation ehebedingter Nachteile
durch das Fenster rechtmäßig, sah sich der Kläger unmit-
telbar einem sog. enteignenden Eingriff ausgesetzt. Die BGB §§ 1573 Abs. 2, 1574, 1577, 1578b; FamFG
eingetretenen Schäden sind Folgen derartiger Strafverfol- § 239
gungsmaßnahmen, wobei erfahrungsgemäß zumeist die
Eingangstüren in Mitleidenschaft gezogen werden (vgl. Genügt der Unterhaltsberechtigte seiner aktuellen Er-
zum Merkmal der Unmittelbarkeit BGH v. 9.4.1987 – III werbsobliegenheit, kann ihm für die Vergangenheit
ZR 3/86, MDR 1987, 822 = NJW 1987, 2573 f.; Gaier nicht vorgehalten werden, er hätte konkrete Bewer-
in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., v. § 906 Rz. 70). Hieraus bungsbemühungen entfalten müssen, um den jetzt ein-
ergeben sich Entschädigungsansprüche, wenn die recht- getretenen ehebedingten Nachteil zu kompensieren.
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156 Rechtsprechung MDR 3/2013
Familienrecht
BGH, Beschl. v. 5.12.2012 – XII ZB 670/10 sich um eine Beschäftigung in ihrem erlernten Beruf als
(OLG Koblenz – 13 UF 596/10; AG Linz am Rhein) Versicherungsfachwirtin zu bemühen. Im Gegenteil hat
er ihr die Möglichkeit eingeräumt, über das ihm bekann-
Aus den Gründen: te „aktuelle Einkommen“ anrechnungsfrei hinzuverdie-
[21] Nicht gefolgt werden kann im vorliegenden Fall nen zu können.
aber der Auffassung des Beschwerdegerichts, der – beste- [28] Für den Fall, dass das Gericht dem unterhalts-
hende – ehebedingte Nachteil i.S.d. § 1578b BGB stehe berechtigten Ehegatten im Vorprozess keine zusätzlichen
einer Befristung nicht entgegen, weil die Antragsgegnerin Erwerbseinkünfte fiktiv zugerechnet hat, ist damit zu-
ihn durch entsprechende Bemühungen hätte vermeiden gleich nach § 1577 Abs. 1 BGB entschieden, dass der Un-
können. terhaltsberechtigte seiner Erwerbsobliegenheit genügt
[22] Um den ehebedingten Nachteil der Höhe nach be- hat, und diese Feststellung auch im Abänderungsverfah-
messen zu können, muss der Tatrichter Feststellungen ren maßgebend ist (BGH, Urt. v. 27.1.2010 – XII ZR
zum angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberech- 100/08, MDR 2010, 444 = FamRZ 2010, 538).
tigten i.S.d. § 1578b Abs. 1 Satz 1 BGB und zum Ein- [29] Entsprechendes muss grundsätzlich auch dann gel-
kommen treffen, dass der Unterhaltsberechtigte tatsäch- ten, wenn die Beteiligten – wie hier – eine vorbehaltlose
lich erzielt oder gem. §§ 1574, 1577 BGB erzielen könn- Vereinbarung mit dem oben dargestellten Inhalt ge-
te. Die Differenz ergibt den ehebedingten Nachteil schlossen haben. Denn ohne einen solchen Vorbehalt
(BGH, Urt. v. 20.10.2010 – XII ZR 53/09 – Rz. 23, darf der Unterhaltsberechtigte regelmäßig darauf ver-
MDR 2010, 1461 = FamRZ 2010, 2059). trauen, gegenwärtig seiner Erwerbsobliegenheit zu genü-
[23] Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs be- gen.
steht in dem Einkommen, dass der unterhaltsberechtigte Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
Ehegatte ohne die Ehe und Kindererziehung aus eigenen
Einkünften zur Verfügung hätte (BGH, Urt. v. 4.8.2010 –
XII ZR 7/09 – Rz. 32, MDR 2010, 1119 = FamRZ 2010,
1633). Dabei ist die Darlegungs- und Beweislast für die Betreuung: Fehlende gesetzliche Grundlage für
dem Unterhaltsberechtigten gegenwärtig fehlende Mög- Zwangsbehandlung
lichkeit, eine seiner Ausbildung und früheren beruflichen
Stellung entsprechende Tätigkeit zu erlangen, vorgreif- BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 2
lich nach § 1577 BGB zu beurteilen und obliegt dem Un-
terhaltsberechtigten. Hierfür gelten dieselben Kriterien Da die Einwilligung des Betreuers in eine Zwangs-
wie für die Obliegenheit zur Ausübung einer angemesse- behandlung mangels gesetzlicher Grundlage gegen-
nen Erwerbstätigkeit nach § 1574 BGB. Wer die Aufnah- wärtig nicht genehmigungsfähig ist, kann die durch
me einer angemessenen Erwerbstätigkeit unterlässt, muss das Betreuungsgericht genehmigte Unterbringung im
sich das daraus erzielbare Einkommen im Rahmen der Beschwerdeverfahren nicht auf die zwangsweise Heil-
Prüfung der Bedürftigkeit nach § 1577 Abs. 1 BGB fiktiv behandlung des Betroffenen erweitert werden (im An-
zurechnen lassen (BGH, Beschl. v. 7.11.2012 – XII ZB schluss an BGH, Beschl. v. 20.6.2012 – XII ZB 99/12,
229/11, MDR 2013, 37 ff.). Gelangt das Familiengericht MDR 2012, 971 = FamRZ 2012, 1366; v. 20.6.2012
dagegen zu der Überzeugung, dass der Unterhaltsgläubi- – XII ZB 130/12, juris).
ger seiner Erwerbsobliegenheit genügt, kann der Unter-
haltspflichtige im Rahmen des § 1578b BGB nicht mehr BGH, Beschl. v. 5.12.2012 – XII ZB 665/11
einwenden, jener könne ein höheres Einkommen erzielen (LG Cottbus – 7 T 200/11; AG Bad Liebenwerda)
und habe daher keinen ehebedingten Nachteil erlitten
(vgl. BGH, Urt. v. 27.1.2010 – XII ZR 100/08 – Rz. 42, Aus den Gründen:
MDR 2010, 444 = FamRZ 2010, 538). [11] Die Betroffene wird durch den angegriffenen Be-
[25] Zwar hat das Beschwerdegericht sowohl den ange- schluss jedenfalls in ihren Rechten verletzt, weil für die
messenen Lebensbedarf dem Grunde nach zutreffend be- Genehmigung der Zwangsbehandlung der Betroffenen
stimmt als auch einen Nachteil als solchen in nicht zu be- derzeit keine ausreichende Rechtsgrundlage besteht.
anstandender Weise hergeleitet. Soweit es in diesem Zu- [12] Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, dass
sammenhang aber die Auffassung vertritt, dass die An- § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine ausreichende rechtliche
tragsgegnerin den so entstandenen Nachteil durch ent- Grundlage für die Zwangsbehandlung im Rahmen einer
sprechende – ihr obliegende – Bemühungen hätte vermei- betreuungsgerichtlich genehmigten Unterbringung biete.
den können, hält die Entscheidung einer rechtlichen [13] Dies entsprach zwar der früheren Rechtsprechung
Überprüfung nicht stand. des Senats (vgl. BGH, Beschl. v. 1.2.2006 – XII ZB
[26] Die Ausführungen des Beschwerdegerichts sind in- 236/05, BGHZ 166, 141 = MDR 2006, 995 = FamRZ
soweit widersprüchlich. Einerseits stellt es fest, dass die 2006, 615 m.w.N.). Der Senat hat jedoch diese Recht-
Antragsgegnerin (bei unterstellter Vollzeittätigkeit) mit sprechung nach Erlass der angefochtenen Entscheidung
ihrer Tätigkeit als Schulsekretärin ihrer „aktuellen Er- aufgegeben (BGH v. 20.6.2012 – XII ZB 99/12, MDR
werbsobliegenheit genügt“. Folgerichtig hat es davon ab- 2012, 971 = FamRZ 2012, 1366; v. 20.6.2012 – XII ZB
gesehen, der Antragsgegnerin ein weitergehendes Ein- 130/12, juris). Nach der geänderten Senatsrechtspre-
kommen fiktiv zuzurechnen. Andererseits aber wirft das chung fehlt es gegenwärtig an einer den verfassungs-
OLG der Antragsgegnerin vor, sie hätte in dem Zeitraum rechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen
von 2006 bis 2008 konkrete Bewerbungsbemühungen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehand-
entfalten müssen, um eine Anstellung in ihrem erlernten lung. Da die Einwilligung des Betreuers in eine Zwangs-
Beruf als Versicherungsfachwirtin zu erlangen, womit sie behandlung mangels gesetzlicher Grundlage mithin nicht
ihre Einkommensnachteile hätte kompensieren können. genehmigungsfähig ist, kommt die Genehmigung einer
[27] Hinzu kommt, dass die Beteiligten im Jahre 2008, entsprechenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2
also zu einem Zeitpunkt, als die Antragsgegnerin bereits BGB nicht in Betracht, wenn die Heilbehandlung wegen
ihre Beschäftigung bei der Stadt aufgenommen hatte, den der Weigerung des Betroffenen, sich behandeln zu lassen,
ursprünglichen Vergleich abgeändert haben, ohne dass nicht durchgeführt werden kann (vgl. BGH v. 20.6.2012
der Antragsteller von der Antragsgegnerin verlangt hätte, – XII ZB 99/12 – Rz. 13, a.a.O.; v. 8.8.2012 – XII ZB
671/11 – Rz. 13, MDR 2012, 1165 = FamRZ 2012, 2004, 279 = FamRZ 2004, 186 f.). Stellt der Unterhalts-
1634). pflichtige die Notwendigkeit der Kosten in Abrede, so ist
[14] Der Feststellungsantrag ist hingegen unbegründet, von ihm regelmäßig ein substantiiertes Bestreiten zu ver-
soweit sich die Betroffene gegen die Genehmigung der langen (BGH v. 23.10.2002, a.a.O.).
Unterbringung als solche richtet. Das Beschwerdegericht [16] Im Hinblick auf die Notwendigkeit der Kosten kön-
hat zu Recht auch die Voraussetzungen für eine Unter- nen sozialhilferechtliche Kriterien zwar einen Anhalt für
bringung der Betroffenen wegen Selbstgefährdung nach die Angemessenheit bieten (vgl. BGH, Urt. v. 21.4.2004
§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bejaht (zur Unterbringung – XII ZR 326/01, MDR 2004, 1000 = FamRZ 2004,
nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB vgl. BGH v. 8.8.2012, 1184 f. zur Hilfe zum Lebensunterhalt). Aus der sozial-
a.a.O. – Rz. 13). [Wird ausgeführt.] [Rz. 15-20] ... hilferechtlichen Anerkennung der Kosten folgt indessen
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) noch nicht zwingend auch deren unterhaltsrechtliche
Notwendigkeit (vgl. BGH, Urt. v. 23.7.2003 – XII ZR
339/00, MDR 2003, 1293 = FamRZ 2003, 1468 f. zum
Volljährigenunterhalt; Weber-Monecke, FS I. Groß,
Unterhaltsbedarf der Eltern: Einsatz des Vermögens 2004, S. 239, 242). Wegen der bestehenden Bandbreite
beim Unterhaltspflichtigen von der Sozialhilfe anerkannter Pflegekosten und Kosten
der Unterkunft und Verpflegung (sog. Hotelkosten) so-
BGB §§ 1603, 1610; SGB XII § 94 wie der unterschiedlichen Investitionskosten können so-
zialrechtlich und unterhaltsrechtlich anzuerkennende
a) Der Unterhaltsbedarf eines im Pflegeheim unterge- Kosten vielmehr voneinander abweichen.
brachten Elternteils richtet sich regelmäßig nach den [17] Ein an der früher besseren Lebensstellung des El-
notwendigen Heimkosten zzgl. eines Barbetrags für ternteils orientierter höherer Standard ist grundsätzlich
die Bedürfnisse des täglichen Lebens. Ist der Elternteil nicht mehr angemessen i.S.v. § 1610 Abs. 1 BGB (a.A.
im Alter sozialhilfebedürftig geworden, beschränkt OLG Schleswig OLGReport Schleswig 2003, 407). Denn
sich sein angemessener Lebensbedarf in der Regel auf der angemessene Lebensbedarf der Eltern richtet sich
das Existenzminimum und damit verbunden auf eine nach deren konkreter (aktueller) Lebenssituation (vgl.
– dem Unterhaltsberechtigten zumutbare – einfache BGH, Urt. v. 19.2.2003 – XII ZR 67/00, FamRZ 2003,
und kostengünstige Heimunterbringung (im An- 860 f.; v. 17.2.2010 – XII ZR 140/08 – Rz. 28 f., MDR
schluss an BGH, Urt. v. 19.2.2003 – XII ZR 67/00, 2010, 632 = FamRZ 2010, 629 m.w.N.; v. 4.8.2010 –
FamRZ 2003, 860). XII ZR 7/09 – Rz. 32 f., MDR 2010, 1119 = FamRZ
2010, 1633 zum angemessenen Bedarf beim Krankheits-
b) Dem Unterhaltspflichtigen obliegt es in der Regel, und Altersunterhalt von Ehegatten; Eschenbruch/Klink-
die Notwendigkeit der Heimkosten substantiiert zu hammer, Der Unterhaltsprozess, 5. Aufl., Kap. 2, Rz. 8,
bestreiten (im Anschluss an BGH v. 23.10.2002 – XII 18). Ist der Elternteil im Alter sozialhilfebedürftig gewor-
ZR 266/99, BGHZ 152, 217 = MDR 2003, 86 = den, so beschränkt sich sein angemessener Lebensbedarf
FamRZ 2002, 1698). Kommt er dem nach, trifft die auf das Existenzminimum und damit verbunden auf eine
Beweislast den Unterhaltsberechtigten und im Fall des ihm zumutbare einfache und kostengünstige Heimunter-
sozialhilferechtlichen Anspruchsübergangs den Sozial- bringung (Hauß, Elternunterhalt, 3. Aufl., Rz. 57). Dass
hilfeträger (im Anschluss an BGH, Urt. v. 27.11.2002 das unterhaltspflichtige Kind selbst in besseren Verhält-
– XII ZR 295/00, FamRZ 2003, 444). nissen lebt, hat auf den Unterhaltsbedarf des Elternteils
schließlich keinen Einfluss (a.A. Schnitzler/Günther,
c) Ausnahmsweise können auch höhere als die not- MAH Familienrecht, § 11 Rz. 19; Scholz/Kleffmann/
wendigen Kosten als Unterhaltsbedarf geltend ge- Motzer/Soyka, Praxishandbuch Familienrecht, Stand
macht werden, wenn dem Elternteil die Wahl einer Mai 2012, Teil J Rz. 12). Denn die Lebensstellung der
kostengünstigeren Heimunterbringung im Einzelfall Eltern ist eine selbständige und leitet sich nicht von derje-
nicht zumutbar war. Zudem kann sich der Einwand nigen ihrer Kinder ab.
des Unterhaltspflichtigen, es habe eine kostengüns-
[18] Stand dem Elternteil ein preisgünstigeres Heim zur
tigere Unterbringungsmöglichkeit bestanden, im Ein- Verfügung, so sind allerdings auch höhere Kosten der
zelfall als treuwidrig erweisen. Heimunterbringung vom Unterhaltspflichtigen aus-
d) Verwertbares Vermögen eines Unterhaltspflichti- nahmsweise dann zu tragen, wenn dem Elternteil die
gen, der selbst bereits die Regelaltersgrenze erreicht Wahl des preisgünstigeren Heims nicht zumutbar war.
hat, kann in der Weise für den Elternunterhalt einge- Das kann der Fall sein, wenn Eltern ihre Heimunterbrin-
setzt werden, als dieses in eine an der statistischen Le- gung zunächst noch selbst finanzieren konnten und –
benserwartung des Unterhaltspflichtigen orientierte etwa aufgrund der Einordnung in eine höhere Pflegestufe
Monatsrente umgerechnet und dessen Leistungsfähig- – erst später dazu nicht mehr in der Lage sind. Darüber
keit aufgrund des so ermittelten (Gesamt-)Einkom- hinaus kann das unterhaltspflichtige Kind auch dann
nicht einwenden, es habe eine kostengünstigere Unter-
mens nach den für den Einkommenseinsatz geltenden
bringung offen gestanden, wenn es selbst die Auswahl
Grundsätzen bemessen wird. des Heims beeinflusst hat und sein Einwand infolgedes-
BGH, Urt. v. 21.11.2012 – XII ZR 150/10 sen im Einzelfall gegen das Verbot widersprüchlichen
(OLG Düsseldorf – 8 UF 38/10; AG Wesel) Verhaltens verstoßen würde.
[20] ... Der Beklagte hat aber die Notwendigkeit der
Aus den Gründen: Kosten bestritten und geltend gemacht, für die Hilfeemp-
[15] Nach der Rechtsprechung des Senats bestimmt sich fängerin habe ein Platz in einem kostengünstigeren Heim
der Unterhaltsbedarf des Elternteils regelmäßig durch (in derselben Stadt) offengestanden. Er hat hierfür ein
seine Unterbringung in einem Heim und deckt sich mit konkretes Heim benannt, in dem die Hilfeempfängerin
den dort anfallenden Kosten, soweit diese notwendig bereits zur Kurzzeitpflege untergebracht war, und hat die
sind (vgl. BGH v. 23.10.2002 – XII ZR 266/99, BGHZ dort anfallenden Kosten den geltend gemachten gegen-
152, 217 [224] = MDR 2003, 86 = FamRZ 2002, 1698 übergestellt. Die Gegenüberstellung der Kosten ergibt ei-
[1700] m.w.N.; v. 25.6.2003 – XII ZR 63/00, MDR nen monatlich um rund 98 ! geringeren Betrag. Der Be-
klagte hat damit die Notwendigkeit der Heimkosten der [34] Einschränkungen der Obliegenheit zum Einsatz des
Höhe nach ausreichend substantiiert bestritten. Dem- Vermögensstammes ergeben sich daraus, dass nach dem
nach war es Aufgabe der Klägerin, entsprechend der sie Gesetz auch die sonstigen Verpflichtungen des Unter-
für den angemessenen Lebensbedarf nach § 1610 Abs. 1 haltsschuldners zu berücksichtigen sind und er seinen ei-
BGB treffenden Darlegungs- und Beweislast die Notwen- genen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden
digkeit der Kosten zu beweisen. braucht. Daraus folgt, dass eine Verwertung des Ver-
[21] Für die vom Berufungsgericht angestellte Überle- mögensstammes nicht verlangt werden kann, wenn sie
gung, es gehe nicht an, der Klägerin, die mit öffentlichen den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften
Geldern zur Deckung des Unterhaltsbedarfs eintreten abschneiden würde, die er zur Erfüllung weiterer Unter-
müsse, auch noch dieses Risiko aufzubürden, besteht kei- haltsansprüche oder anderer berücksichtigungswürdiger
ne Grundlage. Denn dass die Klägerin den Unterhalts- Verbindlichkeiten oder zur Bestreitung seines eigenen
anspruch aus übergegangenem Recht nach § 94 SGB XII Unterhalts benötigt (BGH v. 30.8.2006, a.a.O. m.w.N.).
geltend macht, lässt die Verteilung der Darlegungs- und [35] Zu diesen für den Deszendentenunterhalt aufgestell-
Beweislast unberührt (vgl. BGH, Urt. v. 27.11.2002 – ten Grundsätzen kommt hinzu, dass der Elternunterhalt
XII ZR 295/00, FamRZ 2003, 444 f.). Entgegen der Auf- vom Gesetz vergleichsweise schwach ausgestaltet ist. Das
fassung des Berufungsgerichts folgt auch daraus, dass die wirkt sich nach der Rechtsprechung des Senats nicht nur
zwischen den beiden Heimen bestehende Kostendifferenz auf den dem Unterhaltspflichtigen monatlich zu belas-
relativ geringfügig erscheinen mag, nichts anderes. Ein senden Selbstbehalt, sondern auch auf sein Schonver-
monatlich vom Unterhaltspflichtigen zu zahlender abso- mögen und damit auf seine Obliegenheit zum Einsatz des
luter Mehrbetrag von rund 98 ! kann vielmehr nicht als Vermögensstammes aus. Außerdem ist dem Unterhalts-
geringfügig außer Betracht gelassen werden. Auf die Fra- pflichtigen bei zum Zweck der zusätzlichen Altersvorsor-
ge, ob die Hilfeempfängerin oder die Klägerin ein (offen- ge gemachten Aufwendungen nach der Rechtsprechung
kundiges) „Auswahlverschulden“ trifft, kommt es des Senats ein höherer Abzug zuzugestehen als etwa
schließlich nicht an, weil im Rahmen von § 1610 Abs. 1 beim Ehegattenunterhalt (vgl. BGH, Urt. v. 14.1.2004 –
BGB allein auf die Notwendigkeit der Kosten abzustellen XII ZR 149/01, MDR 2004, 754 = FamRZ 2004, 792 f.).
ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass ein unterhalts-
[24] Der Barbetrag nach § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist pflichtiges Kind seine Vermögensdispositionen zumeist in
nach der Senatsrechtsprechung als weiterer unterhalts- Zeiten getroffen hat, in denen Elternunterhalt nicht ge-
rechtlicher Bedarf anzuerkennen. Der in einem Heim le- schuldet wurde. Deswegen hat es regelmäßig auch seine
bende Unterhaltsberechtigte ist darauf angewiesen, für Lebensverhältnisse auf die vorhandenen Einkünfte und
seine persönlichen, von den Leistungen der Einrichtung Vermögenswerte eingerichtet. Das gilt jedenfalls inso-
nicht umfassten Bedürfnisse über bare Mittel verfügen zu weit, als der Unterhaltsschuldner seine Vermögenswerte
können. Andernfalls wäre er nicht in der Lage, etwa Auf- als Alterssicherung vorgesehen und deswegen seinen ge-
wendungen für Körper- und Kleiderpflege, Zeitschriften samten Lebensplan auch auf diese Beträge eingestellt hat
und Schreibmaterial zu bestreiten und sonstige Kleinig- (BGH v. 30.8.2006, a.a.O. m.w.N.; vgl. Wendl/Dose,
keiten des täglichen Lebens zu finanzieren (BGH v. Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis,
28.7.2010 – XII ZR 140/07 – Rz. 16, BGHZ 186, 350 = 8. Aufl., § 1 Rz. 622 f.).
MDR 2010, 1188 = FamRZ 2010, 1535; v. 7.7.2004 – [36] Daraus folgt indessen noch nicht, dass an dem ur-
XII ZR 272/02, MDR 2004, 1358 = FamRZ 2004, sprünglich allein für die eigene Altersvorsorge (und gege-
1370 ff.; v. 15.10.2003 – XII ZR 122/00, MDR 2004, benenfalls die des Ehegatten) geplanten Vermögensein-
942 = FamRZ 2004, 366 [369] m.w.N.). satz ohne Rücksicht auf die eingetretene Unterhalts-
[25] Das Berufungsgericht hat indessen zu Unrecht eine pflicht und in vollem Umfang festgehalten werden könn-
Zurechnung des Barbetrags zum Unterhaltsbedarf wegen te. Denn bei einem solchen Verständnis wäre jeder Ein-
der von der Hilfeempfängerin bezogenen Kindererzie- satz des zu Beginn der Verpflichtung zum Elternunterhalt
hungsleistungen abgelehnt. Dass der Unterhaltsberech- vorhandenen Vermögens von vornherein ausgeschlossen.
tigte über eigenes Einkommen verfügt, mit dem sich der Vielmehr kann vom Unterhaltspflichtigen ein Ver-
Barbetrag decken lässt, stellt dessen Anerkennung als Be- mögenseinsatz insoweit verlangt werden, als ihm auch
darfsposten nicht in Frage. Ob der Bedarf durch eigene nach Abzug des Elternunterhalts ein zur Bestreitung sei-
Mittel des Unterhaltsberechtigten gedeckt werden kann, nes angemessenen Lebensbedarfs ausreichendes Ver-
ist erst im Rahmen der Bedürftigkeit nach § 1602 Abs. 1 mögen verbleibt.
BGB zu beurteilen. [37] Der Unterhaltspflichtige muss sein Vermögen dem-
[32] Die vom Berufungsgericht angenommene Obliegen- nach insoweit einsetzen, als es ihm möglich bleibt, seinen
heit des Beklagten zur teilweisen Vermögensverwertung eigenen angemessenen Unterhalt aus dem ihm nach Ab-
ist ... im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden. zug der Unterhaltsleistungen verbleibenden Vermögen
[33] Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss ein dauerhaft zu befriedigen.
Unterhaltspflichtiger grundsätzlich auch den Stamm sei- [38] Diesen Anforderungen kann ... dadurch Rechnung
nes Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen. getragen werden, dass das vom Unterhaltspflichtigen für
Eine allgemeine Billigkeitsgrenze, wie sie § 1577 Abs. 3 die Altersvorsorge angesparte verwertbare Kapital unter
BGB und § 1581 Satz 2 BGB für den nachehelichen Ehe- Berücksichtigung seiner statistischen Lebenserwartung in
gattenunterhalt vorsehen, enthält das Gesetz im Bereich eine Monatsrente umgerechnet wird. Diese Berechnung
des Verwandtenunterhalts nicht. Deshalb ist auch hin- gewährleistet, dass dem Unterhaltspflichtigen ein zur Be-
sichtlich des einsetzbaren Vermögens allein auf § 1603 streitung seines laufenden Lebensbedarfs ausreichendes
Abs. 1 BGB abzustellen, wonach nicht unterhaltspflich- Einkommen dauerhaft zur Verfügung steht. Hinzu
tig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Ver- kommt jedenfalls in Fällen hochbetagter Eltern, dass we-
pflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines ei- gen deren begrenzter Lebenserwartung dem Unterhalts-
genen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewäh- pflichtigen in absehbarer Zeit sein Einkommen und Ver-
ren. Hierzu außerstande ist jedoch nicht, wer über ver- mögen wieder ungeschmälert zur Verfügung stehen wer-
wertbares Vermögen verfügt (BGH v. 30.8.2006 – XII den. Entgegen der Auffassung der Revision folgt aus dem
ZR 98/04, BGHZ 169, 59 [67 f.] =MDR 2007, 219 = Senatsurteil (BGH v. 30.8.2006, a.a.O.) nicht, dass das
FamRZ 2006, 1511 [1513] m.w.N.). aufgrund des Abzugs von zusätzlich 5 % vom früheren
Erwerbseinkommen zum Zweck der Altersvorsorge an- und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissen-
gesparte Kapital dem Unterhaltspflichtigen auch nach schaftlich begründen (BGH v. 15.9.2010, a.a.O. –
Eintritt in das Rentenalter dauerhaft verbleiben müsse. Rz. 19 ff. m.w.N.).
Vielmehr kann von ihm erwartet werden, dass er dieses [10] Dies gilt gem. § 11 SächsPsychKG auch für die öf-
Kapital bei Erreichen der Regelaltersgrenze seinem be- fentlich-rechtliche Unterbringung nach § 10 Abs. 2
stimmungsgemäßen Zweck entsprechend sukzessive ver- SächsPsychKG.
braucht. Die Umrechnung eines Kapitals in eine Rente [11] Unterlässt das Erstgericht – wie im vorliegenden Fall
enthebt schließlich von der Notwendigkeit, weiteres Bar- – diese zwingend gebotene Verfahrenshandlung, ist sie
vermögen für die Altersvorsorge zu reservieren, weil die vom Beschwerdegericht nachzuholen. Denn im Be-
Berechnung auf der Grundlage erfolgt, dass das Barver- schwerdeverfahren findet nicht nur eine Überprüfung der
mögen neben der Bestreitung des Elternunterhalts auch erstinstanzlichen Entscheidung statt. Das Beschwerdege-
dem eigenen (Alters-)Unterhalt des Unterhaltspflichtigen richt tritt vielmehr in vollem Umfang an die Stelle des
(und seines Ehegatten) zufließt. Dass infolge der Dyna- Erstgerichts (vgl. § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG) und ent-
misierung des Barvermögens Kapitaleinkünfte wegfallen, scheidet unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstan-
hat das Berufungsgericht schließlich berücksichtigt. Der des zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung über die
Sonderfall, dass eine ergänzende Altersvorsorge auch Sache neu (BGH v. 19.1.2011 – XII ZB 256/10 – Rz. 10,
noch nach (vorgezogenem) Rentenbeginn unterhalts- MDR 2011, 429 = FamRZ 2011, 637).
rechtlich akzeptiert werden kann (vgl. BGH v.
28.7.2010, a.a.O. – Rz. 26), liegt hier nicht vor. [12] Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grund-
[Rz. 39-45] ... lagen hätte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall
vor seiner Entscheidung ein Sachverständigengutachten
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) zur Frage der Notwendigkeit der Unterbringung des Be-
troffenen einholen müssen. Eine erneute Begutachtung
des Betroffenen war für die Entscheidung in der Haupt-
sache, anders als bei Erlass einer einstweiligen Anord-
Sachverständigengutachten zur Notwendigkeit der
nung, weder im Hinblick auf das von der Verwaltungs-
Unterbringung behörde ihrem Antrag beigefügte amtsärztliche psychi-
atrische Gutachten noch auf die Anhörung der Sachver-
FamFG § 321 Abs. 1; SächsPSychKG §§ 10 Abs. 2, ständigen im Termin vom 2.5.2012 entbehrlich.
11, 13 Abs. 1 [13] § 321 Abs. 1 FamFG sieht im Hinblick auf die damit
Die Verpflichtung des Gerichts, gem. § 321 Abs. 1 einhergehenden erheblichen Eingriffe in die Freiheits-
FamFG in der Hauptsache ein Sachverständigengut- rechte des Betroffenen zwingend die Einholung eines
achten zur Notwendigkeit der Unterbringungsmaß- Sachverständigengutachtens vor. Dadurch soll eine sorg-
nahme einzuholen, entfällt auch nicht in den Fällen, in fältige Sachverhaltsaufklärung zur Feststellung der medi-
denen die zuständige Verwaltungsbehörde nach den zinischen Voraussetzungen einer Unterbringung sicher-
gestellt werden (Keidel/Budde, FamFG, 17. Aufl., § 321
landesrechtlichen Bestimmungen für die öffentliche Rz. 1). Lediglich bei unterbringungsähnlichen Maßnah-
Unterbringung ihrem Unterbringungsantrag ein ärzt- men nach § 312 Nr. 2 FamFG kann auch in der Haupt-
liches Gutachten beifügen muss. sache an die Stelle eines Gutachtens ein ärztliches Zeug-
BGH, Beschl. v. 21.11.2012 – XII ZB 306/12 nis treten. Die Verpflichtung des Gerichts, ein Gutachten
(LG Zwickau – 9 T 42/12; AG Auerbach) einzuholen, entfällt auch nicht in den Fällen, in denen die
zuständige Verwaltungsbehörde nach den landesrecht-
Aus den Gründen: lichen Bestimmungen für die öffentliche Unterbringung
[9] Nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Unter- dem Unterbringungsantrag ein ärztliches Gutachten bei-
bringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme fügen muss (vgl. § 13 Abs. 1 SächsPsychKG). Da dieses
durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendig- Gutachten nicht vom Gericht in Auftrag gegeben wurde,
keit der Maßnahme stattzufinden. Nach § 30 Abs. 1 kann es nicht als das von § 321 Abs. 1 FamFG geforderte
i.V.m. Abs. 2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilpro- Gutachten angesehen werden (vgl. Bohnert in BeckOK/
zessordnung durchzuführen (BGH v. 15.9.2010 – XII ZB FamFG, Stand: 1.9.2012, § 321 Rz. 21; Jürgens/Masch-
383/10 – Rz. 18, MDR 2010, 1264 = FamRZ 2010, ner, Betreuungsrecht, 4. Aufl., § 321 FamFG Rz. 4;
1726). Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines Schmidt-Recla in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 321
förmlichen Beweisbeschlusses (vgl. § 358 ZPO). Jedoch FamFG Rz. 9).
ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen, [14] Den vorstehenden Anforderungen wird auch die An-
wenn nicht förmlich zuzustellen, so doch zumindest hörung der für das Strafverfahren bestellten Sachverstän-
formlos mitzuteilen, damit dieser gegebenenfalls von sei- digen durch das Beschwerdegericht im Termin vom
nem Ablehnungsrecht nach § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. 2.5.2012 nicht gerecht.
§ 406 ZPO Gebrauch machen kann. Ferner hat der Sach- [15] Zum einen fehlt es schon an ihrer – jedenfalls aus-
verständige den Betroffenen gem. § 321 Abs. 1 Satz 2 drücklichen – Bestellung zur Sachverständigen für das
FamFG vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu un- vorliegende Verfahren. Selbst wenn man eine konkluden-
tersuchen oder zu befragen. Dabei muss er schon vor der te Bestellung unterstellte, mangelte es jedenfalls an einer
Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen be- entsprechenden Bekanntgabe an den Betroffenen vor Be-
stellt worden sein und ihm den Zweck der Untersuchung ginn der Begutachtung. Außerdem fehlte es an einer Un-
eröffnen. Andernfalls kann der Betroffene sein Recht, an tersuchung des Betroffenen nach Bestellung der Ärztin
der Beweisaufnahme teilzunehmen, nicht sinnvoll aus- zur Sachverständigen und vor Erteilung des Gutachtens.
üben. Schließlich muss das Sachverständigengutachten Die vom Gericht verwerteten Erkenntnisse, die die Sach-
zwar nicht zwingend schriftlich erfolgen, wenn auch eine verständige über den Betroffenen gewonnen hatte, beru-
schriftliche Begutachtung vielfach in Anbetracht des hen ausschließlich auf ihrer Tätigkeit als behandelnde
schwerwiegenden Grundrechtseingriffs angezeigt er- Ärztin in der Klinik und nicht als Sachverständige. Des-
scheint. Jedenfalls aber muss das Gutachten namentlich halb konnte der Betroffene keine Kenntnis davon haben,
Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand dass die von ihr durchgeführten Untersuchungen einer
der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchung späteren Begutachtung dienen sollten.
[16] Schließlich genügen die von der Sachverständigen in lär bedingten dementiellen Symptomatik und einem Zu-
der Anhörung getätigten Äußerungen nicht den an ein stand nach subdoralem Hämatom nach einem Sturz im
Gutachten i.S.d. § 321 FamFG zu stellenden Anforde- Jahre 2009 und sei aufgrund ihrer körperlichen psy-
rungen. Es mangelt sowohl an einer Darstellung der von chischen Verfassung nicht mehr in der Lage, ihre alltägli-
ihr durchgeführten Untersuchungen als auch an einer chen Angelegenheiten selbständig zu besorgen.
entsprechenden wissenschaftlichen Begründung. [Rz. 17] [12] Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die medizi-
... nischen Voraussetzungen für eine Betreuung zu begrün-
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) den. Die Anordnung und Aufrechterhaltung einer Be-
treuung erfordern im Hinblick auf den Eingriff in die
Freiheitsrechte, der mit einer Betreuerbestellung verbun-
den ist, eine sorgfältige Sachverhaltsaufklärung zu den
Nachholung des Sachverständigengutachtens im Be- medizinischen Voraussetzungen einer Betreuerbestellung
treuungsaufhebungsverfahren (Keidel/Budde, FamFG, 17. Aufl., § 280 Rz. 1). Dem
trägt § 280 FamFG Rechnung, der für die Bestellung ei-
nes Betreuers die Einholung eines Sachverständigengut-
FamFG §§ 26, 280
achtens vorschreibt und die inhaltlichen Anforderungen
Hat das Betreuungsgericht vor Anordnung der Betreu- an das Gutachten näher spezifiziert. Dieser Standard
ung kein Sachverständigengutachten gem. § 280 muss bei einer Entscheidung über die Betreuungsbedürf-
FamFG eingeholt, ohne dass eine der Ausnahmen der tigkeit erfüllt sein. Ist ein solches Gutachten – wie hier –
§§ 281, 282 FamFG vorgelegen hat, gebietet die vor Anordnung der Betreuung nicht eingeholt worden,
Amtsermittlungspflicht im Verfahren auf Aufhebung muss es nachgeholt werden.
der Betreuung die Einholung eines Sachverständigen- [13] Die vorhandenen ärztlichen Stellungnahmen genü-
gutachtens, das den Anforderungen des § 280 FamFG gen diesen Anforderungen nicht. Sie ermöglichen, dem
entspricht. Gericht keine Überprüfung der von den Ärzten gezoge-
nen Schlussfolgerungen auf ihre wissenschaftliche Be-
BGH, Beschl. v. 21.11.2012 – XII ZB 296/12 gründung, innere Logik und Schlüssigkeit (vgl. BGH v.
(LG Itzehoe – 4 T 107/12; AG Itzehoe) 19.1.2011 – XII ZB 256/10 – Rz. 12, MDR 2011, 429 =
FamRZ 2011, 637 m.w.N.; v. 9.11.2011 – XII ZB
Aus den Gründen: 286/11 – Rz. 16, MDR 2012, 97 = FamRZ 2012, 104).
[7] Das Beschwerdegericht hat jedoch dadurch, dass es [Rz. 14-17] ...
ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens den Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
Antrag der Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung zu-
rückgewiesen hat, gegen seine Amtsermittlungspflicht
(§ 26 FamFG) verstoßen.
[8] Das Betreuungsgericht hatte vor Anordnung der Be- Mutwilliger Antrag des Unterhaltsschuldners auf Ver-
treuung das gem. § 280 FamFG obligatorische Sachver- fahrenskostenhilfe
ständigengutachten nicht eingeholt, obwohl keine der in
§§ 281, 282 FamFG geregelten Ausnahmen vorlag. FamFG § 76 Abs. 1; ZPO § 114 S. 1
Zwar war die Betroffene mit der Bestellung eines Betreu-
ers ursprünglich einverstanden. Es ist jedoch nicht er- Es ist mutwillig, wenn der Unterhaltsschuldner Ver-
sichtlich, dass sie auf eine Begutachtung verzichtet hat. fahrenskostenhilfe für einen Antrag auf Herabsetzung
Auch kann im Hinblick auf den Umfang der Aufgaben- des Unterhalts nach § 240 FamFG erstrebt, nachdem
kreise des Betreuers nicht davon ausgegangen werden, der Unterhaltsgläubiger ihm mitgeteilt hat, künftig
dass die Einholung eines Gutachtens unverhältnismäßig nur noch den reduzierten Unterhalt zu verlangen. !
gewesen wäre. OLG Hamburg, Beschl. v. 5.12.2012 – 7 WF 117/12
[9] In Fällen, in denen – wie hier – das Betreuungsgericht (AG Hamburg-Harburg – 632 F 251/12)
die Betreuung verfahrensfehlerhaft ohne vorherige Ein-
holung eines Sachverständigengutachtens angeordnet hat Aus den Gründen:
und gegen diese Anordnung innerhalb der Beschwerde- ... Unbegründet ist die sofortige Beschwerde, ... soweit
frist (§ 63 Abs. 1 FamFG) keine Beschwerde eingelegt der Kindesvater seinen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe
worden ist, findet § 294 Abs. 2, der für den Fall des darauf stützt, dass für die Zeit ab dem 1.6.2012 ... allein
§ 281 Abs. 1 Nr. 1 FamFG die Nachholung des Gutach- durch die Schaffung eines neuen Titels der bisherige, auf
tens vorschreibt, keine Anwendung (Keidel/Budde, Zahlung höheren Unterhalts gehende Titel beseitigt wer-
FamFG, 17. Aufl., § 294 Rz. 10). den könne. Insoweit ist die beabsichtigte Rechtsverfol-
[10] Allerdings gebietet es in diesen Fällen regelmäßig gung als mutwillig i.S.v. § 114 Satz 1 ZPO anzusehen;
die Amtsermittlungspflicht, in dem Verfahren auf Auf- denn der Vertreter des Antragsgegners hat dem Antrag-
hebung der Betreuung zu prüfen, ob zur Aufrechterhal- steller mit Schreiben vom 7.6.2012 ... mitgeteilt, dass er
tung der Betreuung weitere tatsächliche Ermittlungen, mit Wirkung ab dem 1.6.2012 nur noch den reduzierten
insbesondere die Einholung eines Sachverständigengut- Unterhalt verlange. Bei dieser Sachlage würde ein ver-
achtens, erforderlich sind. ständiger Beteiligter, der seine Verfahrenskosten selbst
[11] Das Beschwerdegericht hat die Zurückweisung des aufzubringen hätte, ein gerichtliches Verfahren auf He-
Antrags auf Aufhebung der Betreuung damit begründet, rabsetzung des titulierten Unterhalts nicht betreiben.
dass bei der Betroffenen nach dem Ergebnis der vom AG Dazu besteht umso weniger Anlass, als der Kindesvater,
durchgeführten persönlichen Anhörungen und der im wenn er denn tatsächlich die Befürchtung hegen sollte,
Rahmen der Anhörungen eingeholten Stellungnahmen später aus dem Titel auf Nachzahlung auch der Differenz
der Sachverständigen G. und Dr. S. in Übereinstimmung in Anspruch genommen zu werden, die kostensparende
mit der medizinischen Einschätzung des Oberarztes Dr. Möglichkeit hätte, eine Jugendamtsurkunde erstellen zu
R. die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreu- lassen, in der er sich vollstreckbar zur Leistung des nun-
ung auch gegen den erklärten Willen der Betroffenen vor- mehr niedrigeren Unterhaltsbetrags verpflichtet, und
lägen. Die Betroffene leide an einer beginnenden vasku- dem Antragsgegner den Austausch des bisherigen Titels
gegen diese Urkunde anzubieten. Erst wenn der Unter- schaftsrechtlichen Verfahren“ ausdrücklich bei der Er-
haltsgläubiger einen solchen Austausch der Titel verwei- läuterung des Begriffes „überlanges Verfahren“ Bezug
gerte, hätte der Unterhaltsschuldner hinreichenden An- (vgl. BT-Drucks. 17/3802, 18). Gleiches geschieht noch
lass, in einem gerichtlichen Verfahren die Abänderung einmal auf S. 19 der Gesetzesbegründung. Dort führt der
des bisherigen Titels zu erstreben. ... Gesetzgeber zu den immateriellen Folgen eines überlan-
(Einsender: 7. Zivilsenat des OLG Hamburg) gen Verfahrens aus, hiervon werde auch die Entfremdung
eines Kindes von einem Elternteil, die durch einen nicht
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
in angemessener Zeit abgeschlossenen Sorgerechtsstreit
eingetreten sei, erfasst. Es kann daher nicht von einer
planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden (so
Unstatthaftigkeit der Untätigkeitsbeschwerde auch Althammer/Schäuble, Effektiver Rechtsschutz bei
überlanger Verfahrensdauer – Das neue Gesetz aus zivil-
rechtlicher Perspektive, NJW 2012, 1, 5). Auch die Argu-
mentation von Vogel (Verzögerungsrüge vs. Untätigkeits-
GVG § 198; FamFG § 21 Abs. 2 oder Beschleunigungsbeschwerde in Kindschaftssachen,
Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechts- FPR 2012, 528), aus dem Wort „grundsätzlich“ in der
schutz bei überlangen Gerichtsverfahren und straf- Gesetzesbegründung lasse sich ableiten, dass auch Aus-
rechtlichen Ermittlungsverfahren ist die richterrecht- nahmen vorliegen könnten, weshalb seiner Ansicht nach
lich entwickelte Untätigkeitsbeschwerde auch in Um- die Untätigkeitsbeschwerde in Familiensachen neben der
gangverfahren unstatthaft. ! Verfahrensrüge weiterhin statthaft sei, kann vor dem
Hintergrund der zuvor wiedergegebenen Ausführungen
OLG Bremen, Beschl. v. 12.11.2012 – 4 WF 137/12 in der Gesetzesbegründung nicht überzeugen: Der Ge-
(AG Bremen – 70 F 1490/12) setzgeber hat im Bewusstsein der oft zeitkritischen Kind-
schaftssachen die §§ 198 ff. GVG neu eingeführt und
Aus den Gründen: sich ausdrücklich gegen die vorher praktizierte Recht-
... Spätestens seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über sprechung unter Zuhilfenahme außerordentlicher
den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren am Rechtsbehelfe wie der Untätigkeitsbeschwerde geäußert.
3.12.2011 ist eine Untätigkeitsbeschwerde nicht mehr
statthaft. Ob sie zuvor statthaft war (vgl. zum Streitstand Soweit Rixe (Anmerkung zum OLG Bremen des EGMR
OLG Düsseldorf v. 15.2.2012 – II-8 WF 21/12 – Rz. 4, v. 27.10.2011, Beschwerde Nr. 8857/08, FamRZ 2012,
FamRZ 2012, 1161; OLG Bremen, Beschl. v. 1123 f.) die Neuregelung wegen des Fehlens einer gesetz-
14.11.2011 – 4 WF 183/11), kann angesichts der im vor- lich geregelten Beschleunigungsbeschwerde für verfas-
liegenden Verfahren erfolgten Verfahrenseinleitung und sungswidrig hält, ist dieser Auffassung nicht zu folgen.
Antragstellung nach dem 3.12.2011 dahinstehen. Da Der Gesetzgeber hat zu Recht darauf hingewiesen, dass
sich der Gesetzgeber gegen die Einführung einer Untätig- der gesetzlichen Neuregelung in den §§ 198 ff. GVG in-
keitsbeschwerde entschieden und sich auf die durch das sofern auch eine präventive Schutzfunktion zukommt,
Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- als der spätere Anspruchssteller in dem Primärverfahren
verfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (BT- eine Verzögerungsrüge anbringen muss, was den im ge-
Drucks. 17/3802) eingeführten Rechtsschutzmöglichkei- rügten Verfahren zuständigen Richter zu Maßnahmen
ten beschränkt hat, fehlt es seit dem Inkrafttreten dieses der Verfahrensbeschleunigung veranlassen dürfte, wenn
Gesetzes an einer Regelungslücke, die durch die richter- es zu einer Verzögerung gekommen ist (vgl. BT-Drucks.
rechtlich entwickelte Untätigkeitsbeschwerde geschlos- 17/3802, 16 Ziff. 4). Im Übrigen würde selbst dann,
sen werden könnte bzw. müsste (so auch OLG Düssel- wenn man es nicht für ausreichend hielte, dass der Ge-
dorf, a.a.O.; OLG Brandenburg v. 6.1.2012 – 13 WF setzgeber sich auf die verhaltenssteuernde Funktion der
235/11, MDR 2012, 305 = FamRZ 2012, 1076; OLG Verzögerungsrüge verlassen und keine Untätigkeits-
Bremen, Beschl. v. 6.2.2012 – 5 WF 19/12; sowie implizit beschwerde statuiert hat (so Althammer/Schäuble,
OLG Bremen, Beschl. v. 14.11.2011 – 4 WF 183/11). a.a.O., NJW 2012, 7), an einer für die Rechtsfortbildung
Angesichts der Gesetzesbegründung kann auch nicht un- notwendigen Regelungslücke fehlen (a.A. wohl Rixe, der
terstellt werden, dass der Gesetzgeber hinsichtlich famili- eine Beschleunigungsbeschwerde durch verfassungs- und
engerichtlicher Sorge- und Umgangsverfahren versehent- konventionskonforme Auslegung des § 21 Abs. 2 FamFG
lich die Einführung einer Untätigkeitsbeschwerde unter- fordert, a.a.O., und Vogel, a.a.O.). Das die Rechtsauffas-
lassen habe. sung des Senats teilende OLG Düsseldorf hat in seinem
Beschluss (OLG Düsseldorf v. 15.2.2012 – II-8 WF
Laut Gesetzesbegründung ging es dem Gesetzgeber viel- 21/12, FamRZ 2012, 1161) zudem auf den wichtigen
mehr darum, die uneinheitliche und unübersichtliche praktischen Aspekt hingewiesen, dass ein Nebeneinander
Praxis der durch richterrechtliche Rechtsfortbildung ent- von Verzögerungsrüge und Untätigkeitsbeschwerde das
wickelten außerordentlichen Rechtsbehelfe zu beenden Verfahren mit weiteren Zweifelsfragen belasten und da-
(vgl. BT-Drucks. 17/3802, 1 sowie S. 15 f.). So heißt es in mit seinen zügigen Abschluss erschweren würde. Durch
der Begründung unter A.I.6., mit dem neuen Entschädi- das Aufrechterhalten der richterrechtlich zum Teil aner-
gungsanspruch würden die verschiedenen von der Recht- kannten Untätigkeitsbeschwerde würde also gerade kei-
sprechung entwickelten Rechtsbehelfskonstruktionen ne Verfahrensbeschleunigung bewirkt, was auch für die
grundsätzlich hinfällig, da die Neuregelung das Rechts- hier vertretene Auffassung ihrer Unzulässigkeit nach dem
schutzproblem bei überlanger Verfahrensdauer abschlie- 3.12.2011 spricht. ...
ßend lösen solle. Dieser Rechtsschutz werde „einheitlich
und ausschließlich“ durch die Entschädigungsregelung Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
gewährt. Eine Regelungslücke als Analogievoraussetzung
bestehe nicht mehr. Dass der Gesetzgeber bei der Geset-
zesneuregelung die Kindschaftssachen übersehen habe,
in denen es den Eltern nicht um finanzielle Entschädi-
gung, sondern den persönlichen und zeitnah festzulegen-
den Umgang mit ihren Kindern geht, kann nicht ange-
nommen werden. Der Gesetzgeber nimmt auf die „kind-
[50] ... Die Betriebsparteien haben bei der Aufhebung stimmten Preis anbietet, muss in seinen Preislisten und
von § 17 Anhang II TR DPG auch die sich aus Art. 2 in der Werbung für diese Angebote neben dem End-
Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG normierten preis auch den Grundpreis dieser Waren angeben.
Rechtsstaatsprinzip ergebenden Grundsätze über die
Rückwirkung von betrieblichen Normen beachtet. BGH, Urt. v. 28.6.2012 – I ZR 110/11 – Traum-Kom-
[53] ... Ein Arbeitnehmer kann auf den unveränderten bi –
Fortbestand von betriebsvereinbarungsoffen ausgestalte- (OLG Köln – 6 U 220/10; LG Köln)
ten Sozialleistungen, die ihm bei Vertragsbeginn oder im
Verlauf seines Arbeitsverhältnisses gewährt werden, Sachverhalt:
nicht vertrauen. ... Dispositionen, die von Arbeitnehmern Die Beklagten bieten die Lieferung frisch zubereiteter Speisen
auf der Grundlage der ihnen zunächst erbrachten Leis- wie Pizza und Aufläufe sowie u.a. von verpackten Getränken
tungen getroffen werden, sind daher grundsätzlich nicht an, wobei die Speisen und Getränke auch von den Kunden abge-
schutzwürdig. Der den Betriebsparteien zustehende holt werden können. Sie warben auf einem Faltblatt u.a. für die
Handlungsraum würde ansonsten in unvertretbarer Wei- Getränke „5 l Fass ... Pils“ und „Chianti ... 0,75 l“ sowie die
se zu Lasten der Anpassungsfähigkeit von betrieblichen Eiscreme „Cookie ... Cup 500 ml“ unter Angabe der jeweiligen
Regelungen begrenzt. Der von ihnen zu beachtende Ver- Endpreise, aber ohne Angabe der entsprechenden Grundpreise.
trauensschutz geht daher nicht soweit, den normunter- Der Kläger beanstandet das als Verstoß gegen § 2 Abs. 1 PAngV
worfenen Personenkreis vor Enttäuschungen zu bewah- und zugleich als wettbewerbswidrig. Der Klage (u.a. auf Unter-
ren. Dessen Erwartung in den unveränderten Fort- lassung) hatte erst das Berufungsgericht stattgegeben (OLG
bestand der bisher gewährten Leistungen begrenzt die in- Köln GRUR-RR 2011, 472). Die Revision bleibt erfolglos.
haltliche Ausgestaltung einer betrieblichen Regelung des-
halb regelmäßig nicht. ... Will der Arbeitnehmer eine sol- Aus den Gründen:
che Enttäuschung vermeiden, ist er gehalten, die entspre- [8] Das Berufungsgericht hat ... mit Recht klargestellt, dass sich
chende Leistung entweder im Arbeitsvertrag gesondert das ... Verbot nicht auf die Werbung für die Kombinationsange-
zu vereinbaren oder sie darin betriebsvereinbarungsfest bote der Beklagten – wie etwa das Angebot eines aus einer Fami-
auszugestalten (Linsenmaier, FS Kreutz, S. 285, 296). lienpizza und einem kleinen Fässchen Bier bestehenden „Party-
Pakets“ – bezieht. Nach § 9 Abs. 4 Nr. 2 PAngV besteht keine
[Rz. 54-55] ...
Verpflichtung zur Nennung des Grundpreises für Waren, die ver-
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) schiedenartige, nicht miteinander vermischte oder vermengte Er-
zeugnisse enthalten. ...
[9] Die Revision zieht mit Recht nicht in Zweifel, dass
die beanstandete Werbung der Beklagten die Vorausset-
zungen erfüllt, unter denen ein gewerbsmäßiger Anbieter
von Waren in Fertigpackungen nach § 2 Abs. 1 PAngV
Wettbewerbsrecht und gewerblicher grundsätzlich neben dem Endpreis auch den Grundpreis
Rechtsschutz anzugeben hat. ...
[12] Soweit die Beklagten Getränke und Eiscreme in Fer-
Fehlende Neuheit einer Stoffzusammensetzung tigpackungen gesondert zu einem eigenen Preis – also
nicht in Kombination mit Speisen (s. dazu oben Rz. 9) –
anbieten und bewerben, steht ihnen die Ausnahmerege-
EPÜ Art. 54 Abs. 2; PatG § 3 Abs. 1 lung des § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV nicht zur Seite. Die Vo-
raussetzungen dieser Bestimmung sind im Streitfall nicht
Eine auf dem Markt erhältliche Stoffzusammenset- gegeben.
zung ist jedenfalls dann nicht neu, wenn die Zusam- [13] § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV entbindet den Unternehmer
mensetzung vom Fachmann analysiert und ohne unzu- grundsätzlich nicht, für Waren, die er seinen Kunden im
mutbaren Aufwand reproduziert werden kann. Bei ei- Rahmen eines Lieferservice anbietet und die an sich unter
ner nicht ohne weiteres identifizierbaren komplexen die Bestimmung des § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV fallen, den
Zusammensetzung reicht es hierfür aus, wenn der Grundpreis anzugeben. ... Allein der Umstand, dass der
Fachmann eine überschaubare Anzahl plausibler Hy- Unternehmer anbietet, diese Waren dem Kunden nach
pothesen über die mögliche Beschaffenheit der Zu- Hause zu liefern, führt nicht dazu, dass das Angebot
sammensetzung entwickeln kann, von denen sich eine i.S.v. § 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV „im Rahmen einer Dienst-
mit den ihm zur Verfügung stehenden Analysemög- leistung“ erfolgt. Mit Recht hat das Berufungsgericht da-
lichkeiten verifizieren lässt. rauf hingewiesen, dass die Transportdienstleistung in die-
sem Fall gegenüber der Lieferung der Waren zurücktritt.
BGH, Urt. v. 23.10.2012 – X ZR 120/11 – Gelomyr- Entgegen der Auffassung der Revision reicht es für den
tol – Dispens von der Verpflichtung zur Angabe des Grund-
(BPatG – 3 Ni 7/10 [EU]) preises nicht aus, dass im Zusammenhang mit der Liefe-
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) rung der Waren auch eine Dienstleistung angeboten
wird.
[15] Auch der Umstand, dass die Beklagten den Wein, das Bier
und die Eiscreme im Zusammenhang mit der Lieferung von
Grundpreisangabepflicht eines Speisenlieferdienstes Speisen anbieten, die erst noch zubereitet werden müssen, führt
für andere Waren zu keinem anderen Ergebnis.
Zugeschnitten ist die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 4
UWG §§ 3, 4 Nr. 11; PAngV §§ 2 Abs. 1, 9 Abs. 4 Nr. 4 PAngV u.a. auf Gaststätten, deren Angebot sich
Nr. 2, Nr. 4 nicht nur darauf bezieht, dass Speisen zubereitet und dar-
gereicht werden und dem Gast Räumlichkeiten zur Ver-
Ein Lieferdienst, der neben der Lieferung von Speisen, fügung gestellt werden, in denen er die zubereiteten Spei-
die noch zubereitet werden müssen (hier: Pizza), auch sen verzehren kann, sondern auch darauf, das beispiels-
die Lieferung anderer, in Fertigpackungen verpackter weise Getränke in der Flasche, also in Fertigpackungen,
Waren (hier: Bier, Wein oder Eiscreme) zu einem be- oder offen, also als nach Volumen bemessene Verkaufs-
einheit ohne Umhüllung, angeboten werden. Hier tritt 2. Ein Zitatzweck liegt nur vor, wenn das als Zitat
die Lieferung der Getränke gegenüber den Dienstleistun- übernommene Werk dem aufnehmenden Werk dient.
gen klar in den Hintergrund. Werden Lebensmittel (Bier, Die absolute Grenze des zulässigen Zitatzwecks ist
Wein und Eiscreme) dagegen in Fertigpackungen neben überschritten, wenn nicht das zitierte Werk dem neuen
den zubereiteten Speisen (Pizza) nach Hause geliefert, Werk dient, sondern das neue Werk lediglich den Rah-
steht die Warenlieferung ähnlich wie beim Straßenver- men für eine Nutzung des aufgenommenen Werks dar-
kauf durch eine Gaststätte (vgl. dazu Zipfel/Rathke, Le- stellt.
bensmittelrecht, C 119, Lief. Juli 2006, § 9 PAngV
Rz. 19; Ernst in MünchKomm/UWG, Anh. §§ 1-7 G § 9 3. Die urheberrechtlichen Verwertungsrechte umfas-
PAngV Rz. 15) im Vordergrund mit der Folge, dass die sen auch die Befugnis, von der Verwertung eines
Ausnahmeregelung hierauf keine Anwendung findet. Werks abzusehen. Der Entscheidung, ein Werk nicht
[Rz. 16-19] ... zu verwerten, kommt wirtschaftliches Gewicht in
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) eben dem Umfang zu, in dem eine Verwertung zu Ein-
nahmen führen könnte.
4. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG
Promi-Foto mit werbender Wortberichterstattung findet im Urheberrecht keine Anwendung. Eine einst-
weilige Verfügung kann jedoch zur Abwendung we-
sentlicher Nachteile für den Antragsteller erforderlich
KUG §§ 22 S. 1, 23 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; BGB § 812 sein, wenn ihm nicht zugemutet werden kann, ent-
Abs. 1 S. 1 gegen seinem Primäranspruch die drohende Verlet-
zung seiner Verwertungsrechte hinzunehmen, ins-
In der Veröffentlichung eines Fotos im redaktionellen besondere wenn die Beeinträchtigung durch Sekun-
Teil einer Zeitung, das eine sich unbeobachtet wäh- däransprüche nicht angemessen ausgeglichen werden
nende prominente Person bei der Lektüre einer Aus- kann. !
gabe dieser Zeitung zeigt, kann ein zur Zahlung eines
angemessenen Lizenzbetrags verpflichtender rechts- OLG München, Urt. v. 14.6.2012 – 29 U 1204/12
widriger Eingriff in den vermögensrechtlichen Be- (LG München I – 7 O 1533/12)
standteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegen,
wenn auch die das Foto begleitende Wortbericht- Sachverhalt:
erstattung ganz überwiegend werblichen Charakter Die Parteien streiten um die Veröffentlichung einer Broschüre
hat und sich die mit der Berichterstattung insgesamt mit Auszügen aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“ und Kommenta-
ren dazu. Nachdem der in Bayern gelegene Nachlass Hitlers
verbundene sachliche Information der Öffentlichkeit
gem. Art. 37 des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialis-
darauf beschränkt, dass die abgebildete Person in ih-
mus und Militarismus v. 5.3.1946 (BayBS III, S. 223) vollständig
rer Freizeit ein Exemplar dieser Zeitung liest. eingezogen worden war, übertrug die Bezirksfinanzdirektion
BGH, Urt. v. 31.5.2012 – I ZR 234/10 – Playboy am München am 26.1.1965 u.a. die Urheberrechte an „Mein
Sonntag – Kampf“ dem Antragsteller, dem Freistaat Bayern. Die Antrags-
(OLG Hamburg – 7 U 130/09; LG Hamburg) gegnerin zu 1., eine britische Private Limited Company, deren
Geschäftsführer der Antragsgegner zu 2. ist, kündigte für die
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) von ihr verlegte Zeitschrift „Zeitungszeugen“ eine Beilage mit
dem Titel „Das unlesbare Buch“ an. In dieser Beilage werden
Textstellen aus „Mein Kampf“ Anmerkungen gegenüber gestellt,
Aufruf der Verbraucherzentrale zur Kontenkündigung die von Professor Dr. P. vom Institut für Journalistik der Tech-
nischen Universität D. stammen. Der Antragsteller beanstandet
die Veröffentlichung der Zeitschriftenbeilage als eine Verletzung
seiner Verwertungsrechte an „Mein Kampf“. Die einstweilige
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1; BGB § 823 Abs. 1 Verbotsverfügung hat das Landgericht aufrechterhalten (vgl. LG
Der Aufruf einer Verbraucherzentrale, Banken zur München I ZUM 2012, 409). Die Berufung bleibt erfolglos.
Kündigung von Konten aufzufordern, welche Betrei-
ber sog. Abofallen im Internet bei ihnen unterhalten, Aus den Gründen:
kann von der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Dem Antragsteller stehen die geltend gemachten Unter-
GG) gedeckt sein. ! lassungsansprüche gegen beide Antragsgegner aus § 97
Abs. 1 Satz 2 UrhG zu. ... Den spaltenweise in die Zeit-
OLG München, Urt. v. 15.11.2012 – 29 U 1481/12 schriftenbeilage aufgenommenen Auszügen aus „Mein
(LG München I – 33 O 24690/11) Kampf“ kommt. ... die Qualität als Schriftwerk i.S.d. § 2
Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 129 Abs. 1 Satz 1 UrhG zu. Deren
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
Veröffentlichung greift in das Vervielfältigungsrecht
(§ 16 UrhG) und das Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG) an
dem Gesamtwerk ein, da sie ohne Zustimmung des An-
Grenzen des zulässigen Zitatzwecks tragstellers als Rechteinhaber erfolgt. ... Die Antragsgeg-
ner berufen sich ohne Erfolg darauf, dass die Veröffent-
lichung durch die urheberrechtliche Schranke des Zitat-
UrhG § 51; GG Art. 5; ZPO § 940 rechts gem. § 51 UrhG gerechtfertigt sei. ...
Zu welchen Zwecken ein Zitat zulässig ist, ergibt sich
1. Das Erfordernis des Zitatzwecks erstreckt sich auf aus der Funktion der Urheberrechtsschranke der Zitier-
alle – in § 51 Satz 1 UrhG allgemein geregelten - Arten freiheit. Diese soll im Interesse des allgemeinen kulturel-
des Zitats. Ist eine Werkwiedergabe nicht von einem len und wissenschaftlichen Fortschritts der Freiheit der
Zitatzweck getragen, so ist sie auch dann unzulässig, geistigen Auseinandersetzung mit fremden Gedanken
wenn sie im Übrigen die Voraussetzungen einer der in dienen (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.2011 – I ZR 212/10 –
§ 51 Satz 2 UrhG angeführten Alternativen erfüllt. Tz. 28, juris – Blühende Landschaften; v. 30.6.1994 – I
ZR 32/92 – Museumskatalog, MDR 1995, 381 = GRUR Die in eigenen Spalten wiedergegebenen Textstellen aus
1994, 800 [803]; jeweils m.w.N.). Da der Urheber bei „Mein Kampf“ dienen nicht als Beleg oder Erörterungs-
seinem Schaffen selbst auf den kulturellen Leistungen sei- grundlage für die ihnen zugeordneten Kommentare. Die
ner Vorgänger aufbaut, wird ihm seinerseits im Interesse Kommentare enthalten in ihrem Fließtext kurze, durch
der Allgemeinheit zugemutet, einen verhältnismäßig ge- Anführungsstriche gekennzeichnete Textstellen aus
ringfügigen Eingriff in sein ausschließliches Verwertungs- „Mein Kampf“, die Beleg und Grundlage für die Erörte-
recht hinzunehmen, allerdings nur, wenn dies der geisti- rungen des Kommentarautors darstellen und deren Wie-
gen Kommunikation und damit der Förderung des kultu- dergabe von § 51 UrhG gedeckt ist, soweit die Stellen
rellen Lebens zum Nutzen der Allgemeinheit dient (vgl. trotz ihrer Kürze Werkqualität haben und es daher einer
BGH v. 4.12.1986 – I ZR 189/84 – Filmzitat, MDR Rechtfertigung bedarf. Mit diesen kurzen Zitaten sind
1987, 381 = GRUR 1987, 362 f. m.w.N.). die Kommentare in sich geschlossene Darstellungen, die
keiner weiteren Heranziehung von Stellen aus dem zitier-
Zitate sollen als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage ten Werk bedürfen, um den darin entwickelten Gedan-
für selbständige Ausführungen des Zitierenden der Er- kengang zu belegen. Die darüber hinausgehenden länge-
leichterung der geistigen Auseinandersetzung dienen; es ren Textstellen aus „Mein Kampf“, die den Kommenta-
genügt daher nicht, wenn die Verwendung des fremden ren zugeordnet sind, dienen deshalb nicht als Belegstelle
Werks nur zum Ziel hat, dieses leichter zugänglich zu oder Erörterungsgrundlage für eigene Gedanken, son-
machen (vgl. BGH v. 30.11.2011, a.a.O. – Rz. 12 dern lediglich der Zugänglichmachung der Werk-
m.w.N.) oder um seiner selbst willen zur Kenntnis der abschnitte, in denen die im Fließtext des Kommentars
Allgemeinheit zu bringen; ebenso wenig reicht es aus, angeführten Zitate zu finden sind. Dass sie in assoziati-
dass ein Werk in einer bloß äußerlichen zusammenhang- vem Zusammenhang mit den Darlegungen in den Kom-
losen Weise eingefügt und angehängt (vgl. BGH v. mentaren stehen oder diese illustrieren mögen, begründet
30.11.2011, a.a.O. – Rz. 28 m.w.N.) oder zur bloßen Il- entgegen der Auffassung der Antragsgegner für sich allei-
lustration des zitierenden Werks verwendet wird (vgl. ne keinen rechtfertigenden Zitatzweck. ...
BGH v. 5.10.2010 – I ZR 127/09 – Rz. 23, MDR 2011,
557 = GRUR 2011, 415 – Kunstausstellung im Online- Die Wiedergabe der Textstellen aus „Mein Kampf“ in
Archiv). Zulässig ist ein Zitat nur, wenn nicht nur eine ganzen Spalten, die einzelnen Kommentaren zugeordnet
innere Verbindung zwischen dem verwendeten fremden sind, dient auch nicht dem Beleg der stilkritischen Aus-
Werk und eigenen Gedanken des Zitierenden hergestellt sagen. ... Denn diese Aussagen werden lediglich gänzlich
wird, sondern das Zitat auch als Belegstelle oder Erörte- pauschal aufgestellt und nicht mit konkreten Formulie-
rungsgrundlage für selbständige Ausführungen des Zitie- rungen aus „Mein Kampf“ verknüpft; muss sich aber der
renden dient (vgl. BGH v. 30.11.2011, a.a.O. – Rz. 28 Leser die Textstellen, die diese Bewertungen stützen
m.w.N.). Entscheidend ist, dass das Zitat nur Hilfsmittel könnten, erst selbst aus der Fülle des gebotenen Materi-
zum Verständnis der eigenen Darstellung bleibt; das zi- als heraussuchen, so kann nicht mehr davon gesprochen
tierende Werk muss die Hauptsache, das Zitat die Ne- werden, dass das Material Beleg oder Erörterungsgrund-
bensache bleiben (vgl. BGH v. 30.6.1994, a.a.O.). Auf lage für die Aussagen sei. ...
der Grundlage dieser Rechtsprechung ist das LG zu Zwar ist dem Antragsteller als juristischer Person des öf-
Recht davon ausgegangen, dass das als Zitat übernom- fentlichen Rechts die Berufung auf Grundrechte wie die
mene Werk dem aufnehmenden Werk dienen muss und Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG, die den Schutz des
die absolute Grenze des zulässigen Zitatzwecks über- geistigen Eigentums und hier insbesondere des Urheber-
schritten ist, wenn nicht das zitierte Werk dem neuen rechts erfasst (vgl. BVerfG v. 29.6.2000 – 1 BvR 825/98,
Werk dient, sondern das neue Werk lediglich den Rah- GRUR 2001, 149 [151] – Germania 3), grundsätzlich
men für eine Nutzung des aufgenommenen Werks dar- verwehrt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.12.2008 – 1 BvR
stellt. ... 1665/08 – Rz. 4, juris m.w.N.), selbst wenn er außerhalb
Die auf der Sozialbindung des geistigen Eigentums beru- des Bereichs der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben
henden Schrankenbestimmungen der §§ 45 ff. UrhG sind handelt (vgl. BVerfG v. 21.2.2008 – 1 BvR 1987/07 –
generell eng auszulegen (vgl. BGH v. 30.11.2011, a.a.O. Rz. 9, NVwZ 2008, 778 – Schacht Konrad m.w.N.).
– Rz. 28 m.w.N.). Eine über den Zitatzweck hinaus- Gleichwohl ist bei der Abwägung sein ihm als Inhaber
gehende erweiternde Auslegung des § 51 UrhG ist auch der in Rede stehenden urheberrechtlichen Verwertungs-
nicht mit Blick auf die durch diese Schrankenbestim- rechte von der Rechtsordnung zugewiesenes Recht zu be-
mung grundsätzlich geschützten Interessen der daran Be- rücksichtigen, über die Verwertung von „Mein Kampf“
teiligten geboten (vgl. BGH v. 30.11.2011, a.a.O. – zu entscheiden. Dabei ist zu beachten, dass urheberrecht-
Rz. 27). Das Urheberrechtsgesetz enthält grundsätzlich liche Verwertungsrechte auch die Befugnis umfassen, von
eine abschließende Regelung der aus dem Urheberrecht der Verwertung eines Werks abzusehen. Entschließt sich
fließenden Befugnisse. ... Für eine außerhalb der urheber- der Inhaber eines Verwertungsrechts, auf die Einnahmen
rechtlichen Verwertungsbefugnisse sowie der Schranken- zu verzichten, die er durch die Werknutzung erlangen
bestimmungen der §§ 45 ff. UrhG angesiedelte allgemei- könnte, so führt das nicht dazu, dass seine Position bei
ne Güter- und Interessenabwägung ist danach kein Raum der Abwägung der gegenläufigen Belange zwangsläufig
(vgl. BGH v. 5.10.2010, a.a.O. – Rz. 24; v. 29.4.2010 – I zurücktreten müsste, weil sie wirtschaftlich unergiebig
ZR 69/08 – Rz. 27, MDR 2010, 884 = GRUR 2010, 628 sein mag. Vielmehr kommt auch der Entscheidung, ein
– Vorschaubilder I; v. 20.3.2003 – I ZR 117/00, MDR Werk nicht zu verwerten, wirtschaftliches Gewicht in
2003, 1305 = GRUR 2003, 956 f. – Gies-Adler). Dies eben dem Umfang zu, in dem eine Verwertung zu Ein-
gilt umso mehr, als die durch die Neufassung des § 51 nahmen führen könnte. ...
UrhG im Jahr 2007 umgesetzte Richtlinie 2001/29/EG Ansprüche gegen ein Presseunternehmen oder dessen Or-
zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheber- gane auf Unterlassung der Veröffentlichung eines Bei-
rechts und der verwandten Schutzrechte in der Informa- trags betreffen die Zulässigkeit einer bestimmten Äuße-
tionsgesellschaft (ABl. Nr. L 167, S. 10) in ihrem – ab- rung; diese beurteilt sich nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG,
schließenden (vgl. Erwägungsgrund 32) – Schrankenka- auch wenn sie in der Presse veröffentlicht wird (vgl.
talog das Zitat ebenfalls nur in dem Umfang gestattet, in BVerfG v. 21.3.2007 – 1 BvR 2231/03, NJW 2007,
dem es durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist 2686 f. m.w.N.). ... Das Grundrecht der Meinungsfrei-
(vgl. Art. 5 Abs. 3 lit. c, Abs. 4 der RL). ... heit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG wird indes nach Art. 5
Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze eingeschränkt. Rechtsauffassung gebunden gewesen wäre. Das ist je-
... Dem Interesse der Allgemeinheit an einem ungehinder- doch nicht der Fall.
ten Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken [18] Grundsätzlich gilt auch im sofortigen Beschwerde-
trägt § 51 UrhG dadurch Rechnung, dass eine Werknut- verfahren die Bindungswirkung des § 563 Abs. 2 ZPO
zung erlaubt ist, sofern sie einem Zitatzweck dient. Zu entsprechend (§ 577 Abs. 4 Satz 4 ZPO). Hebt das Be-
einem darüber hinausgehenden Eingriff in die Rechte des schwerdegericht einen mit der sofortigen Beschwerde an-
Antragstellers sind die Antragsgegner auch nicht auf gefochtenen Beschluss auf und verweist es die Sache zur
Grund der Meinungsfreiheit berechtigt (vgl. BGH v. erneuten Entscheidung an das Ausgangsgericht zurück,
21.4.2005 – I ZR 1/02, MDR 2006, 104 = GRUR 2005, ist dieses an die vom Beschwerdegericht vertretene
940 [942] – Marktstudien m.w.N.). ... Rechtsansicht, welche der Aufhebung zugrunde lag, ge-
Der Antragsteller missbraucht mit der Verfolgung seiner bunden (§ 563 Abs. 2, § 577 Abs. 4 Satz 4 ZPO analog).
urheberrechtlichen Unterlassungsansprüche auch nicht Entscheidet das Ausgangsgericht entsprechend, ist seine
eine formale Rechtsposition zur Durchsetzung gesetzes- Entscheidung rechtmäßig. Das Beschwerdegericht kann
fremder Zwecke. Entgegen der Auffassung der Antrags- seiner zweiten Entscheidung deshalb nicht eine andere
gegner gibt es keine gesetzgeberische Grundentschei- Rechtsauffassung zugrunde legen als die, auf der sein zu-
dung, dass die Verbreitung nationalsozialistischen Ge- rückverweisender Beschluss beruhte.
dankenguts nur durch die Anwendung strafrechtlicher [19] Von der Bindungswirkung sind jedoch im Revisions-
Normen verhindert werden dürfe. Vielmehr ist es ange- recht verschiedene Ausnahmen allgemein anerkannt: die
sichts der Bedeutung, welche die Verhinderung einer pro- Änderung des zugrunde liegenden Sachverhalts, eine zwi-
pagandistischen Affirmation der nationalsozialistischen schenzeitlich veröffentlichte, abweichende Entscheidung
Gewalt- und Willkürherrschaft für die deutsche Staat- des BVerfG oder des Gerichtshofs der Europäischen Uni-
lichkeit hat (vgl. BVerfG v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08, on oder die Aufgabe anderslautender Rechtsprechung
Tz. 65, NJW 2010, 47), ohne weiteres gerechtfertigt, durch das Revisionsgericht oder des GmS-OGB, Beschl.
dass der Antragsteller auch die ihm durch das Urheber- v. 6.2.1973 – GmS-OGB 1/72, BGHZ 60, 392 (395 f.);
recht eröffneten Möglichkeiten nutzt, einer Verbreitung ... BGH, Urt. v. 21.11.2006 – XI ZR 347/05 – Rz. 20,
nationalsozialistischer Schriften – mag sie auch straf- NJW 2007, 1127; ... .
rechtlich unbedenklich sein – entgegenzuwirken. [20] Das Revisionsgericht kann nicht mehr an die der
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung
gebunden sein, wenn es inzwischen selbst seine Rechts-
auffassung geändert hat. Es ist zu berücksichtigen, dass
bei der Bedeutung höchstrichterlicher Rechtsprechung
für die Auslegung und Anwendung von Gesetzen in den
Augen der Rechtsuchenden eine neue Rechtsprechung
Verfahrensrecht des Revisionsgerichts gegenüber seiner inzwischen auf-
gegebenen Rechtsprechung die höhere Autorität genießt
Bindungswirkung im Beschwerdeverfahren und daher nunmehr als zutreffende Auslegung des Rechts
angesehen wird. Der durch diese Vorschriften angeord-
neten Institutionalisierung der Autorität höchstrichterli-
cher Rechtsprechung würde es geradezu widersprechen,
ZPO §§ 563 Abs. 2, 577 Abs. 4 S. 4 wenn die Bindung an eine inzwischen aufgegebene
Ein Beschwerdegericht, das eine Sache an die erste In- höchstrichterliche Rechtsprechung weiter bestehen wür-
stanz zurückverwiesen hat, ist, wenn es erneut damit de. Die Rechtsfortbildung muss zudem gegenüber der
befasst wird, nicht mehr an seine entscheidungserheb- Bindung an die alte, inzwischen aufgegebene Rechtsauf-
liche Rechtsansicht gebunden, wenn zwischenzeitlich fassung das größere Gewicht haben. Infolgedessen muss
erstmalig eine davon abweichende höchstrichterliche der prozessuale Grundsatz der Bindung und der Selbst-
Entscheidung ergangen ist. bindung zurücktreten hinter dem, was die Rechtspre-
chung nunmehr sachlich als rechtens erkannt hat. Denn
BGH, Beschl. v. 22.11.2012 – VII ZB 42/11 es erscheint nicht vertretbar, das Urteil auf eine Rechts-
(OLG Karlsruhe – 11 W 43/08; LG Karlsruhe) auffassung zu stützen, die mit einer neuen höchstrichter-
lichen Rechtsprechung nicht in Einklang steht (GmS-
Aus den Gründen: OGB, a.a.O.).
[15] Das Beschwerdegericht hat zu Recht die Erstat- [21] Diese Grundsätze finden auch dann Anwendung,
tungsfähigkeit der Gebühren für den tschechischen Ver- wenn ein Beschwerdegericht nach Aufhebung und Zu-
kehrsanwalt nach § 91 ZPO und deren Höhe nach den rückverweisung an das Ausgangsgericht erneut mit der
Sätzen der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung beur- Sache befasst wird (vgl. dazu OLG Schleswig v.
teilt. 25.10.2007 – 5 U 196/00, OLGReport Schleswig 2008,
[16] Der BGH hat bereits mehrfach entschieden, dass 118; ...).
sich sowohl die Frage der generellen Erstattungsfähigkeit [22] In gleicher Weise entfällt die Bindungswirkung,
der Kosten eines ausländischen Rechtsanwaltes als auch wenn es nicht zu einer Änderung der höchstrichterlichen
die Höhe dieser Kosten nach deutschem Recht richtet Rechtsprechung gekommen ist, sondern zwischenzeitlich
(BGH, Beschl. v. 28.9.2011 – I ZB 97/09, MDR 2012, – wie hier durch den Beschluss des BGH v. 8.3.2005 –
192 = NJW 2012, 938; ...). Dem schließt sich der erken- VIII ZB 55/04, MDR 2005, 895 = NJW 2005, 1373 –
nende Senat an und verweist zur Begründung auf die ge- erstmalig eine von der Rechtsauffassung des Beschwerde-
nannten Entscheidungen. Die Rechtsbeschwerde bringt gerichts abweichende höchstrichterliche Entscheidung er-
keine neuen Argumente gegen diese Rechtsprechung vor. gangen ist. Auch in diesem Fall hat die Wahrung der Ein-
[17] Der Senat ist an dieser Entscheidung nicht dadurch heitlichkeit der Rechtsprechung und die Autorität der
gehindert, dass das Beschwerdegericht in seiner ersten höchstrichterlichen Rechtsprechung Vorrang vor dem
Entscheidung eine gegenteilige Rechtsauffassung vertre- formalen Gesichtspunkt der Selbstbindung. [Rz. 23-24]
ten hat. Etwas anderes könnte gelten, wenn das Be- ...
schwerdegericht bei seiner zweiten Entscheidung an diese Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
[679]; Wieczorek/Schütze/Hausmann, ZPO, 3. Aufl., nen Schluss darauf zu, das Rechtsmittel habe sich nicht
§ 29 Rz. 97; Schack, Der Erfüllungsort im deutschen, gegen die Hauptsacheentscheidung richten sollen. Tat-
ausländischen und internationalen Privat- und Zivilpro- sächlich hat auch das OLG das eingelegte Rechtsmittel
zessrecht, 1985, Rz. 174). Davon ist auch der Gesetz- von Beginn an als Berufung gegen die Hauptsacheent-
geber bei der Neufassung des § 29 ZPO im Rahmen der scheidung verstanden und es entsprechend behandelt. In
Gerichtsstandsnovelle des Jahres 1974 ausgegangen, als der Geschäftsstelle des OLG ist die Sache als Rechtsmit-
er Vereinbarungen über den Erfüllungsort nur für den in tel gegen eine Hauptsacheentscheidung unter dem
Abs. 2 genannten Personenkreis noch zuständigkeits- „UF“-Registerzeichen eingetragen worden und nicht –
begründende Wirkungen hatte beimessen wollen, um zu wie bei der Beschwerde gegen einen Prozesskostenhilfe-
verhindern, dass anderen Verkehrskreisen ein für sie un- beschluss – unter dem „WF“-Registerzeichen. Als ange-
günstiger, vom gesetzlichen beziehungsweise wirklichen fochtene Entscheidung hat die Geschäftsstelle eingetra-
Leistungsort abweichender Gerichtsstand aufgedrängt gen: „gegen eine sonstige Entscheidung vom 11.10.11“.
werden kann, ohne dass ihnen dies bewusst wird (BT- Der Senatsvorsitzende des OLG hat diese Angaben und
Drucks. 7/268, 5 f.). [Rz. 28] ... die Aktenzeichenvergabe durch seine Eingangsverfügung
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) vom 22.11.2011 bestätigt sowie als Gegenstand des Ver-
fahrens die Rubrik „UF Berufung/Beschwerde
Unterhalt f. d. Ehegatten/Lebenspartner“ markiert und
nicht die Rubrik „WF Sonstige Beschwerden VKH/PKH-
Berufung unter Falschbezeichnung der angefochtenen Sache“. Die damit verfügte Eintragung des Verfahrens
Entscheidung als Rechtsmittel gegen die Hauptsacheentscheidung vom
11.10.2011 spiegelt den – auch objektiv zutreffenden –
Empfängerhorizont des Gerichts im Zeitpunkt des Ein-
ZPO §§ 233, 517, 519 Abs. 3 gangs der Sache wider, noch bevor erst am darauffolgen-
Die Berufung ist auch bei Falschbezeichnung der an- den Tag der „klarstellende“ Schriftsatz beim OLG vor-
gefochtenen Entscheidung und des statthaften Rechts- lag. [Rz. 16-19] ...
mittels in der Rechtsmittelfrist zulässig eingelegt, Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
wenn das Berufungsgericht sie vor Ablauf der Rechts-
mittelfrist anhand der vorliegenden Akten eindeutig
zugeordnet hat.
Erfolgreiche Ablehnung eines Sachverständigen
BGH, Beschl. v. 7.11.2012 – XII ZB 325/12
(OLG Hamm – 1 UF 295/11; AG Bielefeld)
ZPO §§ 42, 406
Aus den Gründen:
[15] Die gegen das erstinstanzliche Urteil statthafte Beru- Berufliche Kontakte zwischen einem gerichtlich be-
fung ist rechtzeitig durch die innerhalb der Berufungsfrist auftragten Sachverständigen und einer Person, die für
beim OLG eingegangene erste Rechtsmittelschrift einge- eine Prozesspartei Leistungen, die in einem Zusam-
legt worden. In der Rechtsmittelschrift waren sowohl menhang mit dem im Rechtsstreit zu entscheidenden
das erstinstanzliche Aktenzeichen als auch das Kurz- Sachverhalt stehen, erbracht hat oder nach wie vor er-
rubrum korrekt angegeben, so dass kein Zweifel bestand, bringt, vermögen nicht ohne weiteres die Besorgnis
welcher Rechtssache es zuzuordnen war. Auch war das der Befangenheit des Sachverständigen zu begründen.
Rechtsmittel von demselben Rechtsanwalt eingelegt wor- Dies ist regelmäßig erst dann der Fall, wenn über der-
den, der den Kläger bereits in der Vorinstanz vertreten artige Kontakte hinausgehende enge fachliche oder
hatte, so dass durch einen Abgleich der Rechtsmittel- persönliche Beziehungen zwischen dem Sachverstän-
schrift mit der beim OLG zeitgleich eingegangenen Akte digen und der Person bestehen, die für eine Prozess-
nicht zweifelhaft sein konnte, für welche Partei das partei derartige Leistungen erbracht hat oder er-
Rechtsmittel eingelegt war (vgl. BGH, Beschl. v. bringt. !
12.1.2010 – VIII ZB 64/09, juris). Zwar waren in der
Rechtsmittelschrift die angefochtene Entscheidung und OLG Hamm, Beschl. v. 8.11.201 – I-32 W 24/12
das statthafte Rechtsmittel falsch bezeichnet; außerdem
war sie unrichtiger Weise beim erstinstanzlichen Gericht Aus den Gründen:
statt beim Rechtsmittelgericht eingereicht worden. Hie- ... Die sofortige Beschwerde ist ... begründet. Nach den
raus konnte jedoch nicht der Schluss gezogen werden, §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 1, Abs. 2 ZPO kann ein Sachver-
dass der Kläger sich gegen den antragsgemäß zu seinen ständiger wegen der Besorgnis der Befangenheit abge-
Gunsten und ratenfrei ergangenen Prozesskostenhilfe- lehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist,
beschluss vom 4.11.2011 wenden wollte. Die Falsch- Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.
bezeichnungen in der Rechtsmittelschrift waren evident, Es müssen Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel
weil der Kläger durch die Entscheidung vom 4.11.2011 an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des abge-
offensichtlich nicht beschwert war. Außerdem hat der lehnten Sachverständigen aufkommen lassen. Als solche
Kläger zugleich beantragt, ihm „Verfahrenskostenhilfe Umstände können nur objektive Gründe gelten, die vom
für das Beschwerdeverfahren“ zu bewilligen. Auch da- Standpunkt der ablehnenden Partei aus bei vernünftiger
raus wurde ersichtlich, dass sich das Rechtsmittel gegen Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sach-
eine Hauptsacheentscheidung – insoweit kam nur das Ur- verständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen ge-
teil vom 11.10.2011 in Betracht – richten sollte. Die fal- genüber. Die Ablehnung setzt dabei nicht voraus, dass
sche Bezeichnung der Entscheidungsform („Beschluss“ der Sachverständige tatsächlich parteilich ist. Vielmehr
statt „Urteil“) und die falsche Einlegung des Rechtsmit- rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden Partei er-
tels beim erstinstanzlichen Gericht mögen – wie auch das weckte Anschein fehlender Neutralität die Ablehnung
OLG in Betracht zieht – dadurch zu erklären sein, dass wegen der Besorgnis der Befangenheit. Hier begründet –
vom Klägervertreter übersehen wurde, dass hier noch ein entgegen der Auffassung des LG – die gemeinsame For-
Verfahren nach dem bis zum 31.8.2009 geltenden alten schungsarbeit des abgelehnten Sachverständigen mit
Verfahrensrecht vorliegt. Sie lassen daher ebenfalls kei- Herrn Prof. Dr. V2 aus der Sicht einer verständigen Par-
tei in der Position des Beklagten die Besorgnis, dass der § 122 Abs. 1 Ziff. 1a) ZPO geschützt, es sei denn,
Sachverständige zu seinen Lasten voreingenommen ist. auch dem Prozessgegner ist ratenfreie Prozesskosten-
Allerdings kann nicht jede persönliche und/oder berufli- hilfe bewilligt. !
che Beziehung eines Sachverständigen zu einem Berufs-
kollegen, der für eine Partei tätig geworden ist oder nach OLG Frankfurt, Beschl. v. 27.9.2012 – 18 W 162/12
wie vor für sie tätig ist, die Besorgnis seiner Befangenheit (LG Frankfurt – 2-5 O 84/11)
begründen. Es ist schon vom Grundsatz her nicht zu be-
anstanden, dass sich Experten und Wissenschaftler der- Aus den Gründen:
selben Fachrichtung – wie hier der abgelehnte Sachver- ... Gemäß § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 1222
ständige und Herr Prof. Dr. V2 – auf Fachtagungen und Ziff. 3 KV GKG fällt für ein durch gerichtlichen Ver-
in Veröffentlichungen gegenseitig austauschen. Ein sol- gleich beendetes Berufungsverfahren eine Gebühr nach
cher Informationsaustausch ist im Bereich der Wissen- § 34 GKG zu einem Satz von 2,0 an. ...
schaft unerlässlich und trägt auch zu einem möglichst Diese Kosten schuldet die Klägerin zur Hälfte. Dies folgt
hohen Standard von gerichtlich beauftragten Sachver- aus § 29 Nr. 2, Alt. 2 GKG. Nach dieser Regelung schul-
ständigengutachten bei. Es ist auch nicht unüblich und det die Gerichtskosten auch derjenige, der die Kosten in
nicht selten sogar unvermeidlich, dass sich Experten und einem vor Gericht abgeschlossenen Vergleich übernom-
Wissenschaftler, die in demselben Fachgebiet tätig sind, men hat. Ein solcher Vergleich liegt vor. Die Bestimmung
persönlich kennen, beispielsweise von Fachtagungen her, in dem von den Parteien am 28.2.2012 geschlossenen
und auch in denselben Fachzeitschriften – wie hier der Vergleich, der zufolge die Kosten des Rechtsstreits gegen-
abgelehnte Sachverständige und Herr Prof. Dr. V2 in einander aufgehoben werden, ist dahin zu verstehen,
dem Stahlbaukalender – eigene Beiträge veröffentlichen. dass sich jede Partei verpflichtet hat, ihre eigenen Kosten
Ebenso ist üblich, dass Experten der gleichen Fachrich- sowie die Hälfte der Gerichtskosten zu tragen (vgl. Voll-
tung auf Kongressen, in denen ein fachlicher Austausch kommer/Herget in Zöller, Rz. 1 zu § 92 ZPO). Der auf
stattfindet, zusammenwirken. Diese Gesichtspunkte § 29 Nr. 2 GKG gründenden hälftigen Gerichtskosten-
müssen auch die Parteien eines Rechtsstreits beachten. schuld der Klägerin steht auch der Umstand nicht ent-
Deshalb können bloße berufliche Kontakte und ein be- gegen, dass ihr PKH bewilligt worden ist. Zwar be-
ruflich bedingter wissenschaftlicher und fachlicher Er- stimmt § 122 Abs. 1 Nr. 1 a) ZPO, dass die bedürftige
fahrungsaustausch von Experten und Wissenschaftlern Partei infolge der Bewilligung von PKH zumindest vor-
bei der gebotenen vernünftigen Betrachtung die Besorg- läufig von der Verpflichtung befreit ist, Gerichtskosten
nis der Befangenheit eines Sachverständigen noch nicht zu zahlen. Dies gilt aber nicht, wenn sie sich freiwillig
begründen. Um eine solche Besorgnis rechtfertigen zu dazu verpflichtet hat, diese Kosten ganz oder teilweise zu
können, müssen vielmehr darüber hinausgehende per- tragen. Aus der in der Regelung des § 31 Abs. 3 GKG
sönliche oder enge fachliche Beziehungen des Sachver- zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers
ständigen zu einem Berufskollegen bestehen (vgl. OLG ergibt sich, dass die Bewilligung von PKH nur Entschei-
Hamm, Beschl. v. 17.8.2011 – 32 W 15/11, MDR 2012, dungsschuldner i.S.v. § 29 Nr. 1 GKG davor schützt, Ge-
118; Beschl. v. 19.4.2011 – 1 W 24/11; OLG München, richtskosten tragen zu müssen. Dies ist sachgerecht, weil
Beschl. v. 8.11.2010 – 1 W 2337/10, juris; v. 27.10.2006 die bedürftige Partei selbst darüber entscheiden kann, ob
– 1 W 2277/06, NJW 2007, 1540; OLG Oldenburg v. sie zum Übernahmeschuldner i.S.v. § 29 Nr. 2 GKG
28.6.2007 – 5 W 77/07, MDR 2008, 44; OLG Düssel- wird. Eine aufgrund privatautonomer Entscheidung
dorf MedR 2005, 42 f.). Derart enge berufliche und fach- übernommene Kostentragungspflicht ist von anderer
liche Beziehungen bestehen hier zwischen dem Sachver- Qualität als eine durch gerichtliche Kostenentscheidung
ständigen Prof. Dr. V und Herrn Prof. Dr. V2. Wie der begründete, was eine unterschiedliche Behandlung recht-
abgelehnte Sachverständige im Verhandlungstermin vom fertigt (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 28.6.2000 – 1 BvR
16.8.2012 mitgeteilt hat, arbeiten beide im Bereich der 741/00, MDR 2000, 1157 = NJW 2000, 3271 = juris).
Forschung seit einem Jahr im Rahmen eines Projekts zur
Nachhaltigkeit von Bestandsgebäuden zusammen. Hier- Der Senat folgt in dem Beschluss des 3. Senat für Famili-
bei handele es sich um eine gemeinsame Forschungs- ensachen des OLG Frankfurt v. 20.9.2011 – 3 WF
arbeit. Herr Prof. Dr. V2 habe hier die Leitungsfunktion 100/11, JurBüro 2012, 154-156 = juris vertretenen ge-
inne. Aufgrund dieser engen fachlichen Zusammenarbeit genteiligen Auffassung nicht. Der 3. Senat für Familien-
besteht bei der gebotenen vernünftigen Betrachtung aus sachen geht bei seiner Argumentation von der Prämisse
der Sicht des Beklagten die nachvollziehbare Besorgnis, aus, § 31 Abs. 3 GKG regele (lediglich) die Inanspruch-
der Sachverständige Prof. Dr. V werde die ihm übertrage- nahme eines anderen Kostenschuldners und nicht die der
ne Begutachtung der Berechtigung des Mehraufwandes, Partei, der Prozesskostenhilfe bewilligt ist. Dies ist nicht
den Herr Prof. Dr. V2 gegenüber der Klägerin geltend ganz zutreffend. Denn § 31 Abs. 3 GKG hat den Zweck,
macht und auf dessen Ersatz die Klägerin den Beklagten die Partei, der Prozesskostenhilfe gewährt ist, davor zu
hier in Anspruch nimmt, nicht mit der gebotenen Unvor- schützen, dass deren Gegner zunächst als Zweitschuldner
eingenommenheit vornehmen. ... auf die Gerichtskosten in Anspruch genommen wird und
sodann von ihr Erstattung begehrt, was wegen § 123
(Einsender: VorsRiOLG Frank Walter, Hamm) ZPO möglich wäre. Indem die Regelung des § 31 Abs. 3
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) GKG den Kostenansatz gegen den Gegner ausschließt,
schützt sie mittelbar auch die Partei, der Prozesskosten-
hilfe bewilligt ist, davor, die Gerichtskosten zwar nicht
Kostenpflicht der Partei trotz PKH bei Kostenüber- an die Staatskasse, wohl aber an ihren Prozessgegner
nahme durch Vergleich zahlen zu müssen (vgl. Hartmann, Rz. 17 zu § 31 GKG).
Diesen Schutz gewährt § 31 Abs. 3 GKG ausdrücklich
nur dem Entscheidungs-, nicht aber dem Übernahme-
ZPO § 122 Abs. 1 Nr. 1a; GKG §§ 29 Nr. 2, 31 schuldner. Diese Differenzierung begründet eine ein-
Abs. 3 schränkende Auslegung von § 122 Abs. 1 Ziff. 1 a) ZPO.
Eine Partei, der ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt Ein solches, den Übernahmeschuldner ausschließendes
ist und die in einem Vergleich die Verpflichtung, die Verständnis dieser Regelung ist überdies aus folgenden
Gerichtskosten zu tragen, übernimmt, ist nicht von Erwägungen geboten: Würde man auch im Falle der frei-
willigen Übernahme von Gerichtskosten auf der Grund- (Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 490 Rz. 1 m.w.N.).
lage von § 122 Abs. 1 Nr. 1 a) ZPO Kostenfreiheit ge- Dies ist vorliegend versäumt worden, da die Aufforde-
währen, bestünde die Gefahr, dass Vergleiche geschlossen rung zur Stellungnahme erst nach Ablauf der gesetzten
würden, in denen eine vermögende Partei der bedürftigen Frist beim Bevollmächtigten der Antragsgegner eingegan-
in der Hauptsache entgegenkommt und diese dafür – gen ist. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist auch
und sei es auch nur teilweise – die bei ihr nicht beitreib- nicht durch die Abhilfeentscheidung des LG vom
baren Gerichtskosten übernimmt (vgl. hierzu insb. 10.8.2012 geheilt. Mit den Ausführungen der Antrags-
BVerfG, Beschl. v. 28.6.2000 – 1 BvR 741/00, MDR gegner, der Sachverständige sei bereits mit der Sache be-
2000, 1157 = NJW 2000, 3271 = juris). Anders läge der fasst gewesen, es fehle ihm an einer öffentlichen Bestel-
Fall nur, wenn die vorstehend beschriebene Missbrauchs- lung und Vereidigung für den maßgeblichen Fachbereich
gefahr nicht bestünde, weil auch der Beklagten Prozess- (vgl. § 404 Abs. 2 ZPO) und die Angabe des Antragstel-
kostenhilfe gewährt worden wäre (vgl. den Beschluss des lers, dass der bereits bestellte Sachverständige Prof. H.
OLG Frankfurt v. 17.8.2011 – 18 W 160/11; OLG Ros- übermäßig belastet sei, sei unzutreffend, hat sich das LG
tock, Beschl. v. 20.10.2009 – 5 W 55/09, JurBüro 2010, in der Nichtabhilfeentscheidung nicht auseinander-
147 f. = juris), was jedoch nicht der Fall ist. gesetzt. Das LG wird – ggf. durch eine Nachfrage beim
Schließlich ist die Klägerin darauf hinzuweisen, dass es Bevollmächtigten der Antragsgegner – zu prüfen haben,
einer bedürftigen Partei unbenommen bleibt, hinsichtlich inwieweit in der Behauptung, der Sachverständige K. sei
der Hauptsache einen Vergleich abzuschließen und be- bereits für den Kläger allgemein oder in dieser Sache tä-
züglich der Kosten eine Entscheidung des Gerichts nach tig geworden, als Antrag auf Ablehnung des Sachverstän-
§ 91a ZPO herbeizuführen, die gewährleistet, dass eine digen wegen der Besorgnis der Befangenheit zu verstehen
mit der Sach- und Rechtslage übereinstimmende Kosten- ist. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.
entscheidung ergeht (vgl. OLG Frankfurt v. 18.2.2011 – Der Beschwerdewert war in Anlehnung an die Streitwert-
18 W 42/11, NJW 2011, 2147 f.; Beschl. v. 25.9.2008 – festsetzung für die Ablehnung eines Sachverständigen
14 W 85/08, juris; s.a. Geimer in Zöller, Rz. 6 zu § 123 mit 1/3 des Hauptsachewertes festzusetzen (vgl. BGH
ZPO). Da diese Möglichkeit besteht, konterkariert die AGS 2004, 159). ...
einschränkende Auslegung von § 122 Abs. 1 Nr. 1 a) (Einsender: RiOLG Ernst Weller, Koblenz)
ZPO die vom Gesetzgeber gewollte Förderung gütlicher Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
Einigungen nicht. Vorliegend hat die Klägerin diesen
Weg jedoch willentlich nicht gewählt und damit auf den
Schutz durch § 122 Abs. 1 Nr. 1 a) ZPO verzichtet. In
Anbetracht dieses Verzichts ist ihre Auffassung, sie werde Gemeinsamer Gerichtsstand des Erfüllungsortes bei
„bestraft“, indem man ihr diesen Schutz versage, unzu- Flugreisen
treffend. Es kommt nicht darauf an, ob die Kostenverein-
barung der Sach- und Rechtslage entsprach, so dass keine BGB § 269; ZPO §§ 29, 36 Abs. 1 Nr. 3
Vereinbarung zum Nachteil der Staatskasse getroffen
wurde. Das Kostenansatzverfahren ist zur Entscheidung Sollen der Reiseveranstalter und das die Beförderung
über solche – unter Umständen rechtlich schwierige – durchführende Flugunternehmen als Gesamtschuldner
Fragen nicht geeignet und deshalb von diesen freizuhal- auf Schadensersatz wegen verspäteten Rückflugs in
ten. ... Anspruch genommen werden, besteht ein gemein-
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) samer Gerichtsstand des Erfüllungsortes am Abflug-
sort. Die Bestimmung eines gemeinsam zuständigen
Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist deshalb we-
der zulässig noch erforderlich. !
Rechtliches Gehör im selbständigen Beweisverfahren
OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.7.2012 – 11 AR 142/12
(AG Bad Homburg – 2 C 1278/12 [23])
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 321a, 490 Abs. 2 S. 2 Aus den Gründen:
Im selbständigen Beweisverfahren muss dem Antrags- ... Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestim-
gegner auch zur Person des zu ernennenden Sachver- mung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen nicht vor. Ge-
ständigen rechtliches Gehör gewährt werden. Eine un- mäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgt auf Antrag eine Ge-
ter Nichtbeachtung des Verfassungsgebots erfolgte richtsstandsbestimmung, wenn mehrere Personen, die
Sachverständigenernennung ist trotz Unanfechtbar- bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichts-
keit der Beweisanordnung auf eine Gegenvorstellung stand haben (§§ 12, 17 ZPO), als Streitgenossen verklagt
vom Ausgangsgericht zu prüfen und erforderlichen- werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaft-
falls zu ändern. ! licher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist. Für
die Prüfung der Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3
OLG Koblenz, Beschl. v. 16.8.2012 – 5 W 445/12 ZPO ist vom Vortrag des Klägers auszugehen. Eine Prü-
(LG Bad Kreuznach – 3 OH 11/12) fung der Zulässigkeit oder Schlüssigkeit der Klage findet
im Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung nicht statt
Aus den Gründen: (Zöller/Vollkommer, 29. Aufl., § 36 ZPO Rz. 18). Vorlie-
... Die Beschwerde ist nach § 490 Abs. 2 S. 2 ZPO unzu- gend ist auf Basis des Vortrags der Klägerin vom Beste-
lässig und war deshalb zu verwerfen. Ungeachtet dessen hen eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstands aus-
sieht sich der Senat veranlasst, auf Folgendes hinzuwei- zugehen. Ist aber ein gemeinsamer Gerichtsstand zuver-
sen: Die unzulässige Beschwerde ist als Gegenvorstellung lässig feststellbar, kann eine Bestimmung des zuständigen
auszulegen (Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 490 Rz. 2). Gerichts nicht erfolgen (vgl. Zöller/Vollkommer,
Hierüber hat der Senat nicht zu entscheiden. Nachdem 29. Aufl., § 36 Rz. 15).
das LG hierüber noch nicht entschieden hat, wird dies Vorliegend besteht ein gemeinsamer besonderer Ge-
nachzuholen sein. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs richtsstand i.S.d. § 29 ZPO im Bezirk des AG Frank-
liegt auf der Hand. Der Antragsgegner ist vor der Bestel- furt/M. Mangels eigenständiger Gerichtsstandsregelung
lung des Sachverständigen zu dessen Person zu hören im Rahmen der Verordnung EG 2004/216 ist auf Basis
der nationalen Bestimmungen der Erfüllungsort für die Sache Erfolg. Ein Überziehen des Auslagenvorschusses
Erbringung von Beförderungsleistungen zu ermitteln. (§ 379 ZPO) berührt den Entschädigungsanspruch
Demnach liegt der Erfüllungsort i.S.d.§ 269 Abs. 1 BGB grundsätzlich nicht, wenn die Mehrleistung für ein sach-
für die von der Beklagten zu 2) geschuldete Hin- und gerechtes Gutachten nötig war (st.Rspr. seit KG v.
Rückbeförderung des Klägers ... jedenfalls auch am Ab- 19.11.1982 – 1 W 5006/81, MDR 1983, 678; OLG
flugsort, d.h. dem Flughafen Frankfurt/M. (vgl. BGH v. Hamburg v. 20.11.1980 – 8 W 190/80, MDR 1981,
22.4.2008 – X ZR 76/07, NJW 2008, 2121 f.; AG Lich- 327). Dass diese Voraussetzung gegeben ist, wurde von
tenberg NJOZ 2007, 3516 f.). Dort war die Maschine dem Sachverständigen ausführlich dargelegt und vom
nebst Personal rechtzeitig bereit zu stellen. Für die Be- LG und den Beteiligten auch nicht in Abrede gestellt.
klagte zu 1) als Reiseveranstaltungsunternehmen lag der Ebenso wurde die sachliche und rechnerische Richtigkeit
Erfüllungsort hinsichtlich der in den Pauschalreisevertrag des Vergütungsanspruchs als solche weder vom LG noch
integrierten Flugreise ebenfalls – jedenfalls auch – am von der Bezirksrevisorin oder den Verfahrensbeteiligten
Abflugsort, d.h. im Bezirk des AG Frankfurt/M. (vgl. beanstandet, so dass hierzu im Beschwerdeverfahren kei-
Musielak/Heinrich, 9. Aufl., ZPO, § 29 Rz. 32 „Reise- ne weiteren Ausführungen veranlasst sind. Wie das LG
verträge“; Zöller/Vollkommer, 29. Aufl., § 29 Rz. 25 zu Recht ausgeführt hat, kommt aber eine Kürzung der
„Reisevertrag“). ... Entschädigung in Betracht, wenn der Sachverständige
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) seine Hinweispflicht gem. § 407a Abs. 3 ZPO verletzt
hat. Eine solche Pflichtverletzung liegt hier vor, was der
Sachverständige auch nicht bestreitet. Die in § 407a
Abs. 3 ZPO normierte Pflicht des Sachverständigen,
Verstoß des Sachverständigen gegen seine Hinweis- frühzeitig auf höhere Kosten hinzuweisen, soll den Par-
pflicht teien Gelegenheit geben, die Fortführung des Verfahrens
zu überdenken (Musielak/Huber, ZPO, 7. Aufl. 2009,
ZPO § 407a Abs. 3 § 407 a, Rz. 4). Die Hinweispflicht dient der möglichen
Reduzierung der Verfahrenskosten und der wirtschaftli-
Hat ein Sachverständiger gegen seine Hinweispflicht chen Risiken der Parteien.
verstoßen, kann dies im Einzelfall eine Kürzung seiner
Vergütungsansprüche zur Folge haben. Dabei kommt Hat der Sachverständige gegen diese Hinweispflicht ver-
stoßen, so kann dies im Einzelfall eine Kürzung seiner
es auf die Umstände des Einzelfalles an. Eine Kürzung
Vergütungsansprüche zur Folge haben (vgl. OLG Stutt-
unterbleibt insbesondere in den Fällen, in denen da- gart MDR 2008, 625; OLG Koblenz JurBüro 2010, 214;
von ausgegangen werden kann, dass auch bei erfolgter BayObLG v. 11.12.1997 – 1Z BR 143/97, NJW-RR
Anzeige die Tätigkeit des Sachverständigen nicht ein- 1998, 1294 f.; OLG Düsseldorf v. 28.11.2002 – 5 U
geschränkt oder ihre Fortsetzung nicht unterbunden 198/94, OLGReport Düsseldorf 2003, 263 ff.; offen ge-
worden wäre. ! lassen in BGH NJW-RR 2012, 311 ff.). Ob auf Grund
OLG Naumburg, Beschl. v. 19.6.2012 – 1 W 30/12 der Pflichtverletzung eine Kürzung gerechtfertigt ist,
(LG Magdeburg – 9 OH 2/11) hängt aber von den Umständen des Einzelfalls ab, wie
auch die Bezirksrevisorin zutreffend angenommen hat.
Aus den Gründen: Sie unterbleibt insbesondere in den Fällen, in denen da-
... Mit der angefochtenen Entscheidung vom 18.4.2012 von ausgegangen werden kann, dass auch bei erfolgter
hat das LG den Vergütungsantrag des Beschwerdeführers Anzeige die Tätigkeit des Sachverständigen nicht einge-
vom 16.4.2012 zurückgewiesen, soweit damit eine Ver- schränkt, oder ihre Fortsetzung nicht unterbunden wor-
gütungssumme von mehr als 3.750 ! brutto geltend ge- den wäre (vgl. OLG Nürnberg NJW-RR 2003, 791; Zöl-
macht wurde. Zur Begründung hat der Einzelrichter da- ler/Greger, 29. Aufl. 2012, § 413 Rz. 6). Davon muss in
rauf verwiesen, dass es der Beschwerdeführer versäumt der Regel ausgegangen werden, wenn Beweiserheblich-
habe, rechtzeitig gem. § 407a Abs. 3 ZPO auf eine Über- keit besteht und die vorschusspflichtige Partei selbst
schreitung des zuvor eingezahlten Kostenvorschusses von nach Kenntnis von der Vorschussüberschreitung eine
3.000 ! hinzuweisen. In diesem Fall sei eine Überschrei- kostenpflichtige Fortsetzung der Beweisaufnahme bean-
tung des Vorschusses um mehr als 25 % nur zulässig, tragt und einen weiteren Vorschuss einzahlt. Diese
wenn die Begutachtung auch im Fall der Anzeige durch- Rechtslage hat wohl auch das LG seiner Entscheidung
geführt worden wäre. Davon könne aber nur ausgegan- vom 18.4.2012 zugrunde gelegt. Der Einzelrichter hat
gen werden, wenn die Begutachtung bei entsprechenden hier jedoch im Rahmen seiner Nichtabhilfeentscheidung
weiteren Kosten fortgesetzt werde. Der Beschwerdefüh- vom 30.5.2012 offenbar den Inhalt des Schriftsatzes der
rer hat mit seinem Vergütungsantrag Kosten i.H.v. Antragstellerin vom 22.5.2012, ... der am 24.5.2012 ein-
5.920,95 ! dargelegt, die als solche vom Gericht nicht gegangen war, nicht berücksichtigt. Denn in diesem
beanstandet wurden. Auch die Bezirksrevisorin hat in ih- Schriftsatz wird die Fortsetzung der Beweisaufnahme be-
rer Stellungnahme vom 14.5.2012 keinerlei sachliche antragt und auch die Einzahlung eines weiteren Kosten-
oder rechnerische Einwände gegen die Berechnung der vorschusses von 2.000 ! nachgewiesen. Vor diesem Hin-
Entschädigung erhoben, sondern nur die Kürzung wegen tergrund ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin
Verstoßes gegen § 407a Abs. 3 ZPO verteidigt. Mit sei- auch schon zuvor die Fortsetzung der von ihr beantrag-
nem Rechtsmittel begehrt der Beschwerdeführer die Fest- ten Beweisaufnahme nicht unterbunden, sondern den
setzung der ungekürzten Vergütung, mithin weiterer weiteren Vorschuss gezahlt hätte, wenn der Sachverstän-
2.170,95 !. Mit Schriftsatz vom 22.5.2012 hat die An- dige auf die höheren Kosten rechtzeitig aufmerksam ge-
tragstellerin die Fortsetzung der Begutachtung im Wege macht hätte. Etwas anderes hat die vorschusspflichtige
eines Ergänzungsgutachtens desselben Sachverständigen Antragstellerin auch zu keinem Zeitpunkt behauptet.
beantragt und hierfür einen weiteren Kostenvorschuss Eine Kürzung ist daher im vorliegenden Fall nicht ge-
von 2.000 ! bei Gericht eingezahlt. Dessen ungeachtet rechtfertigt. ...
hat der Einzelrichter der Beschwerde ... nicht abgeholfen. Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
...
Das gem. § 4 Abs. 3 JVEG unbefristete und hier nicht
verwirkte Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der
führt hat. Einer ausdrücklichen Ermächtigung durch das schaftlichem Zusammenhang stehen. Daran anknüpfend
Vollstreckungsgericht, wie sie bei Tätigkeiten im Außen- weist § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG bürgerliche Streitigkeiten
verhältnis nach Aufhebung des Verfahrens erforderlich zwischen Arbeitgebern und Einrichtungen nach § 2
ist (§ 12 Abs. 2 ZwVwV), bedarf es insoweit nicht. Für Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b den ArbG zu. Die vorliegende
die während der Zeit der Zwangsverwaltung begründe- Streitigkeit fällt, weil es an einer Beteiligung des Klägers
ten Verbindlichkeiten regelt § 12 Abs. 3 ZwVwV aus- [, einem Insolvenzverwalter,] als Arbeitgeber fehlt, nicht
drücklich, dass sie unabhängig von der Aufhebung der gem. § 2 Abs. 1 Nr. 6 in Verbindung mit Nr. 4 Buchst. b
Verwaltung noch aus der Masse beglichen werden dür- ArbGG in die Zuständigkeit der ArbG.
fen, und zwar auch dann, wenn die Aufhebung auf einer [8] Der Insolvenzverwalter ist nach Auffassung des Ge-
Antragsrücknahme beruht. Nichts anderes gilt nach ein- meinsamen Senats für Ansprüche aus dem Arbeitsver-
helliger Ansicht für die Vergütung, die zu den Ausgaben hältnis für die Dauer des Insolvenzverfahrens Arbeit-
der Verwaltung i.S.v. § 155 Abs. 1 ZVG zählt (Böttcher, geber i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG. Vertragsarbeitgeber
a.a.O., § 161 Rz. 32; Haarmeyer/Wutzke/Förster/Hint- bleibt auch in der Insolvenz der Schuldner, der Insolvenz-
zen, a.a.O., § 161 ZVG Rz. 16 a.E.; Löhnig/Blümle, Ge- verwalter wird aber für die Dauer des Insolvenzverfah-
setz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwal- rens faktisch Arbeitgeber. Da der Vertragsarbeitgeber die
tung, § 161 Rz. 24). Der Zwangsverwalter muss sich aus der Arbeitgeberstellung fließenden Rechte und
nicht an den Gläubiger halten, sondern darf die Masse in Pflichten nicht mehr ausüben kann, fallen sie dem Insol-
Anspruch nehmen und muss nur die verbleibenden Über- venzverwalter zu (GmS-OGB, Beschl. v. 27.9.2010 –
schüsse an den Schuldner auskehren ... . Entgegen der GmS-OGB 1/09 – Rz. 16 u. 18, BGHZ 187, 105 = MDR
Ansicht des Beschwerdegerichts gilt dies auch nach Auf- 2011, 197 f.). Für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis
hebung des Verfahrens aufgrund einer erfolgreichen Voll- ist der Insolvenzverwalter für die Dauer des Insolvenz-
streckungsabwehrklage (a.A. Stöber, a.a.O., § 153 verfahrens Arbeitgeber kraft Amtes (GmS, a.a.O. –
Rz. 6.9). [Rz. 12-14] ... Rz. 18). ...
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) 9 Diese Würdigung kann mangels eines zwischen dem
Kläger und einem Arbeitnehmer anhängigen, im Arbeits-
verhältnis wurzelnden Rechtsstreits auf die Beurteilung
der hier zu entscheidenden Rechtsfrage nicht übertragen
werden. Vielmehr ist § 2 Abs. 1 Nr. 6 in Verbindung mit
Nr. 4 Buchst. b ArbGG in dem von dem Kläger vorlie-
Insolvenzrecht gend allein in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter
geführten Rechtsstreit nicht einschlägig.
Rechtsweg für InsO-Anfechtungsklage gegen Sozial-
10 Der Insolvenzverwalter übernimmt ... nach Auffas-
einrichtung des privaten Rechts sung des Gemeinsamen Senats die Arbeitgeberfunktion
des Schuldners ausschließlich in der Rechtsbeziehung zu
GVG § 13; ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 6, 4 Buchst. b dessen Arbeitnehmern (a.a.O. – Rz. 18). ... Soweit
Für die Anfechtung von Beitragszahlungen eines Ar- Rechtsstreitigkeiten lediglich äußerlich an die Arbeit-
geberstellung des Schuldners anknüpfen, ohne dass die-
beitgebers an eine Sozialeinrichtung des privaten
ser im Rahmen eines Arbeitsvertrages konkrete Arbeit-
Rechts ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerich- geberaufgaben versieht, rückt der Insolvenzverwalter bei
ten gegeben. der Erhebung von Insolvenzanfechtungsansprüchen iso-
BGH, Beschl. v. 6.12.2012 – IX ZB 84/12 liert in die vermögensrechtliche Pflichtenstellung des
(OLG Frankfurt – 5 W 18/12; LG Wiesbaden) Schuldners ein, ohne insoweit selbst Arbeitgeber zu wer-
den. ...
Aus den Gründen: 11 Nach Inhalt und Natur des streitigen Erstattungs-
[6] Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gehört der anspruchs gegenüber einer Sozialkasse ist nicht das Ar-
Anfechtungsrechtsstreit als bürgerlich-rechtlicher beitsverhältnis mit Arbeitnehmern und folglich nicht die
Rechtsstreit gem. § 13 GVG vor die ordentlichen Gerich- darauf gegründete Arbeitgeberfunktion berührt.
te. ... Der anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch 12 ... [Es] knüpft die Zuständigkeitsregel des § 2 Abs. 1
aus § 143 InsO ist generell ein bürgerlich-rechtlicher An- Nr. 6 ArbGG nur formal an die Arbeitgeberstellung an,
spruch, der die materiellen Ordnungsvorstellungen des funktional jedoch an den im Verhältnis des Arbeitgebers
Insolvenzrechts gegenüber sämtlichen Gläubigern nach zu einer Sozialeinrichtung bestehenden, nicht durch Ar-
Maßgabe der §§ 129 ff. InsO durchsetzt und außerhalb beitsverhältnisse ausgestalteten besonderen Pflichten-
der Insolvenz geltende allgemeine Regelungen verdrängt kreis. Darum übt der Insolvenzverwalter in diesem Zu-
(BGH, Beschl. v. 24.3.2011 – IX ZB 36/09 – Rz. 5, MDR sammenhang ohnehin vornehmlich vermögensrechtliche
2011, 631 = WM 2011, 998). Der Rückgewähranspruch Rechte und Pflichten des Schuldners in dessen Funktion
ist von Ansprüchen aus dem zugrunde liegenden Rechts- als Arbeitgeber aus. Ist nur die vermögensrechtliche Stel-
verhältnis wesensverschieden und folgt eigenen Regeln. lung des Schuldners als Träger von Arbeitsverhältnissen
Es handelt sich um einen originären gesetzlichen An- betroffen, wird der Anfechtungsanspruch nicht arbeits-
spruch, der mit der Insolvenzeröffnung entsteht, dem In- rechtlich überlagert oder umgestaltet. ...
solvenzverwalter vorbehalten und mit dessen Amt un- 13 Überdies entnehmen der Gemeinsame Senat und das
trennbar verbunden ist (BGH, a.a.O., Rz. 6). Diese BAG der Vorschrift des § 108 Abs. 1 InsO, nach deren
Rechtsauffassung wird in der neueren Rechtsprechung Inhalt Arbeitsverträge mit Wirkung für die Insolvenz-
des BFH geteilt (BFH, Beschl. v. 5.9.2012 – VII B 95/12 – masse fortbestehen, einen maßgeblichen Wertungs-
Rz. 11 u. 13, ZIP 2012, 2073 ...). gesichtspunkt für den Übergang der Arbeitgeberfunktion
[7] Die Gerichte für Arbeitssachen sind gem. § 2 Abs. 1 von dem Schuldner auf den Insolvenzverwalter bei der
Nr. 4 Buchstabe b ArbGG ausschließlich zuständig für Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen gegen Ar-
bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen Arbeitneh- beitnehmer (vgl. GmS, a.a.O. – Rz. 18; BAG, Beschl. v.
mern oder ihren Hinterbliebenen und Sozialeinrichtun- 27.2.2008 – 5 AZB 43/07 – Rz. 6 f., ZIP 2008, 1499).
gen des privaten Rechts über Ansprüche, die mit dem Ar- An vorliegendem Rechtsstreit ist der Kläger indessen
beitsverhältnis in rechtlichem oder unmittelbar wirt- nicht in seiner Rolle als faktischer Arbeitgeber beteiligt,
weil die angefochtenen Zahlungen ihre Grundlage nicht mit dem Antrag auf Restschuldbefreiung stellen, bis zur
in den von der Schuldnerin eingegangenen Arbeitsver- Entscheidung über den Eröffnungsantrag des Gläubigers
hältnissen, sondern in dem für sie maßgeblichen – nach nicht reagiert hat (BGH, Beschl. v. 21.1.2010 – IX ZB
Verfahrenseröffnung weiter verbindlichen – Tarifvertrag 174/09 – Rz. 7 f., MDR 2010, 465 = ZInsO 2010, 344)
finden (vgl. BAG, Urt. v. 28.1.1987 – 4 AZR 150/86, oder er seinen Antrag auf Restschuldbefreiung zurück-
ZIP 1987, 727 f.). Mit dem vorliegenden Rechtsstreit ist genommen hat, um so eine Entscheidung des Insolvenz-
folglich ein korrigierender Eingriff in eine arbeitsrecht- gerichts über einen Versagungsantrag zu verhindern
liche Leistungsbeziehung (vgl. GmS, a.a.O. – Rz. 12) (BGH, Beschl. v. 12.5.2011 – IX ZB 221/09 – Rz. 7,
nicht verbunden. Ebenso wirkt der Kläger durch die An- MDR 2011, 815 = ZInsO 2011, 1127; v. 6.10.2011 – IX
fechtung von Beitragszahlungen nicht in sonstiger Weise ZB 114/11 – Rz. 3, MDR 2011, 1447 ZInsO 2011, 2198
auf zwischen der Schuldnerin und ihren Arbeitnehmern ...). Die Frage, ob auch die Versagung der Restschuldbe-
bestehende Arbeitsverhältnisse ein (vgl. GmS, a.a.O. – freiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO im Erstverfahren
Rz. 18). Deswegen geht es bei der Anfechtung von Bei- eine (weitere) Sperrfrist von drei Jahren für das Zweitver-
tragszahlungen nicht um eine Rechtsstreitigkeit des Ar- fahren auslöst, die mit Rechtskraft des Versagungs-
beitgebers mit einer Sozialeinrichtung des privaten beschlusses beginnt, hat der Senat in seinem Beschluss
Rechts (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG), sondern allein um den vom 21.2.2008 (IX ZB 52/07 – Rz. 10, ZInsO 2008,
von dem Kläger als Insolvenzverwalter erhobenen an- 319) noch nicht abschließend entschieden. Soweit in je-
fechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch. ner Entscheidung die Verneinung einer Sperrfrist auch
15 ... Verfahrensrechtliche Erwägungen, die im Interesse für die Fälle des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO gesehen werden
der Arbeitnehmer eine Zuständigkeitszuweisung an die konnte, hat der Senat hieran später nicht mehr festgehal-
ArbG nahelegen mögen (so GmS, a.a.O. – Rz. 13), grei- ten (BGH, Beschl. v. 16.7.2009 – IX ZB 219/08 – Rz. 13,
fen mangels einer besonderen Schutzbedürftigkeit beider BGHZ 183, 13 = MDR 2009, 1360).
Parteien nicht durch. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, [8] Der Senat hat in seinen Entscheidungen stets darauf
dass der Nutzung der Kenntnisse von im Arbeitsleben er- abgestellt, dass die Versagungsgründe des § 290 Abs. 1
fahrenen Personen, dem geringeren Kostenrisiko vor den Nr. 5 und 6 InsO ihrer verfahrensfördernden Funktion
ArbG und dem Umstand, dass sich die Parteien kostenlos beraubt würden, wenn Verstöße des Schuldners wegen
von volljährigen Familienangehörigen oder Gewerk- der Befugnis zur Einleitung eines weiteren Insolvenzver-
schaftern (von letzteren in allen Instanzen) vertreten las- fahrens nicht nachhaltig sanktioniert würden. Der unred-
sen können, bei der Insolvenzanfechtung von Beitrags- liche Schuldner, der im Erstverfahren gegen seine Aus-
zahlungen an eine Sozialkasse Bedeutung zukommen kunfts- und Mitwirkungspflichten verstößt, kann ohne
könnte. die Frist – unter Umständen auf Kosten des Staates – so-
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) fort einen neuen Restschuldbefreiungs- und Stundungs-
antrag stellen (BGH v. 16.7.2009, a.a.O. – Rz. 12 f.; v.
3.12.2009, a.a.O. – Rz. 6). Diese sinnwidrigen Folgen
treten bei den Versagungstatbeständen, die selbst eine
Sperrfrist nach Versagung einer Restschuldbefreiung Frist von mehreren Jahren normieren, innerhalb derer
das unredliche Verhalten des Schuldners zur Versagung
der Restschuldbefreiung führen soll, nicht ein. Für die
Versagungstatbestände, die Sperrfristen von drei Jahren
InsO §§ 287 Abs. 1 S. 1, 290 Abs. 1 Nr. 2 und mehr kennen (etwas anderes gilt für den Versagungs-
Dem Schuldner ist das Rechtsschutzinteresse an einen grund des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO wegen der kurzen
zweiten Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung Sperrfrist von nur einem Jahr, vgl. BGH v. 14.1.2010,
nicht deshalb abzusprechen, weil sein erster Antrag in a.a.O. – Rz. 6), kann im Wege der Rechtsfortbildung kei-
einem vorausgegangenen Verfahren nach § 290 Abs. 1 ne zusätzliche Sperrfrist entwickelt werden.
Nr. 2 InsO abgelehnt worden ist. [9] Im Fall des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO ergäbe sich dann
eine unverhältnismäßig lange Sperre ... . Denn zu der in
BGH, Beschl. v. 22.11.2012 – IX ZB 194/11 dem Tatbestand selbst geregelten Frist müsste die Sperr-
(LG Berlin – 85 T 62/11; AG Charlottenburg) frist von drei Jahren hinzugerechnet werden, wobei jene
Frist mit der Rechtskraft des Versagungsbeschlusses im
Aus den Gründen: Erstverfahren beginnt, unter Umständen erst nach einem
[6] Ein erneuter Antrag auf Restschuldbefreiung und mehrjährigen Insolvenzverfahren. ...
Stundung der Verfahrenskosten nach § 287 Abs. 1
[10] Der Senat hat die Bemessung der Frist von drei Jah-
Satz 1, § 4a InsO ist wegen fehlenden Rechtsschutz-
ren auch mit der geplanten Einführung des § 290 Abs. 1
bedürfnisses unzulässig, wenn er innerhalb von drei Jah-
Nr. 3a InsO in dem „Regierungsentwurf eines Gesetzes
ren nach rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefrei-
zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der
ung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 und 6 InsO oder nach Ab-
Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestig-
lehnung der Stundung der Verfahrenskosten wegen Vor-
keit von Lizenzen“ vom 5.12.2007 (BR-Drucks.
liegens dieser Versagungstatbestände gestellt geworden
16/7416) gerechtfertigt, der eine Sperrfrist für ein Zweit-
ist (BGH, Beschl. v. 16.7.2009 – IX ZB 219/08 – Rz. 8 ff.,
verfahren nur für die Versagungstatbestände des § 290
BGHZ 183, 13 = MDR 2009, 1360; v. 3.12.2009 – IX
Abs. 1 Nr. 5 und 6 InsO vorsah (BGH v. 16.7.2009,
ZB 89/09 – Rz. 6, MDR 2010, 410 = ZInsO 2010, 140;
a.a.O. – Rz. 16), und ferner mit der Frist des § 290
v. 11.2.2010 – IX ZA 45/09 – Rz. 6 ff., MDR 2010, 591
Abs. 1 Nr. 2 InsO des geltenden Rechts (BGH, Beschl. v.
= ZInsO 2010, 490 ...). Entsprechendes gilt, wenn im
18.2.2010 – IX ZA 39/09 – Rz. 7, ZInsO 2010, 587).
Erstverfahren die Restschuldbefreiung rechtskräftig nach
Auch deshalb verbietet es sich, an die in § 290 Abs. 1
§ 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO versagt worden ist (BGH,
Nr. 2 InsO normierte Frist eine weitere Sperrfrist in ent-
Beschl. v. 14.1.2010 – IX ZB 257/09 – Rz. 6, MDR
sprechender Anwendung von § 290 Abs. 1 Nr. 2 und 3
2010, 407 = ZInsO 2010, 347) oder wenn der Schuldner
InsO anzuschließen. [Rz. 11-12] ...
auf den ihm in Anschluss an den Antrag eines Gläubigers
erteilten gerichtlichen Hinweis, er könne einen eigenen Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden
[15] Die Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV, wonach finden. Der Umfang der Befassung des vorläufigen Ver-
das im Eigentum des Schuldners stehende Grundstück in walters mit Gegenständen, an denen dingliche Rechte be-
die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des vorläu- stehen, die zur abgesonderten Befriedigung berechtigen,
figen Verwalters fällt, ist mit § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, kann demgemäß keine Bedeutung haben für die Frage, in
§ 63 Abs. 1 Satz 2 InsO vereinbar. [Wird in Rz. 16-22 welchem Umfang der Wert des Gegenstandes zur Berech-
weiter ausgeführt.] nungsgrundlage zählt.
[23] Beim endgültigen Verwalter werden allerdings Mas- [29] Gegenstände oder Forderungen, die zur Berech-
segegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen, nungsgrundlage zählen, sind deshalb nach ständiger
nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 InsVV nur berücksichtigt, Rechtsprechung des Senats auch dann zu berücksichti-
wenn sie vom Verwalter verwertet werden. Diese Vor- gen, wenn sich der vorläufige Verwalter nicht mit ihnen
schrift wäre nach § 10 InsVV für die Vergütung des vor- befasst hat (BGH, Beschl. v. 9.6.2005 – IX ZB 230/03,
läufigen Verwalters entsprechend anwendbar, wenn nicht MDR 2005, 1370 = ZIP 2005, 1324 f.; v. 26.4.2007 – IX
§ 11 Abs. 1 InsVV etwas anderes bestimmt. Hiervon ist ZB 160/06 – Rz. 5, MDR 2007, 1158 = ZIP 2007, 1330;
insbesondere nach dem Gesamtzusammenhang der Rege- v. 17.3.2011 – IX ZB 145/10 – Rz. 12, ZInsO 2011,
lung auszugehen: 839). Umgekehrt kann nicht allein der Umstand, dass
[24] § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV spricht zwar nicht gegen sich der vorläufige Verwalter mit einem Gegenstand in
die entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 erheblichem Umfang befasst hat, diesen seinem vollen
Satz 1 InsVV. Aus § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV ergibt sich Verkehrswert nach zum Schuldnervermögen und damit
jedoch, dass Gegenstände, an denen Absonderungsrechte zum Gegenstand der Berechnungsgrundlage für die Ver-
bestehen, der Berechnungsgrundlage ohne Abzug hin- gütung machen.
zuzurechnen sind unter der Voraussetzung, dass sich der [30] Die Annahme in der Begründung der Zweiten Ände-
vorläufige Verwalter in erheblichem Umfang mit ihnen rungsverordnung, die entsprechende Anwendung des
befasst hat. Damit wird § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 InsVV § 65 InsO führe dazu, dass trotz der ebenfalls für ent-
seinem Rechtsgedanken nach verdrängt. Die Aufgabe des sprechend anwendbar erklärten Vorschriften des § 63
vorläufigen Insolvenzverwalters ist es regelmäßig nicht, Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO die besondere Berechnungs-
Gegenstände der Masse zu verwerten. Dies hätte nach grundlage des § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV für die Ver-
§ 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 InsVV zur Folge, dass Gegenstän- gütung des vorläufigen Insolvenzverwalters gesetzlich ge-
de, an denen Absonderungsrechte bestehen, schon des- deckt sei (so inhaltlich, a.a.O., S. 28 vor 2), ist unzutref-
halb nicht in die Berechnungsgrundlage fallen. Davon fend. Die in § 63 Abs. 1 InsO angeordnete (entsprechen-
weicht § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV ab. Der vorläufige Ver- de) Anwendung der Wertbezogenheit des Vergütungs-
walter muss also keine Verwertung vorgenommen haben. anspruchs ist zu berücksichtigen; andernfalls würde es
... schon an der nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG erforderli-
[25] Die Regelung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV fin- chen Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der
det hingegen gem. § 10 InsVV auf die Vergütung des vor- Ermächtigung hinsichtlich der Vergütung des vorläufigen
läufigen Verwalters Anwendung. Soweit in § 11 Abs. 1 Verwalters fehlen. Allerdings setzt die entsprechende An-
Satz 4 InsVV etwas anderes bestimmt werden sollte, wie wendung voraus, dass die Vorschrift an die besonderen
aus der Begründung zur Zweiten Änderungsverordnung Gegebenheiten beim vorläufigen Insolvenzverwalter an-
entnommen werden kann, verstößt dies je nach den Um- gepasst wird. Dem Verordnungsgeber kommt hierbei ein
ständen zum Nachteil des vorläufigen Insolvenzverwal- Ermessensspielraum zu. Er kann jedoch nicht das durch
ters, des Schuldners oder der Gläubiger gegen die Er- die Vorschrift vorgegebene System verlassen und ohne
mächtigungsgrundlage und ist deshalb unwirksam. sachliche Rechtfertigung völlig andere Bemessungskrite-
[26] § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV beruht auf dem aus rien zugrunde legen. Maßgebend ist auch hier, dass in die
§ 63 Abs. 1 Satz 2 InsO abzuleitenden Überschussprin- Berechnungsgrundlage nach § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO Ein-
zip, das voraussetzt, dass bei der Wertermittlung der Be- gang finden kann und muss, was Gegenstand der Masse
rechnungsgrundlage für die Vergütung des Verwalters wird oder werden kann und zur Begleichung der Masse-
dingliche Belastungen eines Massegegenstandes, die Ab- verbindlichkeiten zur Verfügung steht (vgl. BGH, Beschl.
sonderungsrechte Dritter begründen, anders als schuld- v. 15.11.2012 – IX ZB 88/09).
rechtliche Verbindlichkeiten, von dem Wert des unbelas- [31] Soweit der Gegenstand mit Absonderungsrechten
teten Gegenstandes abzuziehen sind. Dies sah bereits § 2 nicht wertausschöpfend belastet ist, der vorläufige Ver-
Nr. 1 der Vergütungsverordnung zur Konkursordnung walter sich aber nicht in erheblicher Weise mit dem Ge-
vor, an den die Regelung des § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO an- genstand befasst hat, wäre dessen Wert nach § 11 Abs. 1
knüpft. Hieran hat die insolvenzrechtliche Vergütungs- Satz 4 InsVV bei der Berechnungsgrundlage nicht zu be-
verordnung – entsprechend den gesetzlichen Vorgaben – rücksichtigen, auch nicht in der Höhe, in welcher der
festgehalten. Masse der Überschuss zusteht. In § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3
[27] Parallel hierzu stellt § 63 Abs. 1 Satz 3 InsO klar, InsVV, der nach § 10 InsVV entsprechend anzuwenden
dass dem Umfang und der Schwierigkeit der Geschäfts- ist, ist jedoch geregelt, dass – wie nach bisherigem Recht
führung des Verwalters durch Abweichungen vom Regel- (vgl. BGH, Beschl. v. 13.7.2006 – IX ZB 104/05 – Rz. 20,
satz Rechnung zu tragen ist. Deshalb ist es gem. § 1 BGHZ 168, 321 = MDR 2007, 49) – der Überschuss
Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und 3 InsVV für die Frage, in wel- stets zur Berechnungsgrundlage zählt.
chem Umfang der Wert eines mit späteren Absonde- [32] Wollte man annehmen, die Bestimmung des § 11
rungsrechten belasteten Gegenstandes zur Berechnungs- Abs. 1 Satz 4 InsVV schließe die Anwendbarkeit des § 1
grundlage zu rechnen ist, völlig unerheblich, in welchem Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV abweichend von § 10 InsVV
Umfang sich der Verwalter mit dem Gegenstand befasst aus, würde dies zum Nachteil des vorläufigen Verwalters
hat. Der Umfang der Tätigkeit kann allerdings einen Zu- gegen die Ermächtigungsgrundlage des § 63 Abs. 1
schlag nach § 3 Abs. 1 Buchst. a InsVV rechtfertigen. Satz 2 InsO verstoßen, weil ihm ein späterer Masse-
[28] Für den vorläufigen Insolvenzverwalter und seinen bestandteil als Berechnungsgrundlage für seine Ver-
Vergütungsanspruch gilt dies gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 gütung vorenthalten würde. Der Senat hat deshalb § 1
Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO entsprechend. Des- Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV auch für § 11 Abs. 1 InsVV n.F.
halb muss auch hier das Überschussprinzip des § 1 bereits für anwendbar erklärt (BGH, Beschl. v.
Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV gem. § 10 InsVV Anwendung 16.9.2010 – IX ZB 68/09, n.v.).
[34] § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV ist aber umgekehrt b) Ein zum Degressionsausgleich gebotener Zuschlag
auch dann anwendbar, wenn der Gegenstand wertaus- ist keine gesondert festzusetzende Vergütung, sondern
schöpfend belastet ist. ein Zuschlag, der in die Gesamtabwägung bei der Be-
[41] Für die Bemessung der Vergütung hat der Gesetz- messung eines angemessenen Gesamtzuschlags ein-
geber mit § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO an die zuvor geltenden zubeziehen ist.
Regelungen für die Konkursverwalter angeknüpft (BT-
Drucks. 12/2443, 130 zu § 74 RegE-InsO). Danach war BGH, Beschl. v. 8.11.2012 – IX ZB 139/10
grundsätzlich das Überschussprinzip maßgeblich, das in (LG München I – 14 T 4989/10; AG München)
die insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung übernom-
men wurde (BGH v. 13.7.2006, a.a.O. – Rz. 19 ff.). Aus den Gründen:
[42] Werden für den vorläufigen Verwalter Berechnungs- [10] Nach § 3 Abs. 1 Buchst. c InsVV kann eine den Re-
grundlagen zugrunde gelegt, die unabhängig sind vom gelsatz übersteigende Vergütung festgesetzt werden,
Wert der Masse und diese sehr häufig bei weitem über- wenn die Masse groß war und die Regelvergütung wegen
steigen, könnte die Masse schon durch die Vergütung des der Degression der Regelsätze keine angemessene Gegen-
vorläufigen Verwalters weitgehend ausgezehrt werden. leistung dafür darstellt, dass der Verwalter mit erhebli-
Dem wird mit § 10 InsVV durch die Verweisung auf das chem Arbeitsaufwand die Masse vermehrt oder zusätzli-
Überschussprinzip des § 1 Abs. 2 InsVV auch bei dem che Masse festgestellt hat.
vorläufigen Verwalter vorgebeugt (BGH v. 13.7.2006, [11] Ein Ausgleich wegen der Degression der Regelsätze
a.a.O., Rz. 20). ist durch einen Zuschlag zu gewähren. Nach § 63 Abs. 1
[43] Die von § 63 Abs. 1 Satz 2 InsO vorgegebene Struk- Satz 2 InsO, der die Ermächtigung nach § 65 InsO gem.
tur muss im Wesentlichen beibehalten werden, solange Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nach Inhalt, Zweck und Aus-
der Gesetzgeber keine anderen verfassungsmäßigen Vor- maß näher bestimmt, wird der Regelsatz der Vergütung
gaben schafft. Danach ist der tatsächliche Wert der Mas- nach dem Wert der Insolvenzmasse zur Zeit der Beendi-
se, beim vorläufigen Verwalter der tatsächliche Wert des gung des Insolvenzverfahrens berechnet. Diese Vorgaben
verwalteten Schuldnervermögens, zugrunde zu legen. setzt § 2 Abs. 1 InsVV um. Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 InsO
§ 63 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 kann dem Umfang und der Schwierigkeit der Geschäfts-
InsO gestatten es nicht, im Verordnungsweg einen von führung des Verwalters durch Abweichungen vom Regel-
der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage abweichenden satz Rechnung getragen werden. Dies erfolgt nach der
Systemwechsel in der Vergütungsstruktur zu vollziehen, Regelungssystematik der Insolvenzrechtlichen Ver-
der zu einer Bemessung nach fiktiven Werten führte, wel- gütungsverordnung im Wege von Zu- und Abschlägen
che mit dem Wert des Vermögens des Schuldners, auf das gem. § 3. Demgemäß hat auch ein erforderlicher Degres-
sich die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters erstreckte, sionsausgleich im Wege des Zuschlags nach § 3 Abs. 1
nichts zu tun hat. Buchst. c InsVV zu erfolgen.
[44] Der Senat hat zu keiner Zeit verkannt, dass die Tä- [12] Es ist deshalb verfehlt, schon die Berechnung des
tigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters heute vielfach Regelsatzes nach § 2 Abs. 1 InsVV individuell abändern
wesentlich höhere Anforderungen stellt, als sie unter der zu wollen. Soweit in der Literatur vorgeschlagen wird,
Geltung der Konkursordnung die Sequestertätigkeit be- unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Buchst. c
stimmten. Das Gesetz lässt aber in § 63 Abs. 1 Satz 3 InsVV nicht die Degressionstabelle des § 2 Abs. 1 InsVV
InsO keinen Zweifel daran, dass dem Umfang und der zu verwenden, sondern statt der dort angeordneten Pro-
Schwierigkeit der Geschäftsführung des Verwalters, auch zentsätze ab einem 250.000 ! übersteigenden Betrag den
des vorläufigen Verwalters, ausschließlich bei der Höhe jeweils nächsthöheren Prozentsatz (Nowak in Münch-
des Vergütungssatzes Rechnung zu tragen ist. ... Komm/InsO, 2. Aufl., § 3 InsVV Rz. 9; Eickmann/Pras-
ser in Kübler/Prütting/Bork, InsO, August 2006, § 3
[46] Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben InsVV Rz. 36), kann dem aus den genannten Gründen
und die Sache gem. § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Be- nicht gefolgt werden. Dasselbe gilt für die Ansicht, der
schwerdegericht zurückzuverweisen. Der Wert des sich der Rechtsbeschwerdeführer in seiner Vergütungs-
Grundstücks ist bei der Berechnungsgrundlage wegen berechnung angeschlossen hat, ab einer Berechnungs-
der vorhandenen dinglichen Belastungen nicht zu be- grundlage über 250.000 ! die Regelvergütung des Mehr-
rücksichtigen. Das Beschwerdegericht wird jedoch zu betrages mit dem Durchschnittsprozentsatz von 11,2 v.H.
prüfen haben, ob dem vorläufigen Insolvenzverwalter ein zu berechnen (... Gräber, Vergütung im Insolvenzverfah-
Zuschlag nach §§ 10, 3 Abs. 1 Buchst. a InsVV wegen ren von A bis Z, Rz. 234 ...).
der Bearbeitung von Absonderungsrechten an dem
Grundstück zuzubilligen ist. ... Die Angemessenheit der [13] Abzustellen ist allein auf den Wert der Insolvenz-
Höhe eines Zuschlags ist abhängig nicht nur von dem masse, auf die sich die Schlussrechnung bezieht (vgl. § 1
Umfang der Tätigkeit, sondern auch von der Höhe der Abs. 1 Satz 1 InsVV). Zutreffend ist allerdings die An-
Berechnungsgrundlage, wie sich schon aus § 3 Abs. 1 nahme des Beschwerdegerichts, die Begründung zu § 3
Buchst. a und b InsVV ergibt. ... Abs. 1 Buchst. c InsVV habe Fälle im Auge gehabt, in de-
nen der Verwalter eine ohnehin große Masse gemehrt ha-
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) be. [Wird ausgeführt.]
[16] Der Rechtsbeschwerde ist darin beizutreten, dass
ein Wertungswiderspruch auftritt, wenn ein Verwalter
mit geringer Anfangsmasse keinen Degressionsausgleich
Degressionsausgleich bei Festsetzung der InsO-Ver- verlangen könnte, ein Verwalter mit gleich großer End-
waltervergütung masse bei hoher Anfangsmasse schon. Zwar wird der
Verwalter mit geringer Anfangsmasse, um dieselbe End-
InsVV § 3 Abs. 1 Buchst. c masse generieren zu können, regelmäßig einen höheren
Arbeitsaufwand haben, der höhere Zuschläge zur Folge
a) Ein Degressionsausgleich kommt ab einer Berech- hat. Bei genau gleichem Arbeitsaufwand wäre das Ergeb-
nungsgrundlage von mehr als 250.000 ! in Betracht. nis aber unverständlich. Abgestellt werden kann im Er-
Abzustellen ist auf den Wert der Insolvenzmasse, auf gebnis folglich allein auf die letztlich zu berücksichtigen-
die sich die Schlussrechnung bezieht. de Berechnungsgrundlage.
[17] Ein Zuschlag zum Degressionsausgleich kommt ab verstößt für Insolvenzverfahren, die bei Inkrafttreten
einer Berechnungsgrundlage von mehr als 250.000 ! in der Änderungsverordnung am 7.10.2004 noch andau-
Betracht. ... erten, nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwir-
[18] Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift lässt kungsverbot.
sich ein Grenzwert zwar nicht ableiten. Im Hinblick auf
die Höhe der durchschnittlichen Teilungsmassen (im Jah- BGH, Beschl. v. 25.10.2012 – IX ZB 242/11
re 1995: 175.000 !; vgl. dazu ... Nowak, a.a.O.) und der (LG Göttingen – 10 T 69/11; AG Göttingen)
starken Reduzierung des Staffelsatzes von 7 v.H. auf
3 v.H. ab diesem Grenzwert erscheint dies aber angemes- Aus den Gründen:
sen. [9] Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), zu des-
[20] § 3 Abs. 1 Buchst. c InsVV setzt voraus, dass die sen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit und der
fragliche Massemehrung, für die oberhalb einer Berech- Vertrauensschutz gehören, und das Grundrecht auf freie
nungsgrundlage von 250.000 ! ein Degressionsausgleich Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) setzen
in Betracht kommt, vom Verwalter mit erheblichem Ar- Regelungen in Gesetzen, welche die rechtliche Behand-
beitsaufwand erzielt wurde. Dieser Arbeitsaufwand muss lung von Sachverhalten der Vergangenheit belastend ver-
den Arbeitsaufwand eines Normalverfahrens erheblich ändern, Grenzen. Für die nähere Bestimmung der Gren-
übersteigen ... . Das hat zur Folge, dass regelmäßig ein zen wird zwischen echter Rückwirkung (genannt auch
weiterer Zuschlagstatbestand erfüllt ist. Rückwirkung von Rechtsfolgen) und unechter Rückwir-
kung (genannt auch tatbestandliche Rückanknüpfung)
[21] Die einzelnen Zu- und Abschlagstatbestände des § 3 unterschieden. Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn
InsVV haben nur beispielhaften Charakter. Darüber hi- an Tatbestände, die in der Vergangenheit liegen und be-
naus gibt es weitere Umstände, die für die Bemessung der reits abgeschlossen sind, ungünstigere Rechtsfolgen ge-
Vergütung im Einzelfall Bedeutung gewinnen können. knüpft werden als diejenigen, von denen der Bürger bei
Maßgebend ist ganz allgemein, ob die Bearbeitung den seinen Dispositionen ausgehen durfte. Regelungen sol-
Insolvenzverwalter stärker oder schwächer als in entspre- chen Inhalts sind in Gesetzen und ebenso in Rechtsver-
chenden Insolvenzverfahren allgemein üblich in An- ordnungen (BVerfG v. 8.6.1977 – 2 BvR 499/74 u.
spruch genommen hat, also der real gestiegene oder ge- 1042/75, BVerfGE 45, 142 [167 f., 174]) grundsätzlich
fallene Arbeitsaufwand (BGH, Beschl. v. 11.5.2006 – IX unzulässig. Ausnahmen kommen nur unter engen Vo-
ZB 249/04 – Rz. 41 f., MDR 2006, 1187 = ZIP 2006, raussetzungen in Betracht, etwa wenn zwingende Grün-
1204; v. 8.3.2012 – IX ZB 162/11 – Rz. 10, MDR 2012, de des Gemeinwohls eine Durchbrechung des Rückwir-
609 = ZIP 2012, 682; st.Rspr.). Eine Massemehrung kungsverbots erfordern oder wenn ein schutzwürdiges
muss damit, anders als beim Degressionsausgleich, nicht Vertrauen des Einzelnen auf die bisherige Rechtslage
zwingend verbunden sein. Die Voraussetzungen für einen nicht oder nicht mehr vorhanden ist (BVerfGE 13, 261
oder mehrere weitere Zuschläge liegen danach regel- [270 ff.]; BVerfGE 30, 367 [385 f.]; BVerfGE 32, 111
mäßig vor, wenn ein Degressionsausgleich in Betracht [123]; BVerfGE 72, 200 [257 f.]; BVerfGE 95, 64 [86 f.]).
kommt, weil dieser gerade voraussetzt, dass die Bearbei- Von einer unechten Rückwirkung wird hingegen gespro-
tung den Insolvenzverwalter stärker als in entsprechen- chen, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht ab-
den Normalverfahren in Anspruch genommen hat. geschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für
[22] ... Bei der Bemessung der Höhe der Zuschläge für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene
Tätigkeiten, die die Masse gemehrt haben, ist die durch Rechtsposition nachträglich entwertet. Sie ist verfas-
die hiermit verbundene Erhöhung der Berechnungs- sungsrechtlich grundsätzlich zulässig, es sei denn, die
grundlage eingetretene Erhöhung der Regelvergütung zu vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung ist
berücksichtigen (vgl. im Einzelnen BGH v. 8.3.2012, zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder
a.a.O. – Rz. 13 ff.; v. 12.5.2011 – IX ZB 143/08 – erforderlich oder die Bestandsinteressen der Betroffenen
Rz. 10 f., MDR 2011, 1010 = ZIP 2011, 1373). Bei der überwiegen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers
Bemessung der Höhe eines Zuschlags wegen der über (BVerfGE 30, 392 [402 f.]; BVerfGE 95, 64 [86]; BVerf-
den Normalfall hinausgehenden Arbeitsbelastung ist da- GE 101, 239 [263]; BVerfGE 103, 392 [403]; BVerfGE
mit ohnehin immer auch die dadurch eingetretene Erhö- 109, 96 [122] ...).
hung der Berechnungsgrundlage von Bedeutung, auch [10] Die Übergangsregelung in § 19 Abs. 1 InsVV, nach
soweit sich dies wegen der Degression bei der Vergütung der die am 7.10.2004 eingeführte Begrenzung des Aus-
unterschiedlich auswirkt. Kommt ein Zuschlag nach § 3 lagenpauschsatzes gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV auch für
Abs. 1 Buchst. c InsVV in Betracht, liegen folglich regel- Insolvenzverfahren gilt, die ab dem 1.1.2004 eröffnet
mäßig die Voraussetzungen für mehrere, sich in ihren Vo- wurden, beinhaltet für Insolvenzverfahren, die – wie das
raussetzungen überschneidende Zuschlagstatbestände vorliegende – am 7.10.2004 noch fortdauerten, lediglich
vor, die deshalb nicht isoliert voneinander festgesetzt eine unechte Rückwirkung, und zwar auch insoweit, als
werden können (BGH v. 11.5.2006, a.a.O. – Rz. 44). Bei eine Auslagenerstattung für die Zeit vor dem Inkrafttre-
der erforderlichen Bemessung des angemessenen Gesamt- ten der Neuregelung am 7.10.2004 in Rede steht. Ent-
zuschlags muss deshalb eine Degression nach § 2 Abs. 1 scheidet sich der Verwalter dafür, anstelle der tatsächlich
InsVV ohnehin berücksichtigt werden. [Rz. 23-27] ... entstandenen Auslagen den gesetzlichen Pauschsatz zu
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) fordern, erhält er einen pauschalen Betrag, dessen Höhe
sich gem. § 8 Abs. 3 Satz 1 InsVV nach der Dauer des
Verfahrens bemisst. Ähnlich wie beim Anspruch auf Ver-
gütung (BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – IX ZB 11/07 –
InsO-Verwaltervergütung: Verfassungsgemäße Be- Rz. 9 f., BGHZ 185, 353 = MDR 2010, 1349) handelt es
grenzung der Auslagenpauschale sich dabei um einen einheitlichen Anspruch. Dieser ein-
heitliche Anspruch auf pauschale Erstattung der Aus-
InsVV §§ 8 Abs. 3 S. 2, 19 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3 lagen für das gesamte Verfahren wird durch den am
7.10.2004 neu eingeführten § 8 Abs. 3 Satz 2 InsVV auf
Die durch die Änderungsverordnung vom 4.10.2004 einen Höchstbetrag begrenzt. Gegenstand der Neurege-
für ab dem 1.1.2004 eröffnete Insolvenzverfahren ein- lung sind somit ... nicht isoliert die vor der Neuregelung
geführte Begrenzung des Pauschsatzes für Auslagen getätigten Auslagen. Sie begrenzt vielmehr die Pauschale
für das gesamte Verfahren. Damit regelt die Änderungs- derungen (§ 166 Abs. 2 InsO) Dritten eine Einziehungs-
verordnung in diesem Punkt nicht einen in der Vergan- ermächtigung erteilen kann, ... ist mit dem Berufungs-
genheit liegenden bereits abgeschlossenen Sachverhalt, gericht zu bejahen.
sondern durch den Bezug auf die für das gesamte Verfah- [2] Das Gesetz selbst bringt im Wortlaut des § 166 Abs. 2
ren zu erstattende Auslagenpauschale einen nicht abge- InsO klar zum Ausdruck, dass der Insolvenzverwalter
schlossenen Sachverhalt, der zwar in der Vergangenheit Forderungen, die der Schuldner zur Sicherung eines An-
begonnen hat, aber bei Inkrafttreten der Neuregelung spruchs abgetreten hat, auch in anderer Weise verwerten
noch andauert und in die Zukunft hineinreicht. kann als sie selbst einzuziehen. Nach § 168 Abs. 1 InsO
[11] Die für Regelungen mit unechter Rückwirkung gel- darf der Insolvenzverwalter unter den dort bezeichneten
tenden verfassungsrechtlichen Anforderungen sind er- Voraussetzungen sicherungshalber abgetretene Forderun-
füllt. Das bereits seit dem Inkrafttreten der Insolvenz- gen u.a. verkaufen ... . Denn unter diese Vorschrift fallen
rechtlichen Vergütungsverordnung am 1.1.1999 nach § 8 nicht nur körperliche Gegenstände (vgl. § 90 BGB), son-
Abs. 2 Satz 1 InsVV bestehende Recht des Insolvenzver- dern im Einklang mit dem allgemeinen juristischen Ge-
walters, anstelle der tatsächlich entstandenen Auslagen genstandsbegriff auch Forderungen, nämlich alle Sachen
einen Pauschsatz zu fordern, soll die Arbeit des Verwal- und Rechte, zu deren Verwertung der Insolvenzverwalter
ters und des Insolvenzgerichts erleichtern, indem ihnen nach § 166 InsO berechtigt ist. Die Vorschrift des § 168
die aufwendige Vorlage und Prüfung von Einzelbelegen Abs. 1 InsO lässt demnach keinen Zweifel daran, dass
erspart wird (Amtliche Begründung zu § 8 InsVV, abge- die Verwertungsermächtigung des Insolvenzverwalters
druckt bei Stephan/Riedel, InsVV, Anhang II.2). Erfah- nach § 166 Abs. 2 InsO deutlich weiter geht als eine
rungsgemäß nimmt der Umfang der anfallenden Aus- rechtsgeschäftliche Einziehungsermächtigung ... . Zudem
lagen bei fortschreitender Dauer des Insolvenzverfahrens lässt § 168 Abs. 3 Satz 1 InsO erkennen, dass eine andere
eher ab. Der Pauschsatz bleibt demgegenüber ab dem Verwertungsmöglichkeit als der Selbsteinzug, zu welcher
zweiten Jahr des Verfahrens gleich. Der Verordnungs- der Insolvenzverwalter ermächtigt ist, nicht allein in der
geber verfolgte deshalb mit der Einführung des § 8 Überlassung des Gegenstandes an den absonderungs-
Abs. 3 Satz 2 InsVV das Ziel, falschen Anreizen ent- berechtigten Gläubiger besteht. Die Vorschrift des § 168
gegenzuwirken, das Insolvenzverfahren nicht zügig abzu- Abs. 3 Satz 2 InsO zeigt ferner, dass für die Auswahl un-
schließen (Begründung des Entwurfs der Änderungsver- ter mehreren Verwertungsmöglichkeiten der Gesichts-
ordnung, zu § 8 Abs. 3, abgedruckt bei Stephan/Riedel, punkt der Kosteneinsparung von Belang sein kann. Muss
InsVV, Anhang II.3). eine sicherungsabgetretene Forderung – wie hier – im
[12] Die Einführung einer Obergrenze für die zu erstat- Prozess gegen den Drittschuldner durchgesetzt werden,
tende Auslagenpauschale auch für bereits laufende Insol- kann der Insolvenzverwalter sowohl an einem Forde-
venzverfahren war geeignet und erforderlich, um dieses rungsverkauf als auch an der Erteilung einer rechts-
Ziel zu erreichen. Letztlich dient die Neuregelung dem geschäftlichen Einziehungsermächtigung Interesse ha-
Interesse der Gläubiger und des Schuldners an einem ben, um den Aufwand an Zeit und Kosten für die Durch-
Schutz der Masse vor überhöhten, weil sachlich nicht ge- führung des Rechtsstreits dem Zessionar der Forderung
rechtfertigten Forderungen des Insolvenzverwalters. Die- oder dem Drittermächtigten zu überbürden. [Rz. 3] ...
ses Interesse wiegt stärker als das Vertrauen des Insol- Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
venzverwalters auf einen Fortbestand der bisherigen Re-
gelung. ... Es bleibt dem Verwalter ... unbenommen, die
entstandenen Auslagen durch Einzelnachweis geltend zu
machen, wenn der in der Höhe begrenzte Pauschsatz die Insolvenzanfechtung: Zuwendung aus Lebensversiche-
tatsächlichen Auslagen nicht deckt (Begründung des Ent- rung mit gespaltenem Bezugsrecht
wurfs zu Art. 1 Nr. 2 der Änderungsverordnung, a.a.O.).
Dadurch ist sichergestellt, dass der Verwalter die Erstat-
tung aller angefallenen Auslagen erreichen kann. Die Be- InsO § 140 Abs. 1, Abs. 3; VVG § 159 Abs. 3
schränkung des Pauschsatzes verletzt deshalb nicht das Bezeichnet der Versicherungsnehmer einer Lebensver-
durch die Vergütungsnormen berührte Grundrecht des sicherung als Bezugsberechtigten im Todesfall unwi-
Verwalters aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BGH, Beschl. v. derruflich seinen Ehegatten, ist die Zuwendung der
15.1.2004 – IX ZB 96/03, BGHZ 157, 282 [286] = Versicherungsleistung regelmäßig bereits mit der Be-
MDR 2004, 653 m. Anm. Hartung). ... [Rz. 13] ... zeichnung als Bezugsberechtigter vorgenommen. Dies
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) gilt auch dann, wenn die Versicherungsleistung im Er-
lebensfall dem Versicherungsnehmer zustehen soll und
das Bezugsrecht des Ehegatten daran geknüpft ist,
InsO-Verwalter: Verwertung sicherungsabgetretener dass die Ehe mit dem Versicherten bei dessen Tod be-
steht.
Forderungen des Schuldners
BGH, Urt. v. 27.9.2012 – IX ZR 15/12
InsO §§ 166 Abs. 2, 168 Abs. 1, Abs. 3 (OLG Frankfurt – 13 U 90/11, MDR 2012, 28; LG
Darmstadt)
Die gesetzliche Ermächtigung des Insolvenzverwalters
zur Verwertung sicherungshalber abgetretener Forde- Aus den Gründen:
rungen des Schuldners schließt die Möglichkeit ein,
[5] ... Die von der Beklagten [= Ehefrau des Erblassers]
Dritten eine Einziehungsermächtigung zu erteilen.
aufgrund ihres Bezugsrechts erlangte Versicherungssum-
BGH, Beschl. v. 18.10.2012 – IX ZR 10/10 me unterliegt nicht der Schenkungsanfechtung nach
(OLG Stuttgart – 12 U 90/09; LG Stuttgart) § 134 Abs. 1 InsO.
[6] Allerdings hat die Beklagte die Versicherungssumme
Aus den Gründen: durch eine unentgeltliche Leistung des Erblassers i.S.v.
[1] ... Die entscheidungserhebliche Vorfrage, ob der In- § 134 InsO erlangt. Die vom Versicherer an die bezugs-
solvenzverwalter aufgrund seiner gesetzlichen Ermächti- berechtigte Beklagte ausgezahlte Versicherungssumme
gung zur Verwertung sicherungshalber abgetretener For- stellt eine mittelbare Zuwendung des Erblassers dar, für
welche die Beklagte ihrerseits keine Leistung zu erbrin- InsO als vorgenommen ungeachtet des Umstands, dass
gen hatte (BGH, Urt. v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, die Wirkungen im Falle des Eintritts der auflösenden Be-
BGHZ 156, 350 [355] = MDR 2004, 596). ... dingung enden können. Nach dem Grundgedanken des
[7] Die Anfechtung scheitert jedoch, weil die anfechtbare § 140 InsO soll für die Anfechtbarkeit einer Rechtshand-
Rechtshandlung außerhalb des Zeitraums von vier Jah- lung derjenige Zeitpunkt maßgeblich sein, in dem der
ren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfah- Anfechtungsgegner eine Rechtsstellung erlangt hat, die
rens liegt, auf den § 134 Abs. 1 InsO die Anfechtbarkeit bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne die Anfech-
beschränkt. ... tung beachtet werden müsste (Begründung zu § 159 Re-
gE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 166; BGH, Urt. v.
[8] Wann eine unentgeltliche Leistung i.S.v. § 134 Abs. 1 17.9.2009 – IX ZR 106/08, BGHZ 182, 264 = MDR
InsO als vorgenommen gilt, bestimmt sich nach § 140 In- 2010, 290 – Rz. 9 ...). Auflösend bedingte Rechte sind,
sO. Maßgeblich ist nach dessen Abs. 1 der Zeitpunkt, in solange die Bedingung nicht eingetreten ist, im Insolvenz-
dem die rechtlichen Wirkungen einer Rechtshandlung verfahren wie unbedingte Rechte zu beachten (§ 42 In-
eintreten. Dies ist der Fall, sobald die gesamten Erforder- sO).
nisse vorliegen, an welche die Rechtsordnung die Entste-
hung, Aufhebung oder Änderung eines Rechtsverhältnis- [11] Die Ansicht der Revision, der Erblasser habe sich
ses knüpft. Bezeichnet der Versicherungsnehmer einer vorbehalten, im Falle einer Kündigung des Versiche-
Lebensversicherung einen Dritten unwiderruflich als Be- rungsvertrags den dann zu erstattenden Rückkaufswert
zugsberechtigten, erwirbt der Dritte den Anspruch auf beanspruchen zu können, trifft nicht zu. ...
die Versicherungsleistung regelmäßig sofort (BGH, Urt. [12] Bei gespaltenem Bezugsrecht mit unwiderruflicher
v. 17.2.1966 – II ZR 286/63, BGHZ 45, 162 [165 f.]; v. Begünstigung eines Dritten mit der Todesfallleistung
18.6.2003 – IV ZR 59/02, NJW 2003, 2679; v. bleibt der Versicherungsnehmer zur Kündigung des Ver-
26.1.2012 – IX ZR 99/11, MDR 2012, 547 = WM 2012, sicherungsvertrags berechtigt. Der dann bestehende An-
517 Rz. 7; § 159 Abs. 3 VVG n.F.). Im Falle einer wider- spruch auf den Rückkaufswert steht jedoch grundsätz-
ruflichen Bezeichnung erlangt der Bezugsberechtigte hin- lich dem Dritten zu, denn das Recht auf den Rückkaufs-
gegen die Rechte aus dem Versicherungsvertrag erst mit wert ist nur eine andere Erscheinungsform des Rechts
dem Ableben der versicherten Person; bis dahin hat er auf die Versicherungssumme und gehört deshalb zu den
auch keine gesicherte Rechtsstellung, sondern lediglich vertraglich versprochenen Leistungen bei einer Lebens-
eine tatsächliche Aussicht auf den Erwerb der Rechte versicherung (BGH v. 17.2.1966, a.a.O.; v. 20.5.1992,
(BGH v. 26.1.2012, a.a.O. – Rz. 8 m.w.N.; § 159 Abs. 2 a.a.O.; v. 18.6.2003, a.a.O.; v. 2.12.2009, a.a.O. – Rz. 11
VVG n.F., § 166 Abs. 2 VVG a.F.). Die Beurteilung, wel- u. 14). Gläubiger des Schuldners können deshalb zwar
che Art der Bezugsberechtigung vorliegt, hat aber stets das Recht des Schuldners zur Kündigung pfänden. Die
die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, denn Kündigung geht aber ins Leere, weil das Kündigungs-
maßgeblich ist letztlich der Wille des Versicherungsneh- recht nur zusammen mit dem Rückkaufswert gepfändet
mers, der bestimmen kann, ob, wann und unter welchen werden kann (BGH v. 17.2.1966, a.a.O.; v. 18.6.2003,
Voraussetzungen das Recht übergehen soll (vgl. BGH, a.a.O.).
Urt. v. 29.1.1981 – IVa ZR 80/80, BGHZ 79, 295 [298] [13] Dies gilt auch im Streitfall. Zwar kann der Versiche-
= MDR 1981, 476; v. 18.6.2003, a.a.O.; v. 2.12.2009 – rungsnehmer aufgrund seiner Gestaltungsfreiheit den
IV ZR 65/09, NJW-RR 2010, 544 – Rz. 10). Rückkaufswert vom unwiderruflichen Bezugsrecht aus-
[9] Im Streitfall war, wie die Auslegung ergibt, ein unwi- nehmen und bestimmen, dass der Rückkaufswert nach
derrufliches Bezugsrecht vereinbart mit der Folge, dass Kündigung vor Ablauf der Versicherung ihm verbleibt
die Beklagte im Zeitpunkt ihrer Eheschließung mit dem oder einem Dritten zustehen soll (BGH v. 18.6.2003,
Erblasser die Rechte aus dem Versicherungsvertrag er- a.a.O.). Eine solche Bestimmung wurde hier jedoch nicht
warb. getroffen. ...
[10] Dem steht nicht entgegen, dass dem Ehepartner nur [14] Die Einschränkung, dass der Ehegatte bezugsberech-
die Versicherungsleistung im Todesfall unwiderruflich tigt sein sollte, mit dem der Versicherte im Zeitpunkt sei-
zugewendet wurde und die Erlebensfallleistung dem Ver- nes Todes verheiratet ist, machte die Zuwendung des Be-
sicherungsnehmer zustehen sollte. Auch im Fall eines sol- zugsrechts nicht unwirksam. Sie hindert auch nicht die
chen gespaltenen Bezugsrechts erwirbt der begünstigte Beurteilung, dass es sich um ein unwiderrufliches Bezugs-
Dritte die Rechte aus dem Versicherungsvertrag regel- recht handelte ... .
mäßig sofort, allerdings unter der auflösenden Bedin- [15] Bezeichnet der Versicherungsnehmer eines Lebens-
gung, dass der Versicherte den Ablauf der Versicherung versicherungsvertrags gegenüber dem Versicherer einen
erlebt, während der Rechtserwerb des Versicherungsneh- Dritten als Bezugsberechtigten, kommt zwischen dem
mers entsprechend aufschiebend bedingt ist (BGH v. Versicherer und dem Versicherungsnehmer ein Vertrag
17.2.1966, a.a.O.; v. 20.5.1992 – XII ZR 255/90, BGHZ zugunsten Dritter nach §§ 328, 331 BGB zustande, der
118, 242 [247] = MDR 1992, 878). Die geteilte Begüns- ein unmittelbares Recht des Dritten gegenüber dem Ver-
tigung widerspricht nicht dem Wesen einer unwiderrufli- sicherer begründet. Der Dritte muss dabei noch nicht
chen Bezugsberechtigung des Dritten mit sofortigem konkret bezeichnet sein; es genügt, dass er bestimmbar
Rechtsübergang, weil sich der Versicherungsnehmer der ist (BGH, Urt. v. 3.5.1995 – XII ZR 29/94, BGHZ 129,
Möglichkeit, das Bezugsrecht des Dritten nach eigenem 297 [305] = MDR 1995, 712; v. 16.11.2007 – V ZR
Gutdünken aufzuheben, vollständig begeben hat. Nur 208/06, WM 2008, 491 – Rz. 10 ...). Diese Vorausset-
durch einen sofortigen Rechtsübergang lässt sich die zung war mit der gewählten Bezeichnung des beim Tod
auch bei einer solchen Regelung erstrebte, gegen den Zu- des Versicherungsnehmers mit diesem verheirateten Ehe-
griff von Gläubigern des Versicherungsnehmers geschütz- gatten gegeben. ...
te Fürsorge für den begünstigten Dritten im Fall des To- [16] Die im Versicherungsvertrag getroffene Bestimmung
des des Versicherten vor Ablauf der Versicherung errei- über das Bezugsrecht bewirkte den Übergang der Rechte
chen. Dies rechtfertigt die Annahme einer auflösenden aus dem Versicherungsvertrag auf die Beklagte ab dem
Bedingung, deren Einfügung den sofortigen Eintritt der Zeitpunkt ihrer Eheschließung mit dem Erblasser, auf-
rechtlichen Wirkungen des Rechtsgeschäfts nicht hindert lösend bedingt durch die Scheidung der Ehe (vgl. BGH v.
(§ 158 Abs. 2 BGB). Sind aber die rechtlichen Wirkungen 29.1.1981, a.a.O.; v. 14.2.2007 – IV ZR 150/05, MDR
eingetreten, gilt die Rechtshandlung i.S.v. § 140 Abs. 1 2007, 952 = VersR 2007, 784 – Rz. 14 m.w.N.). Für ei-
nen Willen des Erblassers, die Rechte aus dem Versiche- tenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich anse-
rungsvertrag zu einem möglichst frühen Zeitpunkt auf hen durfte; dabei trifft sie die Obliegenheit, unter mehre-
die Ehefrau zu übertragen, spricht der offensichtliche ren gleichgearteten Maßnahmen die kostengünstigere
Versorgungscharakter der Begünstigung. Dieser war am auszuwählen (BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – VIII ZB
besten zu realisieren, wenn das Bezugsrecht so früh wie 106/11 – Rz. 8, MDR 2012, 1128).
möglich aus dem Vermögen des Versicherungsnehmers [11] Auf dieser Grundlage handelt es sich nach ständiger
ausschied und damit dem Zugriff seiner Gläubiger entzo- Rechtsprechung des BGH bei entstehenden reisebeding-
gen wurde. Der dahingehende Wille des Erblassers mani- ten höheren Kosten eines Prozessvertreters im Allgemei-
festierte sich in der Bezeichnung des Bezugsrechts als un- nen um notwendige Kosten einer zweckentsprechenden
widerruflich. Er verzichtete damit auf die Möglichkeit, Rechtsverfolgung oder -verteidigung, wenn eine vor ei-
die Bestimmung über das Bezugsrecht ohne Zustimmung nem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei
des Begünstigten zu ändern. Bezugsberechtigt sollte aller- einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen
dings nur der Ehegatte sein, mit dem der Versicherte im Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt (BGH,
Zeitpunkt seines Todes verheiratet war. ... [Diese Klau- Beschl. v. 20.5.2008 – VIII ZB 92/07, MDR 2008, 946 =
sel] sollte ... sicherstellen, dass diejenige Frau die Ver- NJW-RR 2009, 283 unter II 2 a; ...).
sicherungsleistung erhielt, welche durch den Tod des Ver-
[12] Das gilt allerdings nicht, wenn schon im Zeitpunkt
sicherungsnehmers ihren Ehemann verlor. Dies bringt
der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein
den Versorgungscharakter der Regelung zum Ausdruck,
eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung
der entscheidend dafür spricht, dass die Rechte aus dem
nicht erforderlich sein wird (BGH v. 28.6.2006 – IV ZB
Versicherungsvertrag nach dem Willen des Versiche-
44/05 – Rz. 8, VersR 2006, 1562; v. 21.9.2005 – IV ZB
rungsnehmers sofort oder jedenfalls zum Zeitpunkt der
11/04, VersR 2006, 136 unter 2 b aa; jeweils m.w.N.).
Eheschließung – falls diese erst später erfolgen sollte –
auf die Begünstigte übergehen und nur im Falle einer [13] Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Partei –
Scheidung der Ehe an den Versicherungsnehmer zurück- wie etwa gewerbliche Unternehmen mit entsprechend or-
fallen sollten. ... [Rz. 17] ... ganisierter eigener Rechtsabteilung – den Rechtsstreit in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorbereitet und
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) daher in der Lage ist, einen am auswärtigen Gerichtsort
niedergelassenen Rechtsanwalt in ausreichendem Um-
fang schriftlich zu instruieren (BGH, a.a.O., m.w.N.).
[14] Insoweit hat der BGH anerkannt, dass zu diesen
Parteien, denen eine solche umfassende schriftliche In-
Gebührenrecht struktion zur Prozessführung abzuverlangen ist, grund-
sätzlich Verbände zur Förderung gewerblicher oder selb-
Kosten des auswärtigen Anwalts bei Verfahren nach ständiger beruflicher Interessen gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2
dem UKlaG UWG, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UKlaG (BGH, Beschl. v.
18.12.2003 – I ZB 18/03, MDR 2004, 839 = NJW-RR
ZPO § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 2004, 856 unter II 2) und Verbraucherschutzverbände
gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG i.V.m. § 4 Abs. 2
Ein nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 4 UKlaG in die Lis- Satz 1 UKlaG (BGH, Beschl. v. 2.10.2008 – I ZB 96/07 –
te qualifizierter Einrichtungen eingetragener Verbrau- Rz. 9, MDR 2009, 233 = VersR 2009, 374; ... ) zählen.
cherverband ist unabhängig von seiner Geschäftsorga- [15] Nach diesen Grundsätzen war der Kläger kosten-
nisation in durchschnittlich schwierigen Fällen unter rechtlich gehalten, einen Bevollmächtigten am Gerichts-
dem Gesichtspunkt der Kostenerstattung gehalten, ei- ort zu beauftragen.
nen am Gerichtsort ansässigen Prozessvertreter zu be- [16] Er gehört zu der Gruppe von Verbraucherverbän-
auftragen. Reisekosten zum Prozessgericht zählen in den, von denen nach der Rechtsprechung des BGH in ty-
diesen Fällen nicht zu den notwendigen Kosten einer pischen und durchschnittlich schwierigen Fällen grund-
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. sätzlich die schriftliche Information ihrer Bevollmächtig-
BGH, Beschl. v. 12.12.2012 – IV ZB 18/12 ten zu fordern ist (BGH v. 2.10.2008, a.a.O.; ...).
(OLG Frankfurt – 18 W 78/12; LG Frankfurt/M.) [17] Das Beschwerdegericht hat ferner die gesamten Um-
stände des Falles rechtsfehlerfrei dahingehend gewürdigt,
Sachverhalt: dass auch unter Berücksichtigung der Parallelverfahren
Die Parteien streiten um die Erstattungsfähigkeit von Reisekos- die Einschaltung des H. Anwalts nicht notwendig war,
ten des in H. ansässigen Prozessvertreters des Klägers für ein in weil der Kläger Prozessbevollmächtigte am Gerichtsort
beiden Instanzen in F. betriebenes Streitverfahren nach dem Un- selbst hätte unterrichten können. [Wird ausgeführt.]
terlassungsklagengesetz (UKlaG). [22] Die weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen
Bedenken gegen die Gleichstellung des Klägers mit Par-
Aus den Gründen: teien, die nach der vorgenannten Rechtsprechung des
[9] Das Beschwerdegericht hat mit Recht angenommen, BGH auf die schriftliche Instruktion von Anwälten für
dass es dem Kläger i.S.v. § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 die Prozessführung verwiesen werden dürfen, greifen
ZPO zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung mög- ebenfalls insgesamt nicht durch.
lich gewesen wäre, am jeweiligen Gerichtsort ansässige [23] Dem Senatsbeschluss (BGH v. 21.9.2005, a.a.O. un-
Verfahrensbevollmächtigte zu mandatieren. Reisekosten ter 2 b bb) zur fehlenden Erstattungsfähigkeit von Ver-
für den an seinem Sitz niedergelassenen und von ihm mit kehrsanwaltskosten bei klagenden Verbraucherverbän-
allen Parallelverfahren betrauten Anwalt seines Vertrau- den ist nicht eine weitgehende Anerkennung von Reise-
ens sind daher nicht erstattungsfähig. kosten eines am Geschäftssitz der klagenden Partei an-
[10] Zutreffend ist der vom Beschwerdegericht für die sässigen Rechtsanwalts zu entnehmen. Der Senat hat
Kostenerstattungsfrage zugrunde gelegte rechtliche An- vielmehr seine Entscheidung darauf gestützt, dass bei in
satz. Maßstab für die Erstattungsfähigkeit von Reisekos- der Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 3 Abs. 1
ten nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO ist, ob eine Satz 1 Nr. 1 UKlaG eingetragenen Verbraucherverbän-
verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kos- den wegen der für die Eintragung nach § 4 Abs. 2 Satz 1,
Satz 4 Nr. 2 UKlaG vorausgesetzten Gewähr für eine ten grundsätzlich als Gesamtschuldner (§ 5 KostO).
sachgerechte Aufgabenerfüllung nichts anderes gelten Gleichwohl kann die Staatskasse gegen den Antragsgeg-
kann als bei Verbänden zur Förderung gewerblicher oder ner nur die Hälfte des von der Antragsgegnerin zu 1) und
selbständiger beruflicher Interessen i.S.v. § 8 Abs. 3 Nr. 2 dem Antragsgegner zu 2) gesamt geschuldeten Betrages
UWG, die wie Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung geltend machen, also 1/4 der Gesamtkosten. Denn bei
behandelt werden. Das gilt für Verkehrsanwaltskosten Gesamtschuldnern haftet im Innenverhältnis jeder im
und Reisekosten gleichermaßen. Zweifel nur für die Hälfte (§ 426 Abs. 1 BGB). Die Inan-
[24] Die nach Auffassung der Rechtsbeschwerde beste- spruchnahme des Antragsgegners zu 2) auf den vollen ge-
henden Unterschiede zwischen Wettbewerbsverbänden schuldeten Betrag würde es ihm ermöglichen, die An-
und Verbraucherverbänden erlauben eine andere Beurtei- tragsgegnerin zu 1) im Wege des Gesamtschuldneraus-
lung nicht. gleichs in Anspruch zu nehmen. Das würde den Sinn und
[25] Bei Verbraucherverbänden wird – was auch die Zweck der Prozesskostenhilfe konterkarieren. Die An-
Rechtsbeschwerde nicht verkennt – gem. § 4 Abs. 2 tragsgegnerin zu 1) dürfte zwar von der Staatskasse auf
Satz 2 UKlaG unwiderleglich vermutet, dass sie – bei den ihr auferlegten Kostenbetrag nicht in Anspruch ge-
Förderung mit öffentlichen Mitteln wie beim Kläger – nommen werden. Stattdessen wäre sie allerdings ver-
die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben verbundenen pflichtet, dem Antragsgegner zu 2) die auf sie entfallen-
Eintragungsvoraussetzungen erfüllen und ihnen deswe- den Kosten zu erstatten. § 31 Abs. 3 Satz 1 GKG ist da-
gen die Klagebefugnis zusteht. Eine Differenzierung bei her analog anzuwenden (Lappe in Korintenberg/Lappe/
den Kostenerstattungsmöglichkeiten – etwa nach der ge- Bengel/Reimann, KostO, 18. Aufl., § 5 Rz. 2 ff., beck-
wählten Struktur und Schwerpunktsetzung der Auf- online; Waldner in Rohs/Wedewer, KostO, Loseblatt-
gaben, der Höhe der Fördermittel, den personellen Kapa- sammlung, Stand April 2010, § 5 KostO). Nach dieser
zitäten, dem spezifischen personellen Einsatz etc., wie sie Vorschrift darf die Haftung eines anderen Kostenschuld-
die Rechtsbeschwerde erwägt – ist damit nicht zu verein- ners nicht geltend gemacht werden, soweit einem Kos-
baren. tenschuldner, der Entscheidungsschuldner ist, Prozess-
[27] Die personelle, sachliche und finanzielle Ausstat- kostenhilfe bewilligt worden ist. Diese Vorschrift soll ge-
tung, die die schriftliche Unterrichtung von Prozess- rade verhindern, dass derjenige, dem Prozesskostenhilfe
bevollmächtigten in geeigneten Fällen ermöglicht und bewilligt ist, über den Gesamtschuldnerausgleich doch
kostenrechtlich verlangt, wird von dieser Fiktion ebenso die Kosten des Verfahrens tragen muss (Hartmann, Kos-
erfasst. Unterlegene Parteien müssen danach nicht hin- tengesetze, 42. Aufl., § 31 GKG Rz. 17). In der Kosten-
nehmen, mit Kosten belastet zu werden, die sie bei ande- ordnung fehlt eine solche Vorschrift. Die Interessenlage
rer Organisation der Geschäfte des Verbraucherschutz- ist jedoch mit derjenigen, die in § 31 Abs. 3 Satz 1 GKG
verbandes nicht zu tragen hätten. Die zusätzlichen geregelt ist, identisch.
rechtspolitischen Überlegungen der Rechtsbeschwerde Die Gegenauffassung überzeugt nicht. Das OLG Düssel-
vermögen an der über diese Fiktion gesetzlich bindend dorf, Beschl. v. 2.4.2009 – 10 W 23/09 – Rz. 5, juris ist
festgelegten Qualifizierung von Verbraucherverbänden der Auffassung, dass § 31 Abs. 3 GKG nicht für mehrere
bei der Erfüllung ihrer Aufgaben ebenso wenig etwas zu Erstschuldner untereinander gilt, sondern nur im Ver-
ändern wie ihre sonst befürchtete Schwächung der Kon- hältnis von Erstschuldner zu Zweitschuldner. Das lässt
fliktfähigkeit des Klägers und der damit verbundenen sich der Vorschrift nicht entnehmen. Der Wortlaut
Gefahren für einen effektiven Verbraucherschutz. Eine spricht lediglich von einem Kostenschuldner und der
Kostenerstattung kann nicht davon abhängig gemacht Haftung eines anderen Kostenschuldners. Eine Ein-
werden, wie ein Verbraucherverband die Schwerpunkte schränkung dahingehend, dass der andere Kostenschuld-
bei der Erfüllung seiner Aufgaben setzt (vgl. OLG Köln ner ein Zweitschuldner sein muss, folgt daraus nicht.
VersR 2012, 1385 [1389] a.E.). Auch aus der in Bezug genommenen Kommentierung
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) von Hartmann (a.a.O.) ergibt sich nichts anderes. Dort
ist ausgeführt, dass die Haftung eines anderen Kosten-
schuldners als des Entscheidungsschuldners nicht geltend
gemacht werden soll. Hartmann stellt an dieser Stelle le-
PKH nur für einen von zwei Gesamtschuldnern diglich den Zweck der Vorschrift dar und erläutert dies
am Beispiel von Erst- und Zweitschuldner, dem Stan-
dardanwendungsfall im Zivilprozess. Die dort aufgeführ-
KostO § 94 Abs. 3 S. 2 a.F. te Problemlage kann sich indes, wie sich im vorliegenden
Fall zeigt, auch zwischen zwei Erstschuldnern ergeben.
Haften zwei Entscheidungsschuldner nach § 94 Abs. 3 ...
Satz 2 KostO a.F. gem. § 5 KostO als Gesamtschuld-
ner und ist einem von ihnen Prozesskostenhilfe bewil- Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
ligt, darf auch der andere nicht in Anspruch genom-
men werden (§ 31 Abs. 3 Satz 1 GKG analog). !
OLG Dresden, Beschl. v. 11.10.2012 – 23 WF
0124/12 PKH nur für einen von mehreren Streitgenossen
(AG Dresden – 305 F 244/09)
Aus den Gründen: RVG §§ 7, 45, 48, 49
... Die angefallenen Auslagen können dem Antragsgegner
zu 2) nur zu 1/4 berechnet werden. Es ist § 31 Abs. 3 Vertritt ein Prozessbevollmächtigter im Rechtsstreit
Satz 1 GKG analog anzuwenden. Nach der Kosten- mehrere Streitgenossen, von denen jedoch lediglich ei-
grundentscheidung werden die Gerichtskosten hälftig nem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, so ist für
zwischen Antragsteller und den Antragsgegnern geteilt. die Höhe der aus der Staatskasse zu zahlenden Rechts-
Die Antragsgegnerin zu 1), der ratenfreie Prozesskosten- anwaltsvergütung der Beschluss maßgeblich, durch
hilfe bewilligt ist, und der Antragsgegner zu 2) haben da- welchen die Prozesskostenhilfe bewilligt und der
her gemeinsam die Hälfte der Kosten zu tragen. Sie haf- Rechtsanwalt beigeordnet worden ist.
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MDR 3/2013 Rechtsprechung 185
Gebührenrecht
Enthält dieser Beschluss keine Anordnung einer Be- nebeck, NJW 1994, 2273). Auf diese Weise soll vermie-
schränkung des Vergütungsanspruchs, z.B. auf die Er- den werden, dass derjenige Streitgenosse, dem keine
höhungsbeträge nach Nr. 1008 VV-RVG, so fehlt es PKH bewilligt worden ist, mittelbar – infolge der Befrei-
für eine Beschränkung im Kostenfestsetzungsverfah- ung von der gesamtschuldnerischen Verbindlichkeit ge-
ren an einer rechtlichen Grundlage. ! genüber dem Rechtsanwalt – ebenfalls in den Genuss der
Leistungen der Staatskasse kommt. Eine dritte Auffas-
OLG Naumburg, Beschl. v. 31.7.2012 – 2 W 58/11 sung, der sich das LG angeschlossen hat, beschränkt
(LG Magdeburg – 10 O 2428/06) schließlich den Vergütungsanspruch des beigeordneten
Rechtsanwalts auf die Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008
Aus den Gründen: RVG-VV, früher § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO (OLG Ko-
... Zu der Höhe der Rechtsanwaltsvergütung aus der blenz, Beschl. v. 27.4.2004 – 14 W 300/04, MDR 2004,
Staatskasse bei einem gemeinsamen Prozessbevollmäch- 1206 zu § 6 BRAGO = juris; Beschl. v. 7.6.2001 – 8 W
tigten mehrerer Streitgenossen, von denen nur einem 386/01, MDR 2001, 1261 = juris; so auch OLG Naum-
PKH bewilligt worden ist, werden unterschiedliche Auf- burg, Beschl. v. 19.8.2003 – 12 W 64/03, Rpfleger 2004,
fassungen vertreten. Nach herrschender Auffassung ist 168, jeweils m.w.N.). Es widerspräche dem Sinn des
der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechts- PKH-Rechts – so diese Auffassung –, wenn die ver-
anwalts gegen die Staatskasse in dem Fall, in dem einem mögende Partei aus Steuermitteln finanziell dadurch ent-
von mehreren Streitgenossen, die durch einen gemein- lastet würde, dass ihr Anwalt zugleich eine bedürftige
samen Rechtsanwalt vertreten werden, PKH ohne jede Partei vertritt. Ebenso wenig biete die PKH einen Schutz
Beschränkung bewilligt wird, nicht auf den Mehrvertre- dagegen, dass der nicht bedürftige Streitgenosse den be-
tungszuschlag nach Nr. 1008 VV-RVG beschränkt, son- dürftigen gem. § 426 Abs. 1 BGB in Anspruch nehme.
dern umfasst die vollen Anwaltsgebühren (§ 49 RVG), Der Senat schließt sich der ... herrschenden Auffassung
die durch die Vertretung der bedürftigen Partei ausgelöst an.
worden sind (OLG Bamberg, Beschl. v. 18.5.2000 – 3 W
39/00, juris; OLG München, Beschl. v. 30.11.2010 – 11 Maßgebend für den Vergütungsanspruch des beigeord-
W 835/09, MDR 2011, 326; Müller-Rabe in Gerold/ neten Rechtsanwalts ist der Beschluss, durch welchen die
Schmidt, 20. Aufl., § 50 RVG, Rz. 11; Hartmann, Kos- PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet wor-
tengesetze, 42. Aufl., § 48 RVG Rz. 65 Stichwort „Streit- den ist. Soweit sich das LG auf die Entscheidung des
genosse“; Hartung in Hartung/Römermann/Schons, BGH vom 1.3.1993 und die nachfolgende Rechtspre-
RVG, § 45 Rz. 70, jeweils m.w.N.). Der Vergütungs- chung (vgl. BGH, a.a.O., OLG Koblenz, Beschl. v.
anspruch des beigeordneten Rechtsanwalts bestimmt 7.6.2001 – 8 W 386/01, MDR 2001, 1261 f.; OLG
sich nach dem Beschluss, durch welchen die PKH bewil- Naumburg, Beschl. v. 19.8.2003 – 12 W 64/03, Rpfleger
ligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Ent- 2004, 168) stützt, wird übersehen, dass der zitierte Be-
hält der die PKH bewilligende Beschluss keine Beschrän- schluss des BGH die Bewilligung der von einem Streitge-
kung, richtet sich der Vergütungsanspruch nach § 7 nossen für das Revisionsverfahren beantragten PKH be-
RVG. Danach erhält der Rechtsanwalt, der mehrere Auf- traf und der BGH mit diesem Bewilligungsbeschluss die
traggeber als Streitgenossen in einem Rechtsstreit ver- dem bedürftigen Streitgenossen gewährte PKH von vorn-
tritt, die Gebühren in jeder Instanz nur einmal (§§ 7 herein auf die Erhöhungsbeträge nach § 6 Abs. 1 Satz 2
Abs. 1, 15 Abs. 2 Satz 2 RVG); jedoch schuldet jeder BRAGO a.F. beschränkt hat. Eine solche Beschränkung
Auftraggeber diejenigen Gebühren und Auslagen, die er enthält der im vorliegenden Rechtsstreit ergangene Be-
schulden würde, wenn der Rechtsanwalt nur in seinem willigungsbeschluss des OLG vom 22.10.2007 nicht. Für
Auftrag tätig geworden wäre (§ 7 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 1 eine weiter gehende Beschränkung des Vergütungs-
RVG). Dementsprechend besteht auch der Vergütungs- anspruchs im Rahmen des Festsetzungsverfahrens fehlt
anspruch bei einem uneingeschränkten Bewilligungs- es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Die Stel-
beschluss in Höhe der Gebühren und Auslagen, die ange- lung einer bedürftigen Partei, die PKH erhalten hat, kann
fallen wären, wenn er nur die bedürftige Partei im sich nicht allein deshalb verschlechtern, weil neben ihr
Rechtsstreit vertreten hätte. Anderenfalls wäre nämlich noch andere Parteien als Streitgenossen klagen oder ver-
auch die bedürftige Partei einem Ausgleichsanspruch klagt werden. In dem einen wie in dem anderen Fall hat
nach § 426 Abs. 1 BGB des leistungsfähigen Streitgenos- die bedürftige Partei einen Anspruch darauf, dass sie von
sen ausgesetzt, was dem Sinn und Zweck der PKH zuwi- der Verpflichtung zur Zahlung der Gebühren an den für
der laufen würde. sie tätigen Anwalt – vollständig – befreit wird. Das Au-
ßenverhältnis der bedürftigen Partei bzw. ihres Anwalts
Dabei soll nach der vereinzelt vertretenen Auffassung des zur Staatskasse ist insofern von dem Innenverhältnis der
OLG München insoweit eine Ausnahme gelten, als mit Partei zu den übrigen Streitgenossen zu trennen. Dafür,
der Bewilligung der PKH für einen Streitgenossen auch dass die Rechtsbeziehungen im Innenverhältnis auf das
eine Ratenzahlung gem. § 115 Abs. 2 ZPO angeordnet Außenverhältnis „durchschlagen“, gibt es keinen An-
worden ist, weil die bedürftige Partei in diesem Fall – in- knüpfungspunkt im Gesetz; das Ziel, die unbemittelte
folge der Einziehung der Raten durch die Staatskasse – Prozesspartei der bemittelten gleichzustellen, spricht da-
zunächst wiederum den überwiegenden Teil der Ver- gegen.
gütung des gemeinsamen Rechtsanwalts zu bezahlen hät-
te und auf einen Ausgleichsanspruch im Innenverhältnis Dabei verkennt der Senat nicht, dass es nicht Sinn und
der Streitgenossen angewiesen wäre (OLG München, Zweck der einem bedürftigen Streitgenossen bewilligten
a.a.O.). Nach anderer Ansicht ist der Vergütungs- PKH sein kann, einen der anderen Streitgenossen hin-
anspruch des Rechtsanwalts, der mehrere Streitgenossen sichtlich der dem gemeinsamen Prozessbevollmächtigten
vertritt, aber nur einem der Streitgenossen im Wege der geschuldeten Vergütung zu entlasten und dass ein Inte-
PKH beigeordnet worden ist, der Höhe nach auf denjeni- ressengegensatz zwischen dem leistungsstarken Streitge-
gen Bruchteil der Wahlanwaltsvergütung des gemein- nossen und dem Prozessbevollmächtigten einerseits und
samen Prozessbevollmächtigten beschränkt, welcher der der Staatskasse andererseits bestehen kann. Die Staats-
Beteiligung des bedürftigen Streitgenossen am Rechts- kasse ist jedoch gegenüber dem beigeordneten Rechts-
streit entspricht (OLG Jena, Beschl. v. 15.6.2006 – 9 W anwalt wie ein Gesamtschuldner zusammen mit dem leis-
81/06, OLGReport Jena 2007, 163; OLG Köln, Beschl. tungsfähigen Streitgenossen zu behandeln, so dass der
v. 29.6.1998 – 17 W 302/96, NJW-RR 1999, 725; Rön- Staatskasse gegebenenfalls im Innenverhältnis ein Aus-
gleichsanspruch entsprechend § 426 Abs. 1 BGB gegen darauf, dass der bereits amtierende Notar nicht in seiner
den leistungsfähigen Streitgenossen zusteht (vgl. bereits Berufswahlfreiheit i.S.d. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, son-
OLG München, a.a.O.). Gleiches gilt auch für die Be- dern durch das mögliche weitere Festhalten an seinem
schränkung des Vergütungsanspruchs auf einen Bruchteil bisherigen Amtssitz lediglich in der Freiheit der Berufs-
der Gesamtkosten des gemeinsamen Prozessbevollmäch- ausübung (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) betroffen ist, die
tigten, insbesondere im Falle einer Ratenzahlungsanord- aufgrund der staatlichen Bindungen des Notaramts von
nung. Zwar kann dies dazu führen, dass infolge der Ein- vorneherein besonderen Beschränkungen unterliegt (z.B.
ziehung der Raten durch die Staatskasse die bedürftige BGH v. 18.7.2011 – NotZ [Brfg] 1/11 – Rz. 13, NJW-RR
Partei zunächst den überwiegenden Teil der Vergütung 2012, 53; v. 11.8.2009 – NotZ 4/09 – Rz. 8, DNotZ
des gemeinsamen Prozessbevollmächtigten zu bezahlen 2010, 467 je m.w.N.). Dies entspricht der Grundrechts-
hat und dann den auf die weiteren Streitgenossen im In- situation des Klägers. Er ist bereits Inhaber eines Notar-
nenverhältnis entfallenden Kostenanteil gem. § 426 amts. Ihm wird lediglich nicht der begehrte neue Amts-
Abs. 1 BGB zurückfordern muss. Hierin liegt aber kein sitz zugewiesen. Er wird damit durch die Besetzungsent-
Unterschied der Rechtsstellung der bedürftigen Partei im scheidung des Beklagten nicht in seiner Berufswahl-, son-
Vergleich zu der Stellung eines Streitgenossen, dem keine dern lediglich in seiner Berufsausübungsfreiheit betrof-
PKH bewilligt worden ist. ... fen.
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) [4] Dass sich der Kläger formal nicht als Notar, sondern
lediglich als Rechtsanwalt auf die ausgeschriebene Stelle
beworben hat, ist unbeachtlich. Die Ausgestaltung der
Bewerbung ändert nichts daran, dass er bereits das Amt
eines Notars ausübt und dementsprechend seine Berufs-
wahlfreiheit nicht berührt wird.
Berufsrecht [5] Allerdings sind nicht sämtliche Erwägungen fehler-
frei, die der Beklagte bei seiner Würdigung angestellt
Anwaltsnotar: Amtssitzverlegung und Besetzung
hat, ob eine Amtssitzverlegung des Klägers mit den Be-
langen einer geordneten Rechtspflege vereinbar ist.
[6] Entgegen der Ansicht des Beklagten ist es für das von
BNotO § 10 Abs. 1 S. 3 ihm in den Blick genommene Verhältnis der im Amts-
Im Bereich des Anwaltsnotariats (§ 3 Abs. 2 BNotO) gerichtsbezirk I. anfallenden Urkundszahlen zur Anzahl
darf die Landesjustizverwaltung bei ihrer Entschei- der vorhandenen Notarstellen gleichgültig, ob die aus-
dung um die Besetzung einer Notarstelle im Falle der geschriebene Stelle mit dem Kläger oder einem anderen
Konkurrenz eines bereits amtierenden (Anwalts-)No- Bewerber besetzt wird. Richtig ist zwar, dass nach Buch-
tars mit Rechtsanwälten, die noch nicht Notare sind, stabe A Nr. I 1 lit. b) des Runderlasses des Beklagten
im Hinblick auf die zum 1.5.2011 wirksam werdende vom 26.10.2009 (HessJMBl. S. 563) unabhängig von der
Änderung des § 6 BNotO das Vertrauen der anwalt- Anzahl der Urkundsgeschäfte erneut eine Notarstelle für
H. auszuschreiben wäre, wenn der Kläger auf der im vor-
lichen Bewerber in die Erheblichkeit der nach Maß- liegenden Verfahren streitigen Stelle zum Zuge käme.
gabe der bisherigen Rechtslage erworbenen Qualifika- Hierdurch würde sich jedoch im Vergleich zur Situation,
tionen als schutzwürdig betrachten. dass ein noch nicht zum Notar bestellter Mitbewerber
BGH, Beschl. v. 26.11.2012 – NotZ(Brfg) 5/12 die umstrittene Stelle übertragen bekäme, weder etwas
(OLG Frankfurt – 1 Not 3/11) an der Anzahl der besetzten Notarstellen noch etwas an
deren örtlicher Verteilung innerhalb des Amtsgerichts-
Aus den Gründen: bezirk I. ändern. Es entstünde entgegen der Auffassung
[2] Dem Beklagten und dem OLG ist darin beizupflich- des Beklagten nicht eine weitere Stelle.
ten, dass es sich bei der Bewerbung des Klägers auf die [7] Gleichwohl ist die Klage im Ergebnis unbegründet.
ausgeschriebene Stelle der Sache nach um einen Antrag Die Auswahlentscheidung des Beklagten wird unter Be-
auf Amtssitzverlegung handelt, der an § 10 Abs. 1 Satz 3 rücksichtigung der besonderen Situation, dass sich das
BNotO zu messen ist. Zulassungsverfahren ab dem 1.5.2011 änderte, bereits
[3] Die Auswahl nach § 6 Abs. 3 BNotO vollzieht sich, von seiner in dem angefochtenen Bescheid vorrangig an-
wie sich aus § 6 Abs. 1 BNotO ergibt, unter den Bewer- gestellten Würdigung getragen, anderen Bewerbern müs-
bern, die erst das „Amt des Notars“ anstreben. Ein sol- se der berufliche Einstieg ermöglicht werden.
ches Amt hat der Kläger bereits inne. Das Notaramt ist [8] Der Beklagte hat im Hinblick darauf, dass sich ab
auch nicht identisch mit dem Amtssitz. Dies folgt ins- dem 1.5.2011 die fachliche Eignung der Bewerber um
besondere aus § 10 Abs. 1 Satz 1 BNotO, wonach dem ein Notaramt im Bereich des Anwaltsnotariats in der Re-
Inhaber eines Notaramts ein bestimmter Ort als Amtssitz gel nur nach den Ergebnissen der notariellen Fachprü-
zugewiesen wird. Das Gesetz unterscheidet somit zwi- fung und des die juristische Ausbildung abschließenden
schen dem Amt des Notars und dessen Amtssitz. Diese Staatsexamens richtet (§ 6 Abs. 3 Satz 2 BNotO), als tra-
Differenzierung zwischen dem Amt als solchem und dem gendes Abwägungskriterium herangezogen, dass die von
Amtssitz liegt auch der Rechtsprechung des Senats zur der Beigeladenen – und anderen konkurrierenden
Konkurrenz zwischen Notaren und Notaranwärtern um Rechtsanwälten – im Vertrauen auf die bisherige Rechts-
eine Stelle zugrunde. Danach hängt die Entscheidung der lage erbrachten fachlichen Leistungen nahezu gegen-
Landesjustizverwaltung über die Bewerbung des bereits standslos würden, wenn der von dem Kläger angestreb-
amtierenden Notars nicht nur von einer Auswahl nach ten Amtssitzverlegung der Vorzug gegeben würde. Diese
§ 6 Abs. 3 BNotO, sondern auch – und vorrangig – da- Beurteilung ist unter Berücksichtigung der Beschlüsse
von ab, ob sein Wechsel nach dem Maßstab des § 10 BGH v. 11.8.2009, a.a.O.; v. 18.7.2011, a.a.O. nicht zu
Abs. 1 Satz 3 BNotO mit den Belangen einer geordneten beanstanden. Zwar sind die dort ausgeführten Erwägun-
Rechtspflege in Einklang steht. Bei der Beurteilung dieser gen nicht uneingeschränkt auf die vorliegende Fallgestal-
Frage ist der Justizverwaltung ein weiterer Ermessen- tung zu übertragen, da sich die Entscheidung auf die
spielraum eingeräumt, als derjenige bei einer reinen Aus- Konkurrenz zwischen Notarassessoren und bereits am-
wahlentscheidung nach § 6 Abs. 3 BNotO. Dies beruht tierenden Notaren im Bereich des hauptberuflichen No-
tariats (§ 3 Abs. 1 BNotO) bezieht. Eine den Regelvor- hinreichend zu belegen (BGH, Beschl. v. 21.2.2011 –
rang für Notarassessoren rechtfertigende ausgeprägte NotZ [Brfg] 6/10 – Rz. 29, NJW 2011, 1517).
Fürsorgepflicht der Landesjustizverwaltung besteht ge- [18] Bedürfnisgründe, vom Erfordernis der örtlichen
genüber Bewerbern aus der Rechtsanwaltschaft im Be- Wartezeit abzusehen, liegen nicht vor, wenn genügend
reich des Anwaltsnotariats (§ 3 Abs. 2 BNotO) im All- persönlich und fachlich geeignete Bewerber, die die War-
gemeinen nicht. Die zugunsten der Notarassessoren strei- tezeit erfüllt haben, zur Verfügung stehen. Ein öffent-
tenden Vertrauensgesichtspunkte können im Ausnahme- liches Interesse, von der Einhaltung der örtlichen Warte-
fall jedoch auch im Bereich des Anwaltsnotariats für sich zeit abzusehen, kann allerdings auch in der Bestenauslese
erstmals um ein Notaramt bewerbende Rechtsanwälte liegen, denn der umfassende Auswahlmaßstab für das
eingreifen. Der Beklagte durfte in der vorliegenden be- Notariat ist die persönliche und fachliche Eignung. Je-
sonderen Situation, die sich daraus ergibt, dass der Ge- doch kann nicht ohne weiteres und unter dem Gesichts-
setzgeber die Kriterien zur Bemessung der fachlichen Eig- punkt, ein Mitbewerber sei fachlich besser geeignet, von
nung änderte, das Vertrauen der Bewerber in die Erheb- dem Erfordernis der örtlichen Wartezeit abgesehen wer-
lichkeit der nach Maßgabe der bisherigen Rechtslage er- den. Denn das Regelerfordernis der Wartezeit ist der
worbenen Qualifikationen als schutzwürdig betrachten. Auswahl unter den geeigneten Bewerbern vorgelagert.
... [Rz. 9] ... Würde die beste Eignung als solche genügen, von dem
Volltext in MDR-online (wwww.mdr.ovs.de) Erfordernis abzusehen, verlöre es seine eigenständige Be-
deutung. Die Bevorzugung des fachlich besser geeig-
neten, die Wartezeit aber noch nicht erfüllenden Bewer-
bers muss aufgrund eines außergewöhnlichen Sachver-
Anwaltsnotar: Absehen von örtlicher Wartezeit für halts zwingend erscheinen (BGH v. 3.12.2001, a.a.O.; v.
Bestellung 17.11.2008 – NotZ 10/08 – Rz. 29 ff., NJW-RR 2009,
350).
BNotO § 6 Abs. 2 Nr. 2 a.F. [19] Unabhängig davon müssen jedoch im Fall des Abse-
hens von der Einhaltung der örtlichen Wartezeit, deren
Zu den Voraussetzungen, unter denen die Landesjus- Zwecke anderweitig erfüllt sein. Voraussetzung dafür ist
tizverwaltung vom Erfordernis der mindestens drei- die Vertrautheit des Bewerbers mit den örtlichen Verhält-
jährigen örtlichen Wartezeit für die Bestellung zum nissen, die Schaffung der wirtschaftlichen Grundlagen
Anwaltsnotar absehen kann. für die Notariatspraxis und der organisatorischen Vo-
BGH, Beschl. v. 26.11.2012 – NotZ(Brfg) 6/12 raussetzungen für die Geschäftsstelle (vgl. BGH v.
(OLG Frankfurt – 2 Not 10/11) 3.12.2001, a.a.O.; v. 24.7.2006 – NotZ 13/06 – Rz. 13,
DNotZ 2007, 75; v. 17.11.2008, a.a.O. – Rz. 34). Diese
Aus den Gründen: müssen bei Ablauf der Bewerbungsfrist vorliegen (...,
[13] § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F. findet auf das im Zeit- BGH v. 24.7.2006, a.a.O. – Rz. 13).
punkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Änderung der [20] Nach obigen Maßstäben sind die Voraussetzungen
Bundesnotarordnung vom 2.4.2009 (BGBl. I, 696) am für das Absehen von der örtlichen Wartezeit für den Bei-
1.5.2011 noch nicht abgeschlossene Besetzungsverfahren geladenen zu 3 nicht gegeben, so dass dieser nicht in die
Anwendung (§ 120 Abs. 1 BNotO). Danach soll in der Auswahlentscheidung hätte einbezogen werden dürfen.
Regel als Anwaltsnotar nur bestellt werden, wer bei Ab- [21] Ein Absehen von dem Erfordernis der örtlichen War-
lauf der Bewerbungsfrist seit mindestens drei Jahren tezeit ist nicht bereits deshalb ermessensfehlerfrei, weil
ohne Unterbrechung in dem in Aussicht genommenen 47 Notarstellen, also eine sehr große Zahl von Stellen
Amtsbereich hauptberuflich als Anwalt tätig ist. ... ausgeschrieben worden ist und die Zahl der zu berück-
[16] Ausschlaggebend für die Erfüllung der örtlichen sichtigenden Bewerbungen (51) die Zahl der zu besetzen-
Wartezeit ist nicht, wo ein Bewerber formell zugelassen den Stellen nur unwesentlich übersteigt. Aus dem Ver-
ist, sondern wo er tatsächlich seine hauptberufliche Tä- waltungsvorgang für das Bewerbungsverfahren ergibt
tigkeit ausübt. Diese örtliche Wartezeit tritt neben die all- sich, dass drei Bewerber, welche die örtliche Wartezeit
gemeine Wartezeit des § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO a.F. Sie nicht erfüllten, bei den Bewerbungen berücksichtigt wur-
setzt voraus, dass der Rechtsanwalt während einer be- den. Es standen deshalb ausreichend qualifizierte (§ 6
stimmten, der angestrebten Notarbestellung unmittelbar Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F.) Bewerber zur Verfügung, um
vorangehenden Zeit durchgängig in dem in Aussicht ge- die ausgeschriebenen Notarstellen zu besetzen.
nommenen Amtsbereich tätig ist. ... [22] Ein Absehen vom Erfordernis der örtlichen Warte-
[17] Allerdings macht § 6 Abs. 2 Nr. 2 BNotO a.F. die zeit rechtfertigt sich auch nicht allein daraus, dass der
Erfüllung der örtlichen Wartezeit nur zur Regelvoraus- Beigeladene zu 3 eine höhere Punktzahl und damit eine
setzung, von deren Einhaltung in Ausnahmefällen abge- bessere Qualifikationsstufe erreicht hat als der Kläger.
sehen werden kann. Dem der Landesjustizverwaltung Dies allein stellt für sich genommen noch keinen Grund
eingeräumten Ermessen sind aber enge Grenzen gesetzt. dar, vom Erfordernis der örtlichen Wartezeit abzusehen,
Die Bestellung eines Bewerbers, der die Regelvorausset- da die Erfüllung dieser Voraussetzungen der Bestenausle-
zungen des § 6 Abs. 2 BNotO a.F. wie z.B. die örtliche se vorgelagert ist. Jedenfalls kann die weitere Vorausset-
Wartezeit nicht erfüllt, ist auf seltene Ausnahmefälle be- zung für das Absehen vom Erfordernis der örtlichen War-
schränkt; sie kommt nur in Betracht, wenn angesichts ei- tezeit, dass dessen Zwecke anderweitig erfüllt sind, nicht
nes ganz außergewöhnlichen Sachverhalts die Abkür- festgestellt werden. Damit setzt sich das OLG nicht und
zung der Regelzeit aus Gerechtigkeitsgründen oder aus der Beklagte in seiner Auswahlentscheidung nicht hinrei-
Bedarfsgründen zwingend erscheint (BGH v. 17.11.2008 chend auseinander. ...
– NotZ 10/08 – Rz. 29, NJW-RR 2009, 350; v. [25] Entscheidend ist, dass der Beigeladene zu 3 bis zum
24.7.2006 – NotZ 13/06, DNotZ 2007, 75 ff.; ...). Die Ablauf der Bewerbungsfrist nicht dargetan hat, dass er in
Gründe, die zu einem Absehen vom Erfordernis der örtli- dem in Aussicht genommen Amtsbereich die nötigen
chen Wartezeit führen sollen, sind bis zum Ablauf der Be- wirtschaftlichen Grundlagen für die Notariatspraxis ge-
werbungsfrist (BGH v. 3.11.2003 – NotZ 14/03, NJW- schaffen hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Ge-
RR 2004, 708; v. 3.12.2001 – NotZ 17/01, MDR 2002, bührenaufkommen als Rechtsanwalt, das außerhalb des
482 = NJW 2002, 968; ...) durch Vortrag von Tatsachen Amtsbereichs erwirtschaftet wird, nicht zu berücksichti-
gen ist (vgl. BGH v. 3.12.2001, a.a.O.; v. 24.7.2006, über den Zugewinnausgleich und damit über eine Schei-
a.a.O. – Rz. 14; ...). Dargelegt hat der Beigeladene zu 3 dungsfolge ... .
in dieser Hinsicht bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist [11] Mit Recht hat das OLG insoweit ausgeführt, auch
nichts. . . .[Rz. 26-28] ... wenn die Klausel lediglich deklaratorische Wirkung ha-
Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de) be, komme ihr im Hinblick auf etwaige Auseinanderset-
zungen über den Zugewinnausgleich rechtliche Bedeu-
tung zu. Hiergegen erhebt der Kläger im Zulassungsver-
fahren auch keine Einwendungen mehr.
Anwaltsnotar: Verstoß gegen Mitwirkungsverbot [12] Entgegen seiner Auffassung ist es unbeachtlich, ob
nach Vorbefassung sein Anwaltsmandat im Scheidungsverfahren die Bera-
tung oder Vertretung im Zusammenhang mit dem Zuge-
BeurkG § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 7; BNotO § 97 Abs. 1 winnausgleich nicht erfasste. Es genügte, dass der Kläger
als Rechtsanwalt zugunsten einer Partei in dem Ehever-
a) Ein Anwaltsnotar, der einen Ehegatten in einem fahren mitwirkte und der von ihm als Notar beurkundete
Scheidungsverfahren anwaltlich vertreten hat, darf als Vertrag eine Scheidungsfolgenregelung enthielt, da beide
Notar an der Beurkundung eines Grundstücksübertra- Tätigkeiten im Gesamtzusammenhang des einheitlichen
gungsvertrags zwischen den vormaligen Ehepartnern Vorgangs, der Scheidung der beiden betroffenen Ehegat-
nicht mitwirken, wenn in diesem auch geregelt ist, ten, standen. Der Begriff der „selben Angelegenheit“
dass mit Erfüllung der Zahlungsverpflichtung des Er- i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BeurkG ist nicht eng auszule-
werbers sämtliche wechselseitigen Zugewinnaus- gen (BGH, Urt. v. 25.5.1984 – V ZR 13/83, MDR 1985,
gleichsansprüche erledigt sind. Das gilt auch, wenn 132 = DNotZ 1985, 231 f.; ...). Es reicht aus, wenn ein
das Anwaltsmandat die Regelung des Zugewinnaus- Gesamtzusammenhang innerhalb des einheitlichen Le-
gleichs nicht zum Gegenstand und die Vertragsklausel benssachverhalts besteht (Sandkühler, a.a.O., Rz. 76;
lediglich deklaratorische Bedeutung hatte. Winkler, a.a.O.). ... Bereits der objektiv begründete An-
schein, der Notar werde aufgrund seiner außernotariel-
b) ... len Vorbefassung sein Amt nicht entsprechend diesen An-
BGH, Beschl. v. 26.11.2012 – NotSt(Brfg) 2/12 forderungen ausüben, steht hiernach seiner Mitwirkung
(OLG Celle – Not 1/12) an dem betreffenden Urkundsgeschäft entgegen ... . So-
weit die vom Kläger in Bezug genommene Kommentie-
Aus den Gründen: rung von Armbrüster (Armbrüster/Preuß/Renner, Be-
urkG/DONot, 5. Aufl., § 3 Rz. 75), in der ausgeführt ist,
[8] Dem OLG ist darin beizupflichten, dass der Kläger es sei stets zu fordern, dass sich die außernotarielle Vor-
die Beurkundung des Grundstücksübertragungsvertrags befassung bereits im Hinblick auf den Gegenstand der
vom 24.7.2008 unter Verstoß gegen das Mitwirkungsver- späteren Beurkundung konkretisiert habe, dahin zu ver-
bot des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BeurkG vornahm. Nach stehen sein sollte, dass engere Voraussetzungen für das
dieser Bestimmung soll ein Notar u.a. an einer Beurkun- Mitwirkungsverbot des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BeurkG
dung nicht mitwirken in Angelegenheiten einer Person, gälten, wäre dem nicht beizutreten. Diese Auffassung
für die er außerhalb einer Amtstätigkeit in derselben An- wäre mit dem Schutzzweck der Bestimmung nicht in Ein-
gelegenheit bereits tätig war. Die Vorschrift dient der klang zu bringen. Die vom Kläger weiter zitierten Ent-
strikten Trennung von notarieller und außernotarieller scheidungen (OLG Celle v. 8.2.2011 – Not 23/10; OLG
Tätigkeit (Armbrüster in Armbrüster/Preuß/Renner, Be- Schleswig v. 5.3.2007 – Not 4/06, MDR 2007, 927 =
urkG/DONot, 5. Aufl., § 3 BeurkG, Rz. 71; Eylmann in NJW 2007, 3651) greifen entgegen seiner Darstellung
Eylmann/Vaasen, BNotO/BeurkG, 3. Aufl., § 3 BeurkG, die Ausführungen von Armbrüster weder in der Formu-
Rz. 40). Sie ist deshalb von herausragender Bedeutung lierung noch dem Sinn nach auf.
für das Anwaltsnotariat (Eylmann, a.a.O.).
[13] Gerade auch in der vorliegenden Fallgestaltung
[9] Mit Recht sind der Beklagte und das OLG davon aus- kommt der Schutzzweck des Mitwirkungsverbots zum
gegangen, dass der Kläger aufgrund der Wahrnehmung Tragen. Auch wenn der Kläger im Scheidungsverfahren
seines anwaltlichen Mandats zugunsten des früheren noch nicht im Zusammenhang mit dem Zugewinnaus-
Ehemanns im Scheidungsverfahren bereits in „derselben gleich mandatiert war, war er jedoch – pflichtgemäß –
Angelegenheit“ i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BeurkG tä- einseitiger Interessenvertreter des Ehemanns. Bei objekti-
tig gewesen war, als er den Grundstücksübertragungsver- ver Betrachtung bestand auch für eine vernünftige Partei
trag vom 24.7.2008 beurkundete. Der Begriff „derselben die begründete Besorgnis, diese parteiliche Vorbefassung
Angelegenheit“ bedeutet, dass sich die außernotarielle des Klägers werde bei der Beurkundung, die eine Rege-
Tätigkeit und das notarielle Urkundsgeschäft auf einen lung zu einer unmittelbaren Scheidungsfolge enthielt,
einheitlichen Lebenssachverhalt beziehen müssen (z.B. noch fortwirken. ... [Rz. 14-19] ...
OLG Schleswig v. 5.3.2007 – Not 4/06, MDR 2007, 927
= NJW 2007, 3651 f.; Eylmann, a.a.O., Rz. 7; Sandküh- Volltext in MDR-online (www.mdr.ovs.de)
ler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 7. Aufl., § 16
Rz. 14, 76; ...). Die eheliche Gemeinschaft ist der typi-
sche Fall eines solchen Lebenssachverhalts, so dass ein
Anwaltsnotar, der einen Ehepartner in einer ehelichen
Angelegenheit beraten oder vertreten hat, als Notar ei-
nen Ehe-, Unterhalts- oder Scheidungsfolgenvertrag nicht
mehr beurkunden darf (vgl. z.B. BGH, Beschl. v.
22.3.2004 – NotZ 26/03, BGHZ 158, 310 [314] = MDR
2004, 845; ...).
[10] Hiergegen hat der Kläger verstoßen. Er hatte den
Ehemann aufgrund des ihm erteilten Anwaltsmandats in
dem 2006 abgeschlossenen Scheidungsverfahren vertre-
ten. Der von ihm beurkundete Grundstücksübertra-
gungsvertrag enthielt in seinem § 4 Abs. 7 eine Regelung