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Wilhelm Marx in Den Politischen Auseinandersetzungen Der Zentrumspartei Während Des Ersten Weltkriegs
Wilhelm Marx in Den Politischen Auseinandersetzungen Der Zentrumspartei Während Des Ersten Weltkriegs
von
I.
D e r rheinische Zentrumspolitiker Wilhelm Marx (1863—1946) gehört
zu den vielen Führergestalten des politischen Katholizismus in Kaiser-
reich und Weimarer Republik, deren Wirken heute weithin vergessen ist'.
Dieses Faktum überrascht zunächst, bedenkt man die Fülle der Ämter
und Funktionen, die zeitlebens auf seinen Schultern gelegen hat: Je 22
J a h r e lang gehörte er dem Preußischen Land- (1899—1921) und dem
Reichstag (1910—1932) an, war Zentrumsvorsitzender von Elberfeld
(1899—1904) und Düsseldorf (1907—1919), stellvenretender Vorsitzen-
der des Rheinischen Zentrums (1906—1919) sowie schließlich Vorsitzen-
der der Reichstagsfraktion (1921 — 1923, 1926) und Vorsitzender der
Deutschen Zentrumspartei (1922—1928).
Den H ö h e p u n k t seiner politischen Laufbahn erreichte der 60jährige,
als er schon im Begriff stand, sich aus der Politik zu verabschieden: Nach
dem Sturz Gustav Stresemanns bekleidete er in den Jahren 1923—1925
und 1926—1928 insgesamt viermal das Amt des Reichskanzlers, war
1925 kurzzeitig Preußischer Ministerpräsident und Kandidat des demo-
kratischen Lagers bei den Reichspräsidentenwahlen, 1926 dann im 2.
Kabinett Luther ]\isúz- und Minister f ü r die besetzten Gebiete.
In seine Regierungsverantwortung als Reichskanzler fallen das Ende
der Inflation, der Beginn wirtschaftlicher Erholung und innenpolitischer
Beruhigung, fallen die erste außenpolitische A n n ä h e r u n g an die Sieger-
mächte, der Dawes-Plan zur Lösung der Reparationsfrage und der
' Häufig trat Marx als Redner auf Katholikentagen auf, zweimal war er deren Präsi-
dent: 1910 in Augsburg, 1929 in Freiburg/Br. Dem Vorstand des Volksvereins für das
katholische Deutschland gehörte er seit 1908 an, war 1920 für ein Jahr dessen haupt-
amtlicher Generaldirektor, von 1921 bis 1933 dessen Vorsitzender, ebenso von 1911
bis 1933 Vorsitzender der K S O . Die Aufzählung ließe sich fonsetzen.
' Vgl. GÜNTHER GRÜNTHAL, Reichsschulgesetz und Zentrumspartei in der Weimarer
Republik (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien,
Bd. 39), Düsseldorf 1968, S. 7 0 - 7 9 .
' Zu Böhler, dem späteren Leiter des Katholischen Büros Bonn, vgl. BURKHARD VAN
SCHEWICK, Wilhelm Böhler (1891 — 1958), in: JÜRGEN ARETZ, RUDOLF MORSEY,
ANTON RAUSCHER (HRSG.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 4, Mainz 1980, S.
1 9 7 - 2 0 7 u. 277 f.
' Zu Trimbom nach wie vor untersetzt HERMANN CARDAUNS. Karl Trimborn.
Nach seinen Briefen und Tagebüchern, M.Gladbach 1922, sowie zuletzt RUDOLF
MORSEY, Karl Trimborn ( 1 8 5 4 - 1 9 2 1 ) , in: Zeitgeschichte 1 (wieAnm. 1) S. 8 1 - 9 3 u.
301.
Jahre älteren politischen Mentor und Freund, verband ihn im übrigen ein
lebenslanges enges und kaum je von Meinungsverschiedenheiten getrüb-
tes Vertrauensverhältnis, das auf dem Gleichklang ihrer Temperamente
und Anschauungen beruhte, freilich auch in Aiarx'allgemein anerkannter
Selbstlosigkeit wurzelte'. Beide hatten sie, bei aller weltanschaulichen
Festlegung, ein gänzlich unideologisches, pragmatisches Politikverständ-
nis; beide suchten nicht die Auseinandersetzung, sondern waren ausge-
sprochene Vermittlernaturen, immer geneigt, Konflikte gütlich beizule-
gen, gespaltene Meinungen wieder in dem großen Zentrumsgedanken zu
vereinen^°. Marx erscheint dabei als der geborene zweite Mann: Er
prägte die Geschicke des rheinischen Zentrums weniger, als daß er den
Vorsitzenden unterstützte, ohne sich durch weiterreichende Ambitionen
in seiner Loyalität beirren, durch abweichende Vorstellungen auf andere
Wege führen zu lassen. Trimbom hat das ausdrücklich anerkannt, wenn
er dem Freund gelegentlich schrieb: Ich bewundere Deine Arbeitskraft, vor
allem aber (erlaube mir, daß ich es einmal offen ausspreche) die anspruchslose
Art, in der sie sich vollzieht. Ich bin fest überzeugt, daß darauf Gottes Segen
ruhen wird^K
II.
D i e t i e f g r e i f e n d e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n im p o l i t i s c h e n Katholizismus
der Vorkriegszeit, von denen namenthch der Zentrums- und Gewerk-
schaftsstreit das G e f ü g e d e r Partei erschüttert hatten, schienen zu Beginn
des J a h r e s 1 9 1 4 b e i g e l e g t ' ^ Seit d e m „ M a c h t w o r t " des Reichsparteiaus-
s c h u s s e s v o m 8. F e b r u a r 1 9 1 4 ' ^ g a b e s a l l e n f a l l s n o c h Nachhutgefechte,
aber keine ernsthaften Schwierigkeiten mehr. M o b i l m a c h u n g und Kriegs-
ausbruch schufen dann ohnehin eine völlig v e r ä n d e r t e Situation: Was
immer noch an Differenzen zurückgeblieben war, trat nun hinter die
gemeinsame „vaterländische Aufgabe" zurück. Entsprechend war in
einem flammenden Aufruf der rheinischen Zentrumsführung von feind-
lichefmj Ubermut undfeindlichelm] HaßA'it Rede, und jeder war aufgeru-
f e n , fur sich und an seinem Platz alles zu tun, was er nur immer für das
Vaterland leisten kann^^. Jedenfalls lag in d e n Augusttagen 1914 ein
Traum von Einigkeit ( M . S t ü r m e r ) über d e m sonst v o n tiefen Gegensät-
z e n z e r r i s s e n e n V o l k ; d i e v a t e r l ä n d i s c h e B e g e i s t e r u n g w a r a l l g e m e i n , sie
kannte keine Unterschiede der Klassen und Konfessionen. Wie die parla-
mentarischen Auseinandersetzungen ruhten, so ruhte auch die Arbeit der
Zentrumspanei im Lande, wenigstens für kurze Zeit.
Schon gegen Jahresende begann sich indessen in den Reihen der west-
deutschen Arbeiterschaft U n m u t zu regen. D a niemand mit längerer
Dauer des Krieges gerechnet hatte und entsprechende Vorsorge nicht
getroffen war, bekam sie die Folgen der schleppenden, dann mehr und
mehr ungenügenden Nahrungsmittelversorgung als erste zu spüren'^.
D a s verstärkte im Zentrum die ohnehin bestehenden Spannungen zwi-
schen agrarischem und Arbeiterflügel, die durch den Gewerkschaftsstreit
lediglich überlagert, nicht jedoch ausgeräumt worden waren. In ihren
Beschwerden fühlten sich die Arbeiter von der Zentrumsführung nur
ungenügend unterstützt. Strittige Fragen, die besonders die gewerbliche
und industrielle Zentrumswähierschaft interessierten, ließen sich in den
rechtmäßigen Instanzen der Partei kaum klären, meinte Adam Steger-
wald, Führer der Christlichen Gewerkschaften, im September 1915
gegenüber Trimbom^^. Es mangele an Richtlinien von Seiten des Reichs-
ausschusses, die Provinzialorganisationen seien nach lediglich organisato-
rischen Gesichtspunkten besetzt, und allzu oft werde nach parteitakti-
schen Gesichtspunkten entschieden, so daß die verschiedenen Interessen-
strömungen innerhalb der Partei unverbunden und unversöhnt nebenein-
anderliefen.
' ' Z u r Kriegswirtschaft und ihren Folgen vgl. AUGUST SKALWEIT, Die deutsche
Kriegsernährungswirtschaft, Stuttgart 1927; JÜRGEN KOCKA, Klassengesellschaft im
Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914—1918 (Kritische Studien zur Geschichtswis-
senschaft, Bd. 8), Göttingen 1973, S. 12—21 ; ERNST RUDOLF HUBER, Deutsche Ver-
fassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung
1914—1919, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1978, S. 7 3 - 1 1 5 .
" Stegerwaldzn Trimhom, 11.9. 1915. HAStK, 1070, Nr. 222. - Zu StegerwaldMi\.
JOSEF DEUTZ. Adam Stegerwald. Gewerkschafter, Politiker, Minister 1874—1945,
phil. Diss. Bonn 1950; HELMUT J . SCHORR, Adam Stegerwald. Gewerkschaftler und
Politiker der ersten deutschen Republik, Recklinghausen 1966, sowie zuletzt RUDOLF
MORSEY, Adam Stegerwald ( 1 8 7 4 — 1 9 4 5 ) , in: Zeitgeschichte 1 (wie Anm. 1) S.
206 — 219 u. 307 f. — Zur Rolle der (üЬeφaπeilichen) Christlichen Gewerkschaften
während des 1. Weltkriegs vgl. jetzt MICHAEL SCHNEIDER, Die Christlichen Gewerk-
schaften 1894—1933, Bonn 1982, S. 363 — 441. Die Auseinandersetzungen innerhalb
der Zentrumspartei werden hier jedoch nur am Rande behandelt. D a s gilt auch für
MARTIN SCHUMACHERS Untersuchung „ L a n d und Politik. Eine Untersuchung über
politische Parteien und agrarische Interessen 1914—1923" (Beiträge zur Gescnichte
des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 65), Düsseldorf 1978, S.
33 — 84 u. 3 8 7 — 3 9 5 , die ihren S c h w e φ u n k t überdies in der Nachkriegszeit hat.
" Zahlreiche Hinweise zum Verhältnis Zentrum-kaiholische Presse, die keine Panei-
presse im engeren Sinne war, bei U. MITTMANN (wie Anm. 12) S. 206—261. Vgl. fer-
ner WILHELM KISKY, Der Augustinus-Verein zur Pflege der katholischen Presse von
1878 bis 1928, Düsseldorf 1928, passim.
" Der Schriftwechsel des Gewerkvereins mit dem Verlag der Essener Volkszeitung
von März 1916 abschriftlich in: HAStK, 1070, Nr. 222.
" LAMBERT LENSING ( 1 8 5 2 — 1 9 2 8 ) , V e r l e g e r d e r D o r t m u n d e r „ T r e m o n i a " , Vor-
standsmitglied der Westfälischen Zentrumspartei, 1912—1928 Vorsitzender des Augu-
stinus-Vereins. Über ihn W, KISKY (wie Anm. 17), passim. — Trimbom meinte über
Lensing, er stehe dem Bund der Landwirte sehr nahe. Indes der Mann läßt mit sich reden,
und das ist es, worauf es ankommt. Trimbom an Marx, nach 4. 6. 1917. HAStK, 1070,
Nr. 2 2 3 .
" Stegerwald ЛП Lensing, 28.9. 1916. HAStK, 1070, Nr. 222. - Vgl. auch St.s pro-
grammatische Schrift von Juli 1916 „Die Stellung der deutschen Arbeiterschaft im
neuen Deutschland", zit. bei H. J. SCHORR (wie Anm. 16) S. 50 ff.
Stegerwald an Peter Spahn, 2. 6. 1917. Kopie im Besitz des Verf.s.
^^ Stegerwald ЛП Trimbom, Knm. 16.
" Über Spahn zuletzt HELMUT NEUBACH, Peter Spahn (1846—1925), in: Zeitge-
s c h i c h t e 1 ( w i e A n m . 1) S. 6 5 — 8 0 u. 3 0 0 .
III.
Seit dem Frühjahr 1915 zeichnete sich ab, daß die sozialen Konflikte
nicht der einzige Krisenherd blieben und nicht einmal der gefährlichste.
Weit größere Gefahren für die Einheit des Zentrums gingen vom rechten
Parteiflügel aus; die Stichworte hießen Kriegszieldiskussion und Reform
des preußischen Dreiklassenwahlrechts. Die Kontrahenten waren in bei-
den Fällen zwar nicht völlig, aber doch weitgehend identisch.
Während es 1914/15 wegen der mit Recht konstatierten außenpoliti-
schen Abstinenz des Zentrums — die ebenso Folge der traditionell innen-
politischen Orientierung wie mangelnder Informationsmöglichkeiten war
— keine nennenswerten Auseinandersetzungen über die grundsätzlichen
Probleme von Krieg und Frieden gegeben hatte^^, bildete sich infolge der
unerwartet langen Dauer des Krieges und seiner Belastungen ein
zunehmend heftiger werdender Gegensatz über der Frage der Kriegsziele
und der Art des anzustrebenden Friedens heraus. Dabei wiederholte sich
eine Eigentümlichkeit, die schon die Diskussion mit den Arbeiterführern
belastet hatte: daß nämlich der Disput im wesentlichen öffentlich g e f ü h n
wurde, in den Spalten der großen Zentrumsorgane, die kaum durch Par-
teidisziplin gezügelt wurden, vielmehr ihre Unabhängigkeit ausdrücklich
betonten. Publizistischer Vorkämpfer in diesem Streit war die Kölnische
Volkszeitung (KV). Sie hatte sich im inneφarteilichen Meinungskampf
der Vorkriegszeit stets als Organ der (sozial-)politischen Vernunft und
des Augenmaßes bewährt, wurde aber nun unter der neuen Schriftleitung
der Brüder Franz Xaver und Karl Bachem zu einem entschiedenen Ver-
" T a g e b u c h v o m 1 8 . 9 . , 2 5 . / 3 0 . 10., 2 . 1 2 . 1 9 1 5 s o w i e u n d a t i e r t e A u f z e i c h n u n g .
H A S t K , 1070, N r n . 1 u. 2 2 2 ; f e r n e r N o t i z e n K. BACHEMS z u r R e i c h s a u s s c h u ß s i t z u n g .
H A S t K , 1006, N r . 523.
V g l . U . MITTMANN (wie A n m . 12) S. 341 u. 355.
' ' Zu Lambert Brockmann, Besitzer des Düsseldorfer Tageblaus, vgl. die übrigens
dürftigen biographischen Angaben bei WOLFGANG STUMP, Geschichte und Organisa-
tion der Zentrumspartei in Düsseldorf 1917—1933 (Beiträge zur Geschichte des Parla-
mentarismus und der politischen Parteien, Bd. 43), Düsseldorf 1971, passim.
" Tagebuch vom 26. 4. 1916. HAStK, 1070, Nr. 1.
Zu U-Boot-Einsatz und Kriegszielstreit allgemein vgl. E. R. HUBER (wie Anm. 15),
Bd. 5, S. 2 1 7 - 3 1 1 .
" Tagebuch vom 4. 7. und 3. 8. 1916. HAStK, 1070, Nr. 1.
' ' Aufzeichnung Karl Bachems, 26./27. 9. 1916. HAStK, 1006, Nr, 523. Vgl. auch E.
HEINEN (wie Anm. 35) S. 43 f. sowie Tagebuch Marx'\om 26./27. 9. 1916. HAStK,
1 0 7 0 , Nr. 1.
" Aufzeichnung K. Bachems, 9. 11. 1916. HAStK, 1006, Nr. 851.
der Vorsicht und der Zurückhaltung des linken [!] rheinischen Parteiflü-
gels . . . einen spürbaren Hieb zu versetzen und ihn zu einer Änderung sei-
ner Politik zu veranlassen^'. Wenn Marx daher Anfang Januar 1917 in
einer eigenen, übrigens mäßig besuchten Veranstaltung seines Wahlkrei-
ses Mülheim genügende Bürgschaften gegen die Wiederholung heimtücki-
scher Überfälle durch unsere /e/wi/e verlangte und, an die Adresse der S P D
gewandt, denjenigen schwere Verantwortung zuschob, die nur um des Frie-
dens willen den Frieden zur Unzeit fordern und nichts danach fragen, wie er
ausfällt, argumentierte er gewissermaßen auf der Basis des kleinsten
gemeinsamen Nenners, der die Partei noch verband. Sein hohes Lob des
Bethmannschen Friedensangebots war gleichwohl eine klare Ablehnung
jeder Treibertaktik''°.
Die Absicht, 1ппефап:е1НсЬе Gegensätze nicht seinerseits zu verschär-
fen, lag auch seiner Einladung zur Beirats- und Provinzialausschußsit-
zung am 3. Januar 1917 zugrunde. Sie sollte sich vorwiegend mit organi-
satorischen Fragen befassen, eine Diskussion der Kriegsziele war gar
nicht erst vorgesehen^'. Prompt meldete sich Widerspruch, der vom rech-
ten Parteiflügel kam. Ohnehin von gemischten Gefühlen über das kaiserli-
che Friedensangebot beseelt, machte sich Pfarrer Kruchen zum Sprecher
all derjenigen, die darin ein Zeichen der Schwäche, der nachlassenden
Nervenkraft sahen. Vollends unverständlich war ihm die Haltung der
Zentrumsführung: Während Nationalliberale und Sozialdemokraten
gegen und fur die Friedensnote großartige Versammlungen abhielten,
schweige das Zentrum, gehe jeder Stellungnahme aus dem Wege, mache
nachgerade einen hülflosen Eindruck. Daher halte er eine offene Ausspra-
che für unerläßlich; schließlich handele es sich doch um Deutschlands
Zukunft und die Grundlage aller Entwicklung''^.
Wie begreiflich der Vorwurf der Untätigkeit ist, bleibt doch zu fragen,
was anders außer Lavieren die Zentrumsführung hätte tun können. Ein-
heitsstiftende weltanschauliche Gravamina waren nicht berührt; außen-
und militar-, freilich in wachsendem Maße auch innen- und sozialpoliti-
sche Meinungsverschiedenheiten von solcher Tragweite ließen sich eben
" E. MEINEN (wie Anm. 35) S. 56. — Die Vertreter einer maßvollen Politik im rheini-
schen Zentrum unter linke/mj. . . Parteiflügel(s¡ zu subsumieren, ist natürlich nicht
angängig. Ebenso unrichtig ist es, Marx unter die Führer des rechten Flügels zu subsu-
m i e r e n . V g l . E. R . H U B E R ( w i e A n m . 15), B d . 5, S. 1 0 7 1 .
Vgl. Tagebuch vom 6 . 1 . 1 9 1 7 . H A S t K , 1070, Nr. 1; ferner KV Nr. 17 vom
8. 1. 1917 sowie die Polemik in der (sozialdemokratischen) Rheinischen Zeitung Nr. 6
vom 8. 1. 1917: Herr Wilhelm Marx redet.
" Tagebuch vom 3. 1. 1917. Ebenda.
" Vgl. Anm. 56.
IV.
W ä h r e n d man sich im (rheinischen) Z e n t r u m n o c h um das weitgrei-
f e n d e A n n e x i o n s p r o g r a m m der K V stritt, w a r e n in d e r ä u ß e r e n wie inne-
ren Lage des Reiches folgenschwere V e r ä n d e r u n g e n vor sich gegangen.
G e g e n den W i d e r s t a n d Bethmann Hollwegs hatten M a r i n e - und Oberste
Heeresleitung zum 1. Februar 1917 die A u f n a h m e des uneingeschränkten
U - B o o t - K r i e g e s durchgesetzt, durch d e n die l ä h m e n d e Bewegungslosig-
keit an der W e s t f r o n t d u r c h b r o c h e n u n d die britische Flotte binnen sechs
M o n a t e n vernichtet w e r d e n sollte. Marx k o m m e n t i e r t e diese Entschei-
d u n g mit unverhohlener S k e p s i s " , u n d in d e r T a t w u r d e das militärische
Ziel auch nicht a n n ä h e r n d erreicht. Die T o r p e d i e r u n g f r e m d e r Schiffe
bewirkte lediglich, d a ß nun auch die U S A d e m Reich den Krieg erklärten
(6. April) und V o r b e r e i t u n g e n trafen, aktiv in das K a m p f g e s c h e h e n ein-
zugreifen.
Auch an der O s t f r o n t zeichnete sich eine neue E n t w i c k l u n g ab. Im
F e b r u a r 1917 brach in R u ß l a n d die Revolution aus, wobei z w a r die Mit-
" Rede im Kölner Gürzenich, 3. 11. 1918(!). Ebenda, Nr. 222 (undatiert). Das genaue
Datum ergibt sich aus inhaltlichen Hinweisen, dem in Anm. 27 genannten Erinne-
rungsbericht und einem Bericht des Kölner Local-Anzeigers Nr. 306 vom 4. 11. 1918.
— Nichts spricht dafür, d a ß Marx zwischen seiner (bisher nicht bekannten) Antwort
an Trimbom von Ende Mai 1917 und dem oben genannten Datum seine Meinung
geändert hätte. Vgl. auch Anm. 67.
" Aufzeichnung von W. Marx, 11.8. 1936, zitiert bei R. MORSEY, Zentrumspartei
(wie Anm. 25), S. 57, Anm. 20.
" Trimbom an Marx, nach 4. 6. 1917. HAStK, 1070, Nr. 223.
" Tagebuch vom 9. und 21. 2. 1917. Ebenda, Nr. 1.
Z u £ r z ¿ e r ¿ e r g r u n d l e g e n d , freilich in m a n c h e m z u k o r r i g i e r e n b z w . zu e r g ä n z e n :
KLAUS EPSTEIN, M a t t h i a s E r z b e r g e r u n d d a s D i l e m m a d e r d e u t s c h e n D e m o k r a t i e ,
Berlin 1962. V g l . f e r n e r RUDOLF MORSEY. M a t t h i a s E r z b e r g e r ( 1 8 7 5 — 1 9 2 1 ) in: Z e i t -
g e s c h i c h t e 1 (wie A n m . 1) S. 1 0 3 — 1 1 2 u n d 302 f., s o w i e T H E O D O R ESCHENBURG.
Matthias Erzberger. D e r g r o ß e M a n n des Parlamentarismus und d e r F i n a n z r e f o r m ,
M ü n c h e n 1973.
T y p i s c h A i a r x ' B e m e r k u n g : Erzberger redet die ganze Zeit, ich wundere mich, daß der
Mann nicht müde wird. T a g e b u c h v o m 27. 9. 1916. H A S t K , 1070, N r . 1.
" T H . ESCHENBURG in D I E Z E I T N r 24 v o m 8 . 6 . 1973.
" Wiedergabe seiner Rede in: REINHARD SCHIFFERS u . a . (Hrsg.), Der Hauptaus-
schuß des Deutschen Reichstags 1915—1918, Bd. 3: 1917 (Quellen zur Geschichte des
Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 9/III), Düsseldorf 1981, S. 1525 —
1529.
" A u f z e i c h n u n g e n von Marx, 4.—12. 7. 1917; ferner Tagebuch vom 6 . 7 . 1 9 1 7 .
H A S t K , 1070, Nrn. 223 und 1.
" V g l . ERICH MATTHIAS u n d R U D O L F M O R S E Y ( H r s g . ) , D e r I n t e r f r a k t i o n e l l e A u s -
schuß 1 9 1 7 / 1 8 , 2 Teile (Quellen . . ., Bde l / I / I I ) , Düsseldorf 1959.
· ' V g l . K . B A C H E M ( w i e A n m . 12), B d . 9, S. 4 3 4 , s o w i e E . R . H U B E R ( w i e A n m . 1 5 ) ,
Bd. 5, S. 321. — HUBER nennt 5 Nein-Stimmen aus dem Zentrum, R. MORSEY, Zen-
trumspartei (wie Anm. 25), S. 62 f., Anm. 12 f., nennt — basierend auf Erzberger — 7
Abgeordnete.
" Die Angabe bei H. STEHKÄMPER, Marx (wie Anm. 1), S. 179, Marx sei erstmals
1916 in den Vorstand der Reichstagsfraktion gewählt worden, ist ohne Quellenangabe.
Ihr widerspricht ein Schreiben Trimboms an Marx, 17. 8. 1917 (HAStK, 1070, Nr.
223), in dem Tr. sich über iWdrx'Wahl in den Fraktionsvorstand freut. Wahrscheinlich
ist die Wahl — in Abwesenheit von Marx — auf der Fraktionssitzung am 20. 8. 1917
erfolgt, in der Gröber als Nachfolger des zum Preußischen Justizminister ernannten
Spahn zum neuen Vorsitzenden gewählt wurde. Vgl. KV Nr. 652 und Germania Nr.
385 vom 21. 8. 1917.
" Tagebuch vom 6. 7. 1917. HAStK, 1070, Nr. 1.
" Vgl. Tagebuch vom 27.9. 1916 und 9.6. 1918, ferner seinen Erinnerungsbericht
„Das Jahr 1920", S. 38 f. Ebenda, Nrn. 1 und 51. — Die Annahme von K. EPSTEIN
(wie Anm. 73) S. 272, Marx habe sich (wie Wirth und Giesberts) bei der Verteidigung
Erzbergers besonders hervorgetan, ist jedenfalls zu relativieren.
Tagebuch vom 19. 7. 1917. HAStK, 1070, Nr. 1.
V.
Während der Deutsche Reichstag in unmittelbarer, gleicher und gehei-
mer Wahl gewählt wurde, galt in Preußen für die Wahlen zum Abgeord-
netenhaus (und übrigens auch zu den kommunalen Parlamenten) bis zum
Ende der Monarchie ein lediglich mittelbares, ungleiches Zensuswahl-
recht mit öffentlicher Stimmabgabe, das die Urwähler nach Maßgabe
ihres Steueraufkommens in drei Abteilungen einteilte und daher Dreiklas-
senwahlrecht hieß. Um seine Reform oder Ersetzung durch das Reichs-
U . M I T T M A N N ( w i e A n m . 12) S. 3 7 6 .
"" Düsseldorfer Tageblatt Nr. 273/277 vom 3./7. 10. 1917.
Tagebuch vom 3. und 7. 10. 1917. HAStK, 1070, Nr. 1. Druck der Entschließung:
Düsseldorfer Tageblatt Nr. 278 vom 8. 10. 1917.
Aufzeichnung K. Bachems. HAStK, 1006, Nr. 523. Vgl. U. MLTTMANN S. 288,
Anm. 169 (mit falscher Datierung).
Tagebuch vom 18. 10. 1917. HAStK, 1070, Nr. 1.
sondere Adam Stegerwald seit Herbst 1915 immer wieder seinen Zuhö-
rern zu vermitteln, ohne daß er indessen die Parteiführung zu eindeuti-
gen Stellungnahmen hätte veranlassen können'^'.
Wie Trimbom teilte auch Marx diese Auffassung, wenngleich ihn die
Massivität störte, mit welcher die Arbeiter ihre Forderungen vorbrachten;
das sprach in seinen Augen aber nicht gegen deren Berechtigung. Daher
begrüßte er die Osterbotschaft des Kaisers als hochherzige Tat und hielt
für die Aufgabe des Landtags, die gute Absicht [Wilhelms IL] möglichst
schnell durch Annahme entsprechender Gesetze Wirklichkeit werden zu las-
sen. Uberhaupt meinte er, das Zentrum habe mit dem gleichen Reichs-
tagswahlrecht stets gute Erfolge erzielt, so daß politische Einsichtsfähig-
keit auch diejenigen hätte umstimmen müssen, die — wie die Fraktions-
führer Forsch und Herold — im Innern keine warmherzigen Lobredner des
gleichen Wahlrechts waren'^°.
Um so unverständlicher war ihm die überaus heftige Opposition des
rechten Parteiflügels, auch wenn sie nach allen bisherigen Erfahrungen
nicht unerwartet kam. Die stark agrarisch-konservativ geprägten, teil-
weise auch um die Sonderrechte der besitzenden Klasse^^^ bangenden Kri-
tiker fürchteten, daß die Übernahme des Reichstagswahlrechts zu einer
Linksmehrheit im preußischen Abgeordnetenhaus führen würde, als deren
Folge das Zentrum in eine trostlose Oppositionsstellung kommen und. . .
seine kulturellen Forderungen nicht mehr würde verwirklichen [können].
Mit einer... politisch-demokratischen Entwicklung, meinte Karl Bachem,
als Herausgeber der KV einer der einflußreichsten Reformgegner im
rheinischen Zentrum, könnte man ja wohl noch zurecht kommen. Aber
unsere Demokratie ist nicht nur politisch-demokratisch, sondern auch in reli-
giösen Dingen Jreisinnig" und „sozial-demokratisch"^^^. Damit war der
entscheidende Vorbehalt auf eine knappe Formel gebracht. Er zielte nicht
einmal gegen die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts schlechthin,
auch nicht gegen die geplante Einführung der direkten und geheimen
Wahl, sondern gegen die mit der Reform verbundene Notwendigkeit
einer Neueinteilung der Wahlkreise und gegen den Grundsatz des glei-
chen Wahlrechts für a l l e ' " .
Wenige Tage nach Bekanntwerden der Osterbotschaft, am 19. April
1917, wurden die Meinungsverschiedenheiten auf der Sitzung des Pro-
V g l . U . M I T T M A N N ( w i e A n m . 12) S. 8 0 , A n m . 105.
Wie Anm. 27.
Westdeutsche Arbeiterzeitung Nr. 18 vom 6. 5. 1917, zitiert bei H . LEPPER (wie
Anm. 127) S. 43, Anm. 16.
Bachem an von Buhl, 25. 8. 1917, sowie Bachem auf der Provinzialausschußsitzung
vom 19. 4. 1917. HAStK, 1006, Nr. 941; 1070, Nr. 223.
H. LEPPER (wie Anm. 127) S. 40 ist entsprechend zu korrigieren.
teur des Düsseldorfer Tageblatt schon Mitte Juli 1917: Wir wollen vom
parlamentarischen Regime nichts wissen! — und fügte hinzu, die weitere
„Demokratisierung" unseres Verfassungslehens sei nicht notwendig, sie
würde vielmehr nur schädlich und gefährlich sein'^°. Zu heftigen Vorwür-
fen kam es auch Ende Oktober 1917 auf der Provinzialtagung des west-
fälischen Zentrums in H a m m , wo neben Erzherger sich gerade Trimbom
wegen seiner Teilnahme an den interfraktionellen Beratungen des Reichs-
tags attackiert sah'^'.
Angesichts dieser Frontenbildung war die (rheinische) Zentrumsfüh-
rung um ihre integrative Aufgabe nicht zu beneiden. Wie zuvor schon
beim Streit um Kriegsziele und Friedensresolution hätte jeder energische
Schritt ihrerseits die Gräben nur noch vertieft, wahrscheinlich sogar die
Gefahr der Parteispaltung heraufbeschworen. Da an die Einsichtsfähig-
keit der Reformgegner nicht zu appellieren war, hielten Trimhom und
Marx zurückhaltendes Taktieren f ü r das klügste. Das konnte natürlich
den Eindruck der Unentschlossenheit und Schwäche hervorrufen. Inso-
fern mochte Stegerwald zwar grollen, im Westen fehle gegenwärtig... der
führende aktiv tätige Kopf, der die Probleme der Sturule sieht, aber den Tat-
sachen entsprach es nicht'"*^: An Einsicht in das sachlich Gebotene und
politisch Mögliche mangelte es dem Vorstand nicht, wohl an Mitteln und
Wegen, das als notwendig Erkannte auch durchzusetzen. Von der auch
hier irrelevanten konfessionellen Grundlage des Zentrums einmal abgese-
hen, welches (ohnehin nicht vorhandene) Führungsgremium hätte man
um eine autoritative Entscheidung angehen, mit welchen Druckmitteln
schließlich einer solchen Entscheidung auch Respekt verschaffen sollen?
Denn ungeachtet aller organisatorischen Ansätze war das Zentrum
immer noch ein vergleichsweise lockerer Honoratiorenverband, jeden-
falls das genaue Gegenteil einer straff geführten disziplinierten Funktio-
närspartei. So war flexibles Reagieren das Gebot der Stunde'^^.
Immerhin gelang es Marx nach langen und sehr kontroversen Debat-
ten, am 17. September 1917 in Köln eine gemeinsame Resolution durch-
Düsseldorfer Tageblau Nr. 191 und 196 vom 13./18. 7. 1917, zitien ebenda S. 18.
Rheinische Zeitung Nr. 257 vom 3. 11. 1917, Artikel „Die Gegensätze im Zen-
trum"; zu Trimboms kritisierten Äußerungen vgl. IFA (wie Anm. 78), Bd. 1, S.
301-318.
Wie Anm. 21. — Der Vorwurf, Trimbom und namentlich Marx ließen im Beirat der
Rheinischen Zentrumspartei die Zügel der Initiative schleifen (U. MLTTMANN S. 48,
Anm. 58 bezieht diese Kritik irrtümlich auf die Arbeit im Wahlkreis), findet sich auch
später noch, jedoch in wenig substanziiener Form. Vgl. Biesenbach an Bachem,
12. 6. 1918. HAStK, 1006, Nr. 851.
Vgl. U. MITTMANN iwie Anm. 12) S. 375 f., wo allerdings in unzutreffender Weise
zwischen taktische¡rj Haltung der alten Zentrumsfiihrer, zu denen Trimbom, und politi-
scheim] Kalkül der neu aufsteigenden Männer, zu denen Marx und kurioserweise Fehren-
bach gerechnet werden, unterschieden wird.
'·"' K V N r . 743 vom 22. 9. 1917. Z u r E n t s t e h u n g der Erklärung vgl. T a g e b u c h vom 13.
und 17. 9. 1917. H A S t K , 1070, N r . 1.
T a g e b u c h vom 18. und 27. 10. 1917. E b e n d a . Die Darstellung R. PATEMANNS,
K a m p f (wie Anm. 118), S. 112 ff., ist entsprechend zu ergänzen.
Kirchlicher Anzeiger Köln 57, 1917, S. 1 5 5 - 1 6 4 . - Zu Felix von Hartmann
(1851 — 1919), 1911 Bischof von Münster, 1912 Erzbischof von Köln, 1914 Kardinal
und Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenzen, 1916—1918 Mitglied des Preußi-
schen H e r r e n h a u s e s , vgl. N D B , Bd. 7, Berlin 1966, S. 741 f.
Gefahren vorzuhalten, die der Kirche und der Schule drohten, wenn das
gleiche Wahlrecht Gesetz werde^*^.
Damit mußte sich auch Marx direkt angesprochen fühlen, und da der
Dissens ohnehin in der Publizistik lebhaft erörtert wurde'·", entschloß er
sich zu öffentlicher Stellungnahme. Die Jahreswende 1917/18 bot hierzu
mehrfach Gelegenheit, und gleich der erste Auftritt in Münster ver-
schaffte ihm überregionale Aufmerksamkeit'·". Die Westfälische Zen-
trumspanei hatte hier für den 30. Dezember zu einer Großkundgebung
eingeladen, um der in die Wählerschaft eingekehrten Verwirrung entge-
genzutreten. Als Redner war neben Marx sein Fraktionskollege von
Savigny^^° gewonnen, der den reichspolitischen Teil der Ausführungen
übernahm, während Marx über den inneren Aufl>au in Preußen und
namentlich die preußische Wahlrechtsreform sprach. Wie immer argu-
mentierte er streng sachbezogen, verzichtete auf polemische Seitenhiebe
und suchte alles zu vermeiden, was die innerparteilichen Gegner hätte
provozieren oder bloßstellen können. Dennoch ließ die Rede an seinem
prinzipiellen Eintreten für das gleiche Wahlrecht nicht den geringsten
Zweifel aufkommen"'. Hierbei ging er zunächst von realistischer Ein-
schätzung der vorliegenden Tatsachen aus: Das preußische Volk verlange
nach dem beispiellosen Einsatz, den es neben dem Feldheer in diesem
Krieg erbringe, Anerkennung seiner Rechte, Anerkennung seiner bürger-
lichen Freiheiten. Es lasse sich nicht mehr politisch unmündig behandeln.
Das bestehende Dreiklassenwahlrecht sei endgültig tot, ... endgültig vor-
über! — und nur das gleiche und allgemeine Wahlrecht dürfe an seine
Stelle treten. Seit 40 Jahren habe das Zentrum dies immer wieder gefor-
dert, seit den Zusicherungen Wilhelms II. sei auch die Ehre der Krone aufs
engste mit dieser Frage verknüpfi, und jetzt, wo eine Wahlrechtsvorlage
das königliche Versprechen einlöse, müsse das Zentrum auf das kräftigste
dabei mitwirken.
R. PATEMANN, Episkopat (wie Anm. 118), S. 348. — Zur Reaktion Trimboms, der
sein mildes Entsetzen über Hartmanns mangelnde Einsichisfähigkeit hinter taktischen
Ausflüchten verbarg, die wiederum Hartmann als Resignation in^eφretierte, vgl.
ebenda sowie H . LEPPER (wie Anm. 127), S. 47 f. Zur realistischeren und flexibleren
Haltung anderer Bischöfe PATEMANN, Episkopat, S. 350 f., 357, 362, 370. Aufschluß-
reich Clemens von Loes eigenwillige Ausdeutung des Hirtenbriefs im Düsseldorfer
Tageblatt Nr. 36 vom 5. 2. 1918.
Zur publizistischen Auseinandersetzung vgl. H . LEPPER S. 48 sowie R. PATE-
MANN, Kampf (wie Anm. 118), S. 167 ff.
Zum folgenden K V Nr. 2 vom 1., Germania Nr. 2 vom 2., Westdeutsche Arbeiter-
Zeitung Nr. 2 vom 13. 1. 1918.
CARL VON SAVIGNY ( 1 8 5 5 - 1 9 2 8 ) , 1898 — 1918 M d L , 1 9 0 0 — 1 9 1 8 M d R ,
1912 — 1918 Schriftführer des Landesausschusses der Preußischen Zemrumspanei.
O b U . MITTMANNS (wie Anm. 12 S. 78) Einteilung der Befürworter der Wahl-
rechtsreform in prinzipiell oder lediglich taktisch Argumentierende dem Sachverhalt
gerecht wird, erscheint nach Mar:¿ Rede mehr als fraglich.
"" V g l . z u m f o l g e n d e n H . L E P P E R ( w i e A n m . 1 2 7 ) S. 4 8 - 5 3 .
Tagebuch vom 8. 1. 1918. H A S t K , 1070, Nr. 1.
So Marx \n seinem oben Anm. 27 genannten Erinnerungsbericht. Vgl. auch H. LEP-
PER S. 49, Anm. 42a mit weiteren Hinweisen.
R . P A T E M A N N , K a m p f ( w i e A n m . 1 1 8 ) , S. 3 6 1 .
• f Franz Kaufmann (1862—1920), 1912 Stiftspropst in Aachen, 1 9 0 8 - 1 9 1 8 MdL.
Über ihn H . LEPPER S. 42, Anm. 11 mit weiteren Hinweisen.
H . L E P P E R S. 5 0 .
Bertram Kasten (1869—1935), 1 9 1 6 - 1 9 2 7 Oberpfarrer in Köln, St. Kolumba,
1927 Pfarrer in Bad G o d e s b e r g - M u f f e n d o r f , 1919 Mitglied der Preußischen Landes-
versammlung.
Wie Anm. 155.
Wie Anm. 27.
Insgesamt erwies sich das Treffen nur als Beginn einer ganzen Veran-
staltungswelle, welche, statt zur Versachlichung beizutragen, die Fronten
eher verhärtete'^'. Eine in diesen Wochen erschienene Streitschrift warf
den Befürwortern der Wahlrechtsreform sogar Abweichung von den
katholischen Grundsätzen v o r ' " . Der Gipfel der Uneinsichtigkeit war für
Marx erreicht, als im Februar 1918 der Rheinische Bauernverein die Ein-
führung von Pluralstimmen verlangte, fiir die er nicht weniger als elf Klas-
sen au/stellte^*"^. Scharf gtùti Marx deshalb mit Bauernpräsident von Loé
aneinander'^^. Ebensowenig brachten Provinzialausschußsitzung und
Delegiertentag am 2. April in Köln eine Verständigung'^'. Die Sitzung
begann zwar mit einer spontanen Vertrauenskundgebung für die beiden
Vorsitzenden Trimbom und Marx, wobei ihr Verhalten auch Strömungen
gegenüber, die sich im Laufe der letzten Zeit bemerkbar gemacht hatten, aus-
drücklich gebilligt wurde, aber Marx notierte doch, wie es dann hinterher
in der Diskussion wieder ziemlich scharf gtworátn sei. D a ß man auch im
Düsseldorfer Onsausschuß wieder gehörig aneinander geriet, wunderte
ihn nicht: Brockmann war eben ein zu eigensinniger Mann^*"^.
Indessen verliefen die parlamentarischen Beratungen der Wahlrechts-
vorlage in Ausschuß und Plenum des Preußischen Abgeordnetenhauses
kaum erfreulicher'^'. Gleich zweimal beschloß der Ausschuß mit seiner
Mehrheit aus Konservativen und Nationalliberalen, anstelle des gleichen
das Pluralwahlrecht einzuführen (20. Februar und 11. April 1918). Die
Zentrumsfraktion hielt durch ihre Ausschußmitglieder am gleichen Wahl-
recht fest, drang im Plenum aber vergeblich auf den Einbau von „Siche-
rungen", denen zuzustimmen wiederum die Rechte keinen Grund sah,
weil sie die Einführung des gleichen Wahlrechts überhaupt verhindern
wollte. Daß angesichts dieser Schwierigkeiten von Seiten einzelner
Bischöfe auch noch Druck auf die Fraktion ausgeübt wurde, empfand
Marx als ärgerlich: Die Herren urteilten, ohne überhaupt jemand von uns
gehört zu haben^^°.
V g l . Bericht ü b e r e i n e V e r s a m m l u n g v o n G e i s t l i c h e n in E s s e n , 7. 2. 1918, H A S t K ,
1070, N r . 2 2 2 , s o w i e H . LEPPER S. 53 f.
V g l . R . PATEMANN, K a m p f (wie A n m . 118), S. 167 f.
W i e A n m . 27. — D e r V o r s c h l a g d e s R h e i n i s c h e n B a u e r n v e r e i n s i n : H A S t K , 1070,
Nr. 222.
T a g e b u c h v o m 28. 2. 1918. E b e n d a , N r . 1.
Z u m f o l g e n d e n K V N r . 269 v o m 6. 4. 1918.
T a g e b u c h v o m 2. 4. u n d 31. 5. 1918. H A S t K , 1070, N r . 1.
E i n z e l h e i t e n bei R. PATEMANN, K a m p f (wie A n m . 118), S. 127 — 2 2 8 ; E. R .
H U B E R (wie A n m . 15), Bd. 5, S. 4 8 2 - 4 9 6 .
T a g e b u c h v o m 11. 4. 1918. H A S t K , 1070, N r . 1. - Z u d e n H i n t e r g r ü n d e n vgl. R .
PATEMANN, E p i s k o p a t (wie A n m . 118), S. 360 ff., s o w i e R . MORSEY, Z e n t r u m s p a r t e i
(wie A n m . 25), S. 6 5 , A n m . 28.
VI.
Niemanden konnte überraschen, daß diese Entscheidung beim Arbei-
terflügel des Zentrums Empörung auslöste. Nachdem noch am 26. Mai
1918 auf dem Christlich-nationalen Arbeiterkongreß in Essen mehr als
tausend Teilnehmer nachdrücklich die Einführung des gleichen Wahl-
rechts gefordert hatten"^, drohte eine Protestkundgebung am 23. Juni in
Bochum, die ganz unter dem Eindruck der Abstimmungsniederlage
stand, keinem Wahirechisgegner künftig die Stimme zu geben, selbst
wenn man dadurch gezwungen sein werde, sich mit anderen Parteien
zusammenzutun'^"'. Auch die Westdeutschen Arbeitervereine übten auf
einer Vertrauensmänner-Versammlung des Kreises Köln-Mülheim
namentlich Kritik am reformfeindlichen Verhalten mancher (auch hoher)
Geistlicher'". Daß daraufhin Kardinal von Hartmann am 24. August
1918 den Kölner Diözesanpräses Otto Müller súnts Amtes enthob und
von den Arbeitervereinen verlangte, sich künftig jeder politischen Betäti-
gung zu enthalten, wurde als bewußte Provokation verstanden'^'. Wie
die solidarische Reaktion der Betroffenen zeigte, hatte der Erzbischof
den Bogen überspannt: Der als Diözesanpräses entlassene Müller wurde
alsbald zum neuen Verbandspräses der Westdeutschen Arbeitervereine
K V N r . 590 vom 29. 7., N r . 771 und 772 vom 30. 9. 1918.
D r u c k von Aufruf und Richtlinien; K. BACHEM (wie A n m . 12), Bd. 8, S. 363 — 366,
sowie DERS., Politik und Geschichte der Z e n t r u m s p a n e i . Im A n s c h l u ß an die Richtli-
nien f ü r die Parteiarbeit vom 30. Juni 1918, Köln 1918, S. 18—22. Z u r Entstehung der
Richtlinien ebenda S. 22 f. A b d r u c k eines KV-Artikels ( N r . 525) vom 6 . 7 . 1918. -
Vgl. auch E. MEINEN (wie Anm. 35), S. 257 ff.; R. MORSEY, Zentrumspartei (wie
Anm. 25), S. 70 f., sowie U. MITTMANN (wie Anm. 12) S. 376 f.
So Trimbom am 2. 4. 1918 auf dem Rheinischen Z e n t r u m s p a r t e i t a g . KV N r . 269
vom 6. 4. 1918.
D r u c k f a h n e n der verschiedenen Fassungen im N a c h i a ß Marx. H A S t K , 1070, N r .
222. — Eine (womögliche f ü h r e n d e ) Mitarbeit Trimhoms u n d Marx', wie sie U. MiTT-
MANN S. 377 andeutet, läßt sich aus dem N a c h i a ß nicht nachweisen, ist aber nicht
unwahrscheinlich. Die Initiative ging jedenfalls von der K V - R e d a k t i o n aus.
W i e Anm. 179.
K V N r . 517 vom 3. 7. 1918.